V DIE Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löffler (Hg.) GESELLSCHAETLICHE VERANTWORTUNG DER BAUINGENIEURE 3. Kasseler Kolloquium zu Problemen des Bauingenieurberufs WERKSTATTBERICHTE - BAND 19 Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung der Gesamthochschule Kassel Kassel 1988 Herausgeber: Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung Gesamthochschule Kassel Redaktion: Gabriele Gorzka C Alle Rechte vorbehalten 1988 Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung Henschelstr. 4,3500 Kassel Druck: Druckwerkstatt Bräuning, Veiimar ISBN: 3-88122-408-4 Gesamthochschulbibliothek / Reihe WERKSTATTBERICHTE Inhalt 1. Vorbemerkung Hanns-Peter Ekardt und Reiner Ldmr 2. Der Planungsingenieur im Geflecbt iiffentlicher und privater Interessen Gero Morlock, Regienmgsbaumeister, Freiburg 13 3. Der Ingenieur, Erfinder bei der Gestaltung der Stadt - Am Beispiel des Wiener Gürtels Bemd Scholl, Raumplaner, ETH Zürich 33 4. Qualitätsstandards des Bauingenieurs - Technische Imperfektion als Praktizierte Verantwortung Horst Schäfer, Fa. Dyckerhoff + Widmann, Wiesbaden 51 5. Überbrückung des Werratals durch die Neubaustrecke der Deutschen Bundesbahn und die Bundesautobahn Gerhard Jahns und Ubich BeIteImann, DB 67 6. Die Verantwortung des Bauleiters. Erwartungen der Belegschaft, der Unternehmensleitung und der Öffentlichkeit Hans-Jürgen Petereit, Fa. Wayss & Freytag AG, Niederlassung Mainz 85 7. Standesregeln im Kampf um Honorare. -&er Nutzen und Zukunßsperspektiven des beratenden hgedews Heinz Jungmann, Beratender Ingenieur, Kassel 95 8. Die gesellschaftliche und politische Verantwortung der technischen Intelligenz Hans Paul Bahrdr, Soziologe, Uni Göttingen 111 9. Die gedd&üiche Verantwortung der Bauingenienre - Arbeitsoziologische k l e g m g p pr Ethilr der im Bauwesen Wams-Peter Ekardt und Reiner Li?&&, Gh Kassel 135 VORBEMERKUNG Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löfner Verantwortung, die Bereitschaft, für die Folgen eigenen Handelns einniste- hen, ganz allgemein sittliche Verbindlichkeit - für diese Idee muß in unserer Gesellschaft nicht geworben werden. Und so reagieren Ingenieure auch häufig mit Recht unwirsch, wenn sie in besonderer Weise auf ihre Verantwortung an- gesprochen werden, so als ob ihnen diese Idee ganz fremd wäre und als ob sich an ihren Werken ablesen ließe, wie unzureichend ihr moralisches Bewußt- sein entwickelt sei. Als besonders ärgerlich müssen diese Vorhaltungen dann empfunden werden, wenn sie von Akteuren vorgetragen werden, die gar keine Gelegenheit zu Taten haben, für die ihnen auch nur irgendjemand Verant- wortung abverlangen würde. Was soll sich also der Bauingenieur, der schon einmal einen Arbeitsunfall auf seiner Baustelle vor einem Richter zu verant- worten hatte, bei der Lektüre von kritischen, fordernden Stellungnahmen von Journalisten, Theologen/Philomphen, Sozialwissenschaftlern oder Technik- kritikern denken, in denen er auf eben diesen Tatbestand seiner Verantwor- tung hingewiesen wird? Kurz, die Herausgeber sind nicht der Auffassung, die (Bau-)Ingenieure bedürften einer besonderen moralischen Wegweisung. Mit diesem Band dokumentieren sie ein Kolloquium zum Thema der Berufsver- 8 Hanns-Peter Ekardt und Reiner LöfJler antwortung, das fast vollständig von Bauingenieuren selber bestritten worden ist. Diese Vorträge sind ein lebendiges Zeugnis davon, daß Verantwortung und Verantwortlichkeit im Wissen und Bewußtsein der Praktiker fest veran- kert sind. Worin bestehen dann aber die Probleme in Wirklichkeit und Vollzug der Ver- antwortung? Der Leser wird bei der Lektüre der Beiträge unschwer erkennen, daß die Praktiker zwar im moralphilosophisch wichtigsten Punkt, eben der Be- reitschaft zur Verantwortung, übereinstimmen, daß aber Unklarheiten, Auf- fassungsunterschiede, auch Skepsis im Hinblick darauf herrschen, wie man Verantwortung angemessen umschreiben solite, woran sich Verantwortung zeigt, welche Hoffnungen wir mit der Tatsache eines weit verbreiteten subjek- tiven Verantwortungsgefühls verbinden dürfen. Es wird sich zeigen, daß der Planer eine ganz andere Vorstellung von Verantwortung als der Bauleiter hat, daß der konstruktive Bauingenieur auf ganz andere Dinge der Berufspraxis als der Stadtplaner hinweist, daß der Freiberufler deutlichere Vorstellungen von einem berufsethischen Kodex als der Firmeningenieur hat. Für das gemein- same und öffentliche Wirken der Profession der Bauingenieure ist es von großem Nachteii, daß die Profession keine gemeinsame und prägnante Kon- zeption von Verantwortung hat. Das Kolloquium hatte deshalb zum Ziel, einen Beitrag zu dem dringend erwünschten Klärungsprozeß zu leisten. Denn es macht einen großen Unterschied, ob die 120.000 Bauingenieure in der Bun- desrepublik sich jeweils nur individuell der Idee sittlicher Verbindlichkeit ver- pflichtet wissen oder ob auch die Profession im ganzen hiervon eine Vorstel- lung hat. Die Herausgeber, zugleich auch die Organisatoren des Kolloquiums, legen aber noch auf einen weiteren Punkt Nachdruck: In der interessierten Öffent- lichkeit und auch nicht selten bei den Bauingenieuren selber wird Verantwor- tung primär von den Folgen des Technikeinsatzes her verstanden. Je höher das Schadensrisiko, um so klarer und ausgeprägter die Verantwortung. Das (er- hoffte oder geforderte) Bewußtsein der Verantwortlichkeit und die (beobacht- baren oder prognostizierten) objektiven Folgen des Planem und Bauens bilden die beiden Klammern, mit denen das Verantwortungsproblem gefaßt wird. Wir wollen mit diesem Band und mit unserem eigenen abschließenden Beitrag darauf hinweisen, daß der Raum zwischen diesen Klammern, der wirkliche A&eitsprozeß, die wirklichen Arbeitsbedingmgen, die Vorgänge bei der Erzeugung von Plänen und Bauwerken in die moralphilosophische Betrach- tung einbezogen werden müssen. So macht es zum Beispiel einen ganz großen Unterschied, ob der Bauingenieur als Konstrukteur von zahlreichen techni- schen Vorschriften umstellt und damit der Pflicht zur Einhaltuqg dieser Vorbemerkung 9 Normen unterworfen ist oder ob er Grundiagenplanungen für die Wasserver- sorgung einer Region in den nächsten 2 - 3 Jahrzehnten erarbeitet und sich hierfür fast an keinen geschriebenen Normen orientieren kann. Die Herausgeber wolien also den Leser anregen, die Frage der Berufsethik und Berufsmoral auch aus der Perspektive der wirklichen Arbeitsvorgänge der Bauingenieure zu behandeln, nicht nur aus der Perspektive der Handlungsfol- gen. Es soli deutlich werden, daß je nach Arbeitsplatz und Arbeitsaufgabe die eine gleiche sittliche Verbindlichkeit sich legitimerweise in ganz unterschiedli- chen moralischen Bewußtseinsformen ausdrücken kann. Wo der Bauleiter mit 1 Recht auf seine präzisen Pflichten hinweist, kann der Stadtentwiddungsplaner nicht anders, als auf Einsichten zu verweisen, die in zahlreichen Diskussionen der Fachkoliegen untereinander oder dieser mit Politikern, Betroffenen, Bür- gerinitiativen ihren Bestand erwiesen haben. Mit dem moralphilosophisch interessierten Blick auf die Arbeit der Bauinge- nieure lassen sich nach Auffassung der Herausgeber weitere Einsichten ge- winnen. Der Blick auf die Arbeit fördert das Verständnis der alltäglichen Pro- bleme sozialer Verantwortlichkeit; hier werden jene Erfahrungen gesammelt und Handiungsmuster ausgebildet, die dann auch das Handeln in herausgeho- benen und manchmal auch spektakulären Fällen des Technikeinsatzes vor- strukturieren. Außerdem: das Außerordentliche an Technikfolgen bereitet sich in der Unscheinbarkeit alltäglicher Arbeitshandlungen vor, bildet sich häufig nicht in der bewußt empfundenen Außerordentlichkeit von Handlungen und Entscheidungen ab. Und schließlich: die Realität der Verantwortung er- schließt sich keineswegs ausreichend vom moralischen Bewußtsein der Ak- teure her; daher sind auch auf das Bewußtsein allein zielende Umfragen so wenig aufschlußreich. Der Arbeitsprozeß hat seine eigenen Notwendigkeiten, gehorcht auch im Falle kreativer, innovativer, planender und gestaltender Ar- beit seiner eigenen objektiven Logik. Die Logik der Sittlichkeit ist mit dieser "Techno-Logik" der Arbeit verknüpft. Die Realität gelebter Verantwortung ist das Resultat der Antwort des moralischen Bewußtseins auf die Logik der Sitt- lichkeit. Die Auswahl der Referenten zu dem Kolloquium und damit die Beiträge der Praktiker zu diesem Band waren von der Absicht bestimmt, die tätigkeitsbe- dingten Unterschiede der Verantwortung sichtbar zu machen. Die Referenten Morlock und Schoil vertreten die Perspektive der Nutningsplanung und der Planer (Verkehtswegeplanung und Stadtentwicldugspianung), die Referenten Schäfer, Jahns/BerteImann und Jungmann argumentieren aus der Perspektive der Objektplanung und des Objektentwurfs und damit der Sichtweise der so- 10 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Lofler genannten konstruktiven Bauingenieure; die Perspektive der Bauleitung wird von Petereit übernommen. Mit dieser tätigkeitsbedingten Variation der Per- spektive verbinden sich weitere Akzentsetzungen, die sich eher der organisa- torischen Zugehörigkeit der Referenten verdanken. In den Ausführungen von Morlock und JahnsIBertelmann kommt die öffentliche Bauverwaltung als Bauträger zu Wort, Schäfer und Petereit müssen die Interessen und Funk- tionsprobleme der privaten Bauwirtschaft berücksichtigen, Scholl und Jungmann vertreten im Konzert der Baubeteiligten den Part des freiberuflich beratenden Ingenieurs. Bahrdt soll demgegenüber den Part der Herausgeber ergänzen, indem er als ein an Technik und Technischer Intelligenz interessier- ter Sozialwissenschaftler die Frage erörtert, wie denn die Ingenieure verant- wortlichen Gebrauch von ihrer Macht und ihrer Kompetenz machen können, die ihnen durch Tätigkeit und Wissen zufällt. In unserem eigenen Aufsatz haben wir nun versucht, diese verschiedenen Perspektiven auf das Verantwor- tungsproblem systematisch zusammenzuführen, indem wir sie auf die funda- mentalen sachlogischen Strukturen der Ingenieurarbeit im Bauwesen einer- seits, andererseits auf die unterschiedlichen Modi moralischen Bewußtseins rückbeziehen, die verantwortliche Praxis in den verschiedenen beruflichen Einsatzbereichen verlangt. Im einzelnen sei der Leser auf folgende Akzentsetzungen der einzelnen Refe- renten schon hier hingewiesen (differenziertere Betrachtungen zu den Ver- antwortungskonzepten einzelner Referenten finden sich im abschließenden Beitrag der Herausgeber): Gern Morlock weist mit besonderer Klarheit auf das zirkuläre Verhältnis zwischen Problemstellung und Problemlösung in der Planung hin, und er nimmt diesen Sachverhalt zum Anlaß, auf die Möglich- keiten und auf die Notwendigkeiten der Beteiligung von Nutzern und Betrof- fenen der Planungsergebnisse hinzuweisen. Auch seine Hinweise auf stufen- förmige, ändenings- und anpassungsfreundliche Konzepte des Planens und , Ausführens von Verkehrswegen sind von Bedeutung für die Praxis der Ingeni- eurverantwortung. Aus Bemd Scholls Bericht über die Stadtentwicklungsplanung in Wien können wir lernen, daß es notwendig und inwiefern es möglich ist, weit in die Zukunft und in das Leben der nächsten Generation reichende Wirkungen des Ingeni- eurhandelns in dessen gegenwärtige Verantwortung "hineinzuholen". Er weist Wege aus der mißlichen Position der Stellvertreterschaft des Experten gegen- über den Laien und eröffnet Möglichkeiten gemeinsamen verantwortlichen Entscheidens über risikovolle Planungen, indem er der Phantasie der Laien in bezug auf die gebaute Zukunft aufhilft. Es gibt also Wege zwischen techno- Vorbemerkung 11 kratischer Machtanmaßung und scheindemokratischer Flucht der Experten aus der Verantwortung. Horst Schäfer schildert die Versuchungen des Strebens nach verselbständigter technischer Qualität und erinnert daran, daß Ingenieurprobleme niemals nur technische, sondern stets @eich wirtschaftliche, soziale, ökologische Pro- bleme sind; gerade diese Mehrdimensionalität der Problemdefinition unter- scheidet Ingenieurprobleme von verselbständigter technischer Spielerei. Und so wird die technische Imperfektion zum Medium praktizierter Ingenieurver- antwortung. Gerhard Jahns und Ulrich Bertelmann schildern am Beispiel eines großen Ent- wurfswettbewerbs für die Werraquerung der Bundesbahnneubaustrecke, wie die Entwurfsparameter und die technisch-konstruktiven Entwurfsalternativen zu Trägem für Wertgesichtspunkte (Sicherheit, Gebrauchsfähigkeit, Umwelt- schutz, Ästhetik) werden können. Die Institution des Alternativen erzeu- genden Wettbewerbs wird zum Medium der Kommunikation zwischen Ex- perten und Laien, der Möglichkeit der Betroffenen-Mitwirkung an der Ent- scheidung über folgenträchtige Großbauvorhaben. Der Beitrag von Hans-Jürgen Petereit erhält seine Prägnanz durch die Be- mühung des Referenten, den Verantwortungsbegriff (am Beispiel der Firmen- bauleiterpraxk) strikt im Rahmen des positiven Rechts zu plazieren, moral- philosophisch gesprochen, Verantwortung konventionalistisch zu definieren und damit sicheren Grund in einer Diskussion zu gewinnen, die allzuoft ab- hebt von den alltäglichen Bedingungen der Ingenieurpraxis. Moralische Ver- pflichtung im Angesicht eines dichten Netzes von Regeln, im Konflikt mit starken, oft überkreuzenden Verhaltenserwartungen, die Suche nach einem normativen Halt beim Handeln unter Zeitdruck, die Moral im Konflikt mit der Macht, all dies hebt sich deutlich von der moralischen Situation des Pla- nungshandelns ab. Dennoch entgeht dem aufmerksamen Leser nicht das durchaus auch genuin moralische Argumentieren des Autors, mit dem er den zunächst selbst gesetzten engen Rahmen seines Verantwortungskonzepts sprengt. Heinz Jungmanns Position als Beratender Ingenieur bietet ihm mannigfaltigen Anlaß, die Antwort auf die Frage nach der Ingenieurverantwortung in einem expliziten berufsethischen Kodex ni suchen. Das arbeitssoziologische Interesse wird hier besonders dadurch gefesselt, daß dieser Kodex aus dem funktionalen und Interessennisammenhang der Baubeteiligten heraus entwickelt, also nicht einfach der Wirklichkeit der Macht und des Marktes "aufgesetzt" wird. Es be- 12 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löfjler steht nämlich schlicht kein Bedarf mehr an der ausdifferenzierten Position des Beratenden Ingenieurs, wenn ihm der Anspruch der Lauterkeit nicht länger abgenommen wird. Alles in allem: Wir präsentieren dem Leser sechs Beiträge von Bauingenieu- ren, die ihre alltägliche Berufsarbeit im Lichte des sie beschäftigenden Ver- antwortungsproblems vorstellen. Und mit dem Beitrag von Hans P a d Bahrdt sowie mit unserem eigenen versuchen wir eine Brücke zu schlagen für diejeni- gen Ingenieure und SozialWissenschaftler, die aufeinander zugehen wollen, die das Gespräch suchen in einer Sache, die nicht allein eine des Herzens und Gewissens, sondern auch eine der Notwendigkeit ist. Die Idee m dem hier dokumentierten Kolloquium entstammt nicht zdetzt ei- nem von uns in den Jahren 1984 - 1988 durchgeführten Forschungsprojekt über die "Arbeitssituationen von Firmenbadeitern", dessen Ergebnisse in Kürze vorliegen werden. Das Wissenschaftliche Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung der Gesamthochschule Kassel hat dieses Projekt während seiner gesamten Laufzeit und besonders in seiner schwierigen Anlaufphase gefördert. Wir möchten daher an dieser Stelle den Verantwortlichen danken. Unser Dank gilt ebenso Frau Heidi Winter und Frau Helga Cassidy, die das druckreife Manuskript erstellten, und ganz besonders auch Irmgard Krauss, die aus teilweise schwer m bearbeitenden Vorlagen und Tonbandaufnahmen ein verwertbares Manuskript zauberte. DER PLANUNGSINGENIEUR IM GEFLECHT ÖFFENTLICHER UND PRIVATER INTERESSEN Gern Morlock Ich möchte mein Thema in zwei Teile aufgliedern: Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen ein recht interessantes Straßenplanungsprojekt aus dem Freiburger Raum vorzustellen. An diesem Projekt ist das Geflecht öffentiicher und privater Interessen in einem hochdynamischen Planungspro- zeß recht gut darstellbar. Im zweiten Teil meiner Ausführungen möchte ich aus diesem Beispiel heraus abstrahierend zeigen, wie die Dynamik der Bauplanung mit der politischen Willensbildung verknüpft ist und wie sich das Bild des öffentlichen Planungs- ingenieurs in seiner gesellschaftlichen Verantwortung heute darstellt. 16 Gero MorIock Handel und Industrie, Erholung und Fremdenverkehr haben aber eine wichti- ge Voraussetzung: Sie alle sind auf gut funktionierende Ver- und Entsorgung, auf optimale Verkehrsanschlüsse und auf leistungsfähige Verbindungen zum überregionalen Straßen- und Schienennetz angewiesen. Die vor Jahrzehnten gebauten Straßen M Südschwarzwald sind aber teilweise von der Verkehrsent- wicklung längst überholt worden: So ist zum Beispiel eine der wichtigen Ver- bindungsstraßen zwischen den beiden Oberzentren Freiburg und Viingen- Schwenningen bei Donaueschingen, die größtenteils zweispurige Bundesstraße 31, vor allem in den morgendlichen und abendlichen Spitzenverkehrszeiten hoffnungslos überlastet. Durchschnittlich 15.000 Fahrzeuge am Tag passierten z.B. an einem normalen Werktag die Zählstellen. Und weil der Schwarzwald ein beliebtes Erholungs- und Fernziel ist, ist das Verkehrsaufkommen an Sonn- und Feiertagen und während der Ferienzeiten noch größer: An Ur- laubstagen steigen die Belastungen sogar bis zu 20.000 Fahrzeugen am Tag an. Zur Verkehrsqualität auf dem bestehenden Straßennetz ist zu sagen, daß ebenerdige Bahnübergänge, enge Ortsdurchfahrten, Kurven und große Stei- gungen, die vor allem von dem LKW-Verkehr nur sehr mühsam bewältigt wer- den können, den Verkehrsfluß an vielen Stellen hemmen und es fast täglich zu verstopften Straßen und kilometerlangen Stauungen kommt. Aufgrund der oft sehr schlechten Überholmöglichkeiten ergeben sich immer wieder lange Fahrzeugschlangen hinter Bussen und Lastwagen. Damit nehmen die Fahrzeiten zu, Benzinverbrauch und Emmissionen steigen, die Verkehrs- teilnehmer werden nervös, gereizt, unaufmerksam und risikobereit: Auf der B 31 passieren heute pro km streckenweise rund viermal so viele Unfälle wie im Durchschnitt der gesamten Bundesrepublii. 13 Folgen und erste Planungen In den Ortschaften entlang der Bundesstraße 31 ist es mit der Ruhe und der guten Luft vorbei: Durch die ständige Belastung von Berufsverkehr sowie Aus- flugs- und Ferienverkehr drohen die Anwohner förmlich am Verkehr zu er- sticken. Lärm und Abgase der endlosen Fahrzeugkolonnen vor der Haustüre werden unerträglich. Die Folgen der unzureichenden Verkehrsverbindungen und der schiechten Erreichbarkeit sind vor d e m für Handel und Industrie un- mittelbar zu spüren. Berechnungen haben gezeigt, daß ein Lieferwagen von der Autobahnausfahrt Freiburg bis nach Donaueschingen im Durchschnitt 180 Minuten an Fahrzeit benötigt. Die doppelt so lange Autobahnstrecke von Stuttgart nach Singen z. B. kann hingegen in durchschnittlich 133 Minuten be- wältigt werden (vgl. Bild 2). Planungsingenieur im Geflecht von Interessen 17 I Stuttgart Durchschnittliche Fahrzeit eines LKW Bild 2 Ein Betrieb, der auf schnelle Warenbeförderung angewiesen ist, muß bei der ständig steigenden ,Konkurrenz aus dem relativ schiecht erschlossenen Schwarzwaldgebiet zwangsiäufig abwandern. Diese Abwanderungstendenz hin zur Autobahn Stuttgart - Singen z. B. ist heute bereits nachweisbar. Die Folge aber ist eine nachlassende Gewerbetätigkeit, die Gefahr einer Monostruktur, Verlust von Arbeitsplätzen und die Einbuße von Kaufkraft und Lebensquali- tät. In dem Gebiet zwischen den beiden Städten Freiburg und Donaueschingen wird daher schon seit den fünpger Jahren eine leistungsfähige und zügig be- fahrbare Verbimdungsstraße außerhalb der Siedlungsgebiete gefordert. Sie sollte die beiden Nord-Süd-Achsen Frankfurt-Karlsruhe-Basel (A 5) und Heil- bronn-Stuttgart-Bodensee (A 81) quer miteinander verbinden, weshalb sie ofi auch als sogenannte Querstange bezeichnet wird. Daß eine derartige schnelle Verbindungsstraße gebraucht wird, der Bedarf also tatsächlich besteht, hatte im Gruude wegen der vorhin bedukbenen Mißstände nie in Frage gestanden. Die Straße war deshalb in den Bedadsplan für die Bundesfernstraßen auch aufgenommen worden. Planungsingenieur im Geflecht von Interessen 19 Bürger in einem über 500 Quadratkilometer großen Gebiet von den Planungs- absichten mehr oder weniger berührt wurden. Ziel der Untersuchungen und Planungen sollte auch nicht allein eine Verbes- serung der Verkehrssituation sein. Es sollte auch möglichst wenig in den Na- turhaushalt und in die Landschaft des Schwarzwaldes sowie in den Lebens- und Erholungsraurn der hier lebenden Menschen eingegriffen werden. Außer- dem sollte geprüft werden, inwieweit z. B. durch Verbesserung der Attraktivi- tät der Bundesbahn Verkehr von der Straße abgezogen werden könnte. Die Freiburger Arbeitsgruppe hat daher zunächst alle technisch sinnvollen Lö- sungsmöglichkeiten einer küuftigen Straßenführung zusammengestellt. Viele Trassenvorschläge wurden auch von Bürgern aus dem Planungsraum gemacht, so daß insgesamt 164 Varianten zusammenkamen. Für alle wurden jeweils detaillierte Entwurfspläne angefertigt. Damit waren bautechnische Einzelheiten so gut erkennbar, daß die Auswirkungen bei einer eventuellen Realisierung der verschiedenen Varianten bereits jetzt gut abge- schätzt und die Varianten objektiv miteinander verglichen werden konnten. Straßen- und [ Geologie 1 Bild 3 Für jede der 164 zur Diskussion stehenden Varianten wurden daher durch die Arbeitspppe die Auswirkungen in den verschiedenen Lebensbereichen erar- beitet und ausgewertet. Hierzu wurden acht Fachgutachten angefertigt (vgl. Bild 3). Im ökologischen Gutachten wurde z. B. jede Trassenvariante auf ihre Um- weltvertragiichkeit untersucht und beurteilt. Für jede einzelne Variante wur- den also die möglichen Folgewirkungen auf Naturhaushalt und Ökologie abge- schätzt und das ökologische Risiko für diese Variante bestimmt. Auch der Emgriff in die Erholungsmöglichkeiten und in das Landschaftsbiid wurden be- urteilt. 1.4 Umfangreiche Grundlagenerhebung Über zwei Jahre lang dauerten die umfangreichen Grundlagenerhebungen. Tausende von Daten wurden erfaßt, gesammelt und miteinander verglichen. Für jede einzelne Variante wurden schließlich 40 objektiv meßbare Auswir- kungen ermittelt, wie z. B. die Baukosten, der Flächenverbrauch, die Zahl der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe, die Belastung der Waldfiäche oder auch verkehrliche Auswirkungen wie Lärm, Abgase oder Unfallkosten und viele andere mehr. Sie alie wurden in einem Rechner gespeichert und standen für jede einzelne Variante zum Abruf bereit. Die Varianten kann man - vereinfacht gesagt - in Nord- und Südvarianten un- terteilen (Bild 4). Dazwischen gibt es mehrere Möglichkeiten von Querverbm- dungen. Die Nordvarianten verlaufen weitgehend in bisher unberührten Schwarzwaldgebieten, die Südvarianten im wesentlichen im Bereich der heute bestehenden B 31 zwischen Freiburg und Donaueschingen. Immer deutlicher war nach der Datenerfassung für die Arbeitsgruppe schon erkennbar, da6 die Nordvarianten neben wenigen Vorteilen fast nur Nachteile hatten. Hier hätte fast lOmal soviel land- und forstwirtschaftliche Nutdäche geopfert werden müssen wie bei den Südvarianten. Bei den Südvarianten aber würden wichtige Erhoiungsräume geschont, die Landwirtschaft nicht existenz- bedrohend gefährdet, und der Berufs- und Güterverkehr würde unmittelbar an die Siedlungsschwerpunkte herangeführt. Planungsingenieur im Gefecht von Interessen 21 Sankt Peter I Sankt Märgen Donawschingen Titisee -Neustadt Bild 4 Die bestehende B 31 könnte auch Zug um Zug ausgebaut und durch H i - gen von zwei weiteren Fahrspuren relativ leicht auf die erforderlichen vier Spuren verbreitert werden. Für die Nordvarianten dagegen wurden z. T. 15jiihnge Bauzeiten errechnet, bis das erste Fahrzeug dariiberroiien könnte. 13 Die rnentlichkeitsarbeit In dieser Planungsphase hat sich die Arbeitsgruppe mit einer großen Aktion an die Öffentlichkeit gewandt. Schon bisher waren die Medien durch Inter- views, Presseerklärungen und Termine vor Ort laufend über die Probleme und Planungsfortschritte unterrichtet worden. An alle 60 000 Haushalte im Pla- nungsraum waren zu Beginn der Untersuchungen Faltblätter verteilt worden, die über die Planungsabsichten informierten. Auch die Landkreise, Städte und Gemeinden sowie die verschiedensten Interessenverbände, die Mandatsträger und Behörden waren ständig vom Fortgaog der Untersuchungen unterrichtet worden und konnten jederzeit Anregqgen an die Arbeitsgruppe richten 22 Gero Morlock Um die Bürgermeinung zum Planungsprojekt und zu den einzelnen Varianten in der betroffenen Region möglichst lückenlos anhören zu können, wurden jetzt insgesamt fünf Bürgerinformations- und Anhörungsveranstaltungen in schwerpunktmäßig ausgesuchten Gemeinden durchgeführt (Bild 5). Ein Beispiel: In Bräunlingen gab es im wesentlichen zwei Varianten, eine im Norden und eine im Süden, die durch eine Querverbindung miteinander ver- knüpft werden konnten. Wie auch in den anderen Veranstaltungen wurden alle geplanten Straßenvarianten im Raum Bräunlingen/Donaueschingen zwei Stunden vor Versammlungsbeginn in einem Saal ausgestellt und konnten in Ruhe studiert werden. Anhand von Plakaten und Dia-Vorträgen wurden die Bürger außerdem über das gesamte Planungssprojekt und über die wesentli- chen Vor- und Nachteile aller Varianten informiert. Anschließend stellte sich die gesamte Arbeitsgruppe mit ihren Fachgutachtern den Fragen der Bürger, die zu der Versammlung gekommen waren. Bild 5 Planungsingenieur im Gefecht von Interessen 23 Der Grundtenor in allen Versammlungen ergab eine recht breite Ablehnung von neuen Trassen in bislang unberührten Schwarzwaldgebieten. Diese wur- den aufgrund der großen Nachteile im übrigen auch von den meisten Gutach- tern abgelehnt. Große Zustimmung fand indes der Gedanke, im wesentlichen die heute schon bestehende B 31 auf vier Spuren auszubauen und in den Sieglungs- und Steigungsbereichen Tunnels oder Umgehungsstraßen zu bauen. Ailein für den Ausbau der B 31 gab es aber noch rund 50 Variationsmöglich- keiten. Die Arbeitsgruppe hat nun verschiedene Planungsfälle erarbeitet, bei denen ganze Variantengruppen nisammengefaßt wurden. In einem dreistufigen Be- wertungsverfahren wurden, vereinfacht gesagt, aiie schlechten Varianten, für die es noch bessere Lösungsmöglichkeiten gab, nach und nach ausgeschieden, bis eine einzige Lösung übrigblieb. 1.6 Lösung und weiterer Verfahrensgang Es konnte schließlich eine Variante gefunden werden, die die Zustimmung al- ler Mitglieder der Arbeitsgruppe und die der befragten Bürger findet. Sie soll von Freiburg bis Donaueschingen entlang der bestehenden B 31 verlaufen und die an der Straße liegenden Siedlungen durch Tunnels oder Ortsumgehungen umfahren. Die gesamte Strecke SOU in drei Realisierungsstufen fertiggestellt werden. Die erste Stufe beinhaltet im wesentlichen vorbereitende Arbeiten. In der zweiten Realisierungsstufe sollen aiie freien Strecken auf vier Spuren ausgebaut wer- den. Im Bereich von Ortschaften und großen Steigungen soll jeweils ein Tun- nel mit zwei Fahrspuren für den Durchgangsverkehr entstehen. Erst in der dritten Realisieningsstufe sollen, nachdem dann noch einmal detaillierte Be- darfsberechnungen angestellt worden sind, auch alle Tunnelstrecken mit einer weiteren Röhre auf vier Spuren erweitert werden. Gegenüber der alten Auto- bahnplanung können dabei rund 1 Milliarde DM eingespart werden. Die Liniensuche hat schiieBlich drei Jahre lang gedauert und über 3,s Millio- nen DM gekostet. Mehr als 100 Ingenieure, Techniker, Land- und Forstwirte, Wischaftsfachleute und Ökologen haben daran mitgewirkt. Dieser Aufwand ist natürlich im Zusammenhang mit den Baukosten zu sehen und würde dabei gerade etwa 2 Promille ausmachen. Insgesamt rechnet man heute bei solchen Planungsmaßnahmen mit einem Planuugsauhnd für Vor- und Bauentwurf von rund 2 Prozent der Baukosten. Die Grundzüge dieser Planungsmethode werden heute bei fast allen Straßen- planungsmaßnahmen in mehr oder weniger ausgeprägter Form angewandt, um die Gesichtspunkte der Landschaft bei der Straßenplanung so weit wie möglich zu beachten, um die Einbettung der geplanten Straße in ihre neue Umgebung so schonend wie möglich zu gestalten und alle nur denkbaren Auswirkungen einer geplanten Straße zu berücksichtigen. Der weitere Verfahrensgang nach der Aufnahme in den Bedarfsplan und nach der Variantenuntersuchung sieht übrigens zunächst das sogenannte Linienbe- stimmungsverfahren vor (Bild 6), bei dem der Bundesminister für Verkehr diese jetzt gefundene Linie nach einer Anhörung der Gemeinden und Behör- den festschreibt. Dies hat innerbehördliche Verbindlichkeit zur Folge: Die Städte, Gemeinden und Behörden müssen die Straße in ihren Plänen berück- sichtigen. Danach müssen genauere Planungsunterlagen als bisher angefertigt werden, und es folgt das wiederum innerbehördliche Genehmigsverfahren. Hierbei erteilt das Land Baden-Württemberg bzw. der Bundesminister für Verkehr, in dessen Auftrag aüe Bundesfernstraßen gebaut werden, dem Regierungspräsi- dium Freiburg sozusagen die Genehmigung zur Weiterplanung der Straße. Im Planfes~e11urqpverfahren haben dann alle betroffenen Bürger und die beteiligten Träger öffentlicher Belange in einem gemeinsamen Rechtsverfah- ren die Möglichkeit, zu den jetzt parzellenscharfen Plänen Anregungen zu ge- ben und Änderungen zu verlangen. Wem diese Pläne allseits akzeptiert wer- den, erlangen sie Rechtskraft. Die Straße müßte dann noch in den Haus- haltsplänen des Bundes verankert und die Finanzierung gesichert werden, so daß mit dem Bau bzw. Ausbau begomen werden kann. BEDARFSPLAN für den Bau von Bundesfernstroßen + VARIANTENUNTERSUCHUNG 1 unter Einbeziehung von Bürgern . Ver bänden etc. LINIENBESTIMMUNGSVERFAHREN durch den Bundesminister für Verkehr Planungsingenieur im Gefleht von Interessen 25 Bild 6 inner behördliches 1 GENEHMIGUNGSVERFAHREN Gemeinsames Rechtsverfahren für Bürger uid Träger öitentlicher Belange I FINANZIERUNG 1 I in den Haushaltsplänen 26 Ger0 Morlock 2. Die gesellschaftliche Verantwortung des Planungs- ingenieurs 2.1 Die Interessenfelder Das Fallbeispiel einer Fernstraße zwischen Freiburg und Donaueschimgen ver- anschaulicht einen hochdynamischen Planungsgang im Geflecht einer ganzen Reihe von öffentlichen und privaten Interessen (Bild 7). - Da sind zuvorderst die betroffenen Bürger mit ihren immer mehr extrem egoistischen Ansprüchen und mit ihrer immer wieder erhobenen Forderung nach Mitsprache bei den Entscheidungen innerhalb eines Planungsprozes- Ses, und dies oft ungeachtet der repräsentativen Demokratie. - Da sind die Verbände, Initiativen und Interessenvertretungen mit ihrer teils berechtigten, teils aber auch schamlos vorgeschobenen Argumentation für oder wider ein Planungsprojekt bzw. für oder wider eine bestimmte Va- riante. - Da sind die Mandatsträger, selbst eingebunden in politische Interessenkon- flikte und selbst leider lange nicht mehr so frei in ihren Entscheidungen, wie man sich das demokratietheoretisch wünschen würde. - Und da sind die Städte, Gemeinden und Landkreise, die sorgfältig taktie- rend als Sprachrohr wiederum ihrer Individuen und als Knecht ihrer strapa- zierten Haushaltspläne natürlich versuchen, das beste für sich und ihr "Ho- heitsgebiet" zu erreichen. - Schließlich sind da die (technischen) Fachbehörden mit ihren jeweiligen Aufträgen, das "öffentliche Wohl" zu sichern und zu fördern. Mit ihren Ge- setzen, Verordnungen und Erlassen versuchen sie oftmals nur zu peinlich, diesen Auftrag zu erfüllen. - Und es ist nicht zuietzt die Presse zu nennen, die angeblich überparteilich, frei und unabhängig nach einem hochkomplizierten Nachrichten-selektions- mechanismus für den öffentlichen Informationsfluß sorgt. Über d e m steht das sogenannte Gemeinwohl der Republik, dem im Grunde alle verpflichtet sind. Ein Gemeinwohl, so muß man es heute leider sagen, das zu einem wie nie zuvor von Egoismus belasteten Rechtsbegriff degradiert worden ist. Planungsingenieur im Gefecht von Interessen 27 Bild 7 Und über allem stehen nicht zuletzt unsere Umwelt und der Mensch in dieser Umwelt, die wie nie zuvor getreten sind von allseitigen Belastungen und von unseiigen Beeinflussungen im weitesten Sinne, von denen keiner weiß, wie sie sich in der Summe letztlich auswirken werden. Inmitten dieser Interessenfelder und Interessenverflechtungen steht, um auf unser Beispiel zurückzukommen, der Planungsingenieur mit seinem Auftrag, von Freiburg nach Donaueschingen eine leistungsfähige Fernstraße zu planen und diese Planung mit den Interessen im gesamten Planungsraum abzustim- men. Hier zeigt sich bereits eine hohe gesellschaftliche Verantwortung des Pla- nungsingenieurs. Für ihn muß es zunächst das Ziel sein, die erkannten und ve- rifizierten, in unserem Falle verkehrlichen Mißstände durch planerische Akti- vitäten zu beheben. Das darf aber nicht heißen, daß er nun versuchte, "ohne Rücksicht auf Verluste" seine richthiengerechten Planungsmaßnahmen "durchzuboxen", wie dies leider auch heute zuweilen noch mißverstanden wird. Für den Planungsingenieur muß es vielmehr bedeuten, daß er mit seiner Akti- vität auch einen größtmöglichen Ausgieich der von den Planungen berührten Interessen anzustreben hat und daß er auf dem Weg dahin sowohl die eigene 28 Ger0 Morlock Zielsetzung wie auch die hereinspielenden Interessen Dritter permanent kri- tisch zu hinterfragen hat. Für ihn muß es also heißen, planerisch flexibel und kompromißfähig zu handeln und seine Planertätigkeit nicht auf die bloße Um- setzung von Entwurfsrichtlinien zu reduzieren. Dies wäre zwar scheinbar und subjektiv der einfachere Weg; in einer Zeit extremer Umweltsensibilität wäre dieser Weg jedoch früher oder später sicherlich und wohl auch zu Recht zum Scheitern verurteilt. Wir erleben dies heute ja bereits mit Bitterkeit, wenn hoffnungsgeladene Projekte schließlich durch richterliche Sprüche aufgehalten werden. 2 2 Die multidisziplinäre Planung Ein weiterer Wandel im Berufsfeld des Planungsingenieurs hängt mit eben dieser Vielzahl der berührten Interessenfelder im Rahmen eines Planungspro- zesses unmittelbar zusammen: Wie es auch beim Planungsprojekt der Fern- straße zwischen Freiburg und Donaueschingen erkannt worden ist, handelt es sich heute bei vielen Planungsmaßnahmen um sehr komplexe Probleme, die nicht mehr allein nach den Gesichtspunkten der Fachplanung angegangen werden können. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer multidisziplinären Planung, wie wir sie gerade in unserer Profession bisher praktisch kaum ge- kannt haben. Wenn z. B. in einem Planfeststellungsverfahren externe Behörden um Stel- lungnahme zu einer konkreten Planungsmaßnahme gebeten und diese später bei der Realisierung beriicksichtigt werden, handelt es sich nach meinem Ver- ständnis noch lange nicht um eine multidisziplinäre Planungsarbeit! Hierunter ist vielmehr das zu verstehen, was ich im Beispiel vorhin dargestellt habe: Eine Reihe von Fachdisziplinen erörtert und erarbeitet die Losung eines zunächst partiellen Planmgsproblems und sucht das Optimum eines für alle noch trag- baren und vor allem auch umweltakzeptablen Kompromisses. Es wird dabei die hohe Kunst des Planungsingenieurs sein, zwischen den beteiligten Fachdis- ziplinen zu vermitteln und ausgleichend wie sorgsam abwägend die von der Planung betroffenen Güter und Interessen zu bewerten. Gerade die für Planer schon fast zum Alptraum gewordene juristische Rüge einer mangelhaften oder sogar fehlenden Güter- und Interessenabwägung hat in der Vergangenheit oft zum Scheitern von Projekten geführt. Auch hier hat sich die gesellschaftliche Verantwortung des Planungsingenieurs in jüngster Zeit entscheidend gewandelt: Galt es früher in erster Linie, die konsequente fachtechnische Lösung eines partiellen Planungsproblems zu fin- Planungsingenieur im Geflecht w n Interessen 29 den, so wird heute immer mehr erkannt, daß diese Probleme jeweils im Zu- sammenhang mit einer Fülie von konkurrierenden Planungsbereichen stehen, die sich gegenseitig berühren, beeinflussen oder sogar bestimmen können. Dies zu erkennen und die daraus erforderliche Konsequenz zu ziehen, gehört heute ebenso zur Verantwortung des Planungsingenieurs wie die Wahl oder Entwicklung geeigneter Planungsmethoden, mit denen die Erfüllung eines Planungszieles erreicht werden kann. 2 3 Öffentlichkeit der Planung Mit der Vielzahl der berührten Interessenfelder im Laufe eines Planungspro- zesses und mit der multidisziplinären Planungsarbeit hat sich schließlich auch die Dimension der "Öffentlichkeit" der Planuqpdkiplinen in den vergange- nen Jahren entscheidend verändert. Abgesehen von der mittlerweile gesetzli- chen Verpflichtung für den Planer, seine Planvorhaben öffentlich darzustellen und zu erörtern, bringt es allein schon die Vielzahl der berührten öffentlichen wie privaten Teilinteressen praktisch zwingend mit sich, daß die Planung in die Öffentlichkeit getragen wird. Für den Planungsingenieur hat das eine Konsequenz, die auch heute noch viel zu wenig realisiert wird: Der Planungsingenieur hat nun nämlich nicht nur eine ausgewogene Planung zu ersteilen, er hat nicht nur multidisziplinär zu planen, und er hat nicht nur für den Ausgleich der berührten Teilinteressen im Pla- nungsraum zu sorgen, sondern es liegt nun zusätzlich noch in seiner Verant- wortung, eine aktive Informationsarbeit (Öffentlichkeitsarbeit) zu leisten, um die Ziele und Konsequenzen seiner Tätigkeit in allen Planungsphasen Öffent- lich und verständlich daraisteilen und die Kommunikation zwischen allen Be- teiligten in Gang halten zu können. Kommunikation heißt übrigens, daß er auch die Rückmeldungen auf seine losgeschickten Informationen wirksam in den Planungsprozeß einzubringen hat. In puncto Informationsarbeit ist ganz klar zu sagen, daß sich hier noch ein weites und verantwortuosreiches Arbeitsfeld für den Planungsingenieur auf- tut, wenn unterstellt wir4 daß dirigistische und absolutistische Planungsver- fahren im demokratischen Staatensystem keine Berechtigung finden - sonst entstünde dem Planmgsingenieur diese Verantwortung natürlich nicht. Hier wächst den Bauiugenieuren ein völlig neuer Verantwortungsbereich heran, der in der Aufbauphase der Nachkriegszeit praktisch überhaupt keine Bedeutung hatte: 30 Gero Morlock - Wie "verkaufe" ich meine Planung? - Mit welcher Soziologie der Beteiligten habe ich es zu tun, wie kann ich mein spezielles Planungsproblem wirksam darstellen? - Wie können Meinungsverschiedenheiten vermieden werden, die auf bloßem Informationsdefuit beruhen? - Wie kann ich die Interessen der Planungsbetroffenen objektiv erfassen? - Wie kann der wichtige Multiplikator der Pressemedien im Hinblick auf das Planungsziel sinnvoll genutzt werden, ohne sie zur bloßen Hofberichter- statterin zu degradieren? - Wie können Informationen, Anhörung etc. in einem Planungsverfahren so "optimiert" werden (geht das überhaupt?), daß Planungsmaßnahmen in re- alistischen Zeiträumen in die Realität umgesetzt werden können? Ich könnte mir vorstellen, daß uns gerade die Ingenieursoziologie hier noch einige wesentliche Erkenntnisse zu erarbeiten vermag. 2.4 Die 'logik" des Planungsablaufes Schließlich ist noch die "Logik" des Planungsablaufes zu erörtern, wie wir sie heute sehen müssen. Der Bedarf einer leistungsfähigen Fernstraße zwischen Freiburg und Donaueschingen, so haben wir gehört, hat aufgrund der ver- kehrlichen Mißstände in dem beschriebenen Planungsgebiet nie in Frage ge- standen. Die Autobahnverbiindung war schon in den sechziger Jahren - das ist ja ein gesetzgeberischer Vorgang - in die Bedarfspläne des Bundes aufge- nommen worden, der politische Wiliensbildungsprozeß damit also scheinbar abgeschlossen gewesen. Die Autobahnverwaltung, die Exekutive, hat den Auftrag zur Planung und zum Bau der Schwarzwaldautobahn erhalten. Hier kann man nun sehr schön demonstrieren, daß diese "Logik", wie sie im demokratietheoretischen Alltagsverständnis verwurzelt ist (oder war), heute mehr und mehr durchbrochen wird: Auf beiden Seiten, auf der legislativen wie auf der exekutiven, handelt es sich immer weniger um punktuelle Ereignisse im Entscheidungsprozeß, sondern es finden immer häufiger dynamische Ent- wicklungen statt, die sich zudem auch noch gegenseitig berühren, beeinflussen oder bestimmen können. Das heißt, es wird mit der politischen Absicht zur Planung und zum Bau einer Straße häufig erst zu diesem dynamischen Wech- selspiel der unterschiedlichen Interessen kommen. Oder es wird mit der ei- gentlichen Planung, im Extremfall sogar mit der späteren Bautätigkeit über- haupt erst der Prozeß der politischen Wiilensbildung in Gang kommen. Erst nachdem die konkreten Autobahnpläne in unserem Beispiel vorgelegen haben, Planungsingenieur im Gefecht von Interessen 31 I hat der eigentliche politische Prozeß, die Suche nach Alternativen nämlich, begonnen. Auch hier hat sich in den vergangenen Jahren ein ganz bedeutsamer Wandel in der Tätigkeit und in der Verantwortung des Bauingenieurs in der Öffentli- chen Planung vollzogen: War es früher die schlichte Erfüllung eines politi- schen Auftrages, muß der Planungsingenieur heute in jeder Phase eines Pla- nungsprozesses ungeachtet der tatsächlichen oder scheinbaren Sachzwänge die Spielräume für das gleichwohl noch mögliche politische Handeln offenhalten und auch verständlich darstellen können. Daher ist es auch seine Aufgabe, die möglichen Konsequenzen alternativen Handelns jeweils zu konkretisieren. Nicht den Vollzug eines punktuellen, politischen Auftrages gilt es zu tätigen, sondern es muß durch die Planungstätigkeit der politische Prozeß der Wil- lensbildung planerisch begleitet und hieraus der schließliche Kompromiß ent- wickelt werden, ohne daß dabei natürlich planungstechnische Axiome aufge- geben werden. Wesentlich erscheint es mir dabei, darauf hinzuweisen, daß die generellen Planungsziele vor jeder Planungsmaßnahme definiert und diese später auch bestehen bleiben müssen. Das heißt, wenn z. B. aufgrund Überre- gionaler Engpässe und Notwendigkeiten im Ausbauplan der Bundesfern- straßen eine vierspurige Straße vorgesehen ist, so darf diese Maßnahme aus demokratietheoretischer Sicht von einzelnen Gemeinden oder Behörden im Planungsraum nicht mehr generell in Frage gestellt werden. Ein Grundsatz, der heute leider immer wieder bezweifelt wird. I 2.5 Folgerungen I Aus meinen Ausführungen ist zweierlei erkennbar: Erstens ist der Beruf des Bauingenieurs, und hier speziell des Planungsingeni- eurs (in der öffentlichen Verwaltung) derzeit ganz offensichtlich im Wandel begriffen. Ein ehedem "hoheitlich handelnder, politische Aufträge erfüllender Ingenieur ist hineingeworfen worden in hochpolitische, hochdynamische, hochkontroverse und multidisziplinäre Planungsprozesse, die er beratend, aus- gleichend, abwägend und natürlich auch fachlich fundiert zu begleiten hat. Seine Hochschuiausb'idung ist aber, wenn ich das einmal am Rande erwähnen darf, derzeit weit davon entfernt, ihn hierauf entsprechend vorzubereiten. Zweitens hat die gesekhaftliche Verantwortung des Bauingenieurs, und da- mit haben wir den Kreis zum eigentlichen Thema des Kolloquiums wieder ge- 32 Ger0 Morlock schlossen, mit diesem Wandel seiner Aufgaben zumindest im Bereich öffentli- cher Raumplanung bzw. Infrastrukturplanung in kürzester Zeit eine völlig neue Dimension erfahren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil öffentliche Planung, wie beschrieben, noch öffentlicher und weil sie noch politischer geworden ist. Vor einigen Tagen habe ich im Erläuterungsbericht einer neu geplanten Straßenmaßnahme als einzige Eintragung im Abschnitt "Umwelt" den bemer- kenswerten Satz gelesen: "Die Straße fügt sich harmonisch in die Landschaft ein." Ja, so ähnlich lapidar habe ich das auch gelernt - vielleicht ist es auch le- gitim, das zu schreiben, solange keiner diese Zeile anzweifelt. Die Profession muß es sich aber gefallen lassen, wenn ihr vorgeworfen wird, diesen Satz nur allzu gedankenlos hingeschrieben, eben nur ihr Richtlinien-Soll erfüllt zu ha- ben. Welche Konsequenzen sind aus dem Erörterten zu ziehen? Es scheint mir geboten, daß die Ausbildung des Planungsingenieurs seiner ver- änderten geseiischaftlichen Verantwortung besser Rechnung trägt, aLs dies bisher geschehen ist, und daß eine fundierte Fortbildung des Planers diese neuen Dimensionen der Verantwortung auch für die "älteren Semester" noch zu vermitteln versucht. Der Planungsingenieur wird lernen müssen, daJ3 er mit dem Abgang von der Hochschule noch nicht mit der ganzen Lebensweisheit angefüllt ist. In den nächsten Jahren werden wir dies wahrscheinlich ohnehin noch bitter zu spüren bekommen. Wenn hier nicht rasch Konsequenzen, auch im Selbstverständnis des Planers, gezogen werden, werden wir uns in Kürze als ein Häuflein juristengeführter Handlanger und politisch gelenkter Erfüllungs- gehilfen wiedersehen - ich meine, es lohnt sich, hierüber einmal nachden- ken. Ich meine auch, daß es lohnt, über eine effektiver funktionierende Rückkopplung von der Praxis zur Universität und umgekehrt nachdenken. Hier erscheint mir ein Miiiler notwendig zu sein, da bisher jede Seite eher im eigenen Kämmerchen gearbeitet hat und da wohl tatsächlich auch das Pro- blem auftaucht, jeweils geeignete Ansprechpartner in der Universität oder Praxis auszumachen. Die mir bekannten Ingeniewereine mühen sich in die- ser Richtung zwar redlich, allein scheint es mir letztlich an der Konsequenz vermittelnden Handelns und damit auch an deren Effektivität zu mangeln. Schließlich wird es sicherlich sinnvoll sein, wenn auch die Universität offener wird und neben der eigenen Fachdisziplin entsprechend der derzeitigen und künftigen Aufgabensteilung mehr multifakultative Arbeit zu leisten versucht. DER INGENIEUR, ERFINDER BEI DER GESTALTUNG DER STADT - AM BEISPIEL DES WIENER GÜRTELS Das Thema meines Vortrages lautet: "Der Ingenieur, Erfinder bei der Ge- staltung der Stadt". Sie werden vieiieicht fragen, wie dieses Thema verbunden ist mit der Frage, iiber die dieses Koiioquium Aufschiuß geben SOU, nämlich: ob der Bau-Ingenieur "in generale" überhaupt geseiischaftiiche Verantwortung trägt, wie diese sich in seiner tägiichen Arbeit äußert, wie er das Verspüren von Verantwortung überhaupt in seine Arbeit einbringen kann. Eine Verbindung zwischen dem Bau-Ingenieur als Mitwirkendem bei der Ge- staltung der Stadt und dem Konzept "Verantwortung" herstellen rn woiien, er- scheint ja geradezu fragwürdig. Haben die vergangenen Jahrzehnte nicht ge- zeigt, daß es mit der Verantwortung des Ingenieurs nicht gut besteiit sein kann, wem die Gestalt unserer Städte, auch durch die Eingriffe der Ingeni- eure, planmäßig zerstört wurde und wird; w e ~ beim Anblick des Neuen die EinfÜhlung des Gebauten in den "Ort' nicht erkembar ist, sondern die Uni- formität des Maschinen-Denkern an jedem Ort seinen E i gehalten hat? 34 Bemd Scholl Sie wird begründet mit Wünschen, Forderungen und Bedürfnissen unserer modernen Gesellschaft. Der gegenwärtige Zustand unserer Umwelt ist besorgniserregend; könnte man dies nicht generell als Beleg dafür nehmen, daß die verantwortlichen Fach- leute mit großer Verantwortungslosigkeit gehandelt haben? Dies will mir nicht so recht einleuchten, es hieße ja, daß unsere vielfältigen Ausbildungsinstitutio- nen versagt hätten, daß bei den meisten Fachleuten ein Verantwortungsbe- wußtsein schlichtweg nicht vorhanden sei oder aber die Bereitschaft fehle, Verantwortung für die Gestaltung unserer Umwelt zu tragen. Könnte es nicht vielleicht auch so sein, daß die verspürte Verantwortung des einzelnen durch gesellschaftliche Zwänge, die Wirrnis und Schwierigkeiten der anstehenden Aufgaben in einer Zeit mit hoher Veränderungsgeschwindigkeit sich nicht entfalten kann? Wir d e kennen die mittelalterlichen Stadtanlagen, die den sensiblen Gestal- tungswillen ihrer Erbauer bekunden; die Sinnfälligkeit in der Anordnung von Gebäuden, die Harmonie zwischen Proportion und Material. Nicht umsonst ist der mittelalterliche Kern noch heute Bedeutungsträger vieler Städte, auch wenn deren Ausdehnung um ein Vielfaches der ursprünglichen Größe zuge- nommen hat. Handelten jene Architekten, Stadtplaner und Ingenieure - Bau- meister hießen sie dazumal - verantwortungsbewußter? Ich glaube, es ist müßig, diese Frage beantworten zu wollen. Die Fährte scheint besser gelegt zu sein, wenn der Frage nachgegangen wird, welche Bedingungen gegeben sein sollten, damit im einzelnen verspürte Ver- antwortung - als sittlicher Wert - sich entfalten kann. Ich will die Suche nach möglichen Antworten nicht im luftleeren Raum unternehmen, sondern werde versuchen, an einem konkreten Beispiel - der Gürtelplanung der Stadt Wien - fündig zu werden. Ich werde Sie vielleicht enttäuschen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihnen keine wohlgestalteten städtischen Anlagen als Ergebnis der bisherigen Planung zei- gen kann, nicht einmal Ansätze, die eine weitgehende Verbesserung von Stadtgestalt und Umweltbedingungen zur Folge haben könnten, vielleicht wäre dies am ehesten sichtbarer Beweis für entfaltete Verantwortung tätiger Fach- leute. Ich werde dagegen versuchen, Sie in die "Anfänge" einer schwierigen Planungsaufgabe zu entführen, werde versuchen, Ihnen etwas von der Wirrnis, den Unsicherheiten bei der Lösungssuche, beim "Erfinden" zu vermitteln, aber auch erste Schritte beim Bau einer speziellen Planungsorganisation für das Der Ingenieur, Erjinder bei der Gestallung der Stadt 35 Problem des Gürtels in Wien. Vielleicht lassen sich aus den Beobachtungen einige Erfahrungen gewinnen, welche für die Beantwortung der gestellten Frage von Bedeutung sein könnten. Lassen Sie mich zuvor thesenhaft einige Bedingungen skizzieren, die für die Arbeitsweise des im Bereich der Stadtplanung tätigen Bau-Ingenieurs von Be- deutung und meines Erachtens Voraussetzung für verantwortungsbewußtes Handeln sind. Ich möchte dabei vom Begriff der Planung ausgehen. Konkrete und universale Verantwortung Planen heißt ja, Vorsorge treffen wollen - insofern plant jeder von uns. Wir überlegen uns als bewußt lebende Individuen im vorhinein bestimmte Hand- lungen oder Verhaltensweisen beim Eintreten bestimmter Ereignisse. Geleitet werden wir dabei von Zielen, manchmal vielleicht von Idealen. Wir überneh- men damit Verantwortung für uns selbst (konkrete Verantwortung) und sind im günstigsten Falle bereit, die Folgen dieser Verantwortung zu tragen. Auch im Bereich der Stadtplanung heißt Planen, Vorsorge treffen. Als tätigen Fachleuten liegt uns das Gemeinwohl der Menschen am Herzen, für die wir planen (universale Verantwortung). Dies ist leicht gesagt, aber es tritt eine Reihe von Schwierigkeiten auf. Die Überschaubarkeit im Eintreten bestimm- ter Ereignisse bereitet große Probleme; unser eigenes Handeln ist verwoben mit dem Handeln anderer M Raum tätiger Akteure, und schließlich besteht nicht immer Einigkeit über die zu verfolgenden Ziele; die Konsequenzen von Handlungen einzelner wirken aber nicht nur mehr auf diese, sondern auf alle von der Planung Betroffenen. Die Bereitschaft der einzelnen zur Übernahme von Verantwortung und deren Konsequenzen sinkt - aus Angst vor den mögli- chen Folgen eines sozialen Abstiegs bei negativen Konsequenzen. "Wer han- delt, macht Fehler, Fehler aber werden bestraft." Wir stehen vor einem Dilemma, dem auch universale Verantwortung setzt an- scheinend immer die Bereitschaft voraus, (auch negative) Folgen für die ei- gene Person zu tragen. Wir wissen, daß diese Bereitschaft nicht sonderlich groß ist. Es wird deshalb darauf ankommen, eine Organisationsform der pla- nerischen Arbeit zu finden, in der das Irren und Suchen - und damit das Zu- geben eines Teiles von Unwissenheit - Teil des Arbeitsprozesses wird. Das Verharren auf ScheinSicherheit hat schwererwiegende Folgen. 