Die Privatisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und die damit verbundene Problematik des marktwirtschaftlichen und interventionistischen Dualismus am Beispiel des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) in der Fläche – Grundlagen und Handlungsansätze – Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Dr. rer. pol) des Fachbereiches Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel vorgelegt von Dipl.-Kfm. Hans-Dieter WALD Kassel, im April 2004 Gutachter Prof. Dr. Hans-Friedrich ECKEY (Universität Kassel) Prof. Dr. Kurt REDING (Universität Kassel) INHALTSVERZEICHNIS I Inhaltsverzeichnis Seite Darstellungsverzeichnis VI Abkürzungsverzeichnis VIII 0 Einführung 1 0.1 Begründung der Themenstellung 1 0.2 Arbeitsinhalte, Untersuchungsschwerpunkte und Basishypothesen 2 1 Methodisches Vorgehen und wichtige Begriffe 5 1.1 Wissenschaftliche Vorgehensweise und empirische Methodik 5 1.2 Flächenverödung 7 1.3 Mobilitätsentwicklung in der modernen Dienstleistungsgesellschaft 8 1.3.1 Begriffe 8 1.3.2 Einflussfaktoren 10 1.3.3 Entwicklungstendenzen von Mobilität und Verkehr 17 1.3.4 Entwicklung bei den Verkehrsträgern 19 1.3.5 Perspektiven der Mobilitätsentwicklung 22 1.3.6 Zwischenfazit 28 1.4 Der ÖPNV und seine Perspektiven 29 1.4.1 ÖPNV: Wesentliche Begriffe 30 1.4.1.1 Der Verkehrsmarkt 30 1.4.1.2 Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) 32 1.4.1.3 Öffentliche Aufgaben und Wettbewerb 37 1.4.1.4 Besonderheiten und Grenzen öffentlicher Unternehmen 40 1.4.2 Die Entwicklung des ÖPNV 42 1.4.2.1 Historische Ausgangspunkte 42 1.4.2.2 Ökonomische Rahmenbedingungen des ÖPNV 45 1.4.2.3 Der Schienenpersonennahverkehr und seine externen Effekte 57 1.4.3 Die Krise des ÖPNV – Zusammenfassung 61 INHALTSVERZEICHNIS II Seite 2 Die Krise des SPNV und mögliche Varianten ihrer Überwindung 66 2.1 Grundlagen eines marktwirtschaftlichen Ansatzes für die Weiterentwicklung des SPNV 70 2.1.1 Wettbewerb versus Marktmacht 71 2.1.2 Die Auswirkungen des Wettbewerbs auf den SPNV 76 2.2 Marktversagen als Ursache für korrigierende Staatseingriffe 82 2.2.1 Die Bedeutung externer Effekte 83 2.2.2 Öffentliche Güter und Verkehrsinfrastruktur 90 2.2.3 Tendenz zum ruinösen Wettbewerb 92 2.2.4 Das natürliche Monopol 95 2.3 Potenziale und Grenzen einer interventionistisch geprägten Weiterentwicklung des SPNV 100 2.3.1 Staatliche Eingriffe bei der Preisbildung 101 2.3.2 Marktzugangsschranken als regulative Maßnahme 112 2.4 Zum positiv-theoretischen Ansatz des ‘rent seeking’ im Verkehrsbereich 114 2.5 Außerökonomische Begründungen für staatliche Eingriffe 115 2.5.1 Das Problem der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsbedienung 115 2.5.2 Daseinsvorsorge als Ursache für gestaltende Staatseingriffe 118 2.6 Zusammenfassung und Schlussfolgerung 124 INHALTSVERZEICHNIS III Seite 3 Zu relevanten Entwicklungen im schienengebundenen Personennahverkehr (SPNV) in den 1990er Jahren bis zur unmittelbaren Gegenwart 129 3.1 Grundlagen: Die Entwicklung des SPNV unter Berücksichtigung des allgemeinen Kontextes (ÖPNV) 129 3.1.1 Nationale Entwicklungstrends 129 3.1.2 Internationale Entwicklungstrends und ihre Relevanz für die Umgestaltung der Entwicklung in Deutschland 141 3.1.2.1 Entwicklung in den USA 143 3.1.2.2 Entwicklung in Großbritannien 146 3.1.2.3 Entwicklung in Schweden 151 3.1.2.4 Entwicklung in der Schweiz 154 3.1.2.5 Zwischenfazit 156 3.1.3 EU-rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung des SPNV 158 3.2 Zum Zusammenhang von Regionalisierung des SPNV und Bahnreform 162 3.2.1 Regionalisierungsprozesse im SPNV 162 3.2.2 Ökonomische und rechtliche Aspekte der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn 170 3.2.2.1 Änderung der Gesetzgebungskompetenz in Deutschland 173 3.2.2.2 Inhaltliche Änderungen von gesetzlichen Bestimmungen 173 3.3 Kritik der Bahnreform 180 3.4 Auswirkungen der Bahnreform auf den SPNV und auf Streckenstilllegungen - Zusammenfassung 183 INHALTSVERZEICHNIS IV Seite 4 Konzeptionen und Anforderungen für SPNV-Lösungen im Spannungsfeld von Marktwirtschaft versus Interventionismus 189 4.0 Ausgangslage 189 4.1 Verkehrspolitische, eigentums- und wettbewerbsrechtliche sowie technische Charakteristika im SPNV 192 4.1.1 SPNV als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge 192 4.1.2 Die Eigentumssituation beim Schienennetz 196 4.1.3 Netz und Betrieb: Technische Aspekte und mögliche Synergieeffekte 199 4.1.3.1 Technische Aspekte 199 4.1.3.2 Mögliche Synergieeffekte 201 4.2 Interessengeleitete Grundsatzpositionen zur Trennung von Netz und Betrieb 204 4.3 Infrastrukturverantwortung und Trassenvergabe 210 4.3.1 Infrastrukturverantwortung und Trassenvergabe: Strukturelle Betrachtung 210 4.3.2 Infrastrukturverantwortung und Trassenvergabe: Spezifische Fragen und ihre Bewertung 213 4.3.3 Potenziale zur Vermarktung des Schienennetzes 215 4.4 Organisatorische Gesichtspunkte zu den technologischen Besonderheiten von Netz und Betrieb und ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb 217 4.4.1 Vertikale Integration versus vertikale Desintegration 217 4.4.2 Integration und Desintegration: Fazit 222 4.5 Die wettbewerbliche Situation im Schienenverkehr 226 4.5.1 Gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung und Wettbewerb 228 4.5.2 Ausschreibungspraxis im SPNV und Wettbewerb 230 INHALTSVERZEICHNIS V Seite 4.5.3 Anreize für Wettbewerb im SPNV: Auswirkungen und Grenzen 231 4.5.3.1 Auswirkungen von Wettbewerb 235 4.5.3.2 Grenzen für den Wettbewerb 237 4.5.4 Wettbewerbsimpulse im SPNV: Zwischenfazit 240 4.6 Idealtypische Wettbewerbs-/Marktöffnungsmodelle und ihre Bedeutung für den SPNV 241 4.7 Derzeitige Organisation des SPNV-Betriebes: Beschreibung der Einstellgrößen 248 4.8 Organisationsmodelle für einen zukunftsfähigen SPNV in der Fläche 250 4.8.1 Grundsatzüberlegungen 250 4.8.2 Praktikable Modellansätze 255 4.8.3 Eigene Modellentwicklung, Auswirkungen auf die Flächenverödungsproblematik und empirische Bewertung 264 4.8.3.1 Eigene Modellentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Flächenverödungsproblematik 264 4.8.3.2 Empirische Bewertung 269 5 Die Organisation von regionalen Verkehrslösungen 273 5.1 Vorbemerkungen 273 5.2 Der schienengebundene Nahverkehr und seine Bedeutung in der Fläche 274 5.3 Perspektiven von regionalen Verkehrslösungen 277 5.4 Der SPNV im Kontext regionaler Verkehrslösungen und Potenziale hinsichtlich der Vermeidung von Flächenverödungen 288 5.5 Möglichkeiten für einen Generalverkehrsplan 294 6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 298 Literaturverzeichnis 303 DARSTELLUNGSVERZEICHNIS VI Darstellungsverzeichnis Seite Abbildung 1: Anteile der Verkehrsträger an den gesamten Verkehrs- leistungen des motorisierten Verkehrs 1960 und 2000 46 Abbildung 2: Entscheidungssituation im Hinblick auf drei Verkehrs- träger bei unterschiedlichen Fix- und variablen Kosten 48 Abbildung 3: Auswirkung von Höchstpreisen und Mindestmengen auf das Marktergebnis 50 Abbildung 4: Formen externer Effekte 86 Abbildung 5: Auswirkungen des Auftretens externer Kosten 86 Abbildung 6: Optimaler ökonomischer Schadensvermeidungsumfang 88 Abbildung 7: Das natürliche Monopol 96 Abbildung 8: Ramsey-Preise 104 Abbildung 9: Organisationsmodelle im Nahverkehr 143 Abbildung 10: Organisationsstruktur des britischen Eisenbahnwesens ab 1994 147 Abbildung 11: Rechtliche Grundlagen für die Durchführung des ÖPNV nach der Bahnreform 172 Abbildung 12: DB-Strecken und NE- Bahnen in der Region Stuttgart 259 Abbildung 13: Orientierende Darstellung weiterer baden-württember- gischer, über das Stuttgarter Ballungsgebiet hinaus- gehender und teils „reaktivierter“ SPNV-Nebenbahnen 260 Abbildung 14: Technikeinsatz und Bedienungsfrequenz auf Neben- strecken in der Fläche 262 Abbildung 15: Integriertes Modell zur Neustrukturierung und Privatisie- rung des regionalen Infrastrukturbetriebes und von SPNV- Leistungen 263 Abbildung 16: Trassenpreise in Abhängigkeit vom Investitionsvolumen und von Baukostenzuschüssen 267 DARSTELLUNGSVERZEICHNIS VII Seite Tabelle 1: Fahrtzwecke im Personenverkehr in Deutschland 16 Tabelle 2: Personenverkehr: Prozentuale Aufstellung der Anteile ver- schiedener Verkehrsbereiche für die Jahre 1993 bis 2001 17 Tabelle 3: Entwicklung der Verkehrsleistungen im motorisierten Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis 2001/2002 20 Tabelle 4: Personenverkehr in der Bundesrepublik Deutschland 21 Tabelle 5: Anteile der Verkehrsträger am Personenverkehr in Deutschland 47 Tabelle 6: Modal Split-Entwicklung im Personenverkehr 1991-2002 132 Tabelle 7: Verkehrsleistungen im öffentlichen Schienenpersonen- verkehr 133 Tabelle 8: Ergebnisse der Deregulierung des britischen und schwedischen Nahverkehrs 154 Tabelle 9: Entwicklung der Streckenlängen deutscher Eisenbahnen 163 Tabelle 10: Leistungen des Bundes an die DB nach Arten sowie Jahresfehlbeträge der DB 1960-1989 (Mio. DM) 165 Tabelle 11: Landesregelungen der Aufgabenträgerschaft für den SPNV 179 Tabelle 12: Unterscheidungsmerkmale von EIU und EVU am Beispiel von Nebenstrecken/SPNV (desintegrierter Kontext) 252 Tabelle 13: Rückmeldungsmuster der empirischen Befragung 271 Übersicht 1: Bestimmungsgründe der Mobilität von Personen 13 Übersicht 2: Zukunftsszenarien Mobilität 2020 24 Übersicht 3: Eckpunkte zur Mobilität 2020 25 Übersicht 4: Empfehlungen zur Sicherung der Mobilität 2020 26 Übersicht 5: Wesentliche Organisations- und Finanzierungsstrukturen des Öffentlichen Verkehrs in Deutschland (Stand August 2002) 36 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS VIII Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz AEG Allgemeines Eisenbahngesetz AG Aktiengesellschaft AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AMTRAK National Railroad Passenger Corporation Art. Artikel BbG Bundesbahngesetz BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BHO Bundeshaushaltsverordnung BMVBW Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BR British Rail DB Deutsche Bundesbahn DB AG Deutsche Bahn AG DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DR Deutsche Reichsbahn EBA Eisenbahnbundesamt EbZugV Eisenbahnunternehmer-Berufszugangsverordnung ECPR Efficient Competent Pricing Rule EG Europäische Gemeinschaft EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EIBV Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung EIU Eisenbahninfrastrukturunternehmen ENeugliedG Eisenbahnneugliederungsgesetz ENeuOG Eisenbahnneuordnungsgesetz EU Europäische Union EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen EIU Eisenbahninfrastrukturunternehmen EuGH Europäischer Gerichtshof GG Grundgesetz GO Gemeindeordnung ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS IX GVFG Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HGrG Haushaltsgrundsätzegesetz IHK Industrie- und Handelskammer Kfz Kraftfahrzeug lit. Buchstabe Lkw Lastkraftwagen MBJS Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (Land Brandenburg) Mio. Millionen MIV Motorisierter Individualverkehr Mrd. Milliarden OPRAF Office of Passenger Rail Franchising ÖPNV Öffentlicher Personenverkehr ÖSPV Öffentlicher Straßenpersonenverkehr p(a) Signifikanzkriterium (probability of alpha) PBefG Personenbeförderungsgesetz Pkm Personenkilometer Pkw Personenkraftwagen RegG Regionalisierungsgesetz RiL Richtlinie RM Reichsmark ROG Raumordnungsgesetz SBB Schweizerische Bundesbahn SJ Schwedische Staatsbahn „Staten Järnvägar“ SPNV Schienenpersonennahverkehr TOCs Train Operating Companies ThürÖPNVG Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Thüringen VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VO Verordnung VOB/A Verdingungsordnung für Bauleistungen VOL/A Verdingungsordnung für Leistungen WTO World Trade Organization WWW World Wide Web Zgkm Zugkilometer 0 EINFÜHRUNG 1 0 Einführung 0.1 Begründung der Themenstellung Die mit der Bahnreform zunehmende Tendenz von Streckenstilllegungen im Schienen- personennahverkehr (SPNV) und die damit verbundenen Risiken von Flächenverödun- gen stellen sich zunächst als mangelnde Durchdringung abgrenzbarer Regionen mit öf- fentlichen Verkehrsdienstleistungen dar, wodurch die ‘Attraktivität’ der entsprechenden Regionen und deren ‘Mobilitätspotenzial’, insbesondere für Personen ohne Individual- fahrzeug (Pkw etc.), in Frage gestellt werden. Die generelle Bedeutung der Still- legungsproblematik wird auch erkennbar, wenn man bedenkt, dass sich nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen allein zwischen 1950 und 1990 das Streckennetz der Eisenbahnen (alte Bundesrepublik) um rund 20 % ver- ringerte. 1 Die so genannte Verödung der Fläche durch Streckenstilllegungen 2 der Bahn, die in der vorliegenden Arbeit u.a. von Bedeutung ist, wirft insbesondere im ländlichem Raum Probleme auf, die im Zusammenhang mit den Sanierungsversuchen der Bahn immer wieder zur Diskussion stehen. Abgesehen davon, dass der allgemeine Begriff der ‘Ver- ödung’ in der Folge noch näher zu hinterfragen und zu qualifizieren ist, gehören Streckenstilllegungen und daraus möglicherweise erwachsende Flächenverödungspro- zesse zu jenen Strukturveränderungen, die nur in einem umfassenderen Kontext zu ver- stehen sind. Im Rahmen der Arbeit soll also keineswegs nur eine verkehrsökonomische Fragestel- lung behandelt werden, die sich aus den Sanierungsnotwendigkeiten der Bahn ergibt. Vielmehr geht es hier auch um das Problem der Mobilität und der damit verbundenen Daseinsvorsorge für den einzelnen Bürger, also nicht zuletzt um sozialpolitische Aspekte: Inwieweit ist der Staat berechtigt oder sogar verpflichtet, in die Bewegungs- freiheit des einzelnen Bürgers reglementierend beziehungsweise schützend einzugreifen (Gewährleistung von Mobilitätsmöglichkeiten für hinsichtlich der Verkehrsdienst- leistungen verödungsgefährdete Regionen)? 3 1 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2000), „Pällmann-Bericht“. 2 Von entscheidendem Interesse sind dabei die Gebiete abseits von Ballungsräumen gelegener Gebiete im schienengebundenen Personennahverkehr. 3 Wachsender Wohlstand, verbunden mit steigendem Einkommen, hat sicherlich zu einer rückläufi- gen Entwicklung v.a. im öffentlichen Schienenverkehr beigetragen (wobei dieser Zusammenhang, wie in der Folge zu zeigen sein wird, keineswegs linear-kausal zu konzipieren ist). Trotzdem gilt dieser Schienenverkehr immer noch als einer der wichtigsten Bestandteile im Verkehrsangebot der Bundesrepublik Deutschland. Es stellt sich die Frage, ob dabei die Verödungsthese eher für jene potenziellen Benutzer der Eisenbahn zutrifft, die nicht im Erwerbsleben stehen und nicht motori- 0 EINFÜHRUNG 2 Aus dieser Perspektive sind grundlegende theoretische Fragestellungen über die prinzi- pielle Notwendigkeit und erforderliche Tiefe von staatlichen Eingriffen in Fällen von Marktversagen ebenso zu qualifizieren wie die Frage der Sicherung der infrastrukturel- len Komponenten des Standorts Deutschland beziehungsweise abgrenzbarer Regionen, die sich auch nach der Privatisierung der Bahn unverändert stellt. Diese Frage verlangt möglicherweise sogar komplexere Lösungen, da aus Effizienzgründen vorgenommene Streckenstilllegungen nicht nur in ihren unmittelbaren, sondern auch in ihren mittel- bis längerfristigen Wirkungen analysiert und gegebenenfalls kompensiert werden müssen, um keine Verschlechterungen der Standortqualität zuzulassen, respektive - unter der normativen Perspektive der Daseinsvorsorge für die Bürger - das vor Stilllegungsmaß- nahmen vorhandene Mobilitätspotenzial aufrecht zu erhalten. 4 0.2 Arbeitsinhalte, Untersuchungsschwerpunkte und Basishypothesen In der Folge (Abschnitte 1, 2) sollen zunächst die für die vorliegende Arbeit entschei- denden Begriffe ‘Flächenverödung’, ‘Mobilität’ und ‘Daseinsvorsorge’ operationalisiert werden. Im Anschluss wird - unter Fokussierung des hier thematisch relevanten Schie- nenpersonennahverkehrs - auf die seit längerem bestehende infrastrukturelle wie öko- nomische Krise des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) eingegangen, um anhand dieses Feldes Möglichkeiten zu einer ‘interventionistischen’ versus durch ‘Libe- ralisierung’ geprägten Überwindung dieser Krisenkonstellation aufzuzeigen. Diese Fragestellung wird im dritten Arbeitsabschnitt, unter Berücksichtigung auch internationaler Beispiele und ihrer Relevanz für die Entwicklung hier zu Lande, auf den Bereich des schienengebundenen Verkehrs beziehungsweise der Deutschen Bahn über- tragen und erweitert. Hierbei gilt es zu klären, aus welchen Gründen und in welchen Schritten das Staatsunternehmen Bahn in den letzten Jahren privatisiert wurde und wie sich die derzeitige marktwirtschaftliche Orientierung darstellt. Bei der Umgestaltung des deutschen Bahnwesens handelte es sich um eine vor einigen Jahren noch kaum vor- stellbare Transformation eines mit genuin öffentlichen Aufgaben betrauten Unterneh- mens. Geschichtlich und wirtschaftspolitisch betrachtet, vollzog sich in der jüngsten siert sind. Belege für diese These ergeben sich aus der empirischen Forschung, wonach solche Per- sonengruppen als so genannte ‘captive riders’, d.h. „Gefangene“ öffentlicher Verkehrsdienst- leistungen, über keine Mobilitätsalternativen verfügen; vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 18, Canzler und Knie (1998), S. 59. 4 Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Verkehrspolitik mit ihren ordnungspolitischen Möglichkeiten zu dieser Zielstellung nur einen Teilbeitrag leisten kann und auf weitere Zuarbeit, etwa auf gesetzgeberischer und verkehrstechnischer Ebene, angewiesen ist; vgl. Aberle (1995b), S. 151 ff., Aberle (2003b), S. 10 f. 0 EINFÜHRUNG 3 Vergangenheit also offensichtlich auch eine grundlegende Veränderung im Gefüge der vom Staat über seine Finanzen abzudeckenden Staatsaufgaben. 5 Im vierten Abschnitt der Arbeit werden - aufbauend auf den vorangegangenen theore- tischen wie praxisbezogenen Statusbeschreibungen und Analysen - konkrete Vorschläge für die Perspektiven des schienengebundenen Personennahverkehrs im Kontext regio- naler Verkehrslösungen entwickelt. Dabei sollen – wiederum unter Kontrastierung einer interventionistischen versus marktwirtschaftlichen Variante – Möglichkeiten dargelegt werden, die einen effizienten Schienenpersonennahverkehr gewährleisten, ohne gerade im ländlichen Raum Flächenverödungsprozessen Vorschub zu leisten. 6 Ein Lösungs- vorschlag soll in diesem Zusammenhang auch in der Diskussion über die Aufstellung eines Generalverkehrsplans (integrierende Taktfahrpläne, übriger ÖPNV) liegen. Anhand der Arbeitsergebnisse sollen fünf Basishypothesen, die gleichzeitig die Rah- menbedingungen für Innovationen für den Bahn- und Schienenpersonennahverkehr abstecken, überprüft werden. Basishypothese 1: Die so genannte Verödungsproblematik ist ein Spezialfall der ökonomisch-regionalen Strukturveränderungen im Verkehrswesen, die auf vielfältige Weise in gesamtwirt- schaftliche Entwicklungen eingebettet sind. Eine qualifizierte Begriffsbestimmung von Verödung ist eine Voraussetzung zur Entwicklung von ökonomisch-regionalen Opti- mierungsstrategien des Gesamtverkehrs. Verödung ist keinesfalls gleichzusetzen mit Streckenstilllegungsmaßnahmen und geht auch nicht zwangsläufig daraus hervor; viel- mehr kann ihr mit entsprechenden Kompensationsstrategien (etwa ersatzweise Dienst- leistungen mit anderen Verkehrsmitteln) entgegen getreten werden. Basishypothese 2: Eine entscheidende Möglichkeit zur Sanierung des deutschen Eisenbahnwesens (Deut- sche Bahn AG) liegt in der Veränderung der vorliegenden Organisationsstrukturen. Bevor Streckenstilllegungen als einer von mehreren Wegen zur Bahnsanierung ins Auge 5 Der gewaltigen Herausforderung des im 19. Jahrhundert neu entstehenden Verkehrsmittels Eisen- bahn wurde in Deutschland letztlich durch staatlichen Eingriff begegnet, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass zunächst die Eisenbahnen privatwirtschaftlich betrieben und erst später dann aus vorgegebenen staatspolitischen Gründen verstaatlicht wurden. Hieraus ergaben sich auch ent- scheidende Impulse für die Entstehung des deutschen Marktes und damit auch des Einheitsstaates. Wird nun dieses Unternehmen privatisiert, dann deutet dies unverkennbar auf einen neuerlichen strukturellen Umbruch und substantielle staats- wie wirtschaftspolitische Umdenkungsprozesse hin. 6 Bejaht man die grundsätzliche Bedeutung des Schienenverkehrs, so stellt sich unausweichlich die oben aufgeworfene Frage, ob eine interventionistische oder die marktwirtschaftliche Strategie die bessere Lösung zur Beseitigung der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Schwierigkeiten dar- stellt bzw. inwiefern auch ‘Mischoptionen’ zwischen beiden Strategien möglich sind (Problem- und Interventionsfelder: Monopolstatus der Bahn, Ansätze für Deregulierung und Wettbewerb, Eigentum und Bedeutung des Streckennetzes, internationale Erfahrungen, EU-Vorgaben). 0 EINFÜHRUNG 4 gefasst werden, sollte zunächst der gesamte Konzern Deutsche Bahn AG auf Potenziale für Kosteneinsparungen hin überprüft werden. So fällt selbst bei einer ersten oberfläch- lichen Analyse der Organisationsstruktur die Anhäufung von Beteiligungen und Unter- beteiligungen auf. Dies gilt aus der Sicht des Verfassers als Indiz für versteckte Kosten- senkungspotenziale. Basishypothese 3: Die bislang im Rahmen der Bahnreform vorgenommene Entflechtung der Geschäfts- felder hat nach Ansicht des Verfassers nur zu einer Verlagerung von Kosten in andere Bereiche geführt. Es wäre daher zunächst zu prüfen, ob nicht durch Zusammenlegung beziehungsweise Ausgliederung von Betriebsteilen ein erheblicher Einspareffekt erzielt werden kann. Weiter sollte untersucht werden, ob sich die Bahn nicht gänzlich aus bestimmten Tätigkeitsfeldern zurückziehen kann, wobei es unerheblich ist, ob diese von staatlichen oder privaten Unternehmen weitergeführt werden. Nach Ansicht des Verfas- sers gilt diese Option insbesondere für den Personennahverkehr, wo örtliche private Betreiber durchaus mit geringeren Fixkosten kalkulieren könnten. Basishypothese 4: Unter dem Aspekt der Ausschöpfung des marktwirtschaftlichen Potenzials ist auch die Entflechtung des Systems Bahn-Schiene zu prüfen und schrittweise einzuleiten. Mög- lich wäre ein eigenständiges Streckennetz (vom Prinzip ähnlich den Bundesautobahnen) im Rahmen von kostengünstigeren Modernisierungsmaßnahmen oder auch ein eigen- ständiger Vertrieb für das rollende Material (Problem der irreversiblen Kosten; Lösung: evtl. Leasing). Erst wenn alle Möglichkeiten zur Kostenreduzierung ausgereizt sind, sollte der Staat mit Subventionen dem jeweiligen Betreiber „unter die Arme greifen“. Basishypothese 5: Streckenstilllegungen sind nicht zu vermeiden. Für die Entscheidung muss jedoch ein ökonomisch begründeter Algorithmus entwickelt und angewendet werden, der die Komplexität der Auswirkungen berücksichtigt. Vermutlich dürften nach marktwirt- schaftlichen Überlegungen verschiedene Strecken unter reinen Kostengesichtspunkten überflüssig werden, weil zum Beispiel die realen oder prognostizierten Fahrgastzahlen zu gering sind beziehungsweise ein ökonomisch angemessener Fahrpreis im Vergleich zu alternativen Verkehrsmöglichkeiten nicht bezahlbar ist. Gleichwohl dürften bei einem nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gestalteten Umgang mit solchen Konstel- lationen und dem Einsatz von interventionistischen Maßnahmen 7 erst im „äußersten Notfall“ Flächenverödungsprozesse vermieden werden können (siehe auch Basishypo- these 1). 7 Kommen hier aus regionalen Gründen Subventionen zum Einsatz, dann sind deren Auswirkungen auf die Kosten zu untersuchen. Am Ende wären Strecken identifizierbar, die selbst bei Zuzahlun- gen nicht rentabel geführt werden könnten. Gerade hier käme dann folgerichtig der Einsatz alter- nativer Verkehrsmittel zum Zuge; vgl. zu entsprechenden Substitutionsüberlegungen auch Laaser (1991), S. 235. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 5 1 Methodisches Vorgehen und wichtige Begriffe 1.1 Wissenschaftliche Vorgehensweise und empirische Methodik Bei der theoretischen Untersuchung ist vor allem eine methodische Besonderheit zu berücksichtigen: Da die Deutsche Bahn AG (DB AG) im Bundesbesitz ist und das Eisenbahnwesen beherrscht, 8 lässt sich der unternehmerische (mikroökonomische) und der volkswirtschaftliche (makroökonomische) Aspekt sowohl bei den ordnungspoli- tischen Rahmenbedingungen als auch beim unternehmerischen Handeln nicht zweifels- frei voneinander trennen, sondern bringt systematische Überschneidungen und Unschär- fen in der Abgrenzung hervor. Da die Problematik von Streckenstilllegungen eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte und methodischer Zugänge beinhaltet, müssen auch die Forschungsmethoden auf den Untersuchungsgegenstand speziell zugeschnitten werden. Berücksichtigt werden müs- sen: • technisch, technologische Aspekte (System Schiene-Verkehr; innovative Entwicklungen in der Verkehrstechnik); • regionalwissenschaftliche Aspekte (Raumordnung, Regionalentwicklung); • makroökonomische Aspekte (Verkehrsaufkommensentwicklung infolge der internationalen Arbeitsteilung, vor allem der deutschen Einheit, Integration und EU- Erweiterungen; Konsequenzen der längerfristigen Strukturveränderungen, die zu einer regionalen Verlagerung von Wachstumsregionen führen etc.); • betriebswirtschaftliche Aspekte (Managementprobleme großer Unternehmen, Fra- gen der Optimierung der Struktur); • soziologische und bevölkerungspolitische Aspekte (aus der Sicht der Entwicklung der Nutzer, der an die Schiene gebundenen Verkehrsangebote und ihrer Finanzier- barkeit); • ökologische Aspekte des Verkehrs, seiner Expansion bzw. Orientierung seiner Um- strukturierung. Bei der Analyse der Verödungsproblematik kommt es vor allem darauf an, die Pluralität der Ansätze zu berücksichtigen, die sich aus der Sicht der jeweils spezifischen Wissen- schaftsdisziplinen ergeben und die zu kombinieren geeignet sind. Es ist somit im 8 Lt. Spiegel 5/2001 werden im Fahrplan 2000/2001 von Privatbahnen 46 und von der DB AG 541 Mio. km gefahren. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 6 Grunde ein interdisziplinäres Vorgehen geboten. Die Untersuchungsmethodik der durchgeführten Arbeit erstreckte sich vor diesem Hintergrund auf zwei Schwerpunkte: Zum einen wurden aus der einschlägigen verkehrs- und transportwirtschaftlichen, aber auch interdisziplinär orientierten Fachliteratur (Monographien, Fachzeitschriften, neben Printversionen auch digitalisierte Quellen) thematisch relevante Beiträge herangezogen. Auf der anderen Seite erschien es jedoch auch wichtig, nicht nur das „frei“ zugängliche Fachmaterial aufzuarbeiten, sondern zusätzlich organisationsinterne Quellen zu berück- sichtigen. Bei diesen organisationsinternen Quellen handelte es sich insbesondere um Arbeitspapiere, Referate, Konzepte, Projektunterlagen etc. bzw. Informationen der Deutschen Bahn AG und anderer Verkehrsbetriebe oder verkehrswirtschaftlicher Orga- nisationen, deren Nutzung für die vorliegende Fragestellung von den entsprechenden Organisationen gestattet wurde. Das diesbezügliche Material wird im Quellen- und Lite- raturverzeichnis der Arbeit genau aufgeführt. Neben der Aufarbeitung der wissenschaftlichen Beiträge (Print- und Digitalveröffent- lichungen) sowie der sonstigen thematisch relevanten Materialien wurden vom Verfas- ser als genuin empirischer Arbeitsschritt auch Interviewbefragungen vollzogen. Die ausgewählten Ansprechpartner konnten in ihrer Funktion als Fachexperten, Beteiligte oder Entscheidungsträger im verkehrswirtschaftlichen Bereich zu Strategien und kon- kreten Vorgehensweisen der ‘Verkehrsliberalisierung’ unter besonderer Berücksichti- gung von Streckenstilllegungen im Nahverkehr und von Bewältigungsstrategien hin- sichtlich einer möglichen Flächenverödungsproblematik Informationen erteilen. Auf diese Weise sollte die praktische Relevanz, inhaltliche Validität und Generalisierbarkeit der Untersuchungsergebnisse erhöht werden. 9 Die Befragungen erfolgten in semistandardisierter Form, d.h. es wurden auf Basis der in den Arbeitsabschnitten (Oberkapitel) 1 bis 3 gewonnenen Erkenntnisse mehrere Ziel- fragen zu thematisch relevanten bzw. in der verkehrspolitischen Diskussion kontrover- sen Aspekten erstellt, die von den Interviewpartnern frei beantwortet wurden. 10Die gewählte empirische Vorgehensweise erschien hier der Komplexität des Sachverhaltes angemessener als etwa eine – grundsätzlich ebenfalls mögliche – rein standardisierte Erhebung über Fragebögen oder restriktiv geführte Interviews. 11 Auf die standardi- sierte, quasi „mathematisierte“ Darlegung empirischer Rückmeldungen wurde mithin im Zusammenhang mit Handlungsmodellen für die Zukunftssicherung des Schienen- personennahverkehrs (SPNV) in der (verödungsgefährdeten) Fläche zurückgegriffen (Abschnitt 4.8). 9 Die Eignung einer zumindest partiell „offenen“ empirischen Befragung als Strategie zur Sicherung der genannten Relevanz- und Validitätsansprüche findet sich u.a. diskutiert bei Kromrey (1991), S. 296 ff.; verwiesen sei auch auf die zusammenfassende Studie von Brosi et al. (1981). 10 Zum grundsätzlichen Vorgehen bei semistandardisierten bzw. kategoriengeleiteten Interviews vgl. Kromrey (1991), S. 260 ff. 11 Vgl. zu der hier aufgeworfenen Methodikfrage auch den nach wie vor aktuellen Beitrag von Kohli (1978). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 7 1.2 Flächenverödung Obwohl der Begriff der Flächenverödung in der allgemeinen Diskussion um nachteilige Effekte von Streckenstilllegungen (der Bahn) häufig benutzt wird, finden sich wissen- schaftliche Hinweise zu einer differenzierten Operationalisierung – verglichen etwa mit dem Mobilitätsbegriff – eher seltener. Als empirisches Faktum lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass der ÖPNV in der Fläche „das Sorgenkind der verkehrspolitischen Diskussion darstellt“. 12 (In Sonderheit gilt dies für den schienengebundenen Personennahverkehr.) Ländliche Bereiche sind vielerorts so wenig von öffentlichen Verkehrsdienstleistungen durchdrungen, dass an den Abenden oder an Wochenenden keine Busse oder Bahnen verkehren. 13 Werden in solchen Regionen zusätzlich Nahverkehrs-Trassen der Bahn stillgelegt, so wird die verkehrsinfrastrukturelle „Mindestausstattung“ unter das „erträgliche“ Maß eingeschränkt. Folgende Mängel hinsichtlich der Verkehrsanbindungen können dann besonders nachteilig hervortreten: • mangelnde Verbindung zu den zentralen Orten, • zu Arbeitsplatzschwerpunkten, • zu Bildungseinrichtungen, • zu Versorgungseinrichtungen, • vor allem jedoch zu den (urbanen) Verdichtungsräumen. 14 Solche Konstellationen beziehungsweise „Bedrohungsszenarien“ stellen zwangsläufig ein Politikum dar, was wiederum die engen Verflechtungen zwischen Verkehrspolitik und Aspekten der Flächennutzung/Raumordnung unterstreicht. 15 In einem Worst- Case-Szenario stellen sich Verödungsprozesse in Folge von unkompensierten Strecken- stilllegungen 16 für die betroffenen Regionen auf ökonomischer wie soziokultureller Ebene dar: 12 Vgl. Grandjot (2000), S. 129. 13 Vgl. Grandjot (2000), S. 130. 14 Vgl. Grandjot (2000), S. 130. 15 Siehe hierzu auch Eckey und Stock (2000), S. 302 ff. 16 Mögliche Kompensation bspw. durch Bahnbusbetrieb für eingestellte Nahverkehrs-Trassen der Bahn. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 8 • ökonomisch (z.B. Verlust an „Standortqualität“, reduziertes Steueraufkommen, Ver- lust von Arbeitsplätzen, Imageschäden 17 ), • soziokulturell („Unattraktivität“ und „Kreativitätsdefizite“ einer Region, Wegzug von natürlichen und juristischen Personen in verkehrsinfrastrukturell vorteilhaftere Gebiete). 18 Als den Flächenverödungsgefahren entgegengesetzte Stoßrichtung wird auf politischer Ebene die verkehrsinfrastrukturelle Anbindung und Erreichbarkeit des ländlichen Rau- mes gefordert, was einer Verbesserung der Standortqualität gleichkomme und zudem auch ein Argument für das so genannte „Regionalmarketing“ darstelle 19 („Ameliorationsprinzip“). Jedoch muss im Zusammenhang mit diesen verkehrspolitisch sinnvollen Forderungen stets auf die Finanzknappheit der öffentlichen Hand bezie- hungsweise der Deutschen Bahn hinsichtlich der Schieneninfrastruktur hingewiesen werden. Gerade angesichts dieses Hinweises wird die Notwendigkeit der in der vorlie- genden Arbeit reflektierten Möglichkeiten zur Effizienzverbesserung im deutschen Bahnwesen (Mitteleinsparungen bzw. verbesserte Mittelallokation) unmittelbar evident. 1.3 Mobilitätsentwicklung in der modernen Dienstleistungs- gesellschaft 1.3.1 Begriffe Der schnelle und sichere Transport von Personen, Gütern und Informationen ist unstrit- tig einer der wichtigsten Antriebe moderner arbeitsteiliger Volkswirtschaften und dient damit auch der Erfüllung von persönlichen und flexiblen Lebensweisen. 20 Mobilität im Sinne von Raumüberwindung stellt ein „wesentliches Grundbedürfnis der Menschen“ dar. 21 Ohne Raumüberwindung wären daher die modernen Formen des gesellschaft- lichen Zusammenlebens konsequenterweise nicht möglich. Freizügigkeit, ungehinderte Kommunikationszugänge und schrankenlose Raumüberwindung gehören dabei für sich 17 Wenngleich nicht eindeutig monetär quantifizierbar, bergen solche Imageschäden doch einwand- frei ökonomische Implikationen für die entsprechenden Regionen. 18 Vgl. zu den beiden Beschreibungsebenen der Verödung Schnappauf (2000). Hinweis: In Schnappaufs Beitrag wird das Phänomen ‘Verödung’ mithin nicht nur im verkehrs-, sondern auch generell wirtschaftspolitischen Kontext (Durchdringung ländlicher Regionen mit Großeinkaufs- zentren etc. zu Ungunsten etablierter mittelständischer Strukturen) aufgearbeitet. 19 Vgl. zusammenfassend Schnappauf (2000). 20 Vgl. WZB / Wissenschaftszentrum Berlin (2001) zu den dort näher erörterten soziologischen Aspekten der Mobilität. 21 Vgl. Aberle (2003b), S. 1. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 9 genommen zu den großen konstitutiven Versprechen in der heutigen Zeit. 22 Gleich- zeitig sind sie aber auch Voraussetzung für die Realisierung demokratischer Mitbe- stimmungsformen, arbeitsteilig-marktvermittelter und profitorientierter Wirtschafts- weisen und letztendlich darauf aufbauender Wohlstandsformen und auch Freizeitstile. Der Begriff der Mobilität umschreibt zunächst ganz allgemein „den Wechsel von Per- sonen oder Gütern zwischen den Teilmengen eines Systems“ 23 , der sich auf die ver- schiedensten Bereiche anwenden lässt. So versteht man z.B. unter beruflicher Mobilität den Wechsel von einem Beruf zu einem anderen. Als Mobilität von Personen bezeich- net man hingegen alle außerhäusigen Aktivitäten, die ihrerseits sowohl motorisiert als auch nicht motorisiert durchgeführt werden können. 24 Im Kontext von Verkehrsfragen steht naturgemäß die räumliche Mobilität im Vorder- grund, wobei unter den Teilmengen eines Systems dann „Standorte“ zu verstehen sind. Verkehr ist damit im hier behandelten Sinne eine Teilmenge der Mobilität und erfasst jene Ortsveränderungen von Personen und Gütern, die sich als Verkehrsleistung in Per- sonen- oder auch Tonnenkilometern empirisch messen lässt. Während im gewerblichen Bereich die funktionale Befriedigung von Mobilitätsbedürf- nissen die Nachfrage nach Fahrzeugen und Fahrten regelmäßig begrenzt, orientiert sich diese im privaten Bereich vor allem an Bedürfnissen, die über den mobilitätsbezogenen Nutzen hinausgehen. Dabei kommt es zu einer wechselseitigen Beeinflussung von Ver- kehrsverhalten und Bedürfnissen. Für die Wahl eines Verkehrsmittels ist dabei die Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse sowie die subjektive Einschätzung, welches Verkehrsmittel diese Bedürfnisse mit dem geringsten Aufwand an Kosten, Zeit und „Unbequemlichkeit“ zu befriedigen vermag, ausschlaggebend. Im Zusammenhang mit der Themenstellung der vorliegenden Arbeit ist insbesondere die „potenzielle Mobilität“ von Interesse, da sie die grundsätzliche Möglichkeit einer Raumüberwindung zwischen zwei Standorten erfasst, die mit einem entwickelten schie- nengebundenen Verkehrsangebot in einer bestimmten Region prinzipiell gegeben ist. Eckey und Stock verweisen im Kontext dieser prinzipiellen Begriffsabgrenzung darauf, dass eine auch gebräuchliche engere Definition die Bindung der Raumüberwindung an spezifische technische und organisatorische Einrichtungen einbezieht. 25 Dies ist eine für den Untersuchungsgegenstand durchaus sinnvolle Eingrenzung oder Präzisierung, da es vorliegend vor allem um den schienengebundenen Personennahverkehr geht. Auch bei der Betrachtung von möglichen Alternativen bzw. ergänzenden oder komple- mentären Angeboten spielen die spezifischen technischen und organisatorischen Vor- aussetzungen für die Verkehrsangebote – wie etwa das Vorhandensein von Straßen 22 In den industriell entwickelten westlichen Wirtschaftsräumen steht der Wunsch nach vermehrter Reisetätigkeit an der Spitze von Meinungsbefragungen; vgl. Aberle (2003b), S. 1. 23 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 1. 24 Vgl. Aberle (2003b), S. 1. 25 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 4. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 10 einer bestimmten Qualität – eine wichtige Rolle bei der Suche nach optimalen „Lösun- gen“. Vor einem solchen Hintergrund ist einerseits auch darüber nachzudenken, dass weitere Trassen zusätzlichen Verkehr erbringen, die gleichzeitig für die Anlieger unerwünscht geltende negative Folgen, wie beispielsweise Lärm, erzeugen können. Andererseits reicht das vorhandene Streckennetz nicht aus, um die Wartezeiten auf Straßen und Bahnhöfen u.a. wirksam zu reduzieren. Zu volkswirtschaftlichem Nutzen wird die potenzielle Mobilität, wenn sie „effektiv“ wird, das heißt, wenn nicht nur die Chance zur Raumüberwindung besteht, sondern sie tatsächlich aus verschiedenen Gründen auch praktisch realisiert wird. Dabei sind sowohl die entstehenden Kosten als auch der eintretende Nutzen von Bedeutung. Der volkswirt- schaftliche Nutzen des Personenverkehrs äußert sich in dem größeren Aktionsradius der Menschen und den sich damit für sie erschließenden reichhaltigeren Aktionsmöglich- keiten. Das gilt sowohl im Hinblick auf das Erreichen der Arbeitsplätze als auch hin- sichtlich der übrigen Aktivitäten außerhalb des Bereiches der Arbeit. 26 Der Mobilitätsbegriff darf dabei nicht nur mit Kfz-orientierter Fortbewegung gleichge- setzt werden. Mobilität beinhaltet vielmehr die allgemeine Möglichkeit zur Ortsver- änderung unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel und den zurückgelegten Entfer- nungen. Mobilität wird jedenfalls nicht größer, je länger die Strecken werden. 27 Des- halb sollte auch in der Diskussion um Mobilität die Siedlungsstruktur und deren Zu- gänglichkeit stets im Zusammenhang mit den Verkehrsangeboten gesehen werden. Die Gesamtheit aller erforderlichen Maßnahmen zur Koordination, Information und Motivation der Verkehrsnutzer im Sinne einer rationalen, umwelt- und sozialverträg- lichen Verkehrsmittelwahl fällt unter den Begriff Mobilitätsmanagement. 28 Ihr Ziel ist neben der Steigerung des Anteils an umweltverträglichen Verkehrsmitteln auch die dauerhafte Sicherung der Mobilität von Gütern und Personen. 1.3.2 Einflussfaktoren Jede Erweiterung oder Einschränkung eines Verkehrsangebots hat Effekte auf das Ver- halten der Nutzer und Betreiber von Verkehrsmitteln. Bis in die 1970er Jahre ging man noch davon aus, dass Streckenstilllegungen der Bahn keine wesentlichen Auswirkungen auf das Verhalten der Allgemeinheit besitzen. Dies galt insbesondere für Nebenstrecken abseits der Hauptlinien. Erst in jüngster Zeit, bedingt durch erfolgreiche Reaktivierun- 26 Siehe hierzu auch Aberle (2003b), S. 598 ff. 27 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2002). 28 Vgl. Grandjot (2002), S. 116. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 11 gen von Nebenstrecken und die Resonanz aus der Bevölkerung, hat ein Umdenken stattgefunden. 29 Danach lassen sich die unterschiedlichen Auswirkungen, die von Investitionen bzw. Desinvestitionen ausgehen, in drei Wirkungsbereiche einteilen: 1. Primärwirkung des Verkehrsangebotes – unmittelbare Wirkung für die Nut- zer/Betreiber der Verkehrsmittel Jede Änderung im Verkehrsangebot beeinflusst unmittelbar die Leistungsfähigkeit und die Qualitätsmerkmale des Verkehrssystems. Im Falle eines Ausbaus der Infrastruktur sind diese Auswirkungen gewollt, betriebswirtschaftlich nachprüfbar mit unmittelbarem Einfluss auf das Betriebsergebnis. Diese unmittelbaren Effekte auf das Verkehrssystem bewirken, dass sie zum größten Teil den Nutzern von Vorteil sind und daher auch meist als Konsumentennutzen internalisiert werden. 2. Umweltwirkungen – direkte und indirekte Wirkungen auf die Umwelt Im Zuge des Aus- bzw. Abbaus von Verkehrsinfrastruktureinrichtungen wird die Umwelt direkt über neu hinzukommende bzw. über wegfallende Infrastruktur, aber auch indirekt über Veränderungen in der Verkehrsnachfrage und des ‘modal split’, beeinflusst. Hierbei wird zwischen direkten und indirekten Umweltwirkun- gen unterschieden. Auf eine weitere Vertiefung dieses sicherlich wichtigen Punk- tes soll hier verzichtet werden. 3. Sekundärwirkung des Verkehrsangebotes – gesellschaftspolitische und raum- ordnerische Aspekte Als Sekundärwirkungen eines veränderten Verkehrsangebots sind unabhängig von der tatsächlichen Verkehrsnachfrage zusätzlich weitere räumliche und gesell- schaftliche Vor- und Nachteile zu konstatieren. Im Wesentlichen ist hinzuweisen auf: a) die Erschließungsfunktion, d.h. neben dem Verlauf der Bahntrasse und der Lage der Haltestellen zu den Siedlungsschwerpunkten ist auch die Qualität und die Quantität (Taktfolge, Betriebsdauer) des Angebotes von maßgeb- licher Bedeutung. b) Ferner erzeugt die Bahn nicht nur regionalwirtschaftliche Effekte, die sich neben den direkten Beschäftigungsauswirkungen ergeben, sondern auch in- direkte regionalwirtschaftliche Effekte. So gilt insbesondere der Gleis- anschluss bei der Ansiedlung von Unternehmen als Standortvorteil. 29 Vgl. Forschungsprojekt „Stilllegung von Eisenbahnstrecken“ an der FH Erfurt (o.V., 2001d). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 12 c) Bedeutung für den Tourismus: Für bestimmte Fremdenverkehrsgebiete, deren Gäste teilweise zu 50 v.H. mit der Bahn anreisen, wäre die Einschrän- kung von Verkehrsleistungen von verheerender Wirkung. d) die Daseinsvorsorge als wichtigster Punkt. Nach dem Regionalisierungs- gesetz ist die Sicherstellung ausreichender Verkehrsleistungen im öffent- lichen Personennahverkehr für die Bevölkerung eine Aufgabe der Daseins- vorsorge. 30 Daher wird auch der Sicherung einer leistungsgerechten und attraktiven Mobilität höchste Priorität eingeräumt. 31 Für den regionalen Verkehr und seine komplexen Angebote ist für die Nachfrage durch die Nutzer vor allem die Qualität der Verkehrsinfrastruktur von Bedeutung. Allerdings kann man davon ausgehen, dass mit der steigenden Güte der Verkehrsinfrastruktur zwar die reale Nachfrage nach Verkehrsleistungen steigt, jedoch kein zusätzlicher Verkehr neu „erzeugt“, sondern lediglich die Realisierung einer bereits latent vorhandenen Nachfrage nach Verkehrsleistungen ermöglicht wird. Dieser Zusammenhang ist für die Entwicklung von Modellen für eine effektive Gestaltung von regionalen Verkehrs- lösungen und vor allem für deren „Vermarktung“ von Interesse, bedeutet er doch, dass es ein bestimmtes latent vorhandenes Nachfragepotenzial für spezifische Verkehrsleis- tungen gibt, das für effizientere Lösungen erschlossen werden kann und muss. Auch beim Güterverkehr sind der volkswirtschaftliche Nutzen der Mobilität und der Zu- sammenhang zwischen ihren Kosten und den Wohlfahrtsgewinnen offensichtlich. So ist generell das arbeitsteilige Produzieren ohne die Einschaltung von Verkehr zur Bewälti- gung der Ortsveränderung von Gütern überhaupt nicht möglich. 32 Die Höhe der anfallenden Transportkosten wirkt sich dabei unmittelbar auf die Intensität der Arbeits- teilung aus, denn je niedriger die entstehenden Kosten bleiben, um so intensiver kann die Verflechtung zwischen verschiedenen Standorten gestaltet werden. Die mit der Ver- kehrsinfrastruktur zusammenhängende Wohlfahrtszunahme ist danach umso größer, je stärker die Kostenersparnisse (economies of scale) sind und je ausgeprägter die Nach- frager auf Preisänderungen reagieren. 33 Das tatsächliche Mobilitätsverhalten der Menschen und die wachsende Bedeutung, die es in der modernen Gesellschaft hat, sind auf eine Kombination verschiedener Bestim- mungsgründe zurückzuführen. Dabei wirken die Siedlungsstruktur, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur, die Verkehrsmittelverfügbarkeit, die Preise und die eingesetzten verkehrspolitischen Instrumente als Grundlage für „objektive“ Mobilitätswünsche ebenso wie die subjektiver geprägten Mobilitätswünsche, die sich aus dem Einkommen 30 Vgl. BGBl, I 1993 Nr.73 vom 30.12.1993, Seite 2395, Art. 4 §1 Abs.1 RegG. 31 Vgl. Reutter und Reutter (1996), S. 3. 32 Vgl. Aberle (2003b), S. 24 ff. 33 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 63. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 13 und den Präferenzen ergeben, die wiederum aus sozialem Status, familiärer Situation, Alter, Freizeitgestaltung usw. resultieren. Sicherlich enthält diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Mobilitäts- wünschen auch Unschärfen und Überschneidungen. Gleichwohl besitzt sie insbesondere für den Verkehr in einem begrenzten regionalen Radius (wie im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit) praktische Relevanz. 34 Maßgeblich für den Personenverkehr ist der Wunsch des Menschen, soweit mobil zu sein, um damit Ortsveränderungen vor- nehmen zu können, bei denen grundsätzlich der daraus zu erwartende Vorteil die damit verbundenen Kosten übersteigt. Weitere subjektive wie objektive Determinanten des Mobilitätsverhaltens gehen aus der folgenden Übersicht hervor: Übersicht 1: Bestimmungsgründe der Mobilität von Personen Mobilitätsverhalten: Subjektive Mobilitätswünsche Objektive Mobilitätswünsche bestimmt durch: bestimmt durch: • Einkommen • Siedlungsstruktur • Präferenzen - sozialer Status - familiäre Situation - Alter - Freizeitgestaltung etc. • Verkehrsinfrastruktur • Verkehrsmittelverfügbarkeit • Preise • eingesetzte verkehrspolitische Instru- mente Quelle: Barth et al. (1996), S. 21 ff. Die Personenmobilität lässt sich aber auch anhand der Begriffe „Zwangsmobilität“ und „freiwillige Mobilität“ charakterisieren, 35 wobei hier unter dem Begriff der erzwunge- nen Mobilität ein großer Anteil der Fahrten für Ausbildung, Beruf und Einkauf einzu- stufen ist. Mithin sind solche Raumüberwindungen das Ergebnis gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungsprozesse, die jedoch nicht eingetreten wären, hätten nicht Prozesse auf dem Verkehrssektor diese Entwicklungen erst begünstigt. Eine erhöhte Verkehrsmittelverfügbarkeit in Verbindung mit steigendem Einkommen und wachsender Freizeit können ein kontinuierliches Anwachsen der Verkehrsleistun- gen erzeugen. In empirischen Analysen wird auf Basis von Modellen und Struktur- gleichungen versucht, das Verhalten im Personenverkehr auch mathematisch zu be- 34 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 3. 35 Vgl. Aberle (2003b), S. 6. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 14 schreiben und zu erklären. Solche Modelle müssen dabei in der Lage sein, Verhaltens- änderungen und daraus resultierende Veränderungen der Nachfrage nach Verkehrsleis- tungen widerzuspiegeln. Sie lassen sich in einer ersten Differenzierung in verhaltens- orientierte und nicht-verhaltensorientierte Modelle einteilen. Zur beispielhaften Dar- stellung genügt hier ein vereinfachtes ökonomisches Modell, das auf ökonomischen Bestimmungsgrößen aufbaut, wie z.B. bei einer einfachen Nutzenfunktion: (1) ( )v,xfU = , mit der Budgetrestriktion (2) vx vpxpE += mit v = Verkehrsnachfrage x = Nachfrage nach anderen Gütern E = Einkommen U = Nutzen p = Preis Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich: (3) ( )E,pfv x= . Daraus ergibt sich, dass z.B. die Verkehrsnachfrage im motorisierten Individualverkehr vom Preis des Pkw und vom individuellen Einkommen abhängig ist und folglich so angenommen werden kann. 36 Diese Aussage lässt sich aber nicht verallgemeinern, wenn man die Individuen einbezieht, die aus persönlichen Gründen (Krankheit, Alter) auf den motorisierten Individualverkehr verzichten müssen. Es erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoll, die zwangsweise und die freiwillige Per- sonenmobilität in verkehrssektorinterne und verkehrssektorexterne Bestimmungsgründe zu untergliedern: Führerscheinbesitz und die Pkw-Verfügbarkeit gewährleisten unstreitig einen höheren individuellen Verkehrsmobilitätsgrad im Rahmen der verkehrssektorinternen Bestim- mungsgründe als bei dem Personenkreis ohne Pkw-Besitz. Allerdings wirkt auch hier ein qualitativ gut ausgestattetes öffentliches Verkehrsmittel, wie z.B. der ICE, mobili- tätsfördernd und attraktiv, das insbesondere auf größere Entfernungen auch im Berufs- pendelverkehr durchaus mit dem motorisierten Individualverkehr ‘mithalten’ und damit Wohnortwechsel überflüssig machen kann. Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln be- sitzen die persönliche Erreichbarkeit von Haltepunkten und der Beförderungspreis einen 36 Vgl. Eckey (2002), S. 13. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 15 nicht unerheblichen Einfluss auf den Bestimmungsgrund, was sich anhand des geradezu explosionsartigen Wachstums im Luftverkehr nachweisen lässt. 37 Die verkehrssektorexternen Bestimmungsgründe für die gewachsene Mobilität lassen sich unterteilen in: 38 • gestalterische und räumliche Standorte von Wohnsiedlungen und die Erreichbarkeit von Arbeitsstätten; • Bürobauten – insbesondere im Dienstleistungssektor – in Ballungsräumen und an der Peripherie von Agglomerationsräumen; • Konzentration von Verwaltungs- und Ausbildungsstätten im Zusammenhang von Gebiets-, Verwaltungs- und Schulorganisations-Reformen in Oberzentren; • vermehrte Freizeit infolge abnehmender Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeiten (Renteneintrittsalter heute im Durchschnitt bei 58 Jahren); • Ausgestaltung der sozialen Interaktionen mit wachsenden Mobilitätsansprüchen; • Steigerung des Fortbildungs-/Seminartourismus. Aufgrund der immer komplexeren Arbeitsmarktstrukturen und angesichts meist mehre- rer berufstätiger Haushaltsmitglieder ist derzeit eine enge räumliche Zuordnung von Wohnen und Arbeit/Tätigkeit in der Regel nicht mehr durchsetzbar. Eine Veränderung der bestehenden zerstreuten Siedlungsstrukturen wäre nur langfristig möglich, zumal diese Strukturen für die Bewohner zwar ein nicht unerhebliches Maß an Zwangsmobi- lität beinhalten, andererseits aber auch eine besondere Bedeutung im Rahmen der sons- tigen Lebensqualität mit sich bringen. Von besonderer Relevanz ist aber auch die zur Verfügung stehende Freizeit. 39 Sie ist insbesondere bei gegebenem Realeinkommen und Pkw-Besitz die Begründung für die zunehmende Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs. Bereits 1999 erreichten der Freizeitverkehr 39,1 v.H. und der Ur- laubsverkehr 7,9 v.H. aller Personenkilometer im motorisierten Verkehr; der summierte Anteil (Freizeit, Urlaub) wird bis 2010 auf 56 v.H. prognostiziert. 40 Splittet man die Gesamtnachfrage (Fahrten) nach den verschiedenartigen Fahrtzwecken auf (Tabelle 1), so zeigt sich, dass in den vergangenen Dekaden ausbildungs- und ur- laubsbedingte Fahrten überproportional gewachsen sind (zu berücksichtigen ist hier auch der Fortbildungs- und Seminartourismus). Hingegen hat die relative Bedeutung vor allem des Mobilitätsmotivs „Freizeit“ – prozentual betrachtet – sogar tendenziell abgenommen (was allerdings durch die Fahrten zu Urlaubszwecken überkompensiert wird; siehe vorangegangene Ausführungen). Die übrigen Fahrtzwecke haben praktisch 37 Vgl. Aberle (2003b), S.7. 38 Vgl. Aberle (2003b), S.7. 39 Vgl. zum Gesamtkomplex auch die Arbeit von Hunecke und Wulfhorst (2000). 40 Daten gemäß Aberle (2003b), S. 8. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 16 mit dem Tempo des allgemeinen Wachstums der Personenverkehrsnachfrage zugelegt, halten also stabile „Marktanteile“. Tabelle 1: Fahrtzwecke im Personenverkehr in Deutschland (in Mio. Pkm) Jahr Beruf Ausbildung Geschäft Einkauf Freizeit Urlaub Gesamt 1960 51.833 7.020 40.700 29.880 111.926 12.115 253.474 1970 78.761 17.690 69.210 54.176 204.262 32.321 456.420 1980 124.239 32.062 74.696 61.462 250.395 55.708 598.562 1990 150.269 29.028 104.491 71.384 303.573 65.655 724.400 1991 188.472 36.140 146.307 92.884 345.525 61.772 871.100 1992 191.900 39.100 149.300 96.300 356.800 66.600 900.000 1993 187.510 37.415 149.318 96.036 359.082 70.819 900.180 1994 182.218 37.822 146.513 95.562 357.404 74.281 893.800 1995 185.491 39.069 149.117 96.391 365.297 71.835 907.200 Stand 2001 201.200 49.500 164.100 106.400 381.300 78.200 980.700 Anteil in % 1960 20,45 2,77 16,06 11,79 44,16 4,78 100,00 1995 20,45 4,31 16,44 10,63 40,27 7,92 100,00 2000 20,55 4,99 16,52 10,98 39,28 7,68 100,00 Quelle: Tabelle entnommen bei Eckey und Stock (2000), S. 7; Daten basieren auf Angaben des DIW („Verkehr in Zahlen“, verschiedene Jahrgänge); zudem wurde das Datenmaterial durch den Verfasser gemäß der aktuellen „Verkehr in Zahlen 2003/2004“-Ausgabe (S. 224 f.) ergänzt. Dies ist insofern von Bedeutung, da die Benutzung des Pkws im Rahmen der Freizeit sowie bei der Urlaubsgestaltung sowohl von Seiten des Staates, beispielsweise über den Benzinpreis, als auch durch die Verkehrsunternehmen selbst, z.B. durch Fahrplan- gestaltung und den Fahrpreis, nachhaltig beeinflusst werden kann. Im Gegensatz dazu ist die Einflussnahme bei beruflich bedingten Fahrten nur begrenzt möglich. Die voraussichtlich weiter zunehmende Mobilität und die mit der Regionalisierung des ÖPNV einhergehenden technischen und organisatorischen Veränderungen durch den Wegfall der Netzzugangsschranken und durch die Einführung von wettbewerblichen Ausschreibungen geben Anlass zu der Vermutung, dass auch zukünftig Auswirkungen auf den Fahrtzweck zu erwarten sind. Deshalb soll in Kapitel 3.1.1 – im Kontext von SPNV und ÖPNV – nochmals auf prognostizierte nationale Entwicklungstrends einge- gangen werden. Zieht man für die jüngere Vergangenheit (Zeitraum 1993-2001) eine Bilanz hinsichtlich der Anteile der mit motorisierten Verkehrsmitteln beförderten Personen (Verkehrsauf- kommen), so lässt sich mithin zeigen, dass in diesem Zeitraum die proportionalen An- 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 17 teile der einzelnen Verkehrsbereiche, insbesondere des motorisierten Individual- verkehrs, vergleichsweise konstant geblieben sind (siehe folgende Tabelle 2). Die grö- ßeren Umbrüche, vor allem zu Gunsten der immer stärkeren „Auto-Mobilisierung“ vollzogen sich insofern in den Dekaden seit 1950, wohingegen in den 1990er Jahren bereits ein gewissermaßen ‘asymptotisches’ Niveau erreicht wurde. Tabelle 2: Personenverkehr: Prozentuale Aufstellung der Anteile verschiedener Verkehrsbereiche für die Jahre 1993 bis 2001 1993 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Verkehrsaufkommen Eisenbahnen 2,7 3,2 3,3 3,3 3,2 3,2 3,4 3,4 Öffentl. Straßen- personenverkehr 13,7 13,2 13,1 13,1 12,8 12,7 13,3 13,6 Luftverkehr 0,1 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 Öffentlicher Verkehr 16,5 16,6 16,6 16,6 16,2 16,1 16,9 17,2 darunter Öffentl. Perso- nennahverkehr 16,0 16,1 16,1 16,0 15,7 15,6 16,3 16,6 Motorisierter Indivi- dualverkehr 83,5 83,4 83,4 83,4 83,8 83,9 83,1 82,8 Verkehr insgesamt 100 100 100 100 100 100 100 100 Quelle: Daten gemäß DIW (2003, „Verkehr in Zahlen 2003/2004“) Der Anteil der einzelnen Verkehrsmittel in Bezug auf die erbrachten Personenkilometer (Verkehrsleistung) ist teilweise erheblich höher, weil sich hier sowohl ungleich lange Beförderungsstrecken als auch die Beförderungshäufigkeit niederschlagen. Dies gilt insbesondere für Öffentlichen Straßenpersonenverkehr und vor allem für den Luftver- kehr (siehe Tabelle 2). 1.3.3 Entwicklungstendenzen von Mobilität und Verkehr Für eine moderne Gesellschaft ist die Frage nach mehr Mobilität von entscheidender Bedeutung, erlaubt sie es doch, neue Aktivitäten privater oder beruflicher Art aufneh- men zu können oder alte zu erhalten und damit die heute immer wichtiger werdende gesellschaftliche und soziale Flexibilität zu steigern. 41 Die Bedeutung der Mobilitätsentwicklung ist also nicht nur im Hinblick auf einen Zuwachs an privaten Gestaltungsmöglichkeiten zu sehen, sondern vor allem dahingehend, wie ein bestimmter Arbeitsplatz oder wichtige Infrastruktureinrichtungen regelmäßig, sicher, bequem und 41 Siehe auch Aberle (2003b), S. 5 ff. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 18 schnell zu erreichen sind. 42 Die Mobilitätsentwicklung beeinflusst also die Transport- qualität und umgekehrt. Der schnelle und sichere Transport von Personen und Gütern wird folglich nicht nur selbst zu einer Voraussetzung für das Funktionieren moderner arbeitsteiliger Volkswirt- schaften, sondern ist auch für die Realisierung von immer individualisierteren und flexibleren Lebensweisen notwendig. Ohne eine auch qualitativ hochwertige räumliche Überwindung wäre daher das gesellschaftliche Zusammenleben in der heute praktizier- ten Form nicht möglich. 43 Besonders im Hinblick auf die – wie auch immer motivierten – zum Teil massiven Ver- kehrsvermeidungsforderungen im politischen Bereich darf dabei allerdings nicht über- sehen werden, dass Freizügigkeit, ungehinderte Kommunikationszugänge und gren- zenlose Raumüberwindung zu den großen „konstitutiven Versprechen“ der modernen Gesellschaft gehören. 44 In diesem Zusammenhang sind sie aber auch Voraussetzung für die Realisierung demo- kratischer Mitbestimmungsformen, arbeitsteilig marktvermittelter und gewinnorientier- ter Wirtschaftsweisen und letztendlich darauf aufbauender Wohlstandsformen und auch Freizeitstile. Es geht also nicht nur um volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinn, son- dern auch darum, dass ein bestimmtes gesellschaftliches Entwicklungsniveau zwingend mit einem ihm entsprechenden Maß und einer jeweils spezifischen Qualität gesell- schaftlichen und individuellen „Raumüberwindungsbedarfs“ verbunden ist. 45 Ein qualitativ hochwertiger Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bietet in diesem Zu- sammenhang vor allem die Möglichkeit, auch jenen Teilen der Bevölkerung, die ihre subjektiven oder objektiven Mobilitätswünsche beispielsweise nicht über die Nutzung eines individuellen Fahrzeuges realisieren können oder wollen, die gleichen Chancen unter den sich dynamisch wandelnden Mobilitätsbedingungen einzuräumen. Der Kontext zwischen Mobilitätsverhalten und Verkehr lässt sich auch anhand folgen- der Tatsachen verdeutlichen: Unterscheidet man zwischen Verkehrsballungsräumen und der so genannten übrigen Fläche, dann zählen Ende der 1990er Jahre 82 % des Bundesgebietes zur Fläche. In ihr wohnen 59 % der Bevölkerung, worin allerdings nur 37 % des gesamten Verkehrsauf- kommens im ÖPNV abgewickelt wird. Das ist das 2,5fache weniger als in den Ver- kehrsballungsräumen. 46 42 Vgl. auch die Hinweise von Canzler (2003) hinsichtlich eines zukunftsfähigen öffentlichen Personennahverkehrs. 43 Vgl. WZB (2001). 44 Vgl. WZB (2001). 45 Siehe wiederum WZB (2001). 46 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (1999), Bericht der Bundesregie- rung über den öffentlichen Personennahverkehr 1999. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 19 Für die in der „Fläche“ wohnenden Verkehrsteilnehmer werden vor allem dann, wenn sie keinen Pkw besitzen, die Art und Möglichkeiten, die diese für die Realisierung ihrer Mobilitätswünsche vorfinden, zu einem wichtigen Bestandteil für ihre derzeitige und zukünftige Lebensqualität. Dies ist insofern von Bedeutung, da der Anteil der Gesamt- bevölkerung in Deutschland, die über keinen eigenen Pkw verfügt, immerhin bei rund 18 % der Bevölkerung liegt. 47 Gerade diese Gruppe der Verkehrsteilnehmer dürfte jegliche Veränderung im Schienen- personennahverkehr besonders kritisch auf Auswirkungen auf ihre individuelle Mobili- tät hin überprüfen. Aber auch die Industrie, der Handel und die Anbieter von Dienst- leistungen sind in der Region existenziell darauf angewiesen, dass der Verkehr mit Gütern und Personen ohne Störungen funktioniert und ein entsprechendes kostengüns- tiges Angebot erhalten bleibt. Hier geht es nicht zuletzt um eine Aufgabe der Daseins- vorsorge, zu der der Staat grundsätzlich verpflichtet ist. 48 Dass sich diese Verpflichtung unter den Bedingungen einer chronisch angespannten Haushaltslage der öffentlichen Hand und unter dem zunehmenden Druck auf die betriebswirtschaftliche, unternehme- rische Ausrichtung der Anbieter der regionalen Verkehrsangebote mehr und mehr als Zielkonflikt erweist, wird im Verlaufe der Untersuchung noch ausführlicher betrachtet (vgl. Kap.1.4.2.2). Grundsätzlich sichert also ein leistungsfähiges Verkehrssystem – einschließlich seiner regionalen Elemente – berufliche Mobilität, persönliche Bewegungsfreiheit und die Kontakte der Menschen untereinander. Auf der anderen Seite gehören Störungen, z.B. im Verkehrsfluss auf der Straße oder der Schiene, zum Mobilitätsalltag. Sie belegen, dass sich die Nachfrage nach Verkehrsleistungen auch tatsächlich erheblich ausgeweitet hat. Wie im Folgenden nachzuweisen ist, hat das gestiegene Mobilitätsbedürfnis die Nachfrageexpansion der verschiedenen Personen-Verkehrsträger jedoch in unterschied- lichem Maße getroffen, mithin zu deutlichen Verschiebungen des ‘modal split’ geführt. 1.3.4 Entwicklung bei den Verkehrsträgern Innerhalb des Zeitraumes von 1960–1990 stieg der motorisierte Personenverkehr der früheren Bundesrepublik von 271.887 auf 742.228 Mio. Personenkilometer (Pkm). Dies entspricht einer Steigerung von 173,0 %. Im vereinigten Deutschland stiegen in den Jahren 1991 bis 2002 die Pkm von 884.141 Mio. auf 937.800 Mio. Pkm (Tabelle 3). 47 Vgl. Reutter und Reutter (1996), S. 3. 48 Siehe hierzu auch Grandjot (2002), S. 16 ff. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 20 Tabelle 3: Entwicklung der Verkehrsleistungen im motorisierten Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis 2001/2002 (Mio. Pkm) (bis 1990: Bundesrepublik Deutschland alt; ab 1991: Gesamtdeutschland) Individual Eisenbahn ÖSPV Luft Summe 1960 178.206 44.780 47.283 1.618 271.887 1990 601.800 45.000 74.600 20.828 742.228 1991 713.400 57.500 92.800 20.441 884.141 2000 766.737 74.619 82.973 39.651 963.980 2002 751.800 67.900 77.300 40.800 937.800 Durchschnittliche Wachstumsraten (in %) pro Jahr 1960-1990 3,01 0,01 1,12 6,43 2,48 1991-2000 0,72 2,64 -1,11 6,85 0,87 2000-2001 0,13 0,26 -0,03 -2,11 k.A. Quelle: Tabelle entnommen aus Eckey (2002), S. 6; vom Verf. ergänzt um Daten aus der aktuellen „Verkehr in Zahlen 2003/2004“-Ausgabe des DIW (S. 212 ff.). Hinweis: Die DIW-Zahlen sind als vorläufig ausgewiesen. Bemerkenswert sind dabei die durchschnittlichen Wachstumsraten. Aus diesen lässt sich schließen, dass die gesamten motorisierten Verkehrsleistungen von 1991–2000 trotz Wiedervereinigung im Durchschnitt nur noch um 0,87 % gestiegen sind und der ÖSPV für sich betrachtet sogar ein negatives Wachstum von 1,11 % zu verzeichnen hat. Die Steigerungsrate der Eisenbahnen hat sich im gleichen Zeitraum, bedingt durch den Neubau von S-Bahnen in den Verkehrsballungsräumen, um durchschnittlich 2,64 % erhöht. Das durchschnittliche Wachstum im Individualverkehr verringerte sich gegen- über der Phase 1960–1990 von 3,01 % auf 0,72 % und bestätigt die Meinung, dass stei- gender Wohlstand nicht im Sinne einer zwingenden Korrelation zu mehr Individualver- kehr führen muss (siehe hierzu auch Kap. 1.3.2). Aufgrund seiner vielfältigen Vorteile, die von der Fahrgeschwindigkeit über die relativ geringen Kosten bis hin zum persönlichen Fahrgenuss und der räumlichen und zeit- lichen Flexibilität für den Nutzer reichen, ist der Anteil des motorisierten Individualver- kehrs als Hauptverkehrsträger des Personenverkehrs jedoch unangefochten hoch. Sicherlich trägt hierzu ganz wesentlich das Profil des motorisierten Individualverkehrs (z.B. unmittelbare Verfügbarkeit, Fahrgeschwindigkeit, Ungebrochenheit, vergleichs- weise moderate Kostenbelastung für den Nutzer) bei. Der steigende Motorisierungsgrad hat langfristig zu einer nachhaltigen Veränderung in der Mobilität zugunsten des Pkws geführt. Besaßen im Jahr 1950 lediglich rd. 35 von 1000 Einwohnern der Bundesrepublik ein Auto, besitzt heute, statistisch betrachtet, jeder Haushalt mehr als ein Auto. Diese Entwicklung wird zunehmend dadurch geprägt, dass immer mehr ältere Menschen, aber auch jüngere Menschen und Singles, über einen Pkw verfügen, was sich eindrucksvoll in der Entwicklung der absoluten Zahlen bei den Personenkilometern niederschlägt (siehe Tabelle 4). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 21 Tabelle 4: Personenverkehr Bundesrepublik Deutschland (Entwicklung der Verkehrsleistungen ausgewählter Verkehrsbe- reiche in Mrd. Pkm) Jahr Eisenbahnen ÖSPV MIV 1950 31,9 24,4 28,5 1990 (D alt ) 44,6 65,1 601,8 1998 (D insg.) 66,5 75,9 755,7 2000 (D insg.) 74,6 83,0 766,7 (1950 ohne Berlin und Saarland ) Quelle: Gemäß DIW: „Verkehr in Zahlen 2003/2004“; vgl. auch Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2000): Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung (Pällmann-Be- richt), Schlussbericht vom 5. September 2000, ergänzt durch eigene Recherchen. Der relative Anteil des Pkw an den Verkehrsträgern insgesamt (zu denen außer dem Pkw die Eisenbahn, der öffentliche Personennahverkehr und der Luftverkehr gehören) hat sich danach von 64,11 % im Jahre 1960 auf 78,94 % im Jahr 1980 erhöht und ist nochmals bis 1996 auf 81,60 % angestiegen. Zwischenzeitlich dürfte dieser Anteil allerdings an seiner objektiven Grenze angelangt sein. So gehen Eckey und Stock in ihrer Prognose für das Jahr 2010 von einem Einpendeln dieses Anteils bei 80,15 % aus. 49 Bei der Eisenbahn ist der Anteil – sozusagen in einer komplementären Entwick- lung – von noch 16,14 % im Jahre 1960 auf 6,85 % für das Jahr 1980 gesunken, dann aber wieder etwas angestiegen. So erreichte er 1996 7,15 % und wird auf 7,20 % im Jahre 2010 prognostiziert. 50 Für den hohen Anteil des individuellen Pkw-Verkehrs ist – gerade im Hinblick auf die Themenstellung dieser Untersuchung – auch der nach wie vor anhaltende Trend mitver- antwortlich, auf dem Lande zu wohnen und in den Städten bzw. Ballungszentren zu arbeiten. Die sich daraus ergebenden Verkehrsleistungen prägen heute entscheidend die Entwicklungen von Stadt und Umland mit und äußern sich u.a. in den morgendlichen und abendlichen Autoschlangen in die bzw. aus den Städten. Nach wie vor vermag offensichtlich nur der Pkw die charakteristischen, zunehmend dispers und auf größere Distanzen angelegten, durch dieses Auseinanderfallen von Arbeits- und Wohnort geprägten Mobilitätsmuster der Bevölkerung effizient zu bedienen. Dafür ist der bereits genannte, relativ stabil bei insgesamt ca. 37 % liegende Anteil der Fahrzwecke „Beruf“ und „Geschäft“ am gesamten Personennahverkehr in Deutschland ein empirischer Hin- weis (siehe Kap. 1.3.2). Im Gegensatz dazu spielt der öffentliche Verkehr, abgesehen von den wenigen leis- tungsfähigen Stadt- und Schnellbahnsystemen in den großen Ballungsräumen, nur noch eine untergeordnete Rolle. Dafür lässt sich eine Reihe von Ursachen ausmachen: 49 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 17. 50 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 17. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 22 Zunächst sind mit wachsendem allgemeinem Wohlstand auch die Ansprüche an die Wohnumgebung als einem wichtigen Ausdruck von individualisierten Bedürfnissen und entsprechenden Lebensstilen gestiegen, wozu auch das „Haus im Grünen“ gehört. Wegen nachhaltig gestiegener Grundstückspreise in den Stadtgebieten lassen sich diese Bedürfnisse gewöhnlich nur noch durch einen Umzug „in die Fläche“ realisieren. Diese Tendenz begünstigt die Entstehung von Verkehrsstrukturen, die weit in das Umland der urbanen Zentren hinausreichen. 51 Ein ähnlicher Entwicklungstrend ist auch im Ein- kaufs-, Versorgungs- und Freizeitbereich festzustellen, wobei auch für die entsprechen- den Wirtschaftsbetriebe größere Betriebsgrundstücke meist nur noch im Umfeld der Städte zu vertretbaren Preisen zu erwerben sind. Mit diesen Entwicklungen sind eine räumliche Erweiterung verkehrlicher Verflechtung und eine Ausweitung der Aktions- räume untrennbar verbunden, und zwar verursacht sowohl im Zusammenhang mit den Freizeitaktivitäten und dem privaten Wohnungsbau als auch hinsichtlich der Han- delseinrichtungen und für Einkaufszentren im suburbanen Raum. Außerdem bewirken natürlich vor allem die angesichts der Anforderungen der Dienst- leistungsgesellschaft an Flexibilität und Mobilität im Berufsleben zunehmende Spezia- lisierung und die damit verbundene Ausweitung der Arbeitsmärkte bislang einen höhe- ren Grad an Mobilität. Wie sich Tendenzen der Entkoppelung von Arbeit und zentralem standortgebundenen Arbeitsplatz, die sich mit der immer stärkeren digitalen Vernetzung in der Kommunikationsgesellschaft abzeichnen, auf die Mobilität auswirken werden, ist noch offen. 52 Bislang dürfte diese im Anfangsstadium stehende Entwicklung jedoch noch nicht auf signifikante Weise den Zuwachs von Mobilitätsanforderungen und das Wachstum von Verkehrsleistungen kompensieren. 1.3.5 Perspektiven der Mobilitätsentwicklung Der unverändert anhaltende Trend der Bevölkerung, auf dem Land zu wohnen und in den Städten bzw. Ballungszentren zu arbeiten, prägt weiter entscheidend die Entwick- lungen von Stadt und Umland. Als eindeutig wichtigster Verkehrsträger in den Bezie- hungen zwischen Stadt und Umland und in den Dörfern und Gemeinden hat sich der motorisierte Individualverkehr herauskristallisiert. Der Pkw weist offenkundig eine hohe Anpassung an die modernen, von Dispersion und größeren Strecken geprägten Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung auf. Die damit verbundenen Flächenanforderun- gen belegen diese Aussage. Gleichzeitig zwingt die zunehmende berufliche Spezialisie- 51 Vgl. hierzu auch die zusammenfassende Darstellung bei Gerlach (1996). 52 Eine fundierte Übersicht möglicher Szenarien/Prognosen im Hinblick auf die Arbeitswelt findet sich bei Reich (2002). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 23 rung nicht nur zu einer Ausweitung der Arbeitsmärkte, sondern erfordert auch einen höheren Grad an Mobilität. Als Ergebnis führt dies zu den erkennbaren Schwerpunktverlagerungen der Siedlungs- und Verkehrsstruktur im Stadt-Umland-Bereich. Der ursprüngliche suburbane Ergän- zungsraum wird zum vollwertigen Siedlungsraum mit einem eigenständigen Zentren- system und einer zunehmenden internen Vernetzung. Neben den radialen Verflechtun- gen zur Kernstadt ist er mehr und mehr durch flächenhaft disperse und tangentiale Ver- kehrsbeziehungen zwischen den Umlandzentren auch über größere Distanzen gekenn- zeichnet. Der Wunsch nach mehr Freizeit und intensiveren Freizeiterlebnissen führte zu einer besonders starken Zunahme der Freizeitmobilität. Während die durchschnittliche Zahl der jährlichen Urlaubsreisen je Person in den letzten Jahren auf rund das Doppelte an- stieg, nahm der werktägliche Freizeitverkehr im motorisierten Individualverkehr um ein Vielfaches zu. Eine prinzipielle Änderung der bisherigen Tendenzen ist nicht zu erwar- ten. So gehen die Prognosen auf der Basis von 1988/90 mit einer weiteren Zunahme der Verkehrsleistungen im Straßenverkehr von mindestens 17 Prozent für das Jahr 2010 aus. 53 Die Verbesserung des ÖPNV-Angebots ist daher auch eine der wichtigsten und unab- dingbaren Voraussetzungen, wenn das Ziel einer Verkehrsverlagerung von MIV auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel in einem überhaupt nennenswerten Umfang er- reicht werden soll (wenn also die öffentlichen Verkehrsmittel – als eine echte Konkur- renz zum Auto – mehr sein sollen als nur „Notnagel“ für den Fall, dass kein privates Kraftfahrzeug zur Verfügung steht). Zielsetzung einer verantwortlichen Verkehrspolitik und -planung kann vor diesem Hin- tergrund nur sein, den Menschen die Teilnehme am sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu gewährleisten. Die Grundfunktionen von Verkehr können und sollen daher auch unter dem Postulat einer nachhaltigen Mobilität nicht außer Kraft gesetzt werden. Vielmehr müssen in der politisch-planerischen Umsetzung die Ursachen des derzeit weiterhin ungebremsten Verkehrswachstums im Straßenpersonen- und -güterverkehr angegangen werden. Um die wahrscheinlichen Entwicklungstrends der Mobilität in den nächsten 20 Jahren zumindest annähernd abzuschätzen und einen Daten- und Orientierungsrahmen für strategische verkehrspolitische Entscheidungen erstellen zu können, haben Holzwarth und Winter die Ergebnisse des Gemeinschaftsprojekts „Mobilität 2020", das vom Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg und der Daimler-Chrysler Verkehrsforschung erstellt wurde, zusammengefasst. In die Prognosen dieses Projektes 53 Vgl. Wermuth (1990), S. 63, sowie Abel (1997). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 24 flossen die Meinungen von 17 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehrs- politik ein. 54 Angesichts des langen Prognosezeitraums wurden zwei verschiedene Szenarien ent- wickelt. Unter dem Titel „global vernetzte Welt" bzw. „evolutionäre Entwicklung" be- schrieben die Untersucher folgende Eckpunkte für die mögliche zukünftige Mobilitäts- entwicklung: Übersicht 2: Zukunftsszenarien Mobilität 2020 Global vernetzte Welt Evolutionäre Entwicklung • Wissensgesellschaft mit stark ausdifferenzierten Lebensstilen • schleppender technologischer Fort- schritt • überdurchschnittliches Wachstum der Wirtschaft • unterdurchschnittliches Wachstum der Wirtschaft, strukturelle Arbeitslosig- keit • keine Engpässe in der Infrastruktur • Besinnung auf traditionelle Werte • moderate Preissteigerung für Energie und Verkehr • Engpässe in der Infrastruktur • Explosion der Energiepreise ¾ Hohe Mobilität im Nah- und Fern- bereich ¾ Vermehrt häusliche Aktivitäten ¾ intermodales Reisen über individuelle Mobilitätsdienste ¾ Nahbereich mit Fahrrad oder zu Fuß ¾ Auto als Teil des kompletten Mobili- tätsangebots ¾ positive Einstellung zum Automobil, aber: seltenere Nutzung wegen hoher Kosten Quelle: Entnommen aus: Holzwarth und Winter (2001), S. 606 Bei aller Unterschiedlichkeit der Annahmen gelangen beide Szenarien zu dem Ergebnis, dass die Mobilität weiterhin wachsen wird. In Abwägung der beiden Szenarien hat die Expertenrunde folgende Eckpunkte für das Handeln von Politik und Wirtschaft bei der Entwicklung der Mobilität bis 2020 formu- liert: 54 Vgl. Holzwarth und Winter (2001), S. 605 ff. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 25 Übersicht 3: Eckpunkte zur Mobilität 1. Mobilitätsnachfrage wächst mit neuen Kommunikationsmöglichkeiten, Raumüberwindung entscheidend für geschäftliche und persönliche Netze; 2. Leistungsfähigkeit der Verkehrsinfrastruktur entscheidend für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung; 3. Brennpunkte der wachsenden Mobilität in immer größer werdenden Ballungs- räumen ÖPNV entwickelt sich an Massenverkehrsachsen; 4. Telematikdienste gewinnen an Bedeutung v.a. für intermodales Reisen; 5. Verknappung fossiler Treibstoffe unwahrscheinlich, keine extreme Verteuerung, falls Energieeinsparung im Verkehr erfolgreich; 6. Umweltbelastung des Verkehrs bleibt auch in Zukunft ein Problem, Herausforde- rung bei Treibhausgasen und Lärmemissionen. Quelle: Gemäß Holzwarth und Winter (2001) S. 606; Wortlaut in: „Mobilität 2020“, Broschüre des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg und der DaimlerChrysler AG (2000) Nach der Expertenmeinung dürften die Brennpunkte der wachsenden Mobilität in und um die größer werdenden Ballungsräume liegen: „Die wachsende individuelle Mobilität kann dort nur ökonomisch und ökologisch verträglich bewältigt werden, wenn Raum- ordnung und Städteplanung die historisch gewachsene polyzentrale Siedlungsstruktur aufgreifen und die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs entlang der Achsen för- dern.“ 55 Die am Projekt „Mobilität 2020“ teilnehmenden Fachleute empfehlen dabei Hauptlinien für die Einflussnahme der Politik auf die Entwicklung der Mobilität (vgl. Übersicht 4). Diese Empfehlungen sind im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor allem im Zu- sammenhang mit der Entwicklung von alternativen, komplexen regionalen Verkehrs- lösungen im Bereich des SPNV im Zusammenhang mit einer Weiterentwicklung von regionalen ÖPNV–Lösungen wieder aufzugreifen. Das Ergebnis dieser bislang erkennbaren Entwicklungstendenzen führt zu Schwer- punktverlagerungen innerhalb der Siedlungs- und Verkehrsstruktur im Stadt-Umland- Bereich. Diese Verlagerung äußert sich vor allem darin, dass der ursprüngliche sub- urbane Ergänzungsraum immer mehr zum vollwertigen Siedlungsraum mit einem eigenständigen Zentrensystem und einer zunehmenden internen Vernetzung wird. 55 Vgl. Holzwarth und Winter (2001), S. 606 f. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 26 Übersicht 4: Empfehlungen zur Sicherung der Mobilität 2020 Verkehrspolitik Mobilitätswirtschaft Förderung effizienter Mobilität durch: Weiterentwicklung des Automobils: • Konzepte zur C02 Senkung • Reduktion des fossilen Treibstoffverbrauches • dezentrale Siedlungsstruktur • Senkung von Lärmemissionen • Ausbau infrastrukturseitiger Telematik Ausbau der Fahrzeugtelematik: • Fortentwicklung und Verbreitung der Fahr- zeugtelematik • Unterstützung von Fahrgemeinschaften • Vernetzung der Mobilitätssysteme Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur: Angebot neuer Mobilitätsdienste: • Erhalt und Ausbau der Verkehrswege • Bessere Rahmenbedingungen für intermodale Informationsdienste vor und während der Reise • Aufwertung des Umfeldes von Verkehrsträgern • Entwicklung und Angebot neuer Dienstleistun- gen zur Entlastung des Straßenverkehrs in Ballungsräumen Quelle: Übersicht gemäß Holzwarth, Winter (2001), S. 607 So werden diese Räume neben den radialen Verflechtungen zur Kernstadt mehr und mehr durch flächenhaft disperse und tangentiale Verkehrsbeziehungen zwischen den Umlandzentren auch über größere Distanzen hinweg gekennzeichnet. Die Vorausset- zungen hierfür schafft ein leistungsfähig ausgebautes Straßenverkehrssystem, das stän- dig mit günstigen Flächenerschließungen verbessert wird. Der Motorisierungsgrad der Bevölkerung ist daher auch höher als in den Städten. Andererseits sind diese Flächen auch weitgehend vom Kfz-Verkehr abhängig. Diese Besonderheiten sind vor allem bei der Entwicklung von komplexen Lösungsvorschlägen für ein regional optimales Ver- kehrsangebot zu berücksichtigen, das sowohl wirtschaftlichen Anforderungen genügt, als auch der Verpflichtung des Staates zur Daseinsvorsorge entspricht. 56 Die sich verändernden Lebensstile beinhalten meist auch ein verändertes Verkehrsver- halten. Typisch dafür sind etwa eine Tendenz zu verlängerten Fahrstrecken und die Ausweitung der Aktionsräume. Dies gilt nicht nur für arbeitsorientierte Fahrten, sondern ebenso für die Freizeit. Eine analoge Entwicklung ist auch für weite Teile der Wirtschaft festzustellen. Bei den Präferenzen in der Verkehrsmittelwahl gehen Flade et al. 57 davon aus, dass sich die festen Verhaltensroutinen, die sich bei den Erwachsenen herausgebildet haben, nur schwer verändern lassen. 58 56 Vgl. dazu: Deutscher Bundestag (2000), Raumordnungsbericht 2000, S. 97 ff. 57 Vgl. Flade et al. (2002), S. 542 f. 58 Vgl. u.a. Gorr (1997) sowie Flade et al. (2002). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 27 Kindheit und Jugend hingegen sind sensible Phasen, in denen sich das Mobilitätsver- ständnis noch entwickelt und in denen es sich entscheidet, welchen Stellenwert der Pkw im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln im künftigen Lebensalltag einnehmen wird. Dabei stellte sich in einer Befragung heraus, dass bereits bei den 13- bis 14-Jährigen eine stark ausgeprägte Autoorientierung vorliegt, die bei der Hälfte der befragten Jugendlichen von der Vorstellung geprägt ist, den Pkw künftig sehr häufig zu nutzen. In diesem Kontext spielt die Verkehrsmittelnutzung durch die Eltern als sozial vermittelte Erfahrung eine entscheidende Rolle, weil die Eltern zu den wichtigsten Bezugspersonen der 13- bis 14-Jährigen gehören. Hinzu kommt auch der Einfluss der raumstrukturellen Bedingungen, von denen die Be- nutzung von Verkehrsmitteln im Jugendalter abhängt. Das Auto verspricht für Jugend- liche vor allem „Fahrspaß“, ja, es wirkt sogar identitätsstiftend. Die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems wird durch Lage und Erreichbarkeit der Nutzungsstandorte im Raum bestimmt. Änderungen führen in diesem komplexen Sys- tem ständig zu entsprechenden Neubewertungen. Die einzelnen Verkehrsarten sprechen oftmals unterschiedliche Fahrtzwecke an und begünstigen damit häufig bestimmte, räumlich verteilte Funktionen je nach verkehrsplanerischer Schwerpunktsetzung und Ausbauqualität der Systeme. Für die jeweilige Verkehrsart hat dies entsprechende Konsequenzen hinsichtlich der Entwicklung der Raum- und Siedlungsstruktur. Über die Ausbauqualität des Verkehrs- systems werden also die Voraussetzungen für mehr oder weniger ausgeprägte Aus- tauschbeziehungen zwischen den einzelnen Standorten geschaffen. 59 Die ländlichen Räume, die abseits der großen Verkehrsstraßen liegen, spielen bei der Planung über das Ausmaß und die Gestaltung von Infrastruktur in der Regel eine unter- geordnete Rolle. Ursache dafür ist die geringere Bevölkerungsdichte. Durch Wegzug mobiler, meist junger und beruflich qualifizierter Einwohner wird sich dieser Zustand im Verhältnis zu den Ballungsräumen weiter verschlechtern. Zurück bleiben überwie- gend die Alten, Sozialschwache und die Kinder. Langfristig ist damit der Fortbestand dieser Regionen als funktionsfähige Siedlungsräume und Kulturlandschaften gefähr- det. 60 59 Vgl. Deutscher Bundestag (2000), Raumordnungsbericht 2000, S. 95. 60 Vgl. Deutscher Bundestag (2000), Raumordnungsbericht 2000, S. 86. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 28 1.3.6 Zwischenfazit Bei Streckenstilllegungen, die in dieser Arbeit vor allem im Hinblick auf ihre Auswir- kungen auf den Schienenpersonennahverkehr untersucht werden, geht es – ökonomisch betrachtet – um die Nutzung (oder Entwertung) von unbeweglichem und ortsgebun- denem Kapital, dessen Bereitstellung den Einsatz des beweglichen Teils des Kapitals erst ermöglicht. Das Streckennetz der Eisenbahnen (d.h. der Bundesbahn und der nicht- bundeseigenen Bahnen) erstreckte sich 1959 in der alten Bundesrepublik (ohne Saarland und Westberlin) noch auf insgesamt 37.000 km und verringerte sich in der alten Bun- desrepublik zwischen 1950 und 1990 um knapp 20 % auf rd. 30.000 km. 61 Im Jahre 1998 betrug die Gesamt-Streckenlänge, bedingt durch die Wiedervereinigung bei Stra- ßen im überörtlichen Verkehr, insgesamt 230.700 km und bei den Eisenbahnen (Deut- sche Bahn und nicht bundeseigene Bahnen) 41.900 km. Diese Streckenreduzierungen vollzogen sich vor dem Hintergrund einer Vielzahl von komplexen Rahmenbedingungen, wobei das Mobilitätsverhalten und seine Dynamik von zentraler Bedeutung sind. So ist mit Blick auf die Mobilität als Rahmenbedingung für die Entwicklung des schie- nengebundenen Personennahverkehrs zunächst festzustellen, dass die historisch ent- standene Raum- und Siedlungsstruktur zu mannigfachen räumlichen Verflechtungen und Verkehrsbeziehungen führt, mit der das vielfältig motivierte und sich wandelnde Mobilitätsverhalten in einer Wechselbeziehung steht. Die räumliche Funktionsteilung zwischen Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Freizeit erfordert entsprechende räumlich vollzogene Austauschbeziehungen mit daraus resultie- renden unterschiedlichen Verkehrsvorgängen als Folge. Davon gehen wiederum Aus- wirkungen auf die Raum- und Siedlungsstruktur aus. Zudem wird das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung von gestiegenen beruflichen wie auch privaten Ansprüchen bestimmt, die sich auch in der Zukunft nicht grundsätzlich einschränken lassen. Durch immer modernere Verkehrsmittel bzw. die individuelle Motorisierung stellt die räumliche Überwindung heute in der Regel kein prinzipielles Problem mehr dar. Die Standortwahl von privaten Haushalten oder Betrieben kann damit nahezu unabhängig davon getroffen werden, ob sich der Wohn- oder Betriebs- standort in der Nähe der persönlichen beruflichen oder privaten Aktivitäten befindet. Vor allem für jenen Personenkreis, der über keine individuelle Motorisierung verfügt, gilt letztere Aussage natürlich nicht. Betrachtet man die Tendenz der Gefährdung des Fortbestandes öffentlicher Verkehrs- dienstleistungen respektive des Schienenpersonennahverkehrs vor allem in ländlichen Räumen (Verödungsproblematik), dann kommt dem Staat aus sozialpolitischen Ge- 61 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2000), Pällmann-Bericht, S. 15. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 29 sichtspunkten durchaus die Aufgabe zu, im Rahmen seiner gesetzlichen Daseinsvor- sorge dafür zu sorgen, dass auch jene Menschen in ihrer Mobilität nicht wesentlich be- einträchtigt werden. Dies bedeutet allerdings nicht eine automatische Garantie für Schienenpersonennahverkehr. Vielmehr ist damit nur eine Verpflichtung für öffent- lichen Personennahverkehr gesetzlich begründet, für die eigentliche Ausgestaltung be- steht durchaus ein breiter Spielraum. 62 Welche Verkehrsmittel hier letztendlich vorge- zogen und auf unterschiedliche Weise gefördert werden, bedarf damit genauerer Unter- suchungen und bestimmter Abstimmungsaktivitäten, die beispielsweise in einer Art von regionalem „Generalverkehrsplan“ ihren Niederschlag finden können, wie ihn der Autor im Verlaufe dieser Arbeit zur Diskussion stellen wird. Es liegt auf der Hand, dass die entsprechenden Überlegungen nicht allein von der Deutschen Bahn AG angestellt wer- den können. 1.4 Der ÖPNV und seine Perspektiven Vorbemerkung: Ein funktionierendes ÖPNV-Angebot ist im Hinblick auf die Mobi- litätsanforderungen des einzelnen Bürgers nach wie vor unverzichtbar. Allerdings erfor- dern die Komplexität der Voraussetzungen und Folgen der Mobilitätsentwicklung eine gewisse Lenkung. Man denke nur an die externen Effekte im Zusammenhang mit den Umweltbelastungen durch den individuellen Pkw-Verkehr. Zu einem System differen- zierter Verkehrsangebote gehört schon aus der Sicht einer umweltfreundlichen Mobilität ein intaktes und attraktives Nahverkehrssystem. Hierbei handelt es sich um eine Ziel- stellung der Verkehrsentwicklung, über die durchaus ein gesellschaftlicher Konsens herrscht. Von allen Seiten besteht die Einsicht, dass das öffentliche Nahverkehrsangebot attrak- tiver gestaltet werden muss. Allerdings bestehen im Hinblick auf Planung, Organisation und Kontrolle unterschiedliche Positionen vor allem in Bezug auf den Grad von Wett- bewerb, der dabei zuzulassen ist. In Deutschland erweisen sich die in Jahrzehnten ge- wachsenen Strukturen, die in- und ausländische Wettbewerber fernzuhalten versuchen, als sehr langlebig. Letztlich wird aber der Versuch, sich an überholte Strukturen zu klammern, an der Frage der Finanzierbarkeit scheitern. Städte und Gemeinden müssen verkehrlich offen und für jedermann erreichbar sein. Diesem Anspruch kann der indivi- duelle Pkw-Verkehr allein nicht gerecht werden. Somit bleibt auch künftig der öffent- liche Personennahverkehr für Mobilitäts- und Transportbedürfnisse der Bevölkerung nicht ersetzbar. Allerdings sind hochwertige ÖPNV-Leistungen eben auch nicht allein aus dem Verkauf von Fahrscheinen zu finanzieren, sondern bedürfen zusätzlicher 62 Vgl. hierzu auch Aberle (2003b), S. 76. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 30 öffentlicher Mittel. Dies ist durch die Komponente der Daseinsvorsorge auch gerecht- fertigt, denn der ÖPNV erfüllt auch soziale Funktionen, weil er dazu beiträgt, dass die Mobilitätsbedürfnisse von Personen ohne eigenen Pkw befriedigt werden können. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag formulierte in seinem Positionspapier „ÖPNV: Wege in den Wettbewerb“ 63 daher zwei Prinzipien, die den Reformbemühun- gen zugrunde liegen sollten: Zum einen geht es um die Sicherstellung einer ausreichen- den Verkehrsbedienung im ÖPNV als einer Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Danach müssen die Landkreise und Städte als staatliche Gewährleistungsträger für ihre Regionen ein leistungsfähiges und qualitativ hochwertiges ÖPNV-Angebot definieren und eine sachgerechte Erbringung der Leistungen im Wettbewerb garantieren. Zum zweiten geht es um mehr Wettbewerb und Transparenz bei der Leistungserbringung, um knappe öffentliche Mittel, die über Steuern finanziert werden, zielgerecht einsetzen zu können. Nur über den Wettbewerb werden die Verkehrsunternehmen veranlasst, ihre Kosteneffizienz zu erhöhen und die Qualität ihrer Leistungen zu steigern. Daneben müssen die privaten Verkehrsunternehmen die gleichen Zugangsbedingungen zum ÖPNV-Markt haben. 64 Das Prinzip des „kontrollierten Wettbewerbs“, bei dem gemeinwirtschaftliche Leistun- gen ausgeschrieben und in abgestimmter Form und Qualität zu erbringen sind, sollte daher in Deutschland unbedingt umgesetzt werden. Das britische Modell kann dabei nur in negativer Hinsicht als Vorbild dienen. Es zeigt, welche unerwünschten Konsequen- zen der komplette Rückzug öffentlicher Aufgabenträger aus dem ÖPNV mit sich bringt. Fehlende Abstimmung von Fahrplänen, Tarifen und Linienführungen haben dort zu einer rückläufigen Akzeptanz des ÖPNV geführt. 1.4.1 ÖPNV: Wesentliche Begriffe 1.4.1.1 Der Verkehrsmarkt Aus wirtschaftstheoretischer Sicht handelt es sich beim Verkehrsmarkt zunächst um einen imaginären Ort, an dem nicht nur das gesamte Angebot und die gesamte Nach- frage nach Verkehrsleistungen zusammentreffen, sondern an dem auch die Leistungs- fähigkeit der Verkehrsmittel und Verkehrsträger durch die Nachfrage (Nutzer) beurteilt wird. Verkehrsträger sind dabei die Zugmaschinen, Verkehrsmittel die Transportgefäße für Personen und Güter, wobei Verkehrsträger und -mittel manchmal auch zusammen- fallen können, wie z.B. beim Flugzeug oder Pkw. Sein Funktionieren bestimmt nicht 63 Vgl. DIHK (2001). 64 Vgl. Holst (1997), S. 85. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 31 nur sämtliche Wirtschaftsbereiche, sondern ist auch integraler Bestandteil unseres Wirt- schaftslebens. Der Verkehr ist als Mittel zur Bewältigung von privat oder geschäftlich begründeten Handlungsweisen unentbehrlich und bestimmt die Mobilität. Dieser mobilitätssichernde Nutzen des Verkehrs steht vor allem wegen seiner ökologischen, sozialen, raumwirksamen und stadtgestalterischen Auswirkungen in einer Wechsel- beziehung mit öffentlichen Belangen. Der Markt für Verkehrsmittel ist zwar kein Teilmarkt des Verkehrsmarktes, jedoch sind beide Märkte wechselseitig voneinander abhängig, da die im Verkehrsmarkt herrschen- den Ausgangsbedingungen die Entscheidung über den Erwerb bzw. die Wahl des Ver- kehrsmittels bestimmen. Aus der Sicht des einzelnen Nachfragers geht es dabei vor allem um die Wahl des geeigneten Verkehrsmittels. Die Gesamtnachfrage nach Ortsveränderungen und das Gesamtangebot an Verkehrs- dienstleistungen treffen auf dem Verkehrsmarkt zusammen. Im Personenverkehr unter- scheiden sich die Verkehrsträger je nach benutztem Verkehrsweg in Straßen-, Schie- nen-, Luft- und Wasserstraßenverkehr. 65 Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) stellt wiederum einen Teilmarkt des Ver- kehrsmarkts dar, der nicht nur in Deutschland zu den am stärksten staatlich regulierten Märkten gehört. Der Staat bestimmt nicht nur, wer als Anbieter zugelassen wird, son- dern greift auch in die Vertragsinhalte ein, indem er Fahrpreise, Qualitäten und Bedie- nungshäufigkeiten vorschreibt. Damit gehört der Verkehrsmarkt zu den Sektoren, in denen die Vertragsfreiheit stark eingeschränkt ist. 66 Möglicherweise ist darin auch eine der Ursachen für die derzeit schlechte Wirtschafts- lage im gesamten ÖPNV zu sehen, da er sich aufgrund der vorliegenden starren Rah- menbedingungen nur ungenügend den Veränderungen des Marktgeschehens anpassen kann. Auf die historischen Aspekte dieser Handhabung kommt der Verfasser im Zu- sammenhang mit Verstaatlichung der Eisenbahnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts an einer späteren Stelle zurück (vgl. 1.4.2.1). 65 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Ihde (1991), S. 46 ff. („makrologistische Systema- tik“). 66 Hierzu ist allerdings auch zu bemerken, dass durch die Reglementierungen und Kontrollen Quali- täts- und Sicherheitsstandards für die Beteiligten am ÖPNV gewährleistet werden sollen (u.a. Eig- nung von Fahrzeugen und Fahrzeugführern). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 32 1.4.1.2 Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) Als öffentlichen Verkehr bezeichnet man allgemein und unabhängig von der Eigen- tümerstellung den Verkehr, der für jedermann zugänglich ist. 67 Nach der juristischen Definition in § 2 des Regionalisierungsgesetzes (RegG) 68 versteht man unter öffent- lichem Personenverkehr die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Ver- kehrsmitteln im Linienverkehr. Hingegen liegt im Unterschied zum Personenfernver- kehr gemäß § 2 S. 2 RegG Personennahverkehr in jenen Fällen vor, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das gilt für „Beförderungsfälle“, deren gesamte Reichweite 50 km oder eine gesamte Reisezeit von einer Stunde nicht übersteigen. Der Begriff Öffentlicher Personennahverkehr beinhaltet als Oberbegriff nicht nur die Beförderung von Personen mit Bussen, Straßenbahnen und Kraftfahrzeugen im Linien- verkehr, sondern auch den Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Nach verkehrsgewer- berechtlichen Kriterien ist dabei Schienenpersonennahverkehr die allgemein zugäng- liche Beförderung von Personen in Zügen der Eisenbahn i.S. von § 2 Abs. V S.1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Dagegen fällt unter das Personenbeförderungs- gesetz der Teil des ÖPNV, der die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Omnibussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr beinhaltet. Unter den SPNV sind auch die auf Nebenstrecken der Deutschen Bahn eingesetzten Regionalbahnen einzuordnen. Der einzige Unterschied zur herkömmlichen Bahn besteht darin, dass der Betrieb so organisiert ist, dass er mit geringerem Personalaufwand aus- kommt und mit technischen Hilfsmitteln wie automatischen Sicherungsanlagen, Funk- leitsystemen u.a. so abgewickelt werden kann, dass die laufenden Kosten relativ gering gehalten werden können. Unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich bei der Regional- bahn um ein technisch-organisatorisches Betriebskonzept. Die Regionalbahn unterliegt dabei nicht den strengeren Bundesgesetzen, sondern sie kann von den einzelnen Bun- desländern nach so genannten „Nebenbahnkriterien“ genehmigt werden, wobei diese Praxis auch die Möglichkeit bietet, gegebenenfalls solche Alternativen zu entwickeln, mit denen Streckenstilllegungen vermieden werden können. Dabei unvermeidliche Qualitätsverschlechterungen können allerdings auch die Nachfrage beeinträchtigen. 69 Die Charakterisierung des Personennahverkehrs als „öffentlich“ sagt zunächst nichts anderes aus, als dass die Leistungen von allen Menschen genutzt werden können. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Leistungen nur von öffentlichen Unternehmen erbracht werden müssen oder dass es sich hierbei um öffentliche Güter handeln muss. Scheele/Sterzel verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die in der Definition hervorgehobene lokale und regionale Orientierung auch insofern von 67 Vgl. Werner (1998), S. 6 ff. 68 Siehe Regionalisierungsgesetz (RegG) (Fassung vom 27.12.1993, BGBl. S. 2395). 69 Vgl. Mühlenhardt (1985), S. 27 f. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 33 Bedeutung ist, als sich daraus Zweifel an der Regelungsbefugnis der Europäischen Ge- meinschaft unter dem Blickwinkel des europarechtlich wichtigen Subsidiaritätsprinzips i.S. von Art. 5 EGV ergeben können. 70 Auch Barth bezieht sich auf die allgemein gefasste Legaldefinition des öffentlichen Per- sonennahverkehrs des §2 Regionalisierungsgesetzes, verweist aber zugleich darauf, dass die Nahverkehrsgesetze der Länder zum Teil eigene Begriffsbestimmungen vornehmen und daher die Begrifflichkeiten nicht immer einheitlich verwendet werden. 71 Für die Überlegungen zur Perspektive integrierter regionaler Verkehrslösungen ist zudem der Hinweis von Barth von großem Interesse, dass die Legaldefinition, im Un- terschied zum bisher üblichen Sprachgebrauch, insofern eine Neuerung aufweist, „als sie sowohl den straßengebundenen als auch den Schienenverkehr (Züge) und auch alle anderen Verkehrsmittel, wie etwa Fähren, Bergbahnen und andere Sonderverkehrsmit- tel, umfasst und somit einen neuen Oberbegriff bildet.“ 72 Der Verfasser hält insbesondere die Position von Barth für weiterführend, dass mit dieser Begriffsbildung vor allem dem Gedanken Rechnung getragen wird, dass „alle öffentlichen Verkehrsmittel unabhängig von den jeweiligen Verkehrsträgern zu integrie- ren und aufeinander abzustimmen sind, um ein an die Bedürfnisse der Nutzer ange- passtes Bedienungsangebot zu erzielen.“ 73 Innerhalb des Oberbegriffs ÖPNV werden so vor allem zwei Arten von Nahverkehr unterschieden. Im Geltungsbereich des AEG wird der öffentliche Personennahverkehr mit Zügen gem. § 2 Abs. 5 AEG als Schienenpersonennahverkehr bezeichnet und mit „SPNV“ abgekürzt. Im Geltungsbereich des PbefG 74 erfasst der Begriff des öffentlichen Personennahver- kehrs gem. § 8 Abs. 1 PBefG den lokalen und regionalen Linienverkehr mit Kraftfahr- zeugen (v.a. Omnibussen), Straßenbahnen sowie Oberleitungsbussen im Sinne des § 4 PBefG. Barth verweist darauf, dass der § 8 Abs. 2 PBefG auch den Verkehr mit Taxen und Mietwagen, der die in Abs. 1 genannten Verkehrsarten ersetzt, ergänzt oder verdichtet, in die Begriffsbestimmung einbezieht, um diese für ein qualitativ hochwertiges und flexibles ÖPNV-Angebot zu öffnen. Für die Entwicklung von alternativen, integrierten regionalen Verkehrslösungen, wie sie in dieser Arbeit angestrebt werden, bleibt festzu- halten, dass es schon bei der Begriffsbestimmung einen wichtigen inhaltlichen Ansatz- punkt für neue Lösungen gibt. Ferner lässt sich feststellen, dass beispielsweise die zu- nehmende Bedeutung, die Taxiangebote im Rahmen der so genannten differenzierten 70 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 15. 71 Vgl. Barth (2000), S. 29. 72 Vgl. Barth (2000), S. 29. 73 Vgl. Barth (2000), S. 29. 74 PBefG (1998) (zur derzeitigen Fassung s. BGBl. I, S. 2521). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 34 Bedienweisen, wie Anruf-Sammel-Taxi, Ruf-Bus etc., für die Erschließung dünn besie- delter Gebiete und die Gewährleistung eines ausreichenden Angebots auch zu verkehrs- schwachen Zeiten haben, bereits in der Begriffsbestimmung enthalten ist. Der auch in der Übersicht von Karl verwendete Begriff des Öffentlichen Straßenpersonennahver- kehrs (ÖSPV) beinhaltet also den „allgemeinen" bzw. „straßengebundenen" öffent- lichen Personennahverkehr i.S. von § 8 PBefG. Die den öffentlichen Personennahverkehr tragenden und überwiegend im Verband Deutscher Verkehrsunternehmer (VDV) organisierten Verkehrsunternehmen beförder- ten 1997 94,4 % der gesamten Fahrgäste des ÖPNV. Davon entfielen immerhin allein 16,3 % auf den Nahverkehrsbereich der Deutschen Bahn AG (letzterer Wert hatte sich bis zum Jahr 2001 auf 19,2 % erhöht 75). Der städtische Nahverkehr wird überwiegend durch kommunale Unternehmen betrie- ben. Private Unternehmen treten in der Regel höchstens als Subunternehmer auf, wobei ausländische Anbieter bisher eher die Ausnahme bilden. Bezogen auf das gesamte Ver- kehrsaufkommen der verschiedenen Verkehrsträger (Gesamtzahl der Fahrten mit moto- risierten Verkehrsmitteln), lag der Anteil der Fahrten mit dem ÖPNV (modal split) 1996 bei 15,7 %. Betrachtet man nun die Entwicklung des ÖPNV, so lässt sich insge- samt ein Zuwachs feststellen. 2001 nutzten – statistisch betrachtet – 9,945 Mrd. Fahr- gäste (0,8 Prozent mehr als 2000) in Deutschland die öffentlichen Verkehrsmittel auf Straßen und Schienen, wobei mithin die Beförderungsleistung um 0,5 Prozent auf 152,366 Mrd. Personenkilometer (Pkm) im Vergleichszeitraum zurückging. 76 Bezogen auf die Zahl der Fahrgäste haben – nach einem etwas divergierenden Berech- nungsmodus – die Mitgliedsbetriebe des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) 77 im Jahre 2001 mit 9,115 Mrd. Personen erstmals mehr als 9 Mrd. Fahrgäste befördert, was einem Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr von 1,9 Prozent entspricht. Das Aufkommen der kommunalen und regionalen VDV-Unternehmen davon betrug 7,5 Mrd. Fahrgäste (plus 1,7 Prozent), während der Anteil der DB Regio AG einschließlich aller Tochtergesellschaften 1,615 Mrd. Fahrgäste (plus 3,0 Prozent) ausmachte. Im Ver- gleich beförderten alle 66 im Schienenpersonennahverkehr tätigen Unternehmen 1,866 Mrd. Personen, was einem Zuwachs von 0,4 Prozent entspricht. Die aktuelle Zunahme der ÖPNV-Fahrgastzahlen führt der VDV auf das weiter verbes- serte Angebot von Bussen und Bahnen und auf das hohe Treibstoffpreisniveau zurück. Um auch in Zukunft die Fahrgastzahlen steigern zu können, müssten nach Ansicht des 75 Vgl. DIW (2002, Verkehr in Zahlen), S. 211. 76 Vgl. o.V. (2002b) („Erneut mehr Fahrgäste im ÖPNV“). 77 Im VDV sind mittlerweile 423 ÖPNV-Unternehmen und Verkehrsverbünde organisiert, wodurch jedoch nicht die völlige Grundgesamtheit der diesbezüglichen Anbieter dargestellt wird. Hieraus ergibt sich auch die Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Fahrgastzählweisen. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 35 VDV insbesondere kundenorientierte Qualitätskriterien Bestandteil von Ausschreibun- gen sein, da ein reiner Preiswettbewerb nicht im Sinne der Kunden sein kann. Die Verbesserung der Verkehrsangebote und die höhere Effizienz der Verkehrsleistun- gen sind nach Meinung des VDV durch die Novellierung des Regionalisierungsgesetzes des Bundes ausgelöst worden. Der VDV fordert daher eine weitere Dynamisierung der Regionalisierungsmittel und ein Festhalten an der bisherigen Aufgliederung in solche für eine Grundausstattung und solche für Qualitäts- sowie Leistungssteigerungen. Zu beachten ist dabei, dass der öffentliche Nahverkehr grundsätzlich in zwei verschie- dene Regelungsbereiche eingeteilt wird (Übersicht 5). Hinsichtlich dieser bereits the- matisierten Unterscheidung in Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und Straßenperso- nennahverkehr (ÖSPV) nach ihren jeweiligen gesetzlichen Grundlagen, der Finanzie- rung (ohne Fahrpreise), der Genehmigung und Planung sowie der bislang existierenden Unternehmensformen sei auf die Arbeit von Karl verwiesen. 78 78 Siehe Karl (2002). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 36 Übersicht 5: Wesentliche Organisations- und Finanzierungsstrukturen des Öffentlichen Verkehrs in Deutschland (Stand August 2002) Öffentlicher Verkehr ÖPNV SPNV ÖSPNV Gesetzliche Grundlagen AEG PbefG Nahverkehr als Aufgabe der Daseinsvorsorge mit staatlicher Gewähr- leistungsverantwortung; Regionalisierungsgesetz, ÖPNV-Ländergesetze, Nahverkehrsplan (mit unterschiedlicher Regelungskraft SPNV/ÖSPV) etc. Finanzierung (ohne Fahrpreise) • überwiegend gemeinwirtschaft- lich; • »Eigenwirtschaftlich-keits- fiktion«, in der Regel handelt es sich um gemeinwirtschaftliche Verkehre; • überwiegend Regionalisierungs- mittel; • Ausgleichszahlungen; • Ausgleich für Schülerbeförde- rung und kostenlose Schwer- behindertenbeförderung • Vielzahl unterschiedlicher Quel- len aus Bundes-, Landes- und kommunalen Mitteln (GVFG- Mittel, Infrastrukturförderung. etc.) Genehmigung / Planung • Aufgabenträger (Länder, Kom- munen, Zweckverbände etc.); • Genehmigungsbehörden; kom- munale Aufgabenträger; • Verkehrsverträge, Ausschreibungen • nahezu ausschließlich Wieder- erteilung der Konzessionen an die Altunternehmer, seltene Ausschreibung Unternehmen inzwischen ca. 40 Anbieter ca. 350 kommunale Unternehmen • Deutsche Bahn AG • Busunternehmen der Deutschen Bahn AG; • Connex; • private Unternehmen mit inter- nationaler Beteiligung • eurobahn • sowie eine Vielzahl sehr kleiner privater Unternehmen • sowie nationale, private, kommunale und Länderbahnen Öffentlicher Schienenpersonenfernverkehr gesetzliche Grundlagen / Genehmigung / Planung Finanzierung Zulassung als Unternehmer erforderlich nicht genehmigungspflichtig; begrenzter Einfluss der Länder auf das Angebot über Infrastruktur- und Fahrzeugförderung • Eigenwirtschaftlich, jedoch: die Deutsche Bahn AG ist auch nach der Regionalisierung in erheblichem Maße zuschussbedürftig, insbesondere Infrastruktur- und Fahrzeugförderung; • weiter besteht der »Verdacht« der Quersubventionierung des (Hoch- geschwindigkeits-)Fernverkehrs über den bezuschussten SPNV. Unternehmen • Marktführer: Deutsche Bahn AG; • Connex, GVG/SJ, vorübergehend: eurobahn; • Erwartet wird der Einstieg weiterer internationaler Anbieter. Quelle: Entnommen bei Karl (2002), S. 12 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 37 1.4.1.3 Öffentliche Aufgaben und Wettbewerb Mit dem Begriff des ÖPNV korrespondiert naturgemäß derjenige der „öffentlichen Aufgaben“. Deren Erfüllung wurde lange Zeit durch „Öffentliche Unternehmen“ be- sorgt und deswegen begrifflich gleichgesetzt. Unter öffentlichen Aufgaben ist die Wahrnehmung öffentlich rechtlicher Aufgaben durch Unternehmen des Bundes, der Länder und der Kommunen zu verstehen. Heute ist der Begriff unbestimmter, da die zu erfüllenden öffentlichen Aufgaben in vielen Fällen aus den öffentlichen Verwaltungen ausgegliedert und auf öffentliche, gemischtwirtschaftliche oder rein private Unterneh- men übertragen worden sind. 79 Öffentliche Aufgaben lassen sich aus politischen Zielen der verschiedensten Art her- leiten. Hierunter zählen auch umwelt-, verkehrs- und wohnpolitische Ziele. Sie resultie- ren aus der Vorstellung vom Gemeinwohl bzw. öffentlichem Interesse und werden in einem öffentlichen Prozess der Willensbildung formuliert, der sich dann in Gesetzen oder kommunalen Beschlüssen niederschlägt. 80 Die Umsetzung und Überwachung dieser Gesetzesnormen beinhalten öffentliche Auf- gaben. Unter wirtschaftlichen Aspekten interessieren allerdings mehr die Handlungs- spielräume im Rahmen des bestehenden Rechts, d.h. in welcher Weise öffentliche Auf- gaben möglichst wirtschaftlich und wirksam erfüllt werden können. Mittlerweile haben sich die öffentlichen Unternehmen nicht nur in Deutschland teil- weise grundlegend gewandelt. Es entstanden gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit differenzierten Eigentumsstrukturen oder sogar vollständig privatwirtschaftliche Unter- nehmen, die zu bestimmten öffentlichen Dienstleistungen verpflichtet werden. Eine derartige Aufgabenregulierung findet man in den deregulierten Wirtschaftssektoren wie Post, Telekommunikation, Energiewirtschaft oder auch dem ÖPNV. 81 Hier werden neben den gewinnorientierten Geschäften auch öffentliche Aufgaben im Sinne speziel- ler öffentlicher Dienstleistungen erbracht. Selbst Privatunternehmen können somit auf gesetzlichem oder vertraglichem Wege dazu verpflichtet werden, solche Dienstleistun- gen von Allgemeininteresse zu erbringen. Cox spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von einem Paradigmenwechsel in der öffentlichen Wirtschaft. 82 Im Zusammen- hang mit den grundlegenden Veränderungs- und Umbauprozessen in Richtung einer Deregulierung wird in der Diskussion auch die bisherige Art der öffentlichen Auf- gabenerfüllung in Frage gestellt. Dabei werden Modelle präferiert, die bisherige Staats- unternehmen durch solche rentabilitätsorientierten Privatunternehmen ersetzen wollen, 79 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Eichhorn (2001). 80 Vgl. Eichhorn (2001), S. 85. 81 Vgl. die zusammenfassende Analyse bei Cox (1997). 82 Vgl. Cox (1997), S. 66. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 38 die nur noch dem Eigeninteresse der Anteilseigner bzw. dem shareholder-value-Prinzip verpflichtet sind. 83 Aus makroökonomischer Sicht lassen sich öffentliche Aufgaben in hoheitliche Auf- gaben und in Aufgaben der Daseinsvorsorge unterteilen. Ihr wesentlicher Unterschied liegt, abgesehen von den rechtlichen Differenzierungen, in ihrer Finanzierung. Während hoheitliche Aufgaben in der Regel unentgeltlich bereitgestellt und insbeson- dere über Steuereinnahmen finanziert werden, werden Aufgaben der Daseinsvorsorge gegen Leistungsentgelte erbracht. Nach der Art der Finanzierung wird Daseinsvorsorge nach marktbezogenen und nichtmarktbezogenen Tätigkeiten unterteilt. Die Kosten für nichtmarktbezogene Tätigkeiten tragen die Nutznießer und die Steuerzahler. Die Aus- gaben für marktbezogene Tätigkeiten bezahlt in der Regel meist kostendeckend der Käufer der angebotenen Leistungen. Bei den in Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag (Amsterdamer Fassung vom 2. Oktober 1997) genannten Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse handelt sich um marktbezogene Tätigkeiten im Rahmen der Daseinsvorsorge. Während hoheitliche Auf- gaben auf eine „Totalversorgung“ der Bevölkerung ausgerichtet sind, zielt marktbezo- gene Daseinsvorsorge auf eine Grundversorgung (z.B. ARD und ZDF, Post). Eine Identität von Aufgabenträgern und Aufgabenerfüllern ist dabei nicht mehr ge- geben, denn öffentliche Aufgaben werden sowohl von öffentlichen Einrichtungen als auch von privaten Wirtschaftsunternehmen wahrgenommen. Dienstleistungen von all- gemeinem wirtschaftlichem Interesse werden daher heute funktionell und nicht institu- tionell definiert, also unabhängig davon, ob ein privater oder öffentlicher Anbieter die Leistung erbringt. 84 Im Kontext dieser Untersuchung sind hier ausschließlich die marktbezogenen öffent- lichen Aufgaben bzw. die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse relevant. In diesen Wirtschaftsbereichen findet der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietern um Kunden und auf den Beschaffungsmärkten statt. Die öffent- lichen Unternehmen müssen dabei beachten, dass sie unabhängig von ihrem Daseins- vorsorge- bzw. Leistungsauftrag wettbewerbsrechtlich wie private Unternehmen behan- delt werden. Gleichwohl unterliegen sie haushalts- und kommunalrechtlich vielfältigen Restriktionen. Von Seiten der öffentlichen Unternehmen werden diese Einschränkungen in Frage gestellt, die der wettbewerbsrechtlichen Gleichbehandlung mit privaten Kon- kurrenten widersprechen. Die privaten Anbieter haben ebenfalls ihre Vorbehalte. Sie argumentieren, dass unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ein Vorrang privat- wirtschaftlicher Betätigung gelten müsse, wenn private Unternehmen konkurrenzfähig bleiben sollen. Im Übrigen fehle öffentlichen Unternehmen das Insolvenzrisiko, weil sie 83 Vgl. Diebold (1984), S. 11 ff., S. 153 ff. 84 Vgl. Eichhorn (2001), S. 90. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 39 gegebenenfalls durch den Steuerzahler subventioniert werden. Dabei wird allerdings übersehen, dass gerade bei den mit Daseinsvorsorgeaufgaben bedachten Unternehmen die Gefahr einer Insolvenz zwingend ausgeschlossen sein muss. Bei privatgewerblichen Unternehmen besteht bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse das Problem darin, dass sie die übernommenen Verpflichtun- gen einhalten müssen, obwohl diese zu Lasten der Gewinne gehen. Besonders das Ver- kehrswesen zählt seit jeher zu den am stärksten regulierten Bereichen der deutschen Volkswirtschaft. Diese Regulierung wurde auch nicht bei der Gründung der Bundes- republik Deutschland gelockert, so dass das Verkehrswesen auch im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ein Bereich geblieben ist, in dem Wettbewerb eine bisher eher untergeordnete Rolle gespielt hat. Hier kann möglicherweise auch eine der Ursachen für die mangelnde Produktivität der Deutschen Bahn liegen. Dabei wird die Meinung vertreten, dass sich nahezu alle Teilbereiche des Verkehrs- wesens ebenfalls dem Ordnungsprinzip des freien Wettbewerbs erschließen lassen und sich gerade unter diesem Aspekt zwangsläufig die Frage stellt, ob nicht auch der Be- reich der Eisenbahnen „intern“ nach Wettbewerbsprinzipien organisierbar wäre. 85 Damit wäre auch die Anwendung bislang als unkonventionell geltender Lösungen denkbar. Zu überlegen ist, ob die heute als öffentliches Unternehmen arbeitende Eisen- bahn so weit dereguliert werden kann, dass mehrere Gesellschaften unabhängig vonein- ander Schienenverkehr auf demselben Netz anbieten können, wenn man von der Er- richtung paralleler Netze einmal absieht. 86 Mit der Zulassung von mehr Wettbewerb auf der Schiene bestünde nämlich die Chance, dass der Schienenverkehr produktiver gemacht und damit den Bundeshaushalt entlasten könnte. Im Rahmen eines wettbewerblich organisierten Gesamtverkehrsmarktes könn- ten zudem Erkenntnisse darüber gewonnen werden, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Schienenverkehr überhaupt noch rentabel betrieben werden kann. Nach Meinung des Verfassers können Kosteneinsparungen bei der Bahn auf der Basis des bestehenden Leistungsumfangs nur realisiert werden, wenn sie intramodalem Wettbewerb ausgesetzt wäre. Inwieweit der Schienenverkehr rentabel im Sinne der Er- wirtschaftung von Überschüssen betrieben werden kann, hängt dann allerdings davon ab, welche Zielfunktion das Unternehmen hat. 85 Vgl. Laaser, C.- F. (1991): S.124. 86 Seitens der DB AG steht man dieser Möglichkeit sehr skeptisch gegenüber und präferiert das Mo- dell der Gesellschaften „unter einem Dach“ (klassische Holdingstruktur). Vgl. hierzu den redak- tionellen Beitrag ohne Verfasserangabe in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 7.12.2001, S. 19 (zur Entwicklung der Bahnholdingstrukturen). Vgl. auch Mehdorn (Stellung- nahme, 2000). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 40 1.4.1.4 Besonderheiten und Grenzen öffentlicher Unternehmen Wirtschaftsunternehmen, die sich entweder ganz oder zu einem wesentlichen Teil im Eigentum von Bund, Ländern oder Gemeinden befinden, werden – wie bereits darge- legt – als „Öffentliche Unternehmen“ bezeichnet. Im Gegensatz zu Privatunternehmen werden darunter unabhängig von der Rechtsform alle diejenigen Unternehmen zusam- mengefasst, auf die ein Träger öffentlicher Verwaltung aufgrund von Eigentum, finan- zieller Beteiligung, Satzung oder sonstigen Bestimmungen unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausüben kann. 87 Befinden sich die Anteilsrechte nicht allein in öffentlicher Hand, sondern sind daran auch private Personen oder Gesellschaften betei- ligt, spricht man dagegen von gemischtwirtschaftlichen Unternehmen. Über die Organisations- und Erscheinungsformen wird damit jedoch nichts ausgesagt. Sie werden entweder als juristische Person des öffentlichen Rechts, z.B. als öffentlich- rechtliche Anstalt (kommunale Sparkassen, Landeszentralbanken), oder als Teil von Gebietskörperschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit, beispielsweise als autonome Wirtschaftskörperschaft wie die frühere Bundespost oder Bundesbahn, geführt. Auch die Deutsche Bahn AG ist in diesem Sinne immer noch ein öffentliches Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, und zwar so lange, wie der Bund dort die Aktienmehrheit besitzt. Die Anforderungen, die von der Allgemeinheit ebenso wie von den Benutzern und der Politik an ein öffentliches Unternehmen gestellt werden, unterscheiden sich von denen an ein Unternehmen der Privatwirtschaft grundlegend. Dies hängt damit zusammen, dass bisher diese Unternehmen als Teil der öffentlichen Verwaltung angesehen worden sind, die von „Beamten“ geführt werden und Aufgaben im Sinne der Daseinsvorsorge zu erfüllen haben. Organisatorische oder sonstige wirtschaftliche oder finanzielle Ge- sichtspunkte spielten folglich eine eher untergeordnete Rolle. Die Verabschiedung des jährlichen Wirtschaftsplanes oder des betreffenden Jahresabschlusses verwies allenfalls auf das entstandene Defizit und auf die Empfehlung, dieses abzubauen oder zu begren- zen. Wirklich ernst genommen wurden diese Empfehlungen weder durch die Politik noch z.B. von den Bahnverantwortlichen, was vor allem auf die jährlichen Zuzahlungen des Bundes zurückzuführen war. Ein Beispiel für die eher unbedeutende Rolle wirtschaftlicher Aspekte ist die Festset- zung der Fahrpreise durch die Verkehrsunternehmen. In der Regel soll nach der Vor- stellung des Bundes der Fahrpreis, unabhängig davon, ob dieser marktgerecht ist oder nicht, so bemessen sein, dass er auch für sozial schwache Teile der Bevölkerung noch finanzierbar ist. 88 Oder aber der Fahrpreis wird so festgesetzt, dass der einzelne Mitbür- ger dazu bewogen werden kann, auf Busse oder Bahnen umzusteigen - ein Verhalten, 87 Vgl. Richtlinie 80/723/EWG zu Art. 90 EWG-Vertrag v. 25.6.1980, Abl. EG Nr. L 1985/35; vgl. auch § 98 Abs.1 GWB. 88 Vgl. Ludwig (2000), S.76 ff. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 41 das bei einem privaten Wirtschaftsunternehmen, das nach Gewinnerzielungsgesichts- punkten arbeitet, undenkbar ist. Hier zeigt sich deutlich das eigentliche Dilemma eines öffentlichen Unternehmens, deren Verantwortliche sich als Beamte dem Staat ver- pflichtet fühlen und nicht in erster Linie der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Für die Verantwortlichen der Verkehrsunternehmen und der Politik steht vielmehr eine gleichmäßige und ausreichende Versorgung der Bürger mit Nahverkehrsleistungen unabhängig von der Nachfrage im Vordergrund. Damit vermeidet man Proteste der Öf- fentlichkeit und verbessert die Chancen einer Wiederwahl. Gleiches gilt auch hinsicht- lich des Verhaltens der Tarifpartner. So wurden in der Vergangenheit Tarifverträge unabhängig davon ausgehandelt, ob sie für das öffentliche Unternehmen vertretbar sind. Die Folge davon waren zu hohe Lohnkosten, ferner Arbeitszeitverkürzungen, die zwangsläufig die Unternehmen in die Verlustzone geführt haben. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Unternehmenstätigkeit von Bund und Ländern regelt das Haushaltsrecht. 89 Danach soll sich der Bund an der Gründung oder an einem bestehenden Unternehmen nur dann beteiligen, wenn ein wichtiges Bundesinteresse vorliegt und sich der vom Bund verfolgte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt. Zudem muss der Bund einen angemessenen Einfluss er- halten. Vereinzelt wird aber auch die Auffassung vertreten, dass die erwerbswirtschaft- liche Betätigung des Staates durch das Subsidiaritätsprinzip beschränkt ist, wonach sich der Staat mit unternehmerischer Tätigkeit zurückzuhalten hat, wenn beispielsweise eine Versorgungsaufgabe genau so gut durch eine privatwirtschaftliche Lösung erfüllt wer- den kann. Diese Position bezieht sich auf den Grundsatz der privaten Wettbewerbsfreiheit nach Art. 2 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Derartige Überlegungen haben jedoch keine all- gemeine Anerkennung gefunden. Aber auch die Unternehmenstätigkeit des Staates ist natürlich grundgesetzlichen Schranken unterworfen, die unter Umständen verletzt wer- den können, wenn der öffentlichen Hand spezielle Vorrechte eingeräumt werden. Spe- ziell das Diskriminierungsverbot des § 26 GWB i.V. mit § 35 GWB kann dabei einen Unterlassungsanspruch begründen. 90 Eine Beschränkung der wirtschaftlichen Betäti- gung des Staates ergäbe sich zudem aus der konsequenteren Durchsetzung des Subsidia- ritätsprinzips. Diese Position kann sich zwar auf den Grundsatz der privaten Wettbe- werbsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) berufen, kam bislang aber dennoch auf vielen Feldern über eine allgemeine Zustimmung nicht hinaus. Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen und politisch praktischen Diskussion über die Veränderung der Eigentumsstruktur der Bahn bzw. beim Schienennetz und den Betreibergesellschaften ist es aufschlussreich, auch einen Blick in die Anfänge des Eisenbahnwesens in Deutschland zu werfen, da sich im 19. Jahrhundert ein Prozess 89 Vgl. § 65 Bundeshaushaltsordnung BHO. 90 Vgl. Urteil OLG Düsseldorf, NJW- RR 1997 S. 296. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 42 vollzog, der im Grunde spiegelbildlich zu den heutigen Veränderungen verlief und durchaus ähnliche Strukturfragen aufwarf. 1.4.2 Die Entwicklung des ÖPNV 1.4.2.1 Historische Ausgangspunkte Obwohl es in dieser Arbeit nicht um eine historische Darstellung geht, erscheint es methodisch für die Überlegungen im Zusammenhang mit den Umstrukturierungen des Verkehrswesens 91 dennoch lohnenswert, in einer historischen Perspektive die Motive und die in der politischen Debatte verwendeten Argumente mit denen zu vergleichen, die sozusagen am anderen Ende des historischen Prozesses, bei dem es nunmehr um eine Entstaatlichung notwendiger Leistungen geht, vorgebracht wurden. In zeitgenössischen Quellen und auch in späteren Analysen wurde als Begründung für die Verstaatlichung der Eisenbahn vorgebracht, dass die als willkürlich angesehenen unterschiedlichen Verwaltungs- und Betriebseinrichtungen, das unübersichtliche Tarif- wesen und der erbitterte Konkurrenzkampf zwischen den Privatbahnen zu einer schwe- ren Schädigung der öffentlichen Interessen geführt hätten, falls hier nicht der Staat ein- gegriffen hätte. Gleichzeitig wurde in der damaligen Argumentation auch auf die Ver- schwendung des Nationalkapitals durch doppelte Bahnanlagen hingewiesen. Tatsächlich waren dies aber nur „vorgeschobene“ Argumente, denn ein natürlicher Ausleseprozess über den Markt hätte ohnehin zu einem verstärkten Zusammenschluss der einzelnen Bahnen geführt und damit auch die Nachteile der Zersplitterung des unwirtschaftlichen Konkurrenzbetriebes kompensiert. Vielmehr störten sich die poli- tisch Verantwortlichen offensichtlich am Umstand, dass die Gewinne in private und nicht in öffentliche Kassen flossen. 92 Insgesamt muss daher die Hypothese, die Eisenbahnen seien allein aus Effizienzgründen verstaatlicht worden, zurückgewiesen werden. Dies weist Laaser 93 am Beispiel der preußischen Staatsbahnen nach, die nach ihrer Ver- staatlichung eine für jene Zeit überdurchschnittliche Rendite erwirtschafteten. In einer Rede Bismarcks im preußischen Abgeordnetenhaus anlässlich der Beratungen über die Abtretung der preußischen Staatsbahn an das Deutsche Reich wird der wahre Grund 91 Dies gilt insbesondere für die Anpassung und „Durchökonomisierung“ des ÖPNV sowie der Bewältigung der komplexen Auswirkungen unter Nachfrage- und Angebotsaspekten. 92 Vgl. Laaser (1991), S. 121 ff. 93 Vgl. Laaser (1991), S. 114 ff. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 43 angesprochen, nämlich dass die Staatsbahnen in erster Linie dem öffentlichen Ver- kehrsinteresse und nebenher den Finanzinteressen des Staates zu dienen hätten. Diese eher „staatspolitische“ Argumentation zur Begründung der Verstaatlichung der Eisenbahnen knüpfte daran an, dass diese als seinerzeit effizientestes und wichtigstes Verkehrsmittel als Bindeglied des Staates dienen sollten, was im Kern darauf hinaus lief, dass auf diese Weise das Verkehrswesen öffentlichen Interessen dienstbar gemacht werden konnte. Dies kam auch dadurch zum Ausdruck, dass man die Eisenbahninfra- struktur nicht als Geschäftskapital der Privatbahnen ansah, sondern als ein „staatsnot- wendiges“ Element. 94 Auch wurde behauptet, dass die privaten Bahngesellschaften nur Strecken bauen und betreiben würden, die in betriebswirtschaftlicher Hinsicht rentabel seien, und solche Linien, die nicht unmittelbar rentabel seien, vernachlässigten. Selbst wenn es so gewesen wäre, hätte es ja genügt, ein ergänzendes Netz gemeinwirtschaft- lich betriebener Bahnen auf Kosten des Steuerzahlers zu bauen und zu betreiben. Außerdem wurde in Preußen kritisiert, dass zu viele Privatbahnen ohne ausreichende Rentabilitätskalküle erbaut worden seien. Im Zuge der ab 1879 zunehmenden Verstaatlichung des deutschen Eisenbahnwesens spielten diese Argumente dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich kon- zentrierten sich die staatspolitischen Argumentationen auf militärische und machtpoli- tische Überlegungen. Mit dem aufkommenden Nationalstaatsgedanken war die Eisen- bahn ein wichtiges Instrument zur Erhaltung und zum Ausbau der Staatsmacht gewor- den. Je gewichtiger der Einfluss des Staates auf dieses Transportsystem war, desto mehr konnte er es, im Hinblick auf den sich entwickelnden Zentralstaat, als Bindeglied zwischen den Teilregionen einsetzen. Insgesamt betrachtet waren die Überlegungen vom militärischen Sicherheitsdenken geprägt und zielten auf den Zusammenhalt des Staatenbundes und einer Regionalpolitik zu Gunsten der Peripherie. Laaser bewertet die Übernahme der Eisenbahn durch den Staat in Bezug auf das Militärwesen als ein „rent seeking“ des Staates in eigener Sache, weil damit Transaktionskosten gespart werden sollten. 95 Damit war das vor 1870 vorherrschende wirtschaftsliberale Denken zu Guns- ten von machtpolitischen Überlegungen verdrängt worden. Nimmt man weiter an, dass die Verstaatlichung der Eisenbahn ein Akt des „rent see- king“ war, ist ein weiterer Gesichtspunkt beachtlich, nämlich das Verhältnis von Eisen- bahntarifen und Zollpolitik. Der Produktivitätsfortschritt im Transportwesen, welchen die Eisenbahn gegenüber Fuhrwerken und Kutschen u.a. mit sich brachte, sorgte dafür, dass die Beförderungstarife auf 1/10 ihres bisherigen Wertes gefallen waren. Damit war es den nach dem Gewinnmaximierungsprinzip handelnden Verkehrsunter- nehmen möglich, mit ihrer Tarifpolitik jeden Zoll und dessen beabsichtigte Schutzwir- kung zu neutralisieren. So sah es insbesondere Bismarck als staatspolitische Notwen- 94 Vgl. Laaser (1991), S. 121 ff. 95 Vgl. Laaser (1991), S. 127. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 44 digkeit an, die vorhandenen Privatbahnen zu verstaatlichen und damit das Inland vor ausländischen Produkten zu schützen. Deswegen war für die 1878 in Preußen gewählte, protektionistisch orientierte konservative Regierung auch die Zollfrage ein zentrales Argument für eine Verstaatlichung der Eisenbahn. 96 Somit war es der interessengeleitete Sinneswandel der politisch Verantwortlichen vom Freihandel zur Protektion, der dem preußischen Mischsystem aus Privat- und ergänzen- den Staatsbahnen ein Ende setzte. In der gemeinwirtschaftlichen Argumentation für eine Verstaatlichung der Eisenbahnen ging es um die Schaffung von direkten Renten mit dem expliziten Ziel, über das Tarifsystem der Eisenbahn Politik zu betreiben. Sozial Schwache, Bewohner entlegener Regionen und Branchen, die der Staat protegieren wollte, sollten in den Genuss von Tarifermäßigungen kommen, die von anderen Eisen- bahnbenutzern quersubventioniert werden mussten. Die Ausdifferenzierung der Tarife setzte auch zügig ein und beinhaltete auch Tarife unter Grenzkosten, was zumindest bei Privatbahnen höchstens kurzfristig möglich gewesen wäre. Unter fiskalischen Aspekten war für die Verstaatlichung entscheidend, dass sich die Privatbahnen als äußerst rentabel erwiesen hatten und so fiskalische Begehrlichkeiten weckten. Noch 1880, als bereits 62,5 v.H. des Streckennetzes der deutschen Eisenbah- nen verstaatlicht waren und weitere 10,9 v.H. zwar Privatbahnen gehörten, aber vom Staat verwaltet wurden, betrug die Durchschnittsrendite der verbliebenen reinen Privat- bahnen 4,63 v.H. Die reinen Staatsbahnen verzinsten sich dagegen mit 4,17 v.H. etwas schlechter. 97 Im Zusammenhang mit den Eingriffs- und Enteignungsmöglichkeiten, die sich aufgrund der Verkehrshoheit boten, musste die Eisenbahn als gewinnträchtige Ein- nahmequelle für den Fiskus und damit für die politisch Verantwortlichen erscheinen. Obwohl seinerzeit in der entscheidenden Phase der Verstaatlichungsaktion erklärt wurde, dass man die Bahnen nicht als Erwerbsunternehmen des Staates betrachten wolle, ist es nach Laaser ziemlich unwahrscheinlich, dass nicht auch mit Erträgen für den Fiskus gerechnet wurde. Zumindest herrschte im Parlament Konsens darüber, dass die Verstaatlichung die Staatsfinanzen keinesfalls zerrütten dürfe. 98 Nach der Verstaat- lichung aller Privatbahnen erwirtschafteten die preußischen Staatsbahnen in der Dekade 1882–1891 insgesamt 2,408 Mrd. RM an Überschüssen, die an den Staatshaushalt ab- geführt wurden. Im Zeitraum 1892–1901 verdoppelten sich sogar die Überschüsse und erreichten 4,697 Mrd. RM. 96 Solche protektionistischen Bestrebungen, teils aus wahltaktischem Kalkül heraus, lassen sich in der historischen Perspektive auch für spätere Zeiträume und andere Regionen immer wieder be- legen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang etwa auf die protektionistischen Maßnahmen der vorgeblich so „liberal“ orientierten US-Administration zum Schutze landeseigener Luftverkehrs- unternehmen v.a. nach dem Krisenszenario infolge der Anschläge vom 11.9.2001; vgl. Wels (2001). 97 Vgl. Laaser (1991), S.131 ff. 98 Vgl. Laaser (1991), S.133. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 45 1.4.2.2 Ökonomische Rahmenbedingungen des ÖPNV Die zunehmende Motorisierung, die inzwischen dazu geführt hat, dass selbst in den größeren Städten 500 und mehr Pkw auf 1000 Einwohner kommen 99, konnte nicht ohne Folgen auf den Personennahverkehr bleiben. Wie bereits im Abschnitt 1.3 über die Mo- bilitätsentwicklung ausgeführt, erlaubt es heute vor allem die individuelle Motorisie- rung, d.h. die weitgehende Ausstattung der Haushalte mit Pkw, die Präferenz vieler Be- rufstätiger zu realisieren, in Umlandgemeinden zu wohnen, deren Lebensqualität zu nutzen und den Wohnort auch mit einem Arbeitsplatz in der Stadt in Übereinstimmung zu bringen. Dieser Umstand und die hohen Wohnungskosten in den Städten haben im Übrigen zur Folge, dass die üblichen Pendlerentfernungen gegenwärtig teilweise auf über 50 km angewachsen sind. Mit dieser Entwicklung ist ein kontinuierlicher Rückgang der Marktanteile im ÖPNV verbunden, so dass der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel z.B. am Berufsverkehr inzwischen, mit Ausnahme der städtischen Ballungsräume, in den meisten Städten bei weit unter 50 % liegt (siehe auch Abbildung 1). Aufgrund der vielen Vorteile, wie etwa niedriger variabler Kosten oder sehr guter Ver- fügbarkeit, und vergleichsweise weniger Nachteile ist der Pkw gegenüber dem ÖPNV im Vorteil. Seine dominierende Stellung im Rahmen des Personenverkehrs ist daher leicht erklärbar und wird auch durch den nachfolgend aufgeführten ‘modal split’ bestä- tigt (vgl. Tabelle 5). 99 Vgl. DIW (2002, „Verkehr in Zahlen“), S. 152 f. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 46 Abbildung 1: Anteile der Verkehrsträger an den gesamten Verkehrsleistun- gen des motorisierten Verkehrs 1960 und 2000 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% G esam t 1960 G esam t 2000 B eruf 1960 B eruf 2000 A usbildung 1960 A usbildung 2000 G eschäft 1960 G eschäft 2000 E inkauf 1960 E inkauf 2000 Freizeit 1960 Freizeit 2000 U rlaub 1960 U rlaub 2000 Fahrtzweck A nt ei l ( in % ) Luft ÖSPV Eisenbahn Individual Quelle: Entnommen bei Eckey (2002), S. 7 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 47 Tabelle 5: Anteil der Verkehrsträger am Personenverkehr in Deutschland Jahr Eisenbahn (Mrd. Pkm) Öffentlicher Stra- ßenpersonennah- verkehr (Mrd. Pkm) Luftverkehr (Mrd. Pkm) Motorisierter Individual- Verkehr (Mrd. Pkm) Insgesamt (Mrd. Pkm) Bundesrepublik alt 1960 44,8 47,3 1,6 178,2 271,9 1965 40,6 51,2 3,3 288,8 383,9 1970 39,2 58,4 6,6 379,5 483,7 1975 39,2 67,7 8,4 441,1 556,4 1980 41,0 74,1 11,0 477,4 603,5 1985 43,5 62,3 12,7 495,1 613,6 1990 45,0 74,6 20,8 601,8 742,2 Bundesrepublik insgesamt 1991 57,5 92,8 20,4 713,4 884,1 1992 57,2 80,4 25,6 731,5 894,7 1994 66,4 77,5 30,0 731,2 905,1 1996 76,0 76,7 33,6 744,3 930,6 2002 67,9 77,3 40,8 751,8 937,8 Status quo-Prognose 2010 85,8 102,6 48,0 954,8 1191,3 Anteil der Verkehrsträger in % 1960 16,48 17,40 0,59 65,53 100,0 1980 6,79 12,28 1,82 79,11 100,0 1996 8,17 18,24 3,61 79,98 100,0 2002 7,06 8,13 4,39 80,42 100,0 2010 7,20 8,61 4,03 80,16 100,0 Quelle: Vgl. Eckey und Stock (2000), S.17; dort als Verweis-Quelle angegeben (DIW) („Verkehr in Zahlen“, verschiedene Jahrgänge). Zudem erfolgten Ergänzungen der Daten durch den Verfas- ser nach der aktuellen „Verkehr in Zahlen 2003/2004“-Ausgabe, die aber für 2002 als noch vorläufig ausgewiesen sind, sowie gemäß Bundesverkehrswegeplanung (BVU 2001). Die vorstehenden Zahlen belegen neben der dominierenden Entwicklung im motori- sierten Individualverkehr auch ein deutliches Ansteigen des Anteils des Luftverkehrs, während Eisenbahn und ÖPNV stagnieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ent- scheidung über den Verkehrsträger auch von den persönlichen Präferenzen des Nutzers und von der Länge der Fahrtstrecke mit beeinflusst wird. So ist unstrittig, dass für ältere oder ärmere Personen, die aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen keinen Pkw besitzen, nur die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel übrig bleibt. 100 Finanzielle Gesichtspunkte dürften aber im Hinblick auf die Länge der Fahrtstrecke eine bedeu- tende Rolle spielen. Verkehrsträger mit geringen Fixkosten, aber hohen variablen Kosten je Fahrt, werden wohl eher zu kurzen Fahrtstrecken verwendet, während Ver- kehrsträger mit umgekehrten Voraussetzungen in der Regel bei langen Fahrtstrecken zum Einsatz kommen. 100 ‘Captive riders’; vgl. Canzler und Knie (1998), S. 59. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 48 Diese Aussage ist überprüfbar, wenn folgende Entscheidungssituation zugrunde gelegt wird, wobei KI, KII und KIII die Kostenfunktion für den jeweiligen Verkehrsträger dar- stellen (Abbildung 2). 1. Verkehrsträger V1 habe geringe Fix- und hohe variable Kosten (wobei die Fahrtzeit auch zu den variablen Kosten zählt). 2. Verkehrsträger V2 habe gleich hohe Fix- und variable Kosten. 3. Verkehrsträger V3 habe hohe Fix-, aber geringe variable Kosten. Abbildung 2: Entscheidungssituation im Hinblick auf drei Verkehrsträger bei unterschiedlichen Fix- und variablen Kosten Entfernung d Kosten KI KII KIII A B C Quelle: Entnommen bei Eckey und Stock (2000), S. 19 Der Verkehrsträger V1 würde danach auf der kurzen Strecke von A nach B genutzt wer- den, auf der längeren Strecke von A nach C der Verkehrsträger V3, weil er hier die ge- ringsten Kosten erzeugt. Die vergleichbaren Vorteile des Verkehrsträgers V2 dürften hingegen bei Entfernungen zwischen AB und AC liegen. Voraussetzung dafür ist aller- dings eine insgesamt zufrieden stellende finanzielle oder gesundheitliche Situation des involvierten Personenkreises. Die Leistung des gesamten Personenverkehrs nahm in der früheren Bundesrepublik zwischen 1975 und 1990 um rd. 39 % zu, der Zuwachs der DB daran betrug aber nur rd. 13 %, was ihren Marktanteil von 7,5 auf 6 % verringerte. Von dem relativen Rückgang auf der Schiene war insbesondere der Nahverkehr betroffen (Leistungsanteil am ge- samten Personenverkehr 1975: 3 %, 1990: 2,2 %). Der verstärkte Ausbau der S-Bahnen in den Verkehrsballungsräumen bescherte diesem Verkehrszweig innerhalb des Nah- 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 49 verkehrs zwar einen Zuwachs von 120 % im maßgeblichen Zeitraum, der übrige Schie- nennahverkehr der DB nahm jedoch auf rd. 56 % der Ausgangsleistung ab. Davon be- troffen waren insbesondere Gebiete außerhalb der städtischen Ballungsräume. 101 Diese Entwicklung ist von den politisch Verantwortlichen und von der Deutschen Bun- desbahn über Jahre hinweg hingenommen bzw. allenfalls mit nur unzureichenden Mit- teln bekämpft worden. Die damit verbundenen, wachsenden wirtschaftlichen Verluste der Bahn wurden statt dessen mit stetig zunehmender finanzieller Unterstützung des Bundes aufgefangen. Eine ernst zu nehmende Ursachenforschung wurde dabei nicht einmal angeregt, obwohl die Entwicklung für beide Seiten vorhersehbar war. Der Rückgang der Marktanteile der DB ging also mit ständig wachsenden Bundes- zuwendungen einher. Von 1970 bis 1990 stiegen der Jahresverlust der DB von 1,25 Mrd. DM auf 5,0 Mrd. DM und die Bundesleistungen von 3,9 Mrd. DM auf 13,6 Mrd. DM. Der Grad der Verschuldung wuchs im gleichen Zeitraum von 13,5 Mrd. DM auf 44,0 Mrd. DM. Bei Beibehaltung des Status quo wurde schon für 1996 ein Schul- denstand von über 80 Mrd. DM vorhergesagt. Diese Entwicklung belegte, dass der Zielkonflikt zwischen gemeinwirtschaftlicher Aufgabenstellung und unternehme- rischem Handeln aufrechterhalten bliebe, wenn der bestehende Ordnungsrahmen für das Staatsunternehmen Deutsche Bahn nicht grundlegend reformiert würde. Ursache für die hohe Verschuldung war zudem, dass die Verantwortlichen der Bahn versuchten, die wirtschaftliche Situation zu „beschönigen“ und gleichzeitig ihre Mono- polstellung noch auszubauen. Erst die wachsenden und chronisch gewordenen Haus- haltsbelastungen des Bundes und die Vorgaben der EU haben ein Umdenken über den ÖPNV und damit auch über den Schienenpersonennahverkehr eingeleitet. Bis zur Bahn- reform wurde die Deutsche Bundesbahn eben nicht vorrangig als Wirtschaftsunterneh- men angesehen, sondern als Teil der öffentlichen Verwaltung, das soziale und ökolo- gische Ziele im Sinne der Daseinsvorsorge zu erfüllen hat. 102 Allerdings ist auch davon auszugehen, dass der ÖPNV aufgrund seiner Besonderheiten in seiner jetzigen Form nicht kostendeckend geführt werden kann. Dies trifft in erster Linie Nahverkehrsunternehmen, die Schienenverkehr betreiben. 103 Man käme nur dann zu einer anderen Aussage, wenn das Angebot an öffentlichen Nahverkehrsleistungen sich ausschließlich an Rentabilitätsgesichtspunkten ausrichten würde. 104 Bei näherer Betrachtung sind jedoch die Argumente, die aus ökonomischer Sicht für eine Einschränkung der Vertragsfreiheit sprechen würden, kaum haltbar. So kommt 101 Vgl. Bericht der Bundesregierung über den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland nach Vollendung der deutschen Einheit (1999), S. 19. 102 Vgl. Ludwig (2000). 103 Selbstverständlich sind vereinzelte Ausnahmen von dieser Grundtendenz gegeben. 104 Vgl. Böhme und Sichelschmidt (1994), S. 4. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 50 beispielsweise Laaser zu dem Ergebnis, dass Wettbewerb im Verkehrswesen ein durch- aus praktikables Ordnungsinstrument darstellt. 105 Ein Zugang zur Analyse der ökonomischen Rahmenbedingungen für die Spezifik des ÖPNV ergibt sich, wenn man die Entstehung von Kostenunterdeckungen durch Fest- legung von Höchstpreisen und Mindestmengen theoretisch betrachtet. Dieses Vorgehen bietet sich für den ÖPNV-Markt an, weil sowohl Preisgestaltung als auch der Umfang des Angebots in starkem Maße politisch beeinflusst sind und die Feststellung von Min- destmengen und Höchstpreisen nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen auf dem ÖPNV-Markt nicht erfolgt. Die vorliegende Abhängigkeit von Preis- und Mengen- kalkulation von den Entscheidungen Dritter verdeutlicht Höhnscheid mit der folgenden Darstellung (Abbildung 3). 106 Anhand dieses Preis-Mengen-Diagramms lässt sich auch die Wirkung auf die Defizitentwicklung im ÖPNV illustrieren. Abbildung 3: Auswirkung von Höchstpreisen und Mindestmengen auf das Marktergebnis Quelle: Entnommen bei Höhnscheid (2000), S. 26. Die erwirtschaftete Preis-Mengen-Kombination entspricht Punkt B (xM und pH). Daraus folgt: • Ist der Höchstpreis pH niedriger als der Marktpreis p* und würden die Verkehrsunternehmen entsprechend ihrer Angebotsfunktion anbieten, entstände ein Nachfrageüberhang. 105 Vgl. Laaser (1991), S. XVII. 106 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 26. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 51 • Ist die Mindestmenge xM größer als das markträumende Angebot x* und würde ein der Angebotsfunktion entsprechender Preis zugelassen, entstünde eine Nachfrage- lücke. • Aus dem Zusammentreffen von Höchstpreis und Mindestmenge ergibt sich eine Kostenunterdeckung in Höhe von ( ) HMMM pxpx ×−× (Defizit 1). Die Möglichkeit zur Reduzierung der Unterdeckung liegt in einer Verbesserung der Kostenstruktur, wodurch sich die Angebotsfunktion A nach rechts verschiebt. Bei unveränderter Preis-Mengen-Kombination wird ein kleineres Defizit erzielt, und zwar in Höhe von ( ) HM'MM pxpx ×−× (Defizit 2). Bei vorgegebenen Höchstpreisen und Mindestmengen lässt sich eine Kostenunterdeckung nur durch ein effizienteres Gestal- ten von Planung, Organisation und Durchführung des ÖPNV, d.h. durch Kosteneinspa- rung, vermeiden. Dies liegt in der vorstehenden Darstellung dann vor, wenn der Min- destpreis p(M) und der Höchstpreis pH zusammenfallen (ein im realen Wirtschaftsleben allerdings nicht anzutreffender Zustand). Im praktischen Ergebnis bestätigt sich hier vielmehr, warum die Bahn Verluste einfährt. Durch die Festlegung von Höchstpreisen und wegen der Zahl der anzubietenden Fahrten werden durch staatliche Regulierung Einflussnahmen durch den Markt und damit kostenorientiertes Handeln verhindert. Die eintretenden Defizite werden durch staat- liche Zuschüsse ausgeglichen. Nach Höhnscheid wäre danach Wettbewerb eine Grundvoraussetzung für effizientere Produktion und innovatives Handeln. Erst bei Vorliegen von Konkurrenz auf dem eige- nen Marktsektor würde eine optimale Marktversorgung garantiert und die Wettbewerbs- fähigkeit erhöht. 107 Die besonderen Merkmale dieses Sektors determinieren dabei auch die möglichen Re- formoptionen, die einen Ausweg aus der Krise des ÖPNV eröffnen würden. Dazu gehören: • die allgemeine Zugänglichkeit der angebotenen Leistungen, • der Einfluss der Politik über die Stellung als Eigentümer oder über spezielle Regulierungen, • entscheidende Qualitätsunterschiede gegenüber dem motorisierten Individualver- kehr, • die Zusammensetzung der Nachfrage nach ÖPNV-Leistungen aus privater Nach- frage (Nutzung gegen Entgelt) und meritorischer Nachfrage (öffentlich bestimmter Teil), 107 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 27. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 52 • die Teilung des Gesamtmarktes ÖPNV in eine Vielzahl von regionalen Verkehrs- räumen unter Berücksichtigung starker Nachfrageschwankungen im Tagesablauf (‘rush hours’), • das Bestehen von erheblichen Unterschieden in Ballungsräumen und ländlichen Regionen hinsichtlich Verkehrsaufkommen und Verkehrsbedienungen, • die Erstellung der Angebote durch Eisenbahn, Busse, Straßenbahnen und innerhalb von großen Verkehrsräumen auch durch Schnellbahnbetriebe, • das Bestehen einer besonderen Substitutionskonkurrenz zum MIV. 108 Aus politischer Sicht wird das Angebot an Nahverkehrsleistungen in der Diskussion u.a. mit sozialstaatlichen und ökologischen Erfordernissen begründet. Dazu gehören: • Sicherstellung gleichartiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet, • sozialstaatlich begründete Daseinsvorsorge für die Bevölkerung, insbesondere für die Alten, Behinderten und sozial schwachen Mitbürger, • Erhaltung gewachsener Stadtstrukturen und Funktionsfähigkeit von Ballungsräumen und • Sicherung der natürlichen Umweltbedingungen. 109 Es ist besonders diese widersprüchliche Gemengelage von politischer Einflussnahme und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, die bislang jeden grundlegenden Pro- blemlösungsversuch im (Nah)Verkehrsbereich scheitern ließ. Solange ein staatlich reguliertes System nicht nur Art und Umfang der zu leistenden Verkehre vorschreibt, sondern auch die Bedingungen des Marktein- bzw. -austrittes bestimmt und selbst eine Preisbildung nach Marktbedingungen nicht greift, wird sich daran auch nichts ändern können. Die Unternehmen, die auf der Grundlage von Konzessionen innerhalb bestimmter Kommunen und Regionen handeln, sind bisher keinem unmittelbaren Wettbewerb aus- gesetzt. Der Zutritt neuer Unternehmen in den Markt ist bisher so gut wie ausgeschlos- sen. Unter diesen „sicheren“ Rahmenbedingungen ist in den letzten Jahren dennoch ein im internationalen Vergleich qualitativ hochwertiger Nahverkehr entstanden. Trotzdem ist es nicht gelungen, dem motorisierten Individualverkehr Marktanteile wieder abzu- 108 Vgl. Böhme und Sichelschmidt (1994), S. 4. 109 Vgl. auch Eichhorn und Greiling (1997), S. 51 ff. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 53 trotzen. Der ‘modal split’ hat sich sogar weiter zu Ungunsten des ÖPNV verschoben, während gleichzeitig die Finanzierungsdefizite weiter angestiegen sind. 110 Angesichts dieser Tatsachen kann man sich nur darüber wundern, dass der ÖPNV erst mit erheblichem Zeitverzug in die Überlegungen hinsichtlich einer grundlegenden Re- form des Verkehrswesens einbezogen worden ist. Die Reformdebatte nahm allerdings auch erst dann konkrete Gestalt an, als unter umweltpolitischen Gesichtspunkten dem ÖPNV eine bedeutendere Rolle durch die entsprechenden politischen Vorgaben zuge- dacht wurde. Bei der Frage nach der grundsätzlichen Legitimation für staatliches Eingreifen in den Wirtschaftsablauf ist zu berücksichtigen, dass sich dieses unter wirtschaftlichen Ge- sichtspunkten im Grunde nur rechtfertigen lässt, sofern Marktversagen vorliegt. Wenn z.B. der Wettbewerbsmechanismus in den Verkehrsmärkten nicht ausreichend funktio- niert, dann stellt sich in der Tat die Frage, ob und wann staatliche Eingriffe in den Wettbewerbsprozess wirtschaftlich sinnvoll sind und wie sie gegebenenfalls aussehen sollten. 111 Für den Verkehrssektor sind dabei folgende wesentliche Besonderheiten zu beachten: 1. Unmöglichkeit von Vorratsproduktion; 2. Notwendigkeit von Reservekapazitäten, auf die zurückgegriffen werden kann; 3. zwangsläufig Leerfahrten durch ungleiche Auslastungen; 4. keine Ausweichmöglichkeit des Unternehmens auf andere Branchen; 5. Wirkungslosigkeit von Preissenkungen, da sich durch die Preiselastizität die Nach- frage nur unwesentlich verändert; 6. Wettbewerbsverfälschungen durch einseitige staatliche Eingriffe. In der Regel lassen sich aus den dargelegten Besonderheiten gleichwohl keine staat- lichen Eingriffe ableiten, da sie wohlfahrtsökonomisch unbedeutend sind und im Übri- gen auch in anderen Sektoren vorliegen oder eben auf falsche staatliche Regulierungs- maßnahmen zurückgeführt werden können. 112 In diesem Zusammenhang kann nämlich auch die Tatsache nicht ignoriert werden, dass die Politik seit dem Ende des zweiten Weltkriegs den motorisierten Individualverkehr in mancherlei Hinsicht bevorzugt und damit auch den Niedergang des ÖPNV, insbeson- dere des Schienenpersonennahverkehrs, gefördert hat. 113 Dies belegt auch das für den 110 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 21. 111 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 215. 112 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 216. 113 Auf der anderen Seite sind mithin die volkswirtschaftlichen und fiskalischen Gesamteffekte nur schwer abzuschätzen (In Rechnung zu ziehen sind: Stellenwert des Erfolges der deutschen Auto- 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 54 Bau der Bundesfernstraßen veranschlagte Investitionsvolumen. Danach wurde vom Bund in der Bundesverkehrswegeplanung ‘92 für den Zeitraum 1991–2012 für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes in den alten Bundesländern ein Gesamtvolumen von 68,7 Mrd. DM angenommen, während allein für die Bundesfernstraßen für den gleichen Zeitraum ein Betrag von 70,1 Mrd. DM angesetzt worden ist. 114 Die Wirtschaftlichkeit der aufgezeigten Strukturverschiebung spielte dabei offensicht- lich keine Rolle. Sinkende Fahrgastzahlen auf den schwächer belegten Bahnstrecken waren die logische Folge. Die Deutsche Bundesbahn begegnete diesen Entwicklungen nicht in erster Linie mit Rationalisierungen, sondern mit Fahrplankürzungen, was letzt- endlich ein weiteres Absinken der Nachfrage förderte und oftmals mit Streckenstill- legungen, verbunden mit Flächenverödungsprozessen in ohnehin bereits struktur- schwachen Regionen abseits der urbanen Ballungszentren, endete. Der Bund hat vor diesem Hintergrund kaum einen Grund, von einer Entwicklung überrascht zu sein, die er seinerzeit maßgeblich mit gefördert hat. Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrung stellt sich die Frage, inwieweit der Bund überhaupt fähig und willens ist, ein eigenes, sozusagen mitverschuldetes Ver- sagen am Markt zu konstatieren. Denn erst wenn sich unstrittig ein Marktversagen fest- stellen ließe, wären staatliche Eingriffe notwendig und gerechtfertigt, um damit volks- wirtschaftliche Fehlallokationen zu vermeiden bzw. zu korrigieren. 115 Die Aussage der Europäischen Kommission, wonach die Marktkräfte allein nicht aus- reichen, um in allen Fällen die Bedarfsdeckung und eine ausreichende Qualität der Ver- kehrsdienste zu garantieren, die zur Erreichung grundlegender Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Regionalpolitik erforderlich sind, kann dafür keine hinreichende Begrün- dung liefern. 116 Deswegen besteht die Aufgabe darin, das Marktversagen im ÖPNV genauer zu ana- lysieren, um damit den notwendigen Umfang der staatlichen Eingriffe näher bestimmen zu können. Ausgehend von einem wohlfahrtsökonomischen Referenzmodell sind mehrere Tatbe- standsmerkmale, die ein Marktversagen begründen könnten, denkbar. Dabei sind ins- besondere externe Effekte und die Bedingungen natürlicher Monopole von entscheiden- der Bedeutung. mobilindustrie, Sicherung und Ausbau der dort bestehenden Arbeitsplätze, Kosten-Nutzen-Bilanz: Kfz-Steuer- und Mineralölsteuer-Aufkommen versus Schäden durch motorisierten Individualver- kehr etc.). 114 Vgl. Kolks (1998), S. 239. 115 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 21. 116 Vgl. Europäische Kommission (1996), S. 38 (Das Bürgernetz. Wege zur Nutzung des Potenzials des öffentlichen Personenverkehrs in Europa). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 55 Bei den negativen externen Effekten stehen vor allem die Umweltbelastungen im Vor- dergrund. Über staatliche Eingriffe versucht man, diese externen Effekte möglichst ökonomisch zu erfassen und den Verursachern anzulasten (Internalisierung). 117 Positive externe Effekte fallen auch bei den Wirtschaftssubjekten an, die den öffentlichen Nah- verkehr nicht benutzen. Hier profitieren nicht nur die Nutzer der Bahn selbst, sondern auch die Autofahrer, die z.B. bei weniger belasteten Straßen einen Zeitvorteil gewinnen. Es wäre also sinnvoll über eine unmittelbar am Problem ansetzende Politik, etwa über road pricing-Systeme, eine Internalisierung dieser Effekte zu erreichen. 118 Aus dem Vorliegen positiver und negativer externer Effekte allein lässt sich allerdings nicht zwingend eine unmittelbare staatliche Intervention begründen. Ebenso wie in anderen Infrastruktursektoren, wie beispielsweise in der Telekommunikation, sind auch im Verkehrsbereich häufig natürliche Monopole anzutreffen. In diesem Fall kann ein einziges Unternehmen den Markt bei Vorliegen bestimmter Bedingungen kostengüns- tiger versorgen als eine Vielzahl von Unternehmen, da bei steigender Ausbringung die Durchschnittskosten sinken. Damit ergibt sich unmittelbar auch das Problem einer missbräuchlichen Ausnutzung dieser Monopolstellung. Dieser Gefahr kann durch Übertragung der Aufgaben an öffentliche Unternehmen oder durch eine strikte Regulierung des privaten Monopol- anbieters begegnet werden. In der Literatur wird die Meinung vertreten, dass private Unternehmen öffentliche Aufgaben genauso gut wahrnehmen können. 119 Es besteht allerdings hier nur dann eine Regulierungsnotwendigkeit, wenn der Verkehrsmarkt wegen irreversibler Investitionen nicht angreifbar ist. Nach der Theorie der angreifbaren Märkte wird sich ein Monopolist immer wie ein Wettbewerber verhalten, wenn er befürchten muss, dass sonst andere Unternehmen auf den Markt treten werden. 120 An seine Stelle tritt dann der potentielle Wettbewerb als Disziplinierungsinstrument. Maßgebliche Voraussetzung ist u.a. allerdings das Nicht- vorhandensein von sog. „sunk costs“. Dabei handelt es sich um diejenigen Investitionen eines Unternehmens, die bei einem Marktaustritt nicht wieder zurückgeholt werden können und daher nicht entscheidungsrelevant sind. Der Monopolist wird daher unter diesen Bedingungen immer in der Lage sein, sich gegen Marktzutritte von Konkurren- ten zu wehren. 121 117 Vgl. zu einem Überblick auch Europäische Kommission (1995) (Faire und effiziente Preise im Verkehr: Politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Euro- päischen Union); ferner: Europäische Kommission (1998) (Faire Kostenauslastung im Verkehr: Ein abgestuftes Konzept für einen Gemeinschaftsrahmen zur Erhebung von Infrastrukturgebühren in der EU); vgl. zu einer kritischen Analyse vor allem Eisenkopf (1999), S. 66 ff. 118 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 22. 119 Vgl. zu dieser Grundsatzposition für den deutschen wie auch internationalen Raum insbesondere Diebold (1984), Kikeri et al. (1992) sowie Kirchhoff (1995). 120 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 23. 121 Vgl. Fritsch et al. (1996). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 56 Betrachtet man den ÖPNV unter diesen Gesichtspunkten, dann sind die Bedingungen eines natürlichen Monopols nur eingeschränkt anwendbar. Im reinen Bus- und Schie- nenverkehr kann kaum von sinkenden Durchschnittskosten gesprochen werden. Ent- scheidend ist aber, dass keine „sunk costs“ vorliegen und der Markt angreifbar ist, d.h., ein Konkurrent könnte dem bisherigen Marktinhaber Strecken bzw. das ganze Netz streitig machen, da nur Investitionen in das rollende Material notwendig wären. Das gilt natürlich auch im Schienenpersonennahverkehr, wenn diese Unternehmen nicht über ein eigenes Schienennetz verfügen. Für das neu eintretende Unternehmen gilt ebenso wie für das alte, dass bei einem Marktaustritt diese Investitionen nicht verloren sind, da Busse und Bahnen entweder verkauft oder auf anderen Strecken eingesetzt werden kön- nen. Eine andere Situation liegt dann vor, wenn ein Unternehmen, wie z.B. die Deutsche Bahn, selbst ein Schienennetz in eigener Regie betreibt. Ist die Schieneninfrastruktur die einzig verfügbare Infrastruktur zum physischen Transport, könnte man eine Markt- machtstellung vermuten, die es ermöglicht, sich gegen einen eventuellen Marktzutritt von Konkurrenten zu wehren (wobei auch hier der intermodale Wettbewerb der Aus- nutzung von Marktmacht Grenzen setzt). Es kann aber durchaus auch Größenbetriebsvorteile geben, die eine Regulierung be- gründen, nämlich bei Vorliegen von (über die unmittelbaren Produktionskosten hinaus- gehenden) Nutzerkosten. Diese werden z.B. durch die Wartezeiten an den Haltestellen, fehlende Informationen über Zugpläne, nicht abgestimmte Abfahrtszeiten usw. be- stimmt und führen zu einer verminderten Zahlungsbereitschaft von ÖPNV-Leistungen. Nach Briewasser zeigen empirische Untersuchungen, dass gerade diese Nebenzeiten (Nutzerkosten) maßgeblich zur Benachteiligung des ÖPNV gegenüber dem motorisier- ten Individualverkehr beitragen. 122 Gesamtwirtschaftlich betrachtet, ist daher ein Transportsystem nur effizient, wenn die Gesamtkosten unter Berücksichtigung dieser Nutzerkosten minimiert werden können. Ein unregulierter Markt dürfte dazu nicht in der Lage sein. Ein weiteres Argument für eine staatliche Subventionierung des ÖPNV ist der Hinweis auf die sog. „option values“ des Nahverkehrs. Entscheidend ist danach nicht allein die tatsächliche, sondern die potenzielle Nutzung des Nahverkehrssystems, denn die Mög- lichkeit der Inanspruchnahme des Nahverkehrssystems etwa durch Konsumenten, die bisher den MIV nutzen, wird in der aktuellen Zahlungsbereitschaft nicht entsprechend reflektiert, so dass der staatliche Aufgabenträger hier einspringt. 123 Es bleibt allerdings immer noch die Frage offen, wie die Bereitstellung von Transport- leistungen am effizientesten geregelt werden kann. Scheele/Sterzel stellen fest, dass bei reinen öffentlichen Gütern selbst unter Marktbedingungen kein Angebot zustande käme, 122 Vgl. Briewasser (1998), S. 37 f. 123 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 24. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 57 so dass hier der Staat die Angebotsbereitstellung übernehmen muss, um seinen Verpflichtungen zur Daseinsvorsorge nachzukommen. 124 Der von Scheele/Sterzel aufgeworfenen Vermutung, dass bei öffentlichen Gütern kein Angebot zustande käme, wenn der Staat hier nicht subventionierend „einspringen“ würde, ist sicherlich zuzustimmen. Richtig ist allerdings auch, dass der ÖPNV aus fis- kalischen Gründen nicht mehr uneingeschränkt in seiner bisherigen Form aufrechter- halten werden kann. Bei privaten Unternehmen, die öffentliche Aufgaben übernehmen, besteht bei reiner Gewinnorientierung unabhängig von etwaigen Zuschüssen allerdings immer die Gefahr, unrentable Strecken stillzulegen. 1.4.2.3 Der Schienenpersonennahverkehr und seine externen Effekte Seit Beginn der Regionalisierung ist das Angebot im Schienenpersonennahverkehr mit Hilfe der Regionalisierungsmittel des Bundes um etwa 20 Prozent auf knapp 600 Mio. Zugkilometer jährlich gestiegen. Im Jahr 2002 hob der Bund die Regionalisierungsmittel für die Länder auf 6,75 Mrd. EUR an und wird sie in den Folgejahren weiter um je 1,5 Prozent p.a. erhöhen. Zudem verzichtete der Bund auf die Rückzahlung zu viel gezahlter Mittel aus der Zeit von 1998 bis 2001 in Höhe von 750 Mio. EUR. In einigen Regionen sind so SPNV-Strecken vor der Stilllegung bewahrt und neue Hal- tepunkte eröffnet worden. Auch im öffentlichen Personennahverkehr mit Bussen und Bahnen konnten durch die Regionalisierungsmittel des Bundes nicht nur die zeitgleich erfolgte Kürzung des Finanzvolumens im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) kompensiert, sondern zusätzliche Investitionen und Betriebsleistungen reali- siert werden. Durch die Kombination dieser vielfältigen Einzelmaßnahmen wurden deutliche Fahrgaststeigerungen im ÖPNV erreicht. Für die Beurteilung der Veränderungen beim schienengebundenen ÖPNV sind die Ten- denzen im Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verkehrsbereichen eine entschei- dende Rahmenbedingung. Da auf den Bundesverkehrswegen der motorisierte Straßen- verkehr dominiert, hat er für die Bevölkerung und die Wirtschaft eine herausragende Bedeutung. Die Eisenbahnen sind schon allein wegen der Konfiguration ihres Strecken- netzes nicht in der Lage, eine grundlegende Trendwende im Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern zu ihren Gunsten herbeizuführen. 125 Eine nachhaltige Entlastung der 124 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 24. 125 Dies vermögen auch Konfigurationen, wie etwa die Umstrukturierung der ‘Verbindungshie- rarchien’ nach dem Hub-System, nicht grundlegend zu verändern; vgl. Gronwald (2000), S. 12. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 58 Bundesfernstraßen durch die Verlagerung von bedeutenden Anteilen der Verkehrsleis- tungen auf die Schiene erscheint daher mittelfristig nicht durchsetzbar. Dennoch stellen die Eisenbahnen, wie schon die Prognose ihres relativ stabilen Anteils am Aufkommen der Verkehrsleistungen verdeutlicht, auch in Zukunft mehr als nur ein Ergänzungsangebot im Verkehrssystem dar. So wäre ohne moderne schienengebundene Nahverkehrssysteme die weitgehende Be- wahrung bzw. Wiederherstellung der Attraktivität von Ballungszentren weder möglich gewesen noch in Zukunft zu gewährleisten. Der Verkehrsträger Eisenbahn besitzt nach wie vor ein prinzipiell positives umwelt- und strukturpolitisches Wirkungspotenzial, was sich vor allem da auch zu entfalten vermag, wo es durch kombinierten Verkehr zum Einsatz gebracht werden kann. Wo dies allerdings nicht der Fall ist oder in keiner ent- sprechenden Kosten-Nutzen-Relation steht, sollte auf den Einsatz von öffentlichen Mitteln verzichtet werden. 126 Was für den Öffentlichen Personennahverkehr insgesamt gilt, das trifft im Prinzip auch für den Schienenpersonennahverkehr zu, wobei hier die Besonderheit zu berücksichti- gen ist, dass er von seiner Aufgabenstellung her sowohl in Ballungsräumen als auch in der Fläche realisiert wird. In den Ballungsgebieten ist die S-Bahn zu einem gängigen und akzeptierten Massentransportmittel geworden. In den weniger besiedelten Gebieten, also in der Fläche, kommt dem Schienenpersonennahverkehr eine der vergleichbaren Bedeutung jedoch nicht zu. So haben sich viele Bürger, die „in der Fläche“ wohnen, – weil ohne Alternative – oft schon längst für einen individuell nutzbaren Pkw entschie- den. Wenn dieser nicht genutzt wird, dann hat sich der Bus als das bedarfsgerechtere Verkehrsmittel herausgestellt. Entscheidend für die Bewertung und weitere Entwicklung des Schienenpersonennah- verkehrs ist der Umstand, dass er wegen der nur zu bestimmten Tageszeiten ausge- lasteten Kapazitäten und der aus sozialen Gesichtspunkten festgelegten Fahrpreise nicht kostendeckend zu betreiben ist. Hier liegt einer der wesentlichen Ansatzpunkte sowohl für die oftmals umstrittenen Stilllegungsentscheidungen bestimmter, wenig genutzter und nur mit erheblichen Ver- lusten zu betreibender Teilstrecken als auch für die Entwicklung von komplexen regio- nalen Lösungen, die sowohl unternehmerischem Kalkül als auch der staatlichen Auf- gabe der Daseinsvorsorge des Staates für die Bürger entsprechen. Ein von diesen Entwicklungstendenzen der Mobilität abweichendes Bild würde sich ergeben, wenn z.B. aus Umweltgründen durch gesetzliche Verordnung der Benzinpreis bzw. die Kfz-Steuer so verteuert würden, dass der Unterhalt eines Pkw für den einzel- nen Bürger im Vergleich zur gegenwärtigen Situation nur noch eingeschränkt möglich 126 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2000), Schlussfolgerungen des Pällmann-Berichtes. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 59 wäre. Jede Erweiterung oder Einschränkung eines Verkehrsangebots hat Auswirkungen auf das Verhalten von Nutzer und Betreiber von Verkehrsmitteln. Viele gesellschaft- liche Gruppen fordern daher bereits heute eine Abkehr vom Auto aus ökologischen Gründen. 127 Bis in die 1970er Jahre ging man noch davon aus, dass Streckenstilllegungen bei der Bahn, insbesondere wenn es sich um Nebenstrecken handelt, keine wesentlichen Aus- wirkungen auf das Verhalten der Allgemeinheit besitzen. Erst in jüngster Zeit und durchaus im Zusammenhang mit erfolgreichen Reaktivierungen von Nebenstrecken hat ein Umdenken in der Bewertung dieser Frage eingesetzt. Auf der Ebene der wissenschaftlichen Reflexion bedeutet dies, dass die externen Effekte von Streckenstilllegungen verstärkte Aufmerksamkeit finden. 128 Denn bei deren Auswirkungen geht es letztlich immer auch um spezifische externe Effekte, weil jede Änderung im Verkehrsangebot unmittelbar die Leistungsfähigkeit und die Qualitäts- merkmale des Verkehrssystems insgesamt beeinflusst – im „positiven“ wie im „nega- tiven“ Sinne –. Wird beispielsweise die Infrastruktur ausgebaut, dann sind diese Auswirkungen gewollt, betriebswirtschaftlich nachprüfbar mit unmittelbarem Einfluss auf das Betriebsergebnis. Diese unmittelbaren Effekte auf das Verkehrssystem bewirken, dass sie zum größten Teil den Nutzern von Vorteil sind und daher auch meist als Konsumentennutzen von den Nutzern internalisiert werden. Derartige externe Effekte des Verkehrsangebotes lassen sich in drei Wirkungsbereichen feststellen: Bei den Primärwirkungen handelt es sich erstens um Effekte für die Nutzer/Betreiber der Verkehrsmittel, die im Falle eines Ausbaus meist beabsichtigt sind und betriebswirt- schaftliche Wirkungen haben. 129 Sie können zudem von den Nutzern als Konsumenten- nutzen internalisiert werden. Bei einer Einschränkung oder einem Wegfall dieses Ange- bots durch Streckenstilllegungen entfällt dieser Konsumentennutzen natürlich. Das be- trifft Effekte wie Nutzungsentgelte, Verkehrssicherheit und -komfort, Zuverlässigkeit oder die zumindest theoretische Anpassungsfähigkeit an Aufkommensschwankungen und das Vorhandensein von Leistungsfähigkeitsreserven. Zweitens hat das Verkehrsangebot direkte und indirekte Wirkungen auf die Umwelt (Umweltwirkungen). 130 Zu solchen direkten und indirekten Umweltwirkungen zählen 127 Vgl. die grundlegende Darstellung bei Hawel (2000). 128 Vgl. zusammenfassend Hawel (2000). 129 Im Unterschied zu den in der Folge beschriebenen indirekten Wirkungen sind erstere am ehesten „monetär“ quantifizierbar. 130 Direkt über die hinzukommende bzw. wegfallende Infrastruktur und indirekt über eine Änderung der Verkehrsnachfrage. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 60 Lärm, Luftschadstoffe, Energieverbrauch, Flächenverbrauch bis hin zur Beeinflussung des Landschaftsbildes. Schließlich lassen sich Sekundärwirkungen abgrenzen, die vor allem gesellschaftspoli- tische und raumordnerische Aspekte einschließen, die unabhängig von der tatsächlichen Verkehrsnachfrage entstehen. Unter dem Aspekt der Themenstellung sind gerade diese Sekundärwirkungen von besonderem Interesse. So hat das schienengebundene öffentliche Verkehrsangebot für die Erschließung einer Region (Erschließungsfunktion) große Bedeutung. Dazu gehören nicht nur der Verlauf einer Bahntrasse, sondern auch die Qualität und die Quantität des Verkehrsangebotes. Für die jeweilige Region sind neben den direkten Beschäftigungseffekten, die durch den Betrieb einer Bahnstrecke entstehen, auch die indirekten regionalwirtschaftlichen Effekte von großer Bedeutung, weil ein Bahnanschluss, ob nun im Güter- und/oder Per- sonenverkehr, als Standortvorteil für Unternehmen und/oder Haushalte gilt. Bei Gewer- bebetrieben, die so genannte "schienenaffine Güter" produzieren bzw. benötigen, ist ein Gleisanschluss ein Standortvorteil. Damit korrespondiert auch die Bedeutung, die die Eisenbahn nach wie vor als Instru- ment zur Ordnung von Räumen (Raumordnung) besitzt. Man kann i.d.R. davon aus- gehen, dass die Existenz eines Bahnanschlusses zur Erhöhung der Lebensqualität in der Region führt. 131 Ohne eine Bahnlinie ist die Vorhaltung eines qualitativ hochwertigen regionalen ÖPNV-Angebotes nur erschwert möglich. Ferner verlangt das Raumord- nungsgesetz die Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in der gesamten BRD. 132 Im Gegensatz dazu steht die unterschiedliche Angebotsqualität und -quantität des ÖPNV zwischen städtischem und ländlichem Raum. 133 Dass ein Bahnanschluss für Fremdenverkehrsgebiete von hoher Bedeutung sein kann, belegt die Praxis. 134 Neben der Sicherung einer attraktiven Verbindung in das Ferien- gebiet für autolose Reisende kann das in Zukunft immer wichtiger werdende Leitbild eines nachhaltigen Tourismus nur unter Berücksichtigung einer umweltverträglichen An- und Abreise verwirklicht werden. Im Jahr 1993 fielen 52 % der Nachfrage nach Personenverkehrsleistungen der Bahn auf den Tourismus nach WTO-Definition. 135 Demgemäß können touristische Fahrtzwecke die Auslastung einer Bahnverbindung in periphere Regionen maßgeblich erhöhen bzw. umgekehrt deren Einschränkung den Tourismus in diesen Gebieten gefährden. 131 Vgl. Schröder (2001), S. 286. 132 Siehe Bundesgesetzblatt (BGBL, I) 1993 Nr. 73 vom 30.12.1993 S. 2395 - Art. 4 § 1 Abs. 1 RegG (Gesetz zur Regulierung des ÖPNV). 133 Vgl. Bieber (1984), S. 114. 134 Vgl. Rebstock (2000), S. 147. 135 Vgl. Hüther (1998), S. 134 f. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 61 Darüber hinaus gibt es Streckenabschnitte und Bahnen, die als historisches, technisches Denkmal bedeutsam sind bzw. bereits zum Denkmal erklärt wurden. Zudem können Bahnstrecken auch als Teil der regionalen Identität eines Raumes gelten. 136 Nicht zuletzt die schon erwähnte Daseinsvorsorge zählt als gesellschaftspolitische Komponente zu den Sekundärwirkungen, die bei einer Veränderung des Verkehrsange- botes zu berücksichtigen sind. Laut Regionalisierungsgesetz ist „die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr [...] eine Aufgabe der Daseinsvorsorge." 137 Da in der Bundesrepublik keineswegs von einer Vollmotorisierung der Bevölkerung gesprochen werden kann, die Quote der „auto- freien“ Haushalte im Jahr 1993 auf dem Gebiet der alten Bundesländer immerhin bei 28 % lag und rund 18 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands in einem autolosen Haushalt leben (zwischen 1993 und 2002 mithin Steigerung des Pkw-Bestandes von 38,9 Mio. auf 44,4 Mio. Fahrzeuge), 138 bleibt die Sicherung einer leistungsgerechten und attraktiven Mobilität von nichtmotorisierten Mitbürgern unerlässlich. Auf längeren Distanzen kann dies nur die Bahn gewährleisten. Auch den Belangen mobilitätsbehin- derter Menschen, welche je nach Definition bis zu einem Viertel der Bevölkerung um- fassen, muss im Rahmen der Daseinsvorsorge Rechnung getragen werden. (Hierzu wird der Verfasser an anderer Stelle noch ausführlicher Stellung nehmen.) 1.4.3 Die Krise des ÖPNV - Zusammenfassung Canzler/Knie sehen den ÖPNV gar in einer Angebots-, Nachfrage- und institutionellen Krise. Diese Krise reflektiert vor allem die Dynamik der Mobilität einerseits und die starren Strukturen, in welchen der ÖPNV organisiert ist, andererseits. Die Angebotskrise ist danach das Resultat von Suburbanisierung und der Herausbildung dezentraler Raumstrukturen, d.h. einer neuen räumlichen Funktionsteilung. Gleich- zeitig ist sie aber auch das Ergebnis einer neuen Zeitsouveränität der Verkehrsteilneh- mer und einer „Pluralisierung“ von Lebensstilen der Bevölkerung. Die damit einher- gehenden Veränderungen der Verkehrsgewohnheiten haben erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des ÖPNV. Dabei genügt es nicht mehr, zu einer bestimmten Zeit den großräumigen Transport vieler Nachfrager von A nach B zu sichern, um die veränderten Mobilitätsansprüche der Menschen zu befriedigen. Die durch diese Ent- 136 Ausführung zu den externen Effekten folgt der Darstellung in: Forschungsprojekt „Stilllegung von Eisenbahnstrecken“ an der FH Erfurt (o.V., 2001d). 137 Vgl. Herberger (1997) (hierin: BGBL,I 1993 Nr. 73 vom 30.12.1993, S. 2395, Art. 4 § 1 Abs. 1 RegG). 138 Vgl. Reutter und Reutter (1996), S. 3; DIW (2002, „Verkehr in Zahlen“), S. 141. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 62 wicklung entstandene Angebotskrise wird zusätzlich noch dadurch verstärkt, dass der ÖPNV größtenteils auch bestimmten Zielen einer kommunalen Sozialpolitik verpflich- tet ist, deren Nutzer überwiegend Alte, Auszubildende, Ausländer, Alleinerziehende, Arbeitslose und Arme sind. 139 Die genannten Belastungen auf der Angebotsseite vermindern die Rentabilität der Unternehmen und tragen gleichzeitig zur Ausprägung einer Nachfragekrise bei. Sie fin- det ihren Ausdruck darin, dass trotz aller Qualitätsverbesserungen und Marketingbemü- hungen der letzten Jahre das Ansehen und die Akzeptanz des ÖPNV gegenüber dem motorisierten Individualverkehr nicht verbessert werden konnten. Die institutionelle Krise schließlich ist daran zu erkennen, dass die meisten öffentlichen Monopolunternehmen mit ihren unflexiblen, bürokratischen Strukturen und den politi- schen Einflussnahmen ihrer kommunalen Eigentümer nicht im Stande sind, im Wett- bewerb gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zu bestehen. Die öffentlichen Nahverkehrsunternehmen sind daher wegen institutioneller Fesseln nicht in der Lage, über die Entwicklung neuer Angebotsformen auf die veränderten Mobilitätsbedürfnisse ihrer Kunden einzugehen. 140 Reichweite und Komplexität dieser Krise machen deutlich, dass sie mit „einfachen“ Mitteln oder gar kosmetischen Korrekturen nicht zu beheben sein dürfte. Hinzu kommt, dass die Verkehrsmärkte, wie bereits dargelegt, traditionell zu den am intensivsten staatlich regulierten Sektoren zählen, und das Verkehrswesen ein Bereich geblieben ist, in dem Wettbewerb zum Teil nur eine untergeordnete Rolle spielt. Eine prinzipielle Änderung der aufgezeigten Entwicklungstendenzen ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Einschlägige Prognosen gehen davon aus, dass die Verkehrs- leistungen im Straßenverkehr bis zum Jahre 2020 noch um insgesamt ca. 18 Prozent steigen werden. 141 Eine andere Entwicklung wäre danach nur bei neuen, grundsätz- lichen politischen Entscheidungen gegen den Pkw-Verkehr zu erwarten. Die wirtschaftliche Bedeutung, die der ÖPNV dennoch hat, ist aber auch darin begrün- det, dass – wie bereits dargelegt – in Bezug auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland immerhin rund 18 % der Menschen nach wie vor kein Auto besitzen. 142 Ein funktionie- rendes ÖPNV-Angebot ist also trotz ungünstiger Entwicklungen unverzichtbar und ins- besondere im ländlichen Raum ein wichtiger Beitrag zur Gewährleistung etwa gleich- artiger Lebensbedingungen in Stadt und Land. 143 139 Vgl. Canzler und Knie (1998), S. 59. 140 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 18. 141 Vgl. Eckey (2002), S. 24. 142 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 3. 143 Vgl. Bericht der Bundesregierung über den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland nach der Vollendung der deutschen Einheit (1999), S. 1. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 63 Im Zusammenhang mit der Privatisierung ist allerdings auch das Argument nicht ganz von der Hand zu weisen, wonach häufig die Halbherzigkeit bei der Durchführung der entsprechenden Privatisierungsmaßnahmen das eigentliche Problem darstelle. Wenn man die verschiedenen Branchen betrachtet, aus denen sich der Staat mittlerweile zurückgezogen hat, fällt auf, dass vor allem solche Wirtschaftszweige privatisiert wor- den sind, die mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten oder aber offenkundig durch Behördenstrukturen hinsichtlich ihrer Effizienz eingeschränkt waren. Das trifft sowohl für die Energiewirtschaft und Telekommunikation als auch für das Post- und Fernmeldewesen zu. Es sind Bereiche, in denen wie beim Verkehr technische Monopole wie Leitungs- und Schienennetze bestehen, also notwendige technische Vorhalte, die sich nicht ohne weiteres duplizieren lassen. Ein Weg, um hier bestehende Monopole zu brechen, bestünde darin, technische und wirtschaftliche Abläufe, wie etwa Schiene und Betrieb, künstlich zu trennen. Dabei sind ohnehin nach Art. 3a S. 1 EGV die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Darin liegt letztendlich auch als gemeinsamer Kern das Diskriminierungsverbot bzw. – positiv betrachtet – das Gebot der so genannten Inländergleichbehandlung. Zu bedenken ist mithin, dass jede Erweiterung oder Einschränkung eines Verkehrs- systems dessen Funktionsfähigkeit und Nutzung beeinflusst. Das gilt gleichermaßen auch für die Nutzer und die Betreiber der entsprechenden Verkehrsmittel. Im Falle eines Ausbaus z.B. der Infrastruktur sind diese Auswirkungen positiv, beabsichtigt und ge- wollt mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Betriebsergebnis. Bis in die 1970er Jahre ging man allerdings auch davon aus, dass Streckenstilllegungen der Bahn von den bis- herigen Nutzern ohne weiteres hingenommen werden und dass dies keine wesentlichen Auswirkungen auf das Verhalten der Allgemeinheit besitzen werde. Diese Überzeugung galt insbesondere für Nebenstrecken, so dass diese als erste stillgelegt wurden. Erst in jüngster Zeit hat hier, bedingt durch erfolgreiche Reaktivierung und attraktive Ausges- taltung von Nebenstrecken, ein Umdenken bei den potenziellen Nutzern eingesetzt. 144 Im Zuge des Aus- bzw. Abbaus von Verkehrsinfrastruktureinrichtungen wird aber auch die Umwelt über neu hinzukommende bzw. über weggefallene Infrastruktur direkt be- einflusst. Hinzu kommt, dass die Veränderungen in der Verkehrsnachfrage und des ‘modal split’ dabei ebenso zu berücksichtigen sind. Insgesamt betrachtet liegt hier ein vielschichtiges Problem vor, das angesichts der finanziellen Überforderungen vor allem der kommunalen Haushalte nicht mehr allein durch eine öffentliche Lösung zu regeln ist. Abhilfe könnte hier nach Meinung des Verfassers vor allem eine Intensivierung des Wettbewerbs im eigenen Markt bieten. Es ist sicherlich richtig, wenn Höhnscheid fest- stellt, dass ein Wettbewerb im eigenen Markt für eine effiziente Produktion und inno- 144 Vgl. Forschungsprojekt „Stilllegung von Eisenbahnstrecken“ an der FH Erfurt (o.V., 2001d). 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 64 vatives Handeln sorgt (s. Kap. 1.4.2.2). Allerdings ist dabei anzumerken, dass es sich teilweise auch um die Erfüllung sozialstaatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben handelt. Zahlreiche Vorschläge haben sich daher auch mit der Regelung dieser gemeinwirt- schaftlichen Verpflichtungen der Verkehrsunternehmen auseinandergesetzt. Dabei ist zu beachten, dass gerade diese Bedingung, betriebswirtschaftlich unrentable Verkehre zu betreiben, eben kein Marktversagen darstellt. 145 Es bleibt sicherlich unverändert Aufgabe der Länder, durch Zuschüsse für eine aus- reichende Versorgung mit Nahverkehrsleistungen zu sorgen. An späterer Stelle wird noch ausführlicher darzustellen sein, dass dieser Verkehr nicht zwangsläufig schienen- gebunden sein muss. Denkbar sind vor allem solche Leistungsangebote, die für alle Beteiligten am wirtschaftlichsten sind, und zwar unabhängig von ihrer technischen Ausgestaltung. Dazu ist insbesondere eine Ordnungspolitik erforderlich, die sowohl die finanziellen Interessen und Möglichkeiten des Staates berücksichtigt als auch den Umweltschutz- gedanken in ihre Überlegungen einbezieht. Wenn das Ziel einer Verkehrsverlagerung vom MIV auf die Schiene in nennenswertem Umfang erreicht werden soll, dann ist die Verbesserung des Verkehrsangebots des ÖPNV einer der wichtigsten Schritte. Dann müssten aber auch die Verfügbarkeit, Fahrtdauer, Komfort und Marketing dieses Ver- kehrsmittels entsprechend modernisiert werden. Ein weiterer Gesichtspunkt der Bestandsaufnahme liegt nach Meinung des Verfassers darin, dass die Verwendung der von den einzelnen Bundesländern erhaltenen Zuschüsse für den ÖPNV (darunter für den Schienenpersonennahverkehr) anhand von überprüfba- ren Belegen nachzuweisen ist. Bislang ist davon auszugehen, dass die Mittel teilweise zweckentfremdend eingesetzt werden. Scheele/Sterzel sehen gerade in der Organisation des Nahverkehrs mit seinen undurchsichtigen Gebilden und der offensichtlichen Ver- quickung von Politik und Wirtschaft die eigentliche Ursache für die hinlänglich be- kannten Defizite. 146 Es besteht dennoch kein Zweifel, dass ein in allen Bereichen verbesserter und konkur- renzfähiger ÖPNV – betriebswirtschaftlich betrachtet – aus den genannten Gründen nicht kostendeckend geführt werden kann. Man kann aber genauso davon ausgehen, dass ohne gravierende Angebotsverbesserungen nur derjenige öffentliche Verkehrs- mittel nutzt, der darauf angewiesen ist. Dies sind in erster Linie Schüler und Studenten, Rentner und Pensionäre sowie Haushalte ohne Pkw. Dieser Anteil an ÖV-gebundenen Verkehrsteilnehmern wird in den nächsten zwei Jahrzehnten noch weiter abnehmen. Entscheidend sollte daher nicht das betriebswirtschaftliche Ergebnis, sondern das einer 145 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 25. 146 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 27. 1 METHODISCHES VORGEHEN UND WICHTIGE BEGRIFFE 65 umfassenden volkswirtschaftlichen Rechnung unter Einbeziehung aller externen Folge- und Umweltkosten sein. 147 Zusammenfassend sind also erheblich veränderte Verhaltensweisen aller Akteure (Poli- tiker und Anbieter von Verkehrsleistungen) notwendig, um den gesamten ÖPNV-Be- reich transparenter und übersichtlicher zu gestalten. Erst dann sind ein effizienter Einsatz von finanziellen Mitteln und eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit ÖPNV-Leistungen möglich. 147 Vgl. Wermuth (1996), S. 63 ff.; siehe auch die Darstellung bei Aberle (2003b), S. 581 ff. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 66 2 Die Krise des SPNV und mögliche Varianten ihrer Überwindung Es ist davon auszugehen, dass die Entwicklung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auch zukünftig das ‘Maß aller Dinge’ im gesamten Verkehrsbereich bleiben wird. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und bereits im ersten Abschnitt der vorlie- genden Arbeit eingehend erläutert worden. Dennoch ist die Zukunft des Schienenver- kehrs und hierbei im Besonderen des Personennahverkehrs nicht nur im Hinblick auf die Daseinsvorsorgeverpflichtung des Staates weiter zu beachten, sondern auch in seiner Bedeutung für die Gesamtwirtschaft. Jede Art von Produktion ist letztendlich mit Transportleistungen verbunden, was dazu führt, dass kein anderer Sektor der Volkswirt- schaft mit den übrigen Sektoren in einer derart intensiven Austauschbeziehung steht wie der Verkehrsmarkt. Seine tatsächliche Bedeutung reicht daher über jene hinaus, die durch Indikatoren der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung widerspiegelt wird. 148 Der Verkehr hat, wie jede andere Branche auch, Besonderheiten aufzuweisen, wobei schrittweise vor allem die Frage zu beantworten ist, welche verkehrspolitischen Schlüsse aus der Existenz dieser Branchenbesonderheiten gezogen werden sollten. Diese Besonderheiten sind aus der Sicht der Unternehmen auch als spezielle Risiken aufzufassen, auf die sie sich aber entsprechend einstellen können. Für die vorliegende Themenstellung und dabei vor allem für die Entwicklung strate- gischer Leitlinien für komplexe Nahverkehrslösungen ist entscheidend, inwieweit die Entwicklung des öffentlichen Personenverkehrs insgesamt beeinflussbar ist und inwie- weit sich die Situation für den SPNV dadurch verändern lässt. Es geht in diesem Kon- text auch um den zukünftigen gesellschaftlichen Stellenwert des SPNV und die Posi- tion, welche die Politik bei dessen Entwicklung einnimmt. Die daraus resultierende Frage nach einer Liberalisierung des Verkehrsmarktes ist nur zu berechtigt, wenn man sich jene Fehlentwicklungen vor Augen führt, die durch den Monopolisten Deutsche Bahn hervorgerufen worden sind, der letztlich durch fortwährende Regulierungspro- zesse geschaffen wurde. Es ist auch in diesem historischen Kontext eine originäre Auf- gabe der Eisenbahn, zur Kompensation solcher Entwicklungen eigenständige Deregulie- rungskonzepte zu entwickeln, die in einen gesamtwirtschaftlichen Verkehrsrahmen zu integrieren sind. Zur negativen Entwicklung im Schienenverkehr haben aber auch das öffentliche Dienst- recht 149 und die mannigfachen Eingriffsrechte von außen beigetragen. Der von der Poli- 148 Vgl. Laaser (1991), S. 313. 149 Zu verweisen ist hier besonders auf das öffentliche Angestellten- und insbesondere Beamtenrecht, das nicht mit einer effizienten, an Markt- und Serviceerfordernissen ausgerichteten Personalpolitik vereinbar ist, ferner sind die eher rigiden Laufbahn- und Besoldungsregelungen zu nennen. Solche 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 67 tik propagierte Konkurrenzschutz zugunsten der Staatsbahn in Form von monopolarti- gen Vorrechten und die staatliche Defizitgarantie haben gleichwohl den Abwärtstrend im Personenverkehr nicht verhindern oder aufhalten können. In den bestehenden Orga- nisationsstrukturen ging vor allem die Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft von Geschäftsleitung und Mitarbeitern verloren, die erforderlich ist, um sich den veränder- ten Bedingungen anzupassen. Die insgesamt bisher eher halbherzige Privatisierung der Bahn Mitte der 1990er Jahre hat jedenfalls nicht dazu geführt, die Krise des SPNV zu überwinden. Nach Ansicht des Verfassers muss deshalb für eine wirksame Überwindung dieser Krise die bisherige restriktive Regulierung grundsätzlich aufgegeben und für den Verkehrsmarkt eine Kon- zeption entwickelt werden, mit der vor allem die Potenziale des Wettbewerbs auf den Märkten für Eisenbahnverkehr umfassend ausgeschöpft werden können. 150 Ökono- mische Analysen zeigen, dass gerade wettbewerbliche Strukturen insbesondere im Be- triebsbereich zu effizienteren Ergebnissen führen können. Allerdings stößt die Über- nahme derartiger Allokationsverfahren in den infrastrukturellen Bereich der Eisenbahn auch auf Widerstand. 151 Der Ausgangspunkt für die Entwicklung und Bewertung von Strategien zur Überwin- dung der Krise des SPNV sind die Grundlagen des marktwirtschaftlichen Systems, wie es sich nicht nur in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg etabliert hat. Hier sollten sich die Aufgaben des Staates im Allgemeinen darauf beschränken, durch rechtlich- organisatorische Maßnahmen lediglich die Ausgestaltung der Wirtschaftsverfassung vorzugeben, innerhalb derer Anbieter und Nachfrager auf dem Markt miteinander in eine Austauschbeziehung treten können. Dabei gilt ein funktionierender Wettbewerb als Leitbild, dessen wesentlichste Ziele darin bestehen, eine wirksame Fusionskontrolle auszuüben und den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern. 152 Die Bedingung der Ordnungskonformität erfordert, dass die ordnungspolitischen Maßnahmen und deren Inhalt dem Grundtypus dieser Wirtschaftsordnung entsprechen. Wenn sich auf dieser Grundlage die Institution Markt als die wirksamste Organisations- form für die Allokation etabliert hat, dann wären staatliche Eingriffe nur in solchen Fällen systemadäquat, also „erlaubt“, in denen ein Marktversagen vorliegt. Hierbei wäre dann bei jedem korrigierenden Eingriff nachzuweisen, dass die staatliche Beeinflussung der Marktallokation produktiver ist als der reine Marktmechanismus. 153 Allgemein lässt sich staatliche Intervention daher in der Regel nur in den Fällen begründen, in denen es Aspekte waren vor Einleitung der Bahnreformen in den 1990er Jahren selbstverständlich noch gravierender ausgeprägt als derzeit; vgl. Reinhardt (1996), S. 374. 150 Vgl. Knieps (1996), S. 14. 151 Vgl. Laaser (1991), S. 306 ff. 152 Vgl. zu diesen Rahmenbedingungen und Zielstellungen auch die zusammenfassende Darstellung von Diebold (1984). 153 Vgl. Bartmann und Schmidt, (1988), S. 385. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 68 um die Beseitigung von endogenen Instabilitäten durch staatliche Beschäftigungs- und Stabilisierungspolitik geht. Gegenüber anderen Bereichen in der Volkswirtschaft ist der Verkehrsmarkt traditionell stärker durch restriktive ordnungspolitische Rahmenbedingungen gekennzeichnet. Die historischen und politischen Hintergründe wurden vorausgehend bereits erörtert. Die im Laufe der Zeit entstandene Regelungsdichte und die staatliche Interventionsintensität hatten mithin zur Folge, dass der Verkehrsbereich in Deutschland bis Anfang der 1990er Jahre sogar als Fremdkörper im System der sozialen Marktwirtschaft angesehen und kritisiert wurde. 154 Erst die Wirkungen der europäischen Integration mit den ent- sprechenden Verordnungen der EU und die Privatisierung der Bahn haben eine gewisse Liberalisierung eingeleitet und die bis dahin vorherrschende Tendenz zu Restriktionen zurückgedrängt. Für diesen historisch gewachsenen Regulierungsgrad spielen natürlich nicht nur politi- sche Entscheidungen eine Rolle. Die Regulierungsdichte korrespondiert vor allem mit den so genannten externen Effekten des Verkehrs. In der damit zusammenhängenden Diskussion, die sich auf Umweltschutzmaßnahmen und die Auswirkungen des Baus neuer Verkehrswege konzentriert, wird deutlich, dass der Verkehr nur teilweise die von ihm verursachten Kosten trägt. Bezogen auf die Verkehrsträger und dabei insbesondere auf die Verkehrswege wird häufig auf deren Kollektivcharakter hingewiesen, der ein effizientes Angebot über den Markt verhindere und den Staat zum Eingreifen zwinge. 155 Oftmals werden diese Güter auch als öffentliche Güter bezeichnet, was ebenfalls einen staatlichen Eingriff bei deren Bereitstellung legitimieren würde. Im Gegensatz zu anderen Ländern wird in Deutschland in der Diskussion bislang die Meinung vertreten, dass der Verkehr als wettbewerbspolitischer Ausnahmesektor zu beurteilen sei, da die öffentlichen und die privaten Unternehmen offenbar nicht in der Lage seien, gesamtwirtschaftlich vernünftige und aufeinander abgestimmte Investitions- und Preisentscheidungen zu treffen. 156 Daraus wird dann gefolgert, dass eine ausschließlich wettbewerbsorientierte Angebotssteuerung zu einer gesamtwirtschaftlich ungünstigen Marktversorgung und damit zu Wohlfahrtsverlusten führen könne. 157 Dies ist eine These, die – auch aus der spezifischen Sicht der hier behandelten Thematik – grundsätzlich zu hinterfragen ist. Es ist also zu prüfen, ob Verkehrsleistungen überhaupt wirtschaftlich produziert werden können. Weiterhin ist auch darüber zu befinden, ob die Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln so erfolgt, dass ein möglichst geringer Einsatz an Pro- 154 Vgl. Aberle (2003b), S. 117. 155 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 255. 156 Eine Vorreiterrolle hinsichtlich des Transfers ‘liberalistischer’ Modelle auch auf den Verkehrs- bereich nahmen unter den anderen Ländern die USA ein; vgl. Diebold (1984), S. 155 ff. 157 Vgl. Aberle (1992), S. 67. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 69 duktionsfaktoren notwendig ist und zugleich wirtschaftspolitische (wie z.B. regional- politische) Zielsetzungen optimal erfüllt werden können. Die rationelle Produktion von Verkehrsleistungen besitzt dabei aus gesamtwirtschaft- licher Sicht eine andere Bedeutung als für den einzelnen Nachfrager. Während der ein- zelne Kunde in der Regel nur an einem möglichst billigen und sicheren Angebot von Transportleistungen interessiert ist, sind aus gesamtwirtschaftlicher Sicht auch die ex- ternen Kosten und der externe Nutzen – vor allem die technologischen externen Ef- fekte – zu berücksichtigen. Eine Besonderheit bei der Erörterung von strategischen Varianten der Krisenüberwin- dung bezieht sich im Zusammenhang mit dem Streckennetz der Eisenbahn auf die öko- nomischen Auswirkungen natürlicher Monopole. Dabei kann beim Vorliegen von sog. „sunk costs“ durchaus eine staatliche Marktregulierung notwendig werden, wenn sich nur auf diese Weise diskriminierendes Verhalten oder eine sonstige Marktbeherrschung verhindern lassen. 158 Die Aufgabe des Staates sollte sich also insgesamt, unabhängig von der Handhabung beim Streckennetz, auf die Vorgabe der entsprechenden ordnungspolitischen Rahmen- bedingungen beschränken. Auch wenn der Staat die Garantie für eine adäquate Leis- tungserbringung im ÖPNV übernimmt, muss damit nicht zwingend auch die Verant- wortung für die Finanzierung und Durchführung dieser Leistung verbunden sein. 159 Ergänzend sei an dieser Stelle noch auf einen weiteren Faktor, der den SPNV häufig auch als innovationsfeindlich und wenig leistungsfähig erscheinen lässt, hingewiesen, und zwar auf die umfangreiche Genehmigungspflicht für eine gewerbliche Beförderung von Personen, also die Bedingung für eine unternehmerische Teilnahme am Verkehrs- markt. Voraussetzung für diese Genehmigung, deren Vergabe in den einzelnen Bun- desländern unterschiedlich geregelt ist, ist die Beantragung einer Konzession. Mit deren Erteilung entsteht gleichzeitig eine sofortige Betriebspflicht, und es sind sämtliche wesentlichen Angebotsinhalte dem Aufgabenträger zur Genehmigung vorzulegen. Dabei hat die zuständige Behörde das Recht, den Leistungserbringer zur Abänderung seiner vorgelegten Pläne zu zwingen. Diese gesetzlichen Vorschriften sind Ausdruck eines fast vollkommen durchregulierten und überwachten Nahverkehrs und kommen in ihrer Wirkung einem Beherrschungsvertrag gleich. Neben den ökonomischen und rechtlichen Aspekten, die mit dem Funktionieren der Marktmechanismen im Verkehrsbereich korrespondieren, gibt es auch eine Reihe von politischen Gründen, die in der Vergangenheit zu Regulierungseingriffen geführt haben. Auf diese Aspekte wird der Verfasser im weiteren Verlauf der Untersuchung noch häu- figer zurückkommen. 158 Vgl. Aberle (2003b), S. 105. 159 Vgl. Scheele und Sterzel (1999), S. 6. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 70 2.1 Grundlagen eines marktwirtschaftlichen Ansatzes für die Weiterentwicklung des SPNV 2.1.1 Wettbewerb versus Marktmacht Der Wettbewerb ist in einem marktwirtschaftlichen System von allgemeiner instru- menteller, ja konstituierender Bedeutung. Da das Eisenbahnwesen stärker als andere Bereiche der Wirtschaft reguliert, d.h. partiell von den Wirkungen des Wettbewerbs abgeschirmt ist, ergeben sich daraus Spannungen und Konfliktfelder, die gerade bei der anstehenden grundlegenden Umstrukturierung zu einem Basishemmnis für jede Ver- änderung werden. 160 So sind etwa wesentliche Antriebselemente des Wettbewerbs, wie das Gewinnstreben der Anbieter oder der Kampf um die Erringung von Marktanteilen und deren Erhalt, hier zum Teil außer Kraft gesetzt. Es ist jedoch vor allem der funk- tionsfähige Wettbewerb, der – in quantitativer wie qualitativer Hinsicht – zu einer der Nachfrage entsprechenden Marktversorgung führt. 161 Funktionierender Wettbewerb ist aber nicht nur mit Gewinn- und Vermögenszuwachs- perspektiven verbunden, sondern wirkt über die Konkurrenz geradezu als Zwang für die Unternehmen zur Anpassung an veränderte Marktbedingungen. Über den Selbststeue- rungsmechanismus beim Ausgleich von Angebot und Nachfrage und den sich einstel- lenden Gleichgewichtspreis führt dieser Prozess über die damit verbundenen Signale an andere Märkte und die so induzierten wechselseitigen Anpassungen zur Allokation der Produktionsfaktoren. Wird der Wettbewerb allerdings eingeschränkt, dann hat das zur Folge, dass auch die optimale Allokation der Produktionsfaktoren blockiert wird. Im Laufe des Wettbewerbs beispielsweise durch Größenwachstum errungene oder durch eine privilegierte Stellung wie im Falle der Bahn errungene Marktmacht stellt sich dann als die Fähigkeit eines Marktteilnehmers dar, die für die Durchsetzung eige- ner Zielvorstellungen wichtigen Marktgrößen entscheidend zu beeinflussen. Markt- markt ist dabei nicht an sich wettbewerbsschädlich. Vorübergehende Marktmachtposi- tionen, die etwa durch technischen Fortschritt erlangt worden sind, sind wettbewerbs- immanent und wettbewerbspolitisch unbedenklich. 162 Problematisch wird eine solche Machtposition erst, wenn dadurch die unternehme- rischen Handlungsspielräume anderer Marktteilnehmer eingeschränkt werden. Im Ge- setz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) werden die Unternehmen, die über 160 Vgl. hierzu die zusammenfassende Darstellung bei Knieps (1996) sowie Knieps und Brunekreeft (2003). 161 Vgl. Aberle (1992), S. 17. 162 Vgl. Aberle et al. (1995), S. 75. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 71 eine wettbewerbsgefährdende Marktmacht verfügen definiert. 163 Damit ist ein ent- sprechender ordnungspolitischer Rahmen gesetzlich vorgegeben, mit dem einer wett- bewerbsbeschränkenden Marktmacht gegengesteuert werden kann, wobei in der Recht- sprechung das Hauptaugenmerk zur Bestimmung von Marktmacht auf das Bewertungs- kriterium Marktanteil gerichtet ist. Im Falle der Bahn AG liegt damit bislang natürlich eine nahezu unbeschränkte Markt- macht auf dem Sektor des schienengebundenen Verkehrs vor. Prinzipiell führt eine der- artig ausgeprägte Marktmacht vor allem dazu, dass die dynamischen Wettbewerbsfunk- tionen, die in der Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen und einer Sti- mulierung des technischen Fortschrittes bestehen, vernachlässigt werden können. 164 Jede zeitliche Verzögerung oder gar ausbleibende Reaktionen z.B. in einem Monopol kann so auch zur Ursache für mangelnde Effizienz bei der Leistungserstellung werden. So wird ein Monopolist Forschungs- und Entwicklungsarbeiten eher unterlassen oder verzögern, wenn sie auf eine Reduzierung von Subadditivitäten der Kostenfunktion ge- richtet sind, da bei einem Erfolg dieser Innovationsaktivitäten immer die Gefahr besteht, dass weitere Wettbewerber auf dem Markt auftreten. 165 Einen theoretischen Zugang zur Bewertung des Marktmachtproblems bei Vorliegen eines Monopols oder einer nur geringen Anzahl von Anbietern liefert die Theorie der bestreitbaren Märkte (‘Perfectly contestable market’). Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob aktiver oder potenzieller Wettbewerb möglich ist. Dieser theoretische Zugang greift dann, wenn sich die benötigten Produktionsfaktoren nicht als so spezi- fisch erweisen, dass diese Kosten bei einem eventuellen Marktaustritt irreversibel, d.h. „verloren“ sind. 166 Bestehen weder Markteintritts- noch Marktaustrittsbarrieren, so wird dem Marktanteil und damit der Marktmacht die Dauerhaftigkeit entzogen. Wenn potenzielle Konkurren- ten jederzeit in den Markt eintreten können, dann sind die dort möglicherweise vorhan- denen Marktmachtpositionen wettbewerbspolitisch unbedenklich. 167 Damit liegt hier ein wesentlicher theoretischer Ansatzpunkt für die ordnungspolitische Ausrichtung der im Eisenbahnwesen anstehenden Strukturveränderungen. Die Marktform und die Möglichkeiten für neue Anbieter, in einen Markt einzutreten, werden aber nicht nur durch die Markteintrittsschranken beeinflusst, sondern genauso durch das Marktverhalten der im Markt bereits befindlichen Anbieter bestimmt. Auch 163 Danach werden unterschieden: marktbeherrschende Unternehmen (i.S. von §§ 22 und 23 GWB), Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, soweit von ihnen kleine oder mittlere Unter- nehmen abhängig sind (i.S. von § 26 Abs.3. GWB), und Unternehmen, die gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen überlegen sind (§ 26 Abs.4.). Vgl. Aberle et al. (1995), S. 76. 164 Vgl. hierzu auch die Hinweise von Berg (1987) zur „Marktbeherrschung“. 165 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 202 ff. 166 Vgl. Baumol et al. (1982). 167 Vgl. Aberle, Brenner, Hedderich (1995), S. 78. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 72 hier besteht eine der Voraussetzungen für das Funktionieren von Wettbewerb darin, dass das Güterangebot zumindest zwischen mehreren Anbietern aufgeteilt werden kann. Sind viele Anbieter und/oder Nachfrager vorhanden, so können sie aufgrund ihres geringen Marktanteils den Preis nicht beeinflussen. Wird ein freier Zugang oder Abgang für die Marktteilnehmer aber verboten oder behindert, dann liegt ein unvollkommenes Pleiopol vor. 168 Diese durch den Marktzugang charakterisierte Marktform hat natürlich entsprechende Auswirkungen auf die Preisbildung, wie im Falle der Tarifpolitik der Bahn AG. Für die Eisenbahn mit ihrem Schienennetz sind die Probleme, die technisch bedingte Unteilbarkeiten mit sich bringen, von besonderem Interesse. Um in diesen Bereichen mit Unteilbarkeiten den Wettbewerb funktionsfähig zu erhalten, sollten zumindest organisatorische Teilungen, wie die Ausgliederung der Netzbetreiber, durchgesetzt wer- den, um sie dem potenziellen Wettbewerb und Druck des Kapitalmarktes aussetzen zu können. 169 Damit würde im Gegensatz zum Verbundmonopol, das kostengünstigeren Zugbetreibern die Netzbenutzung in der Regel verwehrt, ein Anreiz zur optimalen Nut- zung des Netzes geschaffen. Parallel dazu entfiele die Möglichkeit einer Quersubven- tionierung. Nun sind es aber gerade staatliche Institutionen, die durch unterschiedliche Markt- zugangsbedingungen selbst für Wettbewerbsverzerrungen sorgen, wie dies insbesondere die hohen finanziellen Leistungen des Bundes an die Deutsche Bahn AG z.B. für den Regionalverkehr vermuten lassen. Durch diese Zuschüsse werden teils auch Strecken- stilllegungen verhindert, was eine Übernahme von Strecken durch potenzielle private Anbieter unmöglich macht. Potenzielle Konkurrenz hängt aber auch von den Markt- zutrittsschranken ab, die im Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten und in der Verfügbarkeit der entsprechenden Technologie notwendig werden. Für in den Markt drängende neue Anbieter wirken aber die Effizienzvorteile der altein- gesessenen Unternehmen, die sich aus Betriebsgrößenvorteilen, Produktdifferenzie- rungsvorteilen und absoluten Kostenvorteilen ergeben, wie Marktzutrittsschranken. In Abhängigkeit von der Schwierigkeit des Markteintrittes für neue Unternehmen ent- wickeln sich die Wettbewerbsintensität und die Koordinationsmöglichkeiten gegenüber dem Neueintretenden. 170 Dieser Wettbewerb ist dabei sowohl als freier als auch als ein regulierter Prozess denkbar. Dabei gibt es nicht nur den „offenen“, sondern auch einen verdeckt ablaufenden Wettbewerb. Oftmals verbleibt gerade dieser „Geheimwett- bewerb“ als einzige Alternative für die Marktteilnehmer, unterschiedliche Leistungs- stärken wirksam werden zu lassen, um damit staatliche oder private Regulierungen des Wettbewerbs zu umgehen. 168 Vgl. Machlup (1952). Für eine Kurzübersicht zu möglichen Marktformen sei auf den Beitrag von Oberender (1987) verwiesen. 169 Vgl. Welfens (1995), S. 229. 170 Vgl. auch Berg (1987). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 73 Andererseits gibt es aber auch Konstellationen, bei denen es wirtschaftlich nicht sinn- voll wäre, den Wettbewerb in der vollen Produktionstiefe bisheriger Alleinanbieter durchzusetzen. So ist es bei der existierenden Dichte der Besiedlung volkswirtschaftlich offensichtlich unsinnig, etwa parallel verlaufende Beförderungsnetze bzw. Trassen für konkurrierende Anbieter zuzulassen und zu etablieren. Staatliche Zugangsschranken, die sich daraus ergeben, sind neben der Sicherung von staatlichen Monopolbetrieben (früher z.B. bei Post und Fernmeldewesen) im Falle der Eisenbahn auch aufgrund von Netzbildungserfordernissen durchaus notwendig. Scheele/Sterzel 171 verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass wegen der über- ragenden Bedeutung, die der ÖPNV hat, insgesamt nicht an der im Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes verankerten Gewährleistungspflicht des Staates für die Erfüllung der öffentlichen Infrastrukturaufgabe gerüttelt werden dürfe. Gegenstand einer systemadäquaten Regulierung dürften daher nur die so genannten „Bottleneck“-Bereiche sein, die typischerweise durch Bündelungsvorteile in Kombina- tion mit irreversiblen Kosten gekennzeichnet sind (beispielsweise Flughäfen, Schie- nenwege u.a.). 172 Für die anderen Netzbereiche dagegen erscheinen Regulierungsein- griffe überflüssig und sollten in Verhandlungen zwischen den einzelnen Marktparteien zu effizienteren Lösungen führen. Im Hinblick auf ihre komplexe Eigentümerstellung hat die Deutsche Bahn AG von der letztgenannten Variante vermutlich bewusst keinen Gebrauch gemacht. Liegen keine Hindernisse hinsichtlich Markteintritt bzw. -austritt vor, verliert das Problem der Marktmacht seine Bedeutung, da potenzielle Konkurrenten jederzeit in den Markt eintreten können. In einem derartigen theoretischen Grenzfall eines vollständigen bestreitbaren Marktes wären selbst Unternehmen mit großen Marktanteilen wett- bewerbspolitisch unbedenklich, da bei Vorliegen eines „bestreitbaren“ Marktes im Falle des Marktaustrittes keine irreversiblen Kosten anfallen und demzufolge die Markt- zugangsschranken niedrig sind. Im Unterschied zu den regulierenden Eingriffen in den Markt, die durch marktspezi- fische Maßnahmen das Verhalten von Unternehmen beeinflussen, sollen mit den allge- meinen ordnungsrechtlichen Rahmensetzungen monopolistischer Machtmissbrauch und ruinöser Wettbewerb verhindert bzw. korrigiert werden. Solche Rahmensetzungen sind konzipierbar als Qualitätsstandards, Produktionsauflagen, Berufsordnungen oder Vor- schriften zur Preis- und Tarifgestaltung. 171 Vgl. Scheele und Sterzel (1999), S. 6. 172 Vgl. Knieps (2003), S. 10. – Hinweis: Selbst in diesen Bottleneck-Bereichen stellte sich in der jüngsten Vergangenheit durch innovative Infrastrukturmaßnahmen ein wenn auch wirtschaftlich untergeordneter, so doch zumindest partieller Wettbewerb ein (Beispiele: Flughäfen „Frankfurt“- Hahn/Hunsrück, Flughafen „Düsseldorf“-Niederrhein). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 74 Das Eingreifen des Staates sichert aber nicht nur – im günstigsten Fall – den gesamt- wirtschaftlich notwendigen Grad an Wettbewerbsfreiheit, sondern es ist in anderen Fäl- len auch selbst für Einschränkungen der Wettbewerbsfreiheit verantwortlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Staat nicht nur mit dem Erlass von Regeln zur Ver- meidung privater Wettbewerbsbeschränkungen ‘begnügt’, sondern aktiv in das Markt- geschehen eingreift. Hier übt er letztendlich selbst Marktmacht aus und schränkt daneben auch den Wettbewerb ein. 173 Diese Art von Marktmacht äußert sich in der Regel in der Möglichkeit, durch bestimmte Maßnahmen den Markt und durch unternehmensindividuelle Aktivitäten den Marktpreis zu beeinflussen. Diese künstlichen Monopolstellungen werden durch staatliche Markt- zugangsbeschränkungen, durch Erhaltung oder Schaffung von natürlichen Monopol- stellungen, aber auch durch kollusives Verhalten von Marktteilnehmern geschaffen. Eine Marktmachtbeeinträchtigung des Wettbewerbs durch diese Marktmacht kann dabei durchaus zu einer missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht führen und damit wettbewerbseinschränkend wirken. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Unter- suchung wären vor allem die Verdrängungs- oder Diskriminierungsstrategien so zu cha- rakterisieren. Bei einer Verdrängungsstrategie richtet sich das Verhalten des Marktbeherrschers direkt gegen einen neuen Wettbewerber, beispielsweise durch ‘Kampfpreisunterbietungen’. Dabei positioniert einer von zwei Anbietern sein Angebot so, dass die Absatzkurve des anderen Anbieters unterhalb von dessen eigener Stückkostenkurve verläuft. Für einen Marktteilnehmer ist eine Strategie zur Verdrängung von Mitkonkurrenten wirtschaftlich nur dann sinnvoll, wenn danach auch die Durchsetzung von überhöhten Preisen möglich ist und das letztendlich verbleibende Unternehmen nicht dem Druck potenzieller weiterer Konkurrenten ausgesetzt ist. Bei einer Diskriminierungsstrategie geht es um die ungleiche Behandlung von Abneh- mern durch einen Verkäufer. Mittels unterschiedlicher Preisfestsetzungen durch einen marktbeherrschenden Unternehmer für ein weitgehend gleichartiges Produkt versucht man damit, den Gewinn gegenüber einer Einheitspreispolitik zu steigern. Die Diskrimi- nierungsproblematik wird vor allem bei regionaler Preisdifferenzierung wirksam, wenn unterschiedliche Marktverhältnisse und unterschiedliche Präferenzen bei den Nachfra- gern auf den verschiedenen Märkten erlös- und gewinnwirksam eingesetzt werden und wenn der höhere Preis nicht durch künstliche Wettbewerbsbeschränkungen, sondern durch Leistungsvorteile durchgesetzt wird. Generell intensivieren regionale Preisunterschiede zwar den Wettbewerb, jedoch können sie auch dazu benutzt werden, andere Marktteilnehmer zu verdrängen. Ein Ex- trembeispiel ist das Dumping, d.h. eine Preisfestsetzung zu Grenzkosten. Den regiona- 173 Vgl. Aberle (1992), S. 52. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 75 len Verlust müssten hier die Nachfrager auf anderen regionalen Märkten mit ent- sprechend erhöhten Preisen tragen. Da die Deutsche Bahn AG bislang mit Ausschließlichkeitsverträgen oder mit Gebiets- schutzklauseln arbeitet, um ‘unliebsame’ Konkurrenz fernzuhalten, stellen Markt- zutrittsschranken im erörterten Sinne einen theoretischen Zugang zur Erklärung des praktischen Verhaltens der DB dar. Der im Verkehrsbereich vergleichsweise restriktive ordnungspolitische Rahmen, also die gegenseitige Abgrenzung und inhaltliche Bestimmung der Entscheidungs- und Handlungsspielräume der einzelnen Wirtschaftsakteure, wird vor allem über eine Kapa- zitätsbeeinflussung durch Marktzugangsregeln für Anbieter von Verkehrsleistungen und über staatliche Eingriffe in der Preisbildung auf den Transportmärkten (Koordinie- rung der Preispolitik) wirksam. 174 Das zukünftige Hauptproblem auf dem Verkehrsmarkt wird aber nicht nur in der orga- nisatorischen Abstimmung zwischen „angreifbaren“ Netzen liegen, sondern vor allem im Netzzugang, auf den konkurrierende Anbieter ja angewiesen sind, da die Investitio- nen in Eisenbahnschienen nach wie vor zu den irreversiblen Kosten zählen, die mit einem bestimmten Markt verbunden sind. Beabsichtigt etwa ein Anbieter von Gleisanlagen neu in den Markt einzutreten, so besitzt der alteingesessene Netzbetreiber bisher die Möglichkeit, in seinen Zugangstari- fen nur die variablen Betriebskosten zum Ansatz zu bringen, um damit den Zutritt eines Marktneulings zu verhindern, da zu den entscheidungsrelevanten Kosten nämlich auch die Schieneninvestitionen gehören, die durch die Tarife nicht gedeckt sind. Daher kann ein Investor unter bisherigen Bedingungen durchaus davon ausgehen, dass nach Fertigstellung des Schienennetzes kaum mit dem Marktzutritt weiterer Investoren zu rechnen ist. Im Gegensatz zu anderen Verkehrsbetreibern besitzt also der Schienen- wegbetreiber ein bestimmtes Machtpotential. Damit wird auch deutlich, welch entschei- dende Rolle die Ausgestaltung der Marktmachtregulierung von monopolistischen Netz- betrieben heute und zukünftig spielen wird. Diese Regelungen werden entscheidende Auswirkungen auf das Funktionieren des Wettbewerbs auf komplementären Märkten haben. Allgemein lässt sich festhalten, dass bei niedrigen Marktzugangsschranken eine markt- beherrschende Stellung eher unwahrscheinlich ist. Die Beeinflussung durch Marktmacht wird also umso geringer sein, je bestreitbarer der betreffende Markt ist und je einfacher die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie zu den bestmöglichen Technologien sind. Ferner wird die Marktmacht grundsätzlich abneh- men, je niedriger die bei einem Marktaustritt verbundenen sunk costs ausfallen und je eher ein potenzieller Anbieter beim Markteintritt vermuten kann, dass der alteingeses- 174 Vgl. Aberle (2003b), S. 117. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 76 sene Monopolist seinen Preis entsprechend lang nicht verändert. Hier ist bereits dann schon von einem Marktzutritt von Konkurrenten auszugehen, auch wenn der Preis des seitherigen Anbieters nur geringfügig über den Kosten liegt. 175 Das Marktmachtproblem wird aber immer dann auftreten, wenn die Kostenfunktion subadditiv ist und der Monopolmarkt entweder überhaupt nicht oder nur sehr schwer bestreitbar ist. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist ein Marktzutritt jedenfalls dann erwünscht, wenn dieser im Sinne von Innovationen wirkt, d.h. zu einer wesentlich kostengünstigeren Bereitstellung des betreffenden Wirtschaftsgutes führt. 176 2.1.2 Die Auswirkungen des Wettbewerbs auf den SPNV Aktiver oder potenzieller Wettbewerb im SPNV kann sich nur entfalten, wenn es gelingt, Ausschließlichkeitsrechte und Privilegien von Altunternehmern zu beseitigen. Wettbewerb um nicht kostendeckende Märkte ist dann möglich, wenn es durchsetzbar wird, jenen Unternehmer durch Ausschreibung zu ermitteln, der bereit ist, die hinsicht- lich Qualität und Menge festgelegten Mindestleistungen zu den günstigsten Bedingun- gen anzubieten. Unter dem Gesichtspunkt des Spannungsverhältnisses von Wettbewerb und Marktmacht wird der uneingeschränkte Zugang zu den Streckennetzen für sämtliche aktiven oder potenziellen Anbieter von Netzleistungen zu einer zwingenden Voraussetzung für funk- tionierenden Wettbewerb. Es ist daher sinnvoll, Regulierungsinstrumente auf diejenigen Netzbereiche zu beschränken, auf denen tatsächlich Marktmacht blockierend wirkt. Die uneingeschränkte Anwendung dieser Instrumente wäre allerdings wettbewerbspolitisch kontraproduktiv, da sie zur umfassenden Regulierung des gesamten Schienennetzes führen würde. Bei der Bahn müssen die vorliegenden Netzstrukturen außerdem nicht von vornherein Marktmacht im oben behandelten Sinne bedeuten, weil die netzgebundenen Infrastruk- tureinrichtungen hohe Fixkosten und relativ geringe variable Kosten bewirken. Selbst bei einem einzigen Anbieter für eine bestimmte Region muss nicht immer ein Problem der Marktmachtregulierung vorliegen (z.B. wenn ein Busunternehmer allein auf einer bestimmten Fahrtstrecke in der Region verkehrt). Die theoretischen Grundlagen für eine lokale Entflechtung von Marktmacht in Netzen wurden durch Baumol seit den 1970er Jahren mit dem Modell vom „vollkommen be- streitbaren Markt“ erarbeitet. 177 Voraussetzung ist dabei der auf Annahme „vollständi- 175 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 208 ff. 176 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 208 ff. 177 Vgl. Aberle (1992), S. 46. – Zusammenfassende Darstellung bei Baumol et al. (1988). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 77 ger Konkurrenz“ basierende Abbau aller gesetzlicher Zutrittsschranken. Dieses Modell zeigt, unter welchen Voraussetzungen potenzielle Konkurrenten den fehlenden Wettbe- werb zwischen aktiven Marktteilnehmern im Falle angreifbarer natürlicher Monopole ersetzen können. Danach können auch Oligopole und Monopole wettbewerbspolitisch unbedenklich sein, soweit sie vollkommen „bestreitbar“ sind. Auf einem vollkommen bestreitbaren Markt ohne Markteintritts- und Marktaustrittsbarrieren wird folglich jeder überhöhte Preis der eingesessenen Anbieter potenzielle Konkurrenten anziehen. Wenn erstere daraufhin ihre Preise wieder senken, könnten dann die potenziellen Konkurren- ten quasi „kostenlos“ den Markt wieder verlassen. Der Zwang zu wettbewerblichem Verhalten liegt danach schon im Vorhandensein der potenziellen Konkurrenz begründet. In dem angesprochenen Referenzmodell bestehen die Voraussetzungen, unter denen potenzielle Konkurrenz den fehlenden Wettbewerb zwischen aktiven Marktteilnehmern bei Bestehen eines natürlichen Monopols ersetzen kann, vor allem in Folgendem: 1. Im freien Marktzutritt aller potenziellen Wettbewerber, die ohne zeitliche Verzöge- rung Zugang zu gleichen kostengünstigen Technologien haben. 2. In der Verneinung von irreversiblen Kosten, da die für einen Markteintritt notwendi- gen Investitionen bei einem Marktaustritt wieder zurückholbar sind. Ein Marktaus- tritt ist daher ohne größeren Aufwand und Zeit möglich. 3. Im so genannten Bertrand-Nash-Verhalten, wonach die potenziellen Wettbewerber bei der Beurteilung ihrer Marktmachtchancen die derzeit gültigen Marktpreise der alteingesessenen Unternehmen als gegeben hinnehmen und den aktuellen Preis unterbieten. Dies ist allerdings nur bei vollständiger Information der Marktteilneh- mer möglich. Unter diesen Voraussetzungen liegt selbst dann, wenn wegen der Bündelungsvorteile nur ein aktiver Anbieter auf dem Markt vorhanden ist, keine netzspezifische Markt- macht vor. Diese Disziplinierungswirkung des potenziellen Wettbewerbs in angreif- baren natürlichen Märkten hat nämlich hier zur Folge, dass keine über die Kapitalver- zinsung risikobehafteter Anlagen hinausgehenden Gewinnmöglichkeiten gegeben sind. 178 Mit der Marktmacht eines eingesessenen natürlichen Monopols kann daher nur in den Teilbereichen gerechnet werden, die sich nicht nur durch Bündelungsvorteile auszeichnen, sondern auch durch irreversible Kosten. Bündelungsvorteile in Kombina- tion mit irreversiblen Kosten treten typischerweise bei erdverbundenen Netzen und Netzteilen auf, also beispielsweise bei Schienenwegen. Bei der Prüfung, ob Wettbewerb im Schienennetz möglich ist, muss man im Hinblick auf ‘sunk costs’, die bei einem Marktaustritt zutreffen können, berücksichtigen, dass dieser Umstand für einen potenziellen Wettbewerber in jedem Fall zunächst entschei- dungsrelevant ist. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch darauf hinge- 178 Vgl. Knieps (2003), S. 11. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 78 wiesen, dass es sich hier um eine sog. ‘essential facility’ handelt, welche eine besondere wettbewerbspolitische Behandlung notwendig mache. 179 Da aber für einen Großteil dieser ‘sunk costs’ staatliche Regelungen gelten, der Staat darüber hinaus derzeit noch den Marktzutritt blockieren kann, stellt dies zumindest für den Schienenbetrieb keine Begründung für eine staatliche Regulierung dar. Nach Meinung des Verfassers ist viel- mehr eine Trennung von Netz und Betrieb bzw. Deregulierung zu bevorzugen, weil gerade aufgrund von „verlorenen Kosten“ Wettbewerb sowohl im Netz als auch im Be- trieb unmöglich ist. Derartige Deregulierungen haben sich – unter „Vorreiterfunktion“ der angelsächsischen Volkswirtschaften – etwa seit den 1980er Jahren europa- wie deutschlandweit in et- lichen Wirtschaftsbereichen bewährt, wenngleich hier die nur teilweise gelösten Ko- ordinationsprobleme zwischen Netz- und Betriebsbereich bei den einzelnen Unterneh- men nicht unerwähnt bleiben sollten. 180 Insgesamt scheint die „Entstaatlichung“ der Nutzung einer Netzinfrastruktur bzw. entsprechenden Leistungserbringung (verkehrs- bezogenes Beispiel: EVU) jedoch einfacher realisierbar zu sein als die Deregulierung im eigentlichen Netzbereich (Versorgungs- bzw. Verkehrsinfrastruktur, EIU). Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit die Grundbedingungen der angreifbaren Märkte in der Realität überhaupt vorkommen. Die Antwort ergibt sich hier nach Auffas- sung von Knieps 181 von selbst, da gerade ein wesentliches Merkmal der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf den offenen Märkten für Netzdienstleistungen darin besteht, dass Unternehmensstrategien wie z. B. Produkt- oder Preisdifferenzierun- gen u.a. auch strategisch genutzt werden können. Zudem können auch Informations- probleme eine Rolle spielen. Die Tatsache, dass das Modell der angreifbaren Märkte nicht umfassend die Realität wiedergibt, kann allerdings nicht als Beleg dafür verwen- det werden, dass der Wettbewerb grundsätzlich nicht funktionieren kann. Damit wird aber das Problem von Marktzutrittshemmnissen und damit die Interpreta- tion einzelner Tatbestände als Marktzutrittsschranke ebenso wenig gelöst wie jene Frage nach der Geschwindigkeit, mit der die alteingesessenen Unternehmer auf einen Markteintritt reagieren können, und ferner, wie schnell die Situation für den potenziel- len Konkurrenten unprofitabel werden kann. 182 Die Theorie der Contestable Markets ist daher nur auf preistheoretischem Gebiet relevant und weniger aus wettbewerbspoliti- scher Sicht. Im Zusammenhang mit der Netzöffnung und dem wettbewerbsorientierten Angebot von Netzdienstleistungen müssen auch organisatorische Fragen beantwortet werden. Pro- bleme ergeben sich vor allem, wenn ein Anbieter von Netzdiensten den Zugang zu den 179 Vgl. Aberle (2003b), S. 105. 180 Vgl. auch Cox (2001), S. 65 ff.. Hinweis: In weiten Bereichen des ÖPNV stehen Deregulierungen allerdings noch aus. 181 Vgl. Knieps (2001), S. 11 f. 182 Vgl. Aberle (1992), S. 46. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 79 Netzinfrastrukturen benötigt und deshalb die Koordination und Kooperation zwischen unterschiedlichen Netzen notwendig wird. Eine Regulierung der Netzzugangsbestim- mungen sollte sich dann allerdings auf solche Netzzusammenschaltungsprobleme be- schränken, bei denen auch netzspezifische Marktmacht vorliegt. Folgt man den theoretischen Überlegungen, dann besitzen die Netzbetreiber wegen der Angreifbarkeit der Netze keine wirkliche Marktmacht, denn potenzielle Wettbewerber üben die Funktion von Marktmachtdisziplinierern aus. Man kann daher davon aus- gehen, dass über private Verhandlungen zwischen den verschiedenen Netzeigentümern ökonomisch vernünftige Lösungen ausgehandelt werden können. Dem einzelnen Netz- eigentümer verbleibt angesichts der angenommenen angreifbaren Netze auch keine andere Alternative. Gerade das in jüngster Zeit von der Deutschen Bahn AG praktizierte Verhalten hin- sichtlich des Netzzugangs fremder Anbieter zeigt, dass hier noch ein gewaltiger Verän- derungsbedarf besteht (wobei sich allerdings im Hinblick auf das Netzeigentum relativ einfach zu bewerkstelligende Lösungen anbieten). Dennoch wird von der Bahn immer noch mit der Behauptung der technischen Unteilbarkeit von Netz und Betrieb in der Debatte argumentiert. Nach Auffassung des Verfassers greifen jedoch die technischen Argumente, die gegen eine Trennung von Netz und Betrieb ins Feld geführt werden, nicht, da durch entsprechende Vorgaben in der Technik Netz und Betrieb sehr wohl aufeinander gestimmt werden können (diese Problematik wird an anderer Stelle noch näher diskutiert). Um allerdings den Wettbewerb zu erhalten, ist es notwendig, diese kritischen Produk- tionsbereiche organisatorisch, z.B. durch Ausgliederung der monopolistischen Netz- betreibergesellschaft, zu teilen. Damit könnte im Gegensatz zu einem weiter bestehen- den Verbundmonopol von Netz und Betrieb nach Ansicht des Verfassers der Eisen- bahnverkehr wettbewerbsintensiver, kundennäher und kostengünstiger gestaltet werden. Eine eigenständige Netzbetreibergesellschaft wäre nämlich dadurch in der Lage, freie Netzkapazitäten zur Nutzung auch an andere Interessenten abzugeben. Damit würde ein Anreiz nicht nur zur optimalen Nutzung des Netzes bestehen, sondern auch zur Verbes- serung der Marktperformance der Netzleistungen, die den Kunden zur Verfügung gestellt werden können. 183 Im Gegensatz dazu steht das Verbundmonopol, bei dem eventuell kostengünstigeren Zugbetreiberinteressenten der Zugang zum Streckennetz dadurch verwehrt wird, dass der Verbundmonopolist die Netzmiete so hoch ansetzt, dass dies jeden Konkurrenten von einem Einstieg abhält. Dabei ist ein Verlustausgleich für den Verbundmonopolisten derzeit noch durch eine Quersubventionierung möglich. 183 Vgl. Knieps (2003), S. 16. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 80 Ein zusätzliches Wettbewerbsproblem besteht für Anbieter von Netzkapazitäten darin, dass auch im angreifbaren natürlichen Monopol die Fixkosten und damit zusammen- hängende Größenvorteile ein beachtliches Gewicht haben. 184 Da die im Wettbewerb sonst erzielbaren Grenzkostenpreise nicht zu verwirklichen sind, ist eine Kostendeckung nicht möglich. Auch die Erhebung langfristiger Zusatzkosten, welche die fixen Kosten einer Kapazitätsanpassung mit berücksichtigen, reicht in der Regel nicht aus, um die Gesamtkosten der Netzbereitstellung abzudecken. Die hierzu bislang vorgeschlagenen Lösungsansätze sind fast alle wettbewerbsbehin- dernd. Der Haupteinwand ist dabei gegen die administrative Vorgabe im Hinblick auf den Aufteilungsschlüssel der nicht direkt zurechenbaren Kosten zur richten. Die in jüngster Zeit dazu diskutierte Regulierungsregel, die so genannte „competition on equal terms“, sieht vor, diese Kosten im gleichen Verhältnis unabhängig von den erbrachten Leistungen den Zusatzkosten zuzuordnen, so dass überall ein gleicher Aufschlag vorzu- nehmen ist. Obwohl mit dieser gleichmäßigen Aufteilung der nicht direkt zurechen- baren Kosten sämtliche Marktteilnehmer gleich behandelt werden, ist sie doch als wett- bewerbsbehindernd anzusehen, da damit Anreize für ineffiziente Netzbereiche verbun- den sind. 185 Dies ist dann der Fall, wenn die Stand-alone-Kosten (Alternativkosten) eines Marktneulings niedriger sind als die Zusatzkosten der Leistungserstellung und der gleichmäßig zugeteilten, nicht direkt zurechenbaren Kosten, was im Endeffekt zu des- sen Eigenversorgung führt. Eine weitere sehr gängige Regel ist die so genannte „Efficient Competent Pricing Rule“ (ECPR), nach der die Netzzugangsgebühren nicht nur die Zusatzkosten für den Zugang beinhalten, sondern auch die „opportunity costs“ des Marktzutritts durch die entgange- nen Erlöse des alteingesessenen Unternehmens in den abgegebenen Netzbereichen. Mithin kann es bei der Anwendung dieser Regel ebenfalls zu einer Wettbewerbsverzer- rung kommen, wenn auch hier die Stand-alone-Kosten des Marktneulings niedriger sind als die Netzzugangskosten. Im Ergebnis werden sich daher Zugangstarife ergeben, die neben den Zusatzkosten die gesamten nicht direkt zurechenbaren Kosten erfassen. Die ECPR-Regel würde dann Netzeigentümer und Marktneuling gleichmäßig erfassen, da die geforderten Opportunitätskosten mit den echten Opportunitätskosten der Inan- spruchnahme des Netzzugangs übereinstimmen würden, unabhängig davon, wer den Netzzugang letztendlich in Anspruch nimmt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass beim Vorliegen von angreifbaren Netzen staatliche Regulierungsvorschriften hinsichtlich der Zugangs- und Zusammen- schaltungstarife bei funktionierendem Markt im Hinblick auf die Wettbewerbsintensität kontraproduktiv sind. Eine derartige Regulierung würde bereits etablierte Unternehmen „schützen“, somit die Wettbewerbsimpulse ausschalten und letztlich auch Innovations- anreize reduzieren. In preislicher Hinsicht würde sich dies wiederum nachteilig bei den 184 Vgl. Knieps (2003), S. 16. 185 Vgl. Knieps (2003), S. 17. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 81 auf solche Netze angewiesenen Kunden niederschlagen (die entsprechenden Aspekte werden im vierten Abschnitt der vorliegenden Arbeit noch weiter vertieft). 186 Im Ergebnis führt diese Debatte zwingend zu der theoretischen Frage, ob die Eisenbahn nicht so weit dereguliert werden sollte, dass mehrere Gesellschaften unabhängig von- einander Schienenverkehr auf dem demselben Netz anbieten können, wenn man von der – wie weiter oben bereits erläutert – kaum praktikablen bzw. nicht sinnvollen Errich- tung paralleler Netze einmal absieht. Die positive Beantwortung dieser Frage ist unmit- telbar evident. Im Rahmen dieser seit längerem geführten Debatte sah Laaser in seiner Forderung nach Zulassung von mehr Wettbewerb auf der Schiene vor allem die Chance, den Schienen- verkehr produktiver zu machen und damit auch den Bundeshaushalt zu entlasten. Im Rahmen eines wettbewerblich organisierten Gesamtverkehrsmarktes ließen sich dann auch Erkenntnisse darüber gewinnen, in welchem Umfang Schienenverkehr überhaupt noch rentabel betrieben werden kann. Eine natürliche Grenze dürfte sich bei denjenigen öffentlichen Leistungen ergeben, die für Teile der Bevölkerung von Bedeutung sind und nachgefragt werden 187 und die nicht ohne weiteres auf dem freien Markt erbracht wer- den können. Dies gilt vor allem dann, wenn Netzeffekte und Größenvorteile entstehen oder wenn es wirtschaftlich sinnlos wäre, parallel in eine Leistungserbringung, etwa in ein zweites Schienennetz, zu investieren. In dieser Konstellation wird das regulierende Eingreifen des Staates für sinnvoll gehalten und auch akzeptiert. 188 Nach Auffassung des Verfassers können Kosteneinsparungen bei der Bahn auf der Basis des bestehenden Leistungsumfangs nur realisiert werden, wenn sie intramodalem Wettbewerb ausgesetzt wäre. Inwieweit der Schienenverkehr rentabel im Sinne einer Orientierung auf Gewinn betrieben werden kann, hängt einerseits von der Organisa- tionsstruktur des SPNV ab und andererseits von der Zielfunktion, die das Handeln der privatisierten Unternehmen bestimmt. Derzeit lässt sich sogar vermuten, dass der Staat die Einführung von Wettbewerb im SPNV bewusst hinauszögert. Dahinter kann durch- aus die Sorge um den Erhalt integrierter und koordinierter Verbundsysteme liegen, da die Frage nach der Vereinbarkeit von Koordination und Wettbewerb aus der Sicht der politischen Entscheidungsträger möglicherweise noch nicht hinreichend gelöst ist. Bei der Beantwortung dieser Frage ist auch von Bedeutung, wer für die Koordination des SPNV letztendlich verantwortlich sein soll. 189 186 Vgl. Knieps (2003), S. 18. 187 Auf der einen Seite entsprechen hierzulande die industrielle Standort- und die Siedlungsstruktur immer weniger der Netzstruktur der Bahn. Andererseits ist wiederum auch auf die potenzielle Be- einträchtigung des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Gesamtwohls durch Immobilität bestimmter Personengruppen (Alte, Arme, beruflich nicht mehr Integrierte etc.) und zusätzliche Flächen- verödungen bei Nichtgewährleistung entsprechender Nahverkehrsangebote zu verweisen. 188 Vgl. Möhlenkamp (2001). 189 Vgl. Weiß (2003), S. 231. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 82 2.2 Marktversagen als Ursache für korrigierende Staats- eingriffe Bei der Begründung für staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen bildet die Hypothese von vollkommener Konkurrenz einschließlich ihrer wohlfahrtsökonomischen Auswir- kungen die Ausgangslage. Im Modell des totalen Konkurrenzgleichgewichtes bestimmt eine atomistische Marktstruktur das Marktverhalten und zugleich auch das Marktergeb- nis, das sich durch eine marktleistungsgerechte Einkommensentlohnung, eine optimale Produktionseffizienz und eine Angebotssteuerung entsprechend der Käuferpräferenzen auszeichnet. Unternehmer und Verbraucher verhalten sich rational im Sinne der Ge- winn- und Nutzenmaximierung. Es bestehen völlige Markttransparenz, keine Unsicher- heit in den Erwartungen und volle Teilbarkeit und Beweglichkeit der Produktionsfakto- ren und produzierten Güter. Zudem fehlen sowohl rechtliche als auch tatsächliche Zu- trittsbeschränkungen für Anbieter und Nachfrager. Dieses Modell kann als idealtypisch- hypothetischer Referenzzustand, an dem „gemessen“ wird, wann ein Eingreifen des Staates ökonomisch und gesellschaftspolitisch sinnvoll sein könnte, herangezogen wer- den. Aus wohlfahrtstheoretischer Sicht betrachtet, könnte ein staatliches Eingreifen in den Verkehrsmarkt durchaus mit Marktversagen begründet werden. Dies ist in denjenigen Fällen vorstellbar, in denen ein nicht beeinflussbarer Preismechanismus außer Stande ist, eine pareto-optimale Allokation der Ressourcen herbeizuführen (wenn es also unmöglich wäre, die Wohlfahrt eines Individuums durch alternativen Einsatz der Res- sourcen zu erhöhen, ohne gleichzeitig die eines anderen Individuums zu verringern). 190 Die Kritik richtet sich mithin gegen diese realitätsferne Modellannahme, die letztlich auf einem statischen wohlfahrtsökonomischen Grenzkostenprinzip aufbaut und ge- gebene Produktions- und Kostenfunktionen nicht ausreichend berücksichtigt. 191 Durch die Bestimmung von Marktverhalten und Marktergebnis im Modell der vollkommenen Konkurrenz ist infolge der gegebenen Zahl der Betriebe und der Produkte sowie der Produktionsverfahren auch die Wettbewerbsfreiheit ausgeschlossen. Nach Meinung des Verfassers zeigen diese Aussagen, dass die vom Staat vorgegebenen Begründungen für staatliche Eingriffe und generelle Regulierungsstrategien letztlich nicht nachvollziehbar sind. Bei der normativ-theoretischen Betrachtung eines eventuellen Marktversagens, welches bei staatlich nicht beeinflusstem Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten auftreten könnte, 190 Vgl. Kunz (2003), S. 52. 191 Im Verkehrsbereich liegen mithin Kostenfunktionen mit ‘economies of density’ (bei gegebenen Kapazitäten) und ‘economies of large scale’ (bei Kapazitätserweiterungen) vor. Bei verkehrspoli- tischer Anlastung der Grenzkosten der Benutzung entstehen wirtschaftliche Defizite, die bei der Schiene höher als bei den Kraftverkehrsstraßen sind; vgl. Aberle (2003b), S. 186. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 83 geht es also nicht um die Frage der Zulässigkeit und um die Art und den Umfang von staatlichen Eingriffen, die innerhalb der gewöhnlichen ordnungspolitischen Zielsetzung liegen, sondern im Prinzip um die Überprüfung von sektorspezifischen Besonderheiten des Verkehrsmarktes. 192 Dazu gehören transportsektorspezifische Sonderregelungen mit ihren direkten staatlichen Eingriffen bei den Preisen und Kapazitäten sowie in öffentliche Angebote. Die Herleitung der Regulierung des Verkehrsmarktes aus einem Marktversagen grup- piert sich also vor allem um folgende Besonderheiten dieses Marktes: I. die besondere Bedeutung externer Effekte in der Transportwirtschaft, II. die Behandlung von Verkehrsleistungen als öffentliche Güter, III. die vorhandene Tendenz zu ruinösem Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, IV. das Vorhandensein von natürlichen Monopolen. Die Ursachen für ein Marktversagen sind danach vielfältig und treten bei Vorliegen von natürlichen Monopolsituationen, externen Effekten, aber auch bei irrationalem Verhal- ten von Marktteilnehmern auf. Ist nun von einem Marktversagen auszugehen, sollte der Staat mit möglichst geringen Mitteln regulierend in den Markt eingreifen. Dieses Pos- tulat ergibt sich zumindest dann, wenn man – wieder Verfasser – eine möglichst markt- wirtschaftlich orientierte, überflüssige Regulierungen zurückdrängende Problem- lösungsstrategie präferiert. 193 2.2.1 Die Bedeutung externer Effekte Externe Effekte sind zunächst Auswirkungen einer wirtschaftlichen Aktivität, die nicht dem Urheber zugeordnet wird, wobei zwischen Verursacher und Betroffenen eine nicht über Preis- bzw. Marktmechanismen vermittelte Beziehung besteht. Gehen von einem Wirtschaftsgut ausschließlich externe Effekte aus, handelt es sich um ein öffentliches Gut. Steigt bzw. fällt der Nutzen des Betroffenen mit dem Niveau des externen Effekts, so handelt es sich um positive bzw. um negative externe Effekte. Diese resultieren aus Diskrepanzen zwischen privaten, d.h. bei der Produktion bzw. Konsumtion entstehen- den Kosten, und sozialen Kosten, die der Volkswirtschaft insgesamt zuzurechnen sind, 192 Vgl. Kunz (2003), S. 52. 193 Das Postulat ordnet sich in den modernen Gesamtzusammenhang einer ‘Entstaatlichung’ ein, wobei sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentriert (ordnungspolitische Aufgaben, Daseins- vorsorge, Sicherheit etc.), diese Kernaufgaben auch wirklich qualifiziert wahrnimmt, aber andere Bereiche konsequent marktwirtschaftlich ausgliedert. Vgl. Deutscher Städte- und Gemeindebund (1994), Weiß (2002). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 84 was wiederum im Hinblick auf die Erfassung und Bewertung dieser sozialen Kosten Probleme macht. In der wirtschaftswissenschaftlichen Praxis führt dies zu einer Fehl- allokation der Ressourcen im Marktsystem und damit zum Marktversagen. Für den Verkehrsmarkt werden anfallende positive oder negative externe Effekte als allokationstheoretisches Argument für eine staatliche Regulierung angeführt. 194 In einem marktwirtschaftlichen System spielen externe Effekte, also der Nutzen und die Kosten, die nicht in die Wirtschaftlichkeitsrechnung von Anbieter und Nachfrager ein- gehen, im Zusammenhang mit einer effizienten Verteilung von Produktionsfaktoren und Gütern generell eine wichtige Rolle. 195 Dabei trägt ein Wirtschaftssubjekt einen Teil der von ihm verursachten Kosten nicht selbst, sondern wälzt sie als externe Kosten auf Dritte ab. Im umgekehrten Falle kann von Dritten ein Teil des Nutzens, der ihnen durch ein Wirtschaftssubjekt überlassen wird, gleichsam „unentgeltlich“ als externer Nutzen in Anspruch genommen werden. In der Regel verhindern diese externen Kosten das Erreichen einer effizienten oder pareto-optimalen Allokation (durch die Diskrepanz von privaten und sozialen Kosten). 196 Auszugleichen wären diese Kosten (z.B. durch Luftverschmutzung), wenn man die Verursacher negativer externer Kosten zusätzlich belasten und die Verursacher von positiven Effekten entlasten würde. Soweit die Beeinflussung auf direktem technologischem Wege erfolgt, geht man von technologischen externen Effekten aus. Im Gegensatz dazu stehen externe Effekte, bei denen die Einflussnahme über den Preis erfolgt. Um über staatliche Eingriffe die Internalisierung dieser externen Effekte zu erreichen, müssen die externen Effekte so weit wie möglich ökonomisch bewertet und den Verur- sachern angelastet werden. 197 Dies träfe allerdings nur bei den so genannten nichtpeku- niären bzw. technologischen externen Effekten zu, die von den pekuniären externen Kosten zu unterscheiden sind. Das Zustandekommen dieser pekuniären externen Effekte lässt sich vereinfacht wie folgt charakterisieren: Prinzipiell ist feststellbar, dass die ver- mehrte Nachfrage nach dem Produkt X durch B zu einer Preissteigerung führt. Davon ist auch der Nachfrager A betroffen, der für dieses Wirtschaftsgut jetzt mehr bezahlen muss. Der Zusammenhang wird hier über den Markt hergestellt und zeigt sich an ver- änderten Preisen. Für den reibungslosen Ablauf des Marktgeschehens ist also das Funk- tionieren dieser pekuniären externen Effekte unabdingbar. In wirtschaftstheoretischen Überlegungen werden externe Effekte formal dadurch be- rücksichtigt, dass nicht nur variable Bezugsgrößen in die Nutzen- und Kostenfunktionen einzelner Wirtschaftssubjekte eingehen, über die der Betroffene selbst bestimmen kann, 194 Vgl. Laaser (1991), S. 93. 195 Vgl. Aberle (1992), S. 69. 196 Vgl. Woll (1990), S. 189 f. 197 Vgl. Scheele und Sterzel (1999), S. 22. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 85 sondern auch Aktionsparameter Dritter. Es werden dabei nur die betriebswirtschaftlich wichtigen Produktionsfaktoren mengenmäßig bewertet und einbezogen, wobei Ressour- cenbeanspruchungen, die außerhalb dieser Abgrenzungen liegen, beispielsweise bei der Umwelt, einzelwirtschaftlich nicht entscheidungsrelevant werden. 198 Die notwendige Bewertung der Ressourcenverbräuche basiert letztlich auf den gesamtwirtschaftlichen Opportunitätskosten, deren Höhe allerdings kaum exakt zu ermitteln bzw. deren Wei- tergabe oft auch nicht durchsetzbar ist. 199 Für den Verkehrsmarkt und für die Schlussfolgerungen, die sich für die Verkehrspolitik ableiten lassen, sind vor allem die negativen externen Effekte (technologische Effekte) von besonderer Bedeutung. Sie können als so genannte Club-Effekte sowohl innerhalb des Verkehrsbereichs als auch innerhalb eines Verkehrsträgers oder auch bei Dritten außerhalb des Verkehrsbereiches auftreten (Abbildung 4). Dabei ist vor allem die ent- stehende Diskrepanz zwischen privaten und sozialen Kosten von Bedeutung, denn der Verursacher negativer externer Kosten produziert gesamtwirtschaftlich relevante Kosten, die nicht in seiner privaten Kostenrechnung auftauchen. Bei positiven externen Kosten sind dagegen die privaten Kosten höher als die sozialen Kosten (Abbildung 5). Diese Diskrepanz behindert eine effektive Allokation. Wenn durch ein „Gut“ negative externe Effekte entstehen, dann werden diese mit zu geringen Kosten in der Kalkulation berücksichtigt, was wiederum einen zu niedrigen Preis zur Folge hat. Der Staat kann hier durch ein System von Steuern und Subventionen bzw. durch entsprechende Inter- vention allerdings gegensteuern. Da die externen Kosten von der Allgemeinheit zu tragen sind und nur ein Teil vom tat- sächlichen Verursacher, weicht die soziale Grenzkostenkurve, die alle volkswirtschaft- lichen Grenzkosten erfasst, von der privaten Grenzkostenkurve, die nur die beim Erzeu- ger der Verkehrsleistungen anfallenden Grenzkosten enthält, ab. In der vorliegenden Abbildung 5 wäre danach die volkswirtschaftlich optimale Menge x** und sollte zum Preis von p** auf dem Markt erscheinen. Die sich daraus ergebende gesamtwirtschaft- liche Rente wäre ABG** und würde sich auf die Nachfrager AFG** und die Anbieter mit FBG** aufteilen. 200 Nun dürfte sich aber auch ein privater Anbieter von Verkehrsleistungen nicht an den sozialen, sondern an seinen eigenen Grenzkosten orientieren und daher eine Produk- tionsmenge x* zum Preis von p* auf dem Markt anbieten. Dadurch kommt es zu viel Verkehr, weil die Verkehrsmenge über das volkswirtschaftlich vertretbare Maß hinaus anwächst und mit dem angesetzten Preis von p* die bei der Produktion angefallenen volkswirtschaftlichen Kosten unterschreitet. 198 Vgl. Aberle (2003b), S. 574. 199 Vgl. Aberle (2003b), S. 574. 200 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 238. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 86 Abbildung 4: Formen externer Effekte 1) Terminologie nach Button (1994). Quelle: Entnommen aus Aberle (2003b), S. 575 Abbildung 5: Auswirkungen des Auftretens externer Kosten Preis, Kosten Menge p* B C G G* x** x* soziale Grenzkosten private Grenzkosten Nachfrage Wohlfahrtsverlust A ** D p** F E H Quelle: Entnommen aus Eckey und Stock (2000), S. 238 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 87 Besteht dabei für Konsumenten und Produzenten die Möglichkeit, einen Teil der priva- ten Grenzkosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen, stehen diese zusammen besser da als auf einem Markt ohne externe Kosten. Bei den externen Kosten sind zudem noch diejenigen Personen zu berücksichtigen, die durch den Verkehr geschädigt werden. Sie sind nämlich die „Leidtragenden“ beim Vorliegen externer Kosten, und zwar beträgt bei einer Menge x* ihr Verlust BCG*D. Zusammengefasst zeigt sich für Nachfrager, An- bieter und „Leidtragende“ in der volkswirtschaftlichen Betrachtung, dass das Abwälzen von Kosten auf die Gesamtheit die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt um die Fläche G**G*D verringert hat (s. auch Abbildung 5). Im Zusammenhang mit der theoretischen Bewertung der verkehrspolitischen Strategien zur Überwindung der Krise des SPNV erscheint es zweckmäßig, externe Kosten des Verkehrs nach denen der Verkehrsträger und denjenigen der Verkehrsinfrastruktur zu unterteilen. Diese Unterteilung ist deshalb sinnvoll, weil verkehrsinfrastrukturverbun- dene externe Effekte nach Abschluss von Investitionsmaßnahmen in der Regel irrever- sibel sind und daher regelmäßig im Planungsprozess für die Investition berücksichtigt werden müssen. Im Gegensatz dazu sind externe Effekte bei Verkehrsträgerinvesti- tionen beeinflussbar, wobei sich die verkehrspolitischen Diskussionen fast ausschließ- lich auf die negativen externen Effekte und daher auf die sozialen Zusatzkosten kon- zentrieren. Für den Verursacher von negativen externen Kosten bieten sich nun ver- schiedene Verfahren an (Internalisierung der externen Effekte), um die Entscheidungs- situation zu ändern. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es ökonomisch nicht sinnvoll ist, wenn die Grenzkosten der Schadensvermeidung über den Schadensgrenzkosten liegen. Allgemein steigen die Grenzkosten der Schadensvermeidung (z.B. Emissions- reduktion) an, während gleichzeitig die durch Schadensvermeidungsmaßnahmen verrin- gerten externen Kosten absinken. Das Internalisierungsoptimum ist folglich dann er- reicht, wenn die Grenzkosten der Schadensvermeidung mit den marginalen Schadens- wirkungen übereinstimmen (Abbildung 6). Eine vom optimalen Schadenswirkungsumfang A abweichende Reduzierung der Um- weltbelastung auf B führt zu gestiegenen Grenzkosten der Schadensbeseitigung von BD und fallenden Grenzkosten der Schadenswirkung von BC, was einen gesamtwirtschaft- lichen marginalen Ressourcenverlust von CD bewirkt (Abbildung 6). Folglich kann eine vollständige Beseitigung der externen Effekte nicht ein vorrangiges Ziel der Umwelt- politik sein, sondern nur soweit die Grenzkosten der Schadensbeseitigung geringer sind als die Kosten der Internalisierung. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 88 Abbildung 6: Optimaler ökonomischer Schadensvermeidungsumfang Quelle: Entnommen aus Aberle (2003b), S. 576 Ebenso wie bei der Wegekostenrechnung ergeben sich auch hier methodische Probleme bei der monetären Bewertung der verkehrsbedingten externen Kosten und ihrer Um- legung auf die einzelnen Verkehrsträger. Folgende Schätzverfahren lassen sich unter- scheiden: • Erfassung der Vermeidungskosten, • Erfassung der Beseitigungskosten sowie • Erfassung der Schadenseintrittkosten. Als Problem stellt sich hierbei dar, dass die Schadenswirkung externer Effekte teilweise nicht exakt erfasst und in Geld bewertet werden kann. Zudem gibt es verschiedene Internalisierungsverfahren, die sich durch unterschiedliche Bewertungen bei der Scha- densfeststellung und der konkreten Schadensbeseitigung auszeichnen. 201 Diese unterschiedlichen Schätzverfahren führen naturgemäß auch zu unterschiedlichen Resultaten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Schätzungen für die gesamten exter- nen Kosten beispielsweise des motorisierten Individualverkehrs in der enormen Spann- breite zwischen ca. 8,5 Mrd. EUR und 93 Mrd. EUR schwanken. 202 Eine Erfassung der externen Effekte ist jedoch im Hinblick auf die Umweltauswirkungen gerade bei gestie- genem Umweltbewusstsein von wachsender Bedeutung. 201 Vgl. Aberle (2003b), S. 576 ff. 202 Vgl. Eckey und Stock (2000) S. 240. - Siehe hierzu auch die Darlegungen in Kap. 1.4.2.2. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 89 Wollte man eine Internalisierung der negativen technologischen Effekte bei der Pro- duktionsfunktion nach der tatsächlichen Ressourcenbeanspruchung ansetzen, so würden sich verschiedene Verfahren anbieten. Allerdings kann eine völlige Schadensvermei- dung ökonomisch auch unsinnig werden, wenn nämlich die Grenzkosten der Schadens- vermeidung über den Schadensgrenzkosten liegen. Das Internalisierungsoptimum ist erreicht, wenn die Grenzkosten der Schadensvermeidung mit den Grenzschadenswir- kungen übereinstimmen. 203 Dem Staat steht ein Katalog von umweltpolitischen Maßnahmen zur Verfügung, wenn der Einsatz von marktwirtschaftlichen Instrumenten im Verkehrsmarkt als zu unsicher angesehen wird. Dazu zählen staatliche Ge- und Verbote, wie beispielsweise die Zwangseinführungen des Abgas-Katalysators oder des Sicherheitsgurtes. Als Beispiele für Verbote sind der Transport von bestimmten Gefahrengütern auf Lkws und der Ver- kauf von bleihaltigem Treibstoff zu nennen. Der Vorteil derartiger Ge- und Verbote besteht in deren schneller Ausführung und Umsetzung. Ihr Hauptnachteil ist darin zu sehen, dass Umweltschutzziele teils mit Hilfe von anderen Instrumenten kostengünsti- ger zu erreichen sind, womit die Regulationsakte wirtschaftlich als ineffizient anzu- sehen wären. Ein interessanter Vorschlag, über Steuer- oder Abgabenlösungen externe Effekte zu internalisieren, geht auf Pigou zurück. In seinem bereits in den 1930er Jahren ent- wickelten Modell 204 erhalten die privaten Grenzkosten einen Steuerzuschlag in Höhe der sozialen Zusatzkosten. Der „Schädiger“ kalkuliert diese Steuer in seine Kostenrech- nung so ein, dass die gesamtwirtschaftlich optimale Menge produziert wird. Der Anreiz zu technischem Fortschritt und die Suche nach kostengünstigeren Lösungen bleiben dabei erhalten. Voraussetzung ist aber, dass der Staat für die Festlegung einer derartigen Steuer auch tatsächlich eine ungefähre Vorstellung über den Verlauf der privaten und der sozialen Grenzenkostenfunktion hat. Geht man dabei von politisch vorgegebenen Umweltstandards als Zielgröße aus und setzt beispielsweise die Abgabe für Emissionen in einer Höhe an, dass eine noch als akzeptabel angesehene Emission gerade noch erreicht wird, zwingt das den Verursacher zu der Entscheidung, entweder die Abgabe zu bezahlen oder aber emissionsvermin- dernde Maßnahmen zu ergreifen. Dieser Effekt kann auch durch Zahlung staatlicher Subventionen an den Schädiger erreicht werden. Im Rahmen einer umweltorientierten Zielsetzung kann der Staat den zulässigen Emissionsumfang auch mit Hilfe der sog. Zertifikatlösung 205 reduzieren. Dies würde nicht nur den technischen Fortschritt för- 203 Vgl. Aberle (2003b), S. 576. 204 Vgl. Pigou (1932). 205 Solch ein Modell mit handelbaren Emissionszertifikaten wird als umweltpolitische Alternative seit Kurzem sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene diskutiert; vgl. Hillebrand et al. (2002). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 90 dern, sondern auch zu verstärkten Umrüstungsanstrengungen bei den emissionsinten- siven Anlagen führen. Nach Aberle ist die Pigou’sche Steuerlösung jedoch in erster Linie als ein didaktisches Informationsinstrument anzusehen und weniger als konkrete Handlungsanweisung. 206 Deshalb kann ihr für die Entwicklung von Lösungsstrategien für die Krise des SPNV keine substanzielle Bedeutung zukommen. Die bislang behandelten Internalisierungskonzepte gehen vom Verursacherprinzip aus. Coase hat 1960 eine Problemlösung angeboten, die ohne staatliche Mitwirkung aus- kommt. 207 Bei fehlender Schadenshaftung wird bei diesem Konzept der Schadensverur- sacher nur dann bereit sein, das Auftreten von sozialen Zusatzkosten zu vermindern, wenn er dafür vom Geschädigten eine entsprechende Kompensationszahlung erhält. Allerdings ist auch die praktische Bedeutung des Coase-Theorems als Internalisierungs- strategie begrenzt. 208 Da die Situation vor der „Neutralisierung“ der externen Effekte nicht zu einer effizien- ten Allokation führt, lohnt es sich sowohl für Verursacher als auch für Betroffene, durch private Vereinbarungen die Auswirkungen der externen Effekte zu kompensieren. Lässt man nämlich die Transaktionskosten außer Ansatz, dann besteht in derartigen Situa- tionen immer ein Anreiz zu privaten Vereinbarungen, was damit auch staatliche Ein- griffe überflüssig machen würde. Nach der Ansicht von Aberle, die auch vom Verfasser geteilt wird, rechtfertigt das Vor- liegen solcher externen Effekte insgesamt nicht die Einführung einer generellen Markt- regulierung und kann daher nur als vorgeschobene Begründung des Staates für sein bislang demonstriertes Unvermögen betrachtet werden, Perspektiven für den Verkehrs- markt aufzuzeigen, die funktionieren, anpassungsfähig sind und damit Zukunftspoten- zial haben. 209 Bei den hier erörterten externen Effekten wäre die Anwendung eines marktwirtschaftlichen Internalisierungsverfahrens sicherlich zweckmäßiger, um sie im Rahmen von einzelwirtschaftlichen Entscheidungen der Marktteilnehmer wirksam wer- den zu lassen. 2.2.2 Öffentliche Güter und Verkehrsinfrastruktur Neben den bisher dargestellten Wettbewerbsbeschränkungen, die ihren Ursprung in unternehmensindividuellen Verhaltensweisen haben, also systemimmanent sind, gibt es aber auch solche, die sich aus den Produkteigenschaften bzw. ihren Herstellungsverfah- ren ergeben. Werden diese nämlich als öffentliche Aufgaben angesehen, dann wird 206 Vgl. Aberle (2003b), S. 578. 207 Vgl. Coase (1960). 208 Vgl. Aberle (2003b), S. 580. 209 Vgl. Aberle (1992), S. 100. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 91 deren Gewährleistung von den jeweils maßgeblichen politischen Kräften entweder er- halten, beibehalten oder verändert. Im Zusammenhang mit den Begründungen für staatliche Interventionen im Verkehrs- markt wird immer wieder betont, dass dieser der Befriedigung von Kollektivbedürfnis- sen diene und sich durch Nutzendiffusion, Nicht-Rivalität sowie Nicht-Ausschließbar- keit auszeichne und daher als öffentliches Gut anzusehen sei. 210 Die Bezeichnung als öffentliches Gut soll daneben darauf hinweisen, dass die betreffenden Güter oder Dienstleistungen unter staatlicher Aufsicht erbracht werden müssen, weil der Markt bei ihrer Allokation versagt. 211 Bei privaten Wirtschaftsgütern besteht im Gegensatz zu öffentlichen Gütern das Aus- schlussprinzip und es liegt Rivalität im Konsum vor. Das Ausschlussprinzip besagt dabei, dass ohne Zahlung des Kaufpreises keine Inbesitznahme eines Wirtschaftsgutes möglich ist. Die Nicht-Ausschließbarkeit hingegen beinhaltet in der Regel die Inan- spruchnahme der Leistungen von öffentlichen Gütern (z.B. städtische Verkehrserschlie- ßung oder Landesverteidigung), die nicht direkt messbar und als Leistungen auch nicht individuell zurechenbar sind. Als weiteres Kennzeichen öffentlicher Güter ist die Nicht- Rivalität im Konsum zu nennen, welche vorliegt, wenn der Konsum eines entsprechen- den Wirtschaftsgutes durch einen Nutzer nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass eine weitere Person dieses Gut ebenfalls nutzen kann. Die Interessenten gehen hier davon aus, dass infolge der gesellschaftlichen Bedeutung, die dieses öffentliche Gut besitzt, auf jeden Fall auch ohne ihre marktwirksame Nachfrage ein Angebot erstellt wird, sie also eine ‘free-rider’-Position einnehmen können. In der Regel kann von einem öffent- lichen Gut bereits dann ausgegangen werden, wenn das Ausschlussprinzip nicht voll- ständig zutrifft und/oder Nicht-Rivalität im Konsum des entsprechenden Gutes herrscht. 212 Diese Kriterien der Nichtanwendbarkeit des Ausschlussprinzips und die Nicht-Rivalität im Konsum sind nach Aberle für Verkehrsinfrastrukturleistungen gegeben. Allenfalls kann es sich bei einigen Bestandteilen der Verkehrsleistungen um meritorische Güter handeln, die wiederum staatliche Rahmenregelungen rechtfertigen können, wie etwa verkehrsträgerübergreifende und netzorientierte Verkehrswegeplanung. 213 Ob die Charakterisierung als öffentliche Güter gerechtfertigt ist, sollte daher sinn- vollerweise jeweils getrennt nach Verkehrsträgern und Verkehrsinfrastruktur beant- wortet werden. Ein öffentliches Gut liegt entsprechend der Voraussetzungen bei Ver- kehrsträgern in der Regel wohl kaum vor, da diese ohne weiteres Personen von der Be- förderung ausschließen können, die nicht willens sind, den Fahrpreis zu bezahlen. 210 Vgl. Aberle (1992), S. 69. 211 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 359. 212 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 255 f. 213 Vgl. Aberle (2003b), S. 101. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 92 Anders als beim Straßennetz ist unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen bei einem Schienennetz mit geringer Streckenlänge oder einem mit wenigen Haltestellen ausgestatteten Netz dieses Ausschlussprinzip relativ einfach durchzusetzen. Beim Stra- ßennetz könnte der einzelne Pkw-Fahrer, der nicht bereit ist, Benutzungsgebühren zu bezahlen, zwar auch von der Benutzung der Straße ausgeschlossen werden, die Durch- setzung wäre allerdings mit hohen Investitions- und Unterhaltskosten verbunden. Nicht- Rivalität im Konsum besagt, dass die Grenzkosten für jeden zusätzlichen Nutzer gegen Null tendieren oder sogar Null sind und damit fast ausschließlich fixe Kosten anfallen. Dies trifft so lange zu, wie die Verkehrswege nicht überlastet sind. Zusammenfassend lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass ein Marktversagen über die Charakterisierung der Verkehrsinfrastruktur als öffentliches Gut nicht hinreichend erklärbar ist. Eine Nicht-Rivalität im Konsum stellt nämlich nichts anderes dar als den Extremfall des ausschließlichen Vorliegens von Gemeinkosten bei Grenzkosten von Null. Die Nicht-Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips bestätigt im Ergebnis das Vor- handensein von negativen oder positiven externen Effekten. 214 Im Zusammenhang mit der Theorie der öffentlichen Güter wird in der Regel von der Nicht-Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips ausgegangen, was über die vorstehende Feststellung hinausgeht und als Resultat festhält, dass die Anwendung dieses Prinzips bei den betreffenden Gütern unmöglich ist. Zudem suggeriere der Begriff öffentliches Gut fälschlicherweise, dass die Eigenschaften der Güter selbst das Marktversagen verursachen. 215 2.2.3 Tendenz zum ruinösen Wettbewerb Insbesondere die Wettbewerbssituation der Bahn gab Anlass zu der Vermutung, dass dem Verkehr eine Tendenz zu einem „ruinösen“ Wettbewerb innewohne. Diese Be- fürchtung wurde auch durch die Veränderungen in der generellen Entwicklung des Ver- kehrssektors bekräftigt, in der die Bahn seit Jahren defizitär ist und nur noch eine unter- geordnete Rolle einnimmt. Ruinöser Wettbewerb ist im Allgemeinen durch Preisverfall, eine Vielzahl von Unter- nehmenszusammenbrüchen und die bewusste Inkaufnahme von Verlusten gekennzeich- net. Auslöser für einen ruinösen Wettbewerb sind Zielvorstellungen, mit Hilfe eines Verdrängungswettbewerbs eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen oder Ge- winne durch Absatzausweitung mit Hilfe von Preissenkungen zu sichern. Ausgangs- punkt für solche Überlegungen ist ein natürliches Monopol, in dem der Anbieter Preise durchsetzen kann, die seine Durchschnittskosten übersteigen. Die damit verbundene 214 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 257. 215 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 360. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 93 überdurchschnittliche Gewinnsituation ruft andere Konkurrenten auf den Markt. Dies führt dazu, dass die Preise über längere Zeit unter die Durchschnittskosten fallen, was wiederum existenzgefährdend für alle Anbieter werden kann. Um diese ruinöse Konkur- renz zu verhindern, ist der Staat aufgefordert, den Marktzutritt zu beschränken. Die mit der ruinösen Konkurrenz zusammenhängenden Überkapazitäten und die Fak- torimmobilität auf dem Verkehrsmarkt werden damit als Marktversagen aufgefasst und zur Begründung staatlicher Eingriffe herangezogen. Begründet wird dies einerseits mit den niedrigen variablen und den geringen liquiditätswirksamen Kosten bei den Ver- kehrsträgern und andererseits mit den spezifischen Marktaustrittsbarrieren, den sog. ‘sunk costs’, 216 weil die damit verbundenen hohen Fixkosten diese Tendenz begünsti- gen. Die wohlfahrtsökonomische begründete Empfehlung für eine zumindest die Infrastruk- turbereiche umfassende staatliche Regulierung lässt sich damit allerdings wiederum nur teilweise begründen. 217 Auch der Begriff ruinöse Konkurrenz trägt per se wenig zur Aufklärung bei. Zunächst ist ein Unterschied zwischen ruinöser Konkurrenz als Strate- gie der Marktverdrängung, etwa durch Nutzung von Ressourcenmacht, Behinderungs- missbrauch u.a., gegenüber ruinöser Konkurrenz als Ergebnis verzögerter oder unter- bliebener Kapazitätsanpassung festzustellen. Der erste Sachverhalt ist nicht nur auf den Verkehrsmarkt beschränkt und könnte allgemein durch die zuständigen Kartellbehörden verfolgt werden, wobei infolge der für den Verkehrsbereich geltenden Sonderregelun- gen diese Wettbewerbshüter dafür sachlich nicht zuständig sind. Die Vorbehalte gegenüber einer Wettbewerbsordnung ohne staatliche Intervention aufgrund der natürlichen Monopoleigenschaften der Infrastrukturbereiche basierten auf der Befürchtung, dass die Verkehrsmärkte durch ihre Eigenart zu einem übersteigernden Wettbewerb neigen und somit tendenziell ein strukturbedingtes Marktversagen zu erwarten sei. 218 Ein Verdrängungswettbewerb in Form ruinöser Konkurrenz könnte dabei zu einem natürlichen Monopol führen. Allerdings besteht durchaus auch die Möglichkeit, dass diese Wettbewerbsform ohne Auswirkungen bleibt. Selbst bei einem oligopolartigen Verkehrsmarkt kann von einem Verdrängungswett- bewerb zwischen den Verkehrsträgern in einer solchen Intensität ausgegangen werden, so dass nicht kostendeckende Grenzkostenpreise letztendlich ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen könnten. 219 Diese Einwendungen erscheinen allerdings nicht gerechtfertigt. Für den Fall der hohen Bestreitbarkeit des Marktes führt der Eintritt eines 216 Siehe hierzu auch Kap. 2.1.1, 2.1.2. - Wichtig: die ‘sunk costs’-Problematik, die nicht nur den Konkurrentenzutritt, sondern v.a. das rollende Material betrifft, lässt sich theoretisch auch über Leasingmodelle, ggf. im Rahmen eines cross-border-Leasings, kompensieren. Konkrete Umset- zungsmöglichkeiten werden im Abschnitt 4 noch näher erläutert. 217 Vgl. Berndt und Kunz (2003 ), S. 180. 218 Vgl. Willeke (1977), S. 155. 219 Siehe hierzu auch Berg (1987) sowie Oberender (1987). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 94 zusätzlichen Anbieters nämlich nicht zu einer ruinösen Konkurrenzsituation. Bei Fehlen von ‘sunk costs’ und bei einem gleichsam kostenlosen Marktaustritt besteht für einen Anbieter eben kein Anreiz, bei nicht kostendeckenden Preisen im Markt zu verbleiben. Entstehen bei einem Marktzutritt erhebliche irreversible Aufwendungen, besteht aller- dings bei einem Scheitern des Zutritts das Risiko, dass diese nur zum Teil wieder erlöst werden. Es besteht hier durchaus die Gefahr einer Kostenduplizierung und von ruinöser Konkurrenz. Infolge von hohen ‘sunk costs’ entfällt aber andererseits zugleich auch die Neigung zu einem nicht begründeten Marktzutritt. Ein potenzieller Anbieter dürfte hier nur dann eintreten, wenn er mit wesentlich geringeren Gesamtkosten rechnen kann, z.B. durch eine effizientere Organisationsstruktur gegenüber dem alteingesessenen Unter- nehmen. 220 Jedenfalls lässt sich so ruinöse Konkurrenz als Begründung für Marktver- sagen hier nicht nachweisen. Besonders die sich verändernde Wettbewerbssituation der Eisenbahn in den 1960er Jah- ren von einer zunächst dominierenden Position in der Verkehrswirtschaft hin zu einer nur noch nachgeordneten Bedeutung galt als Beweis, dass dem Verkehr eine Neigung zu ruinösem Wettbewerb immanent sei. Übersehen wurde aber, dass der Rückgang der Einflussnahme der Bahn nicht auf eine Tendenz zum ruinösen Wettbewerb zurückzu- führen war, sondern dass vielmehr das Qualitätsprofil der Bahn, durch die veränderten Strukturen der Verkehrsleistungsnachfrage, immer weniger den veränderten An- sprüchen gerecht wurde. Prinzipiell kann daher nicht von einem generellen Marktversagen gesprochen werden. Vielmehr wurden falsche politische Entscheidungen getroffen. Statt durch ent- sprechende Liberalisierungsmaßnahmen die Innovationspotenziale des Wettbewerbs zu nutzen, wurden hier staatliche Schutzmaßnahmen eingeleitet, um die Bahn vor Wett- bewerb zu schützen. Die Aufgabe einer Marktordnungspolitik besteht aber darin, sub- jektive Qualifikationsnachweise für einen Marktzutritt zu beeinflussen oder ent- sprechende Unterstützung für Umstrukturierungsmaßnahmen zu geben. Gerade Wettbewerbsbeschränkungen verstärken den Umfang möglicher Allokations- verluste, indem notwendige Strukturveränderungen beim Angebot noch weiter hinaus- gezögert werden. 221 Das Argument eines ruinösen Wettbewerbs ist auch deshalb nicht für staatliche Regulie- rung geeignet, weil es fraglich ist, ob durch diese Maßnahmen der entsprechende Erfolg erzielt werden kann. 222 Nach Meinung des Verfassers ist die Annahme eines Vernich- tungswettbewerbs als Begründung für staatliche Eingriffe schon deshalb im Ansatz nicht nachvollziehbar. 220 Dieser Zusammenhang stellt in der betriebswirtschaftlichen Theorie eine seit längerem gesicherte Basiserkenntnis dar; vgl. etwa Küpper (1974), Haberstock (1987). 221 Vgl. Aberle (1992), S. 71. 222 Vgl. Grandjot (2002), S. 35. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 95 2.2.4 Das natürliche Monopol Auch mit der Existenz von natürlichen Monopolen im Eisenbahnsektor wird Markt- versagen mit der entsprechenden Folge von korrigierenden staatlichen Eingriffen be- gründet. Das natürliche Monopol wird hier dadurch geprägt, dass ein Anbieter aufgrund von Unteilbarkeiten (Streckennetz) die gesamte auf einem Markt nachgefragte Menge im Hinblick auf die zugrunde liegende Kosten- und Nachfragesituation kostengünstiger erstellen kann als alle anderen Unternehmen zusammen. Natürliche Monopole entstehen also, wenn die Summe der Produktionskosten im maßgeblichen Mengenbereich von mehreren Anbietern höher ist als die Gesamtkosten nur eines einzigen Anbieters (Monopolist). 223 Es gilt dann: Kosten ( ) ( ) ( ) 2121 xxxmitxKxKxK +=+< . Es ist also kostengünstiger, die benötigte Menge X1 und X2 in einem Unternehmen herzustellen, als von zwei Unternehmen produzieren zu lassen. Das ist dann der Fall, wenn die durchschnittlichen Kosten permanent fallen. Bei einem Einproduktunternehmen kann man davon ausgehen, dass das Vorliegen von Größenvorteilen, d.h. von „economies of large scale“, eine notwendige, aber keine hin- reichende Bedingung für die Existenz eines natürlichen Monopols ist. Bei Mehr- produktunternehmen kommen zu den Größenvorteilen (economies of scale) bei den einzelnen Produktlinien noch Verbundvorteile (economies of scope) zwischen den ein- zelnen Produktlinien hinzu. Für das Vorhandensein eines natürlichen Monopols bilden dann sinkende „average incremental costs“ (Durchschnittskosten) in Verbindung mit einer „trans-ray-convexity“ (produktübergreifende Synergieeffekte) bei den Produk- tionskosten von mehreren Produkten in gemeinsamer Herstellung eine hinreichende Bedingung. 224 Für das Vorliegen eines natürlichen Monopols auf dem Verkehrsmarkt sprechen zunächst zwei Annahmen: • Bei den Verkehrswegen ist es wirtschaftlich unsinnig, parallele Strecken zu bauen, solange kein Engpass eintritt. Deshalb sollten vorhandene Strecken ausgebaut werden, weil dies nicht nur billiger, sondern ökologisch vernünftiger ist. • Für die Verkehrsträger lassen sich steigende Skalenerträge und Verbundvorteile, z.B. durch unterschiedliche Nutzung von rollendem Material (etwa Lokomotiven- einsatz tagsüber im Personen- und nachts im Güterverkehr) und anderweitige Ver- wendung des Personals, feststellen. 225 223 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 217. 224 Vgl. Aberle (2003b), S. 104. 225 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 219. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 96 Die Eisenbahnen – und hier insbesondere ihr Streckennetz – werden dabei als klas- sisches Beispiel für das Vorliegen eines natürliches Monopols angeführt, wobei unter Wettbewerbsbedingungen ein alleiniger Anbieter am kostengünstigsten produzieren bzw. die entsprechende Dienstleistung erbringen könne als mehrere Anbieter. 226 Dabei ergeben sich zwei Fragen im Zusammenhang mit der möglichen Anerkennung eines natürlichen Monopols beim Schienennetz. Die erste Frage bezieht sich darauf, ob die für ein natürliches Monopol typischen Kostenverläufe (sinkende langfristige Durch- schnittskosten im Bereich des Schnittpunkts mit der Nachfragekurve und starke Ver- bundvorteile) auftreten. Sofern dies der Fall ist, muss untersucht werden, ob damit zwangsläufig eine staatliche Regulierung zu verbinden ist, da das natürliche Monopol wohlfahrtsschädigend wirken könnte. 227 Mögliche Antworten lassen sich anhand der nachfolgenden Abbildung eines natürlichen Monopols verdeutlichen. Abbildung 7: Das natürliche Monopol Quelle: Aberle (1992), S. 68 226 Vgl. Aberle (2003b), S. 104. 227 Vgl. Laaser (1991), S. 61. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 97 Liegt nun eine Situation wie in der voranstehenden Abbildung vor, wird im Wettbewerb schließlich nur ein Unternehmen überleben. Von diesem „übrig gebliebenen“ Unter- nehmen wird nun erwartet, dass es im Hinblick auf Gewinnmaximierung (Grenzerlös = Grenzkosten) eine geringere Menge x1 zu einem überhöhten Preis p1 anbietet. Die staat- lichen Regulierungsmaßnahmen sollen hier der Vermeidung von Wohlfahrtsverlusten entgegensteuern. Das Gegenteil wird erreicht, wenn man den Monopolisten nun zu einer wohlfahrtsoptimalen Preisfestsetzung (Preis = Grenzkosten) zwingt. Tatsächlich sind aber die Schieneninfrastrukturunternehmen durch intramodale Konkur- renz nicht in der Lage, Marktmacht auszuüben, da bei zu hohen Trassenpreisen die Möglichkeit besteht, dass ein Teil der Nachfrager zum Straßenverkehr abwandern wird. 228 Das Ziel einer Regulierung kann daher nur sein, dem Monopolisten die Über- lebensfähigkeit dadurch zu gewährleisten, dass die Preissetzung eine Deckung der Durchschnittskosten garantiert. In der Literatur wird diese Sichtweise teilweise kontro- vers diskutiert. Durch entsprechende restriktive Annahmen kann durchaus gezeigt wer- den, dass allerdings bei freiem Marktzugang auch ein natürlicher Monopolist keinen Preis fordern kann, der über seinen Durchschnittskosten liegt, da er dann mit dem Marktzutritt potenzieller Konkurrenten rechnen muss. 229 Darüber hinaus sollte die Bezugsgrundlage „Netz“ auch nach Qualitätsniveaus differenziert werden. So ist es durchaus vorstellbar, dass ein flächendeckendes Gesamtnetz in qualitativ unterschied- liche Teilnetze unterteilt wird, die wiederum untereinander in Wettbewerb treten. 230 Für den SPNV ist nicht allein entscheidend, ob von einem natürlichen Monopol auszu- gehen ist. Regulierungsbedarf besteht vielmehr hinsichtlich der Diskriminierungsmög- lichkeiten auf dem Transportmarkt, die sich wie im Falle der Deutschen Bahn AG aus Einheit von Netz und Betrieb ergeben können. Dies ist insofern bedeutsam, weil hier eine gewisse Übereinstimmung im Hinblick auf die ‘economies of large scale’ zu finden ist, was bei Vorliegen von ‘sunk costs’ eine staatliche Marktregulierung rechtfertigen würde, um diskriminierende Verhaltensweisen oder die Ausnutzung einer marktbeherr- schenden Stellung auszuschließen. Das Streckennetz als wesentlicher Bestandteil sog. ‘essential facilities’ bedarf einer besonderen wettbewerbspolitischen Berücksichtigung, weil es beispielsweise wenig Sinn machen würde, parallel verlaufende Trassen von unterschiedlichen Anbietern bauen zu lassen. Insofern stellt das Streckennetz ein Marktzutrittshemmnis und ein nicht bestreitbares natürliches Monopol dar. Nicht zu Unrecht vermutet man daher für den Verkehrsbereich auch sinkende Durchschnitts- kosten. Eine derartige Kostendegression ist auch bei den sog. Netz- und Leitungsverbünden anzutreffen. Auch in diesen Fällen wäre es beispielsweise sinnlos, jeden Haushalt an mehrere miteinander im Wettbewerb stehende Gas- und Wassernetze anzuschließen, 228 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 30 f. 229 Vgl. Aberle (2003b), S. 68. 230 Vgl. Aberle (2003b), S. 105. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 98 wenn die notwendigen Leistungen durch ein einziges Netz erbracht werden können. Im Falle mehrerer parallel verlaufender Eisenbahnlinien würden die miteinander konkurrie- renden Anbieter versuchen, zu minimalen Durchschnittskosten anzubieten, was aber wegen der begrenzten Nachfrage nur einem Unternehmen gelingen könnte. Die Folge davon wäre ein ruinöser Wettbewerb, den nur ein Anbieter überleben würde. Trotzdem rechtfertigt das Vorliegen eines natürlichen Monopols keinesfalls eine grundsätzliche Marktregulierung. 231 Wie auf Basis der Theorie der bestreitbaren Märkte nachzuweisen ist, muss sich auch ein natürliches Monopol immer so verhalten, dass es keine Wettbewerber anzieht. Eine Regulierung eines natürlichen Monopols ist folglich nur dann notwendig, wenn es durch hohe ‘sunk costs’ bzw. irreversible Kosten vor Wettbewerbern geschützt ist. Die Regu- lierungsnotwendigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Markt wegen irreversibler Investitionen nicht angreifbar ist. Ein Monopolist würde sich nach der Theorie der an- greifbaren Märkte also wie ein im Wettbewerb befindliches Unternehmen verhalten, wenn er davon ausgehen muss, dass dann ein anderes Unternehmen auf den Markt tre- ten wird. 232 Hier wird somit der aktuelle Wettbewerb durch den potenziellen Wett- bewerb als Disziplinierungsinstrument ersetzt. Das Fehlen von ‘sunk costs’ ist aller- dings entscheidende Voraussetzung, was beim Schienenverkehr in begrenztem Maße nur hinsichtlich des rollenden Materials zutrifft (weitere Erörterung praxisrelevanter Aspekte in Abschnitt 4). Sinnvoller wäre es dagegen, das Netzmonopol einer allgemeinen kartellrechtlichen Regelung zu unterwerfen und die Bezugsgrundlage „Netz" nach Qualitätsniveau weiter aufzuschlüsseln. So wäre es durchaus vertretbar, ein vollständiges und flächendecken- des Gesamtnetz in qualitativ unterschiedliche Teilnetze zu unterteilen und Wettbewerb zwischen diesen Teilnetzen, durch unterschiedliche Nutzungspreise für die Trassen, zuzulassen. Dabei könnten dann beispielsweise Teilnetze für den Hochleistungsschnellverkehr oder den schnellen Verkehr von Logistikzügen mit denen für wenig zeitempfindliche Trans- porte miteinander konkurrieren. Andernfalls wird der intermodale Wettbewerb eine monopolistische Machtposition der Eisenbahn auf fast allen Transportmärkten verhin- dern. Da von einer Neigung zum natürlichen Monopol im Verkehrsbereich ausgegangen werden kann, sind die Fragen im Hinblick auf wirtschaftpolitische Konsequenzen legi- tim. 233 Empirisch lässt sich die Prämisse mithin nur begrenzt belegen. Entsprechende Unter- suchungen von Laaser 234 haben ergeben, dass sich die für ein natürliches Monopol typi- 231 Vgl. Aberle (2003b), S. 105. 232 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 23. 233 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 220. 234 Vgl. Laaser (1991). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 99 schen Kostenverläufe eben nicht ohne weiteres nachweisen lassen. Gerade kleine Unternehmen mit einer Netzgröße bis zu 800 Kilometern zeigen sowohl ‘economies of firm size‘ bezogen auf die Verkehrsleistung als auch ‘economies of density‘ im Hin- blick auf die Streckenauslastung. Dabei waren weder die Firmengröße noch die Aus- lastung des vorhandenen Netzes bereits optimal. Bei einer Netzgröße von mehr als 800 Kilometern wird das Ergebnis nach Meinung verschiedener Autoren unklar und wider- sprüchlich, weil zwar noch ‘economies of density‘ auftreten, aber keine ‘economies of firme size‘. Daraus folgert Laaser, dass das Netzmonopol den allgemeinen kartellrecht- lichen Regelungen unterworfen werden sollte. Wechselt man die Perspektive und richtet sich nicht allein am statischen Wohlfahrts- optimum aus, sondern sieht die Wirtschaft als einen dynamischen Prozess, dann verliert auch die Problematik einer Fehlallokation durch subadditive Kostenfunktion erheblich an Bedeutung. Hierzu gibt es alternative Wettbewerbsmodelle, die Wettbewerb als stän- dig fortlaufenden Prozess begreifen, die Dynamik des Wettbewerbs betonen und eben die teilweise konstatierbaren, aber vorübergehenden Unvollkommenheiten des Marktes als Indikator der wirtschaftlichen Entwicklung und als Beleg für einen funktionierenden Wettbewerb ansehen. Vor einem solchen Hintergrund muss auch der Begriff des Markt- versagens neu konzipiert werden. Insgesamt betrachtet lässt sich zu den normativ-theoretischen Argumenten für eine staatliche Marktregulierung anmerken, dass diese bis auf wenige Ausnahmen, z.B. beim natürlichen Monopol eines Netzleistungsanbieters, einer kritischen Untersuchung nicht standhalten. Vielmehr sind hier zum einen die Besonderheiten des Verkehrs mit seiner staatlichen garantierten Daseinsvorsorge anzuführen, andererseits ist als Regulierungs- grund häufig ein Staatsversagen herauszulesen. Auf Basis der vorausgegangenen Überlegungen und Erkenntnisgewinne lässt sich fol- gendes Zwischenfazit ziehen: Als theoretische Begründung für staatliche Eingriffe sind ökonomische und außerökonomische Gründe zu unterscheiden, wobei die ökonomische Begründung auf der Theorie des vollkommenen Marktes und seinen wohlfahrtsökono- mischen Auswirkungen basiert. 235 Danach wären staatliche Eingriffe im Grundsatz gerechtfertigt, wenn bei staatlich unbeeinflusstem Wettbewerb der Wettbewerbsmecha- nismus in den Verkehrsmärkten möglicherweise versagen würde. Bei dieser normativen Theorie geht es also um den ökonomischen Sinn staatlicher Eingriffe in den Wett- bewerbsprozess und deren Handhabung. Von diesem normativen Ansatz ist ein positiv- theoretischer Ansatz zu unterscheiden. Dieser erklärt die Regulierung des Verkehrs- marktes als polit-ökonomisches Ergebnis einer Anbieter- und Nachfragerbeziehung auf Märkten mit Wettbewerbsbeschränkungen und Regulierungsmaßnahmen. 236 Gemäß aktueller wissenschaftlicher Wertung sind die als Begründung für staatliche Einfluss- nahme angeführten Ursachen in der Regel jedoch nicht überzeugend und rechtfertigen 235 Vgl. Laaser (1991), S. 52. 236 Vgl. Aberle (2003b), S. 106. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 100 letztlich keine staatlichen Eingriffe. 237 Selbst das Vorliegen von externen Effekten rechtfertigt für sich allein keine generelle Marktregulierung. Vielmehr sollte bei diesen Effekten ein marktwirtschaftliches Internalisierungsverfahren durchgeführt werden, welches dafür sorgt, dass sie im Rahmen von einzelwirtschaftlichen Entscheidungen der Marktteilnehmer kompensiert werden. Hingegen ist bei regulierten Märkten die Gefahr einer Negierung solcher Internalisierungsstrategien zu berücksichtigen. Auch das Vor- liegen eines natürlichen Monopols kann nur dann eine Regulierungsnotwendigkeit aus- lösen, wenn der Markt wegen irreversibler Investitionen nicht angreifbar ist. 2.3 Potenziale und Grenzen einer interventionistisch geprägten Weiterentwicklung des SPNV Als Begründung für staatliches Eingreifen in den Verkehrsmarkt wurde in der Vergan- genheit immer wieder das mangelnde Vertrauen in marktwirtschaftliche Prozesse ange- führt. Die Marktdynamik führe zu einer ungerechten Verteilung, rufe zunehmende wirt- schaftliche Instabilitäten hervor und brächte insbesondere eine nicht mehr zu akzeptie- rende Schädigung der Umwelt, was letztendlich eine Gefahr für die gesamte Gesell- schaft darstellen würde. Die gesamtwirtschaftlichen Interessen seien daher über die individuellen Interessen zu stellen. Eine weitere Ursache für die der Marktdynamik gegenüber kritische Position liegt in dem Vorhandensein meritorischer Güter. Darunter werden Güter gefasst, deren Wert der einzelne Mensch in seiner kurzfristigen Betrachtung nicht richtig einschätzen könne, die aber langfristig wichtig seien, wie z.B. eine intakte Umwelt, wobei nur übergeordnete Instanzen in der Lage seien, auch die Interessen zukünftiger Generationen zu beach- ten. 238 Unter diesem Gesichtspunkt dient ein leistungsfähiges Verkehrssystem zum einem nicht nur der Durchsetzung von staatlichen Machtansprüchen, sondern ist auch Vorausset- zung für wirtschaftliches Wachstum in einer Volkswirtschaft und damit wiederum die ökonomische Basis für die Existenz des Staates. 239 Die Ziele der Verkehrspolitik sind daher nichts anderes als die Verwirklichung von politisch erwünschten Zuständen im Verkehrssektor. Interventionistische Verkehrspolitik wird daher nur insofern dem indi- 237 Vgl. Aberle (2003b), S. 100. 238 Mithin scheint sich auf Basis des Konzepts der ‘sustainability’ in der moderneren gesellschaftspolitischen, wie auch wirtschaftswissenschaftlichen Theorie die Perspektive durchzu- setzen, dass der Schutz dieser Güter auch im marktwirtschaftlichen Rahmen effektiv gewährleistet werden kann. 239 Vgl. Grandjot (2002), S. 16. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 101 viduellen Mobilitätsbedürfnis nachkommen, als dieses nicht mit übergeordneten Zielen kollidiert. Diese politischen Begründungen für Marktregulierungen haben allerdings stets zu in- flexiblen Angebotsstrukturen und zu hohen Kapitalbindungen in den regulierten Unter- nehmen geführt, was auch seinen Niederschlag letztlich in ineffizienten Organisations- und Zuständigkeitsstrukturen fand. 240 2.3.1 Staatliche Eingriffe bei der Preisbildung Die Preisfestsetzung bei Vorliegen eines natürlichen Monopols zeigt, dass ein Mono- polist die Möglichkeiten besitzt, das Defizitproblem zu umgehen, indem er u.a. Cour- not-Preise 241 anwendet oder die Möglichkeiten zur Preisdifferenzierung nutzt. Noch vor wenigen Jahren bestand nun die Strategie des Staates im Wesentlichen darin, die Regu- lierung von marktmächtigen natürlichen Monopolen durch unmittelbare Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen mit Hilfe von Genehmigungen oder aber auch mit Sanktionen durchzusetzen. Auf der Suche nach einem optimalen Regulierungs- instrumentarium bildeten seinerzeit auch die Tarife den Ausgangspunkt der Überlegun- gen. 242 Nach der allgemeinen wohlfahrtsoptimalen Preisbildungsregel ist die Produktion eines Wirtschaftsgutes dabei so festzulegen, dass der erzielbare Preis den Grenzkosten seiner Herstellung entspricht. Mit der Beibehaltung dieser sog. Marginalkosten-Preisregel ist auch die bestmögliche Allokation der Produktionsfaktoren gesichert. Dabei ist aller- dings zu beachten, dass hinsichtlich der Umsetzung der Marginalkosten-Preisregel häufig bestimmte Annahmen zugrunde gelegt werden. Um die mit natürlichen Mono- polen verbundene Neigung zu wohlfahrtsmindernden Effekten zu verhindern bzw. zu reduzieren, stehen dem Staat dabei zwei Gruppen von Preisbildungsregeln zur Ver- fügung. 243 Dazu zählen in einer ersten Gruppe die Lösungen, die als Ziel die Verwirklichung eines Pareto-Optimums anstreben, das dann erreicht ist, wenn als Folge einer wirtschaftspoli- tischen Maßnahme zumindest ein Nachfrager besser, kein anderer schlechter gestellt ist. Solche Lösungsstrategien versuchen durch staatliche Intervention ein Gleichgewicht von sozialen Grenzkosten und -nutzen zu erreichen und sich einem wohlfahrtsmaxima- len Zustand anzunähern. Andere Modelle negieren die Grenzkosten-Preisregel und 240 Siehe hierzu auch die sehr differenzierte Analyse bei Epple (1997), S. 365 ff. 241 Theorem der monopolistischen Gewinnmaximierung, basierend auf Arbeiten des französischen Mathematikers Antoine Cournot (1801-1877). 242 Vgl. Kunz (2003), S. 47. 243 Vgl. Eckey und (2000), S. 224. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 102 suchen nach Lösungen, mit denen die am Markt teilweise auftretenden Wohlfahrts- verluste vermindert werden können. Zur ersten Gruppe der first-best-Lösungen 244 zählen: a) in Höhe der Grenzkosten fixierte Festpreise. Der Staat schreibt einen Preis vor, der gleichzeitig Grenzkosten und Grenznutzen entspricht und übernimmt die dabei auftretenden Verluste. Hier ist allerdings die Gefahr nicht zu übersehen, dass für das Unternehmen infolge der Verlustübernahme durch den Staat keine Veranlassung mehr zur Kostenminimierung besteht. Es sinkt auch die Neigung zu Produkt- und Prozessinnovationen. Verbunden sind damit auch Informationsdefizite auf Seiten des Staates, so dass er Mängel im Unternehmen nicht mehr zu erkennen vermag. Wahltaktische Überlegungen führen letztendlich dazu, dass die damit verbundenen Kostensteigerungen die Verbraucher, also die Steuerzahler tragen. Eine zusätzliche staatliche Einflussnahme bildet die Einführung einer Missbrauchskontrolle. 245 Dem Monopolisten wird dabei die Einführung seines gewinnmaximalen Preises nicht genehmigt, sondern nur der Preis, der seinen Durch- schnittskosten entspricht. Die Informations- und Kontrollprobleme bleiben auch hier unverändert. Bei einer an den Durchschnittskosten orientierten Preissetzung muss berücksichtigt werden, dass der Unternehmer selbst dann Kosten produziert, wenn er diese senken könnte, weil er hier nur seine Durchschnittskosten ersetzt bekommt. Eine Realisierung der Grenzkosten-Preisregel bei gleichzeitigem Verzicht auf Ver- lustausgleich ist daher nur dann gegeben, wenn der Staat dem Anbieter erlaubt, bei der Preisfestsetzung einen Teil der Konsumentenrente abzuschöpfen. b) gespaltene Tarife. Das zu zahlende Entgelt besteht aus zwei Teilen, und zwar aus einem verbrauchs- abhängigen Teil und aus einem verbrauchsunabhängigen Teil, wobei der verbrauchsabhängige Teil den Grenzkosten entspricht. Die Nachfrager zahlen zu- sätzlich fixe Grundgebühren. c) Preisdifferenzierung. Die Nachfrager entrichten aufgrund unterschiedlicher Zahlungsbereitschaften unter- schiedliche Preise, wobei allerdings die Konsumenten, die nur bereit sind, einen Betrag in Höhe der Grenzkosten zu bezahlen, auch nur diesen Preis entrichten. Nachfrager, die eine höhere Zahlungsbereitschaft zeigen, zahlen also einen höheren Preis, während umgekehrt diejenigen mit einer niedrigen Zahlungsbereitschaft als Konsumenten ausfallen. Hier wird – im verkehrspolitischen Kontext – auf die Tat- sache reagiert, dass die Anzahl und die Zahlungsbereitschaft von Nachfragern oft von der Art, der Qualität und vom Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Verkehrs- 244 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 224 ff. 245 Zu einer differenzierten Erläuterung der Missbrauchskontrolle in Deutschland vgl. z.B. Monopol- kommission (1975). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 103 leistung abhängen. Gelingt es dabei, den Markt in Teilmärkte aufzugliedern, kann dies in besonderen Fällen zu einer vollständigen Abschöpfung der Konsumenten- rente führen. Durch unterschiedliche Preise wird hier das Ziel verfolgt, den Perio- dengewinn zu erhöhen. Preisdifferenzierungen gelten z.B. für die unterschiedlichen Klassen im Schienenpersonenverkehr der DB AG oder für Frühbucher und Spät- reisende. d) Spitzenlastpreisbildung. Insbesondere auf dem Nahverkehrsmarkt mit zeitlich unterschiedlichen Nachfragen zwischen Spitzenbelastungen (Peak-Periode) und schwachen Auslastungen (Off peak-Periode) stellt sich die Frage nach Festlegung des optimalen Kapazitäts- umfangs und der optimalen Preisstruktur mit dem Ziel einer effizienten Nutzung der Kapazitätsausstattung. Ökonomisch betrachtet handelt es sich dabei um zwei unter- schiedliche Güter, die zu unterschiedlichen Preisen bewertet werden. 246 Die Preise sollen hier die Knappheitsverhältnisse signalisieren, wobei nach Möglichkeit die direkten Kosten der Leistungserstellung jeweils gedeckt sind. Die Abhängigkeit von der Nachfrageintensität bei Festsetzung von Preisen ähnelt deshalb auch nicht der Preisdifferenzierung, da hier die Optimierung der Kapazitätsauslastung im Vorder- grund steht. Zur zweiten Gruppe, den second-best-Lösungen, gehört insbesondere die durchschnitt- liche Preisbildung. Dem Anbieter ist es danach erlaubt, seinen Preis in Höhe der Durch- schnittskosten festzusetzen. Von der Kontrollbehörde sind solche Preissetzungen leich- ter zu kontrollieren als beim Ansatz der Grenzkosten. Das häufig bei der strengen Befolgung des Grenzkostenprinzips auftretende Problem des wirtschaftlichen Verlustes wurde von Ramsey durch einen second-best-Ansatz ge- löst. 247 Dabei bleiben die wohlfahrtsökonomischen und allokationsspezifischen Vor- teile größtenteils erhalten, indem die Grenzkosten mit einem Zuschlag versehen werden. Sie vermitteln eine spezifische Form der Preisdifferenzierung, bei der auf die Grenz- kosten ein Zuschlag erhoben wird, der zumindest die Fixkosten bei gleich bleibender Angebotsmenge abdeckt. 248 Die nachfolgende Abbildung soll diese Bedingungen graphisch verdeutlichen. Für ein Gut sind zwei Nachfragekurven mit unterschiedlichen Preiselastizitäten gegeben. Die gesamte Nachfrage ergibt sich durch horizontale Aufaddition beider Nachfragekurven. Dabei wird aus Vereinfachungsgründen unterstellt, dass die wohlfahrtsoptimale Menge X* jeweils zu gleichen Teilen aus X1/2* besteht. Würde danach nur diese Menge ange- boten, entstünde den Produzenten ein Verlust in Höhe der gepunkteten Fläche CDHG. 246 Vgl. Aberle (2003b), S. 339. 247 Vgl. Ramsey (1927). 248 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 227; Storchmann (1999), S. 46 ff. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 104 Zur Mindestabdeckung der Fixkosten erhöhen sich die Preise im Marktsegment auf PI** und im Marktbereich II auf PII**. Dadurch, dass sich beide Mengen auf X1/2** verrin- gern, bleiben die ursprünglichen Relationen der Ausgangsmengen unverändert. Die ent- standenen Wohlfahrtsverluste setzen sich aus den Flächen ABK und ABL zusammen. Für den Fall, dass alle Kosten gedeckt sind, entsprechen die durch die Ramsey-Preise erzielten Einnahmen (PI** . X1/2** + PII** . X1/2**) und mithin genau den Gesamtkosten (2 . X1/2** . F) der Ramsey-Mengen. Abbildung 8: Ramsey-Preise BAC D X*1/2X**1/2 X *(=2·X*1/2) N1 N2 PII** PI** Durchschnittskosten Grenzkosten P K’ DK X F G H L K PI*=PII* X**(=2·X**1/2) Quelle: Entnommen bei: Eckey und Stock (2000), S. 228 Es liegen aber auch Vorschläge vor, die mit dem Ziel der Defizitvermeidung mit kon- stanten Zuschlägen arbeiten. Dabei handelt es sich um Überlegungen, die eine an den jeweiligen Grenzkosten konkurrierender Anbieter und Güter ausgerichtete Nachfrage- entscheidung sichern und gleichzeitig ein eventuelles Problem mit wirtschaftlichen Verlusten lösen wollen. Im vorliegenden Kontext ist insbesondere auf die Diskussion um die Gleichheit der auf die Grenzkosten aufzuschlagenden Beträge (Peage-Systeme) 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 105 hinzuweisen. 249 Ausgangspunkt bilden hier für die Festlegung der gleichen Zuschläge die unterschiedlichen Grenzkosten. Die zusammengezählten Zuschläge garantieren damit die Defizitvermeidung des gesamten Verkehrsbereiches bei sinkenden Durch- schnittskosten. Die Preise beinhalten zwar die unterschiedlichen Grenzkosten der kon- kurrierenden Verkehrsträger, jedoch nicht die ebenfalls auseinander laufenden nichtmarginalen Kosten. Dieses System bevorzugt also solche Anbieter im Wettbewerb, deren nichtmarginale Kosten hoch sind, wie z.B. bei der Eisenbahn. Eine nachhaltige Bedeutung für die Verkehrspolitik hat dieser Lösungsvorschlag jedoch nicht erlangt. Im Zusammenhang von Deregulierung und Privatisierung verschiedener öffentlicher Betriebe, aber auch in der theoretischen Weiterentwicklung innerhalb der Regulierungs- ökonomie hat sich, wie am Beispiel der Trassenpreise bei der Bahn angeführt werden kann, mittlerweile Entscheidendes verändert. Hier wird über nichtlineare Tarife disku- tiert, die möglicherweise eine bessere Variante im Vergleich zu Ramsey-Preisen dar- stellen. Des Weiteren werden unter dem Schlagwort der ‘new economics of regulation’ insbe- sondere die Informationsasymmetrien als Untersuchungsgegenstand thematisiert. 250 Regulierung wird demnach als Vertrag zwischen Regulierer und reguliertem Unterneh- men angesehen. Zentrale Aufgabe der Regulierung ist es, durch staatliche Einfluss- nahme Unternehmen durch entsprechende Anreize in Form von Belohnungen oder aber auch durch Bestrafungen dazu aufzufordern, im eigenen Interesse sozial erwünschte Ziele anzustreben. Dazu wird dem Unternehmen ein gewisser Handlungsspielraum ein- geräumt. Die Regulierung der Kapitalverzinsung lässt sich hier als spezielle Form für eine kostenorientierte Regulierung anführen. Die entscheidende Voraussetzung für diese Art des Regulierens besteht darin, dass die Regulierungsbehörde die Kapitalverzinsung kennt. Dazu muss sie den eingesetzten Wert des physischen Kapitals bestimmen können und über Informationen hinsichtlich der Gewinnsituation im Unternehmen verfügen. Das eigentliche Problem besteht aber eben darin, dass die Regulierungsbehörde den Wert des eingesetzten Kapitals tatsächlich festsetzen und auch einen angemessenen Zuschlag auf die Kapitalverzinsung festlegen muss. Die damit verbundenen Schwierig- keiten bei der Ermittlung sprechen daher gegen diesen Modus der Rendite-Regulie- rung. 251 Im Rahmen der sog. ‘price-cap-Regulierung’ (Preisobergrenzen) bestimmt die Regulie- rungsbehörde eine Preisobergrenze, die vom Unternehmen nicht überschritten werden darf. Unterhalb dieser Obergrenze besitzt das Unternehmen allerdings einen eigenen Handlungsspielraum. Wichtig ist hier die Orientierung nicht an der Kostensituation des 249 Vgl. Aberle (2003b), S. 333. 250 Vgl. Kunz (2003), S. 47. 251 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 237. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 106 regulierten Unternehmens, sondern an der allgemeinen wirtschaftlichen Lage unter Be- rücksichtigung von Parametern wie der Inflationsrate und den Produktivitätsentwick- lungen vergleichbarer Unternehmen. Die mit dieser Preisregulierung verbundenen Probleme liegen in der Festlegung der Produktivitätsentwicklung. Handelt es sich hier um einen Monopolbereich, in dem nur ein einziges Unternehmen auftritt, dann muss dessen Produktivitätsentwicklung zugrunde gelegt werden, so dass wiederum kein Unterschied mehr zur kostenorientier- ten Regulierung vorhanden ist. Bei Preisobergrenzen ist aber auch zu befürchten, dass der Monopolist versucht, seinen Gewinn zu Lasten der Produktqualität zu erhöhen. Preisvorgaben an einen natürlichen Monopolisten sind größtenteils verteilungspolitisch motiviert, weil man damit erreichen will, dass die Preise in allen Regionen gleich hoch sind. Ausgehend von der Überlegung, dass eine tatsächliche Regulierung niemals perfekt sein kann, da sie sich zu vielen Beschränkungen ausgesetzt sieht, lässt sich festhalten, dass Grenzkostenpreise, obwohl bei Bündelungsvorteilen nicht kostendeckend, als ‘first- best’-Lösungen betrachtet werden können. Ramsey-Preise als ‘second-best’-Lösungen sind nicht zentralistisch einsetzbar, da dem Regulierer dafür Kosten- und Nachfrage- funktionen der betreffenden Märkte bekannt sein müssten. Unvollkommene Informatio- nen führen allenfalls zu einer Lösung, die ‘third-best’-Charakter aufweist. Die Umset- zung der Ideen von optimalen Regulierungskontrakten in funktionsfähige und prakti- kable Instrumente hat sich damit nicht erfüllt. 252 Preispolitisch relevant ist auch die interne Subventionierung, wenn von einem Anbieter nicht nur gewinnbringende Leistungen angeboten werden. Zu überprüfen sind hier die Gründe, warum auf solche Verlust bringenden Angebote nicht verzichtet werden kann oder inwieweit, aufgrund von behördlichen Auflagen, die Erbringung derartiger Leis- tungen verlangt werden kann, ob möglicherweise zur Sicherung der gewinnträchtigen Erfolgspotenziale oder aber mittels Regulierungsauflagen staatlicher Stellen als Aus- gleich für Wettbewerbsbeschränkungen zum Vorteil der gewinnbringenden Sekto- ren. 253 Derartige interne Subventionierungen lassen sich vor allem bei öffentlichen Unterneh- men vermuten, wenn etwa über eine Holdinggesellschaft das positive Betriebsergebnis eines Energieversorgungsunternehmens über einen Ergebnisabführungsvertrag bei- spielsweise mit den Verlusten eines ÖPNV-Betriebs verrechnet wird. Allerdings er- schwert zunehmend das EG-Recht die Anwendung derartiger steuerlicher Möglichkei- ten. 252 Vgl. Kunz (2003), S. 48. 253 Vgl. Aberle (2003b), S. 337. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 107 Für die vorliegende Verkehrsthematik erscheint mithin auch der neoklassische Rahmen unregulierter monopolistischer Bottlenecks nicht unbedeutend. 254 Die nachfolgend erläuterten Modellannahmen basieren auf der Theorie der vertikalen Beziehungen und stellen ein Upstream-Downstream-Verhältnis dar, bei denen ausschließlich sich ergän- zende Beziehungen betrachtet werden. Im Upstream-Bereich befindet sich der mono- polistische Bottleneck, welcher den Zugang zur Infrastruktur produziert und dafür auch den Zugangspreis einfordert. Der Upstream-Zugang ist dabei zwingende Voraussetzung für die Produktion im wettbewerbsfähigen Downstream-Bereich, da hier die Endpro- duktion stattfindet. Die dargestellte Ergänzung schließt ein, dass die Menge des End- produkts in einem festen Verhältnis zum Upstream-Output steht. Die Wettbewerbs- fähigkeit der Downstream-Ebene kann dabei sowohl auf aktivem als auch potenziellem Wettbewerb gründen. Bei der Bahn wird als Upstream-Ebene die Infrastruktur betrachtet, während auf der Downstream-Ebene der eigentliche Transport stattfindet. Die Menge des Endprodukts Transport ist dabei Q, wobei ein Kilometer Transport einen Kilometer Zugang zur Infrastruktur bedeutet. Dementsprechend ist auch der Zugang zur Infrastruktur Q. Der Trassenpreis wird mit r bezeichnet. Der Preis des Fahrscheines ist p. Die für den Schie- nenweg anfallenden Kosten sind größtenteils fixe Kosten (F) und treten gemeinsam für den Güter- und Personentransport auf. Neben diesen Kosten treten durch die Bereit- stellung des Upstream-Outputs für den jeweils nachfolgenden Markt noch produktspezi- fische Kosten (d) beispielsweise durch unterschiedliche Benutzung der Gleisanlagen für Güter- und Personenverkehr als variable Kosten auf. Auf der prinzipiell wettbewerbsfähigen Downstream-Ebene sind mehrere Transport- unternehmen tätig und befriedigen die Endnachfrage. Neben den Kosten für den Zugang zur Infrastruktur fallen bereichsspezifische Kosten, etwa für die Bereitstellung von Ser- viceleistungen, als variable Kosten (c) an. Die Zugangsgebühren (r ) sind Grenzkosten für das Transportunternehmen. Es kann aber auch der Fall vorliegen, dass nicht wie bisher angenommen im ‘upstream’ und ‘downstream’ zwei unterschiedliche Unternehmen tätig sind. So ist z.B. die Deut- sche Bahn AG sowohl als Infrastrukturbetreiber als auch als Transportunternehmen tätig und steht dabei in der Downstream-Ebene im Wettbewerb zu anderen Gesell- schaften. Die DB AG ist also alleiniger Anbieter von Infrastruktur und hat gleichzeitig Wettbewerber im Transportsektor. Zwischen den beiden Ebenen wird nun der Zugangs- preis zum Netz verhandelt. Im Idealfall müssten die Zugangsgebühren kostenorientiert gebildet werden und der Zugang für alle Wettbewerber diskriminierungsfrei möglich sein. Die Deutsche Bahn AG hätte dann die gleichen Trassenpreise wie die übrigen Transportgesellschaften zu bezahlen. Es besteht nun ein Regulierungsproblem insofern, 254 Die Folgeerläuterungen orientieren sich an der Analyse von Brunekreeft (2003), S. 27 ff. Hinsicht- lich der Upstream-Downstream-Relation sei aber auch auf den Überblicksaufsatz von Perry (1989) verwiesen. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 108 dass zunächst monopolistische Zugangsgebühren erhoben werden und weiter zwischen den Wettbewerbern auf der Downstream-Ebene diskriminiert wird, indem z.B. die DB Netz AG die DB Regio AG bevorteilt. Auf der internationalen Ebene wurden Erfahrungen hinsichtlich des Copings unregu- lierter monopolistischer Bottlenecks gewonnen: So besteht gemäß Baumol et al. eine Möglichkeit, die Zugangsgebühren zum Schienennetz zu regulieren, die unter dem Namen Efficient Component Pricing Rule (ECPR) bekannt geworden ist. Dabei bleibt allerdings umstritten, ob hier überhaupt von einer Regulierung gesprochen werden kann. Den Ausgangspunkt bildete ein Streitfall im neuseeländischen Telekommunika- tionssektor (es ging um unregulierte Zusammenschaltungsgebühren, die nach Ansicht des Klägers zu hoch und damit wettbewerbsschädlich waren). Nach Meinung von Baumol 255 können die erhobenen Gebühren aber monopolistisch hoch sein und seien gerade deshalb nicht wettbewerbswidrig. Die ECPR-Regel geht von einer Effizienzwirkung im nachgelagerten Markt aus, d.h. der Eintrittspreis muss so hoch sein, dass ein Eintritt in den Markt nur stattfindet, wenn dieser tatsächlich effizient ist. Ein Bottleneck-Betreiber wird mit dem Eintritt von Wett- bewerbern auf nachgelagerten Märkten immer dann einverstanden sein, wenn deren Zugangsgebühren seine entgangenen Erträge decken. Ausgangspunkt der ECPR-Be- trachtung ist der Endproduktpreis und nicht die zugrunde liegenden Kosten, weil hier unterstellt wird, dass dieses Unternehmen beide Ebenen bedient. Das Unternehmen hat dabei Erlöse in Höhe von (pQ) und Kosten von ((c+d)Q+F). Tritt nun ein anderes Unternehmen auf der Downstream-Ebene in den Markt ein, ist anzunehmen, dass der seitherige Monopolist nur noch die Upstream-Ebene (Infrastrukturebene) bedient und damit die Erlöse (rQ) und die Kosten (dQ+F) erzielt. ECPR bestimmt nun, dass r (Zugangsgebühr) so hoch sein muss, dass für den Mono- polisten kein Unterschied mehr zwischen beiden Vorgängen besteht: p(Q) . Q – (c+d) . Q – F = r(Q) . Q – d . Q – F Dies ist dann gegeben, wenn die Zugangsgebühr dem Endproduktpreis (p), vermindert um die eingesparten Kosten (c), entspricht. Daraus folgt: r(Q) = p(Q) – c und entspricht ECPR. Diese Regulierungsmethode führt zu Minimierung der Diskrimi- nierungsanreize und der produktiven Ineffizienz, was als Vorteil der Methode aufgefasst werden kann. Als Nachteil verbleibt allerdings das Monopolergebnis und damit die allokative Ineffizienz. 256 255 Vgl. Baumol und Sidak (1994); Baumol et al. (1996). 256 Vgl. Brunekreeft (2003), S. 30 ff. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 109 Der Ausgleich der Opportunitätskosten des seitherigen Monopolisten unter ECPR schließt aber auch ein, dass weggefallene Überschussgewinne aufgerechnet werden. Die Nicht-Diskriminierung des Downstream-Wettbewerbers erscheint fraglich, so dass offen bleibt, inwieweit dieser Referenzfall für die Praxis zuverlässig ist. Eine weitere Regulie- rungsanwendung der ECPR stellt die ‘global price cap-Regel’ dar. Die Endprodukt- preise sollen mittels eines ‘price cap’ (Begrenzung des Preises) reguliert werden und dann – ausgehend von ECPR – die Zugangsgebühren zwischen den Unternehmen aus- gehandelt werden. Mit der ‘global price cap’ werden die auf dem Markt vorhandenen Gewinne auf einer niedrigeren Basis festgesetzt als in unregulierten Fällen. Der Upstream-Monopolist ist dann in der Lage, mit Hilfe von ECPR alle im regulierten Markt vorhandenen Renten durch die Zugangsgebühren auf der Upstream-Ebene zu erzielen. Er wird daher keinen Anreiz verspüren, den Downstream-Markt für Wett- bewerber zu schließen. Der entscheidende Nachteil dieser Regel besteht nicht nur darin, dass die im Markt vorhandenen Gewinne geringer sind, sondern dass durch die End-to- End-Regulierung auch Bereiche betroffen sind, die keiner Regulierung bedürfen, da sie wettbewerbsfähig sind. Als für Streckennetze relevante Regulierungsformen sollen in der Folge • die disaggregierte Regulierung und symmetrischer Netzzugang, • die disaggregierte Preisregulierung und vertikale Separierung sowie • die disaggregierte Preisregulierung und ‘accounting separation’ („virtuelle Separie- rung“) näher untersucht werden. Disaggregierte Regulierung und symmetrischer Netzzugang: Weil es ihm genügt, durch monopolistische Zugangsgebühren die im Markt vorhandenen Gewinne abzuschöpfen, besitzt der Monopolist im neoklassischen unregulierten Referenzmodell auf der Upstream-Ebene nicht generell Diskriminierungsanreize. Allgemein gilt hier, dass die Diskriminierungsanreize umso stärker sind, je intensiver die Zugangsgebühren reguliert werden. Falls dies aber auf dieser Ebene nicht zu erreichen ist, wird der Monopolist versuchen, sie auf der Downstream-Ebene zu erzielen. Zu diesem Zweck monopolisiert er durch Diskriminierung der Wettbewerber diese Ebene, indem er diesen keinen Zu- gang oder einen erschwerten Zugang zum Streckennetz gibt. Es liegt hier dann – allge- mein gesprochen – eine Aufgabe des Zieles der allokativen Effizienz (Vermeidung von Überschussgewinnen auf der Upstream-Ebene) und des Zieles der produktiven Effizienz vor. Disaggregierte Preisregulierung und vertikale Separierung: Wie im Zusammenhang mit der globalen Regulierung dargelegt, ist deren Vorteil, dass die Diskriminierungsanreize gemildert werden. Mit der vertikalen Trennung wird nun eine alternative Methode zur Bewältigung dieser Diskriminierungsanreize untersucht. Dem Upstream-Monopolisten verbietet es der Regulierungseingriff, auf der Downstream-Ebene Aktivitäten zu ent- 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 110 wickeln. Damit soll erreicht werden, dass der disaggregierte preisregulierte Upstream- Monopolist keine Anreize besitzt, dritte Unternehmen auf der Downstream-Ebene zu diskriminieren. Tendenziell kann daraus gefolgert werden, dass der Upstream-Betreiber sogar an Wettbewerb auf der Downstream-Ebene interessiert ist. Falls nämlich auf seiner Ebene eine Price Cap-Regulierung besteht, kann der Upstream-Betreiber seinen Gewinn durch Erhöhung der abgesetzten Menge noch steigern, wobei diese von der Größe des Endproduktmarktes abhängig ist. Dieser Markt ist umso größer, je um- kämpfter der Downstream-Wettbewerb ist, da dies nicht nur die Gewinnspanne, sondern auch die Produktionskosten und den Endproduktpreis beeinträchtigt. Die Behauptung, dass Downstream-Unternehmen bei zu hohen Zugangsgebühren nicht überleben könnten, ist dabei schlichtweg falsch, weil diese sich langfristig als Grenz- kosten niederschlagen Da alle Firmen im langfristigen Durchschnitt im wettbewerb- lichen Markt nur eine normale Rendite erzielen, ziehen höhere Grenzkosten lediglich höhere Endproduktpreise nach sich. Für die Downstream-Unternehmen ist vielmehr entscheidend, dass alle Firmen gleich behandelt werden. Dies wird weitgehend durch die vertikale Separierung sichergestellt. Die Höhe der Zugangsgebühren spielt dabei keine Rolle. Es könnte die Annahme vertreten werden, dass damit beide Regulierungsziele, nämlich Preis/Gewinnregulierung und Lösung der Diskriminierungsanreize, erreicht worden sind. Obwohl dieser Vorteil der vertikalen Trennung von Bedeutung ist, wird er in der Praxis nur begrenzt angewendet. Der entscheidende Nachteil dieser Methode ist, dass eine Beeinträchtigung der Eigentumsrechte der Unternehmen mit einbezogen wird, indem der Regulierer den betroffenen Firmen vorschreibt, bestimmte Teile des Unter- nehmens zu verkaufen. Deshalb wird in Liberalisierungsprozessen zunächst umstruk- turiert und dann erst privatisiert. Die meisten Unternehmen sind nicht ohne Grund verti- kal integriert, weil bei vertikaler Trennung sonst Synergieeffekte zwischen beiden Ebenen verloren gehen würden. Transaktionskostenminimierung kann einen weiteren Grund für vertikale Integration darstellen. In der Praxis können mehrere Stufen bei der vertikalen Separierung beobachtet werden. In einer ersten Stufe erhalten die Organisationsbestandteile jeweils ein eigenes Management, danach eine eigenständige Betriebsstruktur und in einer dritten Stufe können daraus selbständige Aktiengesellschaften errichtet werden. In einem letzten Schritt könnte dann die Muttergesellschaft (zumeist Upstream-Ebene) die Aktien ihrer Tochtergesellschaften verkaufen. Diese strikte vertikale Trennung erfordert diese Vor- gehensweise und ist auf vollständige Eigentumstrennung ausgerichtet. Zusammenfas- send muss bei der Entscheidung, ob vertikale Separierung als Regulierungsinstrument angewendet werden soll, zwischen den Kosten gestörten Wettbewerbs auf der Downstream-Ebene (falls nicht getrennt) und den Kosten der vertikalen Separierung abgewogen werden. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 111 Disaggregierte Preisregulierung und ‘accounting separation’ („virtuelle Separierung“): Der Regulierer wird versucht sein, zeitgleich nicht nur die Zugangsgebühren, sondern auch die sich daraus ergebenden Diskriminierungsanreize zu regulieren. Eine dafür ge- eignete Lösung ist eine „Mischung“ von disaggregierter Preisregulierung der Upstream- Ebene mit zusätzlichen Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung. Wie genau die Zugangsgebühren zu regulieren sind, wird in der Wissenschaft ausführlich disku- tiert. In der Praxis haben sich dazu verschiedene Methoden entwickelt: Während z.B. im Elektrizitätssektor eine Tendenz zur Price Cap-Regulierung, also zu einer preisabhängi- gen Methode besteht, tendiert man im Kommunikationsbereich zur kostenorientierten Lösung der Methode der ‘long run incremental costs’ (LRIC). Der Regulierer berechnet bzw. schätzt bei dieser Methode die Kosten der Produktion des intermediären Gutes Gleisanlagen. Die erlaubte Zugangsgebühr entspricht dann diesen Kosten zuzüglich einer angemessenen Rendite. Die Aufteilung der Gemeinkosten erfolgt nach zwei grundlegenden Methoden. Die erste Methode geht von den Preiselastizitäten auf den jeweiligen Märkten aus, d.h. sie misst das Verhältnis der relativen Nachfrageveränderungen und der sie auslösenden relativen Veränderung des Preises. Der Endproduktpreis des jeweiligen Produkts ist abhängig von der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Der sich so ergebende Aufschlag auf die produktspezifischen variablen Kosten sind Beiträge zur Deckung der fixen Gemein- kosten. Dies gilt unabhängig von der Marktform. Dieses Verfahren wird verwandt, wenn der Regulierer so genannte Ramsey-Preise bestimmt, wobei die Bestimmung der endogenen Preiselastizitäten problematisch und schwierig ist. Allerdings können durch preisbasierte Regulierungsmethoden Anreize geschaffen werden, nach denen das regu- lierte Unternehmen eine den Preiselastizitäten entsprechende Preisstruktur selbst sucht. Alternativ verwendet die Methode der ‘fully distributed costs’ (FDC) eine konkret fest- gelegte Aufteilung der Gemeinkosten, die trotz aller theoretischer Einwendungen immer noch angewendet wird. Das entscheidende Problem bei der disaggregierten Regulierung ist, dass sie im Gegen- satz zum neoklassischen Referenzfall der Nichtregulierung Diskriminierungsanreize schafft. Die Downstream-Ebene ist wegen des dort herrschenden funktionsfähigen Wettbewerbs nicht zu regulieren. Werden die Zugangsgebühren auf der Upstream- Ebene kostenorientiert reguliert, fallen die im Markt vorhandenen Renten prinzipiell auf der Downstream-Ebene an, wo sie, infolge des Wettbewerbs, den Konsumenten zukommen. Der Bottleneck-Betreiber könnte allerdings diese Renten für sich ab- schöpfen, indem er den Downstream-Markt für die Wettbewerber schließt und sich allein das Monopol sichert. Die Diskriminierungsanreize entstehen also gerade bei einer disaggregierten Preisregulierung auf der Upstream-Ebene. Sollen nun diese Diskrimi- nierungsanreize bewältigt werden, so sind zusätzliche Regulierungsmaßnahmen erfor- 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 112 derlich. 257 Das als ‘accounting separation’ bezeichnete Paket besteht aus folgenden Maßnahmen: • Nutzungszugangsgebot: Jedem ist der Zugang zum Bottleneck zu gewähren, wenn dieser ihn vom Bottleneck-Betreiber verlangt. • Diskriminierungsverbot: Es beinhaltet, dass der Bottleneck-Betreiber unabhängige Dritte auf der Downstream-Ebene im Hinblick auf die Zugangsgebühren wie seine eigene Downstream-Abteilung zu behandeln hat. • Verbot der Quersubventionierung zwischen Monopol- und Wettbewerbsbereich. • Für den Monopol- und Wettbewerbsbereich (unklar) sind getrennte Bücher zu füh- ren. Die den verschiedenen Funktionen zugeteilten Kosten müssen der Upstream- Ebene bzw. der Downstream-Ebene zugeschlagen werden. Die disaggregierte Regulierung der Zugangstarife und die Bewältigung der Diskriminie- rungsanreize durch ‘accounting separation’ bildet das Ergebnis dieser Maßnahmen und kann auch als ‘virtual separation’ bezeichnet werden. 258 2.3.2 Marktzugangsschranken als regulative Maßnahme In der Geschichte der Verkehrspolitik in Deutschland war schon immer die Tendenz zu einer durchgehenden intermodalen Regulierung vorhanden. Das ließ zwangsläufig Be- strebungen, mehr Wettbewerb zuzulassen, gar nicht erst aufkommen. Marktzutritts- regulierungen lassen sich bis in die 1930er Jahre, in denen der gesamte gewerbliche Güterfernverkehr unter eine einheitliche Leitung gebracht wurde, zurückverfolgen. 259 Die Ursache für diesen Zustand liegt in der natürlichen Monopoleigenschaft der Ver- kehrsinfrastrukturen, was wiederum zu der Befürchtung Anlass gab, dass die Ver- kehrsmärkte zu übermäßigem Wettbewerb neigen würden. Dieses Argument kann aber nicht überzeugen, wenn man sich anhand eines Parallelbeispiels vergegenwärtigt, dass niemand ernsthaft auf die Idee kommen würde, aus diesem Grund für das Fahren auf Autobahnen (hier quasi das „Streckennetz“) Zugangsschranken für den motorisierten Individualverkehr (gleichsam das „rollende Material“) einzuführen. 257 Vgl. Brunekreeft (2003), S. 38. 258 Vgl. Brunekreeft (2003), S. 39. 259 Vgl. Berndt und Kunz (2003), S. 181. Hinweis: Für die Regulierung in den 1930er und 1940er Jahren waren dabei auch die Maßnahmen zentralistischer Kommandowirtschaft unter den Bedin- gungen der NS-Politik ursächlich. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 113 Infolge mangelnder Reaktionen auf die Einflussnahmen der Politik auf eine intermodale Verkehrsaufteilung zu Gunsten der Bahn, wurde der Bau von Verkehrsinfrastrukturen zunehmend als eine staatliche Förderungsmaßnahme angesehen, und das obwohl der Bahn schon seit Beginn der 1960er Jahre im modal split nur noch eine untergeordnete Rolle zukam. 260 Auch nach deren Privatisierung 261 sieht der Staat in der Stärkung der Rolle der Bahn eine wesentliche Aufgabe in der Verkehrspolitik. Hohe Investitionshilfen für den Auf- und Ausbau von Infrastruktureinrichtungen sind Ausdruck dieser Politik. Die Rechtfer- tigung für derartige Infrastrukturinvestitionen erfolgt über ausführliche und zumeist projektbezogene Kosten-Nutzen-Analysen, die im Zusammenhang mit der Bundesver- kehrswegeplanung erstellt werden, wobei hier versucht wird, sämtliche direkten und indirekten Kosten und Nutzen von Verkehrsprojekten zu erfassen und in Geld zu be- werten. Diese vermeintlich objektive Werteinschätzung von Verkehrsprojekten durch eine Kosten-Nutzen-Analyse stellt aber offensichtlich einen Widerspruch in der Ver- kehrspolitik dar, der sich auch im aktuellen Weißbuch der EU niederschlägt: Für das Ziel, die Entgeltsysteme für die Nutzung von Verkehrsinfrastrukturen in Einklang zu bringen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern abzu- bauen, wird für die Tarifierung des Infrastrukturzugangs ein Konzept entwickelt, welches auf eine Kostenanlastung nach dem Verursacherprinzip abzielt. Nach Ansicht der EU-Kommission ist das einzige Tarifierungskonzept, das diesen Ansprüchen ge- recht wird, ein Tarifsystem mit Preisen in Höhe der Sozialkosten. Nur eine derartige Preisgestaltung nach sozialen Grenzkosten führe danach zu einer Verlagerung der Ver- kehrsleistungen auf Verkehrsträger mit geringen externen Effekten. 262 260 Überspitzt lässt sich diese Entwicklung des intermodalen Bedeutungsverlusts der Bahn auch als „Talfahrt ohne Ende“ charakterisieren; vgl. Berndt und Kunz (2003), S. 174. – Siehe zur proble- matischen Konstellation seit den 1960er Jahren auch Reinhardt (1996) sowie Hertel und Boden- sohn (1998). 261 Streng genommen muss dieser Begriff mit Zurückhaltung verwendet werden, da das Unternehmen Deutsche Bahn AG zwar nun privatwirtschaftliche Züge trägt, sich die Anteile aber nach wie vor im Bundesbesitz befinden. Eine Privatisierung mit erheblichem Streubesitz wie bei Post und Tele- kom ist insofern noch ein Zukunftsszenario, dessen Eintritt immer wieder unterschiedlich bewertet wird (Jahr 2005 oder auch später); vgl. auch Sack (2001), S. 10. 262 Vgl. Europäische Kommission (2001). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 114 2.4 Zum positiv-theoretischen Ansatz des ‘rent seeking’ im Verkehrsbereich Nachdem sich gezeigt hat, dass sich mit der normativ-theoretischen Betrachtung die staatliche Regulierung von Verkehrsmärkten nicht überzeugend begründen lässt, findet sich im Ansatz des so genannten ‘rent seeking’ ein gleichsam positiv-theoretischer An- satz für eine solche Begründung. Bei dieser Argumentation wird das Streben von pri- vaten Anbietern nach einer staatlich abgesicherten Monopolstellung unter Ausschaltung von Konkurrenten aus einem Rationalkalkül heraus erklärt. 263 Wettbewerbsbeschränkungen und Regulierungsmaßnahmen werden damit als Ergebnis einer Anbieter-Nachfrager-Beziehung auf Märkten erklärt. Private Marktteilnehmer werden danach immer dann eine staatliche Regulierung befürworten, wenn diese eine Wettbewerbsbeschränkung gegenüber den anderen Marktteilnehmern beinhaltet und der Inhaber dieser Position Marktmacht ausüben kann. 264 Dabei entstehen mit der Zeit gleichgerichtete Interessen zwischen Regulierern und den Regulierten (capture approach), was dazu führen kann, dass die zuständigen Aufsichts- behörden zunehmend die Interessen der von ihnen zu beaufsichtigenden Unternehmen übernehmen. 