Führungskräfte als Personalentwickler Eine Untersuchung zu einem Pilotprojekt in einer Landespolizei Inaugural-Dissertation zum Erwerb des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich Sozialwesen der Universität Gesamthochschule Kassel vorgelegt von: Ulrich Driller aus Paderborn Kassel, den 24. Juni 2005 Als Dissertation vom Fachbereich 4 Sozialwesen angenommen am: 24. November 2005 Erster Gutachter: Prof. Dr. Lothar Nellessen Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Kurt Buchinger Tag der mündlichen Prüfung: 21. Dezember 2005 I Vorwort Vorwort Fast jeder Bürger hat irgendwann in seinem Leben Kontakt zur Polizei, sei es als Rat- und Hilfesuchender, Opfer, Zeuge oder Beschuldigter bei kleineren oder größeren Delikten. Polizeiliches Auftreten und Handeln wird sehr unterschiedlich und vielfältig erfahren. Die Spannbreite erstreckt sich vom „Helfer“ bis zum Vertreter repressiver Staatsgewalt - vom „Verkehrskasper“ bis zum sonntäglichen „Tatort“. Die Polizei als Organisation bleibt dabei oft im Dunkeln. Es herrschen nebulöse Vorstellungen und Vorurteile von hierarchischem Drill, martialischem Auftreten, Korpsgeist und ausgeprägter Bürokratie. Es wird kaum wahrgenommen, dass sich die Polizei seit den letzten Jahren intensiv und kontinuierlich mit ihrem Leistungsspektrum, ihrer Arbeitsqualität, ihrer Organisation und ihren Führungsprozessen auseinander setzt, weil gemäß politischer Bestrebungen der Kulturwandel von der Behörde zum Dienstleister, vom Verwalter zum Manager angestrebt wird. Um diese Veränderungsprozesse in der Polizei geht es in der vorliegenden Dissertation „Führungskräfte als Personalentwickler“. Der Titel impliziert bereits einen intendierten Rollenwandel. Dabei ist die Organisation Polizei lebendiger, bunter und vielschichtiger als dies in Organigrammen, formalen Strukturen und Zuständigkeiten zum Ausdruck kommt. So konstatierte mein Doktorvater Professor Dr. Lothar Nellessen in seinem Editorial zum Thema „Reflexivität in Organisationen“ in der Zeitschrift Gruppendynamik und Organi- sationsberatung (2002: 129), dass sich in der Polizeilandschaft im doppelten Sinn etwas bewegt. Einmal in der Umsetzung der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Per- sonalentwickler“, aber auch durch den Entschluss, „diesen Prozess umfassend zu dokumentieren und auszuwerten“, was über das Maß hinausgeht, was sich „aufgeschlos- senere, modernere“ Organisationen zu leisten trauen“. Eine tradierte Organisation lässt sich bei der Durchführung eines Pilotprojektes tief in die Karten schauen. Das ist nicht üblich. Von daher bin ich vielen Personen zu Dank verpflichtet. An erster Stelle sind hier meine Interviewpartner zu nennen. Ihre Aufgeschlossenheit, Geduld, Offenheit und Bereitschaft Auskunft zu geben bilden das Fundament dieser Arbeit. Diese Menschen haben mir einen tiefen Einblick in die Strukturen und Handlungsabläufe der Polizei ermöglicht. Herzlichen Dank gebührt den Herren Edler (seinerzeit Referatsleiter im Niedersächsischen Innenministerium) und Wesemann (seinerzeit Direktor des Bildungsinstitutes der Polizei Niedersachsen), die meinen qualitativen Forschungsansatz unterstützten und förderten. Meinem Kollegen Achim Grube und den Herren Böning (seinerzeit Projektleiter im Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen) und Pennig (Firma context) verdanke ich den Zugang zum Forschungsgegenstand. Meinem Chef Eckhard Gremmler danke ich besonders für die dienstliche Unterstützung. Meiner Kollegin Sibylle Dörflinger, meinem Freund Udo Pampel sowie Herrn Prof. Dr. Thomas Ohlemacher (Kriminologisches Forschungsinstitut II Vorwort Niedersachsen) habe ich hilfreiche Anregungen, fundierte Empfehlungen und konstruktive Rückmeldungen zu verdanken. Professor Dr. Lothar Nellessen sei ganz besonders herzlich gedankt für die Geduld, die wohlwollende Förderung und das mir entgegengebrachte Vertrauen. Seine wertvollen Ratschläge und Hinweise haben mir Zuversicht gegeben und mich zum Weitermachen motiviert. Professor Dr. Kurt Buchinger gilt mein Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens und für die konstruktive Kritik in einer schwierigen Situation. Beide begleiteten meine Arbeit stets mit Interesse und gaben mir wertvolle Anregungen. „Last but not least“ sei ganz herzlich meiner Familie und besonders meiner Frau Sana gedankt. Sie haben mir die Freiräume geschaffen, ohne die mir diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Meine Kinder haben mir geholfen, die Fragen nach dem Wesentlichen nicht aus den Augen zu verlieren. III Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort I Inhaltsverzeichnis III Abbildungsverzeichnis VII 1. Einführung und Überblick über die Arbeit 1 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel 8 2.1 Die Polizei als Verkörperung des staatlichen Gewaltmonopols 8 2.2 Die Polizei als Notfallhelfer und Konfliktschlichter 9 2.3 Polizeiliches Selbstverständnis und Bürgeransprüche 11 2.4. Wandel der Gesellschaft und der Werte - Auswirkungen auf die Polizei 13 2.4.1 Wertebilder und Wertemuster von Polizeibeamten 14 2.4.2 Wertewandel aus der Sicht von Polizeiführern 16 2.4.3 Vom Wertewandel zur Wertesynthese 17 2.5 Kriminalitätsentwicklung und Sicherheitsgefühl 17 2.6 Im Spagat zwischen Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit 20 2.7 Zusammenfassung 22 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei 22 3.1 Die Polizei zwischen Fremdbestimmung und Überreglementierung 24 3.2 Die Polizei als normorientierte und bürokratische Organisation 28 3.2.1 Paradoxe Spannungsfelder und Dilemmata 32 3.2.2 Organisationskultur 37 3.2.2.1 Polizeikultur versus Polizistenkultur 39 3.3 Von der Bürokratie zum New Public Management 41 3.3.1 Die Grundlagen und Elemente des Neuen Steuerungsmodells 43 3.3.2 Konträre Logiken privater und öffentlicher Steuerungskonzepte 47 3.3.3 Die Rolle der Personalentwicklung im Reformprozess 54 3.4 Polizei- und Verwaltungsreform: Wegbereiter für den Wandel einer Landespolizei 57 3.4.1 Die Polizeireform 57 3.4.2 Die Verwaltungsreform und die Neue Steuerung 62 3.4.3 Personalentwicklung als elementarer Bestandteil der Verwaltungsreform 69 IV Inhaltsverzeichnis 3.5 Ziele, Aufgaben und Dimensionen von Personalentwicklung 70 3.5.1 Personalentwicklung in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung 72 3.5.1.1 Ziele der Personalentwicklung bei BMW 72 3.5.1.2. Ziele der Personalentwicklung im Niedersächsischen Innenministerium 74 3.6 Zusammenfassung 78 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand 81 4.1 Ziele der Qualifizierungsmaßnahme 82 4.1.1 Die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs 84 4.1.2 Die Konzeption und die Inhalte 89 4.2 Auftrag und Untersuchungsinstrumente 96 4.2.1 Die Rollen des Autors als interner Forscher im Forschungsprozess 98 4.3 Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Erhebungsinstrumenten 102 4.4 Die Anwendung quantitativer Erhebungsinstrumente 106 4.5 Die Anwendung qualitativer Erhebungsinstrumente 107 4.5.1 Das problemzentrierte Interview als Untersuchungsmethode 111 4.5.1.1 Aufbau der Interviewleitfäden 114 4.5.1.2 Ablauf der ersten Interviewreihe 115 4.5.1.3 Ablauf der zweiten Interviewreihe 120 4.5.2 Auswertung durch qualitative Inhaltsanalyse 122 4.5.2.1 Erfassung und Kategorisierung 124 4.5.2.2 Strukturierung und Zusammenfassung 127 4.5.2.3 Interpretation 128 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 130 5.1 Inhalte zwischen Rahmenbedingungen und Lernarchitekturen 130 5.1.1 Quantitative Ergebnisse zur Anfangssituation 131 5.1.2 Schwierige Rahmenbedingungen und ein heterogener Teilnehmerkreis 132 5.1.3 Motive für die Teilnahme 138 5.1.4 Auf der Suche nach Orientierung und Handlungsbezug 139 5.1.5 Auswirkungen auf den Arbeitsalltag 142 5.1.6 Zwischenfazit: Eine unübersichtliche und widersprüchliche Gesamtsituation 145 5.1.7 Lernarchitekturen und Intergruppenprozesse 147 5.1.7.1 Quantitative Ergebnisse nach zehn Seminarbausteinen 148 5.1.7.2 Lernerfahrungen und Intergruppenprozesse aus qualitativer Sicht 151 5.1.7.3 Intergruppenprozesse und Leitungsrezeption 159 5.1.7.3.1 Der interne Projektleiter 160 5.1.7.3.2 Der externe PE-Fachberater 161 5.1.7.3.3 Die Leitfiguren als Repräsentanten formeller Organisationswirklichkeit 162 5.1.7.3.4 Die Verhaltenstrainer 163 V Inhaltsverzeichnis 5.1.7.3.5 Die Trainer als Repräsentanten der informellen Beziehungswelt 165 5.1.7.4 Inhalte mit hohem Wirkungsgrad 166 5.1.7.4.1 Moderation und Präsentation 167 5.1.7.4.2 Umgang mit Konflikten 168 5.1.7.4.3 Projektmanagement 170 5.1.7.5 Diskussion zu den Wirkfaktoren der Bausteine mit hohem Wirkungsgrad 171 5.1.8 Reflexion zum Verhältnis formeller und informeller Organisationsstrukturen 174 5.1.8.1 Exkurs: Unterschiedliche Handlungslogiken in Supervision und Polizei 179 5.2 Die Relevanz der Ökonomie und ihr Einfluss auf polizeiliche Denkmuster 181 5.2.1 Die Budgetierung als zentrales und favorisiertes Steuerungsinstrument 183 5.2.2 Ängste, Unsicherheiten und Widerstände der Mitarbeiter 191 5.2.3 Ängste, Unsicherheiten und Widerstände der Führungskräfte 195 5.2.3 Exkurs: Führung im Spannungsfeld alter und neuer Steuerung 205 5.3 Projektarbeit zwischen Autonomie und Abhängigkeit 215 5.3.1 Projektmanagement in einer weitläufigen Projektlandschaft 218 5.3.2 Projektthemen und Motive der Projektleiter für die Projektwahl 222 5.3.3 Offener Widerstand gegen Projektarbeit 227 5.3.4 Auswahlverfahren: Objektiviertes Verfahren oder Spielball der Interessen? 230 5.3.4.1 Ausgangssituation der Projektleiter „Strukturiertes Auswahlgespräch“ 234 5.3.4.2 Anspruch und Zielsetzung des Projekts 234 5.3.4.3 Personelle Besetzung der Projektgruppe – Projektmarketing 236 5.3.4.4 Ergebnisse der Ist-Analyse 238 5.3.4.5 Projektverlauf und Ergebnisse des Projekts 239 5.3.5 Erfolgskritische Faktoren für Projektarbeit in der Polizei 244 5.3.5.1 Eine unterstützende Leitung in einer kollegialen Organisationskultur 244 5.3.5.2 Kernaufgaben des Projektleiters: Kurs, Klima, Öffentlichkeit 246 5.3.5.3 Zur Relevanz von Leitfiguren in der Projektgruppe 249 5.3.5.4 Die Wichtigkeit eines griffigen und sinnigen Themas 250 5.3.5.5 Hohe Störanfälligkeit oder die Schwierigkeit der Erfolgsbemessung 251 5.3.5.6 Projektcoaching im Rahmen von Praxisbegleitungstagen 256 5.3.6 Zusammenfassung: Erfolgsfaktoren für Projektarbeit bei der Polizei 258 5.4 Personalentwicklung zwischen Person und Organisation 260 5.4.1 Wissen entwickelt sich 263 5.4.2 Wissen trifft Macht 267 5.4.3 Wissen versucht Macht zu beeinflussen 274 5.4.4 Wissen zerläuft 290 5.4.5 Exkurs: PE im Spannungsfeld von Planlosigkeit und Verweigerung 298 5.4.5.1 Die unzureichende strategische Ausrichtung der Personalentwicklung 299 5.4.5.2 Die Verweigerung der Führungskräfte bzw. Behördenleitungen 302 VI Inhaltsverzeichnis 6. Resümee 306 6.1 Die Allgegenwärtigkeit von Macht 307 6.1.1 Eine schwierige Ausgangssituation 309 6.1.2 Die Wirkung der Lernarchitekturen Groß- und Kleingruppe 310 6.1.3 NSM und Budgetierung 311 6.1.4 Die Erfolgsfaktoren von Projektarbeit 312 6.1.5 Die Schwierigkeiten der Verständigung von Wissen und Macht 313 6.2. Mit Macht mitmachen, um das Machbare zu machen 316 6.2.1 Ein realistischeres Organisations- und Wandelverständnis 317 6.2.2 Dezentralisierung und Reflexion ermöglicht Handlungs- und Gestaltungsspielräume 320 6.2.3 „Key-Player“ schaffen Veränderung 321 6.2.4 Wandelbeauftragte stärken 322 6.2.5 Aspekte zur funktionalen Bedeutung von Distanz 325 Anhang 331 Interviewleitfaden 1 + 2 332 Literatur 341 Abkürzungsverzeichnis 368 Veröffentlichung von Teilen der Dissertation vorab 371 Erklärung 372 VII Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Aufbau und Überblick über die Arbeit 7 Abb. 2: Abhängigkeiten der polizeilichen Führungsentscheidung 27 Abb. 3: Das „Reform-Rad“ 65 Abb. 4: Entwicklung von personalentwicklerischen Kernkompetenzen 86 Abb. 5: Zuordnung von Personalentwicklungsmaßnahmen 87 Abb. 6: Wesentliche Strukturelemente und Inhalte der Maßnahme 96 Abb. 7: Eckpfeiler des Untersuchungsdesigns 111 Abb. 8: Verteilung der Interviewpartner in Niedersachsen 116 Abb. 9: Sozialdaten der Interviewteilnehmer 119 Abb. 10: Transkriptionsregeln 125 Abb. 11: Auswertungskategorien der Qualifizierungsmaßnahme 126 Abb. 12: Zuordnung der Teilnehmer nach Hierarchiestufen 137 Abb. 13: Lern- und Spannungsfelder der Qualifizierungsmaßnahme 148 Abb. 14: Auswertung der Statements der standardisierten Fragebögen 150 Abb. 15: Rahmenbedingungen und Lernatmosphäre aus der Sicht der Teilnehmer 153 Abb. 16: Methodik und Gruppendynamik aus der Sicht der Teilnehmer 155 Abb. 17: Unterschiede Projekt- und Linienarbeit 217 Abb. 18: Instrumente des Projektmanagements in der Personalentwicklung 220 Abb. 19: Wunsch und Wirklichkeit der Personalentwicklung 280 Abb. 20: Zielkonflikt: Innovation versus Routine 288 1 1. Einführung und Überblick über die Arbeit 1. Einführung und Überblick über die Arbeit Die Rolle und das Aufgabenverständnis der Polizei in der heutigen Gesellschaft haben sich grundlegend verändert. Das Berufsbild eines Polizisten1 ist kaum noch vergleichbar mit dem des Beamten der 50er und 60er Jahre in Deutschland. Der Bürger erwartet heute von der Polizei eine klare Dienstleistungshaltung. Dabei steigen die Anforderungen an die Polizei stetig. Die Bekämpfung der Kriminalität wird durch die Freizügigkeit in der Europäischen Union und durch die Globalisierung komplexer und damit für den Bürger unübersichtlicher. Es steigt das Unsicherheitsgefühl der Bürger und mindert potenziell das Vertrauen in Staat und Polizei. Vor diesem Hintergrund muss die Polizei ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Kriminalität deutlich verstärken. Aber nicht nur die Anforderungen, die von außen an die Polizei herangetragen werden, nehmen zu. Von innen heraus fordern Mitarbeiter, dass sie ihre Kreativität und Innovationsfähigkeit in das Berufsleben einbringen können. Die Erhaltung der intrinsischen Motivation der Mitarbeiter erfordert neue Führungsmethoden und eine Verwaltungsmodernisierung, da sich ansonsten das Unzufriedenheitspotenzial der Mitarbeiter dramatisch verschärfen und die Leistungsbereitschaft sinken könnte. Der Zwang zum Sparen der öffentlichen Haushalte führt zu Verwaltungsreformen in den Ländern. Mit Verwaltungsreformen sind die Verbesserung der Effizienz und Effektivität der öffentlichen Verwaltung durch „Neue Steuerungsmodelle“ gemeint. Die begrenzten Ressourcen und die zugleich steigenden Anforderungen an die Polizei erfordern eine schlankere Organisation, effizienten Personaleinsatz, wirtschaftliches Handeln sowie eine aufgabenkritische Überprüfung. Dabei gilt die Förderung personalentwicklerischer Kompetenzen, wie sie in der Verwaltungsreform in Niedersachsen beschrieben wird, als eine der wichtigsten Aufgaben. In der Begründung des Kabinettsbeschlusses vom 18.02.1997 zum „Personalentwicklungs-Rahmenkonzept“ wird dazu Folgendes ausgeführt: „Die niedersächsische Landesverwaltung wird den künftigen Herausforderungen nur begegnen können, wenn neben den übrigen Reformaktivitäten (Anm.: hier insbesondere die landesweite Einführung der Neuen Steuerungsinstrumente) ein zukunftsorientiertes Personalmanagement mit Personalentwicklung im Kern betrieben wird. Nur eine Um- orientierung im Denken und Handeln hin zu einem modernen Dienstleister „Landesverwaltung Niedersachsen“, ermöglicht eine bürgernahe und wirtschaftlich arbeitende Verwaltung mit motivierten und leistungsbereiten Beschäftigten“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 3). Im Zentrum der Qualifizierungsoffensive 1 Um der leichteren Lesbarkeit willen verwende ich durchgehend die männliche Form. Mit einem Begriff wie Polizist sind selbstverständlich auch Polizistinnen gemeint. 