36 Bemd Scholl Verantwortung und Bedenken der Zeitdimension Stadtplanung ist ein offener und kontinuierlicher Prozeß. Ergebnisse dieses Prozesses in Form von Bauwerken und Infrastruktur sind häufig um ein Jahr- zehnt und länger phasenverschoben zu den eigentlichen Planungsüberlegun- gen. Dies berührt zweierlei: Wollen wir wissen, welche Ereignisse unsere Pla- nungen beeidussen könnten, ist die gedankliche Durchdringung des zukünftig Bedeutsamen eine notwendige Voraussetzung für angemessenes Handeln. Wollen wir aber auch an das Vergangene anknüpfen, so erfordert dies ein Denken in historischen Bezügen. Dabei soll das Vergangene nicht nur noch einmal zum Bilde erweckt werden, sondern als geschichtlich Gewordenes ver- standen werden, als geprägte Form, die sich aus bestimmten Ursprüngen her- aus gebildet hat und sich weiterhin lebendig entwickeln soli. Planung und da- mit auch Gestaltung erfordern den Blick in das Zukünftige und das Vergan- gene, ohne dies ist verantwortungsbewußtes Handeln in der Gegenwart nicht möglich. Verantwortung und Freiheit Dies heißt aber nicht, daß durch Planung die Zukunft des einzelnen vorweg- genommen werden soll - im Gegenteil, hohe Absicht ist es, den zukünftigen Rahmen vieler Menschen so zu gestalten, daß möglichst viel Freiheit in der Benutzung dieses Rahmens für den einzelnen gegeben ist. Gelingt es, den Reichtum möglicher Verhaltensweisen zukünftiger Benutzer in die Planungs- Überlegungen miteinzubeziehen und wegzugehen von dem einfachen "Dimen- sionierungs-Verhalten", wie das beispielsweise im Verkehrswesen üblich ist, dann offenbart sich für den Benutzer die innewohnende Freiheit des Rah- mens, er kann inspirieren, kann von der zunächst bedeutungslosen Form zur bedeutungsvoilen Gestalt werden. Verantwortliches Planen und Gestalten heißt hier - ganz M Gegensatz zur üblichen Auffassung -, sich von den Fesseln gegenwärtiger Datenberge, Soge- nannter Sachzwänge, z. B. in Form von normenhaft angewendeten Richtlinien, für eine Zeit zu befreien und sich auf die Suche nach kiihnen Ideen zu bege- ben, um dann hart zu prüfen und die notwendigen Entscheide daraus abzulei- ten. "Man ist nicht realistisch, wenn man keine Ideen hat", frei nach Max Frisch. Ingenieur heißt übersetzt Erfinder. Erfinden aber schließt das Suchen und (manchmal unbequeme) Fragen nach moglichen Antworten ein. Es ist die Voraussetzung für verantwortliches Tun und der Beginn des unausgespro- chenen Dialoges mit den von der Planung betroffenen Menschen. Der Ingenieur, E@nder bei der Gestaltung der Stadt 37 I Verantwortung und Macht Die Realisierung von Planung und damit der zukünftigen Gestalt der Stadt ist auf Beschlüsse der politischen Mandatare angewiesen. Sie bilden die rechtlich bindende Grundlage fiir die Entfaltung der Planungsideen. Häufig vertreten Ingenieure die Ansicht, daß der politische Entscheid zu bestimmten Lösungen anders ausgefaüen ist, als dies ihre fachliche Vorarbeit erwarten ließ. Fachli- che Meinung und das politisch Durchsetzbare divergieren. Resignation und Zynismus, auch schon bei jüngeren Kollegen, greifen Platz, weil ihrer Meinung nach - wider besseres Wissen - schließlich die Politiker das letzte Wort behai- ten. Monatelange, ja manchmal jahrelange Arbeit waren für den Papierkorb. Verantwortungsbewußtes Handeln wird zur Floskel, weil es offensichtlich keine Garantie für die Qualität der Arbeit ist und von den politischen Ent- scheidungsträgern gar ignoriert wird. Die Politik ist nach Jouvenel "das Gebiet der leidenschaftlichen Uneinigkeit", sie dient auch der Stabilisierung von Macht. Ingenieure sind in der Regel nicht gewohnt, diese Dimension in ihrer ~ Argumentation zu berücksichtigen. Für sie gelten die Fakten der Naturgesetze - auch wenn sie ihre Lösungsvorschläge häufig auf bloß empirisch mtandege- kommenes Datenmaterial aufbauen. Die Verunsicherung der Ingenieure gegenüber den Verhaltensweisen der po- litischen Realität hat häufig zur "Vernebelung" der eigenen Arbeitsergebnisse geführt. Sie glaubten weiterhin an die Macht ihrer Fakten; auftretende Kon- flikte - wegen der einseitigen Betrachtungsweise, die das Quantifinerbare in den Vordergrund stellt - wurden verdrängt. Im Gefolge dieser Entwicklung haben sich manche Fachleute als Anwälte ver- schiedener Gruppen (manchmal gleichzeitig) betätigt. Sie gerieten in Rolien- konflikte, indem sie sich von Verantwort~bewußtsein geleitet dachten. In vielen Fäilen hat es zu großen Enttäuschungen geführt, wenn die meist hoch- gesteckten Ziele nicht in einer überschaubaren Zeit erreicht werden konnten. Bei schwierigen planerischen Aufgaben gibt es in der ersten Phase viele Fra- gen und nur wenig Antworten. Überhastetes Festhalten an ersten Lösungsan- Sätzen - nur um die Gemüter zu beruhigen oder aus Bequemlichkeit - ist ein Gaukelspiel. AU dies führt zur These: Planung und damit auch nikiinftige Gestaltung sind von der politischen Entscheidungshdung nicht zu trennen. Ver- bewuStes Handeln heißt hier f r i i h z e i Offenlegung von Konfiikten und gie- meinsame Suche nach Lösmpegen, die Zug um Zug durch pditische Be- schlüsse getragen werden. Das Re& h t r das "Nein" obliegt dem Souverän. 38 Bemd Scholl Ich möchte diese These nun am Beispiel der Planung "Gürtel Wien" etwas nä- her erläutern. Gürtel Wien Der Gürtel von Wien ist ein 12 km langer Straßenabschnitt, der 16 Wiener Stadtbezirke miteinander verbindet. Die einzelnen Bezirke haben die Größe von Mittelstädten. Aufgnind seiner Lage und den immer noch hohen Einwoh- ner- und Arbeitsplatzdichten ist der Gürtel die wichtigste Verkehrssammel- und Verteilerschiene von Wien. An verschiedenen Stellen des Gürtels treten mittlerweile Belastungen von 90.000 PW/d auf. Dieser Verkehr wird meist von 2 X 4 Richtungsspuren aufgenommen. Die mit diesen Verkehrsbelastungen einhergehenden Immissionen erreichen in Blocktiefe vom Gürtel ca. 40.000 Bewohner, im weiteren Eiußbereich des Gürtels Ca. 600.000 Bewohner, also mehr als ein Drittel der Wiener Bevölkerung. Bild 1: Gürtel Gürtel, ' Wie West- Benigsgebiet nd Südeinfahrt - Abgrenzung des Planungsgebietes / Der Ingenieur, Erjinder bei der Gestaltung der Stadt 39 Historische Entwicklung Die heutige Gürtelstraße verläuft im Zuge des ehemaligen Linienwalles, der ursprünglich als Befestigungslinie die Wiener Vorstädte schützen sollte. Nach Eingemeindung der Vorstädte begrenzte der Linienwall die weitere Ausdeh- nung der Stadt. Innerhalb der Stadt wurden unerwünschte Einrichtungen nach außen gedrängt (Friedhöfe, Arbeitersiedlungen und Industrie); die ersten Ei- senbahnen endeten mit einem Kopfbahnhof (z. B. West- und Südbahnhof) am Linienwall. Die rasante Entwicklung der Vororte brachte schließlich 1890 die Eingemeindung, 1894 wurde der Linienwaii abgebrochen, 1906 wurde der Westgürtel fertiggesteilt. (1910 erreichte Wien seinen höchsten Einwohner- stand mit 5 1 Mio.). Der Südgürtel wurde im Zug kommunaler Wohnbauten nach dem Ersten Weltkrieg realisiert. Bild 2: Blick auf den Gürtelraum 40 Bemd Scholl Die Planung der Gürtelstraße war dabei vom Gedanken geprägt, den mächtig wachsenden Stadtkörper einerseits zu verklammern und andererseits durch Einbringen der notwendigen Verkehrseinrichtungen sein weiteres Wachsen zu ermöglichen. Ein Ergebnis dieses Gedankens ist auch die sogenannte Gürtel- bahn, die in der Giirtelmittelachse verläuft und entsprechend der bewegten Topographie teils in Hoch-, teils in Tieflage geführt ist. Sie verleiht dem Gür- tel durch die berühmten Otto-Wagner-Stationen das Gesicht und gliedert den meist 80 m breiten Stadtraum bis zum heutigen Tag. Der Gürtel selbst ist neben seiner bedeutsamen Funktion für den Wiener Verkehr eines der eindrücklichsten Gliederungselemente Wiens. Dies wegen seiner abwechslungsreichen baulichen Gestaltung und der für alle Benützer einprägsamen differenzierten Topographie, aber auch, weil der Gürtel jene Ringverbindung herstellt, die sich für die Verteilung des Verkehrs M dicht bebauten Gebiet, unter Umgehung der Kernzone, ideal anbietet. Bisherige Planungen und Beschlüsse Der Gürtel war nach 1945 immer wesentlicher Bestandteil aller Straßenver- kehrskonzepte und Gegenstand von Ausbau- und Erweiterungsvorschlägen. Die Straßenverkehrsenqdte 1955 empfahi, "die ganze Gürtelstraße als zweite Ringstraße mit T r e ~ u n g der beiden Fahrtrichtungen für den schienenfreien Verkehr auszubi&nn. Im städtebaulichen Grundkonzept nehmen Ausbauvodäge des Gürtels entlang dieses Straßenzuges breiten Raum ein. Im Verkehrskonzept 1970 wurde ein übergeordnetes Straßennetz für Wien entwickelt, das zum Bundes- straßengesetz 1W1 fiihrte, mit dem der Gürtel in einem Ring-Radialsystem mit der Donauufer-Autobahn zu einem großen Autobahn-Verteilerring zu- sammenschließt. Die Verkehrskonzeption 1980 modifizierte dieses Netz, ohne die funktionelle Bedeutung des Gürtels zu berühren. Kurz- und mittelfristig wurden in diesen Bereichen keine Ausbaumaßnahmen vorgesehen. Zum Westgürtel wurde eine Sonderuntersuchung in Auftrag gegeben, in der drei Gmdalternativen in Form von Kosten-Wirksamkeitsalternativen untersucht wurden. Es waren dies - kleine Maßnahmen - punktuelle Maßnahmen - niveaufreier Ausbau. Der Ingenieur, Eflnder bei der Gestaltung der Stadt 41 Ein niveaufreier Ausbau (= vollständige Untertunnelung) wurde wegen der hohen Investitionskosten (knapp 3,5 Mrd. DM) und den technischen Schwie- rigkeiten einer Gesamtuntertunnelung nicht für realisierbar gehalten. H i e - gen wurden Nutzungsänderungen und Grundrißänderung der gürtelnahen Gebäudeblöcke im Zusammenhang mit Stadterneuerungsmaßnahmen als möglich erachtet. In der Bundesstraßengesetznoveile von 1983 wurde die Gürtelautobahn aus dem Verzeichnis der Bundesautobahen gestrichen und durch eine Gürtel- schnellstraße der Klasse S ersetzt. 1983 kamen neue Vorschläge nir Diskus- sion, die durch ein großziigiges Tunnelsystem die Westeinfahrt mit der Süd- einfahrt und dem Gürtel unter Umfahning des Gaudenzdorfer Knotens und Südgürtels verknüpfen und auch nach Norden eine Tunneiiösung vorsehen. Da auch diese Vorschläge M Widerstreit der Fachmeinungen endeten, gab dies den Anstoß zur Befassung einer internationalen Beratergruppe, die zu Beginn des Jahres 1984 ihre Arbeit aufnahm. I Hauptprobleme Es sind vor allen Dingen vier Problembereiche, die M Gürtelgebiet vorherr- schen: (1) Immissionsbelastung durch Lärm und Abgase (2) fehlende Freifiächen (3) unzureichendes Parkraumangebot für die (immer noch ansteigende) Motorisierung (4) Trennungswirkung des Gürtels. 1 (1) Immissionen Lärm: Entlang des Gürtels und der wichtigsten Radialstraßen treten während des gesamten Tages Lärmbelastungen von mehr als 80 dB (A) auf. An ver- schiedenen Steilen des Gürtels wurden während der Verkehrsspitzen zwischen 82 und 90 db (A) gemessen. Die Langzeitwirkungen solch hoher Dauerschd- pegel sind in der folgenden Tabeiie verdeutlicht. Dauerschallpegel über 70 dB (A) werden in der Schweiz zum Beispiel bereits als "'Aiarmwerte" defiuiert. 42 Bemd Scholl Abgase: Die CO und NOx Belastungen sind in Wien längs der Gürtelachse 2 am höchsten. Bei einem Aufenthalt im Gürtel von mehr als 2 Stunden traten starke Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten auf. Bild 3 (2) Trennwirkung: Die hohe Verkehrsbelastung auf dem meist achtspurigen Gürtel (ca. 80 m breit) Iäßt eine gesicherte Querung nur an verkehrstechnisch gesicherten Stellen zu. Dringlich ist das Problem auch auf den Radialen, die als Zugangs- Straßen nim Gürtel bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit ausgelastet sind. Da viele dieser Straßen für das Geschäftsleben von großer Bedeutung sind, stellen sich hier besondere Probleme. (3) Fehlende Parkraumflächen: Die Motorisierung in Wien hat seit dem zweiten Weltkrieg stark zugenommen und liegt mit Ca. 300 PW/1000 E wegen der Überalterung der Bevölkerung immer noch unter dem österreichischen Durchschnitt. Trotzdem ist bereits die Lage katastrophal. Es wird häufig in der zweiten Reihe auf dem Gehsteig ge- parkt, nicht selten wird das öffentliche Verkehrsmittel behindert. Baulücken Der Ingenieur, Erjinder bei der Gestaltung der Stadt 43 sind z. T. ebenfalls als vermietete Stellflächen genutzt. Es existieren keine ge- ordneten Stellplatzanlagen. Bild 4: Entwicklung des Motorisierungsgrades in Wien 1966-1981 (Personenkraftwagen und Kombinationskraftwagen je 1000 Einwohner) Quelle: Stadtentwicklungsplan, Wien 1480 (4) Fehlende Freiflächen Die Gründeneitbebauung (Blocluandbebauung) mit ihren hohen Wohndich- ten führte ähnlich wie in anderen europäischen Metropolen (Berlin, Budapest) 44 Bemd Scholl m einer massiven Überbauung der vorhandenen Flächen. Für 80 % aller Be- wohner im Gürtel existieren keine individuellen Freiflächen. Bild 5: Blick in die Wiellzeile mit Stadtbahn Resümee Jedes einzelne Problem für sich ist schwerwiegend; gesicherte wissenschaftli- che Ergebnisse für die Überlagerung der verschiedenen Problembereiche exi- stieren nicht. Es kann jedoch angenommen werden, dßa Gesundheitsschädi- gungen und Veränderungen im sozialen Verhalten der zurückbleibenden Be- völkerung die Folge sein werden. Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß starke Bevölkerungsabnahmen mit d e n Folgeproblemen der Zersiedlung anstehen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Einwohnerzahl im Untersuchungsgebiet um 120.000 verringert, gleichzeitig sind 40.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Resultat dieses Einwohner- und Arbeitsplatzschwundes ist eine sich abzeichnende Verslumung, die bei einer stillschweigenden Duldung des Verfalls zur Aufgabe des Giirtelgebietes führen könnte. Die damit verbundenen Folgen für Gesamt-Wien haben es dem amtsführenden Stadtrat für Stadtplanung dringlich erscheinen lassen, eine Ex- Der Ingenieur, Erfinder bei der Gestaltung der Stadt 45 1 pertengruppe unter Vorsitz von Prof. Dr. J. Maurer (ORL-Institut ETHZ) für dieses komplexe gesamt-städtische Problem einzusetzen. Projektorganisation Gürtel Wien Die Beratergruppe leitete eine umfassende Sichtung d e r von der Gürtelpro- blematik tangierten Fragestellungen ein und unterbreitete dem Gemeinderat von Wien im September 1984 einen Orgadsationsvorschlag zur Beschlußfas- sung, der inzwischen genehmigt wurde. - 7 POLITISCHE MANDATE I ( i PROJEKTLEITUNG I 2 g PROJEKTLEITUNG I I PROJEKTGRUPPEN I Bild 6: Projektorganisation Die von der Beratergmppe vorgeschlagene Projektorganisation umfaßt die Projektleitung, das Büro k r Rojektieitung, die sachniständigen Verwaltungs- dienststellen sowie externe Fachleute nach Bedarf. Die Projektorganisation wird für die Dauer von etwa drei Jahren mit der Ausarbeitung von Vorschlä- gen zur Lösung der komplexen Probleme betraut werden. Nach Ablauf dieses Auftrages sollen diese Aufgaben einer Nachfolgeorganisation übertragen wer- den. 46 Bemd Scholl Weiteres Vorgehen Die bisherigen Arbeiten haben gezeigt, daß an verschiedenen Stellen des Gürtelbereiches Bau- und Planungsaktivitäten privater und öffentlicher Orga- nisationen im Gange sind. Die Ergebnisse können mögliche Entwicklungen im Gürtel präjudizieren oder aber angestrebte Maßnahmen blockieren. Beispielhaft sei der Europaplatz angeführt. Die Österreichische Bundesbahn plant Änderungen im Bereich des Westbahnhofes, die U-Bahn-Linien U3/U6 sind in der Projektierungsphase, ein Kreuzungsbahnhof dieser Linie muß im Europaplatz eingebracht werden, Überlegungen der IV-Netzkonzeption gehen dahin, eine Hochleistungsstraße im Bereich des Europaplatzes einzuführen, in der Mariahilferstraße wird die Straßenbahn nach Einrichtung der U3 entfal- len. All diese Maßnahmen müssen im Zusammenhang mit einer möglichen Veränderung in der Höhenlage der Gürtelachse gesehen werden. Aus diesem Grund hat man sich entschieden, parallel Entwicklungsmöglich- keiten auf gesamtstädtischer Ebene auszuleuchten und gleichzeitig an strategi- schen Abschnitten des Gürtels frühzeitig Lösungskonzepte im Bereich der Gürtelachse zu entwickeln. Die gesamtstädtische Sicht soll durch Aufbau eines rechnergestützten Informationssystems gewahrt werden, an ausgewählten Ab- schnitten soil durch wettbewerbsähnliche Verfahren die Vielfalt möglicher Lö- sungsansätze aufgezeigt werden. Gleichzeitig ist man bemüht, Erfahrungen aus internationalen Beispielen zu nutzen und entsprechende Fachleute mit Spezialaufgaben zu betrauen. Gene- relle Absicht ist es, so früh wie möglich durch gelungene Maßnahmen die vor- handene Bevölkerung zum "Bleiben" zu bewegen und im Moment abwan- dernde Bevölkerungschichten zum Zuzug zu animieren. Diese vertrauensbil- denden Maßnahmen sollen schließlich langfristig einen großflächigen Stadter- neuerungsprozeß in Gang setzen. Nach Ca. einjähriger Arbeit ist noch kein Rezept für die Lösung dieser kom- plexen Aufgaben gefunden worden; dies war auch nicht die Absicht. Vordring- lich bestand der erste Arbeitsschritt darin, eine angemessene Organisations- form für die Lösungssuche der schwierigen und vielfach verwobenen Frage- stellungen zu finden. Auch wenn dies zunächst nicht direkt ablesbar ist, sind die eingangs skizzierten thesenhaften Bemerkungen in die Arbeitsweise der Projekt-Organisation eingebunden worden. Ich möchte einige wesentliche Erfahrungen zusammenfassen: Der Ingenieur, Erjinder bei der Gestaltung der Stadt 47 Offenlegung von Konflikten Durch die Reduzierung der normalerweise vorhandenen Hierarchieebenen konnte ein Gesprächsprozeß zwischen den verschiedenen Fachexperten in Gang gebracht werden. Ihre Vorschläge zur Lösung einzelner Fragestellungen werden direkt der Projektleitung in ca. dreimonatigem Rhythmus unterbreitet. Innerhalb der mehrtätigen Sitmgsperiode werden die Vorschläge in Be- schlußvorlagen gegossen und den verantwortlichen politischen Mandataren anschließend unterbreitet. Die Unterlagen zeigen in knappster Form den Hintergrund und Kern des Problems, mögliche alternative Lösungswege und den von der Projekt-Leitung erarbeiteten Vorschlag über die weitere Vorge- hensweise sowie noch offene Fragen. Es konnten im Rahmen des bisherigen Verfahrens im Stadtraum verborgene oder verdrängte Konflikte (z. B. im Be- reich des Europaplatzes) offengelegt und bearbeitet werden. Nach einer Phase der Konfrontation konnte zwischen den verschiedenen planenden Ingenieuren und Architekten eine gemeinsame Strategie zur Lösung des räumlichen Kon- fliktes erarbeitet werden. Diese Suche nach Lösungswegen unter Einbeziehung bis dahin bereits verworfener oder auch neuer Lösungsansätze hat auch der Aufklärung der politischen Mandatare und der interessierten Öffentlichkeit gedient. Freiraum für unkonventionelle Ideen Durch die Ausschreibung einer sogenannten Ideenkonkurrenz für die Gürtel- problematik kann erstmals ein Verfahren erprobt werden, das Freiraum für die Suche nach unkonventionellen, vielleicht auch kühnen Ideen eröffnen soll. Anders als bei üblichen Wettbewerbsverfahren sollen die Teilnehmer - inter- disziplinäre Zusammenarbeit ist erwünscht - die Möglichkeit erhalten, ihre Vorschläge der Projektleitung zu erläutern - der Dialog ist Bestandteil des Bewertungsverfahrens; die Teilnehmer sind in der Wahl des Problembereiches und des Bezugsgebietes zur Verdeutlichung ihrer Ideen frei. Die Offenheit der Fragestellung soll die Teilnehmer ermuntern, sich nicht alhfrüh von Analy- sedaten fesseln zu lassen und schließlich auch noch offene und unbequeme Fragen aufzuwerfen, die irn Laufe des Verfahrens Gegenstand einer weiteren Bearbeitungsstufe sein können. In einer anschließenden Phase sollen die ent- wickelten Ideen prämiierter Gruppen durch direkte Beauftragungen überprüft und konkretisiert werden. Der Ingenieur, E$nder bei der Gestaltung der Stadt 49 Ich halte diese Komponente auch für die Bau-Ingenieur-Ausb'ddug für sehr bedeutsam und würde mich freuen, wenn meine Ausführungen gerade bei den zukunftigen Kollegen ein wenig Hoffnung für das Abenteuer der Stadtplanung geweckt haben sollten. Vielleicht ermöglicht der in Wien eingeschlagene Weg, daß das sicherlich vorhandene Vermtwortungsbewußtsein tätiger Fachleute sich durch die geschaffenen Bedingungen entfaltet und damit verantwortliches Handeln seinen angemessenen gestalterischen Ausdruck finden kann. QUALITÄTSSTANDARDS DES BAUINGENIEURS - - TECHNISCHE IMPERFEKTION ALS PRAKTIZIERTE VERANTWORTUNG Horst ScWer 1. Einleitung Im folgenden sollen einige Probleme verantwortlichen Handelns von Bauinge- nieuren diskutiert werden. Priuzipiell wird sich jeder Bauingenieur um eine technisch und wirtschaftlich weitgehend optimale Lösung einer Bauaufgabe bemühen. Nur a h leicht werden jedoch bei diesem Streben nach der opti- malen Lösung einige Aspekte überbewertet und andere nur ungenügend be- achtet. Das ist Thema der folgenden Ausführungen. Der Hinweis auf die öf- fentliche Diskussion einiger Großprojekte der derjüngsten Zeit mag die Pro- blematik verdeutlichen: - die Naheüberbauung Idar-Oberstein, die zwar den verkehrstechnischen Erfordernissen optimal genügt, jedoch Belange einer urbanen Lebequa- lität weitgehend vernachlässigt und den spezifischen Charakter van Idar- Oberstein zerstört; 52 Horst Schäfer - die Planung der Neubaustrecke der Deutschen Bundesbahn, bei der die verkehrstechnischen Belange über landschaftserhaltende Belange gestellt werden; - Ähnliches gilt für den Main-Donau-Kanal im Altmühltal und für die Dis- kussion um die Autobahn durchs Rothaargebirge; - auch bei der Startbahn I1 (West) des Flughafens Frankfurt oder beim Neu- bau des Flughafens Erdinger Moos bei München wurden den verkehrstech- nischen Belangen vorrangige Prioritäten eingeräumt. Bei der Realisierung all dieser Projekte handelt es sich letztlich um politische Entscheidungen, bei denen aber der Bauingenieur als sachverständiger Bera- ter eine sehr große Verantwortung zu tragen hat. Sein Rat betreffs technischer Realisierbarkeit sowie Auswirkungen auf andere Verkehrseinrichtungen, die Infrastruktur und die Umwelt beeinflussen die letztlich politischen Entschei- dungen in hohem Maße. Hier besteht, wie bei vielen anderen Entscheidungen in der täglichen Arbeit, prinzipiell die Gefahr, daß einzelne Aspekte überbe- wertet oder verabsolutiert, andere dagegen unterbewertet werden. Techniker und Ingenieure neigen naturgemäß dazu, primär die Belange ihrer Fachdisziplin zu vertreten. Sie müssen häufig erst noch lernen, daß nicht M- mer die pariieii perfekte Lösung die beste Lösung einer Bauaufgabe ist. Zur Erörterung der Problematik werden zunächst einige grundlegende Begriffe definiert und Strukturen und Handlungsabläufe der Ingenieurarbeit im Zu- sammenhang mit der Verantwortlichkeit des Bauingenieurs diskutiert. 2. Qualit&tsstandards des Bauingenieurs 2.1 Zum Begriff der Norm In der Philosophie wird der Begriff Norm (Regel leitender Grundsatz, Vor- schrift, Maßstab) sehr weit gefaßt als Empfehlung, Bestimmung oder Anlei- tung zur Ausführung oder Unterlassung menschlichen Handelns. Normen ge- ben Hinweise auf die Wahl einer aus sozialen oder anderen Gründen gewoii- ten Handlung aus einem Tupel mehrerer möglicher Handlungsweisen. Besteht diese Handlungsfreiheit, d. h. die Möglichkeit, aus mehreren Handlungsvari- anten eine auszuwählen, nicht, dann sind auch keine Handlungsempfehlungen erforderlich - sie wären im Gegenteil sogar irreführend, weil sie Wahlmöglich- Qualitätsstandards des Bauingenieurs 53 keiten vortäuschten, die eben gar nicht gegeben sind. Die gesekhafiiichen Normen sind dem Wandel der Zeiten und der geseikhafthchen Ver- unterworfen und nur geschichtlich zu verstehen. Ihrer ethischen Begründung (Letztbegründung) und Begründbarkeit widmeten sich die Philosophen d e r Zeiten. Technisches Handeln wird außer von ungeschriebenen Normen (Regeln, Prin- zipien) in hohem Maße von geschriebenen technischen Normen bestimmt. Letztere können einfach als Ergebnis eines Normierungsverfahrens für ein spezielles Problem - als Konsens oder Mehrheitswillen der an dem Verfahren Beteiligten - verstanden werden, wobei das Normierungsverfahren durch Of- fenlegung der Normblattentwürfe von einer mehr oder minder kritischen "fachlichen Öffentlichkeit" begleitet wird. Man spricht deshalb auch von den "anerkannten Regeln der Baukunst". Die geschriebenen technischen Normen sind daher in hohem Maße vom Kenntnisstand auf einem Wissensgebiet ab- hängig. Im Bauwesen wurden die Normen in der Vergangenheit aiie paar Jahre überarbeitet (je nach Erfordernissen bei neuen Erkenntnissen). Neben den geschriebenen Normen sind es gerade die ungeschriebenen Nor- men, Prinzipien, leitenden Grundsätze, die einen weiten Handlungsspielraum eröffnen und aus diesem Grund dem Ingenieur eine besondere Verantwortung auferlegen. Prinzipien sind es, auf die sich der Bauingenieur zurückbesinnen muß, wenn ihm die geschriebenen Normen keine ausreichende Orientierung bieten. Besonders in diesem Fall wird von ihm Autonomie und Eigenverant- wortlichkeit des Handelns verlangt. Noch schwieriger wird die Problematik der Verantwortung dann, wenn der Bauingenieur eine Spannung zwischen der Norm und seinem Gewissen empfindet. 2 2 Zum Begriff "QuaIitätsstandardsn Unter Standards sollen irn folgenden geschriebene Normen, Richtlinien, R e geh und Empfehlungen, von denen jeder Bauingenieur viele kennt, verstanden werden. Das Tun des Bauingenieurs wird durch derartige Regeln heute schon so sehr bestimmt, daß von vielen Seiten vor einer Ausweitung unserer Regel- werke oder Standards gewarnt wird: - weil sie dem Bauingenieur Entsckidungsfreiheiten nehmen, - weil sie die technische Entwicklung zu sehr einschränken und 54 Horst Schäfer - weil sie bereits bei ihrem heutigen Umfang vom einzelnen Bauingenieur selbst auf seinem Spezialgebiet kaum mehr erkannt, geschweige denn be- herrscht werden können. Die Regelwerke haben sich natürlich nicht grundlos so aufgebläht, denn es gibt gute Gründe für Regelwerke: a) Da ist zunächst einmal der ursprüngliche Gedanke der Normierung im Sinne von Gleichmachen, was den Vorteil hat, daß Dinge, die von ver- schiedenen Seiten entworfen und gefertigt worden sind, an sogenannten "Schnittstellen" zusammenpassen. b) Darüber hinaus tragen Regelwerke auch zur Verständigung untereinander bei. Sie enthalten viele eindeutige Definitionen, die für eine wirkliche Ver- ständigung unentbehrlich sind. C) Ihre eigentliche Rechtfertigung erhalten die Regelwerke jedoch dadurch, daß in ihnen die Erfahrungen der ganzen bisherigen technischen Entwicklung eines Spezialgebietes mammengefaßt sind und der Ingenieur in der Regel nicht ohne Not gegen diese Standards verstoßen sollte (Regelwerke als geron- nene Erfahrung). d) Darüber hinaus haben die Normen im Bauwesen noch eine ganz spezielle Aufgabe. In ihnen werden Mindestanforderungen definiert, die einen Auftrag- geber vor minderwertigen Produkten schützen und dem Wettbewerb der Bau- firmen eine faire Basis schaffen sollen. Nicht zdetzt aus diesem Grunde ist die Bauherrnseite bei der Formulierung der Normen durch kompetente Vertreter sehr aktiv beteiligt. Sie repräsentieren dabei auch die sogenannte Allgemein- heit, die an der Entstehung einer Norm sonst nicht beteiligt wäre. Die Verantwortung des Bauingenieurs erstreckt sich also zunächst auf die Ent- wicklung der Bautechnik, auf die Erforschung der Gesetzmöglichkeiten, die Verbreitung der Erkenntnisse und, wo nötig, auf ihre Festschreibung in Normen und andererseits auf deren sachgemäße Anwendung. Ekardt verweist hier auf die aus der modernen Ethik-Diskussion bekannte zweifache Verant- wortlichkeit: "Verantwortung vor dem Gesetz" und "Verantwortung für das Gesetz". Der Bauingenieur hat es jedoch noch mit einer dritten Art von Verantwortung zu tun, nämlich mit der über das Gesetz hinausreichenden Verantwortung. Es genügt zumindest in Sonderfällen nicht, die Normen einzuhalten, weil diese immer nur für den RegeUd gelten. Es gilt der Rechtsgrundsatz: Die Forde- Qualitätsstandards des Bauingenieurs 55 I rung der Anwendung der Vorschriften, Normen, Empfehlungen und Richtli- nien entbindet niemanden von der Verantwortung für sein eigenes Handeln, weil sie immer nur für den Regelfall gelten, aber nicht für alle möglichen Son- derfälle Regelungen umfassen können und sie nur den Kenntnisstand bei ihrer Entstehung beinhalten. Darüber hinaus wäre streng genommen noch an einen vierten Verantwor- tungsbereich zu erinnern, der alle Handlungen betrifft, die nicht im Zusam- menhang mit geschriebenen Normen stehen: die Verantwortung in außerge- setzlichen Bereichen. Juristen würden hier wahrscheinlich eine "Lücke im Gesetz" vermuten. Aber zum Glück sind noch nicht aile unsere Handlungen gesetzlich geregelt. Auch wenn wir Deutschen etwas dazu neigen, wird es hoffentlich doch nie soweit kommen, daß wir zu "Gesetzeserfüliungsgehilfen degradiert werden. Das liegt aber auch an uns. Mit unserer "Verantwortung f3r das Gesetz" haben wir auch Verantwortung dafür, Gesetze zu verhindern. Wenden wir uns nun dem Begriff Q u a l i t ä t s s U zu Hierunter sollen alle diejenigen Regeln, Normen, Richtlinien und Empfehlungen verstanden wer- den, die der Sicherung der Qualität dessen, was der Bauingenieur schafft, die- nen. Wir werden sehen, daß es nun in zwei Richtungen schwieriger wird. Mei- stens geht es dabei nämlich nicht nur um das Werk, das Bauwerk, das Ge- bäude usw., sondern auch um den Einfluß des Bauwerks auf die gebaute Um- gebung. Der Bauingenieur gestaltet neben dem Architekten aktiv unsere künstliche Welt. Dabei denke ich hier zunächst und primär an die ästhetischen Wirkungen unserer Bauwerke, deren Bedeutung a& die geistige Situation und Verfassung des Menschen nicht zu unterschätzen ist. Ich denke z. B. an die wachsend; Gleichgiiltigkeit und Feindse-it von Jugendlichen gegenüber "mühsam" erschaffenen Werken. Dürfen wir die Jugendlichen, die in einer menschenunwürdigen Umwelt aufwachsen, dafür verantwortlich machen, wenn sie m ihrer Handlungsmaxime erklären: "Macht kaputt, was euch kaputt macht?" Aber es gibt außer den ästhetischen noch andere Wukungen unserer Bau- werke auf unsere Umwelt. Um diesen Pu& nicht zu sehr auszuweiten, möchte ich hier nur stichwortartig erinnern an - Veränderung des Mikto- und Makroldimas; - Veränderungen des Gm-rstdes und damit der gesamten V* tion, der Flora und Fauna in einem Gebiet; 56 Horst Schäfer - Luft- und Grundwasserverunreinigungen durch Abgase, Abwässer; - Sonstige Emissionen (Schall, Radioaktivität U. a. m.). Wir stellen also fest, daß bereits bei der Frage, auf was sich die Qualität eines Bauwerkes beziehen soli, sich unter Umständen sehr komplexe Probleme auftun. Aber auch wenn wir unseren Blick wieder dem eigentlichen Bauwerk zuwen- den, ist Qualität allgemein so umfassend, daß der Begriff eher für Werbetexter als für Bauingenieure geeignet erscheint. Versuchen wir trotzdem unter die- sem Begriff alle jene positiven Eigenschaften eines Bauwerks zu subsumieren, die erwünscht und angestrebt werden sollen, dann ergibt sich eine ganze Liste, die ich hier nach der Frage, ob ein Bauwerk überhaupt notwendig ist, kom- mentarlos anschließen möchte: - optimaler Standort - hohe Standsicherheit (für alle Einwirkungen?) - große Dauerhaftigkeit (für alle Ewigkeit?) - optimale Funktionalität (für aile Funktionen?) - besondere Schönheit (für alle Ansprüche, aile Zeiten und Geschmäcker?) - geringe Erstellungskosten (wirtschaftliche Ausführung) - geringe Wartungs- bzw. Unterhaltungskosten (geringer Verschleiß) - geringe Betriebskosten (geringe Energiekosten). Dieses Tupel von Optimalkriterien für Qualität läßt offensichtlich immer nur ein relatives Optimum zu, weil sich die einzelnen Forderungen zum Teil schlicht widersprechen. Im Entscheidungsprozeß geht es daher zunächst um die Erschaffung von gestalterischen, konstruktiven und funktionellen Varian- ten der gewollten Lösung, die zunächst ja nur vage in den Köpfen der Betei- ligten existiert, und die Festlegung von Bewertungskriterien für eine Auswahl aus den mögüchen oder zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung bekann- ten Varianten. Da6 der eigentliche Bewertungsvorgang dann immer noch ein großes Probiem darstellt, mag durch den Hinweis auf die Fragen, was zeitlos schön, ästhetisch ansprechend oder auch dauerhaft ist, ausreichend belegt sein. 2 3 Mehrdimensionalität der Handlungsräume Wie im vorigen Abschaitt gezeigt wurde, sind die meisten Entscheidungspro- bleme im Bauingenieurwesen mehrdimensionaler Natur. Faßt man verant- wortliches Handeln als ein Entscheidungsproblem im mehrdimensionalen Raum auf und bedenkt dabeii wie unscharf die Zielvorstellungen der meisten Qualitätsstandards des Bauingenieurs 57 am Entscheidungsprozeß Beteiligten ( z B. Bauherrn, Kaufieute, Laien), aber I auch der beteiligten Fachleute (z. B. Architekten, Stadtplaner, Konstrukteure) I zunächst sind, dann wird deutlich, welch große Verantwortung dem einzelnen Bauingenieur oder der Ingenieurgemeinschaft nikommt, wenn sie mögiiche Alternativen aufzeigt und bewertbare Größen ermittelt. Durch die Vorgaben der Experten werden hier häufig Vorentscheidungen getroffen, weil sich die Laien bei ihrer Entscheidung auf die Ergebnisse der Experten weitgehend verlassen müssen. Eine ähnliche Rolle spielt der Fachgutachter im Gerichts- prozeß. Die Mehrdimensionalität erschwert hierbei den Entscheidungsprozeß nicht unerheblich, weil sich nicht aüe Variablen gut operationalisieren, quanti- f ~ e r e n und meßbar machen lassen. Der Ingenieur, der wegen seiner zu ratio- nalem Denken geschulten Einstellung dazu neigt, den quantifizierbaren Vari- ablen größere Beachtung zu schenken als den nichtquantifizierbaren, steht da- her ständig in Gefahr, die nicht so leicht faßbaren Variablen unterzubewerten und Entscheidungen nigunsten der quantifizierbaren Variablen zu präjudizie- ren. In Kapitel 4 wird auf dieses Problem nochmals etwas detaillierter einge- gangen. Zuvor soll untersucht werden, wie die Verantwortlichkeit des Bauin- genieurs in Abhängigkeit von der Arbeitssituation und dem institutionellen Rahmen variiert. 3. Strukturen der Ingenieurarbeit im Bauwesen und Verant- wortlichkeit des Bauingenieurs Bei meinen weiteren Überlegungen möchte ich nach Verantwortlichkeiten und Handlungszusammenhängen unterscheiden, in denen verantwortungsbewußies Handeln von Bauingenieuren relevant wird, wobei sich die Verantwortlich keiten des einzelnen unterschiedlich darstellen. 3.1 Individuelle Entscheid- und Einaelverantwortliehkeit Da gibt es zunächst die individuelle Entscheidung des Bauingenieurs, bei der er seine Handlung zunächst und primh vor sich selbst zu verantworten hat und nur in Konfiiktfälien sein Tun gegenüber Mitarbeitern, Vorgesetzten und Koiiegen oder in prekären Fällen vor dem Richter zu rechtfertigen bat. Bei der tiigbhen Arbeit wird er ständig vor kieinere Entscheidungen gestelit, die er aufgrund der eigenen oder der in den Regehverken geronnenen Erfahrung autonom fääen SOU und meist auch autonom fällt. Erst wenn seine 58 Horst Schäfer Selbstzweifel so stark zunehmen, daß er die Verantwortung nicht mehr deine tragen kann oder will, wird er versuchen, andere in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen und damit die Verantwortung auf mehrere Schultern zu vertei- len. Die individuell zu treffenden Entscheidungen können dabei durchaus von großer Bedeutung fiir eine Bauaufgabe sein und spätere Entscheidungen vor- wegnehmen oder in einer ganz bestimmten Weise beeinflussen. Der Hand- lungsspielraum ist in vielen Fällen auch größer, als zunächst angenommen werden kann, auch wenn er durch Restriktionen in Form der Beschränkung von Kosten, Zeitvorgaben oder Normen stark eingeengt wird. Als Beispiel möchte ich hier ein ganz kleines, zunächst unbedeutend erschei- nendes Entscheidungsproblem aus der täglichen Praxis eines konstruktiven In- genieurs erwähnen: Die Wahl der Betondeckung der Bewehrung von Stahl- betonbauteilen. Zwar gibt uns die Norm DIN 1045 hierfür Mindestwerte in Abhängigkeit von einer vom Bewehrungsstabdurchmesser abhängigen Spalt- rißgefahr und von Umweltbedingungen an, und in einem neuen Merkblatt des Deutschen Betonvereins sind Empfehlungen niedergelegt, wie diese Mindest- werte zu ermitteln sind, aber in der Praxis ist eine zu geringe Betondeckung eine häufige Ursache für Mängel. Der Ingenieur, der die Betondeckung fest- zulegen hat, muß andererseits eine zu große Betondeckung vermeiden, wenn er wirtschaftlich und damit konkurrenzfähig konstruieren will, da der Stahlver- brauch mit der Betondeckung wächst. Bei vielen anderen Entscheidungen verhält es sich ähnlich. Der Ingenieur wandert fast ständig auf einem Grat: Auf der einen Seite führt eine Entschei- dung - vereinfacht ausgedrückt - zu unsicheren, auf der anderen Seite zu un- wirtschaftlichen Losungen. Nun könnte dieses Bild zu der Vermutung Anlaß geben, er habe überhaupt keinen Handlungsspielraum - er müsse halt wie ein Seiltänzer nur sehen, daß er nicht vom Seil falle. Aber dieses Bild von der Gratwanderung täuscht doch. Um wieder zu dem Beispiel zurückzukommen, er kann, ja er muß sogar eine größere Betondeckung der Bewehrung wählen, wenn ihm dies aus bestimmten Gründen erforderlich oder angebracht er- scheint, und er hat dann häufig noch die Möglichkeit, diese Maßnahme zu be- gründen und die Mehrkosten geltend zu machen. Bei Entscheidungen für bestimmte Konstruktionen oder bei der Planung gan- zer Bauwerke sind die Verhältnisse naturgemäß viel komplexer und die Frei- räume entsprechend größer. AUerdings sind dann in der Regel auch viele Per- Qualitätsstandards des Bauingenieurs 59 sonen beteiligt, und das Problem der Verantwortlichkeit stellt sich in einer an- deren Dimension. 33 Verantwortliches Handeln in der Gruppe - Gmppenverantwortlichkeit Die Entscheidungsprozesse in einer Gruppe stellen sich anders dar als für den einzelnen, selbst wenn es sich um nur eine Gruppe mit hierarchischer Struktur handelt. Beim Bauen geht es jedoch in der Regel um das Zusammenwirken vieler einzelner oder Gruppen mit sehr unterschiedlichen Aufgaben und Inter- essen, die das übergeordnete Gesamtziel, z. B. Planung oder Erstellung eines Bauwerkes, verfolgen. Die Zusammenarbeit einer solchen Gruppe muß zum Mißerfolg führen, wenn sich jeder nur für seinen begrenzten Bereich verant- wortlich fühlt und entsprechend handelt. Selbst die Einführung eines Koordi- nators (ZTVK 80) oder Projektsteuerers (Projekt-Managers) wird in der Re- gel nur zur Verhinderung der gröbsten Mängel, aber nicht zur optimalen Lö- sung führen, wenn nicht eine "fachbereichsübergreifende" Zusammenarbeit und ein entsprechendes Verantwortungsbewußtsein erreicht werden. Die Schwachpunkte bei einer mangelnden Zusammenarbeit sind erfahrungsgemäß die Berührungspunkte bzw. bei Arbeitsteilung die Schnittstellen. Das Modell einer übergreifenden oder überlappenden Zusammenarbeit führt zu viel bes- seren Ergebnissen, auch wenn bei Mängeln der einzelne dann nicht mehr ohne weiteres für einen Fehler verantwortlich gemacht werden kann. Das primäre Ziel muß jedoch sein, Fehlentscheidungen möglichst zu vermeiden und nicht, im Fall von auftretenden Fehlern, leicht "Schuldige" zu finden. Die kooperative Zusammenarbeit führt zu einer gegenseitigen Beeinflussung und Kontrolle und hat den großen Vorteil, daß durch mehr oder weniger Fachfremde neue Aspekte in einen Entscheidungsprozeß eingebracht werden, der diesen mo@- cherweise verzögert und schwieriger macht, prinzipiell aber zu besseren Lö- sungen führen kann. Grundsätzlich sollte nicht der reibungsloseste Entschei- dungsprozeß angestrebt werden, sondern der, der im Endeffekt zum besten Ergebnis führt. Wie schwer sich diese Einsicht durchsetzen wird, mag die Überlegung ver- deutlichen, daß jede Reibung bekanntlich zu Energieverlusten führt, d. h. im übertragenen Sinne, zunächst zu Einkommensverlusten der Beteiligten, deren Interessen damit unmittelbar berührt werden. Diese Einkommensverluste lieBen sich allerdings dann vermeiden, wenn das bessere Gesamtergebnis auch höher honoriert würde, was z. Zt. in der Regel jedoch nicht der Fall ist. 60 Horst Schäfer Bei einer Gruppe, die in idealer Weise zusammenarbeitet, ist die Verantwort- lichkeit zunächst unteilbar den Gruppenmitgliedern als Kollektiv zuzuordnen (Gruppenverantwortlichkeit), auch wenn letztlich nur den Individuen Verant- wortlichkeiten zugeschrieben werden können. Dieser scheinbare Widerspruch läßt sich nur verstehen, wenn man den bekannten Satz: "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" auf Entscheidungsprozesse überträgt. Das Ge- samtergebnis eines Entscheidungsprozesses setzt sich zwar häufig aus vielen Einzelenbcheidungen zusammen, kann aber andererseits nicht restlos auf eine Summation von Einzelentscheidungen zurückgeführt werden. Die Gruppe be- sitzt auch den Vorteil, schlechte oder faische Einzelentscheidungen in Frage zu stellen oder zu revidieren und damit zu besseren Ergebnissen zu gelangen als der autonome einzelne. Für den einzelnen stellt sich das Problem des verantwortlichen Handelns in einer Gruppe anders, als wenn er für sich dein entscheidet. Er leistet eigene Beiträge zum Entscheidungsprozeß und beteiligt sich aktiv an ihm; er erläutert im Idealfaii die Voraussetzungen und Ergebnisse seiner eigenen Arbeit und sollte grundsätzlich bereit sein, diese zur Diskussion und damit in Frage zu stellen. Natürlich wird er versuchen, sein Tun und die von ihm getroffenen Vorentscheidungen zu rechtfertigen, um "Leerlauf' und "unnütze Arbeit" zu vermeiden. Aber er sollte bereit sein, die Argumente anderer zugunsten einer optimalen Gesamtlösung in seine Entscheidung einzubeziehen und diese er- forderlichenfalls zu revidieren. Für das Gesamtergebnis besitzt er daher nur eine eingeschränkte Verantwortlichkeit. In der rauhen Wirklichkeit des Ali- tagsgeschäfts werden sich keine idealen Entscheidungsvoraussetmngen von selbst einstellen; man kann und sollte jedoch versuchen, Strukhuen und insti- tutionelle Rahrnenbedingungen zu schaffen, die dem Ideal nahekommen und einen Entscheiduagsprozeß ermöglichen, der im Endeffekt zu guten oder zu- mindest zu vertretbaren Ergebnissen führt. Dies setzt zunächst voraus, daß der Entscheidungsprozeß für d e Beteiligten "durchsichtig" gemacht wird, daß d e an einer Entscheidung potentiell Interes- sierten ausreichend informiert und gehört werden, daß Entscheidungen nicht durch Vorentscheidungen einseitig präjudiziert oder durch Machtpositionen beeinflußt werden und daß kein unnötiger Entscheidungsdruck (Zeitdruck) erzeugt wird. Natürlich lassen sich die Interessen der Beteiligten nicht elimi- nieren, aber verantwortliches Handeln setzt voraus, daß die Beteiligten ihre Interessen relativieren und nur in angemessenem Umfang vertreten und durchzusetzen versuchen. Als Regulativ wirken in einem gut funktionierenden Qualitätsstandards des Bauingenieurs 61 Entscheidungsprozeß die Gegeninteressen. Trotzdem ist der Interessenaus- gleich in der Praxis oft schwer zu finden, vor allem dann, wenn es sich um un- gleichgewichtige Partner handelt. 