265 Es lohnt sich also für einen Anbieter, Ressourcen mit dem Ziel einzubringen, staatliche Institutionen zur Schaffung einer ansonsten nicht gegebenen Monopolstellung zu bewegen. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht sind diese Ressour- cen als Nettowohlfahrtsverluste zu betrachten, die weit über die hinausgehen, die mit der Monopolstellung selbst verbunden sind. Die Ressourcen, die auch als Transaktions- kosten des ‘rent seeking’ bezeichnet werden, führen nicht zu einem erweiterten Ange- bot, sondern lediglich zu einer Umverteilung von der Konsumenten- zur Produzenten- rente. Mit der Theorie des ‘rent seeking’ wird erklärbar, warum allein der Staat die Möglich- keit besitzt, künstliche Monopolsituationen herbeizuführen und auch langfristig zu garantieren. Die gegenwärtige Stellung der Deutschen Bahn AG ist dafür ein geeignetes Beispiel. Nach Stigler 266 bieten die Regierung und die Verwaltung in diesem Zusammenhang „Regulierungsmaßnahmen gegen Wählerstimmen“ an. Posner 267 sieht dagegen als wah- ren Grund der staatlichen Regulierung den Versuch, die Unternehmen zur Abgabe von an sich unrentablen Leistungen anzuhalten. Zur Subventionierung derartiger Leistungen 263 Vgl. Laaser (1991), S. 112. 264 Vgl. Laaser (1991), S. 112. 265 Vgl. Aberle (2003b), S. 106. 266 Vgl. Stigler (1971), S. 3 ff. 267 Vgl. Posner (1971), S. 22. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 115 werden andere Nachfragergruppen mit einbezogen, indem ihnen eine Art Steuer in Form von Unkostenpreisen aufgebürdet wird. Im Modell von Peltzmann 268 erzielt die Regierung bei der Regulierung eines Marktes die höchstmögliche Zustimmung unter der Wahlbevölkerung mit der Zusage, dass Transfers zwischen Belasteten und Begünstigten auf den regulierten Markt beschränkt bleiben. Da die Elastizitäten der Zustimmung bzw. Ablehnung bei den Begünstigten und Besteuerten entscheidend sind, ist es durchaus vernünftig, die Vorteile aus der Regulierung nicht nur einer Marktseite zukommen zu lassen. Bezogen auf die Struktur des Verkehrswesens in Deutschland, ist die Theorie des ‘rent seeking’ nicht nur als Argument zur Erklärung der „Wünsche“ von Anbietern und Nachfragern einsetzbar, sondern auch im Falle des Staates. Dies gilt vor allem dann, wenn eine voraussichtliche Monopolrente für den Fiskus anfällt und diese zur Kosten- deckung des Staatshaushalts verwendet werden kann. 269 ‘Rent seeking’ des Staates ist letztlich mit der Suche nach einer zusätzlichen Steuer- quelle zu vergleichen. 270 Generell ist es auch hier sinnvoller, Gemeinschaftsaufgaben nicht durch eine umfassende Regulierung zu sichern, sondern die geforderten Leistun- gen auszuschreiben oder durch Erteilung öffentlicher Aufträge mit entsprechender Bezahlung. 2.5 Außerökonomische Begründungen für staatliche Eingriffe 2.5.1 Das Problem der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsbedienung Im Kontext der Diskussion über die Behandlung externer Effekte im Verkehrswesen wird auch der gemeinwirtschaftliche Charakter der Verkehrsbedienung mit angeführt, obwohl es sich dabei allenfalls um pekuniäre externe Effekte handelt, die nur eine Redistributionsmaßnahme darstellen, also allokationstheoretisch irrelevant sind. 271 Dies ist allerdings für die Themenstellung von Bedeutung, da das Argumentationsmuster für die Verstaatlichung der Eisenbahn angeführt wurde und da sich damit auch die Frage verbindet, wie weit ein staatlicher Einfluss reichen sollte, um die entsprechend dem 268 Vgl. Peltzmann (1976), S. 211 ff. 269 Vgl. Laaser (1991), S. 113. 270 Vgl. Laaser (1991), S. 113. 271 Vgl. Laaser (1991), S. 104 ff. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 116 Sozialstaatsprinzip garantierten Bereitstellungen von Verkehrsleistungen gewährleisten zu können. 272 Durch die Möglichkeit, nunmehr Wettbewerb im SPNV u.a. im Rahmen von Aus- schreibungen zu betreiben, hat die Unterscheidung zwischen eigenwirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen erheblich an Bedeutung gewonnen. 273 Letztendlich entscheidet diese Einstufung, ob die Verkehre auszuschreiben sind oder nicht. Eigenwirtschaftlich wird danach ein Verkehr dann betrieben, wenn der entste- hende Aufwand durch das Beförderungsentgelt, gesetzliche Erstattungs- und Aus- gleichsregelungen abgedeckt wird. Aber auch die Einnahmen aus Querverbundzahlun- gen sind hier mit zu berücksichtigen. Von gemeinwirtschaftlichen Verkehren spricht man dagegen, wenn der Auftraggeber die eintretenden Verluste auszugleichen hat. Dadurch, dass diese gemeinwirtschaftlichen Verkehre, wie sie insbesondere im SPNV vorliegen, nunmehr auszuschreiben sind, erhoffte man sich positive Auswirkungen auf den angestrebten Wettbewerb. Dies wird bisher allerdings in der Regel dadurch verhin- dert, dass die Deutsche Bahn AG der Meinung ist, dass diese Verkehre nicht auszu- schreiben seien. Für kommunale Verkehrsträger besteht die gesetzlich zulässige Mög- lichkeit der Quersubventionierung, so dass entstehende Verluste im SPNV mit Über- schüssen aus anderen öffentlichen Betrieben verrechnet werden, was zur Folge hat, dass diese Verkehre als eigenbetrieblich zu betrachten und folglich nicht auszuschreiben sind. Da eine Vergabe derartiger Verkehre aus vorstehenden Gründen bisher nur im geringen Umfang erfolgte, kann auch von Wettbewerb im eigentlichen Sinne noch nicht gesprochen werden. 274 Allerdings darf auch nicht ignoriert werden, dass durch politi- sche Vorgaben eigenwirtschaftlich betriebene Verkehrslinien in die Gemeinwirtschaft- lichkeit gedrängt werden könnten, was wiederum den Besitzstandsschutz aufheben würde. 275 Die Eigenwirtschaftlichkeitsprämisse erstreckte sich sowohl auf den Güter- als auch auf den Personenverkehr (Eisenbahngüterverkehr in der Fläche, Personenverkehr auf der Schiene und auf der Straße im ländlichen Raum, Personenverkehr in Ballungsgebieten), da diese ursprünglich der gleichmäßigen Erschließung des Staatsgebiets mit Verkehrs- leistungen dienen sollten. Dieses gemeinwirtschaftliche Prinzip hat sich später in eine gemeinwirtschaftliche Tarifpolitik im Sinne einer Tarifgleichheit im Raum geändert. Diese Sozialbindung äußerte sich in einer Vorzugsbehandlung bei den Tarifen und einer durch die geäußerte Nachfrage nicht gerechtfertigten Betriebsbereitschaft der Bahn u.a. für bestimmte Personengruppen, wobei für die diesbezügliche Finanzierung dann eine interne Subventionierung eingeführt wurde. 272 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 258. 273 Vgl. Aberle (2001b), S. 76 ff. 274 Vgl. Karl (2002), S. 7 ff. 275 Vgl. Kolks (2003a), S. 71. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 117 Im Personenverkehr wird sie über nicht kostendeckende Tarife gesichert und soll den- jenigen Personen zugute kommen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Das damit verbundene regional- und sozialpolitische Ziel einer Umverteilung von Ver- kehrsleistungen in periphere Regionen, nicht zuletzt mit dem normativen Argument einer „Prophylaxe“ gegenüber Flächenverödungen, wurde somit politisch vorgegeben. Nach Ansicht des Verfassers ist es aber fraglich, ob diese gemeinwirtschaftliche Ziel- setzung mit der Tendenz zu mehr Wettbewerb im Verkehrswesen vereinbar ist. Es ist darüber hinaus zu fragen, ob diese Art der Versorgung überhaupt mit dem gegenwärtig existierenden Verkehrssystem noch vereinbar ist. Gerade der Vorbehalt für Strecken- stilllegungen im Personenverkehr in der Fläche lässt die Vermutung zu, dass es im gegenwärtigen System erhebliche Widersprüche gibt. In der Strukturdiskussion werden häufig auch Lösungsvorschläge unterbreitet, die auf die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen von Nahverkehrsunternehmen abheben. Werden aber betriebswirtschaftlich unrentable Strecken weiter betrieben, so ist dies keine Form des Marktversagens, sondern vielmehr Ausdruck politischer Präferenzen, d.h. von Rahmenbedingungen für den ÖPNV-Markt. 276 In diesem Rahmen und unter diesen Voraussetzungen kann dann auch der Markt funktionieren. Die Art und Weise, wie die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung, die sich nicht nur in Form von Tarifermäßigungen, sondern auch in der Betriebspflicht der Bahn für viele betriebswirtschaftlich unrentable Strecken äußert, heute funktioniert, dürfte nicht mehr mit den ursprünglichen Intentionen bei ihrer Einführung übereinstimmen. Ein Beleg für diese Vermutung sind die geringen Fahrgastzahlen vor allem der Personen- züge im ländlichen Raum. Die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung kann heute unter anderem auch deshalb nicht mehr konsequent verfolgt werden, weil gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung und Wettbewerb einander ausschließen, obwohl auch das gemeinwirtschaftliche Ziel Ressourcen sparend verfolgt werden soll. In einem marktwirtschaftlichen System hat aber derjenige, der einem Anderen Auflagen zu betriebsfremden Diensten macht, diese Dienste dem Unternehmen abzugelten. Dies berechtigt allerdings nicht dazu, Wett- bewerb einzuschränken, weil dadurch möglicherweise billigere Lösungen für das gemeinwirtschaftliche Ziel unberücksichtigt bleiben. 276 Vgl. Scheele und Sterzel (1999), S. 25. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 118 2.5.2 Daseinsvorsorge als Ursache für gestaltende Staatseingriffe Die Bedeutung öffentlicher Unternehmen und die Problematik der Daseinsvorsorge steht nach wie vor in einem engen Zusammenhang mit den Perspektiven des schienen- gebundenen Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), vor allem weil der Wirt- schaftszweig Verkehrswesen im hohen Maße durch öffentliche „Einflussnahme“ gekennzeichnet war und ist. Zudem stehen die Begriffe der „Daseinsvorsorge“ und „öffentlichen Unternehmen“ für eine Aufgabenerfüllung im Wirtschaftsgefüge, die jen- seits der Reichweite des Marktgeschehens gewährleistet wird bzw. mit denen Formen von „Marktversagen“ ausgeglichen werden können. Um den historisch entstandenen Zustand im Hinblick auf das Angebot, die Versor- gungsdichte, den damit verbundenen Aufwendungen einerseits und auf das Potenzial an notwendigen Veränderungen andererseits zur erfassen, ist es methodisch sinnvoll, von den theoretischen Begriffen „Daseinsvorsorge“ und „öffentliche Unternehmen“ auszu- gehen und deren Veränderungen im Hinblick auf den Verkehr zu erfassen. Gerade die in vielfältiger Form rechtlich festgeschriebene Daseinsvorsorge des Staates für seine Bür- ger ist eine wichtige und - wenn man so will - auch begrenzende Rahmenbedingung bei der Veränderung von Verkehrsangeboten, sofern diese mit der Stilllegung von solchen Strecken verbunden ist, die bislang in das für jeden Nutzer zur Verfügung stehende Verkehrsangebot einbezogen waren. Bestimmte Leistungen werden traditionell als dem Staat zukommende Daseinsvorsorge von den Bürgern, die sie in Anspruch nehmen, aufgefasst. Dies ist selbst dann so, wenn die Gründe, die einmal zur Übernahme dieser Verpflichtung zur Daseinsvorsorge führ- ten, nicht mehr existieren (persistierender Erwartungskontext). Grundlegende Umwäl- zungen, die durch den intensiveren Wettbewerb und durch technologische Umwälzun- gen einerseits zu einer weiteren Ökonomisierung der Verkehrsangebote drängen und andererseits die Deregulierung vorantreiben und die sich ferner auf dem Gebiet des Verkehrs in einem veränderten Mobilitätsverhalten niederschlagen (siehe Abschnitt 1.3 über die Mobilität), vollziehen sich stets in diesem Erwartungskontext und im gegebe- nen, ebenfalls historisch gewachsenen rechtlichen Rahmen. Stilllegungen von Streckenabschnitten, also die Einschränkung von bisher bestehenden Angeboten bzw. die Umstrukturierung von Angeboten, müssen sich zwangsläufig immer mit diesen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Will man also eine konkrete Lösung für ein regionales Verkehrskonzept bewerten oder eine neue vorschlagen, wie es das Ziel dieser Arbeit ist, so ist die Berücksichtigung dieser grundlegenden theore- tischen Aspekte unabdingbar. Bei der Erfassung des inneren, inhaltlichen Zusammenhangs von Daseinsvorsorge, öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Unternehmen und dessen Veränderung folgt der Verfasser dabei zwei gleichsam chronologisch unterscheidbaren Schritten. Der erste Schritt besteht darin, die historische Ausgangssituation dieses Zusammenhangs der 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 119 Begriffe zu erfassen. Dies gilt für den Begriff der Daseinsvorsorge, und zwar in seinem historischen Kontext, und dabei bezogen auf das Verkehrswesen. Dieser historische Aspekt muss dann auch bei den öffentlichen Aufgaben bzw. bei der Herausbildung öffentlicher Unternehmen vor allem im Verkehrswesen berücksichtigt werden. Der zweite Schritt versucht die konkrete Ausprägung des Zusammenhangs in der Gegenwart zur erfassen. Dabei finden sich die Spezifizierungen, vor allem jene grund- legenden Veränderungen, die sich durch den Wettbewerbsdruck und die technolo- gischen Umwälzungen generell in Richtung Ökonomisierung und Deregulierung voll- zogen haben, wieder. Dies schlägt sich in einem im Kern zwar weiter bestehenden und juristisch festgeschriebenen Begriff der Daseinsvorsorge nieder, der gleichwohl bestimmte Modifikationen erfahren hat. Das gilt dann natürlich auch für die öffentlichen Aufgaben bzw. das öffentliche Unternehmen. Dabei interessieren im untersuchten Zu- sammenhang nicht nur Veränderungen, die der Begriff erfahren hat, sondern vor allem, wie sich dies auf die Erfüllung der Aufgaben im ÖPNV auswirkt und in neue Misch- formen unterschiedlicher Eigentumsformen bei den entsprechenden Unternehmen ein- binden lässt. Der Verfasser geht in dem Zusammenhang von der These aus, dass der Kernauftrag der Daseinsvorsorge für die Bereitstellung von Verkehrsangeboten zu einem Teil erhalten bleibt, sich aber deren „Erscheinungsformen“ gerade beim öffentlichen Nahverkehr verändern. Das ergibt sich schon aus jenen Anforderungen, die mit der Entwicklung der Mobilität zusammenhängen. 277 Dabei werden sich unter den Bedingungen einer ausdifferenzierten, internationalisierten, offenen Wirtschaft neue, komplexere Formen herausbilden, die privatisierte Unternehmen und koordinierte „Mischkonzepte“ ein- schließen werden. 278 Die so genannte Daseinsvorsorge ist zunächst einmal ein historisch geprägter Begriff. Bis heute zählt die Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Gütern und Leistun- gen, u.a. mit ausreichendem Strom, Wasser, Postleistungen, zu den wichtigsten Auf- gaben des Staates im Rahmen seiner Daseinsvorsorge. Somit wird unter Daseins- vorsorge die soziale Verantwortung des Staates für eine bestimmte Grundversorgung der Bevölkerung verstanden. Aus Perspektive der Verwaltungswissenschaft handelt es sich dabei mithin nicht um einen hoheitlichen Eingriff der Verwaltung, sondern um eine Tätigkeit der Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand über ihre Eigenbetriebe oder über private Unternehmen bzw. Mischformen, wobei alles, was funktionell zur Daseins- 277 Siehe Abschnitt 1.3 zu den historisch gewachsenen Umbrüchen im Mobilitätskonzept und den modernen Anforderungen an Mobilität. 278 Trotz dieser modernen „Erscheinungsformen“ bleibt es unbestritten, dass sich gewisse Basispro- bleme des ÖPNV/SPNV in den letzten Dekaden immer wieder auf die gleichen Bereiche erstreck- ten (Defizitausgleich, Finanzierung von öffentlichen Aufgaben etc.); vgl. hierzu Ambrosius (1997). 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 120 vorsorge gehört, nach öffentlichem Recht beurteilt wird. 279 Die Rechtsform der Unter- nehmen allein ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. 280 Die in dem Begriff der Daseinsvorsorge zusammengefasste sozialpolitische Verant- wortung des Staates wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts thematisiert. Die Industriali- sierung in der Zeit von 1860 bis zum 1. Weltkrieg war zum Teil mit dramatischen demografischen Umwälzungen einhergegangen, die wiederum einen Umbau der Wirt- schaftsstrukturen bedingten und damit auch jene Standortfragen aufwarfen, die das Wohnen und Arbeiten und damit den Städtebau schlechthin betrafen und sich in spezi- fischen Anforderungen an die Mobilität niederschlugen. 281 Die gesetzlichen Grundlagen für die Zuständigkeit der Kommunen zur Erbringung bestimmter Leistungen für die Bürger wurden mit dem Übergang vom Absolutismus zum Verfassungsstaat begründet. 282 Die Wahrnehmung dieser Verantwortung wird seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts traditionell vorwiegend mit öffentlich-recht- lichen Betrieben verbunden. In Deutschland gilt dabei auch der ÖPNV als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Hatten die Erfahrungen, die zur Entstehung einer Verantwortungsübernahme des Staates für die Erfüllung bestimmter Aufgaben beim historischen Übergang vom Absolutismus zum Verfassungsstaat den Ruf nach einem Rückzug des Staates aus der Gesellschaft hervorgerufen, so führten bestimmte Erfahrungen, die in der liberalen Marktwirtschaft gemacht wurden, in Fällen von Marktversagen wiederum zum Gegenteil. 283 Damit verband sich gleichzeitig die Einführung der Sozialgesetzgebung, Repression gegen Sozialdemokraten und Gewerkschafter sowie eine Wiederbelebung des Protek- tionismus. Mit staatlichen Strukturanpassungsprogrammen versuchte man andererseits aber auch, der wirtschaftlichen Rückständigkeit in weiten Teilen des Landes entgegen- zuwirken (siehe hierzu auch Kapitel 1.4.2.1). Will man die Bedeutung der Daseinsvorsorge für den Verkehr und die sich in diesem Bereich vollziehenden Umgestaltungen erfassen, so ist auch hier der Blick in die Ge- schichte erforderlich. Betrachtet man den Verkehr als Subsystem der Wirtschaft, dann kann man, wie Gegner, davon ausgehen, dass dieses System nicht in der Lage war, in der Phase der zweiten industriellen Revolution seine notwendigen verkehrlichen Um- weltbedingungen selbst zu schaffen und zu regeln. So kam es in allen entwickelten Ländern, ob nun England, Frankreich oder USA, über die gesamte Phase der Industriali- 279 Vgl. Forsthoff (1966), S. 382; Wolf (1994), Bd.I, §23 II b1; vgl. ferner BGH-Urt. v. 10. Juli 1969 –KZR 13/68– sowie redakt. Beitrag in: Der Betrieb 1969, S. 1790. 280 Zudem bestimmt z.B. die Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen (GO NW) in § 76 Abs.1 GO NW, dass die Erfüllung des mit einem wirtschaftlichen Unternehmen verfolgten öffentlichen Zweckes dem Streben nach Gewinn vorgeht. 281 Vgl. Gegner (2002), S. 8. 282 Vgl. Gegner (2002), S. 8 ff. 283 Vgl. Grimm (1993), S. 45. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 121 sierung zwischen 1880 und 1930 zu einer verstärkten staatlichen Übernahme von ehe- mals privaten Schienen- und Omnibuslinien. Der infrastrukturelle und logistische Aus- bau zu einem öffentlichen Verkehrssystem wurde dann unter staatlicher Regie vorange- trieben. 284 Gegner verweist in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass neben wirtschafts- politischen Zielen in diesem Prozess auch das militärische Interesse an einem zentra- listischen „zuverlässigen“ Betrieb eine entscheidende Rolle spielte. Vor diesem Hinter- grund einer Verstaatlichung des Eisenbahnwesens erwies sich der damit verbundene Ausbau zu einem gesamtstaatlichen und effizienten Verkehrswesen als eine der heraus- ragenden Ereignisse in Deutschland Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts (siehe auch Kap. 1.4.2.1, historische Ausgangspunkte). Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1873 setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch und in politisches Handeln um, dass ein privatrechtlich organisiertes Wirtschaftssystem einer komplementären Ergänzung durch eine öffentliche Wirtschaft bedürfe, um die durch die Industrialisierung entstandenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen. Dort, wo das öffentliche Interesse dies erfordere, sollten als geeignetes Mittel die öffentlich–rechtlichen Eigenbetriebe die Privatwirtschaft ergänzen. 285 Der wichtigste Grund für die zunehmende Kommunalisierung des öffentlichen Nah- verkehrs in Deutschland waren jedoch die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Private Betriebsgesellschaften zeigten nur noch an solchen Strecken Interesse, die ihnen Gewinne versprachen. Die Gemeinden ihrerseits hatten dagegen vor allem jene Gemeinwohlinteressen zu verfolgen, die später unter dem Begriff der „Daseinsvorsorge“ gefasst wurden, und damit ihre spezifische Verantwor- tung für die gesamte Volkswirtschaft wahrzunehmen, die eines funktionierenden Ver- kehrssystems bedurfte. 286 An dieser grundsätzlichen Ursache änderte auch die Tatsache nichts, dass bei der Kommunalisierung der Verkehrsbetriebe vereinzelt auch der Wunsch an der Beteiligung an den Profiten eine Rolle spielte (zumal die Überschüsse aus dem Eisenbahnwesen zu bestimmten Zeiten z.B. in Preußen 50 % der Staatsein- nahmen darstellten). 287 Diese Entwicklung zu Gunsten einer Transformation bestimmter Infrastrukturen und Leistungen in öffentliches Eigentum wurde durch den Staatsrechtler Ernst Forsthoff im Jahre 1938 im Nachhinein unter den Begriff der „Daseinsvorsorge“ zusammengefasst. Dabei ist das 1935 erlassene „Personenbeförderungsgesetz“ die bis heute für den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland maßgebliche gesetzliche Grundlage. Der Bezug der Daseinsvorsorge auf dieses Gesetz stellte sich als rechtswissenschaftlicher Kom- 284 Vgl. Gegner (2002), S. 1. 285 Vgl. Gegner (2002), S. 2 ff. 286 Vgl. Gegner (2002), S. 22. 287 Vgl. Werner (1998), S. 2. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 122 mentar und nachträgliche Legitimierung der Kommunalisierung in der Weimarer Zeit dar. 288 Die Einführung zahlreicher staatlicher Auflagen, wie etwa die Betriebs-, Beförderungs- und die Tarifhoheit, wurden mit Notwendigkeiten der Daseinsvorsorge begründet, wobei gerade mit der Tarifhoheit ausdrücklich öffentliche Zielsetzungen verfolgt wurden. Die Konflikte zwischen einzelwirtschaftlichen und staatlichen Zielvor- stellungen wurden dabei weitgehend verdrängt. Der Begriff der Daseinsvorsorge ist wie jeder überlieferte Werte- oder Rechtsbegriff auf längere Sicht in seiner Akzeptanz natürlich einem Wandlungsprozess unterworfen. Für einen Teil der Bevölkerung ist Daseinsvorsorge nach wie vor Bestandteil eines sozial- politischen Konzeptes zur Wahrung der Lebensqualität; dies betrifft insbesondere die- jenigen Menschen, die auf diese Leistungen angewiesen sind. 289 Für andere Personen aber ist der Begriff heute eher mit einem überholten nationalstaatlichen Besitzstandsdenken früherer Jahrzehnte verbunden. Kritiker bemängeln das angeblich Unzeitgemäße dieses Begriffes und fordern sogar seine vollständige Abschaffung und die Übernahme einer staatlichen Infrastruktur- verantwortung mit Leistungserbringung auf privatwirtschaftlicher Basis und nach pri- vatem Recht. 290 Schließlich – so die Argumentation – sei die Daseinsvorsorge verant- wortlich für die Ineffizienz und Servicefeindlichkeit der unter ihrem Dach erbrachten Leistungen. 291 Eine im Falle des schienengebundenen ÖPNV offensichtlich werdende Folge eines intensiveren, „freien“ Wettbewerbs allerdings dürfte hier zu einem Wegfall eines Teils der angebotenen öffentlichen Leistungen führen und damit die Daseinsvorsorge im Kern betreffen. Eine pauschale, verallgemeinernde Ablehnung des Begriffs Daseinsvorsorge für die gesamte Gesellschaft übersieht zudem, dass für das Subsystem Wirtschaft vom Staat auch über den Verkehr hinaus eine Reihe garantierter Leistungen bereitgestellt werden müssen. 292 Es wird mithin auch die Meinung vertreten, dass das Argument der Daseinsvorsorge lediglich für eine Legitimation behördlicher Interventionen im Verkehrswesen und für die Organisation des öffentlichen Verkehrs in Gestalt kommunaler Eigenbetriebe benutzt werde. 293 Die Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung von im öffent- lichen Interesse stehenden Aufgaben enthält nach herrschender Meinung zudem nicht die Art und Weise der Leistungserbringung, so dass diese auch durch private Unter- 288 Vgl. Gegner (2002), S. 24 ff. 289 Vgl. Gegner (2002), S. 24 ff. 290 Vgl. Gegner (2002), S. 41. 291 Vgl. hierzu auch Bizer (1993), S. 5 ff. 292 Vgl. Gegner (2002), S. 42. – Eine geradezu „beißende“ Grundsatzkritik an derartigen „neoliberal“ geprägten Pauschalierungen findet sich in dem Werk der beiden französischen Autoren Labarde und Maris (2001). 293 Vgl. Gegner (2002), S. 41. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 123 nehmen erbracht werden kann. 294 Deshalb wird inzwischen bereits von einem Über- gang vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat gesprochen. 295 Vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht des Verfassers insbesondere die bei den Ge- schäftsführern der Verkehrsbetriebe verbreitete Ansicht nicht richtig, dass sich aus dem Postulat der Daseinsvorsorge der Zwang zur Leistungserbringung durch öffentlich- rechtliche Eigenbetriebe rechtfertigen lässt. Auch die Ausschreibung politisch definier- ter Dienste in einem regulierten Wettbewerb lässt sich nicht mit dem Argument der Da- seinsvorsorge begründen. 296 Für eine soziale und effiziente Gestaltung des öffentlichen Nahverkehrs wäre es daher ein Vorteil, wenn der rechtsethische Überbau ‘Daseinsvor- sorge’ reformiert würde. Diese Reform wäre überdies zu einem konsistenten europäischen Konzept weiterzuent- wickeln, denn wie auf anderen Gebieten wirken auch beim Verkehr und seinen Rah- menbedingungen die Internationalisierungstendenzen nicht nur „materiell“ grenzüber- schreitend, sondern auch „normsetzend“ über die Ebene der Europäischen Gemeinschaft und die von ihr gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen hinaus. Dazu gehört als wichtiger, wenn man so will ‘exogener’ Faktor die Binnenmarktkonzeption der EU, die das Ziel verfolgt, die öffentlichen Dienstleistungssektoren konsequent zu deregulieren und zu entmonopolisieren. 297 Daraus resultierende Wettbewerbsöffnungen werden zu einer Neu- oder Umorientierung in der Unternehmenspolitik führen. Die Kommunen, die unverändert die Hauptlast bei der Erfüllung der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge- aufgaben zu tragen haben, sollten darin nicht nur eine Bedrohung kommunaler Besitz- stände sehen, die vom Zwang der Wettbewerbsöffnung ausgeht, sondern andererseits auch die Chancen erkennen, die im Zuge einer institutionellen Umgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs sich zwangsläufig ergeben. 298 Die Daseinsvorsorge ist seit Beginn der 1990er Jahre auch explizit ein Thema der Euro- päischen Union. 1996 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Mitteilung zum Thema Mobilität, in der betont wird, dass Solidarität und Gleichbehandlung in einer offenen dynamischen Marktwirtschaft grundlegende Ziele der Europäischen Gemein- schaft seien und dabei auch die Leistungen der Daseinsvorsorge eine bedeutende Rolle spielen. Für die Europäische Kommission ist Daseinsvorsorge durchaus auch Voraus- setzung für die Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt sowohl in ihrer wirt- schaftlichen als auch in ihrer nichtwirtschaftlichen Leistungserbringung. 294 Vgl. Bizer (1993), S. 5 ff. 295 Vgl. Gegner (2002), S. 24. 296 Vgl. Gegner (2002), S. 24. 297 Vgl. zusammenfassend Cox (2001). 298 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S.13 ff. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 124 Mit Artikel 16 des EG- Vertrages wurde 1997 klar gestellt, dass es Bereiche nicht- hoheitlicher 299 Leistungserstellung gibt, die jenseits des marktwirtschaftlichen Steue- rungssystems liegen. Da diese Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und für den territorialen und sozialen Zusammenhalt der Menschen von Bedeutung sind, haben die Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, dass diese Dienste funktionieren. 300 Daseinsvorsorge darf dabei auch in ihrer heutigen Auslegung keineswegs als die Begründung für eine Klientelpolitik für die sozial Schwachen aufgefasst werden, son- dern als eine notwendige Grundbedingung für das Funktionieren eines ausdifferenzier- ten und komplex zusammenwirkenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüges. Dynamischer Wettbewerb und technischer Fortschritt haben allerdings die Rahmen- bedingungen für Daseinsvorsorge so erheblich verändert, dass sich für die vorliegende Untersuchung die Frage einer privatwirtschaftlichen oder staatlichen Organisation des öffentlichen SPNV wieder neu stellt. Wie die bisherigen Erörterungen gezeigt haben, rechtfertigen allenfalls das Vorliegen externer Effekte, der Hang zum natürlichen Monopol, die Notwendigkeit von Daseinsvorsorge bei normativ-ethischer Begründbar- keit und sonstige marktspezifische Besonderheiten des Verkehrssektors ein staatliches Eingreifen. 2.6 Zusammenfassung und Schlussfolgerung In der Perspektive der erörterten theoretischen Ansätze kann prinzipiell festgestellt werden, dass eine Vergabe von Bahntransportleistungen nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ohne normativ-ethische Einschränkungen durchaus möglich ist. Durch die Öffnung der Märkte für Netzleistungen und den Abbau von bestehenden gesetz- lichen Marktzutrittsschranken bieten sich in allen Netzsektoren Potenziale an, die für den Wettbewerb und seine beabsichtigten produktiven Konsequenzen genutzt werden können. Das Problem besteht darin, dass dieser Bereich die Eigenschaften eines natürlichen Monopols aufweist. Damit verfügt der Besitzer des Schienennetzes über eine Markt- macht, durch deren Anwendung er den Wettbewerb entsprechend beeinträchtigen bzw. sogar verhindern kann. Ein funktionsfähiger Wettbewerb ist daher nur gewährleistet, wenn allen Wettbewerbern ein diskriminierungsfreier, im Prinzip für alle gleicher Zu- gang zur Schieneninfrastruktur ermöglicht wird. Dabei ist es kein Widerspruch, dass es 299 Hoheitliche Aufgaben werden im Gegensatz zu denen der Daseinsvorsorge in der Regel unentgelt- lich bereitgestellt und insbesondere über Steuereinnahmen finanziert. 300 Vgl. Harms (2001), S. 27 ff. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 125 durchaus auch sinnvoll sein kann, wenn nur ein einzelnes Unternehmen als Anbieter in einem begrenzten Raum auftritt und die Leistungserbringung zeitlich begrenzt ausge- schrieben wird. Es ist somit in diesem Zusammenhang vorstellbar, die einzelnen Leis- tungen, soweit diese wirtschaftlich vertretbar sind, sogar einzeln auszuschreiben. Vor- aussetzung dafür ist jedoch, dass die Ausschreibung für die in Frage kommenden An- bieter auch durchschaubar ist. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass es die spezifische „Lokalisierung“ von Marktmacht im Eisenbahnverkehr und die Regulierungsinstrumente zur Disziplinierung von Marktmacht in monopolistischen Bottleneck-Einrichtungen sind, die eine entschei- dende Rolle für die Schaffung von funktionsfähigen Wettbewerbsbedingungen spielen. Dafür ist der vollständige Abbau aller gesetzlichen Marktzutrittsschranken erforderlich. Erst wenn die Märkte bestreitbar sind, wird aktiver (oder auch potenzieller) Wettbewerb erst möglich. Die Theorie der bestreitbaren Märkte verweist auf die Bedingungen, unter denen potenzielle Konkurrenz den fehlenden Wettbewerb zwischen aktiven Marktteil- nehmern ersetzt, wenn angreifbare natürlichere Monopole vorliegen. Durch die Beseiti- gung der gesetzlichen Marktzutrittsschranken im Eisenbahnverkehr eröffnet sich für eine große Anzahl von Wettbewerbern ohne Zeitverlust ein unbeschränkter Zugang zu den gleichen Technologien. Im Grundsatz lassen sich die für den Markteintritt erforder- lichen Investitionen bei einem eventuellen Marktaustritt, z.B. auf anderen geographi- schen Teilmärkten, wieder verwenden. Die potenziellen Wettbewerber berechnen ihre Marktchancen (Bertrand-Nash-Verhalten), indem sie die aktuellen Preise eines im Markt etablierten Unternehmens als gegeben hinnehmen und unterbieten. Da das Prin- zip der vollständigen Information herrscht, würden schon geringfügige Preisänderungen eine Wanderung der gesamten Nachfrage zur Folge haben. Wenn Voraussetzungen dieser Art vorliegen, dann existiert keine netzspezifische Marktmacht, denn die Disziplinierung dieses potenziellen Wettbewerbs bewirkt in angreifbaren natürlichen Monopolen, dass keine Gewinnchancen entstehen, die über die Kapitalverzinsung risikoäquivalenter Anlagen hinausgehen. Wenn die Märkte allerdings nicht bestreitbar sind, dann bestehen monopolistische Bottlenecks. Nur in diesem Falle sind unter bestimmten Voraussetzungen regulierende staatliche Maßnahmen beim Zugang zur Infrastruktur im Sinne des Wettbewerbssystems „zulässig“. Der Einsatz von Regulierungsinstrumenten müsste sich dann allerdings zumindest an den folgenden beiden Prämissen orientieren: Erstens müsste der diskriminierungsfreie Zugang zu den monopolistischen Bottleneck- Einrichtungen allen aktiven und potenziellen Anbietern von Verkehrsdienstleistungen eingeräumt werden. Erreichen ließe sich die Disziplinierung netzspezifischer Markt- macht dabei durch die so genannte „essential facilities doctrine“, einer Vorschrift, die besagt, dass eine Einrichtung nur dann als wesentlich zu betrachten ist, wenn der Marktzutritt ohne diese Einrichtung nicht möglich ist und diese mit angemessenen Mit- teln auch nicht dupliziert werden könnte, d.h. kein potenzielles Substitut verfügbar ist. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 126 Zweitens sollten Regulierungsinstrumente nur in den Teilbereichen von Netzsektoren eingesetzt werden, in denen die zu korrigierende Marktmacht tatsächlich auch lokali- sierbar ist. Eine stabile netzspezifische Marktmacht ist dabei nur in den Netzteilen zu erwarten, die neben Bündelungsvorteilen auch durch irreversible Kosten gekennzeich- net sind. Insgesamt sollte eine weitergehende Regulierung vermieden werden, weil sonst davon auch Bereiche betroffen werden, in denen der Wettbewerb funktionsfähig ist. Das in der Argumentation für eine staatliche Regulierung des Eisenbahnwesens zentrale Argument eines generellen Marktversagens ist nicht überzeugend. Zunächst kann auf Marktver- sagen mit einer Reihe von verschiedenen Organisations- und Steuerungsformen reagiert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es einen großen Nachholbedarf sowohl in der Betriebsführung als auch bei den konkreten Betreiber- und Konzessionsmodellen gibt. Eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand selbst, als Unternehmer, ist damit jedenfalls nicht überzeugend zu begründen. Die Entwicklung und Anwendung von modernen Konzepten der Unternehmens- und Leistungsorganisation machen öffentliche Unternehmen nicht nur überflüssig, sondern geradezu zu einem Hemmschuh für die Entwicklung von Märkten. 301 Die im Rahmen der jüngsten Privatisierungsmaßnahmen aufgedeckten Mängel in der Unternehmens- führung früherer öffentlicher Unternehmen stützen diese Aussage nach Ansicht des Ver- fassers ganz offenkundig. Daher ist der Schlussfolgerung von Aberle in diesem Kontext, dass nämlich die wett- bewerbspolitische Handlungsempfehlung nur lauten kann, Marktzugangsschranken so weit wie möglich abzubauen, nur zuzustimmen. 302 Eine entscheidende Aussage der Theorie der angreifbaren Märkte besteht darin, dass irreversible Kosten in Verbindung mit Größenvorteilen als Marktzutrittsschranke Marktmacht begründen. 303 Da für einen beträchtlichen Teil der „sunk costs“ staatliche Bestimmungen und Marktzutrittsschranken verantwortlich sind, ist daher eine umfas- sende Deregulierung zu befürworten, was im Hinblick auf die Sicherung der Bestreit- barkeit der Märkte ausreichend wäre. Die vergleichende, theoretische Erörterung der beiden prinzipiellen, strategischen Vari- anten (interventionistisch versus „marktwirtschaftlich“) für eine Überwindung der Krise im SPNV hat nach Ansicht des Verfassers gezeigt, dass sich für eine interventionisti- sche Verkehrspolitik keine hinreichende Begründung finden lässt. Für eine dominie- rende und strukturelle Tendenz eines Marktversagens auf dem Verkehrsmarkt, die für diese Variante die zentrale Begründung liefert, lassen sich für den Verfasser keine über- zeugenden Anhaltspunkte belegen. Auch die im Kontext der These vom Marktversagen 301 Vgl. Möhlenkamp (2001). 302 Vgl. Aberle (1992), S. 46. 303 Vgl. Knieps (1996), S. 20. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 127 dargestellten Problemfälle beweisen keineswegs, dass eine vorrangig staatliche Regulie- rung sinnvoller wäre als eine vorwiegend marktwirtschaftliche Regulierung. Hinzu kommt, dass die Möglichkeiten des Staates zur Behebung von eventuellen ‘Störungen’ ebenfalls zu einer weiteren Wohlfahrtsverschlechterung führen können. 304 Der Verfasser ist zu der Überzeugung gelangt, dass die in der Diskussion vorgebrachten theoretischen Hauptargumente zur Rechtfertigung einer Regulierung des Verkehrs- marktes nur wenig stichhaltig sind. So zeigt sich beispielsweise im Hinblick auf die Internalisierung technologischer externer Effekte, die bei einer Abweichung vom Allo- kationsoptimum entstehen können, dass sie sich im Allgemeinen besser über Coase- Verhandlungen oder Pigou-Steuern internalisieren lassen als über eine Regulierung des Marktzutritts. Bei einer Deregulierung würden z.B. externe Effekte in Form von Um- weltbelastungen sogar in geringerem Umfang anfallen, weil sich der Anteil von Leer- fahrten schon allein aus wirtschaftlichen Gründen verringern würde. Im Gegensatz dazu führen Wettbewerbsbeschränkungen tendenziell zum Aufbau von Überkapazitäten mit allen damit verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt. Grundsätzliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Argumentation für interventionisti- sche Eingriffe wegen Marktversagens tauchen insbesondere dann auf, wenn sie auf konkrete Verhältnisse im Verkehrswesen bezogen wird. Selbst beim Vorliegen eines natürlichen Monopols wäre ein Eingreifen des Staates nur dann zwingend erforderlich, wenn das marktbeherrschende Unternehmen durch hohe ‘sunk costs’ geschützt ist und damit das Regulativ eines potenziellen Wettbewerbs entfallen würde. Entfallen nämlich diese natürlichen Marktzugangsschranken, sorgt Konkurrenz für effiziente Marktergeb- nisse. Bei dem bestehenden Netzmonopol würde folglich die Anwendung der allgemei- nen kartellrechtlichen Bestimmungen genügen. Die Eisenbahn begründet daher für die Gesamtverkehrsmärkte sicherlich kein natürliches Monopol, obwohl die Investitionen zu einem beträchtlichen Teil ‘sunk costs’ sind. Entscheidende Voraussetzung für eine wirkungsvolle (und potenzielle) Konkurrenz auf den Verkehrsmärkten ist allerdings, dass jedes der beteiligten Unternehmen die gleichen Zugangsbedingungen zu den Schienenwegen und den Zugüberwachungssystemen besitzt. Gegenüber demjenigen Unternehmer, der nur den Zugbetrieb ausübt, besitzt der Schienenwegbetreiber Marktmacht, da er ein natürliches Monopol innehat und beim Bau des Schienennetzes irreversible Kosten anfallen, womit potenzieller Wettbewerb als Disziplinierungsinstrument entfällt. Im Lichte der theoretischen Erörterungen kommt der Lösung des Schiene-Netz-Pro- blems, also der Trennung von Netz und Betrieb, die Priorität zu. Nach Auffassung des Verfassers liegt darin nicht nur der Schlüssel für eine erfolgreiche Deregulierung, son- dern auch für die Durchsetzung des freien Wettbewerbs im Schienenverkehr. Damit aktiver und potenzieller Wettbewerb auch in den komplementären Teilmärkten möglich 304 Vgl. Laaser (1991), S. 55. 2 DIE KRISE DES SPNV UND MÖGLICHE VARIANTEN IHRER ÜBERWINDUNG 128 ist, müssen folglich die Zugangsbedingungen so reguliert werden, dass allen Marktteil- nehmern ein offener Marktzugang garantiert werden kann. In der Gesamtperspektive rechtfertigen die Besonderheiten des Verkehrsmarktes staat- liche Eingriffe keinesfalls, da sie wohlfahrtsökonomisch unbedeutend oder gerade durch falsche staatliche Regulierungsmaßnahmen entstanden sind. 305 Falls sie sich herausgebildet haben und praktiziert werden, dann kann es sich hierbei nur um die instrumentale Nutzung der Verkehrspolitik und der Verkehrsträger zur Erfüllung gesell- schaftspolitischer Zielsetzungen handeln. So betrachtet, wird hinter dem als Regulie- rungsgrund angeführten Marktversagen häufig in Wirklichkeit ein Staatsversagen er- kennbar. 306 305 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 216. 306 Vgl. Aberle (2003b), S. 107. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 129 3 Zu relevanten Entwicklungen im schienen- gebundenen Personennahverkehr (SPNV) in den 1990er Jahren bis zur unmittelbaren Gegenwart 3.1 Grundlagen: Die Entwicklung des SPNV unter Berück- sichtigung des allgemeinen Kontextes (ÖPNV) 3.1.1 Nationale Entwicklungstrends Bevor auf frühere Entwicklungen im schienengebundenen Personennahverkehr (SPNV) im Einzelnen eingegangen werden kann, ist es, vor allem im Hinblick auf die Kom- plexität von angestrebten Lösungsvorschlägen, zunächst sinnvoll, die Situation des gesamten Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) näher zu betrachten. Im Öffentlichen Straßenpersonenverkehr (ÖSPV) bildeten sich nahezu die gleichen Problemlagen heraus, die auch den SPNV entscheidend beeinflusst haben. 307 Die in dieser Untersuchung noch zu entwickelnden Vorschläge für mögliche Veränderungen im SPNV können nach Meinung des Verfassers nur dann erfolgreich sein, wenn sie gleichzeitig auch Lösungen für den übrigen ÖPNV berücksichtigen – dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Schiene nur dort als Verkehrsträger vorzuziehen ist, wo es unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten vertretbar erscheint. Eine solche Abstimmung zwischen SPNV und übrigem ÖPNV ist zudem allein schon wegen der im Rahmen der Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs auf die Länder übertragenen Finanzverantwortung für gemeinwirtschaftliche Leistungen zwingend. Als Begründung für die in den vergangenen Jahrzehnten laufend gestiegenen Defizite der nationalen Eisenbahngesellschaften und die damit verbundenen zusätzlichen staat- lichen Subventionen beim Personentransport allein den Fortschritt im motorisierten Individualverkehr heranzuziehen, wird der tatsächlichen Entwicklung nicht gerecht. Sicherlich haben wachsender Wohlstand und die hiermit einhergehende erweiterte Mobilität die Entwicklung beschleunigt. Die tatsächlichen Fehler liegen nach Auffas- sung des Verfassers aber auch in der Unfähigkeit der Geschäftsleitungen der staatlichen Eisenbahngesellschaften und politischer Instanzen, die offensichtlich auf die Verände- rungen auf dem Verkehrssektor nicht vorbereitet waren bzw. diese nicht im erforder- lichen Maße wahrnehmen konnten oder wollten. 308 307 Vgl. Rocke (1995). 308 Vgl. Laaser (1991), S.22. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 130 Erst nachdem selbst die Befürworter von staatlichen Eisenbahngesellschaften letztend- lich davon überzeugt waren, dass eine Reform der Eisenbahnverkehrsmärkte notwendig ist, kam diese zögerlich in Gang. Gleichwohl wurde dafür die vertikale Integration in der Hand eines Staatsunternehmens auch von Verkehrswissenschaftlern lange Zeit als adäquate Organisationsform empfunden, obwohl bereits die Alternative des Wett- bewerbs vorlag. 309 Eine im Rahmen der einsetzenden Reformüberlegungen zu berücksichtigende Basis- erkenntnis bezog sich darauf, dass Eisenbahnverkehr (Ebene I) nur möglich sein kann, wenn zugleich der Zugang zur Schieneninfrastruktur (Ebene III) sowie zum Zugüber- wachungssystem (Ebene II) und der damit verbundenen Nutzung garantiert wird. 310 Dies ist unabhängig von der institutionellen Ausgestaltung der vertikalen Organisation und stellt ein Charakteristikum bei Eisenbahnsystemen dar. Die seither in Europa vor- herrschende vertikale Integration sämtlicher Funktionen in der Hand staatlicher Mono- polgesellschaften gilt heute als überholt, und zwar unabhängig davon, welche Alterna- tive zur vertikalen Organisation im Einzelnen als adäquat angesehen wird. Die nachfol- genden Argumente werden u.a. als Grundlage für einen umfassenden Reformbedarf angeführt: • mangelnde Trennung von politischer Kontrolle und unternehmerischem Handeln; • fehlender Wettbewerbsdruck auf den Märkten für Eisenbahnverkehr; • unzureichende Ausschöpfung grenzüberschreitender (horizontaler) Integrationsvor- teile; • Verringerung der Haushaltsbelastungen des Staates; • fehlender intermodaler Wettbewerb. Die aktuelle Reformdiskussion mit dem Ziel, eine dauerhafte Konsolidierung der finan- ziellen Lage der Bahn und die Steigerung ihrer intermodalen Wettbewerbssituation zu ermöglichen, lässt sich mithin nicht ohne die mehr oder minder gescheiterten Reform- ansätze der Vergangenheit verstehen. Schon im Jahre 1958 wurde eine Prüfungskom- mission für die Deutsche Bundesbahn (die sog. Brand-Kommission) eingesetzt. 311 Im Mittelpunkt stand hier die Suche nach internen Modernisierungs- und Rationalisie- rungspotenzialen, mit denen der Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern (inter- modaler Wettbewerb) gefördert werden kann. Im Gegensatz dazu stand der so genannte „Leber-Plan“ des Jahres 1967, der sich den Schutz der Bundesbahn vor intermodaler Konkurrenz als Ziel gesetzt hatte. Im Jahre 1978 forderte die Bundesregierung die Bun- desbahn auf, ihr Pläne über Auswirkungen einer Trennung von Netz und Betrieb u.a. im 309 Vgl. Fremdling und Knieps (1993), S. 129 ff. 310 Vgl. Knieps (1996), S. 34 ff. 311 Vgl. PRÜFUNGSKOMMISSION FÜR DIE DEUTSCHE BUNDESBAHN, Bericht über die Deutsche Bundesbahn vom 30. Januar 1960, BT-Drucksache III/1602, Bonn 1960. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 131 Hinblick auf eine verbesserte Effektivität in der Unternehmensführung der DB und auf eine Verringerung der Haushaltsbelastung des Bundes vorzulegen. Eine vollständige Reorganisation wird seit Mitte der 1980er Jahre angestrebt. 312 Die Vereinigung beider deutscher Staaten bewirkte zusätzlich weitere entscheidende strukturelle und ordnungspolitische Veränderungen im Verkehrsbereich. So gab es in den neuen Bundesländern im Verkehrsbereich einen „nachholenden“ Entwicklungs- schub mit einer Tendenz weg vom ÖPNV hin zum motorisierten Individualverkehr. Durch diese marktbedingte neue Ausrichtung kam es zu einer starken Abnahme im Be- reich des ÖPNV. In den alten Bundesländern hingegen wuchs das Verkehrsaufkommen im ÖPNV schneller als im gesamten Personenverkehr. Im Zuge der Gebietsreform in den neuen Bundesländern veränderte sich aber auch die bis dahin geltende Aufteilung in „Verkehrsballungsräume“ und „übrige Fläche“. Dabei ergab sich, dass trotz eines höheren Bevölkerungsanteils der ÖPNV in der Fläche 2,5-mal weniger benutzt wird als in den Verkehrsballungsräumen. 313 Mit der am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Bahnstrukturreform wurde in Deutsch- land dann auch die in den Jahren zuvor intensiv diskutierte Regionalisierung des ÖPNV gesetzlich umgesetzt. Das Ziel dieser Regionalisierung bestand in der Sicherung einer an den Bedürfnissen der aktuellen und potenziellen Nachfrager ausgerichteten Quantität und Qualität des ÖPNV unmittelbar vor Ort. Ein Grund für dieses zeitliche Zusammen- treffen lag auch darin, dass die Regierungskommission Bahn314 es als unabdingbar be- zeichnet hatte, die DB AG nach der Bahnreform von gemeinwirtschaftlichen Leistungen als Aufgabe der Eisenbahn zu befreien. 315 Mit der Übertragung der Finanzverantwor- tung für gemeinwirtschaftliche Leistungen auf die Länder sind diese nunmehr gefordert, diese Leistungen auch hinsichtlich der einzusetzenden Verkehrsmittel ständig zu über- prüfen. Noch 1993 zahlte die öffentliche Hand insgesamt 32,4 Mrd. DM an Zuschüssen, um die gestiegenen Defizite und die Fremdverschuldung wenigstens teilweise abzufangen. Im Einzelnen handelte es sich dabei um Zuschüsse, die direkt dem ÖPNV zuflossen, um Investitionshilfen im Zusammenhang mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz (GVFG) und um indirekte Zuschüsse zum Ausgleich struktureller Schwächen, wovon auch die Ausgleichszahlungen an die Bahn zur Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen bestritten wurden. 316 1993 hatten dabei der Bund 17,5 Mrd. DM, die Länder 7,0 Mrd. DM und die Gemeinden 7,9 Mrd. DM zur Finanzierung des ÖPNV übernommen. Den Abwärtstrend im ÖPNV konnte dieses finanzielle Engagement indes nicht stoppen. 312 Vgl. Reinhardt (1996). 313 Vgl. Bericht der Bundesregierung über den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland nach der Vollendung der deutschen Einheit (1999), S. 10. 314 Seit 1989 beratend tätig. 315 Vgl. Aberle (1995), S. 39. 316 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 362. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 132 Um den Stellenwert und das weitere Entwicklungspotenzial des ÖPNV für die deutsche Volkswirtschaft richtig einschätzen zu können, ist zunächst dessen Anteil an der Modal Split-Entwicklung im Personenverkehr zu betrachten. Daten liefern hierzu das Umwelt- bundesamt sowie die Übersicht „Verkehr in Zahlen“ (Tabelle 6). Dabei wird in der Statistik unterschieden zwischen Eisenbahnverkehr und Öffentlichem Straßenpersonenverkehr (ÖSPV). Der Eisenbahnverkehr umfasst den Verkehr der DB AG und der Regionaleisenbahnen, wobei seit 1994 zwischen Nah- und Fernverkehr von der DB nicht mehr gemäß einer Entfernungsgrenze von 50 km getrennt wird, so dass es hier zu Ungenauigkeiten bei der Zuordnung kommen kann. 317 Der öffentliche Straßenpersonenverkehr beinhaltet den Verkehr mit U-Bahnen, Straßenbahnen und Kraftomnibussen. Tabelle 6: Modal Split-Entwicklung im Personenverkehr 1991 – 2002 Jahr Verkehrsart: 1991 (Personenverkehrsleistung: 884,1 Mrd. Pkm) 2002 (Personenverkehrsleistung: 937,8 Mrd. Pkm) MIV 81,17 80,42 ÖSPV 9,48 8,13 Eisenbahn 6,54 7,06 Luftverkehr 2,81 4,39 100 % 100 % Quelle: Umweltbundesamt (2002, Daten zur Umwelt), „Verkehr in Zahlen 2003/2004“ (hrsg. durch: BMVBW, DIW) Demnach lag die Steigerung der Personenverkehrsleistung in Personenkilometern im Zeitraum zwischen 1991 und 2002 insgesamt bei 6,1 v.H., wobei der motorisierte Indi- vidualverkehr seine dominierende Stelle behielt. Sein Anteil im Verhältnis zu den übri- gen Verkehrszweigen ging allerdings marginal zurück. Die Verkehrsleistung des öffentlichen Straßen- und Schienenverkehrs verharrte im gleichen Zeitraum in etwa auf gleichem Niveau. Während bei der Eisenbahn an den gesamten Personenverkehrs- leistungen zwischen 1991 und 2002 zumindest noch ein leichter Zuwachs vorlag, fiel im gleichen Zeitraum der Anteil des ÖSPV eher ab. Insgesamt verbleibt der Anteil von Eisenbahn und ÖSPB bei rund 15-16 v.H. auf vergleichbar konstantem Niveau. Aus der Aufschlüsselung der Entwicklung der Verkehrsleistungen auf der Schiene nach Nah- und Fernverkehr ergeben sich weitere Detailinformationen. In den Zahlen für den Nahverkehr sind die Verkehrsleistungen der S-Bahnen und des Regionalverkehrs in 317 Vgl. BVU, ifo-Institut et al. (2001), S. 95 ff. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 133 Ballungsräumen enthalten. Folgerungen über die Entwicklung des Schienenpersonen- nahverkehrs in der Fläche sind daher nur eingeschränkt möglich. Bezogen auf die Per- sonenzahl entfallen 93 v.H. der Nachfrage auf den Personennahverkehr. Legt man dagegen die Personenkilometer zugrunde, verringert sich der Anteil des Nahverkehrs infolge der längeren Strecken im Fernverkehr auf 52 v.H. (vgl. Tabelle 7). Auf Basis der vorliegenden Zahlen dürfte, auf das gesamte Verkehrsaufkommen gerechnet, ein Nahverkehrsanteil von ca. 3,2 v.H. schätzungsweise richtig sein. Auf alle Verkehrsträger bezogen dürfte der Bahnanteil ca. 8 v.H. betragen. Tabelle 7: Verkehrsleistungen im öffentlichen Schienenpersonenverkehr Personen in Mio. Personenkilometer in Mio. Fern- verkehr Nah- verkehr Insgesamt Fern- verkehr Nah- verkehr Insgesamt 1995 149 1 1772 1 921 36 277 38 693 74 970 1998 149 1 791 1 939 34 275 38 114 72 389 2000 144 1 857 2 002 35 853 39 227 75 081 Verände- rung in % 2000/1995 -3,4 4,8 4,2 -1,1 1,4 0,2 Quelle: Statistisches Bundesamt (2001, Statistisches Jahrbuch), S. 311 Weitere wichtige Tendenzen und maßgebliche Veränderungen im ÖPNV und damit auch im Schienenpersonennahverkehr sind im ‘Bericht der Bundesregierung über den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland nach der Vollendung der deutschen Einheit’ 318 detailliert aufgeführt. Da sich die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung je nach Lebensalter und Lebenssituation ändern und damit auch die Fahrtzwecke und -gewohnheiten beeinflussen,319 ist deren zukünftige Entwicklung von besonderem Inte- resse (siehe zu den Einflussfaktoren auf die Mobilität auch Kap. 1.3.2.). Daraus lassen sich Trends bezüglich der voraussichtlichen Beanspruchung von Nahverkehrsleistungen durch die unterschiedlichen Nutzergruppen ableiten. Im Hinblick auf eine mögliche Entwicklung im SPNV können anhand der nachstehen- den Zahlen folgende Aussagen gemacht werden: 318 Vgl. Bericht der Bundesregierung über den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland nach der Vollendung der deutschen Einheit, 1999, S. 4. (Auf diesem Bericht basieren die verwendeten Kennzahlen.) 319 Vgl. Barth et al. (1996), S. 21 ff.; Jäger (1998), S. 389. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 134 1. Berufsverkehr Der Berufsverkehr bildet im Gegensatz zum Freizeitverkehr einen sog. „Zwangsver- kehr“ und beinhaltet die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, bei denen Hin- und Rückfahrt innerhalb von 24 Stunden liegen. Deshalb beeinflusst die Zahl der Er- werbstätigen nicht nur den so operationalisierten Berufsverkehr, sondern spielt auch bei der Nachfrage nach ÖPNV-Angeboten und deren Entwicklung eine entscheidende Rolle. Im Zeitraum von 1988 bis 1996 stieg die Erwerbstätigenzahl in den alten Bun- desländern um 2,8 % auf 28,2 Mio. an und nahm gleichzeitig im Osten um 27 % auf 6,3 Mio. ab. Vor allem diese Entwicklung war für die erhebliche Verminderung der Fahrgastzahlen im ÖPNV in den neuen Bundesländern mitverantwortlich. Expansiv wirkt sich auf das gesamte Verkehrsaufkommen, wie in früheren Jahren, zu- nächst die weitere Zunahme der räumlichen Trennung zwischen Wohnung und Arbeits- platz aus. Die Zahl der Arbeitsplätze, zu denen kein Weg notwendig ist, wird trotz der technischen Möglichkeiten (digitale Vernetzung) noch über eine gewisse Zeit weiter abnehmen. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland wird nur noch leicht mit knapp 2 v.H. wachsen, so dass zunächst das gesamte Verkehrsaufkommen mit ca. 3 v.H. ebenfalls nur noch geringfügig steigt. In den neuen Bundesländern verdoppelte sich zwischen 1988 und 1996 die Zahl der Pkw von 225 auf 455 Fahrzeuge je 1000 Einwohner. In der früheren Bundesrepublik stieg der Motorisierungsgrad im gleichen Zeitraum von 470 auf 510 Pkw je 1000 Ein- wohner. Insgesamt stieg damit der Pkw-Bestand bis 1998 auf 41,7 Mio. Autos,320 was einer Steigerung von rd. 23 % entspricht und nicht ohne Folgen für den ÖPNV bleiben konnte. Die Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte werden sich auch zukünftig infolge der Suburbanisierung weiter vergrößern, was bedingt durch den stei- genden Pkw-Besitz, aber auch durch den Ausbau von ÖPNV-Verbindungen erst mög- lich wird bzw. wurde. Die Eisenbahnen werden dabei von der Substitutionskonkurrenz Pkw weniger betroffen sein als der öffentliche Straßenpersonenverkehr. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Berufsverkehr der Eisenbahnen sich im Wesentlichen auf die Ballungsräume beschränkt und ein größerer Vorbehalt gegenüber dem Pkw besteht. Zudem richten sich Lage und Länge der Strecken stärker an siedlungsstrukturellen Entwicklungen aus. Im Trendszenario 2015 321 steigt der motorisierte Individualverkehr um 7,1 v.H., wäh- rend gleichzeitig der öffentliche Straßenpersonenverkehr um 9,5 v.H. und der Eisen- bahnverkehr um 2,2, v.H. abnimmt. 320 Stand (November 2002): 44,4 Mio.; vgl. DIW (2002, Verkehr in Zahlen), S. 141. 321 Gemäß Trendprognose 2015; vgl. BVU et al. (2001). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 135 2. Ausbildungsverkehr Analog zum Berufsverkehr sind hier die Fahrten zur Ausbildungsstätte gemeint. Bei den Fahrtzwecken des ÖPNV fallen Fahrten zu den Ausbildungsstätten und von ihnen zurück am stärksten ins Gewicht. In den alten Bundesländern stieg die Zahl ab 1993 alljährlich an und betrug 1996 11,7 Mio., was einen Zuwachs von 9,1 % darstellt. In den neuen Bundesländern war gegenüber früheren Jahren seit 1994 ein geringer Zuwachs im Ausbildungsverkehr zu verzeichnen. Er erreichte 1996 mit 2,7 Mio. Schülern und Stu- denten den Stand von 1988. In Gesamtdeutschland liegen seit 1993 deutliche Zuwächse; die Kopfzahlen erreichten nunmehr einen Stand von 14,4. Mio., was einem Zuwachs von 7,5 % entspricht. Aus den gleichen Gründen wie im Berufsverkehr wird die Nachfrage nach Eisenbahnen weniger zurückgehen als im ÖSPV. Die Ursache für dessen Rückgang ist darin zu fin- den, dass der Zuwachs des Individualverkehrs den Ausbildungsverkehr überdurch- schnittlich beeinflusst, was wiederum auf die gestiegene Pkw-Verfügbarkeit zurückge- führt werden kann. So wird bis 2015 mit einer Steigerung des motorisierten Individual- verkehrs um 14,9 v.H. gerechnet. Im Prognosezeitraum bis 2015 wird hingegen der Anteil am Verkehrsaufkommen im Eisenbahnverkehr um 0,7 v.H. und im ÖSPV um 5,5 v.H. abnehmen. Insgesamt wird der Anteil des Ausbildungsverkehrs in Bezug auf den gesamten motorisierten Indivi- dualverkehr immerhin noch 23,3 v.H. betragen. 3. Einkaufsverkehr Die trendmäßige Entwicklung des Einkaufsverkehrs wird, wie auch mehr oder minder hinsichtlich der übrigen Fahrtzwecke, zunächst von der demographischen Entwicklung beeinflusst, wobei die gesamte Einwohnerzahl diese weniger beeinflusst, da davon nur ein geringer Teil dieses Verkehrs betroffen ist. Entscheidend für die Entwicklung ist vielmehr die Zahl der Erwachsenen, die sich um 6 v.H. erhöhen soll und damit auch die Zahl der konsumierenden Haushalte anwachsen lässt. Mit dieser Kennzahl ist der größte Teil des Einkaufsverkehrs stärker verbunden als mit der Einwohnerzahl. Deshalb regt eine steigende Zahl von Haushalten zunächst die Verkehrsnachfrage an. Ebenfalls Nachfrage fördernd wirkt sich die zunehmende Freizeit aus, weil damit auch Besor- gungsfahrten erledigt werden können. Dieser Effekt wird neuerdings durch Bestellun- gen über das Internet (E-commerce) beeinträchtigt, wobei aber unklar ist, inwieweit digitale Besorgungs-/Bestellmöglichkeiten herkömmliche Konsumgewohnheiten (Ein- kauf in Einzelhandelsgeschäften, ‘Shopping’) verdrängen können. 322 322 Zumindest im Bereich des Bucheinkaufes sind solche Tendenzen unübersehbar (praktikable Online-Bestellmöglichkeiten); vgl. auch Focus (2000, Online-Kommunikations-Studie). Diese 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 136 Es ist davon auszugehen, dass die öffentlichen Verkehrsmittel insbesondere auf den Hauptzufahrtsstrecken in die Einkaufszentren der Ballungszentren im Hinblick auf ihr Beförderungsaufkommen infolge der Einschränkungen für den Individualverkehr ein gewisses Potenzial haben. Aber bereits durch die heute auf der „grünen Wiese" oder an den Stadtgrenzen angesiedelten Einkaufsmöglichkeiten wird der Einsatz der privaten Pkw-Nutzung überwiegen. Daraus folgt, dass auch hier erwartet werden kann, dass der motorisierte Individualverkehr steigt. Danach wird – bezogen auf den motorisierten Verkehr – mit einer Steigerung von 84 v.H. (1997) auf 87 v.H. in 2015 gerechnet. Der Eisenbahnverkehr wird nach diesen Berechnungen von 2,1 v.H. um 5,6 v.H. auf 1,7 v.H. im Trend abnehmen. Die Zahlen im ÖSPV werden bezogen auf den gleichen Zeitraum um 7,8 v.H. auf 11,6 v.H. fallen. 323 Die etwas günstigere Entwicklung im Eisenbahnverkehr ist auch hier auf seine räumlichen Schwerpunkte und in der Lage und Ausdehnung der Strecken begründet. 4. Geschäftsverkehr Der Geschäftsverkehr wird aufgrund der steigenden Arbeitsteilung insbesondere im Fernverkehr zunehmen. Ein zusätzlicher Wachstumsschub wird sich im Fernverkehr der Eisenbahnen durch den weiteren Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes ergeben. Die Fahrten im Nahverkehr sind im Gegensatz zum Berufsverkehr schon bisher von unter- geordneter Bedeutung gewesen, so dass die für den Prognosezeitraum bis 2015 ermit- telte Steigerungsrate auch nur 8 v.H. beträgt. Im öffentlichen Straßenpersonenverkehr findet der Geschäftsverkehr fast ausschließlich im Nahbereich statt. Hier wird in der Trendentwicklung der ÖSPV geringfügig weiter an den Pkw-Verkehr verlieren. Im Trendzeitraum bis 2015 beträgt hier der ÖSPV-Anteil 2,6 v.H. Insgesamt bleibt der motorisierte Individualverkehr für den Geschäftsverkehr mit einem fast unverändert hohen Anteil von 95 v.H. dominierend. 5. Urlaubsverkehr Die Zuwächse im Urlaubsverkehr zählen zu den in den letzten Jahrzehnten am stärksten gestiegenen Wachstumsraten. Dieser Trend dürfte sich auch in der Zukunft fortsetzen. Ursächlich für die steigende Nachfrage ist die gewachsene Reiselust der Bundesbürger, Innovationen binden aber in sich auch wieder Transportkapazitäten (logistisch optimierte Waren- Auslieferungen bis zum Endverbraucher/Leser). 323 Hinweis: Mit den verwendeten Formulierungen wie „Abnahme um xy v.H.“ ist perspektivisch das proportionale Verringerungsausmaß gemeint, ausgedrückt in einem Prozentwert. Die anderen v.H.-Werte beziehen sich auf die absoluten Anteilsausprägungen in Prozentpunkten. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 137 die selbst in der Rezession von 1993 kaum zurückging. 324 Die Zunahme lässt sich aber nicht nur mit zunehmender Freizeit und dem Anstieg des verfügbaren Einkommens begründen, sondern ist auch, insbesondere bei den Einwohnern in den neuen Bundes- ländern, auf einen gewissen ‘Nachholbedarf’ zurückzuführen. Aber auch in der alten Bundesrepublik sind die Ausgaben für den Reiseverkehr überproportional gestiegen, ohne dass das Wachstumspotenzial bereits erschöpft wäre. Der Anteil der Eisenbahnen an dem gesamten Urlaubsverkehr (Verkehrsaufkommen) wird insbesondere im Fernverkehr in der Prognose bis 2015 von derzeit 20 Mio. beför- derten Personen auf 38 Mio. Beförderungen steigen, wobei die Steigerungsrate von 90 v.H. fast ausschließlich diese Fernstrecken betrifft. Der Anteil am modal split (%) wird sich dabei von 6,7 v.H. auf 8,4 v.H. erhöhen. Das Verkehrsaufkommen im öffentlichen Straßenpersonenverkehr wird im Trend bei 17 Mio. beförderten Personen stagnieren. Dieser Anteil am gesamten motorisierten Verkehr dürfte sich nach den vorliegenden Berechnungen bis 2015 auf 3,8 v.H. reduzie- ren und damit massive Anteilsverluste erleiden. Ursache dafür sind auch hier die Hin- wendungen zu Fernreisen. 6. Privatverkehr Das stärkste Wachstum bei allen Fahrtzwecken erzielt der Privatverkehr. Dies ist in erster Linie in einem geänderten Freizeitverhalten begründet, das sich stärker erhöhen wird als das Konsumverhalten, und mit der Zunahme des verfügbaren Einkommens korrespondiert, wobei der Privatverkehr auch elastischer als der Berufsverkehr auf Ein- kommensveränderungen reagieren kann. Im Eisenbahnverkehr wird insbesondere der Nahverkehr durch den Individualverkehr weitere Anteilsverluste hinnehmen müssen. Zwar steigt der Fernverkehr aufgrund von Attraktivitätssteigerungen, da dieser aber gegenüber dem Nahverkehr von untergeordneter Bedeutung ist (25 v.H. des gesamten Aufkommens), wird sich der Anteil der Eisenbahnen am gesamten Privatverkehr von 2,5 v.H. auf 1,9 v.H. bis 2015 im Trend verringern. Privatfahrten im öffentlichen Stra- ßenpersonenverkehr finden mit über 90 v.H. im Nahverkehr statt. Hier wird sich der Verlust an den Pkw-Verkehr in gleichen Relationen bewegen wie bei der Eisenbahn. Im modal split wird sich der Anteil von 9,8 v.H. (1997) auf 7,3 v.H. (Trend 2015) verrin- gern. Bezogen auf den gesamten Personenverkehr weist unter Berücksichtigung aller aggre- gierten Verkehrszweige der Privatverkehr mit 40 v.H. am Verkehrsaufkommen den 324 Einen Einbruch erlebte der gesamte Reisesektor allerdings im Gefolge der Geschehnisse vom 11.9.2001. Mithin hat er sich hiervon wieder erholt und auch Fernreisen erfreuen sich, wenngleich unter hohem Kostendruck für die Veranstalter, unverminderter Beliebtheit. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 138 größten Anteil auf. Aus den beschriebenen Wachstumsgründen wird sich der Anteil weiter auf 43 v.H. erhöhen. Die weitaus größte Steigerung mit ca. 50 v.H. am Aufkommen wird von den Urlaubs- reisen erwartet. Da ihr Anteil dann bei der gesamten Fahrtenzahl nur bei 0,4 v.H. liegt, schlägt dies aber kaum zu Buche. Der Geschäftsverkehr ist, bezogen auf die Verkehrs- leistung, der drittgrößte Fahrtzweck und steuert rd. 12 v.H. zur gesamten Erhöhung bei. Hinsichtlich aller weiteren Fahrtzwecke sind die Steigerungen absolut und auch relativ gering. Berufs- und Ausbildungsverkehr sowie der Einkaufsverkehr tragen insgesamt 11 v.H. zur gesamten Erhöhung bei. Die Entwicklung der Mobilität im Osten nach der Wiedervereinigung zeigt insgesamt die Angleichung an den Westen, was in der Langfristbetrachtung eine gegenläufige Tendenz bei der ÖPNV-Nutzung im Westen und im Osten einschließt. Reflektiert man diese Zahlen insgesamt, so lässt sich daraus die Schlussfolgerung ab- leiten, dass das Verkehrsaufkommen im ÖPNV auch in der Zukunft nur noch gering- fügig wachsen wird. Selbst die hohen Arbeitslosenzahlen haben daran bisher sehr wenig geändert. Das liegt auch daran, dass der eigene Pkw selbst bei schwieriger wirtschaft- licher Lage von vielen Menschen als unentbehrlich oder unverändert eben auch als Sta- tussymbol angesehen wird, auf das man offensichtlich keinesfalls verzichtet. Fast zwei Jahrzehnte haben sich Politiker und Fachleute darüber gestritten, wie die zer- splitterten Zuständigkeiten der Gebietskörperschaften von Bund, Ländern und Gemein- den für den ÖPNV beseitigt werden können. Im Rahmen der Bahnstrukturreform wurde daher auch die schon seit mehreren Jahren diskutierte Regionalisierung des ÖPNV ge- meinsam mit der Neuordnung der bisherigen Deutschen Bahn und der Deutschen Reichsbahn beschlossen und nach einem Übergangszeitraum zum 1. Januar 1996 rechtlich umgesetzt. Zielsetzung der Regionalisierung ist es, eine unmittelbar vor Ort an den Bedürfnissen der aktuellen und potentiellen Nachfrager definierte Quantität und Qualität des ÖPNV zu sichern.325 Durch Zusammenführung (Regionalisierung) der öffentlich-rechtlichen Zuständigkeiten in einer Hand für Planung, Organisation und Finanzierung sollen, möglichst vor Ort, diese Vorstellungen umgesetzt werden. Zu berücksichtigen wären hierbei auch die Kriterien des finanzpolitischen Grundprinzips der institutionellen Symmetrie, weil damit die Entscheidungsträger nur Aufgaben bestimmen können, deren Kosten sie auch selbst tragen. Im Einzelnen bedeutet das den Übergang zu: • selbständiger Entscheidung der lokalen Gebietsträger über ihre Einnahmen und Aus- gaben; • Konnexität von Aufgabenkompetenz und Ausgabenverantwortung; 325 Vgl. Aberle (1995), S. 39 ff., siehe dazu auch: Aberle (1987). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 139 • Übernahme der Kosten der öffentlichen Leistungen durch diejenigen, die daraus Nutzen ziehen. 326 Für die erforderlichen Grundgesetzänderungen war ein weitgehender Konsens zwischen allen Beteiligten zwingend, weil dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bun- desrat vorliegen musste. Auf Drängen der Länder ist im Rahmen der Bahnstrukturreform ein Bundesgesetz zur Regionalisierung des ÖPNV (Regionalisierungsgesetz) verabschiedet worden. In diesem Regionalisierungsgesetz wird erstmalig festgeschrieben, dass der Schienen- personennahverkehr Teil des ÖPNV ist. Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV wird als Aufgabe der Daseinsvorsorge bezeichnet, deren Einzelheiten durch Landesrecht näher zu bestimmen sind (siehe hierzu auch Ab- schnitt 2.5). Ein weiterer wichtiger Teil des Regionalisierungsgesetzes ist die Vereinba- rung über die Finanzierung, wonach die Länder erhebliche Bundeszuschüsse für den ÖPNV erhalten. Wie diese Regionalisierung in die Praxis aber letztendlich umgesetzt wird, hängt aller- dings davon ab, wie die Länder das Gesetz ausfüllen. Es liegt nunmehr in ihrer Zustän- digkeit, auf welcher Ebene die organisatorische und finanzielle Gestaltung des ÖPNV ausgeübt werden. Eine entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip vorgesehene Selbstbin- dung der Länder, die Verantwortung auch tatsächlich so weit wie notwendig „nach unten“ zu verlagern, ist allerdings im Regionalisierungsgesetz nicht vorgesehen. 327 Das Regionalisierungsgesetz ist mit der Fassung vom 1. Juli 2002 weiter modifiziert worden und regelt die an die Länder zu viel ausbezahlten Zuschüsse und die ab 2002 vorzunehmenden Auszahlungen. Für 2008 ist eine erneute Novellierung des Gesetzes geplant. Diese Gesetzesänderungen berühren auch den schienengebundenen Nahverkehr und dies auch deshalb, weil sie für die Entwicklung integrierter Lösungen von Bedeu- tung sind. Damit ist ein wesentlicher Teil der geltenden gesetzlichen Bestimmungen erfasst, in deren Rahmen sich die Lösungsansätze bei einer Neustrukturierung der Nah- verkehrsangebote bewegen können. Die für eine Konzessionserteilung wichtige Bedingung, der Nahverkehrsplan, wurde neu geregelt. 328 Ein solcher Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die zukünftige Entwicklung des ÖPNV. Im Gegensatz zum Schienenpersonennahverkehr geht im stra- ßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr dabei das Konzessionsrecht von der Eigenfinanzierung der Verkehrserbringung aus, d.h., dass der Aufwand für die Ver- kehrsleistung durch die Beförderungserlöse, Erträge aus gesetzlichen Ausgleichs- bzw. Erstattungskassen und durch sonstige unternehmerische Erträge finanziert wird. 326 Vgl. Knieps (1996), S. 11. 327 Vgl. Knieps (1996), S. 8. 328 Vgl. Kolks (1998), S. 382. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 140 Die inhaltliche Ausgestaltung des ÖPNV vor Ort ist den einzelnen Bundesländern zugewiesen worden. In Bayern und Hessen waren bereits vor der Bahnreform Nah- verkehrsgesetze erlassen worden, so dass diese nur entsprechend angeglichen werden mussten. In den übrigen Ländern mussten die notwendigen Gesetze erst erarbeitet und beschlossen werden. Mit Ausnahme des Stadtstaates Hamburg, der auf eigene Nah- verkehrsgesetze verzichtete, wurde das Gesetzgebungsvorhaben in allen Bundesländern bis Ende 1995 abgeschlossen. Die Aufgabenträgerschaft für den straßengebundenen ÖPNV übertrugen, mit Ausnahme von Bremen und Sachsen-Anhalt, die Länder auf die Kreise und kreisfreien Städte. In allen Ländern mit Ausnahme von Hamburg ist, allerdings mit unterschiedlichen Inhal- ten, auch die Aufstellung von Nahverkehrsplänen entsprechend dem Personenbeförde- rungsgesetz geregelt worden. Im Gegensatz zum SPNV gilt im sonstigen ÖPNV das Bestellerprinzip und damit uneingeschränkter Wettbewerb nur für den gemeinwirtschaftlichen Verkehr. Wett- bewerb kann hier so lange „ausgeschaltet“ werden, wie eigenwirtschaftlicher Verkehr angenommen wird. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, unliebsame Konkurrenz zu vermeiden und zwar dadurch, dass man z.B. bei den Kommunen die anfallenden Ver- luste mit Gewinnen aus anderen Unternehmensbereichen (Quersubventionierung) ver- rechnet. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Kommunen auch Eigentümer bzw. Miteigentümer des Verkehrsunternehmens sind. Durch das Fehlen dieser Selbstbindung der Länder im Regionalisierungsgesetz ist im Hinblick auf den SPNV auch ein latentes Konfliktpotential vorhanden. In diesem Zusammenhang sind die Interpretationsmöglichkeiten in den einschlägigen Gesetzes- vorschriften zu beachten, die nach Meinung des Verfassers den Aufgabenträgern einen zu großen Ermessensspielraum einräumen. Hervorzuheben ist hier auch die in § 7 RegG enthaltene Bestimmung, insbesondere den SPNV zu fördern, die so ausgelegt werden kann, dass einige Länder ausschließlich SPNV-Leistungen nachfragen. Eine ähnliche Wirkung ergibt sich auch aus § 4 RegG, wonach die Länder ein Verkehrsunternehmen ihrer Wahl mit der Wahrnehmung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen beauftragen dürfen, also nicht notwendigerweise die DB AG berücksichtigen müssen. Darüber hinaus ist es den Ländern freigestellt, den SPNV durch Straßenpersonenverkehr zu ersetzen. Dies gilt auch für die Aufstellung von Nahverkehrsplänen, wo die Verkehrsunterneh- men zwar bei der Erstellung mitwirken dürfen, die Genehmigungsbehörde sich aber im Rahmen der Konzessionserteilung nicht daran halten muss. 329 Diese Regelung sollte im Hinblick auf die Erstellung eines integrierenden Generalverkehrsplanes allerdings nochmals überdacht werden. 329 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 365 ff. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 141 Im Vordergrund steht aber zunächst die Suche nach Lösungen zu folgenden Kernpro- blemen: • Es geht erstens um die Einrichtung einer optimalen Entscheidungsebene auf der Bestellerseite, die das Ziel hat, eine überschaubare Bestellerfunktion auszuüben. • Zweitens geht es um die Festlegung eines wirkungsvollen Vergabemechanismus, der eine effiziente Leistungserbringung im ÖPNV garantiert. 330 Erste Erfolge nach der Bahnreform zeigen sich insbesondere im Schienenpersonennah- verkehr (SPNV). Der mit beträchtlichen Regionalisierungsmitteln ausgestattete SPNV ermuntert zwischenzeitlich Dritte, in diesen traditionell abgeschotteten Markt einzutre- ten, was wiederum seit 1997 zu einem kontinuierlichen Ansteigen des intramodalen Wettbewerbs durch diese neuen Anbieter geführt hat. Ein Unterliegen bei Ausschrei- bungen muss heute mit einbezogen werden und zwingt die DB AG zu Rationalisie- rungsaktivitäten und Umstrukturierungsmaßnahmen. Zwar steht die Bahn unverändert ablehnend diesem intramodalen Wettbewerb gegenüber, betont aber gleichzeitig, ihr Hauptwettbewerber sei der Straßenverkehr. 331 3.1.2 Internationale Entwicklungstrends und ihre Relevanz für die Umgestaltung der Entwicklung in Deutschland Vor dem Hintergrund einer weltweiten Zunahme von Menschen in Städten und Bal- lungsräumen und der Tatsache, dass der motorisierte Individualverkehr ökonomische und ökologische Grenzen erreicht hat, ist der Auf- und Ausbau eines funktionierenden Nahverkehrssystems von größter Wichtigkeit. Die betroffenen Länder haben dabei unterschiedlich auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert: Entweder mit einer Erweiterung von staatlichen Investitionen oder aber, indem sie rechtzeitig auf Maßnah- men für eine Deregulierung und Liberalisierung des Verkehrsmarktes zurückgegriffen haben. Bei der Betrachtung der Erfahrungen mit „Deregulierungsexperimenten“ im Ausland ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Erkenntnisgewinne nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse in Deutschland zu übertragen sind, weil vor allem die wirtschaftspoli- tischen Zielsetzungen voneinander abweichen. 332 330 Vgl. Knieps (1996), S. 9. 331 Vgl. Aberle (2003a), S. 183. 332 Vgl. Laaser (1991), S. 174. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 142 Auf den meisten Verkehrsmärkten ist der Nahverkehr, der in den einzelnen Ländern in Bezug auf Organisationsform und Qualitätsstandard unterschiedlich ausgeprägt ist, Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Während im internationalen Vergleich die europäi- schen Nahverkehrssysteme einen hohen Standard haben, gewinnt der Nahverkehr in den USA erst langsam wieder mehr an Bedeutung, nachdem er über Jahre hinweg fast völlig ‘untergegangen’ war. Der Nahverkehr in Europa ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationsmodelle, die von einer vollständigen Deregulierung bis hin zu interventio- nistischen Varianten reichen, bei denen dann öffentliche Unternehmen im öffentlichen Interesse Aufgaben übernehmen, ohne dass sie einem unmittelbaren Wettbewerb ausge- setzt sind. 333 Grundlage in den entsprechenden Organisationsmodellen bilden Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen: • Erstens auf der strategischen Ebene, auf der die grundlegenden Ziele einer Mobilitätspolitik festgelegt werden. Ein Ausgleich zwischen öffentlichen und pri- vaten Verkehrsträgern ist dabei zu suchen, ökologische Zielvorgaben sind zu berücksichtigen und Preis- und Finanzierungsmodalitäten abzustimmen. • Zweitens auf der taktischen Ebene. Auf dieser Ebene mündet die Realisierung der strategischen Ziele in einer effektiven Transportpolitik und in einem abgestimmten Verkehrsangebot. • Drittens werden auf der operationalen Ebene die Entscheidungen darüber gefällt, wer die Leistungen zu erbringen hat. Auf der taktischen Ebene wird darüber befunden, ob die Anregungen für Verkehrsange- bote von den Unternehmen selbst oder den zuständigen Behörden ausgehen sollen. Innerhalb der marktwirtschaftlichen Variante lassen sich dabei verschiedenartige Wett- bewerbsmodelle unterscheiden. Die derzeit gültigen Lösungen innerhalb Europas zeigt die nachfolgende Graphik. Dabei stehen der ausgeprägten Deregulierung wie in Groß- britannien Regulierungsmodelle in verschiedener Abstufung gegenüber (siehe Abbil- dung 9). 333 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 77. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 143 Abbildung 9: Organisationsmodelle im Nahverkehr Quelle: Viegas und Macario (1998), S. 6 3.1.2.1 Entwicklung in den USA Im Rahmen von Untersuchungen über Lösungsansätze im Ausland ziehen Blesik und Munzert ein von Ilgmann und Miether entwickeltes Modell der Netztrennung nach Ver- kehrsarten (3-Stufen-Modell), auf das später noch ausführlich einzugehen ist, als Pro- blemlösung heran und betrachten dazu die USA als erfolgreichen Sanierungsfall. Dieses Modell sieht vor, dass drei von unterschiedlichen Betreibern getragene Parallelnetze jeweils dem Hochgeschwindigkeitsverkehr, dem langsameren Personenverkehr und dem Güterverkehr dienen sollten. 334 Dieses in den USA praktizierte Beispiel könnte auch als eine Lösungsmöglichkeit einer Netztrennung nach Verkehrsarten für Deutsch- land in Betracht kommen. Eine solche Netzhierarchisierung würde dann auch den Erhalt von Bahndiensten im ländlichen Raum gewährleisten. Mithin ist hinsichtlich der Rahmenbedingungen zu bedenken, dass der gesamte Schie- nenpersonenverkehr in den USA nur von marginaler Bedeutung ist und 1998 nur 0,3 % der Personenverkehrsleistung im Vergleich zur intermodalen Konkurrenz betragen hat.335 Auf den Nahverkehr entfällt lediglich ein Anteil von 2 %, wovon der größte Teil 334 Vgl. Blesik und Munzert (2001), S. 213. 335 Vgl. Aberle G.(2003), S. 205. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 144 der Nahverkehrsleistungen mit 40 % der Stadt New York zuzurechnen ist. Mitte der 1980er Jahre wurden rd. 1–2 % der Verkehrsleistungen ausgeschrieben und von priva- ten Unternehmen durchgeführt. Dieser Anteil ist allerdings zwischenzeitlich bis 1997 mit steigender Tendenz schon auf über 10 % gestiegen. 336 Im Gegensatz zum deregulierten Güterverkehr erfolgte 1970 durch das sog. Amtrak- Gesetz die Verstaatlichung des gesamten Personenfernverkehrs und bestimmter Nah- verkehrsverbindungen, die in diesem Kontext von der ‘National Railroad Passenger Corporation (AMTRAK)’ übernommen wurden. Der überwiegende Teil des Nah- verkehrs blieb bei privaten Eisenbahngesellschaften, die teilweise durch die beteiligten Einzelstaaten unterstützt werden. Ende der 1970er Jahre wurde unter der Regierung Carter ein umfangreicher Deregulierungsprozess insbesondere auf dem Verkehrsmarkt begonnen, der eine weitgehende freie Verhandelbarkeit von Strecken zur Folge hatte. Diese weitgehend freien Verhandlungen haben seither zu einer Hierarchie aus Fern- verkehrs-, Regionalverkehrs- und Lokalverkehrsbahnen geführt. So bildeten sich im Nahverkehr etwa 500 sog. Shortlines, d.h. von kleineren Gesell- schaften getragene Bahnen, die meist dadurch entstanden, dass die großen Eisenbahn- unternehmen unrentable Nebenstrecken aufgaben. Diese Organisationsform des Klein- unternehmens hat den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Größe flexibler auf den Kunden- bedarf reagieren und damit auch insgesamt kundenorientiertere Leistungen (bessere Produktqualität) anbieten können. 337 Gleichzeitig konnten die Eisenbahnen in allen Bereichen, in denen sie intermodaler Konkurrenz ausgesetzt waren, ihre Tarife selbst bestimmen. Ihr Streckennetz konnten sie daher nach Rentabilitätsgesichtspunkten aus- richten. Die Shortlines erzielen also nicht nur eine bessere Produktqualität, sondern ver- ursachen insbesondere gegenüber den großen Eisenbahngesellschaften auch geringere Produktionskosten. Mit der Übertragung von Nebenstrecken auf Shortlines konnte auch die Diskussion um eine Stilllegung respektive Weiterführung von unrentablen Strecken umgangen und zudem hohe öffentliche Subventionen vermieden werden. Diese Netzhierarchisierung für ländliche Gebiete war für die Beibehaltung von Bahndiensten von entscheidender Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur dazu die Meinung vertreten, dass die Abgabe von Nebenstrecken an kleinere Gesellschaften zur Sanierung des ame- rikanischen Bahnsektors, die sich bis in die 1990er Jahre zog, wesentlich beigetragen hat. 338 Das Streckennetz ist überwiegend im Besitz der Gesellschaft AMTRAK, welche auch die entsprechenden Infrastrukturverbesserungen durchführt. Der Rest des Strecken- netzes befindet sich im Eigentum von privaten Gesellschaften, auf das AMTRAK aber 336 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S.76. 337 Vgl. Blesik und Munzert (2001), S. 213. 338 Vgl. Lenke (2000). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 145 ein Nutzungsrecht besitzt. Der Zustand dieser privaten Strecken bereitet der Gesell- schaft allerdings Probleme, und zwar nicht nur in Bezug auf das zu zahlende Entgelt, sondern auch im Hinblick auf die Infrastruktur. Die Strecken sind für den schweren Schienenverkehr ausgelegt, auf denen nicht mit hohen Geschwindigkeiten gefahren werden kann. Auch der Streckenzustand ist nicht als ‘ideal’ zu bezeichnen. Außer den AMTRAK- Strecken sind die übrigen Strecken nicht elektrifiziert. Mit den bezahlten Trassenpreisen sind die privaten Eisenbahngesellschaften wiederum unzufrieden. Das hat zur Folge, dass in eine Modernisierung der Strecken nicht investiert wurde. Schon 1995 haben private Güterbahngesellschaften daher eine Verdoppelung der Trassenentgelte von AMTRAK gefordert und zusätzlich eine Aufhebung von betrieblichen Vorrangrechten des Personenverkehrs verlangt. Die Zurechnung der Infrastrukturkosten zum überragenden Schienengüterverkehr oder zum unbedeutenden Schienenpersonenverkehr erfolgt für die im privaten Eigentum stehenden Strecken vorrangig nach dem so genannten „prime user principle“. Die „prime user“ (also die Güterzüge) tragen danach die Gesamtkosten abzüglich der „incremental costs“ (Zusatzkosten) des Personenverkehrs. Problematisch wird diese Berechnung allerdings bei einer weitergehenden Netzöffnung für dritte Bahnen. Der Meinung, dass die mit diesem Modell der Netzhierarchisierung erreichte Rationalisie- rung entscheidend zur Gesundung des amerikanischen Eisenbahnwesens beigetragen hat, ist mithin kaum zu widersprechen. Die Tauglichkeit einer Übertragung dieses Stufenmodells auf das dicht besiedelte Deutschland muss allerdings angezweifelt werden, nicht nur weil in Deutschland die entsprechenden Freiräume fehlen, um entsprechende Parallelnetze installieren zu können, sondern auch, weil hier bereits ein flächendeckendes Schienennetz existiert. In den USA richten sich die regionalen oder lokalen Anbieter von Verkehrsleistungen auf- grund ihrer Strukturen ausschließlich nach dem örtlichen Kundenbedarf, was zu den geringeren Produktionskosten geführt hat. Dies ist dort möglich, weil außerhalb der großen Städte und der Ballungszentren nur spärlich besiedelte Flächen anzutreffen sind, die mit dem Schienennahverkehr nicht bedient werden können. Die Vorteile der Short- lines, die in der Regel als Profit-Center geführt werden, können allerdings auch durch höhere Transaktionskosten wieder entfallen. Diese Situation wird umso wahrschein- licher je mehr Züge bei ihrer Fahrt von einem Streckenanbieter zu anderen Strecken- anbietern wechseln. Hier entstehen dann reale Abstimmungs- oder Opportunitätskosten wegen der nicht ausreichend erfolgten Koordination. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 146 3.1.2.2 Entwicklung in Großbritannien Bis Mitte des 19. Jahrhundert realisierten die britischen Eisenbahnen noch erhebliche Gewinne. Nach einem 1840 erlassenen Gesetz wurden sogar die Dividendenzahlungen von Eisenbahngesellschaften begrenzt. In dieser Zeit entstanden viele Eisenbahnlinien, die in der Regel ausschließlich regionalen Gesetzen unterstanden. Die Eisenbahnpolitik war darauf ausgerichtet, Unternehmenszusammenschlüsse zu verhindern und Eisen- bahngesellschaften als möglichst kleine, untereinander im Wettbewerb stehende Unter- nehmen zu erhalten. Mit dem „Railway and Canal Traffic Act“ von 1854 wurde es den Eisenbahngesellschaften untersagt, für gleiche Transportleistungen unterschiedliche Preis- und Serviceleistungen (Verbot der „undue preference“) zu verlangen. 339 Dieses Verbot führte später mit Zunahme der Konkurrenz durch den Straßenverkehr zu weit reichenden Auswirkungen auf den Wettbewerb der Bahn und auf ihre Ertragssituation. Kriegsbedingte Investitionsrückstände bedingten es, dass sich das britische Eisenbahn- wesen nach Ende des zweiten Weltkriegs in einem desolaten Zustand befand, was letzt- lich am 1. Januar 1948 zu einer Verstaatlichung der letzten privaten Anbieter und zur Gründung der neuen staatlichen Eisenbahngesellschaft British Rail (BR) führte. 340 Zwischen 1952 und 1962 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation der Bahn dramatisch. Dies führte dazu, dass die 1962 gegründete Aufsichtsbehörde ‘British Rail- ways Board’ mit der Untersuchung der wirtschaftlichen Lage der Bahn beauftragt wurde. Dieser so genannte „Reshaping Report“ von 1963 bewirkte dann umfangreiche Veränderungen und hatte für BR einschneidende Konsequenzen. 341 So bestätigte sich insbesondere die Vermutung, dass lediglich die Hälfte aller Strecken kostendeckend war. Neben der allgemeinen Einstellung unrentabler Verkehrsangebote und Strecken sah der Reshaping Report aber auch den Ausbau einiger überregionaler Strecken zur effizienteren Nutzung im Güterverkehr vor, was tatsächlich eine erhebliche Produktivi- tätssteigerung der Eisenbahnen nach sich zog. In einem weiteren Bericht, der 1965 unter dem Titel „The Development of the Major Trunk Routes“ erschien, wurden alle Eisenbahnstrecken aufgeteilt in so genannte „Social Routes“ und „Commercial Routes“, was dazu führte, dass die auf den „Social Routes“ tätigen Eisenbahnunternehmen staatliche Fördermittel erhielten. Offensichtlich bestand auch hier die Erkenntnis, dass diese Strecken nicht rentabel zu führen seien. Der 1983 erschienene „Serpell Report“ konnte trotz der eingeleiteten Reformen keine Ver- besserung der finanziellen Situation von BR anzeigen. Nachdem zu Beginn der 1990er Jahre die Major-Regierung ihr Weißbuch „New Opportunities for the Railways: The Privatisation of British Rail“ vorgelegt hatte, war 339 Vgl. Aberle (2003b), S. 218. 340 Vgl. Knorr und Eichinger (2002), S. 370 ff. 341 Vgl. Aberle (2003b), S. 219. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 147 der weitergehende Schritt zur Privatisierung voraussehbar. Konkrete Vorschläge über Art und Umfang der Privatisierung waren darin allerdings nicht enthalten. Am 1. April 1994 schließlich wurde die weit reichendste Reorganisation der Eisen- bahnen seit 1948 durchgeführt. Die gesetzliche Grundlage dafür stellte der „Railway Act“ des Jahres 1993 dar. Die staatliche British Rail wurde aufgegliedert in 100 neue Gesellschaften, die durch ein kompliziertes System von Zulassung und Aufsicht mitein- ander verbunden blieben. Der wichtigste Faktor der Neuordnung war die institutionelle Trennung von Fahrweg und Betrieb. Für die Eisenbahninfrastruktur wurde eigens eine Gesellschaft, die so genannte „Railtrack“, neu gegründet. Damit war Großbritannien das einzige EU-Land mit einem in rechtlicher Hinsicht tatsächlich privatisierten Verkehrs- management.342 Abbildung 10: Organisationsstruktur des britischen Eisenbahnwesens ab 1994 Quelle: Knorr und Eichinger (2002), S. 373, die sich bei der Darstellung an eine Arbeit von Gourvish anlehnten. Railtrack übernahm damit das Schienennetz von etwa 16.000 km einschließlich 16 grö- ßerer Bahnhöfe und 11.000 Mitarbeitern von BR. Die neue Gesellschaft war zuständig für Fahrpläne und deren Koordinierung sowie gegenüber einer weiteren Behörde für Sicherheit auf dem Schienennetz verantwortlich. Im Mai 1996 wurde Railtrack voll- ständig privatisiert und somit Angebotsmonopolist gegenüber allen privatisierten Bahn- 342 Vgl. Riedle (2001). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 148 gesellschaften. 343 Für die Unterhaltung und Reparatur des Streckennetzes sowie für eisenbahnspezifische Forschung entstanden 68 „Supporting Companies“ (Heavy Mate- rial Services, Engineering Services), die ihrerseits durch Privatisierung dem Wett- bewerb ausgesetzt werden sollten. Der Personenverkehr blieb zunächst unangetastet. Die dafür zur Verfügung stehenden Verkehrsstrecken oder -netze sowie 2.500 Bahnhöfe wurden vielmehr im Franchising- Verfahren vergeben. Für diesen Zweck wurde das „Office of Passenger Rail Franchi- sing“ (OPRAF) gegründet, welches die Zugangsrechte zum Schienennetz über Konzes- sionen erteilte. Im Personenverkehr wurde dabei zwischen Fern-, Regional- sowie dem Nahverkehr im Großraum London unterschieden. Es erfolgte zunächst eine Unterteilung in 25 Strecken oder Netze, die über ein Auktionsverfahren nach einer Übergangsperiode an private Betreiber für eine Laufzeit von etwa sieben Jahren vergeben wurden. Die 25 Netze wurden an 13 verschiedene Unternehmen („Train Operating Companies TOCs“) ver- geben, die Ende 1996 den Betrieb aufnahmen. Einige der Gruppierungen, wie z. B. die „Virgin Rail“, hielten dabei mehrere Franchises. Nicht den TOCs zugerechnet wurden dagegen Untergrund- und Stadtbahnbetriebe. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen mussten diese Gesellschaften genau definierte Mindestverkehrsleistungen übernehmen, die der behördlichen Aufsicht unterlagen. Die TOCs erhielten dafür die staatlichen Subventionen, die bisher British Rail für den Personenverkehr erhalten hatte. Das rollende Material wurde durch drei weitere neu errichtete Gesellschaften („Rolling Stock Leasing Companies“) an Konzes- sionäre vermietet. Diese Gesellschaften, die zunächst noch staatlich waren, sind eben- falls nunmehr privatisiert worden. Mit der Regulierung der privaten Eisenbahnen wurden zwei Behörden beauftragt. Die Vergabe der Lizenzen erfolgte durch die OPRAF. Ihre Aufgabe erstreckte sich auf Aus- schreibung und Vergabe der Konzessionen sowie Festlegung von Leistungsmerkmalen, wie Pünktlichkeit, Vertaktung u.a. für jeden Konzessionsbereich. Die Abstimmung zwischen den Lizenznehmern sicherte fortan der „Rail Regulator“, der die Interessen der Bahnkunden wahrzunehmen hatte. In seinem Aufgabengebiet lag neben der Förde- rung der Zusammenarbeit die Entscheidung über Streckenstilllegungen und darüber, unter welchen Bedingungen weitere Wettbewerber auf einer Strecke zuzulassen waren. Eine weitere Aufgabe bestand in der Aufsicht über einen eventuellen Preismissbrauch. Zwei Jahre nach der Privatisierung beschloss die Regierung die Auflösung von OPRAF 343 Die Emission der Railtrack-Aktien verlief erfolgreich; die Anteilsscheine dieser privatisierten Gesellschaft hatten phasenweise sogar den Charakter von „Volksaktien“; vgl. Hermann (2001). In diesem Kontext ist auch darauf hinzuweisen, dass genuin politische Gründe für die Privatisierung des BR-Komplexes eine wesentliche Rolle einnahmen, so z.B. die Reduzierung der gerade in den 1970er Jahren im Eisenbahnwesen beträchtlichen Macht von Gewerkschaften im Zuge personal- rechtlicher Privatisierungseffekte; vgl. May (2001). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 149 und die Übertragung dieser Funktionen auf eine neue Behörde, die „Shadow Strategic Rail Authority“ (SSRA), die auch den staatlichen Teil der Finanzierung von Neubau- projekten abzuwickeln hatte. Mit den entsprechenden Kompetenzen wurde diese neue Behörde erst im Jahre 2001 betraut. 344 Auch nach der Reorganisation der britischen Eisenbahnen musste der Betrieb in einigen Konzessionsgebieten subventioniert werden. Der Wettbewerb zwischen den potenziel- len Lizenznehmern sollte dazu beitragen, den Subventionsbedarf zu minimieren. Die britische Regierung war davon ausgegangen, dass in etwa vier Jahren alle Lizenzen ver- kauft würden. Railtrack sollte dann in der Lage sein, über den Verkauf von Trassennut- zungsrechten eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals von 8 % zu erwirtschaften. Die Jahre nach 1994 haben jedoch gezeigt, dass die Umsetzung des Franchisesystems im Personenverkehr nicht ohne weiteres möglich ist. Die OPRAF hat mit jedem Lizenznehmer (TOCs) ein „Pönalen/Incentive-Regime“ ver- einbart. Der TOC kann jedoch die ihm auferlegten Verspätungspönalen an Railtrack weiter belasten, wenn die Verspätung infolge nicht rechtzeitiger Trassenbereitstellung verursacht worden ist. Schon kurz nach der Privatisierung stand fest, dass das Mess- verfahren für die Leistungsqualität nicht ausreichen würde und die „Performance Tar- gets“ sehr niedrig festgelegt waren, so dass trotz sinkender Leistungsqualität noch 1998 der Saldo aus Incentives und Pönalen positiv war. 345 Außer den relativ geringen Pönalen und der Möglichkeit, unter bestimmten Auflagen das Franchising zu kündigen, besaß die Regulierungsbehörde kaum Handlungsspiel- räume, um auf schlechte Leistungen der TOCs reagieren zu können. Allerdings ist anzumerken, dass bis dahin nicht einmal die vertraglichen Eingriffsmöglichkeiten voll ausgeschöpft wurden. Deshalb hatte sich auch der Druck der neuen Regulierungs- behörde SRA seit 2000 auf die Gesellschaften erheblich verstärkt: 346 Bei sämtlichen Neuverhandlungen wurden im Hinblick auf Pünktlichkeit und Sitzplatzkapazitäten die Anforderungen an die regelmäßigen Qualitätsverbesserungen erheblich erhöht. Bei Nichterreichung dieser Ziele wurde gleichzeitig die Pönalisierung entscheidend ver- schärft, wobei auch die sich aus den Franchisingverträgen ergebenden Sanktionsmög- lichkeiten zusätzlich zur Anwendung kamen. Allerdings bestand aufgrund der Vertragsbegrenzungen auf Seiten der TOCs keine Ver- anlassung, über diesen Zeitraum hinaus Neuinvestitionen zu tätigen. Überdies besteht aus technischen Gründen kein Sekundärmarkt für Schienenfahrzeuge. Zwischenzeitlich hat allerdings die SRA durchgesetzt, dass Neuausschreibungen eine verlängerte Laufzeit von 20 Jahren haben sollen und die Neuanschaffung von Fahrzeugen vertraglich fixiert 344 Vgl. Böttger (2002). 345 Vgl. o.V. (1998, 1999), redaktionelle Beiträge in ‘Economist’. 346 Vgl. Böttger (2002). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 150 ist. Die bisherigen Ergebnisse der Deregulierung und Privatisierung sind allerdings ins- gesamt für die Franchise-Nehmer mehr als fragwürdig. 347 Viele Unternehmen können nur mit Hilfe von erheblichen Subventionen ihre Leistun- gen erbringen. Personaleinsparungen durch die Eisenbahnunternehmen führten zu weiteren Qualitätsdefiziten und sogar zu Zugausfällen wegen Personalmangels. Dem Rail Regulator ist es nicht gelungen, zwischen den Eisenbahngesellschaften eine Fahr- planabstimmung durchzuführen, was auch 1996 wiederum zur Einführung eines weite- ren unzureichenden neuen Fahrplanes führte. Bei Eisenbahnen, die privatisiert werden, ist die Infrastruktur als natürliches Monopol Ausgangspunkt für jede Regulierung. Die Rechtsgrundlage für die Regulierung in Eng- land bildeten der bereits genannte Railways Act von 1993 und die „Network Licence“, die Railtrack eingeräumt wurde. Im Railways Act ist auch geregelt, dass der Rail Regulator die Trassenpreise zu überprüfen hat und diese notfalls neu festsetzen kann. 348 Die Festsetzung des Entgelts wird dabei entsprechend einer Abschätzung der Kosten (zuzüglich Gewinn), die der Railtrack für die Instandsetzung und für die Betriebsfüh- rung des Streckennetzes entstehen, vorgenommen. Railtrack wird nun vorgeworfen, dass es kaum in neue Netze oder in die Modernisie- rung von bestehenden Netzen investiert habe, wodurch die Netzqualität erheblich beeinträchtigt wurde und bei den Bahngesellschaften erhebliche Verspätungen bewirkte. Für Railtrack wurde in Bezug auf die Festsetzung der Trassenpreise ein „Price-cap-Ver- fahren“ installiert, wonach eine Erhöhung der Entgelte nur entsprechend der Verände- rungen des Indexes des realen Sozialprodukts abzüglich eines den Produktivitätsfort- schritt berücksichtigenden Faktors möglich ist. Diese starre Preisregulierung wird in verschiedenen Kommentaren als Ursache für unterlassene Investitionen und nicht durchgeführte Unterhaltsaufwendungen für das Netz mit angeführt. Ende 2001 führten u.a. die vorstehenden Gründe zu einer dramatischen Verschlechte- rung der wirtschaftlichen Lage bei Railtrack und zur gerichtlichen Bestellung eines Verwalters, der die Leitung der Geschäfte der Gesellschaft übernahm. Bereits Ende Mai 2001 wies der Business-Plan von Railtrack ein prognostiziertes Defizit von 6,3 Mrd. Euro auf. Eine staatliche Unterstützung wurde allerdings abgelehnt. Mit der Bestellung des Verwalters, die üblicherweise einer offiziellen Konkurserklärung vorausgeht, hat Raitrack aufgehört, als Aktiengesellschaft zu existieren. Das Versagen der britischen Deregulierungsmaßnahmen hat gleichwohl nicht bewiesen, dass Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten nicht koordiniert und staatliche Regulierung nicht sinnvoll ersetzt werden kann. Die entscheidenden Fehler der britischen Bahn- 347 Vgl. Aberle (2003b), S. 222. 348 Vgl. Railways Act (1993), Section 21, Dokumentation der ‘Access Charges and Review Process’; ferner: Böttger (2002), S. 273 ff. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 151 reform waren vielmehr, dass ein Mischnetz von Personen- und Güterverkehr mit starken ‘economies of density’ und ‘economies of scale’ mit Renditeversprechen an die Börse kam, denn solche Netze sind in der Regel nicht gewinnbringend zu betreiben. 349 Im Übrigen waren die unüberschaubaren Zuständigkeiten ein organisatorisches Problem, das dazu führte, dass Sanktionsmaßnahmen gegenüber den TOCs nicht angewendet wurden und auch die von Railtrack einzuhaltenden Vorgaben über den technischen Zu- stand des Streckennetzes nicht hinreichend überprüft werden konnten. Der Konkurs von Railtrack kann auch nicht als Argument gegen eine institutionelle Trennung von Netz und Betrieb verwendet werden, denn fundamentale Fehlentscheidungen wurden nicht bei der Festsetzung der Trassenentgelte gemacht. Entscheidend war nach Meinung des Verfassers vielmehr, dass das britische Eisenbahn- netz bereits zum Zeitpunkt seiner Privatisierung heruntergewirtschaftet war. 350 Statt nun aber dieses Netz zu modernisieren, gingen die Verantwortlichen von der Prämisse aus, dass die Eisenbahn ein Verkehrsmittel ohne Zukunft sei, das unauffällig abzu- wickeln sei. 351 Statt auf Wachstum war die Regulierung vielmehr auf Schrumpfung des Schienennetzes ausgerichtet. Erst im Februar dieses Jahres entschieden die zuständigen Bürokraten, die Zahl der Züge zu verringern. Nachdem die privaten Betreiber wie erhofft das Angebot in den vergangenen Jahren erhöht hatten, war es wegen zahlreicher Engpässe immer wieder zu „Staus“ auf den Schienen gekommen. Da der Netzbetreiber wiederum nicht genügend Geld bekam, um das marode Netz zu „flicken“ und moderne Signaltechnik zu installieren, kürzte die Eisenbahnbehörde kurzerhand wieder das An- gebot. 352 Das zunächst vermutete Symptom eines Marktversagens ist also nicht aufge- treten. 3.1.2.3 Entwicklung in Schweden Schweden zählt zu den Ländern, die im Gegensatz zu Großbritannien eine maßvolle Deregulierungspolitik mit begrenzter Ausschreibung innerhalb des ÖPNV betrieben haben. Die im Jahre 1978 eingeführte Regionalisierung übertrug in einem ersten Schritt die finanzielle Verantwortung auf Gemeinden und Kreise, die ihrerseits Zweckverbände gründeten, die für Planung, Ausgestaltung und Preisregulierung des Nahverkehrs zuständig sind. 349 Vgl. Aberle (2003), S. 223. 350 Vgl. Hermann (2001). 351 Vgl. Böttger (2002). 352 Vgl. Herkenoff (2003). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 152 Bereits Ende der 1980er Jahre kam es zu einer so genannten Deregulierung, die im Ergebnis einem Ausschreibungswettbewerb um Teilleistungen gleichkommt.353 Mit der Einführung von Wettbewerbsverfahren (1989) wurden gleichzeitig alle bisher erteilten Konzessionen wieder zurückgezogen. Aber auch außerhalb der Bestellung ist ÖPNV zulässig, soweit dieser Verkehr nach Maßgabe des Verkehrsversorgungsplanes bestellt wurde und keinen wirtschaftlichen Schaden verursacht. Mit der Einführung von Wettbewerbsverfahren im Jahre 1989 wurden alle bisher erteilten Konzessionen wieder zurückgezogen. Die regionalen Aufgabenträger können sich nunmehr folgender Alternativen bedienen: • Der bisherige Konzessionsinhaber führt den Verkehr weiter. • Der Aufgabenträger führt den Verkehr selbst in eigener Verantwortung durch. Oder: • Er bestimmt den Betreiber im Rahmen einer wettbewerblichen Ausschreibung. Diese wettbewerbliche Ausschreibung bildet dabei die eigentliche Zielsetzung der Bahnreform. Zugangsberechtigt sind nunmehr schwedische und ausländische Eisen- bahnunternehmen, die Güter- oder Personenverkehr betreiben Danach erfolgt die Aus- schreibung auf der Basis von unveränderlichen Leistungsbeschreibungen im Hinblick auf Strecken, Fahrpläne und Beförderungspreise. Im Rahmen der Bahnreform kam es 1988 auch zu einer organisatorischen Trennung von Fahrweg und Betrieb. Die schwedische Staatsbahn „Staten Järnvägar (SJ)“ wird als öffentlich-rechtliches Unternehmen mit weitgehenden Sonderrechten weitergeführt. Der nationalen schwedischen Eisenbahnverwaltung „Banverket“ kommt in diesem System die Stellung eines Infrastrukturmanagers und eines Regulierungsorgans zu. Sie unter- steht direkt dem Staat und ist von der Staatsbahn SJ unabhängig. Die Trennung von SJ und Banverket erfolgte im gleichen Jahr. Auch für den SPNV gilt nunmehr der Ausschreibungswettbewerb, so dass die Benut- zungsrechte sowohl auf Haupt- wie auch auf Nebenstrecken im Rahmen von Ausschrei- bungen vergeben werden. Die Markteintritte konzentrieren sich überwiegend auf relativ einfach zu übernehmende Strecken des regionalen Personenverkehrs und der Züge im Güterverkehr. Die Trennung von Besteller- und Produzentenfunktion hat zwar zunächst zu einer Produktivitätssteigerung bei der Leistungserstellung geführt, andererseits droht aber die Kundenorientierung zu wenig berücksichtigt zu werden. Berechnungsgrundlage für sämtliche Aufgabenträger bilden die Vollkosten, die sie den Betreibern auch erstatten. Allerdings müssen diese im Gegenzug sämtliche Einnahmen 353 Vgl. Werner (1998), S. 27. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 153 an die Aufgabenträger abführen. Der erreichte Kostendeckungsgrad beim öffentlichen Unternehmen in Stockholm liegt bei ca. 42 % und sollte auf 50 % zu steigern sein. 354 Zwar fallen die Kostensenkungen geringer als in Großbritannien aus, sind aber trotzdem beachtlich, was sich insbesondere in einem Rückgang des Subventionsbedarfs bemerk- bar macht. Die Produktivitätszuwächse wurden vor allem zu Verbesserungen des Nah- verkehrsangebots für den ländlichen Raum verwendet. Die Erkenntnis zur Koordination innerhalb der Regionen hat sich zwar durchgesetzt, trotzdem bestehen unverändert Ab- stimmungsprobleme, was offensichtlich mit einer vermeintlichen Überforderung der Regieebene zusammenhängt. 355 Wie in Großbritannien ist auch in Schweden eine Konzentrationsentwicklung zu weni- gen großen Unternehmen, die sich mit einigen kleineren regionalen Unternehmen den Markt teilen, festzustellen. Die drei größten Unternehmen besitzen zusammen einen Marktanteil von über 60 v.H. Die Zahl der öffentlichen Unternehmen geht nicht nur permanent zurück, sondern sie werden auch als potenzielle Übernahmekandidaten durch die Großunternehmen angesehen. 354 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 81. 355 Vgl. Palm (1997), S. 38 f. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 154 Tabelle 8: Ergebnisse der Deregulierung des britischen und schwedischen Nahverkehrs Großbritannien Schweden Art der Deregulierung ⇒ Wettbewerb auf dem Markt ⇒ unbegrenzter Marktzutritt ⇒ keine Konzessionen ⇒ Ausschreibungen für gemeinwirt- schaftliche ÖPNV-Leistungen und für Bus-Verkehr in London ⇒ Wettbewerb um den Markt ⇒ Regionalisierung ⇒ keine Konzessionen ⇒ Ausschreibungsmöglichkeit Deregulierung seit 1986 1989 Ausschreibungen seit 1985 (London) 1986 (gemeinwirtschaftliche Leistungen) 1989 Ergebnisse der Deregulierung Angebot / Service / Nach- frage ⇒ Anstieg der Bus-km um 25 v.H. ⇒ Einführung Minibus-Betrieb ⇒ Verwaltung der Busflotte ⇒ Anstieg der Fahrpreise um rund 45 v.H. ⇒ Rückgang der Fahrgastzahlen (um 20 bis 30 v.H.) ⇒ Angebots- und Servicever- besserungen insbesondere im ländlichen Raum ⇒ in Stockholm zunächst Angebotsreduzierung, dann wieder Angebotsausweitung Kosten / Produktivität / Subventionen ⇒ Betriebskostensenkungen um 30 bis 45 v.H. ⇒ Produktivitätssteigerungen ⇒ Rückgang der Beschäftigten um 15 v.H. ⇒ Realeinkommensverlust beim Fahr- personal ⇒ niedrigerer Subventionsbedarf ⇒ Kostensenkungen von 5 bis 15 v.H. ⇒ Produktivitätssteigerungen ⇒ Beschäftigtenzahlen sozial- verträglich reduziert ⇒ niedrigerer Subventions- bedarf (von 55 v.H. 1986 auf 43 v.H. 1993 Marktstruktur überwiegend privat private und öffentliche Unter-nehmen Konzentrationsprozesse 6 Unternehmensgruppen 2 große Unternehmen Quelle: Entnommen bei: Scheele und Sterzel (2000), S. 83 3.1.2.4 Entwicklung in der Schweiz Die topographische Lage der Schweiz mit einer dezentralen, kleinräumigen Siedlungs- struktur und ohne große Ballungsräume führte im Gegensatz zu dem Flächenstaat USA oder einem zentral staatlich geführten Land wie Deutschland mit großen Ballungs- räumen von Anfang an zu einer anderen Eisenbahnpolitik. Die ausgeprägten föderalen Entscheidungsstrukturen sorgen zudem dafür, dass ein erheblicher Anteil an Schienen- verkehrsangeboten und -nachfragen von Privatbahnen wahrgenommen werden, die sich im Eigentum der Kantone oder des Bundes befinden. Daher verfügt die Schweiz auch 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 155 über ein feinmaschiges Schienennetz, über das selbst kleinere Ortschaften im Takt- verkehr miteinander verbunden sind. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wurden im Rahmen der 1999 durchgeführ- ten Bahnreform wie in Deutschland in eine Aktiengesellschaft des Bundes (SBB AG) umgewandelt und zugleich die finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Bahn neu geregelt. In der Schweiz hat man hinsichtlich der Verselbständigung des Bahnnetzes einen eige- nen Weg gefunden. Ausgegangen wird hier von der Vorstellung, dass öffentlicher Ver- kehr nur selten rentabel ist und subventioniert daher das Schienennetz. 356 Damit wird erreicht, dass die Schweizer Bundesbahnen (SSB) aus dem Netzbetrieb keine Verluste generieren. Der Staat übernimmt dabei allerdings nur die Kosten für Ersatzinvestitionen und sonstige Reparaturen sowie für Neuanschaffungen. Die Kosten für die laufende Instandhaltung oder die Personalkosten in den Stellwerken, d.h. die so genannten Grenzkosten, muss die Bahntochter „Division Infrastruktur“ selbst tragen. Die instituti- onelle Zuständigkeit für das Netz liegt also hier bei der Infrastrukturdivision der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Zugangsrechte zum Schienennetz haben Eisenbahnunternehmen, die ihren Sitz im Inland haben, im Handelsregister eingetragen sind und eine Konzession nach dem Eisenbahngesetz besitzen. Will eine private Bahn nunmehr das Schienennetz nutzen, berechnet die SBB-Tochter einen Trassenpreis nach Kilometer und Gewicht. Eine Schiedskommission überwacht die Konzessionsvergabe und dient gleichzeitig auch als Beschwerdeinstanz. Als Regulator steuert der Staat (vertreten durch das Bundesamt für Verkehr) die Marktkräfte mit einer Tendenz zur Deregulierung bei effektiv wachsender Regelungsdichte. Genügte vor 1996 ein Regelwerk mit weniger als 10 Paragraphen für den Regionalverkehr der SBB, so waren es 1998 bereits 50 Paragraphen. Mit der Bahn- reform 1999 hat sich diese Zahl nochmals verdreifacht. Zusätzlich ist das Bundesamt für Verkehr auch Besteller des Regionalverkehrs. Als Inhaber der Bahn- und Busbetriebe fällt teilweise diese Rolle mit jener des Betreibers zusammen, was zu Interessenkonflikten führt. Der Regulator vergibt die Konzessionen, die beim Regionalverkehr zeitlich auf 2014 limitiert sind. Einer der verlässlichsten Indikatoren für reale Veränderungen im Verkehrsmarkt in Folge neu gewährter Netzzugangsrechte ist der Markteintritt neuer Anbieter. In der Schweiz sind das die Gesellschaften „BLS Lötschbergbahn“ und „Regionalverkehr Mittelland“ (Kooperation für Betrieb der S-Bahn Bern). Es sind hier nur die Anbieter erfasst, die tatsächlich Verkehrsleistungen auf dem Netz der ehemaligen Staatsbahnen anbieten. 356 Vgl. Weidmann (2001). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 156 Diese Regelung soll freien Wettbewerb garantieren und dient deshalb vielen Befürwor- tern für eine Trennung zwischen Netz und Betrieb als Vorbild. Allerdings sind auch hier Zweifel angebracht und zwar, ähnlich wie in Deutschland, hinsichtlich eines möglichen Interessenkonfliktes zwischen der SSB-Mutter und der SSB-Tochter. Ziel ist es hier, ein Marktumfeld zu schaffen, das den höchstmöglichen modal split bei maximaler Wirt- schaftlichkeit ermöglicht. Voraussetzung dafür ist aber die Optimierung von Angebot und Infrastruktur bei hoher Produktivität. Um dies zu erreichen, sind entsprechend lang- fristige Vergaben von Verkehrsrechten sowie Verfahrensregeln notwendig, welche einen engen Zusammenschluss zwischen allen Sparten und Partnerbahnen erleichtern würden. 357 3.1.2.5 Zwischenfazit Die dargestellten Organisationsmodelle im Ausland zeigen zunächst allgemein, dass sowohl eine Deregulierung und Privatisierung als auch Wettbewerb im Schienenperso- nennahverkehr möglich sind. Eine Übertragung von solchen länderspezifischen Maß- nahmen auf Deutschland ist nach Meinung des Verfassers aber nur partiell möglich und zu empfehlen. Die für die USA erfolgreiche Regionalisierung lässt sich aufgrund der dortigen geo- graphischen Lage, Größe und wegen der Zeitunterschiede nicht als Beispiel für eine Lösungsmöglichkeit auf Deutschland übertragen. Da die Nahverkehrsunternehmen (Shortlines) in den USA häufig nur Zubringerdienste gegenüber dem Fernverkehr über- nehmen, sind diese Profit-Center als Modell für Deutschland nicht anwendbar. In Deutschland sollte aber das Ziel einer veränderten Verkehrspolitik im Schienenperso- nennahverkehr gerade unter Nutzung des vorliegenden Schienennetzes ein integrieren- der und länderübergreifender Taktfahrplan sein. Das in den USA offensichtlich erfolg- reich getestete Modell der hierarchischen Netztrennung wäre zunächst höchstens ein Ansatzpunkt, um die Monopolstellung der DB Netz AG zu brechen. In Europa haben im Gegensatz zu oft vertretenen Positionen die förmlichen Anforde- rungen des EU-Rechts bisher wenig mit Liberalisierung zu tun. Die Richtlinie 91/440 bestimmt in Artikel 10, dass nur den international tätigen Eisenbahnunternehmen über ihre in Mitgliedsstaaten ansässigen verbundenen Unternehmen Zugangs- und Transit- rechte zu gewähren sind. Daraus lässt sich mithin kein freier Wettbewerb ableiten, son- dern allenfalls ein Kooperationsangebot. Für den SPNV können daraus jedenfalls keine Schlussfolgerungen gezogen werden. 357 Vgl. Weidmann (2001). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 157 Viele Kritiker, die einer Trennung von Netz und Betrieb ablehnend gegenüber stehen, verweisen dabei häufig auf das britische Privatisierungsmodell, welches offensichtlich als gescheitert anzusehen ist. Die in Großbritannien durchgeführte vollständige Deregu- lierung und Privatisierung musste deshalb scheitern, weil zum Zeitpunkt der Privatisie- rung keine Vorgaben hinsichtlich Investitionen in das Streckennetz und Streckenmieten vorlagen. So verringerte der Streckenbetreiber Railtrack in einer ersten Amtshandlung das Instandsetzungspersonal, anstatt die notwendigen Investitionen nachzuholen. Dies führte folglich zu permanenten Verspätungen, Fahrausfällen und Unfällen. Im Ergebnis resultierten daraus kurzfristig, auch aufgrund von hohen Streckenmieten, zwar beacht- liche Gewinne der Gesellschaft, dies jedoch zu Lasten der Bahnbetreiber und der Reisenden. Dass dieses Vorgehen letztendlich nicht funktionieren kann, beweist der Konkurs von Railtrack. Der desolate Zustand des britischen Eisenbahnsystems ist also nicht auf die Privatisierung zurückzuführen, sondern vielmehr in einem Versagen des Managements zu sehen. Das Ausgliedern der Infrastruktur als privates Unternehmen verlangt daneben, wie das Beispiel England zeigt, zur Absicherung der Gemeinwohl- belange einen zu hohen Regulierungsaufwand und birgt das Risiko in sich, dass aus reinem Gewinnstreben Investitionen ins Bestandsnetz unterbleiben bzw. vernachlässigt werden. Die in Schweden durchgeführte Regionalisierung und Einführung eines begrenzten Wettbewerbs in Form von Leistungsausschreibungen hat zu einem beachtlichen Pro- duktivitätszuwachs geführt. Die vorgenommene Trennung von Netz und Betrieb hat sich ebenfalls bewährt. Offensichtlich kann festgehalten werden, dass jede Art von Wettbewerb zu einer wirkungsvolleren Kostenkontrolle führt, als dies bei öffentlichen Monopolunternehmen der Fall wäre. Im Gegensatz zu den übrigen westeuropäischen Ländern liegt die institutionelle Zustän- digkeit für die Infrastruktur in Schweden bei einer Behörde, die direkt dem Staat unter- stellt ist. Hier wird das Schienennetz mit allen finanziellen Auswirkungen durch den Staat als volkswirtschaftlich bedeutende Infrastruktur betrachtet und den Eisenbahn- unternehmen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung gestellt. 358 Unter den Eisenbahnsystemen in Westeuropa gilt der schweizerische Reformprozess im Gegensatz zu Deutschland als relativ erfolgreich. Die Schweiz verfügt zwar über keine Hochgeschwindigkeitszüge, dafür aber über ein feinmaschiges Schienennetz, mit dem auch kleinere Ortschaften „bürgernah“ bedient werden können. Ursache dafür ist wie bei den USA die Struktur des Landes - im Falle der Schweiz nur mit entgegengesetzten Eigenschaften: Hier sind es dezentrale kleinräumige Siedlungsstrukturen und eine aus- geprägte föderale Entscheidungsstruktur sowie das Fehlen sehr großer Ballungs- räume. 359 358 Vgl. Riedle (2002). 359 Vgl. Riedle (2002), S. 269. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 158 Ohne jegliche Verpflichtung hat die Schweiz als Nichtmitglied der EU die EU-Richt- linie 91/440 umgesetzt und den freien Netzzugang für alle inländischen Eisenbahn- verkehrsunternehmen eingeführt. Fahrplanmäßiger Personenverkehr auf fremden Net- zen ist allerdings nur mit einer besonderen Konzession und üblicherweise im Regional- verkehr im Auftrag eines Kantons möglich. Mit der Divisionierung der SBB sind auch deren Verkehrsbereiche gezwungen, bei der eigenen Infrastruktur Trassen zu kaufen. Resümierend kann festgestellt werden, dass für Europa eine über die derzeit noch gül- tige EU-Richtlinie 91/440 (EWG) hinausreichende Liberalisierung des Netzzugangs unbedingt notwendig ist, wenn die Eisenbahnunternehmen sowohl als Verkehrsträger als auch als Wirtschaftsunternehmen erfolgreich sein sollen. Weiter lässt sich in allen angeführten Beispielsfällen feststellen, dass die Infrastruktur- verantwortung durch den Staat als die einzig vertretbare Lösung erscheint. Allerdings sind bei ausschließlich regional genutzten Schienenstrecken Synergieeffekte aus dem gemeinsamen Betrieb von Infrastruktur und Zugverkehr durch einen Anbieter nicht ganz zu ignorieren. Hier sollte beachtet werden, dass ein fahrplanmäßiger Verkehr nur in seiner Gesamtheit und nicht in Bezug auf Einzelfahrten wirkt, so dass dafür Schutz- regeln für Taktfahrpläne aufzustellen sind. 3.1.3 EU-rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung des SPNV Obwohl es im EG-Vertrag kein ausdrückliches Bekenntnis zu Gunsten einer wirt- schaftspolitischen Deregulierung bzw. Privatisierung öffentlicher Unternehmen gibt, ist die Europäische Union entsprechend ihrer ordnungspolitischen Orientierung auf die Marktwirtschaft bemüht, das im EG-Vertrag vom 25.03.1957 zum Ausdruck gebrachte Leitbild eines offenen Marktes mit freiem Wettbewerb durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umzusetzen. Zunächst gibt es also das übergeordnete ordnungspolitische Bekenntnis zur Marktwirt- schaft und zum freien Wettbewerb. Nach Art. 3a S. 1 EGV sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Daraus leiten sich auch das Diskriminierungsverbot bzw. das Gebot der Inländergleichbehandlung ab, die bei der Strukturreform der Eisenbahn eine wichtige Rolle spielen. Dass ein eigenständiger Titel der EU-Regularien dem Verkehr gewidmet ist, liegt vor allem an der besonderen Intensität staatlicher Interventionen in das Marktgeschehen, die diesen Bereich kennzeichnen. Sondervorschriften betreffen sowohl die hoheitliche Fest- 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 159 setzung von Preisen als auch die Beschränkungen des Marktzugangs und nicht zuletzt die zumeist öffentlich verantwortete Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur. Ziel dieser Bestimmungen ist die Integration der Verkehrsmärkte und der Schutz des Wett- bewerbs im Verkehr vor Verfälschungen. 360 Auch die Regionalisierung des SPNV basiert auf Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft/Union. Ausgangspunkt für die europäische Gesetzgebung im ÖPNV und damit auch für den SPNV bildet die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 i.V.m. Änderungsverordnung (EWG) Nr. 1893/91. Durch die 1991 verabschiedete Ver- ordnung wurde die traditionelle Universaldienstleistungsverpflichtung (Betriebspflicht, Beförderungs- und Tarifpflicht) der Verkehrsunternehmen im ÖPNV durch Universal- dienstverträge ersetzt. Seit dem 1.1.1996 ist diese Verordnung insgesamt für den ÖPNV anzuwenden. Damit ist auch das vorzugsweise anwendbare Vertragsprinzip für die Erbringung gemeinwirt- schaftlicher Verkehrsleistungen definiert. Ziel dieser Vorschrift ist die Sicherung einer ausreichenden Verkehrsbedienung, wobei auch Markteingriffe durch die öffentliche Hand ausdrücklich legitimiert werden. Als Instrument wird das neu eingeführte Institut des Vertrages empfohlen. Nach Art. 1 Abs. 5 EGV können aber Auflagen zur Erbrin- gung gemeinwirtschaftlicher Leistungen beibehalten oder neu ausgesprochen werden. Die bestehende Praxis der Finanzierung des SPNV ist heftig umstritten. Im Kern geht es darum, ob die maßgebliche Beihilfeverordnung VO (EWG) 1191/69 überhaupt auf ÖPNV-Leistungen in Deutschland angewendet werden kann. Im Rahmen der zahlreichen von der Europäischen Kommission eingebrachten Geset- zesnovellen ist ein Vorschlag zur Novellierung der VO (EWG) Nr. 1191/69 vom Juli 2000 zu beachten. Dieser sieht vor, überall dort, wo Kommunen oder Staaten aus- schließliche Rechte vergeben oder öffentlichen Nahverkehr finanzieren, einen Ver- kehrsvertrag abzuschließen. Der Abschluss eines solchen Vertrags sollte prinzipiell im Wege eines europaweit ausgeschriebenen Wettbewerbs erfolgen. Für die zukünftige Entwicklung der Eisenbahnunternehmen ist die Richtlinie (RiL) 91/440 (EWG) von 1991 von entscheidender Bedeutung, weil deren Ziel in der Anpas- sung an die Erfordernisse des Binnenmarktes besteht, indem die unternehmerische Unabhängigkeit der Eisenbahnen gewährleistet wird und zwar durch verbindliche Vorgaben für die Organisationsstruktur des Eisenbahnwesens. Im Zusammenhang mit der Realisierung dieser Vorgaben wird verstärkt eine rechne- rische und organisatorische Trennung von Fahrweg (Netz) und Eisenbahntransport- betrieb (Betrieb) diskutiert. Verbunden sind damit ein Verbot der Quersubventionierung und die Öffnung der nationalen Eisenbahnnetze für andere national tätige Eisenbahn- gemeinschaftsunternehmen, wobei der Netzzugang gegen die Zahlung von Trassenent- 360 Vgl. Werner (1998), S. 259 ff. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 160 gelten diskriminierungsfrei erfolgen soll. Das bedeutet im Grunde eine vom Staat zu gewährleistende unabhängige Geschäftsleitung der Eisenbahn durch Trennung vom Staat und eigene Rechnungsführung. Staatliche Auflagen müssen damit über besondere Aufträge an die Bahn abgewickelt werden. Zudem sind die Staaten der Union aufgefor- dert, durch Entschuldung die finanzielle Sanierung der Eisenbahnen zu fördern und zu garantieren. In dieser Richtlinie sind auch die Voraussetzungen für den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur festgelegt. Gemäß Art. 2 Abs. 2. RiL 91/440 (EWG) gelten diese Grundsätze nicht für Eisenbahnunternehmen, die ausschließlich im SPNV tätig sind. In Art. 8 der Richtlinie ist der Betreiber der Infrastruktur aufgefordert, das Entgelt für die Benutzung durch Eisenbahnverkehrsunternehmen diskriminierungsfrei zu erheben. An diesen Richtlinien orientierte Organisationsstrukturen haben in der 1993 durchgeführten Bahnstrukturreform in Deutschland ihren Niederschlag gefunden. Die EU-rechtliche Vorgabe des Jahres 1991 wurde im Juni 1995 durch zwei weitere Richtlinien ergänzt. Durch die Richtlinie 95/18/EG wird die Erteilung von Genehmi- gungen an Eisenbahnunternehmen geregelt. Die Richtlinie 95/19/EG legt hingegen die Grundsätze über die Zuweisung von Fahrwegskapazität der Eisenbahn und die Berech- nung von Wegeentgelten fest. Die vorstehende Richtlinie konkretisiert damit entschei- dend die Richtlinie 91/440/EWG. 361 Da die Umsetzung dieser Richtlinie im Hinblick auf die Netzöffnung zugunsten Dritter in mehreren EU-Ländern zu völlig unbrauchbaren Ergebnissen führte, wurde nochmals nachverhandelt und erst im Frühjahr 2001 eine Übereinstimmung über drei wichtige Eisenbahnrichtlinien erzielt. Die Richtlinie 2001/12 ersetzt dabei die bisherige Richt- linie 91/440, die Richtlinie 95/18 wird geändert durch die Richtlinie 2001/13, welche nunmehr die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen regelt. Die Richtlinie 2001/14 legt die Bedingungen für die Zuweisung von Fahrwegskapazitäten fest und bestimmt die Trassenpreise. Diese Richtlinie 2001/14 stellt nunmehr die ent- scheidende Vorschrift für die Garantie auf einen diskriminierungsfreien Netzzugang dar, weil hier geregelt ist, dass der Betreiber des Netzes rechtlich und organisatorisch in seinen Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig sein muss. 362 Durch diese Bestimmungen werden vertikal integrierte Eisenbahnunternehmen, wie beispielsweise die DB zumindest in Frage gestellt bzw. ‘überflüssig’. Im Einzelnen sieht Artikel 20 der vorstehenden Richtlinie die Einrichtung einer Regulierungsbehörde vor, welche die Verfahren der Zuweisung von Netzkapazitäten sowie die Höhe und Struktur der Netzentgelte regelt und die Einhaltung der Nichtdiskriminierung garantiert. Auch im deutschen Bundesverkehrsministerium fand die Forderung nach einer vertika- len Trennung im Bahnsektor letztlich Gehör, denn es verkündete am 10.3.2001, dass im 361 Vgl. Aberle (2003b), S. 176. 362 Vgl. Aberle (2003b), S. 177. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 161 Zuge der Fortführung der Bahnreform zu überprüfen sei, inwieweit eine Trennung von Netz und Betrieb umgesetzt werden kann. 363 Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind nunmehr verantwortlich dafür, dass die Fahrwegskapazitäten der Eisenbahnen „gerecht“ und in nicht diskriminierender Weise zugeteilt werden und dass das Zuweisungsverfahren eine effiziente und optimale Infrastrukturnutzung ermöglicht. Die Verwendung von Finanzmitteln soll offen gelegt werden. Hintergrund für diese Regelung ist die Überwachung der bisherigen staatlichen Subventionsmaßnahmen zugunsten des SPNV. Um die europarechtlichen Vorgaben zu erfüllen, wurde nach Angaben des BMVBW geplant, im Rahmen einer Revision des vorliegenden Eisenbahnrechts und als Resultat der Trennung von Netz und Betrieb die folgenden drei zentralen Maßnahmen zum 15. März 2003 umzusetzen: 364 - Danach sollen, erstens, Trassenpreisfestsetzung und Trassenvergabe in der ausschließlichen Kompetenz der DB Netz AG liegen und Weisungen und Vorgaben durch den Konzernvorstand unzulässig sein. Die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft sind dabei offener darzulegen. (Nach Ansicht des Verfassers liegt hier allerdings die Frage auf der Hand, ob eine Überprüfung auf eventuelle Verstöße überhaupt möglich ist.) - Beim Eisenbahnbundesamt soll, zweitens, eine Trassenagentur eingerichtet werden, die für die Feststellung der Diskriminierungsfreiheit von Trassenpreissystem und Trassenvergabe verantwortlich ist. - Das Eisenbahnbundesamt soll, drittens, die Einhaltung des Eisenbahnrechts garantieren, während das Bundeskartellamt die Einhaltung des Wettbewerbsrechts überwacht. Ihre weiteren Aufgaben sieht die EU u.a. in der Förderung von Benchmarking in Bezug auf die Leistungsfähigkeit von Diensten und in der Schaffung der Voraussetzungen für einen politischen und rechtlichen Rahmen, der eine bessere Nutzung lokaler und regio- naler Personenverkehrssysteme erlaubt. Für die Ausgestaltung dieser Rahmenbedingun- gen für den Personenverkehr wurden allerdings den einzelnen Mitgliedsstaaten eigene Wege zugestanden. Insofern kann die öffentliche Hand nach wie vor unverändert den ÖPNV eigenständig planen, verwalten und betreiben, wobei die EU allerdings die Lösung, diesen Verkehrs- sektor dem geregelten Wettbewerb zu öffnen, vorziehen würde. Im „Weißbuch Eisen- bahn“ („Zur Revitalisierung der Eisenbahn in der Gemeinschaft“) 365 wird das Bemühen der Kommission betont, durch eine gemeinsame Verkehrspolitik ein verbessertes Ange- bot im öffentlichen Personenverkehr zu erreichen. Hierbei ist grundsätzlich davon aus- zugehen, dass die Finanzierung der entsprechenden Verkehrsleistungen grundsätzlich 363 Vgl. BMVBW (2001a). 364 Vgl. BMVBW (2001a). 365 Vgl. Kommission (1996) 421 endg. V. 30.7.1996. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 162 aufgrund von Verträgen erfolgen soll und öffentlicher Verkehr unter Wettbewerbs- bedingungen sowohl durch private als auch durch öffentliche Unternehmen zu erbringen ist. 366 In diesem Zusammenhang wird die EU auch mit den unterschiedlichen Organisations- formen im ÖPNV in den einzelnen Mitgliedsländern konfrontiert, die sich insbesondere hinsichtlich Wettbewerb, Ausgleichszahlungen und weiteren Parametern voneinander unterscheiden. Vor diesem Hintergrund hat sich bereits abgezeichnet, dass auch in der Zukunft bei den eigenwirtschaftlichen Verkehren nur im begrenzten Maße Wettbewerb zugelassen wird. Trotzdem kann festgestellt werden, dass durch die EU wichtige An- stöße für die Deregulierung im ÖPNV ausgegangen sind, deren Ziel dahin geht, den Nahverkehr als normale wirtschaftliche Dienstleistung anzusehen. 3.2 Zum Zusammenhang von Regionalisierung des SPNV und Bahnreform 3.2.1 Regionalisierungsprozesse im SPNV Die Verkehrspolitik orientierte sich in Deutschland bis Mitte der 1980er Jahre an der Vorstellung eines gemeinwirtschaftlich geprägten Verkehrssystems. Den Mittelpunkt sollte dabei die Deutsche Bundesbahn im Rahmen einer staatlich überwachten Wett- bewerbsordnung übernehmen. Für diesen Zweck wurde für alle öffentlichen Verkehrs- träger ein umfangreiches Regulierungssystem errichtet. 367 Wie in vielen europäischen Ländern auch, war das Unternehmen Eisenbahn rechtlich und faktisch als überregional tätige Bundesbehörde organisiert. Bei der Verwendung der zur Verfügung gestellten Finanzmittel orientierte man sich dabei zunächst nicht an einer markt- und wettbewerbsgerechten Umgestaltung des Unternehmens, sondern konzent- rierte sich ausschließlich auf die Strukturfinanzierung. Die Hauptursache dafür liegt darin, dass die Politik in der Bahn vor allem ein Instrument zur Durchsetzung eigener Ziele sah, das es darüber hinaus vor potenziellen Wettbewerbern durch Lenkungsein- griffe zu schützen galt. 368 Diese Vorstellung stellte sich als eine der entscheidenden Benachteilungen der Bahn im Wettbewerb dar. Die Bahn wurde dadurch daran gehin- dert, sich den veränderten Marktgegebenheiten rechtzeitig anzupassen. Statt beispiels- weise die Strecken zu modernisieren, wurden von 1960 bis 1990 – also in einem Zeit- 366 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 30. 367 Vgl. Grandjot (2002), S. 58. 368 Vgl. Aberle (2003b), S. 44. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 163 raum, der hierzulande hinsichtlich des Bahnwesens überwiegend von Regulierung geprägt war – die Streckenlängen sukzessiv reduziert, wie aus der nachfolgenden Ta- belle ersichtlich wird. Tabelle 9: Entwicklung der Streckenlängen deutscher Eisenbahnen 1960 1970 1980 1990* 1991** 1998*** 2002*** Bundeseigene Eisenbahnen Insgesamt 30700 29500 28500 26900 41100 38100 36100 Elektrifiziert 3700 8600 11200 11700 16200 18200 19100 Nur für Personenverkehr 300 400 600 700 1100 1700 k.A. Nur für Güterverkehr 2400 3900 5300 6100 7500 5200 k.A. Personen- und Güterverkehr 28000 25200 22600 20100 32500 31100 k.A. Nichtbundeseigene Eisenbahnen Insgesamt 5300 3600 3100 3000 3000 3800 5100 Elektrifiziert 500 300 300 400 400 400 400 (* bis 1990 Deutsche Bundesbahn ** ab 1991 Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn *** ab 1995 Deutsche Bahn AG; gesamte Streckenlänge der Deutschen Bahn AG 2001: 36000 km, gesamte Streckenlänge nichtbundeseigener Bahnen im Jahre 2000: 5100 km, weiter unterglie- dernde Daten für 2002 sind als vorläufig zu betrachten) Quelle: Entnommen bei: Eckey/Stock (2000), S.32; ergänzt durch die aktuellen Daten des DIW (2003/04, Verkehr in Zahlen), S. 52 ff. In den Jahren 1960 bis 1990 hatte sich also die Streckenlänge (Bundeseigene Eisenbah- nen und NB-Eisenbahnen) von insgesamt 36.000 km (1960) auf 29.900 km (1990) ver- ringert, wovon insbesondere Strecken aus der so genannten Fläche betroffen waren. Dieser Prozess der Streckenstilllegungen ist durch sich gegenseitig verstärkende Ent- wicklungstendenzen gekennzeichnet. Dazu gehören: 369 • die zurückgehende Nachfrage wegen des gestiegenen Motorisierungsgrades der Bevölkerung, • die unterlassene Instandsetzung und nicht erfolgte Neuinvestitionen wegen fehlen- der Wirtschaftlichkeitsperspektiven, • ein weiterer Nachfragerückgang wegen veralteter Technik und • die Streckenstilllegung an Wochenenden und Ersatzverkehr mit Bussen. 369 Vgl. Gresser (1995), S. 23. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 164 Im letzen Fall wurden oftmals die Strecken endgültig stillgelegt und der Verkehr ganz von Bussen übernommen. Eine Einstellung des SPNV erfolgte in der Regel allerdings erst bei unvermeidbaren großen Instandsetzungen. Häufig war bei solchen Entscheidun- gen die Höhe der Kosten im Vergleich zur Angebotsqualität durch ein Verhalten der DB mitverursacht, das bezogen auf die einzelne Nahverkehrsstrecke betriebswirtschaftlich unsinnig, bezogen auf die Bundesbahn als Ganzes jedoch konsequent war. Der Bund sah sich nämlich nicht in der Lage, den Verlust aus dem SPNV vollständig zu überneh- men, so dass diese Situation für die Bahn als Anlass genommen wurde, den defizitären SPNV einzustellen, um damit die eigenen selbst zu tragenden Verluste zu vermindern. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der SPNV entsprechend seiner regionalen Bedeutung kaum noch Berücksichtigung bei der DB fand. Die Ursachen für diese Entwicklung sind allerdings nach Ansicht des Verfassers über- wiegend von der DB selbst herbeigeführt bzw. zu verantworten. Die DB entsprach in ihrer internen Struktur immer mehr einem „Beamtenapparat“ und nicht dem eines nach kaufmännischen Grundsätzen geführten und am Markt orientierten Unternehmens. Daraus resultierten auch Tendenzen einer fehlenden Betriebsverantwortung und das Fehlen von Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Mitarbeitern infolge des Beamten- status. Ein überhöhter Personalbedarf und damit verbundene Leistungen führten dazu, dass die Sozialkosten der DB knapp 35 v.H. der Personalkosten ausmachten. Im Stra- ßengüter- und im Binnenschiffsverkehr betrug der Anteil zum Vergleich dagegen nur 21 v.H. Auch die jährlichen Lohnsteigerungen entsprachen nicht der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Die in der nachfolgenden Tabelle 10 enthaltenen Daten über „Zuschüsse“ des Bundes an die Deutsche Bahn und die entsprechenden Fehlbetrags-Daten unterstreichen die mangelnde Wirtschaftlichkeit und defizitäre Entwicklung des Staatsunternehmens in der weitgehend regulierten Phase zwischen 1960 und 1990. Insgesamt war der Schienenpersonennahverkehr vor der Bahnreform wirtschaftlich von steigenden Verlusten und erheblichen Schulden auf Seiten der Deutschen Bundesbahn gekennzeichnet. Zwar lag beim SPNV die Aufgabenverantwortung auch bei den Län- dern und Gemeinden, die der Ausgabenverantwortung allerdings nicht. Gerade Länder und Gemeinden besaßen weder die finanziellen Mittel noch die formell juristische Zu- ständigkeit für den größten Teil des SPNV. Allein der Bund hatte die Aufgabe, die Bundeseisenbahnen als Verkehrssystem zu garantieren, und er verfügte auch über die Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben. 370 370 Vgl. Gresser (1995). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 165 Tabelle 10: Leistungen des Bundes an die DB nach Arten sowie Jahresfehl- beträge der DB 1960-1989 (Mio. DM) Quelle: Entnommen bei Laaser (1991), S. 23 Im Gegensatz zum ÖPNV, dessen jährliche Defizite von den Ländern und Gemeinden zu tragen waren, wurden die Verluste aus dem SPNV nur zum Teil vom Bund finan- ziert, so dass dadurch die Verschuldung der DB ständig wuchs. Die Verschuldung der Deutschen Bundesbahn stieg bis Ende 1993 auf einen Stand von knapp 66 Mrd. DM. Durch die Wiedervereinigung kam als weiteres Problem die Sanierung und Integration der Deutschen Reichsbahn hinzu. 371 Beim Personennahverkehr hatte die Deutsche Bundesbahn der Strukturverschiebung zum MIV letztlich nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Um diesen für die Bahn negativen Trend zu stoppen, schloss die DB in den 1980er Jahren mit den Bundes- ländern eine Vereinbarung, die im Rahmen der gegebenen finanziellen Möglichkeiten 371 Mithin konnte bis 2001 die Verschuldung der DB AG durch die Impulse der Deregulierung buchungstechnisch im – bedenklichen – Bereich von rund 80 Mrd. DM (40 Mrd. EUR) stabilisiert werden; vgl. Kopp (2003, Bundestagsauskunft, betriebswirtschaftliche Analysen zur Bahn), DB (2003, aktuelle Bilanzzahlen). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 166 eine qualitative und quantitative Verbesserung des Verkehrsangebotes zum Ziel hatte. Damit verbunden war erstmalig u.a. auch die Übernahme von finanziellen Verpflich- tungen für Streckenübernahmen, die allerdings entsprechender Starthilfen durch den Bund bedurften. Daraus konnten dann zwar wichtige Erkenntnisse für eine effizientere Organisation des ÖPNV gewonnen werden, entscheidende Schlussfolgerungen wurden daraus allerdings nicht gezogen. Im Zeitraum zwischen 1975 und 1990, also unter überwiegend regulierten Bedingun- gen, nahm der Personenverkehr der DB in der früheren Bundesrepublik um rd. 13 % zu, aber ihr Marktanteil verringerte sich infolge der starken Zunahme des MIV im gleichen Zeitraum von 7,5 % auf 6,0 %. Der Umsatz der DB AG im Schienenpersonennah- verkehr betrug 1994 10,8 Mrd. DM, was einem Anteil am Gesamtumsatz von 45 % ent- spricht. 372 Dieser jährliche Umsatz wurde in etwa 33.000 Zügen pro Tag erwirtschaftet, was ca. 80 % aller von der Bahn gefahrenen Zügen entspricht. Das Angebot der DB AG nahmen dabei 1,3 Mrd. Personen in Anspruch. 373 Von dem Rückgang des Marktanteils der Bahn war vor allem der Nahverkehr betroffen. Durch die Beförderungszuwächse bei den S-Bahnen in den Verkehrsballungsräumen konnten die deutlichen Abnahmen an Verkehrsleistungen im übrigen Schienenpersonennahverkehr insbesondere in der Fläche allerdings verdeckt werden. 374 Der Zustand des regionalen Schienenverkehrs vermittelte in manchen Fällen, insbeson- dere in weniger besiedelten Bereichen, sogar den Eindruck, als habe er sich aufgegeben. Eine verschlissene Infrastruktur und veraltete Züge bei wenigen Fahrgästen kennzeich- neten die damalige Situation. Trotz ständig steigender Bundeszuschüsse wuchs von 1970 bis 1990 der Jahresverlust der DB von 1,25 Mrd. DM auf 5,0 Mrd. DM und lies die Verschuldung von 13,5 Mrd. auf 44 Mrd. DM anwachsen. Der Bund musste darauf- hin seine Leistungen notgedrungen von 3,9 Mrd. DM auf 13,6 Mrd. DM erhöhen. Bei Weiterbestehen der damaligen Organisationsstrukturen wurde seinerzeit bereits für 1996 eine Verschuldung von rund 80 Mrd. DM prognostiziert. 375 Auf dem Streckennetz der Eisenbahnen (Bundesbahn und nichtbundeseigene Bahnen) in der alten Bundesrepublik wurden im Jahr 1950 (ohne Saarland und West-Berlin) 17,8 % des Aufkommens (Anzahl der Fahrten) und 37,7 % der Leistungen (Anzahl der 372 Zwischen 1995 und 2001 nahm – gemessen an der Anzahl beförderter Personen – der Stellenwert des DB-Nahverkehrs noch einmal deutlich zu; vgl. DIW (2002, Verkehr in Zahlen), S. 63. Wie in der Folge erläutert, ist dies aber ganz wesentlich auf den Nahverkehr in urbanen Ballungsräumen zurückzuführen. 373 Vgl. Fischer (1996), S. 32 ff. 374 Vgl. Bericht der Bundesregierung (1999), S. 19. 375 Dass diese Prognose – wie bereits erläutert – nicht eintraf, ist nicht zuletzt auf die besagten Deregulierungsimpulse zurückzuführen. Zwar stagnierten die Umsätze der DB AG bis in das Jahr 2001, und es wurde ein unbefriedigender Cash-Flow von 3,6 Mrd. DM (1,8 Mrd. EUR) erreicht, jedoch unterschritt der ausgewiesene Verlust in diesem Jahr die DM-Mrd. Grenze (rd. 800 Mio. DM, 410 Mio. EUR); vgl. Kopp (2003), DB (2003). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 167 Fahrten multipliziert mit der mittleren Reiseweite) des gesamten motorisierten Perso- nenverkehrs erbracht. Der Öffentliche Straßenpersonenverkehr (ÖSPV = ÖPNV ohne SPNV) entsprach einem Anteil von 46,2 % bzw. 28,9 %. Insgesamt entfielen damals auf den öffentlichen Verkehr rd. 64 % des Aufkommens und 66,6 % der Leistungen. 376 Der motorisierte Individualverkehr war seinerzeit lediglich mit einem Drittel am gesamten motorisierten Personenverkehrs beteiligt. Eine Umkehr dieser strukturellen Umwälzungen war für das seinerzeitige Staatsunter- nehmen Deutsche Bundesbahn bei dem vorliegenden Ordnungsrahmen nicht möglich. So wurden sinkende Marktanteile der Bahn und die ständig wachsenden Bundes- zuschüsse neben den Vorgaben der EU zum wichtigsten Auslöser für die Bahn- reform. 377 Mit der Regionalisierung sollte die sachliche und finanzielle Verantwortung für Umfang und Qualität des ÖPNV- Angebots insgesamt auf der Ebene von regionalen Gebiets- körperschaften wahrgenommen werden, wo auch die Nachfrage geltend gemacht wird. 378 Damit wurden die zentrale Steuerung des Qualitätsumfangs beim Nahverkehr aus der zentralen Steuerung der Deutschen Bundesbahn herausgelöst und eine exaktere Definition von Kostenverantwortlichkeiten sowie eine verbesserte und zweckmäßigere Versorgung mit ÖPNV-Leistungen angestrebt. 379 Die Verflechtung einer Regionalisierung mit der Bahnstrukturreform wurde bereits von der Regierungskommission Bahn angeregt. Sie hatte es als zwingende Voraussetzung bezeichnet, die nach der Bahnreform auf dem Markt auftretende DB AG von gemein- wirtschaftlichen Leistungen als Aufgabe der Eisenbahn zu entbinden. Die bisherige Verquickung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen und betriebswirtschaftlich interes- santen Leistungen hatte in der Vergangenheit den Leitungsorganen der Bahn immer wieder die Möglichkeit gegeben, aufgrund unklarer Zuständigkeitsregelungen die Ver- antwortung den angeblich unzureichenden Ausgleichszahlungen für diese gemeinwirt- schaftlichen Leistungen zuzuweisen. 380 Die Entwicklungen im Hinblick auf eine Regionalisierung des Personennahverkehrs sind daher auch im Zusammenhang mit den Deregulierungs- und Privatisierungsbestre- bungen der Bahnreform zu sehen. Sie schufen für die Entwicklung des Schienenperso- nennahverkehrs veränderte Voraussetzungen und gaben der Deutschen Bahn AG für diese Sparte neue Rahmenbedingungen vor. 381 Den Ausgangspunkt für diesen Prozess bildete dabei die Auffassung, dass der SPNV nicht ohne öffentliche Gelder zu finanzie- ren ist und als gemeinwirtschaftliche Leistung zu gelten hat, die über Vertrag zu bestel- 376 Vgl. Pällmann- Bericht: (2000), S. 9. 377 Vgl. Fischer (1996), S. 32 ff. 378 Vgl. Knieps (1996), S. 11. 379 Vgl. Aberle (1996), S. 39 ff. 380 Vgl. Aberle (1996), S. 39 ff. 381 Vgl. Fischer (1996), S. 32 ff. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 168 len ist oder auch vom Aufgabenträger auferlegt werden kann und dass über einen effek- tiven Mitteleinsatz vor Ort zu entscheiden sei. 382 Nach der Übertragung der Kostenverantwortlichkeiten für gemeinwirtschaftliche Leis- tungen auf die Länder werden diese Leistungen nunmehr durch die Deutsche Bahn AG entsprechend von Bestellungen ausgeführt. Für die Zustimmung der Länder zur Über- nahme der Eigenverantwortlichkeit war allerdings eine Entschädigung für diesen Über- gang die Voraussetzung. Für die Länder bedeutet die Übernahme der Finanzverantwortung, dass ab dem 1.1.1996 aus dem Bundeshaushalt Transfermittel für die Regionalisierung in Höhe von insgesamt 8,7 Mrd. DM ausgezahlt wurden, die ab 1997 jährlich auf 12 Mrd. DM gestiegen sind. Mit dieser Mittelausstattung sollten die Länder in die Lage versetzt werden, die zur Daseinsvorsorge zählenden Nahverkehrsleistungen im Rahmen des Be- stellerprinzips einzukaufen. Nicht daran gedacht war, die damit verbundene Möglichkeit zu nutzen, eigene Mittel einzusparen oder anderweitig zu verwenden. Deshalb beinhaltete die Regionalisierung auch die Bestimmung, dass von den Ländern unverändert zusätzliche Eigenmittel be- reitzustellen sind. Dies wird aufgrund der zahlreichen Mittelverwendungsmöglichkeiten vor Ort zu Entscheidungen führen, die sich in starkem Maße an dem zu erwartenden Nutzen für die regionale Bevölkerung ausrichten werden. 383 Ursprünglich forderten die Länder sogar Zuschüsse in Höhe von 20 Mrd. DM. Diese Forderungen wurden auch damit begründet, dass infolge des maroden Zustands insbe- sondere der Nebenstrecken umfangreiche Ersatz- bzw. Neuinvestitionen notwendig seien. 1996 wurden den Ländern insgesamt 14,98 Mrd. DM ausbezahlt. Die Summe ergab sich aus 8,7 Mrd. DM Transfermitteln für die Regionalisierung und 6,28 Mrd. DM Mitteln aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Diese Zuweisun- gen sollten jährlich um die Wachstumsrate der Umsatzsteuer dynamisiert werden. 384 Dabei können die Länder die vom Bund zur Verfügung gestellten Finanzmittel für die Bereitstellung von Verkehrsleistungen bei Dritten zum Ausgleich von Betriebskosten- defiziten und für Investitionen im Verkehrsbereich ohne größere Auflagen frei verwen- den. Nach altem Rechtsstand hatten die Länder durch die Betriebspflicht der Bahn nach §§ 4, 12 I und 14 Abs. 3 Bundesbahngesetz (BbG) ein weitgehendes Anrecht auf die Auf- rechterhaltung des in weiten Teilen defizitären SPNV. Die Länder besaßen nach § 12 Abs. 1 BbG die Möglichkeit, bei Streckenstilllegungsverfahren der Deutschen Bahn einer Stilllegung zu widersprechen oder diese zumindest hinauszuzögern. 382 Vgl. Fischer (1996), S. 32 f. 383 Vgl. Aberle (1996), S. 40. 384 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 359. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 169 Nach neuem Recht haben die Länder hinsichtlich unrentabler Strecken folgende Alter- nativen: • Sie können die Bahnstrecke stilllegen oder • in eigener Regie, z. B. durch ländereigene Verkehrsunternehmen, weiter betreiben. • Sie können aber auch die Deutsche Bahn mit der Weiterführung der Strecke beauf- tragen, die den Betrieb allerdings nur übernehmen wird, wenn ihr zumindest in Höhe der zu erwartenden Verluste ein Ausgleich bezahlt wird. • Schließlich besteht auch die Möglichkeit, ein Konkurrenzunternehmen der DB mit der Weiterführung der Strecke zu beauftragen. 385 Mit dem zum 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Eisenbahnneuordnungsgesetz wurde die zentrale bundesrechtliche Grundlage für den ÖPNV und damit auch für den Schie- nenpersonennahverkehr geschaffen. Im Regionalisierungsgesetz (RegG) ist festge- schrieben, dass die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit ÖPNV- Leistungen eine Aufgabe der Daseinsvorsorge darstellt. 386 Es obliegt den Ländern festzulegen, wer diese Aufgabe wahrnimmt und welche Behörde gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen im Sinne der EG-Verordnung Nr. 1191/69 (EWG) auferlegt oder vertraglich vereinbart. Im Übrigen gelten die Bestimmungen für den gesamten ÖPNV und sind für den Schienenpersonennahverkehr nur insofern anzu- wenden, als keine speziellen gesetzlichen Regelungen im AEG vorliegen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine effiziente und flexible Ausübung der Be- stellerfunktion vor Ort nur dann funktionieren kann, wenn auf dieser Ebene auch über den Einsatz von Verkehrsträgern und von Verkehrsalternativen in der Region entschie- den wird. Da auf dieser untersten Ebene die Kenntnisse der örtlichen Verkehrsnach- fragen und sonstige Besonderheiten am größten sind, sollten daher die Kreise und Kommunen den ÖPNV organisieren. Die Vergangenheit hat jedenfalls gezeigt, dass es nicht effizient ist, landesweit gültige und einheitliche Bedienungsstandards für den ÖPNV politisch vorzugeben. Vielmehr ist der Grad der flächenmäßigen Erschließung, die Bedienungshäufigkeit für jeden einzelnen Nahverkehrsraum, entsprechend örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Der Vorteil der institutionellen Symmetrie liegt gerade darin, dass keine Aufgaben von Entscheidungsträgern bestimmt werden, die nicht deren Kosten zu tragen haben. Höhere öffentliche Leistungen erfordern höhere Kosten. Sie zwingen damit den einzelnen Kon- sumenten, sein Verhalten zu überprüfen und gegebenenfalls Alternativen wahrzuneh- men. Die Aufteilung der Bestellerfunktion auf unterschiedliche Entscheidungsträger kann aber nur dann zu einem kostenminimierenden Verkehrsangebot führen, wenn die 385 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 359. 386 Vgl. Taschenbuch der ÖPNV-Gesetze der Länder (1996), Einführung, S. 12. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 170 lokalen Aufgabenträger wiederum, etwa über Zweckverbände, den Nahverkehr der gesamten Region miteinander abstimmen und verbinden. 3.2.2 Ökonomische und rechtliche Aspekte der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn Auslöser für die Bahnreform in Deutschland war letztendlich die Tatsache, dass sich die Eisenbahn von einem profitablen Verkehrsträger zu einem Zuschussgeschäft entwickelt hatte; ursächlich waren also ökonomische Zwänge. Die gültige Verkehrsmarktordnung erwies sich dabei für das Staatsunternehmen Bahn immer mehr als ein untaugliches Mittel, um die DB wirtschaftlich abzusichern. 387 Trotz aller Bemühungen verschlech- terte sich deren Lage derart, dass diese zu einem nicht kalkulierbaren Haushaltsrisiko zu werden drohte. 388 Die von staatlicher Seite zugunsten der Bahn entwickelte und prakti- zierte Schutzpolitik mit ihren Wettbewerbsverzerrungen und -beschränkungen und dem fehlenden Anpassungszwang des Marktes, wirkte sich nämlich nicht nur nachteilig auf deren gesamte Entwicklung aus, sondern erforderte zusätzliche Subventionen und Schutzmaßnahmen. Gleichzeitig beeinflussten aber der erreichte Stand der europäischen Integration und die sich daraus entwickelnde Regelungs- und Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft die nationale Gesetzgebung. In die Strategieüberlegungen zur Sanierung der Bahn bzw. einer grundlegenden Reform des Verkehrsbereiches Eisenbahn musste (und muss) daher auch diese übergeordnete, sozusagen von außen gesetzte Ebene des EG-Rechtes einbezogen werden. 1989 setzte die Bundesregierung vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschuldung der Staatsbahn eine unabhängige Kommission zur Prüfung der Zukunftsperspektiven der Deutschen Bundesbahn (DB) ein. Deren wichtigstes Ziel bestand darin, auf die zunehmenden finanziellen Risiken aus dem Verkehrssystem Schiene zu reagieren und Vorschläge für eine tragfähige Grundlage einer positiven Entwicklung der DB zu schaf- fen. 389 Nach der Wiedervereinigung wurde auch die Deutsche Reichsbahn (DR) der ehemali- gen DDR mit in diese Überlegungen einbezogen. Auf der Basis des Abschlussberichtes der Regierungskommission Bahn, der im Dezember 1991 vorgelegt wurde, beschloss 387 Vgl. Reinhardt (1996). 388 Vgl. Grandjot ( 2002), S. 59. 389 Vgl. Bericht der Bundesregierung über den ÖPNV in Deutschland nach Vollendung der deutschen Einheit (1999), S. 20. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 171 das Bundeskabinett im Juli 1992, den Vorschlägen der Kommission zu folgen, und legte dem Bundestag die Strukturreform der Bundeseisenbahnen zur Abstimmung vor. Mit der Bahnreform wurden erklärtermaßen vor allem drei Hauptziele verfolgt. An erster Stelle ging es um die nachhaltige Reduzierung der finanziellen Belastungen des Bundes und im Schienenpersonennahverkehr um die Übertragung der Aufgaben- und Finanzverantwortung auf die einzelnen Bundesländer. Die anderen beiden Zielstellun- gen betrafen die Umsetzung von EG-Vorgaben. Dabei ging es einmal um die Um- setzung der EG-Richtlinie 91/440 (EWG) zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft und zum anderen um die Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 390, die als Ausgangspunkt für die europäische Gesetzgebung im ÖPNV ange- sehen wird. Die Verordnungen legten mithin die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens fest. Für die Bahnreform in Deutschland lag – wie bereits weiter oben kurz umrissen – ein Motiv also durchaus auch darin, die Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft in natio- nales Recht umzusetzen. Natürlich ist dieses übernationale Recht aus den nationalen Rechtssystemen erwachsen, doch wirkt es nun sozusagen „unabhängig“ von der natio- nalen Gesetzgebung von außen als übernationale ordnungspolitische Rahmenbedingung zurück. Da die Bundesländer den Wunsch äußerten, dass Aufgaben- und Finanzverantwortung auch für den SPNV neu geregelt werden sollten, stimmte der Bundesrat der Bahnreform im Dezember 1993 zu (zu den rechtlichen Implikationen siehe nachfolgende Abbildung 11). So konnte zum 1. Januar 1996 die Regionalisierung des öffentlichen Personennah- verkehrs durchgeführt werden. Damit übernahmen die einzelnen Bundesländer auch die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Die wichtigsten Rechtsgrundlagen für den SPNV nach der Bahnreform lassen sich demnach in den folgenden vier Komplexen zusammenfassen: Erstens die Rechtsgrundlagen der Europäischen Union betreffend: • Richtlinie des Rates 91/440/EWG, • Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung Nr. 1893/91. Zweitens hinsichtlich der Grundgesetzänderungen: • Eisenbahnen des Bundes sind Wirtschaftsunternehmen. • Bund bleibt Mehrheitseigentümer an der Fahrweg–AG. • Bund hat Infrastrukturverantwortung. • Es findet eine Regionalisierung des SPNV statt. • Länder erhalten vom Bund zweckgebundene ÖPNV-Mittel. 390 In der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 172 Drittens im Hinblick auf das Eisenbahnneuordnungsgesetz des Bundes (ENeuOG): • PBefG-Novelle, • AEG-Novelle, • Regionalisierungsgesetze. Viertens betrifft die Reform die ÖPNV-Gesetze der Länder. Abbildung 11: Rechtliche Grundlagen für die Durchführung des ÖPNV nach der Bahnreform Quelle: Abbildung gemäß Bericht der Bundesregierung über den ÖPNV in Deutschland nach Voll- endung der deutschen Einheit (1999), S. 23 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 173 3.2.2.1 Änderung der Gesetzgebungskompetenz in Deutschland Im Zuge der Umsetzung der EG-rechtlichen Vorgaben musste in Deutschland zunächst die Gesetzgebungskompetenz für das Reformvorhaben geändert werden. Dieser zentrale „methodische“ Schritt erfolgte mit dem „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20.12.1993“. Grundsätzlich haben in Deutschland nach Art. 30 in Verbindung mit Art. 70 Grund- gesetz (GG) auch die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die alleinige Gesetzgebungskompetenz einräumt. lm Rahmen der Bahn- reform wurde diese Befugnis des Bundes weiter präzisiert. Durch das Gesetz zur Ände- rung des Grundgesetzes vom 20. Dezember 1993 ist in Art. 73 Nr. 6a GG nunmehr geregelt, dass der Bund allein die Gesetzgebungsbefugnis über den Verkehr von Eisen- bahnen des Bundes, den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes besitzt. 391 Im neu gefassten Art. 87e Abs. 1 S. 1 GG wird die Eisenbahnverwaltung für Eisen- bahnen des Bundes der bundeseigenen Verwaltung unterstellt. Allerdings können nach Art. 87e Abs. 1 S. 2 GG Aufgaben der Eisenbahnverwaltung den Ländern in eigener Verantwortung übertragen werden. Mit dieser Gesetzesänderung wurde formell eine der wichtigsten Aufgaben der Bahnreform, nämlich die Regionalisierung des Schienen- personennahverkehrs, in die Tat umgesetzt. Die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis des Bundes ist auch im Art. 87e Abs. 5 S. 2 GG geregelt. Danach bedarf es der Zustimmung des Bundesrates, wenn Gesetze, welche die Gestaltung der Organisation von Eisenbahnunternehmen des Bundes einschließlich deren Privatisierung betreffen, die Übertragung von Schienenwegen von Eisenbahnen des Bundes an Dritte 392 sowie deren Stilllegung regeln sollen oder wenn sie Auswirkungen auf den Schienenpersonennahverkehr haben. 3.2.2.2 Inhaltliche Änderungen von gesetzlichen Bestimmungen Der Grundgesetz-Artikel 87e Abs. 3 S. 1 GG legt fest, dass Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form geführt werden. Diese stehen nach Satz 2 im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit dieses Unternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst. Insofern besteht allein im Bereich Infrastruktur eine verfassungsrechtliche Privatisierungssperre. 391 Vgl. Werner (1998), S. 82. ff. 392 jedoch partielle Privatisierungssperre nach Art. 87e Abs.3 S. 3 GG (siehe auch folgenden Unterabschnitt 3.2.2.2). 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 174 Konsequenterweise übernimmt dann der Bund auch in Art. 87e GG eine gewisse Infra- struktur- und Gemeinwohlverpflichtung, insbesondere bezogen auf das Schienennetz seiner Eisenbahnen, was allerdings nicht für den Schienenpersonennahverkehr gilt. Im Hinblick darauf, dass die Gewährleistungspflicht nunmehr auf die Länder übergegangen ist, steht diesen nach Art. 106a GG ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu, um diese Aufgaben zu finanzieren. Das Eisenbahnneuordnungsgesetz (ENeuOG) Im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren für die bislang umfassendste Reform des Eisenbahnwesens in Deutschland zwischen Juli 1992 und Dezember 1994 einigten sich Bund und Länder nach heftigen und durchaus kontroversen Diskussionen auf die vorge- sehene Neuregelung. Mit dem „Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens“, das zum 1. Januar 1996 in Kraft trat, wurde die zentrale bundesrechtliche Regelung über das so genannte Artikelgesetz mit sechs neuen Gesetzen und ca. 135 Änderungen von Geset- zen und Verordnungen vorgenommen. Zu den wichtigsten Vorschriften, die für den Schienenpersonennahverkehr relevant sind, gehören: • der Artikel 4 des „Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personen- verkehrs“, • der Artikel 5 des „Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG)“ • und der Art. 6 Abs. 107 des „Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG)“. Über das ENeuOG wurde zunächst die Zusammenführung und Neugliederung aus Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn vollzogen. Aus dem daraus entstan- denen Bundeseisenbahnvermögen gründete sich das Eisenbahnbundesamt, dem als Hauptaufgabe verblieb, Dienstherr für Beamte zu sein, die an die Deutsche Bahn AG „verliehen“ werden. Gleichzeitig werden die Schulden der ehemaligen Deutschen Bah- nen verwaltet.393 Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) Dieses Gesetz gilt nach § 1 AEG nur für Eisenbahnen. Das Allgemeine Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 ist durch Art. 5 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes völlig neu paraphiert und mit neuen Bestimmungen – auch bedingt durch die Umsetzung von EG- Vorgaben in nationales Recht – ergänzt worden. Hier wird geregelt, dass Eisenbahn- 393 Vgl. auch Reinhardt (1996) zu einer zusammenfassenden Darstellung der Aufgaben dieses Bundesamtes. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 175 unternehmen, die gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden, einer Genehmigung bedürfen, die jeder Unionsbürger und jede Gesellschaft, die ihren Sitz innerhalb der Europäischen Gemeinschaft haben, beantragen kann. Für die Erteilung einer Genehmigung im SPNV ist eine von der jeweiligen Landesregie- rung bestimmte Behörde zuständig, wobei als Nahverkehr gilt, was von der Zweck- bestimmung der Züge her so zu betrachten ist. Mit der Umsetzung der Richtlinie 91/440 (EWG) wurde auch die Unabhängigkeit der Geschäftsleitungen von öffentlichen Eisenbahnen von staatlichen und kommunalen Ge- bietskörperschaften gesetzlich vorgeschrieben. Außerdem ist sowohl eine getrennte Rechnungslegung für Unternehmen, die Infrastruktur und auch Verkehrsleistungen erbringen wollen, eingeführt worden, als auch eine Umverteilung von Subventionen von einem Bereich auf den anderen für unzulässig erklärt worden. Die deutsche Gesetzgebung sieht bei der Übertragung der Vorschriften der Richtlinie 91/440 (EWG) strenge Maßstäbe vor und unterwirft auch kommunale Eisenbahn- verkehrsunternehmen dem Anwendungsbereich des AEG. Speziell für den SPNV sind die §§ 11, 14 und 15 AEG zu beachten. In § 11 (AEG) ist die Stilllegung von Eisenbahnstruktureinrichtungen neu geregelt worden. Wenn der SPNV auf schwach belasteten Regionalstrecken stillgelegt werden soll, dann ist nun- mehr ein bestimmtes Verfahren gesetzlich vorgeschrieben: • Zunächst bedarf es eines Antrages des Eisenbahnstrukturunternehmens an die zuständige Aufsichtsbehörde, eine Strecke stilllegen zu dürfen. In dem Zusammen- hang muss die Unzumutbarkeit des weiteren Betriebs einer solchen Strecke belegt werden, und zusätzlich müssen Verhandlungen mit geeigneten Dritten zur Über- nahme der Infrastruktureinrichtungen vergeblich gewesen sein. • Die Entscheidungen der Aufsichtsbehörde erfolgen innerhalb von drei Monaten, wobei der Betrieb zwischenzeitlich nicht eingestellt werden darf. Der Antrag gilt als genehmigt, wenn innerhalb dieser Frist nicht entschieden wird. • Wird die beantragte Streckenstilllegung nicht genehmigt, so muss ein Kosten- ausgleich zugunsten des Antragstellers erfolgen. Die Nichterteilung der Still- legungsgenehmigung ist allerdings nur für einen Zeitraum von einem Jahr möglich; danach gilt die Genehmigung als erteilt. Bei der endgültigen Einstellung des Betriebs kann es auf Verlangen einer Gebiets- körperschaft auch zu einer Übertragung von Liegenschaften auf Dritte kommen (ENeuOG, Art. 1 § 26). Danach kann im konkreten Einzelfall ein tragfähiges Betriebs- und Unternehmenskonzept Dritter den Erhalt von Eisenbahnstrecken für den SPNV bewirken. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 176 Nach § 14 (AEG) haben alle in- und ausländischen Anbieter von Eisenbahnverkehrs- leistungen das Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur von Eisenbahninfrastrukturunternehmen, soweit der Verkehr für jedermann zugänglich ist. Dieser Grundsatz gilt auch für den SPNV. Weitere Einzelheiten zum Begriff ‘öffentlicher Verkehr’ ergeben sich aus § 3 (AEG). In dem Zusammenhang regelt eine Verordnung des Bundesverkehrsministeriums u.a. die Trassenvergabe. Wenn dabei Meinungsverschiedenheiten auftreten, dann werden diese auf Antrag eines der beteiligten Unternehmen an das Eisenbahn-Bundesamt von dieser Behörde entschieden [vgl. § 14 Abs. 5 S. 1 (AEG)]. Bei der Entscheidungsfindung, die ein Verwaltungsakt ist, müssen die Vorgaben des § 14 AEG sowie die zukünftige EIBV (Eisenbahninfrastrukturbenutzungs-Verordnung) berücksichtigt werden. Die auszugestaltenden Rechte in § 14 Abs. 1 AEG und in der EIBV sollen den Eisen- bahngesellschaften einen Handlungsrahmen für ihre gewerbliche Betätigung verschaf- fen. Wenn allgemeine Geschäftsbedingungen des Infrastrukturbetreibers vorliegen, dann müssen diese auch angewendet werden. Unangemessen benachteiligende Geschäfts- bedingungen sind dabei nach § 9 Abs. 1 AGB nichtig. Dies gilt insbesondere hinsicht- lich eventueller Einschränkungen beim Pflichtenumfang des Infrastrukturbetreibers. Entscheidenden Verpflichtungen, die zur Einhaltung des Vertragszweckes notwendig sind, kann er sich daher nicht entziehen. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom 26.8.1998 sind auch jene Auffassungen überholt, die davon ausgehen, dass eine Verein- barung im Sinne des § 14 Abs. 4 AEG das freie Aushandeln zwischen dem Eisenbahn- verkehrsunternehmen und dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu unterschied- lichen Bedingungen beinhalte. 394 Grundsätzlich ist es jedem Eisenbahnverkehrsunternehmen freigestellt, sein Angebot an Verkehrsleistungen zu bestimmen. 395 Da aber das Verkehrsleistungsangebot des SPNV derzeit allein aus Beförderungserlösen nicht bestehen kann, kann das seitens der öffent- lichen Hand zu gewährleistende Angebot auf ausreichende Bedienung i.S. der EG-Ver- ordnung Nr. 1191/69 n.F. den Unternehmen auferlegt oder mit diesen vereinbart werden. Die zuständigen Behörden, die beabsichtigen, die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen zu vereinbaren, können diese Leistungen ausschreiben und dann nach Maß- gabe von Art. 14 der VO Nr. 1191/69 (EWG) Verträge über „Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ abschließen, wobei der Vertragspartner 394 Vgl. Wirtschaft und Verwaltung (2001), Ausgabe 2/01, S. 141. 395 Vgl. Wirtschaft und Verwaltung (2001), Ausgabe 2/01, S. 101. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 177 durch ein diskriminierungsfreies Verfahren ermittelt werden muss. 396 Dadurch wird es möglich, für das Angebot solche verpflichtenden Vorgaben vorzuschreiben, die ein Unternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Um- fang oder unter anderen Bedingungen anbieten würde. 397 Damit sind aber auch unter subventions- und wettbewerbsbezogenen Gesichtspunkten die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass ein Unternehmen entgegen den sons- tigen Vorgaben im EG-Vertrag Beihilfen seitens der öffentlichen Hand erhalten kann. Damit erlaubt das EG-Recht ausgleichspflichtige Auferlegungen i.S.v. Art. 1 Abs. 5 VO Nr. 1191/69 (EWG). Einflussnahmen in die Ausübung des Eisenbahngewerbes selbst sind darin nicht enthalten. Eine allgemeine Befugnis, Eisenbahnverkehrsunternehmen im Bereich SPNV Ver- pflichtungen aufzuerlegen, begründet § 4 S. 1 RegG i.V.m. § 15 AEG. Die einzige materielle Voraussetzung dafür besteht darin, dass das Unternehmen, dem eine solche Pflicht auferlegt wird, eine Genehmigung für den SPNV nachweisen kann. Was diese Verpflichtung beinhaltet, wird allerdings im Gesetz nicht näher erläutert, sondern es wird nur pauschal auf die EG-Verordnung Nr. 1191/69 hingewiesen. Diese nennt als Verpflichtung des öffentlichen Dienstes die Betriebspflicht, die Beförderungspflicht und die Tarifpflicht. 398 Aus der Beförderungspflicht lässt sich bei Anwendung der gültigen Beförderungsbedin- gungen und Beförderungstarife ein Kontrahierungszwang zugunsten der Fahrgäste ab- leiten, von dem das Unternehmen auch nicht entbunden werden kann. Weiter besteht kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Wenn sich die gesetzliche Beförderungspflicht aber als untragbar erweisen sollte, dann ist die Möglichkeit vorgesehen, den Tarif oder den Fahrplan zu ändern, aber auch die Option, den Betrieb gänzlich einzustellen. Nach Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1191/69 ist der Primäranspruch der Unternehmen auf Loslösung von belastenden Verpflichtungen gerichtet. Erst dadurch, dass das zu- ständige Amt für die Beibehaltung der Pflicht entscheidet, erwächst dem Unternehmen ein Ausgleichsanspruch i.S. v. Art. 6. Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1191/69. An der Ermitt- lung des Ausgleichsbetrages hat das Unternehmen mitzuwirken und Daten über seine Kosten vorzulegen. 396 Die unlängst ergangene Rechtssprechung (sog. Magdeburger und Brandenburger Urteile) differen- zierte die Ausschreibungspflicht für Leistungen des SPNV in Abhängigkeit von einer Eigen- ver- sus Gemeinwirtschaftlichkeit der entsprechenden Verkehrsleistungen. Diese rechtlichen Aspekte werden hinsichtlich ihrer wettbewerbsbezogenen Auswirkungen im vierten Abschnitt noch weiter vertieft. 397 Vgl. Art. 2 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1191/69. 398 Vgl. Art. 2 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1191/69. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 178 Die Bestimmungen in den Landesnahverkehrsgesetzen Die inhaltliche Ausgestaltung des gesamten ÖPNV vor Ort ist nach der gesetzlichen Neuordnung nunmehr die Sache der einzelnen Bundesländer. Mit Ausnahmen des Stadtstaates Hamburg haben alle übrigen Bundesländer entsprechende ländereigene Nahverkehrsgesetze beschlossen, schon allein deshalb, weil in den betroffenen Gebieten mit teilweise extrem unterschiedlichen Raumstrukturen natürlich Handlungsbedarf be- stand. Die Nahverkehrsgesetze der Länder enthalten umfassende Vorgaben zur Integration des ÖPNV im Allgemeinen und zur Zusammenarbeit der Aufgabenträger, die auf öffent- lich-rechtlicher Ebene stattfinden soll. Hierbei kommen die jeweiligen Regelungen der Landesgesetze über kommunale Zusammenarbeit und aus den Nahverkehrsgesetzen der Länder zur Anwendung. Die Zusammenarbeit der Aufgabenträger mit einer Verbund- gesellschaft regelt ein Gesellschaftsvertrag, wonach die Verbundgesellschaft unter den Voraussetzungen von § 100 Abs. 2 lit. g GWB ohne vorgeschaltetes wettbewerbsrecht- liches Verfahren von ihren Gesellschaftern mit Aufgaben betraut werden kann. Im Bereich der Verkehre nach AEG kommt jeweils nur ein von der öffentlichen Hand auszuwählender Unternehmer in den Genuss einer vertraglich geregelten öffentlichen Kofinanzierung. Auf der Schiene kommt es somit zu einem dem intermodalen „Wett- bewerb am Markt" vorgeschalteten Auswahlverfahren. Zur Realisierung der Berufs- und Gewerbefreiheit sowie des Gleichbehandlungsangebotes bedarf der vorgeschaltete Wettbewerb um den Markt eines von sachlichen Erwägungen geleiteten Auswahlverfahrens. Diese Vergabe von Verkehrsverträgen ist im Vergaberecht geregelt. Darin wurde u.a. auch darüber befunden, dass sich die Zuständigkeit für den gesamten ÖPNV in einer Hand konzentrieren soll. Darüber hinaus gab es Planungen über die Ab- sicherung eines leistungsfähigen SPNV über die Grenzen einzelner kommunaler Ge- bietskörperschaften hinaus, und zwar durch Aufstellung von Nahverkehrsplänen. Weiter ging es um die Gewährleistung des Wettbewerbs im ÖPNV durch eine Trennung der politischen Besteller und der unternehmerischen Erstellerebene sowie um verlässliche Finanzierungshilfen. Die einzelnen Bundesländer haben hinsichtlich der Aufgabenträgerschaft unterschied- liche Wege beschritten. Während z.B. in Hessen und in Nordrhein-Westfalen u.a. kon- sequent der Weg der Regionalisierung eingeschlagen und der gesamte Nahverkehr auf die Kommunen übertragen wurde, wollen die übrigen Länder – wie beispielsweise Bayern – den SPNV dauerhaft in eigener Regie führen. Die betroffenen Kommunen sollen dabei ein gewisses Mitspracherecht erhalten. Weitere Länder haben sich für eine Zwischenlösung entschieden, indem die Aufgabe SPNV zunächst beim Land verbleibt mit Ausnahme einiger Großräume wie z.B. Stuttgart. In allen diesen Ländern ist eine Übertragung auf kommunale Gebietskörperschaften vorgesehen. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 179 Die ursprüngliche Idee der Regionalisierung wird also bisher nur von wenigen Ländern konsequent umgesetzt. Die unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundeslän- dern lassen sich in fünf Gruppen einteilen (Tabelle 11): Tabelle 11: Landesregelungen der Aufgabenträgerschaft für den SPNV Gruppe Aufgabenträger für den SPNV; sonstige Regelungen Bundesland A Kommunale Ebene; Kommunale Gebietskörperschaft oder ein Zusammen- schluss von diesen Körperschaften Hessen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Berlin Bremen Hamburg B Land; befristete Regelung mit anschließender Übertragung der Zuständigkeit auf mehrere Zusammenschlüsse von kommunalen Aufgabenträgern Sachsen (a) C Land; bis zum definierten Termin Prüfung von Voraussetzungen für die Übertragung der Zuständigkeit auf Zusammen- schlüsse von kommunalen Aufgabenträgern Niedersachsen (b) Sachsen-Anhalt D Land; Möglichkeit einer Übertragung der Zuständigkeit von bestimmten Teilräumen auf kommunale Gebietskörper- schaften Baden-Württemberg (c) Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Saarland E Land; Möglichkeit einer Übertragung nicht vorgesehen Bayern Schleswig-Holstein Thüringen a) Zweckverband Oberelbe ist Aufgabenträger für den SPNV seit dem 24.05.1998. b) Großraumverbände Hannover und Braunschweig sind Aufgabenträger für den SPNV seit dem 01.01.1996. c) Verband Region Stuttgart ist Aufgabenträger für die S-Bahn seit dem 01.01.1996. Quelle: Bundesregierung (1999), Bericht über den Öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland nach der Vollendung der deutschen Einheit, S. 33 In allen Landesnahverkehrsgesetzen sind die Aufgabenträger als zuständige Stelle für die Vereinbarung oder Festlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der geänderten Fassung (EWG) Nr. 1893/91 bestimmt. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 180 3.3 Kritik der Bahnreform Obwohl die rechtliche Umsetzung der Zielvorstellungen zur Bahnreform fast vollstän- dig durch entsprechende Gesetze und Verordnungen abgeschlossen werden konnte, bleiben dennoch erhebliche Zweifel an der Durchsetzung der Reform vor allem im Hin- blick auf ihre Komplexität angebracht. Für einen außenstehenden Betrachter scheint es sogar so, als habe sich für die Bahn seit ihrer Privatisierung nur wenig verändert. Insbe- sondere im SPNV ist die Deutsche Bahn AG unverändert der größte Anbieter, der Kraft seiner unveränderten Monopolstellung bestimmt, wer wo, wann und zu welchen Tras- senpreisen fahren darf. Mehrfach haben schon Konkurrenten der DB AG in Bezug auf Streckenstilllegungen unlautere Methoden vorgeworfen. Das gleiche gilt für das Befahren des Streckennetzes. In der Praxis hat sich gezeigt, dass immer dann, wenn das Bahnnetz für einen Konkur- renten ausgebaut werden soll, Behinderungen und Verzögerungen in der Fertigstellung auftreten. Ein Beispiel dafür ist die Strecke für den geplanten Ringzug zwischen Rottweil, Tutt- lingen, Donaueschingen und Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg. Hier wollte die landeseigene Hohenzollerische Landesbahn AG den Betrieb von Dezember 2002 an aufnehmen. Plötzlich meldete sich die unverändert für das Schienennetz zuständige DB Netz AG zu Wort und teilte mit, dass der Streckenausbau erst im Herbst 2004 beendet sei. Darüber hinaus gebe es Koppelgeschäfte, nach denen Schienen- strecken nur dann hergerichtet würden, wenn die DB Regio den Zuschlag für den Be- trieb erhalte. 399 Zwar darf nicht verkannt werden, dass im Hinblick auf die zahlreichen Interessenkon- flikte zwischen Verkehrsanbietern und -nutzern eine Problemlösung nicht einfach ist, trotzdem sollte es im Sinne der Ziele der Bahnreform möglich sein, dass zwischen dem Verkehrsanbieter DB AG und dem Bund einvernehmliche Lösungen gefunden werden können. Aber auch das Finanzverhalten der Bahn gibt Anlass für berechtigte Kritik, denn bis heute legt die Bahn entgegen allen gesetzlichen Vorschriften nur unvollständige Bilan- zen vor. Eine Einsicht in Kostenrechnungen ist bisher nicht möglich. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Bahn Streckensanierung zu überteuerten Preisen anbietet. Als Beispiel dafür ist die Sanierung der sächsischen Strecke von Freiberg nach Holzau 399 Als jüngstes Beispiel (2002/03) für widerstreitende Aussagen lässt sich auch Folgendes anführen: Zunächst befürwortete das Bundesverkehrsministerium die diskutierte Ausgliederung des Streckennetzes, um sie kurze Zeit später, nach einer Intervention des Bahnchefs Mehdorn beim Bundeskanzler, wieder zurückzunehmen; vgl. hierzu auch die Grundsatzkritik von Eisenkopf (2003) an der Inkonsequenz der öffentlichen Organe bei entsprechenden Deregulierungsstrategien. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 181 zu nennen. Dort hat die DB AG einen Kostenvoranschlag von 54 Millionen DM einge- reicht. Saniert wurde die Strecke dann von einem privaten Eisenbahnunternehmen für nur 15 Millionen DM. 400 Für diese Verhaltensweisen der Bahn sind neben der gewachsenen Einflussnahme auf die Entscheidungsträger Bund und Länder mit verantwortlich zu machen. Nach Ansicht des Verfassers ist in Bezug auf Anwendung und Zuständigkeit der neuen Gesetzgebung die Situation unübersichtlich und verwirrend. In fast jeder Gesetzesregelung ist eine Ausnahmegenehmigung enthalten, die fast immer für die DB AG anwendbar ist - es verwundert daher nicht, dass sich bisher kaum ein privates Eisenbahnunternehmen gegenüber der Deutschen Bahn durchsetzen konnte. Dabei gelten die Verbote des Kartell- und Wettbewerbsrecht insoweit auch im ÖPNV, als nicht spezialgesetzliche Ausnahmen zur Gewährleistung eines integrierten Marktauftritts greifen. Die Praxis hat tatsächliche oder empfundene Unzulänglichkeiten des regulativen Rahmens vielfach dadurch überwunden, indem sie ihn einfach ignoriert. Die praktizierte Marktregulierung und insbesondere das Finanzierungssystem sind bis- lang nicht höchstrichterlich überprüft worden. Es steht zu befürchten, dass bereits jetzt die Finanzierungs- und Genehmigungspraxis nicht mit dem EG-Recht konform gehen könnte. Auch die Verkehrsunternehmen sind bisher häufig noch nicht an den Maßstäben des Wettbewerbsrechts gemessen worden. Um das öffentliche Interesse an einem leistungsfähigen, sicheren und preisgünstigen ÖPNV sicherzustellen, hat der Gesetzgeber auf allen drei Ebenen in die Berufs- und Wettbewerbsfreiheit des SPNV eingegriffen und damit den Marktzugang der Unter- nehmer in erheblichem Umfang reguliert. Das BVerfG hat dabei die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs als ein auch objektive Zulassungsschranken grundsätzlich rechtfertigendes, überragend wichtiges Gut der Gemeinschaft qualifiziert. Soweit diese Eingriffe auch einen Schutz bereits bestehender Verkehrsunternehmen zur Folge haben, kann dies allenfalls das Mittel zur Erreichung des dem öffentlichen Interesse ent- sprechenden Zwecks sein. Es ist daher keine Überraschung, dass gemeinwirtschaftliche Leistungen bisher nicht im Wettbewerb vergeben wurden. Dabei sollte gerade Konkurrenz gesucht werden, weil dadurch jeder Marktteilnehmer zu Kosteneinsparungen gezwungen wird, will er das preiswerteste Angebot abgeben. Ziel muss es daher sein, einen möglichst hohen Wett- bewerbsdruck zu erzeugen. Solange es dem Staat aber nicht gelingt, alle externen Effekte in den Kosten der Angebotsgestaltung bei allen Eisenbahnunternehmen adäquat zu internalisieren, führt die Marktsteuerung zu einem Marktergebnis, welches – aus Eigeninteressen der Unternehmen – die Berücksichtigung von Gemeinwohlaspekten ignoriert. 400 Redakt. Beitrag in: Stuttgarter Zeitung, Nr. 249, vom 27.10.2001. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 182 Diese Konfliktfelder kennzeichnen derzeit die Situation im Schienenpersonennah- verkehr. Die Strecken veralten oder werden stillgelegt, nicht zuletzt, weil die DB AG derzeit ihre Prioritäten dem Ausbau des Hochgeschwindigkeitsverkehrs widmet. 401 Dies wird auch durch die Tatsache belegt, dass seit Beginn der Bahnreform die Zahl der Streckenstilllegungen deutlich zugenommen hat. Die Vorgaben, was die DB Netz AG nicht mehr als „bahnnotwendig" erachtet, trifft sie dabei selbst. Letzten Endes könnte das zur Folge haben, dass nur noch ein Netz übrig bleibt, welches auf die DB AG zuge- schnitten ist. Nach Aussage der Bundesregierung kam es bis zum 10.10.1995 auch zu keinen Übertragungen von Strecken auf Gebietskörperschaften nach § 26 ENeuOG. Das Eisenbahn-Bundesamt hat in diesem Zusammenhang die Verfahren bezüglich einer Reihe von Stilllegungsanträgen der DB AG aussetzen müssen, nachdem bekannt wurde, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Verhandlungen mit interessierten Dritten nicht geführt wurden. Nach Meinung des Verfassers hat der Schienenpersonennahverkehr nur dann eine Überlebenschance, wenn es dem Bund und den Länder gelingt, zunächst den Einfluss der DB AG einzuschränken und diese zu zwingen, die gesetzlichen Vorgaben einzuhal- ten. Es ist nicht hinnehmbar, dass vorliegende Gesetze ignoriert werden, nur weil sie schwer verständlich sind oder gezielte Ambivalenzen aufweisen. Sollten einzelne Ge- setze unklar oder widersprüchlich sein, wie z.B. § 14 AEG i.V.m. der EIBV, müssten diese gegebenenfalls geändert werden. Eines der wichtigsten Handlungsfelder ist daher in der Gestaltung des Ausschreibungswettbewerbs zu sehen. Durch sachgerechte Los- zuteilung könnten sich somit auch für kleine und mittlere Bieter Marktchancen ergeben, die möglicherweise, da sie kostengünstiger operieren als die DB AG, auch Strecken übernehmen könnten, die für die DB unrentabel sind. Allein die Aufgabenträger haben für einen fairen Ausschreibungswettbewerb zu sorgen, indem sie die Leistungsbeschreibung und damit die Bedingungen des für gemeinwirt- schaftliche Verkehrsleistungen maßgeblichen Marktes bestimmen. Verbindliche Ein- flussnahmen, wie sie derzeit noch von der DB AG ausgeübt werden, haben diskriminie- rende Wirkung und sind verboten. Die Hauptproblematik liegt nach Verfasseransicht bei der Gestellung des Streckennetzes. Solange die DB Netz AG den Markt beherrscht, bestimmt, wer „fahren darf“ und auch noch die Trassenpreise festsetzt, ist eine Über- nahme von Nahverkehrsstrecken für viele potenzielle Kandidaten uninteressant. Durch anscheinend willkürliche Preisfestsetzungen und mangelhafte Hilfe bei der Koordinie- rung von Fahrplänen werden die privaten Eisenbahnunternehmen abgeschreckt, Wenn es dem Bund damit Ernst ist, dass der Schienenpersonennahverkehr eine Aufgabe der Daseinsvorsorge darstellt, muss er das Schienennetz der Einflussnahme der DB AG ent- ziehen. 401 Vgl. Werner (1998), S. 150 ff. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 183 3.4 Auswirkungen der Bahnreform auf den SPNV und auf Streckenstilllegungen – Zusammenfassung Die Eisenbahnen wurden über Jahrzehnte hinweg in großem Umfang subventioniert. Dies hatte zur Folge, dass es dem Verkehrsmarkt an Kostenwahrheit und – volkswirt- schaftlich betrachtet – an allokativer Effizienz fehlt. Erst wirksame Konkurrenz wird die DB AG dazu bringen, eigene Kostenrechnungen aufzustellen und damit für Bund und Länder sowie für die Konkurrenz berechenbar und transparenter zu werden. Für den Staat würden zudem eine sachgerechtere Verteilung der Subventionen und die Möglich- keit von Kosteneinsparungen resultieren. Im Sinne eines Zwischenfazits geht es dem Verfasser zunächst um eine erste kritische Beurteilung und Auseinandersetzung mit den für den schienengebundenen ÖPNV rele- vanten gesetzlichen Regelungen im Rahmen der Bahnreform. Dies betrifft insbesondere • die Auftragsvergabe im Schienenpersonennahverkehr, • die Aufgaben und Befugnisse der Länder und • die Problematik des Schienennetzes. Die Regelungen zur öffentlichen Vergabe ergeben sich im Zusammenspiel von GWB, Vergabeordnung und Verdingungsordnung. Danach sind materielle und formelle Vor- gaben einzuhalten, wenn von einem öffentlichen Auftraggeber ein öffentlicher Auftrag in den Bereichen Bau, Lieferung oder Dienstleistung vergeben wird. Verkehrsunter- nehmen sind als so genannte Sektorenauftraggeber bei der Auftragsvergabe zur Anwen- dung der Abschnitte 3 bzw. 4 von VOL/A und VOB/A verpflichtet. 402 Grundsätzlich greift eine Pflicht zur Anwendung des offenen Verfahrens, d.h. praktiziert wird die Aus- schreibung. Ausnahmen müssen ausdrücklich nach §§ 3, 3a VOL/A zugelassen sein. Das GWB verbietet Kartelle und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen. Sektorspezifische Wettbewerbsregelungen können die Regelungen des GWB ergänzen, verdrängen oder modifizieren. Gemäß § 1 GWB sind Vereinbarungen von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Ein Missbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn der Zugang zu betriebsnotwendigen Einrichtungen ohne Berechtigung verweigert wird. Nach § 20 Abs. 1 GWB gilt auch ein Diskriminierungsverbot, wonach marktbeherrschende Unternehmen ein anderes Unter- 402 Vgl. Wirtschaft und Verwaltung (2001), Ausgabe 2/01, S. 101. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 184 nehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zu- gänglich ist, nicht unbillig behindern oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unter- schiedlich behandeln dürfen. 403 Nach § 22 Abs. 1 GWB sind Empfehlungen verboten, die gleichförmiges Marktverhalten von miteinander im Wettbewerb stehenden Unter- nehmen bezwecken und auf diese Weise die Verbote des GWB umgehen würden. Aus § 12 Abs. 7 AEG ergibt sich, dass für Vereinbarungen von Verkehrsunternehmen die §§ 1 und 22 Abs. 1 GWB nicht gelten, soweit sie im Interesse einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Nahverkehrsleistungen erfolgen und einer Integration der Nahverkehrsbedienung dienen. Die Verbote aus §§ 1 und 22 Abs. 1 GWB bleiben aber wirksam, soweit die getroffenen Vereinbarungen eine Behinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken. Bei gemeinwirtschaftlichen Verkehren ergibt sich aus den Vorgaben des Verkehrs- vertrages bzw. der Auferlegung, welche Ausgestaltungsmöglichkeiten das Unternehmen nach erfolgreichem Marktzutritt besitzt. In dem Umfang, wie das Unternehmen den angebotenen Betrieb eigenständig gestalten kann, unterliegt es auch dem Wettbewerbs- und Kartellrecht, soweit sich nicht der Besteller eine Option zur Angebotsänderung vorbehält. Dies gilt auch für Tarife und Fahrpläne. Keiner weiteren Regulierung unterliegt die Produktion der Verkehrsdienste und der Neben- und Vorleistungen, z.B. der Infrastruktur. Hier gibt es demnach die Möglichkeit wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens und auch einen möglichen Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen. Die DB ist der Auffassung, dass es eine Ausschreibungspflicht nicht gibt, da im AEG eine Norm besteht, die den Aufgabenträgern ein Ermessen einräumt. In einem ersten Urteil der Vergabekammer Düsseldorf hat sich allerdings diese Auffassung der DB nicht bestätigt. Bei Nichtbeachtung dieses Urteils hätte danach die DB AG einen Wett- bewerbsvorteil i.S. der GWB gegenüber ihren Konkurrenten erlangt und damit die ge- zahlten Subventionen rechtswidrig erhalten. Hier bestünde nunmehr nicht nur die Ge- fahr eines Rückforderungsanspruchs, sondern dies hätte auch zur Folge, dass die DB als finanziell unzuverlässig gelten würde und damit nach § 25 VOL/A vom weiteren Ver- gabeverfahren auszuschließen wäre. 404 Auch die Regelung der Aufgaben und Befugnisse der Länder ist kritisch zu sehen. Die Nahverkehrsgesetze der Länder enthalten umfassende Vorgaben zur Integration des ÖPNV und zur Zusammenarbeit der Aufgabenträger. Die Zusammenarbeit der Auf- gabenträger findet auf der öffentlich-rechtlichen Ebene statt. Hier greifen die jeweiligen Regelungen der Landesgesetze über kommunale Zusammenarbeit und aus den Nah- 403 Vgl. Wirtschaft und Verwaltung (2001), Ausgabe 2/01, S. 103. 404 In diesem Zusammenhang ist auch ein aktuelles, vergabe- und ausschreibungsrelevantes Urteil des OLG Brandenburg zu beachten, das im weiteren Verlauf der Arbeit noch detailliert erläutert wird. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 185 verkehrsgesetzen der Länder. Die Zusammenarbeit der Aufgabenträger mit einer Ver- bundgesellschaft ist im Gesellschaftsvertrag der Verbundgesellschaft geregelt. Die Ver- bundgesellschaft kann unter den Voraussetzungen von § 100 Abs. 2 lit. g GWB ohne vorgeschaltetes wettbewerbsrechtliches Verfahren von ihren Gesellschaftern mit Auf- gaben betraut werden. Die Aufgabenträger der Länder entscheiden als Repräsentanten der politischen Ebene über die Leistungen im ÖPNV. Gleichzeitig verpflichten sie sich, die bestellten Leistungen, soweit sie aus den erzielten Erlösen nicht zu bestreiten sind, den Verkehrs- unternehmen finanziell zu ersetzen. Im Bereich der Verkehre nach AEG kommt jeweils nur ein von der öffentlichen Hand auszuwählender Unternehmer in den Genuss einer vertraglich geregelten öffentlichen Kofinanzierung – ein dem intermodalen „Wettbewerb am Markt" vorgeschaltetes, ord- nungspolitisch nicht unbedenkliches Auswahlverfahren. Zur Realisierung der Berufs- und Gewerbefreiheit sowie des Gleichbehandlungsangebotes bedarf jedoch der vorge- schaltete Wettbewerb um den Markt eines von sachlichen Erwägungen geleiteten Aus- wahlverfahrens. Diese Vergabe von Verkehrsverträgen ist im Vergaberecht geregelt. Die Verbote des Kartell- und Wettbewerbsrechts greifen also im ÖPNV, soweit nicht spezialgesetzliche Ausnahmen zur Gewährleistung eines integrierten Marktauftritts gelten. Um das öffentliche Interesse an einem leistungsfähigen, sicheren und preis- günstigen ÖPNV sicherzustellen, hat der Gesetzgeber auf allen drei Ebenen in die Berufs- und Wettbewerbsfreiheit des SPNV eingegriffen und damit den Marktzugang der Unternehmer in erheblichem Umfang reguliert. Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) hat die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs als ein auch objektive Zulassungsschranken grundsätzlich rechtfertigendes, überragend wichtiges System rechtlich gewürdigt. Soweit diese Eingriffe auch einen Schutz bereits bestehender Ver- kehrsunternehmen zur Folge haben, kann dies aber höchstens das Mittel zur Erreichung des dem öffentlichen Interesse dienenden Zwecks sein. Allein der Schutz bestehender Verkehrsunternehmen vor Konkurrenz rechtfertigt gerade keinen Eingriff in die Berufs- freiheit. Für die Aufgabenträger sind die Finanzierung des ÖPNV und die damit verbundene Bereitstellung von Haushaltsmitteln von zentraler Bedeutung. Grundsätzlich gilt dabei, dass die Regionalisierungsmittel des Bundes nur für den gesamten ÖPNV eingesetzt werden dürfen. Die Landesnahverkehrsgesetze geben aber in der Regel nicht detailliert vor, wie diese Mittel konkret einzusetzen sind. Die praktizierte Marktregulierung und insbesondere das Finanzierungssystem sind bis- lang allerdings noch nicht höchstrichterlich überprüft worden. Es steht zu befürchten, dass bereits jetzt die Finanzierungs- und Genehmigungspraxis nicht mit dem EG-Recht konform gehen könnte. Auch die Verkehrsunternehmen sind bisher häufig noch nicht an den Maßstäben des Wettbewerbsrechts gemessen worden. 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 186 Ein weiteres Thema für die bisher mangelhafte Umsetzung der Bahnreform liegt nach Meinung des Verfassers auch in der bisher nicht geregelten Netz-Betriebs-Problematik. Zunächst ist unstrittig, dass Eigentümerin der DB Netz AG der Bund ist und damit kraft ihrer Gesellschafterstellung über die DB Netz AG verfügen kann. Die Hauptproblematik liegt nach Verfasseransicht in der Gestellung des Streckennetzes. Solange die DB Netz AG den Markt beherrscht und Netznutzungsmöglichkeiten und Trassenpreise – teils willkürlich und unkooperativ anmutend – festsetzt, ist eine Über- nahme von Nahverkehrsstrecken für viele externe Interessenten ohne Anreiz. Falls der Bund tatsächlich den Schienenpersonennahverkehr als genuine Aufgabe der Daseins- vorsorge ansieht, hätte er das Schienennetz der Einflussnahme der DB AG zu entziehen. Was im Einzelnen zur Eisenbahninfrastruktur zu rechnen ist, regelt § 2 Abs. 3 AEG i.V.m. § 2 EIBV. Geht man zu Recht davon aus, dass die Vorschriften des GWB neben den spezialgesetzlichen Bestimmungen des AEG stets gültig sind, ist der Grundsatz der Zurverfügungstellung der wesentlichen Einrichtungen i.S. v. § 14 Abs. 1 AEG stets anwendbar. Der Staat hat besondere Regeln darüber aufzustellen, wie ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Schienenwegen gewährleistet werden kann. Die gesetzlichen Vorschrif- ten ergeben sich aus § 9 AEG i.V.m. Art. 6 RiL 91/440 (EWG). Damit hat aber der Gesetzgeber ein bis heute noch nicht gelöstes Problem entstehen lassen. Der in § 14 AEG i.V.m. der EIBV festgelegte diskriminierungsfreie Zugangsanspruch für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen ist Bestandteil des öffentlichen Rechts, also neutral für Dritte zu verwalten. Dies geschieht in der Regel durch eine Behörde, hier aber durch eine juristische Person des privaten Rechts, nämlich durch die DB Netz AG. Die DB Netz AG unterliegt jedoch im Konzernverbund den Weisungen des Vorstandes des DB- Konzerns. Die DB Netz AG befindet sich daher in einem Interessenkonflikt zwischen Weisungsbefugnis des Vorstandes und ihrer Verpflichtung, einen diskriminierungs- freien Zugang zu garantieren. Die Vorschriften des AEG und der EIBV werden deshalb auch als gesetzliches Existenzsicherungsinstrument für die DB AG bezeichnet. Ein Verfahren zur Überprüfung des Trassenpreissystems, das von einigen nicht bundes- eigenen Eisenbahnen vor dem Bundeskartellamt gegen die DB Netz AG betrieben wurde, hat diese Meinung bestätigt. Ob das neu angestrebte Trassenpreissystem Bestand haben wird, hängt u.a. davon ab, inwieweit kartellrechtlich von einem Missbrauch, der Preishöhe nach, gesprochen werden kann. Im Endeffekt könnte sonst nur noch ein Netz übrig bleiben, das allein auf die DB AG „zugeschnitten“ ist. Nach Aussage der Bundesregierung fand bis zum Oktober 1995 eine Übertragung von Strecken auf Gebietskörperschaften nach § 26 ENeugliedG nicht statt. Das Eisenbahn-Bundesamt musste zudem das Verfahren hinsichtlich mehrerer Stilllegungsanträge der DB AG aussetzen, nachdem Kenntnis darüber erlangt wurde, 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 187 dass die juristisch vorgeschriebenen Verhandlungen mit Interesse bekundenden Dritten nicht stattgefunden hatten. Die Auffassung der DB Netz AG, wonach das Tatbestandsmerkmal „Vereinbarung" im Sinne von § 14 Abs. 4 AEG das freie Aushandeln zwischen dem Eisenbahnverkehrs- unternehmen und dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu unterschiedlichen Bedin- gungen beinhalte und rechtens sei, ist spätestens mit der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zum 01.01.1999 überholt. Danach ist es marktbeherr- schenden Unternehmen verboten, nach §§ 1, 19 ff. GWB ihre Marktstellung miss- bräuchlich zu verwenden. Unterschiedliche Bedingungen im Rahmen von Vereinbarun- gen über den Zugang zu Infrastruktureinrichtungen sind nicht zulässig, soweit sie den Wettbewerb auf der Schiene verhindern bzw. behindern. Diese Argumentation wird im neu gefassten Abs. 4 zu § 19 GWB unterstützt. Danach ist dann von einem Missbrauch auszugehen, wenn sich ein marktbeherrschendes Unter- nehmen als Anbieter oder Nachfrager von gewerblichen Leistungen weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren. Dies ist immer dann der Fall, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbe- nutzung nicht möglich ist, auf dem Markt des beherrschenden Unternehmens als Wett- bewerber tätig zu werden. Ausnahmen gibt es nur, wenn Rechtfertigungsgründe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 Alt. GWB vorliegen. § 19 Abs. 4 GWB enthält also eine Einschrän- kung der Verfügungsmacht des Infrastruktureigentümers. Nach Ansicht des Verfassers hat der Schienenpersonennahverkehr nur dann eine Zu- kunft, wenn Bund und Länder zunächst den Einfluss der DB AG beschneiden und diese zwingen können, bestehende gesetzliche Vorgaben auch tatsächlich einzuhalten. Miss- verständliche oder widersprüchliche Gesetze, wie z.B. § 14 AEG i.V.m. der EIBV, sind gegebenenfalls zu modifizieren. Bedeutend dürfte die Handhabung des Ausschreibungswettbewerbs sein. Mittels sach- gerechter Loszuteilung eröffnen sich selbst für kleine und mittlere Bieter Marktchancen, wobei diese Bieter, da sie vermutlich kostengünstiger fahren können als die DB AG, auch Strecken übernehmen könnten, die für die DB keine Rentabilität aufweisen. Allein die Aufgabenträger haben einen fairen Ausschreibungswettbewerb zu gewährleisten, indem sie die Leistungsbeschreibung und damit die Bedingungen des für gemeinwirt- schaftliche Verkehrsleistungen maßgeblichen Marktes festlegen. Verbindliche Einfluss- nahmen, wie sie gegenwärtig noch von der DB AG ausgeübt werden, haben diskrimi- nierende Wirkung und sind zu unterbinden. Die dargestellten Gesetzesänderungen und Verordnungen haben im Hinblick auf Streckenstilllegungen in der Fläche durch die DB AG letztendlich nur wenig bewirkt. Zwar hat sich der Anteil der privaten Anbieter am Schienenpersonennahverkehr, die insbesondere die von der Bahn ausgemusterten Strecken übernehmen, zwischenzeitlich 3 ZU RELEVANTEN ENTWICKLUNGEN IM SCHIENENGEBUNDENEN PERSONENNAHVERKEHR (SPNV) IN DEN 1990ER JAHREN BIS ZUR UNMITTELBAREN GEGENWART 188 auf rund 8 v.H. erhöht, von einer nachhaltig verbesserten Wettbewerbssituation oder gar einer Beseitigung der Gefahr von Flächenverödungen kann gleichwohl nicht gesprochen werden. 405 Verantwortlich dafür sind nicht nur die bisher ungelöste Netz-Betriebs-Pro- blematik, sondern auch die unklaren Gesetzestexte, die unterschiedliche Interpretationen ermöglichen. So ist beispielsweise die DB AG unverändert der Meinung, dass gemein- wirtschaftliche Leistungen im Schienenpersonennahverkehr nicht auszuschreiben sind, da im AEG den Aufgabenträgern ein Ermessen eingeräumt worden ist. Dieses Ermessen ist aber spätestens durch die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun- gen vom 01.01.1999 entfallen, weil aus dem „können“ ein „müssen“ geworden ist. 406 Unverändert erbringt die DB Regio über 90 v.H. der Leistungen im SPNV und erhält die entsprechenden Subventionen. Durch ihre ungebrochene Einflussnahme auf das Streckennetz kann sie zudem den Zugang von privater Konkurrenz verhindern bzw. hinauszögern, 407 wie sich dies im Fall des so genannten Ringzuges im südlichen Schwarzwald nachweisen lässt. 408 Diese Verzögerungstaktik wird auch bei Streckensanierungen angewendet, wo durch vollkommen überhöhte Kostenschätzungen eine Instandsetzung erschwert oder gar verhindert wird. 409 Tatsächlich bestimmt die DB AG via DB Netz AG, in welche Strecken zu investieren ist und welche Strecken stillgelegt werden sollen. So verlautet immer wieder, dass es die DB vorzieht, lieber Strecken stillzulegen, als an den französischen Konkurrenten Connex abzugeben. Für die Bahn ist es danach auch ‘beschlossene Sache’, den defizitären Inter-Regioverkehr auszumustern. 410 405 Vgl. Berichterstattung in der Mitteldeutschen Zeitung vom 3.6.2002 (o.V., Interconnex - 1000 km quer durchs Land). 406 Vgl. auch § 20 GWB zum Diskriminierungsverbot. 407 Seitens der DB AG wird mithin darauf verwiesen, dass ein Netzzugang für Dritte auf den „kleine- ren“ wie größeren Strecken juristisch möglich ist und unter dem Grundsatz der Gleichbehandlung steht. Eine ‘Blockade’-Haltung der DB gegenüber Dritten sei demnach keinesfalls gegeben; viel- mehr seien die als lang wahrgenommenen Laufzeiten bei entsprechenden Antragsverfahren aus- schließlich darauf zurückzuführen, dass neben der rechtlichen Prüfung v.a. die technische Kom- patibilität gewährleistet sein müsse, um technische Defizite, Sicherheitsrisiken, Qualitätseinbußen etc. auf Seiten der Dritten auszuschließen. Sofern zwischenzeitliche Stilllegungen betroffener Strecken erfolgen, so geschehe dies zwingend nach vorheriger Genehmigung der zuständigen Stellen (EBA); pers. Mitt. von Herrn Dipl.-Vw. V. Butzbach, Vertriebsbeauftragter der DB Netz AG, im Okt. 2003 an den Verfasser. - Diese Argumente werden im vierten Abschnitt noch weiter geprüft. 408 Das Fallbeispiel wurde bereits weiter oben kurz umrissen: Der geplante Ringzug zwischen Rott- weil, Tuttlingen, Donaueschingen und Villingen-Schwenningen sollte den Nahverkehr in dieser ländlichen Region revolutionieren. Auf zum Teil seit Jahren stillgelegten Gleisen sollte ein rund 200 km langes Bahnnetz mit Taktfahrplan eingerichtet werden. 409 Verwiesen sei auf das bereits geschilderte Beispiel der Strecke von Freiberg nach Holzau (Sachsen). Mithin lassen sich die Einflussnahmen der DB AG beliebig fortsetzen. 410 Vgl. Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung vom 15.9.2001 (o.V., Der Poker um Züge für den Interregioverkehr). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 189 4 Konzeptionen und Anforderungen für SPNV-Lösungen im Spannungsfeld von Marktwirtschaft versus Interventionismus 4.0 Ausgangslage Die Rahmenbedingungen insbesondere für Wettbewerb im Verkehrsbereich lassen sich, wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch, allgemein durch die Eigentumsordnung und das Vertrags- und Wettbewerbsrecht festlegen. Sie bestimmen nicht nur die Bandbreite zwischen freiem Wettbewerb und staatlicher Regulierung, sondern entscheiden auch, welche Aspekte letztendlich in der aktuellen Verkehrspolitik im Blickpunkt stehen. 411 Die besondere Bedeutung der Verkehrswege in einer Volkswirtschaft mit ihren Auswir- kungen auf die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen eines Lan- des lässt sich daran messen, dass die Ansichten über deren Marktorganisation unter- schiedlich und teils sehr kontrovers beurteilt werden. Es gibt Befürworter für eine Regulierung, nach denen der Staat als Eigentümer der Verkehrswege und der Verkehrs- träger die organisatorisch-wirtschaftlichen Maßstäbe festlegen solle. Da sich Wett- bewerb im Schienenverkehr nur über eine Regulierung des Netzzugangs einführen lässt, bereitet die Ausgestaltung einer entsprechenden Regulierung erhebliche Probleme: Zu bedenken ist hier, dass einerseits das Vertrauen in privatwirtschaftliche Lösungen nicht uneingeschränkt ist und andererseits die vorhandenen Diskriminierungspotenziale des bisherigen Netzbetreibers DB Netz AG fortwirken können. 412 Ein weiterer substanzieller Gesichtspunkt besteht in der Daseinsvorsorgeverpflichtung des Staates, die sich je nach Sichtweise in unterschiedlichem Maße auch auf den Ver- kehrsbereich erstreckt (siehe hierzu auch Kap. 4.1.1, 4.5.1). Vereinbarungen zwischen den Marktteilnehmern über SPNV erscheinen hier nur begrenzt möglich. Die für die bisher vorliegende Angebotsstruktur vorgegebene Begründung der Marktunvollkom- menheiten und die Übernahme gemeinwirtschaftlicher Aufgaben kann trotzdem, wie bereits eingehend erläutert, nicht mehr als Mittel zur Aufrechterhaltung des überkom- menen Status dienen. In der Vergangenheit hat gerade diese Marktstruktur dazu geführt, dass sich die DB AG hoffnungslos überschuldete und ineffizient arbeitete, da Wett- bewerb entfallen war und damit keine Anreize mehr für kostengünstiges Wirtschaften bestanden. 411 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 290 ff. 412 Vgl. Eisenkopf (2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 190 Von den Befürwortern einer Deregulierung werden daher die bisherigen Marktstruktu- ren in Frage gestellt bzw. verneint. Sie weisen vorsorglich darauf hin, dass auch für ge- meinwirtschaftliche Leistungen Möglichkeiten vorliegen, welche die Markteffizienz weniger vermindern. 413 Nach Meinung des Verfassers hilft eine allgemeine Beurteilung des Verkehrsmarktes hier nicht weiter, da eigentlich zwei Bereiche eigenständig zu be- urteilen sind, nämlich zum einen die Schiene und zum anderen der Betrieb. Beide Sek- toren sind zwar unabdingbar miteinander verbunden, trotzdem sind hier unterschied- liche organisatorische Maßnahmen zu treffen, wenn der Schienenverkehr wett- bewerblich und zukunftsfähig gestaltet werden soll. Hinsichtlich der Gründe, die zum Entzug einer marktwirtschaftlichen Handlungsaus- richtung im Bahnwesen geführt haben, lässt sich zunächst erkennen, dass neben sozial- und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten bzw. dem Rückgriff auf das Daseinsvorsor- geargument – zumindest in früheren Zeiträumen – die Bahn auch als Einnahmequelle galt. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich, angesichts zunehmender Konkurrenz durch die übrigen Verkehrsträger, die Neigung verstärkt, sich vor allem vom unrentab- len SPNV zu trennen, was schließlich auch zu Streckenstilllegungen oder entsprechen- den Substitutionsmaßnahmen führte. Neue Ansätze für Schienenverkehrslösungen können und sollen vor diesem Hintergrund weder puristisch-marktwirtschaftlich noch ausschließlich interventionistisch ausgerich- tet sein. Rein marktwirtschaftliche Lösungen würden den vollkommenen Markt für alle Bereiche der Volkswirtschaft voraussetzen, der aber lediglich ein theoretisches Kon- strukt ist. Eine solche „liberalistische“ Lösung ist im Kontext der sozialen Marktwirt- schaft kaum in der Lage, die Komplexität der technischen und ökonomischen Zusam- menhänge tatsächlich zu erfassen, deren Berücksichtigung für wohlfahrtsoptimierende und volkswirtschaftlich effiziente Lösungen erforderlich wäre. Dabei muss berücksich- tigt werden, dass Deregulierung und Liberalisierung nicht automatisch eine Abkehr von staatlicher Regulierung bedeuten. Solange es monopolistische Bottlenecks gibt, ist es vielmehr Aufgabe des Staates, durch entsprechende Rahmenbedingungen für die Durch- setzung von Wettbewerb zu sorgen. 414 Das gilt auch dann, wenn der Netzbetreiber seinerseits ein Privatunternehmen ist. Unter den gegebenen, historisch gewachsenen Bedingungen würden diese Netz-Unternehmen eine Monopolstellung einnehmen, wenn man den volkswirtschaftlich unsinnigen Fall von parallelen Netzen einmal ignoriert. Hier zeigen sich dann die Grenzen der marktwirtschaftlichen Ordnung, da der Wett- bewerb auf diesem Feld nicht zu einem gesamtwirtschaftlich sinnvollen Ergebnis führt. 413 Vgl. Eckey und Stock (2000), S. 291. 414 Vgl. Eisenkopf (2003). – Der monopolistische Bottleneck dominiert durch Erhebung von Zugangsgebühren den sog. ‘upstream’-Bereich, der den Zugang zur Infrastruktur erst ermöglicht. Die Aufnahme von Aktivitäten im wettbewerblich relevanten ‘downstream’-Bereich (Dienst- leistungen, hier: Verkehrsdienstleistungen) kann insofern immer nur über die ‘downstream-Pforte’ erfolgen; die wettbewerbsrechtliche Problematik ist bei einer derartigen Konstellation unmittelbar evident. Vgl. Brunekreeft (2003), S. 27. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 191 Deshalb sind auch Forderungen nachvollziehbar, nach denen für den Bereich der Schie- neninfrastruktur die öffentliche bzw. staatliche Eigentümerstellung nicht in Frage ge- stellt werden soll (Die entsprechende Thematik wird in Kap.4.1.2 vertieft.). Insgesamt verbleibt daher auch im Verkehrssektor nur die Lösung, eine dem Einzel- problem angemessene „Mischvariante“ zwischen den Extrempolen „Interventionismus“ und „Liberalismus“ zu suchen. Entscheidend ist letztlich, dass sich ein diskriminie- rungsfreier Wettbewerb beim Betrieb von Schienenverkehr dann entfalten kann, wenn Netz und Betrieb organisatorisch und rechtlich tatsächlich voneinander getrennt sind. Erfolgt eine derartige Trennung nicht, dann ist beim Betrieb kein Wettbewerb möglich, weil der monopolistische Netzbetreiber sozusagen „automatisch“ mit den Bedingungen des Netzzugangs auch die Grundvoraussetzungen für den Betrieb bestimmen kann. Ein Wettbewerb um die Netze würde nicht nur eine zusätzliche unabhängige Über- wachungs- oder Kontrollinstanz voraussetzen, um den Zugang weiterer Wettbewerber zu ermöglichen, sondern könnte dadurch gleichzeitig den Wettbewerb beim Betrieb behindern. Ein ordnungsgemäßer Betrieb dürfte hier nämlich entscheidend vom Ver- halten des Infrastrukturbetreibers abhängig sein. Die Befürworter einer staatlichen Netzlösung sehen darin auch den Haupteinwand in ihrer Argumentation und lehnen daher den Wettbewerb bei der Netzbereitstellung ab. Dieser Begründung schließt sich der Verfasser im Grundsatz an. In gesetzlicher Hinsicht sind zunächst eisenbahnrechtliche und kartellrechtliche Be- stimmungen zu beachten. In den eisenbahnrechtlichen Vorschriften sind die Verpflich- tungen zur diskriminierungsfreien Netzöffnung öffentlicher Eisenbahnen für Dritte sowie die Begriffsdefinition ‘Dritte’ geregelt. Hier findet sich auch das Verbot der Quersubventionierung zwischen dem Fahrweg und Betriebsunternehmen. 415 Als maßgebliche Gesetzestexte sind zu nennen: Richtlinie 91/440 EWG einschließlich Ergänzungsrichtlinie über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen (95/18 EG) und über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Be- rechnung der Wegeentgelte (95/19 EG); die Richtlinie EG 2001/12 als Änderung der vorstehenden Richtlinien EG 91/440, EG 2001/13 für EG 95/18 und EG 2001/14; die Neufassung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) vom 27.12.1993. Weitere Details zur Trennungslinie zwischen Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahntransport- betrieb sind in § 2 AEG enthalten. § 14 Abs. 5 AEG n.F. schreibt vor, dass bei Nicht- einigung über den Netzzugang oder die Trassenpreise das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) als Aufsichtsbehörde entscheidet. Die Anwendungen der kartellrechtlichen Bestimmungen nach dem Gesetz gegen Wett- bewerbsbeschränkungen (GWB) werden explizit anerkannt. Die Anwendung allgemei- ner Wettbewerbsnormen als Beurteilungskriterium sowie die ausdrückliche Genehmi- gung zur Wahrnehmung von eisenbahnpolitischen Problemen durch nationale und EU- 415 Vgl. Aberle (2003b), S. 349 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 192 Wettbewerbsbehörden zeigen aber auch die Anstrengungen, die unternommen worden sind, um von sektorspezifischen Sonderregelungen ‘wegzukommen’. Dies ist um so bemerkenswerter, als gerade die Trassenpolitik Diskriminierungspotenziale bietet, die in der Netzzulassung und den Nutzungsbedingungen, dem strukturellen Aufbau des Tras- senpreissystems und in den Versuchen staatlicher Eisenbahntransportunternehmen, eine Trassenvergabe an potenzielle Konkurrenten durch Sperrkäufe zu verhindern, ihren Ausdruck finden. 416 Gerade die Bestimmungen zur Marktöffnung der nationalen Schienennetze für weitere Verkehrsunternehmen beinhalten das Problem, dass diese Entscheidungen mit der Wirkung höherer intramodaler Wettbewerbsintensität für die bisherigen monopolistischen Eisenbahnbetriebe von den Eigentümern dieser Bahnen zu treffen sind. 417 Damit lässt sich auch die zögerliche Haltung vieler nationaler Regierun- gen erklären. 4.1 Verkehrspolitische, eigentums- und wettbewerbsrecht- liche sowie technische Charakteristika im SPNV 4.1.1 SPNV als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge Die vom Staat garantierte öffentliche Daseinvorsorge, die heute in § 1 Abs. 1 RegG gesetzlich verankert ist, zwang bereits in der Vergangenheit die öffentlichen Verkehrs- betriebe zur Übernahme von Aufgaben, die ihren firmeninternen Wirtschaftszielen ent- gegenstanden. Durch einen speziell für den Verkehrsbereich festgelegten Ordnungs- rahmen wurde dabei der betriebswirtschaftliche Handlungsspielraum des Verkehrs- unternehmers entscheidend eingeengt, wenn nicht gar obsolet. Zum Teil handelte es sich hierbei aber auch um kompensatorische Auflagen, um damit öffentliche Unterneh- men vor zu intensivem Wettbewerb zu schützen. 418 Eine nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Firmenpolitik war daher nur beschränkt möglich. Dies trifft auch auf die privatwirtschaftlich organisierten Verkehrsunternehmen zu, deren Anteile dem Staat zuzurechnen sind. Durch die Bahnreform haben sich im SPNV keine grundlegenden Veränderungen vollzogen. Die DB AG versucht allerdings, durch Still- legung von Strecken das wachsende Defizit zu begrenzen, wobei sie durch ihr Verhal- ten teilweise das Gegenteil erreicht. Unabhängig davon, ob zunächst einer marktwirtschaftlich orientierten bzw. einer inter- ventionistischen Lösung für den SPNV zuzustimmen ist, schränkt die garantierte 416 Vgl. Aberle (2003b), S. 350. 417 Vgl. Aberle (2003b), S. 350. 418 Vgl. Aberle (2003), S. 76. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 193 öffentliche Daseinsvorsorge in beiden Vorschlägen deren Umsetzung ein. Mit der über- nommenen Verpflichtung, die Sicherstellung von ausreichenden Verkehrsleistungen für die Bevölkerung im öffentlichen Personennahverkehr zu garantieren, lassen sich auch marktwirtschaftliche Vorstellungen nicht uneingeschränkt verwirklichen. Lösungs- vorschläge können daher weder rein interventionistisch noch völlig marktwirtschaftlich konzipiert werden. Eine Ursache für die Ablehnung von reinem „Liberalismus“ dürfte im Übrigen in der mit der Daseinsvorsorge verbundenen Verpflichtung der Personen- beförderung (Kontrahierungszwang), Fahr- und Beförderungszeiten einzuhalten, liegen (woraus sich wiederum der Subventionierungsbedarf durch die öffentliche Hand her- leitet, siehe unten). Unabhängig davon, ob die Zug- oder Busfahrt ausreichend mit Fahrgästen besetzt ist oder nicht, sind die vorstehenden Bedingungen einzuhalten. Nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten würde hier ein Betreiber derartige Fahrten nicht durchführen und die Bedienung von derartigen unrentablen Strecken am Ende sogar einstellen. Um das Garantieversprechen für den öffentlichen Personennahverkehr einzuhalten, ist folglich der Staat zwangsläufig gezwungen, diese Verkehre zu subventionieren. Die Kritiker einer marktwirtschaftlichen Lösung zogen daraus die Schlussfolgerung, dass der SPNV niemals rentabel zu betreiben sei und deshalb auch subventioniert werden müsste. Deshalb wäre auch ein wettbewerblich organisierter Verkehrsmarkt nicht der geeignete Weg, um die Aufgabe der Daseinsvorsorge sachgerecht auszuüben. Zahl- reiche Verkehrsbetriebe, wie auch die DB AG, standen dieser staatlichen Einflussnahme wohlwollend gegenüber, weil durch das staatliche Zwangspreiskartell insbesondere für Grenzbetriebe die Möglichkeit bestand, ein Ausscheiden aus dem Verkehrsmarkt zu verhindern. 419 Die Folge davon waren die hinreichend bekannten veralteten und unwirt- schaftlichen Organisationsstrukturen, die den Staat immer weiter in die Verschuldungs- falle geführt haben. Bisher werden die Eingriffe in den SPNV-Markt auch mit dem Hinweis auf die Ge- meinwirtschaftlichkeit 420 dieser Verkehre begründet; weil im SPNV kostendeckende Leistungen oftmals mit einer optimalen Marktversorgung inkompatibel seien. Dies mag im ökonomischen Sinne zutreffen. Allerdings ist der Markt für SPNV grundsätzlich bestreitbar, so dass das Marktergebnis, welches sich ohne Intervention ergibt, im öko- nomischen Sinne optimal ist. 421 Eine optimale Marktversorgung lässt sich im Fall des SPNV aber nur bei Berücksichtigung von sozial- und verkehrspolitischen Überlegungen 419 Vgl. Ebenda. 420 Verkehrswirtschaftliche Differenzierung zwischen Eigen- und Gemeinwirtschaftlichkeit: Es wird (im ÖPNV bzw. SPNV) nach einem Leistungsteil unterschieden, der von den Verkehrsunterneh- men zumindest kostendeckend bereitgestellt werden kann (Eigenwirtschaftlichkeit), während der gemeinwirtschaftliche Teil nur aufgrund öffentlicher Bezuschussung geleistet wird; vgl. Weiß (2003), S. 232. 421 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 71. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 194 – und hier insbesondere mit der damit verbundenen öffentlichen Daseinsvorsorge – konzipieren. Die verkehrsmarktspezifischen Entwicklungen in Deutschland belegen, dass eine neue „rationale“ Eisenbahnpolitik nur innerhalb von veränderten Rahmenbedingungen mög- lich ist, wobei unter dem Begriff „rational“ die Eisenbahn als Unternehmen zu ver- stehen ist, das sowohl markt- und kostenorientierte Verkehrsleistungen anbietet, als auch andererseits aufgrund seiner öffentlich-rechtlichen Stellung gesellschaftspolitische Aufgaben wahrnimmt. 422 Aus marktwirtschaftlicher Sicht wird dazu die Meinung vertreten, dass trotz der Da- seinsvorsorgeverpflichtung nur der Wettbewerb zu einem rentabilitätsorientierten Ver- halten auch auf dem Verkehrsmarkt führt (wobei die Erwartung auf Produktivitätsstei- gerungen und Kosteneinsparungen vor dem Hintergrund zu sehen ist, dass das Verhal- ten eines privaten Anteilseigners stets auf Gewinn ausgerichtet ist). Am Ende könnte so zumindest die Subventionshöhe minimiert werden, weil gerade unter marktwirtschaft- lichen Bedingungen ein hinreichender Spielraum für die Ausgestaltung des SPNV geschaffen wird. Es sollte im SPNV also nicht darum gehen, ob öffentliche Aufgaben, die aus Gründen des Allgemeininteresses und im Rahmen der Daseinsvorsorge zu erbringen sind, rentabel sind oder nicht. Vielmehr muss die Lösung darin liegen, auf- grund entsprechender Kostentransparenz die jeweils optimale und kostengünstigste Organisationsform zu finden. 423 Für die zuständigen Aufgabenträger ergibt sich dabei die Möglichkeit, in einem Ausschreibungsverfahren die Rechte an den billigsten An- bieter zu versteigern, d.h. den Zuschlag erhält derjenige, der die geforderten Mindest- standards mit dem geringsten öffentlichen Subventionsbedarf während eines bestimm- ten Zeitraums erbringen kann. 424 Die Öffnung des Verkehrsmarktes für Wettbewerb würde folglich, trotz der übernom- menen Daseinsvorsorgeverpflichtung, nicht nur eine optimale Versorgung und damit in der Konsequenz die Erfüllung dem Gemeinwohl dienender Zielstellungen garantieren, sondern auch zu progressiven Unternehmensformen führen. Darüber hinaus könnten auch „horizontale Verbünde“, d.h. die Produktion kompletter Leistungsangebote, trans- parenter sein als bei vertikalen Produktionsstufen. 425 Gleichzeitig sind aber auch Störungspotenziale zu beachten, die den Wettbewerb beein- trächtigen könnten, so dass zunächst zu prüfen ist, inwieweit eine (potenzielle) Markt- bestreitbarkeit im fraglichen Verkehrssegment überhaupt möglich erscheint. So besteht auf Konkurrenzmärkten durch bestimmte Verhaltensweisen einzelner Wettbewerber 422 Vgl. Aberle und Weber (1987), S. 162. 423 Vgl. Cox (2001), S. 66 ff. 424 Vgl. Scheele und Sterzel (2000), S. 68 f. 425 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BMVBW (2000), „Pällmann- Bericht“, S. 50. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 195 durchaus die Möglichkeit, beispielsweise durch das Entstehen einer Marktmachtposition und Missbrauch dieser Marktmacht Vorteile zu erlangen. Um dies zu verhindern, hat der Gesetzgeber aber entsprechende Überwachungs- und Sanktionierungsinstrumente in Form von gesetzlichen Vorschriften gegen unlauteren Wettbewerb und gegen Wett- bewerbsbeschränkungen erlassen, so dass ein derartiger Einwand keine Wirkung hätte. 426 Der Ausgangspunkt einer marktwirtschaftlichen Konzeption im Eisenbahnbetrieb ist die Strukturierung der Netzproblematik, um hiermit wettbewerbswidrige Einflussnahmen und Diskriminierungspotenziale zu verhindern. Dies beinhaltet die Schaffung von Bedingungen, unter denen am Ende das Infrastrukturunternehmen bzw. der Staat nur noch seine Eigentümerstellung wahrnimmt, während der Schienenbetrieb von privaten Unternehmen erbracht wird. Für eine unabhängige Netzgesellschaft bestehen dann keine Anreize mehr, Wettbewerber auf dem Schienennetz zu diskriminieren. Das englische Beispiel zeigt auch, dass derartige Gesellschaften auch ohne den Verbund mit dem Netz kapitalmarktfähig sind. 427 Grundsätzlich dürfte es für die etablierten Unternehmen, aber auch für mögliche Kon- kurrenten von Bedeutung sein, unter welchen Bedingungen sie in den Markt eintreten können. Damit bestimmen die Marktzutrittsmöglichkeiten die Zahl der Konkurrenten und schlagen sich auch in Preis und Qualität der Verkehrsleistungen nieder. Daraus kann aber auch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine marktwirtschaftliche Konzeption der Daseinsvorsorge nicht entgegensteht. Höhnscheid geht sogar davon aus, dass sich unter der Voraussetzung wettbewerbsneutraler Rahmenbedingungen bei einem Markteintritt und der Nichtexistenz von Marktversagen grundsätzlich alle Verkehrs- leistungen ohne vertragliche Regelungen und hoheitliche Akte seitens öffentlicher Stel- len koordinieren lassen. 428 Nach Meinung des Verfassers dürfte allerdings die Aussage von Höhnscheid zu weit gehen. Zumindest im Hinblick auf die durch öffentliche Daseinsvorsorge bedingte Sub- ventionierung dieser gemeinwirtschaftlichen Verkehre lassen sich derartige Vereinba- rungen ohne schriftlichen Vertrag nicht durchsetzen, da wiederum der Staat über die Verwendung der finanziellen Mittel Auskunft geben muss. Daraus kann aber noch keine interventionistische Einflussnahme abgeleitet werden. Allerdings zeigen die bei privaten Eisenbahnunternehmen gemachten Erfahrungen, dass marktwirtschaftlich geprägte Konzeptionen für die Zukunft des SPNV wirtschaftlich am geeignetsten sind. Voraussetzung dafür ist allerdings die Trennung von Netz und Betrieb. 426 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 61. 427 Die Gründe für das gleichwohl gegebene, mehr oder minder klägliche Scheitern des englischen Modells ‘Railtrack’ wurden bereits an anderer Stelle ausführlich erläutert. 428 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 69. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 196 Ob sich eine marktwirtschaftliche Lösung im SPNV am Ende auch hier positiv sowohl für den Aufgabenträger als auch für den Konsumenten auswirkt, hängt nach Ansicht des Verfassers neben der Trennung von Netz und Betrieb entscheidend von der wett- bewerblichen Ausschreibungspraxis beim Betrieb ab, weil sich nur dadurch eine kostenoptimale Lösung für den SPNV finden lässt. Unter diesen „idealen“ Bedingungen würde der Staat nicht über eigene Betriebe SPNV–Leistungen anbieten, sondern sich, analog dem Straßenverkehr, auf unmittelbare und weiterhin unabdingbare Kernbereiche beschränken und die politische Steuerung und die Festlegung langfristiger Konzepte übernehmen. 4.1.2 Die Eigentumssituation beim Schienennetz Zunächst zählt das Schienennetz neben den Wasser- und Straßenwegen zu den infra- strukturellen Grundausstattungen einer Volkswirtschaft, ohne deren Existenz wirt- schaftliches Handeln nicht denkbar ist. Die Rolle, die der Staat auf einem zukünftigen Verkehrsmarkt in Bezug auf die Schieneninfrastruktur einnehmen sollte, lässt sich zunächst anhand seiner Eigentümerstellung ableiten. Die Eigentümerverantwortlichkeit des Bundes für das Schienennetz und dessen Vermarktung ergibt sich danach aus Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG. Darin ist auch festgeschrieben, dass die Schieneninfrastruktur immer mehrheitlich im Eigentum des Bundes (grundgesetzliche Privatisierungssperre) verbleibt. Das gilt ebenso im Hinblick auf den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen. In der Konsequenz ist bei jeder organisatorischen oder rechtlichen Lösung die Zustimmung des Bundes erforderlich. Zu bedenken ist dabei auch, dass die Schieneninfrastruktur aufgrund ihrer Immobilität und Unteilbarkeit als Potenzialfaktor in mehrfacher Hinsicht Auswirkungen auf die regionale Wirtschaftsentwicklung hat. 429 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die im ENeuOG erneuerte staatliche Verant- wortung für das Schienennetz. Eine ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis ist dem Bund zusätzlich noch durch Art. 87e Abs. 5 S. 2 GG eingeräumt worden. Aus dieser Rechtsposition heraus ist es zunächst unverständlich, warum der Staat sich nicht eindeutig zur Infrastrukturverant- wortung bekennt. Selbst Bahnvorstand Mehdorn stellt die Infrastrukturverantwortung des Bundes nicht in Abrede. 430 Es sollte folglich Aufgabe des Staates sein, als Entscheidungsträger die Ziele zu definie- ren, nach denen ein eigenständiges Netz zu betreiben ist. 431 Aus dieser Rechtsposition 429 Vgl. Klemmer (1986), S. 25 f. 430 Vgl. o.V. (2003), S. 2. 431 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMVBW (2002 ), S. 260 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 197 heraus hätte der Bund auch die Möglichkeit, die Rückführung des Schienennetzes von der DB Netz AG in unmittelbares staatliches Eigentum zu verlangen, was auch von der Pällmann-Kommission als klarste und ehrlichste Lösung angesehen wird. 432 Die Bereitstellung der Schieneninfrastruktur war aus verschiedenen Gründen bisher immer durch staatliche Einflussnahme bestimmt. Der Staat übte in seiner Eigenschaft als Eigentümer zwar die Verkehrshoheit über die Verkehrswege aus, brachte aber keine ausschließlichen Eigentumsrechte an den Verkehrsmitteln zur Geltung. Das erklärt in juristischer Hinsicht auch das zögerliche Verhalten des Bundes, da dieser bisher nur als mittelbarer Eigentümer aufgetreten ist und die Vermarktung des Schienennetzes der DB Netz AG überlassen hatte. Insofern hat er allerdings auch keine Weisungsgewalt über die individuelle Benutzung oder Nichtbenutzung des Verkehrsmittels. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten auf der Straße, in der Luft und im Wasser muss die DB AG auch das von ihr genutzte Schienennetz selbst bauen, unterhalten und finanzieren. Daraus leitet die DB AG ihre Forderung ab, dass sie nicht schlechter zu stellen sei als die eben- falls verkehrswirtschaftliche Infrastrukturaufgaben erfüllenden Unternehmen des Stra- ßen-, Binnenschiffs- und Luftverkehrsgewerbes. 433 Die unverändert gegensätzliche Position, welche die DB AG bei jeder Form von Aus- gliederungsbestrebungen des Schienennetzes einnimmt, resultiert aus dieser seitherigen Handhabung. Die Bahn folgert daraus, dass sie allein die Verfügungsgewalt über das Schienennetz besitzt, während für Neuinvestitionen von Strecken oder deren Instandset- zung der Bund als Eigentümer der Schieneninfrastruktur zuständig und sie selbst nur ausführendes Organ ist. Das Vorgehen des Bundes bei Infrastrukturinvestitionen be- stätigt zumindest seit 1998 diese Auffassung. 434 Im Übrigen werden bei einem Sekundärmarkt wie dem Schienennetz lediglich Nutzungsrechte eingeräumt, so dass eine Eigentumsübertragung im rechtlichen Sinne nicht stattfindet. Insofern ist der Ein- wand der Bahn, juristisch betrachtet, durchaus gerechtfertigt. Mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten versucht allerdings die DB AG als marktbe- herrschendes Unternehmen, sich gegen den drohenden Verlust „ihres“ Netzes (auch in einer „gemäßigten“ Form hinsichtlich der Netzabgabe) mit dem Argument zu wehren, nur mit einer „ungeteilten Bahn“ könne es gelingen, Qualität, Sicherheit und Wirt- schaftlichkeit auf der Schiene zu gewährleisten (siehe zur entsprechenden Synergie- argumentation auch Abschnitt 4.1.3.2). Auch eine Gefährdung des Erfolges der Bahn- 432 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BMVBW (2000), „Pällmann- Bericht“, S. 50. 433 Da z.B. auch der Straßenverkehr ohne Straßen nicht möglich sei, ist das Schienennetz vom Staat zur Verfügung zu stellen und das Streckennetz ebenfalls als Teil der staatlichen Infrastrukturein- richtungen aufzufassen. Zwischenzeitlich hat sich der Bund grundsätzlich bereit erklärt, einen Beitrag zu den Fahrwegausgaben zu leisten. Damit hat die Bundesregierung erstmals die Auffas- sung der DB bestätigt, wonach der Staat für den Schienenweg die finanzielle Verantwortung trägt; vgl. hierzu auch Eilwange und Hamelbeck (1989). 434 Vgl. Aberle (2003b), S. 380. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 198 reform insgesamt wird angeführt, sofern diese Einheit nicht bestehen bleibe. Gleich- zeitig versucht die DB aber ihre Befürchtungen zu verschleiern, sie könne ihre führende Stellung auf dem Verkehrsmarkt einbüßen. Die Reaktionen darauf zeigen, dass die Dis- kriminierungspotenziale des integrierten Netzbetreibers DB Netz AG offenbar so über- ragend sind, dass hier Wettbewerb ohne aktives Eingreifen einer Regulierungsbehörde nicht bzw. nicht dauerhaft gewährleistet werden kann. 435 Die DB Netz AG konnte bisher als fast vollständiger Monopolist agieren, da sie seither auch keinem Wettbewerbsdruck ausgesetzt war, der sie zwang, effizient zu arbeiten. Durch die zentrale Verwaltung des gesamten Streckennetzes entstand insbesondere zu den Regional- und Lokalstrecken eine geringe Marktnähe, was wiederum einen finan- ziell aufwendigen Verwaltungsapparat zur Folge hatte. Diese Entwicklung begünstigte dann auch die negative Kostenentwicklung im SPNV, was letztendlich dazu führte, dass die DB AG Strecken stilllegte, die sie für nicht mehr rentabel hielt. Im Hinblick auf die vorgegebene rechnerische und organisatorische Trennung von Netz und Betrieb und aus der Verpflichtung zur Netzöffnung haben sich durch die Bahn- strukturreform, aber auch durch die EU-Richtlinie 91/440, neuartige preis- und ord- nungspolitische Problemstellungen ergeben, die damit zusammenhängen, dass die DB Netz AG ein Netzangebotsmonopolist ist. 436 Wenn es gelingt, das Streckennetz auszugliedern und die Verwaltung und den Betrieb einer eigenständigen Institution zu übertragen, können mit dieser Herauslösung der Bundesschienenwege aus dem Bahn- konzern sowohl das „System Schiene“ gestärkt als auch für alle künftigen Bahnunter- nehmen gleiche Chancen beim Netzzugang gesichert werden. In diesem Zusammenhang besteht der Veränderungsbedarf auch hinsichtlich der Diskriminierungsmöglichkeiten, welche die Bahn nutzt, um potenziellen Konkurrenten den Zugang zum Streckennetz zu verweigern, was sich auch in überhöhten Trassenpreisen niederschlagen kann. 437 Im Zusammenhang mit dem verkehrspolitischen Handlungsbedarf sollte daher nach Aberle 438 nicht nur die Schaffung der Rahmenbedingungen für eine rechnerische Tren- nung von Netz und Betrieb mit der Verpflichtung zur Netzöffnung für andere Unter- nehmen, sondern auch für ein diskriminierungsfreies Trassenpreissystem erfolgen. Zwingende Voraussetzung dafür ist allerdings die Einführung eines unabhängigen Tras- 435 Vgl. Eisenkopf (2003). – Es gilt sich hier auch zu vergegenwärtigen, inwieweit eine DB Netz AG wirklich unabhängig sein kann, wenn sie die Interessen der Muttergesellschaft DB AG weiterhin konsequent wahrnehmen will. 436 Vgl. Aberle (2003b), S. 347. 437 Die Trassenpreise werden seitens der DB mithin einheitlich vergeben, d.h. eine Anpassung der Preise an Trassencharakteristika (problematische Topographie, etwa Strecken mit vielen Viaduk- ten; ursprünglicher Investitionsaufwand; Alter der Anlagen etc.) erfolgt nicht. 438 Vgl. Aberle (2003b), S. 347. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 199 senmanagements, weil sich letztlich nur bei einer faktischen Netz-Betriebs-Trennung das niedrigste Diskriminierungspotenzial ergeben kann. 439 Die politisch Verantwortlichen unterstützen derzeit indirekt die Position der Bahn, indem sie sich nur vage zu diesen strukturellen und wettbewerbsrelevanten Aspekten äußern bzw. ihre Entscheidungen immer wieder aufschieben. Mit der Entscheidung des Bundesverkehrsministers Bodewig vom September 2001, der DB AG bis mindestens 2005 das Schienennetz zu überlassen, wurde das Thema wiederum vertagt. 440 Eine eindeutige Nachfolgeregelung durch seinen Amtsnachfolger Stolpe steht bislang aus. Hier kann zumindest ein Anfangsverdacht nicht ausgeräumt werden, dass der Bund vor- zugsweise dem bundeseigenen Unternehmen DB AG die notwendigen finanziellen Mittel zukommen lassen möchte und insofern stillschweigend die interne Vergabe von SPNV-Leistungen hinnimmt. Insgesamt kann die derzeitige Handhabung nicht befriedigen. Will man den Verkehrs- markt nachhaltig für wettbewerbliche Prinzipien öffnen, so erscheint die Ausgliederung und Vermarktung des Schienennetzes durch eine Trassenagentur als einzig sinnvolle Alternative. Der Staat sollte sich dabei auf seine bisherige Eigentümerrolle beschränken. Nach Meinung von Bahnexperten würde allerdings eine derartige Überlegung an den heutigen Realitäten und praktisch-politischen Interventionsmöglichkeiten vorbeigehen. 4.1.3 Netz und Betrieb: Technische Aspekte und mögliche Synergie- effekte 4.1.3.1 Technische Aspekte Der spezifische Zusammenhang von Schienennetz und ‘eigentlicher Bahn’ ist in dieser technologischen Ausprägung eine Besonderheit im Verkehrswesen, da ohne einen Zugriff auf das Schienennetz der Zugbetrieb insgesamt nicht möglich wäre. Das Schie- nennetz ist ortsgebunden und kostspielig und lässt sich, wenn es einmal verlegt ist, in der Regel nicht weiter verwenden. Die Schienentrassen sind relativ kostenaufwendig und erreichen nur einen geringen „Kostendeckungsgrad“. Die Aufwendungen für Neu- baustrecken machen teilweise über 50 v.H. der gesamten Kosten der Eisenbahn- verkehrsleistungen aus. 441 Dagegen sind die mit dem Schienennetz erzielbaren Erträge insbesondere im SPNV so gering, dass ein privater Netzbetreiber ohne staatliche Zu- schüsse vermutlich nicht in das Schienennetz investieren würde. Mit den Entscheidun- 439 Vgl. Aberle (2003b), S. 348 f. 440 Vgl. Rinke (2001). 441 Vgl. Müller und Wolf (2002), S. 591. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 200 gen über die Schieneninfrastruktur entstehen damit erhebliche Risiken, deren finanzielle Absicherung nur mit Hilfe der öffentlichen Hand vorzunehmen ist, weil ein nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeitendes Privatunternehmen dazu lang- fristig nicht in der Lage wäre. 442 Hinsichtlich einer Trennung von Netz und Betrieb ist im Vorfeld zu klären, ob die Dis- krepanzen in der Abgrenzung des Fahrweges und der Betriebsbereitschaft bei der Eisenbahn im Kontrast zu anderen Verkehrsträgern so ausgeprägt sind, dass sie einer Trennung von Netz und Betrieb entgegenstehen könnten. 443 Grundsätzlich greift eine organisatorisch-rechtliche Aufspaltung in Netz und Betrieb tief in die Strukturen des Eisenbahnsystems ein. Es muss daher überprüft werden, ob sich praktikable Trennungs- stellen zwischen Fahrwegs- und Betriebsbereich finden lassen und schließlich, ob die getrennten Bereiche ökonomisch lebensfähig sind. Das System Schiene zeichnet sich in technischer Hinsicht durch den geringen Roll- reibungswert zwischen Stahlrad und Stahlschiene mit der Auswirkung eines geringen spezifischen Energiebedarfs und durch die Unabdingbarkeit einer Spurführung und Außensteuerung in Folge der geringen übertragbaren Kräfte für die Seitenführung und beim Bremsen aus. Ein Schienenfahrweg benötigt bewegliche Teile (Weichen) zum Spurwechsel. Die Weichen müssen auf den Strecken und Fahrstraßen durch die Knoten von außen gestellt, verriegelt und überwacht werden. 444 Bei der Eisenbahn steht also aufgrund der vorgegebenen Spurführung der Fahrweg bereits fest. Die Eisenbahn hat hinsichtlich der Bewegungsmöglichkeiten bei Spurwechseln nur einen Freiheitsgrad, während beispielsweise Straßen- und Wasserfahrzeuge über zwei Freiheitsgrade ver- fügen. Die wichtigsten Funktionen und Verantwortlichkeiten für die Einhaltung von Fahrplänen und für sichere Fahrabläufe liegen beim Streckennetz. Angesichts dieser strukturellen Charakteristika ist die Netz-Betriebs-Trennung im Bahnwesen theoretisch vergleichsweise unproblematisch. 445 In diesem Zusammenhang ist gleichwohl klärungsbedürftig, ob die zu erwartenden Kommunikations- und Koordinationskosten zwischen Fahrwegs- und Betriebsbereich ein Hindernis für eine Trennung sein können oder ob nach einer Trennung nicht auch Kosteneinsparungen resultieren, die sich mit den Kosten verrechnen lassen. Theoretisch handelt es sich hier um die Frage nach der Existenz von Verbundvorteilen (economies 442 Vgl. Müller und Wolf (2002), S. 591 f. 443 Vgl. Laaser (1991), S. 258. 444 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMVBW (2002), S. 261 ff., zur Abgrenzbarkeit von Netz und Betrieb/Transport im Eisenbahnwesen. 445 Vgl. Fontgallant (1980), S. 11 ff.; Laaser (1991), S. 258 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 201 of scope) 446 zwischen Netz und Betrieb und danach, ob sie sich im praktischen Betrieb durchsetzen würden oder nicht. 447 Im Rahmen der theoretischen Vorüberlegungen ist der unterschiedliche Einfluss des Produktionsfaktors ‘Weg’ auf die Kostenstruktur bei den einzelnen Verkehrsträgern zu berücksichtigen. Bei der Eisenbahn hält das Rad-Schiene-System (Weg) das Fahrzeug ohne Einwirkung des Fahrers in der Spur und bringt dieses ans Ziel, während auf der Straße diese Funktionen z.B. dem Lenker des Pkw zukommen (siehe auch voran- stehende Hinweise zum ‘Freiheitsgrad’ unterschiedlicher Verkehrsträger). Dies hat zur Folge, dass der anteilige Kosteneinsatz für das Schienennetz höher ist, als bei den übri- gen Verkehrsmitteln. 448 Wäre die Eisenbahn aber von der Zahlung dieser spezifischen Wegekosten befreit, so würde sie in einem weit höheren Maß von diesen Kosten ent- lastet, als die übrigen Verkehrsträger, was wiederum zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde. In der historischen Betrachtung ist es unstrittig, dass Eisenbahnunternehmen im Regel- fall integrierte Unternehmen waren, die den Fahrweg vorhielten und darauf den Verkehr selbst organisierten. Daraus kann aber mitnichten auf eine quasi ‘natürliche’ Einheit von Netz und Betrieb geschlossen werden. 449 Zwingend erforderlich ist vielmehr ein einheitliches, aufeinander abgestimmtes Regelwerk für die Beziehungen zwischen dem Fahrweg und seinen technischen Elementen und den konstruktions- und betriebsge- mäßen Voraussetzungen für die Fahrzeuge. Die von der DB AG dazu vertretene Mei- nung kann nur dahingehend interpretiert werden, dass es ihr hier primär um die Be- hauptung ihrer Vormachtstellung auf dem Verkehrssektor Eisenbahn geht. 450 4.1.3.2 Mögliche Synergieeffekte Verbundvorteile (Synergien) lassen sich vor allem zwischen der Netzvorhaltung und dem eigentlichen Transportbetrieb in Verbindung mit dem Kontakt zum Markt aus- machen. Hier wird immer wieder das Argument angeführt, dass bei einer Trennung von 446 ‘Economies of scope’: Verbund-/Ertragsvorteile „in Form geringeren Faktorverbrauches in Mehrproduktunternehmen durch Kuppelproduktionen anstelle der einzelnen Erzeugung jedes Pro- duktes. Voraussetzung ist, dass einige Produktionsfaktoren für mehrere Produkte zu verwenden sind“; vgl. Woll (1990), S. 142. 447 Vgl. wiederum Fontgallant (1980), S. 11 ff. 448 Vgl. Laaser (1991),S. 259. 449 Vgl. Zimmer (2003). 450 Es ließe sich hier – in zugegebenermaßen überspitzter Weise – folgende Parallelargumentation anstellen: Pkws können nicht ohne die entsprechenden Straßen fahren. Daraus aber die Schlussfol- gerung zu ziehen, dass die Straßenwege ebenfalls von den Automobilherstellern zu erbauen bzw. zu kontrollieren seien, wäre absurd. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 202 Netz und Betrieb der Betreiber der Infrastruktur ein Monopol ohne jeden Kontakt zum Markt besitzt. Dies sei insoweit problematisch, als eine flexibel auf Kunden ausgerich- tete Politik der Anbieter von Eisenbahnverkehr auch eine entsprechend flexible Haltung der Betreiber der Infrastruktur voraussetze. 451 Der Infrastrukturbetreiber habe mithin sehr wohl das Bedürfnis, sich nach den Bahnkunden zu richten, falls die Transport- unternehmen Wegekostengebühren bezahlen müssen, die diese ihrerseits auf den End- preis abwälzen. 452 Ebenso wenig ist von einer mangelhaften Flexibilität der Infrastrukturbetreiber im Hinblick auf die Durchführung von Unterhaltsarbeiten an Schienenwegen auszugehen, da in Spitzenzeiten höhere Benutzungsgebühren erhoben werden können. 453 Ein weiteres Argument besagt, dass bei einer Trennung von Netz und Betrieb und Zu- lassung von Wettbewerb die Steuerung der Verkehrsströme erschwert würde. Hierzu werden Probleme bei der mittelfristigen Disposition (Erstellung von Fahrplänen) und notwendige kurzfristige Umdispositionen (bei unvorhergesehenen Ereignissen) gerech- net. Dem kann entgegen gehalten werden, dass es für den Umfang des Koordinations- aufwandes im Kernnetz der Bahn ohne Bedeutung ist, ob die Zugüberwachungs- systeme, Schienenwege und das Angebot von Eisenbahnverkehr sich in einer Hand oder getrennt voneinander befinden. Der Koordinationsaufwand hängt nämlich, wie beim Flugverkehr, unabhängig von der Frage, ob eine oder mehrere Transportgesellschaften auf einem Streckennetz tätig sind, von der Anzahl der Züge und deren Geschwindigkeit ab. Selbst eine getrennte Analyse der Zugüberwachungssysteme als (eigenständige) ver- kehrswirtschaftliche Unternehmungen kann dabei sinnvoll sein. Gemäß Knieps 454 ver- langt es die Einhaltung der Verkehrssicherheit und der Allokation der Trassenkapazitä- ten, dass solche Systeme in einem bestimmten abgegrenzten Gebiet zur Vermeidung von Kompetenzschwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten von einer öffentlichen oder privaten Institution mit „Durchsetzungskompetenz“ betrieben werden. Nach Meinung dieses Autors ist davon auszugehen, dass Zugkontrollsysteme sich immer mehr in Richtung software-orientierter technischer Systeme mit teilweise länderübergreifenden Potenzialen zu einem europaweiten integrierten Zugverkehrskontrollsystem entwickeln, das nicht nur den Zugverkehr, sondern auch die Fahrpläne koordiniert. Hier kann sich somit ein natürliches Monopol der Zugüberwachung herausformen, dessen Grenzen 451 Vgl. Ewers (1994), S. 189 f. 452 Die Infrastrukturbenutzungsgebühren sollten allerdings nicht wie in Schweden direkt in die Staats- kasse fließen, sondern den Betreibern der Schienenwege zugute kommen, die (abgesehen von Kompensationen für die Erfüllung explizit bestellter politischer Strukturaufgaben) zur Eigenwirt- schaftlichkeit verpflichtet werden. 453 In diesem Zusammenhang ist auch das neueste Gerichtsurteil zur Berechnung der Abgaben zu beachten; vgl. BMVBW (2003, Pressemitteilung). 454 Vgl. Knieps (1996), S. 26 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 203 nicht mehr unbedingt mit politischen Ländergrenzen bzw. nationalen Streckennetzen übereinstimmen muss. 455 Seitens der DB AG wird behauptet, dass Netz und Betrieb eine Einheit darstellen müssten, da durch eine Trennung Qualität, Sicherheit und Innovationen behindert werden könnten. Die Trennung von Netzvorhaltung und Transportbetrieb könnte mög- licherweise eine Weiterentwicklung des Rad-Schiene-Systems behindern. Es ist also gleichzeitig eine Betrachtung der technischen Systementwicklungsschritte (Schiene/Rad) zwischen Infrastruktur und Verkehr erforderlich, weil erst deren Zusam- menwirken darüber entscheidet, ob bestimmte Leistungen möglich sind oder nicht. Sollten Verbundvorteile zwischen Netzvorhaltung und Transportbetrieb für die Weiter- entwicklung maßgeblich sein, könnten diese von einer unabhängigen Forschungs- und Entwicklungseinrichtung übernommen werden, die gleichzeitig Forschungs- und Ent- wicklungsaufträge sowohl für Anbieter von Eisenbahnverkehr als auch für Betreiber von Schieneninfrastruktur bearbeitet. Hier besteht im liberalisierten europäischen Eisenbahnverkehr eine starke Neigung, den Handel mit Lokomotiven und Waggons grenzüberschreitend und kompatibel zu lösen. 456 Die Ausnutzung von Größenvorteilen bei der Produktion des rollenden Materials sowie horizontale Verbundvorteile bei der Entwicklung von Zugüberwachungssystemen gewinnen gegenüber vertikal integrierten nationalen Systemlösungen zunehmend an Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass eine Netz-Betriebs-Trennung nicht nur technisch möglich ist, sondern auch ohne bedeutsamen Verlust von Verbundvortei- len praktiziert werden kann. Die Einführung von Forschungs- und Entwicklungskoope- rationen sowie das Trassenkapazitätsmanagement mit Hilfe von Infrastrukturbenut- 455 Gleichwohl muss nicht auf Marktmacht geschlossen werden. Vielmehr kommt für den Bereich der Zugüberwachungssysteme ein „Versteigerungswettbewerb“ i.S. von Demsetz zum Zuge; vgl. Demsetz (1968), S. 55 ff. Das „Versteigerungsobjekt“ ist darin zu sehen, die Zugüberwachung zu einem möglichst kostengünstigen Preis für eine zeitlich begrenzte Periode in einem bestimmten Gebiet ex ante bereitzustellen und zu gewährleisten. Den Zuschlag sollte der Bieter bekommen, der ein effizientes und preiswertes System zur Verfügung stellen kann. Da die beim Aufbau eines derartigen Überwachungssystems erforderliche technische Ausstattung (Software etc.) und das Know-how nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind, ergeben sich hier keine irreversiblen Kosten. 456 Kritiker einer Netz-Betriebs-Trennung führen teilweise an, dass sich eine Verschlechterung bei der Entwicklung bzw. Qualität des rollenden Materials einstellen könnte, da der Investivaufwand von Betreibern so gering wie möglich gehalten würde (Railtrack-Negativbeispiel). In diesem Zusam- menhang wäre zu prüfen, inwieweit potenzielle Bewerber (Betrieb) die Möglichkeit haben, das rollende Material über Leasinggesellschaften zu leasen. Letzteres könnte – im Unterschied zu einer erforderlichen Direktinvestition – dazu führen, dass Bewerber eher in eine Strecke „einsteigen“ (gerade im SPNV in der Fläche oder als Substituent in strukturschwachen/verödungsgefährdeten Regionen, wo die Rentabilität per se niedriger liegt). Nach Recherchen des Verfassers (DB Regio, Abt. Bestellermarkt-Ausschreibungen) hat Leasing derzeit im Bereich der DB zwar einen gewis- sen Stellenwert bei ICE-Zügen (bis zu 20 % Leasinganteil), jedoch weniger im o.g. Flächenbereich; der Leasingansatz gilt allerdings als entwicklungsfähig. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 204 zungsgebühren sind in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu befürworten. Aus dem richtigen Argument, dass nämlich Verknüpfung Verbundvorteile schafft, kann aller- dings nicht die Forderung abgeleitet werden, dass einzelne Netze im Sinne einer Netz- zusammenschaltung aufeinander abgestimmt werden. Doch heißt das nicht zwangsläu- fig, dass alle Netzteile auch in einer einzigen Hand liegen müssen. Vielmehr ist es ent- scheidend, ob aus einer derartigen Konzentration auch tatsächlich Produktions- oder Transaktionskostenvorteile resultieren würden, was keineswegs pauschal zu bejahen ist. 4.2 Interessengeleitete Grundsatzpositionen zur Trennung von Netz und Betrieb Bei einer Trennung wären nicht nur die Marktzutrittsschranken zu entfernen, sondern es muss auch dafür gesorgt werden, dass daneben keine irreversiblen Kosten (‘sunk costs’) anfallen, weil deren Entstehung einen potenziellen Wettbewerb verhindern würde. Um aktiven und potenziellen Wettbewerb auch in den komplementären Teilmärkten, z.B. beim rollenden Material, zu erreichen, müssen für alle Marktteilnehmer die gleichen Zugangsbedingungen für einen Netzzugang sichergestellt werden. Daher kann Wett- bewerb im Eisenbahnverkehr nur möglich sein, wenn zugleich ein ungehinderter Zu- gang zur Schieneninfrastruktur sowie zu Zugüberwachungssystemen gewährleistet ist. Die von der DB AG präferierte derzeitige vertikale Integration beinhaltet aber gerade Marktmacht, weil die DB Netz AG zunächst den Weisungen und Befehlen der Mutter- gesellschaft DB AG unterliegt und deren Interessen wahrnimmt. Eine eigenständige Netzpolitik ist so nicht durchführbar. In jeder Diskussion über Schienenverkehr werden zum Vergleich die Netzbereiche Straßen- und Binnenwasserstraßenverkehr herangezogen, um daraus die Schlussfolge- rung zu ziehen, dass für den Schienenverkehr nichts anderes gelten darf. Dies ist inso- fern berechtigt, weil auch in diesen Verkehrsbereichen der Staat als Eigentümer mit allen Rechten und Pflichten die Verkehrshoheit über die Verkehrswege besitzt und aus- übt. Auf den Verkehrsfluss Straßen- und Binnenwasserstraßenverkehr nimmt er aller- dings lediglich über die Regelung der Verkehrssicherheit und die Regulierungen für den gewerblichen Verkehr Einfluss, nicht jedoch über ein ausschließliches Eigentum an den Verkehrsmitteln. Damit hat der Staat natürlich auch keine Weisungsgewalt über die individuelle Benutzung oder Nichtbenutzung der Verkehrsmittel. Nur eine institutionelle Trennung von Netz und Betrieb könnte einen diskriminierungs- freien Netzzugang und leistungsgerechte Trassenpreise ermöglichen. 457 Da aber der 457 Vgl. Aberle (2003b), S. 148. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 205 bisherige Netzbetreiber, die DB Netz AG, Einfluss- und Erlöseinbußen befürchtet, sprechen sich deren Vertreter am deutlichsten gegen eine Trennung von Netz und Betrieb aus. Argumentiert wird dabei sowohl mit der technologischen Integration von Fahrweg und Betrieb (siehe Kap. 4.1.3) als auch mit den Zweifeln an der prognostizier- ten Zunahme von Wettbewerb, der mit einer staatlichen Schienennetz AG durch eine effizientere Nutzung der Schienenstrecken möglich sein soll. Es ließe sich in diesem Zusammenhang vorbringen, dass nicht die Schienennetz AG, sondern ihre Kunden, d.h. neben der Bahn AG die große Anzahl regionaler und neuer Bahngesellschaften, diesem Wettbewerb ausgesetzt würden und dabei eine überbürokratisierte Zuteilungsbehörde für die Schienen-Slots eingerichtet werden müsste. Von den Kritikern der Trennung wird zudem darauf verwiesen, dass gleiche Konditio- nen für alle Schienennutzer illusorisch seien, da es überall in der Wirtschaft Sonder- konditionen für Großkunden gebe. Davon aber dürften im Falle des deutschen Schienennetzes mit großer Wahrscheinlichkeit noch für Jahrzehnte die Töchter der Bahn AG profitieren. Außerdem argumentiert der Bahnvorstand mit dem eigenen Unternehmensinteresse am schnellen, umfassenden Ausbau der Schieneninfrastruk- tur. 458 In der wissenschaftlichen Literatur sind diese macht- und interessengeleiteten Stand- punkte und ihre innere Logik einer eingehenden Kritik unterzogen worden. Schnell 459 vertritt die Auffassung, dass selbst die Argumentationen von Vertretern der DB AG in letzter Konsequenz für eine vollständige Heraustrennung der Infrastruktur aus dem DB- Konzern sprechen, denn mit ihren Aussagen würde die DB AG implizit eine Wett- bewerbsverzerrung eingestehen, falls man die Integration beibehielte. 460 Dabei führt Schnell zwei Prämissen der Verkehrspolitik für seine eigene Argumentation an, die erfüllt sein müssen. Die erste Prämisse unterstellt, dass es zu den Zielen der Verkehrs- politik gehört, den Wettbewerb auf der Schiene zu fördern, was einschließt, dass mehr als ein Anbieter auf einer Strecke verkehrt und Rahmenbedingungen für einen funk- tionsfähigen Wettbewerb auf der Schiene geschaffen werden. Die zweite Annahme beinhaltet, dass das Ziel der Verkehrspolitik bei der Infrastruktur in der Lösung der aktuellen verkehrspolitischen Probleme besteht, wozu unter anderem die Wettbewerbs- behinderung durch die DB AG gehört. 461 458 Vgl. o.V. (2001a, 2001b). 459 Im Folgenden wird die Argumentation von Schnell (2001) in gestraffter Form und unter beson- derer Berücksichtigung der Belange des SPNV wiedergegeben; die Kernthesen des Autors wurden insofern herausgearbeitet und übersichtlich verdichtet. 460 Die vom Verfasser befragten Vertreter der DB AG vertreten mithin eine andere Sichtweise; die entsprechenden Rückmeldungen werden in der Folge dargelegt. 461 In der Argumentation von Schnell trifft ein Argument methodisch für oder gegen die Trennung von Netz und Betrieb nur dann zu, wenn es gleichzeitig sachlich richtig ist, Relevanz besitzt und keine Wettbewerbsverzerrungen impliziert. Selbst wenn also ein Argument sachlich richtig ist, die 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 206 Die erste These greift die Position der Gegner einer Netz-Betriebs-Trennung auf, wonach nur der Verbund von Netz und Betrieb/Transport eine an den Markterfordernis- sen ausgerichtete Netzentwicklung sichern könne. Mithin sind aber auch die Wett- bewerber der DB AG Marktteilnehmer und stellen Anforderungen an den Beschaf- fungsmarkt (Netzentwicklung), können jedoch nicht an der Integration von Netz und Betrieb teilhaben, da das Netz nur der DB AG zugehört. Unter solchen Bedingungen wird für den SPNV wie auch überregionalen Bahnverkehr das politische Ziel des intra- modalen Wettbewerbs auf der Schiene von vornherein aufgegeben, da stets nur ein ein- ziges, integriertes Eisenbahnverkehrsunternehmen die Strecken bedient. 462 Zweitens führen die Trennungsgegner an, die Einheit von Netz und Transport sei für die technologische Weiterentwicklung des Rad-Schiene-Systems unabdingbar (siehe auch Abschnitt 4.1.3.2 zu entsprechenden Synergiemöglichkeiten). Dies beinhaltet jedoch, dass die DB AG als integriertes Unternehmen die technologische Weiterentwicklung durchführt, was den nicht integrierten Unternehmen definitionsgemäß gar nicht möglich sein soll (implizite Wettbewerbsverzerrung). Die DB AG kann also die technologischen Standards setzen, die ihre Wettbewerber anerkennen müssen, selbst dann, wenn sie diese gar nicht benötigen (Marktbarriere zum Vorteil der DB AG). Ferner vertreten die Trennungsgegner die Meinung, der Verbund von Netz und Be- trieb/Transport gewährleiste die erforderliche Sanierung der DB AG. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die zweifellos erstrebenswerte Sanierung der DB AG auf Kosten des intramodalen Wettbewerbs erfolgen soll. Es erscheint nicht vertretbar, dass inno- vationsfreudige DB-Konkurrenten das Risiko einer Diskriminierung hinzunehmen haben, damit der Marktführer ‘ungestört’ saniert bzw. restrukturiert werden kann. Unter wirtschaftlicher wie normativer Perspektive steht den Wettbewerbern der DB AG das Recht einer gleichberechtigten Berücksichtigung zu. Weiter heben Kritiker einer Netz-Betriebs-Trennung hervor, die Kapitalmarktfähigkeit der DB AG und ihrer Transportsparten sei auf den Verbund von Netz und Transport angewiesen. Eine Desintegration im Transportbereich muss für einen Börsengang jedoch keineswegs nachteilig sein, da das Risiko eines desintegrierten Unternehmens beiden anderen Voraussetzungen jedoch nicht zutreffen, ist das Argument insgesamt nicht hin- reichend begründet. 462 Seitens der DB wird hingegen folgende Position vertreten: Der Verbund garantiert auch eine ge- wisse Investitionssicherheit, d.h. eine Aufsplittung in Netz-Module, die den einzelnen EVUs zuge- rechnet werden müssten, erhöht deren Risiko. Investitionen in das Netz sind teuer und langfristig angelegt. Verkehre aber, die Einnahmen erbringen, sind kurzfristiger. In ein langfristiges Netz zu investieren, ist aber nur für denjenigen sinnvoll, der auch langfristig Umsätze erzielen kann. Dies kann jedoch kein kleines Unternehmen sicherstellen. Persönl. Mitteilung von Dr. Jochen Brandau, Eisenbahnbetriebsleiter bei der Deutschen Bahn AG, DB Regio, im November 2003. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 207 vom Kapitalmarkt besser abgeschätzt werden kann als dasjenige eines integrierten. 463 Aufgrund des reduzierten Risikos verringert sich der von den Kapitalgebern geforderte Zinssatz, womit das desintegrierte Unternehmen geringere Kapitalkosten hat. Letztlich richtet sich also auch das Argument der Kapitalmarktfähigkeit gegen das Konzept eines intramodalen Wettbewerbs (wiederum implizite Wettbewerbsverzerrung). 464 Das Argument, die Weiterführung wichtiger Investitionsvorhaben setze den Verbund von Netz und Betrieb/Transport voraus, ist zeitgebunden und mittelfristig hinfällig, da Investitionsvorhaben gerade im SPNV eher überschaubar sind (etwa im Vergleich zu transeuropäischen Streckenausbauten), zwangsläufig zu einem Abschluss kommen und somit langfristig keine Entscheidungsrelevanz besitzen (allenfalls für eine bestimmte Phase wäre die Trennung auszuschließen, sofern man dem Argument überhaupt sach- liche Geltung zugestehen mag). Auch der Hinweis, wonach nur der Verbund von Netz und Betrieb/Transport die Schiene „fit für den Wettbewerb“ mache, muss fragwürdig anmuten, da (logischer- weise) nicht der intramodale Wettbewerb zur Debatte stehen dürfte, denn dieser wird ja durch die Auswirkungen der Integration vermindert bzw. ausgeschlossen. Falls der intermodale Wettbewerb gemeint sein sollte, so wäre zu fragen, warum die integrierte DB AG beziehungsweise Deutsche Bundesbahn, die über Jahrzehnte hinweg im inter- modalen Wettbewerb standen, gerade im SPNV nicht längst „fitter“ für diese Wett- bewerbsart (v.a. gegenüber dem motorisierten Individualverkehr) geworden sind bzw. wie und warum sich dies nun ändern sollte. 465 463 Vgl. auch Bot et al. (2001). – Hinweis: Unternehmen mit einer Holdingstruktur werden im Regel- fall an der Börse mit Abschlägen im Vergleich zu desintegrierten bzw. ‘fokussierten’ Firmen be- wertet. Den Holdings unterstellt man häufig einen schwer durchschaubaren Konglomeratcharakter. 464 Auch von Vertretern der DB wird durchaus eingeräumt, dass ein durch Desintegration kleineres, überschaubareres Unternehmen für jeden Investor ein attraktiveres, weil transparenteres Anlage- objekt darstellt. Jedoch sollte gemäß persönl. Mitteilung (Nov. 2003) des Interviewpartners Dr. Brandau (DB Regio) folgende Güterabwägung vorgenommen werden: Der Zusammenhang Rad/Schiene kann gar nicht stark genug betont werden Derzeit bestehen sowohl auf Seiten des Netzes als auch auf Seiten der Schienenfahrzeuge noch bestimmte technische Mängel. Nur ein integrierter Betrieb kann technische Sicherheit der Fahrt gewährleisten, indem er durch geschick- tes Kombinieren von Fahrzeug und Schiene Mängel und Schwächen weitgehend ausgleichen kann (auch aus juristischer Sicht ist die Integration vorzuziehen, da es z.B. bei Betriebsunfällen in der Konstellation einer Desintegration weitaus schwieriger ist, ein Versäumnis „gerecht“ zuzuordnen). Auch der Interviewpartner Butzbach (DB Netz AG) erteilte dem Verfasser im Oktober 2003 eine vergleichbare, auf das Risiko technischer Inkompatibilitäten verweisende Rückmeldung. 465 Hierzu wurde allerdings von befragten DB-Vertretern – auch nach Ansicht des Verfassers – zu Recht angemerkt, dass es EU-weit nötig (gewesen) wäre, ‘echten’ Wettbewerb herzustellen (Bei- spiele: Kerosin ‘gerecht’ versteuern, adäquater Umgang ebenfalls mit der Binnenschifffahrt, um der Bahn ‘echte’ Wettbewerbschancen einzuräumen). Erst unter solchen Bedingungen könne von intramodalem Wettbewerb gesprochen werden (persönl. Mitteilung von Dr. Brandau, DB Regio, im Nov. 2003, sowie Dipl.-Vw. Butzbach, DB Netz AG im Okt. 2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 208 Im Weiteren verweisen Gegner einer Netz-Betriebs-Trennung darauf, dass der inter- nationale Wettbewerb ein „starkes integriertes Unternehmen“ erfordere. Auch dieses Argument nimmt die DB AG wiederum nur für sich in Anspruch und gesteht es nicht ihren (potenziellen) Wettbewerbern zu. Das Argument, das für den SPNV weniger Bedeutung aufweist und insofern hier nicht zu vertiefen ist, beinhaltet letztlich im Rah- men eines Zirkelschlusses, dass ausschließlich die DB AG international wettbewerbs- fähig wird bzw. sein soll (immanente Wettbewerbsverzerrung). Darüber hinaus wird angeführt, dass nur ein „starkes“ integriertes Bahnunternehmen für qualifizierte Mitarbeiter attraktiv sei. Demnach sichert die Netz-Betriebs-Einheit die Attraktivität der DB AG als Arbeitgeber, was im Umkehrschluss bedeuten würde, dass die nicht integrierten Wettbewerber der Bahn – sowohl den SPNV als auch den über- regionalen Bahnverkehr betreffend – als Arbeitgeber weniger attraktiv sind. Die Kon- kurrenz der DB AG dürfte somit Schwierigkeiten haben, gut ausgebildete Mitarbeiter zu rekrutieren. Nach Schnell ergibt sich in diesem Zusammenhang wieder eine Wett- bewerbsverzerrung bzw. Diskriminierung der DB-Konkurrenz: „Aus welchem Grund aber ist qualifiziertes Personal wichtig? Letztendlich, damit die DB AG ein starkes (international wettbewerbsfähiges) Unternehmen werden kann. Die Konkurrenz, die dann ohne qualifiziertes Personal auskommen muss, wird schweren Zeiten entgegen- sehen. Der positive Effekt für die DB ist dabei, dass sie von diesen Wettbewerbern wenig Konkurrenz zu befürchten hat. Damit gesteht die DB einen klaren Fall von Dis- kriminierung ein - dabei ist es wiederum egal, ob dies absichtlich oder als ‘Neben- wirkung’ eintritt“. 466 Schließlich gehen Befürworter der Netz-Betriebs-Einheit davon aus, dass sich durch ein gemeinsames Management überregionaler und regionaler Netze (SPNV) neue bzw. kostenintensive Schnittstellen vermeiden lassen. Die DB AG scheint hier vorauszu- setzen, dass sie quasi ein ‘Exklusivrecht’ auf dieses gemeinsame Management innehabe. Mithin könnte aber auch eine von der DB AG unabhängige, bundesweite Netzgesell- schaft das gemeinsame Management erbringen. Ein intramodaler Wettbewerb mit möglichst gleichen Bedingungen für alle Eisenbahn- verkehrsunternehmen in Deutschland wird so lange nicht möglich sein, wie die jetzige Integration von Infrastruktur und Betrieb fortbesteht. Mit ihrer Argumentation will sich die DB AG in letzter Konsequenz dem – von Seiten der Politik ja durchaus befürworte- ten – Wettbewerb verweigern. Der Bahn-Kritiker Schnell gelangt zu der Schlussfolge- 466 Vgl. Schnell (2001), S. 531. – An dieser Stelle sei im Sinne der notwendigen Differenziertheit jedoch auch auf eine konträre Position verwiesen: Durch hohe Integration (auch in der Struktur einer Holding) und höhere Kapitalkraft ist auch das Weiterbildungs-/Qualifizierungs-Potenzial grundsätzlich ausgeprägter. Ein großes Netz-Unternehmen kann Personalentwicklung und damit technischen Fortschritt und Sicherheit eher ermöglichen und bietet bessere Chancen, langfristig gute Mitarbeiter zu rekrutieren und zu erhalten (persönl. Mitteilung des Befragungsteilnehmers Dipl.-Kfm. Hohage, DB Bildungsmanagement, im Nov. 2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 209 rung, dass die DB versuche, ihre gegenwärtige Marktposition gegen einen intramodalen Wettbewerb zu sichern. Der Staat als Regulierungsorgan sollte sich gemäß der Analyse dieses Autors über die Auswirkungen dieses Verhaltens im Klaren sein und die von den bipolaren Interessengruppen (DB versus Konkurrenten bzw. Netz-Betriebs-Trennungs- Befürworter) vorgebrachten Argumente differenziert prüfen. Nur auf Basis der Beweis- führung, dass ein eingeschränkter Wettbewerb bzw. der Verzicht darauf volkswirt- schaftlich sinnvoll sind, würden die von der DB AG bevorzugten Lösungsansätze gestützt. Mithin erscheint eine solche Beweisführung nicht gegeben bzw. von vorn- herein zum Scheitern verurteilt. Die Argumentation der DB kann dem Wesen nach nur eine einseitige Sichtweise reflektieren. Im Mittelpunkt einer Diskussion über die Trennung von Netz und Betrieb sollten jedoch nicht Interessen der DB AG, sondern generell der Wettbewerb auf dem Schienennetz stehen. Solch eine Position wird allerdings administrativ geschmälert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die DB AG selbst in der „Task force" der Bundes- regierung, welche über eine Trennung versus Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Integration zu befinden hat, dominant vertreten ist. In diesem Kontext muss auch auf das Risiko hingewiesen werden, dass mittels der von der Bundesregierung geplanten gemeinsamen ‘Finanzierungsgesellschaft für alle Verkehrswege’ eine Quersubventio- nierung größten Ausmaßes etabliert werden könnte. 467 Solch eine Querfinanzierung der Bahn durch eine zusätzliche Belastung des Straßenverkehrs wird von den Wirtschafts- verbänden allerdings abgelehnt. 468 Zumindest ansatzweise setzen sich die Länderverkehrsminister bei der Bundesregierung dafür ein, dass der DB AG der Zugriff auf das Streckennetz entzogen wird, um so den Wettbewerb auf der Schiene zu aktivieren (Ausgliederung des Streckennetzes oder ‘Garantie’ der Möglichkeit für einen Zugang zu den Strecken der DB AG für die Privat- bahnen durch eine Regulierungsbehörde). Hier sieht man also durchaus ein, dass wegen der Quasi-Monopolstellung der DB bislang Wettbewerb nicht möglich war, da diese noch immer die Zugangsvoraussetzungen festlegen kann. Nach einer internen Studie der Länder orientiert sich die Bahn z.Z. bei Reparatur- und Modernisierungsmaßnahmen für das Streckennetz zu sehr daran, wo für sie der höchste Nutzwert erzielbar ist. An der Koordinierung solcher Maßnahmen mit anderen Eisen- 467 Vgl. o.V. (2001a, 2001c). 468 Auch der vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) bereits 1988 unterbreitete Vorschlag, im Zuge einer umfassenden Reform der Verkehrsfinanzierung alle Verkehrsnetze in die Zustän- digkeit des Bundes zu übertragen (Zusammenfassung zu einem ‘Sondervermögen Bundesver- kehrswege’) und somit die Gleichbehandlung des Schienennetzes mit anderen Verkehrswegen zu gewährleisten, ist kritisch zu betrachten. Die Einrichtung eines solchermaßen ausgeweiteten Son- dervermögens würde die staatliche Handlungs- und Gestaltungsfreiheit beträchtlich beschneiden. Bei einer allgemeinen Transformation finanzkräftiger Sektoren zu ‘Sonderhaushalten’ mit eigener Einnahmen-Ausgaben-Rechnung stünden im Resultat für wesentliche Grundaufgaben des Staates keine Mittel mehr zur Disposition. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 210 bahnverkehrsunternehmen ist der DB AG offensichtlich nicht gelegen. 469 Häufig kritisieren die Konkurrenten der Bahn, dass diese ihre Position als Eigentümerin des Streckennetzes missbrauche. Für infrastrukturell grundsätzlich sinnvolle Projekte wie etwa „Stuttgart 21“ 470 trete die DB AG immer nur dann ein, wenn ihr dafür auch der Auftrag für zusätzliche Verbindungen erteilt werde. So unterlaufe die DB AG die öffentliche Ausschreibung von Strecken und sichere sich ihre monopolartige Markt- position. Die Modernisierung konzerneigener Strecken, die von Privatbahnen genutzt werden (was wiederum für zahlreiche SPNV-Streckenführungen bzw. Nebenstrecken zutrifft), werde im Regelfall abgelehnt. 471 4.3 Infrastrukturverantwortung und Trassenvergabe 4.3.1 Infrastrukturverantwortung und Trassenvergabe: Strukturelle Betrachtung Nach der augenblicklichen Rechtslage können Nutzungsänderungen, welche die Inte- ressenlage der DB AG tangieren, problematisch werden. So muss davon ausgegangen werden, dass Nahverkehrsstrecken ohne Zustimmung der DB Netz AG nicht anderen Verkehrsunternehmen überlassen werden können. Das Gleiche gilt für den Neu- und Ausbau von Schienenstrecken, so dass man davon ausgehen kann, dass die Infrastruk- turverantwortung unverändert bei der DB AG liegt. Das diesbezügliche Verhalten der Bahn wird, wie bereits dargelegt, in juristischer Hinsicht mit der Tatsache begründet, dass der Bund bisher nur als mittelbarer Eigentümer aufgetreten ist. Im Rahmen der Bahnreform sind die dafür notwendigen Zuständigkeiten zwar neu geregelt worden, allerdings hinsichtlich der Anwendung nur unzureichend. In Art. 87e Abs. 4 GG 472 heißt es hierzu: „Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbeson- dere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisen- bahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das 469 Vgl. Eilwange und Hamelbeck (1989), S. 5. 470 Das Projekt ‘Stuttgart 21’ soll eine Pilotfunktion für weitere Projekte übernehmen, in deren Mittel- punkt das Ziel steht, die Bahnhöfe aus ihrem „Schattendasein“ durch privatwirtschaftliche Finan- zierung zu führen. Durch Verlagerung des heutigen Kopfbahnhofes auf einen unterirdischen Durchgangsbahnhof und durch Verlagerung der Zulaufstrecken sollten 48 Hektar bebaubare Fläche im Stadtzentrum von Stuttgart entstehen. Vgl. Arnoldi (2000). 471 Vgl. Eilwange und Hamelbeck (1989), S. 5. 472 Der entsprechende GG-Artikel wurde in Anbetracht seines Basischarakters bereits in den Kap. 3.2.2.1 f. sowie 4.2 kurz umrissen, ohne jedoch auf das Bund-Länder-Spannungsfeld detaillierter einzugehen. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 211 Nähere wird durch das Bundesgesetz geregelt.“ 473 Entsprechend ihrer Interessenlage interpretieren die Länder diesen Wortlaut dahingehend, dass die Einschränkung nur für die Verkehrsangebote im Schienenpersonennahverkehr gilt und der Ausbau und Erhalt des Schienennetzes unverändert Sache des Bundes ist. Der Bund dagegen vertritt die Auffassung, dass dies insbesondere für das Schienennetz mit überwiegender Nutzung für den SPNV gelte. Die Finanzverantwortung für die Schieneninfrastruktur liege in diesem Fall bei den Ländern. Diese tragen derzeit auch über ihre Bestellerfunktion in Bezug auf den SPNV das Hauptrisiko für die Nutzung der Schieneninfrastruktur, weil sie weder Leistung noch Kosten des Infrastrukturunternehmens der DB Netz AG beeinflussen können. Der Bund übernimmt lediglich bei der Finanzierung der regionalen Schieneninfrastruktur die Hauptlast. Für die Länder ist diese Situation als Aufgabenträger unbefriedigend und schadet dem Bahnverkehr in der Region. Abhilfe könnte hier die vollständige Risiko- übernahme und damit die Verantwortung für Investitionen durch den Bund schaffen. Bezogen auf den SPNV hängt die Regionalisierung davon ab, wie die Länder die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden gesetzlichen Bestimmungen umsetzen und auf welcher Ebene die Aufgabenträgerschaft angesiedelt wird. Da das Regionalisierungs- gesetz des Bundes dies nicht festlegt, aber mit den Transfermitteln des Bundes insbe- sondere den SPNV finanzieren will, ist hier eine gewisse Konfliktsituation vorpro- grammiert. 474 Zudem dürfen die Länder und Kommunen nach ihrer Wahl Unternehmen mit der Wahrnehmung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben beauftragen und können SPNV durch Straßenpersonenverkehr ersetzen. Müller und Wolf 475 vertreten die Auffassung, dass eine vollständige Übertragung der Infrastrukturverantwortung auf die Länder die sachgerechtere Lösung wäre, was bein- halten würde, dass die Mittel für Schienenwegeausbaumaßnahmen, die bisher in der Zuständigkeit des Bundes liegen, den Ländern einschließlich der Verantwortung für Qualität und Kosten der Schieneninfrastruktur zugeordnet werden. Dies würde die Hemmschwelle für Investitionen in die Infrastruktur senken und wirtschaftliche Ge- sichtspunkte deutlicher in die Entscheidungsprozesse einbeziehen. Die Autoren ver- weisen in dem Zusammenhang auf weitere Schwachstellen der gegenwärtigen Situation im Bereich der Schieneninfrastruktur: 1. Die umfassenden Zuständigkeiten innerhalb der DB AG (als Muttergesellschaft) einschließlich der Weisungsgebundenheit für die DB Netz AG (als Tochtergesell- schaft) erschweren eine sachgerechte Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung. 473 GG, geändert am 20.10.1997 (BGBl. I, S. 2470). 474 Vgl. Knieps (1995). 475 Vgl. Müller und Wolf (2002), S. 591 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 212 2. Anreize zur Erbringung verbesserter Leistungen für die Eisenbahninfrastruktur- unternehmen sind in den bisherigen Trassennutzungsverträgen nicht enthalten. 3. Ein Wettbewerb zwischen Infrastrukturunternehmen bei der Instandhaltung und dem Betrieb einer Strecke ist unter den gegebenen unterschiedlichen Finanzierungs- bedingungen zwischen bundeseigenen und nichtbundeseigenen Eisenbahninfra- strukturunternehmen nicht möglich. 4. Die Standards der Infrastruktureinrichtungen bei der DB AG entsprechen in der Regel nicht den Anforderungen, die heute in der Region notwendig wären. In der Folge resultieren überhöhte Kosten bei DB Netz AG und Bund. 5. Der Bund ist in einem Interessenkonflikt verhaftet, und zwar durch seine Stellung als Eigentümer der DB AG, als Vertreter eigener politischer Vorstellungen und als Finanzierungsorgan der Schieneninfrastruktur. Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen liegen bei der Schieneninfrastruktur auch auf der Ebene der politischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern und einer sinn- volleren Abstimmung hinsichtlich der Bestellung, Planung und Finanzierung. Bei der Lösung von regionalen Schieneninfrastrukturproblemen ist es seit der Bahnreform zu keiner leistungsgerechten und wirtschaftlich-strukturell tragfähigen Lösung gekommen. Vielmehr hat sich die Situation im Regionalverkehr weiter verschlechtert, da die DB AG derzeit dem Ausbau des Fernverkehrs eindeutig den Vorrang gibt. Bis heute erhält die DB Netz AG für Investitionen in den Bundesschienenweg vom Staat zinslose Dar- lehen nach dem Schienenwegeausbaugesetz (SchWAbG), die sie entsprechend der Ab- schreibungsdauer zurückzuzahlen hat. Allerdings sind in den letzten Jahren die zins- losen Darlehen zum überwiegenden Teil durch verlorene Zuschüsse ersetzt worden. Dies führt auch zu der grundsätzlichen Frage, welche Zielvorgaben für die Unterhal- tung, Wartung bzw. Entwicklung dieses Teilnetzes sinnvoll sind und wie diese in einen verkehrspolitischen Grundsatzrahmen integriert werden können.476 Für die Vorhaltung von Nebenstrecken gelten gegenwärtig noch folgende Grundsätze: • Vorhaltung zur Erschließung, • mit Teil- oder Grenzkostendeckung sowie • Finanzierung einschließlich Investitionsförderung. Das regionale Eisenbahnnetz dient dabei nicht nur der Erschließung der Fläche, um gleichwertige Lebensbedingungen abseits der Ballungszentren zu gewährleisten, son- dern räumt auch der Bahn die Möglichkeit ein, ihre Verkehrsanteile weiter auszudeh- nen. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Vollkostendeckung durch die Nutzer der Strecken nicht erreicht werden. Eine solche Einschätzung wird im Übrigen – von 476 Vgl. Zimmer (2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 213 manchen Entscheidungsträgern hier zu Lande einmal abgesehen – bereits in ganz Europa geteilt. Auch in Deutschland ist somit eine Finanzierung von Investitionen aus dem laufenden Betrieb unmöglich, weil dafür im Gegensatz zu den heute bestehenden Trassenentgelten von 3,50 EUR/Zgkm ein Betrag von 12,00 EUR/Zgkm für Nebennetze kalkuliert werden müsste. Der Differenzbetrag resultiert insbesondere aus den dann höher anfallenden Kapitalkosten, die sich wiederum zu einem erheblichen Teil aus Zinszahlungen ergeben. Folglich ist es nach wie vor sinnvoll, einen hohen Anteil der Baukosten direkt zu subventionieren. 477 Die Finanzierung des Streckennetzes würde sich beispielsweise so kalkulieren lassen, dass den Ländern das regionale Netz zu einem bestimmten Preis überlassen wird, der so bemessen sein müsste, dass damit der Gesamtsituation der Strecke hinreichend Rech- nung getragen wird. Ein Berechnungsschema wäre hier die Verzinsung des aufgewendeten Kapitals für die Erstellung und die Instandsetzung des Streckennetzes. Die laufende Wartung wäre Sache des Betriebsunternehmens. Dies würde bedeuten, dass für all jene, die z.B. den Zuschlag für den Betrieb einer regionalen Strecke für den SPNV erhalten, ein ungehin- derter, diskriminierungsfreier Zugang zum Netz gewährleistet wäre. Eine mögliche Verödung von bestimmten Regionen durch Streckenstilllegungen aus Kostengründen kann zwar auch bei Trennung von Netz und Betrieb nicht verhindert werden, aber hier besteht immerhin die Möglichkeit, über eine erneute Ausschreibung gegebenenfalls andere Verkehrsunternehmen für den Betrieb zu gewinnen. Insgesamt sollte im Hin- blick auf Wettbewerbsneutralität und Vergleichbarkeit mit dem Straßennetz bei der Festlegung der Rechnungsgrundlagen darauf geachtet werden, dass die Bemessungs- grundlagen analog den Kosten für das Straßennetz ermittelt werden. 478 4.3.2 Infrastruktur und Trassenvergabe: Spezifische Fragen und ihre Bewertung In der gegenwärtigen Situation ist die DB Netz AG Eigentümerin praktisch der gesam- ten Schieneninfrastruktur (Nah- und Fernverkehr ohne Straßenbahnlinien, U-Bahnen etc.) und entscheidet somit über Fragen des Baus, Aus- oder Rückbaus von Schienen- wegen. Lediglich in Ausnahmefällen mit volumenmäßig geringer Bedeutung befinden sich einzelne Strecken im Eigentum anderer, privater Organisationen, welche dann natürlich selbst hinsichtlich der Baumaßnahmen bei ihren (eigenen) Trassen bestimmen. Ausgenommen von dem „Eigentumsprivileg“ der DB Netz AG sind ferner werkseigene 477 Angaben gemäß Zimmer (2003). 478 Vgl. Aberle und Engel (1992). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 214 Bahnbetriebe großer Unternehmen mit nicht-öffentlichem Schienennetz (z.B. Werks- schienennetz der Volkswagen AG). Die Infrastrukturkosten (Trassennutzung) werden gemäß verschiedener Parameter fest- gelegt. Als „Trassenpreis“ bezeichnet man das von einem EVU an das die Infrastruktur betreibende Unternehmen, überwiegend also die DB Netz AG, dafür zu zahlende Ent- gelt, mit einem bestimmten Zug auf einem bestimmten Gleisabschnitt in einem genau spezifizierten Zeitrahmen fahren zu können. Die den Preis bestimmenden Faktoren sind dabei: 479 • die sog. „Streckenbelastungsklasse“ (d.h., mit welcher Geschwindigkeit und welchem Gewicht die Trasse belastet werden darf); • der Takt (also die Häufigkeit der Nutzung innerhalb einer bestimmten Zeit, z.B. einer Stunde oder eines Tages); • der Zug-Typ (Personenverkehr, Güterverkehr); • die Trassencharakteristik (elektrifiziert oder nicht). Für die vorliegende Untersuchung sind insbesondere der Takt und der Elektrifizierungs- status relevant, da der Zug-Typ für den SPNV ohnehin vorgegeben ist (Personenzüge) und zumeist auch keine höheren Geschwindigkeiten erreicht werden. Eine weitere Dif- ferenzierung des Trassenpreises nach topographischen Gegebenheiten erfolgt nicht (siehe hierzu auch Modellabschnitt 4.8.); allerdings kann in speziellen Fällen ein Sicherheitszuschlag vom Netzbetreiber verlangt werden (z.B. Risikozuschlag bei Dampflokomotiven, u.a. wegen möglicher Brandgefahr). Hinsichtlich der Bewertung der spezifischen Fragen zur Infrastruktur und Trassen- vergabe muss geschlussfolgert werden, dass eine wirkliche Trennung von Infrastruktur- unternehmen und EVU nicht stattfindet: Die DB Netz AG ist der dominante Infrastruk- turanbieter, und gleichzeitig wird ein Großteil des EVU-Betriebes ebenfalls unter dem Dach der DB-Holding ausgeführt. Insofern kann letztlich keine wirkliche Netz-Betriebs- Unabhängigkeit bestehen, und es muss – ungeachtet der gesetzlichen Regularien – der Bewertung von Eisenkopf zugestimmt werden, dass die DB AG „subtil, gelegentlich mit einer gehörigen Portion politischen Drucks“ Interessen „ihrer“ Holdingunternehmen (hier: DB-EVUs) vertritt. 480 479 Angaben gemäß www.bahn.de (Verlinkung Konzern>Fahrweg>Trassenpreissoftware/Trassenpreise), Stand: März 2004. 480 Vgl. Eisenkopf (2004), S. 43. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 215 4.3.3 Potenziale zur Vermarktung des Schienennetzes Die Klärung der Vermarktung des Schienennetzes ist insofern relevant, da hieraus zwangsläufig Effekte auf den Fahrbetrieb resultieren. Ausgehend von den Vorstellungen des Eigentümers sollten zunächst die Ziele definiert werden, nach denen ein eigenstän- diges Netz zu betreiben ist. In finanzieller Hinsicht kann dabei das Ziel im SPNV für den Bund nur auf eine Minimierung des Zuschussbedarfes ausgerichtet sein. Unter ver- kehrspolitischen Gesichtspunkten müsste allerdings das Ziel eine Aufgabenteilung („Interessenausgleich“) zwischen den Verkehrsmitteln und der Daseinsvorsorge sein, was wiederum eine Ausbau- und Modernisierungsverpflichtung beinhaltet. 481 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit der sektorspezifischen Regulierung in Form von bestreitbaren Märkten in bisher monopolistisch beherrschten Netzindustrien die Einlei- tung von Wettbewerb erleichtert wird. 482 Unverzichtbar ist dabei die Einführung eines unabhängigen Trassenmanagements. Ohne eine mit entsprechender Durchsetzungs- macht ausgestattete Regulierungsbehörde könnte dieser Wettbewerb, also die Netzöff- nung für Konkurrenten, allerdings kaum gegenüber einem monopolistischen Infra- strukturbetreiber durchgesetzt werden, wobei allerdings zu bedenken ist, dass beim SPNV der Wettbewerb beim Schienennetz infolge der Ausschreibung der Nahverkehre nur zeitlich begrenzt möglich ist. Im Hinblick auf die Abwicklung von SPNV wäre es in diesem Zusammenhang auch überlegenswert, ob die Schaffung entsprechender Unterbehörden des Eisenbahnbundes- amtes oder die Einrichtung ländereigener Behörden eine sinnvolle organisatorische Regulierungslösung bieten. Folglich wäre es auch nicht notwendig, dass das gesamte Schienennetz beim Bund verbleibt. Analog der Regionalisierung im Schienenbetrieb müsste die Infrastrukturverantwortung für den SPNV auf die Länder übergehen. Gleich- zeitig sind dann die Mittel für Schienenwegeausbaumaßnahmen, die bisher in der Zu- ständigkeit des Bundes liegen, den Ländern zuzuordnen, die zusätzlich die Verantwor- tung für Qualität und Kosten der Schieneninfrastruktur übernehmen. Die entsprechen- den Maßnahmen könnten dann im Rahmen von Rationalisierungsüberlegungen mit ver- einfachten Standards dezentralisiert weiter betrieben werden. Daraus sollte sich zumin- dest eine Minimierung des Zuschussbedarfs ergeben. Die konkrete Umsetzung stellt allerdings eine genuin politische Aufgabe dar. Im Hinblick auf die Regionalisierung des ÖPNV wäre eine Länderlösung auf jeden Fall die stringenteste Lösung. Es besteht aber auch die Möglichkeit, den Bau und die Vermarktung der Infrastruktur privaten Unternehmen zu überlassen. Die dafür erforderlichen Investitionen könnten, ähnlich den Vorgaben beim Bau von privaten Autobahnabschnitten in verschiedenen EU-Ländern, durch Gründung entsprechender Gesellschaften aufgebracht werden. 481 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMVBW (2002), S. 263 ff. 482 Vgl. Eisenkopf (2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 216 Grundvoraussetzung dafür dürfte allerdings sein, dass das Investitionsobjekt uneinge- schränkt vermarktet werden kann. Eine derartige Handhabung käme daher für wenig ausgelastete Strecken vermutlich weniger zum Tragen, da diese Vorgehensweise, wenn überhaupt realisierbar, zu noch höheren Defiziten führen dürfte. Geht man von den immensen finanziellen Aufwendungen aus, die mit dem Bau und dem Unterhalt der Infrastruktur verbunden sind, und berücksichtigt ferner die Tatsache, dass die gesetzlich festgelegten Wegekosten nicht kostendeckend sind, dürfte sich für diese Alternative vermutlich nur schwerlich ein privater Investor und Betreiber finden. Die in jüngster Zeit in anderen Netzbereichen von Kommunen realisierte Sale-and- lease-back-Vorgehensweise, nämlich der Verkauf an private Investoren, kann im Bahn- bereich ebenfalls nicht als geeignete Lösung angesehen werden, da hier ebenfalls die Gewinnerzielung im Vordergrund steht, die dann zu Lasten von Instandhaltung und Neuinvestitionen gehen würde. Bei einem unabhängigen Infrastrukturunternehmen besteht zudem die Gefahr, dass es nur eigene, vom Betrieb der Bahn isolierte Ziele verfolgt und damit das System Bahn im Ganzen gefährdet. 483 Eine „Stückelung“ des Streckennetzes i.S. einer Übertragung des Netzes auf viele Betreiber wäre technisch zwar durchaus möglich, würde aber wirtschaftlich nur im SPNV Sinn machen, da ansonsten ein einzelner Infrastrukturbetreiber ohne den/die anderen Netzbetreiber bzw. andere Netzabschnitte nicht „leben“ könnte. Das Netz ist insofern nur als technische Einheit konzipierbar. Mithin zeigen sich hier auch die orga- nisatorischen Zugangsschwierigkeiten des Trassenmarktes. Will man das Schienennetz allen potenziellen Verkehrsunternehmen öffnen, müsste bereits zu Beginn des Ver- marktungsvorgangs ein entsprechender Nutzungsplan vorliegen, der dem jeweiligen Nutzer die entsprechende Trasse verbindlich zusagt. 484 Damit ist aber auch der entscheidende Wettbewerbsnachteil der Bahn in Bezug auf Flexibilität gegenüber der intermodalen Konkurrenz gegeben. Aufgrund der speziellen Fahrplanstruktur im SPNV vermindern sich zusätzlich die Streckenkapazitäten. Deshalb ist eine genaue Bestim- mung und Nachkontrolle sämtlicher Zugangskriterien bei einem freien Handel mit Zutrittsrechten notwendig. Allerdings wird nicht zu verhindern sein, dass weder das betroffene Unternehmen noch die entsprechende Aufsichtsbehörde aufgrund asym- metrischer Informationsverteilung die Einhaltung diskriminierungsfreier Zugangskri- terien erfassen können. 485 Die derzeit gültige Rechtslage kann sich als weiteres Hindernis herausstellen, weil bei jedem Betreiberwechsel erneut die technische Kompetenz zu überprüfen ist, da diese implizit Vertragsgegenstand ist. Dieser Einwand dürfte durch den erforderlichen Sach- kundenachweis gegenüber der Trassenagentur und angesichts einer zu erwartenden 483 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMVBW (2002), S. 263. 484 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 39. 485 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 43 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 217 Vertragsdauer von mindestens zehn Jahren hinfällig sein. Ferner sollten die Verkehrs- unternehmen auf Strecken mit Nachfrageüberhang entweder zum Betrieb oder aber auch zur Rückgabe der Strecke gezwungen werden können. Diese Regelung würde dazu füh- ren, dass kein Verkehrsunternehmen aus taktischen Gründen Strecken blockieren kann. Die Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV) trägt dem dadurch Rech- nung, dass in diesem Fall das Infrastrukturunternehmen innerhalb eines Monats nach Vertragsabschluss den Vertrag wieder kündigen kann. 486 Will man die in England mit der Privatisierung des Schienennetzes gemachten negati- ven Erfahrungen verhindern, sollte der Bund bzw. das jeweilige Bundesland aber auch die Aufgabe der Trassenvergabe selbst übernehmen. Diese Lösungsmöglichkeit scheint nahe liegend, weil nur damit ein diskriminierungsfreier Zugang zum Schienennetz für alle Betreiber gewährleistet werden kann, soweit diese die Zulassungsvoraussetzungen zum Schienenverkehr erfüllen. Selbst eine vom Betrieb losgelöste staatliche (öffent- liche) Netzlösung stellt selbst dann keine interventionistische Vorgehensweise im enge- ren Sinne dar, da der Staat unter den gegebenen Voraussetzungen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Betreiberfirmen nehmen kann, denn seine Rolle beschränkt sich hier nur auf die Zulassungsbedingungen zum Betrieb. Nicht befriedigen kann die derzeit noch gültige Einbindung des Schienennetzes in die DB AG, weil dies einer effizienten Vermarktung der Trassen entgegensteht. Durch die Öffnung der Eisenbahnnetze für Dritte entstehen damit Konfliktfelder, deren Beseiti- gung sich mit einem organisatorisch in den Bahnbetrieb eingebundenen Schienennetz nicht bewältigen lassen. 487 4.4 Organisatorische Gesichtspunkte zu den technologischen Besonderheiten von Netz und Betrieb und ihre Auswir- kungen auf den Wettbewerb 4.4.1 Vertikale Integration versus vertikale Desintegration Die institutionelle Trennung von Netz und Betrieb wird überwiegend als Grundvoraus- setzung für Wettbewerb auf den Schienenwegen angesehen. Dies gilt auch im Rückgriff auf bisher vertikal integrierte Verkehrsunternehmen wie z.B. hinsichtlich der Integration von DB AG und DB Netz AG (Holding-Struktur). 486 Vgl. § 4 Abs. 7 EIBV. 487 Vgl. Aberle und Engel (1992), S. 174 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 218 Gegenwärtig besteht zwischen Netz und Betrieb in Deutschland ein vertikal integrierter Zusammenschluss, wie sich am Beispiel der DB AG und DB Netz AG verdeutlichen lässt. 488 Durch geeignete Maßnahmen ließe sich unter Verzicht auf eine Desintegrationsstrategie, also unter Beibehaltung der derzeitigen Ausrichtung, gleich- wohl das Interesse des bisherigen Netzmanagements dafür gewinnen, zusätzliche Geschäfte einzugehen, wenn dadurch die Auslastung der Strecke und das Betriebs- ergebnis verbessert werden kann. Entsprechend der Marktsituation könnte hier eine all- gemeine Preisniveauregulierung genügen, um einen Netzinhaber, der unverändert als Monopolist auftritt, zu disziplinieren. Dafür würde die Einführung des so genannten ‘Price caps’ genügen. Dieses Verfahren zur Begrenzung der Preisentwicklung wäre für den Infrastrukturmonopolisten ein Anreiz für Effizienzsteigerungen, da er durch lang- fristige Festlegung von Preisen die Möglichkeit besitzt, entsprechende Rationalisie- rungsmaßnahmen einzusetzen und damit seine Ertragssituation zu verbessern. Eine zusätzliche Möglichkeit, die Zugangsgebühren zum Schienennetz zu regulieren, kann mittels des als ‘Efficient Component Pricing Rule (ECPR)’ bekannt gewordenen Verfahrens gesehen werden, wobei allerdings strittig ist, ob hier überhaupt eine Regu- lierung stattgefunden hat (siehe auch Abschnitt 2.1.2). 489 Ausgangspunkt der ECPR- Regel ist die Effizienzwirkung, die im nachgelagerten Markt eintritt, d.h. der Eintritts- preis muss so hoch sein, dass ein Eintritt in den Markt nur dann erfolgt, wenn dieser tatsächlich effizient ist. Den Eintritt von Wettbewerbern in nachgelagerte Märkte wird ein Bottleneck-Betreiber aber nur dann bejahen, wenn deren Zugangsgebühren seine entgangenen Erträge ausgleichen. Ausgangspunkt einer ECPR-Betrachtung ist dabei der Endproduktpreis und nicht die zugrunde liegenden Kosten, weil hier unterstellt wird, dass dieses Unternehmen beide Ebenen bedient. Diese Regulierungsmethode führt zwar zu einer Minimierung der Diskriminierungsanreize und der produktiven Ineffizienz, andererseits verbleiben als Nachteil allerdings das Monopolergebnis und damit die allo- kative Ineffizienz. 490 Fraglich erscheint auch, ob dieser Referenzfall für die Praxis zuverlässig ist, weil die angenommene Nichtdiskriminierung des Downstream-Wett- bewerbers schwerlich vorstellbar ist. Eine weitere Regulierungsanwendung der ECPR stellt die ‘global price cap-Regel’ dar. Die Endproduktpreise lassen sich danach mittels eines ‘Price Cap’ (Begrenzung des Preises) regulieren, wonach dann die Zugangsgebühren, ausgehend von ECPR, zwischen den Unternehmen ausgehandelt werden. Mit der ‘global price cap’ werden die auf dem Markt vorhandenen Gewinne auf einer niedrigeren Basis festgesetzt als in unregulierten Fällen. Der Upstream-Monopolist ist dann in der Lage, mit Hilfe von ECPR alle im regulierten Markt vorhandenen Renten durch die Zugangsgebühren auf der Upstream-Ebene zu erzielen. Er wird daher keinen Anreiz verspüren, den 488 Vgl. Eisenkopf (2003). 489 Vgl. Baumol et al. (1996) sowie Baumol und Sidak (1994). 490 Vgl. Brunekreeft (2003), S. 30 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 219 Downstream-Markt für Wettbewerber zu schließen. Der schwerwiegende Nachteil ist bei Anwendung dieser Regel darin zu sehen, dass die im Markt vorhandenen Gewinne, insbesondere im SPNV, wo ja letztlich keine nachhaltigen Gewinne anfallen, geringer sind, so dass durch die End-to-end-Regulierung auch Bereiche betroffen sind, die keiner Regulierung bedürfen, da sie wettbewerbsfähig sind. Die regierungspolitische Alternative sind Verpflichtungen der Netzinhaber, anderen Netzinhabern oder Verkehrsbetrieben ohne eigenes Schienennetz symmetrischen und diskriminierungsfreien Streckenzugang zu ermöglichen. 491 Dadurch will man Wett- bewerb auf vor- oder nachgelagerten Märkten ermöglichen. Im Zuge der sechsten Novelle mit § 19 Abs. 4 S. 4 GWB wurde ein allgemeiner Netzzugangstatbestand einge- führt, der sich auch in den spezialgesetzlichen Regelungen für die Netzindustrien wieder findet. Dabei wird auf Verhandlungen zwischen den Beteiligten gesetzt. Dadurch ergeben sich aber für die Netzmonopolisten wiederum Anreize zur Diskriminierung von potenziellen Konkurrenten auf der Betriebsebene, weil diese in Konkurrenz zu der eigenen Betriebsgesellschaft stehen. Durch die Beauftragung einer Regulierungsinstitution könnte durch entsprechende Maßnahmen der symmetrische und diskriminierungsfreie Netzzugang zusätzlich garan- tiert werden. Hierfür kann eine spezifische Regulierungsbehörde beauftragt werden, wie z.B. in der Telekommunikation bereits geschehen. Sie reagiert nicht nur bei Verstößen gegen Wettbewerbsbeschränkungen, sondern übernimmt auch Genehmigungs- und Überwachungsaufgaben. Diese Regulierungsbehörde führt nicht nur den politischen Willen der Regierung aus, sondern ist selbst Auftraggeber im Verhältnis zu den regu- lierten Unternehmen. Diese Lösung hat sich in der Telekommunikationsbranche zwar im Grundsatz bewährt, phasenweise waren jedoch auch erhebliche Irritationen bei der Informationsübermittlung und bei der Zulassung neuer Anbieter zu verzeichnen. 492 Bei der vertikalen Desintegration ermöglicht ein unabhängiges Netzunternehmen ohne eigenen Betrieb potenziellen Anbietern von Schienenverkehr einen ungehinderten Netz- zutritt. Dabei ist es nicht zulässig, dass Weisungen oder sonstige organisatorische Beziehungen zu früheren verbundenen Betriebsgesellschaften bestehen bzw. diese „bevorzugt“ werden. Der dafür notwendigen eigentumsrechtlichen Ausgestaltung kommt daher eine besondere Bedeutung zu, unabhängig davon, ob die Netzgesellschaft im staatlichen oder privaten Eigentum steht. Denn auch bei einer Privatisierung können die damit einher gehenden Beschränkungen der Nutzungsrechte im Rahmen der Über- nahmeverhandlungen mit berücksichtigt werden. 493 491 Vgl. Eisenkopf (2003). 492 Vgl. hierzu bspw. Schatz (2000), Frühbrodt (2002). 493 Hiervon zu unterscheiden wäre die heutzutage eher hypothetische Situation, dass Schieneninfrastrukturen von privater Hand ohne öffentliche Investitionen gebaut würden und erst nach erfolgtem Aufbau die Regulierungsauflage einer strukturellen Separierung erfolgte. Hier wäre in der Tat zu fragen, ob nicht weniger tiefgreifende Regulierungsmaßnahmen zur Disziplinie- 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 220 Bisher wurde das gesamte Schienennetz in Deutschland von der DB Netz AG zentral verwaltet. Diese Stellung als ein fast vollständiger Netzmonopolist hat zwei gravierende Nachteile: • Zum einen wird durch diese Monopolstellung kein Wettbewerbsdruck auf die DB Netz AG ausgeübt, der sie zu effizienter Arbeit zwingen würde. Durch die Stellung der DB als quasi öffentliches Unternehmen mit gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung standen bisher immer noch die entsprechenden Haushaltsmittel zur Verlustab- deckung zur Verfügung. Dadurch gibt es intern eher wenig Anreize zu Kostenein- sparungen. • Zum anderen führt die zentrale Verwaltung des gesamten Netzes aber auch zu einer geringen Marktnähe bei Regional- und Lokalstrecken. Dies zog wiederum einen großen und kostspieligen Verwaltungsapparat nach sich. Dadurch sind die wenig genutzten Nahverkehrsstrecken relativ teuer geworden und weisen einen geringen Kostendeckungsgrad auf. 494 Viele Eisenbahnstrecken können daher von der DB Netz AG nicht mehr mit ausreichender Wirtschaftlichkeit betrieben werden. "Aus- reichend" ist dabei so zu verstehen, dass die öffentlichen Besteller des SPNV Defi- zite tragen. Diese Problematik einer nahezu monopolistischen Netzbereitstellung ließe sich auf- lösen, wenn man die vertikale Desintegration als alternatives Bereitstellungsmodell für die Eisenbahninfrastruktur umsetzen könnte. Dagegen mag der Einwand erhoben werden, dass zunächst – isoliert betrachtet – jede Bahnstrecke ein natürliches Monopol darstellt. 495 Die Frage, ob mit der Zulassung paralleler Linien eine gleichsam ‘natürliche’ Monopol- situation (Aufrechterhaltung von Marktzutrittsschranken, keine kostenoptimale Situa- tion) verhindert werden kann, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Zunächst ist fest- zustellen, dass es bei hinreichend großer Nachfrage durchaus rentabel sein kann, parallele Linien oder Netze neu zu errichten, wie dies zumindest der ICE-Verkehr auf einer eigenständigen Trasse zeigt. Eine allgemeine Folgerung kann daraus jedoch nicht gezogen werden, denn eine unmittelbare Vergleichsmöglichkeit ist in der Regel nicht gegeben (etwa bei einer Kontrastierung von Schnellverkehrstrassen für den Fernverkehr und Regionalverkehrsnetzen für den SPNV, auf denen langsamer gefahren wird). Auch die aktuelle Vergleichsmöglichkeit zwischen teilweise annähernd parallel verlaufenden Trassen auf der Strecke Köln-Frankfurt/Main wird dadurch eingeschränkt, dass es sich rung von Marktmacht angebracht wären, um eine partielle Enteignung durch ex post-Nutzungs- beschränkungen zu vermeiden. 494 Vgl. Blesik und Munzert (2001), S. 213 ff. 495 Diese Monopolstellung wird allerdings durch intermodale Konkurrenz beschränkt, da bei zu hohen Wegekosten die Nachfrager sich möglicherweise anderen Verkehrsmitteln zuwenden könnten und der Betrieb ganz aufzugeben wäre. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 221 in einem Fall um eine innovative Hochgeschwindigkeitsstrecke mit deutlicher Zeit- ersparnis (Fahrzeit ca. 70 Minuten), aber ebenso deutlicher Fahrpreiserhöhung, und in dem anderen Fall um eine „konventionelle“ Intercity-Strecke handelt (Fahrzeit ca. 2 Stunden). Schlussfolgerungen hinsichtlich einer Verminderung natürlicher Monopole sind insoweit nicht evident. 496 In einem weitergehenden Entwurf zum vertikal integrierten monopolistischen Eisen- bahnunternehmen ist sogar vorgesehen, die Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebe- nen von Eisenbahnsystemen zu trennen. 497 Dabei wird über die übliche vorgeschlagene Trennung von Netz und Betrieb hinausgegangen und eine zusätzliche Trennung von Netz und Zugüberwachung vorgeschlagen. Diese strukturelle Trennung bedeutet eine erhebliche Nutzungseinschränkung der Eigentumsrechte, ist aber insofern kein Argu- ment, solange sich Netz und Überwachungssysteme im staatlichen Eigentum befin- den. 498 Da durch die institutionelle Trennung von Netz und Betrieb die Möglichkeiten einer horizontalen Koordination oder Kooperation gefördert werden, steht als einziger ernst zu nehmender Nachteil der mögliche Verlust von Verbundvorteilen im Raum. Auch wenn eine vertikale Desintegration der zwei Ebenen aus technischer Sicht mög- lich ist, verbleibt die Frage nach zusätzlichen Koordinationskosten, die durch vertikale Desintegration im Sinne eines Wegfalls von Verbundvorteilen auftreten. Das Ergebnis dieser Überlegungen ändert sich dann, wenn man nicht einzelne Strecken, sondern das gesamte Streckennetz, mit der ganzen Vielzahl der verknüpften einzelnen Schienennetze, betrachtet. Geht man von der traditionellen und im Prinzip richtigen Annahme aus, dass die Verknüpfung einzelner Strecken zu einem Gesamtnetz Ver- bundvorteile (verringerte Koordinationskosten) ergibt und ein einziges Netz sinnvoller erscheint als mehrere, könnte es im speziellen Fall des SPNV durchaus sinnvoll sein, das Gesamtnetz unter mehreren Infrastrukturbetreibern aufzuteilen, wenn dadurch weiter die Verknüpfung zu einem Gesamtnetz sicher gestellt ist und die Verbundvorteile im Wesentlichen erhalten bleiben. Bereits Anfang der 1990er Jahre wurde eine andere Variante, nämlich die der Netztrennung nach Verkehrsarten, diskutiert. llgmann und Miethner schlugen drei von unterschiedlichen Betreibern getragene Parallelnetze vor, die jeweils dem Hochgeschwindigkeitspersonenverkehr, dem langsameren Personen- verkehr und damit dem SPNV und schließlich dem Güterverkehr dienen sollten. 499 Hier wäre einzuwenden, dass angesichts der hohen Bahnverkehrsdichte, die bereits in Deutschland besteht, ein weiteres Netz wirtschaftlich nicht zu vertreten wäre. 496 Bei parallelen Netzen auf Regionalstrecken müsste im Übrigen theoretisch dieselbe Anzahl von Zügen die doppelte Höhe an Fixkosten erwirtschaften. Dies würde die Kosten pro Zugfahrt natür- lich erheblich verteuern. Dieser Effekt wird als „economies of fill“ bezeichnet und erfasst die Auslastungsvorteile. Vgl. Wieland (1985), S. 2. 497 Vgl. Knieps (1996), S. 37 ff. 498 Vgl. Knieps (1996), S. 37. 499 Vgl. Ilgmann und Miethner (1992), S. 203 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 222 Selbst wenn die Anbieter von Eisenbahnverkehr nicht direkt für die Infrastruktur ver- antwortlich sind (was zudem auch in einem vertikal integrierten System aufgrund der Kompetenzverteilungen auf unterschiedliche Abteilungen nicht garantiert ist), haben sie wegen des Wettbewerbsdrucks ein erhebliches Interesse an hoher Trassenqualität und an effizienter Zugüberwachung. Zu bedenken ist auch, dass es zwischen den verschiedenen Ebenen des Eisenbahn- systems partielle Substitutionsbeziehungen gibt, auch wenn diese zueinander komple- mentäre Funktionen erfüllen. Durch die Entwicklung von intelligenten Zugüber- wachungssystemen (siehe oben) können die Kapazitäten bestehender Schieneninfra- strukturen erhöht werden. Durch die Entwicklung von speziellen Zügen (Neigezüge, z.B. Pendolino) wiederum kann die Begradigung von Schienenwegen in kurvenreichen Gebieten vermieden werden. Diese Substitutionsbeziehung rechtfertigt trotzdem keine vertikale Integration von Eisenbahnsystemen. Spezifische Leistungsmerkmale von Zügen lassen sich auch durch die Festlegung geeigneter Standards gewährleisten. Zusätzliche Belastungen der öffentlichen Hand durch Infrastruktursubventionierungen können dabei durch die Erhebung von Wegekostengebühren vermieden werden. 4.4.2 Integration und Desintegration: Fazit Bei Desintegrations- versus Integrationsstrategien im Hinblick auf Bahnstreckennetze geht es immer auch um das Problem von Unteilbarkeiten, die aufgrund technischer Gegebenheiten nur begrenzt variierbar sind und deshalb für staatliche Eingriffe sprechen. 500 Unteilbarkeiten führen in der Regel zu einer Konzentration auf dem betref- fenden Markt und enden im Extremfall bei einem so genannten „natürlichen Monopol“. Dieses beinhaltet wiederum die Gefahr, dass die Marktgegenseite durch willkürlich festgesetzte Preise benachteiligt wird. Die einfachste und zweckmäßigste Lösung wäre im Gegensatz zu Laaser 501, die DB Netz AG aus der DB auszugliedern und das ausgegliederte Unternehmen im Bundes- bzw. für das regionale Schienennetz im Län- dereigentum zu belassen. Dies wäre der Lösung vorzuziehen, das Netz einem oder meh- reren privaten Betreibern zu überlassen, wobei letztere unrealistisch wäre. Wie inter- nationale Erfahrungen zeigen, besteht bei der Netzüberlassung an einen privaten Betrei- ber immer eine zu große Gefahr, dass ausschließlich nach Gewinnmaximierungsprinzi- pien gehandelt wird. Darüber hinaus lässt sich die Position für eine staatliche Netz- lösung auch durch die staatliche Verpflichtung zur Daseinsvorsorge zumindest theore- tisch begründen. 500 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 180 ff. 501 Vgl. Laaser (1991), S. 247. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 223 Nicht ohne Grund plädiert daher auch die Pällmann-Kommission für eine konsequente, d.h. auf der Unternehmensebene sich niederschlagende Trennung von Netz und Be- trieb. 502 Diese präferierte bundesstaatliche Netz-Lösung schließt keineswegs aus, vorrangig für den SPNV genutzte Streckenbereiche den Ländern zu übertragen. In diesem Zusammenhang ist überlegenswert, ob die Schaffung entsprechender Unter- behörden des Eisenbahnbundesamtes oder die Einrichtung ländereigener Behörden die sinnvollste organisatorische Lösung dafür bieten würde. Im Hinblick auf die Regionali- sierung des ÖPNV wäre eine Länderlösung sicherlich eine konsequente Schlussfolge- rung. Diese vorgeschlagene Lösung zur Netz-Betriebs-Problematik ist daher weder eine ein- deutig wettbewerbliche, noch eine rein interventionistische Lösung, da weder Unter- nehmen noch der Staat alleinigen Einfluss auf die Gestaltung des Netzzugangs haben. Im Grunde handelt es sich ähnlich wie beim Straßennetz oder bei Wasserstraßen um eine Mischvariante, die das Netz für diejenigen Verkehrsunternehmen offen hält, die die Zugangsvoraussetzungen erfüllt haben. Laaser sieht mit der Zulassung von Wettbewerb im Schienennetz vor allem eine Chance dafür, dass einerseits „der Schienenverkehr produktiver gemacht und die Belastungen für den Bundeshaushalt abgebaut werden, die durch die bisherige Organisationsform der DB als im Netz monopolisiertes öffentliches Unternehmen entstehen“. Anderseits hofft der Autor, dass „Erkenntnisse darüber gewonnen werden, in welchem Umfang Schie- nenverkehr überhaupt noch rentabel betrieben werden kann (insbesondere im Rahmen eines wettbewerblich organisierten Gesamtverkehrsmarkts), wie als rentabel erkannte Kapazitäten des Schienenverkehrs besser ausgenutzt werden können und wo rentabel zu betreibende Neu- und Ausbaustrecken das Netz ergänzen müssten“. Weiter geht er davon aus, dass durch mehr Wettbewerb „eigenwirtschaftliche und gemeinwirtschaft- liche Aufgaben im Schienenverkehr besser voneinander getrennt werden“ können. 503 Andererseits zeigen aber ökonomische Analysen, dass wettbewerbliche Strukturen im infrastrukturellen Bereich v.a. bei der Eisenbahn auf größere Schwierigkeiten stoßen können. 504 Unter Wettbewerbsgesichtspunkten stellt sich die problematische Frage, ob es prinzipiell möglich ist, der oder den Betriebsgesellschaft(en) nach einer Trennung von Netz und Betrieb tatsächlich die entstehenden Wegekosten in Rechnung zu stellen oder wie weit diese Trennung gehen muss, damit dies möglich ist. Die Befürchtung, einer Betriebsgesellschaft DB würden überhaupt keine oder nur rudimentäre Wege- kosten abverlangt, wenn es nur zu einer formal organisatorischen Trennung käme, ist aufgrund einschlägiger Erfahrungen in der Vergangenheit und in Kenntnis der Intentio- nen der DB-Führung nicht von der Hand zu weisen. Wahrscheinlich wäre solch ein 502 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BMVBW (2000), „Pällmann- Bericht“, S. 48. 503 Vgl. Laaser (1991), S. 245. 504 Vgl. Laaser (1988), S. 57. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 224 Defizit aber nur so lange von Dauer, wie bei einer Betriebs-DB institutionell alles beim Alten bliebe. Wenn nach Übernahme oder Fahrwegverwaltung durch eine Netzträger- gesellschaft ausschließlich der restliche Betriebsteil der DB als Anbieter von Schienen- verkehrsleistungen auftreten würde und dieser auch keine Anstrengungen zu einer inter- nen Reorganisation unternehmen müsste, wäre in einem solchen Fall in der Tat zu be- fürchten, dass der von den Wegekosten befreite Rest der DB innerhalb kurzer Zeit auch im Betriebsbereich wieder Defizite machen würde. 505 Obwohl die Vorteile einer vertikalen Desintegration evident sind, hat sich diese bisher in keinem der Netzsektoren in Deutschland wirklich durchgesetzt. Ursache dafür ist bis heute das ‘Besitzstandsdenken’ der seitherigen Monopolanbieter und weniger der damit angenommene Verlust von vertikalen Verbundvorteilen. 506 In solch einer ‘Pfründesicherung’ liegt sicherlich auch einer der Gründe, warum im Bahnwesen eine Trennung von Netz und Betrieb seither in der politischen Willensbildung nicht konse- quent verfolgt wird. 507 Für den SPNV stellt sich – insbesondere in den ländlichen Räumen mit schwach fre- quentierten Nebenstrecken – die Frage, ob aufgrund der hohen Kosten für das Schie- nennetz bei teils mangelhafter Nachfrage nach Trassen eine eigene Infrastruktur vor- gehalten werden soll. Fehlen die entsprechenden Verbindungen zu anderen Schienen- abschnitten, bestehen in der Regel keine Möglichkeiten, die Auslastung durch andere Verkehre zu erhöhen. Auch die DB zeigt daher an vielen Strecken kein unternehme- risches Interesse mehr und bietet diese am Markt an. 508 Stellenweise wird hier erwartet, dass der Aufgabenträger die Verantwortung für den Infrastrukturbetrieb übernehmen muss, wenn der Schienenverkehr weitergeführt werden soll. Mit der Streckenabgabe ist jedoch nicht zugleich die Aufgabe des Schienenverkehrs verbunden. Gerade im SPNV könne man im Auftrage eines Aufgabenträgers Verkehrsverbindungen anbieten. 509 Um die damit verbundenen Schwierigkeiten zu mildern, billigt das AEG dem SPNV- Anbieter zwei Ausnahmen zu, wonach Eigenbetriebe sowohl als reine SPNV-Unter- nehmen als auch als reine Infrastrukturunternehmen weiterhin zulässig sind. Mittels Wettbewerb in Netzsektoren wird, wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch, zunächst das Ziel verfolgt, den Nachfragern nach Verkehrsleistungen kostengünstige Alternativen anzubieten. Dies bedarf einer Konkurrenzsituation im Dienstleistungs- bereich, ohne dass dadurch die Funktions- und die Leistungsfähigkeit der Netzinfra- 505 Vgl. DIHKT (1979), S. 9 ff., S. 151. 506 Vgl. Eisenkopf (2003). 507 Aberle (1992, S. 72) sprach in diesem Sinnzusammenhang auch von der „Privilegierung von Interessengruppen“ und verwies auf die Möglichkeit, dass bürokratische Instanzen verständlicher- weise den „Fortbestand regulatorischer Bestimmungen (z.B. Erhalt des eigenen Tätigkeitsbe- reichs)“ bevorzugen. 508 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 54. 509 Vgl. Dürr (1992), S. 33 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 225 strukturen gefährdet sind (Daher wird die institutionelle Trennung von Netz und Betrieb weitgehend als Grundvoraussetzung für Wettbewerb auf den Schienenwegen ange- sehen.). Dafür kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Zunächst die vollständige eigentumsrechtliche und institutionelle Trennung von Netz und Betrieb, d.h. die verti- kale Desintegration. Ein anderer Weg wäre die Beibehaltung der bisherigen vertikalen Integration und die Gewährung eines symmetrischen, diskriminierungsfreien Netz- zugangs. 510 Zur Lösung der Netz-Betriebs-Problematik können mithin nur solche Vorschläge bei- tragen, welche die Unabhängigkeit des Netzbetreibers gewährleisten. Eine (wie bereits angesprochen, kontrovers diskutierte) Lösungsmöglichkeit wäre beispielsweise die Ausgliederung der DB Netz AG aus dem Firmenverbund DB AG, wobei erstere als rechtlich eigenständiges Unternehmen weitergeführt wird. Die bisher aufgrund von organschaftlichen Verpflichtungen begünstigten Diskriminierungspotenziale gegenüber potenziellen Konkurrenten der DB AG könnten damit verhindert werden. Eine weitere Möglichkeit könnte darin liegen, die Vermarktung der Schieneninfrastruktur dem Eisenbahnbundesamt für den Fernverkehr bzw. den Eisenbahnämtern der Länder für den SPNV zu übertragen. Vor der Verabschiedung des ENeuOG hatte der Deutsche Industrie- und Handelstag einen noch weitergehenden Vorschlag unterbreitet und vor- geschlagen, alle Verkehrswege einem unabhängigen Sondervermögen des Bundes zuzu- führen, was den Vorteil hätte, dass der Bund alle Verkehrsträger gleich behandeln könnte. 511 Auch ein Rückgriff auf bisher vertikal integrierte Verkehrsunternehmen, wie z.B. DB AG und DB Netz AG, wäre selbst unter dem Aspekt eines grundlegenden Um- baus des Bahnverkehrs zukünftig obsolet. So gewinnt die erforderliche Ausgestaltung der Desintegration des Eisenbahnsystems grundlegende Bedeutung. Da die DB AG eine solche Zielstellung nicht allein bewältigen kann, wird auch der Druck in Richtung auf mehr Schienenwettbewerb zunehmen. Daher soll die dabei erfor- derliche Steuerung der Slot-Vergabe dem Eisenbahnbundesamt zukommen (derzeit Slot-Vergabe durch DB Netz AG). Dieser Lösung ist grundsätzlich zuzustimmen, wobei im Hinblick auf den SPNV die Übertragung auch auf ländereigene Eisenbahnbundes- ämter sinnvoll erscheint. Von Seiten der Politik wird für die Absicherung des Wett- bewerbes bei der Trassenvergabe und die Festsetzung der Trassenpreise eine Trassen- agentur als unabhängige „Stelle" beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA) favorisiert, die den Verkehrsministerien von Bund bzw. Ländern berichtspflichtig ist und auch die Fahr- planerstellung „begleitet". Als Mindestanforderung in wettbewerblicher Hinsicht sollte 510 Vgl. Eisenkopf (2003). 511 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 35 ff. – Das Konzept eines solchen Sondervermögens ist jedoch, wie in Kap. 4.3.2 bereits ausgeführt, durchaus kritisch zu betrachten, da eine Beeinträchtigung der staatlichen Gestaltungs- und Handlungsfreiheit resultieren würde. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 226 die Netz AG innerhalb der Holding unabhängig werden und nur die Trassenvergabe und Preisfestsetzung in Abstimmung mit der neuen Trassenagentur vornehmen. 512 4.5 Die wettbewerbliche Situation im Schienenverkehr Die Deregulierung in anderen ehemals monopolistischen Bereichen der Wirtschaft und der ordnungspolitische Grundkonsens der politischen Kräfte in Richtung einer Ent- wicklung zu mehr Wettbewerb haben sich grundsätzlich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung dieser Bereiche ausgewirkt: So ist beispielsweise im Luftverkehr gerade durch die Desintegration der Luftfahrtgesellschaften von Flughäfen und Flugsicherung ein höchst aktiver Markt für neue Marktformen entstanden. Die Abtrennung der Infra- struktur hat keineswegs dazu geführt, dass sich der technische Fortschritt dabei verlang- samt hätte; vielmehr ist das Gegenteil eingetreten. 513 Mit der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 i.d.F. 1893/91 versuchte die europäische Kommission, auf dem Verkehrsmarkt einen kontrollierten Wettbewerb mit Schutzklau- seln für den Mittelstand und das Personal einzurichten und damit gleichzeitig einen effizienteren und attraktiveren ÖPNV zu ermöglichen. 514 Mit Hilfe von Ausschreibun- gen sollte dabei die Marktöffnung gewährleistet werden. Im Zusammenhang mit den sich daraus ergebenden Umstrukturierungsnotwendigkeiten der Bahn und der ange- strebten Ausrichtung auf mehr Wettbewerb spielt neben entsprechenden technischen Aspekten auch die organisatorische Ausgestaltung von Wettbewerb eine entscheidende Rolle. Vorliegend soll vor allem auf dessen mögliche Einflussnahme auf den Schienen- verkehr eingegangen werden, wobei die objektiv immer noch existierenden Vorausset- zungen (natürliches Monopol) und die gegebenen ordnungspolitischen Rahmenbedin- gungen insbesondere für den SPNV Berücksichtigung finden werden. Die gegenwärtige vertikale Integration zwischen Netz und Betrieb lässt aufgrund gesell- schaftsrechtlicher Verpflichtungen nur begrenzt Wettbewerb zu. Die DB Netz AG ist nach Meinung von Kritikern als Tochtergesellschaft der DB AG weisungsgebunden und wird daher fremden Verkehrsunternehmen die Genehmigung primär zum Befahren von Streckenteilen erteilen, die für DB-eigene Verkehrsunternehmen unwirtschaftlich geworden sind. Wettbewerb ist daher im SPNV nur auf Strecken zu verwirklichen, die 512 Siehe auch Eisenkopf (2003). – Trotz hier gegebenem Fortbestand der DB Netz AG ist solch einer sektoralen Spezialisierung zuzustimmen, da sich die Möglichkeit von ex ante-Eingriffen ergibt, wohingegen ein Aufsichtsorgan wie das Bundeskartellamt in der Regel erst im Nachhinein tätig werden kann. 513 Vgl. Eilwange und Hamelbeck (1989), S. 5 f.. 514 Vgl. Kolks (2003a), S. 75. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 227 für die DB AG ‘uninteressant’ sind bzw. für eine Abgabe anstehen. 515 Das Verhalten der DB AG und die Anteilsausprägung von 92 v.H. DB-eigenen Fahrdiensten unter- mauern diese These. Deshalb wird sich der gewünschte Wettbewerb nur bei einer Orga- nisation des Netzes in der im Kapitel 4.3.1 skizzierten Zugänglichkeit realisieren lassen, wonach als Grundannahme ein in staatlichem Eigentum verbleibendes Netz unterstellt wird. Trotzdem lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen auch Bereiche von ehe- mals öffentlichen Unternehmen für das Ordnungsprinzip des freien Wettbewerbs erschließen, was die teilweise bereits abgeschlossenen Regulierungsmaßnahmen in anderen ehemals öffentlichen Betriebsbereichen bestätigen. 516 Durch den im Verkehrsmarkt verstärkt auftretenden Wettbewerb rücken neben bau- lichen Veränderungen, technischen und organisatorischen Neuerungen auch qualitative Gesichtspunkte von Nahverkehrsleistungen immer mehr in den Vordergrund. Dabei werden vor allem effiziente Betriebsweisen gesucht, durch die Kosteneinsparungen und Angebotsverbesserungen erreicht werden können. Dies versucht man im SPNV durch die Zulassung von vereinfachten Techniken (‘Low-Cost-Techniken’) zu verwirklichen, z.B. bei der Sanierung des Schienennetzes. Aber auch der Einsatz anderer kostenmini- mierender Verfahren wird hier mit einbezogen. Durch den Wettbewerb hat gleichzeitig die Zertifizierung von Nahverkehrsleistungen nach DIN EN 13816 an Bedeutung gewonnen, so dass zukünftig sowohl Aufgabenträger als auch Eisenbahninfrastruktur- unternehmen bzw. Eisenbahnverkehrsunternehmen anhand der in den Verkehrsverträ- gen festgeschriebenen Qualitätsstandards auf deren Erfüllung überprüfbar sind. 517 Mit Allianzen und Fusionen zwischen den einzelnen Schienenverkehrsunternehmen lassen sich auch in bevölkerungsarmen Regionen Effizienzsteigerungen über Größen- vorteile realisieren, indem sich z.B. durch standardisierte Verkehrsangebote Kostensen- kungspotenziale ergeben. 518 Gleichzeitig könnte zumindest bei Unternehmenszusam- menschlüssen auch das Unternehmerrisiko minimiert werden. Nach Auffassung des Verfassers ist allerdings zu befürchten, dass die dadurch entstehende Marktbe- herrschung wiederum den Wettbewerb beeinträchtigen wird. Trotzdem sollte im Hin- blick auf die Bestrebungen, den defizitären SPNV zu erhalten, auf die Wahrnehmung der mit der Bildung von Allianzen und Fusionen entstehenden Synergieeffekte nicht verzichtet werden, soweit es bei der Ausschreibung verbleibt. 515 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Praxistauglichkeit neuartiger Wettbewerbsmodelle im Abschnitt 4.8 (Streckenabgaben und Modelle zur ‘Revitalisierung’ von Nebenstrecken). 516 Vgl. Laaser (1991), S. 124 f. – Siehe ferner Aberle (1992), S. 71 f., der auf die möglichen poli- tisch-bürokratischen Gegenbestrebungen bei Regulierungsmaßnahmen kritisch eingeht. 