2 1. Einführung und Überblick über die Arbeit stehen dabei die Führungskräfte: „Mit einer breit angelegten Führungskräfte-Fortbil- dung in allen Bereichen der Landesverwaltung soll ein besseres Management und insbesondere ein zeitgemäßes Führungsverhalten angestrebt werden“ (a.a.O. 4 Hervorhe- bungen im Original). Der Titel dieser Arbeit „Führungskräfte als Personalentwickler“ impliziert die geplante Veränderung und den Wandel von Funktions- und Rollenträgern. Das an die Führungskräfte gerichtete politische Postulat-, mehr „zu gestalten als zu verwalten“, soll aufzeigen, dass ihnen im Veränderungsprozess eine ganz entscheidende, aber auch schwierige Rolle zukommt. Ihre Rolle soll sich am meisten verändern, daher müssen sie auch am meisten lernen. Die Forderung nach einer „Umorientierung im Denken und Handeln hin zu einem modernen Dienstleister „-Landesverwaltung Niedersachsen-“ verdeutlicht aber auch, dass nicht nur das Wissen und die Fertigkeiten von Individuen im Zentrum des Interesses stehen, sondern auch die Organisation Polizei als Teil der Landesverwaltung. Der Personalentwicklung wird eine bedeutsame Rolle zugewiesen. Professionelle Personal- entwicklung, initiiert durch eine breit angelegte Führungskräfte-Fortbildung, wird bei der Entwicklung von der Behörde zum Dienstleister als das „missing link“ schlechthin definiert. Andererseits gilt aber auch: Sollen die Lernprozesse der Individuen sich als organisationales Lernen der Organisation Polizei niederschlagen, muss es Kontexte geben, die das neue „Wissen“ integrieren- Kontexte, die das „neue“ Wissen der Individuen nicht aufnehmen, verhindern organisationales Lernen. Wie lernt eine tradierte „Organisation mit Gewaltlizenz?“ (Prätorius, 2001: 117) Zur Erforschung solcher und anderer Fragen erscheint eine „Weitwinkelperspektive“ angemessen und erforderlich, die zwischen Individuum und Organisation, Traditionen und Innovationen sowie Nähe und Distanz oszilliert. Bei dieser einzunehmenden Perspektive ist der Autor als Mitarbeiter im Sozialwissenschaftlichen Dienst des Bildungsinstituts der Polizei Niedersachsen besonders gefordert. Als interner Forscher ist er Angehöriger der sozialen Wirklichkeit, die er interpretiert. Dadurch stellt sich die Frage nach der Objektivität seiner Beschreibungen bzw. danach, wie man einen Standpunkt gewinnen kann, der einem eine Betrachtung der sozialen Wirklichkeit von außen erlaubt. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Rolle des Autors im Forschungsprozess und mit Chancen und Risiken dieser Verortung findet sich in Kapitel 4.2.1. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Evaluation eines Qualifizierungsprogramms für Führungskräfte der niedersächsischen Polizei. Führungskräfte der mittleren Ebene werden in einer zweijährigen Maßnahme zu Personalentwicklern ausgebildet. Die zentrale Frage fokussiert die Auswirkungen der Qualifizierungsmaßnahme auf die Individuen und die Organisation. Mit Hilfe der Methodik der qualitativen Sozialforschung soll die 3 1. Einführung und Überblick über die Arbeit Wirklichkeit so realitätsgetreu wie möglich beschrieben werden. Die Arbeit soll einen Beitrag zum Verständnis von Veränderungsprozessen der Großorganisation Polizei und beteiligter Akteure leisten. Dabei wird ein Wandelprozess über einen Zeitraum von fünf Jahren (1998-2002) dargestellt und reflektiert. Es werden relevante Strukturen, Prozesse und Dynamiken in der Polizei als Teil der öffentlichen Verwaltung herausgearbeitet. Da hinsichtlich der Personalentwicklung im Kontext der Organisation Polizei ein weitgehendes Empiriedefizit herrscht, verspricht die Untersuchung der organisationalen Realität einen hohen praktischen Nutzen. Mit dem Forschungsgegenstand sind spannungs- reiche Leitfragen verbunden: In welcher Weise tangiert gesellschaftlicher Wandel die Organisation Polizei? Welche Besonderheiten und Charakteristika prägen den polizeilichen Auftrag? Unter welchen Rahmenbedingungen gestalten Führungskräfte in der Organisation Polizei Veränderungen? Welche Lernprozesse bilden sich auf der Ebene des Individuums, auf der Gruppenebene der Führungskräfte und der Ebene der Organisation Landespolizei Niedersachsen ab? Struktur und Aufbau dieser Arbeit ähneln dem Bild einer verformten „Sanduhr“ (s. Abb. 1). Auf der Makroebene wird in Kapitel 2 die Komplexität polizeilicher Aufgaben- und Rollenanforderungen vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels reflektiert. Es wird die vielschichtige und zwiespältige Rolle der Polizei im Spagat zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit erörtert. Im Anschluss befasst sich das Hauptkapitel 3 auf der Mesoebene mit den beiden wesentlichen Einflussgrößen Politik und Justiz auf die Organisation Polizei. Dort ist eine tiefer gehende theoretische Verortung vonnöten, einerseits hinsichtlich der hierarchischen und bürokratischen Ausprägungen der Organisation, andererseits aber auch bezogen auf die Auseinandersetzung mit öffentlichen und privaten Steuerungskonzepten, denen die Organisation Polizei ausgesetzt ist. Dabei wird der Ansatz der öffentlichen Verwaltung, Organisations- und Modernisierungskon- zepte aus der Privatwirtschaft zu übernehmen, kritisch hinterfragt. Seit Beginn der 90er Jahre wird die Polizei durch die Polizei- und Verwaltungsreform um- fassend reformiert. Die Bausteine des Reformmodells lauten: Neues Steuerungsmodell, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung. Das Kernstück einer Betriebsökonomik für die Polizei bildet das Neue Steuerungsmodell mit den Elementen- dezentrale Ressourcenverantwortung, Budgetierung, Zielvereinbarung, Outputsteuerung und Controlling. Unter Organisationsentwicklung wird die organisatorische Neugestaltung im Zusammenhang mit der Straffung, Vereinfachung und Zentralisierung der bisherigen Dienststellenstruktur verstanden. Der Personalentwicklung kommt in diesem Reformmo- dell die anspruchsvolle Aufgabe zu, die Interessen der Beschäftigten mit den Anforderungen der Verwaltung an größere Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Dienstleistungsorientierung so weit wie möglich in Übereinstimmung zu bringen. Ist dieser Spagat zu schaffen? Kritisch wird sich mit den unterschiedlichen Ausrichtungen an zwei Beispielen aus der Privatwirtschaft und der öffentlichen Verwaltung auseinander ge- setzt. 4 1. Einführung und Überblick über die Arbeit Nachdem in den vorherigen Kapiteln eine konturiertere Verortung der Polizei zwischen politischen, rechtlichen und sozialen Spannungspolen der Gesellschaft erfolgt ist, setzt sich das Kapitel 4 nunmehr mit dem Untersuchungsgegenstand, nämlich der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ auseinander. Nach einer Beschreibung der Konzeption, der Inhalte und Ziele der Maßnahme wird das Untersuchungsdesign dargestellt. Mit Hilfe der Methodik der qualitativen Sozialforschung soll ein Abbild der Realität gezeichnet werden, indem die Qualifizierungsmaßnahme und deren Auswirkung auf die Individuen und die Organisation Polizei veranschaulicht und beschrieben werden. Die Untersuchungsmethodik, die Beschreibung der Erhebungsinstrumente, die Vorgehensweise im Forschungsfeld, die Abläufe der beiden Interviewreihen in einjährigem Abstand mit jeweils 12 Teilnehmern und Auswertungs- modi werden vorgestellt. Mit Kapitel 5 beginnt auf der Mikroebene die Darstellung und die Interpretation der Un- tersuchungsergebnisse. Die zentrale Fragestellung der Untersuchung fokussiert die Lern- und Transferprozesse von Inhalten der Maßnahme seitens der Teilnehmer in den Arbeits- alltag und die Auswirkungen der Maßnahme auf die Organisation Polizei Niedersachsen. Dementsprechend wurde das vorhandene Datenmaterial aus vier verschiedenen Perspektiven dargestellt und interpretiert. Die Perspektiven beziehen sich (a) auf die Reaktionen der Teilnehmer auf die theoretischen Seminarinhalte (vgl. Kapitel 5.1), (b) die Rezeption der Neuen Steuerungsinstrumente (vgl. Kapitel 5.2), (c) die Projektarbeit als Schlüsselkompetenz für den organisationalen Wandel (vgl. Kapitel 5.3) und (d) die Reaktionen der Organisation Polizei auf die personalentwicklerischen Wandelbemühungen. Zu (a): Zu Beginn wird die widersprüchliche Startsituation beleuchtet und erörtert. Es schließt sich eine Diskussion der Auswirkungen unterschiedlicher Lernarchitekturen und Intergruppenprozesse an. Anschließend findet eine Auseinandersetzung mit den Inhalten statt, denen die Teilnehmer einen hohen Wirkungsgrad attestierten. Da der Schwerpunkt der Maßnahme in der ersten Hälfte auf Fach- und Methodenlernen in der Großgruppe und in der zweiten Hälfte auf Verhaltenslernen in der Kleingruppe lag, können Lernerfahrungen und -erfolge nicht losgelöst vom Erhebungszeitpunkt und von den konstituierenden Rahmenbedingungen bewertet werden. In der Bewertung der Teilnehmer spiegelt sich eine Wahrnehmungsdynamik, die durch Polarisierungstendenzen gekennzeichnet ist, was immer wieder thematisiert und diskutiert wird, und zwar vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Leitfiguren einerseits- und mit Realitäten der Alltagsorganisation sowie deren formellen und informellen Ausformungen andererseits. Zu (b): Dieses Kapitel setzt sich mit der zunehmenden Ökonomisierung polizeilichen Handelns auseinander. Es wird verdeutlicht, wie schwierig, zäh und mit zahlreichen Unwägbarkeiten versehen die Implementation neuer Steuerungsinstrumente in den polizeilichen Alltag ist. Die Wirklichkeit ist gekennzeichnet durch sehr tief verwurzelte 5 1. Einführung und Überblick über die Arbeit Erscheinungsformen einer polizeilichen Organisationskultur, die in Bezug auf die ambi- valente und widersprüchliche Adaption des „Neuen“ mehr oder weniger Ängste, Unsicherheiten und Widerstände bei den Betroffenen auslöst. Konträr dazu steht die offi- zielle Veränderungsrhetorik, die vehement die „schöne neue Welt“ mittels neuer Instrumente beschreibt und nicht die real sich abbildenden Schwierigkeiten und Konflikte im Umgang hiermit anerkennt. Die Vielschichtigkeit der Problematik für Führungskräfte und Beschäftigte wird anhand des Datenmaterials erörtert. Ein neues Steuerungsinstru- ment, die dezentrale Ressourcenverantwortung im Zusammenhang mit der Budgetierung, hat, wie sich herausgestellt hat, zentrale Bedeutung für die Befragten. Unterschiedliche Aspekte dieses favorisierten Steuerungsinstrumentes werden diskutiert. Zu (c): Die Projektarbeit der Teilnehmer bildete das Kernstück der Qualifizierungsmaß- nahme. Projekte als Verkörperung des „Neuen“ fordern den Widerstand der Linie als Verwalter des „Alten und Bewährten“ geradezu heraus. In den eingespielten Abläufen im Alltagsbetrieb wirken Projekte zunächst als Störung. Sie ziehen Arbeitskraft aus der Linie ab. Sie schaffen Unruhe durch Workshops, Befragungen oder anderen Neuerungen der unterschiedlichsten Form. Von daher ist Widerstand gegen Projektarbeit ein wichtiges Thema. Nach einer Darstellung der Motivlage der Teilnehmer und der weitläufigen Projektlandschaft, wird sich vertiefend mit zwei Projekten befasst, die beide die Einführung strukturierter Auswahlgespräche in die Organisation zum Ziel hatten, aber einen völlig unterschiedlichen Verlauf nahmen. Die divergierenden Projektverläufe werden in den jeweiligen Prozessschritten dargestellt. Die Parallelität der Projekte ermöglicht trotz eines unterschiedlichen Verlaufs bei vergleichbaren Parametern Rückschlüsse auf die Macht- und Tiefenstrukturen der Organisation, was die Herausarbeitung von Erfolgsfaktoren ermöglicht und damit hohen praktischen Nutzen verspricht. Zu (d): Mit dem Kapitel „Personalentwicklung zwischen Person und Organisation“ wird die Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse abgeschlossen. Dieses Kapitel bewegt sich in großen Teilen über den Untersuchungsgegenstand „Qualifizierungsmaßnahme“ hinaus. Es geht hier um die Implementation einer inno- vativen Personalentwicklung in die Alltagsorganisation. Somit stellt sich auch die Frage, ob es Kontexte gibt, die das „neue“ Wissen aufnehmen und integrieren können, um organisationales Lernen zu ermöglichen. Eng mit der Frage nach organisationalen Lernprozessen verbunden ist der Widerstand gegen Veränderung, wenn die gängigen Denkgebäude und die Machtbalancen innerhalb und zwischen Organisationseinheiten und Gruppen in Frage gestellt werden. Die Bemühungen um die Integration von neuem Wissen in die Routineorganisation werden in vier relevanten Prozessschritten dargestellt. Dabei werden neben der Darstellung des Verlaufs und von dessen Interpretation auch immer wieder alternative Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Akteure aufgezeigt, die eventuell Verstehens- und Verständigungsprozesse zwischen Personalentwicklern und Entscheidern hätten intensivieren können. 6 1. Einführung und Überblick über die Arbeit Den Abschluss der Arbeit bildet das Resümee in Kapitel 6. Die Ergebnisse und deren the- oretische und praktische Bedeutung werden im Gesamtzusammenhang der Arbeit kritisch gewürdigt. Dabei wird sich insbesondere mit dem Thema „Macht“ auseinander gesetzt, dem „Stoff“, aus dem Handlungen und Struktur erzeugt werden. Letzte Überlegungen befassen sich mit der Provokation von organisationalen Denkschemata, welche die Wirklichkeit nur unzureichend erfassen, als auch mit Faktoren, die dabei helfen könnten, die Wandelkompetenz des Systems Polizei zu stärken. 