4. Der Entscheidungsprozeß als Optimierungsproblem und die angemessene Berücksichtigung nicht quantifuierbarer Ziele Die unterschiedlichen Anforderungen an ein Bauwerk lassen sich bei der Fas- sung eines Entscheidungsprozesses als Optimierungsproblem als unterschied- liche Ziele interpretieren, die bei einem Optimierungsvorgang bewertet wer- den müssen. Dabei stellt sich als besondere Schwierigkeit heraus, daß es für die verschiedenen Ziele keinen gemeinsamen Maßstab gibt, der eine verglei- chende Bewertung erlauben würde. Ästhetische Qualitäten lassen sich nun mal leider - oder Gott sei Dank - nicht in Geld oder menschliche Arbeit umrech- nen. Was letztlich als Maßstab bleibt, ist der Mensch als solcher, so unhand- lich dieser Maßstab auch ist. Grundsätzlich lassen sich quantifüierbare und nicht quantifizierbare Ziele unterscheiden. Zwar gibt es auch für den Bauingenieur viele Entscheidungs- probleme, bei denen die nicht quantifierbaren Ziele eine untergeordnete Rolie spielen und in erster Näherung vernachlässigt werden können, aber auch dann bleibt noch die Schwierigkeit, daß die Bewertung im Entscheidungspro- zeß von sehr unterschiedlichen Personen und Parteien mit sehr widersprüchli- chen Zielvorstellungen und Interessen vorgenommen werden muß, begleitet von einer zunehmend kritischer werdenden Öffentlichkeit. Häufig hat zwar der Bauherr das letzte Wori, aber auch seine Entscheidungen werden in hohem Maße von den Vorgaben, L6sungsvorschlägen, Varianten und Argumenten der Beteiligten beeinfiußt. Um Entscheidungen zu objektivieren, gibt es Verfahren, die die einzelnen Entscheidungsschritte trennen und die Einbeziehung subjektiver Bewertungen von Teilzielen erlauben. Wem beispielsweise zunächst prinzipiell festgelegt wurde, daß ästhetische Gesichtspunkte einer Lösung mit 30 % in die Gesamt- entscheidung eingehen sollen und anschließend in einem zweiten W t t die einzeinen Varianten oder Lös- von vielen Individuen asthe&ch bewertet werden und daraus ein Mitteiwert gebildet wird, dann stellt dies zu- mindest formal eine Möglichkeit zur -erung von Entscheidungen dar. I 62 Horst Schäfer Für den einzelnen bleibt jedoch dann immer noch die Schwierigkeit, daß er bei der ästhetischen Bewertung diese vorgegebenen 30 % und auch seine eigenen Interessen in dieser Sache "mitdenkt" und damit zu objektiv falschen Beurteilungen kommt. Seine Verantwortung beschränkt sich in diesem Fall darauf, möglichst vollständig von diesen Vorgängen zu abstrahieren und seine Eigeninteressen zu relativieren. Im Grunde steckt er aber in einem ähnlichen Dilemma wie der Architekt oder der Beratende Ingenieur, dessen Honorar sich nach der Höhe der Bausumme richtet, von dem jedoch der Bauherr er- wartet, daß er besonders wirtschaftlich baut und die Interessen des Bauherrn uneingeschränkt vertritt. Das Problem soll umfassend als These in Anlehnung an eine von Ekardt vor- geschlagene Fassung formuliert werden: Im Gefolge von Arbeitsteilung, Tech- nisierung und Verrechtlichung des Bauens wird es immer schwieriger, ein Ge- samtoptimum von Bauwerken/baulichen Anlagen zu verwirklichen, in das auch "weiche", nicht leicht objektivierbare Ziele im erforderlichen Umfang eingehen. Die herrschenden ökonomischen Zwänge und Rechtsvorschriften fördern wegen der stets notwendigen Rechtfertigung und Kontrolle aller Ent- scheidungen eine "Flucht in eine Teiloptimierung" unter Berücksichtigung "harter", meßbarer Parameter. Das Gesamtoptimum ist oft nur gegen erhebli- che Widerstände durchsetzbar und verlangt von den Beteiligten manchmal ein I hohes Verantwortungsbewßtsein und Durchsetmngsvermögen. 5. Widerstände bei der Durchsetzung rationaler Entschei- dungen Im Entscheidungsprozeß ergibt sich in der Praxis jedoch nicht nur das Pro- blem, daß viele Entscheidungen nur bedingt objektivierbar sind und individu- elle Interessen die Bewertungskriterien beeinflussen, sondern es gibt auch an- dere, auf den ersten Blick irrationale Momente im Entscheidungsprozeß und bei der Bewertung der Ziele, die im folgenden näher beleuchtet werden sollen. 5.1 Perfektionismus, ein verabsolutiertes Perfektionsstreben Da ist ein zunächst schwer erklärbares Streben nach Perfektion, nach perfek- ten Lösungen bei den Technikern und Ingenieuren weit verbreitet, das häufig dazu führt, daß Entscheidungen einseitig nach rein technischen Kriterien ge- Qualitätsstandards des Bauingenieurs 63 fällt werden, wobei andere Gesichtspunkte strmch vernachlässigt werden. Be- vor ich auf die Folgen derartigen Handelns eingehe, möchte ich mit ein paar Sätzen versuchen, dieses perfektionistische Streben der Ingenieure und Tech- niker zu erklären. Zunächst scheint es menschlich sehr verständlich und ein moralisch besonders honoriges Verhalten, wenn Techniker nach perfekten technischen Lösungen streben, und ganz gewiß ist schludriges Arbeiten eines Ingenieurs das Letzte, das ich propagieren möchte. Aber wie bei d e n an sich guten Prinzipien ist es I auch hier: Wenn ein an sich gutes Streben verabsolutiert und zum alleinigen oder beherrschenden Prinzip erhoben wird, verkehrt es sich leicht in sein Ge- genteil. Daß eine ordentliche Arbeit bei Ingenieuren unbedingt erforderlich ist, soll ein Beispiel aus einem Brief eines Freundes, der z. Zt. an einer afrikanischen Universität lehrt, belegen. Er schrieb mir vor kurzem sinngemäß: "An der Hochschule funktioniert kein WC. Das sind unvorstellbare Verhältnisse. Überall Schmutz und Kot und ein schrecldicher Gestank. Ich bin nur in der Hochschule, wenn es unbedingt sein muß. Man hat die Kanalleitungen nicht im richtigen Gefälle verlegt, und die Leitungen sind ständig verstopft. Hier könnten die deutschen Studenten lernen, was verantwortliches Handeln eines Tiefbauingenieurs ist - zunächst und vor dem, daß eine Kanalisation funktio- niert." Das Beispiel zeigt eindringlich, daß bei allem Lamentieren über die negativen Folgen der Technik die Errungenschaften nicht vergessen werden dürfen und I eine ordentliche Arbeit eine Minimaiforderung für ein gutes Funktionieren ei- nes technischen Werkes ist. Aber dieses Beispiel soll uns andererseits auch nicht davon abhalten, das Per- fektionsstreben der Techniker etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Zunächst liegt dem eine einfache Erfahrung zugrunde: Je perfekter etwas 1 durchdacht ist, desto besser funktioniert es und erfüllt die Aufgaben, für die es gemacht wurde. Diese Erfahrung führt zu dem an sich erwünschten Perfekti- onsstreben. Unsere Erfahrung zeigt uns aber auch, daß es kaum eine Lösung eines technischen Problems gibt, die sich nicht noch verbessern ließe. Diese Erfahrung drückt sich in dem bekannten Satz aus: "Das Gute ist der Feind des Besseren". Der Techniker wird daher in der Regel weiter variieren, probieren, experimentieren - mit anderen Worten, spielen - bis er wieder etwas Neues und manchmal auch etwas Besseres gefumkn (erfunden) hat. Diese Experi- mentier- oder Spielneigung des Menschen, unter dem Begriff "homo ludens" - 64 Horst Schäfer der Mensch als Spieler - bekannt, führt nun beim Menschen zu neuen, selbst- wertsteigernden Schöpfergefühlen. Der Techniker will die perfekte Lösung also nicht nur, weil sie ihm und seinesgleichen Erleichterung im Leben, mate- rielle Sicherheit oder schöne Erlebnisse verspricht, sondern auch, weil von dem gelungenen Werk ein selbstwertsteigerndes Gfühl auf seinen Schöpfer zu- rückfällt. Dieses drückt sich zunächst in materieller und immaterieller Aner- kennung durch seine Mitmenschen aus, aber darüber hinaus gibt es auch selbstwertsteigernde Gfühle, die unabhängig davon im Menschen - zumindest im abendländisch erzogenen Menschen - aufkommen. Der Wert eines Men- schen drückt sich in Umkehrung der wahren Werte, im Wert seines "Ge- schöpfes" - des geschaffenen Werkes - aus. Kein Wunder also, wenn der "Schöpfermensch nach absoluter Vollkommen- heit für sein "Geschöpf" strebt - er will sich damit also letztlich selbst vervoll- kommnen und erhöhen. Das Gefühl, Schöpferkräfte ausüben zu können, "be- rauscht" die Menschen. SchiUer drückt das in der "Glocke" so aus: "Das ist's ja, was den Menschen zieret, und dazu ward ihm der Verstand, daß er im innren Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand." Dieses verständliche Hochgefühl - vom passiven Objekt höherer Mächte zum aktiven Subjekt mit eigenem W i e n und Wollen gewachsen zu sein - ist zur Gefahrenquelle fiir den Menschen als Gattung - für die Menschheit - gewor- den, wenn man seine heutigen und erst recht seine zukünftig "machbaren"' Möglichkeiten bedenkt. ~onas' weist in diesem Zusammenhang auf die Verführbarkeit des Menschen durch sein eigenes Können hin, und h d e r s 2 spricht von der "'Antiquiertheit des Menschenn. Die ausgesprochenen ideellen Gründe für ein Streben nach Perfektion werden häufig durch sehr materielle gestützt oder umgekehrt. Jonas, H.: Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt a. M. 1979. Anders, G.: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 11. München 1980. Qualitätsstandards des Bauingenieurs 65 I 54 Festhalten an überholten Überzeugungen Es gibt noch ein anderes mehr oder weniger irrationales Moment im Ent- scheidungsprozeß, welches Entscheidungen häutig negativ beeinfiußt und auf das noch kurz eingegangen werden soll. Das ist eine gewisse Trägheit oder ein Beharrungivermögen, eine einmal gebildete Meinung oder eine einmal ge- fällte Entscheidung nicht zu revidieren. Auch dieses Verhalten des Menschen ist sehr verständlich, weil natürlich zunächst jeder seine eigenen Überzeugun- gen, Meinungen, Entscheidungen und Handlungen für richtig hält - ja halten muß -, wenn er nicht als schizophren gelten will. Andererseits würde ich ge- rade die Bereitschaft, seine Meinung bei neuen Einsichten, Erkenntnissen, Informationen usw. zu ändern, als flexibles, intelligentes Verhalten definieren wollen und das Festhalten an alten Überzeugungen entgegen besserer Ein- sichten als das Gegenteil hiervon. Viele Entscheidungen werden durch ein solch udexibles, uneinsichtiges Verhalten sehr negativ beeidußt. Manchmal benötigen neue Erkenntnisse einfach auch eine gewisse Zeit, bis sie von der Mehrheit anerkannt werden können. Das Beharrungsvermögen, an vorgefaßten Überzeugungen festzuhalten, kann darauf zurückgeführt werden, daß jede Meinungsänderung sozusagen das ei- gene Eingeständnis impliziert, daß die vorherige Meinung falsch war, daß man sich geirrt hat oder mit einem Irrtum lebte - und wer kann sich und anderen gegenüber dies schon zugestehen? Vermutlich nur eine psychisch starke Per- sönlichkeit. Natürlich gibt es noch viele andere irrationale Momente, die Entscheidungen negativ beeidussen, wie z. B. Streben nach Macht, Anerkennung, Gewinn, Ruhm und Ehre und vielem anderen mehr. Durch derartige irrationale oder egoistische Momente beeinfiußte Fehlentscheidungen sollten jedoch nicht zu dem Schiuß führen, Modelie rationaler Entscheidungsfindung deshalb als un- geeignet abzulehnen, sondern dazu, diese irrationalen Momente aufzudecken, zu benennen und bewußtzumachen und gerade dadurch sie in ihrer Wirksam- keit einzudämmen. Verantwortliches Handeln/richtiges, optimales Ehtscheiden als Möglichkeit kann verwirklicht werden, wenn im Entscheidungsprozeß irrationale Momente zurückgedrängt werden. 66 Horst Schäfer 6. Zusammenfassung Es wurde versucht, verantwortliches Handeln von Bauingenieuren im Rahmen der gegebenen Handlungsräume zu beschreiben. Handeln bedeutet in diesem Zusammenhang: Ziele definieren, Lösungsalternativen aufzeigen und anhand von Bewertungen der Alternativen Entscheidungen fällen. Dieser Vorgang wird als Entscheidungsprozeß bezeichnet. Bei vielen Bauaufgaben können die meisten Ziele mit Hilfe von Qualitätsstan- dards des Bauingenieurs beschrieben werden. Die Verantwortlichkeiten stel- len sich in Abhängigkeit von der Aufgabe und Struktur des Tätigkeitsfeldes sehr unterschiedlich dar. Faßt man den Entscheidungsprozeß als Optimie- rungsproblem auf, ergeben sich Möglichkeiten einer weitgehend rationalen Entscheidungsfindung. Dem stehen aber einige Schwierigkeiten sowie irratio- nale Momente entgegen, die die gegebenen Möglichkeiten wieder einschrän- ken. Die aufgezeigten Probleme sollen zum Schluß nochmal thesenartig zusam- mengefaßt werden: - Verantwortliches Handeln setzt Handlungsalternativen voraus; - Handlungsaiternativen müssen häufig erst gesucht werden; - die beste Lösung kann nur aus den zum Zeitpunkt der Entscheidung über- haupt erkannten Losungen einer Bauaufgabe ausgewählt werden; - deshalb muß es ein vordringliches Ziel sein, zunächst möglichst viele Vari- anten einer Lösung zu finden, aufzuzeigen, zu diskutieren; - die Bereitschaft zur Diskussion von Lösungsvarianten sollte gefördert und honoriert werden; - Entscheidungen unter Zeitdruck, vorzeitige Festlegungen und einseitige Vorentscheidungen sind negative und häufig vermeidbare Momente im Entscheidungsprozeß; - auch die nur schwer oder nicht quantifilaerbaren Ziele sollten eine ange- messene Berücksichtigung finden; - das Perfektionsstreben von Bauingenieuren verstellt manchmal den Blick für andere, wichtige Belange. Der Mut zur technisch imperfekten Lösung kommt häufig der Aufgabenstellung mehr entgegen; - die Bereitschaft, eigene Überzeugungen und Lösungsvorschläge in Frage zu stellen und sie preiszugeben, wenn objektiv bessere Lösungen vorliegen oder wichtige Argumente gegen die eigenen Lösungen sprechen, sollte ge- fördert werden; - einem angemessenen Interessenausgleich zwischen den an einer Entschei- dung beteiligten Personen oder Gruppen solite Sorge getragen werden. ÜBERBRÜCKUNG DES WERRATALS DURCH DIE NEUBAUSTRECKE DER DEUTSCHEN BUNDESBAHN UND DIE BUNDESAUTOBAHN Gerhard Jahns und Ulrich Bertelmann Herr Jahns, der bei unserem Kolloquium über die Wenabrücke referierte, war seit Dezember 1975 Dezernent für den konstruktiven Ingenieurbau bei der Projektgruppe HannoverjWürzburg Nord der Bundesbahndirektion Hannover. Seit Frühjahr 1985 ist er Leiter des Kreisbauamtes im Landkreis Northeim. A u f p n d der mit diesem Arbeitsplatzwechsel einhergehenden vielfältigen Belastungen war es ihm leider nicht möglich, seinen Beitrag zum Coiioquium auch in sc- cher Fonn zu präsentieren. Wir hiitten es aber andererseits sehr bedauerlich geninden, wenn die von ihm erläuterten Arbeitsprobleme des Konstruktiven Ingenieurs in Diensten des Bauherm damit entfallen wären. Angesichts dieser mißlichen Lage haben wir uns dafür entschieden, aa dieser Stelle mit freundlicher Geiaehmigring der ~eutschen Bundesbahn einen Aufsatz wiedpmb- zudrucken, den der Referent gemeinsam mit Dip1.-Ing. U. Bertelmann bereits publiziert hat. Der hier abgeäruckte Aufsatz rückt, wie auch der Beitrag zum Kolioquium am Wispiel der Wer- rabrücke im Zuge der Neubaustrecke Hannover - Wünburg, die Probleme und Prozeduren der Varianteneneugung, -beurteilung und -selektion in den Mittelpunkt des Verantwortungsbe reichs. Er erläutert das komplexe Zusammenspiel von aus den Nukungsinteressen des Bauherrn JAHNS, Gerhard und BERTELMWN, Ud& Ubich:ngsmöglichkeiten zur wrückung des Werratals durch dic Neubaushecke d u Deutschen Bundesbahn und die ihöemuto- bahn. In: DB-Bahnbauzentrak Fm&ht/M. (Hg.): Eisenbahnbau für das 21. Jahrhundert. Streckenausbau bei der Deutschen Bundesbahn. Vaduz, o. J., S. 106-118. 68 Gerhard Jahns und Ulrich Bertelmann und seiner Kunden resultierenden "harten" Entwurfsparametem, dem sicherheitstechnischen Problem der Verkopplung zweier Verkehrsträger und bkonomischen Erwägungen hinsichtlich Bau- und Unterhaltunpkosten unter der zusätzlichen Bedingung der gesteigerten Anteilnahme einer wachgerüttelten Offentlichkeit. 1. Neubaustrecken- und Autobahnplanung Die Neubaustrecke (NBS) Hannover-Würzburg der Deutschen Bundesbahn soll bis 1991 auf der gesamten Länge den Betrieb aufnehmen. Grundlage dafür ist eine mit den Beteiligten abgestimmte, zügige Planung, mit der frühzeitig die rechtlichen Voraussetzungen für den Bau der Maßnahme geschaffen wer- den. Zwischen Gottingen und Kassel kreuzt die NBS die Werra bei Hedemünden in unmittelbarer Nähe der bestehenden Autobahnbrücke. Der Kreuzungsbe- reich befindet sich heute im Naturpark Münden. Bereits beim Bau der ersten Autobahnbrücke in den Jahren 193511937 wurde ein besonderes Augenmerk auf eine einfühlsame Gestaltung und Einpassung des Brückenbauwerkes in die Landschaft gelegt (Bild 1). Bild 1: Autobahnbrücke bei Hedemünden 1937 Überbrückung des Werratals 69 In den letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges wurde dieses Bauwerk zerstört. Die Stahlüberbauten waren abgestürzt und unbrauchbar geworden. Von den vier Pfeilern war nur einer ohne wesentliche Schäden erhalten geblieben, der Pfeiler in der Talrnitte war vollständig bis zur Oberkante des Fundaments zerstört, und von dem dritten und vierten Pfeiler fehlten die obe- ren Drittel. Der Wiederaufbau der Autobahnbrücke konnte 1952 abgeschlos- sen werden. Dabei wurden die zerstörten Pfeiler in der alten Form als Stampfbetonpfeiler mit Sandsteinverblendung, die Überbauten in einer voll- wandigen Stahlträgerkonstruktion wieder erstellt, wobei ein Überbau mit einer Stahlbetonfahrbahnplatte in Verbundbauweise und der andere mit einer or- thotropen Platte versehen wurde (Bild 2). Im Raumordnungsverfahren für die NBS wurde die Kreuzung nach dem Grundsatz "Minimierung der Umweltbelashing durch Bündelung der Ver- kehrswege" so nahe wie möglich an die vorhandene Bundesautobahn (A 7) herangeschoben. Die Entwicklung im Straßenverkehr zwingt die Straßenbau- verwaltung zu einem weiteren Ausbau der Autobahn. Die A 7 muß zeitnah auf sechs Fahrstreifen und zwei Standstreifen erweitert werden. Die vorhandene BAB-Brücke hat nur vier Fahrstreifen ohne Standstreifen und ist damit ohne Veränderung nicht in der Lage, die Ausweitung der A 7 aufzunehmen. Diese Ausgangssituation zwang die Bundesbahn und die Straßenbauverwal- tung, gemeinsam einen Lösungsvorschlag für die Werrakreuzung zu ent- wickeln. Dabei sind die rechtlichen Voraussetzungen für den Bau der Brücken nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz in einem gemeinsamen Planfeststel- lungsverfahren zu schaffen. Die Straßenbauverwaltung mußte zunächst überprüfen, ob die vorhandene BAB-Brücke in welcher Form auch immer in ein gemeinsames Brückenkon- zept der beiden Verkehrswege mit einbezogen werden konnte. Über die Pfei- ler wurde von Prof. Kordina, TU Braunschweig, ein besonderes Gutachten er- steilt. Das Ergebnis dieses Gutachtens und der gute Zustand der vorhandenen Überbauten führten zu der Feststellung, daß dieses Bauwerk von der Tragfa- higkeit und vom Unterhal-d her noch einige Jahrzehnte den Anfor- derungen genügen würde. Es wurde daher entschieden, das vorhandene Bau- werk m belassen und für die Süd-Nord-Fahrtrichtung in den alten Abmessun- gen zu nutzen. Erst nach einem notwendig werdenden Ersatz der vorhandenen Überbauten in zwanzig oder dreiß'i Jahren sollte unter B e i b e m der alten Pfeiler ein neuer vierstreifiger Überbau erstelii werden. Um das Tragverhalten der Pfeiler nicht ungiinstig zu verhdem, schied eine Verbteiteroq der Pfeiler 70 Gerhard Jahns und Urich Berfelmann in Querrichtung für die Aufnahme des neuen Überbaus für die Nord-Süd- Fahrtrichtung der BAB aus. Für die Fahrtrichtung wurde daher von der Straßenbauverwaitung ein neues Brückenbauwerk geplant, so daß für die er- weiterte E 7 zwei getrennte Brückenbauwerke zur Verfügung stehen sollten. Bei diesem Konzept plante die Bundesbahn nach Abwägung aller denkbaren Brückensysteme in einem Abstand von 58 m zur vorhandenen BAB-Brücke eine selbständige Eisenbahnbrücke mit Spannbetonüberbauten und gleichen Pfeilerabständen wie bei der vorhandenen BAB-Brücke. Diese sogenannte 3-Brücken-Lösung (Bild 3) hatte den großen Vorteil einer gestreckten Finanzierung, so daß ihr von den beiden beteiligten Verwaltungen im Vergleich zu anderen denkbaren Brückenlösungen (zum Beispiel 1- oder 2- Brücken-Lösungen) der Vorzug gegeben wurde. Für den Bau und die Finan- zierung der Brücken war folgender Ablauf vorgesehen: 1. Bau der Eisenbahnbrücke in den Jahren 1985/1986. 2. Bau der neuen BAB-Brücke in den Jahren 1991/1992. 3. Umbau der alten BAB-Brücke in den Jahren 2020/2021. Für die Einbidung dieses Brückenkonzeptes in die Landschaft wurde ein "Landschaftspflegerischer Begleitplan" erarbeitet, der Ersatz und Ausgleichs- maßnahmen für den zugegebenen schweren Eingriff in die Landschaft vorsah. Um die Gestaltungsprobleme optisch besser verdeutlichen zu können, wurde ein Modell gebaut, das Aufschluß über die Pfeile~erkleidung mit Sandsteinen, die umstrittene Vielzahl der Pfeiler und einen Überblick über den Gesamtein- griff in die Landschaft geben sollte. 2. Probleme vor Ort Im Rahmen der gesamtplanerischen ~ e ~ u t a c h t u n 2 der vorgelegten Soge- nannten 3-Brücken-Lösung entstand eine heftige, öffentlich geführte Diskus- sion über zweckmäßige Lösungen. Gegen die von den Verwaltungen aus vielerlei Gründen erarbeitete 3-Brücken-Lösung wurde der Vorwurf schwerer L In Niedersachsen werden sämtliche raumbeanspruchenden und raumbeeinflussenden Bau- maßnahmen gesamtplanerisch begutachtet. Dabei werden von den Bezirksregierungen als späteren Planfeststellungsbehöräen die Auswirkungen des Vorhabens erfaßt und abgewo- gen. Sodann erhält der Planungsträger Hinweise für die Optimierung des Bauvorhabens zur Einpasiung in das Umfeld und die Umwelt. I Überbrückung des Werratals 71 Landschaftsstörung erhoben und eine landschaftsschonende Lösung mit "mög- lichst einer" gemeinsamen Brücke, "höchstens jedoch zwei" Brücken gefordert. Die öffentlich-rechtlichen Verfahren waren hoffnungslos festgefahren. Um einen Fortgang des Planungsprozesses zu ermöglichen, wurde ein Ar- beitskreis (AK) gebildet, in dem unter Vorsitz des Niedersächsischen Mini- sters für Wirtschaft und Verkehr die Planungsträger und alle Körperschaften, die sich an der bisherigen Diskussion beteiligt hatten, vertreten waren. Dieser AK befürwortete einhellig ein Gutachterverfahren, das alternative Lösungen aufieigen und nu Kiärung strittiger Fragen in der öffentlichen Diskussion beitragen sollte. Der AK erstellte auch die Auslobungsunterlagen für das Gut- achterverfahren. Nach intensiver Diskussion entschied man sich - um den Kreativitätsspielraum möglichst groß zu halten - dafür, den Gutachtern als Rahmenbedingungen so wenig Vorgaben und Vorschriften wie möglich aufnigeben. Diese wenigen, einmütig festgelegten Vorgaben wurden unterteilt in: - nicht abwägungsfähige Bedimgungen, die zu 100 % eingehalten werden mußten und - abwägungsfähige Wünsche, deren Erfüllungsgrad Beurteilungsmaßstab für die Wertung der jeweiligen Arbeit sein sollte. Dem Vernehmen nach haben auch die kommunalen Parlamente hiergegen keine Bedenken erhoben, nachdem sie durch die Vertreter der kommunalen Körperschaften im AK unterrichtet worden waren. In zwei Hearings wurden sodann gemeinsam von AK und Gutachtern die Grundlagen und der Rahmen der gutachterischen Leistungen erörtert und festgelegt. 3. Darstellung der Gutachterentwürfe Nach Ablauf der Bearbeitungsfriit hatten die Gutachter die Möglichkeit, ihre Arbeitsergebnisse dem AK und geladenen Gästen aus den beteiligten Ver- waltungen in einer ersten Präsentation (eine zweite Präsentation erfolgte vor der Jury) vorzustellen und zu erläutern. Dabei konnten sie mit dem dargebo- tenen hohen Leistungsumfang, der Qualität der Gutachten und der Methodik der intensiven Arbeitsprozesse zur eigenen Lösungsfindung voll überzeugen. Die Arbeitsergebnisse zu der von den Gutachtern ausgewählten eigenen L& sung sind so umfangreich, daß sie den Rahmen dieses Aufsatzes bei umfas- 72 Gerhard Jahns und Ulrich Bettelmann sender Darstellung sprengen würden. In der Reihenfolge, in der die Gutachter vor dem AK und der Jury vorgetragen haben, soll daher nur die von ihnen ausgewählte eigene Lösung beschrieben werden. I 3.1 Entwurf Professor König (Bild 4) Der Gutachter schlägt eine getrennte Führung von Autobahn und Neu- baustrecke der DB in einem Achsabstand von 58 m vor (2-Brücken-Lösung). Damit ist eine vollständige Entflechtung der beiden Verkehrswege und eine völlige Entkopplung des Betriebes und der Wartung sowie die Wahlmöglich- keit für den Beginn der Autobahnerweiterung gegeben. Als System werden zwei parallel angeordnete Balltenbrücken gewählt. Bei der Autobahnbrücke sind zwei getrennte Verbundüberbauten vorgesehen, die im Prinzip der jetzi- gen wohlgelungenen Brücke gleichen. Die sandsteinverkleideten Pfeiler wer- den beibehalten, müssen aber für die breiteren Überbauten durch eine Kopferneuening erweitert werden. Bei der NBS-Brücke sind die Pfeiler in Stahlbetonausfiihrung durch eine Verjüngung in der Form den Pfeilern der BAI3 angeglichen. Das Tragsystem der Brücke ist ein parallel-gurtiger Spannbeton-Durchlaufträger über fünf Felder mit zwei getrennten eingleisigen Überbauten. Die vollständige Tren- nung der Überbauten in Längsrichtung eröffnet die Möglichkeit, Unterhal- tungs- und Erneuerungsarbeiten bei eingleisig aufrechterhaltenem Verkehr durchzuführen. Aus landschaftspflegerischer Sicht ist die Flächenversiegelung auf das für eine 2-Brücken-Lösung geringste Maß begrenzt. Durch den Ab- stand der beiden Brücken ist eine gute Belichtung des Talbodens und eine ausreichende Beregnung des Zwischenstreifens gegeben. Überbrückung des Werratals 73 Bild 2: Autobahnbrücke bei Hedemünden nach dem Wiederaufbau 1952 bis heute Bild 3: Modell der 3-Brücken-Lösung Entwurf Professor König Bild 5: Entwurf IngenieurpIanung Hannover Überbrückung des Werratals 75 Bild 6: Entwurf Ruhrberg BiM 7: Entwurf Leonhardt 76 Gerhard Jahns und Ulrich Bertelmann Bild 8: Entwurf Grass1 Die 2-Brücken-Lösung benutzt für die BAB die bestehenden Pfeiler und er- spart damit d e Kosten für den Abbruch der vorhandenen Konstruktion und für die Ersteiiung neuer Pfeiler der BAB-Brücke. Da auch die Überbauten für beide Verkehrsträger aus einfachen Konstruktionen bestehen, liegen deren Kosten im günstigen Bereich. In den Anschiußbereichen entstehen keine Zu- satzaufwendungen gegenüber 1-Brücken-losungen, so daß diese Ge- samtlösung zu dem kostengüdgsten Ergebnis d e r Gutachervorschläge ge- langt. 33 EnCwurf ingenieurplanung Hannover (Bild 5) Der Gutachter schlägt eine neue 1-Brücken-lösung vor. Das Bauwerk steht unmittelbar stromaufwärts der Werra neben der vorhandenen BAB-Brücke. Die Achsen der BAB und der NBS müssen in die Achse des neuen Bauwerks verzogen werden. Die Gradiente der Autobahn wird um rund 10 m angehoben und liegt über der NBS-Gradiente. Die beiden Spannbeton-Straßenüberbau- ten lagern je zentrisch auf zwei Stahlbeton-Pfosten der neu zu erstellenden 78 Gerltard Jahns und Ulriclt Bertelmann Gegenüber dem jetzt vorhandenen Zustand erhalten die bestehenden Pfeiler eine noch höhere vertikale Mehrbelastung als bei dem Entwurf Ruhrberg. Das V-Fachwerk ermöglicht allerdings ein Höchstmaß an Transparenz. Die Ein- Passung der Brückenköpfe ist durch eine geschickte Geländemodellierung und die Anlage von Parkplätzen mit Rast- und Spielräumen gut gelungen, so daß ein Blick auf das Tal und das gemeinsame Brückenbauwerk möglich ist. Die weiteren Aussagen decken sich mit denen zum Entwurf Ruhrberg. 3.5 Entwurf Grass1 (Bild 8) Der Entwurf sieht eine gemeinsame Auflagerung der Überbauten für die Straße und die Bahn auf neue Y-Pfeiler vor. Die Stützweiten werden gegen- über der alten Brücke vergrößert. Die Überbauten für Straße und Bahn sind vollständig getrennt und als Stahlkonstruktion vorgesehen. Ein zeitlich hinausgeschobener Bau der Straßenüberbauten ist möglich. Für die Straßenüberbauten sind hoch ausgenutzte Stahlhohlkästen mit orthotropen Platten vorgesehen. Der Eisenbahnüberbau ist ein Mittelträger-Strebenfach- werk aus Stahl mit seitlichen Auskragungen zur Aufnahme der Gleise. Der Überbau liegt mittig unter den Straßenüberbauten auf den Y-Pfeilern. Die Auswechselung der NBS-Brücke ist schwierig und kostenaufwendig. Die Lage des Bauwerks zur vorhandenen BAB-Brücke ist mit dem Entwurf der Ingeni- eurplanung Hannover zu vergleichen. Gestalterisch besonders gelungen ist die Einschichtigkeit des Mittelfachwerkes. Sie bietet eine optimale Transparenz. Die Pfeilerform wirkt durch die nötige Y-Aufweitung im oberen Bereich nicht so gelungen. Dagegen sind die Vorschläge zur Landschaftsgestaltung beach- tenswert. Besonders herausgehoben werden sollte die Überlegung zur Aus- nutzung des Niederschiagswassers zur Rekultivierung und Bewässerung der Trockenschneisen unter der Brücke. Durch eine Aufweihmg des Gleisabstandes in Folge der Mittelträgerkonstruk- tion sind gegenüber der anderen 1-Brücken-Lösungen noch aufwendigere Ausfädelungs- und Tunnelbauwerke erforderlich. Dazu kommen teure Über- bauten, bedingt durch die vergrößerten Stützweiten, so daß dieser Vorschlag die höchsten Kosten aller vorliegenden Gutachterentwürfe verursacht. Überbrückung des Werratals 79 I 4. Vorprüfung der Gutachten Nach Ablieferung der Gutachten wurden diese vom AK vorgeprüft. Bei dieser Vorprüfung der Gutachtervorschläge hatte sich der AK jeder Wertung und Beurteilung zu enthalten. Er hatte die Entwürfe unter allgemein streckenbau- technischen, statisch-konstruktiven, ökonomischen und ökologischen Ge- sichtspunkten sowie auf E i a l t u n g der vorgegebenen Bedingungen und Empfehlungen zu prüfen. Diese Aufgabe hat der AK erfiilit und Abweichungen von den Auslobungsbe- dingungen im Vorprüfungsbericht dargestellt. Da in der Auslobung formal von nur einem Lösungsvorschlag die Rede war, wurde nach gemeinsamer Abspra- che auch nur eine Lösung, nämlich die vom Gutachter selbst ausgewählte be- ste Lösung, in die Vorprüfung einbezogen. Von den fünf Gutachtern hatten vier eine 1-Brücken-Lösung und einer eine 2- Brücken-Lösung vorgeschlagen. Die Straßenbauverwaltung und die Bundes- bahn waren bei ihrer 3-Brücken-Lösung geblieben. 5. Das Jury-Verfahren und sein Ergebnis Die Wertung und Beurteilung der Gutachterentwürfe waren allein der Jury überlassen. Sie stützte sich dabei auf den Vorprüfungsbericht des AK. Sie setzte sich zusammen aus zwei Verwaltungsjuristen, fünf Ingenieuren und vier Architekten beziehungsweise Landschaftsplanern. Dabei tragen vier Juroren unmittelbar auch dienstliche Verantwortung für das bzw. die Brückenbau- Die Jury prüfte und diskutierte alle sechs Lösungsvorschläge unter sorgfälti- gem Abwägen ihrer Vor- und Nachteile. Nach eingehenden Erörterungen be- schloß die Jury einstimmig, die Gutachten von Prof. König und Prof. Leon- hardt in die engste Wahl zu nehmen. Die über diese beiden Entwürfe ausgie- big geführte Diskussion fand dann letztlich ihren Abschluß in einer Empfeh- lung der Jury an die Auslober. Dabei kam sie einstimmig zu dem Ergebnis, daß für eine 1-Brücken-lösung das Gutachten Prof. Leonhardts und für eine 2-Brücken-Lösung das Gutachten Prof. die bestgeeigneten Grundlagen bieten. Nach reiflicher Überlegung gab die Jury mehrheitlich mit sechs Stim- men der 1-Brücken-Lösung, die das Gutachten Prof. Leonhards vorschlägt, 80 Gerhard Jahns und Ulrich Bertelmann den Vorzug. Auf das Gutachten Prof. Königs entfielen unter der Vorausset- zung einer gestalterischen Verbesserung in den Detailpunkten fünf Stimmen als geeignete Lösung für eine 2-Brücken-Lösung. Die Wertungsunterschiede lagen nicht in Unklarheiten der technischen Lö- sungen oder der hierfür gultigen Kriterien begründet, sondern ausschließlich in der Gewichtung der Argumente und Aspekte innerhalb des Abwägungspro- zesses. Die Jury empfahl zur weiteren Bearbeitung der Aufgabe den Lösungs- vorschlag des Gutachters Prof. Leonhardt. 6. Entscheidung der Baulastträger Nach intensiven Beratungen haben sich die Baulastträger Bund und DB je- doch entschlossen, der mit 6:s ausgesprochenen Empfehlung der Jury, die 1- Brücken-Lösung von Prof. Leonhardt den weiteren Planungen zugrunde zu le- gen, nicht zu folgen. Unter Hinweis auf ihre gesetzlichen Verpflichtungen sprachen sich die Baulastträger statt dessen aus - bautechnischen - betrieblichen - verkehrlichen und - finanzieiien Gründen einmütig für eine 2-Brücken-Lösung aus. Für diese Haltung sprachen folgende Griinde: (1) Standsicherheit der vorhandenen Pfeiler: Die bautechnische Sicherheit ist nicht zweifeisfrei. Der empfohlene Entwurf sieht vor, die Lasten aus dem Eigengewicht des neuen Überbaues und den Verkehren über die vorhandenen Pfeiler und umgebaute Widerlager in den Untergrund abzuieiten. Der Entwerfer der 1-Brücken-Lösung vertritt die Auffassung, daß Pfeiler dieser Bauweise aus Stampfbeton mit Natursteinver- kleidung in der Regel bisher überdimensioniert seien und deshalb auch m die- sem F d e genügend Tragfähigkeitsreserven über den Gesamtquerschnitt hät- ten. Spannuugsmessungen in der Sandsteinverkleidung der Pfeiler, die im Rahmen der Pfeilerbegutachtung vorgenommen wurden, zeigen aber, daß die Pfeiler vermutlich ein anderes Tragverhalten aufweisen. Bei einer Lasterhö- hung, wie sie aus dem gemeinsamen Überbau zu erwarten wäre, ist das tatsächliche Tragverhalten der alten Pfeiler nicht exakt bestimmbar. I Überbrückung des Werratals 81 Es ist weiterhin strittig, ob aufgrund des darüber hinaus noch mit Mängeln be- hafteten Zustandes der vorhandenen Pfeiler eiu Versagen der Pfeiler unter den - gegenüber den bisherigen - sehr hohen Auflagerlasten der gemeinsamen Brücke (1-Brücken-Lösung) ausgeschlossen werden kann. Diese Unsicher- heiten haben zweifelsfrei auch drei der fünf Gutachter bewogen, bei der Erar- beitung ihres Vorschlages für ein gemeinsamen Bauwerk auf die Benutzung der alten Pfeiler zu verzichten. Die Baulastträger sehen sich bei dieser Situa- tion nicht in der Lage, die Verantwortung für diese umstrittene und nicht ver- Iäßlich nachweisbare Standsicherheit der vorhandenen Pfeiler zu übernehmen, zumal diese Verantwortung der gerichtlichen Überpnihng unterliegt. (2) Sicherheit des Verkehrs und des Betriebes: Es ist nach wie vor gefordert, daß - bei der BAB eine vierstreifige Verkehrsführung für alie Zustände, wie Neubau mit Zwischenniständen, Betrieb sowie Erneuerung (zum Beispiel nach Katastrophen) gewährleistet ist und - bei der DB-Neubaustrecke in jedem Betriebsmtand (Unterhalt und Er- neuerung) stets ein Gleis befahrbar sein muß. Diese Forderungen sind bei der vorgeschlagenen 1-Brücken-Lösung nicht er- füllt. (3) Anfälligkeit und Risiken einer 1-Brücken-Lösung gegenüber Schäden: Durch eine konzentrierte Führung der beiden Verkehrswege über ein gemein- sames Tragwerk ergeben sich gegenüber einer 2-Brücken-Lösung erhöhte Anfaiiigkeiten und größere Füsiken im Hinblick auf: - Schäden durch U6alle und Katastrophen auf Schiene und Straße (vor al- lem durch UKaiie mit Tankfahrzeugen), - altersbedingte Schäden durch planmäßige oder erhöhte Nutzung und - unvorhergesehene Schäden durch nicht ordnungsgemäße Bauausfiihrung. Es ist nicht auszuschließen, daß derartige Schäden auftreten können, deren Folgen sich in vielen Fällen auf beide Verkehrswege auswirken würden, wie anhand einiger Beispiele dargestellt werden soll: - Beseitigung von nachträglich auftretenden Schäden an der Konstruktion: Behinderung des DB- und des BAB-Verkehrs. - Auswechsein eines oder mehrerer Lager: Behinderung oder mehrtägige TotalSperrung des BAB- und DB-Verkehrs. - InstandseiZen des Sandsteinmauemxks der alten Pfeiler: je nach Scbädi- gungsgrad iängeh&& VoIlsperrung des BAB- und DB-Verkehrs wegen möglichen Versagern der Pfeiler. 82 Gerhard Jahns und UZrich BerteZrnann - Erneuerung des Ko~ionsschutzes: langfristige Behinderung des DB-Ver- kehrs. - Beseitigung von Schäden durch Unfälle auf der BAB infolge Brand und Be- schädigung von Tragwerksteilen: Voll- oder Teilsperrung beider oder eines der beiden Verkehrswege beziehungsweise länger- oder kurzfristige Behin- derungen. - Vermeidung von Katastrophen infolge Explosion oder Brand durch aus- strömende beziehungsweise auslaufende Gase und Flüssigkeiten nach Un- fällen auf der BAB: Vollsperrung beider Verkehrswege. Durch eine getrennte Führung beider Verkehrswege als 2-Brücken-Lösung können die Schadens- beziehungsweise Unfallfolgen insbesondere für den Ei- senbahnbetrieb erheblich vermindert beziehungsweise gänzlich ausgeschlossen werden. Es lassen sich zahlreiche Unfälie auf Bundesautobahnen beispielhaft anführen, aus deren Folgen zu ersehen ist, daß diese Sicherheitsbedenken be- rechtigt sind. 7. Weiteres Vorgehen Nachdem die Entscheidung für die 2-Brücken-Lösung gefallen ist, muß nun dafür Sorge getragen werden, daß beide Brücken "wie aus einem Guß" gestal- tet werden, auch wenn sie voraussichtlich zeitlich getrennt verwirklicht werden. Diese sehr sorgfältige Gestaltung und Abstimmung beider Bauwerke meinan- der und ihre behutsame Einpassung in die Landschaft sind die Baulastträger den Bürgern und örtlich Verantwortlichen schuldig. Dabei können die Bau- lastträger sowie der mit dieser Aufgabe zu betrauende Gutachter auf die be- reits im Rahmen des Gutachte~erfahrens erstellte 2-Brücken-Lösung zurück- greifen, die allerdings entsprechend zu verfeinern ist. Anmerkungen der Herausgeber. Da wir uns aus den bereits genannten Gründen gezwungen sahen, Henn Jahns' Vortrag durch einen Aufsatz mit ähnlicher Themenstellung zu ersetzen, weichen wir an dieser Stelle von der üblichen P d ab, die Beiträge nicht direkt zu kommentieren. Wir versuchen daher in den fol- genden Erläuterungen, in enger Anlehnung an den Referenten die von ihm geschilderten Ingeni- euraufgaben ausdrücklich auf das Verantwortungsproblem zu beziehen. Der sachlogisch erste Venintwortungsaspekt, den der Referent darstellte, zielte auf die Umset- zung der vom Bauherrn DB anvisierten Rolle der Neubaustrecke im Gefüge der Verkehrsträger in der Bundesrepublik in entsprechende Entwurfsparameter, die sich zuallererst an der techni- DIE VERANTWORTUNG DES BAULEITERS. ERWARTUNGEN DER BELEGSCHAFT, DER UNTERNEHMENSLEITUNG UND DER ÖFFENTLICHKEIT Hans-JUrgen Petereit Der rote Faden in meinem Vortrag über die Verantwortung des Bauleiters soli der Ablauf einer Ideaibaustelie sein, eines Baustelienablaufs in nullter Näherung. Es soll in meinem Vortrag nicht nur um die im Programm ange- sprochenen Erwartungen der Belegschaft, der Unternehmensleitung oder Öf- fentlichkeit gehen, sondern um aii die Verantwortung, die ein Bauleiter, manchmal auch nichi ganz freiwillig, während einer BauabWicklung zu tragen hat. Übrigens: ich spreche von der Bauleitung der Baufirma, nicht von der Bauleitung des Auftraggebers, des Architekten, oder in wessen Auftrag auch immer. Vorab einige Worte zu dem Begriff Verantwortung, und zwar aus juristischer Sicht, denn die Juristen sind diejenigen, vor denen sich die Bauleiter dann in letzter Konsequenz unter Umständen zu verantworten haben Veradmodkb keit meint bei den Juristen Ver-t einer Person, einer Pneeh- nungsfähigen Person, für Unrecht. Die Folge rechtiicher Verantworhq ist im 86 Hans-Jülgen Petereit Zivilrecht die Entstehung einer Schadensersatzpflicht. Soweit mir bekannt, kennt man im BGB den Ausdruck Verantwortung eigentlich überhaupt nicht. Allgemein gesehen ist hier der Begriff Verantwortung sehr eingeschränkt worden. Es geht nur um die Verantwortung für ein negativ bewertetes Tun, nicht für das Tun allgemein. Im Regeifall wird auch so die Verantwortung des Bauleiters gesehen: die Verantwortung, die etwas Negatives für den, der sie trägt, mit sich bringt, den Schadenersatz, die persönliche Repressalie. Es gibt auch eine positive Repressalie, die Belohnung, sie ist als Ausnahme zu be- trachten, denn sie wird oft vom Bauleiter als negativ empfunden, weil sie im Regeifall wiederum Geld kostet oder mit einer Geldforderung verbunden ist. Abschließen will ich diesen kleinen Exkurs mit der Feststellung, daß man - wenn man als Bauleiter oder sonst irgendwie tätig ist -die Beurteilung für die Qualität seiner Tat (ob positiv oder negativ) nicht annehmen muß. Nichtan- nahme bedeutet aber Auseinandersetzung mit Menschen, zu denen man in ei- nem Abhängigkeitsverhältnis steht. Und das bedeutet, man hat sich nicht der objektiven Auseinandersetzung zu stellen, für die man in der mathematisch- naturwissenschaftlichen Ausbildung trainiert wird, sondern der alltäglichen ge- schäftlichen Auseinandersetzung. Doch nun weiter zu unserer Idealbaustelle. Am Anfang stehen der Bedarf und das Erkennen desselben, wobei dieser Bedarf sowohl aus dem allgemeinen Interesse als auch aus einem privaten Interesse herrühren kann. Trennbar ist das oftmals nicht. Es tritt dann ein Einzelner oder eine Gruppe auf, der bzw. die Randbedingungen für eine Realisierung und einen Ergebniswunsch vorge- ben. Dem folgen Planung und Konfrontation mit mehr oder minder Beteilig- ten und Betroffenen. Es wird das gesetzliche Genehmigungsverfahren ablau- fen, wobei man hier vielleicht besser "abgehen" sagen sollte, denn dies ist ein langsamer, zeitraubender Vorgang, der durch das Wort "gehen" irn RegeIfall besser beschrieben wird. Hierzu wird meist parallel die zu erbringende Lei- stung ausgeschrieben. Es entsteht ein Wettbewerb unter den an der Ausfüh- rung interessierten Firmen; dem folgt wiederum die Submission oder zumin- dest ein interner Preisvergleich. Hierauf erfolgen Auftragsverhandlungen und schließlich der Auftrag. Es ist also ein Vertrag entstanden zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, also zwischen dem Besteller und Verursacher und dem Lieferanten bzw. Er- füllungsgehilfen. Der verantwortliche Vertreter des Auftragnehmers ist der Bauleiter, und wir erhalten folgendes Zwischenresultat, folgende Zwischende- finition: Die Verantwortung des Bauleiters 87 Es gilt, eine Idee zu realisieren; den R a b e n für diese Realisation stellen dar: (1) Der Vertrag mit der Beschreibung des Ergebnisses, der Qualität, der Vorgabe von Terminen und dem allgemeinen Bauablauf, (2) Normen, Vorschriften - ganz wichtig auch Sicherheitsvorschriften -, all- gemeine Richtlinien und (3) die wirtschaftliche Forderung der Geschäftsleitung, die im wesentlichen durch die Kalkulation vorgegeben wird. Der Bauleiter hat Verantwortung zu tragen, und da möchte ich die Gruppen etwas erweitern gegenüber den im Kolloquium angekündigten. Er hat Ver- antwortung m tragen gegenüber: - dem Auftraggeber - der Geschäftsleitung, - den Aufsichten (so habe ich das mal getauft, d.h. Prüfer, Abnehmer, Ver- treter von Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht), - der Öffentlichkeit (im wesentlichen die Nachbarn) und - der Belegschaft. Die Verantwortung trägt der Bauleiter sowohl für sein eigenes als auch für das von ihm für das von ihm angewiesene Handeln. Die Entscheidungen für die Handlungsabläufe, das ist nun ein spezielles Charakteristikum einer Baustelle, fallen unter einem ständigen Druck, der im wesentlichen erzeugt wird durch wirtschaftliche und terminiiche Vorgaben. Kommen wir zum Bauablauf: Wenn wir die technische Bearbeitung aus- schließen, als separat vergeben ansehen, beginnt die Baustelle mit der Bau- stelleneinrichtung, oftmals ein Leistungstitel des Ausführungsvertrages. Es giit, Unterkünfte, Tagesunterkünfte, Schlafunterkünfte, Sanitäreinrichtungen, Er- ste-Hilfe-Raum, Trockenraum, Geräte vom Turmdrehkran bis zum Umformer oder Bohrmaschinen, Ver- und Entsorgungseinrichtungen zu disponieren, bereitzustellen. Und Sie werden gleich hierbei erkennen, wenn Sie in diesem Bereich tätig werden, daß Sie in diesem Fall nicht einer, sondern allen fünf Gruppen gegenüber Verantwortung zu tragen haben. (1) Der Aufhrzggeber erwartet von Ihnen, daß Sie natürlich ausreichend und genügend und geeignetes Gerät vorhalten, um die Vertragsleistung zu er- bringen. Dahinter steht die drohende Repressalie (für mich gehören immer Verantwortung und Repressalie zusammen), die heißt: Nichtabnahme wegen Qualitätmangel. Das wiederum hat zur Folge: kein oder ein geminderter Vergühmgsampruch oder aber Zahlung einer Konventionalstrafe wegen Ter- minüberschreitung. 88 Hans-Jüraen Petereit (2) Die Geschäftsleitung: sie verlangt eine ausreichende Vorhaltung, aber mit Sicherheit keine übertriebene. Die Vorhaltung sollte sich also im Rahmen dessen bewegen, was in der Kalkulation ermittelt worden ist. Die Kontrolle - das Zurverantwortungziehen - erfolgt durch Leistungsmeldung und Bilanzen. Die Repressalie liegt letztlich in der Vergütung des Bauleiters. (3) Die Aufsichten: sie werden Ihre Baustelle besuchen, Abnehmer, Gewer- beaufsicht, Berufsgenossenschaften. Sie werden sich vom Zustand ihrer Un- terkünfte überzeugen, vom Zustand der Geräte; als Beispiel will ich den Turmdrehkran nennen: er muß TÜV-abgenommen sein, der Kranfahrer muß ein Kranbuch führen. Sie als Bauleiter müssen die Führung des Kranbuches ständig kontrollieren. Sie werden einen Sicherheitsbeauftragten auf der Bau- stelle haben müssen, manchmal ist er von der Firma aus ohnehin vorhanden. Sie werden danach gefragt, Sie werden Erste-Helfer haben müssen, Sie wer- den Aushänge tätigen müssen, belehrende Aushänge. Sie werden eine Unfall- verhütungsvorschrift auf der Baustelle haben müssen, und Sie müssen Ihre Leute belehren, nicht nur die, die neu auf die Baustelle kommen, sondern in regelmäßigen Abständen haben Sie Ihr Personal, was das Thema Sicherheit betrifft, d. h. also Schutzbekleidung, Helme, Sicherheitsschuhe, immer wieder m belehren. Repressalien gibt es auch hier; im Extremfall Einstellen der Bau- stelle, und eine ganz unangenehme Repressalie kann es werden, wenn z. B. ein Partner einer Berufsgenossenschaft die Baustelle besucht und festgestellt hat, daß der Kran keine TÜV-zulassung mehr hat und abgenommen werden muß; wenn dann ausgerechnet ein Unfall passiert, wird dieser Mann vor Gericht ge- gen Sie aussagen, und das wird sich mit Sicherheit nicht strafmildernd auswir- ken. (4) Die öffenilidtkd~ sie erwartet von Ihnen, daß all das, was an Bauschutt abfällt, natürlich nicht einfach in die Landschaft geworfen wird, daß Sie M U - container vorhalten, da6 die sanitären Einrichtungen - falls keine Entsor- gungseinrichtungen vorhanden sind - angeschlossen werden an eine Kleinklär- grube, da6 Sie das Grundwasser nicht mit Fäkalien oder mit Öl verschmutzen etc. Sie haben ja sehr oft, wenn Sie irn Erdbau sind, mit Öl, HydraulikOi, Die- selöl zu tun. Sie müssen Wannen und ein Bindungsmittel für Öl vorhalten, faüs es zu einem Unfail kommt; Sie müssen Ihre Straße reinigen, wenn Sie Erd- baustellen und LKW-Verkehr haben; gerade in dieser Jahreszeit sieht man dann von Straßen sehr wenig, sondern nur noch Staub oder Schlamm, das ist natürlich eine Unfaligefahr. Sie müssen eventuell Verkehrsregelungen vor- nehmen, und Sie haben Ihre Arbeitszeit in Wohngebieten so m legen, daß die Bewohner nicht mehr als zumutbar belästigt werden. - Repressalie könnte hier Die Verantwottum des Bauleitern 89 auch wieder heißen: Baustopp über ein Verwaltungsgericht oder auch persön- liche Anfeindung z. B. des Poliers. (5) Schließlich die Belegschaft, der gegenüber Sie Verantwortung für Sicher- heit und menschenwürdige Randbedingungen bei der Arbeit haben. Hierbei ist anzumerken, daß Belehrungen und Vorschriften in bemg auf Helm und Si- cherheitsbekleidung nicht immer positiv aufgenommen werden: Auch der Aushang über Alkohoiverbot auf der Baustelle findet nicht nur Freunde. Ohne hier ins Detail zu gehen, sei angemerkt: eine Form der Repressalie gibt es auch hier dem Bauleiter gegenüber, sie kann heißen: mangelnde Arbeitslei- stung wegen schlechten Betriebsklimas, sie kann schließlich und endlich auch gar Arbeitsverweigerung heißen. Fahren wir mit unserer Baustelle fort. Im Regeifd wird der Baustellenein- richtung der Erdbau folgen. Ich hab mir ein Beispiel ausgesucht, das in diesen Bereich Erdbau gehört. Dieses Beispiel will ich auch deshalb bringen, um dar- zustellen, daß Sie oft nicht Ihre eigene Verantwortung m tragen haben, son- dern mit der Verantwortung Dritter belastet werden. Ende August erschien in einer Darmstädter Tageszeitung ein kleiner Artikel, in dem beschrieben wurde, wie vandaiistische Mitarbeiter einer Baufirma beim Erstellen eines Kanal- oder Rohrgrabens Baumwurzeln beschädigt hatten. Die dem Tode ge- weihten Bäume samt Graben waren abgebildet, es war kein sehr attraktives Bild; in solch einer kurzen Notiz noch den Namen des Bauleiters, den der F i a , das Ganze verlagert auf die Startbahn West, und die spontane Repres- salie hätte nicht auf sich warten lassen. Unabhängig von der Tatsache, daß das Baufumenprügeln - was auch die Bauleiter spüren - heute Mode ist, hat dieser Vorfall meines Erachtens gerade I hier eine kritische Betrachtung verdient. Zunkichst ist die Frage zu beantwor- ten: w a e n Auftraggeber und Planer von den Bäumen? Hätten sie ohne den I unmittelbaren Zeitdruck, den der Baustellenablauf mit sich bringt, nicht eine Trasse wählen können, die den Baumbestand ijberhaupt nicht gefährdet? Nun, gehen wir davon aus, es gab nur diese Trasse. Dann hätte der Bauleiter selbst- verständlich Bedenken anmelden müssen. So, wie er die Konsequenzen zu be- denken hat, die das Zerstören einer Ver- oder Entsorgungsleitung bei der Ausführung von Erdarbeiten mit sich bringen kann, so muß er die Konsequen- zen einer Baumzerstörung selbstverständlich auch bedenken. Und das hätte ihm spätestens, nachdem er die Wurzeh des ersten Baumes gesehen hat, auf- falien müssen, er hätie den Aushub mit Ger& stoppen und sich mit dem Bau- herren in Verbindung setzen müssen. 