517 Vgl. Becker et al. (2003), S. 30 ff. 518 Vgl. Jobe-Gräfin Esterázy et al. (2003), S. 222 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 228 4.5.1 Gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung und Wettbewerb Im Zusammenhang mit externen Effekten im SPNV wird teilweise auch auf die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung hingewiesen, obwohl es sich dabei allenfalls um geldliche externe Effekte handelt, die nur eine Redistributionsmaßnahme darstellen, also allokationstheoretisch irrelevant sind. 519 Die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedie- nung gehörte seinerzeit aber auch zu den Gründen, die zu einer Verstaatlichung der Eisenbahn führten, und sollte daher in der vorzunehmenden Analyse berücksichtigt werden. Sie betrifft sowohl den Güter- als auch den Personenverkehr und sah ursprüng- lich die gleichmäßige Erschließung des Staatsgebietes mit Verkehrsleistungen vor. Dieses gemeinwirtschaftliche Prinzip hat sich später in eine gemeinwirtschaftliche Tarifpolitik i.S. einer Tarifgleichheit im Raum geändert. Diese Sozialbindung äußerte sich in einer Vorzugsbehandlung bei den Tarifen und einer durch die geäußerte Nach- frage nicht gerechtfertigte Betriebsbereitschaft der Bahn u.a. für bestimmte Personen- gruppen, für deren Finanzierung dann eine interne Subventionierung eingeführt wurde. Gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung lässt sich in folgenden Sektoren nachweisen: • im Eisenbahngüterverkehr in der Fläche, • im Personenverkehr auf der Schiene und auf der Straße im ländlichen Raum, • im Personenverkehr in Ballungsgebieten. Im Personennahverkehr kennzeichnen nicht kostendeckende Tarife die gemeinwirt- schaftliche Verkehrsbedienung; diese soll denjenigen Personen zugute kommen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Das Problem beim SPNV besteht aber darin, dass einer möglichen Angebotserweiterung die nicht ausreichende Auslastung der Züge in Nichtspitzenzeiten gegenüber steht. Auch wurde das damit verbundene regional- und sozialpolitische Ziel einer Umvertei- lung von Verkehrsleistungen in periphere Regionen politisch vorgegeben. 520 Es ist allerdings fraglich, ob diese gemeinwirtschaftliche Zielsetzung mit mehr Wettbewerb im Verkehrswesen vereinbar und ob die Versorgung nach dem derzeit gültigen Ver- kehrssystem noch sinnvoll ist. Gerade hinsichtlich der Vorhaltung für Streckenstill- legungen im Personenverkehr in der Fläche lässt sich nämlich vermuten, dass die gegenwärtige Regulierung damit eben nicht übereinstimmt. Gleiches gilt für die prakti- zierten Tarifermäßigungen und für die Betriebspflicht der Bahn für viele betriebswirt- schaftlich unrentable Strecken (dies lassen insbesondere die nur noch mit sehr wenigen Fahrgästen besetzten Personenbezüge im ländlichen Raum vermuten). 519 Vgl. Laaser (1991), S.104 ff. 520 Siehe zur Begründung und Kritik der normativen Notwendigkeit eines solchen Gemeinwirtschaft- lichkeitskonzepts auch Eckey und Stock (2000), S. 366 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 229 Daraus ist zu schließen, dass die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung nicht mehr konsequent verfolgt werden kann. Verantwortlich dafür ist u.a. auch die noch heute gültige Prämisse, wonach gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung und Wettbewerb einander ausschließen. Dagegen lässt sich einwenden, dass unter den gegebenen Um- ständen, d.h. wenn im Voraus schon feststeht, dass für derartige Verkehre Verluste ent- stehen, die Bereitschaft, sich einem Wettbewerb auszusetzen, wohl gering sein dürfte, aber nicht gänzlich entfallen muss. In einem marktwirtschaftlichen System hat nämlich derjenige, der einem Anderen Auflagen zu betriebsfremden Diensten macht, diese Dienste abzugelten. Somit besteht auch keine Notwendigkeit, Wettbewerb einzuschrän- ken, vielmehr bestünde dann die Gefahr, dass möglicherweise kostengünstigere und effektivere Lösungen für das gemeinwirtschaftliche Ziel unberücksichtigt blieben. Im Gegensatz zum PBefG kennt das AEG keine Unterscheidung in eigenwirtschaftliche und gemeinwirtschaftliche Verkehre. Da es aber bei den vorliegend zu betrachtenden Verkehren im SPNV um Strecken geht, zu deren Finanzierung ergänzend staatliche Gelder notwendig sind, muss durchweg von gemeinwirtschaftlichen Verkehren ge- sprochen werden. Demnach wären alle derartigen Verkehrsleistungen in einem wett- bewerblichen Verfahren zu vergeben. 521 Die DB ist allerdings der Auffassung, dass es eine Ausschreibungspflicht nicht gibt, weil das AEG den Aufgabenträgern hier ein Ermessen einräumt. Diese bisher angewandte Definitionsauslegung der Eigenwirt- schaftlichkeit und die seitherige Förderpraxis haben nun dazu geführt, dass diese Ver- kehre zum größten Teil bisher von der wettbewerblichen Vergabe ausgenommen werden. Durch diese „Eigenwirtschaftlichkeitsfiktion“ ist bei den betreffenden Verkehrsunter- nehmen auch der Anreiz, durch Quersubventionierungen 522 Defizite verschleiern zu können, entstanden. Sie hoffen dabei darauf, dass sich in der Zukunft ein Ausschrei- bungswettbewerb umgehen lässt, oder sie zumindest für eine Übergangsperiode von der wettbewerblichen Vergabe ausgenommen sind. 523 § 15 Abs. 2 AEG stellt es den Auf- gabenträgern offensichtlich frei, ob sie Verkehrsverträge ausschreiben oder selbst ver- geben wollen. Die neuere Rechtsprechung kommt nun aber zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) gemeinwirtschaftliche Leistungen im SPNV ausgeschrieben werden müssen. 524 Dieses Ermessen ist auch durch die Ände- rung des Gesetzes für Wettbewerbsbeschränkungen vom 1.1.1999 auf „null“ reduziert worden. Aus dem Können ist daher ein Müssen entstanden. Die Aufgabenträger wollen 521 Vgl. Karl (2002), S. 8. 522 Mithin ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass auch der Bund „eigene“ (DB-) Unternehmen bevorzugt, da Quersubventionierungen auf diese Weise letztlich „im Hause“ bleiben. Die Größen- ordnung solcher Subventionierungen wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass allein in Nordrhein-Westfalen pro Jahr rund 700 Mio. EUR Bundesmittel über das Land an die DB fließen; vgl. Hüwel (2003), S. 1. 523 Vgl. zsfd. Karl (2002). 524 Vgl. Bayer und Manka (1998), S. 8 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 230 das allerdings nicht beachten (Bahnvorstand Mehdorn hat in diesem Zusammenhang wohl längst erkannt, dass den Politikern das Thema Schiene eher unwichtig und letzt- lich auch nicht entscheidend bei Wahlen ist). Diese Auslegungsstreitigkeit könnte man auch dadurch umgehen, indem § 15 Abs. 2 AEG dahingehend geändert wird, dass sämtliche SPNV-Leistungen zukünftig auszuschreiben sind. Gleichzeitig würde sich damit auch das Problem der Quersubventionierung lösen. Ferner sind unter gemeinwirtschaftlichen Bedingungen wenige Anreize für eine effi- ziente Leistungserbringung – wie etwa bei eigenwirtschaftlichen Verkehren bzw. in einer Konkurrenzsituation – gegeben, da die Erreichung der Kostendeckung per Defini- tion ausreichend ist. 525 Dies wird aber auch dadurch bedingt, dass der Kostendeckungs- begriff offenkundig nicht einheitlich verwendet wird. Die entsprechenden Zahlen können sich auf die Erwirtschaftung der gesamten Kosten durch Markterlöse zusätzlich zu einem Überschuss zur Verzinsung des eingesetzten Kapitals beziehen. Darunter kann jedoch auch die Deckung der fiskalischen Ausgaben – ohne Kapitalkosten – oder nur der Betriebskosten verstanden werden. 526 Mithin ist es möglich, dass bei der Zuschlags- erteilung im Rahmen eines Vergabeverfahrens unabhängig von diesem Verfahren auch ein eigenwirtschaftlicher Genehmigungsantrag gestellt werden kann. 527 Solch einer Option wohnt durchaus praktische Relevanz inne, da im Regelfall den ausschreibenden Stellen keine detaillierten und zuverlässigen Daten über die Ertragsbedingungen einer bestehenden oder neuen Linie vorliegen, so dass eine Linie durchaus auch als gemein- wirtschaftlich bewertet werden kann. 528 4.5.2 Ausschreibungspraxis im SPNV und Wettbewerb Selbst bei einer auch vom Verfasser präferierten Trennung von Netz und Betrieb im Sinne einer vertikalen Desintegration ist allerdings Wettbewerb im SPNV gleichwohl nur zeitlich begrenzt durchsetzbar. Aus technischer Sicht ist dieser durch das natürliche Monopol Schienennetz begrenzt und im Übrigen mit der im Rahmen der Regionalisie- rung des SPNV beschlossenen Ausschreibungspflicht von Nahverkehrsleistungen neut- ralisiert, d.h. es kann immer nur ein Unternehmen fahren und Wettbewerb ist nur inner- halb der Ausschreibungszeit möglich. Deshalb wird auch teilweise vorgeschlagen, die Wirtschaftspolitik solle hier auf Wettbewerb um die Monopolstellung setzen. 529 Dieser Vorschlag sieht vor, dass die potenziellen Anbieter im Rahmen eines Ausschreibungs- 525 Vgl. etwa Faber (1999), Grünendieck (1999). 526 Vgl. Rothengatter (1996), S. 61 f. 527 Vgl. Wimmer et al. (2000). 528 Vgl. Karl (2002), S. 10. 529 Vgl. Fritsch et al. (2003), S. 240. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 231 verfahrens durch verdeckte Preisangebote um den Verkehrsmarkt konkurrieren. In den Verkehrsverträgen müssen dazu die zu erbringenden Verkehrsleistungen hinreichend konkretisiert sein (z.B. Angaben über Fahrplanangebote, Taktvorgaben, Zugmaterial, Qualitätsanforderungen u.a., zum Preis der vertraglich vereinbarten Dienstleistungen, zur Vertragsdauer, zur Risikoübernahme bei Einnahmeausfällen sowie zu Vertragsände- rungen und Sanktionen bei Nichterfüllung). 530 Ist in der Ausschreibung ein bestimmter Fahrpreis vorgeschrieben, kann das ausführende Unternehmen nur über Qualitätsminde- rungen Kosten einsparen. Dies lässt sich nur mit bestimmten Qualitätsvorgaben verhin- dern, was wiederum die Bereitschaft, durch den Einsatz von technischen Innovationen die Kosten zu senken, sicherlich fördern wird. Mit dem Ausschreibungsverfahren wird damit dem interessierten Unternehmen nicht nur die Kostenkalkulation übertragen, son- dern es muss auch die erwartete Nachfrage selbst einschätzen. Dies hat aber auch zur Folge, dass das Unternehmen etwaige Fehleinschätzungen selbst zu tragen hat. Den Zuschlag erhält das Unternehmen, das am wirtschaftlichsten produziert und damit auch das ‘beste’ Gebot unterbreiten kann. Der Auftraggeber hat damit die Gewähr, die Verkehrsleistungen zu den derzeit günstigsten Konditionen eingekauft zu haben. Aller- dings muss dabei verhindert werden, dass durch nicht eindeutig formulierte Vertrags- bedingungen und unzureichende Überwachungsmöglichkeiten von dem ursprünglich intendierten Leistungsniveau zu Gunsten des Auftragnehmers abgewichen wird. Interes- sant ist hierbei die Tatsache, dass sowohl bei der DB AG als auch ihren Konkurrenten darüber Konsens herrscht, dass diese detaillierten Leistungsvorgaben überflüssig sind, weil sie ihren unternehmerischen Handlungsspielraum einengen würden. 531 Der aktive Wettbewerb wird hier zu einem effizienten und nachfragegerechten Trans- portangebot führen, auch im Hinblick auf die Kosteneffizienz, weil zukünftig der Wett- bewerbsdruck bestimmen wird, ob die Länge der eingesetzten Züge und deren zeitliche Reihenfolge der Verkehrsnachfrage entsprechen. Die in der Vergangenheit administra- tiv vorgegebenen Angebotskonzepte (z.B. der Taktfahrplan) werden zwischenzeitlich kritischer betrachtet, weil die erwartete Verkehrsnachfrage durch die Kunden ausgeblie- ben ist. 4.5.3 Anreize für Wettbewerb im SPNV: Auswirkungen und Grenzen Unabhängig von der Netzproblematik lässt sich zunächst durch Abbau von gesetzlichen Marktzutrittsschranken auf den Märkten für Eisenbahnverkehr sowohl der aktive als 530 Vgl. Karl (2002), S. 25. 531 Vgl. Karl, S. 26 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 232 auch ein potenzieller Wettbewerb entscheidend fördern, wobei allerdings bestimmte Einflüsse von außen, die das Angebots- und das Nachfrageverhalten und damit den Wettbewerb behindern könnten, nicht übersehen werden sollten. 532 Eine weitere Möglichkeit, den Marktzutritt zu erleichtern, kann in vereinfachten per- sönlichen Zulassungsbestimmungen i.S. eines Sachkundenachweises und in ‘gemilder- ten’ finanziellen Leistungsfähigkeiten gesehen werden. 533 Dies wäre z.B. dadurch mög- lich, dass der Nachweis einer gleichartigen bisherigen beruflichen Tätigkeit genügt, während in finanzieller Hinsicht beispielsweise auf bestimmte Höhen an Eigenkapital- einbringungen oder aber auf die Vorlage von Bankbürgschaften verzichtet wird. In An- betracht der langen Vertragsdauer (im Regelfall ca. 15 Jahre) und der hohen Investitio- nen für die Schieneninfrastruktur sollte hier allerdings auf den in der Eisenbahnunter- nehmer-Berufszugangsverordnung (EbZugV) verlangten Zuverlässigkeitsnachweis und auf bestimmte Befähigungen sowohl in fachlich-qualitativer als auch in finanzieller Hinsicht nicht verzichtet werden. 534 Gerade im Schienenverkehr spielen Pünktlichkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit eine entscheidende Rolle, wenn man im Vergleich mit dem motorisierten Individualverkehr bestehen will. Hinsichtlich des Marktzutritts kann daher nur qualitativer und nicht quantitativer Wettbewerb als Maßstab gelten. Eine Marktzutrittserleichterung kann im Übrigen auch in der Zulassung von ausländischen Mitkonkurrenten gesehen werden. Als eine zusätzliche hinreichende Chance für Wettbewerb im SPNV wurde auch die Einführung einer ‘Markteintrittssteuer’ diskutiert. 535 Dabei werden die Schienen- verkehrsunternehmen im SPNV mit einem unter dem Durchschnitt liegenden Steuersatz analog der Umsatzsteuer belastet, wobei für gemeinwirtschaftliche Leistungen sogar an eine ‘Negativsteuer’ gedacht worden ist. Da diese Markteintrittssteuer produktabhängig erhoben wird, wären alle Unternehmen, die SPNV anbieten, gleich belastet, was wiederum Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen verhindern hilft. Dadurch wird sich auch der Subventionsbedarf im SPNV verringern, weil sich letztendlich das Unternehmen durchsetzt, welches das kostengünstigste Angebot unter- breitet. 536 Allerdings ist auch die Gefahr nicht zu unterschätzen, dass Unternehmen Kapazitäten zugunsten des SPNV verlagern, was nur dann positiv wäre, wenn die Zu- weisung von Verkehrsleistungen vor Einführung der Steuer nicht optimal gewesen wäre. Auch die mögliche Gefahr von ‘rent seeking’ ist nicht zu unterschätzen. 537 532 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 60 f. 533 Eine genaue Auflistung der Anforderungen an Eisenbahnverkehrs- und -infrastrukturunternehmen findet sich bei Butzbach (2003b), S. 504 ff. 534 Siehe wiederum Butzbach (2003b), S. 505 f., der auch das auf der EBO basierende fachliche Anforderungsprofil für EVU-Personal (Alter, Gesundheit, Sachkunde, Eignungsprüfungen etc.) sehr detailliert darstellt. 535 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 203 ff. 536 Vgl. Knieps (1992), S. 289. 537 Vgl. Laaser (1983). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 233 Neben freiem Marktzutritt spielen bei der Bereitstellung von Eisenbahnverkehr zudem auch Kostenirreversibilitäten 538 eine signifikante Rolle, falls für das rollende Material kein entsprechender Markt vorhanden ist. Da die Eisenbahnzüge aber beweglich und überall einsetzbar sind, ergeben sich bei funktionierenden Leasing- und Verkaufsmärk- ten keine Probleme mit irreversiblen Kosten. 539 Dazu ist anzumerken, dass sich gerade im SPNV als nicht kostendeckender Markt durch die Festlegung von kostengünstigen Mindestleistungen hinsichtlich Fahrbetrieb und Personaleinsatz entscheidende Kosten- faktoren beeinflussen lassen, was sich wiederum positiv auf den angestrebten Wett- bewerb auswirken kann. 540 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Behauptung einzugehen, dass Investitionen in das rollende Material zu hoch seien und auch nicht von einem Teilmarkt in einen anderen Teilmarkt verschoben werden könnten. Zunächst besteht für bereits aktive Ver- kehrsunternehmen sehr wohl die Möglichkeit, ihre Züge unmittelbar auf anderen Strecken zum Einsatz zu bringen, sofern die technischen Standards (Spurweite etc.) dafür gegeben sind. Ferner sind durchaus auch Chancen gegeben, Leasingmärkte für das rollende Material zu etablieren, wobei aus finanziellen Gründen auch ein Marktzutritt mit unterschiedlichen Kapazitäten erfolgen kann (etwa mit der „Mindestlösung“ eines Schienenbusses). Durch die Einführung von vereinfachten Mindeststandards beim SPNV wurde eine weitere Möglichkeit geschaffen, diesen Verkehr zukünftig kosten- günstiger zu betreiben. Gleiches gilt auch für den Transfer von ausgebildetem Personal zu anderen Verkehrsunternehmen: 541 Das personalbezogene Argument kann deshalb als kaum stichhaltig bezeichnet werden, da die Ausbildung und Qualifikation der Mitar- beiter im Bahnwesen einheitlichen Anforderungen unterliegt, womit die notwendige Einarbeitungszeit keinen marktunüblichen Fluktuationswiderstand darstellt. Zudem liegen nunmehr nach dem technischen Gestaltungsrahmen auch die rechtlichen Voraus- setzungen dafür vor, dass zukünftig möglicherweise ein fahrerloser vollautomatischer SPNV zumindest das Personalproblem nicht weiter berührt. 542 Vor einem solchen Hintergrund entstehen auch keine Einflussnahmen, mit denen Kon- kurrenten der Marktzutritt verwehrt werden kann, weil sowohl das alt eingesessene Unternehmen als auch die potenziellen Wettbewerber die gleichen entscheidungsrele- 538 Diese Irreversibilitäten wirken grundsätzlich als Marktzugangshemmnis; vgl. dazu die detaillierten Hinweise mit weiteren Praxisbeispielen bei Aberle (1992), S. 22. 539 Entsprechende Verkaufsmärkte, insbesondere für auf Nebenstrecken in der Fläche einzusetzende Gebrauchtlokomotiven, haben sich seit einiger Zeit in Deutschland etabliert. Die Entwicklung eines solchen Gebrauchtmarktes wird allerdings seitens der DB AG nicht unbedingt gern gesehen; vgl. Andreas (2002), S. 47 f. (Der Autor fokussiert vor allem das Netz der Hohenzollernbahn HZB im Raum Balingen/Sigmaringen, Baden-Württemberg.) 540 Durch die mögliche höhere Effizienz eines neuen Anbieters aufgrund niedrigerer Preise und besse- rer Leistungen werden vielmehr die Kunden vermutlich umgehend das Verkehrsunternehmen wechseln. 541 Vgl. Adamson et al. (1991), S. 73. 542 Vgl. Fiedler (2003), S. 118. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 234 vanten Kosten zu beachten haben. Voraussetzung ist allerdings einmal mehr, dass die potenzielle Konkurrenz gleiche Zugangsbedingungen wie die bisherigen aktiven An- bieter zu den Schienenwegen und den Zugüberwachungssystemen hat. Im Umkehr- schluss bedeutet dies: Solange eine Bahngesellschaft bevorzugt Zugang zu den Gleis- anlagen besitzt oder bei Fahrplankonferenzen bevorrechtigt berücksichtigt wird, er- geben sich Wettbewerbsvorteile gegenüber potenziellen und aktiven Konkurrenten. Möglicherweise lässt sich der Wettbewerb im SPNV noch weiter intensivieren, wenn es gelingt, das regionale Schienennetz in bestimmte Streckenabschnitte zu unterteilen, und jede Strecke für sich ausgeschrieben werden kann. Dies hätte den Vorteil, dass sich nunmehr auch mittlere und kleine Unternehmen an den Ausschreibungen beteiligen könnten. Da diese Unternehmen in der Regel mit geringeren Fixkosten arbeiten als z.B. die DB AG, sind auch deren kalkulierte Kosten für die Verkehrsleistung niedriger, was wiederum beim öffentlichen Auftraggeber zu finanziellen Einsparungen in Form von reduzierten Zuschüssen führen würde. 543 Diese wäre insbesondere bei Nahverkehrs- strecken in bevölkerungsarmen Gebieten vorstellbar, wo die Verbindung nur zur Auf- rechterhaltung des Verkehrs in die nächst größere Stadt dient. Hier wäre dann auch die Frage zu beantworten, ob bei vertikaler Desintegration Eisen- bahnverkehr so weit dereguliert werden kann, dass möglicherweise mehrere Verkehrs- unternehmen unabhängig voneinander Schienenverkehrs-Leistungen auf demselben Netz anbieten können. 544 Für den SPNV dürfte sich diese Option – im Hinblick auf die Ausschreibung der Verkehre und weil die in Frage kommenden Strecken in der Regel viel zu kurz sind, um das Benutzen einer Strecke durch verschiedene Verkehrsunter- nehmen sinnvoll erscheinen zu lassen – allerdings nicht stellen. Neben technischen Schwierigkeiten würde eine derartige Konkurrenzsituation vermutlich in einem ruinösen Wettbewerb enden. Ein weiteres Potenzial zur Anregung von Wettbewerb im SPNV kann aber in der Festsetzung von günstigen Trassenpreisen liegen, wobei diese Festset- zung vor dem Hintergrund des intermodalen Wettbewerbs zu sehen ist. 545 Danach sollte der Infrastrukturbetreiber die Trassenpreise auch in Abhängigkeit vom technischen Zu- stand der Strecke und von der Häufigkeit der Benutzung abhängig machen. 546 Dabei erscheint eine kilometerabhängige Benutzungsgebühr mit Telematik gestützter Erhe- 543 Als Beispiel für erfolgreiche und letztlich Kosten für die öffentliche Hand senkende Streckenüber- nahmen sei hier exemplarisch auf die Aktivitäten von Connex in Baden-Württemberg hingewie- sen; vgl. Drews (2001, Bericht aus der Stuttgarter Zeitung) zu detaillierten Informationen über ent- sprechende Regionalanbieter, u.a. in den Räumen Waiblingen, Böblingen, Nürtingen. 544 Wenn man die Frage nach der Errichtung von parallelen Netzen dabei als eine „nur“ theoretische Möglichkeit zunächst einmal ausklammert (die mangelnde Praktikabilität einer solchen Annahme wurde an anderer Stelle bereits vertieft). 545 Vgl. Riedle (2003), S. 467. 546 Praktische Hinweise zu entsprechenden topografie- und zustandsbezogenen Trassenpreisfestlegun- gen finden sich auch im Abschnitt 4.8 (wettbewerbsorientierte Modellbildung). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 235 bung, wie sie im Übrigen auch für den LKW-Verkehr auf Autobahnen vorgesehen ist, als die geeignetste Methode, weil sie verursachergerecht ist. Die dem SPNV inne wohnenden Besonderheiten (gemeinwirtschaftliche Aufgaben) führen zwangsläufig aber auch zu den – im Folgekapitel 4.5.3.2 noch detailliert zu dis- kutierenden – Fragen über die dadurch bedingten Grenzen für Wettbewerb, weil neben den Marktzugangsbedingungen die unternehmensindividuellen Ziele, die das Verkehrs- unternehmen mit seinem Markteintritt verfolgt, mitentscheiden. Allein mit dieser Kenntnis lassen sich die Zahl der Wettbewerber und damit der Wettbewerb insgesamt begrenzen. Eine weitere Beschränkung von Wettbewerb dürfte in den fehlenden Ge- winnaussichten und in der Abhängigkeit von öffentlichen Zuschüssen liegen. Eine andere Aussage ist dann vertretbar, wenn SPNV als Ergänzung zum Fernverkehr oder sonstigen Schienenverkehren angeboten werden kann. Hier liegt gleichzeitig ein bedeutender Vorteil der DB AG, weil sie bundesweit Verkehre und Anschlüsse anbieten kann, während die sonstigen Nahverkehrsunternehmen auf das „Goodwill“ der DB AG angewiesen sind. 4.5.3.1 Auswirkungen von Wettbewerb Man wird davon ausgehen können, dass durch wettbewerbliche Impulse zukünftig die Zahl der heute noch üblichen Leerfahrten erheblich abnehmen wird, wobei allerdings auch feststeht, dass diese nicht gänzlich entfallen. Gleichzeitig werden Anstrengungen unternommen, in Spitzenzeiten flexibel zusätzliche Verkehrsangebote zur Verfügung zu stellen. Durch den erwarteten Marktzutritt neuer Transportgesellschaften dürfte sich das angebotene Leistungsspektrum erheblich erweitern und damit zu vermehrten Wahlmög- lichkeiten auch in Hinblick auf Preis- und Transportqualität führen. 547 Auch das Erken- nen und Ausnutzen von Marktlücken wird zu einem weiteren verbesserten Transport- angebot führen. Dies gilt auch für kurze Strecken, wo z.B. mit Hilfe einer computer- gesteuerten Logistik Leistungsverbesserungen durch einen engeren Fahrplan mit opti- mierten Anschlüssen möglich sind. 548 Vom Wettbewerb profitieren neben den Bahnkunden letztlich auch die bisherigen monopolistisch ausgerichteten Bahngesellschaften, indem sie innovative Leistungen, die 547 Vgl. Knieps (1996), S. 22. – Die Vermehrung der Wahlmöglichkeiten zum Nutzen von Kunden stellt im Übrigen auch ein unbestrittenes empirisches Faktum der Liberalisierung anderer Netze (Telekommunikation, Strom) in Deutschland und Europa dar; vgl. zusammenfassend Frühbrodt (2002). Es gibt allerdings auch Stimmen, die zu einer kritischen Abwägung zwischen „Wahlfrei- heit“ und Preisreduktion versus gesamtwirtschaftlichem Nutzwert bei Liberalisierungsstrategien raten; vgl. etwa Niquet (2003). Auch vorliegend soll eine solche Abwägung zum Tragen kommen. 548 Vgl. Knieps (1996), S. 22; siehe auch Karl (2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 236 sich bei ihren Konkurrenten bewährt haben, einsetzen können. Neben dem aktiven Wettbewerb führt auch der potenzielle Wettbewerbsdruck von Bahngesellschaften zu einem leistungsfähigeren Verkehrsangebot. Dazu ist anzumerken, dass die Kennzeich- nung von Bündelungsvorteilen und der damit verbundenen Größenvorteile nicht auto- matisch das Vorliegen von Marktmacht bedeutet. Bei freiem Marktzutritt der Trans- portgesellschaften kann selbst bei einem netzförmigen Angebot von Verkehrsleistungen und den damit einhergehenden Bündelungsvorteilen nicht von Marktmacht gesprochen werden. Dies hängt damit zusammen, dass hohe Gewinne sofort weitere Wettbewerber auf den Plan rufen. Die moderne Institutionenökonomie 549 geht davon aus, dass die Einführung von Wett- bewerb im Vergleich zu Monopolen zwar zu bedeutenden Effizienzzuwächsen führt, die aber zwangsläufig mit Transaktionskosten verbunden sind. So wird unterstellt, dass der für die Koordinierung des Verkehrsangebotes notwendige Aufwand mit der Anzahl der Transportgesellschaften gegenüber einem monopolistischen Angebot erheblich an- wachsen wird. Zu diesen Transaktionskosten zählen auch die Abstimmung der Fahr- pläne, gegenseitige Anerkennung von Fahrkarten u.a. Trotzdem sind die Vorteile des Wettbewerbs weitaus höher einzuschätzen. Es besteht aber durchaus auch die Möglich- keit, ohne staatliches Eingreifen Transaktionskosten senkende Maßnahmen zu ergreifen (etwa durch einen Fahrplankoordinator mit dem Ziel, eine Transaktionskosten verrin- gernde Abstimmung der Verkehrsangebote vorzunehmen, wenn dadurch die Vorteile der Verbundproduktion ausgeschöpft werden können). 550 Die Verbundvorteile im Eisenbahnverkehr liegen dabei in der Regel immer dann vor, wenn in größeren zusammenhängenden Netzen Leistungen aufeinander abgestimmt angeboten werden können (Beispiele: Vermeidung von Leerfahrten durch Umlademög- lichkeiten, optimale Nutzung von Lokomotiven und Waggons). Selbst wenn die Ver- kehrsunternehmen die Möglichkeit besitzen, uneingeschränkte Nutzungsrechte zu Schienenwegskapazitäten zu erwerben, um Leistungen sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr miteinander zu verknüpfen, ergeben sich trotzdem verschiedenartige Koordinationspotenziale zwischen den Transportleistungsanbietern. Diese Ausschöp- fung von Vorteilen einer Verbundproduktion wird gemäß Laaser 551 bei einer umfassen- den Liberalisierung noch gefördert. Nach den normativen Hinweisen von Knieps 552 sollten diese Koordinations- oder Kooperationsbemühungen keinesfalls mit dem Hin- weis auf vermuteten Marktmachtmissbrauch (§ 22 des Gesetzes gegen Wettbewerbs- beschränkungen) unterbunden werden. Dies gelte auch für den Fall, dass der Marktan- teil eines Anbieters auf einem bestimmten Markt relativ hoch ist, weil angesichts des 549 Vgl. Wink (1995) zur grundsätzlichen Anwendung des institutionenökonomischen Ansatzes auf Fragen der Verkehrswirtschaft/-politik. 550 Vgl. Laaser (1994), S. 24. 551 Vgl. Laaser (1994), S. 13. 552 Vgl. Knieps (1996), S. 30, S. 126 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 237 Wettbewerbsdrucks durch potenzielle Anbieter ein signifikanter Marktmarkt tatsächlich nicht vorliegt. Voraussetzung dafür ist allerdings der symmetrische Zugang zu den komplementären Infrastrukturen. Die einzelnen Bedingungen zur Koordination und Kooperation sollten dabei durch private Verhandlungen ausgehandelt werden. Der Kooperationsmodus weist nicht nur für die Unternehmen einen Nutzwert auf, son- dern auch das Angebot von Transportleistungen an die Kunden wird verbessert. Spezi- fische Regulierungsauflagen würden diesen Verhandlungsspielraum hingegen einengen und zwangsläufig zu minderwertigen Leistungen führen. Dadurch könnten sich uninte- ressante Kooperationsverpflichtungen für Dritte sowie Kooperationsverbote ergeben, die in ihrer Wirkung einer Marktzutrittsschranke gleichkommen und potenzielle Ver- kehrsunternehmen von einem tatsächlichen Marktzutritt abhalten. Da die aktiven Ver- kehrsunternehmen aufgrund des potenziellen Wettbewerbs alternativer Anbieter keine wirkliche Marktmacht besitzen, würde nicht marktgerechtes Verhalten eine Abwande- rung zu alternativen Anbietern nach sich ziehen. 4.5.3.2 Grenzen für den Wettbewerb Neben der Frage nach einer grundsätzlichen Marktöffnung im SPNV sind hier weitere Aspekte zu beachten, die heute den Wettbewerb behindern oder doch zumindest stark einschränken. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zum Straßen- verkehr der Schienenverkehr Verkehrsträgerkosten (railway-pricing) erwirtschaften muss, was damit einen erheblichen Nachteil zum straßengebundenen Verkehr dar- stellt. 553 Mangelnder Wettbewerb mit SPNV-Bezug hängt zudem weniger von der Ver- gabe von Konzessionen ab, als vielmehr von wettbewerbsgerechten Ausschreibungen von gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese Fahr- dienste mit der Zahlungsbereitschaft des öffentlichen Aufgabenträgers zusammenhän- gen. Für potenzielle Verkehrsunternehmen kann hier ein Marktzutritt nur möglich sein, wenn die Aufträge öffentlich ausgeschrieben werden. Aus verständlichen Gründen haben Kommunen mit eigenem Verkehrsunternehmen ein Interesse am Schutz des Unternehmens vor Wettbewerb, denn die kommunalen Unter- nehmen stellen im Regelfall bedeutende Arbeitgeber mit einer zumeist langen Tradition in der Region dar. 554 Daher schreiben nur wenige Bundesländer den SPNV aus und bekennen sich zur wettbewerblichen Vergabe. Mithin können „alteingesessene“ Markt- strukturen potenziellen Konkurrenten auch im Ausschreibungsverfahren einen Markteintritt verbauen. Hier greifen die Besteller von Nahverkehrsleistungen insbeson- 553 Vgl. Werner (1998), S. 250. 554 Vgl. Karl (2002), S. 10. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 238 dere dann auf den „bewährten“ Anbieter zurück, wenn dieser weitere Strecken be- dient. 555 Insgesamt verhindert die geringe Anzahl von Anbietern im SPNV Effizienzsteigerun- gen. Durch diskriminierungsfreie Ausschreibungen könnte möglicherweise ein Anreiz zum Markteintritt geschaffen werden, was wiederum den Konkurrenzdruck erhöhen würde. Die meisten regionalen Märkte befinden sich z.Z. immer noch überwiegend in der Hand der DB AG. Trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten hat sich aber der Anteil der durch DB-Konkurrenten erbrachten Schienenverkehrsleistungen auf rd. 8 % erhöht. 556 SPNV ist auch noch unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten: Es stellt sich die Frage, inwieweit unter Wettbewerbsbedingungen die Erfüllung bisheriger öffentlicher Aufgaben, die aus Gründen eines Allgemeininteresses zu erbringen und die im Prinzip unrentabel sind, noch bewältigt werden können. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Tatsache, dass Unternehmen im Wettbewerb i.d.R. dazu tendieren, solche nur wenig oder gar nicht rentablen und gewinnträchtigen Aufgaben abzubauen. 557 Durch das Bestreben von Bahngesellschaften, die in der Rechtsform ‘Aktiengesell- schaft’ strukturiert sind, nach einer attraktiven Börsennotierung wird ein Abbau von kostenintensiven Gemeinwohlaufgaben verstärkt, weil diese Bemühungen sich positiv auf die Kursentwicklung auswirken. Ein solches Verhalten ist üblich und muss daher auch der DB AG eingeräumt werden. Um den Zutritt zur Börse vorzubereiten, wird deshalb das Unternehmensmanagement zu einer konsequenten wertorientierten Unternehmenspolitik zu Gunsten der Shareholder tendieren und versuchen, diese auch umzusetzen. 558 Um dies zu verhindern, sollte auf öffentliche Kontrollinstanzen, die auf gesetzlichem Wege die Erfüllung von öffentlichen Dienstleistungen sicherzustellen haben, nicht verzichtet werden. Voraussetzung ist allerdings, dass solche Dienstleistungen gesellschaftspolitisch einen hohen Rang haben bzw. als gemeinwirtschaftlich zu charakterisieren und politisch gewollt sind. 555 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 72. 556 Datenquelle: Persönl. Mitteilung von Frau S.-D. Raschig, Abt.-Leiterin Bestellermarkt- Ausschreibungen, DB Regio (Nov. 2003), sowie überlassene unveröff. DB-Statistik (o.V. 2004a). – Dieser Zuwachs wurde auch dadurch bedingt, dass mittels der Eisenbahnstrukturreform Schie- nenverkehr als wettbewerblicher Ausnahmebereich nach Art. 6 Abs. 64 ENeuOG aufgehoben worden ist. Das GWB findet nunmehr auch auf Eisenbahnunternehmen Anwendung. Die Frage nach der Marktbeherrschung ist dann zu untersuchen, wenn ein Unternehmen keinem oder nur ge- ringfügigem Wettbewerb ausgesetzt ist oder wenn dem Unternehmen ein Marktanteil von einem Drittel zuzurechnen ist. Nach den vorgenannten Kriterien wäre demnach die DB AG ein Markt be- herrschendes Unternehmen. 557 Vgl. Cox (2001), S. 67. 558 Diese Entwicklung ist prinzipiell bei vielen Großunternehmen zu beobachten, die das rentable Kerngeschäft fokussieren und Randbereiche, auch solche mit „sozialer“ Funktion wie etwa die „Werkswohnungen“ etc. konsequent abstoßen. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 239 Der Gesetzgeber, d.h. die Europäische Union 559 und deren Mitgliedstaaten haben dies erkannt, wenn sie davon ausgehen, dass ein funktionierender Wettbewerb nicht aus sich heraus bestimmte, gesellschaftspolitisch gewünschte Wohlstandsniveaus hervorbringt. Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist der Begriff der »Universaldienst- leistung«. 560 Das Universaldienstleistungskonzept der Europäischen Union unterstellt dabei eine Mindest- oder Basisversorgung, die zum Ziel hat, bestimmte, staatlich zu garantierende Dienstleistungen von festgelegter Qualität und Quantität sowie zu sozial vertretbaren Preisen für die Allgemeinheit zu garantieren. Als Beispiel wäre eine flächendeckende Versorgung mit Infrastrukturleistungen fixierter Quantität (Flächen- deckungsgrad) und Qualitätsstandards sowie zu angemessenen Preisen, die nicht die regionalen Kosten der Infrastruktur widerspiegeln (z.B. zu einheitlichen Tarifen im Raum), zu nennen. Zwangsläufig ergibt sich damit die Frage, inwieweit ein Verkehrsunternehmen Ver- kehre übernehmen will, die von vornherein Verluste generieren. Mit der Übernahme dieser Verpflichtung auf eine flächendeckende Versorgung mit Universaldiensten zu sozial angemessenen Preisen und hoher Qualität ist gleichzeitig eine Chancengleichheit im Wettbewerb für dieses Unternehmen nicht mehr gewährleistet, es sei denn, es würde für die defizitären Universaldienste einen äquivalenten externen Finanzausgleich erhal- ten. 561 Die neuen EU-Richtlinien haben dabei die Bedingungen für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben entscheidend verändert. Deshalb sind neue Finanzierungsstrate- gien erforderlich, weil künftig unter Wettbewerbsbedingungen die interne Subventionie- rung öffentlicher Dienste nur noch im Ausnahmefall angewendet werden darf. Solange hier keine befriedigenden Lösungen vorliegen, wird dieser Umstand Wettbewerb im SPNV erschweren, zumindest aber die Zahl der Wettbewerber gering halten. Als weiterer Gesichtspunkt ist auch die zeitliche und räumliche Abgrenzung von Wett- bewerb zu reflektieren. Durch das Bestellerprinzip findet Wettbewerb nicht auf dem Markt, sondern gleichsam „um ihn“ statt. Von Wettbewerb kann daher lediglich wäh- rend der Ausschreibung gesprochen werden. Für die Dauer des Vertrages ist das beauf- tragte Unternehmen wieder Monopolist und unabhängig von potenzieller Konkurrenz. Ausschlaggebend ist auch nicht die Stellung im intramodalen Wettbewerb, sondern die im Innenverhältnis von Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen bestehenden Verbin- dungen sind relevant. 559 Die europaweiten Implikationen werden im Folgekapitel noch weiter vertieft. 560 Vgl. Cox (1996), S. 69. 561 Vgl. zu diesem Spannungsfeld zwischen öffentlicher Einflussnahme und Nichterreichung einzelwirtschaftlicher Ziele (insbesondere Kostendeckung) auch Aberle (2003b), S. 76. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 240 4.5.4 Wettbewerbsimpulse im SPNV: Zwischenfazit Zurzeit liegen für die Mehrzahl kommunaler Verkehrsunternehmen, darunter auch Nebenstreckenbetreiber im SPNV, hinsichtlich Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit erhebliche Defizite vor. Unter den Bedingungen eines Ausschreibungswettbewerbs hätten diese Unternehmen bei einer Beteiligung internationaler Wettbewerber oder aber auch der DB AG nur geringe Aussichten auf eine Zuschlagserteilung. 562 Das Besteller- prinzip sollte sich angesichts dieser Konstellation nach ursprünglichen Planungen auf neu eingerichtete Verkehre erstrecken. 563 Jedoch müssen in Anbetracht der Novellie- rung der EU-Marktzugangsverordnung sowie des EuGH-Urteils 564 in Sachen Eigenwirtschaftlichkeit für den öffentlichen Schienenpersonenverkehr bzw. SPNV in Deutschland weitere Herausforderungen, die teils gravierende wirtschaftliche Folgen haben können, berücksichtigt werden (siehe Folgekapitel). Gemäß Karl wird sich durch die erwartete durchgängige Verpflichtung zu Ausschreibungen die Monopolsituation vieler etablierter Verkehrsunternehmen verschlechtern. 565 Als Resümee ist festzustellen, dass Wettbewerb im SPNV und insbesondere in der Fläche aufgrund der kurzen Strecken regelmäßig nur für eine eher eingeschränkte Zahl von Unternehmen und nur in einem bestimmten zeitlichen Rahmen interessant sein dürfte. Ursache dafür sind nicht nur die geringen Fahrgastzahlen und die damit verbun- denen begrenzten Einnahmen, sondern auch das Ausschreibungsverfahren als solches sowie die Abhängigkeit von staatlichen Zuschüssen. Die Einflussnahme der Zuschuss- geber auf Kosten und Qualität der Verkehre ist verständlich, wenn man bedenkt, dass diese bis zu 65 v.H. bezuschusst werden. SPNV lässt sich daher nur unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge betrachten. Trotzdem sollten diese Verkehre ausge- schrieben werden, da – wie die Erfahrungen zeigen – dadurch Verkehre rentabler werden, was sich wiederum positiv auf die zu leistenden öffentlichen Zuschüsse auswirkt. Es sollte dabei Aufgabe der Politik sein, den Menschen die Machbarkeiten in der Verkehrspolitik darzulegen und verständlicher zu machen sowie die unterschied- lichen Interessen von Mobilität, Ökonomie und Umwelt durch sachgerechte Rahmen- bedingungen zu verdeutlichen. 566 562 Aufgrund gemeinderechtlicher Bestimmungen dürfen diese Unternehmen gleichzeitig nicht in anderen Bereichen agieren, womit solch ein Ausschreibungswettbewerb weitere wirtschaftlich negative Folgen nach sich ziehen würde. 563 Vgl. Rothengatter (1996), S. 62 ff. 564 Vgl. BMVBW (2003), Pressemitteilung in der EuGH-Rechtssache. 565 Vgl. Karl (2002), S. 11. 566 Vgl. Kolks (2003b), S. 578. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 241 4.6 Idealtypische Wettbewerbs-/Marktöffnungsmodelle und ihre Bedeutung für den SPNV Aus den vorausgegangenen Darstellungen ist erkennbar, dass die derzeitige Situation im ÖPNV bzw. SPNV wirtschaftlich kritisch ist und dringend wettbewerblicher Impulse bedarf. Selbstverständlich können diese Anregungen kein „Allheilmittel“ repräsentie- ren, da sie ihrerseits neue Herausforderungen für viele Verkehrsunternehmen in sich bergen. Ein wesentlicher Wettbewerbsimpuls dürfte über den Ausschreibungsmodus erfolgen, weshalb einer solchen Verfahrensweise im Rahmen der weiteren modelltheo- retischen Überlegungen erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wird (siehe Abschnitt 4.8). Zur besseren Integration dieser Modellbildung sollen jedoch vorab noch verschiedene euro- paweit relevante Wettbewerbs- und Marktöffnungsmodelle, die in der Folge zumindest ansatzweise auch auf die SPNV-Problematik zu übertragen sind, erläutert werden. 567 Dominante Merkmale eines idealtypischen Wettbewerbsmodells für den Verkehrs- bereich lassen sich gemäß Weiß 568 folgendermaßen zusammenfassen: • Klare Trennung von Planung und Betrieb als Grundprinzip. • Verbindliche zentrale Planung und Koordination des Verkehrs durch eine öffent- liche Institution. • Wettbewerbliche Vergabe sämtlicher Betriebsleistungen an Unternehmen mittels Ausschreibungen. • Marktzutritt nur im Rahmen des Ausschreibungswettbewerbs. Grundprinzip dieses Modells, das faktisch für den Nahverkehr in London verwirklicht wurde, ist die klare Trennung von Planung und Betrieb. Planung und Koordination unterliegen der öffentlichen Hand bzw. der von ihr mit entsprechender Kompetenz aus- gestatteten Institution. Für den Betrieb ist das Verkehrsunternehmen, welches über Aus- schreibungen ausgewählt worden ist, zuständig. Der gesamte so strukturierte Verkehr wird durch einen zentralen, für Planung und Koordination zuständigen Planer geleitet, der sämtliche von ihm festgelegte Betriebsleistungen einzeln und in einer Gesamtheit ausschreibt (Wettbewerbsimpulse). Sowohl die Koordination als auch der Wettbewerb ist hier in einer klar definierten und deutlich erkennbaren Form sichtbar. Mithin wird 567 Diese Modelle können als Basisansätze für Gestaltungsmaßnahmen und die Modellbildungen, wie sie in der Arbeit folgen, verstanden werden. 568 Vgl. Weiß (2003), S. 237. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 242 eine verbindliche Durchsetzung der zentralen Angebotsplanung nur möglich sein, wenn ein ungeplanter Marktzutritt verhindert werden kann. 569 Ein andersartiges Wettbewerbsmodell, am Beispiel Großbritanniens außerhalb Londons (ÖPNV) dargestellt, ist nach Weiß 570 wie folgt zu kennzeichnen: • Volle Liberalisierung des Marktzugangs als Grundprinzip („Deregulierung“). • Betrieb und Planung sind unternehmerische Aufgaben. • Bereitstellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch öffentliche Aufgaben- träger/Besteller als Ergänzung zu den eigenwirtschaftlichen Leistungen. • Ausschreibung von Betriebsleistungen nur im gemeinwirtschaftlichen Verkehrs- bereich. Letztgenanntes Modell geht von der Vorstellung aus, dass – ebenso wie auf den übrigen Märkten – die betreffenden Verkehrsunternehmen selbst die Verantwortung für die betriebswirtschaftlichen Grund- bzw. „Lebensfunktionen“ übernehmen, also u.a. auch für den Betrieb und die Planung verantwortlich zeichnen. 571 Zwischen öffentlicher Pla- nung und privater Bereitstellung ist keine exakte Trennung wie im erstgenannten Modell vorgesehen. Die entscheidenden Merkmale sind: 572 • Der uneingeschränkte Marktzugang betrifft ausschließlich die wirtschaftlichen Marktzutrittsschranken (aber auch in diesem Modell müssen bei den Unternehmen bestimmte Voraussetzungen vorliegen, wie z.B. die Einhaltung der gesetzlichen Sicherheitsbestimmungen bei den verwendeten Fahrzeugen und Anlagen). • Das Modell erlaubt auch die Durchführung gemeinwirtschaftlicher Leistungen. Werden zusätzliche Leistungen erwünscht, können die Gebietskörperschaften diese bei den Unternehmen bestellen. Der Umfang der gemeinwirtschaftlichen gegenüber den eigenwirtschaftlichen Leistungen wird dabei von der Marktsituation und der Wettbewerbsfähigkeit des fraglichen Verkehrsbereiches (ÖPNV, SPNV) im Abgleich mit dem Individualverkehr bestimmt. Wichtig sind aber auch die Wünsche und Ziele sowie die finanziellen Möglichkeiten der politischen Besteller. • Zu beachten ist dabei, dass es verschiedene Möglichkeiten zur marktkonformen Bereitstellung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen gibt. Die wichtigste davon ist die Ausschreibung. Im Gegensatz zum erstgenannten Modell dient hier die Aus- schreibung aber nicht einer zentralen Planung, sondern ausschließlich der Bereit- 569 Vgl. Weiß (2003), S. 238. 570 Vgl. Weiß (2003), S. 238. 571 Vgl. Schäfer (1966), S. 168 ff. 572 Auflistung gemäß Weiß (2003), S. 238 f., Beesley und Glaister (1985), S. 133 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 243 stellung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Falls dies nicht erwünscht ist, gibt es also im „Modell 2“ keine Ausschreibungen. • Für den gemeinwirtschaftlichen Teil der fraglichen Verkehrsleistungen gibt es keine staatlichen Marktzutrittschranken. Da man davon ausgehen kann, dass diese Leis- tungen nicht freiwillig erbracht werden, erübrigen sich gesetzliche Marktzutritts- schranken in diesem Modell. Sollte trotzdem ein Marktzutritt stattfinden, wäre dies ein Beweis dafür, dass die gewünschten Leistungen auch ohne staatliche Subventio- nen bereitgestellt werden, es sich dabei also um keine gemeinwirtschaftlichen Leis- tungen handelt. • Für den eigenwirtschaftlichen Verkehrs-Teil gilt das oben Gesagte. Die Nicht- anwendung von gesetzlichen Marktzugangsschranken ist die wichtigste Vorausset- zung für Wettbewerb. Hier tritt der Wettbewerb um die „Gunst“ von Fahrgästen an die Stelle des Wettbewerbs um die Gunst von Genehmigungs- und Planungsbehör- den. Dies besagt aber nicht, dass es im eigenwirtschaftlichen Teil zur unmittelbaren Konkurrenz von zwei oder mehreren Anbietern kommen muss. Vielmehr ergibt sich durch den Wegfall der Marktzutrittsschranken die Möglichkeit eines potenziellen Wettbewerbs. Inwieweit sich daraus tatsächlicher Wettbewerb entwickelt, lässt sich mithin ex ante nicht voraussagen. • Der Wegfall einer zentralen, staatlich gelenkten verbindlichen Planung besagt aber nicht, dass es ausschließlich auf die Koordinationsleistung der Märkte ankommt. Vielmehr gibt es neben staatlichen auch private Formen einer Koordination von Angeboten im ÖPNV bzw. Nahverkehr. So können Unternehmen entweder mitein- ander kooperieren bzw. fusionieren oder aber über eine neue Gesellschaft als Koor- dinatoren auftreten, wobei diese Koordinationsbemühungen freiwillig sind. Sie können also nicht verbindlich durchgesetzt werden. Seitens der EU-Kommission wird als geeignete nahverkehrsbezogene Marktöffnungs- strategie das „Wettbewerbsmodell 1“, d.h. die Konzeption für einen kontrollierten Wettbewerb, bevorzugt. Die Kommission vertritt dabei die Meinung, dass die Beibe- haltung von gesetzlichen Marktzutrittsschranken im ÖPNV unerlässlich sei, wenn man stabile und koordinierte Verkehrsangebote garantieren möchte. Damit aber Wettbewerb doch möglich ist, beinhaltet der Verordnungsentwurf 573 der Kommission die wett- bewerbliche Vergabe der ausschließlichen Rechte bzw. der damit verbundenen öffent- lichen Dienstleistungsverträge. Eine Analyse dieses Entwurfs zeigt gleichwohl drei wichtige Unterschiede zum „Ideal“ des ersten Wettbewerbsmodells: 574 573 Vgl. Europäische Kommission (2000). 574 Nachfolgende Auflistung gemäß Abschnitt 2.3 des Entwurfes der Europäischen Kommission (2000). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 244 Nicht alle Leistungen werden ausgeschrieben. Es gibt zusätzlich auch die Möglichkeit der Direktvergabe bei bestimmten Schienenverkehren und sog. integrierten Diensten, wobei deren Definition sehr problematisch erscheint. Zum anderen besteht als weitere Ausnahme die Möglichkeit der Vergabe nach Qualitätsvergleich bei einzelnen eigen- wirtschaftlichen Linien. Auch hier besteht Klärungsbedarf, und zwar dahingehend, wie dieser Qualitätsvergleich durchgeführt werden soll. • Die Differenzierung von eigen- und gemeinwirtschaftlichen Linien wird beibehal- ten. Entscheidend dafür ist die obige Differenzierung bei den Vergabeverfahren zwischen Ausschreibung, Direktvergabe und Qualitätsvergleich. Bei einer allgemei- nen Ausschreibungspflicht würde die nicht immer einfach zu treffende Unterschei- dung zwischen eigen- und gemeinwirtschaftlichen Linien obsolet. Damit verzichtet die EU- Kommission aber auf einen wichtigen Vorteil im „Wettbewerbsmodell 1“. • Zur Lösung des Koordinationsproblems wird den Mitgliedsstaaten bei der Umset- zung in nationales Recht ein breiter Spielraum eingeräumt. Zentraler Planer muss nicht automatisch die zuständige Behörde sein. Dies bedeutet aber, dass der Entwurf die Ausgangsfrage (wer koordiniert) nicht abschließend regelt und damit einem weiteren wichtigen Strukturmerkmal von „Modell 1“ einen freiwilligen Charakter verleiht. Den Mitgliedsstaaten ist es überlassen zu entscheiden, wer die Rolle der zuständigen Behörde übernimmt, ob die Bestellerseite zentral oder dezentral organi- siert ist und wie groß die Mitwirkungsmöglichkeiten der Verkehrsunternehmen sind. Dieser EU-Verordnungsentwurf ist sowohl national als auch international kontrovers diskutiert worden. Die Meinungsunterschiede werden damit begründet, dass die der- zeitigen Markt- und Rahmenbedingungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten recht ver- schieden sind. Auch in Deutschland gibt es in Fachkreisen verschiedene Meinungen dazu. Während die betroffenen Verbände auf die Gefahren einer zu weit gehenden Marktöffnung mit zu kurzen Übergangszeiten hinweisen, verweisen andere auf die zahl- reichen „Ausnahmetatbestände“ und fordern zudem eine konsequentere Marktöff- nung. 575 In einer ersten Lesung hat das Europäische Parlament am 14.11.2001 dazu 96 Ände- rungsanträge beschlossen mit dem Ziel, Umfang und Tempo der Marktöffnung stärker zu reglementieren. Die erforderlichen Vorberatungen wurden am 10.10.2001 abge- schlossen und im sog. Meijer-Bericht zusammengefasst: Der entscheidende Änderungs- vorschlag beinhaltet die Einführung eines Wahlrechts zur kommunalen Eigenproduk- tion ohne wettbewerbliche Vergabeverfahren, wobei dieses Wahlrecht mit dem Vor- liegen einer Reihe von Voraussetzungen verbunden ist.576 Hiermit sollte insbesondere die von deutschen Kommunen und ihren Verkehrsunternehmen aufgestellte Forderung 575 Vgl. Deutsche Bank Research (2001), S. 21-23. 576 Vgl. Weiß (2003), S. 241 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 245 nach einer verstärkten kommunalen Selbstverwaltung berücksichtigt werden. 577 Wie sich das Gesetzgebungsverfahren weiter entwickelt, bleibt abzuwarten. Das im Juli 2003 ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (zum vorinstanzlichen sog. „Magde- burger Urteil“) machte mithin deutlich, dass auch zukünftig nicht alle Verkehre, die subventionsbedürftig sind, zwingend öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Die Klärung der Frage, inwieweit dies auf eigenwirtschaftlichen Verkehr zu übertragen ist bzw. wie Gemein- von Eigenwirtschaftlichkeit genau abzugrenzen ist, steht noch aus. 578 Auch ein unlängst ergangenes Urteil des OLG Brandenburg 579 besagt im Kern, dass gemeinwirtschaftliche Leistungen des SPNV weder der Pflicht einer öffentlichen Ver- gabe nach deutschem noch nach europäischem Recht unterliegen. Vielmehr können gemäß dieses Urteils Aufgabenträger nach eigenem Ermessen i.S. der Daseinsvorsorge SPNV-Leistungen mit EVU frei vereinbaren oder diese Leistungen in einem formell- wettbewerblichen Vergabeverfahren vergeben. Da gegen das Urteil keine weiteren Rechtsmittel möglich sind, könnten zahlreiche wettbewerbliche Gestaltungsmöglich- keiten, die in den vorausgegangenen Kapiteln aufgezeigt wurden, eingeschränkt bzw. nivelliert werden. Es bleibt jedoch zu erwarten, dass mit solchen Einschränkungsoptio- nen angesichts der (ebenfalls aufgezeigten) volks- bzw. gesamtwirtschaftlichen Nutzen- potenziale seitens der Politik und Aufgabenträger verantwortungsbewusst verfahren wird. Als Schlussbetrachtung zu den dargestellten aktuellen Entwicklungen kann festgehalten werden, dass das ursprüngliche Ziel der Marktöffnung für Europa teilweise in den Hin- tergrund getreten ist. Aus wettbewerbstheoretischer Sicht drängt sich daher die Frage auf, inwieweit das von der EU-Kommission präferierte Konzept des kontrollierten Wettbewerbs noch aufrechterhalten werden kann. Die Kommission hat aber darauf hin- gewiesen, dass sie mit der neuen Verordnung nicht ein für alle Mitgliedsstaaten ver- bindliches Wettbewerbsmodell einführen möchte. 580 Ihr Vorschlag ist eher als eine 577 Vgl. VDV (2001). 578 Vgl. BMVBW (2003), Pressemitteilung zum EuGH-Urteil. – Zudem wurde in dem Urteil ausge- führt, dass keine Beihilfe bzw. unbotmäßige Subventionierung vorliegt, wenn ein Verkehrsunter- nehmen gemeinwirtschaftliche Aufgaben erfüllt und „die dem Unternehmen gewährten Vorteile lediglich einen Kostenausgleich darstellen“. 579 Urteil vom 2. September 2003 in der Rechtssache des EVU Connex gegen den Regionalverkehrsvertrag Berlin/Brandenburg. 580 Das Grundprinzip des „Modells 2“ ist ja gerade der Verzicht auf ausschließliche Rechte. Die in der Vergangenheit für solche Rechte vorgebrachten theoretischen Begründungen sind in der modernen Wettbewerbstheorie nicht länger haltbar; vgl. Europäische Kommission (2000). Einmal mehr sei insofern auch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ein diskriminierungsfreier Marktzugang der entscheidende Bestandteil des Wettbewerbs auch in den übrigen Branchen ist. Im ÖPNV ist es bereits problematisch genug, dass es zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen im Bereich der Infra- struktur wegen der beträchtlichen öffentlichen Mitfinanzierung und der ‘essential facilities’ kom- 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 246 Mindest-Marktöffnung zu verstehen. Selbst ein Verzicht auf ausschließliche Rechte in einzelnen Mitgliedsstaaten, wie z.B. im deutschen SPNV gängige Praxis, wäre mit dem EU-Recht vereinbar (siehe auch Urteil des OLG Brandenburg). Dies besagt aber auch, dass das „Wettbewerbsmodell 2“ nicht unmöglich ist. 581 Infolge des Fehlens von theoretischen Argumenten wird die Ablehnung des „Modells 2“ anhand der Erfahrun- gen, die mit der britischen Variante gemacht wurden, untermauert. Offensichtlich ge- nügt sowohl Kritikern als auch Befürwortern des Wettbewerbs im ÖPNV dieses Bei- spiel, um das Modell für gescheitert zu erklären. 582 Im „Modell 1“ werden sämtliche Angebote von einer staatlichen bzw. von einer vom Staat beauftragten Institution zentral koordiniert, was letztendlich eine staatliche Lösung für das Koordinationsproblem darstellt. Im „Modell 2“ sind dagegen die Unternehmen allein entsprechend den Wünschen der Nachfrager für die Planung zuständig. Es ist ihre eigene Entscheidung, ob sie diese in Abstimmung oder unabhängig von weiteren An- bietern vornehmen, wobei sich dann der Grad der Koordination im Marktprozess herausbildet. Die Einflussnahme der staatlichen Nachfrager beschränkt sich nur auf die von ihnen veranlassten und finanzierten Leistungen. Der Markt und die Kooperation bilden hier zwei unterschiedliche Möglichkeiten zur privaten Lösung des Koordina- tionsproblems. 583 In Deutschland spricht sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsministerium für eine generelle Ausschreibungspflicht bei Beibehaltung der Linienkonzessionierung als Lösung aus. 584 Dabei geht es entscheidend darum, wer für die Planung, Gestaltung und Koordination des Leistungsangebots im ÖPNV die Verantwortung trägt, die öffentliche Hand oder die Unternehmen (hierzu ist wiederum auch das aktuelle Urteil des OLG Brandenburg mit seinen beträchtlichen Einschrän- kungsoptionen zu reflektieren). Während Ökonomen, die der „Freiburger Volkswirtschaftsschule“ nahe stehen, im Zweifel für offene Märkte und Wettbewerb eintreten, ergibt sich in vielen Bereichen des (Nah-)Verkehrs offensichtlich eine Grundhaltung für eine zentrale Planung, mehr oder minder kombiniert mit Wettbewerbselementen. Die negative Beurteilung einer umfassenden Marktöffnung für Nahverkehr resultiert vor allem daher, dass die Potenziale zur freiwilligen Kooperation der Unternehmen bei der Beurteilung der beiden Wettbewerbsmodelle nicht ausreichend berücksichtigt werden. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, als seien nur die Pole „Staat oder Markt“ men kann; der Marktzugang muss dann aber nicht noch „künstlich“ durch Ausschließlichkeits- rechte beschränkt werden. 581 Vgl. Weiß (1999), Kap. 3. 582 Wie an anderer Stelle bereits erläutert, ist diese Gleichsetzung ungeeignet, da bei dem Railtrack- Debakel auch ganz andere Aspekte, z.B. die vorab maroden Zustände der Infrastruktur und auch des rollenden Materials, eine Rolle spielten. 583 Vgl. Weiß (2003), S. 244. 584 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMVBW (1998), S. 222. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 247 gegeben. 585 In Deutschland ist nun gerade die Koordination des ÖPNV-Angebots traditionell Hauptaufgabe von ÖPNV-Kooperationen. Ihre Zusammenarbeit wird in der Regel von allen Beteiligten als vorteilhaft eingeschätzt. ÖPNV-Kooperationen könnten daher auch aus der Sicht eines disaggregierten Ansatzes im Wettbewerb eine wichtige Rolle bei der privaten Koordination von ÖPNV-Angeboten übernehmen. Insofern lassen sich Gründe für die Einführung des „Wettbewerbsmodells 2“ ableiten. In diesem Modell könnten sich nicht nur Preise, sondern insbesondere die Qualität frei im Wett- bewerb entwickeln. Hier besitzt dann jedes Verkehrsunternehmen die Möglichkeit, über innovative Produkt- und Preisdifferenzierungsstrategien sich auf den ÖPNV-Märkten zu behaupten. Dabei kann jede Verkehrsmitteltechnologie ihre komparativen Vorteile ein- bringen, was letztendlich zu einer Vielzahl von Angeboten an alternativen Preis- und Qualitätsunterschieden führt. 586 Die komplette Nutzung dieser Innovationspotenziale wird daher als einer der entscheidenden Vorteile für das „Wettbewerbsmodell 2“ ange- führt. 587 Demgegenüber könnte die im „Modell 1“ vorgesehene verbindliche zentrale Planung zu einer Einschränkung von Innovation und Vielfalt führen. So wurde hin- sichtlich der Zukunft des deutschen ÖPNV bereits die Befürchtung geäußert, dass bei einer Ausschreibung sämtlicher ÖPNV-Leistungen Qualitätsverschlechterungen ein- treten könnten, da die Unternehmen ihre Angebote nicht an den Bedürfnissen der Fahr- gäste ausrichten würden, sondern vielmehr nach den Ansprüchen der Besteller. 588 Vom „Wettbewerbsmodell 2“ wird dagegen für den Verkehrsbereich mehr an Inno- vation und Vielfalt erwartet. Nach Ansicht von Weiß 589 ist die umfassende Nutzung der unternehmerischen Eigenpotenziale auch und gerade bei der Lösung des Koordinations- problems das entscheidende Argument für die Einführung von Strukturen, die gemäß dieses Modells geprägt sind. Zur Lösung möglicherweise verbleibender Marktmacht- probleme biete sich der disaggregierte Ansatz an. Für eine künstliche Begrenzung des Marktzugangs ergebe sich letztendlich keine hinreichende ökonomische Rechtferti- gung 590, wobei allerdings nach Meinung des Verfassers – aus pragmatischer Perspek- tive – stets auch die faktischen Einschränkungsmöglichkeiten durch höchstrichterliche Auslegung des Wahrungsgebotes der Daseinsvorsorge zu berücksichtigen sind. 585 Dabei lässt sich – wie bereits an anderer Stelle aufgegriffen – unter der Grundvoraussetzung wettbewerblicher Erlaubnis seit Jahren in vielen wettbewerblich organisierten Branchen ein Trend zu Kooperationen und Unternehmensnetzwerken aller Art feststellen, etwa im deregulierten Luft- verkehr; vgl. zsfd. Balling (1997). Die wenigen internationalen Erfahrungen, die unter „Modell-2- Bedingungen“ gewonnen wurden, zeigen durchaus die Bereitschaft der Unternehmen, im Wettbe- werb zu kooperieren. Die gefundenen Kooperationen sind institutionell unterschiedlich angelegt und können untereinander selbst wieder im aktiven und potenziellen Wettbewerb mit anderen oder alternativen Kooperationsformen stehen, was besagt, dass institutionelle Vielfalt und institutio- neller Wettbewerb auf der Ebene der Kooperationen möglich sind. Vgl. Weiß (2003), S. 245 f. 586 Vgl. Weiß (2003), S. 246. 587 Vgl. Beesley und Glaister (1985), S. 133 ff. 588 Vgl. Stertkamp (1998), S. 211 ff. 589 Vgl. Weiß (2003), S. 246. 590 Vgl. Weiß (2003), S. 246. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 248 4.7 Derzeitige Organisation des SPNV-Betriebes: Beschreibung der Einstellgrößen Eine Trennung nach schienengebundenem Fernverkehr und Nahverkehr (Personenver- kehr) ist in Deutschland von Bedeutung, da primär der Nahverkehr (SPNV) durch unterschiedlich präzise reglementierte Bestell-, Ausschreibungs- und Vergabeverfahren einen stark öffentlich-rechtlichen Charakter aufweist. Der Personenfernverkehr unter- liegt hingegen in weit höherem Maße dem „freien Walten“ des Marktes: Er wird selb- ständig von EVUs am Markt angeboten, und das betreibende EVU trägt damit auch voll das wirtschaftliche Risiko. Während der SPNV durch die Gebietskörperschaften „gewünscht“, nachgefragt und vergeben wird, geht die Initiative des Angebotes im schienengebundenen Personenfernverkehr frei vom betreibenden EVU aus, das auf Basis sorgfältiger Marktrecherchen sein Vorhaben dahingehend kalkulieren muss, ob genügend Nachfrager (Reisende) sein Investment tragen werden. Das EVU im Nahverkehr ist also finanziell, sofern es den Zuschlag zum Betrieb einer Strecke erhalten hat, gesichert. Nicht zuletzt aufgrund dieser Konstellation dürften zukünftig zahlreiche ausländische EVUs den Eintritt in den deutschen SPNV-Markt versuchen. 591 Auf der anderen Seite muss sich das im SPNV tätige EVU den teils „strengen“ Bedingungen des beauftragenden Bundeslandes (bzw. dessen Gebietskörper- schaften), welches wiederum verbindliche Nahverkehrspläne zur Versorgung der Be- völkerung mit SPNV-Leistungen im Sinne der Daseinsvorsorge fokussiert, unterwerfen. In enger gestalteten Ausschreibungen von EVU-Leistungen betreffen die Bedingungen und Vorgaben • die Anzahl der Fahrten und Fahrzeuge sowie die Taktdichte; • die Linienführung und die Anschlüsse (sog. „verzahnter“ ÖPNV); • das Marketing, insbesondere Vertriebswege; • die Vorhaltung von Ersatzfahrzeugen • sowie besondere Anforderungen an Abmessungen und Bahnsteigbeckenhöhen. Es ist zu beachten, dass neben den Ausschreibungsinhalten auch die Vergabeverfahren von Bundesland zu Bundesland variieren, wobei grundsätzlich drei Vergabearten zu unterscheiden sind: • In offenen Verfahren wird eine unbeschränkte Zahl von EVUs zur Abgabe eines Angebotes aufgerufen. Hier spricht man im eigentlichen Sinne von „öffentlicher Ausschreibung“. 591 Vgl. Eisenkopf (2004), S. 43. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 249 • Die „beschränkte“ Ausschreibung oder das „nicht offene“ Verfahren richtet sich an eine – wie bereits der Begriff ausdrückt – eingegrenzte Zahl von Bewerbern zur Ab- gabe eines Angebotes. • In der „freihändigen“ Vergabe oder im „Verhandlungsverfahren“ agiert schließlich der Besteller in hohem Maße autonom und vergibt den Verkehr ohne öffentliche Ausschreibung nach Verhandlungen mit wenigen ausgewählten Bewerbern. Zudem kann noch nach detaillierter und funktionaler Ausschreibung differenziert werden. Die entsprechenden Aspekte werden im Rahmen der nachfolgenden Modell- überlegungen wieder aufgegriffen. Ausschreibungsergebnisse werden letztlich auch durch die wirtschaftlichen Aussichten einer EVU-Leistung im inter- und intramodalen Wettbewerb determiniert. Intramodaler Wettbewerb findet beispielsweise statt, indem ein Regionalzug, der vergleichsweise lange Strecken fährt, mit einem IC oder ICE konkurriert. Der Wettbewerbsvorteil von Regionalzügen besteht dabei im deutlich niedrigeren Fahrpreis, der Wettbewerbsnach- teil in verringertem Komfort, längerer Fahrstrecke bzw. häufigem Umsteigezwang. Hin- sichtlich des intramodalen Wettbewerbs zum SPNV durch U-Bahn- oder Straßenbahn- Schienenverkehr lässt sich festhalten, dass letztere schienengebundene Fahrzeuge zwar näher zum eigentlichen Zielort des Kunden führen können, jedoch meist nur innerstäd- tische Räume oder Ballungsregionen bedienen und zudem – im Rahmen von Verkehrs- verbünden – weder preisliche Vor- noch Nachteile bieten. Intermodale Wettbewerbsaspekte (insbesondere des Pkw bzw. des motorisierten Indi- vidualverkehrs) wurden bereits an anderer Stelle eingehend erläutert – insofern sei hier nur kurz darauf verwiesen, dass das (preislich nachteilige) Taxi und auch der Bus zwar wesentlich flexibler als der SPNV sind, da mehr Straßen als Schienen existieren, jedoch vom Phänomen der ‘Rushhour’ betroffen sein können und natürlich auch vergleichs- weise begrenzte Beförderungskapazitäten aufweisen. Weiterhin sind Fragen der Streckenlizensierung und Leasingmöglichkeiten für das rol- lende Material unmittelbar wettbewerbsrelevant bzw. es kann durch Nutzung dieser Faktoren der Wettbewerbsdruck bei den EVUs erhöht werden. Hinsichtlich der Streckenlizensierung wird derzeit überwiegend im Zeitraum von mindestens 8–15 Jah- ren operiert, wobei Verkürzungen des Zeitraums zwar den Wettbewerbsdruck erhöhen, aber auch die Planungssicherheit des Betreibers möglicherweise unbotmäßig einschrän- ken können. Lizensierungszeiträume von beispielsweise 3–5 Jahren wären im Regelfall nicht durchsetzbar. Leasing bietet den Vorteil, dass die sog. ‘sunk costs’ weniger Rele- vanz aufweisen, was insbesondere dann zu Buche schlagen kann, wenn Verkehre aus- laufen bzw. bei Neuausschreibung einer Strecke „verloren“ gehen. Auch im Fern- verkehr kann das Leasing von rollendem Material wettbewerblich interessant werden, da Umsatzrückgänge durch kürzere Leasingverträge kompensiert werden können (Flexibilität). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 250 4.8 Organisationsmodelle für einen zukunftsfähigen SPNV 4.8.1 Grundsatzüberlegungen Die nachfolgenden Modellentwicklungen sind als Maßnahmen bzw. Konzepte zur nachhaltigen Sicherung des SPNV in durch „Flächenverödung“ gefährdeten Regionen, insbesondere des ländlichen Raumes, zu betrachten. Verkehrstechnisch betrachtet, beginnt der ländliche Raum oftmals bereits an der Stadtgrenze bzw. im Umland von Städten oder Ballungszentren. 592 In diesen Räumen konstituiert sich ein beträchtlicher Teil der Verkehrsmenge aus Pendlerverkehr (Umland-Stadt/Ballungszentrum-Umland). Damit sind durchaus „stadttypische Bedingungen“ vorzufinden, während der „echte Land-Land-Verkehr“ nicht so häufig anzutreffen ist. 593 Seitens der Regionalwissenschaften werden spätestens seit Mitte der 1980er Jahre strukturpolitische Modelle favorisiert, die der „inneren Erschließung der Region den Vorzug vor ihrer Fernerreichbarkeit (regionaler Arbeitsmarkt) geben“. 594 ÖPNV und SPNV leisten dabei an den Schnittstellen von ländlichem Raum/Umland und Stadt einen Beitrag zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, zur „inneren Kon- taktpflege und Identifikation, zur ‘Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse’, kurz: zur Förderung der ‘endogenen’ Entwicklung“. 595 Nach aktuellen raumplanerischen Model- len sollte – nicht zuletzt aus Gründen des Umweltschutzes – nicht die „Siedlungsdisper- sion“, sondern vielmehr die „Siedlungskonzentration“ angestrebt werden. 596 Konzent- rierte Siedlungsgebiete können idealerweise mittels SPNV bedient werden. Auf diese Weise kann also der SPNV der verkehrswirtschaftlich-raumplanerischen Forderung gerecht werden, wonach Siedlungs- und Verkehrsentwicklung nicht primär „auto-orien- tiert“, sondern auch ökologisch steuerbar sein sollen (diese Forderung ist, wie im Folge- abschnitt 5 noch näher ausgeführt wird, auch jeder Form integraler Verkehrsplanung immanent). Zur Verknüpfung von urbaner Region und ländlichem Umfeld wurden in der Vergan- genheit bereits mehr oder minder erfolgreiche Projektmaßnahmen durchgeführt. Hierbei zeichnete sich ab, dass solche Verknüpfungsmodelle eines effizienten Marketings, gezielter Kommunikation und auch verständlicher Preisstrukturen/-anreize bedürfen; verwiesen sei in diesem Zusammenhang beispielsweise auf das in den 1980er Jahren im Rhein-Ruhr-Raum eingeführte ‘Ticket 2000’, womit die Fahrgastzahlen (ÖPNV und Regionalverkehr mit SPNV) deutlich gesteigert werden konnten, sowie auf ähnlich kon- 592 Vgl. Siedentop (1999), S. 146 f. 593 Vgl. Hawel (1985), S. 20. 594 Vgl. Hawel (1985), S. 19. 595 Vgl. Hawel (1985), S. 19. 596 Vgl. Apel (2001), S. 146 f. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 251 zipierte ‘Bundling’-Angebote. 597 Der Zuschussbedarf des regionalen Verkehrs bzw. von Verkehrsverbünden ließ sich im Rahmen solch innovativer Modelle reduzieren. Entsprechende Kommunikations- und Preismodelle gehen insoweit auch deutlich über die in der politischen Diskussion teils anzutreffende Fokussierung der Kreuzpreiselasti- zitäten (SPNV : motorisierter Individualverkehr mit Kfz) hinaus, die bei einer Relation von 0,1 „zu Ungunsten“ der Schiene ohnehin keine realistischen Handlungsmöglich- keiten in sich bergen. 598 Wesentlich problematischer bzw. defizitärer stellt sich die Konstellation allerdings in jenen ländlichen Räumen dar, die weiter ab von den urbanen Zentren oder Ballungs- räumen liegen [Einzugsgebiet des eigentlichen (Nebenstrecken-)SPNV ‘in der Fläche’]. Hier sind Verbindungen oftmals von Verspätungen, schlechten Anbindungen, wenn nicht sogar von der Planung einer Stilllegung gekennzeichnet. Kritiker sprechen für einige Flächensituationen von einem „Chaos auf den Schienen“, während für ‘Renom- mierprojekte’ mit fragwürdigem Nutzwert für die Bahnkunden wie etwa den Metrorapid Düsseldorf-Dortmund (Zeitvorteil gegenüber herkömmlichem Schnellverkehr: 7 Min.) Milliardensummen zur Diskussion standen. 599 Das deutsche Schienenwegenetz befindet sich überwiegend im Verantwortungsbereich der DB Netz AG. Rund 10.000 Streckenkilometer des DB-Netzes (Gesamtlänge ca. 40.000 km), die aufgrund ihrer vorrangigen Abdeckung der Fläche besonders von der vorgenannten Defizitproblematik betroffen sind, zeichnen sich durch die folgenden SPNV-Charakteristika aus: 600 • Eingleisigkeit bzw. nur in Abschnitten zweigleisige Streckenführung. • Geringer Elektrifizierungsgrad, Kapazitätserfüllung zumeist mit Diesel-Triebwagen. • SPNV-Regelbetrieb etwa im Stundentakt mit Höchstgeschwindigkeiten der Fahr- zeuge von im Mittel 70 km/h. • Partielle bzw. eher geringe Abdeckung der Strecke durch Güterzugdurchläufe. • Abstände der Haltepunkte zwischen 3 und 5 Kilometern im Mittel. 597 Vgl. Mattigkeit (2003). 598 Berechnung der aktuellen Kreuzpreiselastizität: Pers. Mitt. durch Herrn Dipl.-Kfm. Hohage, DB Bildungsmanagement, im Nov. 2003. – Überspitzt ausgedrückt, ließe sich auch vorbringen, dass es auf der Basis reiner Nutzungskosten am effektivsten wäre, den defizitären SPNV ganz abzuschaf- fen und die darauf Angewiesenen mit Individualfahrzeugen zu „beglücken“. Selbstverständlich wäre solch ein Vorschlag absurd, aber er zeigt die letzte Konsequenz einer ausschließlichen Nut- zungskostenfokussierung. 599 Vgl. Hüwel (2003), S. 2. 600 Vgl. Zimmer (2002a), S. 44. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 252 Trotz Subventionen und regionalspezifischer Fördermittel sind weite Teile dieses Net- zes im Bestand gefährdet (v.a. in den Neuen Bundesländern, Problem der Flächen- verödung). 601 Nach bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen 602 ist im Rahmen der modelltheoretischen Überlegungen und Grundsatzvorgaben insbesondere zu unter- scheiden nach: * übergeordneten (normativen) Zielvorgaben, * bau- und betriebsrechtlichen Zielvorgaben. Für die bau- und betriebsrechtlichen Zielvorgaben müssen die Unterschiede von Eisen- bahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EIU, EVU) reflek- tiert werden, da im Rahmen einer sinnvollerweise desintegrierten Gesamtstrategie (s. Kap. 4.4.1, 4.4.2) beide Unternehmensformen mit verschiedenartigen Aufgaben, Pro- blemen und Strategien konfrontiert werden (Tabelle 12). Tabelle 12: Unterscheidungsmerkmale von EIU und EVU am Beispiel von Nebenstrecken/SPNV (desintegrierter Kontext) Merkmal EIU (Nebenstrecken) EVU (SPNV) Kernmerkmale • Betreibt Schienenwege • Stimmt Angebot langfristig im Verkehrswegenetz ab • Ist orientiert an Verkehrsunternehmen • Betreibt Fahrzeuge • Stimmt Angebot kurz- und mittel- fristig im Netzwerk von Verkehrsunternehmen ab • Ist orientiert an Reisenden Kernfokus Bauingenieurwesen Maschinenbauwesen Typische Probleme im Alltag • Entwicklung von Haltepunkten in Abstimmung mit Planungsrecht und baulichem Umfeld • Sicherung von Untergrund im Konflikt mit Entwässerungsproblemen • Durchführung von Sanierungs- arbeiten bei lfd. Verkehrsbetrieb • Anpassung der Fahrzeugkapazität an schwankende Nachfrage • Veränderung und Abstimmung von Tarifen • Optimierung von Fahrzeugumläufen unter Berücksichtigung der Wirkungen auf den Personalbedarf Strategische Partner • EVU • Bau- und Ausrüstungsindustrie • Andere Infrastrukturunternehmen • Aufgabenträger / Fahrgast • Fahrzeugindustrie • Andere Verkehrsunternehmen Quelle: Gemäß Zimmer (2002b), S. 27 601 Nach persönl. Mitt. von Dr. Jochen Brandau, Eisenbahnbetriebsleiter bei der Deutschen Bahn AG, DB Regio, im November 2003, beträgt der gesamte Zuschussbedarf aller deutschen EIU allein für den Nahverkehr die enorme Summe von rund 6,5 Mrd. EUR pro Jahr. Diese Summe gibt gleich- zeitig das Potenzial vor, in dem die öffentlichen Haushalte bei effizienterer Organisation bzw. Neustrukturierung des entsprechenden Verkehrs entlastet werden können. 602 Vgl. insbesondere: Barth (2000), Zachcial et al. (1994), Zimmer (2002b). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 253 Übergeordnete Zielvorgaben: 603 I. Langfristige und möglichst weitgehende Sicherung des SPNV als Instrument der Flächenerschließung und Alternative zur Straße (Ausnahmen: „sinnfreie“ Strecken gemäß empirischer Streckenauslastungsermittlungen, 604 hier wäre die SPNV-Aufrechterhaltung volkswirtschaftlich nachteilig und insofern eine Sub- stitution geboten: Busse, bedarfsorientierte Kleinbusse o.ä.). II. Transfer der regional geprägten Netze (SPNV) in den Verantwortungsbereich der Länder (derzeitiger Status: rechtliche Zuständigkeit für Eisenbahninfrastruktur liegt beim Bund und nicht bei den Ländern, Bund wiederum ist in wettbewerbs- widriger Konstellation hierarchisch dem EBA und auch – als Eigentümer – der DB übergeordnet). Zu fordernde föderale Strukturen sind mithin im Falle von NE- Bahnen durch das Aufsichtsorgan „Landesbevollmächtigter für Bahnaufsicht“ (LfB) bereits erfüllt. Grundsätzlich kann die Forderung nach verstärkten föderalen Strukturen also nicht als realitätsfern bezeichnet werden. III. Bessere (Bundes-)Mittelallokation und ortsnähere, flexiblere Entscheidungsstruk- turen (zu wesentlichen Teilen ergibt sich diese Forderung aus Punkt II). IV. Initiierung bzw. Verstärkung des Wettbewerbs europäischer (nicht nur deutscher) EVUs um die Streckenbedienungen, 605 Kostensenkungen und Reduzierung des öffentlichen Zuschussbedarfs ohne Sicherheits-/Qualitätseinbußen (bei gleich- zeitiger Anerkennung der nicht zu erzielenden Vollkostendeckung). Bau- und betriebstechnische Zielvorgaben: 606 I. Kostenreduzierung und Aufrechterhaltung des Betriebes bzw. Revitalisierung von Strecken i.R. einer desintegrierten Strategie (wobei Desintegration nicht zwingend zwei oder mehr unabhängige börsennotierte Unternehmen für Netz und Betrieb beinhalten muss – Negativbeispiel ‘Railtrack’). II. Desintegration schließt vielmehr folgende Zielvorgaben ein: 603 Extraktion der übergeordneten Zielvorgaben in Anlehnung an Zimmer (2002b), S. 26 f. 604 Solche Verfahren finden im Bereich der Straßeninfrastruktur bereits seit längerem intensive Anwendung; vgl. etwa FGSV (1988). 605 Durch aktuelle höchstrichterliche Rechtssprechung (OLG Brandenburg, Urteil v. 2.9.2003) ist es allerdings fraglich, inwieweit durchgreifende Reformansätze hinsichtlich dieses Aspektes wirklich praktikabel sind; die Realisierung auch der folgenden Hinweise setzt insofern verantwortungsbe- wusstes Denken und Handeln seitens der politischen Entscheidungsträger und der DB voraus, wobei sich mithin positive Sachzwänge allein schon aus den dargelegten Vorteilen i.S. der Kosteneffizienz ergeben. 606 Extraktion der bau-/betriebstechnischen Zielvorgaben wiederum in Anlehnung an Zimmer (2002b), S. 27 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 254 1. Verbindliche Sicherheits- und Technikstandards bei durchaus „einfach- robustem“ (sparsamem) Technikeinsatz auf SPNV-Nebenstrecken. 2. EVU konzentriert sich auf seine Kernkompetenzen und – betriebswirtschaft- lich zwingend – auf Kosteneffizienz (Personalkosten, Betriebskosten). 3. Infrastruktur-Unternehmung konzentriert sich auf ihre Kernkompetenz und ebenfalls auf Kosteneffizienz (bedeutet z.B. auch Zukauf externer Bau- und Instandhaltungs-Dienstleistungen, die der Markt bereithält). 607 III. Die Allokation von Fördermitteln sollte stärker nach betrieblichen Gegebenheiten erfolgen (Beispiele: Streckentopographie, Streckenaus- und -belastung, baulicher Zustand). Beträchtliche Kostenbelastungen insbesondere auf SPNV-Trassen in Regionen weitab der Ballungszentren ergeben sich immer noch aus veralteten Technologien: Hier ist bei einem Zugverkehr im Stundentakt eine Relation von zwei Zugführern auf Seiten des EVU zu 20 Fachmitarbeitern auf Seiten des Infra- strukturbetreibers durchaus keine Ausnahme. Entsprechende Missstände können durch Einmalinvestitionen in Zugleitsysteme und intelligente Vertaktung des Zugverkehrs behoben werden. (Wiederum ist darauf hinzuweisen, dass „moderner Technikeinsatz“ nur bei entsprechender Streckenbelastung unter Sicherheitsüber- legungen notwendig ist; andere Nebenstrecken sind durchaus mit „robuster“ Technik und auch entsprechend robusten Fahrzeugen zu betreiben.) Die Anwendung der genannten streckenspezifischen Faktoren als sog. ‘Regionalfakto- ren’ kann zwar die Kostenaspekte der unterschiedlichen Strecken transparenter machen, aber für viele Nebenstrecken der Fläche in topographisch-baulich ‘ungünstigem’ Zustand auch eine merkliche Erhöhung der Trassenentgelte darstellen. Die auf den (Neben-)Strecken verkehrenden Züge sind überwiegend dem SPNV zuzuordnen, welcher wiederum von den zuständigen Aufgabenträgern (Bestellerverantwortung der Länder) aus Bundes-Regionalisierungsmitteln mitfinanziert wird. 608 Kritische Stimmen wiesen darauf hin, dass die streckenspezifischen Regionalfaktoren sogar „als Ansatz der Finanzierung der Defizite der DB Netz AG unter Zugriff auf die Regionalisierungs- mittel der Länder“ (und indirektem Zugriff auf die Bundesmittel), letztlich also als ver- steckte Quersubventionierung, verstanden werden können. 609 Ursprünglich sollten die streckenspezifischen Regionalfaktoren mit Wirkung zum 1.1.2003 angewendet werden. 610 Die spezifische Trassenentgeltfestsetzung nach 607 Nach seriösen Praktikabilitätsstudien können nicht der DB zugehörige Wettbewerbs-EVU unter der Bedingung erfüllter Sicherheits- und Qualitätsnormen bei Personalkosten bis zu 50% (!) der Mittel einsparen; ähnliche Relationen sind bei der Ausführung von Bau- oder Instandhaltungs- maßnahmen gegeben. 608 Vgl. Kolks (1998), S. 227 f. 609 Vgl. Zimmer (2002a), S. 44. 610 Vgl. DB AG (2002a). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 255 betriebstechnischen Gegebenheiten wird nach Recherchen des Verfassers aber nicht nach dem teils in der Literatur kontrovers diskutierten und ohnehin als intransparent bzw. unverständlich aufgefassten 611 Modus durchgeführt. Vielmehr kommt ein eher simpler Modus zur Anwendung, der nur die Elektrifizierung sowie die erreichbare Höchstgeschwindigkeit einer Strecke als spezifische, die Trassenpreise erhöhende respektive modifizierende Faktoren (bei den nicht elektrifizierten SPNV-Strecken, auf denen keine hohen Fahrtgeschwindigkeiten gegeben sind) mit einbezieht. 612 Gleich- wohl resultierten hieraus Erhöhungen der SPNV-Trassenpreise, die nach Meinung des VDV (Verband der Verkehrsunternehmen) bis zu 18% betragen, wobei diese Zahlen jedoch strittig sind. 613 Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dürfte die Diskussion um eine ange- messene und streckenspezifische Trassenpreisfestsetzung im Rahmen des Trassenpreis- systems der DB Netz AG noch nicht abgeschlossen sein; ferner untermauert die Diskus- sion um so nachhaltiger die Unabdingbarkeit von Kosteneffektivitätsmodellen insbe- sondere für den SPNV. 4.8.2 Praktikable Modellansätze Die Abgabe von Strecken in flächenverödungs-gefährdeten Regionen wird teils von der DB angestrebt. Hierbei stellt die DB Netz AG, als das führende Eisenbahninfrastruktur- unternehmen Deutschlands, den Weiterbetrieb vieler solcher Strecken im Regelfall aus betriebswirtschaftlichen Gründen in Frage. Diese Strecken erfordern oftmals bauliche Maßnahmen (Baukosten). Aktuell offenbart die Netzinfrastruktur jenseits der Hauptstrecken einen ausgeprägten Investitionsstau (Kostenfaktor), und dies nicht zuletzt auch angesichts nicht ausreichen- der Unterhaltung (Oberbau, Ingenieurbauwerke). Nach Angabe der DB AG (Stand: Mai 611 Vgl. etwa Eurailpress (2002) sowie das Positionspapier zur Kritik der Regionalfaktoren der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger im SPNV: BAG-SPNV (2002). 612 Persönliche Mitteilung von Dipl.-Vw. Volker Butzbach, Vertriebsbeauftragter DB Netz AG, im Oktober 2003. 613 Vgl. BAG-SPNV (2002). – Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Trassenentgelte mitnich- ten nach der Abnahmemenge gestaffelt werden (etwa nach einem Rabattsystem wie in einer Marktwirtschaft üblich). Ausschließlich die genannten Charakteristika der Trasse sind relevant. Die Preispolitik der DB orientiert sich hier also nicht nach Nachfragebedingungen, sondern ist nur angebotsorientiert. Für kleinere Abnehmer wäre damit in diesem speziellen Punkt, gemessen an sonstigen marktwirtschaftlichen Usancen, von einer „Antidiskriminierung“ auszugehen. Versuche einer Rabattierung von „Großabnehmern“ durch die DB Netz AG würden im Übrigen umgehend vom EBA sanktioniert. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 256 2002) werden hier von 6415 Stellwerken nur 122 elektronisch bedient, und nur 43,2% der 25941 Bahnübergänge sind technisch gesichert. 614 Wie bereits weiter oben kurz umrissen, fällt die Bestellerfunktion in den Verantwor- tungsbereich der Länder bzw. ihrer Aufgabenträger, welche – u.a. aus regionalpoliti- schen Gründen – neben flächenerschließendem/-deckendem SPNV auch kosteneffektive und sich über möglichst langfristige Planungszeiträume erstreckende Verträge mit Eisenbahnverkehrsunternehmen anstreben. Modelltheoretisch scheint diese Kosten- effektivität durch eine Organisationsstruktur, bei welcher der extrem voluminöse Infra- strukturbereich der DB partiell immer noch mit der EVU-Ebene verflochten ist, 615 eingeschränkt zu sein, weswegen ja auch die an die DB gerichteten Forderungen nach konsequenter Auseinanderhaltung von EIU- und EVU-Ebene verständlich sind (Des- integration). 616 Vor dem Hintergrund einer derartigen Desintegrationsstrategie ist die Überführung solcher Strecken in neue Betriebsmodelle bzw. ein Umbau grundsätzlich vorteilhafter als eine Streckenaufgabe (Ausnahme: die besagten „sinnfreien Strecken“, die für ein EVU wie für die Region ohnehin gänzlich unattraktiv wären). Insbesondere folgende Modellansätze sind nach gegenwärtigem Forschungsstand zukunftsfähig, wobei wiederum zwischen der EIU- und EVU-Ebene zu differenzieren ist (abgesehen vom ‘Mischmodell’): 617 • EIU-(Bau-)Unternehmer-Modell: Ein als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zugelassenes (Bau-)Unternehmen übernimmt die Verantwortung für Baumaßnahmen und Betrieb einer abgrenzbaren Regionalstrecke bzw. eines abgrenzbaren Regionalstreckennetzes. Vorteil: Kom- pakte Abwicklung liegt bei einem kompetenten Partner. Notwendig: Detailliertes Ausschreibungsverfahren seitens der öffentlichen Hand (Land) als Grundlage für EU-konforme Zuweisung der Investitionszulagen. Fraglich: Trotz großer Akzeptanz bei Bauindustrie und mittelständischen Kandidatenunternehmen ist die tatsächliche Nachfrage solcher Partner schwer zu bestimmen. • EIU-Betreibermodell: Das übernehmende EIU konzentriert sich i.S. seiner Kernkompetenz auf den Betrieb. Der Betreiber ist mithin für bauliche und Wartungs-/Instandhaltungs-Maß- nahmen verantwortlich, kann solche Leistungen jedoch am Markt einkaufen. Vor- 614 Vgl. DB AG (2002b). 615 wobei die DB trotz ihres voluminösen ‘Apparates’ selbst seitens der Politik (NRW-Verkehrsminis- ter Axel Horstmann) noch unlängst dafür gerügt werden musste, gerade im SPNV zu knappe Kapazitäten für Wartung und Reparatur sowie Reservehaltungskapazitäten bereit zu stellen; vgl. Hüwel und Kühn (2003), S. K-PU3. 616 Vgl. Ewers und Ilgmann (2001). 617 Darstellung der Modelle gemäß Zimmer (2002b), S. 49 f., sowie Grandjot (2002), S. 112. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 257 teil: Entspricht am ehesten dem zuvor dargelegten Desintegrations- und auch Kostensenkungsgedanken. • EVU-Betreibermodell: Marktnahes „Mischmodell“, bei dem EIU und EVU – in unterschiedlichen Graduie- rungen – „identisch“ sind, d.h. Verkehr und notwendige Maßnahmen hinsichtlich (Aus-)Bau und Erhaltung der Infrastruktur übernimmt ein ausführendes Organ. Durchaus realitätsnahes Modell, insbesondere für die „Revitalisierung“ von eindeu- tig abgegrenzten Nebenstrecken in der Fläche geeignet, bereits positive und auch verkehrswissenschaftlich reflektierte Erfahrungen 618 anhand konkreter „Klein- Unternehmen“. Kommt den Maßgaben nach Dezentralität, „Ortsnähe“ und „Robust- heit“ sehr nahe. Auch als „reines“ EVU-Modell mit Konzentration auf die Ver- kehrsdienstleistung (Fahrbetrieb) konzipierbar. Die vorstehenden Modelle erfordern grundsätzlich regionalisierte und unter dezentraler Verantwortung stehende Einheiten für den Betrieb der SPNV-Strecken. Damit fügen sich die Modelle in den (übergeordneten) „idealtypischen“ Gestaltungsrahmen ein, der in den Abschnitten 4.4 und 4.5 skizziert wurde (z.B. Desintegration, wettbewerbliche Vergabe von Bauleistungen an Unternehmer, Ausschreibung). Vor allem das Betreibermodell bietet unter pragmatischer Perspektive eine wirtschaft- lich sinnvolle Anpassung an die Strukturen der DB Netz AG, bei der das Hauptproblem darin besteht, „dass dann, wenn eine Abgabe einer Strecke konkret gewollt ist, die Suche des neuen Betreibers nach internen Zielvorgaben erfolgt und dabei später grei- fende Erfordernisse der Ausschreibung von Bauleistungen beispielsweise nicht berück- sichtigt werden“. 619 Gerade die öffentliche Hand als Bereitstellerin von Fördermitteln (etwa zuständige Landesverwaltung) wird jedoch in das Auswahlprozedere der DB Netz AG zurzeit noch nicht systematisch integriert. Die konkrete Umsetzung praktikabler Modelle für den SPNV in der Fläche ist mithin ein nicht einfaches Unterfangen, das insbesondere im Falle von Reaktivierungen zudem nicht schematisch betrieben werden kann. Oftmals konfrontiert es die Verantwortlichen der lokalen Aufgabenträger bzw. Gebietskörperschaften, die aus verständlichen Grün- den wieder den Anschluss ‘ihrer’ Regionen an das Eisenbahnnetz fordern, mit Proble- men und Ungewissheit: „Die Reaktivierung ist aber ein komplexes Unternehmen, bei dem aus dem alten ‘Zügle’ ein modernes Nahverkehrsmittel werden muß. – Unter den Akteuren besteht große Unsicherheit hinsichtlich der Bedingungen, der Kosten und der Konsequenzen“. 620 618 Forschungsprojekt „Stilllegung von Eisenbahnstrecken“ an der FH Erfurt, lfd. Berichterstattung seit 2001; vgl. ferner Zimmer (2001). 619 Vgl. Zimmer (2002b), S. 49. 620 Vgl. Akademie für Technikfolgenabschätzung (AfT) Baden-Württemberg (1997), o.S. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 258 Gerade Reaktivierungen stillgelegter Nebenbahnen in ländlichen Regionen erfordern daher eine differenzierte Vorplanung und tragfähige Konzepte, da ansonsten massive Beeinträchtigungen der ohnehin meist defizitären Aufgabenträgerhaushalte resultieren würden: „Reaktivierung kostet Geld. Eine Million D-Mark [also rund 0,5 Mio. EUR; d. Verf.] je km Strecke (ohne Fahrzeuge!) sind durchaus übliche Kosten. (...) Die Bahn kann in einem weit verstreuten Siedlungsgebiet und/oder bei längerer Strecke gegenüber der Straße nicht gegen die ‘Konkurrenz Auto’ bestehen. – Sorg- fältige Vorplanung und eine risikobewußte Entscheidung sind unverzichtbar, auch wenn es keine Förder- mittel dafür gibt. – Mit einer Reaktivierung sind hohe planerische und finanzielle Aufwendungen und auch Risiken verbunden: Zuschüsse nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) müssen, wenn die Strecke weniger als 25 Jahre betrieben wird, anteilig zurückgezahlt werden. – Dem symbo- lischen Preis von 1-, DM für die Übernahme der Strecke von der DB AG können Millionen-Verluste folgen: Nach GVFG werden nur echte Neubauten, nicht aber Sanierungen bezuschußt – wird die Strecke wieder aufgegeben, so fallen alle Anlagen ohne Ausgleich an die DB“. 621 Mithin bestätigte in der Vergangenheit der überwiegende Erfolg die Planer und Initiato- ren von Reaktivierungsmaßnahmen in der Fläche: In Baden-Württemberg stellen bei- spielsweise Strecken wie die ‘Schönbuchbahn’ mit ca. 4000 Fahrgästen pro Werktag oder die Stahringen-Stockach-Bahn in Südschwaben (Bodenseeregion) unter Beweis, „daß mit neuen Konzepten aus stillgelegten Gleisen attraktive Verbindungen werden können“. 622 Man sollte sich in diesem Zusammenhang jedoch vor unzulässigen Generalisierungen hüten: So befindet sich in räumlicher Nähe zur Schönbuchbahn die ‘Wieslauftalbahn’, eine rund 10,6 km lange Gleisstrecke, die 1995 mit rund 20 Mio. DM (10 Mio. EUR) reaktiviert wurde und von drei Trieb- und zwei Steuerwagen im Halbstundentakt be- dient wird (im Mittel 3900 Fahrgäste täglich) (s. Abbildung 12). Das in unmittelbarer kommunaler Trägerschaft stehende EIU-EVU-Mischmodell ‘Wieslauftalbahn’ bedarf einer jährlichen Subventionsleistung von mehr als 0,3 Mio. EUR, die wiederum die involvierten Kommunen Schorndorf und Rudersberg sowie der Rems-Murr-Kreis bei- steuern. Da von Gesetz wegen der ‘Verkehrsverband Region Stuttgart’ nicht nur für die S-Bahnen des Stuttgarter Ballungsraumes, sondern als Aufgabenträger auch für den „regional-bedeutsamen Schienennahverkehr mit Ausgangs- und Endpunkt innerhalb des [großflächigen; d. Verf.] Verbandsgebietes zuständig ist“, wird mittlerweile von einigen Wieslauftalbahn-Verantwortlichen sogar eine ‘Re-Regionalisierung’ der Strecke ange- strebt. 623 621 Vgl. Akademie für Technikfolgenabschätzung (AfT) Baden-Württemberg (1997), o.S. 622 Vgl. Akademie für Technikfolgenabschätzung (AfT) Baden-Württemberg (1997), o.S.; vgl. auch die positiv-zusammenfassende Darstellung von Schröder (2001). 623 Vgl. Ohnewald (2003), S. 30. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 259 Abbildung 12: DB-Strecken und NE-Bahnen in der Region Stuttgart (mit ≈ 50-60 km Ausdehnung in die Fläche) Quelle: Abbildung in leicht angepasster Form entnommen bei: Ohnewald (2003), S. 30 Der regionale Aufgabenträger (Verkehrsverband) verweist auf seine im Rahmen der S- Bahn-Trägerschaft bewiesenen Einsparungskompetenzen und ist mithin lediglich zu einer Übernahme der fraglichen Strecke auf Basis eines symbolischen 1-EUR-Vertrages bereit, während der Restwert der Wieslauftalbahn-Fahrzeuge bei immerhin 2,2 Mio. EUR liegt. 624 Zu bedenken ist schließlich auch, dass selbst die genannte „Problem- strecke“ sich immer noch im Einzugsgebiet des wirtschaftlich starken Großraums Stutt- gart befindet, was als Vorteil zu werten ist. Die Ausgangslage ist hier also positiver als bei vielen Nebenbahnen in verödungsgefährdeten Flächen weitab von Ballungszentren, in denen teilweise keine ausreichenden Fahrgastzahlen vorhanden sind, weil auch die Kaufkraft der für den öffentlichen Verkehr in Frage kommenden Bevölkerungskreise niedriger ist (siehe hierzu Abbildung 13 mit Darstellung der Nebenbahnen über das Stuttgarter Ballungsgebiet hinaus). 624 Vgl. Ohnewald (2003), S. 30. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 260 Abbildung 13: Orientierende Darstellung weiterer baden-württembergischer, über das Stuttgarter Ballungsgebiet hinausgehender und teils „reaktivierter“ SPNV-Nebenbahnen (farbig) Quelle: Studie „Renaissance des Schienenpersonennahverkehrs“ von Prof. Schröder/Freiburg (2001), S. 284 Zimmer, der die Sanierungsergebnisse von Nebenstrecken vor allem in den vormals durch Investitionsstaus besonders betroffenen Neuen Bundesländern empirisch unter- suchte, kam zu der Schlussfolgerung, dass auf Basis der vorgenannten Betreiber- und Mischmodelle Trassenpreise (nach Streckensanierung) von ca. 3,00 EUR pro Zgkm 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 261 erreichbar sind. Dieser Wert unterschreitet deutlich den Trassenpreis für den Betrieb auf früheren DB Netz-Abschnitten. Die Eckdaten (Mittelwerte) aus sechs eingehend ana- lysierten Sanierungsprojekten in Sachsen und Thüringen stellen sich wie folgt dar: 625 NE-Streckenlänge: 23,2 km. Spezifische Sanierungs- kosten (Mio. EUR/km): 0,44 Mio. EUR bei 5 Projekten, 1,3 Mio. km bei 1 Projekt (hier komplette Neuelektrifizierung und Intensivbauten). Prozentuale Steigerung der Streckengeschwin- digkeit vor–nach: 37,7%. Trassenpreis des vertak- teten SPNV auf den sanierten Strecken: 3,00 EUR/Zgkm. Die vorstehenden, auf den Erhebungen Zimmers beruhenden Daten dürften den derzeit aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Tragfähigkeit und zu betriebswirt- schaftlichen Parametern von Modellen der SPNV-Sanierung beziehungsweise -auf- rechterhaltung in der Fläche beinhalten. 626 Mithin sind die Modelle auf bestimmte Rahmenbedingungen angewiesen: Als entschei- denden Faktor für das Gelingen der Modelle stellt der Autor heraus, „dass die Strecken von kleineren Eisenbahninfrastrukturunternehmen vorgehalten werden, die auf Basis dieser Trassenpreise langfristig unabhängig und gesichert existieren können“. 627 Ferner ist gemäß der empirischen Erhebungen für viele Nebenstrecken der Fläche ein maß- voller Technikeinsatz (mittlerer Automatisierungsgrad) die beste Lösung (Abbildung 14). Als unabdingbare Modellparameter werden ferner die qualifizierte Planung (Defini- tion der Zielvorgaben, Toleranzbreite der Folgekosten) und Ausschreibung der Tech- nologie angesehen. 628 Wie im Rahmen der eigenen Modellüberlegungen im Folgekapitel präzisiert werden wird, ist vor allem der Ausschreibungsmodus auch für ‘reine’, also von der Netzebene getrennt zu betrachtende EVU-Modelle sowie für die Mischmodelle entscheidend. 625 Die Werte wurden vom Verfasser eigenständig aus den bei Zimmer (2002a), S. 48, veröffentlich- ten Daten errechnet. 626 Die ökonometrischen Modelldaten Storchmanns (1998) beschäftigen sich zwar auch mit dem ÖPNV-Defizit in Theorie und Praxis, jedoch wird in seiner Untersuchung mehr auf den kommu- nalen (Bus-)Verkehr sowie auf die „Implikationen von ÖPNV- und Kraftstoffpreisvarianten“ (S. 87) abgestellt. Die Modellanalysen sind also in gewisser Weise ‘atomistischer’ angelegt als die hier vorgestellten Neustrukturierungsmodelle für den SPNV. 627 Vgl. Zimmer (2002a), S. 48. 628 Vgl. auch VDV (2000) sowie Zimmer et al. (2001). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 262 Abbildung 14: Technikeinsatz und Bedienungsfrequenz auf Nebenstrecken in der Fläche (markiert: angemessene technische Anforderungen, zu- sätzlich umrahmt: für zahlreiche Nebenstrecken als Mindest- standard ausreichend) Technikeinsatz Voll signalisierter Streckenblock (wie bei der konventionellen Eisenbahn) Signalisierter Zugleit- betrieb Zugleitbetrieb Fahrbetrieb mit nur einer Zugeinheit (ohne Betriebs- überwachung), i.d.R. nicht für SPNV Täglich Mehrfach täglich Stündlich Stündlich, zweifach Stündlich, mehrfach Bedienungsfrequenz / Kreuzungshäufigkeit Quelle: Gestaltung der Abbildung in enger Anlehnung an Zimmer (2002a), S. 50 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass von Zimmer bereits ein integriertes Modell zur Umstrukturierung des regionalen Infrastrukturbetriebes und SPNV ent- wickelt wurde, das – grob zusammengefasst – folgende Kernmerkmale aufweist und mit den dezentralen Betreiber- sowie Mischkonzepten vereinbar ist 629 (siehe auch Abbildung 15): • Regionale Schienenwege werden in die Verantwortung der Länder überführt. • Die Länder bekommen eine Finanzmittelausstattung entsprechend des Anteils von Bundesmitteln, der derzeit in die betroffenen Netze fließt. Die Finanzmittel werden gemäß eines Einwohnerdichteschlüssels (Fläche mal Bevölkerung) zugewiesen, ferner kommt ein Strukturausgleich hinsichtlich der je nach Land unterschiedlichen bautechnischen Gegebenheiten zur Anwendung. • Gegenwärtig in den Regionalisierungsmitteln enthaltene Anteile für den Infrastrukturbetrieb werden gesondert ausgewiesen und als Basis für den zukünf- tigen Infrastrukturbetrieb fortgeschrieben. • Seitens des Bundes werden einheitliche Kriterien für die Flächenerschließung und die Qualität der vorzuhaltenden Schieneninfrastruktur entwickelt; die Länder wiederum bestimmen nach eigenen Überlegungen die Verwendung der Mittel (auch 629 Vgl. Zimmer (2002b), S. 53. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 263 zur Finanzierung regionalpolitisch konzentrierter Flächenerschließungs- oder ‘Reaktivierungs’-Programme). Abbildung 15: Integriertes Modell zur Neustrukturierung und Privatisierung des regionalen Infrastrukturbetriebes und von SPNV-Leistun- gen Quelle: Vgl. Zimmer (2002b), S. 53 • Für den Infrastrukturbetrieb übernehmen regional organisierte EIU die Verantwor- tung, und zwar in der Regel ohne direkte öffentliche Beteiligung, jedoch ggf. mit einer Minoritätsbeteiligung der DB Netz AG. Die EIU unterbreiten auch Investi- tionsvorschläge für „ihr“ Schienennetz. Die Zuschussvergabe erfolgt durch die Län- der, welche wiederum die Prüfung der technisch-qualitativen Standards mittels der LfB übernehmen. • Zudem stellen die SPNV-Aufgabenträger „ihren“ Infrastrukturbedarf auf Basis ihrer Nahverkehrspläne fest. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 264 • Ein Finanzierungsinstitut (KfW, halböffentliche Kreditanstalt für Wiederaufbau) vergibt die für die Investitionen notwendigen Kredite und prüft hierbei auch die betriebswirtschaftliche Konzeption des jeweiligen EIU. Der Verfasser hält es angesichts der involvierten politischen und verkehrswirtschaftli- chen Instanzen (Bund, Länder, DB AG) für fraglich, inwieweit das vorstehende Modell tatsächlich umzusetzen ist. Die grundsätzliche Praktikabilität kann durchaus angenom- men werden, da klare und nachvollziehbare Strukturen und Reformen gefordert werden; der pragmatische Stellenwert des Modells in der verkehrswirtschaftlichen Realität scheint hingegen schwer einzuschätzen zu sein. Auch angesichts dieser bislang wissen- schaftlich nicht geklärten Fragen wurde dessen wahrgenommene Umsetzbarkeit vor- liegend empirisch mit überprüft (s. Kap. 4.8.3.2). 4.8.3 Eigene Modellentwicklung, Auswirkungen auf die Flächen- verödungsproblematik und empirische Bewertung 4.8.3.1 Eigene Modellentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Flächenverödungsproblematik Auf Basis der bereits vorliegenden verkehrswissenschaftlichen Untersuchungen und eigener Überlegungen lassen sich die hierarchisch übergeordneten Anforderungen an ein Modell, das auch zukünftig den Bestand von SPNV-Strecken vor allem in der Fläche aufrecht erhält, wie folgt kennzeichnen: * Weder eine „rein“ liberalistische noch „rein“ interventionistische Orientierung macht für das konkrete Problemfeld – SPNV in der verödungsgefährdeten Fläche – Sinn. Aus dieser Position heraus wird der Fokus wegverlagert von den „radikaleren“ Lösungen wie etwa einer konsequenten Ausgliederung des Netzes aus dem Zustän- digkeitsbereich der DB-Holding, wofür wettbewerbstheoretische Überlegungen durchaus sprechen würden (s. Abschnitte 4.5, 4.7); vielmehr steht die Suche nach pragmatisch umsetzbaren Handlungsmöglichkeiten (Zügigkeit der Maßnahmen, Effizienz, Vereinbarkeit mit den gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen) im Mittelpunkt. * Desintegration: Die Trennung von Netz (Fahrweg) und Betrieb ist insgesamt zielführend, wenngleich für kleinere Nebenbahnen in der Fläche auch Mischmodelle problemadäquat sind. * Die Verantwortung der Länder für den regionalen Schienenverkehr ist zu stärken, Entscheidungsstrukturen sind dezentralisierter zu gestalten und insofern regionali- siertere Einheiten für den Betrieb bestimmter Eisenbahnstrecken zu bilden. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 265 * Der Technikeinsatz ist grundsätzlich robust zu halten, was aber nicht auf Kosten der Sicherheit gehen darf; entsprechende technische Möglichkeiten bestehen (siehe Punkt 4.8.2). * Wettbewerb: Wesentlich setzt der Wettbewerb bei der Ausschreibung der Infrastruktur- wie auch von ‘reinen’ Verkehrsdienst-Leistungen an. 630 Bau- und Betriebsleistungen für regionale Schienenwege sollten daher von den Ländern bzw. den örtlichen Aufgabenträgern im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen vergeben werden. Zwar wird sich gemäß der marktwirtschaftlichen Maximen kein Unter- nehmen um ein de facto defizitäres Geschäftsfeld bemühen, aber die aufgrund des Defizits zu leistenden öffentlichen Zuschüsse lassen sich nach Meinung des Verfas- sers primär „an der Quelle“, durch eine qualifizierte Ausschreibung, minimieren. * Betreibermodelle sowie für ausgewählte Flächensegmente dezentralisierte Misch- modelle eignen sich vorrangig für die wirtschaftliche Aufrechterhaltung oder Reak- tivierung von SPNV; sie sind zudem in besonderer Weise mit den vorgenannten Desintegrations-, Technik- und Wettbewerbsaspekten kompatibel. Es wurde zuvor bewusst von „hierarchisch übergeordneten“ Modellanforderungen gesprochen, da es nach Meinung des Autors das Modell für die Sicherung der Zukunft des SPNV in der Fläche nicht geben kann. Vielmehr sind einzelfallspezifisch verschiedene Handlungsalternativen zu prüfen. Diese Auffassung wird auch in der aktuellen Literatur geteilt: „Die Bewertung eines zur Diskussion stehenden Lösungsansatzes [zum Neubau oder zur Aufrechterhaltung/Sanierung bzw. zur Reaktivierung einer SPNV-Strecke; d. Verf.] muss also immer auf eine einzelne Strecke oder ein kleines Netz (...) bezogen werden. Demnach ist zu fragen, ob und inwieweit verschiedene technisch-betriebliche Lösungsansätze angewendet werden können und wie diese wirtschaftlich zu bewerten sind. In jedem Einzelfall sind die Investitions- und Betriebskosten getrennt zu ermitteln, um daraus die Gesamtkosten bzw. die Durchschnittskosten je Leistungseinheit abzuleiten. Verschiedene Varianten bzw. die Eignung eines Ansatzes für verschiedene Strecken sind nur auf der Basis eines mit gleicher Bezugsbasis vollzogenen Vergleiches möglich“. 631 Vor allem in denjenigen Fällen, in denen aufwendige Sanierungen von SPNV- Nebenstrecken versus Stilllegungen zur Diskussion stehen, bietet die Abwägung der technisch-betrieblichen Lösungsansätze im Rahmen eines Betreiber- oder auch Mischmodells nach Auffassung des Autors oftmals das einzig pragmatische Handlungsfeld (Ziel: Streckenerhalt, Sicherung eines vertretbaren Trassenpreises im Bereich von EUR 3,00 oder niedriger). 630 Auf die einschränkenden Bedingungen durch das OLG-Brandenburg-Urteil und entsprechende Kompensationsstrategien sei hier noch einmal hingewiesen (s. auch Kap. 4.7.2). 631 Vgl. Zimmer (2002a), S. 47. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 266 Da nach den vorliegenden Modellüberlegungen die entsprechenden Entscheidungen dort vorgenommen werden sollen, wo auch Informationsstand und Beurteilungsmög- lichkeiten adäquat sind, nämlich dezentral bei den Ländern bzw. „vor Ort“, müssen die regionalen oder lokalen Entscheidungsträger aber auch tatsächlich mit den notwendigen Mitteln ausgestattet sein: Dies bedeutet insbesondere, dass die Länder neben den Regionalisierungsmitteln eine ausreichende Finanzausstattung durch den Bund benöti- gen. 632 Die Regionalisierungsmittel wiederum müssen neben der Bezahlung von Ver- kehrsleistungen und Verkehrswegeverbesserungen auch einen Anteil zur Bezahlung der Trassenpreise beinhalten (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 RegG, Regionalisierungsgesetz). Jede eigenständige Modellentwicklung muss zunächst vom Status quo und den hieraus sich ergebenden Handlungsoptionen ausgehen. Was die Finanzierung von Streckenrettungen oder Um-/Neubaumaßnahmen im Bereich des SPNV anbelangt, ist derzeit als auch zukünftig nicht davon auszugehen, dass auf die Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln verzichtet werden könnte. Ohne eine derartige Bezuschussung würden die Trassenpreise leicht Höhen jenseits jeglicher wirtschaftlicher Verträglichkeit erreichen, entsprechende Modelle wären damit sinnfrei. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hatte bereits 1990/93 die SPNV- Trassenpreise in Abhängigkeit vom Investitionsvolumen und von der Bezuschussung empirisch erhoben; die entsprechenden Daten wurden unlängst noch einmal aktualisiert (siehe Abb. 16). Dem Datenmaterial ist insbesondere zu entnehmen, dass mögliche Vollkostendeckungen, die unterhalb von DM 5,00 bzw. EUR 2,50 einsetzen, selbst bei in der Regel unrealistisch niedrigen Investitionen von nur 500 TDM (0,25 Mio. EUR) pro Zugkilometer (Zgkm) und maximalen Investitionskostenzuschüssen bereits nicht mehr erreichbar wären 633 (siehe zweite Säule von links in Abbildung 16). Wie weiter oben bereits ausgeführt, sind für Neustrukturierungsmaßnahmen im SPNV verschiedene Modellvarianten möglich, die aber stets einer Bewertung des Einzelfalls bedürfen. Es existiert also nicht die „Via regia“ zur Sicherung des deutschen SPNV in der Fläche. Derartige Einzelfallbewertungen bedingen es ihrerseits aber auch, dass für die hierarchisch-übergeordneten Modellvorstellungen Bandbreiten möglicher Maßnahmen ‘ausgelotet’ bzw. konkretisiert werden. Daher soll in der Folge noch auf verschiedene Gestaltungsaspekte mehrerer übergeordneter Modell-Bausteine (Desintegration, Technikeinsatz, Wettbewerb, Betreiber- und Mischmodelle) eingegangen werden: 632 So sind beispielsweise Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur (auch die Sanierung oder den Neubau von SPNV-Strecken betreffend) nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz zu bezu- schussen; vgl. Kolks (1998), S. 223 ff. 633 Für viele Strecken in der Fläche ist, wie bereits ausgeführt, angesichts von Investitionsstaus und veralteten Anlagen das Investitionsvolumen pro Zgkm ohnedies überdurchschnittlich hoch anzu- setzen. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 267 Abbildung 16: Trassenpreise in Abhängigkeit vom Investitionsvolumen und von Baukostenzuschüssen Quelle: Empirische Berechnungen von Zimmer (2002b), S. 48, unter Heranziehung der retrospektiven Zahlen des VDV (1990, 1993) * Desintegration: Formaljuristisch ist das deutsche Bahnwesen desintegriert (Netz als unabhängiger Bestandteil). Aus pragmatischer Perspektive (politische Durchsetzbarkeit) erschei- nen derzeit weder die Auflösung der DB Netz AG noch eine Vollprivatisierung des Netzes tragfähig. Die alternative Mindestanforderung muss nach Verfassermeinung vielmehr darin bestehen, den sog. ‘Third Party Access’ zu stärken und damit ande- ren Netzinhabern oder Dienstleistern ohne eigenes Netz den Zugang zu gewähr- leisten, was wiederum einen Wettbewerb zwischen verschiedenen EVU entfalten könnte. 634 Auch auf der Ebene des SPNV (vor allem in der Fläche) ist kein grundsätzlicher Widerstand gegen solch einen Modus erkennbar. Da im Gegenteil die DB oftmals aus eigener betriebswirtschaftlicher Prioritätensetzung heraus Strecken aufgeben möchte, sind auch weiterreichende Desintegrationsmöglichkeiten gegeben, so dass hier im Rahmen von Betreiber- oder Mischmodellen unabhängige Unternehmen mit eigener Wirtschaftlichkeitsorientierung operieren können. Bei sehr kleinen Nebenstrecken wäre sogar ein weitestgehend autonomes Operieren 634 Vgl. Steinkopf (2003). 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 268 möglich (keine Berücksichtigung weiteren Güterverkehrs etc. erforderlich). An dieser Stelle muss auf den in der Literatur teils nicht reflektierten Umstand hinge- wiesen werden, dass eine eigentumsrechtliche Übertragung von Teilen des deut- schen Bahnstreckennetzes von der DB Netz AG auf Dritte zwar möglich ist, aber stets mit einer eisenbahnrechtlichen Neubewertung des jeweiligen Strecken- bestandteils hinsichtlich aktuellster Schallschutz- und Bau-Standards etc. verbunden wäre. Hieraus wiederum könnten sich zum ‘robusten’, aber sicheren Technikeinsatz konträre und kostspielige Konstellationen ergeben, weshalb der Pachtmodus (DB Netz AG verpachtet langfristig Netzbestandteile) sinnvoll sein kann. Auch dieses Beispiel unterstreicht die Notwendigkeit der einzelfallspezifischen Prüfung und Ent- scheidung. * Technikeinsatz (und Infrastruktur): SPNV-Strecken sind zwingend effizienter zu gestalten, wobei Einsparungen beim Personaleinsatz nahe liegen: Zu denken ist beispielsweise an den Ersatz lok- bespannter Züge, bei denen zumindest ein weiterer Zugbegleiter erforderlich ist, durch Triebfahrzeuge (hier: Lokführer gleichzeitig Fahrzeugführer als auch Dienstleister/Verkäufer – gewisse Parallelität zum Busfahrer). Der Attraktivität des SPNV muss eine derartige Lösung keinen Abbruch tun. Möglich sind die Umge- staltung von Bahnhöfen zu weniger kostenintensiven Haltepunkten und die Konzentration der Haltepunkte (Bahnhofsauflösungen). Letzteres wird Kosten senken, aber fraglich erscheint es, ob hierdurch nicht gerade Verödungsprozessen in der Fläche Vorschub geleistet wird. Daher wäre zu prüfen, ob nicht Bahnhöfe in privater Regie mit Einkaufsmöglichkeiten außerhalb üblicher Geschäftszeiten eine ähnliche Anziehung ausüben können wie heutzutage die mit Bistros, Verkaufshallen etc. ausgestatteten Tankstellen gerade im ländlichen Bereich. * Wettbewerb: Favorisiert wird vom Verfasser sowohl für EVU- als auch Infrastrukturmaßnah- men/Bauleistungen die öffentliche Ausschreibung als sog. offenes Verfahren (Auf- forderung einer unbeschränkten Zahl von Unternehmen zur Abgabe eines Angebo- tes und Erteilung des Zuschlages auf das wirtschaftlichste Angebot hin). Infrastruk- turmaßnahmen bedingen einen detaillierten Ausschreibungsmodus; bei der Aus- schreibung von EVU-Leistungen kann mithin auch funktional vorgegangen werden, d.h. unter Vorgabe der zu erfüllenden Funktionen und Mindeststandards. Die öffentliche Bezuschussung bietet für die sich bewerbenden Unternehmen nach der hier vertretenen Auffassung quasi einen ‘fixen’ Einnahmenblock, sie sollte jedoch im Rahmen der Ausschreibung als variable Bandbreite vorgegeben werden, so dass der günstigste Anbieter identifiziert werden kann; die darüber hinausgehende Kal- kulation verbleibt ohnehin als unternehmerisches Risiko. In jedem Falle müsste für den Auftragserteiler, Länder oder lokale Aufgabenträger, eine optimierte Kostenbe- lastung resultieren. In diesem Zusammenhang sei auch darauf verwiesen, dass die DB Netz AG im Sinne betriebswirtschaftlicher Kostensenkung unternehmenseigene 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 269 Baueinheiten eher reduziert und Bau-/Sanierungsmaßnahmen vermehrt für Externe ausschreibt. Entsprechende Betriebsunterlagen liegen dem Verfasser vor (unveröff., siehe o.V. 2004b). Zusätzlicher Hinweis: Da man es gerade bei der Ausschreibung von SPNV-Leistungen an EVU quasi mit einem einmaligen (kostensenkenden) Wettbewerb „an der Quelle“ zu tun hat (entsprechende Vergaben laufen zwecks Planungssicherheit über 15 Jahre und länger), müssen vertragsrechtlich Korrektive und Sanktionsmaßnahmen eingebaut werden, damit auch im laufenden Betrieb Einsparpotenziale und Sicherheit/Qualität zu Gunsten der Kunden (Nutzer der Fahrzeuge/Züge) gewährleistet bleiben; hier ist wiederum an Kontroll- und Aufsichtsorgane auf Länderebene zu denken (LfB). 635 * Betreiber- und Mischmodelle: Die Systemkompatibilität ist zu beachten, d.h. die Anbindung an den überregionalen Verkehr sowie den kommunalen (Bus-)Verkehr muss berücksichtigt werden (siehe auch Folgeabschnitt 5). Geht man von der von Holzapfel für 2010 geäußerten Prog- nose aus, wonach auf ICE-Strecken der 1/2-Stundentakt den Regelfall darstellen und die „Vorbuchungsmanie“ der Vergangenheit angehören wird, 636 so dürfte sich dies für die Integration des SPNV mit dem Fernverkehr als positiv erweisen. 4.8.3.2 Empirische Bewertung Über die an die Delphi-Methodik orientierte Befragung (Expertenrückmeldung und Bewertung) konnte aufgeklärt werden, inwieweit die um die eigene Aufarbeitung er- gänzten Modellansätze bei DB-internen wie -externen Entscheidungsträgern und ver- kehrswirtschaftlich Beteiligten wahrgenommen werden, um zu einer pragmatischen Gesamtwertung zu kommen. Als Population stand eine Auswahl von jeweils N=5 DB- internen und -externen „Probanden“ zur Verfügung, die der Verfasser im Rahmen seiner Recherchen kontaktiert hatte und die bereit waren, sich mit den Modell-Überlegungen zu befassen 637 und diese anschließend zu bewerten (die Population ist dabei mit N=10 zwar nicht umfangreich, aber in dem Sinne „aussagekräftig“, dass die Befragten aus- schließlich Funktionen relevanter verkehrswirtschaftlicher Bereiche in Führungsposi- 635 In einem derartigen Kontext der nachhaltigen Qualitätssicherung wäre auch zu überlegen, ob für die Kunden nicht ein Kompensationssystem (finanziell oder indirekt über die Möglichkeit eines wesentlich verbilligten Ticketneukaufs) für eingetretene Verspätungen im SPNV eingeführt werden kann. 636 Vgl. Holzapfel (2003), S. 31. 637 Eine Beeinflussung der „Probanden“ i.S. der sog. ‘social desirability’ (Stroebe et al. 1992, S. 481), also eine nicht authentische „Sympathisierung“ mit der dargelegten Verfassermeinung, erschien angesichts der Probandencharakteristik unwahrscheinlich. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 270 tionen abdecken: DB Ausschreibungswesen, DB Personalmanagement, DB Netz AG, Verkehrswissenschaft, Verkehrsverbünde usw.). ‘Pragmatisch’ bezieht sich hier vorrangig auf den Abgleich der „Probanden“-Rückmel- dungen mittels inferenzstatistischer Vorgehensweise [p(α)<0,05] und Aussagenablei- tung über die Modellpraktikabilität unter den gegebenen verkehrspolitischen Bedingun- gen. Diese pragmatisch orientierte Befragung ist durch die aktuelle Entwicklung bei den juristisch-politischen Rahmenbedingungen, die i.S. eines ‘worst case’-Szenarios über- kommene und kostenintensive SPNV-Vergaben oder aber -Stilllegungen innerhalb des DB-Konzerns langfristig „zementieren“ könnten, um so wichtiger geworden. In der nachfolgenden Tabelle 13 finden sich die statistisch relevanten Kennziffern der empirisch ermittelten Rückmeldungen zu den einzelnen Abfrageparametern übersicht- lich aufbereitet. Es wurde ein in der empirischen Sozialforschung nicht unübliches, 5- stufiges Zustimmungs-Rating angewandt, bei dem – streng genommen – nicht von einer Intervall-, sondern einer Ordinalskala auszugehen ist. 638 Daher erfolgte die Kontrastie- rung der beiden Gruppen (DB-intern, -extern) pro Abfrage-Item nicht mittels eines parametrischen, sondern nonparametrischen Prüfverfahrens (Mann-Whitney-U-Test, Prüfgröße: U bzw. hieraus transformierter Z-Wert). 639 Der Verfasser konnte auf das Statistikprogramm WinStat 3.1 zurückgreifen (Vertrieb vormals durch Fa. Greulich Software, 79219 Staufen/Bad.-Württ.). Die Angabe eines arithmetischen Mittels („Durchschnitt“) sollte – nach allerdings nicht konsistenter Meinung – erst bei Intervall- skalendaten erfolgen, 640 so dass der angemessene statistische Kennwert hier durch den Median repräsentiert würde. 641 Da vorliegend der ganzzahlig gerundete Mittelwert und der Median ohnehin übereinstimmten, sei das in der Tabelle 13 dargelegte Maß der Ein- fachheit halber als „zentrale Tendenz“ gekennzeichnet. 638 Vgl. Kromrey (1991), S. 174 ff. 639 Vgl. Siegel (1997) zu einer genauen Beschreibung des U-Test-Prüfmodus. Die für parametrische Inferenzstatistik vom Datenmaterial zu erfüllenden, hier nicht hinreichend gewährleisteten Vor- aussetzungen finden sich bei Rochel (1983), S. 26 ff., diskutiert. 640 Seitens vieler Wirtschaftswissenschaftler wird beispielsweise dafür plädiert, auch bei Rating-Ska- len wie der hier genutzten die Mittelwertbildung vorzunehmen, sofern der Skala eine annähernde Intervallgleichheit zwischen den unterschiedlichen (hier 5) Skalenpunkten immanent sei; vgl. Meffert (1998), S. 143. 641 Die genaue Begründung der Zulässigkeit der Kennwerte zentraler Tendenz in Abhängigkeit vom Skalenniveau findet sich bei Bortz (1985), S. 46 ff. 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 271 Tabelle 13: Rückmeldungsmuster (statistischer Kennwert: zentrale Tendenz, I=DB-intern, E=DB-extern; statistisch überzufällige Diskrepanzen sind mit * gekennzeichnet) Abfrage-Ebenen und Items A. Grundsätzliche Strukturen Kennwert Fortführung der Desintegration von Netz und Betrieb im Rahmen der DB-Holding-Struktu- ren. I=4 E=2* Auflösung der DB Netz AG und mittelfristige Vollprivatisierung des Netzes als Publikums- AG. I=1 E=3* Bildung unabhängiger SPNV-Partialnetze in Anlehnung an die REGENT-Modelle. I=3 E=5* Weder primär liberalistische noch primär interventionistische Ausrichtung ist für den Flächen-SPNV adäquat. I=5 E=4 B. Strategien Verbesserte (Bundes-)Mittelallokation an die Länder, ortsnähere u. flexiblere Entschei- dungsstrukturen bei der Gestaltung des SPNV. I=4 E=5 Initiierung bzw. Verstärkung des Wettbewerbs europäischer (nicht nur deutscher) EVU um SPNV-Streckenbedienungen. I=4 E=5 Kostensenkungen und Reduzierung des öffentlichen Zuschussbedarfs (bei gleichzeitiger Akzeptanz nicht erreichbarer SPNV-Vollkostendeckung). I=3 E=4 Stärkere Allokation von SPNV-Fördermitteln gemäß betrieblicher Gegebenheiten (z.B. Streckentopographie, Streckenauslastung). I=4 E=4 Eröffnung bzw. Verstärkung von Wettbewerb bei der Ausschreibung der SPNV-Infra- strukturmaßnahmen wie auch SPNV-Verkehrsdienst-Leistungen. I=4 E=4 C. Modellvarianten für SPNV EIU-(Bau)Unternehmer-Modell I=2 E=3 EIU-Betreibermodell I=4 E=4 EVU-Betreibermodell I=3 E=3 Privatwirtsch. EVU-Modell: Konzentration auf die Verkehrsdienst-Leistung (Fahrbetrieb) kleiner und kleinster Nebenstrecken, insbesondere bei geplanten Streckenreaktivierungen. I=3 E=3 Integriertes Modell (Zimmer): Umstrukturierung des regionalen Infrastruktur- betriebes/SPNV. I=3 E=4 D. Praxisnahe Einzelmaßnahmen Konsequentere Anbindung des SPNV an überregionalen V. und kommunalen (Bus-)Ver- kehr. I=5 E=5 Umgestaltung von Bahnhöfen zu einfachen Haltepunkten und Konzentration der Halte- punkte (Bahnhofsauflösungen). I=4 E=3 Reduzierung von Personalkosten mittels Ersatz lokbespannter Züge durch Triebfahrzeuge. I=4 E=4 „Einfach-robuster“ (sparsamer) Technikeinsatz auf SPNV-Nebenstrecken, d.h. mittlerer Automatisierungsgrad. I=4 E=4 Attraktivitätssteigerung des SPNV I: Verstärkter Einsatz von Preismodellen, Bundling- Angeboten etc. I=5 E=5 Attraktivitätssteigerung des SPNV II: Kompensation von Verspätungen. I=3 E=4 Ausschreibung I: Infrastrukturmaßnahmen mit detailliertem Ausschreibungsmodus. I=4 E=4 Ausschreibung II: EVU-Leistungen mit funktionaler Ausschreibung, d.h. Vorgabe zu erfüllender Funktionen und Mindeststandards. I=4 E=4 (Skala, Zustimmung: 1 keinerlei, 2 eher schwache, 3 mittlere/mäßige, 4 eher hohe, 5 volle Z.) Quelle: Eigene Zusammenstellung 4 KONZEPTIONEN UND ANFORDERUNGEN FÜR SPNV-LÖSUNGEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKTWIRTSCHAFT VERSUS INTERVENTIONISMUS 272 Die in der Tabelle 13 zusammengefassten Daten untermauern nachhaltig, dass für das Gros der praxisnahen Einzelvorschläge zur Zukunftssicherung des SPNV in der Fläche durchaus erhöhte (und homogene!) Zustimmungsgrade vorlagen. Auch eine Implemen- tierung des EIU-Betreibermodelles erscheint konsensfähig und wird dabei DB-extern zustimmend wahrgenommen, tendenziell gilt dies auch noch für das integrierte Modell nach Zimmer. Die größten Diskrepanzen zeigten sich auf der Ebene grundsätzlicher Strukturen, wobei dieses Ergebnis letztendlich erwartet werden musste. Der Verfasser vertritt die Meinung, dass gerade auch angesichts eines solchen Rückmeldungsmusters die einzelfallspezifische Planung von SPNV-Maßnahmen (Neu- oder Umbauten sowie Reaktivierungen) unter Ausnutzung der verschiedenartigen Gestaltungsmöglichkeiten zu betreiben ist, die Ableitung „des“ ‘Standard’-Modells für den Flächen-SPNV ist hin- gegen fraglich. Von einer baldigen Änderung der Divergenzen hinsichtlich grundsätz- licher Parameter bzw. wesentlicher Facetten des Status quo (Block A in Tabelle 13) ist kaum auszugehen. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 273 5 Die Organisation von regionalen Verkehrslösungen 5.1 Vorbemerkungen Die Chance, den SPNV auch in der Zukunft als eine attraktive und wirtschaftlich sinn- volle Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu erhalten, kann nach Meinung des Verfassers nur dann umgesetzt werden, wenn es gelingt, die Kosten für diesen Ver- kehr einzugrenzen und ihn in einen integrierenden Gesamtverkehrsrahmen einzubinden. Erfolge bei der Kostensenkung und Integration sind – wie in anderen Bereichen der Wirtschaft auch (integrierte Konzerne) – eng miteinander verknüpft, denn ein wirt- schaftliches System muss zwangsläufig dazu tendieren, kostenineffektive Bereiche zu desintegrieren. 642 Unter Integrationsgesichtspunkten ist es insofern erforderlich, den öffentlichen Personenverkehr für die Bevölkerung als eine verfügbare Substitution zum Individualverkehr in räumlicher und zeitlicher Hinsicht (Erschließung von Räumen, zeitlicher Fahraufwand) anzubieten und zu vermitteln. 643 Um die anstehenden Auf- gaben im SPNV bewältigen zu können, ist daher eine integrale Konzeption erforderlich, welche die vielfältigen Maßnahmen und Instrumente, deren Zusammenwirken, Zustän- digkeiten und den zeitlichen Bezug berücksichtigt. 644 Es ist dabei für alle auf dem Verkehrsmarkt beteiligten Personen bedeutsam, eine Planungs- und Organisationsstruktur zu entwickeln, die nicht nur die Raumstruktur und die Pendlerströme mit einbezieht und dabei die Vorteile der einzelnen Verkehrsträger berücksichtigt, sondern gleichzeitig auch die für die Erschließung weiterer Nachfrage- potenziale relevanten Koordinationsbestrebungen aktiviert. 645 Dabei ist es unerlässlich, dass die beabsichtigten Modernisierungsmaßnahmen für die Infrastruktur und Fahr- zeuge subventioniert werden, da die Verkehrsunternehmen insbesondere im SPNV dazu allein nicht in der Lage sind. Um das Nebenstreckennetz erhalten zu können, ist die gesellschaftliche Anerkennung der Bahn von Seiten der Bürger von größter Wichtigkeit. Dieses Ziel kann aber nur mit einer modernisierten Bahn erreicht werden, weil sich nur dadurch neue Fahrgäste aus der Gruppe der Bürger gewinnen lassen, die nicht auf den ÖPNV angewiesen sind. Entscheidende Voraussetzung, um die Attraktivität auch von Nebenbahnen zu verbessern, ist also eine modernisierte und kostenoptimierte Infra- struktur, was allein notwendige Bedingung für einen effizienten Einsatz von Fahrzeugen 642 Dass hierbei ‘reiner’, gemeinwohldienliche Bereiche ‘abwickelnder’ und damit dem Gedanken der Daseinsvorsorge entgegenstehender Liberalismus durch eine gewisse öffentliche Kontrolle in seine Schranken zu weisen ist, wurde bereits ausführlich in den Vorkapiteln dargelegt. 643 Vgl. Werner (1998), S. 20. 644 Vgl. Hinricher und Schüller (2002), S. 590. 645 Vgl. Bollhöfer (1992), S. 9 ff. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 274 und Personal ist. 646 Allein die Umsetzung dieser Vorstellungen scheiterte bisher an teilweise ungenauen Gesetzesformulierungen und den halbherzigen Einflussnahmen von Bund und Ländern auf das Verhalten der DB AG. Der entsprechende politische Wille zur Innovation im Bahnwesen liegt im Grundsatz mithin sowohl beim Bund und bei den Ländern vor. Dieser könnte sich allerdings ändern, wenn keine nachhaltigen Resonanzen auf der Nachfragerseite eintreten werden. 647 Zu bedenken ist aber auch, dass die Planungskompetenz für die Infrastruktur unver- ändert beim Bundesgesetzgeber liegt, aus der sich ohne weiteres ein Konfliktpotenzial zwischen Bund und Ländern bei divergierenden Interessen entwickeln kann. Mit Hilfe der Bundesverkehrswegeplanung sollen die politisch bundesweit angestrebten infra- strukturellen Zielvorstellungen ermittelt und die dazu erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. Die alle fünf Jahre anzupassende Bedarfsplanung geht dabei vom Grundsatz einer „bottom up–top down“–Planung aus, d.h. von einer globalen zur konkreten Planung („von oben nach unten“). Die Antragsstellung als Ausgangspunkt der Planung erfolgt von den Ländern bzw. der DB AG. 648 Für die vorliegende Unter- suchung stehen allerdings nicht bundespolitische Aspekte im Vordergrund, sondern vielmehr der öffentliche Personennahverkehr, der wiederum durch die Regionalisierung in den Verantwortungsbereich der einzelnen Bundesländer gefallen ist. Mithin sollte aus den vorausgehenden Modelldarlegungen (s. Abschnitt 4.8) deutlich geworden sein, dass mit der Abgabe von Leitlinien- und Entscheidungskompetenzen des Bundes für infra- strukturelle Maßnahmen im Rahmen der Dezentralisierung die Rolle der Länder für den SPNV zu stärken ist. 5.2 Der schienengebundene Nahverkehr und seine Bedeutung für die Fläche Ein funktionierendes SPNV-Angebot ist für die Bewohner in ländlichen Regionen im Hinblick auf ihre Mobilitätsanforderungen nach wie vor unverzichtbar. Allerdings erfordern die Komplexität der Voraussetzungen und Folgen der Mobilitätsentwicklung eine gewisse Lenkung. Aus der Sicht einer umweltfreundlichen Mobilität ist ein intaktes und attraktives Nahverkehrssystem Teil eines Systems differenzierter Verkehrsange- 646 Entsprechende Handlungsmöglichkeiten zur Attraktivitätssteigerung des SPNV bei gleichzeitiger Optimierung der Kostenstrukturen wurden im Abschnitt 4.8 aufgezeigt. 647 Vgl. Aachen und Dornbach (2002), S. 571 ff. 648 Vgl. Wink (1995), S. 244. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 275 bote. Über diese Zielstellung der Verkehrsentwicklung herrscht auch durchaus ein gesellschaftlicher Konsens. 649 Noch bis Anfang der 1960er Jahre war der SPNV für die Landbevölkerung in der Regel die einzige Verkehrsanbindung zur Stadt oder zu den Ballungszentren. Dies war auch ursprünglich von der Politik so gewollt, um den einkommensschwächeren Bevölke- rungsteilen den Zugang zu städtischen Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Mit zunehmen- dem Wohlstand und gleichzeitig wachsenden Mobilitätsansprüchen setzte sich aber auch der Trend zum PKW fort, der zwangläufig zu einer Reduzierung der Beförde- rungszahlen im SPNV führte. Der fortschreitende Ausbau des Straßennetzes hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Ganz überwiegend landwirtschaftlich-dörflich geprägte Regionen sind heute nur noch in Ausnahmefällen anzutreffen. Viele der ländlichen Gebiete konnten von der Verknap- pung an bezahlbarem Grund und Boden in den Städten profitieren, so dass zwischen- zeitlich ein Gegentrend zur Neuansiedlung von Wohnbevölkerung und Industrie einge- treten ist, was sich inzwischen auch an einer Angleichung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land feststellen lässt. 650 Dennoch gibt es noch strukturschwache ländliche Regionen abseits der Einzugsgebiete urbaner Zentren, die unter Arbeitsplatzmangel und unzureichender Infrastruktur leiden. 651 Die Aufgabe von SPNV bzw. eine nachhaltige Reduzierung dieser Verkehrs- leistungen hätte für die Bewohner der betreffenden Regionen erhebliche Folgen. Wer auf den Pkw umsteigen kann, wird dies mit der Folge eines weiteren unkontrollierten Anwachsens des motorisierten Individualverkehrs und der damit verbundenen negativen externen Effekte auf Umwelt, Lärm und Landschaft tun. Diese Folgewirkungen treten in begrenztem Maße auch ein, wenn wegfallende SPNV-Linien durch einen entsprechen- den Omnibusverkehr ersetzt werden. Junge und berufstätige Menschen werden diese Mobilitätseinschränkungen nicht unbe- dingt hinnehmen und in vielen Fällen die erste Gelegenheit dazu nutzen, den Raum zu verlassen. Es bleiben, wie in Kapitel 0.1 bereits umrissen, die älteren Menschen zurück, die aber wiederum weniger Alternativen zum öffentlichen Personennahverkehr besitzen. Auch für die dort ansässige Industrie und den Handel ergeben sich negative Rückwirkungen aus eingeschränkter Mobilität. Die Folge dieser Abwanderungen sind dann Streckenstilllegungen und bei weiterer Abnahme der Einwohnerzahlen die Aufgabe des gesamten öffentlichen Verkehrs und damit Flächenverödung. 649 Vgl. hierzu etwa Fenrich (1996). 650 Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/3874 vom 30.6.2000,Unterrichtung durch die Bundesregierung, Raumordnungsbericht 2000. 651 Besonders gravierend stellt sich die Situation beispielsweise in Teilregionen Mecklenburg- Vorpommerns, Brandenburgs sowie Sachsen-Anhalts dar; vgl. zu einer differenzierten Erläuterung der dort konstatierbaren Verödungsproblematik auch Hunger (2000). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 276 Aus der Schwäche des SPNV, wonach in der Regel nur direkte Verbindungen in benachbarte Städte bestehen und ein Anschluss zu weiterführenden Fahrten unmittelbar nicht möglich ist, ergibt sich aber auch, dass sich heute eine regelmäßige Nutzung des SPNV weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht wirklich lohnt. Um dieser Ent- wicklung entgegenzuwirken, ist es nicht damit getan, den Individualverkehr zu ver- teuern. 652 Es bedarf vielmehr der Entwicklung neuer Konzepte, die den Trend zur weitergehenden Dispersion der räumlichen Strukturen nachhaltig brechen und die Streckenführung stärker an die Verflechtungswünsche im Raum anpassen. 653 Die Kom- munen müssen verkehrlich offen und erreichbar sein. Motorisierter Individualverkehr allein ist nicht in der Lage, eine solche Aufgabe zu erfüllen. Insofern kann auch in der Zukunft der öffentliche Personennahverkehr für die Mobilitäts- und Transportbedürf- nisse der Bevölkerung nicht substituiert werden. Nur über die Fahrpreise allein lässt sich aber ein hochwertiges ÖPNV-Angebot nicht finanzieren, so dass zusätzliche öffentliche Mittel unentbehrlich bleiben. Unter dem Blickwinkel der Daseinsvorsorge ist dies akzeptabel, da das Angebot dazu beiträgt, dass die Mobilitätsbedürfnisse der nicht individuell motorisierten Personen erfüllt werden und so eine soziale Funktion verwirklicht wird. In der sachgerechten Verwendung von finanziellen Mitteln für den ÖPNV in der Fläche liegt nunmehr bei den Ländern und Kommunen eine hohe Verantwortung, da derartige Verkehrsbetriebe, wie bereits dar- gelegt, auf keinen Fall kostendeckend zu betreiben sind. Trotzdem haben der beständige Mittelzufluss und die Umsetzung betriebswirtschaftlich-qualitätsbezogener Erkennt- nisse in vielen Bundesländern bereits zu einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit im Nah- verkehr beigetragen und damit auch Erweiterungen des Verkehrsangebotes ermöglicht. Vor einem solchen Hintergrund lassen sich verschiedenartige Ansatzpunkte identifizie- ren, die den Reformbemühungen zugrunde liegen sollten: Landkreise und Kommunen müssen zum einen für „ihre“ Regionen ein effizientes und qualitativ hochwertiges ÖPNV-Angebot definieren und eine sachgerechte Erbringung der Leistungen im Wett- bewerb gewährleisten. Dazu ist aber das Angebot auch hinsichtlich der Fahrzeuge bzw. der Fahrzeugausstattung und des Betriebes wesentlich flexibler und kundenorientierter zu gestalten. Falls sich dabei herausstellt, dass ein rationeller Einsatz von SPNV zu keiner kostengünstigeren Lösung führt, sollte an sog. „Paratransit“-Angebote gedacht werden. 654 Hier erfolgt die öffentliche Verkehrsbedienung notfalls mittels Sammeltaxen oder Rufbussen, wobei sich dieser Verkehr in flexibler Weise an der Nachfrage und an der Start-Ziel-Beziehung orientieren sollte. 655 Zu fordern sind sodann mehr Wett- 652 Im Gegenteil: 30 Prozent der Autofahrer würden bei besserer Anbindung und angemessenem Preis durchaus auf öffentlichen Nahverkehr umsteigen, beim Fernverkehr beläuft sich der Anteil auf rund 25 Prozent (persönl. Mitt. durch Dipl.-Kfm. Hohage, DB Bildungsmanagement, im Nov. 2003 - Absicherung der Daten auf Basis von DB-Research-Material). 653 Vgl. Sumpf (2002), S. 539. 654 Vgl. Hawel (2000). 655 Vgl. Kutter (2000). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 277 bewerb und Transparenz bei der Leistungserbringung, da sich Rentabilität und Qualität der Leistungen der Verkehrsunternehmen nur über die Wettbewerbsmechanismen steigern lassen – vorausgesetzt, die privatwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen ver- fügen über die gleichen Zugangsbedingungen zum ÖPNV-Markt wie öffentliche Unter- nehmen. 656 Nach Meinung des Verfassers ist es dabei unumgänglich, das Prinzip des „kontrollierten Wettbewerbs“ mit Ausschreibung der gemeinwirtschaftlichen Ver- kehrsleistungen (Form, Qualität, Standards) umzusetzen (siehe auch Kap. 1.4). 5.3 Perspektiven von regionalen Verkehrslösungen Schon seit jeher waren Verkehrsplanungen für Stadt und Land und die Art ihrer Ausfüh- rungen von den verkehrsplanerischen, -infrastrukturellen und -betrieblichen Erforder- nissen der jeweiligen Zeit gekennzeichnet und brachten die verkehrspolitischen Zielvor- stellungen der damaligen Gesellschaft zum Ausdruck. 657 So wollte man mit der Generalverkehrsplanung in den 1960-70er Jahren in den Städten die entsprechenden verkehrlichen Freiräume für Fußgängerzonen schaffen, wobei diese Innenstadtbereiche über leistungsfähige Radialen bequem erreichbar sein sollten. Selbst wenn man unter- stellt, dass seinerzeit die Verkehrsplaner alle Verkehrsarten in ihren Überlegungen mit berücksichtigten, zielte das dafür eingesetzte Instrumentarium, der so genannte „Vier- Stufen-Algorithmus“ der Verkehrsplanung, doch zu sehr auf den Individualverkehr. Zweck dieser Betrachtung war es, den angebotsorientierten Aus- und Neubau von Straßen hinreichend begründen zu können. 658 Die daraus entstandenen Straßennetze nahmen dabei Ausmaße an, die sich nicht mehr in das vorhandene Stadtbild einpassen ließen. Das ungebremste Wachstum des Individualverkehrs in den 1980-90er Jahren zwang die Verkehrsplaner zu einem Umkehrdenken weg von der automobil-geprägten Sicht, wobei nun die Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen in den Städten und Gemeinden, der Ausbau von Fuß- und Wegenetzen, aber auch qualitative Verbesserungen im öffent- lichen Verkehr in den Vordergrund gestellt wurden. Nach der berechtigten Kritik an den rein quantitativen Verfahren von Verkehrsmodellierung, und bedingt durch den not- wendigen Bedarf an Verbesserungen u.a. auch der Gestaltungs-, Nutzungs- und Um- weltqualität in den städtischen Kernbereichen, setzten sich nun qualitativ beschreibende Methoden durch. Obwohl mit der dabei neu entstandenen Verkehrsentwicklungspla- nung beachtliche Verbesserungen erzielt werden konnten, war aber nicht zu übersehen, 656 Vgl. Eilwange und Hamelbeck (1989), S. 4. 657 Vgl. Huber (2003), S. 26 ff. 658 Vgl. Huber (2003), S. 26 ff. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 278 dass der Individualverkehr in den Städten sich dadurch nicht verringerte. 659 Ursachen dafür dürften, neben der Weigerung, auf das Statussymbol „Auto“ zu verzichten, auch in der damit verbundenen Mobilitätseinschränkung liegen. Im Zuge der sog. ‘Regionalisierung’ erfasste seit den 1990er Jahren der verkehrsplane- rische Fokus die ‘innere’ Erschließung von Regionen für ein effizientes Verkehrsange- bot, das den Interessen von Pendlern sowie jener schätzungsweise 17 bis 20 Prozent der Bevölkerung, die zwingend auf öffentliche Verkehrsangebote angewiesen sind, gerecht werden sollte. 660 Zur Planung von ÖPNV-Leistungen sind die einzelnen Bundesländer nunmehr aufgefordert, als die zuständigen Aufgabenträger einen Nahverkehrsplan zu erstellen, in dem sie darstellen, wie sie ihren bundesgesetzlichen Auftrag erfüllen wollen. Gleichzeitig haben sie die Rolle eines nunmehr maßgeblichen Entscheidungs- trägers zu übernehmen und zusammen mit den Verkehrsunternehmen die Interessen für den SPNV zu wahren, wobei – wie in den vorausgegangenen Modellüberlegungen aus- geführt – hier noch nicht von einer hinreichend flexiblen Dezentralisierung in Bezug auf den Flächen-SPNV (Infrastruktur, Verkehrsleistungen) gesprochen werden kann. Die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen über Planung, Organisation und inhaltliche Gestaltung der Nahverkehrspläne sind in den ÖPNV-Gesetzen der Länder geschaffen worden. 661 Für den SPNV bildet dabei durch die Selbstbindung des Aufgabenträgers der entsprechende Nahverkehrsplan die notwendige Grundlage und bietet daher für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen eine wesentliche Orientierungshilfe. 662 Im Rahmen einer derartigen Planung über quantitative und qualitative Ausgestaltung des ÖPNV haben sie insbesondere regionalspezifische und sektoral differenzierte Gesichtspunkte zu berücksichtigen, was angesichts von divergierenden Interessen nicht ohne weiteres möglich ist. Um den individuellen Bedürfnissen auf der Nachfrageseite gerecht zu werden, haben die Länder darauf zu achten, dass die heutigen Lebensgewohnheiten und Präferenzen auf jederzeit einsetzbare und individuelle Verkehrsmittel ausgerichtet sind.663 Daraus erklärt sich auch das zunehmend gestiegene Interesse an ausgebauten Infrastruktur- netzen, wobei der Straßenverkehr aufgrund seiner Individualität in erster Linie nachge- fragt wird. (Infrastruktur ist in diesem Kontext als die Summe der materiellen, institu- tionellen und personalen Einrichtungen und Gegebenheiten zu definieren, die den Wirt- 659 Vgl. Huber (2003), S.27. 660 Diese Zahlenangaben erwiesen sich über die Jahre als relativ konsistent; vgl. etwa Hawel (1985), S. 1, sowie Reutter und Reutter (1996), S. 3. 661 Vgl. Taschenbuch der ÖPNV-Gesetze der Länder (1996), S.18 ff. 662 Vgl. Kolks (2003a), S. 74. 663 Vgl. Wink (1995), S. 36 ff. - Eine Befragung über die Nutzereinschätzungen alternativer Verkehrs- trägerangebote bei einer Bandbreite von 1,0 (vollkommener Nutzen) bis 6,0 (kein Nutzen) führte zu einer Beurteilung für den persönlichen Nutzen, der sich aus den Eigenschaften ‘bequem’, ‘praktisch’ und ‘schnell’ zusammensetzt, von 1,8 beim Pkw und 2,9 beim ÖPNV; vgl. Brög (1993), S. 185. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 279 schaftseinheiten zur Verfügung stehen und mit dazu beitragen, den Ausgleich der Ent- gelte für gleiche Faktorbeiträge bei vollständiger Integration und höchstmöglichem Stand der Wirtschaftstätigkeit zu ermöglichen. 664) Im Gegensatz zur Bundesverkehrswegeplanung wird in den Länderplanungen nunmehr die Umsetzung von konkreten Maßnahmen angestrebt, was ein integriertes SPNV/ÖPNV-Angebot notwendig macht (z.B. „Vergabe im Wettbewerb“ und „Leis- tungsorientierte Verkehrsverträge“; s. auch Kap. 4.1). Die dafür bereitzustellenden Infrastrukturmittel sollen dabei nach raumstrukturellem und wirtschaftlichem Nutzen zum Einsatz kommen.665 Die weiteren inhaltlichen Anforderungen an die Nahverkehrs- pläne werden in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. Sowohl die Landes- als auch die Regionalplanung haben ein gewichtiges Mitsprache- recht bei zustimmungspflichtigen Standortentscheidungen. Daher sollte bei der Fest- legung von Standorten die Orientierung an der Schiene stärker bei der Planung im Vor- dergrund stehen, wobei auch deren grundlegende Bedeutung für Infrastruktur- und Ver- kehrsangebot zu berücksichtigen ist. Für die Kommunen ließe sich daraus die Bedeu- tung von Schienenstrecken und Zugangsstellen als Entwicklungsachse für Siedlung, Tourismus und Gewerbe besser erkennen. Gleichzeitig sollten diese begreifen, dass deren Gestaltung auch zu ihren Aufgaben gehört, zu denen der Bund die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen hat (s. zu diesen Aspekten der Mittelallo- kation auch die vorausgegangenen Überlegungen im Modellabschnitt 4.8). Im Kontext integrativer Überlegungen sollten der Umfang der flächenmäßigen Er- schließung bzw. die Bedienungshäufigkeit jeweils nach den topographischen Besonder- heiten und der Bevölkerungsdichte eines Nahverkehrsraumes angepasst und vor Ort entschieden werden. 666 Da man davon ausgehen kann, dass das Wissen um die örtliche Verkehrsnachfrage bei den dort ansässigen Kommunen am größten ist, erscheinen lokale Entscheidungsträger am geeignetsten, den gesamten ÖPNV zu organisieren. 667 Diese Feststellung lässt sich auch anhand der vorausgegangenen Modellentwicklung nachweisen (s. Abschnitt 4.8). Unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge sollte es am Ende unerheblich sein, ob letztendlich diese Verkehre über die Schiene oder über die Straße ausgeübt werden. In Anbetracht knapper Haushaltsmittel in Bund und Ländern muss die Umsetzung dieser 664 Vgl. Jochimsen (1966), S.100. 665 Vgl. Aachen und Dornbach (2002), S. 582 ff. 666 Vgl. Knieps (1995). 667 Diese sinnvollen dezentralen Strukturen entbinden natürlich die Entscheidungsträger in keiner Weise davon, bei ihren Überlegungen zur Organisation des SPNV bzw. entsprechender Neben- strecken die Anbindung an regional übergeordnete Verkehrsführungen, etwa ICE-Fernverkehrs- Trassen, mit einzubeziehen. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 280 Verkehre zunehmend unter dem Gesichtspunkt der eingangs angesprochenen Kosten- minimierung betrachtet werden. Kostenminimierungsstrategien sind auch deshalb so exponiert darzustellen, weil sich insbesondere in bevölkerungsarmen Regionen nur auf diesem Wege öffentliche Verkehre im SPNV aufrechterhalten lassen. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass hierbei ein Interessenkonflikt zum übrigen ÖPNV auftreten kann, wenn dessen Einsatz von den gleichen Entscheidungsträgern getroffen wird. Während die Umsetzung dieser Vorstellungen beim straßengebundenen ÖPNV fast reibungslos vollzogen werden konnte, liegt die Verantwortung im SPNV mit seinen gemeinde- und kreisübergreifenden Verbindungen in der Regel allerdings noch bei der DB AG. Die bisher eingetretenen Veränderungen im SPNV, z.B. die Möglichkeit der Ausschrei- bung von Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs, haben im technisch-operativen Bereich zwar bereits frühzeitig zu relativen Kosteneinsparungen geführt, wobei diese Einsparungsstrategien weiter konsequent fortgesetzt werden sollten, letztendlich haben sich aber dadurch bisher keine nachhaltigen absoluten Kosteneinsparungen ergeben. Die nunmehr vorliegende Konkurrenzsituation sollte das Verhalten der Unternehmen, Kostensenkungen auch an die Auftraggeber weiterzugeben, fördern, weil im Rahmen der Ausschreibungen von SPNV-Leistungen in der Regel das Unternehmen den Zu- schlag erhält, das am billigsten ist. Auch der Einsatz neuer Technologien müsste dieses Bestreben unterstützen. Der eingesetzte bzw. noch zu verstärkende Wettbewerbsdruck motiviert also die Verkehrsunternehmen dazu, eigene Kostensenkungspotenziale auszu- nutzen, was wiederum dazu führt, dass kostengünstigere Angebote abgegeben werden. Diese Potenziale können aber derzeit deshalb noch nicht ausgeschöpft werden, weil nur maximal 8 v.H. von SPNV-Leistungen öffentlich ausgeschrieben werden. 668 Dass Wettbewerb Kosteneinsparungsmöglichkeiten eröffnet, zeigte selbst die Entwicklung in England, wo z.B. die Betriebsausgaben der London Underground nach der Fremdver- gabe von Wartungsleistungen um real 4 v.H. fielen. 669 Im Zuge der Regionalisierung wurde das Anbieten alternativer Bedienungsformen als wettbewerblich und volkswirtschaftlich nützliches Konzept begünstigt. Durch differen- zierte Bedienungsweisen, wie z.B. Anruf-Sammeltaxen, City-Busse, ‘bus on demand’, Anmelde-Linien-Fahrten 670 u.a., lässt sich ein bedarfsorientierter Verkehr erzeugen, der sowohl hinsichtlich Beschaffungs- als auch Personalkosten zu nachhaltigen Kosten- einsparungen führen kann. Gerade in schwach frequentierten Regionen bzw. Räumen, die für Streckenstilllegungen prädestiniert sind, ist dies von Bedeutung, weil bei einem 668 Persönl. Mitteilung von Frau S.-D. Raschig, Abt.-Leiterin Bestellermarkt-Ausschreibungen, DB Regio (Nov. 2003). 669 Vgl. Clarke (1995), S. 33 f. 670 Vor allem die Anmelde-Linien-Fahrten sind flexibel einsetzbar. Diese Bedienungsart verbessert die Attraktivität von ÖPNV erheblich, weil sie die Fahrtzeiten verkürzen kann bzw. weil eine solche Bedienungsform Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln überhaupt erst ermöglicht. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 281 solchen bedarfsorientierten Verkehr nur Kosten in Höhe der tatsächlichen Nachfrage anfallen würden. Die im ÖPNV bzw. SPNV derzeit vorliegende, aber grundsätzlich noch weiter zu diffe- renzierende Wettbewerbssituation kommt auch im unternehmerischen Verhalten der Verkehrsanbieter und in der Konzentration auf die nachfragerelevanten Parameter zum Ausdruck. Daraus ergeben sich Perspektiven, die auch für die Ausschöpfung der Inte- grationspotenziale bzw. die Vermeidung von Desintegrationen relevant erscheinen: • Verkehrsunternehmen sind gezwungen, zukünftig ihre Marketing- und Organi- sationspolitik neu gestalten zu müssen. • Durch technische Veränderungen im Fahrzeugbau und alternative Betriebsbereitstel- lungen können Kostenpotenziale effizienter ausgeschöpft werden, z.B. durch Energie- und auch Personaleinsparungen bei den Schienenfahrzeugen im SPNV, wenn diese auf die jeweiligen lokalen Bedürfnisse zugeschnitten werden. 671 Entsprechende Marketingkonzeptionen können auch dazu führen, dass der potenzielle Kunde den ÖPNV nicht als „letzte Möglichkeit“ der Fortbewegung wahrnimmt (also als das gleichsam ungeliebte Vehikel für die „Armen, Alten etc.“), sondern als echtes Alternativangebot zum PKW in seine Überlegungen mit einbezieht. Um die vorhan- denen Zugangshemmnisse abzubauen, wäre es erforderlich, durch geeignete PR- und Kommunikationsarbeit den Einblick in den öffentlichen Verkehr auf der Schiene und auf der Straße zu erweitern, um diesen als ein transparentes und nachvollziehbares System begreifen zu können. 672 Bei alternativen Verkehrsangeboten, wie z.B. Schienen- und Busverkehr, ist eine systematische Abstimmung unbedingt erforderlich, wenn man ein Kostenminimum erreichen will. Risiken im Sinne einer mangelhaften Integration können besonders bei gleichen Fahrstrecken und nicht abgestimmten Abfahrtzeiten und Fahrplänen eintreten, wo sich dann der Bus als ‘unliebsame’ Konkurrenz zum Schienenverkehr herausstellen kann. Durch den Verlust an Fahrgästen gingen dann dem Schienenverkehr Einnahmen verloren, ohne dass sich damit gleichzeitig die Betriebskosten verringern würden. Auf der anderen Seite macht es keinen Sinn, Schienenstrecken des SPNV ‘um jeden Preis’ als integralen Bestandteil des Gesamtschienennetzes erhalten zu wollen, sofern eine völlig defizitäre Frequentierung vorliegt und die Kosteneffektivität eines Substituts unstrittig ist. In diesem Zusammenhang haben sich teilweise integrale Taktfahrpläne als eine Erfolg versprechende Angebotsform erwiesen, wobei feste Taktzeiten und Umsteigeknoten zwischen SPNV-Linien zum Fernverkehr und übrigen Regional- und Stadtverkehren eine echte Alternative zum motorisierten Individualverkehr darstellen. 673 Wie aus 671 Siehe zu den entsprechenden technisch-organisatorischen Möglichkeiten den Modellabschnitt 4.8. 672 Derartige Kommunikationsmöglichkeiten wurden wiederum bereits im Modellabschnitt 4.8. disku- tiert (Stichwort: ‘Bundling’-Angebote). 673 Vgl. Jäger (1998), S. 389. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 282 Medienberichten immer wieder zu erfahren ist, stehen gerade im SPNV der Wirksam- keit dieser Pläne zum Teil erhebliche Verspätungen gegenüber, so dass zwischenzeitlich sogar Bußgeldzahlungen für den Fall angedroht worden sind, dass sich dieser Zustand nicht ändert. Für den einzelnen Kunden ist aber die Taktfrequenz von entscheidender Bedeutung, weil sie die „zeitdeckende“ Angebotspräsenz verdeutlicht. 674 Ziel dieser optimierten Fahrplangestaltung ist es folglich nicht, auf einzelnen Streckenabschnitten Zeitgewinne zu erzielen, sondern vielmehr für die gesamte Fahrtstrecke den Zeitauf- wand zu minimieren. Stellgröße für den integralen Taktfahrplan ist also die Ermittlung der Summe von Fahrzeiten im gesamten Streckennetz. Nach modernem Verständnis sind Taktfahrpläne allerdings nur in einem Rahmen zu rechtfertigen, der auch den kostenineffektiven Aspekt der Leerfahrten berücksichtigt und diese zu minimieren sucht. Soweit nicht das einzelne Bundesland, sondern ein Verkehrsverbund Aufgabenträger des SPNV ist, stellt dieser einen SPNV-Verkehrsplan auf und ist damit auch für die Vertaktung der Verkehre zuständig. Da in diesen Verkehrsverbünden wiederum alle Verkehrsunternehmen vertreten sind, wird die Möglichkeit einer sachgerechten Koordi- nation der Verkehrsangebote problematisch, da jedes Mitglied im Verbund seine eigenen Verkehre einbringen will, unabhängig davon, ob sie rentabel sind. Das kann in der Praxis zur Folge haben, dass kaum frequentierte Strecken, die längst anderweitig bedient werden sollten, unverändert aufrechterhalten werden. Eigentlich ist es Aufgabe der Nahverkehrspläne, für den Aufgabenträger eine Basis für qualitative und quantitative Ausgestaltung des SPNV zu schaffen und ihm ein bestimmtes kostenminimierendes Vorgehen zu ermöglichen. Unter diesem Gesichts- punkt ist die Frage nach der planerisch-organisatorischen Effizienz und des Nutzwertes der Regionalisierung zur Verbesserung von Planung und Organisation im ÖPNV bisher zu beträchtlichen Teilen noch unbeantwortet geblieben, was wiederum die Notwendig- keit innovativer Modellüberlegungen evident erscheinen lässt (s. Abschnitt 4.8). Insge- samt soll gemäß gegenwärtiger Planungen der SPNV aber auch zukünftig das ‘Gerippe’ für das öffentliche Verkehrssystem bilden. 675 Allerdings sind die entsprechenden Vor- haben nicht weiter spezifiziert worden, so dass daraus ein Zielkonflikt entstehen kann, weil die Kunden einerseits eine ‘Vorliebe’ für schienengebundene Verkehrsmittel zeigen, andererseits aber diese Verkehrsmittel in Anschaffung und Unterhalt erheblich teurer als straßengebundene Verkehrsmittel sind, so dass unter den geschilderten Um- ständen mit weiteren Streckenstilllegungen zu rechnen ist (es sei denn, mittels der dar- 674 Vgl. Werner (1998), S.22. 675 Dies ist auch dadurch zu belegen, dass die Finanzierungsmittel in erster Linie dem SPNV zugute kommen sollen. Zudem muss man sich zur Bedeutung des schienengebundenen Nahverkehrs ver- gegenwärtigen, dass allein die SPNV-Nebenstrecken mit Streckenbedienungen bis etwa 100 km etwa zwischen 25 und 30 Prozent des gesamten DB-Streckennetzes ausmachen. Vgl. Zimmer (2002), S. 25. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 283 gelegten Modelle lassen sich die Kostenstrukturen optimieren, was dann sogar zu Reaktivierungen von SPNV-Nebenstrecken führen kann; s. Abschnitt 4.8). Neben geänderten organisatorischen Verfahrensabläufen hat auch der Einsatz neuer Technologien die Fortentwicklung einer integrierten Gesamtverkehrsplanung begüns- tigt. Allerdings lässt sich schon jetzt feststellen, dass eine isolierte Betrachtung von SPNV aufgrund der heutigen Mobilitätsbedürfnisse hier zu keinem befriedigenden Ergebnis führen würde. Vielmehr kann – wie in der Folge noch weiter ausgeführt wird – die isolierte Betrachtungsweise den Effekt bewirken, dass beispielsweise Strecken in volkswirtschaftlich schädlicher Weise parallel bedient oder aber eingestellt werden (letzteres betrifft vor allem SPNV-Trassen in strukturschwachen Regionen). Will man aber einen optimalen Betriebsablauf gewährleisten, sind die Schnittstellen zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Hinblick auf optimale Netzauslastung, hohe Pünktlichkeit und geringe Umwelt- belastung genau festzulegen. 676 Eine mögliche, die Integration im Schienenverkehr fördernde Kostenminimierungsmöglichkeit stellt die neu entwickelte Rahmenrichtlinie für eine integrierende Netzgestaltung (RIN) dar, die derzeit von der Forschungsgesell- schaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) entwickelt wird. 677 Im Inhalt wird dabei die integrierende Betrachtung auf alle Verkehrsträger ausgedehnt. Als Ergebnis sollen damit in der Zukunft den „Planern“ zugleich Kriterien für die Gestaltung und Überprüfung der Verkehrssysteme des öffentlichen Verkehrs durch die nachprüfbare „Operationalisierung“ der Verbindungsfunktionen unterschiedlicher Stufen vorgegeben werden. 678 Um dabei das angestrebte Ziel der Netzgestaltung, nämlich eine sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu erreichen, werden im Kern Erreichbarkeits- verhältnisse gefordert, die jedermann den Zugang zu anderen Menschen, Orten, Gütern und Dienstleistungen garantieren, gleichzeitig aber die Verkehrsbedürfnisse zwischen Menschen und Regionen diskriminierungsfrei sowie in einem verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt sichern. Die dargestellte Zielorientierung klingt nach Ansicht des Verfassers zwar unscharf, aber sie berücksichtigt jene Faktoren bei der Entwicklung des Verkehrswesens, die auf Daseinsvorsorge und Gemeinwohlverpflichtung ausge- richtet sind. Durch die Entwicklung von neuen, speziell den Erfordernissen des SPNV angepassten Fahrzeugen, die nicht nur in der Anschaffung, sondern auch im Unterhalt Kosten ein- sparen helfen, kann mithin ein relevanter Beitrag für die Aufrechterhaltung von Strecken geleistet werden, und dies nicht zuletzt auch deshalb, weil gerade die einge- setzten Fahrzeuge die Flexibilität eines modernen Schienenpersonennahverkehrs zum 676 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMVBW (2002), S. 260 ff. 677 Vgl. FGSV (2002), S. 1 ff. 678 Vgl. Müller und Wolf (2002), S. 596. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 284 Ausdruck bringen können. 679 Entsprechende veränderbare Zugbildungen im Hinblick auf das zeitlich zu differenzierende Nachfrageverhalten wirken sich dabei ebenso auf die Produktivität aus, wie Bequemlichkeit, Komfort und Sicherheit auf das Verhalten der Bahnkunden. Deshalb sind, wie bereits unter Abschnitt 4.8 ausführlicher dargelegt, vereinfachte Betriebsweisen, wie z.B. die nur mit einer Person zu besetzenden Triebwagen (Fahr- gastraum und Betriebszelle als Einheit), insbesondere beim SPNV in der Fläche beson- ders geeignet, da hier Kosteneinsparungen nicht nur bei der technischen Ausstattung, sondern auch beim eingesetzten Personal möglich sind. Neben den Einpersonen-Trieb- wagen ist aber auch an den vollautomatischen, fahrerlosen Betrieb von Schienenbahnen zu denken: Dieses Konzept erscheint vor allem für den kommunalen Bereich bzw. SPNV zukunftsträchtig, kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Nebenstrecken in der Fläche, bei denen ein ‘robuster’ Technikeinsatz zielführend ist, übertragen werden (s. hierzu auch Kap. 4.1.3 sowie Modellabschnitt 4.8). 680 Die vorstehenden und je nach Einzelfall anzuwendenden Möglichkeiten werden insgesamt dazu führen, dass – soweit die Verkehre über Ausschreibungen vergeben werden – die Zahl von Streckenstill- legungen zurückgehen wird, weil mit den zur Verfügung stehenden Zuschüssen mehr Strecken unterhalten werden können. Weitere technisch relevante und zusätzlich die Integration fördernde Kostenminimie- rungsmöglichkeiten liegen in der Entwicklung der Telematik, d.h. in der verbesserten Kapazitätsauslastung von Infrastruktur und rollendem Material, wobei Telematik als Sammelbegriff für moderne Systeme der Datenerfassung, der Kommunikations-, Leit- und Informationselektronik zu verstehen ist. 681 Diesem Informations- und Steuerungs- system ist im Hinblick auf die Tatsache, dass 85 v.H. der Verkehrsleistungen auf 40 v.H. des Schienennetzes erbracht werden, eine besondere Bedeutung beizumessen. 682 Es dient also der optimierten Information der Verkehrsteilnehmer, der Steuerung der Verkehrsabläufe, der Erfassung der zeitlichen und räumlichen Verkehrsströme und der Verbesserung der Verkehrssicherheit. Durch den Einsatz von Telematik können die Schnittstellen von Individualverkehr und öffentlichem Verkehr kundenfreundlicher gestaltet werden, was wiederum das Umsteigen auf den ÖPNV erleichtern soll. 683 Zudem lässt sich mit Hilfe von CIR (Computer Integrated Railroading) die Leistungs- fähigkeit des Kernnetzes weiter verbessern, wobei sich insbesondere im SPNV durch optimierte Kundeninformation und Einbeziehung von öffentlichem Verkehr und Indivi- dualverkehr neue Anwendungsmöglichkeiten durch Verkehrsmanagement-Systeme 679 Vgl. Jäger (1998), S. 391. 680 Vgl. Fiedler (2003), S. 118 ff. 681 Vgl. Aberle (2003b), S. 569. 682 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 208 ff. 683 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 208 ff. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 285 eröffnen. 684 Angesichts der derzeit bestehenden Marktzugangsregelungen und Eigentumsverhältnisse sind dabei jedoch Zielkonflikte durchaus denkbar. In erster Linie ist hier auf die häufig vorliegende faktische Einheit von Aufgabenträger und Verkehrs- unternehmer hinzuweisen, die Konkurrenz aus dem Grund nicht zulässt, weil die Gefahr besteht, dass sich das eigene Unternehmen im Wettbewerb nicht behaupten könnte. Das Beispiel macht zugleich deutlich, dass theoretisch sinnvolle und auch praktisch mög- liche Integrationssysteme unter den Bedingungen der marktwirtschaftlichen Praxis erheblichen Barrieren ausgesetzt sein können. Um die Überlebenschancen des Systems Bahn zu gewährleisten, ist der intramodale Wettbewerb unbedingt anzustreben, weil nur durch ihn, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, mit der Einführung innovativer Techniken zu rechnen ist. Aus integraler Perspektive lassen sich mögliche Effizienzsteigerungen des gesamten Schienenverkehrs insbesondere durch Interventionen im Nah- und im Regional- verkehrsbereich realisieren. Deshalb ist es wichtig, das Streckennetz hier nicht in iso- lierten Abschnitten, sondern als eine Einheit zu betrachten und auch vorhandene Poten- ziale in der Fläche zu berücksichtigen. Jede vorgenommene Modernisierungsmaßnahme im Nahverkehr kommt letztendlich auch dem Fernverkehr zugute, weil dieser gerade für die Bewohner in der Fläche in einem Vor- und Nachlauf (Nahverkehr) besteht. Im Zusammenhang damit ist die systematische Abstimmung von SPNV und Regionalbus für ein attraktives, aber auch wirtschaftliches Verkehrsangebot zu betrachten. Sicherlich eine ganz entscheidende Interventionsstrategie für eine dauerhafte Perspektive des SPNV ist die gesellschaftliche Akzeptanz der Bahn als ein modernes Fortbewegungs- mittel. Dazu ist es aber auch notwendig, die verkehrliche Attraktivität der Bahn zu stei- gern, z.B. durch ein ausreichendes Platzangebot und modernisierte Inneneinrichtung. Nur wenn es zudem gelingt, die Bahn wieder als pünktliches, verlässliches und vor allem sicheres und sauberes Verkehrssystem herzustellen, werden auch wahlfreie Bür- ger auf die Bahn zurückgreifen. Integrierte Gesamtverkehrsplanung stellt dabei keine neue Planungsart dar, die in einem Gutachten oder Ergebnis zum Ausdruck kommt, sondern will vielmehr durch Aufbau und Integration von Planungsgrundlagen Fragen zum Verkehr unter Einbeziehung aller Verkehrsarten hinreichend beantworten. Die auch auf das ungebremste Wachstum zurückzuführende Nachhaltigkeitsdebatte in der Gesellschaft, technische Fortschritte bei den Verkehrsmitteln, soziodemografische Entwicklungen und Anforderungen an die Mobilität sowie der Einsatz neuer stadt- und verkehrsplanerischer Methoden sind Ur- sache dafür, dass Verkehrsplanung immer mehr im Rahmen einer integrierten Gesamt- verkehrsplanung (IGVP) betrachtet wird. 685 684 Vgl. o.V. (1993), S. 2. 685 Vgl. Huber (2003 ), S. 28 ff. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 286 Eine derartige Gesamtverkehrsplanung soll die Berücksichtigung aller Verkehrsträger und Verkehrsmittel, die Koordinierung zwischen den Planungsbeteiligten und die Inte- gration der unterschiedlichen Planungsbelange unter dem Gesichtspunkt der Raumord- nung und Landesplanung gewährleisten. 686 Diese fortschreitende Entwicklung der inte- grierten Gesamtverkehrsplanung erfordert daher auch neue Verständigungsverfahren zwischen den Beteiligten, wobei die zunehmende Vernetzung von Planungsprozessen zum Abbau von Hierarchien führt. 687 Mit der Vernetzung ist allerdings auch eine gewisse Gefahr verbunden, dass diese gleichsam als ‘Allheilmittel’ angesehen wird, mit der Folge, dass nur noch diffuse Vor- stellungen über die tatsächlichen verkehrlichen Problembereiche bestehen und nicht mehr ausreichend präzise Aufgabenstellungen formuliert werden. 688 Daher sind umfas- sende und klar gestaltete Strategien notwendig, wenn eine derartige Gesamtverkehrs- planung zu praktikablen Verkehrslösungen führen soll. Die integrierte Gesamtverkehrs- planung will dabei – wie weiter oben bereits umrissen – alle Handlungsfelder, wie z.B. verkehrliche Ziele und Leitbilder, Verkehrsträger und -mittel, Siedlungs- und Ver- kehrsinfrastruktur einschließlich der Akteure, planerische Handlungsansätze sowie proximate und ultimate Planungsvorgaben integrieren. 689 Die gleiche Gewichtung aller Verkehrsarten ist bei der integrierten Gesamtverkehrs- planung (IGVP) ebenso notwendige Bedingung wie bei der früheren Verkehrsentwick- lungsplanung (VEP). Mit der IGVP soll für die jeweilige Verkehrsaufgabe der Einsatz des am besten geeigneten Verkehrsmittels erreicht werden. Da die Stellung des öffent- lichen Verkehrs mit seinen bisherigen Nahverkehrsplänen nicht integriert geplant war, muss dessen Rolle neu überdacht werden, weil gerade in Schwachlastzeiten und bei geringer Nachfrage insbesondere in ländlichen Räumen differenziertere Bedienungs- formen mit in die Überlegungen einbezogen werden müssen (Stichwort u.a.: Leerfahr- ten-Minimierung). Die integrierte Gesamtverkehrsplanung hat hier die Verbesserung der Schnittstellen zwischen den Verkehrsarten zum Ziel, um den potenziellen Kunden bei der Suche nach dem optimalen Verkehrssystem entsprechend seiner Mobilitäts- bedürfnisse hinreichend zu unterstützen. Die dafür notwendigen Integrationsverfahren werden durch neue soft- und hardwaretechnische Entwicklungen begünstigt. Selbst wenn dafür die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden, ist ohne eine exakte Zielbestimmung kein erfolgreicher Planungsprozess möglich. Für den SPNV in der Fläche bedeutet dies, dass zunächst für eine Bestandsaufnahme alle wich- tigen Daten zu sammeln, zu bewerten und daraus Feststellungen des Handlungsbedarfs zu treffen sind. Ultimates Ziel sollte dabei stets der Erhalt des für das Funktionieren der 686 Vgl. BMVBW (2002). 687 Dieser Hierarchieabbau geht im Übrigen völlig konform mit den in der vorliegenden Arbeit vorge- schlagenen, dezentralisierten Entscheidungsprozessen (‘vor Ort’) für die Gestaltung des SPNV. 688 Vgl. Huber (2003), S. 30. 689 Vgl. Huber (2003), S. 31. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 287 Stadt oder Gemeinde notwendigen Verkehrs sein. Ein proximates Planungsziel würde danach nicht nur im Finden des für den jeweiligen Verkehrszweck geeignetsten Ver- kehrsmittels bestehen, sondern auch in der Durchführung von entsprechenden Maß- nahmen, welche ein ÖPNV-Angebot attraktiver machen. Ein Schwerpunkt sollte dabei in der Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses liegen (also nicht nur Verbesse- rung von Komfort, Reisezeiten etc.). Bei Fehlen der Voraussetzungen für SPNV sind die bereits beschriebenen alternativen Bedienungsformen zu berücksichtigen. Die sich daraus für den SPNV ergebenden Konsequenzen beinhalten neben den bereits dargelegten Strategien der Kostenminimierung, dass die Einbindung von Nahverkehr in ein interregionales Verkehrsnetz nur im Rahmen eines integrierten Systems möglich ist, wobei sich im Rahmen der Regionalisierung das Leitbild eines verkehrsträger- und ver- kehrsmittelübergreifenden Verkehrssystems durchgesetzt hat. 690 Dabei zeigt es sich, dass fast jedes Verkehrsunternehmen Zubringerdienste für andere Unternehmen über- nimmt, was wiederum dazu führt, dass diese Dienste nur dann effizient sind, wenn die Fahrpläne aufeinander abgestimmt sind. Zieht man ein prägnantes Fazit zur Verkehrsintegration des SPNV, so sind vor allem die Notwendigkeit von dessen Attraktivitätssteigerung und Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz sowie von Optimierungen der Kostenstrukturen hervorzuheben (Kunden- freundlichkeit, intelligente Vertaktung, einheitliche Tarife). Ohne diese Maßnahmen wird sich genau das Gegenteil einer Integration, nämlich die Desintegration und Still- legung von SPNV-Strecken, durchsetzen. Gemessen am gesamten Streckennetz der deutschen Eisenbahnen, sind die SPNV-Strecken durchaus bedeutsam. Gleichwohl sollten diese Strecken nicht isoliert, sondern immer auch integrativ im Rahmen eines sog. ‘Top-down-Ansatzes’ betrachtet werden (Einbindung in die hierarchisch überge- ordneten Netze, in Fernverkehrs-Trassen etc.). Ohne eine solche Einbindung und Nut- zung der Schnittstellen 691, z.B. in Form rascher Umsteigemöglichkeiten vom SPNV auf den Fernverkehr oder auch auf andere Verkehrssysteme (etwa Zubringerdienste für den Luftverkehr), wird der SPNV im intermodalen Vergleich keine wirkliche Langfristper- spektive haben. Gerade die Vernetzung von Fernverkehr und SPNV ist heute notwen- dige Bedingung für eine nicht nur individuell motorisierte Mobilität, bei der potenzielle Kunden gegenwärtig immer mehr den Fernverkehr fokussieren. 692 Eine Zukunftsperspektive für den SPNV und dabei insbesondere in bevölkerungsarmen Regionen lässt sich daher nur dann bejahen, wenn dieser Verkehr Bestandteil in einem integrierten Gesamtverkehrsrahmen wird, weil sich nur auf diesem Weg eine neue Kun- denschicht dafür erschließen lässt, den öffentlichen Nahverkehr als eine Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu betrachten. 690 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 222. 691 Vgl. hierzu auch Knieps (1996), S. 29 ff. 692 Vgl. Höhnscheid (2000), S. 217. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 288 5.4 Der SPNV im Kontext regionaler Verkehrslösungen und Potenziale hinsichtlich der Vermeidung von Flächen- verödungen Erfolgversprechende Umstrukturierungsmaßnahmen im Bereich des Schienenpersonen- nahverkehrs lassen sich nur dann verwirklichen, wenn es gelingt, die vielfältigen Ein- flüsse und Wirkungen der direkt oder indirekt Beteiligten zu berücksichtigen. In erster Linie geht es dabei um die Zusammenführung von gleichgerichteten Interessen und die Sensibilisierung der Beteiligten innerhalb des gesetzlichen Handlungsrahmens. Diese Möglichkeit hat in bereits regulierten Infrastruktureinrichtungen, wie z.B. Post und Telekommunikation, zu erfolgreichen Ansätzen und Lösungen geführt, so dass sie auch für den Bereich Personennahverkehr durchaus in Betracht gezogen werden kann. 693 Bei der Überlegung, Bahnstrecken stillzulegen, spielen heute zunehmend demogra- phische Entwicklungstrends eine wichtige Rolle. Der Anteil von alten Menschen über 65 Jahren an der Gesamtbevölkerung beträgt nach den jüngsten Erhebungen ca. 25 v.H., so dass man annehmen kann, dass die Zahl derjenigen, die altersbedingt kein Auto mehr fahren dürfen oder können, aufgrund der vorliegenden Altersstrukturen zukünftig weiter ansteigen wird. 694 Damit verstärkt sich auch die Gefahr von Mobilitätseinschränkungen im Hinblick auf Freizeitverhalten, Einkaufsmöglichkeiten und Teilnahme am gesell- schaftlichen Leben überhaupt, sofern nicht andere Verkehrsangebote geschaffen werden. Die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ist bereits heute ein zentraler Gesichtspunkt bei den Überlegungen, den Wohnsitz eventuell auf das Land zu verlegen oder dort beizubehalten. Für junge Familien ist dieser Schritt auch im Hinblick auf zukünftige Ausbildungsmög- lichkeiten ihrer Kinder beachtlich. In der Regel befinden sich weiterbildende Schulen und sonstige Ausbildungsstätten in zumeist weiter entfernten Städten oder in Ballungs- zentren. 695 Auch die Bereitschaft zur Ansiedlung von Industrie- und Versorgungs- einrichtungen wird zu einem Problem, wenn nicht auch eine Anbindung dieser Stand- orte durch den öffentlichen Verkehr zumindest ergänzend gesichert ist. Aus Umwelt- gründen sprechen aber auch die negativen externen Effekte, die ein unkontrolliertes Anwachsen des motorisierten Individualverkehrs mit sich bringen, gegen Einschrän- kungsüberlegungen im SPNV. 693 Vgl. Aachen und Dornbach (2002), S. 582 ff., sowie Müller und Wolf (2002), S. 593. 694 Vgl. Opaschewski (2002). Der Autor weist auch darauf hin, dass im Rahmen der „Überalterung“ unserer Gesellschaft der Trend zur „Vereinzelung“ alter Menschen zunehmen wird. 695 Vgl. hierzu auch die Analyse des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg („Die Schule soll im Dorf bleiben“); MBJS (2000). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 289 Allein schon diese Entwicklungen machen den Erhalt eines „nachhaltigen Schienenver- kehrs“ für den Nahverkehr zu einer sinnvollen Gestaltungsaufgabe im Kontext regio- naler Gesamtlösungen. 696 Die einzelnen Bundesländer haben als Aufgabenträger dabei die Interessen des SPNV in der Zusammenarbeit mit den Verkehrsunternehmen zu ver- treten und einen leistungs- und kostenoptimierten Betrieb zu gestalten. Die Länder müssten dazu ihre Möglichkeiten (hier: „Vergabe im Wettbewerb“ und „leistungsorien- tierte Verkehrsverträge“) besser nutzen, ein integriertes SPNV/ÖPNV-Angebot zur Ver- fügung stellen und dabei mit den ÖPNV-Aufgabenträgern zusammenarbeiten. Die dafür zur Verfügung stehenden Infrastrukturmittel sind flexibel nach raumstrukturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und daraus zu ziehendem Nutzen einzusetzen und nicht allein einer Infrastrukturart zuzuordnen. Nicht nur bei der Landesplanung, sondern auch bei der Regionalplanung besitzen die Länder ein gewichtiges Mitspracherecht auf Standortentscheidungen von Siedlungen, Schulen, Tourismus und Gewerbe, da diese Entscheidungen zustimmungsbedürftig sind. Deshalb sollte bei der Festlegung von Standorten die Orientierung an der Schiene stär- ker bei der Planung einbezogen werden, wobei nicht nur die Existenz einer Schienenstrecke von Bedeutung ist, sondern auch deren tatsächliche Infrastruktur- und Verkehrsangebotsqualität. In Bezug auf die Planungsebenen ist zu verlangen, dass dazu entscheidend bessere und konkretere Argumente zur strukturellen Bedeutung und zu den regionalwirtschaftlichen Effekten der jeweiligen Schienenstrecken vorgelegt werden. Die Kommunen sind gehalten, die Bedeutung von Schienenstrecken und Zugangsstellen als Entwicklungsachse für Siedlung, Tourismus und Gewerbe für die Praxis besser zu verinnerlichen. 697 Dieser Bezug auf nachhaltige Verkehrsstrukturen sollte bei der Ab- wägung von Interessen nicht unerwähnt bleiben. Es ist auch Aufgabe der Kommunen, die Gestaltung des Bereichs der Zugangsstellen für potenzielle Fahrgäste als ihre Auf- gabe wahrzunehmen. Eine aktive Mitarbeit und das Einbringen von eigenen Vorschlä- gen bei der Einbeziehung von SPNV/ÖPNV, Park- und Abstellplätzen an den Zugangs- stellen wären daher wünschenswert. Die sich daraus ergebende Verbesserung des Angebotes und die Bestrebungen, Kosten zu minimieren, sind beizubehalten, wenn das verkehrs- und gesellschaftspolitische Ziel, in zehn Jahren die Kostenstrukturen der Eisenbahnen zu optimieren, erreicht werden soll. Grundsätzliche Verbesserungen des Verkehrsangebotes, die auch die Reaktivierung von stillgelegten Strecken einschließen können, sind allerdings nur durch einen ver- änderten Wettbewerbsrahmen zwischen den Verkehrsträgern oder durch zusätzliche finanzielle Mittel zu erreichen. Der prinzipielle Konflikt zwischen den knappen Finanz- 696 Vgl. Schnappauf (2000). 697 Vgl. Schnappauf (2000). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 290 ressourcen und dem politisch gewollten Ausbau des Verkehrsangebotes ist dadurch allerdings nicht zu beheben. Bei komplexen Lösungen sollten nach Ansicht des Verfassers verstärkt auch private Unternehmen defizitäre Aufgaben wahrnehmen und dafür einen entsprechenden Finanzausgleich erhalten. Dies wäre dann auch eine Möglichkeit, die Quersubventionie- rung durch andere öffentliche Betriebe zu verhindern, was wiederum eine Entmonopoli- sierung dieses ehemaligen Wettbewerbsausnahmebereichs fördern würde. 698 Leider hat sich seit der Bahnreform hier wenig bewegt. Die DB AG ist mit einem Marktanteil von ca. 96 v.H. immer noch größte Anbieterin von SPNV-Leistungen. Der Anteil des größ- ten privaten Bahnkonkurrenten Connex beträgt dazu im Vergleich 1,8 v.H. Nach An- gabe von Drews 699 befördert diese Gesellschaft in Baden-Württemberg im Jahr 4,31 Mio. Fahrgäste auf einer Streckenlänge von insgesamt 86,4 km (Daten für den Zeitraum 2000/2001). 700 Um den Schienenverkehr in der Fläche durch eine dezentrale Organisation auf Dauer zu sichern, müssten – abgesehen von der Forderung nach Ausschreibung von Schienen- nahverkehrsleistungen – die unternehmerische Zuständigkeit und Verantwortung vor Ort gestärkt werden. Dies würde dann auch die Möglichkeit eröffnen, individuelle Ver- kehrskonzepte umzusetzen, die auf die regionalspezifischen Gegebenheiten abgestimmt sind. Die DB AG hat hierzu einen Vorschlag unterbreitet, wonach der Schienenverkehr in der Fläche nur durch das strategische Prinzip einer dezentralen Organisation, das die DB AG mit der so genannten „Mittelstandsoffensive“ verwirklichen will, auf Dauer ge- sichert werden kann. 701 Fraglich ist allerdings, ob allein die DB AG bei den derzeitigen organisatorischen Verhältnissen dazu in der Lage ist. 698 Vgl. Cox (1997), S. 67 ff. - Anmerkung zur Operationalisierung des Begriffes ‘Quersubventionie- rung’: Eine solche liegt dann vor, wenn ein systematisches Defizit eines bestimmten Unterneh- mensbereiches oder Sektors, z.B. ÖPNV bzw. SPNV, „mittels der Überschüsse eines anderen Unternehmensbereiches (...) ganz oder teilweise ausgeglichen wird“; vgl. Haug (2003), S. 198. Auf kommunaler Ebene stellen Quersubventionierungen des ÖPNV ein enormes Problem mit hoher Variabilität des Zuschussbedarfs dar. So ermittelte Haug (2003), S. 202 f., Deckungsgrade der Verluste im ÖPNV durch Gewinne kommunaler Versorgungsbetriebe in deutschen Großstäd- ten zwischen 0,1 und 2,6 (Deckungsgraddefinition des Autors: An die Kommune abgeführte Ge- winne bzw. Ausschüttungen der Vers.-betr. nach Steuern / Jahresfehlbetrag der ÖPNV-Betriebe nach Steuern laut GuV-Rechnung). 699 Vgl. Drews (2001), S. 1. 700 Die deutsche Connex Verkehr GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main, die Bestandteil der in mehre- ren Ländern Europas, Asiens und Australiens vertretenen Connex-Group ist, beschäftigt hier zu Lande rund 3000 Mitarbeiter. Das Unternehmen konzentriert sich auf zahlreiche Regionalbahnen. Es übernahm im Jahre 2001 auch die Deutsche Eisenbahn-Gesellschaft (DEG), einen Betreiber von Buslinien und Nebenstreckenbahnen, der vor dem zweiten Weltkrieg v.a. im Regionalbereich strukturschwacher Regionen (Ostpreußen, Teile Schlesiens) erfolgreich operierte. 701 Vgl. DB Regio AG (2001), S. 44 (Geschäftsbericht). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 291 Die weitere Entwicklung wird aber nicht nur durch die betriebliche Organisationsform bestimmt, sondern ist immer noch abhängig von der staatlichen Förderung und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. Diese Förderung bleibt daher auch zukünftig unverzicht- barer Bestandteil für die Beibehaltung des SPNV, unabhängig davon, in welcher Form er endgültig betrieben wird. Dabei sind auch die finanziellen Rahmenbedingungen der DB AG zu berücksichtigen: Immerhin betrugen die Bestellerentgelte im Geschäftsjahr 2001 68,5 % der gesamten Umsatzerlöse (Länder) der DB Regio AG, was ein enormes finanzielles Gewicht darstellt; nur 31,5 % wurden hingegen über die Fahrkartenverkäufe erlöst. 702 Für die Modernisierung von Schieneninfrastruktur und Fahrzeugpark ist aber gleicher- maßen eine staatliche Förderung unerlässlich, da die geplanten Investitionsmaßnahmen von der DB nicht allein zu finanzieren sind. Der politische Wille von Bund und Ländern dafür ist vorhanden, was sich allerdings ändern könnte, wenn sich auf der Nachfrager- seite dazu keine spürbaren Verbesserungen ergeben. Die gesellschaftliche Anerkennung in der Form, dass die Bürger eine modernisierte Bahn tatsächlich stärker nutzen als früher, ist damit ein wichtiger Anhaltspunkt, um das Nebenstreckennetz erhalten zu können. Das Ziel lässt sich aber nur erreichen, wenn neue Fahrgäste aus der Gruppe der wahlfreien (d.h. nicht per se auf die Bahn ange- wiesenen) Bürger für die Bahn zu gewinnen sind, weil das System zu hohe Fixkosten aufweist, um allein mit der Gruppe der wahlunfreien Bürger existieren zu können. Da ein derartiger Umstieg also nur möglich ist, wenn die Attraktivität der Bahn steigt, muss auch eine für Nebenbahnen angemessen sanierte und damit kostenoptimierte Infrastruktur geschaffen werden, was wiederum Voraussetzung für einen effizienten und nachfragegerechten Einsatz von Fahrzeugen und Personal ist. Beides ermöglicht einen eng vertakteten, schnelleren, komfortableren und damit attraktiveren Schienenperso- nennahverkehr. Für einen solchermaßen konzipierten Schienenpersonennahverkehr reicht es nicht aus, ein modernes Schienennetz wiederherzustellen. Hierzu sind vielmehr noch weitere Maßnahmen sowohl im kaufmännischen als auch im technisch-organisa- torischen Bereich erforderlich. 703 Zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit der Schiene ist zusätzlich ein markt- und kundenorientiertes Verhalten 704 notwendig, da der Betrieb von Bahnstrecken grundsätzlich auch volkswirtschaftlich sinnvoll sein muss. Erste positive Signale kommen hier wiederum von Connex, die nach ihren Angaben 20 bis 30 Prozent mehr Fahrgäste in ihre Züge ‘locken’ konnte als die Bahn. 702 Vgl. DB Regio AG (2001), S. 44 (Geschäftsbericht). 703 Vgl. IHK BW (1986, Vorschläge der Wirtschaft für ein modernes Schienenkonzept, aus: Denk- schrift der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammer in Baden-Württemberg). 704 Neben betriebswirtschaftlichen Aktivitäten und Umfeldmaßnahmen tragen v.a. „neue Fahrzeugbauweisen (...) wesentlich zur Akzeptanz der (öffentlichen) Verkehrsmittel bei“; vgl. IST (Institut für Schienenfahrzeugtechnik 2002), o.S. – Vgl. zu Maßnahmen der Attraktivitätssteige- rungen bei Lokal- und Regionalbahnen auch Seifert (2000). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 292 Von substanzieller Wichtigkeit wird es auch sein, zukünftig eine effizientere Vernet- zung aller Verkehrsträger zu erreichen und dabei moderne Logistikkonzepte konse- quenter zu nutzen. 705 Durch ein intelligentes logistisches Management des schienen- gebundenen Verkehrs können zwar die Systemvorteile der Straße nicht ausgeglichen werden, dennoch kann die Schiene damit eine wirtschaftliche sowie qualitativ und ökologisch hochwertige Alternative bleiben. Mithin sollte sowohl bei den Anbietern als auch bei den Nachfragern von Verkehrsleistungen die Erkenntnis bestehen, dass es nicht „um jeden Preis“ Schienenverkehr sein muss, sondern auch kostengünstigere Verkehrs- varianten in Frage kommen. Im Zuge der mit der Bahnreform einhergehenden Privati- sierung richtet sich daher auch das Handeln des Unternehmens Deutsche Bahn (DB AG) zunehmend nach ähnlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten aus, wie dies bei anderen Unternehmen gegeben ist. Dies schließt die Orientierung auf die Erforder- nisse des Marktes mit ein, wie z.B. die verstärkte Berücksichtigung des Nachfrage- verhaltens von Kunden. Um hier eine grundlegende Verbesserung der Wettbewerbs- situation zu erreichen, setzt die Bahn allerdings primär auf die für sie attraktiven Strecken im Fernverkehr und vernachlässigt damit den SPNV. Entsprechende Beschwerden mehren sich bei den Schlichtungsstellen des Nahverkehrs. So wird beispielsweise aus dem niederrheinischen SPNV-Flächenverkehr berichtet, dass Kunden teilweise in Einfach-Waggons „zusammengepfercht“ werden, da die DB kom- fortablere Großwagen für den regionenübergreifenden Verkehr benötige. 706 Auch seitens des baden-württembergischen Ministeriums für Umwelt und Verkehr wurden hinsichtlich der Qualität im SPNV Totalausfälle von Zügen, Verspätungen und „Pan- nen“ moniert. Mithin musste hier die DB Regio auf Beschwerde des Landes Baden- Württemberg als Besteller der Zugleistungen wegen der nachgewiesenen Qualitätsdefi- zite im Jahr 2002 Regressleistungen in Höhe von 11,2 Mio. EUR an das Land entrich- ten. 707 Innerhalb der so genannten „Strategie Netz 21“ plant die DB AG eine Aufgliederung der Netzstruktur in Personen- und Güterverkehr sowie eine Aufgliederung nach Geschwindigkeiten. In dem Zusammenhang soll das Streckennetz in ein Vorrangnetz (zwischen den Ballungsräumen) und in ein Leistungsnetz für gemischte Verkehre (Fern-, Nah- und Güterverkehre) mit jeweils 10.000 km sowie in ein ergänzendes Netz für den Regionalverkehr (Personen- und Güterverkehr) mit etwa 16.000 km aufgeteilt werden. 708 Diese Struktur korrespondiert mit dem von Blesik/Munzert 709 vorgeschla- 705 Vgl. Jopp (2001). 706 Auf der Strecke von Kleve nach Düsseldorf waren im November 2003 Waggons so überfüllt, dass 25 Fahrgäste auf einem Kleinbahnhof (Aldekerk) nicht aussteigen konnten. Persönliche Mitt. von Christian Schirmer, Leiter der ‘Schlichtungsstelle Nahverkehr’, Düsseldorf, im Nov. 2003. 707 Pressemitteilung des baden-württembergischen Umwelt- und Verkehrsministeriums vom 22. Februar 2002; vgl. Mappus (2002). 708 Vgl. Spangenberg und Pütz (2002), S. 595. 709 Vgl. Blesik und Munzert (2001), S. 213. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 293 genen „3-Stufen-Modell“, wobei nach Ansicht des Verfassers offen bleibt, ob im dicht- besiedelten Deutschland ein weiteres Streckennetz wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Regionalisierung des SPNV bestätigt diese „strategischen“ Aufgliederungen als Weg zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit mit mehr Wett- bewerb zwar, allerdings ist davon auszugehen, dass die Umsetzung dieser Strategie ins- besondere im Regionalverkehr zu weiteren Streckenstilllegungen vor allem in den neuen Bundesländern führen kann. Dies wird dann wiederum neue, anders gelagerte Problemstellungen aufwerfen. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Probleme, zu denen auch die Flächen- verödung gehört, stellt sich die Frage, welchen Stellenwert Raumordnungsgesichts- punkte bei der Umstrukturierung von Verkehrslösungen tatsächlich einnehmen. Letzt- lich geht es um die Erreichbarkeitsverhältnisse im SPNV, die sich unabhängig von den Zuständigkeiten, welche sich durch die grundlegende Trennung von Nah- und Fern- verkehr ergeben, und unabhängig von den Finanzierungsfragen regional unterschiedlich entwickeln. Den betriebswirtschaftlichen Interessen der DB AG kann allerdings die im Grundgesetz verankerte Gewährleistungspflicht des Bundes für das Allgemeinwohl nach Art. 87e Abs. 4 GG, insbesondere hinsichtlich der Verkehrsbedürfnisse beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes, entgegenstehen. Für den Bund gibt es aber nicht nur seine Eigen- tümerverantwortlichkeit für das Schienennetz. Aus dem Raumordnungsgesetz (ROG) ergeben sich weitergehende raumordnerische Anforderungen. So sieht der § 2 Abs. 2 Ziff. 12 ROG für den Schienenpersonenverkehr vor, dass eine gute Erreichbarkeit aller Teilgebiete untereinander mit Personen- und Güterverkehr sichergestellt werden muss. Auch die Verlagerung aus verkehrlich hoch belasteten Räumen und auf umweltverträg- lichere Verkehrsträger gehört zu den festgeschriebenen Zielstellungen. Zweifellos erhöhen auch Verkehrsverbünde und entsprechende Verknüpfungen an den jeweiligen Schnittstellen nach § 2 Abs. 2 Ziff. 5 ROG die Attraktivität des ÖPNV. Die Ausgestaltung des PNV kann dabei an die in § 2 Abs. 2 Ziff. 2 ROG geforderte Anleh- nung der Siedlungsstruktur an das Streckennetz der Bahn anknüpfen. Andererseits wird durch eine hohe Qualität des SPNV die Entwicklung von zentralen Orten der ländlichen Räume als Träger einer so genannten „teilräumlichen“ Entwicklung unterstützt. Diese Wechselbeziehung findet ihren Ausdruck in der Empfehlung, die Siedlungsentwicklung auf ein integriertes Verkehrssystem auszurichten. 710 710 Folgender Aspekt trifft nicht unbedingt den Nahverkehr, sei aber der Vollständigkeit halber er- wähnt: Der Grundgedanke einer nachhaltigen Raumentwicklung wird auch mit dem europäischen Raumentwicklungskonzept EUREK aus dem Jahre 1999 gestärkt, wenngleich die Zielvereinba- rungen den Zielrahmen der Grundsätze einer zukünftigen Raumordnung nicht rechtlich zwingend regeln; vgl. EUREK (1999). Es bleibt eine Orientierung auf die Entwicklung eines ausgewogenen und polyzentrischen Städtesystems und auf die Sicherung des gleichwertigen Zugangs zur Infra- struktur. Die Zielvorstellungen beinhalten den Ausbau der Transeuropäischen Netze (TEN), ihre 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 294 5.5 Möglichkeiten für einen Generalverkehrsplan Möglicherweise könnte auch das Problem der Flächenverödung dadurch gemildert, wenn nicht sogar ganz beseitigt werden, wenn es gelänge, die öffentlichen Verkehre unabhängig von den Verkehrsträgern so miteinander zu verbinden, dass daraus wirt- schaftlich vertretbare gemeinsame Verkehrspläne erstellt werden können. Durch die neuen technologischen Verfahren müsste es durchaus möglich sein, integrierte Ver- kehrssysteme aufzubauen, mit deren Hilfe eine den heutigen Anforderungen an Mobili- tät und Umwelt gerecht werdende öffentliche Verkehrsbedienung möglich wird. Ziel einer modernen Verkehrsplanung sollte es dabei sein, dem einzelnen Verkehrsteilneh- mer je nach Zweck und Grund seiner Reise die entsprechende Verkehrsmittelwahl zu ermöglichen. Dies trägt gleichzeitig zu einer besseren wirtschaftlichen Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bei und hilft ferner, die Umwelt zu entlasten. 711 Mit der Übertragung der Eigenverantwortlichkeit ist es den Ländern freigestellt worden, wie sie die verkehrliche Situation in ihrem Bundesland regeln wollen. Die für die Orga- nisation und Umstrukturierung des gesamten Verkehrs notwendigen Voraussetzungen versuchen die einzelnen Bundesländer (seltener auch Gebietskörperschaften) auf ver- schiedene Art und Weise zu realisieren, teilweise durch die Aufstellung von ‘General- verkehrsplänen’. 712 An deren Umsetzung haben alle in den jeweiligen Landesgesetzen bestimmten Aufgabenträger mitzuwirken. Weitere Details, z.B. hinsichtlich der Inhalte von Generalverkehrsplänen sowie der Fortschreibung, regeln die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen. Die ÖPNV-Gesetze verlangen aber auch, dass bei bestimmten Verkehrsvorhaben eine Abstimmung unter den benachbarten Einzugs- regionen oder mit übergeordneten Aufgabenträgern erfolgt, wobei zwischen Beneh- mensherstellung und Einvernehmen zu unterscheiden ist. 713 Mit Hilfe von derartigen Verkehrsplänen soll also im Rahmen einer Bestandsaufnahme versucht werden, die gesamte Verkehrssituation in einem bestimmten Gebiet (Stadt, Land) zu erfassen und zu analysieren, um daraus entsprechende ‘Diagnosen’ für künf- tige verkehrspolitische Entwicklungen erstellen zu können. Gleichzeitig will man damit die gesetzliche Vorgabe, für die Bevölkerung eine dauerhafte Mobilität zu sichern, durch entsprechende verkehrspolitische Maßnahmen gewährleisten. Ähnlich wie bei- spielsweise der Bundesverkehrswegeplan werden die Generalverkehrspläne als Instru- ment der Verkehrsinfrastrukturpolitik definiert. 714 Ziel eines jeden Aufgabenträgers ist dabei, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden verkehrlichen Vorstellungen und Ergänzung durch die so genannten sekundären Netze und eine wirksame Verbindung der verschie- denen Netzebenen. 711 Vgl. Fiedler (2003), S. 96 ff. 712 Vgl. Grandjot (2002), S. 20. 713 Vgl. Kolks (2003a), S. 77 ff. 714 Vgl. Grandjot (2002), S. 20. 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 295 Bedürfnisse hinreichend zu konkretisieren. Das Hauptcharakteristikum eines General- verkehrsplans besteht also darin, die zukünftige Entwicklung der verschiedenen Ver- kehrsträger vorwegzunehmen und zu beeinflussen, z.B. durch eine gezielte Förderung des SPNV. Allerdings erschwert auch hier die Komplexität des realen Verkehrs die politisch richtige Entscheidungsfindung. 715 Diese Einflussnahmen sollen volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch sinnvolle Verkehrsflüsse garantieren, wobei auch den wirtschafts-, struktur- und umweltpoli- tischen Interessen gedient werden soll (letzteres z.B. durch Emissionsreduktionen bei Kraftfahrzeugen, sofern genügend Personen auf öffentliche Verkehrsmittel aus- weichen). Darüber hinaus will man damit die Bevölkerung zu bestimmtem Verhaltens- änderungen anregen und dadurch das Bewusstsein für eine dauerhaft umweltverträg- liche Mobilität hervorrufen und stärken. 716 Diese Abstimmungsprozesse müssen dabei keineswegs als ‘dirigistisch’ oder – wie der Begriff Generalverkehrsplan nahe legen könnte – als ‘planwirtschaftlich’ aufgefasst werden. Vielmehr können dabei wett- bewerbliche Anreize und innovative Konzepte angewandt bzw. exploriert werden. Betrachtet man die verwirklichten gesetzlichen Vorgaben im Kontext der General- verkehrspläne, so lässt sich unstrittig feststellen, dass bisher nur wenig davon umgesetzt werden konnte. Als Ursache sind hier die bisher nicht gelösten unterschiedlichen Inte- ressen der einzelnen Aufgabenträger auszumachen, aber auch die Befürchtung der öffentlichen Hand hinsichtlich eines Verlusts ihrer Einflussnahmen. Unter diesem Ge- sichtspunkt erscheint es nicht verwunderlich, dass der Gesetzgeber die Verwirklichung sämtlicher verkehrlicher Veränderungen eher halbherzig verfolgt und am derzeitigen Status quo nicht „rütteln“ will. Dies hat zur Folge, dass gerade der SPNV in verschiede- nen Bundesländern immer mehr ins Abseits gedrängt wird, weil er einfach nicht so prestigeträchtig ist wie der Fernverkehr. Um dies zu verhindern, ist der Gesetzgeber aufgefordert, unabhängig von der politischen Wirkung die mit der Bahnreform und EU- Gesetzgebung geschaffenen Lösungsmöglichkeiten zu realisieren. Dass eine derartige Realisierung möglich ist, zeigt in Ansätzen die Verkehrspolitik des Landes Baden-Württemberg. In dem 1995 in Kraft gesetzten Generalverkehrsplan dieses Bundeslandes wird mithin der dauerhaften Sicherung von Mobilität durch Aus- weitung der Verkehrsangebote insbesondere im öffentlichen Verkehr oberste Priorität eingeräumt. 717 Erreicht werden soll dieses Ziel u.a. auch durch Sicherung und Verbesserung der Anbindung des ländlichen Raumes an das übrige Streckennetz. Für die jeweiligen Verkehrsträger wurden dafür konkrete Maßnahmen entwickelt. Neben der Ausweitung der Verkehrsangebote auch im SPNV strebt das Land damit gleich- zeitig die Belange des Umweltschutzes mit zu berücksichtigen, indem es versucht, 715 Vgl. Eckey und Stock (2003), S. 176. 716 Vgl. Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg (2001) 717 Vgl. Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg (2001). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 296 durch Förderung von alternativen Verkehrsangeboten die Luftverschmutzung durch den Individualverkehr zu minimieren. Dabei nutzte das Land Baden-Württemberg die Zeit seit der Übernahme der Verant- wortung für den SPNV im Zuge der Regionalisierung im Jahr 1996 für eine ‘Moderni- sierungsoffensive’, so dass zwischenzeitlich die Einführung eines integralen Taktfahr- plans zu 87 % und damit fast flächendeckend verwirklicht werden konnte. Trotz fort- schreitender Motorisierung der Bevölkerung konnte auch das Fahrgastaufkommen im öffentlichen Personennahverkehr von 1995 bis 2000 um 7,5 v.H. gesteigert werden. 718 Auch die Schadstoffemissionen ließen sich von 1987 bis 1997 im Straßenverkehr erheblich verringern. 719 Mit diesem Generalverkehrsplan Baden-Württemberg gingen bundesweit erstmalig die subjektiven Vorstellungen der Bevölkerung zu den einzelnen Verkehrsmitteln in differenzierter Weise in die Aussagen mit ein und zeigten auf, inwieweit sich die einzelnen Verkehrsteilnehmer zu ökonomisch und ökologisch ver- nünftigem Handeln anregen lassen. Auch der Generalverkehrsplan 2002 von Österreich geht von den gleichen Handlungs- feldern aus und versucht anhand von verkehrspolitischen Grundsätzen und eines Infrastrukturprogrammes, Lösungen für die wichtigsten Verkehrskorridore zu finden. 720 Allerdings richtet sich hierbei das Interesse des Landes mehr auf die übergeordneten Infrastrukturnetze, die von nationaler und internationaler Bedeutung sind. Für den SPNV ist maßgeblich, welchen Stellenwert er in der verkehrspolitischen Dis- kussion einnimmt. Dabei ist vor allem wichtig, dass dieser sein negatives Image als „Fass ohne Boden“ verliert. Dies lässt sich durch die Ausschreibung von Schienen- personennahverkehr, die ja auch in den Modellüberlegungen eine erhebliche Rolle spielte (s. Abschnitt 4.8), zumindest teilweise erreichen. Deshalb kann es für den SPNV auch nicht unerheblich sein, ob die politischen Entscheidungsträger lediglich ihre grundgesetzlich verankerte Daseinsvorsorgeaufgabe wahrnehmen oder aber verstärkt wettbewerbliche Prinzipien fokussieren. 721 Dabei kann der Aufbau eines General- verkehrsplanes oder eines sonstigen umfassenden Gesamtverkehrsplanes eine durchaus nützliche Hilfe bei der Verwirklichung von Verkehrsvorhaben darstellen. Darin lassen sich nämlich nicht nur sämtliche Verkehrsvorhaben übersichtlich darstellen; vielmehr wird – was in Anbetracht von knappen öffentlichen Mitteln noch wichtiger ist – deut- licher, wie viel die einzelnen Verkehrsinvestitionen kosten. Auf diese Weise sind die Verkehrsunternehmen auch gehalten, ihre Kosten zu minimieren. So können die Priori- täten besser gesetzt und die Finanzierungsmittel effizienter eingesetzt werden. Insge- 718 Vgl. Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg (2001). 719 Vgl. Presse-Mitteilung des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg (Stuttgart) vom 2.2.2001, wonach die NOx-Emissionen im Straßenverkehr um 40 v.H. und die Emissionen von Kohlenwasserstoffen um rd. 60 v.H. gesunken sind. 720 Vgl. Rosinak und Snizek (2003). 721 Vgl. Busch und Höhnscheid (2000). 5 DIE ORGANISATION VON REGIONALEN VERKEHRSLÖSUNGEN 297 samt betrachtet, erscheint die Aufstellung von derartigen Gesamtverkehrsplänen sinn- voll, weil dadurch die einzelnen Verkehrsprojekte transparenter werden und die Bevöl- kerung durch politische Vorgaben auch die zukünftige Entwicklung des SPNV verfol- gen und mit beeinflussen kann. 6 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN 298 6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen In den vergangenen Jahren wurden auf der Ebene des ÖPNV Privatisierungen und Innovationskonzepte implementiert, um über Qualitätsverbesserungen und Marketing- optimierungen zur Defizit- bzw. Kostenreduktion in diesem Verkehrssektor beizutragen. Dessen Stellung – insbesondere im intermodalen Wettbewerb gegenüber dem motori- sierten Individualverkehr – konnte dadurch letztlich nicht grundlegend verbessert werden. Sowohl angebotsseitig als auch hinsichtlich der Nachfrage und der institu- tionellen Strukturen zeichnet sich der ÖPNV durch unübersehbare Defizite aus. Immer noch weisen öffentliche Verkehrsunternehmen unflexible Strukturen und politisch- institutionelle Interdependenzen, etwa von kommunalen Eignern, auf, wodurch die Wettbewerbsposition des ÖPNV bzw. SPNV auch im intramodalen Vergleich beein- trächtigt wird. (Man vergleiche etwa die Situation des schienengebundenen Personen- nahverkehrs in der Fläche mit derjenigen des technologisch hoch stehenden Schienen- personenfernverkehrs.) Wirtschaftliche Defizite, Bürokratismus, aber auch die nicht abzustreitende Tatsache, dass im ÖPNV aufgrund der „institutionellen Fesseln“ die Entwicklung innovativer Angebotsformen zur Befriedigung veränderter Mobilitätsbedürfnisse von Kunden nicht genügend vorangetrieben wurde, bewogen sowohl politische als auch verkehrswissen- schaftliche Instanzen zur Suche nach Lösungsmöglichkeiten durch Privatisierungen. Die Nutzung von Privatisierungspotenzialen erfolgte dabei auf Basis der Erkenntnis, dass das Betreiben eigener Wirtschaftsunternehmen in der Gegenwart für den Staat nicht länger allein zu finanzieren ist. Daher könnten auch im Bereich des ÖPNV privat orga- nisierte Wirtschaftsunternehmen etabliert werden, die auf eigenes Risiko und in eigener Verantwortung am allgemeinen Wirtschaftsleben teilhaben. Der sich hierbei grundsätzlich stellende Dualismus ist durch die Gegenpole Marktwirt- schaft bzw. „Liberalismus“ und Interventionismus gekennzeichnet. Die Vertreter der marktwirtschaftlichen Position tendieren zu der Aussage, dass eine Daseinsvorsorge mit öffentlichen Verkehrsdienstleistungen in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr auf- rechterhalten werden kann. Der einzelne Bürger hat demnach lediglich ein Anrecht auf kostengünstige Beförderung. Welches Verkehrsmittel letztlich zum Einsatz kommt, liegt gemäß dieser Position aus Kostengründen im Ermessen des Aufgabenträgers. Dazu sollten vergleichsweise stringente Vorgaben hinsichtlich der Beförderungszahlen, Unterhaltskosten und betriebswirtschaftlichen Effizienz angelegt werden, deren Ermitt- lung auf nachprüfbarer, wettbewerblicher Basis erfolgt und die nicht durch das Zuge- ständnis schlechterer Qualität (Sicherheit, Zuverlässigkeit) oder durch Lohndumping etc. herbeizuführen sind. Aus der interventionistischen Perspektive wird hingegen die Daseinsvorsorgepflicht und regulative Steuerungsfunktion der öffentlichen Hand im Verkehrsbereich betont, da ein 6 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN 299 effizientes Verkehrswesen und ein auch die sozialen Belange der nicht individuell motorisierten Bevölkerung sichernder ÖPNV nicht anders zu gewährleisten sei. Bei- spielsweise sei eine puristisch-liberalistische Verkehrspolitik, die einem Verkehrsunter- nehmen wie der DB AG aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen (mangelnde Rentabi- lität) die Möglichkeit zu Streckenstilllegungen in der Fläche gewähre, dafür verant- wortlich, dass in den vergangenen Dekaden die Streckenlänge der SPNV-Nebenstrecken immer mehr abnahm und bestimmte Regionen abseits der Ballungszentren Verödungs- prozessen unterlagen (Attraktivitätsabnahme der Region, Mobilitätseinschränkungen infolge infrastruktureller Rückbauten der Bahn, letztlich „Verkümmerung“ auf ökono- mischer wie soziokultureller Ebene). Zudem wird von „Interventionisten“ das Argu- ment der nicht erreichbaren Vollkostendeckung des ÖPNV ins Feld geführt, welches aber nach Meinung des Verfassers nicht stichhaltig ist, da gerade trotz Anerkennung der überwiegend im ÖPNV nicht möglichen Vollkostendeckung durch marktwirtschaftlich- wettbewerbliche Maßnahmen gleichwohl der Kostendeckungsgrad in volkswirtschaft- lich sinnvoller Weise signifikant gesteigert werden kann. Obwohl einer interventionistischen Position keineswegs zuzustimmen ist, sollte man in der politischen wie verkehrswissenschaftlichen Diskussion unmissverständlich dafür eintreten, dass der Verkehrssektor des ÖPNV bzw. SPNV als Element der öffentlichen Daseinsvorsorge behandelt und deshalb nicht nach ausschließlich marktwirtschaftlichen Grundsätzen betrachtet wird. Eine rein „liberalistische“ Lösung ist dabei ebenso abzu- lehnen wie die interventionistische. Im Mittelpunkt der Überlegungen sollte daher die Frage stehen, wie dieser substanzielle Verkehrssektor aufrechterhalten und wirtschaft- lich effizienter gestaltet werden kann, womit sich auch der Belastungsgrad der ohnehin defizitären öffentlichen Haushalte (Länder, Gebietskörperschaften) verringern lassen würde. In der verkehrswirtschaftlichen Praxis, sei es im ÖPNV auf rein kommunaler Ebene oder im regionalen und überregionalen Schienenverkehr, wurden die trotz des regula- tiven Rahmens bestehenden Handlungsoptionen zur Ausschöpfung möglicher Effi- zienzpotenziale durch die Entscheidungsträger oftmals ignoriert. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass als gemeinwirtschaftlich zu kennzeichnende Verkehrsleistungen bisher kaum im Wettbewerb vergeben wurden. Ziel eines deregulierenden Ansatzes muss es daher sein, einen möglichst hohen Wettbewerbsdruck zu erzeugen. Solange es dem Staat nicht gelingt, alle externen Effekte in den Kosten der Angebotsgestaltung adäquat zu internalisieren, wird die Marktsteuerung zu einem Marktergebnis führen, das Gemeinwohlaspekte schlichtweg nicht beachtet. Es stellt sich hier in gewisser Weise ein „Paradoxon“ ein, wonach nämlich gerade die Nichtberücksichtigung von Deregulierung und Wettbewerbsfokussierung – wenngleich diese Aspekte in puristischer Form wie zuvor ausgeführt nicht zum Tragen kommen sollten – die Aufrechterhaltung des schienengebundenen Personennah- (wie auch -fernverkehrs) als Bestandteil der öffent- lichen Daseinsvorsorge gefährden würde. 6 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN 300 Die letztgenannten Überlegungen hatten auch bei der seit den 1980er Jahren geplanten bzw. durchgeführten Umstrukturierung (Bahnreform) der Deutschen Bundesbahn zur privatwirtschaftlich verfassten Deutschen Bahn AG einen erheblichen Stellenwert. Trotz formaler Trennung von Netz und Betrieb, der verstärkten Beachtung von Renta- bilitätsgesichtspunkten und mittelfristiger Ambitionen auf den Status einer Publikums- gesellschaft wurden in der eisenbahnwirtschaftlichen Praxis der DB viele Maßgaben nicht erfüllt. Insbesondere ist die derzeitige Infrastrukturverantwortung in Deutschland ambivalent, und die mit der Bahnreform angestrebte Klarheit konnte nicht erbracht werden. Der von der DB favorisierte „Zusammenhalt von Rad und Schiene“ ist mithin keine Voraussetzung für Sicherheit und Innovation, sondern kann auch als vorgescho- benes und emotional besetztes Argument zur Konservierung bestehender DB-Strukturen aufgefasst werden. In der gegenwärtigen Situation sind Infrastrukturbetrieb (hier die dominante DB Netz AG) und EVU-Ebene (hier wiederum die dominanten DB-Ver- kehrsunternehmen) miteinander konfundiert, so dass – auf mehr oder minder subtile Weise und/oder durch politischen bzw. informellen Druck – eine Tendenz zur „Bevor- zugung“ von DB-Unternehmen bei der Nutzung der Infrastruktur gar nicht ausbleiben kann. Gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen DB-Unternehmen und Alternativ- anbietern werden so verwässert. Eine konsequente, wenngleich zurzeit nicht politisch durchsetzbar erscheinende Lösung wäre dementsprechend die Herauslösung der DB Netz AG aus der DB-Holding und Überführung in alleinige staatliche Verantwortung. Sowohl die wirtschaftswissenschaftliche Grundlagenforschung als auch internationale Erfahrungen in der verkehrswirtschaftlichen Praxis legen den Schluss nahe, dass nur der Wettbewerb auf der Schiene einen vordem verabsäumten Innovations- und Kosten- senkungswettlauf initiieren bzw. in Gang halten kann. Dazu bedarf es, wie zuvor um- rissen, allerdings der konstitutionellen Trennung von Netz und Betrieb, die aber – wie das britische Railtrack-Debakel belegt – nicht von einem kurzsichtigen Gewinnmaxi- mierungsdenken auf Kosten einer nüchternen Bestandsaufnahme des technischen Stan- dards der Verkehrsmittel und von notwendigen Investitionen in die Eisenbahninfra- struktur getragen werden darf, sondern ein nachhaltiges Gesamtkonzept erfordert. Dabei sind – was den SPNV in der Fläche anbelangt – die historischen und strukturellen Aus- gangsbedingungen für ein gegebenes Nahverkehrsangebot und die Dynamik der Nach- frage nach den entsprechenden Leistungen ebenso zu berücksichtigen, wie vor allem die Rolle, die die schienengebundenen Angebote hier in Zukunft spielen können und soll- ten. Teils wird seitens der DB AG die Auffassung vertreten, Wettbewerb auf der Schiene könne die Zukunftsfähigkeit des Bahnwesens nicht sichern, da keiner der Wettbewerber auf unzusammenhängenden Mininetzen kostengünstige Verkehre zustande bringen könne. Die Behauptung, Wettbewerb auf der Schiene sei nicht möglich, widerspricht mithin jeglicher Erfahrung und ist auch wettbewerbstheoretisch nicht haltbar, da ein Monopolist gerade ohne potenzielle Konkurrenten keinem Anpassungsdruck hinsicht- lich erhöhter Leistungsfähigkeit ausgesetzt ist. Man muss sich in diesem Zusammen- 6 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN 301 hang auch vergegenwärtigen, dass das Bahnwesen über Jahrzehnte hinweg in beträcht- lichem Ausmaß subventioniert wurde. In der Konsequenz waren und sind im Ver- kehrsmarkt Kostenwahrheit sowie – volkswirtschaftlich gesehen – allokative Effizienz nicht ausreichend gegeben. Nur wirkliche Konkurrenz kann die DB AG dazu veranlas- sen, auf Basis eigener Kostenrechnungen für Bund, Länder und die Konkurrenz be- rechenbarer und transparenter zu werden. Für die öffentliche Hand verknüpfen sich damit eine sachgerechtere Verteilung von Subventionsmitteln und die Möglichkeit von Kosteneinsparungen. Als Leitlinie für verkehrswirtschaftliche Gestaltungsmaßnahmen lässt sich also festhal- ten, dass eine Vergabe von Eisenbahntransportleistungen gemäß wettbewerbstheore- tischer Überlegungen ohne normativ-ethische Probleme durchaus zu verwirklichen ist. Infolge der Marktöffnung für Netzleistungen und durch die Einschränkung bestehender rechtlicher Marktzutrittsschranken lassen sich Potenziale erschließen, die für den Wett- bewerb und die ihm immanenten Anpassungsleistungen (Produktivität) nutzbar sind. Eine Problematik ist darin zu erkennen, dass der Eigner eines Schienennetzes über eine Marktmacht verfügt, mit der der Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt oder unterbun- den werden kann. In der gegenwärtigen Situation betrifft dieses Problem vor allem die Konglomeratstruktur der DB („Netz und Betrieb unter einem Dach“). Funktionsfähiger Wettbewerb kann aber nur dann erreicht werden, sofern allen Wett- bewerbern ein diskriminierungsfreier Zugang zur Schieneninfrastruktur verschafft wird. Hierbei muss es durchaus kein Widerspruch sein, wenn als Anbieter in einer bestimm- ten Region nur ein einzelnes Unternehmen agiert und die Ausschreibung der Leistungs- erbringung zeitlich begrenzt erfolgt. In diesem Kontext ist es möglich, die einzelnen Leistungen, soweit diese wirtschaftlich vertretbar sind, sogar einzeln auszuschreiben. Bedingung dafür ist allerdings, dass die Ausschreibung für die in Frage kommenden Anbieter auch transparent ist. Auch die Gestaltungsmodelle für den SPNV in der Fläche bzw. für die Sicherung von dessen Zukunftsfähigkeit beinhalten sinnvollerweise Ausschreibungen und dezentrale Strukturen (Desintegrationskonzept) für den Betrieb der SPNV-Strecken, wobei im Sinne der Wettbewerbsgleichheit das tatsächlich öffentliche Verfahren und nicht etwa eine freihändige Vergabe zu praktizieren ist. Für infrastrukturelle Maßnahmen erscheint insbesondere das sog. ‘Betreibermodell’ vertretbar, da sich hierbei das übernehmende EIU im Sinne gegebener Kernkompetenzen auf den Betrieb konzentriert. Die Verant- wortung für die baulichen und Wartungs- bzw. Instandhaltungs-Maßnahmen liegt beim Betreiber, dieser kann derartige Leistungen allerdings am Markt einkaufen. Das Modell deckt sich also mit dem Desintegrationsgedanken und verspricht die Ausnutzung von Potenzialen zur Kostensenkung. Darüber hinaus kann es – pragmatisch betrachtet – Strukturen der DB Netz AG ergänzen, bei der ja im Rahmen von Abgabeplanungen für eine Strecke die Suche nach einem anderen Betreiber ohne genügende Berücksichtigung von Erfordernissen der Ausschreibung von Bauleistungen erfolgt. Ein funktionales Aus- 6 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN 302 schreibungsverfahren kann sich wiederum für die Vergabe von EVU-Dienstleistungen auf SPNV-Nebenstrecken eignen, wobei jedoch nicht von einem homogenen Gestal- tungsplan auszugehen ist, sondern vielmehr einzelfallspezifische Umsetzungsalternati- ven zu prüfen sind (hierbei auch „Mischmodelle“ zur SPNV-Streckenreaktivierung, insbesondere von Kleinststrecken). Die Einschätzung möglicher Maßnahmen zum Neubau oder zur Erhaltung bzw. zur Reaktivierung einer SPNV-Strecke sollte sich idealerweise auf eine einzelne Strecke oder ein abgegrenztes Netz beziehen. Zu prüfen ist, inwieweit unterschiedliche tech- nisch-betriebliche Lösungen umgesetzt werden können. Investitions- und Betriebs- kosten sind jeweils getrennt zu berechnen, um so Durchschnittskosten pro Leistungs- einheit herleiten zu können. In einer Diskussion hinsichtlich von SPNV-Nebenstrecken- Sanierungen oder aber deren Stilllegung bildet die Abwägung der technisch-betrieb- lichen Lösungen auf Basis eines Betreiber- oder auch Mischmodells nach Meinung des Verfassers ein vertretbares Vorgehen mit dem Ziel des Streckenerhalts und der länger- fristigen Sicherung von Trassenpreisen im Bereich von etwa EUR 3,00/ Zgkm. Trotz der unterschiedlichen „Einzelfallmaßnahmen“ kristallisieren sich für den Ver- kehrsbetrieb auf Basis durchaus homogener empirischer DB-interner wie -externer Rückmeldungen eine Reihe von Einzelmaßnahmen heraus, die ohne Qualitätseinbußen Kostensenkungen ermöglichen: Zu nennen sind dabei insbesondere die Optimierung des Fahrzeugumlaufes sowie der Einsatz von Triebwagen anstelle lokbespannter Züge, aber selbstverständlich auch die konsequente Ausrichtung auf kundenorientierte Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des SPNV. Darüber hinaus ist es entscheidend, jede Gestaltungsmaßnahme im SPNV in einen integrativen Kontext einzuordnen; dies gilt sowohl für jene Maßnahmen, die bei Infrastruktur/Netz ansetzen, als auch für jene, die sich auf die eigentliche Verkehrsdienstleistung (Betrieb) erstrecken. Hingewiesen sei dabei vor allem auf die optimale Anbindung des SPNV sowohl an den Fernverkehr als auch an die kommunalen ÖPNV-Segmente. 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