7 1. Einführung und Überblick über die Arbeit Abb. 1: Aufbau und Überblick über die Arbeit R esü m ee D ie A llgegenw ärtigkeit von M acht M it M acht m itm achen, um das M achbare zu m achen P olitik u nd Justiz a ls w esentliche E in flussgrößen B ürokratische O rgan isa tion – O rgan isationsku ltu r - P rivate und öffen tliche S teuerungskonzep te – R eform en – Z iele von Personalen tw ick lung – Struk tu r der M aßnahm e „Führungsk räfte a ls Personalen tw ick ler“ D arste llung un d In terpreta tion d er U ntersuch ungsergeb n isse L ernteil: In halte zw ischen R ahm enbedingungen und Lernarchitektu ren – M otive – A usw irkungen – In tergruppen prozesse und Leitung – Inhalte m it hohem W irkungsgrad – N eue S teuerun gsinstrum en te – B udgetierung - Ä n gste und W iderstände der B ediensteten und der Führungsk räfte P raxiste il: P rojek tarbeit zw ischen A u tonom ie und H ierarchie – Them en – B eisp iel: S truk tu rierte A usw ah lgesp räche - E rfolgsfak toren A ufgabe u nd R olle der P o lizei im W an del Staatliches G ew altm onopol – N otfa llhelfer und K onflik tsch lich ter – Selbstverständn is und B ürgeransp rüche – W ertew andel – K rim inalitä tsen tw ick lung und Sicherheitsgefüh l – Z w ischen G ew ährleistung von Freiheit und S icherheit P ersona len tw icklu ng zw ischen P erson un d O rgan isa tion W issen en tw ickelt sich – W issen trifft M acht – W issen versuch t M acht zu beein flu ssen – W issen zerläu ft 8 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel Ziel dieses Kapitels ist es, die Vielschichtigkeit und Komplexität polizeilicher Aufgaben- und Rollenanforderungen vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels differenziert zu skizzieren. Die Polizei verkörpert das staatliche Gewaltmonopol (Kapitel 2.1). Neben den klassischen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gewinnt die Rolle der Polizei als Konfliktschlichter zunehmend an Bedeutung (Kapitel 2.2). Das rechtlich justizielle Handlungsmodell der Polizei steht einem individuell bedürfnisorientierten Handlungsmodell der Bürger gegenüber, was nicht ohne Auswirkungen auf das polizeiliche Selbstverständnis bleibt und es dynamisiert (Kapitel 2.3). Dabei soll auf gesellschaftliche Veränderungen in Kurzform eingegangen und auf der Grundlage von empirischen Daten vor allem analysiert werden, (Kapitel 2.4) inwieweit Wertemuster von Polizeibeamten beeinflusst (Kapitel 2.4.1), und wie diese von Polizeiführern rezipiert werden (Kapitel 2.4.2). Polizeiliche Aufgabenzuweisung und Aufgabenerfüllung geschieht unter schwierigen Rahmenbedingungen, wobei exemplarisch auf die Kriminalitätsentwicklung und die Kriminalitätsfurcht der Bürger eingegangen wird (Kapitel 2.5). Ambivalente gesell- schaftliche Anforderungen an die polizeiliche Rolle und Aufgabenerfüllung zwingen die Polizei zu einem Spagat zwischen der Gewährleistung von Freiheit einerseits und Sicher- heit andererseits. Steigende Komplexität und hoher Erwartungs- und Veränderungsdruck sorgen dafür, dass die Organisationsmitglieder in immer kürzeren Zeitabständen mehr lernen müssen (Kapitel 2.6). Eine Zusammenfassung mit dem Ziel, die Polizei zwischen den gesellschaftlichen Spannungspolen konturierter zu verorten, bildet den Abschluss dieses Kapitels. 2.1 Die Polizei als Verkörperung des staatlichen Gewaltmonopols Die Polizei verkörpert das staatliche Gewaltmonopol und steht damit im Zentrum öffentli- cher Aufmerksamkeit. Sie ist in ihrem Handeln an Gesetz und Recht sowie an die Weisungen der demokratisch gewählten Regierung und der zugehörigen Hierarchie gebunden (vgl. Hildebrandt, 1990: 28/29). Dabei ist die Polizei sowohl Teil der Hoheitsgewalt des demokratischen Rechtsstaates als auch Teil der Gesellschaft. Sie dient beiden (vgl. Ahlf, 1997: 211). Die Polizei ist verpflichtet, Gesetze und Entscheidungen des Staates gegenüber den Bürgern, notfalls gewaltsam, durchzusetzen und so für den Schutz und die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Sie agiert im übergeordneten Interesse der Wahrung von Sicherheit und Freiheit und greift zwangsläufig in die Interessen Einzelner ein (vgl. Hermanutz, 1995). 9 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel Als wesentlicher Garant der inneren Sicherheit hat sie die Aufgabe, Gefahren für die öf- fentliche Sicherheit abzuwehren (Gefahrenabwehr), die Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, einschließlich der Verhütung von Straftaten und der Vorsorge für die Verfolgung zukünftiger Straftaten. Diese drei Aufgabenfelder werden zusammen- fassend als die präventive Aufgabe der Polizei bezeichnet, weil sie keine schuld- und rechtsfolgerelevante Bedeutung für ein bestimmtes Strafverfahren haben. Der zweite große Aufgabenbereich der Polizei ist die Strafverfolgung gemäß §§ 152 Abs. 2, 163 StPO (Repression) (vgl. Ahlf, a.a.O.: 170). Die Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben ist ebenso wichtig wie schwierig. Von besonderer Bedeutung sind dabei „die Eingriffsbefugnisse in Grundrechte, der Strafverfolgungszwang, die Berechtigung zum Führen von Schusswaffen, die Befreiung von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung“ (Stork, 1989: 191). Die Polizei gehört zu den staatlichen Apparaten, die das Gewaltmonopol in seiner Ultima Ratio, nämlich auch als körperliche Gewalt ausüben und sich somit über staatsbürgerliche Grundrechte hinwegsetzen kann. Sie hat diese besonders prekäre Möglichkeit, weil und soweit sie rechtlich überprüfbar ist, und zwar durch eine unabhängige Justiz – unabhängig vom politischen Auftraggeber der Polizei und natürlich auch unabhängig von der Polizei. Im Rahmen des ganz elementaren Prinzips der Gewaltenteilung ist die Justiz die Berufungsin- stanz und Kontrolle für polizeiliche Handlungen – die nicht die Fortsetzung der Polizei mit anderen Mitteln ist. Das Recht ist der Bezugspunkt für beide, aber nicht die Anleitung für polizeiliches Handeln (vgl. Steinert, 1997: 107 ff). Ein wesentliches Unterscheidungskriterium der Polizei zu anderen Institutionen ist die Tatsache, dass sie oftmals ohne Verzug handeln muss und dabei immer die richtigen Ent- scheidungen treffen soll. Richter und Staatsanwälte hingegen können einen Fall in Ruhe von allen Seiten betrachten und ihre Entscheidung abwägen. Zusätzlich hat die Polizei eine Art Allgemeinzuständigkeit für alle Malaisen des Alltags: Sie wird immer dann gerufen, wenn andere Einrichtungen nicht verfügbar sind, sich für nicht zuständig erklären – und wird dabei in viele Aushandlungskonflikte verwickelt, die vielfach nicht unbedingt einen strafrechtlichen Hintergrund haben (vgl. Feltes, 2002: 2). 2.2 Die Polizei als Notfallhelfer und Konfliktschlichter Polizeiliches Handeln geht somit weit über die klassische Aufgabenbeschreibung Prävention und Repression hinaus. „Polizeiliche Alltagsarbeit ist vielmehr geprägt durch Konfliktschlichtung, Hilfeleistung in allen Lebenslagen, Service-Dienstleistungen, Tätigwerden für andere Behörden: Nachbarschaftsstreitigkeiten, familiäre Auseinandersetzungen, Ruhestörungen, Unterbringung betrunkener oder hilfloser Personen sowie von Drogenabhängigen, die unter akutem Entzug leiden; Rückführung entlaufener Kinder, Überbringen von Todesnachrichten, Abschiebung von Ausländern bzw. abgelehnten Asylbewerbern, Verkehrsunfallaufnahme“ (Kniesel, 1996: 81). 10 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel In die gleiche Richtung gehen Statements der niedersächsischen Reformkommission, die in ihren Ausführungen zum Berufsbild besonders auf die ausgleichenden, konfliktschlich- tenden Funktionen polizeilicher Tätigkeit hinweist (vgl. Polizeireform Niedersachsen Reformkommission, 1993: 18 ff). Der weitreichende Aufgabenkatalog ist durch polizeiliche Interventionen in Konfliktsituationen und die Begrenzung von Schäden noch längst nicht komplett. Die Polizei soll sich um die den Lebensalltag belastenden Störungen kümmern. So wird das Einschreiten gegen den Radfahrer in Fußgängerzonen genauso erwartet wie die Verhinderung von Graffiti-Schmierereien, das Einschreiten gegen das ordentliche Straßenbild störende Junkies, Obdachlose, Punks, Bettler und andere gesell- schaftlich auffällige Gruppierungen (vgl. Lüken, 1997: 12). Feltes (1995: 169) verdeutlicht, was die Polizei geradezu zur Funktion des Notfallhelfers prädestiniert. Ihre Präsenz, Verfügbarkeit und Autorität macht sie zu einer einzigartigen Institution, die in der Lage und auch befugt ist, entsprechende Zwangsmittel anzuordnen und auch einzusetzen. Er resümiert nach der Auswertung von polizeilichen Notrufen und Funkstreifeneinsätzen aus 14 Städten, dass Hilfeleistungen und Konfliktschlichtungen etwa doppelt so viele Funkstreifeneinsätze ausmachen wie die „herkömmliche“ Alltags- kriminalität, „wobei der tatsächliche Zeitaufwand für Hilfeleistungen und Konfliktschlichtungen eher noch größer sein dürfte“ (a.a.O. 168). In einer anderen Publikation (1990) macht er darauf aufmerksam, dass „echte Kriminalität“, d. h. Funkstreifeneinsätze im Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder vermuteten Straftat, die Ausnahme sind. Solche Einsätze machen in der Regel weniger als ein Viertel aller Funkstreifeneinsätze aus. Das deckt sich mit Ergebnissen ausländischer Studien, nach denen der Kriminalitätsanteil der Tätigkeiten ebenfalls um bzw. unter 25 % liegt (a.a.O. 301). Die Erkenntnis, dass schlichtende, vermittelnde, hilfeleistende und die Ordnung aufrecht- erhaltende Tätigkeiten oftmals für die Bürger von größerer Bedeutung sind als die Kriminalitätsbekämpfung, griff das Land Niedersachsen auf und etablierte 1979 in der Landeshauptstadt Hannover das „Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter“ (PPS). In einer zentralen Polizeidienststelle Hannovers sind Sozialarbeiter/innen Ansprechpartner für Einzelfallhilfe, Familienberatung, Kurzzeitbetreuung, Krisenintervention in sozialen und psychischen Notsituationen. In dieser – in Deutschland bisher einzigartigen – Einrichtung wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass viele Not-, Konflikt- und Problemsituationen, die an die Polizei herangetragen werden, vor allem eine Klärung der persönlichen und sozialen Situation (z.B. bei Gewalt in der Familie, akuten Suchtproble- men, Suizidankündigungen, abgängigen Jugendlichen) und unmittelbare Hilfe in den verschiedensten Notlagen erfordern (vgl. Driller, 1989: 244 ff). Die Vielfalt dieser Problemlagen und der damit einhergehende Handlungsdruck überfordert die Polizei häufig. Es fehlt die Zeit, in gezielten Gesprächen Einblick in die jeweilige Problematik zu gewinnen, Gefährdungsmomente zu erkennen und zu bewerten. 11 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel Es fehlt die Ausbildung, um schnell und sicher Hilfen bei allen materiellen und psychosozialen Problemen zu geben. Es fehlen entsprechende Rechtskenntnisse und Erfahrungen im Irrgarten der Ämter und sozialen Einrichtungen. Darüber hinaus kann das Legalitätsprinzip, d. h. der Strafverfolgungszwang, das für Sozialarbeit erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Helfer und Klient belasten (vgl. Steinhilper, 1982: 47). Zusammenfassend lässt sich feststellen: Zur spezifischen Berufserfahrung von Polizisten gehört, dass sie tagtäglich auf der Handlungsebene mit einer Fülle von belastenden Erfah- rungen aus dem Umgang mit ihrer Klientel zu tun haben, gleichzeitig institutionell für die dauerhafte Beschäftigung mit ihr nicht zuständig sind. Die Logik der Polizei behandelt Fälle, keine Personen. Anders als in der Sozialen Arbeit gehört es nicht zum Aufgabenbereich der Polizei, sich mit der individuellen Persönlichkeitsentwicklung eines Betroffenen auseinander zusetzen (auch der wiederholte Einsatz bei so genannten „Familienstreitigkeiten“ führt nur zu einer ausschnitthaften Kenntnis der Klientel). Im Gegenteil: Der Gesetzgeber verlangt geradezu das Auseinanderhalten von Tat und Täter, also von Handlung und Person. Hieraus resultiert eine Distanzierungskultur mit eigenen Erklärungsmustern, das ein Denken im polarisierenden Modus unterstützt, „weil für ein Eingehen von Beziehungen, für das Aushalten von Betroffenheit, für die Ambiguität, für die vielen kleinen und großen Paradoxien des Berufslebens keine kulturellen Deutungsmuster zur Verfügung stehen“ (Behr, 2004: 168). 2.3 Polizeiliches Selbstverständnis und Bürgeransprüche Dem rechtlich justiziellen Handlungsmodell, dessen Struktur und Funktion sich am Lega- litätsprinzip (Strafverfolgungszwang) orientiert, steht jedoch auf der Seite des Bürgers ein bedürfnisorientiertes individuelles Handlungsmodell gegenüber. Hier eröffnet sich eine Konfliktsphäre, da die aus beiden Modellen abgeleiteten Forderungen und Verpflichtun- gen nicht immer kompatibel, zuweilen sogar unvereinbar sind. So erfordert beispielsweise die Aufklärung einer Straftat eine unverzügliche Zeugenvernehmung zum Sachverhalt, wohingegen die Bedürfnislage des Geschädigten oder Zeugen möglicherweise zunächst eher ein „verstehendes“ Nachvollziehen der erlittenen Beeinträchtigung nahe legt. Der Bedarf an Konfliktregelungen im Alltag wird weiter zunehmen. Die auf hohem Niveau stagnierende Arbeitslosenquote, das Herausfallen klassischer, der Sozialhilfe überantworteter Randgruppen wie Obdachlose, Alkoholiker, psychisch Kranke aus der Gesellschaft aufgrund von fehlenden Möglichkeiten zur existenzsichernder Erwerbsarbeit durch das Fehlen existenzsichernder Erwerbsarbeit aus der Gesellschaft, ein zunehmender Ausländeranteil an der Bevölkerung, der ergänzt wird durch aus Osteuropa zugewanderte deutschstämmige Familien, deren Nachkommen der deutschen Sprache ebenso wenig kundig wie im Umgang mit der marktwirtschaftlichen Kultur geschult sind, all diese Entwicklungen führen zu vermehrten Berührungs- und Konfliktpunkten zwischen der Polizei und Bevölkerungsgruppen, deren Verhaltensweisen durch ihre soziale Lage und 12 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel durch einen anderen kulturellen Hintergrund geprägt sind. Die Polizei wird zur unspezifischen Abhilfeinstanz, zur Dienstleistungsagentur, die für alle Arten von Störungen, Konflikten und Anormalitäten zuständig ist (vgl. Feltes, 1997: 116). Das gesellschaftliche Spannungsfeld, in dem Polizisten heutzutage ihren Beruf ausüben, lässt sich zwischen den Polen „Deklassierung“ und „Omnipotenz“ verorten. Einerseits werden Polizisten in bedeutend höherem Ausmaß als andere Berufsgruppen mit von der Gesellschaft produzierten sozialen Problemen konfrontiert. Auf Dauer kann dies dazu führen, dass für die Betroffenen der Eindruck entsteht, die Welt sei aus den Fugen geraten und bestehe nur aus Kriminalität, sozialen Problemen und Unsicherheit. Da es kaum die Möglichkeit gibt, diese Situation zu reflektieren, und in der – vor allem medialen – Öffentlichkeit polizeiliche Tätigkeit ausschließlich unter negativen Aspekten diskutiert wird, besteht die Gefahr, dass sich ein kollektives Deklassierungsbewusstsein entwickelt (vgl. Meggeneder, 1996: 260). Andererseits hat die „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“ im Zusammenhang mit dem vielfältigen Tätigkeitsspektrum nicht nur überfordernde Komponenten, sondern fördert darüber hinaus auch eine Allzuständigkeit. Es können sich Omnikompetenzgefühle in der Polizei ausbilden, was dem Erkennen eigener Grenzen entgegensteht (vgl. Ricken, 1994: 129). Die Beamtinnen und Beamten sehen sich anderen Behörden gegenüber öfter als „Mädchen für alles“ oder gar als „Mülleimer“, insbesondere dann, wenn die normalen Behördenzeiten enden und allein noch die Polizei geöffnet hat (vgl. Ohlemacher, 1999 a: 2). Ohlemacher hebt in seiner Bestandsaufnahme der empirischen Polizeiforschung zum Thema Bürgerpolizei hervor, dass „Polizisten sich eher in der Rolle des Verbrechensbekämpfers sehen, Bürger aber eher Konfliktlösungskompetenz erwarten“ (a.a.O. 1999: 20). Zwischen polizeilichem Selbstverständnis und Bürgeransprüchen besteht ein Missverhältnis. Es fällt der Polizei schwer, sich (auch) als das Dienstleistungsunternehmen zu verstehen, als das sie von den Bürgern nicht gerade selten in Anspruch genommen wird. Dabei ist es keine Abwertung der Aufgaben und Fähigkeiten der Polizei, sondern eine Aufwertung, wenn die Bürger ihre Polizei in alltäglichen kritischen Situationen und nicht nur für die Aufgabe der Verfolgung „schwerer“ Straftaten einschalten möchten: Denn gerade in der Bereitschaft, auch persönliche Konflikte und Probleme vor der staatlichen Instanz „Polizei“ nicht zu verbergen, kommt das Vertrauen der Bürger in die Leistungen und Vorgehensweisen der Polizei zum Ausdruck (vgl. Steffen, 1990: 37). Dabei macht Feltes (2003: 2 ff.) darauf aufmerksam, dass mit zunehmender Anonymität und rückläufiger Intensität der persönlichen Beziehungen in der Gesellschaft der Rückgriff auf Normen und formelle Konfliktlösungen verstärkt wird. Die Folge ist eine Professiona- lisierung der Konfliktlösung, was neben positiven Aspekten die Gefahr in sich birgt, dass der Einzelne immer mehr aus der Verantwortung für das Gemeinsame entlassen wird. Es 13 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel wächst die Neigung, zwischenmenschliche Probleme per Einschaltung von Polizei und Justiz zu lösen. Je mehr Bedarf an formeller Regelung, desto mehr rechtliche Normen; je mehr rechtliche Normen, desto größer und ausdifferenzierter wird das Aufgabenbild der Polizei. Feltes zeigt auf, dass der Formalisierung der Streitbeilegung auf der „unteren“ Ebene der Gesellschaft eine diametral entgegengesetzte Entwicklung auf der Ebene der „Führungs- eliten“ in der Gesellschaft gegenübersteht. Dort nehmen die durch politische und finanzielle Verbindungen geschaffenen Abhängigkeiten zu, und dort werden Konflikte fast immer informell gelöst (z.B. Spendenskandale in Deutschland; Vermischung von Politik und Wirtschaft). 