90 Hans-Jürgen Petereit Fehlentscheidungen, das Freilegen der Wurzeln des ersten Baumes wäre eine solche, sind Folgen des Handlungs- und Entscheidungszwanges. Sie können auf der Baustelle während einer Ausführung nicht 50 Mann nach Hause schik- ken, bis Sie entschieden haben, wie der Arbeitsablauf vonstatten geht. Aber Sie müssen, wenn notwendig, korrigieren. In diesem Fall bedeutet die Ent- scheidung: weg vom Geräteaushub und hin zum schonenden Handaushub und damit übrigens aus der Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber, aber auch Mehrkosten. Die Verantwortung der Geschäftsleitung und der Beleg- schaft gegenüber wiederum gebietet, die Mehrkosten auch zu erlösen. Damit ist der Konflikt mit dem Bauherrn bzw. dessen Vertreter vorprogrammiert. Vielleicht wurde die Handschachtung in der Ausschreibung bewußt oder un- bewußt vergessen, und dies kann zu Finanzierungsproblemen für den Bau- herrn führen. Der Bauherr hat einen finanziellen Rahmen, sagen wir, eine Mio. Mark sind beantragt. Diese Maßnahme muß ja nicht ein Kabelgraben von 50 m sein, das kann durchaus eine umfangreiche Erdbaumaßnahme sein, die im Endeffekt 10 % Mehrkosten mit sich bringt. Dann kann es bei einem öffentlichen Auftraggeber passieren, daß die Schlußrechnung nicht bezahlt wird, weil der öffentliche Auftraggeber schlicht und einfach die zusätzlichen 10 % Mittel nicht hat. Aus dieser Situation nun, unter Einbeziehung der Öffentlichkeit in unge- rechtfertigter Weise ausschließlich verantwortlich gemacht zu werden, heraus- zukommen, ist sehr schwer. Wobei ja nicht nur die Abhängigkeit des Baulei- ters ein Sich-Wehren erschwert, sondern auch die Hilfe der Geschäftsleitung bzw. des Unternehmens oft deshalb unterbleibt, weil man einen potentiellen Auftraggeber nicht verärgern möchte. Auf den Erdbau folgen im weiteren Ablauf die Schalungsarbeiten, die Beton- stahl-, Spannstahl-, Betonarbeiten, die Mauerwerksarbeiten. Die Verantwort- lichkeiten sind klar: Der Bauleiter hat die Verantwortung dafür zu tragen, daß die Bauteile plan- und normgerecht erstellt werden, um die spätere Nutzung sicherzustellen. Hierbei sind Sicherheitsvorschriften zu beachten, Lehrgerüste, denken Sie an Schutzgerikte. Mögliche Repressalie ist wiederum das E i t e l - len der Baustelle durch die Aufsicht, das kann z. B. durch einen Abnehmer passieren, der feststellt, daß die Bewehrung nicht oder falsch verlegt worden ist; und dies kann zu einem Teilstopp der Baustelle führen. Falls Spannglieder verlegt worden sind, die angerostet sind, fällt es beim Ein- fädeln in Hüllrohre auf. Das kann ebenso zu Baustopp führen. Der verantwortliche Bauleiter wird sich aber im Regeifd sehr genau darum küm- I Die Veraniwortung des Bauleiters 91 mern, daß dieser Vorgang korrekt abläuft. Ei Baustopp kann natürlich auch genau so gut durch die Gewerbeaufsicht im Hochbau erfolgen, wenn sie z. B. feststellt, daß in nichtausgebauten Treppenhäusern jegliche Absperrungen fehlen. Firmenintern kommt jetzt angesichts der wirtschaftlichen Situation der Baubranche ganz stark die Verantwortung für das Baustellenergebnis zum Tragen, für den in der Öffentlichkeit so viel geschmähten Gewinn. Der Bauleiter hat die Wirtschaftlichkeit seiner Baustelle nachzuweisen durch seine Leistungsmeldung, die in die Bilanz einfließt. Und er hat die Verantwortung, einen Gewinn zu erwirtschaften. Wie wichtig dieser Gewinn ist, und wie wich- tig es daher ist, ihn mit in die Verantwortung des Bauleiters zu stellen, soll fol- gende Betrachtung zeigen: (1) Die Investoren, die den Fortbestand der Firma grantieren, verlieren ohne Gewinn selbstverständlich ihr Interesse. Damit tritt eine Gefährdung für den Fortbestand der Firma ein. Das ist für Sie und Ihre Mitarbeiter schlicht und einfach existenzbedrohend. (2) Überschüsse sind notwendig zur Einführung von Innovationen, für Lehr- lingsausbildung, für Mitarbeiterweiterbiidung, d. h. für den Fortbestand als Fachfuma. Die wirtschaftüche Weiterexistenz verantwortet der Bauleiter selbstverständlich nicht nur gegenüber der Geschäftsleitung, hier steckt auch eine starke Verantwortung der Belegschaft gegenüber drin, denn die Baufuma lebt ja nur von dem, was sie auf der Baustelle erwirtschaftet. Davon leben nicht nur der Apparat, Bauleiter, Baukaufmann und die gewerblichen Arbeit- nehmer, sondern auch ein Technisches Büro, eine Kalkulationsabteilung, eine Arbeitsvorbereitung, eine Hauptverwaltung. An dieser Stelle noch ein kleines Beispiel für Verantwortung gegenüber der Belegschaft, das über das hinausgeht, was den Verantwortungsbereich des Bauleiters ausmacht. Er muß sich oft genug die Frage stellen, ob das Personal für die Baustelle geeignet ist. Folgendes passierte: Ein Mitarbeiter wurde bei der Arbeit in der Baugrube bewußtlos. Durch den herbeigerufenen Notarzt stellte sich heraus, daß der Mann Epileptiker war. Aus der Verantwortung der Belegschaft gegenüber, aus dem Sicherheitsinteresse des Betroffenen heraus, aus der der Geschäftsleitung und dem Auftraggeber gegenüber, die geeignetes Personal für eine Baustelle fordern, folgt nur eins: Freimeldung. Und Frei- meldung heißt, letzten Endes friiher oder später Entlassung. Nun war das Problem, daß der Mann in eine Busiruppe, d. h. eine Kolonne, gehörte, die aus einem abseits gelegenen Dorf montags zur Arbeitsstätte und fre- wie- 92 Hans-Jü~en Petereit der nach Hause &, das war am Ende der Welt, um es ganz zurückhaltend auszudrücken, eine alternative Arbeit dort war für den Mann kaum zu be- kommen. Die Lösung dieses Problems lag nicht im Verantwortungsbereich der Bauleitung. Hier ergaben glückliche Umstände - und das war zunächst die eigene Qualifiation des Mannes, unabhängig von seinem Handicap -, daß er irn Betonlabor eingesetzt werden konnte. Das war natürlich nur verantwort- bar, weil sich das Ganze auf einer Großbaustelle abspielte und auf dieser Großbaustelle ein Betonlabor notwendig war, d. h. die entstehenden Kosten dafür auch erlöst werden konnten. Schließen wir ab mit dem, was das Endergebnis einer Baustelle darstellen sollte: die Abnahme und Stellung der Schlußrechnung mit folgender Gewähr- leistung. Hier wird vielleicht am umfassendsten dem Auftraggeber gegenüber Rechenschaft abgelegt über die erbrachte Leistung, also verantwortet. Und die unangenehmste Repressalie kann heißen: Nichtabnahme. Das wiederum be- deutet, daß die Gewährleistungsfrist nicht anläuft und aus Mängelbeseitigung Zusatzkosten entstehen. Ist eine Mängelbeseitigung nicht möglich, so entste- hen eine Wertminderung und damit wiederum Kosten, und ganz wesentlich ist, daß der Auftraggeber die Schiußrechnung nicht zu bezahlen braucht. Das heißt, wenn er die Schlußrechnung als Abschiagsrechnung bezahlt, wird er 10 % in bar als Sicherheit einbehalten. Wird die Schlußrechnung bezahlt, müs- sen unter Umständen auch 10 % als Sicherheit hinterlegt werden. Das ge- schieht dann allerdings in Form einer Bürgschaft, und eine Bürgschaft kostet nur Aval-Gebühren, also weitaus weniger als der Zisdienst für einen zu finanzierenden Bareinbehalt. Und damit wird unter Umständen aus einem bisher scheinbar sehr guten Baustellenergebnis ein schlechtes Baustellener- gebnis. Nun, im Regeifall erfolgt ja die Abnahme, und das wohlverdiente Richtfest Cidet statt. Mit meinen Ausführungen will ich nun nicht den Eindruck erwecken, daß das Sichverantworten ein ständiges Rechenschaftsablegen den angesprochenen Gruppen gegenüber bedeutet. Daher möchte ich versuchen, zum Abschiuß ein Resümee zu ziehen. Die Baustelle mit ihrem Ablauf ist, abstrakt betrachtet, die Summe aller notwendigen Handlungen der ausführenden Firma, um das vorgegebene Ziel, die mängelfreie wirtschaftliche Fertigstellung eines Bau- werks, m erreichen. Verantwortlich für den Ablauf unter optimaler Berück- sichtigung aller vorgegebenen Randbedingungen ist der Bauleiter. Die Rand- bedingungen wiederum werden vorgegeben durch den Vertrag, Normen, Vor- schriften und die wirtschaftliche Erwartung. Der Vertrag stellt für den Bauleiter oft die problematischste Randbedingung dar, denn hier kommt es am häufigsten zu Interessenkonfiikten. Jedoch wird ein seriöser Vertrag auch Die Verantwomng des Bauleiters 93 eine gewisse Symmetrie im Verhältnis Auftraggeber - Auftragnehmer ge- währleisten. Eine echte Beengung und Belastung durch das Tragen von Ver- antwortung oder Streß, wie man heute sagt, ergeben sich im Regelfall durch mangelnde Qualifikation oder durch Übernahme von Verantwortung, die man an sich gar nicht zu tragen hat. Hier hilft folgende ständige Selbstkontrolle: - Wird die Firma für das bezahlt, was der Bauleiter verantworten soll? Ein Bauleiter sollte sich z. B. keine Gedanken über eine Dehnfugeneinteiiung machen, die in WU-Qualität hergestellt werden soll, wenn der Auftrag für Planung, Statik, Schal- und Bewehrungspläne an einen Dritten vergeben ist. Er muß allerdings auf eine eventuelle Notwendigkeit hinweisen. - Wird er selbst dafür bezahlt? Wenn die Fuma den Beton mit einem Stoff- preis von 10 DM angeboten hat statt mit 110 DM, hat er als Bauleiter die- sen Kalkdationsfehler selbstverständlich nicht zu verantworten. Er muß aber nach wie vor sein Baustellenergebnis unter Berücksichtigung dieses Fehlers verantworten. Unterstellt man dem Bauleiter durch Ausbildung und Erfahrung erworbene Berufsqualifikation, so wird er sich in seinem vorgegebenen Rahmen optimal bewegen können, seine Ran-en einhalten und die Möglichkeiten der Repressalien vermeiden. Und damit wird er die Baustelle regelrecht, optimal also, abwickeln. Nachwort: In den vorangehenden Diskussionen wurde immer wieder von ei- nem "höheren", von einem "weiteren" Verantwortungsbegriff gesprochen, lei- der nie klar gefaßt und, wie es bei Ingenieuren üblich sein sollte, klar definiert. Der Aufforderung, hier in einer Nachbemerkung doch noch. einmal Stellung zu beziehen, komme ich gern nach, wobei ich nach wie vor den Ingenieur nicht verbergen und die deutsche Sprache als Mittel zur eindeutigen Verständigung benutzen will. Ich sah und sehe in der oben angesprochenen Diskussion und auch in den Vorträgen meiner Mitreferenten die Gefahr der Aufweichung, der Zerredung des Begriffs Vetanhvomng. Konsequenz: Man definere sich den Begriff von Fall zu Fall wiliküriich so, wie man ihn braucht, wie er angenehm ist. Man kann die juristische Definition für Verantwortung durchaus auf ein hö- heres Niveau extrapolieren. Im Wesen ändert dies an dem Begriff nichts. Ich wiederhole mein Diskussionsbeispei, die christliche Religion bzw. Ethik, in der der Verantwortungsbegriff ebenfalls nicht unbekannt ist. Das Schema bleibt das gleiche: allgemein verbindliche Regeln, z. B. die 10 Gebote, existie- 94 Hans-Jürgen Petereit ren. Im Leben bewegt man sich mehr oder weniger in diesem Soll, und man glaubt an eine Richterinstanz, die die Macht hat, einen zur Verantwortung zu ziehen, in diesem Fall nach dem Tod mit der "Repressalie" Himmel oder Hölle. In der Diskussion wurde immer wieder versucht, einen weiteren, einen höhe- ren Verantwortungsbegriff zu definieren. Die Problematik liegt meines Er- achtens einfach in dem Unterschied zwischen Einzel- und Gruppenverant- wortung. Während der Bauleiter als einzelner zur Verantwortung gezogen wird, wird sich vor allem der Planer mit dem Begriff der Gruppenverantwor- tung auseinanderzusetzen haben. Seine Planung beeinflußt unter Umständen noch Generationen nach ihm. Er wird hierfür aber nicht belangt werden, er handelt deswegen auch nicht verantwortlich. Erst aus einer Gruppe heraus, der gegenwärtigen Generation zum Beispiel, gesehen, gibt der Begriff Ver- antwortung wieder Sinn. In dieser Gruppe ist einer - oder sind mehrere - die Handelnden. Die Verantwortung wird von anderen, zum Beispiel von der nächsten Generation, getragen, eventuell mit zeitlichem Abstand. Diese hat dann die Folgen, die Repressalien zu tragen. STANDESREGELN IM KAMPF UM HONORARE. GESELLSCHAFI'LICHER NUTZEN UND ZUKUNFTS- PERSPEKTIVEN DES BERATENDEN INGENIEURS Heinz Jungmann 1. Einleitung Der Titel ist gewollt provokativ vom Veranstalter gestellt. Der Untertitel ver- sachlicht das gestellte Thema, wobei mir daran liegt, auch die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, wie sie aus dem Thema der Gesamtveranstaltung hervorgeht, zu berücksichtigen. Der erste Teil des Titels enthält zwei Reiz- worte: "Stand und "Honorar". Beide Worte sind in unserem Wortschatz ebenso tief wie mißverständlich verankert. Deshalb sollte man bei diesem Thema wenigstens in der Einleitung dazu etwas sagen. Stand ist - oder sollte ich besser sagen: war einmal - eine Stufe in einer Hier- archie. In meinem Vortrag möchte ich es als zuständig oder kompetent ver- stehen. Honorar hatte einst etwas mit Ehre zu tun. Man ehrte und bezahlte für eine Gesamtleistung. Heute ist die Gesamtleistung in Teilleistungen aufgesplittet 96 Heinz Jungmann und in der HOAI, der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, auf- geschrieben. Obwohl man nach dieser Honorarordnung auch 150-%ige oder noch höhere Leitungen erbringen kann, ist von einer Gesamtleistung nicht mehr die Rede, ganz rn schweigen von Ehre. Ich aber glaube, daß wir aile un- sere Ehre daransetzen sollten, wieder sinnvolle Gesamtleistungen rn vollbrin- gen, was eine Arbeitsweise erforderlich macht, die nur in der Atmosphäre transparenten Vertrauens gedeiht. Der zweite Teil der Überschrift bringt vertrautere Vokabeln, aber sie schillern nicht weniger. Seit Menschengedenken ist es eine unwidersprochene Forde- rung, daß man ein nützliches Glied der Gesellschaft rn sein habe. Das gilt selbstverständlich auch für freiberufliche Bauingenieure. Nur, was ist denn wem nützlich? Darüber kann man lange diskutieren. Die Zukunftsperspektive im Zusammenhang mit diesem Thema kann für mich nur heißen: Wie kann ich die Aufgabe, wirtschaftlich und qualitätvoll zu bauen, besser lösen, als heute häufig üblich? Eine schwierige Frage, und obwohl ich Techniker und nicht Prophet bin, will ich versuchen, auch dazu einen kleinen Beitrag zu lei- sten. Übrigens, in Meyers Lexikon von 1900 findet man unter dem Stichwort "Ver- antwortung" nur einen Hinweis auf "Zurechnungsfähigkeit". Das unterstelle ich als für Ingenieure zutreffend. 1980 spricht das gleiche Lexikon, auf Max Weber fußend, von Verantwortungsethik. Das heißt, vereinfacht ausgedrückt, daß ne- ben der persönlichen Gesinnung und dem beabsichtigten persönlichen Erfolg noch in jedem konkreten Einzelfall sittliche bzw. moralische Verantwortung rn fordern sei. Das hat nichts mit der Moral des doppelten Bodens rn tun, son- dern bedeutet Beriicksichtigung selbstverständlicher gesellschaftlicher Grundforderungen. "Bauberatungn scheint etwas Moderneres zu sein, und wie ein altes Sprichtwort sagt, ist guter Rat teuer, aber schlechter noch teurer, und am allerschwierig- sten ist es herauszufinden, was ein guter und was ein schlechter Rat ist. Wenn man als Einzelberater gut beraten will, muß man über vertieftes Wissen verfü- gen, das man in den Teil "Kenntnisse" und in den Teil "Erfahrungen" struktu- rieren kann. Kenntnisse erwirbt man im wesentlichen in der Aus- und Weiter- bildung, Erfahrung muß man sich in der P r d s aneignen. Erst Kenntnisse und Erfahrungen führen rn Erkenntnissen. Unser Bereich Bauwesen ist in sehr viele Spezialgebiete gegliedert. Es hat also jeder ingenieurtechnische Berater ein meist mehr oder weniger stark eingeschränktes Arbeitsgebiet. Durch sinn- voll koordinierte Zusammenarbeit Vieler wird aus den Einzeltätigkeiten zuerst ein hoffentlich gut ausführbarer Plan und schließlich ein funktionstüchtiges Standesregeln W Kampf um Honorare 97 Bauwerk. Es handelt sich also bei jedem Bauwerk um die Koordination sehr vieler Eilieistungen von Fachberatern. Planung und Beratung sind uralt. Modem sind lediglich die neuen Organisationsformen, unter denen sich Pla- nung heute vollzieht. Das merkt schon der Student, wenn er Wahlfächer belegen soll oder sich - was noch schwieriger ist - einem Vertiefungsfach zuwenden will. Die Planung selbst ist ein Vorgang mit sehr vielen Rückkoppelungen. Entscheidungen, die erst in späten Planmgsphasen als notwendig erachtet werden, wirken auf vor- angegangene Entscheidungen oft stark verändernd ein. Das in jedem EinzeIfail rechtzeitig zu erkennen, ist für die Verantwortung des Ingenieurs oft eine sehr schwere Aufgabe. Bei d e n Bauten zu d e n Zeiten war es nötig, einen Entwurf zu erarbeiten, seine Folgen zu bedenken, die EiiIheiten zu kontrollieren und dann erst auszuführen. Auch die Ausfuhning wird nochmals auf mögliche Fehler über- prüft. Jeder wird mir folgen können, wenn ich behaupte, daß es besser ist, et- was Erdachtes noch einmal von einem Partner überdenken zu lassen und erst dann auszuführen, als risikofreudig drauflos zu bauen. Ich nenne das "das Vier-Augen-Prinzip" und halte sehr viel davon, und zwar nicht, weil ich Prüfin- genieur bin. Denn diese Überpdungskosten sind im Verhältnis zu späteren Sanierungskosten vemadässigbar klein, Sanierungskosten liegen häufig bei 40 % der Baukosten. In solche Höhen können Übe~wachun~skosten nie ge- raten. 2. Der beratende Ingenieur im Lichte der gesellschaftlichen Erwartungen ( 2.1 Der beratende Ingenlw als Anwalt des SchurpJ von Gemehschalla- giiteni und der L e m n d l a g e n der Gesellschaft in der Zukunft Erstens geht es der Gesellschaft um den Schutz von Gemeinschaftsgütern überhaupt. Das sind im Zusammenhang mit dem Bauen: - öffentliche Belange (Standsicherheit, sparsamer Energieverbrauch W.), - Gesundheitsschutz (BrandSchutz, schab&* Abfdbeseitigung, Verhin- derung von Luftverschmutzung usw.), 98 Heinz Jungmann - Umweltschutz (Rücksicht auf Natur bei der Verkehrswege- und Siedlungs- planung). Zweitens geht es der Gesellschaft um Vermeidung von Schäden in der Zu- k&. nicht nur bei den Zukunftstechnologien wie Medientechniik und Gen- technik zum Beispiel, sondern auch beim Bau von Industrien, bei denen nichts beständiger ist als der Wandel. Es gibt Industriebereiche, die heute zu 95 % Erzeugnisse produzieren, die man vor fünf Jahren noch gar nicht gekannt hat. Hier ist die Erwartung an den planenden Techniker ganz einfach zu hoch ge- schraubt, wenn man meint, er könne von Anfang an übersehen, ob es der Ge- sellschaft nützt oder schadet. Wichtig scheint mir allerdings, diejenigen am Entscheidungsprozeß zu beteiligen, die hinterher alles bezahlen müssen. Die Steuerzahler meine ich damit. Denn wer bezahlt, sollte mitverantworten. Das bedeutet koordinierte Auseinandersetzung zur gegenseitigen Verbesserung in persönlicher Verantwortung des einzelnen. Ich sehe dafür einige hoffnungs- volle Ansätze. Freiberufliche Berater halte ich dafür besonders gut geeignet, weil sie nicht in Hierarchien organisiert sind und niemals durch Macht, son- dern nur durch Überzugen etwas erreichen können. Diese Berater sind allgemein unter dem Namen beratende Ingenieure bekannt. Die meisten von ihnen haben ein Grundwissen im Studium erworben und halten es durch Weiterbildung up to date, denn täten sie es nicht, wären sie bald nicht mehr als Berater zu gebrauchen. "Updaten" ist übrigens ein neu- deutsches Wort aus dem EDV-Bereich, um den kaum ein Berater herum- kommt. Die Erfahrung, die ich für außerordentlich wichtig halte, muß durch reflek- tierte Praxis erworben werden. Nur Fehler, deren Gründe man erkennt, kön- nen vermieden werden. Es wäre deshalb zu regeln, wo, auf welche Art und wie lange jemand Kenntnisse und Erfahrung erworben haben muß, ehe er eine selbständige beratende Tätigkeit ausüben darf, wie er seine Tätigkeitsbereiche bezeichnen sollte, damit ein Beratungssuchender weiß, wonach er suchen kann, und noch vieles andere mehr. Da Bauen Läudersache ist, regelt das je- des Land anders. Sehr vieles weniger Wichtige wird festgelegt, und manches Unabdingbare wird überhaupt nicht geregelt. Um trotz allem wenigstens zu einigen Berufsregulativen zu kommen, gibt es seit längerer Zeit Berufsver- bände von Freischaffenden. Einer von ihnen ist der VBI, der Verband Bera- tender Ingenieure. Seine Mitglieder sind freiberufiich tätige Ingenieure aller Fachrichtungen. Seine Organisation ist weltweit verbreitet und in Deutschland schon über 80 Jahre alt. Durch seine Mitarbeit in vielen gesellschaftlichen Standesregeln im h p f um Honorare 99 Gremien kann man den VBI als den repräsentativen Berufsverband der Frei- b e d e r bezeichnen. 2 2 Der Berufsverband VBI und seine Berufsregeln Damit ein Beratender Ingenieur Verantwortung übernehmen kann, ist es wichtig zu definieren, was sein Beruf beinhaltet. Seine Berufsaufgabe kann man etwa wie folgt umreißen: Der Beratende Ingenieur bearbeitet unabhöngig und eigenvemntwortlich Ingenieuraufgaben in allen Bereichen der Technik, Wirtschaft und Wissexuchaft. Das beinhaltet besondere: - Beratung in technischen und wirtschaftlichen Fragen, - Planung von Bauwerken und Anlagen, - Vorbereitung und Überwachung der Ausfuhrung von Bauwerken und An- k e n , - Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung von Lieferleistungen, Monta- geleistungen, Bauleistungen und Leistungen ähnlicher Art, - Vorbereitung, Planung und Durchführung aller Maßnahmen vom Städte- bau bis zum Verkehrswesen unter Beachtung des Schutzes der Umwelt. Auf den Worten "unabhängig" und "eigenverantwortlich" liegt der Akzent, auf den wir Beratende Ingenieure VBI besonderen Wert legen. Deshalb sei auch für die Inhalte dieser großen Worte eine Definition erlauk - Unabhängig ist, wer seinen Beruf ohne Bindung an Handels-, Produktions- oder Lieferinteressen ausübt. - EigenverantwortIich ist, wer seine berufliche Tätigkeit unbeeidußt durch Rechte berufsfremder Dritter innerhalb und Rechte Dritter außerhalb sei- nes Unternehmens ausübt und, soweit gesetzlich möglich, ohne Einschrän- kung sein Unternehmen in persönlicher Verantwortung nach innen und außen vertreten kann. I Dazu kommen noch die Berufsregeh eines Beratenden Ingenieurs VBI: (1) Der Beratende Ingenieur übernimmt nur Aufträge, für deren Bearbeitung er die notwendige Erfahrung, technische Ausrüstung und qualifizierte Mitar- beiter bereitstellen kann. Er sucht nach Lösungen, die dem gesicherten Stand wissenschaftlicher Erkenntnis und den Anforderungen zu einer wirtschaftli- chen Ausfuhrung und Nutzung gerecht werden (2) Der Beratende Ingenieur vertritt die Interessen seines Auftraggebers und hat dabei für den Schutz der öffentiichen Sicherheit und den Schutz der Rechte Dritter Sorge zu tragen. Er darf die Ergebnisse seiner Arbeit nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers Dritten zugängiich machen. (3) In der Ausfuhrung seines Berufes nimmt der Beratende Ingenieur keine Rabatte, Provisionen oder ähniiche Vergünstigungen an, um die Unab- hängigkeit seiner Beratertätigkeit zu wahren. (4) Der Beratende Ingenieur vereinbart angemessene Honorare im Verhältnis von Art und Umfang der von ihm m erbringenden Leistungen. Er orientiert sich dabei an den üblichen Sätzen einer Leistungs- und Honorarordnung. (5) Er versichert sich ausreichend gegen die sich aus seiner Berufstätigkeit er- gebenden Haftpflichtgefahren. (6) Er unterrichtet auch seine Mitarbeiter über diese Berufsregeln und ver- pflichtet sie, diese zu befolgen. Schließlich ist noch etwas über die Voraussetzung zum Erwerb der Berufsbe- zeichnung Beratender Ingenieur i!BI zu sagen: Die Beratenden Ingenieure VBI müssen beruflich befähigt sein. Das heißt für unseren Verband: - Ein Abschlußexamen einer Hochschule, Universität oder Fachhochschule. - Eine mindestens 5-jähriie einschlägige Berufstätigkeit, davon mindestens zwei Jahre in ununterbrochener beruflicher Unabhängigkeit und Eigenver- antwortlichkeit in einem Unternehmen eines Beratenden Ingenieurs. 23 Die Vorteüe der unabMh&p Beratung Worin sehen Auftraggeber die Vorteile einer solchen unabhängigen Beratung? Die Bauberater der Vereinten Nationen sehen das so: - Unabhangige Berater sind irn allgemeinen ad hoc verfügbar und somit auf- grund ihres eigenen Strebern nach Wirtschaftlichkeit für eine Verkürzung der Planungs- und Bauzeit geeignet. - Sie ermögiichen die Zurverfugungstellung von Spezialkenntnissen, die in zahlreichen ähnlichen Projekten erworben, erprobt und verbessert wurden und sich bewährt haben. - Sie gewährleisten technische Innovation aufgrund ihrer Tätigkeit für viele Auftraggeber; die Gefahr von Betriebsbhdheit erscheint deshalb gering. - Unabhängige Berater können objektive Beurteilungen abgeben, ohne an firmeninterne Politik und Hierarchien gebunden zu sein. - Sie können besser als Angestellte die Richtigkeit ihrer Planung gewähr- leisten. - Der Unabhängige Berater ist Treuhänder. Seine Gutachten werden von Fi- nanzierungsinstituten, Banken und im Hinblick auf den Umweltschutz auch von Aufsichtsbehörden und der BevöIkenmg eher akzeptiert als firmenei- gene Darstellungen, bei denen die Gefahr der Subjektivität nicht in dem Maße wie beim unabhängigen Berater ausgeschbssen werden kann. Gerade an dieser Auflistung ist sehr gut nachvoliziehbar, daß der f r e ibed - che Berater in unserer heutigen Planungspraxk noch brauchbar ist. Und das ist er selbstverständlich nur, wenn diese Punkte von ihm verantwortungsvoll wahrgenommen werden können. Ohne mich in weiteren Einzelheiten zu erge- hen, kann aus dem bi ier Dargelegten folgendes Fazit gezogen werden: Es besteht ein geseikhaftücher und privater Planungsbedarf. Standesregeln verdanken sich nicht der Anmaßung einer sich überschätzenden Berufsgruppe; vieimehr haben diese Regeln ihre objektive Grundlage in den Interessen der Beratung suchenden Bauherren. Durch Arbeitsteilung und Bürokratisierung und die dabei verlorengehende Gesamtübersicht entsteht eine unbewußt ver- antwortungslose Gesekhaft (manchmal auch bewußt). Der unabhängige Be- ratende Ingenieur könnte hier zu einem notwendigen Korrektiv werden. I Das alles sind Idealanforderungen, über die man auch mit Brecht sagen muß: "Doch die VerhäItnisse, die sind nicht soH. Das spricht aber nicht gegen solche Regeln zur Strukturierung der Veranhwrtung, denn womit sollte man messen, Standesregeln im Xampf um Honorare 101 102 Heinz Jungmann 3. Die Gefährdung der Institution "unabhängige Beratungn 3.1 Unvermeidliche Spezialisierung u n k w b t den Kir verantwortliches Handeln notwendigen konstitutiven Uberblick Weil sich alles in unserer Zeit außerordentlich schnell wandelt und sich im Wandel ständig weiter differenziert, wird Weiterbildung notwendig, ist aber nur bei gleichzeitigem Setzen von Schwerpunkten möglich. Aile Mitarbeiter des Büros müssen ein ausreichendes gemeinsames Breitenwissen haben, und darüber hinaus muß jeder einzelne noch ein Spezialist einer notwendigen Fachrichtung sein. Das ist für den Einzelkämpfer eine ungeheure Belastung, die er nur durch zunehmende Spezialisierung oder durch Verzicht auf Tiefe tragbar machen kann. Das bedeutet aber schon für ein Beratungsunternehmen Teamarbeit ohne institutionelle Hierarchie, die allerdings wieder zu einer fachlichen Hierarchie führen kann. 32 Preiswettbewerb ohne Leistungswettbewerb gefährdet die unabhängige Planung Die Schwankungen der Konjunktur werden den Freiberufler wie alle anderen dazu veranlassen, sich anzupassen. Es kommt aber sehr darauf an, wie er das tut. Weil er nicht von der Luft leben kann, versucht er, sich durch Preisunter- bietungen Vorteile zu verschaffen. Ein "Statiker" ohne Mitarbeiter wird - je nach persönlichen Ansprüchen - mehr oder weniger lang mit Mini-Honoraren auskommen. Derjenige, der sich der Einsicht gebeugt hat, sich und seine An- gestellten zu Spezialisten ausbilden und das Spezialwissen koordinieren zu müssen, ist bei derzeit 80 % Lohnkosten von den Gesamtkosten (und unter den Bedingungen der Tarifabschliisse) vor die Alternative gestellt, Mitarbeiter "freizusetzen" oder, was aus diesem Grund schon lange gang und gäbe ist. von vornherein gleich mit Freigesetzten oder - wie man auch sagt - mit freien Mit- arbeitern zu arbeiten. Das ist sowohl gesellschaftlich wie arbeitstechnisch nicht optimal. Wenn ein Beratender Ingenieur erst einmal gezwungen ist, Preise nicht mehr im Verhältnis zur Leistung abzuschließen, und dann die Leistung durch Weglassen wichtiger Details dem Preis anpaßt und darauf hofft, daß es keiner merkt, schadet er damit nicht nur sich selbst und dem Bauherrn, son- dern auch seiner Berufsgruppe. 1 3 3 Ausschreibung geistiger Leistung Die Gesellschaft tut nichts, um den Beratenden Ingenieur zu fordern. Frei- händige Vergabe aufgrund einer Auseinandersetzung von zwei kompetenten Fachleuten über die Konstruktion eines Tragwerks z. B., gemeinsam mit allen, die es durch ihre Planung am meisten beeinflussen, wäre das, was ich oben ais transparentes Vertrauen bezeichnet habe. Das geschieht aber so gut wie nie. Was geschieht, sieht wie folgt aus: Die Planungsleistung wird ausgeschrieben wie eine Lieferung. Es findet ein Preiswettbewerb statt, wo ein Leistungswett- bewerb stattfinden sollte. Eine Leistung zu beurteilen ist schwer; zu sehen, daß drei Mark mehr sind als eine, ist einfach. Augenwischerei ist es jedoch, Planer gleicher Qualität angefordert zu haben, denn Qualität zu beurteilen, ist noch schwieriger. Man könnte, überspitzt formuliert, auch den Preis vom Bauherrn aus festlegen, aile, die dafür arbeiten wollen, einladen, jeden ein Lied singen lassen, und demjenigen, der nach Meinung der Vergabekommission am schon- sten gesungen hat, den Auftrag erteilen. Die Trefferquote für die Qualität des Planungsablaufes und des Bauwerkes wäre wohl genauso hoch wie bei einer Ausschreibung. 3.4 Den Preisdiktaten staatlicher und mächtiger privater Auftraggeber ist der unabhängige Berater nicht gewachsen I Standesregeln im Xampf um Honorare 103 3.4.1 Verträge nach der HOAI mit den Behörden Die Musterverträge richten sich nach der Struktur der Honorarordnung. Sie enthalten Leerstellen, die der Ausfüliung bei Vertragsabschluß harren. Am Anfang geht es immer um die Einordnung des Gebäudes in die richtige Ho- norarzone. Schon das ist häufig nicht ganz einfach, aber noch einigermaßen widerspruchsfrei lösbar. Die Zoneneinteilung ist so aufgebaut, daß jede Zone ' einen Verhandlungsspielraum zur Anpassung an den konkreten Einzelfall be- sitzt, und der jeweils höchste Honorarsatz der niedrigeren Zone identisch ist mit dem niedrigsten Satz der nächst höheren Zone. Für jeden unbefangenen Betrachter wird der Vorteil einer stufenlosen Einordbarkeit klar erkenntlich. Aber eine Verordnung seitens der Auftraggeber, die da sagt: "Normaisatz ist jeweils der Mindestsatz", stört diese Intention der Honorarordnung. Der Grund für dieses Verfahren liegt meines Erachtens einzig darin, da6 eine wirklich sachliche Anpassung an die individuellen Erfordernisse sehr viel Fachkompetenz übergreifender Art erfordert. Die ist zu wenig vorhanden, also P04 Heinz Jungmann ersetzt man sie durch eingeschränkte Verhandlungsspielräume. Verständlich, aber ändenmgswürdig. Verständlich, weil jemand, der jahrzehntelang ver- dienstvoll, aber eiuzig und dein auf dem Gebiet des Vertragsrechtes gearbei- tet hat, nicht wissen kann, welcher Aufwand gerade für diese Aufgabe notwen- dig und sinnvoll ist. Das gleiche gilt umgekehrt für den versierten Planer. Man kennt die Probleme der Partner zu wenig, um sie überschauen zu können, und das ist der Grund für mehr oder weniger ungesundes Mißtrauen. Das Ergeb- nis ist das, was ich als unbewußte Verantwortungslosigkeit bezeichnet habe. Besonders risikoreich für die Existenz freiberuflicher Bauberatung ist die Doppelfunktion des Staates. Er ist einmal Hoheitsträger und verabschiedet Gesetze und Verordnungen über Honorare und Leistungen, bei denen zwar Anhörungen der Betroffenen stattfinden, aber weil er außerdem in seiner Funktion als Auftraggeber an niedrigen (oft nicht leistungsgerechten) Honora- ren interessiert ist, gerät er in ein echtes Dilemma, aus dem ihn auch noch so kompetente Fachleute nicht befreien können. 3.4.2 Vertrage nach der HOAI mit Baugesellschaften um! Firmen (Prinzip: Mit Pauschalverträgen geplante Kosten durch Ubertragung d e r Risiken auf den Auftragnehmer einhalten) Hierbei ist die Wunschvorsieilung, durch feste Kosten alle hderungen der Planung fhmiell auhfangen, wobei niemand außer dem Betroffenen die Änderungen registriert. Sie zur Sprache zu bringen, erfordert sehr viel Mut, denn das Füsiko, als Querulant zu erscheinen, ist hoch. Das Ergebnis ist aber häufig schlechtere Arbeitsqualität oder Ruin der Berater, d e ~ auf die Dauer kann niemand ohne Kostendeckung arbeiten. Einschränkend ist jedoch zu sagen, dal3 zum Vertragdschluß immer zwei Partner gehören. Die Beurteilung des Aufwandes ist häufig nicht einfach, und die Planung des Planem, die eine wesentliche Grundlage fiir Honorarent- Scheidungen sein könnte, findet in den meisten Fällen nicht im notwendigen Detfierungsgrad statt. Die Höhe von Honoraren kann durch die Systematik des Leistungsbemges in der Honorarordnung durchschaubar und nachvoll- ziehbar gemacht werden. Pauschalierung und Honorar-Rabatte erfüllen diese Bedingung nicht. Sie erwecken nur falsche Eindrücke. Beratende Ingenieure VBI nehmen keine Rabatte und sollten auch keine bei Honoraren geben, son- dern fachgerecht, d. h. aufwandadäquat vereinbaren. StandesregeZn im Kiunpf um Honorare 105 3.5 Planungskonkurrenz durch den Staat und durch seine nebenstigen Diener Hierüber möchte ich hier nur soviel sagen: Die Hauptaufgabe kompetenter Staatsdiener solite es sein, vorwiegend öffentlich-rechtliche Funktionen in Überwachung, Kontrolle und Lehre auszuüben, weniger dagegen, selber m planen. Das Resümee des Kapitels 3 ist sehr widersprüchlich. Die Institution des un- abhängigen Beratenden ingenieurs ist objektiv erforderlich, aber durch wirt- schaftliche Macht und die politischen Strukturen des Baumarktes und der Bauverwaltung gefährdet. Die Verwissenschaftlichung des Bauens und der damit verbundene SpeAiskrungsprozeß verstärkt diese Problemlage noch nisätztich. 4. Plädoyer fiir eine Bestandsichemng der Institution Bera- tender Ingenieur und Vorschläge für eine solche Bestands- sicherung Dieses Problem muß so bald wie möglich durchschaubar gelöst werden, weil sonst verantwortliches Handeln ganz unmöglich wird. Obwohl ich den Ein- druck habe, daß sehr viele Probleme der Menschheit von jeder Generation angeknabbert und für die nächste liegengelassen werden, möchte ich zu die- sem Thema noch kurz einige Überlegungen vortragen. 4.1 Planen und Bauen können nur kollektiv geschehen In der öffentlichen Auseinandersetzung über Mängel des Bauens und der Langsamkeit des Genehmigungsvorganges sowie den häufigen Baukostenüber- schreitungen befinden wir uns mitten im Bereich der Verantwortung gegen- über der Geseilschaft und damit auch im Bereich der Politik. Man darf nicht lange nach Verantwortlichen suchen, sondern muß sie sehr schneil finden. Man findet sie auch sehr schneil, denn außer dem Architekten und der Be- hörde ist in der breiten Öffentlichkeit ja niemand bekannt, also muß der Schukiige unter den öffentlich behmtea Personen gefunden werden, weil sonst das Standgericht nicht m e d i e n g e d wird. 106 Heinz Jungmann Wie ich schon mehrfach betont habe, ist aber das Baugeschehen von heute ein sehr komplexer Prozeß der Entscheidungsfindung. Angesichts der vielen Teil- entscheidungen der Einzeldisziplinen und der Tatsache, daß man, je spezieller man arbeitet, umso weniger das Gesamtsystem überschaut, wird die Unver- träglichkeit der Eilentscheidungen entweder zu spät oder gar nicht erkannt. Nehmen Sie als Beispiel eine "sehr eilige" Industriehalle. Die Berechnung be- ginnt beim Dach. Die Last wird zusammengestellt, und dann liest man: "Nachweis der Trapezbleche durch die Lieferfirma". Die nächste Position ist der Binder, auf dem die Bleche liegen, er ist vorgespannt. Wieder: "Nachweis durch die Lieferfirma". Die Stütze, auf der der Binder liegt, und das Funda- ment sind nachgewiesen. Die Außenwand der Halle ist aus Gasschaumbeton: "Nachweis durch die Lieferfirma". AUe wesentlichen Teile der Halle sind nicht nachgewiesen, aber es wird eine Teilbaugenehmigung für die Herstellung der Fundamente angestrebt. Gerade durch eine solche Organisation werden Ko- sten hervorgerufen, die oft sehr hoch, aber nicht dokumentiert sind. Was do- kumentiert wird, sind die Folgeschäden. Das ist mit Sicherheit alles beeinfiußbar, wenn man mit mehr System arbeiten würde. Systematik vorzuschlagen, ist natürlich typisch für einen Ingenieur. Nur wenige verstehen, daß Ingenieure unter einem System ein Produkt menschli- chen Geistes verstehen, welches in definierten Grenzen brauchbare und prüf- bare Ergebnisse liefert. Sind die Ergebnisse nicht brauchbar, dann kann das am System liegen, weil es z, B. für einen bestimmten Fall nicht brauchbar war. Die Verantwortung ist bei solcher Arbeitsweise atomisiert und nicht einmal mit der Lupe erkennbar. Die Knoten im Verantwortugsnetz sind keine Kno- ten, sondern nicht erkannte Zwischenräume. 4 2 EinzeivorschBge zur Bestandsskhening der Institution Beratender Ingenieur, zur Arbeitsteilung und zur Verantwortung beim Plonen und Bauen These 1: Vieles spricht für die Notwendigkeit des freibemfrichen Einzelbera- ters. Er ist gezwungen, sich den Wandungsprozessen ungeschützt zu steilen, sie eigenverantwortlich mitzugestalten - unter ail den damit verbundenen Risi- ken. Die Geschichte unseres Berufsverbandes zeigt eindrucksvoll, daß freibe- rufliche Berater immer dann hervortragen, wenn sich Wandungen vollzogen, auf die niemand vorbereitet war. Als am Anfang dieses Jahrhunderts die Elektrifizierung in Europa anlief, waren die meisten Mitglieder unseres Ver- bandes Starkstromingenieure; nach dem Krieg waren es verständlicherweise Standesregeln im Kampf um Honorare 107 Bauingenieure; im Augenblick verlagert sich der Schwerpunkt in Richtung Umwelt-Technik und verantwortliche Prozess-Steuerung. These 2: Vieles spricht auch für die Notwendigkeit des freiberuflichen Einzel- beraters. Hier liegt also der Nachdruck auf dem einzelnen, denn ich bin der Überzeugung, daß Verantwortung nur vom einzeinen übernommen werden kann. Kollektive können nur durch Arbeitsorganisation wirksam werden. Vielleicht ist in Zukunft kollektive Verantwortung zu praktizieren, wenn man eine Arbeitsorganisation fachübergreifender Art anstrebt, in der es möglich ist, gemeinsam ohne aktuellen Handlungsdruck vergangene Objekte zu sezie- ren und zu beurteilen, um so Grundlagen kollektiver Verantwortung über- haupt zu schaffen. I Ich stelle folgende Thesen zur Diskussion: (1) Da Bauplanung und Bauausführung in Zukunft noch schnellerem Wandel unterliegen werden, der noch mehr Spezialwissen erforderlich macht, ist es notwendig, Leistungsbereiche mit den dazugehörigen Forderungen genauer zu definieren und genauer zuzuordnen. (2) Zur Übernahme von Verantwortung ist es aber auch dringend erforderlich, die gegenseitige Abhangigkeit der Einzelplaner in ein System zu bringen. (3) Diese Zusammenhänge wandeln sich inhaltlich von Aufgabe zu Aufgabe und von Jahr zu Jahr. Die Vereinbarung muß also stets neu und stets für einen konkreten Fall geschiossen werden. (4) An dieser Planung müssen von Anfang an aile Grunddisziplinen beteiligt sein. Die Ausarbeitungen sollten auch mitdenkenden Laien verständlich sein. Meine Lieblingsvokabel für das, was entstehen sollte, ist "Transparenz der Verantwortlichkeitw. (5) Diese Transparenz sollte auch innerbetrieblich zum Mitarbeiter hin auf das Verhältnis Anweisung zu Ausfiihning ausgedehnt werden. Auch der Mit- arbeiter des Beratenden Ingenieurs sollte also klar definierte Verant- wortlichkeiten übertragen bekommen. (6) Die auf diese Weise sorgsam ausgemhrte Planung kann trotz d e m Fehler enthalten. Deshalb ist sie von einem ebenso aufgebauten Planungsteam zu überprüfen. Diese Überprüfmg ist als Auseinandersetzung zweier gleichwerti- ger Partner zur gemeinsamen Verbesserang der Sache anzusehen. 108 Heinz Jungmann (7) Um die Unabhängigkeit so gut wie möglich zu erhalten, werden die je- weiligen Planungsteams wechselweise in immer anderer Partnerschaft, jeweils zur Hälfte in der Planung und der Überprüfung von Planungen, eingesetzt. Denn wer die Entstehung von Planungen nicht miterlebt, kann nicht fachge- recht kontrollieren und umgekehrt. (8) Auch die Planungsstäbe der öffentlichen Verwaltungen arbeiten zu den gleichen Bedingungen (auch den Honoraren) in diesem System mit. Lediglich im Kontrollteam muß die Verwaltung immer vertreten sein, weil nur sie allein in der Lage ist, die für die Gesellschaft wichtigen Forderungen der kontrollie- renden Seite (falls sie überhaupt noch auftreten!) auch durchsetzen zu können. (9) Die Verantwortung, im konkreten Falle die Haftung, wird - wenn nicht ganz eindeutige Verhältnisse vorliegen - gemeinsam von allen Partnern, sowohl von den Planenden wie Kontrollierenden, übernommen, wobei die Haftung jedes einzelnen auf einen festen Betrag im Einzelfall je nach Risiko begrenzt wird. Also eine Partnerschaft mit begrenzter Haftung, statt einer ein- zigen Planungsgesellschaft mit begrenzter Haftung. (10) Diese Organisationsform in der notwendigen interdisziplinären Zu- sammensetzung scheint mir zur flexiblen Bearbeitung vernetzter Aufga- benstellungen am geeignetsten. Die Anzahl der notwendigen Fachdisziplinen und eventuell punktuell einsetzbarer Spezialisten kann der jeweiligen Aufgabe angepaßt werden. (11) Die Verantwortlichen im Team sind Personen, an die die Forderungen zu stellen wären, wie sie der VBI an seine Mitglieder stellt, soweit es ihre fachli- che Kompetenz betrifft. Darüber hinaus sollten sie für die Teamarbeit fol- gende Eigenschaften mitbringen: - Bereitschaft zu kooperativer Arbeit, - geistige Bewegiichkeit, - kontroliierte Kreativität, - Standvermögen (den eigenen Standpunkt nicht leichtfertig aufgeben), - Kompromißbereitschaft (Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen), - Kritikfähigkeit, - Bereitschaft, Kritik zu ertragen, - Fairneß (sich nicht in den Vordergrund drängen wollen, Ergebnisse der Teamarbeit nicht als eigene Leistung verkaufen u.ä.), - Lernbereitschaft und Lernfähigkeit. Standesregeln W Kampf um Honorare 109 (12) Es kann sein, daß einige dieser Überlegungen M Interesse notwendiger Geheimhaltung zur Erhaltung des wirtschaftlichen Erfolges von Einzelunter- nehmen oder zur Wahrung berechtigter staatlicher Interessen in bezug auf be- stimmte Aufgaben nicht voll durchführbar sind. Aber das halte ich auch für einbaubar. Auch dieses 12-Punkte-Programm ist nicht vollständig. Aber eines scheint es mir klar rn verdeutlichen: eine Einzelperson ist solchen Aufgaben nicht ge- wachsen. Es gibt einen Vorschlag rn der Bauordnung 2000, der genau diese zentrale privilegierte Einzelperson vorgesehen hat. Es muß sich sicher um die Bauordnung 2000 V. Chr. handeln. Privilegien in diesem Sinne sind für Zu- kunftsplanungen unbrauchbar. Oder geht es um die Wahrung rn eng gesehe- ner Besitzstände einzeiuer Berufsgruppen, die nicht mehr in der Lage sind, die erforderlichen Gesamtleistungen zu erbringen? D ~ M was sagt Tucholsky so treffend über die Zentrale: "Die Zentrale weiß des besser, hat den uner- schütterlichen Glauben an die Übersicht, ist eine Kleinigkeit unfehlbarer als der Papst und hat eine Hauptsorge, nämlich Zentrale zu bleiben." DIE GESELLSCHAFTLICHE UND POLITISCHE VERANTWORTUNG DER TECHNISCHEN INTELLIGENZ Hans-Paul Bahrdt 1. Vorbemerkung Die Thema-Formulierung sagt sich so leicht hin. Es ist ja einleuchtend, daß diejenigen, die über die moderne technische Entwicklung von ihrer Ausbil- dung und ihrer BerufsausÜbung her besser Bescheid wissen als andere und die in ihrem Beruf ja wesentlich an dieser Entwicklung beteiligt sind, auch eine besondere Verantwortung haben. Aber wer ist eigentlich diese Technische Intelligenz? Wer gehört dazu? Han- delt es sich überhaupt um eine "Gruppe", um ein "Kollektiv", das man als Gan- zes ansprechen kann, oder gar um eine "soziale Schicht"? Um was für eine Verantwortung handelt es sich da? Steht dahinter eine spezielle Moral, etwa eine "Standesmoral"? Darf es so etwas eigentlich in unserer demokratischen Gesellschaft geben? Andererseits, mnß man nicht bestimmten Personen, die Fachkompetenz in einem bestimmten Bereich besitzen, auch eine gewisse formale oder informale Zuständigkeit zuweisen? Falls ja, welche Chancen ha- 112 Hans Paul Bahrdt ben sie, diese auch wahrzunehmen? Kann man diese Chancen, die ja auch wieder Voraussetzung für die Übernahme von Verantwortung sind, als Auto- rität, als Einfiuß oder gar als Macht definieren? Ich will zunächst einige allgemeine Bemerkungen darüber machen, was man unter einer "naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz" soziologisch zu ver- stehen hat. Es ist meines Erachtens zweckmäßiger, nicht nur von technischer, sondern von naturwissenschaftlich-technischer Intelligenz zu reden. Sodann soll von einigen Eigenschaften der Mitglieder dieses Personenkreises die Rede sein, die für einen Einfluß auf das Gesamtgeschehen in der Gesell- schaft, insbesondere auf das der Politik, relevant sind. Anders ausgedrückt: Es soll von Chancen und Handicaps der Experten (d.h. gehobenen Spezialisten) im Medium der Öffentlichkeit und im politischen Raum die Rede sein. In die- sem Zusammenhang muß einiges gesagt werden über die Rolle der Experten in einer modernen Demokratie, nämlich inwiefern sie unentbehrlich sind und wie sie dadurch Macht erlangen können, aber auch über die typischen Ineffek- tivitäten und Konflikte, welche die Interaktionen zwischen den offiziellen Trä- gern der politischen Macht (einschließlich der Verwaltung) und Experten kennzeichnen. Zuletzt sollen einige Überlegungen darüber angestellt werden, ob und wie die besonderen Fachke~tnisse bei diesen Experten in einer Demokratie besser für die Allgemeinheit genutzt werden könnten, ohne daß es zu technokrati- schen Verformungen kommt, welche die Demokratie zersetzen würden. 2. Die naturwissenschaftlich-technische Intelligenz als soziale Gruppe Sprechen wir von der "naturwissensch&ch-technischen Intelligenz", dann wissen wir auf Anhieb in etwa, mit was für Menschen wir es hier zu tun haben. Sicherlich denken wir in erster Linie an Absolventen eines Hochschulstudiums in einem naturwissenschaftlichen oder technologischen Studiengang, also z.B. an Diplomingenieure, Chemiker, Physiker, Biologen. Zugleich unterstellen wir aber auch, daß sie in ihrer Berufsausübung etwas mit der Anwendung moder- ner Technik zu tun haben. Da könnten schon einige Fragen entstehen, z.B. ob wir Lehrpersonen, etwa Biologielehrer an Gymnasien oder Professoren für Theoretische Physik an Universitäten, die halbe Philosophen sind, mit dazu rechnen sollen. Sicherlich gehören die Bauingenieure dazu. Aber wie steht es mit dem Architekten? Wie stuft er sich selbst ein? Mancher Architekt versteht sich eher als Künstler. Auch könnte man fragen, wie Absolventen von Fach- hochschulen zuzuordnen seien. Ohne Zweifel erreichen viele von ihnen ähnli- che Berufspositionen wie Diplomingenieure. Andererseits steilt sowohl ihre Ausbildung als auch ihre Berufsausübung eine Übergangsstufe zu Berufen dar, für die es sich zwar lohnt, intelligent zu sein, aber doch vielleicht in einem et- was anderen Sinn, als es in der Wissenschaft verlangt und eingeübt wird. Jeder Ingenieur lernt ja auch die Umsicht, die Erfahrung und den Verstand eines alten Werkmeisters zu respektieren. Aber diese beruhen auf einer etwas ande- ren Grundlage als die eigene Kompetenz. D.h. es kommt bei der soziologi- schen Abgrenning der "Intelligenz" als eines Personenkreises nicht auf die Höhe der Intelligenz als eines geistigen Vermögens an, wohl aber auf die Art, wie dieses Vermögen erworben wird und funktioniert. Es kommt hier nicht darauf an, jetzt aiie diese Fragen zu entscheiden, - das müßte man, wenn man den Begriff der "na~~senschaftlich-technischen In- telligenz" für eine empirische Erhebung operationaiisieren will - sondern nur darauf, festzuhalten, daß es offenbar fließende Übergänge gibt. Das liegt an der Sache selbst. Die nahirwissenschaftlich-technische Intelligenz hat offene Grenzen. Wichtig ist hierbei: Die Angehörigen der technischen Intelligenz grenzen sich ja selbst im allgemeinen nicht deutlich gegen Nachbargruppen in der Geseiischaft ab. Sie bilden weder eine eigene Großgruppe, zu der mehr oder weniger aile Angehörigen der naturwissenschaftlich-technischen In- teiligenz gehören. Sie bilden auch nicht eine eigene soziale Schicht oder gar eine Klasse oder einen Stand. Natürlich gibt es Berufsverbände (wie den VDI), aber diese umfassen stets nur Teilgruppen. Außerdem handelt es sich hier um Gruppierungen mit begrenztem, partikularem, für die Gesamt- Personen nicht a h bedeutsamem Engagement. Unter einer "sozialen Schicht" sollte man aber nicht nur einen Sortier-Begriff verstehen, unter den ein von außen herankommender Beobachter die Träger von gemeinsamen Eigenschaften nisammenfafit, sondern ein Stück sozialer Realität, ein Gebilde, das durch soziales Verhalten und Interagieren entsteht. Worauf es ankommt ist, wie sich die Mtgiieder einer Gesellschaft selbst schichten, bzw. voneinander abdichten. Diese von der Gesellschaft vollzo- gene Abschichtung (an der nicht nur die jeweih unmittelbar Betroffenen mit- wirken, sondern auch die jeweils an- die dann ihrerseits sich selbst einer anderen Schichi zurechnen b. ihr a a p t x h e t werden) hat stets etwas mit allgemeinen Vorstellungen über 'oben' und "unten" bzw. "höher" und 'niedri- ger" zu tun. Diese "Abschichtung' der Gesebchaft kann in sehr lockerer Form Die Veraniwonimg der technischen Intelligent 1W 114 Hans Paul Bahrdt geschehen, wobei fließende Übergänge eine große Bedeutung haben, oder auch rigide und einschneidend wie bei manchen sozialen Klassen in antagoni- stischen Gesekhaften oder bei Ständen, die stets genau wissen wollen, wer dazu gehört und wer nicht, und die meist Initiations- und Ausstoßungsrituale besitzen. Auch soziaie Schichten, die eine lockere Struktur haben, sind so etwas wie ein soziales Gebilde. Man kann oft nicht von einer Großgruppe mit explizitem Wir-Bewußtsein sprechen. Aber es bildet sich doch so etwas wie ein sozialer Binnenraum aus, in dem man sich auf vertrautem Boden bewegt, in dem ge- wisse Regeln herrschen, die in die Verhaltenserwartungen im Alltag eingehen. Es bildet sich so etwas wie eine gemeinsame schichtspezifische Teilkultur aus, die eine schnellere und intensivere Verständigung ermöglicht. Auf jeden Fall kann man damit rechnen, daß die Interaktionspartner über ähnliches Ein- kommen, ähniiche Gewohnheiten und Erfahrungen und einen ähnlichen Lebensstil verfügen, vielleicht auch über ähnliche Interessen. Es ist kein Wunder, dai3 man seine Ehepartner oft in derselben Schicht findet, innerhalb derer auch ein großer Teil der Geselligkeit stattfindet. Jenseits der Grenzen dieses Binnenraums bewegt man sich allerdings sehr oft. In vielen Berufen unserer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der es viele Großbe- triebe und Arbeitsstätten mit Kundenverkehr gibt, kommen zahlreiche Men- schen während der Arbeit ständig mit Angehörigen anderer sozialer Schichten in Berührung. Ob man nun an Vorgesetzte im Industriebetrieb denkt oder an die Kontakte zwischen Architekten und Bauingenieuren mit Bauarbeitern oder an den Keliner in einem vornehmen Hotel: Überall kommt es zu dauerhaften alltäglichen Interaktionen über die Schichtgrenzen hinweg. Da in unserer Gesellschaft sich die Schichtzuweisung in erster Linie an den Zugehörigkeiten zu Positionen in der Berufshierarchie orientiert (das ist kei- neswegs in d e n Ge.se-ystemen so), entsteht oft eine schwer zu beaat- wortende Frage: Ist es der Beruf, der die Schichtzugehörigkeit festlegt? Oder ist es die Schichtzugehörigkeit, die die Berufschancen eröffnet und dh Benifs- position dann auch im Aiitag abstützt? Oder gibt es auch Widersprkb zwi- schen Bemfsposition und Plazierung in der Schichtungspyramide? Will man der natmnschaftlich-technischen Intelligenz einen Platz in der Schichtungspyramide zuweisen, so wird man weiterhin berücksichtigen, daß in unserer Gesellschaft Schichtungsgrenzen sehr an Schärfe verloren haben (nicht zuletzt auch durch die relativ häufig gegebenen Aufstiegschancen in den letzten Jahrzehnten), was bedeutet, daß viele Menschen im "Laufe" ihres Le- I wo die Grenzen liegen, ist undeutlich. Manchmal möchte man eher von einem Stufenkontinuum reden als von Schichten. Einen eigenen Platz nimmt die naturwissenschaftlich-technische Intelligenz je- denfalls in der inzwischen abgeblaßten Schichtungspyramide nicht ein. Man wird eher von der "Intelligenz" insgesamt als einer sozialen Schicht reden kön- nen, zu der alle "Intelligenz"-Bede gehören. Zwar ist die Zuordnung zu ei- nem der üblichen Schichtungsmodelle auch dann nicht leicht. Aber man wird sagen dürfen, daß die Intelligenz nach ihrem Selbstverständnis und gemäß der Fremdeinschätning in ihrer großen Mehrheit einen Teil der gehobenen Mit- teischicht darstellt. Einigen Intelligenzlern gelingt der Aufstieg in die Ober- schicht: Aber meistens haben sie einen großen Teil ihres Lebens im Mittel- schichtbereich verbracht und sind dadurch geprägt. Natürlich gibt es auch a b gesunkene Intelligenzler. Der alte Begriff des "akademischen Proletariats" be- zeichnet heute angesichts der Arbeitsmarktlage zunehmend wieder ein Stück Realität. Zu der gehobenen Mittelschicht gehören nicht nur Akademiker. Aber letztere haben doch ein eigenes Gepräge, das sie von mittelständischen Geschäftsleu- ten und Großbauern abhebt. Sie haben ähnliche und zwar sehr lange Ausbil- dungswege hinter sich, die auch ihre alltäglichen Orientierungsweisen, Kom- munikationsformen und Bewertungen beeinfiussen, ihnen aber auch gewisse Schwächen in der Praxis des Lebens vermitteln. Obwohl die berufsbezogenen Ausbildungsgänge sich immer mehr speaalisieren und voneinander abschotten und obwohl eine zunehmende Verunsicherung darüber eingetreten ist, was heute unter der Allgemeinbildung des Gebildeten zu verstehen ist, sind doch die Reste dieser Aiigemeinbildung immer noch ein verbindendes Element. Man sollte dies nicht beuchein oder unterschätzen. Es hat schon seinen Grund, wenn wir Kollegen schätzen, weil sie weder Fachbanausen noch Bil- dungsphilister sind. Bei der Selbst- und Fremdeinschätmg von Personen als "Intelligenzler" ist jedenfalls ein Doppelaspekt wichtig: Eine wisseafchaftlich oder wissenSchaftsähnlich begründbare Berufskompetenz, die in der Regel durch ein Studium erworben wird, imd eine Art von AUgemeinbildung, die sich nur um die Benifskompetenz herum lagert, aber heute sehr schwer Minierbar ist, weil es ao einem verbindlichen Bildmghnon für "Gebildete' fehlt. Eine, Die Verantwortung der technischen Intelligenz 115 bens ihren Schichtstatus wechseln und daß es sehr oft unmöglich ist, eine ganze Familie ein- und derselben sozialen Schicht zuzurechnen. Deren Zu- sammenhalt stört dies aber meist nicht sehr. Ferner muß man die Einkom- memamäherung (nicht Nivellierung) zwischen Mittel- und Unterschicht im Auge behalten, die ja auch eine Annäherung der Lebensstile mit sich gebracht hat. Zwar entdeckt man immer noch ein deutliches "Oben" und "Unten". Aber 116 Hans Paul Bahrdt allerdings schon äitere deutsche Besonderheit: Politische Bildung gilt nicht als obligatorisch. Man kann bei uns politisch völlig ahnungslos sein (oder gar auf Abwege geraten), ohne daß dies dem Ruf, ein gebildeter Mensch zu sein, ab- träglich ist. Das ist wichtig für unser Thema. Obwohl die jeweiligen Studiengänge und Berufskompetenzen stark speziali- siert sind, obwohl es also bei vielen Fragen kaum Verständigungsmöglichkei- ten zwischen Angehörigen der naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz und Intelligenzlern mit geisteswissenschaftlicher Ausbildung gibt, entstehen hieraus keine sozialen Grenzen, die Bedeutung für Schichtzugehörigkeit ha- ben. Wenn der eine Sohn eines Altphilologen Diplomingenieur wird, der an- dere Biologe, so wird dies den Vater nicht irritieren. Hauptsache, sie schaffen das Examen. Die Familie hat ihren Status gehalten. Wird einer aber Kauf- mann, so hängt es davon ab, wieviel Geld er auf die Länge verdient. Verdient er mehr als der Vater, steigt er gar in das mittlere Management auf, so sind die Eltern auch zufrieden. Interessant ist nun, daß diese doch recht kohärente Gruppe der Intelligenz auch hinsichtlich der Kriterien, welche Klassentheorien zugrundezulegen pfle- gen, sehr heterogen ist. Es gibt sowohl Selbständige wie auch Arbeitnehmer (meist im Angestellten- oder Beamtenstatus). Auch die einzelnen Intelligenz- berufe sind in sich uneinheitlich, wobei es keineswegs selbstverständlich ist, daß die Selbständigen innerhalb dieser Gruppe höher rangieren als die Ar- beitnehmer. Vielleicht ist es der Traum vieler Architekten und Bauingenieure, einmal ein eigenes Büro zu haben. Aber der Stadtbaurat einer Großstadt - zweifelios oft eine Respektperson in diesem Berufsfeld - ist Beamter. Selbstän- dige niedergelassene Ärzte blicken oft auf zu den Chefärzten in Krankenhäu- sern, die ihrerseits Beamte oder Angestellte sind. Die Kohärenz der Intelligenz, aber auch der Rang in der GesellschaEtspyra- mide, hat offenbar etwas zu tun mit der Art und dem Umfang des Wissens, erworben durch Ausbildung (manchmal auch durch familiale Soziaiisation), und der Art, in der lebenslang mit diesem Wissen umgegangen wird, vor allem im Beruf, aber auch außerhalb des Berufs, zum Beispiel auch im Bereich der Politik, insofern der Inteiiigenzler - wie die meisten Staatsbürger - sich nur ne- benbedch bzw. nach Feierabend um Politik kümmert. Auch dies müssen wir im Auge behalten. W ~ M wir von der politischen Verantwortung der naturwis- senschaftlich-technischen Intelligenz reden, dann handelt es sich um die Ver- anhvortung eines Personenkreises, dessen Mitglieder sich zum größten Teil nur nach Feierabend ausdrücklich um Politik kümmern können, deren berufli- ches Tun meist nur indirekt, jedoch oft recht viel mit politischem Geschehen Die Verantworhcng der technischen Intelligenz 117 zu tun hat. Anders ausgedrückt: Sie handeln im Beruf selten politisch, tun aber vieles, was politisch relevant ist. I 3. Wissen und gesellschaftliche Macht Die Einsicht, daß wir es hier mit einem Personenkreis m tun haben, der so etwas wie eine soziale Schicht darstellt, deren Existenz sich nicht aus dem je- weiligen Verhältnis zu den Produktionsmitteln herleitet, sondern aus der Verfügung über Wissen und dem Umgang mit ihm, impliziert nicht eine Wen- dung zu idealistischer Betrachtungsweise. Es ist vielmehr möglich und am Platze, ganz unterkühlt (und teilweise durchaus auch in den Bahnen der her- kömmlichen Klassentheorien) danach zu fragen, ob und in welcher Weise aus Wissen gesellschaftliche und politische Macht fließen kann, freilich auch, ob der gewohnheitsmäßige Umgang mit ziemlich viel Wissen auch Handicap er- zeugen kann, wenn man in Machtauseinandersetningen gerät. Darauf wollen wir unsere nächsten Betrachtungen zuspitzen. Es ließe sich natürlich noch vieles andere zur Soziologie der Intelligenz (bzw. ähnlicher Gruppen wie Prie- sterkasten, Medizinmänner usw.) sagen. Eine Quelle für Macht kann Wissen nur dann sein, wenn es erstens einer Per- son oder einer Gruppe gelingt, ein bestimmtes Wissen m monopolisieren, d.h. wenn es den anderen Menschen nicht möglich ist, solcher luftigen Gebilde wie Gedanken habhaft zu werden, und wenn zweitens bei dem übrigen Teil der Gesellschaft ein Bedarf an Wissen bestimmter Art oder dessen, was man dafür hält, besteht bzw. an der praktischen Nutzung solchen Wissens Interesse exi- stiert. Nebenbei: Es kommt darauf an, daß die übrige Gesellschaft die beson- deren Bewußtseinsbestände für Wissen hält und meint, daß sie sie braucht? Wenn sie 2.B. meint, daß dein der Medizinmann vom Wettergott erfährt, wann dieser es regnen läßt, und diese Kenntnis existenziell bedeutsam ist, dann hat der Medinzinmann real Macht. Er wird diese freilich verlieren, wenn er sich öfter irrt, oder wenn der Stamm in eine Gegend wandert, in der es im- mer genug regnet. Der Umstand, da6 es hier auf die Gel- als Wissen für andere ankommt, ist in der Sazio- logie als 'Th-' beknunt pomlen. 'if men defme situations as real, tbey ac real in their cmscqueacef' (WJ. THOMAS und D.S. THOMAS. The Child in Am&. New York 1928; zit. nach WJ. THOMAS: Pasoa und Sozhivcrhalten. Neuwied I=, S 114) (Anm. d. Hg.). 118 Hans Paul Bahrdt Hier ergibt sich aber nun ein Problem, das nur vordergründig banal ist. Man kann fragen: Wie kann Wissen eine gesellschaftlich praktische Bedeutung ha- ben, wenn es nicht weitergegeben wird? In diesem Augenblick ist es aber kein Monopol mehr. Man kann natürlich leicht darauf antworten, daß es sich bei dem Monopol ja meist nicht um den Inhalt der Einzelaussage handelt, mit der der Intelligenzler sich der Gesellschaft andient, sondern um einen umfassen- den Wissensbestand, vor allem um ein Instrumentarium für die Beschaffung von jeweils aktuellem Einzelwissen. Beides behält er im ganzen weiterhin für sich. Dadurch ist er aber als einziger immer wieder zu aktuellen Einzelaussa- gen befähigt. Aber die Bewahrung dieses umfassenden Wissensmonopols bzw. die Sorge darum, daß die anderen das Wissensmonopol als existent ansehen und re- spektieren, kann durchaus zum Problem für die Intelligenzler werden.Eine ur- alte Methode, dies zu sichern, ist die Geheimhaltung. Die Gruppe der Wissen- den läßt bestimmtes Wissen nicht nach außen dringen, bestraft den Verräter und unterwirft den Novizen einem Initiations-Ritual, in dem er U. a. auch auf die kollektive Schweige-Disziplin eingeschworen wird.Die Aufrechterhaltung der Anerkennung des Wissensmonopols kann auch gestützt werden durch die Zuschreibung charismatischer Eigenschaften: Nur derjenige oder diejenigen, die eine besondere Gemeinschaft mit Gottheiten (bzw. Dämonen) haben, sind in der Lage, das zu wissen, was für d e wichtig ist, so glaubt man. Aiie anderen sind auf den Erleuchteten angewiesen. Interessant ist, daß das Christentum beiden Formen der Sicherung des Wis- sensmonopols für eine bestimmte Gruppe (z.B. für die Geistlichkeit) im Grunde den Boden entzogen hat. Zwar gibt es ein Mysterium, aber dieses My- sterium (wörtlich: Geheimnis) ist ja geoffenbart worden, und zwar potentiell d e n , d.h. den , die sich ihm nicht verschließen. Damit ist es öffentlich und soll noch öffentlicher werden ("Gehet hin in d e Welt und lehret alle Völker!"). Es wird nicht behauptet, daß nur eine bestimmte Gruppe (zB. die der Priester) über ein Charisma verfuge, das diese zum alleinigen Besitzer des Heilwvissens mache. Der Heilige Geist kann alle ergreifen, auch Martha, nicht nur Maria, auch den einfachen Bauern, den früheren Heiden, den Sünder. Dagegen kön- nen Priester, ja auch Bischöfe und Päpste verworfen werden, wie es die mittel- alterlichen Maler bei Darstellung des Jüngsten Gerichts nicht versäumt haben deutlich zu machen. Trotzdem verfugte im Mittelalter die Geistlichkeit aber bekanntlich über große gesellschaftliche und politische Macht, und zwar offensichtlich nicht nur, weil die Kirche großen Grundbesitz angesammelt hatte (dies wäre ja: "Verfü- Die Verantwortung der technischen Intelligenz 119 gung über Produktionsmittel") und Herrschaftsfunktionen im weltlichen Be- reich besaß. Eher müßte man fragen, wie eine Personengruppe, die zunächst weder mit der Handhabung von Waffen noch mit materieller Produktion be- faßt war, zu solcher wirtschaftlicher und politischer Macht gelangen konnte. Dies hangt eben doch mit der besonderen Beziehung zu einem Heilswissen zusammen, das von der gesamten Gesellschaft für unentbehrlich gehalten wurde. Zwar kann auch ein einfacher Mann aus dem Volk ein guter Chriit werden, ja sogar ein Heiliger. Aber bei einer so komplizierten Religion wie dem Christentum, in dem es immer wieder theologische Kontroversen gibt, braucht man auch Fachleute, Experten, Menschen, die durch Ausbildung zu Schriftkundigkeit überhaupt und dann zu Detailwissen über Glaubensfragen, Methoden der Verkündigung und Ablauf und Sinn von Sakramenten und Ri- ten gelangen. So entwickelte sich der Priesterberuf als Hauptberuf. Wer einen anderen Beruf ausüben muß, hat keine Chance, diese Qualifilration zu erwer- Die durch Ausbildung erworbene spezielle Qualiükatinn in Gestalt der Kennt- nis gesellschaftlich wichtigen Heilswissens und &r Methoden des hauptberuf- lichen Umgangs mit ihm im "Betriebn des kirchlichen Lebens (Predigt, Sakra- mentsverwaltung, Gebete, Liturgie, Seelsorge, Taufe, Trauungen, Beerdigun- gen usw.) begründet eine Reihe von Privilegien und schließlich eine Macht, die den Klerus mit den weltlichen Herrschern konkurrieren läßt. H i . kommt, daß der Priesterstand beim Erwerb dieser auf Heilswissen bezogenen Qualifi- kation auch ein Monopol auf Kompetenzen höchst diesseitiger Art erwarb, welche die weltlichen Herrscher unbedingt nutzen wollten, über die sie aber selbst nicht verfügten. Bis ins hohe Mittelalter hinein waren die Kleriker die einzigen Träger einer schriftlichen Kultur. Das Geschaft des Herrschens war aber inzwischen zu kompiiziert geworden, um vrm A n a i p W e n de in bewäl- tigt zu werden. Benötigte man Dokumente, soüten ahe Ge&ze gesammelt und neue überall im Land verkündet werden oder Verträge auq@mdelt und niedergelegt, Botschaften in ein anderes Land mit einer anderen Sprache ge- sandt werden, so blieb nichts anderes übrig, als schreibkundige und des Lat- eins mächtige Kleriker heranzuziehen. Dieser Sicht widerspricht anschemead, d d der Phestcr durch das der Pr*- weihe auch eine sakraie SondmrteUung arllM. Aber es ist kein Wunder, de8 geisdt dige Auffessung v m den Reformetarea bttaapCt niiide. Keim Kathoiik aCiidc i b @ m kshei- t e n , d a 8 a u c h e i n M r d d ~ ~ d t r H a r r e k v c r f a l l e n o d e r i n e n d a a W ~ I B . ~ Laster, aus dem Stand derer, die durch erleuchtet sind, hexadaika hmn. 120 Hans Paul Bahrdt Die Geistlichkeit des Mittelalters ist in vielerlei Hinsicht der Ahnherr der mo- dernen Intelligenz. Mit ihr hat sie soziologi~~h mehr gemein als mit den mei- sten Priesterkasten älterer ZeitAuch für die moderne Intelligenz gilt, daß die für eine quantitativ kleine Gruppe relativ großen Macht- oder wenigstens Ein- flußchancen aus einer faktischen monopolistischen (oder oligopolistischen) Verfugung über gesellschaftlich für wichtig gehaltenes Wissen @zw. Methoden der Wissensbeschaffung) resultieren. Diese Sonderstellung wird weder durch Geheimhaltung noch durch Zuschreibung charismatischer Qualitäten gesi- chert. Das Wissen der modernen Wissenschaft wie auch der technologischen Disziplinen ist prinzipiell öffentlich zugänglich. Tradition und Fortschritt der Wissenschaft bedürfen ja des Kommunikationsmittels der Publikation. An der wissenschaftlichen Öffentlichkeit nimmt zwar nur ein kleiner Teil der Gesell- schaft teil. Aber eine formale Abschottung (etwa durch Geheimhal- tungsvorschriften oder diskriminierende Leseverbote für Abseitsstehende) ist selten und wäre auch s t i~widr i~ .~ Wenn es nun aber doch einen privilegierten Kreis gibt, der über wichtiges Wissen verfügt, das die anderen nicht haben, dann deshalb, weil nur eine Min- derheit Jahre ihres Lebens damit zubringen kann, durch Lernarbeit ein so umfangreiches Wissen anzuhäufen und später bei seiner Anwendung in einem speziellen Beruf zu erweitern bzw. auf dem laufenden zu halten. Dabei kommt es noch zu einem besonderen, nun allerdings ganz modernen Phänomen. In der modernen Gesekhaft wissen alle (nicht nur die Angehörigen der Intelli- genz), daß die gesellschaftlich benötigten Wissensbestände sich ständig erwei- tern und modifizieren, daß Bewußtseinsbestände, die früher einmal als Wissen galten, heute veraltet sind, nicht mehr den erwünschten optimalen Nutzen bringen, ja sich vielleicht als falsch und schädlich erwiesen haben, d.h. kein Wissen mehr sind. Bei demjenigen, an den ich mich wenden will, weil er Be- scheid weiß, möchte ich sicher sein, daß er die letzten Jahre nicht verschlafen hat. Dazu gehört aber, daß er einen Beruf ausübt, der ihm Gelegenheit gibt, neben der Erfüllung vieler aktueller Aufgaben auch up to date zu bleiben. Da- durch erhält das Wissensmonopol des Experten einen dynamischen Charakter. Es wird zu einem Wiensvorsprung in einem Prozeß, in dem die Experten dadurch ihre Sonderstellung bewahren, daß sie ständig neues Wissen erwer- Ansätze zu solchen Entwicklungen kennen wir durchaus: Geheimhaltung von Teilen der In- dustrieforschung und der Rüstungsforschung, Verbannung von Literatur bestimmter Art in Giftschränken in totalitären Staaten. Aber das sind Erscheinungen, die nicht das Gesamtbild der modernen Wissenschaft kennzeichnen. Auch die Industrie und Rüstun@forschung ist auf die "publizierte" Wissenschaft angewiesen. Wo Erscheinungen wie die eben genannten um sich greifen, meldet sich auch stets die Kritik, dies sei für die Entwicklung der Wissen- schaft schädlich, entspräche nicht ihrem Wesen usw. I Die Verantwortung der technischen Intelligenz E1 I ben, während gleichzeitig ein Teil des Expertenwissens von früher bereits in der Schule vermittelt wird. Die Chancen des wissenschaftlich oder technologisch versierten Experten in der modernen Gesellschaft beruhen also in erster Linie darauf, daß er durch Arbeit (meist mehr als ganztägige Arbeit) einen Wisensvorsprung aufrech- terhält, und zwar auf einem Gebiet, das die Geselischaft für wichtig hält. Daß solches besondere Wissen für notwendig gehalten wird, ist weitgehend Kon- sens (anders als vielfach in früheren Zeiten). Dem Experten kommt heute zu- gute, daß jedermann weiß, daß die Menschen dank der Fortschritte der mo- dernen Medizin heute langer leben als früher, daß wir uns ohne technischen Fortschritt M eigenen Land nicht auf dem Weltmarkt behaupten können und daß wir zur Rettung des Waldes der Erkenntnisse der Biologie bedürfen und daß man den kunstgeschichtlich ausgebildeten Denkmalschützer fragen muß, wenn man eine schone gotische Kirche erhalten will. Experten in früheren Zeiten hatten es schwerer. Hofiuden wurden, wenn man sich über sie geärgert hatte, schnell vertrieben. Alchimisten und Goldmacher gerieten rasch ins Ge- fängnis. Das faktische Wissensmonopol unserer Experten wird allerdings auch abge- stützt durch einige institutionelle Vorkehrungen. Man glaubt nicht jedem, der behauptet, etwas Besonderes zu wissen. Er muß schon Diplome, akademische Titel, anerkannte Publikationen in anerkannten Zeitschriften, Fachgutachten usw. vorweisen. Darüber gibt es Regeln, die auch dem Laien, der über die Sa- che selbsi nichts weiß, eine gewisse Orientierung geben. Aus der Tatsache, daß es sich bei dem Expertanwissen in erster Linie um ein durch Arbeit immer neu erworbenes und von anderen Experten überprüftes Wissen handelt, ergibt sich auch, daß es sich relativ häufig bewährt. Der heu- tige Experte kann nicht so leicht für d e sichtbar auf die Nase fallen wie der Regenmacher oder Wunderarzt in früheren Zeiten. 1 4. Die Handicaps für die Ausbildung von Expertenmacht I Aber aus diesem Umstand entstehen auch einige Handicaps. Der Z w q in einer raschen Entwicklung dwch ständige Arbeii up to date zu bleiben, zwingt zur Speziaiisierung. Dh. einmal, da6 die Wlssensbestände, über die die Mit- glieder der I n t e ~ n z verfügen, a ~ r d r i f t e a Gewiß kann &r Soaologe 122 Hans Paul Bahrdt einem Physikerkollegen in einem Rundfunkvortrag beispringen, wenn dieser sich mit physikalischen Argumenten gegen Atomkraftwerke politisch unbeliebt gemacht hat. Aber letztlich kann er zu den eigentlichen Sachfragen nicht mehr sagen, als der Politiker, der den Physiker angegriffen hat. Die interne Auf- spaltung des Monopolwissens der Intelligenzschicht in lauter Spezialismen er- schwert der Gesamtgruppe zweifellos ein gemeinsames politisches Vorgehen, d.h. vermindert die Chancen zur Bildung von Gruppenmacht. Man hat dies in den letzten Jahrzehnten bei vielen Aktionen und Kampagnen immer wieder beobachten können. Der Zwang zu fortlaufender spezialisierter Arbeit ist aber auch für den einzel- nen Experten ein Handicap, wenn er in die Lage kommt, sich an die Öffent- lichkeit zu wenden oder sich in die Politik einzumischen. Es zeigt sich dann er- stens, daß er sehr vieles nicht gelernt hat (dazu hatte er gar nicht die Zeit), was in der Politik gebraucht wird. Zwar kann er damit rechnen, daß man bei bestimmten politischen Fragen (2.B. Umweltproblemen, Kernkraft, Konjunk- turpolitik, Stadtsaniening) schon eher hinhört, wenn ein Fachmann sich zu Wort meldet. Aber politische Probleme sind keine sauber zu definierenden Spezialprobleme einer einzelnen Disziplin, sondern "gemischte Probleme" (man könnte sagen, "unreine" Probleme). Wer in Fragen der Kernkraft als Fachmann etwas politisch Relevantes sagen will, müßte eigentlich nicht nur etwas von Physik verstehen, sondern auch von Wirtschaft. Da ist aber der Phy- siker mögiicherweise blutiger Laie, gerade weil er in seinem Leben sich so viel mit Physik befassen mußte. Man konnte in den letzten 20 Jahren in der Bundesrepublik recht oft beob- achten, daß sich Fachleute der Wissenschaft und Technologie (darunter nicht selten Professoren) auf politisches Terrain begaben. Dabei haben sie aber sehr viel Lehrgeld bezahlt. Dasselbe gilt auch für Angehörige der geistes- wissenschaftiichen Intelligenz, insofern sie sich in der Bildungspolitik oder So- zialpolitik zu Wort gemeldet haben. Die Politologen sollten einmal das politi- sche Schicksal der professoralen "Seiteneinsteiger" untersuchen. Es gab eine ganze Reihe von namhaften Wissenschaftlern, die mit großem Engagement auf der Basis eines politisch wirklich bedeutsamen Wissens in die Berufspolitik überzuwechsein versuchten. Zunächst waren die Parteien aufgeschlossen und boten ihnen hohe Positionen an. Mancher wurde Minister, ohne vorher die Ochsentour des Partei-Berufspolitikers vom Ortsverein einer Partei über Kommunalpolitik und Länderparlament durchlaufen zu müssen. Nach kurzer Zeit aber war die Karriere wieder beendet. Es fehlten die speziell politischen Fertigkeiten, die man nur durch lange Erfahrung erwirbt. Diese Wissen- schaftler verstanden nicht, wie man sich eine Hausmacht erwirbt, wie man an Die Verantwortung der technischen Intelligenz 123 die richtigen Bundesgenossen herankommt und den falschen Bundesgenossen aus dem Weg geht, wie man sich in allgemeinverständlicher Form an die Öf- fentlichkeit wenden kann usw. Mittlerweile nutzte sich auch ihr Fachwissen ab. Schließlich war es verschlissen, denn als Berufspolitiker hatten sie nicht die Chance, wissenschaftlich auf dem letzten Stand zu bleiben. Am besten be- haupteten sich noch die Juristen, denn die Jurisprudenz, auch wenn man sie wissenschaftlich betreibt, vermittelt auch viel instrumentelles Wissen, das un- mittelbar im Aiitag der Politik gebraucht wird, obwohl Politik nicht dasselbe ist wie das Diskutieren und Anwenden von Gesetzen. Dasselbe gilt erst recht fiir jene Vertreter der Inteiiigenzschicht, die Politik nicht zu ihrem Hauptberuf machen können und wollen. J. Schumpeter hat einmal sehr schön dargestellt, daß die Bourgeoisie, obwohl sie im Zeitalter des Hochhpitalismus ohne Zweifel die mächt@te Klasse war, sich bei der Um- setning ihrer Macht in politische Herrschaft sehr schwer tat, und zwar vor al- lem aus einem einfachen Grund: Sie verkörperte ja - eigentlich zum ersten Mal in der Geschichte - eine herrschende Klasse, die nicht eine Mußeklasse war, wie 2.B. der Adel in der Zeit vor der industriellen Revolution. Die mei- sten Angehörigen der Bourgeoisie waren hart arbeitende Geschäftsleute, Un- ternehmer und Manager, die ihre ökonomische Position, die Quelle ihrer Macht war, in dem mörderischen Konkurrenzkampf nur behaupten konnten, wenn sie weiterhin hart arbeiteten. D.h. erst nach Feierabend konnten sie sich der Politik widmen. Und dann befanden sie sich oft nicht mehr auf ihrem höchstmögiichen Ntveau. Da in dieser Zeit erfolgreiche Politik aber von Be- rufspoiitikern getrieben werden mmußte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich Menschen anzuvertrauen, die eigentlich nicht echte Klassengenossen wa- ren (oft waren es Advokaten). Diese zu kontroiüeren, fiel den vielbeschäftig- ten Kapitalisten schwer; und mituuter wurden sie von den Geistern, die sie riefen, abhängig. AU dies gilt in verstärktem Maß für die Angehörigen der Intelligenzschicht. Auch sie können sich der Politik in aller Regel erst nach Feierabend widmen. Und der Arbeitstag ist meist länger als bei anderen Erwerbstätigen. Zwar kann man beobachten, da6 der Anteil der Berufspolitiker und auch der ehren- amtlich politisch Aktiven auf der kommunalen und der Verbandsebene, der ir- gendwie aus den Reihen der Intelligenz kommt, dh. irgendein Studium absol- viert hat, größer ist als hüher (das gilt auch für Nichtjuristen). Jedoch kommt es oft zu einer ungünstigen Selektion. Jeder kennt Beispiele. So mancher Ehr- geizige, der in seinem Fach nicht zur Spitzengnppe gehört, fliichtet in den öffentlichen Raum, spielt den Hans-Dampf in allen Gassen und gelangt schließlich als "Fachmann" in eine wkhtige politische Position. Möglicherweise 124 Hans Paul Bahrdt schadet er aber dort dem Ansehen seiner Zunft, macht jedenfalls nicht die be- ste Figur. Vergleicht man jetzt die naturwissenschaftlich-technische Intelligenz mit der geisteswissenschaftlich-sozialwissenschachen Intelligenz, so muß man fest- stellen, daß die Handicaps bei Naturwissenschaftlern, Ingenieuren (auch Bau- ingenieuren und Architekten) noch größer sind als bei Geistes- und Sozialwis- senschaftlern. Dies hat leicht einsehbare Gründe, die im Inhalt, in typischen Mitteilungsformen und dem Entwicklungsstand der verschiedenen Disziplinen liegen. Es besteht kein Anlaß, daß letztere, also die Geistes- und Sozialwissen- schaftler, sich auf ein hohes Pferd setzen und die Naturwissenschaftler und Techniker zu bevormunden versuchen, wenn es um Politik geht. Natürlich sind manche der Sachverhalte, mit denen sich z.B. Sozialwissen- schaftler und Historiker von Berufs wegen befassen, irgendwie politiknäher. Freilich gibt es auch den Typ des hoffnungslos unpolitischen Historikers und Soziologen (es gibt sogar unpolitische Politologen). Schwer wiegt aber meines Erachtens, daß im Bereich der Naturwissenschaften und Technologie der Grad der Speziaiisierung im allgemeinen höher ist und daß die Abschottungen der Spezialgebiete untereinander meist auch härter sind. Ich weiß nicht genau, ob mein Eindruck hier ganz richtig ist. Aber mir fällt immer wieder auf, daß die Angst vor Grenzüberschreitungen, d.h. die Angst vor einer verbindlichen Aussage auf einem Gebiet, das jenseits des eigenen, ziemlich schmalen Zu- ständigkeitsgebiets liegt, im Bereich der Naturwissenschaften und Technologie größer ist als in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Ursache kann ich nur vermuten. Vielleicht liegt es daran, daß die Standards für Beweiskräftig- keit in den Naturwissenschaften höher sind. Sie basieren auf den größeren Möglichkeiten der Anwendung quantitativer Methoden. Hieraus resultiert die Chance, im eigenen Bereich zwar etwas sehr Genaues zu sagen, während man im unmittelbar benachbarten Areal bereits riskiert, mit einer Behauphmg auf die Nase zu fallen. Dies prägt den Verhaltensstil. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn der Fortschritt der Wissenschaft außerordentlich rasch ist, d.h. wenn der Anteil des Wwns am Gesamtwissen, der in einen Kopf hineingeht, immer kleiner wird, weil das Gesamtwissen an Umfang rasch zunimmt, ande- rerseits es im Charakter der Disziplinen liegt, daß es sich ziemlich genau sagen läßt, wo der augenblickliche Stand der Forschung ist, welche Aussage dem- nach nicht mehr up to date ist. Der einzelne gewöhnt sich dann daran, vorsich- tig zu sein, denn das Risiko ist sehr groß, etwas Falsches zu sagen, wenn man sich auf ein Terrain begibt, in dem man nicht durch seine tägliche Arbeit ganz up to date sein kann. Die Verantwortung der technischen Intelligenz 125 Demgegenüber herrschen in den Geistes- und Sozialwissenschaften noch ziemlich altertümliche Verhältnisse. Vielleicht ist der Zwang zur Spezialisie- rung noch nicht so weitgehend, weil der Umfang des Wissens insgesamt nicht so groß ist und auch nicht so schnell zunimmt. Es liegt aber auch wohl am Charakter der Disziplinen, daß sie eine so strikte Aufteilung in spezialistische Kompetenzbereiche nicht zulassen. Ein Goetheforscher, seines Zeichens Germanist, muß ja auch wohl etwas von Shakespeare wissen, ferner von So- phokles. Auch über die deutschen Philosophen am Ende des 18. Jahrhunderts (zu denen immerhin Kant gehört) miißte er einige Kenntnisse haben, ferner über die politischen Verhältnisse in Deutschland vor und nach der FranUjsi- schen Revolution. Sonst versteht er nicht, was Goethe meinte, als er den Götz von Berlichingen, die Iphigenie und den Faust schieb. Aber dann muß er dem Anglisten, dem Altphilologen, dem Philosophen und dem Historiker ins Handwerk pfuschen. Ein anderes Beispiel: Ein Familiensoziologe würde ein schlechtes Buch über die moderne Familie schreiben, wenn er nicht zur Kenntnis nähme, was in der Industriesoziologie über heutige Arbeitsverhält- nisse erarbeitet worden ist, in denen die Väter und oft auch die Mütter W- über stehen, und der nichts darüber wüßte, was die neuere historische Famili- enforschung inzwischen über die Familie im 19. Jahrhundert herausbekommen hat. (Das Beispiel ist nicht konstruiert. Es gibt familiensoziologische Bücher, die aus eben diesen Gründen schlecht sind. Aber das wird auch kritisiert.) Auf der anderen Seite gibt es aber auch nicht so harte Kriterien für ein Urteil darüber, was richtig oder falsch, was kompetent oder inkompetent, was up to date oder obsolet ist. Den Stand der Forschung in den einzelnen Disziplinen zu iixieren, ist schwieriger. Nach wie vor gibt es den Kampf wissenschaftlicher Schulen verschiedenen Alters. Wann ein Wissen wirklich veraltet ist, läßt sich schwer beweisen. Jeder Soaologe erlebt z.B., daß ein Klassiker (2.B. Max We- ber) irgendein Problem vor 70 Jahren besser analysiert hat als ein soziologi- scher Autor von heute. Wo die Verhältnisse so sind, ist die Gefahr, in ein ganz engstirniges Fachbanausentum abzusacken, zweifellos geringer. Dafür wird allerdings sehr viel mehr geschwafelt. Man muß aber doch häufiger dem Kollegen zubilligen, daß er in Nachbars Garten herumdilettiert, denn soviel weiß man: er würde auf seinem ureigensten Gebiet nichts Gutes leisten, wenn er es niemals täte. Man tut es ja selbst immer wieder einmal. Das prägt den Lebensstil und be- seitigt auch einige Hemmungen, die Schwelle zu den gemischten Problemen der Politik zu überschreiten. Und so kann es geschehen, daß ein Gei- steswissenschaftler, befeuert durch die Gedichte Eichendorffs oder die Lek- türe ethnologischer S w e n über das Verhäitnis der Indianer zur Natur, eher 126 Hans Paul Bahrdt den Mut findet, sich für den deutschen Wald politisch zu engagieren, als man- cher Biologe, der hierzu sachlich mehr beizutragen hätte. Hier stoßen wir aber an ein weiteres Problem. Zwar ist das Engagement von Geistes- und Sozial- wissenschaftlern in der Politik - auch dort, wo es um Sachverhalte geht, über die sie so etwas wie ein Monopolwissen haben - weder sehr groß noch auch besonders erfolgreich. Immerhin mischen sie sich öfter ein und riskieren häufiger auch eine Blamage. Sie treten mit der Pose des Gelehrten auf, der alles weiß; in Wahrheit wissen sie aber über die politisch bedeutsamen, kon- kreten Probleme der modernen technisch-wissenschaftlichen Zivilisation we- niger Bescheid als ihre Kollegen im Bereich der Naturwissenschaft und Tech- nologie. Hier werden zwei verschiedene Kommunikationsprobleme sichtbar. Geistes- und Sozialwissenschaftler einerseits und Naturwissenschaftler und Technolo- gen andererseits könnten zusammen sehr viel besser auch auf der politischen Ebene kooperieren, wenn sie endlich eine Form fänden, mit der sie sich unter- einander verständigen können. Zweitens aber müßten beide Gruppen es ler- nen, wie man sich in der politischen Öffentlichkeit allgemein verständlich, aber doch auch sachlich und präzise ausdrücken kann. 5. Praktische Fragen des politischen Engagements Damit komme ich auf die praktischen Fragen, die im letzten Teil des Vortrags erörtert werden sollen. Vorher aber noch eine Zwischenbemerkung: Ich habe eine große Zahl von Fragen ausgeklammert, die in unserem Zusammenhang natürlich bedeutsam sind und die ja von Kritikern der bürgerlichen Gesell- schaft oft hervorgehoben werden. Selbstverständlich geraten die Angehörigen der Intelligenz in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Machtstrukturen, gewis- sermaßen von den klassischen Machtträgern. Sie werden oft zu Dienern der Macht. Es ist durchaus mögiich, sie als eine "Dienstklasse" anzusehen. Die Redeweise von der "freischwebenden Intelligenz" ist - sieht man von einigen Kaffeehaus-Literaten und Bohemiens ab - weitgehend falsch. Zwar erwartet man von der Intelligenz, daß sie "schwebt", d.h. über den Dingen schwebt und von oben auf sie herunterblickt. Dazu braucht sie aber Ressourcen. Die Ressourcen, die man braucht, sind unterschiedlich groß. Da gibt es wieder Unterschiede zwischen den beiden Gruppen der Intelligenz. Um im Bilde zu bleiben: Dem Geisteswissenschaftler genügt zum Schweben mitunter ein klei- Die Verantwortung der technischen Intelligenz 127 nes, billiges Sportflugzeug. Das ist leicht zu finanzieren. Der Naturwissen- schaftler oder Technologe braucht jedoch oft einen riesigen, schweren Flugap parat (2.B. Laboratorien von Fabrikgröße). Der ist sehr teuer. Hierzu bedarf er der Gunst der Mächtigen. Dadurch kann natürlich eine Abhängigkeit von Mächtigen im Staat und in der Wissenschaft entstehen, die etwas größer als die der Geistes- und Sozialwissenschaftler ist. Letztere können leichter eine nonkonformistische Ansicht äußern. Freilich hört man weniger hin. Die Stimme eines anerkannten naturwissenschaftlichen Experten, der sich quer- legt, oder die Äußerung des Direktors des Industrie-Labors eines großen Kon- zerns haben mehr Gewicht. Selbstverständlich gibt es auch eine Korruption von Angehörigen der Technischen Intelligenz, die dem ideologischen Druck und den ökonomischen Verlockungen der kapitalistischen Strukturen, in die ihre Lebensarbeit eingebaut ist, erliegen. Aber darüber ist in den letzten Jah- ren soviel geredet und geschrieben worden, daß es langweilig wäre, noch mehr zu sagen. Dies zu tun, könnte sogar schädlich sein und zu Resignation verfüh- ren. Man konstruiert das geschlossene ModeU eines übermächtigen geschlos- senen, teuflischen Systems, übt sich in systematischer Systemkritik, konstruiert dann ein utopisches Gegenmodell und gelangt dann zu der richtigen Einsicht, daß das utopische Ideal nicht zu realisieren ist. Dies rechtfertigt dann einen wehleidigen Quietismus. So verbringen heute viele Intellektuelle ihre Tage. Stattdessen will ich an meine vorherigen Ausführungen ankniipfen und kurz einige Thesen praktischen Inhalts vorlegen. (1) Ich unterstelle, daß es eine Reihe aktueller praktischer politischer Pro- bleme gibt, die ohne Mithilfe der naturwissenschach-technischen Intelligenz nicht lösbar sind, für deren Lösung sie also eine besondere und größere mora- lische Verantwortung trägt als andere Gruppen der Gesellschaft. Wer irn Hin- blick auf eine notwendige Leistung, die anderen Menschen zugute kommen so& über eine größere Leistungsfähigkeit verfügt als andere, ist auch in höhe- rem Maße verpflichtet, diese zu vollbringen. Das ist eine ethische Forderung, über die wohl Konsens besteht. Wenn ein Mensch in Gefahr ist zu ertrinken, so erwarten wir von einem kräftigen jungen Mann, daß er sofort ins Wasser springt. Wir erwarten dies nicht von einem alten Mann, der gerade den ersten Herzinfarkt hinter sich hat. Bei einer ganzen Reihe von Problemen (zu denen U. a. die Frage der Atom- bewafhung, der Nutzung von Kernenergie, ökologische Fragen d e r Art, Er- neuerung und Umbau der Städte, Humanisierung der Arbeitswelt, insofern diese durch neue Technologien bestimmt ist, gehören) benötigen wir den Rat und aktive Mithilfe von Angehörigen der nahirwissenschafuich-technischen 128 Hans Paul Bahrdt Intelligenz. Wenn wir nicht in vorindustrielle Urarmut absinken und auch weiterhin im Schnitt lieber 70 Jahre als 45 Jahre alt werden wollen, bleibt uns die Rückkehr zum einfachen Leben früherer Zeiten versperrt. D.h., daß wir auch für diejenigen Probleme, die als Nebenfolgen des technischen Fort- schritts entstanden sind, Lösungen moderner technischer Art finden müssen, was nicht heißt, daß ethische und gesellschaftspolitische Überlegungen über- flüssig sind. Auf jeden Fall wäre es falsch, sich dem Gerede von Weltverbes- sewrn zu überlassen, die grundsätzlich jedes analytische Denken, wie es in der Wissenschaft gepflegt wird, ablehnen, weil es ihrem Ideal von ganzheitlicher Schau oder der AUeinherrschaft des Gefühls widerspricht. Aber auch die durchaus rational und analytisch vorgehenden geistes- und sozialwissenschaft- lich geprägten Intellektuellen bedürfen der Belehrung durch Intellektuelle aus Naturwissenschaft und Technologie. (2) Wenn wir das System der parlamentarischen Demokratie bejahen, dürfen wir uns eine Institutionalisierung technokratischer Regelungen nicht wün- schen, denn dies liefe auf ein Herrschaftssystem mit ständischer Ordnung hin- aus. Eine Demokratie dieser Art zeichnet sich aber keineswegs durch Herr- schaftslosigkeit und völlige Egalität der Macht- und Einflußchancen aus. Zwar beruhen alie Sachentscheidungen letztlich auf Mehrheitsentscheidungen, bei denen jeder als Wähler oder als gewähltes Mitglied eines Beschlußgremiums unabhängig von seiner Sachkompetenz in gleicher Weise stimmberechtigt ist. Jedoch gehört auch zu diesem System, daß d e n Entscheidungen Diskussionen in der Öffentlichkeit, im Parlament, in Parlamentsausschüssen usw. vorgeord- net sind, die den Sinn haben, die Meinuugsbiidung zu rationalisieren, auf ein höheres Niveau zu heben und Kompromisse zu finden, die nicht nur das arithmetische Mittel in einem diffusen Spektrum darsteilen, sondern kon- struktive Kompromisse sind Demokratie hat etwas mit Auflirläning zu tun. Aufklärung voiizieht sich als Rationalisierung des geistigen Habitus. In diesem Diskussionsprozeß haben die Experten verschiedener Provenienz auch eine Chance, zu E i d & zu ge- langen, und diesen müssen sie auch haben. Natürlich können und sollen Ärzte in der Gesundheitspolitik, Lehrer in der Schulpolitik, Förster beim Natur- schutz und Architekten und Bauingenieure im Städtebau und in der Woh- nungsbaupolitik trotz ihrer jeweils geringen Zahl einen größeren Einfiuß ha- ben als andere. Das formale Egalitätsprinzip behält jedoch eine konstruktive Bedeutung, weil die Experten hierdurch kontrollierbar bleiben, dem selbstver- ständlich haben sie auch ihre Idiosynkrasien und Gruppeninteressen. Natürlich darf man den Ärzten nicht ganz und gar das Feld in der Gesundheitspolitik überlassen. Es bleibt hier allerdings das Problem übrig, daß es immer auch Gruppen von Betroffenen gibt, die sich schwer artikulieren können bzw. nicht konfiiktfähig sind. Dieses ist bekanntlich schwer zu lösen. (3) Wenn die Angehiirigen der natunrrissenschafuich-technischen Inteliigenz politischen Einfiuß in wichtigen Fragen haben sollen, dann müssen sie im Raum der politischen Öffentlichkeit und in Gremien, in denen Politiker und Verwaltungsspezialisten sitzen, artikulationsfahig sein. Diese Forderung ist nicht ganz selbstverständlich. In der Allgemeinbildung, die die meisten in ihren Herkunftsfamilien und auf den Gymnasien vermittelt erhielten, kam Rhetorik nicht vor. Anders war es mit der höheren Bildung im alten Rom. Auch in eng- lischen Public Schools wurde in dieser Hinsicht mehr gelernt. In Deutschland gehörte es nie zur Bildung des Gebildeten, sich vor einer größeren Zahl ge- mischt zusammengesetzter Menschen verständlich ausdrücken zu können. Eher gait es als suspekt. Es ist jedenfalls noch nicht lange her, daß Naturwis- I senschaftler, die einen für ein breites Publikum bestimmten Zeitungsartikel schreiben wollten, und zwar über ein wichtiges Thema, von dem nur sie etwas verstanden, vor dem Naserümpfen ihrer Kollegen Angst hatten. Ein imponierendes Gegenbeispiel sind jene bekannten Kernphysiker, die in d e r Öffentlichkeit seit den fünfziger Jahren vor den Gefahren der Atombe- waffnung gewarnt haben und sich nicht scheuten, in populärer Sprache überd im Lande über diese Dinge zu reden. Freilich.. Wer einen Nobelpreis in Physik hat, dem wird man eine populäre Ausdrucksweise nicht so schnell verübeln wie einem jungen Nachwuchswissenschaftler. Diesen kann man leichter ver- dächtigen, daß er in der Politik die Lorbeeren sucht, die er in der Wissenschaft noch nicht erworben hat. Ich habe als Hochschullehrer immer wieder erlebt, daß Professoren sich über 1 Journalisten erregten, die über wissenschaftliche Kongresse oder hoch- schulinterne Fragen inkompetente Artikel schrieben. Ich habe immer wieder I I