2.4. Wandel der Gesellschaft und der Werte – Auswirkungen auf die Polizei Die Polizei muss sich bei der Aufgabenbewältigung mit dem gesellschaftlichen Wandel auseinander setzen, während dieser Wandel sich auf sie selbst auswirkt. Sie wandelt sich mit der Gesellschaft und hat wie diese ihre Schwierigkeiten und Adaptionsprobleme damit. So hat der soziale Umbruchprozess in den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland wie auch in anderen Staaten eine erhebliche Dynamik entwickelt: „Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems, die wirtschaftliche Revolution mit der Stärkung der Dienst- leistungsberufe und einer zunehmenden Computerisierung mit elektronischer Kommunikation, Migrationsbewegungen, die Europäisierung und Globalisierung mit ihren Counterparts von Regionalisierung und Individualisierung, eine dramatische demografische Entwicklung sowie eine wachsende politische, weltanschauliche und religiöse Pluralität bescherten unserer Gesellschaft eine Diversifizierung von sozialen Gruppen, sozialen Lagen, Werten und Lebensstilorientierungen bisher ungekannten Ausmaßes. Wo es lange eine relative soziale Homogenität gab, ist nun eine unübersichtliche Heterogenität entstanden“ ( Frevel, 2000: 4 ff). Eine Veränderung der sozialen, gesellschaftlichen und politischen Umwelt bedingt not- wendigerweise eine Adaption der Werte, die ihrerseits in einem Regelkreis wieder Einfluss auf die Gestaltung von Bedingungen haben. Von daher geht der Wertewandel, allerdings mit zeitlicher Verzögerung, mit der Veränderung der gesellschaftlichen Bedin- gungen einher. Als markante gesellschaftliche Schwerpunkte des Wertewandels lassen sich die Säkularisierung der Lebensbereiche, die Betonung von Genuss, Spaß und Selbstentfaltung vs. Pflichtgefühl und Gehorsam, die Wertschätzung von Gesundheit und unzerstörter Natur, die Auflösung der tradierten Geschlechtsrollenstereotypen und verän- derte sexuelle Verhaltensweisen und Normen benennen (vgl. Stengel, 1993: 18 ff). Die Anforderungen der Individuen an Arbeit und Beruf verändern sich: Über die Betonung von Genuss, Spaß und den hohen Stellenwert von Freizeit sowie den Wandel der Ge- 14 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel schlechterrollen verliert Erwerbsarbeit den zentralen Stellenwert in der Biografie der Männer. Gleichzeitig steigt über den Wandel der Geschlechterrollen der Anteil an qualifizierten Frauen, die Beruf und Familie miteinander verbinden wollen (Krumpholz, 1998: 350). Es verwischen sich Normen, Wert- und Handlungsorientierungen, wenn der Einzelne in der individualisierten Gesellschaft „entsprechend bei Strafe seiner permanenten Benach- teiligung lernen muss, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen“ (Beck, 1986: 217). Wie macht sich die Veränderung von Normen und Werten in einer „individualisierten Gesellschaft“ in der Polizei bemerkbar? 2.4.1 Wertebilder und Wertemuster von Polizeibeamten In der Untersuchung von Weiss (1990: 29 ff) wurden 114 Polizeibeamte der Landespolizei Niedersachsen und 129 Führungskräfte der damaligen Volkspolizei des Landes Sachsen- Anhalt zu deren Lebenszielen befragt. Dabei wurden fünf Wertorientierungen untersucht: Das Ziel, soziale Beziehungen aufzunehmen; materialistisch-hedonistische Ziele; Ziele alternativer Lebensweisen; das Ziel des sozialen Aufstiegs und die traditionellen beruflichen Lebensziele wie Pflichtbewusstsein, Tradition, Orientierung an moralischen Werten. Ein wichtiges Ergebnis war, dass das Ziel, soziale Beziehungen aufzunehmen und das Ziel des sozialen Aufstiegs deutlich vor einer traditionellen Grundorientierung und den materialistisch-hedonistischen Lebenszielen rangieren (a.a.O.: 34). Demnach steht im Mittelpunkt des Lebensinteresses der Polizeibeamten die Familie. Der Polizeiberuf hat nach Weiss seine klassische, identitätsstiftende und sinnvermittelnde Funktion eingebüßt. Die Lebenserfüllung wird nicht im Beruf, sondern in der Familie gesucht. Mit dem Wunsch nach harmonischen familialen Beziehungen dürfte auch ein Sicherheitsdenken verbunden sein, das weniger auf den Schutz vor Kriminalität, sondern mehr auf den Schutz vor Krieg, Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg ausgerichtet ist (a.a.O. 35). Unterschiede zwischen den Polizeibeamten in Niedersachsen und in Sachsen-Anhalt be- stehen insbesondere hinsichtlich der berufsbezogenen Wertorientierungen. So legen die Polizeibeamten in Niedersachsen bei den so genannten „top five“ Wert auf eine sinnvolle Tätigkeit, Mitgestaltungsmöglichkeiten im Beruf, ein gutes Betriebsklima, gute Arbeits- bedingungen und eine qualitativ ansprechende Aus- und Fortbildung. Dagegen legen die Kollegen aus Sachsen-Anhalt besonderen Wert auf Pflichtbewusstsein, berufliche Wei- terbildung, Leistungsstreben, beruflichen Erfolg und berufliche Verantwortung. Trotz aller Vorsicht gegenüber den unterschiedlichen Vergleichsgruppen kommt Weiss zu der Schlussfolgerung, dass die Beamten aus Sachsen-Anhalt weitgehend dem Primat 15 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel klassischer polizeilicher Arbeitsethik verpflichtet sind, während die Beamten aus Niedersachsen deutlich weniger beruflichen Ehrgeiz zeigen (a.a.O. 36). Eine weitere Untersuchung hat Weiss (1991: 9 ff) mit Beamten der Schutz- und Kriminal- polizei über alle Hierarchien durchgeführt. Im Rahmen einer repräsentativen Erhebung wurden 61 niedersächsische Polizeibeamtinnen, Polizeibeamte, die an einem Stress- und Konfliktbewältigungstraining teilgenommen hatten, sowie weitere drei Kontrollgruppen aus der niedersächsischen Polizei (insgesamt 114 Beamte) gefragt, welche Lebensziele sie verfolgen. Desgleichen hat Weiss nach den jeweiligen berufsbezogenen instrumentalen Werten, den beruflichen Verhaltenspräferenzen der Beamten gefragt. (a.a.O.: 15). Im Ergebnis lässt sich bei den instrumentalen Werten festhalten, dass Werte wie „verant- wortungsbewusst/zuverlässig“ vor „ehrlich/aufrichtig“, „tolerant/aufgeschlossen“ „hilfsbereit/sich für andere einsetzen“ „logisch/konsequent/vernünftig sein“ dominieren. Ohne Bedeutung erwiesen sich Werte wie „ordentlich“, „fantasievoll“, „fleißig“, „gehorsam“, „pflichtbewusst“. Völlig überraschend war, dass gerade Polizeibeamte die Werte „Fleiß“, „Gehorsam“, “Pflichtbewusstsein“ und „Ordentlichkeit“ als die rangniedrigsten Zielwerte einschätzten (a.a.O. 18). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Buchmann & Hermanutz (1991: 113) in einer baden- württembergischen Untersuchung aus dem Jahr 1991. Sie resümieren, dass „in den Lebenswelten der Polizeibeamten mehr und mehr die Selbstentfaltungswerte gegenüber Werten der Pflichterfüllung dominieren“. Weiss bemerkt in der Gesamtwürdigung, dass die Abkehr von traditionellen polizeilichen Anpassungs- und Leistungsnormen eine Fülle von Führungs- und Motivationsproblemen aufwirft. Irritationen löst die geringe Bedeutung der leistungstragenden Werte wie „Ehr- lichkeit“, „Fleiß“, „Gehorsam“, „Pflichtbewusstsein“ und der sehr geringe Stellenwert von „Leistungsfähigkeit“ aus. Er hält den Leistungsbegriff für überstrapaziert, denn die zahl- reichen Überstunden sprächen eine deutliche Sprache im Hinblick auf den bestehenden Leistungsdruck und Erfolgszwang. Als Demotivationsfaktoren werden herausgearbeitet, dass bei härtestem Arbeitseinsatz Erfolgsaussichten fehlten (z.B. Drogenpolitik – sankti- onslose Einstellungen durch die Justiz) und oftmals noch die Anerkennung durch Vorgesetzte ausbleibe (z.B. bei Beurteilungen), was in der Konsequenz dazu führe, dass die Leistung im dienstlichen Bereich ihren handlungsstiftenden Sinn verloren habe (a.a.O. 23). Dass die Polizeibeamten ihre gesellschaftliche Anerkennung als niedrig bewerten, hängt nach seiner Sicht mit den politischen und gesellschaftlichen Spannungsfeldern, in denen sich Polizeiarbeit vollzieht, zusammen. Diese gestalten sich derart widersprüchlich und konfliktträchtig, dass ein distanziertes, sachlich und innerlich abgeklärtes polizeiliches Einschreiten oftmals kaum mehr möglich erscheint. Dabei muss der Polizeibeamte den Eindruck gewinnen, dass er es eigentlich niemandem wirklich recht machen kann, was 16 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel seine Zweifel an der gesellschaftlichen Anerkennung seines Berufs sowie sein besonders stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Ausgleich und Harmonie erklärbar machen würde (a.a.O. 24). 2.4.2 Wertewandel aus der Sicht von Polizeiführern Aussagen von Polizeiführern setzen sich in erster Linie mit Demokratisierungstendenzen in der Polizei und Stereotypen gegenüber Polizeibeamtinnen auseinander, beklagen aber auch die Zunahme von Selbstentfaltungs- gegenüber Pflichterfüllungswerten und beschreiben das Spannungsfeld von Selbstentfaltungswünschen einerseits und eingeschränkten monetären Möglichkeiten im Polizeiberuf andererseits. So machte sich der Inspekteur der Polizei Nordrhein-Westfalens anlässlich eines Referates an der Polizeiführungsakademie im Jahre 1989 darüber Gedanken, in welcher Weise gesellschaftliche Umbrüche und Entwicklungen die Organisationskultur Polizei beeinflussen bzw. wie sich Ausformungen gesellschaftlicher Umbrüche in der Or- ganisation Polizei niederschlagen. Als eine „Ausformung“ wird die Gruppe der „Kritischen Polizisten“ benannt, „die in der Polizei zu wenig Demokratie, zu viele militä- rische Strukturen festzustellen meint, die die Polizei als Machtinstrument der Herrschenden missbraucht sieht und den Kollegen pauschal fortgesetzt Rechtsbrüche vorwirft“. Als zweite „Ausformung“ werden die Polizeibeamtinnen in der Schutzpolizei aufgeführt, die, bisher nur in der Kriminalpolizei traditionell verwurzelt, sich anfänglich „grotesken“ Gegenargumenten zu stellen hatten. So wurde befürchtet, „die Ehen der Strei- fenbeamten seien gefährdet, Wirtshausschlägereien seien mit einer Frau als Streifenkollegin nicht zu schlichten“ (Stork, 1989: 193). Aus der Sicht des Leiters des LKA Hamburg ist ein Rückgang traditioneller Pflicht- und Akzeptanzwerte festzustellen. Pflichterfüllung, Fleiß, Disziplin, Ordnungsliebe, Gemein- sinn, Anpassung, Unterordnung seien auf dem Rückmarsch. Dafür würden neuere Werte expandieren wie Gleichberechtigung, Emanzipation, Partizipation, materielle Absicherung, Selbstständigkeit, Selbstfindung, Selbsterfahrung, Selbstverwirklichung, Selbstbehauptung, Selbstverantwortung, Autonomie und Ungebundenheit (vgl. Sielaff, 1992: 352). In diesem Kontext macht der Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost darauf aufmerk- sam, dass korrespondierend zur Expansion der Selbstentfaltung die individuellen Bedürfnisse steigen, aber auch die Frustrationen, wenn die eigenen Ansprüche mit den – auch materiellen – beschränkten Möglichkeiten des eigenen Berufs kollidieren. Das Streben nach einem Maximum an Selbstverwirklichung degeneriere dann schnell zu einer banalen Kosten-Nutzen-Rechnung, in der bei geringstem Einsatz der größtmögliche private Nutzen aus den gebotenen Möglichkeiten gezogen werde (vgl. Walter, 1991: 447). 17 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel 2.4.3 Vom Wertewandel zur Wertesynthese Es überrascht nicht, dass die Befunde zum gesellschaftlichen Wandel im Großen und Ganzen auch auf die Polizei zutreffen. Auch bezogen auf die berufliche Arbeit liegen die Befunde von Weiss im gesellschaftlichen Trend. Waren früher vor allem Aufstiegsmög- lichkeiten und finanzielle Anreize interessant, gewinnen heute zunehmend Arbeitsplatzsicherheit, Spaß an der Arbeit, Entfaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie der Kontakt mit anderen Menschen an Bedeutung. Eine breitere Streuung von Zielen, Bedürfnissen, Interessen und Motivationen gilt sowohl für Beschäftigte generell als auch für die Polizei. Die Einschätzungen der Polizeiführer zum gesellschaftlichen Wandel beschreiben ein Spannungsfeld, das in stark verkürzter Form mit „mehr Selbstverwirklichung, weniger Leistung“ beschrieben werden kann. Die Trends zu Demokratisierung und Selbstentfal- tung versus Pflichterfüllung mögen Polizeiführer nicht glücklich stimmen, da vermutet werden kann, dass sich aufgrund steigender Komplexitätsanforderungen ihr Alltagsgeschäft erschwert. Sucht man nach einem möglichen gemeinsamen Nenner zwischen den empirischen Befunden zum Wertewandel in der Polizei und den Bewertungen der Polizeiführer so gewinnt man den Eindruck, dass der Polizeiberuf seinen lebenserfüllenden, handlungsstiftenden Sinn verloren hat, wenn er ihn denn jemals hatte. Andererseits belegen neuere Untersuchungen zum Wertewandel (Klages, 2001: 7 ff und Christe-Zeyse, 2002: 22 ff), dass sich der Trend der letzen 30 Jahre, bei dem „Selbstentfal- tungswerte“ und „Pflicht- und Akzeptanzwerte“ sich unvereinbar gegenüberstanden, zu verändern scheint und sich in den letzten Jahren eine unerwartete Synthese vollzogen hat. Nach ihren Befunden haben die Selbstentfaltungswerte nichts von ihrer Bedeutung verloren, doch haben diejenigen, die sie für wichtig halten, offenbar immer weniger Probleme damit, auch die lange für altmodisch gehaltenen Pflicht- und Akzeptanzwerte als für sich relevant zu betrachten. Diese so genannte Wertesynthese findet sich vor allem in der jüngeren Generation und äußert sich in dem Befund, dass ein ständig steigernder Pro- zentsatz jüngerer Menschen sowohl Wert auf Gestaltungsfreiheit und Selbständigkeit legt, gleichzeitig aber auch ausgesprochen leistungsbereit ist. 2.5 Kriminalitätsentwicklung und Sicherheitsgefühl Bei der Analyse der Kriminalitätsentwicklung der Deutschen und der in Deutschland schon länger lebenden Ausländer weist Feltes (1994: 169) nach, dass hier weniger ein Wertewandel, sondern ein ökonomischer Wandel greift. Dabei umfasst die „Neue Armut“ zunehmend auch Ausländer als Sozialhilfeempfänger, ebenso Kinder und Jugendliche. Ihre Anteile haben sich in den letzten 10 Jahren etwa verdoppelt. Mehr als 50 % der Bewohner von Obdachlosenunterkünften sind inzwischen Kinder und Jugendliche. Gerade bei diesen Gruppen hat aber die Diebstahlskriminalität am stärksten zugenommen. Es ist 18 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel somit kein Wertewandel, sondern der Zwang zur Teilnahme an der Konsumgesellschaft, der diese Gruppen in die Kriminalität treibt. Das registrierte Kriminalitätsaufkommen ist gestiegen und die Arbeitsbelastung der Polizei ist stark angewachsen: So hat sich die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten in Westdeutschland (inkl. Gesamt-Berlin) zwischen 1990 und 1998 um 15,6 % erhöht (für Niedersachsen beträgt der Anstieg 6,8 %), die Zahl der Planstellen der Polizei ist dagegen zwischen 1990 und 1998 nur um 7,9 % angewach- sen (für Niedersachsen 3,3 %). In den neuen Bundesländern vermitteln die entsprechenden Daten ein noch ungünstigeres Bild. Dort ist die Zahl der Planstellen seit 1992 nahezu konstant geblieben (+ 0,3 %), obwohl die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Zeit von 1992 bis 1998 eine Zunahme der Straftaten um 20,8 % verzeichnet (vgl. Ohlemacher, 2000 a: 7). Auch neuere Zahlen bestätigen den zuvor benannten Trend. So weist die Kriminalstatistik 2002 für Niedersachsen eine Aufklärungsquote auf Rekordniveau aus (53,27 %), gleich- zeitig ist jedoch die Zahl der Straftaten um 7,3 % gestiegen. Der Anstieg der Straftaten ist in allen Bereichen festzustellen, die Delikte reichen von Kontrolldelikten, bis zu aufklärungsgünstigen oder -ungünstigen Delikten. Bei Sexual-, Rauschgift- und Betrugsdelikten liegen die Steigerungsraten im zweistelligen Bereich. Bei der Hälfte aller registrierten Straftaten handelt es sich um Diebstahlsdelikte (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 2003: 1). Dass die Kriminalität quantitativ und qualitativ zugenommen hat und dadurch die Arbeitsbelastung der Polizei angestiegen ist, hängt auch stark mit der Öffnung der Grenzen unseres Landes zusammen, welche die Zuwanderung von vier bis fünf Millionen Menschen ermöglichte, die sich aus Asylbewerbern, Aussiedlern, Flüchtlingen, legalen und illegalen Einwanderern zusammensetzten. Ein wachsender Anteil der Tatverdächtigen, der Zeugen und Opfer spricht deshalb nur gebrochen oder gar nicht Deutsch. Weit häufiger als noch in den 80er Jahren muss deshalb bei Vernehmungen ein Dolmetscher hinzugezogen werden, was nicht nur die Kosten, sondern auch den Zeitaufwand der Polizei beträchtlich erhöht. Mit dem wachsenden Ausländeranteil unter den Tatverdächtigen und Opfern geht ferner einher, dass sich insbesondere die Aufklärungsarbeit im Bereich der organisierten Kriminalität erheblich erschwert hat und dass die Zahl von bewaffneten Tatverdächtigen im Rahmen gravierender Straftaten stark angestiegen ist (vgl. Ohlemacher, 2000: 7). Sielaff (1992: 352) meint, dass seit Jahren eine stärkere Gewaltbereitschaft in der Durchsetzung eigener – nicht nur krimineller – Ziele festzustellen sei. Trotz steigender Kriminalität klaffen die objektive Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland und das subjektiv empfundene Sicherheitsgefühl ihrer Bürger auseinander. Nach einer in den 90ger Jahren herausgegebenen Studie der Vereinten Nationen gibt es kaum ein Land der westlichen Hemisphäre, in der die Sicherheitslage, aufs Ganze gesehen, so sicher sind wie in der Bundesrepublik Deutschland; es gibt aber gleichzeitig 19 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel kaum ein Land in der westlichen Welt, in der die Kriminalitätsfurcht der Bürger so hoch ist wie in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Lüken, 1997: 19). Es herrscht eine große Kluft zwischen der Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls durch die Angst, Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, und der statistischen Wahrscheinlichkeit. Der Anteil der Gewaltdelikte lag in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 1993 bei 2,4 %. Publicity- trächtig, die Angst der Bürger schürend, kann man mit der „Kriminalitätsuhr“ darstellen, dass alle drei Minuten jemand Opfer eines Gewaltdelikts wird. Nüchterner sieht die Sache aus, wenn man die Zahl der Gewalttaten (180.147 registrierte Fälle für 1993) in Bezug zur Bevölkerung (80.974.600 Einwohner) setzt. Statistisch ist dann jeder 0,0022247-te Bürger betroffen. Rechnet man diese Wahrscheinlichkeit hoch, dauert es ca. 450 Jahre, bis ein Bürger Opfer einer Gewalttat wird (Kniesel, 1996: 92). Wie komplex die Zusammenhänge im Einzelnen sind, zeigt im Übrigen die empirisch belegte Tatsache, dass gerade die Gruppe, die die höchste Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, aufweist (junge Männer), die geringste Furcht oder Angst vor Verbrechen hat (vgl. Feltes, 1994: 167). In einer anderen Publikation verdeutlicht Feltes (2001: 3), dass in der Öffentlichkeit, aber auch bei der Polizei selbst, die Kriminalität bzw. das Vorkommen einzelner Delikte sowohl über- als auch falsch eingeschätzt wird. So ist zum Beispiel das Risiko, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, zehnmal größer als das Risiko, Opfer eines Handtaschenraubes zu werden und in etwa gleich groß (oder niedrig) wie das Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu Tode zu kommen. Dennoch wird auch bei der Polizei mit diesen Risiken ganz unterschiedlich umgegangen. Während die „Verkehrsrisiken“ hingenommen werden (obwohl die Polizei in die Verkehrssicherheitsarbeit sehr viel investiert), wird das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, überschätzt und überbewertet. Neben verzerrender Berichterstattung durch die Medien (die mediale Aufbereitung von Kapitaldelikten garantiert eine hohe Aufmerksamkeit bei den Rezipienten) ist es die Wahrnehmung des Bürgers selbst, die entscheidend von der statistischen Wirklichkeit abweicht. So kann die vermeintlich fehlende Ordnung im Gemeinwesen das Sicherheitsgefühl beeinflussen oder etwas, was sich als „allgemeine Lebensangst“ beschreiben lässt. Eine größere, sichtbare Zahl von Nichtsesshaften, Alkohol- und Drogenabhängigen oder anderen, die, weshalb auch immer, dem Normalbürger Angst machen sowie das verwahrloste Erscheinungsbild von öffentlichen Plätzen und Infrastruktur-Einrichtungen, können gerade im als besonders ordentlich bekannten Deutschland das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger mehr beeinflussen als die tatsächliche allgemeine Kriminalitätsentwicklung. Warum nun haben Bürger Angst, obwohl, objektiv betrachtet, dazu oftmals kein Anlass besteht? Im Jahr 2000 hat Feltes (a.a.O. 4) in vier Schweizer Städten eine Befragung zu Viktimisierung, Verbrechensfurcht und Polizeibewertung durchgeführt und kam zu folgendem Ergebnis: „Diejenigen Befragten, die selbst Opfer einer Straftat geworden waren, unterscheiden sich nicht (Hervorhebung im Original) von den ,Nicht-Opfern‘ im Hinblick auf ihre Verbrechensfurcht und individuelle Unsicherheit. Diejenigen aber, die 20 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel jemanden kennen, der Opfer geworden ist, haben massiv höhere Ängste und Befürchtungen – und zwar in allen Bereichen und an allen Orten, sogar in der eigenen Wohnung, obwohl sie selbst nicht viktimisiert worden waren. Das ,Opferwerden vom Hörensagen‘ hat somit deutlich negativere Auswirkungen auf das individuelle Sicherheits- und damit Lebensgefühl, als tatsächlich selbst Opfer zu werden“. Subjektive und objektive Sicherheit sind untrennbar miteinander verbunden; zur Aufrechterhaltung der Sicherheit gehört, dass der Bürger sich auch sicher fühlt. Subjektive Sicherheit wird auch dadurch gesteigert, dass der Bürger die Polizei in seiner Nähe weiß. Gerade in städtischen Bereichen wünscht der Bürger, dass Polizeibeamte in seinem Wohnumfeld als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung stehen (vgl. Kniesel, 1996: 92). 2.6 Im Spagat zwischen Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit Nach Ahlf (1997: 172) ist die Rolle der Polizei seit jeher ambivalent, weil ihre Funktion in der Gesellschaft sowohl macht- als auch konsensorientiert ausgerichtet ist. So hilft und dient sie den Menschen in vielfältiger Weise und schützt sie und ihr Eigentum, aber sie übt auch Macht aus, wendet Gewalt an und erzwingt notfalls die Beachtung von Gesetz und Recht. Daneben soll sie als Instanz des „Public Management“ die Mobilität, die Freiheit und das Selbstverwirklichungsrecht des Einzelnen gewährleisten. Dabei werden ihre Leis- tungen entsprechend dem bürgerschaftlichen Anspruch kritisch betrachtet und nach Marktkriterien bewertet. Ist die Polizei überall dort, wo man sie braucht – und ist sie auch fern genug, wenn man sie nicht sehen möchte? Geht sie hinreichend auf die Bürger- und Kundenwünsche ein? Ist sie kompetent und freundlich? Gelingt ihr der Spagat zwischen Gewährleistung von Sicherheit einerseits und Freiheit andererseits? Der Zielkonflikt zwischen der Gewährleistung von Sicherheit einerseits und Freiheit andererseits muss ständig neu austariert werden. Es gibt keine allgemein gültige Formel, wie viel Unsicherheit eine Gesellschaft ertragen und wie viel Unfreiheit individuell zumutbar ist. Der Polizei kommt in diesem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess eine wichtige Rolle zu, denn tagtäglich wird sie mit Situationen konfrontiert, wo die Freiheit des einen die Sicherheit des anderen tangiert oder gefährdet und wo sie oft unmittelbar handeln muss. Dabei verschwimmt nach Kube (1994: 771) das Selbstverständnis der Polizei zunehmend im Rahmen der Ausübung staatlicher Eingriffsbefugnisse und des Gewaltmonopols. So sieht sich die Polizei in eine Situation gestellt, in der unklar ist, welche Rolle der Staat bei der Bewältigung von Rechtsbrüchen überhaupt noch zu spielen hat und wie er sich – vertreten durch seine Repräsentanten – sozusagen sprachlich artikulieren und sich den Bürgern gegenüber verhalten soll. Die Zwangsmaßnahmen ausübende Exekutive, also im 21 2. Aufgabe und Rolle der Polizei im Wandel Wesentlichen die polizeiliche Tätigkeit, wird, so Kube, häufig als notwendiges Übel angesehen und zum polizeistaatlichen Relikt denaturiert. Da die Rechtsnormen, die polizeiliche Aufgabenbeschreibung, die Rollenerwartung in der Organisation Polizei sowie die von außen an die Polizei herangetragenen Ansprüche nicht konsistent sind, erweisen sich gesellschaftliche Spannungsfelder, in denen sich der Polizeidienst heute vollzieht, als hochgradig widersprüchlich und konflikthaft. „Die Gesellschaft zeigt sich gegenüber bestimmten Kriminalitätsformen (z.B. Organisierte Kriminalität) machtlos; die massenweise Begehung von Straftaten (illegaler Zigarettenhandel, Diebstähle in SB-Geschäften usw.) führt zur ständigen Nichtverfolgung solcher Delikte und immer wieder zu der Diskussion, ob derartige Verhaltensweisen überhaupt als Straftaten bewertet werden sollen“ (Strahlendorf, 1997: 665). Neben der Vergrößerung ihres Aufgabenbereichs hat die Polizei sich auch mit einem gestiegenen Protestpotenzial auseinander zu setzen. Dabei gibt gerade das Demonstrationsrecht Minderheiten die Möglichkeit, ihre Meinung öffentlich kundzutun, etwa in Fragen der Energiepolitik, Umweltpolitik, Asylpolitik. Polizeieinsätze bei derartigen Anlässen haben häufig eine doppelte Zielsetzung: Einerseits sind rechtsstaatlich-demokratisch getroffene Entscheidungen in ihrer Umsetzung zu sichern, andererseits sind zugleich die dagegen gerichteten Demonstrationen zu schützen (vgl. Projektgruppe Nordrhein-Westfalen, 1998: 8). Dabei hat sich in der Polizei das Konfliktverständnis in den letzten Jahren verändert. De- eskalation, Kommunikation, Vermittlung und Bürgernähe lauten die Stichworte, die deutlich machen, dass die Polizei auch und gerade dann, wenn sie repressiv tätig wird, sich dem Bürger vermitteln will, mit ihm und nicht gegen ihn agieren will. So hat sich bei Großlagen (z.B. Castor-Transporte) das polizeiliche Vorgehen bewährt, frühzeitig Kontakt mit Betroffenen aufzunehmen und situative Handlungsspielräume bei Konfliktlagen unter starker Berücksichtigung von Bürgerinteressen auszuloten (vgl. Driller, 2001: 29 ff). Steigende Anforderungen, hoher Erwartungsdruck von außen, eine zunehmende Verände- rungsgeschwindigkeit und Komplexität des für die Polizei erforderlichen Wissens und Könnens sowie schwierige Binnenverhältnisse stellen besondere Herausforderungen an die polizeiliche Aus- und Fortbildung, „insbesondere in den Bereichen Gesellschaftspolitik, Führung, Recht, Taktik, Technik und in den Erscheinungsformen der Kriminalität“ (Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, 1999: 2). Aufgrund der dynamischen Entwicklung der Wissenszunahme, die von raschen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen begleitet wird, kann heutzutage jede Art der beruflichen Ausbildung nur noch Grundlagen legen, die durch ständiges Weiterlernen aktualisiert und an neue Erfordernisse angepasst werden müssen (vgl. Wilmer, 1997: 357). Wilmer konstatiert, dass die Halbwertzeit des Wissens in einigen Ausbildungsbereichen „heute auf ca. 4 Jahre geschätzt wird“. Dabei weist er, was die 22 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei spezifische Situation bei der Polizei betrifft, besonders hin auf die Veränderungen der quantitativen und qualitativen Kriminalitätsentwicklung (z.B. Organisierte Kriminalität), die Internationalisierung der Kriminalität und der Kriminalitätsbekämpfung (z.B. Europol, Schengener Abkommen), die ständigen Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für polizeiliches Handeln, die veränderten Ansprüche und Erwartungen der Bürger, die schnelle technologische Entwicklung (z.B. Bürokommunikation, Datenautobahnen usw.) und die Veränderungen innerhalb der Gesamtorganisation (z.B. Neuorganisation von Behörden und Einrichtungen, Neues Steuerungsmodell). 2.7 Zusammenfassung Die Rolle der Polizei in der Gesellschaft ist grundsätzlich ambivalent, weil sie zwischen den beiden Spannungspolen, der Gewährleistung von Freiheit einerseits und von Sicherheit andererseits, verortet ist. Das rechtlich-justizielle Handlungsmodell der Polizei wird gesellschaftlich zunehmend stärker von einem individuellen bedürfnisorientiertes Handlungsmodell des Bürgers beeinflusst. Das Selbstbild von Polizistinnen und Polizisten ist traditionell von der Rolle des „Verbrechensbekämpfers“ geprägt, während die Bürger, bei wachsender Komplexität gesellschaftlicher Problemlagen, die Polizisten zunehmend in der Rolle des „Konfliktschlichters“ anfragen. Die sich hieraus ergebende Psychodynamik ist durch die beiden Spannungspole Omnikompetenz und Deklassierung gekennzeichnet. Sie wird angereichert durch die Wertebilder der Polizisten, bei denen Selbstentfaltungswerte gegenüber Pflichtentfaltungswerten zunehmen. Diese Werte müssen sich jedoch nicht einander ausschließen, belegen doch neuere Untersuchungen, dass es vor allem in der jüngeren Generation zunehmend zu einer „Wertesynthese“ aus Selbstverwirklichungs- und Pflichtwerten kommt. Die alltägliche Arbeit der Polizei ist eine Sisyphusarbeit. Der objektiven Sicherheitslage steht das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger gegenüber, denn trotz der allgemein guten Lebensbedingungen haben diese große Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden. 