gefragt: Warum nehmen diese Wissenschaftler die Aufgabe der public rela- tions in ihrem Bereich nicht selbst in die Hand? Es ist doch keineswegs aus- gemacht, daß die Zeitungen und Rundfunkanstalten den in seinem Fach aner- kannten Wissenschaftler nicht zu Worte kommen lassen. Man muß freilich schreiben und reden können, und zwar anders als in Fachzeitschriften und auf Fachtagungen. Dem Wissenschaftler, der sich als Amateur-Journalist betätigt, kommt zugute, daß in der M e d i e n l a inmitten einer Kdurrenzwirt- schart, in der die Neugier der Leser und Hörer das Angebot beeidußt, origi- nelle Äußerungen, also auch nonkonfcxmidde Stellungnahmen, durchaus V e r k m haben. Freilich gibt es viele Intedektueiie, die leider kein gutes Deutsch schreiben und dann die böse Welt beschuldigen oder das System, Die Verantwortung der technischen Intelligenz 129 130 Hans Paul Bahrdt wenn ihre ehrenwerten querköpfigen Leserbriefe und Artikel nicht gedruckt werden. Eine besondere (nachgeholte) Schulung der Artikulationsfähigkeit in schriili- cher oder mündlicher Form ist auch da nötig, wo sich Wissenschaftler ver- schiedener Fachrichtungen miteinander verständigen müssen, um im Hinblick auf ein fachübergreifendes ("gemischtes") politisches Problem an einem Strang zu ziehen. Es ist ja bekannt, daß Interdisziplinarität in der Forschung und im akademischen Unterricht seit vielen Jahren zwar gefordert wird, daß hier je- doch nach wie vor vieles im argen liegt. Es fehlt an Spielregeln und Fertigkei- ten für interdisziplinäre, verbindliche Diskussionen. Insbesondere gilt dies für Kontakte zwischen Naturwissenschaftlern und Vertretern technischer Diszipli- nen einerseits und Geistes- und Sozialwissenschaftlern andererseits. M. E. könnte man Lehrprogramme für das Erlernen interdisziplinärer Kommunika- tion entwickeln und bereits im Rahmen des Hochschulstudiums anbieten. Ich könnte mir eine Lehrveranstaltung (mit Praktikum) für Bauingenieure, Ar- chitekten, Juristen und Ökonomen vorstellen, in der diese üben, sich über Pla- nungsprobleme auszutauschen. Dies wäre ja schon für die spätere Berufsarbeit nützlich. Zugleich wird aber dabei etwas erworben, was man als "politische Ba- sisfertigkeitn bezeichnen kann. (4) Die politische Wirksamkeit einer Einzelperson oder einer Gruppe ist ab- hängig von organisatorischen Voraussetzungen. Angehörige der naturwissen- schaftlich-technischen Intelligenz geraten sehr oft in ehrenamtliche Berater- gremien (die zB. Mite r i en zugeordnet sind). Diese institutionalisierte Form der Politikberatung ist vielfach nicht so effektiv, wie sie sein könnte. Die Inef- fektivität hängt nicht selten damit zusammen, daß die Tätigkeit in diesen Gremien ehrenamtlich ist, d.h. nebenbei von beruflich ohnehin überlasteten Personen geleiiet werden muß, und daß es sich bei den Gremien-Mitgliedern häufig um schon äJtere Großkopfete der jeweiligen Fächer handelt, die schon bereits eine Viizahi von Ehrenämtern besitzen, die sie insgesamt kaum wirk- lich ausfükn können. Dies führt dazu, daß sie zu den Sitzungen schlecht vor- bereitet anreisen. Unter anderem haben sie auch versäumt, sich mit anderen Experten, die das gleiche oder ein Nachbarfach vertreten, abzusprechen. Dar- aus resultiert, daß sie sich in der Sitzung nicht auf ihrem höchstmöglichen ei- genen Niveau behden. Sie werden dann leicht von politisch versierten, aber fachlich unterlegenen Gremienmitgliedern überfahren. Oft ist ein Beamter des Ministeriums der einzige, der die Angelegenheiten des Gremiums kontinuier- lich im Rahmen seiner hauptberuflichen Tätigkeit bearbeiten kann. Dieser hat in d e r Regel auch ein einschlägiges Studium hinter sich. Aber ein Spitzenrei- ter des wissenschaftlichen Fachs ist er nicht, denn dann säße er nicht in der Die Veraniwomng der technischen Intelligenz 131 Ministerialbiirokratie als Sachbearbeiter, sondern auf einem Lehrstuhl oder Direktorensessel eines Max-Planck-Instituts. Ich will diese Probleme, die meines Erachtens im gesamten Beratungswesen auftauchen, jetzt nicht weiter verfolgen. Ich weiß auch kein Patentrezept. Aber ich meine doch, daß es schon nützlich wäre, wenn diejenigen, die als potenti- elle Experten mit dem Beratungswesen in Kontakt kommen, sich auch solcher Organisationsprobleme bewußt werden. Sie haben ja manchmal durchaus Einfiuß darauf, wer für solche Gremien als Mitglied vorgeschlagen wird. Ein Wissenschaftler, der noch nicht berühmt ist, der sich im mittleren Alter befin- det und belastbar ist, der noch mitten in der aktuellen Entwicklung seiner Dis- ziplin steckt, aber doch schon Überblick hat, ist geeigneter als der Nestor eines Fachs mit klangvollem Namen. Die Mitglieder solcher Beratergremien können auch lernen, mehr auf ihre eigene Fitneß zu achten. Meist verfügen sie als Leiter eines Instituts oder Büros ja über einen eigenen Apparat. Sie müssen ohnehin lernen, wie man Arbeit delegiert. Also können sie sicher Hilfe bei As- sistenten oder anderen jüngeren Mitarbeitern finden, für die es reizvoll sein könnte, in einer politischen Frage auf dem Umweg über den von ihnen ge- trimmten Chef Eiduß auszuüben. (5) Angehörige der mhirwissenschaftlich-technischen Intelligenz müssen sich auch selbst organisieren (gegebenenfalls zusammen mit Juristen, Geistes- und Soz ia lwi s sedem) . AUe solche Gruppierungen leiden freilich darunter, daß ihre Mitgüeder sich der Politik nur nach Feierabend widmen können. Der Kontrahent, gegen den man sich durchsetzen muß, ist in der Regel ein Berufs- politiker oder Berufsbürokrat. Diese sind von berufswegen mit der Sache be- faßt, sitzen also am längeren Hebelarm und haben den längeren Atem. Es fälit ihnen nicht schwer, sich im direkten Kontakt freundlich und zuganglich zu zei- gen und dann die Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben. Mitunter wenden sie sich ja selbst gern an Experten, um irgendeine unbequeme Ent- scheidung hinauszuschieben. Es ist ja ein gutes Mittel einer Verzögerungstak- tik, zu erklären, es müsse ein wissenschaftliches Gutachten erstellt werden, be- vor eine Sache entscheidungsreif sei. Welcher Wissenschaftler wird da schon nein sagen. Dann haben aber die Politiker Monate oder Jahre gewonnen. Die Wissenschaftler fühlen sich dabei noch geschmeichelt. Keiner hat jedenfalls den Mut zu sagen: Dieser Forschungs- oder Gutachtenauftrag - der ja auch Geld ins Institut bringt - ist ilberfihsig Wir wissen jetzt schon genug, um eine bestimmte Entscheidung zu rechtfertigen. Es ist nicht leicht, den Gruppeniypus zu beschreiben, der für eine politische Einflußnahme von Wlssensdmftkrn und Technoiogen im politischen Raum 132 Hans Paul Bahrdt effektiv ist. Wahrscheinlich sind auf begrenzte Ziele ausgerichtete, überdiszi- plinäre, überlokale Zusammenschlüsse mittlerer Größe am zweckmäßigsten. Sehr große Vereinigungen haben offene Ränder: Es gehören zu viele passive Mitglieder dazu, denen viel Papier zugeschickt wird, die aber nichts tun. Eine begrenzte Zielsetzung ist in jedem Fail besser als ein globales, aber diffuses Weltverbesserungsprogramm. Mit einem solchen verzettelt sich eine Organi- sation. Außerdem steilt sich in einer konkreten Kampfsituation meist heraus, daß ein Teil der Mitglieder nie daran gedacht hat, gerade für dieses Einzelziel einzutreten. Vielmehr ist er wegen anderer Zielsetzungen, die auch zum Pro- gramm gehören, der Organisation beigetreten. Falsch ist es sicherlich, von SonderfäUen abgesehen, zu versuchen, die großen Berufsverbände, die formal oder faktisch Zwangskörperschaften sind oder ihnen ähneln, als Aktions- gruppe einsetzen zu wollen. Sie sind zu heterogen zusammengesetzt. Freilich dürfen die Gruppierungen, von denen hier die Rede ist, nicht zu klein sein. Sie müssen Experten verschiedener Fachausrichtung umfassen, damit es Sach- kompetenz für verschiedene Detailprobleme in den eigenen Reihen gibt. Sie müssen eine gewisse Größe und überlokale Verbreitung haben, damit sie den Zugang nu überlokalen Öffentlichkeit in die eigene Hand nehmen können. (Eine Ausnahme sind natürlich jene Initiativen, die sich ausdrücklich auf be- stimmte lokale Probleme, z.B. Stadtplanungsfragen einer bestimmten Stadt konzentrieren.) Eine gewisse Mindestgröße ist auch deshalb erforderlich, weil nur diese es ermögiicht, einen kontinuierlich arbeitenden Apparat @.B. ein dauerhaft besetzies Büro) aufrechtzuerhalten. Der potentielle Gegner in der Politik oder der Venvaitung hat stets einen solchen. Ohne einen solchen Ap- parat ist eine Gruppe von Feierabendpolitikem allemal im Nachteil. Ich könnte mir vorstellen, daß einige von Ihnen die letzten Äußerungen von mir für zu klebkariert hdten, um einem so anspruchsvoiien Thema wie dem "der gesehhaftiichen und politischen Verantwortung der technischen Intelli- genz" gerecht zu werden. Natürlich kann man zu einem so großen Thema auch große Worte finden, zB. über die ethischen Grundiagen geistiger Arbeit bzw. über die Korrumpierbarkeit der Intellektuellen in einer kapitalistischen Ge- sellschaft, über die Herausforderung der Technik an die Menschheit oder über die Formen der mangskiufigen Entfremdung in einer artifiziellen, der Natur abgewandten Umwelt usw. Aber ich bin dieses hochtrabende Bildungsgeschwätz leid. Wenn ein Industrie- chemiker, Physikprofessor, Arzt oder Ingenieur nicht begreift, daß die spe- zieile Sachkenntnis, über die er verfügt, ihm auch gewisse politische Ver- pflichtungen auferlegt, oder wenn er sich einreden läßt, daß er sowieso nichts daran ändern kann, weil demnächst die Welt untergeht, oder daß die Politik Die Verantwortung der technischen Intelligenz 133 den Charakter verdirbt und feine Leute sich an dem Parteigezänk nicht betei- ligen - so dachten und denken ja viele deutsche Bildungsbürger -, dann wird sie auch der Vortrag eines Soziologieprofessors nicht überzeugen. Vielleicht hilft es ein wenig, wenn man ihn daran erinnert, daß die bürgerliche Ailge- meinbidung, von der er ja meist ein wenig auf dem Gymnasium, im Eltern- haus und durch gelegenfiche Buchlektüre und Besuch kultureller Veranstal- tungen mitbekommen hat, schon seit ca. 150 oder 200 Jahren in Deutschland typischerweise politisch unterbelichtet war und in merkwürdiger Weise zwi- schen totaler Verdrängung politischer Inhalte und Hingabe an politische Uto- pien hin und her schwankte. Obwohl wir nun wirklich in der Vergangenheit genug Lehrgeld gezahlt haben, muß es doch zu denken geben, wenn dieses un- politische Politikverständnis heute wieder fröhliche Urstände feiert. Aus diesen Gründen habe ich insbesondere darauf hinweisen wollen, daß Po- litik etwas ist, was gemacht wird, ferner wie sie gemacht wird, d.h. aber auch, wie man in der spezieiien Situation des Experten zu Einfiuß, und natürlich auch zu Macht gelangen kann, ohne bestallter Technokrat zu sein. Die naturwissenschaftlich-technische Intelligenz ist nicht eine herrschende Klasse, und sie sollte auch nicht versuchen, eine zu werden. Aber sie besteht auch nicht aus Unterdrückten, die alles ausführen müssen, was von ihnen gefordert wird. Ihre Angehörigen sind überwiegend in der oberen Mitte der Gesellschaftspyramide angesiedelt, also auf einem Platz, an dem sich auch eine Minderheit schon einmal querlegen kann. Da man über gewisse Privile- gien verfügt, besteht aüerdings das Risiko, mehr zu verlieren als seine Ketten, zB. Wohlstand, ökonomische Sicherheit usw. Eine solche soziale Gruppe ist nicht dazu prädestiniert, eine Revolution zu machen. Aber das durch tägliche Arbeit erneuerte Wissensmonopol bzw. der von der Gesellschaft nicht igno- rierbare Wissensvorspning bef- sie, in brenzligen Situationen die Funktion eines Lotsen, wenn auch nicht die eines Kapitäns zu übernehmen. DIE GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG DER BAUINGENIEURE ARBEITSOZIOLOGISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUR ETHIK DER INGENIEURARBEIT IM BAUWESEN Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löffler 1. Einleitung Den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bilden zwei Erfahrungen, die die Teilnehmer des Kolioquiums miteinander machen konnten, schmerzhafter- weise aber auch miteinander machen mußten: (1) Unter den Teilnehmern herrschte ein unausgesprochenes und in den Beiträgen der Referenten deut- lich dokumentiertes Einverständnis dariiber, daß sie die Idee einer Verant- wortlichkeit des Handelns überhaupt anerkennen. Diese erste Erfahrung ver- dient aus praktisch-benifspoiitischen Gründen festgehalten zu werden; sie ist für das Selbstverständnis der Bauingenieure als Profession bedeutsam, sie sollte aber auch von Kritikern des modernen Bauens und der "technischen In- telligenz" zur Kenntnis genommen werden. Für die Verfasser dieses Beitrags, beide nicht professionell mit Fragen der philosophischen Ethik bef* ist diese erste Erfahrung aus einem weiteren Gesichtspunkt von Bedeutung. Wir dürfen damit nämlich zunächst die moralphilosophisch schwierige und zentrale Frage nach der Begründbarkeit sittiicher Verbindlichkeit überhaupt umgehen 136 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Löffler und können sogleich die berufspraktisch wichtige Frage stellen, wie sich das Problem der Verantwortung im Arbeitsalltag und im Arbeitsvolhg stellt und wie man als praktisch tätiger Ingenieur dem Prinzip der Verantwortung ge- recht werden kann. Obwohl es sich hierbei also systematisch nur um die "zweitwichtigste" nach der erwähnten Grundsatzfrage handelt, steht diese Frage für den Verantwortung tragenden und empfindenden Praktiker irn Vor- dergrund. Aber auch philosophisch und soziologisch interessierte Leser sollten aus einem konkreten Wissen um die ethische Dimension der Ingenieurpraxis lernen können. (2) Die zweite Erfahrung hatte für die Teilnehmer und für den Verlauf des Kolloquiums größeres Gewicht als die erste: Es war dies die schmerzhafte Erfahrung, daß man sich wechselseitig in dem Anspruch auf Verantwortlich- keit des Handelns in Frage stellte. Die Infragestellung betraf entweder das praktisch-politische Gewicht des erhobenen Anspruchs, oder aber im Ex- tremfall sogar den Anspruch als solchen. Besonders deutlich wird das in der Gegenüberstellung der Positionen der Stadt- und Verkehrsplaner und des Bauleiters (vgl. die Beiträge von Scholl und Petereit in diesem Band). Der Bauleiter stellte in Frage, daß Planer überhaupt ernsthaft mit dem Problem der Verantwortung konfrontiert seien. Für ihn, den Bauleiter, kann von Ver- antwortung nur im Zusammenhang mit der glaubhaften Androhung von Sank- tionen für faisches Handeln die Rede sein. Mit solchen strafrechtlichen, ver- trags- und arbeitsrechtlichen Sanktionsdrohungen hat er täglich zu tun. Der Bauleiter hat Eid& darauf, daß Termin- und Kostengrenzen eingehal- ten oder überschritten werden, daß die Ausführungsqualität den Erwartungen des Bauherrn und den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht oder nicht, daß die Arbiicherheit auf der Baustelle gewährleistet oder gefährdet ist. Und fiir den Faii der Verletzung privater oder öffentlicher Erwartungen drohen ihm Sanktionen. Alle Vorgänge auf der Baustelle werden ihm zuge- rechnet, und er mu6 für die ihm zugerechneten Folgen des BaustellenMebs einstehen. Wer dagegen, so fragt der Bauleiter, belangt jemals den Stadtpla- ner? Plant dieser nicht allzu häufig für den Papierkorb? Und wenn tatsächüch nach dessen P h e n gebaut wird, werden ihm etwaige Planungsfehler über- haupt aigerechnet? Und wenn das einmal gelingen sollte, treffen ibn dann auch Sanktionen? Ist die zeitliche, räumliche und soziale Distanz zwischen dem Planungsvorgang und dem Auftreten von Planungsfehlern nicht viel zu groß und die sachliche Verknüpfung beider Vorgänge viel zu unklar, als daß die einschlägigen Sanktionsmechanismen der Gesellschaft (soziale Miach- M g , privat- und strafrechtliche Folgen) den Planer überhaupt erreichen könnten? Die gesellschaftliche Verantwortung der Bauingenieure W7 Der Planer wiederum sieht in der Weitriiumigkeit und Langfristigkeit der Wirkungen seines Handelns gerade den Kern seiner Verantwortung. Denn der Umstand, daß er mit seinen infrastrukturellen Planungen der Vorstellungs- kraft seiner Zeitgenossen vorauseilt, daß er die Entscheidungsprozesse z.B. kommunaler Entscheidungsträger oft unmerklich steuert, daß er das wirt- schaftliche und soziale Leben einer Region oder Stadt für lange Entwicklungs- zeiträume formt, ohne daß ihm die Betroffenen hierin folgen könnten - ganze Betroffenengnippen sind ja gar nicht seine Zeitgenossen, sondern gehören der nächsten Generation an - begründet seinen Anspruch, in hohem Maße Ver- antwortung zu tragen. Genau die Uneindeutigkeit und mangelnde Präzision der Erwartungen an sein Handeln sowie die Notwendigkeit, sich aus freien Stücken dem Prinzip der Verantwortung zu unterwerfen, sind ihm die Quelle seines Bewußtseins der Verantwortlichkeit. Der Umstand, daß ihm eine ge- setzliche Vorschrift "richtiges" Planungshandeln auferlegt und daß die Verlet- zung der Vorschrife mit Sanktionen belegt ist, kann ihm keineswegs die erfor- derlichen Maßstäbe und Orientierungshilfen richtigen und guten Handelns liefern. Ist ihm doch bewußt, daß Gesetze bestenfalls aktuelle gesellschaftliche Erfordernisse zum Ausdruck bringen, nicht aber die ohnehin nur schlecht pro- gnostizierbaren Notwendigkeiten zu den Zeitpunkten, zu denen die Effekte heutigen Planungshandelns auftreten. Solche fundamentale Differenzen in der Verantwortungskonzeption müssen um so schmerzhafter empfunden werden, je glaubwürdiger jeder der Kontra- henten seinen Anspruch auf Verantwortlichkeit seines Handelns geltend macht. Diese Differenzen unter gleichermaßen vom Prinzip der Verantwor- tung geleiteten Praktikern bilden für diese selber ein praktisches Problem, denn sie behindern eher die dringend erforderliche gemeinsame professionelle Orientierung M Berufsalltag als diese zu fördern. Für uns als Verfasser bilden diese Differenzen ein Erklärungs- und Aoalyseproblem, von dessen Lösung sich nach unserer Auffassung sowohl praktisch tätige Ingenieure als auch mit dem Verantwortungskonzept befaßte Sozialwissenschaftler Orientierungshil- fen erwarten dürfen. Das Problem oder die Aufgabe der E r k l h g besteht darin, das moralphilosophische Konzept der Verantwortung systematisch auf die Wirklichkeit der Berufspraxis der Ingenieure zu beziehen. Dabei soll sich zeigen, daß den sachlichen Unterschieden in der BerufsausÜbung - etwa von Planern, von Konstrukteuren, von Bauleitern oder Prüfingenieuren - legiti- merweise auch Unterschiede in den jeweih vorherrschenden Formen des mo- ralischen Bewukeins, in der jewe%gen V ~ ~ u n g der gemeinsamen Idee einer sittlichen Verbindiichkeit, im Konzept einer Berufsethik entspre- chen beziehungsweise entsprechen müßcen. 138 Hanns-Peter Ekmdt und Rainer Lofler Die uns gestellte Aufgabe Iaßt sich daher in folgende Teilaufgaben gliedern: Die erste Teilmfgabe besteht darin, sachliche, strukturelle Gegebenheiten der Berufsarbeit von Bauingenieuren herauszuarbeiten, die für das Konzept ver- antwortlicher Berufsarbeit von Bedeutung sind. Das Schema dieser sachlich- strukturellen Gegebenheiten soll es erlauben, die Berufspraxis der Bauingeni- eure in den unterschiedlichsten Einsatzbereichen zu beschreiben und dabei die für das Verantwortungskonzept wichtigen Unterschiede zu betonen. Zu den hierfür wichtigen Gegebenheiten in den unterschiedlichen Einsatzbereichen gehören die Art und Schwere der Handlungsfolgen und deren Prognostizier- barkeit; die zeitliche und soziale Nähe oder Ferne der Handlungsfolgen; der Grad der Zurechenbarkeit von Handlungsfolgen zu Handlungen; die Dichte und Prägnanz positiv-rechtlicher Regelungen von zulässigen Handlungen und Handlungsfolgen (zu denken ist hier auch an das technische Regelwerk); das auf Fehlhandlungen zielende straf- und zivilrechtliche Sanktionspotential. Diese oder ähnliche Faktoren gehören zu dem vertrauten Inventar des Hand- lungsspielraums, den jedes Verantwortungskonzept bei seinen Adressaten vor- aussetzen muß. Wir streben jedoch an, über eine solche statische Auflistung von Faktoren des Handlungsspielraums hinauszukommen und den Arbeitspro- zeß und seine Dynamik, das individuelle und kollektive Arbeitshandeln als Be- zugsrahmen für ein Konzept von Berufsethik und Berufsmoral zu beschreiben. Für den planenden und entwerfenden Ingenieur ist zum Beispiel folgende sachlich-strukturelle Gegebenheit, die sein Verhältnis zum Auftraggeber maß- geblich strukturiert, bedeutsam: Zwischen der Problemformulierung durch den Auftraggeber und der Erarbeihmg eines Problemlösungsvorschlags durch den Ingenieur besteht ein Verhäitnis der Wechsekitigkeit, nicht der einseiti- gen Abhängigkeit. Der Auftraggeber kann sein Problem im Augenblick der Auftragserteilung in d e r Regel weder vdlständig noch präzise beschreiben. Ist er ein baufachlicher Laie, dann ahnt er noch nicht einmal, was er d e s wollen könnte und vorschre~kn müßte. Aber auch im Faii eines baufachlich kompetenten Auftraggebers kann dieser sich nicht über die "planungs- und entwddogische Grundtatsache" hinmgse.izen, daß die ersten tastenden Lö- simgsvorschiäge seitens des beauftragten Ingenieurs ihm erst erlauben, seinen Bauherrnden vollständiger und präziser auszudrücken. Dieser unstrittige planungs- und entwurfdogische Grundtatbestand stellt ein Konzept von Berufsverantwortung in Frage, demzufolge der Ingenieur nur eine Ausführungsverantwortung, nicht aber eine Verantwortung für die Ge- staltung von Zielvorstellungen hat. Ohne aile manipulative Absicht greifen Bauingenieure und Architekten, ob sie wollen oder nicht, in den Prozeß der Formierung des BauherrnwiUens massiv ein. Dies gilt in bezug auf Bauherrn in 140 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Löffler wenn die berufsethischen Fragen innerhalb eines angemessenen Konzepts von Ingenieurarbeit entwickelt werden. Die Idee der Handlungs- und Willensfrei- heit ist nämlich nicht nur auf dem Hintergrund von Machtverhältnissen und in- stitutionellen Rahmenbedingungen ni behaupten, sondern auch auf dem Hin- tergrund einer Logik des Arbeitsprozesses. Es geht also nicht nur um eine Konfrontation von Macht und Moral, es geht nicht nur um die das Handeln erst ermöglichenden und zugleich einschränkenden Institutionen. Sondern es geht auch um sachlogische und technologische Strukturen von Arbeitsprozes- Sen, M die Strukturen der von Menschen erzeugten zweiten Natur als Bedin- gungen der Möglichkeit und als Rahmen sittlich-moralischen Handelns im Be- ruf. Von dieser Logik des Arbeitshandelns soll im nächsten Abschnitt die Rede sein. 2. Sachlogische Strukturen der Ingenieurarbeit im Bauwesen und das Problem der Verantwortung Sachlogische Strukturen bilden Handlungsvoraussetningen, die im Arbeits- handeln nicht hintergangen werden können. Wir können sie uns als eine Basis- struktur vorstellen, auf der sich das konkrete, empirische Arbeitshandeln ent- faltet. Diese Basisstruktw geht der Setzung und Verfolgung von Arbeitszielen voraus, sie unterliegt den sozialen Prozessen (Macht, Konkurrenz, Koopera- tion), die durch Arbeitsprozesse vermittelt sind. Mit dem Ausdruck "unterlie- gen" ist nicht "erklären", "venusachen", "begründen" gemeint; eher ist an "mo- dulieren", "gestalten", "formen" zu denken. Im ersten Kapitel ist als Beispiel die zirkuläre Struktur, das Verhältnis der Wechselseitigkeit zwischen Ziehrotgaben und Entscheidungen des Auftragge- bers und den Lösungsmschlägen des Beratenden Ingenieurs angesprochen worden. Diese Zirkuiarität formt das Verhältnis beider Akteure in beiden Grenzfällen: im F d e eines ökonomisch und/oder politisch sehr mächtigen Auftraggebers und eines entsprechend unterlegenen Beraters und im Falle ei- nes sehr schwachen Auftraggebers und seines Beraters. Dieses Beziehungsmu- Ster der Zirkularität geht auch der empirischen Unterscheidung voraus, ob der Auftraggeber eine individuelle Person oder ein Kommunalparlament ist und ob entsprechend auf der "anderen Seite" ein einzelnen Ingenieur oder eine große Planungsgeseiischaft steht. Zirkularität erklärt nicht soziale Macht oder ökonomische Abhängigkeit. Die Macht des Auftraggebers kann sich aber nur vermittelt durch die arbeitslogische Beziehung der Zirkularität zum beauf- Die gesellschaf liche Veranhvorhcng der Bauingenieure 141 tragten Beratenden Ingenieur durchsetzen. Für den Grad und die Art der Handlungsfreiheit des Beratenden Ingenieurs ist in dieser Hinsicht wichtig, daß die Einfiußnahme des Auftraggebers nicht die Form purer Anordnung, purer Quasi-Befehle annehmen kann. Das Beziehungsmuster der Zirkularität muß also bei der Beschreibung und Interpretation der Beziehungen zwischen Baubeteiligten berücksichtigt werden. Weder die Baubeteiligten können es hintergehen, noch darf es der Betrachter ignorieren. Ebenso darf bei der Er- örterung der gesellschaftlichen Verantwortung der Bauingenieure nicht über- sehen werden, daß deren Handeln durch diese Logik des Arbeitsprozesses vermittelt ist. Die Sittlichkeit des Planens und die des Bauleitens ist in ganz unterschiedlicher Weise durch die Logik des Arbeitsprozesses vermittelt. Dies haben sich die streitenden Parteien beim erwähnten Kolloquium nicht klar gemacht. Die Logik des Arbeitsprozesses ist ein weites Feld und wird hier nur soweit skbiert, daß die eigentlich interessierenden Ausführungen zur Ingenieurver- antwortung darauf gestützt werden können. In Stichworten handelt es sich um folgende vier Tatsachenkomplexe: (1) Konstitution von Gegenständen und Problemen. Die Notwendigkeit der Erzeugung von Planungs-, Entwurfs- und Bauproblemen und die Beziehung zwischen Problemerzeugung und Problemlösung. (2) Die Asynchronität zwischen Projektablauf/Projekteigenzeit und Entwick- lung der Gesellschaft/projektrelevanter Umwelt. (3) Die innere Komplexität von Bauprojekten und die komplexe Vernetzung des Projekts mit der projektrelevanten Umwelt. (4) Modeile und technische Normen im Arbeitsprozeß: Die Verdoppelung der projektrelevanten Wirklichkeit in verantworteten Wirklichkeitskonventionen. 2.1 Konstitution von Gegenständen und Problemen Es sind verschiedene Teilaspekte von Ingenieurarbeit im Bauwesen, die wir unter dieser Kurzforme1 zusammenfassen. Das Beraten von Bauherrn, das Planen von Nutzungsproxsen, das Entwerfen und Konstruieren von Bauob- jekten und Baukonsbuktionen, das Planen von Durchführungsprozessen - all diese für Ingenieurarbeit typischen Prozesse unterscheiden sich grundlegend von Tätigkeiten, die sich auf Objekte und Sachverhalte beziehen, die dem Ak- teur vorgegeben sind, auch =M er sie sich im Wege von Konstitutiondehtun- gen verfugbar machen muß (zB. Täiigkeit eines Forschers); und sie unter- scheiden sich grundlegend von s o b Tätigkeiten, die durch äußere Vorga- ben und Rahmenbedingungen und durch innere Routinen, HabitualiSeningen 142 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Löfler stark "geführt" sind. Hierzu gehört beispielsweise das Autofahren, dessen "Führungen" die Straße, die Verkehrsregeln, das Fahrzeug mit seinen techni- schen Eigenschaften bilden. Starker Verkehr, schlechte Straßenverhältnisse, das Wetter mögen das Autofahren zu einer anstrengenden und auch kognitiv fordernden Sache machen; die bestehenden "Führungen" lassen das Autofah- ren aber eher als eine Kette intelligenter Anpassungsleistungen, weniger dage- gen als einen Prozeß der Konstitution von Gegenständen und Problemen er- scheinen. Die Erkemtnistätigkeit des Bauingenieurs, sofern er planend und entwer- fend/konstruierend tätig ist, bezieht sich dagegen auf Gegenstände, die er zu- vor selber erst in die Welt gesetzt hat, auf virtuelle, modellhafte Gegenstände, mit denen er zukünftige Realobjekte vorwegnimmt. Und sie bezieht sich auf Sachverhalte, Problemstellungen, Risiken, kontingente Ereignisse, deren Exi- stenz er selber erst postulieren muß oder die erst Konsequenzen virtueller Objektgestaltung sind, dem zum Beispiel: eine Baugrundeigenschaft, eine Belastung hat nur eine mögliche Existenzfür eine zuvor entworfene Konstruk- tion. Ohne die Konstitution des Gegenstandes (der Konstruktion) gibt es we- der diesen selbst noch eine ihn beanspruchende äußere Einwirkung. Mit diesen Andeutungen sollen dem Leser nicht erkenntnistheoretische Spie- lereien zugemutet werden. Vielmehr soll ihm eine Vorstellung davon vermit- telt werden, in welch starkem Maße mit dem Tätigsein, dem Produktivsein, dem Gestaltersein auf seiten des Ingenieurs gerechnet werden muß, wenn ein Verantwortungskonzept gesucht wird, das der Ingenieurarbeit gerecht werden soll. Der Bauingenieur, insbesondere der Beratende Ingenieur, kommt auf- grund der skizzierten arbeitslogischen Tatbestände gegenüber den Auftragge- bern, Bauherrn, Politikern, Laien in eine auch sozial, politisch gestaltende Rolle. Es wäre eine Denkunmöglichkeit, sich den Ingenieur als bloß verant- wortlich "'Ausfiihrenden" vorzustellen. Ähnliches gilt auch für die Binnenbeziehungen von Konstruktionsbüros, also für die Beziehungen zwischen dem Leiter des Büros und seinen Projektleitern und mischen diesem und den Mitgliedern der Projektgruppen sowie für deren Beziehungen untereinander. Bürokratisch strukturierte Abhängigkeits- und Anordnungsverhaltnisse, auch ein die natürlich bestehenden faktischen sozia- len Abhängigkeiten hervorkehrender Verkehrston würden die arbeitslogisch begründeten Bürobeziehungen untergraben. Aus diesem Grund ist die oftmals beschworene Idee vom "Team am Bau", vom Vertrauensverhältnis der Vorge- setzten zu allen Mitarbeitern nicht nur eine zugegebenermaßen ideologische Formel, sondern auch Ausdruck einer sachlichen Notwendigkeit. Vertrauen, Die gesellschaftliche Verantwortung der Bauingenieure 143 Verantwortlichkeit selbstbestimmten Handeh - sie sind objektiv erforderlich. Hieran muß ein Verantwortungskonzept anknüpfen. Bisher wurde das Konstitutions-, das Gestaltungserfordernis nur in bemg auf das technische Objekt Seiber und seine virtuellen, modellhaften Vorwegnah- men in Gestalt von Plänen, Berechnungen, Arbeitsanweisungen erläutert. Die- ses technische Objekt ist jedoch die Antwort auf ein "Problem" oder die Lö- sung des Problems, das ebenfalls nicht ohne Gestaltungsleistungen gegeben ist. Auch Bauprobleme bedürfen der Konstitution. Dies wurde in Kapitel 1 im Hinblick darauf geschildert, daß sich zwischen Bauherrn und Ingenieur Bezie- hungen der Wechselseitigkeit zwingend ergeben, unbeschadet auch hier beste- hender sozialer Abhängigkeiten. Der Bauherr kann nämlich das Problem an- fanglich nur vage und unvoiiständig beschreiben. In dieser Situation wird der Ingenieur in zweifacher Hinsicht kreativ-gestaltend tätig: indem er - zunächst versuchsweise, später immer bestimmter - (a) überhaupt technische Objekte als mögliche Problemlösungen erzeugt; und indem er (b) mehrere Alternati- ven derartiger versuchsweiser Problemlösungen erzeugt. Ein noch so ausge- feiltes Optimierungsverfahren, vom Bauherrn selber oder vom beauftragten Ingenieur zur Entscheidung des Auswahlproblems eingesetzt, kann schließlich überhaupt nicht zur Wahl gestellte Alternativen auch nicht bewerten. Diese Einsicht fügt sich nicht in die lange Kette von Einwänden gegen Handlungs- modelie "vollständiger Rationalität", sie bildet deshalb auch nicht eine weitere Variation "unvollständiger Rationalität". Vielmehr betont sie das generative Moment in der Ingenieurarbeit. Schließlich soll das Gestaltungsmoment als Bestimmungsmoment der Ingeni- eurverantwortung noch in einer dritten Variation dargestellt werden. Baupro- jekte und Bauobjekte - insbesondere im Bereich von verkehrstechnischen In- frastrukturen - bilden Problemlösungen für Probleme, die - hoffentlich - zum Zeitpunkt des Planem nicht schon bestehen. Ein Gestaltungsakt besteht dariu, das Auftreten des Problems, auf das das Bauprojekt als Problemlösung ant- wortet, überhaupt zu prognostizieren. Prognostiziert werden muß die Nutzung des Objekts, prognostiziert werden müssen aber auch die unvermeidlichen, nicht intendierten Einwirkungen auf das Objekt. Eine Trinkwassertalsperre, eine Energieversorgunpdage plant man nicht erst dann, wenn Wasser- oder Energieknappheit schon bestehen. Es bildet also eine unhintergehbare Not- wendigkeit, das Nutmnprforderuis des Bauobjekts zu prognostizieren. Denn die Frage nach dem Nutzungserfotdernis wird praktisch immer beantwortet, auch wenn sie im b l f a i i enipirich nicht aufgeworfen wurde. 144, Hanns-Peter Ekardt und Rainer LöfSler Weil das nutzbare technische Objekt erst in 15 Jahren fertiggestellt sein wird, sind mit der Aufnahme der Planungstätigkeit objektiv, unhintergehbar, pro- gnostische Implikationen gesetzt, mögen diese empirisch verifiiert werden oder nicht. Die Rationalität des Bauvorhabens hängt von der Triftigkeit der Prognose ab - und von den in Kauf genommenen Risiken, im Falle einer Tal- sperre etwa des Staudammbruchs. Nutzung, Beanspruchung, Beanspruchbar- keit des Bauwerks - dies alles sind Prozesse, die zum Zeitpunkt der gedankli- chen Auseinandersetzung nicht schon als Tatsachen gegeben sind, sondern in Gestalt von Szenarios, die vom Ingenieur entworfen und der abwägenden Vernunft vor Augen geführt werden. Die zu bewertende Zukunft ist eine vom Ingenieur entworfene Zukunft. Der verantwortungsrelevante Tätigkeitsaspekt bezieht sich sowohl auf diese Zukunftsentwürfe wie auch auf den geforderten Akt des bewußten Inkaufnehmens des Prognoserisikos und damit des Scha- densrisikos selber. Ein Verantwortungskonzept für Ingenieurarbeit muß die- sen Sachverhaiten Rechnung tragen. 2.2 Asynchronität zwischen Projekteigenzeit und Entwicklung der projekt- relevanten Umwelt Hintergrund des zuvor geschilderten Prognoseproblems als eines Gestaltungs- aspekts ist der Umstand, daß sich der Wandel unserer Gesellschaft im Ver- hältnis zu den langen Zeiträumen der Planung und Ausführung von Bauten sehr rasch voilzieht. Dieser Umstand ist von dem Prognoseproblem zu unter- scheiden. Wir erläutern dies am Beispiel der ~ahe-Überbauung in Idar-Ober- Stein. Prognosebedürftig war zu Beginn der Planungsmaßnahme das Ver- kehrsaufkommen auf der B 41 und das Hochwaseraufkommen der Nahe. Heute, da die Baumaßnahme heftig angefeindet wird, besteht dennoch keine Veranlassung, die seineneitigen Prognosen in Frage zu stellen. Nicht etwa fal- sifizierte Prognosen sind Anlaß der Kritik, sondern eine veränderte Einstel- lung der Gesellschaft zu Fragen der Stadtökologie, zur Bedeutung der Stadt als Behausung des Menschen. Die Straßenplaner der ~ahe-Überbauung brachten vor 25 Jahren den dominanten Willen der Gesellschaft zum Aus- druck, die eigentlichen Erbauer handelten schon gegen den Willen - wenn nicht der Mehrheit, so doch - der meinungsführenden Minderheiten. Ähnlich verhält es sich beim Rhein-Main-Donau-Kanal. Obwohl sich die Frage der Vernunft des Bauens nicht einfach auf das Abzählen von Pro- und Contra-Stimmen reduziert, ist doch für den verantwortungsbewußten Inge- nieur eine zentrale Frage, inwiefern er artikulierte Interessen der Bevölkerung zum Ausdruck bringt. Ein sinnvolles Konzept von Ingenieurverantwortung Die gesellschafliche Verantwortung der Bauingenieure 145 muß den bei größeren Bauvorhaben stets gegebenen Widerspruch in sich auf- nehmen und verarbeiten, daß der Ingenieur bzw. die Profession der Ingeni- eure der Gesellschaft Rechenschaft schuldet für die verfügbar gemachte tech- nische Infrastruktur, daß sich aber die sozial geltenden Kriterien der Rechen- schaftslegung im Verlauf der Projektzeit wandeln. 2 3 Innere Komplexität von Bsuprojekten und k o m m Vemetzung des Projekts mit der projektrelevanten Umwelt Die Komplexität von Bauaufgaben und Bauobjekten ist von großer Bedeutung für den Anspruch rationaler, guter Ingenieurarbeit irn Bauwesen. Kognitive und praktische Beherrschung der Komplexität ist eine notwendige Vorausset- zung für die Einlösung des Anspruchs auf Vernunftigkeit des Bauens. Der Tatbestand der Komplexität wird für uns unter drei Aspekten sichtbar. Wir wählen als Bezugsrahmen das Eielbauvorhaben, zum Beispiel eine Trink- wasserversorgungsanlage oder einen umstrittenen Abschnitt eines Verkehrs- wegs, wie etwa die Ohmtaitrasse im Zuge der A 49. 2.3.1 Äußere Komplexität Komplexität wird zunächst in der Weise sichtbar, dai3 das betrachtete Bauob- jekt seinerseits objektiv in einen technisch-wirtschachen Systemmsamrwn- hang gesteilt werden muß. Ob es sinnvoll ist oder nicht, die Emstbachtalsperre bei Wiesbaden zu bauen, kann bei gedanklicher Beschränkung auf dieses Bau- objekt überhaupt nicht eribrtert werden. Diese Talsperre steht in einem Nut- zungszusammenhang mit der Wasserentnahme M Hessischen Ried, im Vo- gelsberg, aus dem Grundwasserkörper unter dem Main und aus vielen lokalen Fördersteilen. Für die die Ernstbachtalsperre bearbeitenden Ingenieure Iaßt sich der selbstgesetzte Anspruch vernünftigen Handelns also nur dann realisie- ren, wem sie sich eine entsprechend breite Informatiomgrundlage verschaffen und es ihnen gelingt, sich mit den Betreibern, Interessenten und Gegnern auch der übrigen Wasserentnahmesteiien auseinanderzusetzen. Auch beim Rhein- Main-Donau-Kanal, der heute primär unter dem Gesichtspunkt der Beein- trächtigung oder partiellen Zerstörung des Altmühltals diskutiert wird, ist so zu argumentieren. Die Vernunft oder Unmunft des RMD-Kanals erweist sich erst M Zusammenhang dieser WassmtraJ3e mit d e n komplementaren Verkehrsträgern: Bundesbahn, Straße und Autobahn, Luftverkehr, Rohtlei- tungstransport von Oe1 und Gas. 146 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Löfler 2.3.2 Interne Komplexität Jedes Bauobjekt steht also - ob als Ergebnis gezielten Handelns oder nur fak- tisch - in einem das Objekt übergreifenden Systemnisammenhang. Bei Infra- strukturbaumaßnahmen ist das per destionem der Fall. "Nach innen" wie- derholt sich dieser Sachverhalt der Komplexität. Kein reales Bauobjekt, nicht einmal ein anspruchsloses Wohnhaus, geschweige denn ein Krankenhaus, ein Kraftwerk, ein Forschungslaborgebäude, läßt sich ohne vorherige Zerlegung in Komponenten bearbeiten. Entsprechend muß das Planungs- und Entwurf- sproblem also ebenfalls dekomponiert und arbeitsteilig bearbeitet werden. Dieses Dekompositionserfordernis besteht nicht etwa nur aus den Gründen, die seit Adam Smith als die Wurzeln der Vokswohlfahrt und seit Kar1 Marx als spezifische Mehrwertquelle kapitalistisch organisierter Lohnarbeit ange- sprochen werden. Vor d e r ökonomischen Betrachtung sind es in der techni- schen Sache selbst liegende Gründe, die zur Dekomposition nötigen: Tatbe- stände, die hier nicht dargelegt, sondern nur postuliert werden können. Für den Vernunftanspruch der Baubeteiligten ist dieses Dekompositionserfor- dernis eine ernsthafte Restriktion. Das Optimum der Gesamtproblemlösung ergibt sich nicht aus gedachten Optima der einzelnen Lösungskomponenten. Schon die bloße Sicherung der technischen Kompatibilität der Komponenten erfordert erheblichen Aufwand an Abstimmungsleistungen unter den Projekt- beteiligten. Bei der Suche nach Gesamtoptima müssen also zwei Schranken überwunden werden: die erste Schranke zu den auch nur in sich technisch kompatiblen Lösungen, die zweite Schranke bei der Generierung eines Ge- samtoptimums aus Komponenten, die d e i n nicht sinnvoll optimierungsfähig sind. Rationalität, Vernünftigkeit, Verantwortlichkeit des Ingenieurhandelns setzen also die Fähigkeit einer Projektorganisation voraus, mit der internen Komplexität des Objekts und Projekts fertigzuwerden. 2.3.3 Komplexität der Bewertung Am Beispiel der A 49 wollen wir auf den dritten Aspekt der Komplexität hin- weisen, nämlich auf die Komplexität der Bewertung irn engeren Sinn. Für den Vergleich alternativer Trassen der A 49 im Bereich östlich von Marburg hat die Hessische Straßenbauverwaltung ein vergleichendes Bewertungsverfahren geschaffen. Komponenten dieses Verfahrens sind: (1) Die Genenerung von Bewertungsdimensionen wie Erschließungsfunktion, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit oder Umweltbeeinträchtigung, jeweils mit zahl- reichen Unterdimensionen. Die gesellschajlliche Verantwo?tung der Bauingenieure 147 (2) Die Wahl von Gewichten für die'Dimensionen, die sich insgesamt zu 1 er- gänzen. (3) Die Operationalisierung der Variablen jeder Dimension, das heißt die Vorgabe von Meßoperationen in jeder Dimension (was heißt "Erschließungs- maß" einer Trasse?). Hier besteht die Schwierigkeit, Qualitäten quantitativ auszudrücken. (4) Die "Normalisierung" d e r Dimensionen/Variablen, das heißt ihre Abbil- dung auf eine gemeinsame, dimensionslose Skala, so daß die gewichteten Werte einer speziellen Trassenalternative in d e n ihren Dimensionen addiert werden können. Im Hinblick auf den Vernunftanspruch beim Bauen muß dieses Verfahren zunächst vorbehaltlos begrüßt werden als Schritt zur Beherrschung vernunft- gefahrdender Komplexität. Bei näherer Betrachtung jedoch stellen sich Zwei- fel ein, sie können hier nur angedeutet, nicht ausgeführt werden. Das Ziel des Verfahrens besteht darin, Konflikte um Bauvorhaben entscheidbar zu machen, die wegen der Mannigfaltigkeit von Bewertungsaspekten und Interessen ko- gnitiv kaum noch beherrscht werden können. Das gewählte Verfahren besteht in seinem Kern darin, die Komplexität eines Planungs- und Bauproblems ma- thematisch-physikaiisch zu reduzieren. Dies betrifft die in Frage stehenden Problemqualitäten selber, aber auch die Austragung des sozialen Konflikts und des Diskurses über diese Qualitäten und ihre relative Bedeutung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß mit dem Zugewinn an Objektivität des Ver- fahrens das mit der Bauabsicht gesetzte objektive gesekhaftliche Problem und dessen "Lösung" zunehmend verfehlt werden. Die Unterschiedlichkeit und auch die Widersprüchlichkeit von Interessen innerhalb der gegenwärtigen Ge- sellschaft, die unaufgeklärte Beziehung zwischen den Interessen in dieser Ge- sellschaft und denen der zukünftigen Generationen, die objektive Tatsache der unaufhebbaren Differenzen zwischen Qualitäten (Verkehrssicherheit, ökologi- sche Schäden, Baukosten und damit Beeinträchtigung anderer Nutningen u.ä.), die sozialen Funktionen des wirklichen Austragens von Konflikten - ali dies sind Faktoren des Tatbestandes "Gesellschaft", die das Verfahren nicht angemessen einfängt oder sogar ausblendet. Ein Konzept von gesellschaftlicher Verantwortung der Ingenieure muß dieser Komplexität von Ingenieuraufgaben und der damit objektiv gesetzten Komple- xität der Organisation der Ingenieurarbeit Rechnung tragen. Die Idee der Handlungs- und Willensfreiheit, die UrteWähigkeit des Ingenieurs müssen zu dem Tatbestand der Komplexität in ein überschaubares Verhältnis gebracht 148 Hanns-Peter Ekatdt und Rainer Ldfler 2.4 Modelle und technische Normen im Arbeitsprozeß: Die Verdoppelung der pqjektmlevanten Wirklichkeit in verantworten Wirklichkeits- Ein arbeitsiogisch nicht hintergehbarer Tatbestand ist es, daß Ingenieurarbeit sich als Arbeit an und mit Modellen vollzieht. An diese arbeitslogische Un- verrneidiichkeit knüpfen gesellschaftliche Konventionalisierungsprozesse an. Diese sind zwar nicht arbeitslogisch begründet; sie sind aber eine unverzicht- bare Voraussetzung dafür, die nicht hintergehbare Modellproblematik für eine gesellschaftlich organisierte Arbeit mit fortlaufend wechselnden personellen und organisatorischen Zusammensetzungen überhaupt handhabbar zu ma- chen. Es soll hier also auf den Zusammenhang zwischen Modellbiildungserfor- dernis und dem das Bauwesen beherrschenden Tatbestand konventionalisti- scher Normen hingewiesen und ein Anhaltspunkt für die daraus folgenden be- rufsethischen Fragen gegeben werden. Bauobjekte als zu planende und zu entwerfende, Fertigungsprozesse als zu planende und zu organisierende werden in Plänen, Berechnungen und Be- schreibungen vorweggenommen. Pläne, Berechnungen und Beschreibungen sind vorwegnehmende Modelle der zu bauenden Wirklichkeit des Bauens. In- dem Ingenieure sich mit Hilfe dieser Pläne eine Wirklichkeit verfügbar ma- chen, eine von ihnen zu verantwortende Wirklichkeit, arbeiten sie mit Model- len, Diese Pläne sind aber selber Gegenstände und Resultate von Arbeitspro- zessen. Ingenieure arbeiten an diesen Gegenständen, erzeugen sie. In bezug auf diese Pläne, Schattengestalten der zu bauenden Wirklichkeit und der Wirklichkeit des Bauens, wiederholt sich die Modell-Abbildungs-Problematik in vielen Variationen. Beispielsweise ist das in Plangestalt vorliegende "Bau- werk" als Tragwerk abzubilden, m modellieren. Hierfür gibt es viele Möglich- keiten, die entwerfend m realisieren sind und unter pragmatischen Gesichts- punkten ergriffen oder verworfen werden müssen. Das Bauwerk als Tragwerk liegt dann als "statisches System" vor. Mit Hilfe des statischen Systems analy- siert der Bauingenieur das Tragwerk (das selbst eine Abstraktion des Bau- werks ist) und bildet sich ein Urteil über die Standsicherheit und Gebrauchs- fähigkeit eines m bauenden Bauobjekts. Er arbeitet an dem statischen System, indem er Verformungen und Schnittkräfte ermittelt. Nicht nur das Bauobjekt bedarf der Modellierung, sondern auch die Wirklich- keit, in die das Bauwerk situiert wird. Zu denken ist an den Baugrund, an die Nutningen, um derentwillen das Bauwerk entstehen soll ("Verkehrslasten"), an die inkaufzunehmenden Einwirkungen (Wind, Erdbeben, Eigengewicht, Temperaturen, ungleichförmige Setzungen). Auch diese Wiklichkeitsaspekte macht sich der Ingenieur in Form von Modellen verfügbar. Schließlich sind die Baustoffe, aus denen das Bauobjekt errichtet werden wird, und ihr Verhalten ebenfalls modeilförmig abzubilden. Für das berufsethische Thema der Verantwortung ist nun bedeutsam, daß die erwähnten Modellierungsleistungen verantwortet werden müssen, und zwar im Hinblick auf ihre Triftigkeit und im Hinblick auf den Zweck der Betrachtung (Standsicherheitsurteil, Gebrauchstüchtigkeitsurte& Ausführbarkeitsurteii, Wirtschaftlichkeitsurteil). Da die Herstellung von Bauobjekten nach Plänen und Arbeitsanweisungen und die "Interaktion" von Bauwerken und Bau- werksumwelt nicht determiniert sind, sondern kontingenten, stochastischen Einflüssen unterliegen, haben die verfugbaren Modelle probabiitischen Cha- rakter, und die auf ihnen basierenden Urteile enthalten Risiken. Diese Risi- ken, Produkte aus Wahrscheiniichkeiten und Schadenswerturteilen, müssen ih- rerseits verantwortet werden. Diese bisher skizzierte Modellproblematik, ihrerseits schon verantwortungs- relevant, wird nun durch das Normenproblem überlagert und damit be- rufsethisch noch verwickelter. Der arbeitende Bauingenieur und die Organisa- tionen des Bauwesens bewegen sich in einem institutionellen Rahmen, beste- hend aus Konventionen über die beschriebene bestehende und über die zu bauende Wirklichkeit. Diese Konventionen haben die Form von technischen Normen, Erlassen, Zulassungen, Gesetzen. Bauingenieure haben es de in mit mehr als 600 regulären Normenblättern zu tun. Hinzu kommt das private Bau- recht. Diese Normenkonventionen modellieren die Wirklichkeit, zum Beispiel den auf ein Bauwerk einwirkenden Wind. Sie modellieren Baustoffe und ihr Verhalten sowie Bauwerksnutzungen, etwa in Gestait von Lastenzügen. Indi- rekt und meist implizit modellieren sie Herstellungsprozesse und Verhaltens- weisen des Bausteiienpersonals, von Eisenbiegern, Betonbauern oder Schweißern; sie modellieren, wie die Belegschaften mit Ausfiihrungsplänen umgehen. Es soll an dieser Steiie dahgestellt bleiben, inwieweit diesen technischen Normen eine genuin moralische Qualität, also ein Verpflichtungsampruch auf eine bestehende soziaie Ordnung zukommt. Insofern in diesen technischen Normen nicht nur wisse--te&e Sachverhalte, sondern auch In- teressenlagen und Reflexionen auf A r b e i g u n g e n zum Ausdruck kom- men, muß ihnen eine solche, aucb m o r ~ e Qualität sicher zugesprochen werden. Bedeutsamer ist aber, daf3 der Umstand der Genormtheit von Hand- lungen, Qualitätsstandards und RkhtigkeMterien als solcher auch dem &- sehen ibn-us Vorschub leikten kann, den wir als dwninante Form I Die gesellschafliche Vermtworhrng der Bauingenieure 149 150 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Löfler der Moral kennenlernen werden, einer Form der Moral, die vielen Alltags- routinen, gerade aber nicht Situationen der Unvertrautheit, Uneindeutigkeit von Aufgaben und des sozialen Konflikts über Bauaufgaben gerecht wird. Wir wollten also in diesem Punkte darauf hinweisen, daß schon die schlichte Verständigung unter den Baubeteiligten über die Wirklichkeit, in die hinein sie bauen und die sie planend und bauend verändern, das Problem der Verantwortung aufwirft. Bauingenieure müssen ja letztlich die Effekte ihres Handelns in der Wirklichkeit verantworten. Die Verständigung über diese Effekte erfolgt aber im Medium der Modelle und der Rechtfertigung von ModeUeffekten. In dieser Abbiildungsebene herrschen begründungs- und verantwortungsbedürftige Konventionen, die in jedem einzelnen Fall von Projektarbeit nachvollzogen oder in Zweifel gezogen werden wollen. Faktisch geschieht dass M Arbeitsdtag natürlich nicht; der logisch nicht hintergehbare Tatbestand des Verantwortenmüssens der konstruierten Modellwirklichkeit wird empirisch häufig nicht nachvollzogen, aber die Wirklichkeit des Moralischen kann nicht einfach geleugnet werden. Und in regelmäßig wiederkehrenden Grenzsituationen, in Konflikten über die angemessene Modellierung der Wirklichkeit hiift der Rückzug auf Konventionen nichts, die moralische Entlastung des Subjekts durch die Konventionen versagt, das Subjekt ist auf sich und seine Moralität zurückgeworfen. In diesem Kapitel haben wir versucht, die arbeitslogischen Grundlagen und Bedingungen der Moglichkeit moralischen Handelns M Arbeitsvolhg der Bauingenieure darzustellen. Dies konnte nur skizzenhaft geschehen, dürfte aber eine Vorstellung davon vermittelt haben, daß das Problem der Hmdlungs- und Willensfreiheit nicht nur auf dem Hintergrund von Machtverhältnissen und institutionellen Rahmenbedingungen beschrieben werden, sondern, daß das Problem der Berufsethik auch aus den Grundstnikturen der Ingenieurarbeit heraus entwickelt werden muß. Wir werden im nächsten Abschnitt Begriffe und Konzepte der Moralphilomphie und Soziologie vorstelien, die für ein sachgerechtes Konzept der Be&thik der Bauingenieure, insbesondere für das Konzept der gesellsch&iihen Verantwortung herangezogen werden können und müssen. Danach wollen wir die arbeitslogische und moralphilosophische Betrachtung in einer aufgaben- und positionsgerechten Darstellung typischer Verantwortungsprobleme zu- sammenführen. I Die gasellschafliche Verantwortung der Bauingenieure 151 3. Moml und Heteronomie in arbeitssoziologischer Perspektive Bevor wir uns nach der Klärung der sachlogischen Strukturen der Ingenieur- arbeit der Frage nach der Verantwortung von Bauingenieuren als Inhabern bestimmter Arbeitsplätze, Positionen und Funktionen zuwenden können, be- darf es einer Reihe kategorialer Überlegungen. Denn erst die Bereitstellung der wichtigsten Begriffe und damit der theoretischen Konzepte zur Verant- wortungsdiskussion kann die Bedingungen der Möglichkeit verantwortungs- bewußten Handelns klären. Was also meinen wir, wenn wir in politischen De- batten, alltäglichen Redeweisen oder wissenschaftiichen Diskursen von Ver- antwortung reden? ~erankvortun~ bezeichnet in einem ersten Zugriff eine Relation von - oft un- erwruischten - Ereignissen und den Akteuren, die diese Ereignisse "verursacht" haben. Diesen Akteuren werden dann entweder ex post Sachverhalte zur Last gelegt, sie werden ihrer beschuldigt oder auch belobigt; oder bestimmte Handlungsbereiche und Einflußsphären werden scw ante als ihr Zuständigkeits- bereich f ~ e r t . Beispielsweise werden Bauleitern Arbeitsunfälle, planenden Ingenieuren Fehlentwicklungen des innerstädtischen Verkehrs und Konstruk- teuren nicht ausführungsgerechte Pläne angelastet, so wie den beteiligten In- genieuren bei gelungenen Bauwerken entsprechende Achtung - wenn vielleicht auch nur durch die eigene Zunft - zuteil wird. Das moralische Konzept der Verantwortung stellt also auf die tatsächlichen oder möglichen Folgen von Handlungen ab, nicht dagegen auf die rechte Gesinnung der Handelnden. Weitere Aufklärung über das, was wir meinen, wenn wir von Verantwortung sprechen, läßt sich von einer Reihe wissenschaftlicher Disziplinen erwarten. Für Bauingenieure und speziell Bauleiter liegt es aufgrund des normativ durchregulierten Arbeitsfeldes nahe, sich auf den Verantwortungsbegriff der Jurisprudenz zu beziehen (vgl. den Beitrag von Petereit in diesem Band). Nun mögen das kodifizierte Recht und explizierte technische Normen zwar die handgreifiichste Form von Verantwortlichkeit darstellen, aber den zugrunde- liegenden sozialen Mechanismus der Zuschreibung von Verantwortung haben wir auch dann vor uns, wenn Ver- und Gebotenes, Strafen und Belohnungen nicht kodifiziert sind. Immerhin wird so die Realitit von Verantwortung deut- lich: sie ist offenkundig mehr als ein privates Gefühl oder eine Forderung m Sonntagsreden. Dafür scheint einem juristischen Verantwortuq&egdf der weseniiiche Punkt des Gewissens, eher Seibstzuschreibung von Veranlwor- 152 Hanns-Peter Ekardt und Rainer L6fler Wer hier fündig werden möchte, wird sich tunlichst an die Moraltheologie oder -philosophie wenden, die zu bestimmen versuchen, welche Handlungen gut oder böse zu nennen sind, was ein gutes Leben ist, wie man in bestimmten Situationen handeln soll usw. Daran kann ein angemessener Begriff von Ver- antwortung anschließen. Es erscheint uns aber auch wichtig, in diesem Zu- sammenhang auf die spezifische Kompetenz der Soziologie zurückzugreifen, um gerade auch die Bedingungen der Möglichkeit verantwortungsvollen Han- delns erhellen zu können. Im Gegensatz zur Moralphilosophie - aber auch zu unseren alltäglichen mora- lischen Urteilen - thematisiert die Soziologie Verantwortung zunächst nicht als ethisches Sollen, sondern als sozialen Tatbestand. Sie interessiert sich nicht für Gut und Böse als solche, sondern dafür, wie die Menschen handeln und wtei- len. Von ihr läßt sich Aufschluß darüber erwarten, unter welchen sozialstruk- turellen und situativen Bedingungen und mit welchen Mitteln Gesellschafts- mitglieder typischerweise andere verantwortlich machen oder sich selbst für etwas verantwortlich fühlen; sie kann Aussagen zu sozialen Handlungsfolgen machen und prüfen, ob der in die Verantwortung Genommene wirklich die Freiheit hatte, anders zu handeln, als er es getan hat. Ungerechtfertigte, weil auf sachlich falschen Voraussetzungen oder Schlußfolgerungen aufbauende Schulbweisungen kann sie von plausiblen und logisch konsistenten unter- scheiden helfen. Sie fragt auch danach, wie sich der Anspruch und die Fähig- keiten der Menschen, autonom, selbstverantwortlich zu handeln, mit der äuße- ren Zuschreibuag von Verantwortung und mit den Mechanismen einer sol- chen sozialen Kontroiie vertragen. In funkiionaler Perspektive kann Soziologie erklären, inwiefern Moral als soziales Bindemittel überhaupt erst das Leben in Gesellschaft ermöglicht und welche grundlegenden moralischen Muster Ge- sellschaften mit bestimmten Merkmalen zuträgiicher sind als andere. So dürfte die Idee der Sittlichkeit, deren faktische Geltung wir ungeachtet aller sonstigen Differenzen bei allen Teilnehmern des Koiioquiums unterstellen, uns einen reflektierten Umgang mit den geltenden Konventionen und Normen empfeh- len. Dies nicht allein deshalb, weil kritische Reflexion der dumpfen Regelbe- folgung prinzipiell überlegen ist. Das von hochmodernen Gesellschaften er- reichte Entwicklungsstadium mit weitreichenden E i i s c h a n c e n und syste- mischen Vernetzungen verlangt geradezu eine solche reflektierte Moralität, solien weder der Tribut des Untergangs gezollt noch Schritte zur Barbarei unternommen werden. Nicht zuständig ist die Soziologie dagegen für die Fragen, ob die sozialen Be- dingungen, unter denen Handlungen ausgeführt werden, und die Handlungs- resultate erwünscht, moralisch geboten oder sonst normativ auszuzeichnen Die gesellschafliche Veraniwortung der Bauingenieure 153 sind. Soweit sie sich mit Moral befaßt, trifft sie Aussagen zweiten Grades, die auf denen der Gesellschaftsmitglieder aufruhen. In dieser Perspektive kann also nicht gefragt werden, ob jemand für etwas verantwortlich gemacht werden sollte, sondern ob seine Mitmenschen ihm Verantwortung zusciueiben, warum und wie sie das tun. Das gleiche gilt für die Selbstmschreibung von Verennvomug für Geschehenes oder Verantwortlichkeit für die Erreichung erwünschter und die Vermeidung unliebsamer Zustände. Hier sollten wir von VerantwortuugsgefUhl oder -be- wußtsein sprechen. Subjektives Verantwortmgsbewußtsein und objektives Verantwortlich-gemacht-Werden sind voneinander nicht unabhängig. Zum einen konstituieren die Erwartungen der Bezugsgruppen und ihre Sanktions- möglichkeiten oft verantwortungsadäquates Verhalten. Der Beitrag Petereits etwa analysiert ja die ZT. widersprüchlichen, auf jeden Fall aber inkonsisten- ten und vor allem strikten Erwartungen an einen Bauleiter. Zum anderen be- ziehen sich verantwortungsrelevante Urteile wenigstens implizit immer auf so- Pale Einheiten, denen gegenüber man verantwortlich ist oder sich füblt, auch wenn diese ihre Erwartungen gar nicht artikulieren (können). Wir schlagen in diesem Zusammenhang vor, die soziale Verantwortung gegenüber konkreten Individuen und sozialen Gruppen zu unterscheiden von der gesellschaflichen Verantwortung gegenüber der Gesamtgeselischaft oder der ganzen Mensch- heit einschließlich künftiger Generationen. Diese beiden Arten der Verantwortung fden für die unterschiedlichen Posi- tionen im Berufsfeld der Bauingenieure in ganz unterschiedlichem Ausmaß an; und beide Arten impliaeren je verschiedene Verhaltensweisen. Denn wäh- rend soziale Verantwortlichkeit noch mit den Betroffenen abgeklärt werden kann, muß die Anonymität geseiischaEtiicher Verantwortung, wie sie etwa den Planer trifft, durch später noch detailliert zu erläuternde Mechanismen kom- pensiert werden. ~ So notwendig die vorgetragene Abgrenzung eines soziologischen von einem moralisch-ethischen Verantwortungsbegriff ist, kann es nicht sinnvoll sein, sich auf die pure Deskription und theoretische Erklärung von Selbst- und Fremd- aischreibung von Verantwortung zurückzuziehen, solange man nicht die Idee des guten - und dazu gehört in der Moderne wohl auch: gerechten - Lebens längst aufgegeben hat. Soziologische und moralische Perspektive müssen sich daher ergänzen. Während es für den 5 o e - n Zugang zum Verantwortungs- problem zunächst unerheblich ist, ob Haudlungen de facto als moralische in- 154 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Lofler tendiert sind, ob also die Realisierung bestimmter Wertvorstellungen und Normen beabsichtigt wird oder ob die Handelnden sich vielleicht bloß an der Höhe der erwarteten Gratifikationen (soziale Anerkennung, Geld, Chancen zur Realisierung eigener Interessen) bzw. der Schärfe und Wahrscheinlichkeit der Sanktionen orientieren, ist diese Frage in moralischer Perspektive aller- dings umstritten. So verständlich die gesinnungsethische Position erscheint, die den Menschen nicht allein richtiges Handeln, sondern obendrein die richtige Einstellung vorschreiben möchte, so praxisfremd scheint uns diese Forderung auch zu sein. Und hier dürfte die arbeitssoziologische Untersuchung der Handlungsbedingungen im Arbeitsalltag von Bauingenieuren ein gewichtiges Korrektiv gegen den moralischen Rigorismus z.B. der Kantischen Philosophie sein, einen Rigorismus, dem ein permanenter und auch kaum aushaltbarer Druck entspräche. Der Praktiker jedenfalls dürfte sich und die Bedingungen, unter denen zu handeln er gezwungen ist, darin nur schwer wiedererkennen. Wie Verantwortung bezeichnet auch Pflicht jenen typischen Zusammenhang von Subjekten und Ereignissen, in dem die Akteure zu Urhebern, Verursa- chern oder Duldern realisierter oder antizipierter Zustände gemacht werden. Daher wird es zur genaueren Bestimmung von Verantwortung sinnvoll sein, sie von der ähniichen Kategorie der Pflicht abzugrenzen. Gleichzeitig muß das VerhäItnis beider ins Visier genommen werden. Wir schließen uns nun zwar der konservativen Diagnose an, daß Pflichten ge- genüber Verantwortlichkeiten aus der Mode gekommen seien; wir folgen des- wegen jedoch nicht der üblicherweise damit verbundenen Auffassung, daß es sich dabei um einen bedauerlichen Vorgang handle. Pflicht bezeichnet nämlich relativ scharf konturierte Sollensvorstellungen, deren Geltung unbestritten ist. Ihre reflexive Hinterfragung ist also entweder unsinnig oder geradezu verbo- ten; man hat ihnen schiicht nachzukommen. Nur wenn die beiden Merkmale der präzisen Normierung und der Nichthinterfragbarkeit zusammentreffen, reden wir von Pflicht. Gilt nur die erste Bestimmung, handelt es sich nur um strikte Vorschriften, die aber auch bloß singulärer Natur sein können. Zen- trale moralische Prinzipien (wie sie etwa in den ersten Artikeln des ONndge- setzes aufgeführt werden) mögen dagegen zwar nicht hiiterfragbar sein, sie sind aber keinesfaiis präzise; mit anderen Worten sind sie nicht unmittelbar handlungsinstruktiv, sondern stecken lediglich den Rahmen ab, innerhalb des- sen einzelne Handlungsziele erst noch zu bestimmen sind. Pfiichten und Vor- schriften "programmieren" das Handeln also in Wenn-Dann-Sätzen, während Wertprinzipien und Verantwortlichkeiten Rahmenprogrammierungen dar- stellen. 156 Hmns-Peter Ekardt und Rainer Löffler es sich etwa kein planender Ingenieur leisten, permanent an der globalen Richtigkeit seiner Einschätzung der Ausgangslage zu zweifeln. Oder allgemei- ner: Ingenieure müssen sich wie aiie Arbeitenden sowohl pflichtbewußt als auch verantwortungsvoll verhalten. Nicht immer können alle Konsequenzen und Wertbeziige des Tuns hinterfragt werden. Es bedarf auch der - zeitweili- gen - Entlastung durch scharf geschnittene Pflichten. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch an die sogenannte präkonven- tionelle Stufe der Moralentwicklung zu denken, die wir in der Regel wohl für gleichsam vormoralisch halten. Auf ihr orientiert man sich am Sanktionskaikül und wählt nach geringen Strafen bzw. hohen Gratifikationen seine Handlungs- pfade. Sich so zu verhalten, kann auch ungeachtet der Tatsache verständlich werden, daß Moral eben manchmal wehtut. In gewissen Situationen können nämlich Sanktionsfurcht und Gratifikationsverlangen als Kürzel der Moral fungieren. Dazu müssen sie freilich der kritischen Reflexion prinzipiell zu- gänglich sein. Das Argument moralischer Entwicklungsstufen bezieht man nach alledem sinnvollerweise auf Handlungen statt auf Personen; präziser: eine einzelne Handlung, die auf dieser oder jener Stufe anzusiedeln ist, diskreditiert noch lange nicht den Handelnden. Entscheidend ist nicht unbedingt, wie er sich im Einzelfall orientiert hat, sondern über welche moralischen Kompetenzen er bzw. eine Geselkhaft prinzipiell verfügt. Welche Handlungs- oder Entscheidungsbereiche freilich als Pflicht oder Ver- antwortung gelten, kann zwischen den Beteiligten umstritten sein. Umwelt- schützer und Geschäftsleitung einer Baufirma werden sicher divergierende Auffassungen darüber haben, wie strikt und bis zu welchem Preis Umwelt- schutz zu betrel'ben ist. Hier liegt es dann in der Verantwortung des Bauleiters abzukiären, welchen Prinzipien er unbedingt folgen will/soll, was nicht hinter- fragbare Wicht und was an Reflexion gebundene Verantwortlichkeit ist. Leider kann an dieser Stelle von uns kein Pflichtenkatalog erwartet denn dieser würde ja gerade das unbedingt vorschreiben, was in verantwor- tungsbewußter Perspektive erst hinterfragt und entwickelt werden muß. Wo solche Pfiichtenkataloge überhaupt möglich sind, bleibt ihre Erstellung Auf- gabe der gesamten Profession der Bauingenieure. Außerdem vergißt der ver- ständliche Wunsch nach "Check-Listen" verantwortungsbewußten Handelns, daß insbesondere bei komplexen Entscheidungssituationen und weit in die Zukunft hineinreichenden Handlungsfolgen, wie sie die Arbeit des planenden Ingenieurs auszeichnen, richtiges Handeln garantierende vollständige Antizi- I Die gesellschafliche Verantwortung der Bauingenieure 157 pationen unmöglich sind. An dieser prinzipiellen Offenheit der Ausgangslagen führt kein Weg vorbei. Wie lassen sich nun die angesprochenen Wissensschranken wenigstens teil- weise aufheben? Nach einem Vorschlag der neueren Philosophie müssen sich wissenschaftliche Wahrheit und moralische Richtigkeit in einem "idealen Dis- kurs" erweisen, der durch folgende Kriterien beschrieben ist: Teilnahme aller Gesellschaftsmitglieder oder mindestens aller Betroffener; kein Handlungs- druck und keine Macht- und Herrschaftsbeziehungen unter den Diskursteil- nehmern. Offenkundig können die wirkiich möglichen Diskurse (2.B. über Verkehrswegeplanung) diesen Bedingungen nicht genügen. Daher müßten sy- stematisch die Bedingungen entwickelt werden, unter denen sich die faktisch möglichen Diskurse dem Ideal annähern können, ohne die Notwendigkeiten der Praxis zu verletzen. Interdiszipharität halten wir in diesem Zusammen- hang für eine ganz zentrale Forderung, weil die Einbeziehung verschiedenster Experten den mannigfachen Perspektiven der Gesellschaftsmitgiieder we- nigstens ein biichen gerecht zu werden vermag. Ailerdiqs muß darüber hin- aus auch die Beteiligung der Betroffenen sichergestellt werden können. Und das ist nicht deine um der Demokratie willen notwendig, sondern hilft auch den diskutierenden Experten. Ein betroffener Laie spielt M Diskurs nämlich die Rolle des "ganz Anderen", der vielleicht Anregungen geben kann, um über die Grenzen der Selbstverständlichkeiten hinaus denken zu können. Eine weitere Voraussetzung der Annäherung an das Diskursideal besteht in h m r Freiheit. Diese Iäßt sich nur in der Abkehr von der bloßen Befolgung eingespielter und tradierter Konventionen gewinnen, an deren Stelle ihre ra- tionale Überprüfung angesichts der je besonderen Situation und zentraler mo- ralischer Prinzipien treten muß. Zweifeilos verlangt eine solche Einstellung Mut zum Nonkonformismus, die Bereitschaft, als einzelner notfalis "gegen alle" anzutreten. Aber das war freilich schon immer Bedingung jeder - um mit dem französischen Philosophen Bergson zu reden - "6volution cr6atriceW. Das Diskursideal verlangt auch äußere Freiheit, wenigstens als Abwesenheit von Zwang. Zwischen beiden besteht keine direkte Entsprechung, da äußerer Druck je nach psychischer Disposition der Betroffenen wohl zu größerer oder kleinerer innerer Freiheit fiihren kann. Zwischen innerer und äußerer Freiheit, zwischen subjektiven Fdhigkeiten und objektiven Bedingungen können zwei Arten von Diskrepanzen auftreten. (a) Ingenieure werden moralisch untafmktt, wenn sie die subjektive Fähigkeit und Bereits&& mitbringen, se-h und umsichtig zu h a a e ihnen aber gleichzeitig kaum Chancen geboten werden, ihre Aaspriiche zu 158 Hanns-Peter Ekardt und Rainer Löffler realisieren, weil sie enger Fremdkontrolle und -Steuerung unterworfen sind. @) Ingenieure sind moralisch übe~ordert, wenn sie Funktionen ausüben müs- sen, von denen viel abhängt und die zusätzlich schlecht kontrollierbar sind, sie aber subjektiv nicht in der Lage sind, der damit objektiv gesetzten Verant- wortlichkeit gerecht zu werden. Man könnte nun einwenden, daß selbst ohne Zwänge, die das Verhalten im strengen Sinne determinieren, dennoch kaum Spielräume verantwortlichen Ar- beiten~ existierten. Auch ohne einen Bezug auf die in Kapitel 2 erläuterte Notwendigkeit, Problemstellung und -lösung, Prognosen und Zukunftszenarios etc. selber erst generieren zu müssen und ohne der Untersuchung von Auto- nomiegraden an verschiedenen Arbeitsplätzen vorzugreifen, läßt sich gegen dieses Argument festhalten, daß die Verhaltenserwartungen, denen sich Inge- nieure wie andere Arbeitende als Schranken ihrer äußeren Freiheit konfron- tiert sehen, keineswegs unverrückbar sind. Obendrein bricht aufgrund der Wi- dersprüchlichkeit dieser fremdgesetzten Zwänge immer wieder die Notwen- digkeit auf, die eigene Praxis selbst zu bestimmen. Äußere Zwänge sind so wenig wie Schuldnischreibungen schlicht gegebene, fme Tatsachen. Wir alle verstehen in unserem tagtägiichen Arbeitshandeln zahlreiche Verfahren der Entschuldigung, Rechtfertigung, Beeidussnng von Erwartungen usw. anzuwenden, mittels derer wir schon kurzfristig unsere Freiheitsgrade vermehren möchten. Demnach sind zwei Ebenen autonomen Handelns zu unterscheiden. Zum einen können die aktuellen Rahmenbedin- gungen des Arbeitshandelns noch genügend Spielraum für Selbstbestimmung lassen; zum anderen können diese Rahmenbedingungen selbst beeinflußt wer- den. Offensichtlich berühren sich an dieser Stelle Verantwortung und Macht: Macht nämlich, eigene Spielräume zu nutzen und auszuweiten. Und auf den Umstand, daß die Arenen, in denen Macht und Verantwortlichkeit überhaupt erst konfligieren können, durch arbeitslogische Sachverhalte definiert werden, haben wir oben bereits hingewiesen. Unseres Erachtens kann die Profession der Bauingenieure die zu verantwortli- chem Handeln notwendige äußere Freiheit nur dann erreichen, wenn sie sich organisiert. Denn zur Wahrnehmung der Verantwortlichkeit der Bauingenieu- re reicht es nicht aus, notfalls sich trotz des drohenden Arbeitsplatzverlustes zu verweigern. Damit würde man bestenfalls der moralischen Forderung ge- recht, nichts zu tun, was der eigenen Überzeugung widerspricht. Zu dieser Verantwortung für sich erwächst den Bauingenieuren durch ihren Experten- Status auch Verantwortungfür andere, die in die Anstrengung münden muß, das zu realisieren, was man für richtig hält. Der einzelne jedoch wird bei die- Eine Organisierung der Profession würde auch die soziale Basis kollektiver Verantwortung darstellen. Bei dem in modernen Gesellschaften erreichten hohen Maß an Arbeitsteilung und Vernetztheit der einzelnen Tätigkeitsfelder kann oftmals keine Einzelperson für entstandene Effekte verantwortlich ge- macht werden, weil Handlung und Resultat nicht mehr deutlich einander zu- geordnet werden können. Wenn auf der anderen Seite Bauingenieure ihre Rolle als Experten für einen Teilbereich dessen, was gutes Leben ausmacht, wahrnehmen wollen, muß der neue Mechanismus kollektiver Verantwortung bloß individuelle Zuständigkeit ablösen. Schäfer weist in seinem Beitrag zu diesem Band eindriigiich darauf hin, daß dazu der Qualitätsaspekt des Handelns deutlich gegenüber dem Kontroll- aspekt privilegiert sein muß. Die im Gefolge notwendiger Arbeitsteilung ent- stehenden Verantwortungsbereiche müssen sich hinreichend überlappen, wenn die Qualität kollektiver Arbeit nicht empfindlich gemindert werden soll. Freilich muß dafür der Preis entrichtet werden, daß man nicht immer einen einzelnen Verantwortlichen d i i e s t machen kann. Wer sich von in langfristiger Perspektive immer zu knapp bemessenen Auto- nomiespielräumen nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern auch im Ange- sicht konfligierender oder d a r f e r Erwartungen, oft harten Sanktionen bzw. materialer oder materieller Engpässe (V@. etwa den Beitrag von Jungmam in diesem Band), nicht zu entschlüsselnder Ketten von Handlungsfolgen und nur schwer auf die jeweilige Situation applizierbarer moralischer Prinzipien ver- antwortungsvoll arbeiten möchte, sucht nach einem Pendant zur Zivilcourage des öffentlichen Lebens. Fiir dieses Pendant existieren im übrigen keine be- grifflichen Vorlagen, weil es die praktische Philosophie 2.500 Jahre lang er- staunlicherweise verstanden hat, die Arbeitswelt zugunsten der politischen und privaten Sphäre auszublenden. Einige Konstituenten des Pendants zur Zivilcourage haben wir in diesem Ab- schnitt bereits ausführlich erläutert. Verantwortungsbewußte Bauingenieure brauchen innere Freiheit zur reflexiven Distanzieruug und äußere Freiheit, um sozialen Druck abpuffern zu können. Notwendige Voraussetzung einer ver- antwortlichen Berufspraxis sind aber nicht zuletzt diejenigen Qualifikationen, die die Fachkollegen als "hgenieurmäßig" rubrifizieren: Vorstellungskraft, Phantasie, Souveränität in der Modellbiidung, im Umgang mit Theorien und Ansätzen unterschiedlicher Wuklichkeitsnahe und unterschiedlicher Funktion; Die gesellschaftliche Verantwortung der Bauingenieure 159 sem Unterfangen die Hilfe seiner Professionskollegen in Anspruch nehmen müssen. 160 Hanns-Peter Ekardt und Rainer L&jjler Voraussicht, zukünftige Entwicklungen aktiv "heranniPehenW und nicht passiv auf sich zukommen zu lassen. Schließlich dürfte eine verstärkte Organisierung der Profession eine H i e sein, weil sie in solidarischer Kritik kognitive Schranken aufheben und durch Koalitionen Mitglieder der Profession schüt- zen kann. Nun verhält es sich mit der "Zivilcourage der Arbeitswelt" wie mit allen mora- lischen Prinzipien: sie sind immer leichter räsonnierend e i d a g e n als prak- tisch einzulösen. Um den entsprechenden Hindernissen auf die Spur zu kom- men, untersuchen wir daher die Bedingungen der Möglichkeit verantwor- tungsbewuljten Handelns bei verschiedenen typischen Arbeitsaufgaben von Bauingenieuren. 4. Die gesellschaftliche Verantwortung der Bauingenieure in unterschiedlichen beruflichen Einsatzbereichen Der Grundgedanke unseres Beitrags lautet, daß Aussagen zur Berufsmoral aus Analysen der Grundstrukturen der Ingenieurarbeit heraus entwickelt wer- den müssen. Sie sollen nicht "von außen" an die Ingenieurarbeit und an den praktisch tätigen Ingenieur herangetragen werden, etwa vom Standort aiige- meiner Erwägungen zur Ethik in einer von Wissenschaft und Technik gepräg- ten Gesellschaft. &M die Sachlogik der Arbeit und die Logik der Sittlichkeit des Arbeitshandelns unterliegen Bedingungen der Verträglichkeit. Wer über Berufsmoral redet und diese Verträglichkeitsbedingungen mißachtet, läuft Gefahr, daß seine Moralerwägungen völlig ohne Belang für die Praxis bleiben. Wir werben f4r die Einsicht, daß es objektive Handlungsvoraussetzungen für Sittlichkeit, für Moralitäi gibt, denen der praktisch Handelnde gerecht werden muß, sofern er der Idee der Sittlichkeit überhaupt verpflichtet ist. Und inso- fern es je nach Tätigkeitstyp und Funktionsbereich Variationen in diesen ob- jektiven Strukturen und Voraussetzungen gibt, werben wir für die Einsicht, daß das Sittliche im Beruf sich in unterschiedlichen Formen wird zeigen müs- sen. Es erscheint uns also ungerechtfertigt und nicht plausibel, ohne Rücksicht auf objektive Arbeitsstrukturen bestimmte Standards moralischen Bewußt- seins als die für Ingenieurarbeit angemessenen auszuzeichnen. So können 2.B. bestimmte Erscheinungen konventionalistischer Moral ungeachtet ihrer ent- wicklungslogisch "frühen" Stufe auch im moralischen Sinn durchaus angemes- sen sein. Die gesellschafliche Vemntwortung der Bauingenieure 161 Unser Grundgedanke zielt primär überhaupt nicht auf derartige Bewußtseias- standards als solche, denn es ist ja gerade die von uns als offen behandelte Frage, ob und wie ein bestimmtes moralisches Bewußtsein im Arbeitsvollzug "greift". Er zielt erst recht nicht darauf, gute von schlechten, richtige von falschen Handlungsfolgen zu unterscheiden. Denn es ist ja in vielen Bereichen von Ingenieurarbeit notorisch schwierig, die Wirkungen des Handelns voll- ständig und zutreffend zu überschauen. In solchen Bereichen kann sich die moralische Bewertung des Handelns gar nicht am den Folgen orientieren, son- dern moralisch relevant ist hier eher die Nichtbestimmbarkeit der Folgen bzw. das Umgehen mit dieser Nichtbestimmbarkeit. Wir reden also in einer "objektiven" Einstellung von Berufsmorai, indem wir fragen, unter welchen objektiven Bedingungen Sittlichkeit in welchen Formen in Erscheinung treten kann. Die Differenzen zwischen Verkehrsplanern und Firmenbauleitern über die Bestimmung dessen, was Verantwortung des Bau- ingenieurs heißen könnte, solltea sich auf dieser Grundlage besser verstehen und diskutieren lassen. Diese Differenzen werden sich so zwar nicht völlig als Scheindifferenzen aufiösen, aber jeder der beiden so unterschiedlichen Posi- tionen werden wir eine gewisse Begriindbarkeit nicht absprechen können. Dennoch bleiben die Differenzen als solche ein Stachei, denn wir müssen ja gerade, wollen wir eine politisch-moralisch handlungsfähige Profession und nicht nur den handlungsf'ahigen einzelnen anstreben, auch eine Verständigung über die Berufsethik "des" Bauingenieurs ermöglichen; und weiterhin müßte diese Position auch noch anderen Ingeniewgruppen vermittelbar sein. Eine unaufgelöste Spannung in unseren Überlegungen ist daher schon jetzt abseh- bar: die Spannung zwischen der notwendig "lokalen" Entfaltung der Idee der Berufsverantwortung und der mit der Idee der Sittlichkeit gesetzten Universa- lität ihres Geitungsanspruches. Vermerkt werden muß der Voiiständigkeit halber, daß wir in diesem Rahmen nicht die so wichtige Frage erörtern, wie sich moralisches Bewußtsein der Handelnden unter gegebenen Arbeitsstrukturen und Arbeitsverhältnissen wandelt oder befestigt. Wir gehen also nicht der Frage nach, welche morali- schen Lernprozesse jemand vollzieht, der drei Jahrzehnte als Firmenbauleiter oder als Stadtentwicklmgsplaner tätig ist. Sondern wir erörtern, welches mo- ralische Bewußtsein unter welchen arbeitssbuktureiien Bedingungen die Chance hat, praktisch wirksam zu werden. I Da es bei 'Veranhmrhmg" auf 'riddges", 'gutes' Handeln ankommt, nicht aber auf "klQes", "gutesn Bewu@eh, &bieten wir im foigenden apsge- wählte berufliche Einsatzbereiche im HmbW auf die für das Handeln ent- 162 Hanns-Peter Ekardt und Reiner L6jjler scheidende Komplementarität zwischen Arbeitsstruktur und Berufsmoral. Weil arbeitsstrukturelle Merkmale nicht jeweils exklusiv, sondern allenfalls dominant fiir einzelne Tätigkeitsbereiche gelten, und auch um Wiederholun- gen zu vermeiden, werden wir zunächst den vier im Kapitel 2 unterschiedenen arbeitslogischen Tatsachenkomplexen die ihnen unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung korrespondierenden Moralkonzepte gegenüberstellen. Erst da- nach werden wir folgende berufliche Einsatzbereiche mit ihren charakte- ristischen Verantwortungsproblemen darstellen: - Verkehrsplaner, Stadtplaner - Entwurfsingenieur, "Aufsteller" statischer Berechnungen, Konstrukteur - Bauleiter (Fiienbauleiter, früher "Bauführer") - PrUfingenieur für Baustatik. Diese Auswahl ist primär von der Tätigkeit der Referenten her begründet, die zu dem Kolloquium beigetragen haben. Zahlreiche andere Einsatzbereiche hätten betrachtet werden können. Über die genannte Begründung hinaus kann aber in Anspruch genommen werden, daß die Auswahl dieser vier Tätigkeits- bereiche einen sehr großen Ausschnitt des Berufsfelds der Bauingenieure er- faßt. Vier Komplexe sachiogkher Strukturen der Ingenieurarbeit im Bauwesen haben wir bereits erläutert: (1) Unhintergehbare Notwendigkeit der Eneugung von Problemen, Objekten und Situationen. Mit dieser Gestaltemlle des Ingenieurs stellen sich besondere moralische Probleme, im Unterschied zu analysierender, urteilender Tätigkeit. (2) Aqnchronitdi zwischen Projekteigenzeit und Entwicklungszeit der Gesell- schaft. Diese Asynchronität unterminiert den notwendigen und möglichen Konsens oder den hierfür erforderlichen Diskurs zwischen Öffentlichkeit und Ingenieur. (3) Äußere und innere Komplexitdt der Projekte und Bauobjekte. Der ICom- plexität korrespondieren Probleme der Arbeitsteilung und der Techoik-Be- wertung, an denen die Idee der Verantwortung scheitern kann. (4) Unhintergehbarkeit der Mo&llbil&ng und Konventionalisierung von Mo- dellbildungsprozessen. Mit der Notwendigkeit der Modellbildung und der an sie anschließenden Konventionalisierung des Wirklichkeitsbenigs verbindet sich eine Tendenz zu konventionalistischen Morallconzepten. Je nach dem ak- tuellen Arbeitsproblem ist dies der Verantwortung förderlich oder hinderlich. I Die gesellschafrlche Verantwortung der Bauingenieure 163 Im Kapitel 3 haben wir gesehen, daß Wandeln und Moral ganz unterschiedlich verknüpft sein können. (1) Handeln kann kraft des Interesses an Strafvermeidung oder Gratifiiatio- nen an wahrgenommenen Sanktions- und/oder GratifAationschancen orien- tiert sein. "Moralisch ist ein solches Handeln im Sinne des biblischen Auge- um-Auge-Prinzips. Unbeschadet der moralischen Bewertung ist ein solches Moralkonzept überhaupt nur anwendbar, insofern Handlungen und Hand- lungsfolgen eindeutig zurechenbar sind. Dies ist bei Ingenieurarbeit oft nicht der F d . (2) Handeln kann kraft Regelinternalisierung und angesichts wahrgenomme- ner Handlungsnormen daran orientiert sein, die in den Regeln ausgedrückte soaale Ordnung aufrechinerhalten. Dieses Moralkonzept erhält unterschied- liche praktische Bedeutsamkeit, je nachdem, wie dicht und operabel (eindeu- tig, konsistent, befolgbar) die für das Handeln einschlägigen Normen "ge- strickt" sind. Ein Handelnder, der im Sinne der Stufen moralischen Bewußt- seins ein "Konventionalist" ist, läuft moralisch dort ins Leere, wo handlungsin- struktive Normen nicht vorliegen, nicht eindeutig oder nicht konsistent sind. Die beiden letztgenannten Sachverhalte sind irn Bereich der Bauingenieurar- beit oft gegeben. Insbesondere das notwendig generative Moment der Ingeni- eurarbeit wird vom moralischen Konventionalismus nicht erfaßt. (3) Handeln kann schließlich kraft Einsicht und orientiert an zentralen Wert- prinzipien (z.B. Schutz der Unversehrtheit der Nutzer von Bauten) Hand- lungsfolgen, geltende Normen und Interessen unterschiedlicher Beteilig- ter/Betroffener flexibel aufeinander beziehen. Unter Zeitdruck (wie er für die Arbeitsbedingungen im Bauwesen typisch ist) sind die hierfür erforderlichen Prozeduren aber nicht zufriedenstellend durchzuführen. Im F d e inkonsisten- ter oder uninstruktiver Normen, uneindeutiger Tatsachenfeststellungen in be- zug auf Handlungsfolgen und Interessenlagen gibt es aber andererseits gar kein anderes Verfahren der Bewahrung von Sittlichkeit als den Diskurs. Für die dem Ingenieur vertraute Haftung als Medium von Verantwortung fehlen in diesen Fällen nämlich die objektiven Voraussetzungen. Die von uns geschätzte Vmhvovtung kann unter arbeitsstrukturell widrigen Bedingungen legitimerweise nivei W e d e n e Varianten der Pflicht anneh- men: (4) Sie kann die Form des Normen-Aümd&mus annehmen, wo band- l m g s k t d t i v e Normen voriiegen und ein Diskurs nicht durchführbar ist. Sie 164 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Ldfler sollte diese Form durchaus annehmen, wo berechtigte Zweifel an der Ver- nünftigkeit der Normen nicht bestehen. (5) Sie kann zur Gesinnungsethik erstarren, wo die Normen undIoder Hand- lungsfolgen blaß, uneindeutig, unantizipierbar werden. Die Gesinnungsmoral ist jedoch dort angemessen, wo die Handlungsfoigen auch bei großem Auf- wand nicht absehbar sind und deshalb ein flexibles Abarbeiten zwischen Wert- pridpien und Folgen/Interessen der von den Folgen Betroffenen objektiv unmöglich wird. Niemand kann uns hindern, in diesem Fall das Prinzip Ver- antwortung für erfüllt zu halten. Wir wollen nun im einzelnen sehen, wie die Idee sittlicher Verbindlichkeit an- gesichts arbeitsstruktureiier Gegebenheiten bewahrt werden kann. 4.1 Konstitutionserfordeniisse und Moral Nur in den selteneren Fälien seiner Berufspraxk ist der Ingenieur gefordert, verantwortliche Urteile zu bereits bestehenden Sachverhalten, zum Beispiel zu Schadensfälien, abzugeben. Der Regelfall besteht eher darin, etwas zu gestal- ten. Seiner Tätigkeit entspringt unablässig etwas Neues auch dort, wo er nicht die Rolle des "Neuerers", des Erfinders, des Schöpfers für sich in Anspruch nimmt. Es ist bereits dargestellt worden, in welch umfassendem Sinn dieses Gestaltungserfordernis für den Bauingenieur besteht. Nicht nur technische Objekte, sondern auch die zugehörigen Probleme, wie die Objekt-Umwelt- Interaktionen und die ihnen zugrundeliegenden Zukunft-Szenarios bedürfen der Gestaltung. Obwohl es die Bauherrn, die Öffentlichkeit, "die Gesellschaft" sind, die ein Problem "haben", zu dessen Lösung das Bauwerk beiträgt, kommt dieses Problem nicht ohne die aktiv-gestaltende Rolle des Ingenieurs zustande. Unangemessen ist daher das Bild von der "Auführungsverantwortung" des In- genieurs. Dieses Bild schränkt die Verantwortung des Bauingenieurs gegen- über seinen wirklichen Beziehungen zu Bauherrn, Betroffenen und Öffentlich- keit viel zu sehr ein. Die Handlungs- und Urteilsfähigkeit des Bauingenieurs kommt also nicht zum Zuge, ohne den technisch-praktischen und technisch-wissenschaftlichen Rah- men zu überschreiten. Der Ingenieur wird ganz unfreiwillig in die Praxis der Bauherren, der Besteller einer Leistung in die Praxis betroffener Dritter hin- eingezogen. Moralisch bedeutet dies folgendes: (1) Im Hinblick auf Geltungsansprüche, denen sein Handeln unterworfen ist, gilt, daß der Bauingenieur nicht nur für die sachliche Triftigkeit (Wahrheit) Die gesellschaftliche Vemntworlung der Bauhgenieure 165 seiner Aussagen und Handlungen einzustehen hat, sondern sich auch der Frage der Richtigkeit von Problemstellungen und Problemlösungen stellen muß. Die Kategorie der Richtigkeit berührt sozial geltende Vorstellungen vom Bauen, und sie berührt die Interessen der aktuell Betroffenen. (2) Für das entwickiungslogische Niveau moralischen Urteilens gilt, daß in der geschilderten Gestaltungssituation ein Sicherheit suchender Rückzug auf gel- tende Normen nicht möglich ist. Die moralisch verpflichtende Ordnung der Normen kommt erst zum Zuge, nachdem Probleme gestellt, Lösungen vorge- schlagen, technische Objekte entworfen und Umweltbeziehungen dieser Ob- jekte postuliert worden sind. Die akzeptierte Verpflichtung auf Normen ist sy- stematisch zweitrangig, weil sie praktische Bedeutung erst in bemg auf die primär zu erzeugenden Problemstellungen/Problemlösungen erlangt. Dieser Eneugungsprozeß ist aber selber nicht wesentlich durch geltende Normen ge- steuert oder eingeschränkt. Zweitrangig ist die Normenbindung auch insofern, als es von der kognitiven Kompetenz und Wendigkeit, vom technischen Ein- fallsreichtum, von der Kreativität in der Alternativenproduktioa abhängt, in welchem Maß der Verpflichtungschrakter der Normen überhaupt sichtbar wird ("Hart ist das Joch der Normen für die Dummen"). Will also ein planender und konstruierender Ingenieur die Idee sittlicher Ver- bindlichkeit für sich in Anspruch nehmen, so wird er in d e r Regel auf ein postkonventionelles Niveau moralischen Argumentierens gezwungen. Der rechtfertigende Rückzug auf Normen ist zwar in ali jenen Fällen moralisch an- gemessen, in denen es der Ingenieur nicht mehr mit Problemen, sondern nur mit (eindeutig und vollständig definierten) Aufgaben zu tun hat, an deren Zu- standekommen er nicht beteiligt gewesen ist. Hier allerdings kann er in die moralisch ausweglose Situation geraten, daß durch die Art der Aufgabenstel- lung Normen aktualisiert werden, die einander widersprechen. Er kann dann, um nicht schuldig zu werden, die Arbeit verweigern (die heroische Variante) oder zwischen den Alternativen des Schuldigwerdens wählen (die tragische Variante). Dies kann bestenfalls die Karikatur einer verantwortlichen Praxis des Bauingenieurs sein. Eine kognitiv und moralisch reife Form der Praxis ist nur möglich, wenn die Gestaltungsmögüchkeiten des Planers und Konstruk- teurs aktiv ergriffen und dudgmetzt werden und wenn Normen zwar beach- tet, aber auch selber zum Gegenstand des Urteilens im Lichte zentraler Wert- prionpien werden. Ein solches Niveau veranhvdkher Praxis setzt bestimmte Verkehrsformen, bestimmte Muster des Umgangs der Ingenieure untereinander und mit Bau- herrn und betroffenen Dritten voraus. Der arbeitslogischen Zirkuiadät zwi- 166 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löjjler schen Problemstellung und Problemlösung, zwischen Problemdekornposition und arbeitsteiliger Problemlösung muß die von einem Verständigungsinteresse geleitete Interaktion zwischen den Beteiligten entsprechen. Mit der arbeitslo- gisch gesetzten Konstellation arbeitsteiliger Problemlösungstätigkeit ist das Verständigungsinteresse objektiv gesetzt. Dieses in der Praxis zu leugnen, zu bloß strategischen Verhaltensweisen zurückzukehren, bedeutet den Verzicht auf einen berufsethischen Anspruch überhaupt. Die Kritik an dem Bild der Ausführungsverantwortung schließt deshalb auch die Kritik an solchen vertraglichen und organisatorischen Verhältnissen ein, unter denen der Ingenieur erst am Ende einer linear gedachten Entschei- dungskette tätig wird. Baustatisch tätige Ingenieure im Bereich des anspruchs- volleren Ingenieurhochbaus charakterisieren ihre Rolle häufig sarkastisch mit der Formel, sie müßten ein Gebäude "hinrechnen". Gemeint ist damit, daß sie vom Bauwerksentwurfsprozeß, innerhalb dessen faktisch auch das Tragwerk mitentworfen worden ist, ausgeschlossen worden sind und nun darauf be- schränkt sind, den Standsicherheits- und Gebrauchfähigkeitsnachweis für ein von vornherein unteroptimal entworfenes Tragwerk führen zu sollen. Eine verantwortliche Praxis in einem umfassenden Sinn ist auf diesem Weg schon ausgeschlossen. Unter dem Stichwort "Konstitutionserfordernis und Moral" kommt es also darauf an, die Idee der sittlichen Verbindlichkeit in dem nicht hintergehbaren Prozeß der Konstitution von Problemen, Objekten und Situa- tionen a d e g e n , weil anders nur Heroismus, Tragik oder Zynismus übrig- bleiben. Von eigener moralischer Qualität ist die mit der Bauplanung unausweichlich verbundene h q p m e ~ g k e i t und die Kopplung der Prognosen mit zu entwer- fenden, also zu wählenden Zukunftsszenarios. Wird die Planung auch prak- tisch um- das geplante Bauwerk also ausgeführt, dann ist damit der Rahmen mögücher Vernunft des Bauwerks selbst und der Planungstätigkeit gesetzt; im übrigen schrumpft dieser Vernunftrahmen gegenüber der Pla- nungssituation. Eine geplante große Trinkwassertalsperre zum Beispiel erweist sich nur dann als vernunftig, wenn sich der Wasserverbrauch den Prognosen entsprechend entwickelt. Andernfalls sind umfangreiche Investitionsmittel ver- schleudert und große Flächen - ggf. ökologisch und kulturell wertvollen - Lan- des sinnwidrig verbraucht worden. Umgekehrt darf sich im Falle des bewußten Verzichts auf den Talsperrenbau der Wassernerbrauch nicht über die Pro- gnose hinaus vermehren, weil eine nicht einfach faktisch eingetretene, sondern qua Entscheidung in Kauf genommene Trinkwassernot nicht vernünftig sein kann. Die gesellschafliche Verantwortung der Bauingenieure 167 I Dieses faktische, an Gestaltuogaakte gebundene Rognoseproblem bildet aber nur den einen Aspekt, den quasi stofflich-harten Kern des Problems. Überla- gert wird es von dem aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und den kogni- tiven Differenzen zwischen Laien und Experten resultierenden Problem der Steilvertreterschaft in der Vorwegnahme von Zukunft. Aus dem sachlogisch unhintergehbaren Prognose- bzw. Gestaltungserfordernis ergeben sich zwei Aspekte der Berufsethik des Bauingenieurs, und zwar ein primärer, "diachroner" Aspekt und ein sekundärer, "synchroner" Aspekt. Das moralische Problem in der diachronen PerspeIdive besteht darin, den mit Pla- nen und Bauen unvermeidlich gesetzten E i in die zukünftigen Lebensbe- dingungen dieser Gesellschaft und insbesondere der nikunftigen Generationen auch in einem moraiischen Urteil "e idolenn . In der synchronen Perspektive rnuß es dem Produzenten solcher Prognosen, die die zukünftige Generation im Namen der gegenwärtigen Generation Risiken aussetzen, darum gehen, seine Zeitgenossen in den Prozeß der moralischen Urteilsbddung einzubezie- hen. Dabei muß er zwei Versuchungen widerstehen: der ungeduldig-techne kratischen Versuchung, die aus der oft zutreffenden Erkenntnis gespeist wird, daß die zum moralischen Urteil aufgerufenen Zeitgenossen Mühe haben, al- lein die kognitiven Voraussetzungen zu erfiillen, die geforderte technische, ästhetische ... Phantasie aufzubringen, um moralisch urteilen zu können; wi- derstehen muß er aber auch der legalistisch-formalistischen Versuchung, sict auf die Position des politisch inkompetenten Politikberaters zurückzuziehen d e d o l g e der Experte nicht entscheidet, sondern nur berät. In benig auf die oben unterschiedenen Stufen moralischen Bewußtseins be- deutet dies, daß weder ein Normenkonventionalismus die gewünschte Orien- tierung bietet, noch der Versuch aussichtsreich sein kann, diese Orientieruug in einem Diskurs zu gewinnen, in dem zentrale Wertprinzipien und Betroffe- neninteressen aufeinander zu beziehen wären. Denn diese möglicherweise Betroffenen gehören der nächsten Generation an, sind nicht unsere Zeitgenos- sen. In bezug auf die offene, ungewisse Zukunft, also in b m g auf die diachrone Perspektive, hilft vermutlich nur eine Prinapienethik, deren Inhalte sich auf das Tempo und die Methodik des überschreitens vertrauter Grenzen und der Eingriffe in Natur und Gesellschaft beziehen. In bezug auf die eben- f& nicht aufhebbare Differenz zwischen m r t e n und Laien, Berater und Entscheider ist die d i s m e Rehhieniog von Prinzipien und praldi- scher Rognoseempfehluag mzustrebem. ~ 168 Hm-Peter Ekardt und Reiner LöJSlr 4.2 Asynchronität und Moral Unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit der Ingenieurarbeit kann es für Ingenieure nicht gleichgultig sein, ob und inwiefern sie mit ihrer Arbeit die artikulierten Interessen ihrer Zeitgenossen zum Ausdruck bringen. Ein etwai- ger Kompromiß oder sogar ein Konsens ist zwar keine hinreichende Bedin- gung für die Vernünftigkeit einer Planung, aber die Klärung des Ver- nunftanspruchs einer geplanten Baumaßnahme muß sich auf die unterschiedli- chen Interessen der Zeitgenossen definitiv beziehen. Dies gilt schon für von Privaten finanzierte und verantwortete Bauvorhaben, es gilt aber insbesondere für öffentlich 6nanzierte Infrastrukturbauten wie Verkehrswege, Wasser- und Energieversorgungsanlagen, Abwasser- und Miiil-Entsorgungsanlagen, die ih- rem Anspruch nach von vornherein auf das öffentliche Wohl bezogen sind. Im Vorfeld und zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung bzw. der Planfeststellung wird diese Frage am ausdrücklichsten gestellt und unter oft massiver Beteiligung der Öffentlichkeit behandelt. Die von vielen Bauinge- nieuren als lästig empfundene und tatsächlich auch Kraft kostende Politisie- rung des Bauens erreicht hier meist ihren Höhepunkt. Sollte es überhaupt zu einem Kompromiß zwischen widerstreitenden Interessen oder - unwahr- scheinlich genug - zu einem öffentlichen Konsens über die Baumaßnahnie kommen, so sind diese zu dem genannten Zeitpunkt fällig. Denn eine Min- destbedingung vernunftigen Bauens ist ja, daß Einverständnis über eine Bau- maßnahme mindestens zu jenem Zeitpunkt erzielt wird, an dem diese begon- nen wird oder auch noch unterbleiben kann, ohne erhebliche Fehlinvestitionen zu hinterlassen. Unterstellen wir nun den Idealfall eines Konsenses zum ge- nannten Zeitpunkt, so bedeutet die Asynchronität zwischen Projektablauf und gesellschaftiicher Entwicklung, zwischen Projekteigenzeit und gesellschaftli- cher Zeit die U n t e d e n i n g dieses Konsensus während der langandauernden Phasen der Baurei@hmimg und der Ausführung des Bauvorhabens. Dem Dis- kurs, der dem Konsens nignindeliegt, werden lautlos die Geltungsgrundlagen entzogen. Moralisch bedeutet dies folgendes: Ingenieure können im Hinblick auf dieses lautlose Enischwinden der Geltungsgrundlagen ihrer Praxis den Anspruch auf Sittlichkeit ihres Handelns nur bewahren, indem sie neben ihrer Arbeit am Bauobjekt einen fortgesetzten Beitrag zur Verknüpfung zwischen dem sozialen Prozeß der Planung und Ausführung ihrer Bauwerke und dem allgemeinen Wandel der gesellschaftlichen Institutionen und Normen und Wertvorstellun- gen leisten. Das Ziel dieses Beitrags hat darin zu bestehen, jene kognitiven und sozialen Voraussetzungen immer wieder neu zu schaffen, die den prakti- schen Diskurs zwischen den Baubeteiligten überhaupt erst ermöglichen. Diese Aufgabe läßt sich nicht beiläufig, neben der Alitagspraxis des Ingenieurs, er- füllen. Allenfalls für Ingenieure im Bereich der projektübergreifenden Grundlagenplanung wäre dies vorstellbar, nicht aber für Ingenieure im Be- reich der Ausführungsplanung und der Bauausführung selber. Diese Aufgabe ist das Feld der Ingeniemrbände (zum Beispiel des VSVI) und der Inge- nieurkammern. Für jeden Ingenieur erwächst hieraus die Pflicht zur Mit- gliedschaft und Mitarbeit in den Verbänden und Kammern sowie die Pflicht dazu, Verbände und Kammern über ihre berufsständische Interessenwah- rungsfunktion hinaus zu Trägem öffentlicher Verantwortung werden zu lassen. Die Asynchronität zwischen der Eigenzeit der häufig langlaufenden Baupro- jekte und der Entwicklung der für das Projekt relevanten Gesellschaft kann nicht in einer befriedigenden Weise auf dem Hintergmd der Unterscheidung von Stufen moralischen Bewußtseins diskutiert werden. Denn unbeschadet der jeweils als relevant anzusehenden Stufe ist doch die Idee sittlicher Verbind- lichkeit gebunden an die Voraussetzuug der Geltung sozialer Richtigkeitsvor- steilungen, seien diese untereinander konsistent oder nicht, seien sie verträg- lich mit und operabel in bemg auf zentrale Werte der Gesellschaft oder nicht. An den beiden Beispielen des Rhein-Main-Donau-Kanals und der Nahe- Überbauung in Idar-Oberstein kann jedoch studiert werden, daß die Asyn- chronität objektiv moralunfähiie und das heißt paradoxerweise auch im em- phatischen Sinn "praxisfreie" soziale Räume entstehen läßt, wenn nicht gegen diese Asynchronität gesteuert wird. Die gesellschafrliche Veranhvorhrng der Bauingenieure 169 Die B a a p r d der achtziger Jahre stellt den Vollzug und die Konsequenzen praktisch-politischen Planungshandelns der Jahre zwischen 1925 und 1965 dar. Die ökologische Dimension praktisch-politischen Handelns, heute eine eta- blierte Dimension zentraler gesellschaftlicher Werte, ist in der Baupraxis der achtziger Jahre gar nicht "aufgehoben", denn sie bildete keine schon ausrei- chend akzentuierte Dimension praktisch-politischen Handelns im Bereich der Verkehrswegeplanung in den genannten Referenzzeiträumen. Die an den ge- nannten Baumaßnahmen in den achtziger Jahren beteiligten Bauingenieure sind daher eher moralischer DesOrientierung, mithin der Unfähigkeit zur Ver- antwortung ausgesetzt, als da6 sie der Vorwurf operativer Unverantwortlich- keit treffen könnte. Die Geseiischaft hat sie politisch-moralisch ins Leere lau- fen lassen, hat sie nicht "mitgenommen" auf ihrem Weg der Transformation zentraier Wertvorsteiiungen Mit den Begriffen der Normenethik, des morali- schen Konventionalismus, der Gesinnimgs- und Verantwortungsethik ist der Tatbestand arbeitslogisch notwendig e m q t e r obsoleter Wertnischm ni&t befriedigend beschreibbar. Die politisch-modische Dimension der Ingenieur- arbeit im Bauwesen, also die QuaM&mq der Arbeit als Praxis, kann unter 170 Hanns-Peter Ekardt und Reiner L&fler dem hier gemeinten Aspekt nur im Blick bleiben, wenn (Bau-) Ingenieuren die doppelte Leistung abverlangt wird, (a) ihre arbeitsteilig ausdifferenzierte Ar- beit m tun und @) die politischen Rahmenbedingungen des Volizugs dieser Arbeit ständig zu erörtern und gegebenenfalls zu verändern bzw. eine Zwangskopplung zwischen gesellschaftlicher und Projektentwicklung herzu- stellen. 