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Der Staat und die Polizei, als Teil der öffentlichen Verwaltung, sind Institutionen zur Verwirklichung der in der demokratischen Verfassung festgelegten Wertvorstellungen. Der Staat hat das Gemeinwohl zu schützen und die Anliegen der staatlichen Gemeinschaft wahrzunehmen. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit öffentlichen Handelns und damit auch des Verwaltungshandelns ist dabei für Rechtsstaaten konstitutiv. Es soll die Rechtssi- cherheit und die Rechtsgleichheit gewährleisten und die Freiheit der Bürgerin und des Bürgers vor staatlichen Eingriffen schützen (vgl. Häfelin & Müller, 1990: 65 ff). Somit 23 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei vollzieht die öffentliche Verwaltung den übergeordneten, demokratisch verfassten, in Gesetzen und Verordnungen auskristallisierten politischen Willen. Sie darf nur tätig werden, falls ein gesetzlicher Auftrag sie dazu legitimiert. Der rechtsstaatliche Vollzug soll die Gleichbehandlung aller Bürger garantieren und Willkür verhindern. Alles Ver- waltungshandeln ist damit an explizit formulierte Regeln oder Programme gebunden. (Kapitel 3.1) Im vorangegangenen Kapitel wurden Aufgaben und Rolle der Polizei vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen skizziert. Es ist Ziel dieses Kapitels eine genauere Verortung der Polizei vor dem Hintergrund der Politik und der Justiz darzustellen. Beide haben wesentliche Einfluss auf polizeiliches Handeln. Dabei ist einzuräumen, dass es äußerst schwierig ist, die originären Handlungsspielräume der Polizei auszumachen. Die Verortung zwischen Fremdbestimmung und Überreglementierung im folgenden Abschnitt verdeutlicht diese Schwierigkeiten einer eindeutigen und konturierten Standortbestimmung. Es bedarf – frei nach Immanuel Kant – eines genügenden Maßes an Theorie, um Praxis zu verstehen und zu gestalten, sodass im Unterkapitel 3.2 verschiedene soziologische Modelle kurz beschrieben werden, um die Haltungen und Einstellungen der Institution Polizei nachvollziehbarer darzustellen. Überlappungen zwischen dem vorherigen Kapitel 2 und dem nun zu bearbeitenden Kapitel 3 sind nicht zu vermeiden. So wurden ansatzweise im Kapitel 2.3 Paradoxien und Dilemmata polizeilichen Handelns in Bezug auf widersprüchliche Handlungslogiken und ambivalente Erwartungshaltungen der Bürger angerissen, die nun in Kapitel 3.2.1 weiter vertieft und ausgeführt werden. Da paradoxe Spannungsfelder kontextgebunden sind, schließt sich die Beschreibung polizeilicher Or- ganisationskultur an und wird verdichtet durch die Darstellung der konträren Logik von Polizei- und Polizistenkultur in Kapitel.3.2.2 ff. Die Rahmenbedingungen für polizeiliches Handeln wurden politisch neu gestaltet und unter dem Stichwort „schlanker Staat“ wird von der Polizei Effektivitäts- und Effizienz- steigerung verlangt. Mit „Effektivität“ ist nach der ISO 9000:2000 das „Ausmaß, in dem geplante Tätigkeiten verwirklicht und geplante Ergebnisse erreicht werden“, gemeint, während es bei der Effizienz um das „Verhältnis zwischen dem erzielten Ergebnis und den eingesetzten Mitteln“ geht. Nach Malik (2001: 312) gibt es immer noch keine besseren Definitionen für Effizienz und Effektivität als die Formulierung von Drucker (1955): „Effizienz heißt, die Dinge richtig tun¸ Effektivität heißt, die richtigen Dinge tun.“ Effizienz ist wichtig, aber die falschen Dinge effizient tun, ist eine Verschwendung von Ressourcen und somit ineffektiv. Effektivität ist also wichtiger. Eine genaue Bedeutung erhalten die Begriffe „Effektivität“ und „Effizienz“ erst, wenn der „Output“ eindeutig festgelegt ist, etwa im Rahmen von Produktdefinitionen. Wird er quantitativ festgelegt (Zahl von Streifengängen im Bahnhof, Zahl von unterrichteten Poli- 24 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei zeischülern pro Dozent), so kann die Verbesserung der Effizienz ohne Einfluss auf die Effektivität sein oder sie sogar verschlechtern (größere Klassen steigern die Effizienz, aber nicht die Effektivität im Sinne der Erreichung der Bildungsziele). Die Besonderheit der öffentlichen Verwaltung ist, dass die erbrachte Leistung, das Produkt, mit dem Zweck und Ziel der Erbringungen nicht direkt zusammenhängt. Während in der Privatwirtschaft das Ziel der Tätigkeit die Erzielung von Gewinn ist, verfolgt die öffentliche Verwaltung andere, meist politische Ziele. Insofern ist die Wirkung der erbrachten Leistung hinsichtlich der Ziele von der eigentlichen Leistung der Verwaltung zu unterscheiden. Mittels neuer Steuerungskonzepte soll die Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der öf- fentlichen Verwaltung gelingen, und es macht Sinn, die Logiken privater und öffentlicher Steuerungskonzepte miteinander zu vergleichen (Kapitel 3.3 ff), um anschließend die Relevanz dieses Steuerungskonzeptes für die öffentliche Verwaltung zu klären. Bei- spielhaft schließt sich der Wandlungsprozess in der Polizei Niedersachsen an. Die Zielsetzungen und Inhalte zweier bedeutsamer Reformen, der Polizei- und der Verwal- tungsreform sowie des Neuen Steuerungsmodells, werden beschrieben. Inhalte können nicht ohne handelnde Akteure transportiert werden (Kapitel 3.4 ff). Somit ist über die Wichtigkeit von Personalentwicklung, ihre Zielsetzungen in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung, einschließlich der sich daraus abzuleitenden Unterschiedlichkeiten zu reden. Mit den Zielen der Personalentwicklung im Geschäftsbereich des Niedersächsischen Innenministeriums wird sich im Anschluss auseinander gesetzt (Kapitel 3.5 ff). Am Ende dieses Kapitels steht ein Zwischenfazit, das sich um eine konturiertere Verortung der Polizei zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen Politik und Justiz bemüht (Kapitel 3.6). 3.1 Die Polizei zwischen Fremdbestimmung und Überreglementierung Die Ebenen der Politikformulierung und ihres Vollzuges klaffen auseinander. Das veranlasst die Politik immer wieder, mit einer Fülle von Regelungen, den Vollzug so zu strukturieren, dass die politischen Ziele nach Möglichkeit durchgesetzt werden. Da die meisten gesetzlichen Regelungen Bundesregelungen sind, während die Ausführung der Gesetze auf der Ebene der Länder bzw. der Kommunen erfolgt, ergeben sich daraus eine Fülle von Verfahrensregelungen (vgl. Brinckmann, 1995: 305). Das außerordentlich komplexe Tätigkeitsfeld der Polizei ist weitgehend durch die Probleme anderer bestimmt. Nur zu einem geringeren Teil bestimmt sie Anlass, Ort und Zeitpunkt ihrer Aktivitäten selbst, von daher ist polizeiliches Handeln fremdbestimmt. Sie ist grundsätzlich eine Organisation zur Bewältigung von Ausnahme- und Notsituationen. Dabei sind Art und Umfang der täglichen Polizeiarbeit auch vom Aufgabenverständnis anderer Verwaltungen und Institutionen abhängig, da z.B. die Gefahrenabwehr eine tradi- tionelle Aufgabe der Verwaltung und die Strafverfolgung eine traditionelle Aufgabe der 25 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Justiz ist. In gewisser Weise führt die Polizei das aus, was andere gewollt haben (vgl. Projektgruppe, 1998: 23). Aufgrund der geringen Eigenständigkeit polizeilichen Handelns und damit einhergehender hoher Fremdbestimmtheit in einem hochgradig komplexen Arbeitsfeld ergeben sich Un- klarheiten und Abgrenzungsprobleme. So wird polizeiliches Handeln in der politischen Diskussion unterschiedlich bewertet, z.B. bei Demonstrationen, im Personen- und Objekt- schutz, im Straßenverkehr oder beim Einsatz technischer Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung. Es mangelt an klaren einvernehmlichen Vorstellungen, was die Polizei erreichen soll, welche Mittel sie einsetzen darf und was sie erreichen kann (a.a.O. 21). Der schwer möglichen Verortung, wo die ureigenen Handlungsspielräume der Polizei beginnen und aufhören, versucht die Politik durch eine Überreglementierung zu begegnen, die die Polizei einerseits bindet, ihr aber andererseits Sicherheit gibt. Ahlf, (1997: 213) spricht in diesem Zusammenhang von politischer Übersteuerung. Gemeint ist eine Über- reglementierung gesetzlicher wie auch untergesetzlicher Normen, die dazu führt, dass Vorschriften teilweise nicht oder nur selektiv beachtet werden können. Er führt aus, dass Art und Umfang der gesetzlichen Regelungen oft so kompliziert sind, dass diese selbst von gut Ausgebildeten und um Beachtung bemühten Polizeibeamten kaum durchgängig berücksichtigt werden können. Ein wesentlicher Grund für die Überreglementierung und politische Übersteuerung der Polizei ist in der Zentralisierung der Verantwortung polizeilichen Wirkens und Handelns zu suchen. Die Polizei ist integraler Bestandteil der Regierungsgewalt. Im demokratischen Rechtsstaat korrespondiert damit notwendigerweise die politische Verantwortung des Innenministers. Daran anknüpfend hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Praxis entwickelt, die vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten von Polizeibeamten dem Innenminister als politisches Versäumnis vorwirft, was weit- reichende Folgen für die Verantwortungsstruktur hat. Um dem Vorwurf „politischer“ Untätigkeit vorzubeugen, entwickelt die Ministerialebene auch dann Handlungsvorgaben, wenn die Ausführungsverantwortung bei den Bezirksregierungen liegt und diese ihr aus eigener Kompetenz auch gerecht werden können. Unterhalb dieser Zentralinstanz wird diese Tendenz verstärkt und führt zu Überreglementierung und Überkomplizierung, dämpft das Engagement der zuständigen Behörden und ihrer Mitarbeiter. Dies führt zur Diffusion von Verantwortlichkeit und schafft damit letztlich ein System organisierter Un- verantwortlichkeit. In der Konsequenz wird der Minister für Handlungen und Untätigkeiten der Ausführungsebene verantwortlich gemacht (vgl. Projektgruppe, 1998: 79 ff). Ohlemacher et al. (2002: 76) vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (KFN) hat in der Befragung der niedersächsischen Polizei herausgefunden, dass inner- dienstliche Vorschriften als ein frustrationsverstärkendes Element empfunden werden: So werden sie von 60 % der Befragten als demotivierend bewertet. Damit liegen bei der 26 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Polizei Niedersachsen die innerdienstlichen Vorschriften nach der Stellen- und Beförderungssituation an der Spitze der als demotivierend empfundenen Faktoren. Demnach hat sich die negative Einschätzung der innerdienstlichen Vorschriften gegenüber der Vorgängerbefragung von 1991 nur um 2 Prozentpunkte verbessert. Als Resümee bleibt festzuhalten, dass die einengend und intransparent empfundenen innerdienstlichen Vorschriften im Wesentlichen noch genauso demotivierend wirken wie vor über 10 Jahren. Ähnliches lässt sich auch aus anderen Länderpolizeien berichten. So stimmten 84 % der Befragten der rheinland-pfälzischen Polizei der Aussage „Belastend empfinde ich Bürokratismus“ zu, wobei allein 51 % der Befragten den höchsten Zustimmungswert auf einer Sechserskala (nämlich die Antwort „trifft vollkommen zu“) ankreuzten (Ministerium des Innern und für Sport Rheinland Pfalz, 1998: 16). Reglementierungen und Handlungsspielräume sind einerseits Kennzeichen von Führung und haben andererseits natürlich auch erheblichen Einfluss auf polizeiliche Führungsent- scheidungen. Bevor Letzteres erörtert wird, soll vorab die Komplexität von Führung kurz dargestellt werden, um den Rahmen, in den polizeiliche Führungsentscheidungen einge- bettet sind, verständlicher zu machen. Während Rosenstiel (1995: 259) Führung sehr spezifisch als „zielbezogene Einflussnahme“ zur Bewältigung vorgegebener Aufgaben beschreibt, sieht Nieder (2004: 5) Führung als „wechselseitige Beziehung und zielgerich- tete Beeinflussung“, bestehend aus einer „Sachaufgabe (Produktivität) und Personenaufgabe (Zufriedenheit)“. Feltes (1997: 116) zeichnet ein weiter gehendes Bild. Er meint, dass Führen nicht nur Delegieren, Anweisen, Kontrollieren und Kooperieren beinhaltet, sondern vor allem die Führung der eigenen Person. „Führung fängt dort an, wo wir uns selbst zu führen haben“ (ebd.) ist seine Kernaussage. Die Rolle als Führungskraft und Vorgesetzter ist also mit einer ganzen Reihe von Dilemmata behaftet, die nach Neuberger (1994: 90) durch die „innere Zwiespältigkeit des Führens“ bedingt sind. Vorgesetzte sind demnach in der Regel dazu gezwungen, in unvereinbaren Widersprüchen (z.B. Bewahrung und Veränderung, Fremdbestimmung und Selbstbestimmung, Aktivie- rung und Zurückhaltung, Zielorientierung und Verfahrensorientierung) zu leben, sodass Kompromisse unvermeidlich sind. In welch ein komplexes Spannungsfeld von gesetzlichen Vorgaben, organisatorischen Rahmenbedingungen, Mitarbeitererwartungen, Handlungsprinzipien und Bürgeranforde- rungen zum Beispiel „polizeiliche Führungsentscheidungen“ eingebettet sind, soll das nachstehende Schaubild verdeutlichen. 27 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Abb. 2: Abhängigkeiten der polizeilichen Führungsentscheidung aus: Ahlf, 1997:154 Anwendung staatlichen Zwanges als Ausnahme Im Zweifel Prävention vor Repression; Parität von Unterstützen/ Helfen/ Beraten und Kontrolle Offenheits- prinzip dem Bürger und den Institutionen gegenüber Umgang mit Sprache Professio- nelles Konflikt- lösen Rechts- staatliches Einzel- handeln Politik Gesetzliche Vorgaben Polizeiliche Führungsentscheidung Organisatorische und innerbetriebliche Rahmenbedingungen Information Ausstattung Hilfskräfte Mitarbeiter Unterstüt- zung Kontrolle Motivation Ausbildung Fortbildung Eckpunkte polizeilicher Orientierung Verhältnis zum Bürger 28 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Das Schaubild wurde ausgewählt, um einen Eindruck von der hohen internen und externen Komplexität, in die „polizeiliche Führungsentscheidungen“ verortet sind, zu vermitteln. Hohe Komplexität erhöht nicht die Sicherheit von Entscheidungen. Die Komplexität des polizeilichen Alltags birgt die Gefahr, dass man sich bei der notwendigen Reduktion der Komplexität in einfache Lösungen und einfache Weltbilder flüchtet und die Betroffenen dann für einfache Gesellschaftsbilder anfällig werden. Ahlf (1997: 154) hat sich mit der Komplexität polizeilichen Führungshandelns auseinan- der gesetzt. Nach seiner Auffassung sollte mit der gleichen Aufmerksamkeit, mit der das Vorgesetztenverhalten kritisch beobachtet wird, auch auf die organisatorischen, finanziellen, ausstattungsmäßigen und politischen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Polizeiarbeit geachtet werden. Er arbeitet heraus, dass Arbeitsunzufriedenheit häufig nicht aus den Fehlern des Vorgesetzten, sondern aus Mängeln in der Organisation und der Ausstattung des Arbeitsplatzes resultiert. So kann der unmittelbare Vorgesetzte nicht für die Übernormierung und das bestehende Beurteilungssystem verantwortlich gemacht werden. Er kann wenig für die Kommunikationsdefizite, die regelmäßig durch tief gestaffelte Hierarchien ausgelöst werden. Der unmittelbare Vorgesetzte hat kaum die Möglichkeit, die erforderliche Ausstattung für die Mitarbeiter zu optimieren oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Er ist allenfalls mittelbar für die Defizite in der Aus- und insbesondere der Weiterbildung verantwortlich. 