4 3 Komplexität und Moral In der öffentlichen Diskussion über Verantwortung ist die Einsicht verbreitet, daß die Idee der Verantwortung an der Komplexität arbeitsteiliger gesell- schaftlicher Praxis scheitern kann. Einen problematischen, aber griffigen Aus- druck findet diese Einsicht in der Formel von der "Taylorisierung der Verant- wortung". Verantwortung fäilt durch die Maschen der Arbeitsteilung; Ar- beitsteilung wird (angeblich) strategisch eingesetzt, um kooperativ tätige Men- schen verantwortungsunfähig zu machen. Für die Planung und Ausführung baulicher Anlagen ist diese E i c h t von besonderer Bedeutung. Im Abschnitt 2.3 wurden in diesem Sinn als verantwortungsrelevante Aspekte arbeitslogisch konstituierter Komplexität unterschieden: (1) Die äußere Komplexität des Projekts, das heißt die verantwortungsgefähr- dende Tatsache, daß die Referenzpunkte für die Entscheidung über Vernunft und Unvernunft eines Projekts notwendigerweise nicht oder nicht allein im Handlungs- und UrteilSbereich der Projekt-Organisations-Beteiligten liegen. (2) Die innere Komplexiiläf des Projekts und Objekts und das komplementäre Dekompositionserfordernis mit den Folgeproblemen der Kompatibili- tätssicherung zwischen den Subsystemen des Bauobjekts (formale Ratio- nalitätsschranke) und der Systemoptimierung aus unteroptimalen Subsystemen (materiale Rationalitätsschranke). (3) Die Komplerirdt der Bewe~ngsdimensionen mit dem Folgeproblem, daß mit dem Fortschritt der formalen Bewältigung vieldimensionaler Opti- mierungsprobleme nicht gleichermaßen Fortschritte in der Gewährleistung ei- ner inhaltlich vernünftigen Problemlösung verbunden sind. Mit diesen Aspekten arbeitslogisch konstituierter Komplexität der Ingenieur- arbeit ergeben sich folgende Perspektiven der Moral und Verantwortung: Wie im Falle des Zusammenhangs von Asynchronität und Moral geht es auch hier in der Ingenieurpraxis darum, neben der eigenen Sacharbeit an der Schaffung von Voraussetzungen für mögliche projektbezogene Verantwortlichkeit zu ar- beiten. Auch hier geht es also in moralphilosophischer Perspektive nicht pri- mär um die Erörterung von Variationen prinzipiengeleiteten Umgangs mit Normen sozial richtigen Handelns, sondern es geht darum, wie in der Inge- nieurpraxis der Zusammenhang zwischen eigenem Handeh und dessen Wir- kungen am Objekt oder im Objektumfeld kognitiv und praktisch beherrschbar bleibt oder wird, so daß die latente Instanz des Gewissens überhaupt eine Chance erhält, aktiviert zu werden. Die Instanz des Gewissens, die Fähigkeit der Auseinandersetzung mit (wie immer konsistenten oder konfiigierenden) sozialen Verhaltenserwartungen, kann also auch irn Falle unterstellter gemeiner Wertprinzipien nur operativ wirksam werden, wenn der komplexe Zusammenhang zwischen Handeln und Handlungsfolgen kognitiv und praktisch beherrscht wird, wenn Wertprinzipien und Normen in das Dickicht komplexer Handlungsnisammenhänge wieder eingefädelt werden. Dies bildet aber nur die eine Seite des Zusammenhangs von Komplexität und Moral. Komplexität kennzeichnet nämlich nicht nur den arbeitsteiligen Handlungszusammenhang, sondern ebenso das ausdifferen- zierte System von Wertbezügen des Planens und Bauens. Verantwortlichkeit I wird mr hohlen Geste, wenn sie sich selbstvergessen an bloß einer der vielen praktisch bedeutsamen Wertgesichtspunkte der Ingenieurarbeit abarbeitet. Die gesellschaftliche Verantwortung der Bauingenieure 171 Das Bewußtwerden und Hervortreten der ökologischen Wertdimension, selber mannigfach differenziert, über die dem Bauingenieur schon bisher vertrauten Wertgesichtspunkte hinaus (Sicherheit, Gebrauchsfähigkeit, Wirtschaftlich- keit) bedeutet zunächst eine Steigerung des Vernunftanspruchs des Bauens. Das technische und soziale Unvermögen jedoch, mit der inneren Komplexität des Vernunftanspruchs umzugehen, bedeutet einen Rückfall hinter schon er- reichte Standards der Rationalität des Bauens. Es ist daher zu fordern, daß praktische Anstrengungen unternommen werden, die Komplexität des Hand- lungs- und Wirkungszusammenhangs und die Komplexität des Urteilszusam- menhangs kognitiv und praktisch zu beherrschen. Ohne Erfüllung dieser For- derung bleibt das den Ingenieuren verfügbare Niveau moralischen Urteilens belanglos. Gleichwohl ist mit dem Hinweis auf die faktische Komplexität des h w n s das Erfordernis einer Prinzipienethik der Bauingenieure gesetzt, denn es ist völlig unwahrscheinlich, daß das Handeln der Bauingenieure sich an ei- nem instruktiven Set gegebener konsistenter Nomen orientieren könnte. Da- mit ist weiter gesetzt, daß entweder innerhalb des Systems der Arbeitsor- ganisation oder komplementär oder kuakurrierend zu dieser separate sozial- organisatorische Formen prinzipiengeleiteter Diskurse etabliert werden müs- sen. Infrastrukturplanung im Schoß staatiicher oder kommunaler BauverWal- 172 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löflm tungen findet sicher günstigere Voraussetzungen für die Verknüpfung von Ar- beit und Diskurs als Fertigqpplanung und Bauleitung im Schoß privater Wirtschaftsunternehmungen. 4.4 Modellbildung, technische Normung und Moral Im Abschnitt 2.4 ist das Erfordernis der Modellbildung als wesentlicher Sach- verhalt der Ingenieurarbeit im Bauwesen skizziert worden. Für das Thema der Berufsmoral ist dieser Sachverhalt in zweifacher Weise bedeutsam. Einmal, weil die jeder Modellierung der Wirklichkeit inhärenten Unschärfen, Unge- wißheiten, Selektivitäten, Verkürzungen für eine Praxis, die sich auf diese Mo- delle stützt, unvermeidliche Risiken für den Akteur selber undIoder für Dritte enthält; die Inkaufnahme dieser Risiken muß verantwortet werden. Dem Mo- dellbildungserfordernis kann sich kein Akteur entziehen; dieses Erfordernis ist der Gesellschaftlichkeit von Arbeit schon vorausgesetzt. Die aus dem Modell- bidungserfordernis folgende Unvermeidiichkeit der Inkaufnahme von Risiken (auch für Dritte) verleiht jeder individuellen, sich ihrem Selbstverständnis nach nur iastrumentell auf einen Gegenstand richtenden Tätigkeit eine gesell- schaftliche und damit moralische Dimension. Für das Thema der Berufsmoral ist dies Modellbidungserfordernis aber noch unmittelbarer von Bedeutung. Modelle regulieren nämlich nicht nur den Zu- gang zur Wirklichkeit und tragen bei zur Eneugung (und bilden selber einen Teil) einer zweiten Wuklichkeitsschicht, der Schattengestalt der ersten Wirk- lichkeit als Plan, als Berechnung, als Beschreibung. Modelle regulieren und koordinieren auch die Kooperation arbeitsteiiig tätiger Akteure; sie bilden ein Medium der Vergeselischaftung von Arbeit und bieten in dieser Eigenschaft einen "natürlichen" Ansatzpunkt fiir soziale Konventionalisierungsprozesse. Normen, Konventionen über die Art und Weise der Wirklichkeitsauffassung, über die Erfassung der Wiklichkeit der Baustoffe, Bauwerke, Bauelemente, über das Verhalten von Stoffen und Bauwerken bilden eine wesentliche Funk- tions- und E~enzvoraussetzung gelingender arbeitsteiliger Praxis. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist diese Konventionalisierung in Gestalt des technischen Normen- und Regelwerks einem massiven Positivierungspro- zeß unterworfen. Und dieser Prozeß erstreckt sich über die Normierung tech- nischer Gegenstände, Stoffe und technisch relevanter Naturtatsachen hinaus auch auf Prozesse der Herstellung und Planung, etwa indem Normen Berech- nungs- und Fertigungsverfahren vorschreiben, Arbeitsungenauigkeiten oder - fehler in Rechnung stellen. I Die gesellschaftiche Verantworlung der Bauingenieure 173 Für die Diskussion gesellschaftlicher Produktivität und Vernünftigkeit be- stimmter Stufen moralischer Urteile, über bestimmte Formen b e d k h e r Ethik ist es ersichtlich von Bedeutung, daß in den arbeitsi- Strukturen der Bauplanung und Bauausführung - vorsichtig ausgedriickt - Atnnitaten zum ethisch-moralischen Konventionalismus angelegt sind. Auf dem beschriebenen Hintergrund ist es nicht zu rechtfertigen, Formen strikter Verpflichtung auf arbeitswichtige Wirklichkeitskonventionen und auf Konventionen der A d e - rung an diese Wirklichkeit mit dem Verdikt moralischer Rückständigkeit zu belegen. Vielmehr gewährleistet diese soziale Geltung des technischen Regel- werkes unter den Baubeteiligten über weite Strecken die Sicherheit dieser Baubeteiligten selber und aller potentiell betroffenen Dritten. Sie ist auch eine Garantie der Gebrauchsfähigkeit technischer Objekte und auf diesem Umweg ein Faktor der Sicherung der Wirtschaftlichlreit der Bauinvestitionen, obwohl die unmittelbaren Baukosten keineswegs immer durch das technische Regel- werk in engen Grenzen gehalten werden. Dennoch ist es die Praxis selber, sind es gerade die herausragenden Vertreter der Ingenieurpraxis, die vor einer "sklavischen" Orientierung an den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik warnen. Diesen Warnungen mag im Ein- zelfall das sehr persönliche Motiv eines hochqurilitinerten und entwicklungs- orientierten Ingenieurs nignmdeliegen, nicht unnötigen Fesseln seiner techni- schen Kreativität unterworfen zu sein. In der Sprache der Normung kennt er die Ditrerenzen zwischen dem "Stand von Wissenschaft und Technik" und den "-mein anerkannten Regeln der Technik", und er wäre im Zweifelsfall durchaus in der Lage, auch dann verantwortungsvoll zu konstruieren, wenn er vom geltenden Regelwerk abweicht. Ganz unabhängig von derartigen persönlichen Motiven sind diese Warnungen vor einer sklavischen Regelorientierung jedoch ein Ausdruck dreier objektiver, mit der Tatsache der sozialen Geltung von Normen generell verbundener Sachverhalte: Der eine Sachverhalt betrifft die unvermeidliche Inkonsistenz oder sogar Widersprüchüchkeit gieichermaßen geltender Normen, die sich der Komplexität des Bauens und (sekundär) der Komplexität des Normungspro- zesses verdankt. Der zweite Sachverhalt betriffi: die dank der unendlichen Mannigfaltigkeit von Anwendungssituationen gegebene Unsicherheit in der Normenanwendung. Und schließlich betrifft der dritte Sachverhalt das notori- sche Hinterherhinken des Normgebungspmzimes hinter der Entwicklung der Bauverfahren, der Baustoffe und der W w e n vom Bauen. Je b r den Baubeteiligten diese Sachverhalte vor Augen stehen, um so eher -den sie die moralisch anspruchsvoilere Haltung einnehmen wollen, den Geltungs- anspruch der technischen Normen zwar ai akzeptieren, zugieich aber dem 174 Hmns-Peter Ekardt und Reiner Löfler Regelwerk gegenüber eine prinzipienorientierte Distanz zu wahren. Nor- meninkonsistenzen, Anwendungsunsicherheiten und von Fall m Fall schlichte Überholtheiten einzelner Vorschriften erfordern vom kompetenten Praktiker im Einzelfall, die Vertretbarkeit der Anwendung einzelner Normen im Lichte zentraler Wertprinzipien, wie zum Beispiel des Sicherheitsgebots, zu beurtei- len. Die moralische Struktur baupraktischen Handelns unterscheidet sich von der der Alltagspraxis darin, daß das technische Regelwerk als der zentrale Kern der handlungsrelevanten Normen sich von den Normen des Alitags durch einen hohen Grad der Bestimmtheit (Detailliertheit und Schriiftlichkeit) aus- zeichnet, da6 Abweichungen von der Norm vergleichsweise gut erfaßbar sind und daß diese Normenverletzungen ein prompt reagierendes zweifaches Sy- stem privatrechtlicher und strafrechtlicher Sanktionen aktivieren. Die morali- sche Doppeistruktur der gleichzeitigen Verpachtung auf eine stark positi- vierte, durchregulierte normative Ordnung und auf zentrale Wertprinzipien ist also von größeren Spannungen beherrscht, als dies für jede moralisch avan- cierte Mt-praxis gilt. 4.5 Excmplsrisebe Darstellung der Aufgabenbereiche: Verkehrsplaner, Enheder, Finbau le i t e r und Prüfingenieur Mit diesem Anspruch und diesen Erwartungen verbindet sich nach allem bis- her Gesagten je nach beruflichem Einsatzbereich etwas sehr Verschiedenes. Unser Ziel war es, die in den beruflichen Eiatzbereichen unterschiedlichen Bedingungen und Möglichkeiten moralischen Handelns darzustellen. Insbe- sondere sdlte dargeiegi werden, da6 es die fiir jeden h t z b e r e i c h charakte- ristischen A r b e i i n sind, die die praktische Verwirklichung sittlicher Verbindiicbkeii formen. Das Prinap der Gerechtigkeit als eines der zentralen ethischen Prinzipien, die es zu entscheiden gestatten, ob eine Handlung mora- lisch vertretbar ist oder nicht, wird im k t z b e r e i c h des Bauleiters ganz an- ders wirksam als in dem des Verkehrsplaners. Im folgenden werden also die Einsatzbereiche Verkehrs- und Stadtplanung, Statik/Konstruktion/Entwurf, Fimenbauleitung und Prüfen statischer Be- rechnungen daraufhin betrachtet, mit welchen ethisch-moralischen Anforde- rungen und mit welchen möglichen Durchsetzungsformen verantwortlichen Handelns unter den jeweiligen sachlogischen Gegebenheiten zu rechnen ist. Bei der Korrespondenzbetrachtung zwischen Arbeitslogik und Formen morali- schen Bewußtseins und bei der Analyse einzelner Einsatzbereiche im Hinblick Die gesellschaftliche Verantwortung der Bauingenieure 175 auf diese Korrespondenz sind allerdings folgende sozialen Tatbestände mitzu- berücksichtigen, die sich der sozialen Verfassung der Arbeit und ihrer syste misch verselbständigten Rahmenbedingungen verdanken; sie stehen in einer kompiizierten Beziehung zur arbeitslogischen Basisstruktur, insofern sie nur über diese vermittelt ihre soziale Wirksamkeit entfalten: - typische Formen der Normierung des Handelns (Dichte und Prägnanz der Normierung, Orientierung der Normen an Handlungen oder an Hand- lungsfolgen, Thematisiening sachlicher Triftigkeit oder sozialer Richtig- keit); - typische, an Handlungen und Handluugsfoigen geknüpfte Sanktionsmecha- nismen und entsprechende Möglichkeiten des soaalen Scheiterns (Arten der Sanktionen, Härte, Promptheit im Verbäitnis zum Handlungsvolhg); - extern gesetzte und immanente Rationalitätsgesichtspunkte des Handelns (Sicherheit, Wirtschaftlichkeit u.ä.). (1) Für das Handeln des Verkehnpploners (gleichermaßen des Stadtplaners) ist moralisch bedeutsam, daß es keinen Kanon sozial geltender Richtigkeitskrite- rien gibt, der das Planungshandeln regulieren würde (wohlgemerkt: es ist nicht von Grundsätzen und Normen des Eniwu$ eines Verkehrsweges und der zu- gehörigen Leiteinrichtungen die Rede, sondern von eventuellen Grundsätzen und Normen der Grundlagenplcu1ung). Zentral ist auch die völlige Offenheit des Handlungsfelds des Planers. EventueUe Richtigkeitskriterien greifen erst in bezug auf frei entworfene zukünftige Zwtibde und Tatbestände. Bedeut- sam ist weiter, daß die von einer Planuqpdnabme Betroffenen sich an ei- nem möglichen Diskurs über die Vernünftigkeit und Wünschbarkeit der Maß- nahme nicht einmal virtuell beteiligen können, weil sie in ihrer Mehrheit zu- künftigen Generationen angehören. Es gilt weiter, daß Planer nicht für die so- zialen, wirtschaftlichen Folgen ihres Handelns einzustehen vermöchten, denn sie werden nicht mehr leben, wenn ein erhebiicher Teil dieser Folgen auftritt. Dem Planer sind diese Folgen potentiell gegenwärtig nur vermittelt über hochgradig risikobehaftete Prognosen. Schließlich ist bedeutsam, daß die - vor allen Positivierungsprozessen, etwa in Gestalt wni technischen Normen, Ge- setzen, Verordnungen - sozial geltenden Prinzipien und Normen der Planung einem Wandel unterliegen, der oft rascher erfolgt als die Vollendung und Nut- zung der geplanten Objekte. Löet sich dso die Idee sittlicher Verbindiichkeii vor der Wuklichkeit des Planem uwl rPj.rPni objelttiven Strukturen auf? Wir glauben dies nicht. Jedoch können eine Ethik des Planens und eine Moral des Planers weder konkrete Handlmgm md Unterlassungen noch die Ver- I 176 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löffler pfiichtung auf eine bestimmte normative Ordnung thematisieren und fest- schreiben. Der Logik des Planens entsprechend, verbietet sich aber auch die Vorstellung einer Verantwortungsethik, derzufolge ein primär an Prinzipien orientiertes Handeln ständig und systematisch rückbezogen wird auf die aktuellen Folgen des Handelns und auf die Lebensinteressen der von diesen Folgen Betroffe- nen. Denn die Rede von den Folgen bleibt ja spekulativ, hypothetisch, ist nur durch zu verantwortende Prognosen vermittelt. In der m verantwortenden Handlung geht es gar nicht um zu verantwortende Folgen selber, sondern um deren risiiobehaftete Prognose einer entworfenen Zukunft. Themen einer Ethik des Planens müssen also das Verfahren der Prognoseerstellung, der wünschbare Reichtum an Prognosevarianten, der Umgang mit dem Risikobe- griff, das Verfahren der Beteiligung der Zeitgenossen an der Auseinanderset- zung mit Prognosen sowie Kriterien der Flexibilität von Planungs- und Bau- verfahren sein. (2) Für das Handeln des Entwu$singenieurs, 'Statikers': Konstrukteurs ist die moralische Situation völlig anders als beim Verkehrsplaner. Auch er ist (je nach Objektbereich, im Ingenieurbau mehr, im allgemeinen Hochbau weni- ger) zwar darin frei und auch entsprechend gefordert, Konstruktions- und Produktionsaiternativen zu entwerfen, also dem moralischen Urteil eine Vor- gabe m machen. Existiert diese Vorgabe erst einmal, dann wird in bemg auf sie eine große Menge positiver und prinzipiell befolgbarer Normen aktiviert. Sie bilden einen erheblichen Teil der Richtigkeitskriterien, denen das Kon- struktions- und Entwurfshandeln unterliegt. Ein zentrales Moment der Ethik des Konstmierens wird hiernach in der Verpflichtung auf diese positive nor- mative Ordnung bestehen. Der Bauingenieur dieses Eiasatzbereiches darf für sich geltend machen, daß die Idee der Verantwortlichkeit in einem ganz unge- schmälerten Sinn berufliche Wirklichkeit ist: Es existieren befolgbare Normen, die Handlungsfolgen sind dem Akteur zurechenbar, und es gibt funktionie- rende privat- und strafrechtliche Sanktionsinstanzen, die dem "Einstehen für eine Handlung" einen ganz praktischen Sinn verleihen. Dieses glatte Bild der Ethik des Konstruierens erhalt jedoch Risse, sobald die oben referierten Sachverhalte vergegenwärtigt werden, die sich in den War- nungen von Praktikern vor einer skiavischen Regelorientierung ausdrücken. Es mögen die Stichworte Regelinkonsistenz, Differenzen zwischen allgemein an- erkannten Regeln der Technik und Stand von Wissenschaft und Technik, An- wendungsunsicherheiten, Wechselspiel zwischen Modellvermitteltheit der Re- gelanwendung und Regelsteuerung der Modeiibidung genügen. Außerdem Die gesellschaftiche Veraniworhlng der Bauingenieure 177 trifft bei komplexen Entwfsaufgaben die Vorstellung der eindeutigen 2he - chenbarkeit der Handlungsfolgen nicht zu. Mgrund dieses wirklichkeitsnähe- ren Bildes von der Konstruktionsarbeit ergibt sich für die Ethik des Konstruie- rens, daß diese für breite Bereiche vertrauter Problemstellungen in der Ver- pflichtung auf eine geltende Ordnung bestehen darf, daß aber an den Rändern und in den Zwischenräumen zwischen diesen vertrauten Bereichen, insbeson- dere an der "Front" der Entwicklung des Bauens, eine von Prinzipien gesteu- erte und an den Folgen sich orientierende moralische Praxis zu fordern ist. Auch bleibt zu bedenken, daß die moralisch bequemere konventionalistische Haltung dazu verführen kann, in den arbeitslogkh primären Vorgaben kon- servativ zu bleiben und die normativ uneindeutigen Problemstellungen durch konservative Entwurfsvorgaben zu meiden. I (3) Der Fimenbauleiter nndet Bedingungen und Strukturen seines Arbeits- volizugs vor, die in moralischer Hinsicht vöiiig konträr ni denen des Ver- kehrsplaners sind. Der Kontrast bezieht sich auf das Verhältnis zwischen gel- tenden Normen und reflexionssteuernden Wertprinzipien und auf den unter- schiedlichen Grad kontingenzbedingten Handlungsdrucks in den beiden Tätig- keitsbereichen. Der Bauleiter ist umstellt von präzisen (legitimen) Erwartun- gen verschiedener Bezugsgmppen, die über ein relativ hohes Sanktionspoten- tial verfügen. Für jeden Bauleiter liegt es daher wohl - ganz im Sinne des Bei- trags von Petereit zu unserem Kolloquium - nahe, sittliche Verbindlichkeit, Verantwortung in der Form der Pflicht zu verstehen Eine diskursethische Po- sition, in deren Zentrum die Herstellung von Gerechtigkeit durch ein mög- lichst viele Betroffene erfassendes Verfahren der Rechtfertigung von Hand- lungen und der Begründung von Normen im Lichte der Frage der Verallge- meinerbarkeit von Betroffenen-Interessen steht, muß dem Bauleiter als schie- rer Luxus erscheinen. Das hat seine Gründe nicht in soaaler oder moralischer Phantasielosigkeit, in psychischer Starrheit der identitäimxbfirgenden Ver- pflichtung auf eine fragios geltende Ordnung, sondern darb, da6 unter dem Handlungsdruck, unter dem der Bauleiter steht, die VedQbarkeit operativ eindeutiger Normen und die Orientierung an diesen die Bedbgmg der Mög- lichkeit rationalen und moralischen Handeh überhaupt darstelien. Die Faktoren des Handlungsdrucks sind zu einem guten Teil arbeitdogischer Natur, sie verdanken sich den primären Kontingenzen des Baupromxses (Kontingenzen der natürlichen und politisch-6koxmmkkn Umweit); sie ver- danken sich den Inkonsistenzen der komplexen Rod&kmor@don und den aus dieser Komplexität resultierenden Kontingenzen (sehindare Kontin- genzen). Der Arbeitsprozeß "Bauleiten" besteht wesedkh darin, mit den ge- nannten kompiexen und kontingenten Rahmenbediilgnngen des rn o r p k i i - 178 Hm-Peter Ekardt und Reiner Löfler renden und zu leitenden Produktionsprozesses fertigzuwerden. Mit Bedacht haben wir davon gesprochen, daß die Faktoren des Handlungsdrucks "zu ei- nem guten Teil" arbeitslogischer Natur sind. Ethisch relevant ist ganz gewiß, daß es zu anderen Teilen die spezifischen Irrationalitäten einer privat- und marktwirtschaftlich verfaßten Bauproduktion sind, die den Handlungsdruck erzeugen, unter dem der Bauleiter wie kein anderer seiner Ingenieurkollegen steht. Für unser Argument der Rationalität einer konventionalistischen Konzeption von Verantwortung im F d e des Bauleiters ist entscheidend, daß dem Hand- lungsdruck ohne ein instruktives Netz von normativ geltenden Handlungsre- geln gar nicht begegnet werden kann. Relativiert werden muß dieses Bild al- lerdings aufgrund der Widersprüchlichkeit der Erwartungen und der Inkon- sistenz der Normen. Den Gegebenheiten und Notwendigkeiten des Arbeits- vollnigs entspringt daher häufig ein dezisionistisches Moment der Handlungs- begründung, das moralphilosophisch seine fragwürdige Entsprechdg darin findet, die Vorstellung einer geltenden und von Sanktionen bewehrten Ord- nung auch über die Welt der Menschen hinaus auf eine jenseitige Welt auszu- dehnen. Vor dem jenseitigen Gericht wird hiernach gewürdigt werden, daß der Akteur sich von der Idee einer verpflichtenden Ordnung hat leiten lassen wol- len, auch wem er gegen diese aus tragischer Notwendigkeit hat verstoßen miissea Chancen moralisch befriedigerenden Arbeitens eröffnen sich für Bauleiter in dem Maße, wie sie Praktiken und Einstellungen entwickeln, die den Hand- lungsdnick mindern. Beständig und weit vorauszusehen, Puffer- und Aus- weichsirategien verfügbar zu halten, wird insofern auch zu einer moralischen Pflicht. Moralische Qualität muß sicher auch einem Verhalten zugeschrieben werden, das nicht jeden Druck weitergibt, der sich weitergeben iäßt und sich auf eine legitime Vorgabe stützen kann (Vertrag, Ges- Vorschrift usf.). Handlungsfreiheit als Bedingung verantwortlichen Handehs ist wsimhend davon abhängig, wieweit es gelingt, konträre Erwartungen auszubalancieren, gleichermaßen legitime Erwartungen danach zu ordnen, in welchem Maße sie verallgemeinerungsfahige Interessen zum Ausdruck bringen (Sicherheitsan- forderungen als Aushck eines hochgradig mraügemeinerungsfähigen Inter- esw) und Erwartungen eher partikularer Interessen (Verpflichtungen aus Verträgen) im Rahmen einer offensiven Handlungsstrategie und aufgrund an- gebotener Gegenleistungen verhandelbar zu machen. (4) Der Aüjhgenieur für Baustatik befindet sich im Vergleich zu den drei zu- vor skizzierten Funktionsträgern in der scheinbar übersichtlichsten und ein- Die gesellschafliche Verantwortung der Bauingenieure 179 fachsten berufsethischen Situation. Der für diese Verein€achung wichtigste Umstand besteht darin, daß dem Prüfingenieur eher und nberwiegend Urt~iis- handlungen anstelle der für Ingenieurarbeit charakt-en Gestaltungs- handlungen abverlangt werden. Nominell befindet sich der Priifhgenieur in der attraktiven Lage, nicht in ein kompliziertes Netz überkreuzender Interes- sen verstrickt zu sein, sondern er ist im Rahmen einer Aufgabmübertragung für eine staatliche Bauaufsichtsbehörde damit befaßt, einen von einem Driiten vorgelegten Standsicherheitsnachweis daraufhin zu überprüfen, ob dieser den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik entsprechend geführt worden ist und ob das Ergebnis die Aussage zulä&, daß das m Ausfuhrung bean- tragte Bauwerk nach Maßgabe der geltenden Sicherheitsstandards standsicher ist. Der Prüfingenieur findet - immer noch im Rahmen dieser nominellen Be- schreibung - einen Urteilsgegenstand vor, nämlich die im Rahmen des Bau- antrags vorgelegten Pläne und Berechnungen, ihm steht das Regelwerk als Urteilsstandard zur Verfügung, und er hat nun PIBne und Berechnungen nach Maßgabe des Regelwerks zu beurteilen. Dieser ersten Beschreibung zufoige ist hier ein Tatsachenurteil zu fällen; die Frage der Regeikonformität der Bau- antragsunterlagen kann hier mit JA oder NEIN beantwortet werden. Eine mo- ralische Qualität scheint diesem Urteil nicht zuzukommen. Aber in der Wirk- lichkeit der Prüftätigkeit verhält es sich anders. Solche Tatsachenurteile hat der P rwen ieu r nur im Rahmen eher formaler Prüfaspekte zu fällen. Mit JA/NEIN läßt sich die Frage der Überschreitung dässiger Spannungen, Sicherheiten, Abmessuogen durch die rechnerisch oder konstruktiv ausgewiesenen Werte beantworten. Auch für die formale und immanente Prüfung der rechnerischen Richtigkeit gilt dies. Überall dort aber, wo schon dem "Aufsteller" verantwortete Urteile abveriaugt wurden, schlagt dies auch auf die Prüftätigkeit durch. Dies b e m die Wahl von Modellen, Be- rechnungsannahmen, Berechnungsverfahren, Nachwehgrößen. Der P r l i f i i nieur trägt ebenso wie der Ausführende letztiich nicht die Verantwortung für die Einhaltung von Regeln, sondern für die Standsicherheit auszuführender Bauwerke und für das Wohi der Nutzer dieser Bauwerke und anderer Betrof- fener. Zwei Aspekte der Prüfpraxis begründen die moralische Substanz der zu pro- duzierenden Urteile: Der erste Aspekt betriüi die schon oben (s. Kapitel 2.4, 4.1) erörterten iuhärenten Unwagbmkeiten, Unsicherheiten, Unschärfen der mit Modeiibiddungsprozessm verbundenem AMahmen und Prognosen. Die m Ansehung dieser Ungewißheiten @Mertea StandSicherheitsurteile miisben verantwortet werden. Der zweiie AspeLt betrifft die Beziehung des Pdifers zum Aufsteller. Füt den Aufsteiler häugi m n Urteil des Prüfers viel + in der 180 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löffer R-1 ergibt sich für ihn zusätzlicher Arbeitsaufwand, sofern der P d e r die vorgeiegten Nachweise beanstandet. Auch zeitlicher Verzug des Bauvorhabens kam hierdurch ausgelöst werden und damit die Interessen von Bauherr und Baufirma empfindlich berühren. Das geschieht auch dann, wenn der Prüfin- genieur im Rahmen der Bauüberwachung den Baufortschritt verzögernde Vorbehalte gegen die Qualität der Ausführung geltend macht, etwa bei der "Bewehrungsabnahme". Da das Standsicherheitsurteil entgegen dem ersten Anschein also nicht eine Antwort auf eine JAINEIN-Frage, sondern eine zu verantwortende Einschätzung darstellt, wird dieser Prozeß des Urteilens not- wendig berührt vom Wissen um die von diesem wiederum betroffenen Interes- sen. Zusammengefaßt hat der Prüfmgenieur also folgendes zu tun: er hat kon- struktionstechnische (und fertigungstechnische) Vorgaben in Gestalt von Be- rechnungen, Zeichnungen, Ausführungsleistungen im Lichte des technischen Normenwerks zu pden; er hat die Prufprozedur in dem Wissen durchzufüh- ren, daß und inwiefern die Vorgaben ihrerseits verantwortete sind, daß die Normen Konventionen darstellen, daß Vorgaben und Normen auf dem Hin- ter@ des Standes von Wissenschaft und Technik und im Lichte zentraler Prinzipien beurteilt werden müssen; und er hat, bevor er ein endgültiges Urteil fällt, dessen Folgen für die damit berührten Interessen zu bedenken. Bei aiie- dem darf der Prüfer nicht vergessen, daß auch er selbst sich in Beziehungen der Abhängigkeit befindet, denn in anderen Projektkonsteliationen wird er vielleicht Kooperationspartner, Auftragnehmer, Prüfunterworfener des jetzi- gen "Prüfling$ sein. 5. Konsequenzen und Schlußbemerkungen Unsere gesamten Ausführungen zielten nicht darauf, inhaltliche Normen ver- antwortlichen Planem und Bauens dardegen. Hierauf mußten wir schon mangels eigener baufachlicher Kompetenz verzichten. Die Baufachleute selber könnten aber ebenfalls nicht ihrer Verantwortung gerecht werden, indem sie über die Köpfe der Zeitgenossen hinweg nur aufgrund ihrer Fachkompetenz ein für aliemai einen Kanon baufachlich gebotenenlverbotenen Handelas auf- stellten. Ein solcher Kanon könnte der offenen Problemstruktur, den kontin- genten Rahmenbedingungen, den prognostischen Unwägbarkeiten sowie der Dynamik und Komplexität des Planens und Bauens niemals gerecht werden. Die gesellschafliche Verantwortung der Bauingenieure 181 Durch unsere wiederholten Bezugnahmen auf das technische Regelwerk ha- ben wir zu erkennen gegeben, welche große Bedeutung wir dessen handlungs- orientierenden Funktionen beimessen. Zur Verantworhmg der Bauingenieure gehört also gleichermaßen die Mitarbeit an der Weiterentwicklung dieses Re- gelwerks, und - auch dies haben wir mehrfach betont - es gehört im Regeifd zu ihrer moralischen Verantwortung, die Regelbefolgung als Pflicht zu akzep tieren und zu praktizieren. Hieraus folgt trivialerweise die Pflicht zur Regel- k e ~ t n i s , einer bei der Fülle und dem Wandlungstempo der Normen nicht leicht zu befolgende Pflicht, und es folgt für eine Vielzahl praktischer Fälle das Recht auf eine konventionalistische moralische Haltung. Zugleich aber sollte deutlich geworden sein, daß das Problem der Verant- wortung mit der Frage angemessener R e g e W t e , Regeldichte und mit der Forderung der Verpflichtung auf diese fachliche normative Ordnung bei weitem nicht ausreichend gefaßt werden kann. Die Strukturen der Ingenieur- arbeit irn Bauwesen, die Logik des Arbeitsprozesses und die spezifischen Rahmenbedingungen der Bauplanung und Bauadiihnmg lassen eine Moral, die sich nur als Verpflichtung auf eine normative Ordnung versteht, leerlaufen. Sowohl das moralische Bewußtsein der Baubeteiligten wie auch die das Planen und Bauen regulierenden Institutionen müssen die kritische Distanz zum Re- gelwerk und den prinzipiengeleiteten souveränen Umgang mit diesen ermogli- chen und fördern. Zur Verantwortung der Bauingenieure gehört es daher, durch Einflußnahme auf Ausbildung und verbandliche Organisation hierzu beizutragen. Eine weitere Einsicht nötigt jedoch zur Überschreitung des Rahmens, den die traditionelle und aktuelle praktische Philosophie zur Erörterung des Verant- wortungsproblems bereitstellt. An dieser Einsicht wird besonders deutlich, daß die praktische Philosophie sich nicht mit dem Handeln in der Arbeitswelt, mit der Arbeit als Praxis befaßt. Diese Einsicht betrifft das generative, gestalteri- sche Moment der Ingenieurarbeit, und sie betrifft den Umstand der buchstäb- lichen Unabsehbarkeit der Folgen des Arbeitshandelns der Ingenieure. Zur Logik der Ingenieurarbeit gehört, daf3 der Ingenieur kraft seiner gestalteri- schen, generativen Leistungen, mit denen er mögiiche Zukünfte vorwegnimmt, Vorgaben machen muß, auf die dann erst sein moralisches Urteil und die gel- l Wir führen gegemädg ein PüäprqeLt iikr *Die Rolk Technischer Normen im M E P prozeß von Ingenieum' durch, in dem Barobl die PraiOs der Normsetzung und das ihr kor- respondierende Bild vom Annender als auch der ta@@kk Umgang d i r Amedcr mit den Normen eruiert wird. 182 Hanns-Peter Ekardt und Reiner Löffler tende normative Ordnung sich beziehen können. Der Prozeß der Vorgabener- Zeugung verdankt sich gleichermaßen subjektiven Leistungen, wie auch den objektiven Führungen durch die dem Arbeitsprozeß zugrundeliegenden ar- beitslogischen Strukturen. Das Prüfen von Geltungsansprüchen und das Ab- wägen von Handlungsfolgen können sich nur auf tatsächlich erzeugte Vorga- ben, nicht aber auf die unterlassenen Vorgabeproduktionen beziehen. Er- schwert wird die befriedigende Fassung des Verantwortungsproblems, weil zahlreiche Handlungsfolgen im Dunkeln bleiben, die moralphilosophisch ge- botene Rückbiindung eines an Normen und Prinzipien orientierten Handelns an die folgenbedingten aktuellen Interessen konkreter Betroffener daher nicht im erwünschten Umfange durchführbar ist. Entsprechend der Logik des Arbeitsprozesses läßt sich die Logik der Sittlich- keit des Arbeitshandelns durch diese Abfolge skizzieren: (1) Akteure erzeugen auf der Grundlage objektiver Führungen Vorgaben. Nichts kann sie zu einem irgendwie meßbaren, ausreichenden Maß an Vorga- ben zwingen. Der Vorgabeprozeß ist durch Kreativität, Phantasie und Erfah- rung der Akteure vermittelt. (2) Diese Vorgaben aktivieren ausschnitthaft die einschlägig relevanten Nor- men. Dieser Aktivierungsprozeß ist vermittelt durch einschlägige Normen- kenntnisse der Akteure und findet in diesen Ke~tUkSen seine Grenzen. (3) Die Zulassigkeit der Vorgaben wird im Lichte der aktivierten Normen ge- prüft. Diese Prüfung ist durch theoretische Kenntnisse und die Urteilskraft der Akteure vermittelt. (4) Im Falle von Inkonsistenzen der einschlägigen Normen, M Falle nicht aus- reichend instruktiver Normen, bei Zweifeln an der Legitimität geltender Nor- men sind die alternativen Normen im Lichte zentraler Wertprinzipien und unter Adegung des aktuellsten Wissens zu prüfen und gegebenenfalls ad hoc Kriterien der Richtigkeit von Lösungen festzulegen. Neben Kenntnissen und Urteilskraft hängt dieser Schritt wesentlich davon ab, wie abhängig die Identi- tät der Akteure von stonlich-konkreten Richtigkeitsvorstellungen ist. (5) Die nach Maßgabe der Schritte 3 und 4 normativ zuiässigen Lösungen sind auf ihre aktuellen Folgen für die Interessen der Betroffenen zu prüfen. Lassen sich diese Folgen nicht vertreten, sind die Lösungsvorgaben zu verwerfen; bleiben die Folgen M Dunkeln, muß ein Urteil über den Umstand selber herbeigeführt werden, daß nämlich die Handlungsfolgen nicht oder nur unzu- Die gesellschafIiche Verantwomng der Bauingenieure 183 reichend aufgeklärt werden können. Aus den nilässigen und vertretbaren Lö- sungen ist (erst jetzt) diejenige auszuwählen, die den Nutzen des Bestellers maximiert. Dieser letzte Schritt ist von den kommunikativen Fähigkeiten der einzeinen Akteure, darüber hinaus aber vom Grad der politisch-professionellen Organi- sation der Ingenieure abhängig. Wesentliche politische und moralische Auf- gabe der sich organisierenden Profession muß es sein, institutionelle Vorkeh- rungen zu schaffen, die den Umgang mit den beiden genannten unausräumba- ren Schwierigkeiten erleichtern, daß nämlich erstens nicht "objektiv" meßbar ist, ob ein ausreichender Aufwand in die Formulierung der Probleme und in die Alternativenproduktion zu den gestellten Problemen investiert worden ist; und daß zweitens ein erheblicher Teil der Folgen technischer Problemlösun- gen im Dunkeln bleiben wird. Die Aktivitäten der organisierten Profession müssen sich nach dem Gesagten darauf erstrecken, den von beiden Faktoren bestimmten Grad der relativen Blindheit der g e s e l l s c h e n Entwicklung zu reduzieren. Mitarbeit am Aufbau der Organisation der Profession, Mitarbeit in diesen Organisationen und Mitwirkung daran, daß der Öffentlichkeit die mit dem Planen und Bauen gesetzten Risiken bewußt werden und sie sich zu diesen Risiken bewußt verhalten kann, dies sind die Wichten der Bauinge- nieure über die aus den jeweils aktuellen Arbeitsaufgaben erwachsenden Ver- antwortlichkeiten hinaus. PUBLIKATIONEN DES WISSENSCHAFTLICHEN ZENTRUMS A. Reihe "Hochschule und Beruf" (Campus-Verlag, FrankfurtIM. und New York) TEICHLER, Ulrich und WINKLER, Helmut (Hg.): Praxisorientierung des Studiums. 1979 TEICHLER, Ulrich (Hg.): Hochschule und Beruf. Problemlagen und Auf- gaben der Forschung. 1979 BRINCKMANN, Hans; HACKFORTH, Susanne und TEICHLER, Uirich: Die neuen Beamtenhochschulen. Bildungs-, verwaltungs- und arbeits- marktpoliiische Probleme einer verspäteten Reform. 1980 FREIDANK, Gabriele; NEUSEL, Ayl& TEICHLER, Ulrich (Hg.): Praxis- orientierung als institutionelles Problem der Hochschule. 1980 CERYCH, Ladislav; NEUSEL, Ayl& TEICHLER, Ulrich und WINKLER, Helmut: Gesamthochschule - Erfahrungen, Hemmnisse, Zielwandel. 1981 HERMANNS, Harry, TEICHLER, Ulrich und WASSER, Henry (Hg.): Integrierte Hochschulmodelle. Erfahrungen aus drei Ländern. 1982 HOLTKAMP, Rolf und TEICHLER, Ulrich (Hg.): Berufstätigkeit von Hoch- schulabsolventen - Forschungsergebnisse und Folgerungen für das Studium. 1983 HERMANNS, Harry; TKOCZ, Christian und WINKLER, Helmut: Berufs- verlauf von Ingenieuren. Eine biografie-analytische Untersuchung auf der Ba- sis narrativer Inte~ews. 1983 CLEMENS, Bärbel; METZGÖCKEL, Sigrid; NEUSEL, Ayla und PORT, Barbara (Hg.): Die Töchter der Alma mater. Frauen in der Berufs- und Hoch- schulforschung. Frankfurt und New York 1986 B. Werkstattberichte (Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung, Ge- samthochschule Kassel) HERMANNS, Harry; TKOCZ, Christian und WINKLER, Helmut: Soziale Handlungskompetenz von Ingenieuren, Rückblick auf Verlauf und Ergebnisse der Klausurtagung in Hofgeismar am 16. und 17. November 1978.1979 (Nr. 1) HERMANNS, Harry; TKOCZ, Christian und WINKLER, Helmut: Inge- nieurarbeit: Soziales Handeln oder disziplinäre Routine? 1980 (Nr. 2) (ver- griffen) NEUSEL, Aylfi und TEICHLER, Ulrich (Hg.): Neue Aufgaben der Hoch- schulen. 1980 (Nr. 3) HEINE, Uwe; TEICHLER, Ulrich und WOLLENWEBER, Bernd: Per- spektiven der Hochschulentwickiung in Bremen. 1980 (Nr. 4) NERAD, Maresi: Frauenzentren an arnerikanischen Hochschulen. 1981 (Nr. 5) LIEBAU, Eckart und TEICHLER, Ulrich (Hg.): Hochschule und Beruf - Forschungsperspektiven. 1981 (Nr. 6) (vergriffen) EBHARDT, Heike und HEIPCKE, maus: Priifung und Studium. Teil A: Über den Zusammenhang von Studien- und Prüfungserfahrungen. 1981 P r . 7) HOLTKAMP, Rolf und TEICHLER, Ulrich: Außerschulische Tätigkeits- bereiche für Absolventen sprach- und literaturwissenschaftlicher Studien- gänge. 1981 (Nr. 8) (vergriffen) RATTEMEYER, Volker: Chancen und Probleme von Arbeitsmaterialien in der künstlerischen Aus- und Weiterbildung. Mit Beiträgen von H i a r Liptow und Wolfram Schmidt. Kassel 1982 (Nr. 9) CLEMENS, Bärbel: Frauenforschungs- und Frauenshidieninitiativen in der Bundesrepublik Deutschland. Kassel 1983 (Nr. 10) (vergriffen) DANCKWORTi', Dieter: Auslandsstudium als Gegenstand der Forschung - eine Literaturübersicht. Kassel 1984 (Nr. 11) BUJTGEFtElT, Michael und TEICHLER, Uirich (Hg.): Probleme der Hochschdplanung in der Sowjetunion. Kassel 1984 (Nr. 12) Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochxhulforschung (Hg.): For- schung über Hochschule und Beruf. Arbeitsbericht 1978 - 1984. Kassel 1985 (Nr. 13) DALICHOW, Fritz und TEICHLER, Ulrich: Anerkennung des Auslands- studiums in der Europäischen Gemeinschaft. Kassel 1985 (Nr. 14) HORNBOSTEL, Stefan; OEHLER, Christoph und TEICHLER, Ulrich (Hg.): Hochschulsysteme und Hochschulplanung in westlichen Industrie- staaten. Kassel 1986 (Nr. 15) TEICHLER, Ulrich: Higher Education in the Federal Republic of Germany. Developments and Recent Issues. New York und Kassel: Center for European Studies, Graduate School and University Center of the City University of New York und Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung, Gesamthochschule Kassel. New York/Kassel1986 (Nr. 16) KLUGE, Norbert und OEHLER, Christoph: Hochschulen und Forschungs- transfer. Bedingungen, Konfigurationen und Handlungsmuster. Kassel 1986 (Nr. 17). BUITGEREIT, Michael: Lebensverlauf und Biografie. Kassel 1987 (Nr. 18). C. Arbeitspapiere (Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung, Ge- samthochschule Kassel) TEICHLER, Ulrich und WINKLER, Helmut: VorÜberlegungen zur Grün- dung des Wissenschaftlichen Zentrums für Berufs- und Hochschulforschung. 1978 (Nr. 1) TEICHLER, Ulrich: Der Wandel der Beziehungen von Bildungs- und Beschäftigungssystem und die Entwicklung der beruflich-sozialen Le- bensperspektiven Jugendlicher. 1978 (Nr. 2) TEICHLER, Ulrich: Higher Education and Employment in the Federal Re- public of Germany Trends and Changing Research Approaches from the Comparative Point of View. - Recherches en cours sur le problerne de l'enseignement supfirieure et de l'emploi en Republique Fkdkrale AUemande. 1978 (Nr. 3) (vergriffen) PEIFFER, Knut: Untersuchung des Implementationsinstrumentariums von Hochschulreformprogrammen anhand einer synoptischen Darstellung. - Un- tersuchung der legislativen Umsetzung von Hochschulreform- und Stu- dienreforminhaiten anhand des HRG, des HHG und des HUG. 1979 (Nr. 4) NEUSEL, Ayl& Zu Berufstätigkeit und Studium von Architekten/Planern. WINKLER, Helmut: Neue Entwiclciungen im Berufsfeld von Architekten und Bauingenieuren und deren Berücksichtigung in der Hochschuiausbildung. 1979 (Nr- 5) TEICHLER, Ulrich und VOSS, Friedrich: Materialien zur Arbeitsmarktlage von Hochschulabsolventen. 1979 (Nr. 6) (vergriffen) I RATTEMEYER, Volker: Weiterentwicklung des Kunststudiums unter Be- rücksichtigung der beruflichen Möglichkeiten der Künstler. 1980 (Nr. 7) TEICHLER, Ulrich: Work-Study-Programs: The Case of "Berufspraktische StudienN at the Comprehensive University of Kassel. 1981 (Nr. 8) (vergriffen) HERMANNS, Harry: Das narrative Interview in berufsbiograf-schen Un- tersuchungen. 1981 (Nr. 9) (vergriffen) DENKINGER, Joachim und KLUGE, Norbert: Bibliographie zur Praxis- orientierung des Studiums. 1981 (Nr. 10) LIEBAU, Eckart: Hochschule, Schule und Lehrerfortb'ildung - Tendenzen und Perspektiven. 1981 (Nr. 11) LIEBAU, Eckart: Der Habitus der Ökonomen. Über Arbeitgebererwartungen an Hochschulabsolventen der Wirtschaftswissenschaften. Kassel 1982 (Nr. 12) WINKLER, Helmut: Interaction of Th- and Practice in the US neering Education. Kassel 1982 (Nr. U) HERMANNS, Harry: Statuspassagen von Hochschullehrern im Entwick- lungsprozeß von Gesamthochschulen. Kassel 1982 (Nr. 14) KRÜGER, Heidemarie: Probleme studierender Frauen - Ergebnisse eines Kolloquiums. Kassel 1984 (Nr. 15) USHIOGI, Morikazu: Job Perspectives of College Graduates in Japan. Kassel 1984 (Nr. 16) NERAD, Maresi: Implementation Analysis - A New Magic Tool for Research in Higher Education? Kassel 1984 (Nr. 17)