3.2 Die Polizei als normorientierte und bürokratische Organisation Um die Haltungen und Einstellungen sowohl der Polizei als Organisation als auch ihrer Assoziationsmitglieder nachvollziehbar darzustellen, sollen drei soziologische Theorien und Modelle im Folgenden ansatzweise skizziert werden. Diese Modelle können auch als Grundlage für den empirischen Blick auf die Untersuchungsbefunde dienen. Allen Modellen gemeinsam ist die Reduktion der Wirklichkeit auf zentrale Aspekte. So sollen im Folgenden der rollentheoretische Ansatz des „Homo sociologicus“, wie bereits von Emile Durkheim beschrieben und später von Georg Herbert Mead und Ralf Dahrendorf elaboriert, dass Bürokratiemodell von Max Weber und der systemtheoretische Ansatz nach Talcott Parsons in groben Zügen dargestellt werden. Beim rollentheoretischen Ansatz des „Homo Sociologicus“ geht es im Kern darum, das Handeln von Menschen und auch von Institutionen als eine Reaktion auf die zu sozialen Normen gerierten Erwartungen anderer zu verstehen. Es sind die Normen verschiedener Verbindlichkeiten, die den Menschen dazu bringen, sich „sozial“ zu verhalten. Den stärksten handlungsleitenden Impuls geben die rechtlich kodifizierten Muss-Normen, deren Einhaltung in der Regel durch negative Sanktionen abgesichert wird (vgl. Frevel, 2000: 9). 29 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Wie in den vorangegangenen Kapiteln schon aufgezeigt, ist kaum eine andere Institution von diesem Ansatz so geprägt wie die Polizei. Sie ist gegenüber den Bürgern die zentrale Instanz für die Kontrolle der Muss-Normen und der Einleitung von Sanktionen. Es wurde dargelegt, dass sie als Instanz der sozialen Kontrolle auch für die Durchsetzung der Soll- Normen mitverantwortlich ist. Darüber hinaus ist die Polizei aber auch in einem extremen Maß selbst normgesteuert. Sie ist eingebunden in eine strenge Hierarchie und eine bürokratische Organisation, und ein Wust an Gesetzen, Verordnungen, Erlassen, Dienst- anweisungen und Vorschriften normiert die Polizei. Die bürokratische Organisation Polizei basiert auf der „Typologie legitimer staatlicher Herrschaft“, wie sie zuerst von Max Weber beschrieben wurde, und zwar in der „reinen Form“ als Typus der legalen Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsstab (vgl. Weber, 1985: 124 ff). Die Bürokratie wird als Herrschaft kraft Wissen markiert. Dieser Idealtyp ist gekennzeichnet durch hauptamtliche, qualifizierte Mitarbeiter, genau definierte Kom- petenzen, eine strenge Regelgebundenheit der Arbeit, eine Formalisierung und exakte Dokumentation der Tätigkeiten sowie durch eine hierarchische Koordinierung (Dienst- wege). Die Hierarchie als zentrales Strukturmerkmal der bürokratischen Verwaltung bildet „die einzig zugelassene Form der systeminternen Differenzierung. Andere durchaus denkbare Muster der Strukturierung von Arbeitsprozessen sind in dieser Form nicht kompatibel“ (Wimmer, 1998: 11). Die Strukturierung ist stark auf eine möglichst präzise „Institutionalisierung der vertikalen Beziehungen“ (ebd.) ausgerichtet und führt zu einer Vernachlässigung horizontaler, selbstkoordinierender Kooperation, denn „kollegial organisierte Arbeit bedingt Reibungen und Verzögerungen, Kompromisse zwischen kollidierenden Interessen und Ansichten und verläuft unpräziser, nach oben unabhängiger und daher uneinheitlicher und langsamer“ (Weber, 1985: 562). Richtig ist aber auch, dass Großorganisationen niemals optimal funktionieren könnten, wenn sich ihre Mitglieder an alle ihnen vorgegebenen Gesetze, Regeln und Normen halten würden. So bedeutet das zur Durchsetzung von Interessen gebrauchte Arbeitsmotto „Dienst nach Vorschrift“, d. h. die stunden- oder tagelange Verzögerung von Arbeitsabläufen im „Normalfall“, dass die Organisation durch zweckdienliche Regelverstöße ihrer Mitarbeiter wesentlich besser funktionieren würde. Die Arbeitsabläufe in Großorganisationen gestalten sich also nicht so bürokratisch wie sie auf dem Papier stehen. Die wesentlichen Abweichungen von der bürokratischen Norm bestehen nach Bosetzky & Wimmer (1994: 73 ff) in der Selbststeuerung der Mitarbeiter, der fachlichen Überlegenheit der Mitarbeiter dem Vorgesetzten gegenüber, der Machtlosigkeit mancher Vorgesetzter ihren Mitarbeitern gegenüber (z.B. kann der Leiter einer Polizeiinspektion nicht bei den Vernehmungen dabei sein, die seine Ermittler mit Opfern und Beschuldigten führen), dem hohen Maß an horizontaler Kooperation (ohne das im Organisationsalltag nichts „läuft“) und in der Seltenheit direkter Weisungen und Befehle. 30 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Trotz der Auflockerung bürokratischer Strukturen kommt die Polizei als Organisation dem Idealtypus hierarchischer Strukturierung und der Abgeschlossenheit nach außen recht nahe: Die von Politikern und Polizeiführern hochgelobte „Einheitslaufbahn“ bedeutet, dass man Polizist nur dann wird und bleibt, wenn man sich vornehmlich von Polizisten ausbilden lässt und dies ausschließlich an internen Ausbildungseinrichtungen. Einmal Polizist bedeutet „immer Polizist“. Bedingt durch die Nichtanerkennung dieser Ausbildung in anderen privaten und öffentlichen Bereichen bedeutet ein Ausstieg aus dem System Polizei immer auch einen absoluten Neuanfang bei null. Problematische Auswir- kungen hat das System Polizei, wenn man bedenkt, dass allein 10 Aufstiegspositionen zwischen dem Eingangs- und dem (möglichen, aber recht unwahrscheinlichen) Endgehalt bei B 2 liegen. So wird dafür gesorgt, dass man immer das Gefühl behält, höher kommen zu müssen. Das polizeiinterne Bewertungssystem bevorzugt Angepasstheit und bestraft Abweichung (vgl. Feltes, 2001: 8). Oft spiegelt sich in der internen Kommunikation das Beziehungsmuster gegenüber den Klienten wider. „So hat die Polizei mit Abstand den höchsten Prozentsatz an Disziplinarstrafen unter den Beamten“ (Scala & Grossmann, 2002: 41). Bürokratische Organisationen sind durch einen normativen Umgang mit ihren Regeln ge- kennzeichnet. Sie entscheiden nach festgelegten Regeln. Das Webersche Prinzip der „abstrakten Regelhaftigkeit der Herrschaftsausübung“ (Weber, 1985: 567), dass die Über- legenheit kontinuierlicher, nicht auf die Bewältigung des Einzelfalls bezogener Verfahren begründet, kennzeichnet nach wie vor die Struktur des Gewaltmonopols. Stetigkeit und Rationalität des Verwaltungshandelns widersetzen sich prinzipiell einer flexiblen Reaktion auf aktuelle Konflikte. Wenn Ashfort & Fried (1988: 305 ff) von der „mindlessness of or- ganizational behaviors“ reden, dann meinen sie damit die empirisch bestätigte Dominanz von weitgehend automatisierten und erfolgbewährten Routinen, Techniken, Systemen und Schemata, die das Alltagshandeln der Organisationsmitglieder steuern und die Organisation von riskanten Entscheidungen Einzelner entlasten. So bringt zum Beispiel die schon erwähnte Überreglementierung in Form von Erlassen, Vorschriften und Weisungen die Führungsfunktion in ein Dilemma. Letztere konzentriert sich dann nämlich auf die Überprüfung der Regel-, nicht der Sach- und Zielgerichtetheit des Handelns. Die Regelkonformität bedeutet Schutz, aber auch Isolation und Unpersönlichkeit. Die hierarchischen Ebenen fungieren relativ isoliert voneinander, die Kommunikation zwischen ihnen ist eingeschränkt. Das Muster aus Zentralisierung, Reg- lementierung und Unpersönlichkeit enthält zugleich ein stabilisierendes Moment: Schwierigkeiten werden nur selten durch eine Korrektur, sondern meist durch eine Verstärkung dieser Faktoren beantwortet, sodass die Organisation zur Inflexibilität und Ineffizienz tendiert und unfähig wird, ihre eigenen Fehler zu korrigieren. Eine Fehler-, Lern- und Anpassungskultur kann sich unter diesen Bedingungen nur schwer entwickeln (vgl. Projektgruppe, 1998: 84). 31 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Auch wenn die Reglementierung und Inflexibilität der Hierarchie ihre Schwäche ist, so ist zweifelsohne als Stärke herauszustellen, dass zwar auf sprachliche Verständigung und Kommunikation nicht ganz verzichtet wird, aber die Notwendigkeiten für diese Form der Kommunikation stark reduziert werden. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Talcott Parsons hat darauf hingewiesen, dass die Hierarchie die verschiedenen Ebenen in einer Organisation effizient voneinander trennt und nur ganz genau definierte mündliche Kom- munikationen zulässt (z.B. Dienst- oder Berichtswege). Somit kommt der Hierarchie eine wichtige Schutzfunktion zu: Sie schützt die jeweilige Ebene effektiv vor überfordernden Kommunikationswünschen anderer Ebenen, indem genau definiert wird, welche sprachliche Kommunikation überhaupt als relevant betrachtet werden muss. Letztendlich reduziert die hierarchische Ordnung Unsicherheit in Organisationen und zielt darauf, Ein- deutigkeit herzustellen. Die Koordination des Verhaltens in Organisationen markiert z.B. ein Organigramm, indem es ausweist, wer wem unterstellt ist. Kommt es dann im täglichen Miteinander zu Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten, ist es Aufgabe der vorgesetzten Stelle, die Sache wieder in (die) Ordnung zu bringen (vgl. Hirschorn & Gilmore, 1993: 30, Attems, 1996: 532). Aufgrund der Ebenentrennung ist eine Organisation überhaupt erst in der Lage, ein hohes Maß an Komplexität zu bewältigen. Durch die Hierarchie teilt sich eine Organisation in Subsysteme auf, die sich in weitere Subsysteme gliedern. Dabei ist die Kommunikationsdichte innerhalb der einzelnen Sub- systeme größer als zwischen den Subsystemen selbst. Dort werden Lösungen entwickelt und der Gesamtorganisation zur Verfügung gestellt (vgl. Simon, 1976: 96). Talcott Parsons hat im Rahmen seiner strukturfunktionalistischen Systemtheorie die Gesellschaft insgesamt, aber auch ihre Untergliederungen sowie gesellschaftliche Organisationen, wie z.B. die Polizei, systemisch verortet. Systemisch heißt für Parsons, dass die Gesellschaft und ihre vielfältigen Teile analytisch in interaktive und interdependente Subsysteme differenziert werden können, die mit verschiedenen Funktionen zum Strukturerhalt des Systems beitragen. Was das Sozialsystem betrifft, unterteilt er es z.B. in folgende vier Subsysteme: ♦ in das „ökonomisches Sub-System“, das für die Anpassung (Adaption) an die Umwelt zuständig ist und Mittel zur Zielverfolgung mobilisiert (u. a. Wirtschaft und Arbeit), ♦ in das „politisches Sub-System“, das die Funktion der Zielsetzung (Goal attainment) des Systems innehat (repräsentiert z.B. von Staat, Parteien, Verbänden), ♦ in das „gesellschaftliche Gemeinschaft“ mit Familien, Vereinen etc., um die Integration zu gewährleisten, sowie in das ♦ „soziokulturelle Sub-System“ (u. a. das Kultur-, Bildungs- und Rechtswesen, das die Funktion der Strukturerhaltung [latent pattern maintenance] gewährleistet, indem Ordnungsmuster ausgebildet und aufrechterhalten werden. 32 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Jedes Subsystem lässt sich nun wiederum in weitere Subsysteme aufsplitten, so z.B. das Rechtssystem in die Bereiche Rechtsetzung, Rechtsprechung, Polizei und Sanktionensystem (u. a. Justizvollzugsdienst), wobei jedes dieser Subsysteme bestimmte gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen hat. Die vier Subsysteme erster Ordnung stehen über Austauschprozesse miteinander in Verbindung, das heißt sie sind interaktiv und beeinflussen sich gegenseitig, sind also interdependent. Eine Änderung in einem der vier mit spezifischen Funktionen ausgestatteten Elemente führt zu Anpassungen, Veränderungen in den anderen (vgl. Frevel, 2000: 14 ff). Austauschprozesse in und zwischen Systemen fördern gleichzeitig aber auch die Komplexität. Das Kapitel 2.3 hat sich ansatzweise damit befasst, in dem das rechtlich justizielle Handlungsmodell der Polizei dem individuell-bedürfnisorientierten Handlungsmodell der Bürger gegenübergestellt wurde (vgl. auch Kapitel 2.6). Je höher die interne und externe Komplexität, desto stärker mehren sich Paradoxa und Dilemmata, desto unsicherer werden Entscheidungen. Dennoch werden in Organisationen Fehlerfreiheit, Perfektionierung und Steuerbarkeit angestrebt. Im folgenden Kapitel sollen exemplarisch Widersprüchlichkeiten, Dilemmata und paradoxe Spannungsfelder in der Organisation Polizei dargestellt werden. 3.2.1. Paradoxe Spannungsfelder und Dilemmata Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Autoren, die die Begriffe Dilemmata oder Paradoxa gebrauchen, ein übereinstimmendes und einheitliches Verständnis zugrunde legen. Häufig kommt es vor, dass die Begriffe als Synonyme2 gebraucht werden. Es erscheint sinnvoll, das eigene Verständnis von Paradoxa und Dilemmata zu klären, da beide Begrifflichkeiten im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder auftauchen. Obwohl diese eng miteinander verknüpft sind, werden sie nacheinander erörtert. Der Duden (2001: 583) beschreibt die Bedeutung von „paradox“ mit „der allgemeinen üblichen Meinung entgegenstehend; widersinnig“: Das Adjektiv wurde im 17. Jahrhundert aus dem spätlateinischen „paradoxus“ entlehnt, das seinerseits auf das griechische „para- doxos“ („unerwartet, sonderbar“) zurückzuführen ist. In einer erweiterten philosophischen Bedeutung ist Paradoxie als „Widerstreit zwischen gleich begründeten Sinngehalten“ oder auch als „Widersinnigkeit“ definiert (Fengler, 2001: 81). Bei der weiteren Erörterung soll sich auf die Paradoxie als „Widersinnigkeit“ bezogen werden, d. h. auf Aussagen, die im Augenblick ihres Auftretens gleich wieder negiert oder durch sich selbst aufgehoben werden. 2 Von daher wird im Folgenden der von den zitierten Autoren zugedachte Sinngehalt aufgeführt. 33 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Paradoxien sind kontextgebunden, da nur innerhalb eines Systems von Regeln Ableitun- gen vorgenommen werden können, die sich gegen die Axiome des Systems richten. Nach Neuberger (2000: 195) bestehen die Charakteristika eines Paradoxons aus der Trias von Widersprüchlichkeit, Selbstbezug und Zirkularität. So hat sich Schütze (1992, 1996) mit solchen Paradoxien im Berufsfeld der Sozialarbeit befasst. Als Paradoxien werden von ihm Phänomene bezeichnet, die bei der Untersuchung eines Falles von Klientenbetreuung durch einen Sozialarbeiter auftauchen. Durch die Auflösung seiner Tätigkeit in einzelne Bearbeitungsschritte, bei gleichzeitiger Berück- sichtigung seines Vorwissens über soziale Zusammenhänge, und aufgrund seiner Bemühungen, eine Beziehung zum jeweiligen Klienten herzustellen lassen sich viele widersprüchliche, unauflösbare Handlungskonstellationen erkennen und nicht zutreffende Annahmen, durch welche die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Auf Grund- überlegungen zur Funktion von Professionen in der Gesellschaft wurde Bezug genommen (Hughes 1965, Parsons 1964), wonach Professionen überall dort gebraucht werden, wo von Menschen kritische Übergangsphasen in der Gesellschaft bewältigt werden müssen und umsichtige und kenntnisreiche Hilfe zur Bewältigung erforderlich ist (vgl. Schütze, 1992: 143 ff). In welchen Kontexten lassen sich unauflösbare Handlungskonstellationen und paradoxe Spannungsfelder in der Polizei ausmachen? Kommen wir noch einmal zurück auf die schon des Öfteren erwähnte Überreglementierung polizeilichen Handelns. Litwak, 1968 (zit. nach Behr, 2000: 59) macht auf den paradoxen Effekt aufmerksam, dass die Beherr- schung diffuser und vielfältiger Problemkonstellationen mit generellen Regeln erreicht werden soll. „Um für alle Fälle gerüstet zu sein, müssten die Regelungen bis ins Einzelne gehen. Damit werden sie so komplex wie die Situationen, die mittels ihrer beherrscht werden sollen. Im ,Dienst nach Vorschrift‘ machen die Verbandsmitglieder sich die Paradoxie der bürokratischen Struktur nur zu eigen.“ Dabei arbeitet Behr heraus, dass die Überlastung der Mitglieder durch Regeln auch als Herrschaftsprinzip zu interpretieren ist. Die Organisation regelt faktisch gar nicht alle Eventualitäten, sämtliche Beteiligten wissen, dass das die Organisation überlasten würde. Allerdings wird damit die Androhung und das Statuieren von Exempeln bewerkstelligt, und zwar wenn etwas nicht funktioniert hat, z.B. weil in der Öffentlichkeit gerade ein bestimmter Vorfall skandalisiert wird (ebd.). Prätorius (2004: 174) stellt heraus, dass Polizei einerseits Vertrauen erzeugen soll (in die sicheren Lebensumstände der Gesetzestreuen ebenso wie in die Zuverlässigkeit ihres eigenen Handelns), andererseits ist ihr Blick auf die Umwelt von Misstrauen geprägt. Polizei soll Entschlossenheit zum harten Eingreifen suggerieren, andererseits arbeitet sie unter Umwelterwartungen, in denen die Notwendigkeit der Sanktion oft schon als Defizit in der Wirksamkeit gilt. Die Polizei soll einerseits die bestehende Rechtsordnung bewahren und die Bürger in ihren gegebenen Rechten schützen, andererseits wird immer stärker von ihr gewünscht, sie möge einen zukunftsgerichteten und therapeutischen Blick 34 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei auf gesellschaftliche Problemursachen gewinnen. Dabei soll sie einerseits dem Einzelfall gerecht werden und dessen Situationsspezifik verstehen, andererseits nach den Idealen der Gleichbehandlung und Berechenbarkeit streben. Auf der Ebene des polizeilichen Auftrags beschreibt Ohlemacher (1999: 8) die Paradoxie, dass die Polizei mit der Ausführung des Gewaltmonopols beauftragt ist, um Gewaltaus- übungen zu verhindern (vgl. Kapitel 2.1). „Polizei ist mit der Ausführung des Gewaltmonopols beauftragt, um das Demokratische und die zivile Gesellschaft zu sichern – hierin liegt das Paradoxe, aber auch das Bedeutsame, das Grundlegende ihres gesell- schaftlichen Auftrages. Polizisten erhalten den Auftrag und die Möglichkeit, Gewalt gegen ihre Mitbürger auszuüben, beispielsweise um Gewaltausübungen zu verhindern oder zu unterbinden. In jeder persönlichen Interaktion Polizist/Bürger ist diese ultimative Handlung zumindest am Horizont des Möglichen. Dies erzeugt bei den Mitbürgern ein Unbehagen.“ Eine ähnlich geartete Paradoxie beschreibt Sielaff (1992: 355), nämlich dass angesichts gewandelter Kriminalitätsstrukturen, die Polizei zunehmend auf verdeckte Ermittlungsmethoden zurückgreifen muss, was dann dazu führen kann, dass Straftaten von Beamten begangen werden, um Straftaten zu verhindern: „Die Zusammenarbeit mit Informanten und V-Personen, der Einsatz Verdeckter Ermittler an der Nahtstelle zwischen Legalität und Illegalität erzeugt Verführungssituationen und begünstigt durch den Zwang zur Übernahme von Normen des subkulturellen kriminellen Milieus abweichendes Verhalten. Wenn dann noch gefordert wird, dass verdeckte Ermittler zur Gewährleistung einer milieugerechten Legende und zur Überführung von Hintermännern Straftaten begehen können müssen, potenziert sich diese Gefahr.“ Paradoxien sind keine Dilemmata. Ein Dilemma bezeichnet eine „Zwangslage“. Das Wort ist aus dem Griechischen entlehnt („di-lemma“ = „Doppelsatz“) (Duden, 2001: 147). Ein Dilemma ist ein Entscheidungsproblem, ein Zielkonflikt, bei dem es keine klare Präferenz für Alternative A oder B gibt. Sind beide Optionen in der eigenen Wahrnehmung gleich (un)attraktiv, ist man zwischen A und B „hin- und hergerissen“. Zur besseren Unterschei- dung von Dilemma und Paradox hat Neuberger (2000: 195) den „Entscheidungs- und Handlungsdruck“ als das wesentliche Kriterium herausgearbeitet. Seiner Meinung nach bringt ein Dilemma die Qual der Wahl auf den Entscheidungspunkt. Man steht an einem Scheideweg, da man sich auf eine von zwei Alternativen festlegen muss. Anders ist es bei einem Paradox. Hier gibt es nichts zu entscheiden, bzw. die Entscheidung ist getroffen, und man ist nun konfrontiert mit in sich widersprüchlichen Konsequenzen. Statt der Qual der Wahl trifft einen der Fluch der Wahl. Im Verweis auf eine von Feltes (1990) durchgeführte Untersuchung zu Einstellungen von Polizeibeamten zu gesellschafts- und kriminalpolitischen Problemen in Deutschland be- schreibt Ahlf (1997: 156) ein altes polizeiliches Dilemma, nämlich den Zielkonflikt 35 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei zwischen Prävention und Repression. „Wenn das Motiv zur Wahl des Berufs bei 82,6 % der Polizeibeamten darin besteht, anderen Menschen zu helfen3, der polizeiliche Alltag jedoch von der bürokratisch administrativen Arbeit geprägt ist, und der Schwerpunkt poli- zeilicher Aktivitäten von zahlreichen Polizeiführern, insbesondere aber von Sicherheitspolitikern nicht auf die Prävention, sondern auf die quantitativ messbare, aber häufig ergebnislose und damit unbefriedigende Kriminalitätsbekämpfung gelegt wird, dann wird das subjektive Motiv der Beamten zu helfen, enttäuscht.“ Ein weiteres Dilemma besteht zwischen Verrechtlichung und Handlungsflexibilität. Die Projektgruppe (1998: 11) macht darauf aufmerksam, dass Rechtsnormen keine unmittelbaren Handlungsempfehlungen geben können, sondern nur den Rahmen definieren, innerhalb dessen Polizei sich bewegen kann. Oftmals sind die Verhaltenserwartungen des Bürgers jedoch entgegengesetzt, da angenommen wird, dass das Recht die polizeiliche Arbeit nicht nur anleitet, sondern beschreibt. Diese Annahme entsteht deshalb so leicht, weil die Polizeiarbeit, wann immer sie aktenkundig wird, sich des Vokabulars des Rechts bedient. Nach Steinert (1997: 107) ist das Recht nur ein Instrument, mit dem hinterher ausgehandelt werden kann (und muss), ob sich die zugefügten Nachteile im Rahmen des überhaupt Zugestandenen und des Verhältnismäßigen gehalten haben. Die niedersächsische Reformkommission (1993: 13) beschreibt das unauflösbare Dilemma, dass ein wirksamer Rechtsgüterschutz zugleich den Eingriff in bestehende Rechte und rechtlich geschützte Interessen verlangt. Wer, um das Eigentum zu schützen, einen Einbruchsdiebstahl verhindern will, muss unter Umständen mit Gewalt in das Eigentum des Täters eingreifen, z.B. ihm das Werkzeug entreißen oder Fluchtfahrzeug beschädigen eingreifen. Ruhestörender Lärm aus einer Diskothek, der andere in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt, kann oft nur dadurch verhindert werden, dass die Polizei Eingriffe in den Betrieb vornimmt und somit den Wirt in der freien Berufsausübung beschränkt. Der Schutz Jugendlicher vor Drogengefahren verlangt, dass hinreichend verdächtige Personen überwacht bzw. festgenommen und durchsucht werden, das heißt, dass in ihre Rechte auf Datenschutz und Bewegungsfreiheit eingegrif- fen werden muss. Von daher sei es ein weit verbreitetes Missverständnis, dass im Recht festgelegt sei, was die Polizei alles dürfe oder gar tun müsse. Für die praktische Arbeit gibt es kein Rezept- buch, nur pauschale Vorgaben. Vor Ort stehen die Polizisten oft vor unübersichtlichen 3 Verglichen mit den Ergebnissen der Untersuchung der „helfenden Berufe“ (Garlichs, 2000 zit. nach Liebl, 2003: 16) muss man wohl die Aussage treffen, dass für die Berufswahl „Polizist“ nicht die „allgemeine Hilfe“ gegenüber den Mitmenschen, sondern die spezielle Ausrichtung auf die Sicherheit der Bürger und die Hilfe für die Personen, die Opfer von kriminellen Handlungen geworden sind, ausschlaggebend ist. 36 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Situationen, unerwarteten Emotionen, Provokationen, Zufällen und haben einen großen Spielraum für eigene Entscheidungen. „Die Vielfalt, Einzigartigkeit und Nichtvorherseh- barkeit der Ereignisse, mit denen der einzelne Beamte konfrontiert wird, die aber jeweils situationsangepasst, rechtsstaatlich, sozial verträglich, verhältnismäßig und vielfach unter Zeitdruck zu bewältigen sind, erfordern Tugenden, denen kaum entsprochen werden kann“ (Projektgruppe, 1998: 11). Paradoxa und Dilemmata werden im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder in den Blickpunkt geraten, gerade weil es um organisatorischen Wandel geht und die Komplexität sich damit erhöht. Sie sind organisationstheoretisch außerordentlich spannend. Denn sie verweisen auf den emergenten, „systemischen“ Charakter organisatorischen Wandels. Paradoxa und Dilemmata sind mehr als das nicht beabsichtigte Ergebnis individuellen Handelns; sie sind Ausdruck widersprüchlicher organisatorischer Regulationsstrukturen. Denn Organisationen sind sowohl auf klare Verantwortlichkeiten und Regeln als auch auf Flexibilität, Improvisation und Innovation angewiesen. So sehr darüber Übereinstimmung herrscht, dass Dilemmata und Paradoxa in Organisations- und Managementprozessen unausweichlich sind, so sehr gehen die Meinungen darüber auseinander, wie auf diese Situation zu reagieren sei. Das Spektrum reicht von „auflösbar“ bis „unauflösbar“. Dazwischen gibt es noch die Position, dass Dilemmata und Paradoxa in Organisationen eher neutralisiert als gelöst werden (Weick, 1985: 351; Handy 1994: 11). Die Illustration wesentlicher Paradoxien und Dilemmata des Polizeiberufs verdeutlicht, dass diese seinen „offenen Flanken“ entstammen. Weil Polizei unter so vielen Bezugs- punkten und Wertungshorizonten arbeiten muss, entwickelt sie als Schutz gegen Überforderung wichtige Routinen, im Sinne einer Verhaltenssicherheit gebenden „Subkultur“. Da so viele widersprüchliche Erwartungen auf das Handeln der Polizei einwirken, dient die Routinisierung als Schutzzone. Nicht nur gegenüber der Hierarchie, sondern auch gegenüber öffentlichen und privaten Konfliktpotenzialen, einerseits in Bezug auf das Milieu, in dem man wirkt gegenüber der politischen Führung, anderseits aber auch hinsichtlich der kritischen Grenze zum Privatleben. Ein erster Schritt zur Auseinandersetzung mit Paradoxa und Dilemmata und korrespondie- renden Routinen ist, sie zunächst einmal zu thematisieren, also zur Sprache zu bringen, weil sie ansonsten unverstanden bleiben. Im Verlauf dieser Arbeit bedeutet es, die Wirk- lichkeit zu beobachten, wie sie sich in den Einlassungen und Statements der befragten Führungskräfte offenbart, Unterscheidungen vorzunehmen sowie diese Unterscheidungen auf den Begriff zu bringen und zu kommunizieren. Inwieweit Ambiguitäten, Spannungsfelder und Disparitäten wahrgenommen, ernst genommen und sich mit ihnen auseinander gesetzt wird, ist auch abhängig von der Binnen- und Organisationskultur, die von Routinen geprägt, gleichzeitig aber flexibel und konservativ ist, was im folgenden Kapitel eingehend beschrieben werden soll. 37 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei 3.2.2 Organisationskultur4 Man kann Organisationen vordergründig nach Zielsetzungen, Aufgaben, Arbeitsabläufen, Stellenplänen, Funktionsbeschreibungen, Kompetenzaufteilungen und Organigrammen beschreiben. Das eigentliche Leben von Organisationen wird aber durch ganz andere Zu- sammenhänge bestimmt: durch die Beziehungen der Menschen zueinander, das Verhältnis von Abteilung zu Abteilung, offizielle und latente Normen, die Wichtigkeit informeller Kommunikation, die Bedeutsamkeit von Geschichte und Tradition einer Organisation sowie damit verbundene Mythen und Phantasien. So versteht Dyer (1985: 202) Unternehmenskultur als „Artefakte, Perspektiven, Werte und Annahmen, die von Organisationsmitgliedern geteilt werden“. Diese Definition beinhaltet zwei wesentliche Aspekte: a) Kulturphänomene werden gemeinsam geteilt und b) es gibt sichtbare Aspekte (Artefakte) und unsichtbare Aspekte (Werte und Annahmen). Doppler & Lauterburg (1999: 391) definieren Unternehmenskultur als das nur schwer fassbare, letztlich nie vollumfänglich objektivierbare Ergebnis eines ebenso komplexen wie lang- jährigen sozialen Geschehens. Sie drückt sich nicht in harten Fakten und Zahlen, sondern in emotionalen Qualitäten aus. „Ihr Wesen kann letztlich nur erlebt, nicht gemessen und berechnet werden.“ Nach Gerber-Velmerig & Thiesmeier (1995: 57) steuert Organisati- onskultur, „als die Fülle formeller und informeller Erwartungen eines Systems neben allen Funktionalitäts- und Produktivitätsansprüchen, die Entwicklung der in einer Organisation lebenden und arbeitenden Menschen“. Es kann unterstellt werden, dass dem Verhalten der Organisationsmitglieder handlungssteuernde, internalisierte Normen und Werthaltungen zugrunde liegen: „A strong culture is a system of informal rules that spells out how people are expected to behave most of the time.“ (Deal & Kennedy, 1982: 15). Aussprüche wie: „Wir sind doch hier nicht im Kindergarten“ oder „Bei uns wird nicht gesiezt“ sind sicht- bare Thematisierungen von Verhaltenserwartungen an Organisationsmitglieder. Beispielhaft stellt Schein (1996: 224) die Entwicklung einer eigenen Sprache als eine Methode heraus, mit der Gruppen, Gemeinschaften und Organisationen sich selbst definieren und psychologische Grenzen setzen (z.B. der „Jargon“ in bestimmten Berufsumfeldern). Organisationskultur kann also verstanden werden als System von Wertvorstellungen, Ver- haltensnormen sowie Denk- und Handlungsweisen. Sichtbar wird die jeweilige Kultur der Organisation über eine Palette von Symbolen, Mythen, Zeremonien und Ritualen. Kommuniziert wird sie auch über Stories, Anekdoten und Legenden. Sie umfasst das gesamte gewachsene Meinungs-, Norm- und Wertgefüge und tritt z.B. in den Bereichen 4 Im Folgenden ist neben Organisationskultur auch immer wieder von Unternehmenskultur die Rede. Der Autor benutzt den Terminus Organisationskultur in einem weiteren Sinne und damit als Überbegriff zu Unternehmenskultur [als Überbegriff, der alle Arten von Unternehmenskultur umfasst]. 38 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Führungsphilosophie, Kommunikation, Führungsverhalten und Arbeitszufriedenheit in Erscheinung. Der Präsident des Bundeskriminalamtes versteht Organisationskultur in der Polizei primär als ein Identitätsproblem, das er unter das Schlagwort fasst „Wer sind wir, was wollen wir und wie wollen wir miteinander und mit Dritten umgehen?“ (Kube, 1990: 99). Dagegen wird Schellenberg (2000: 2) konkreter und differenzierter. Er beschreibt folgende Merkmale der Polizeikultur: Primat des Vollzugs von Recht, Gesetz und Ordnung, starker Korpsgeist, hoher Grad der Formalisierung, Standardisierung, Normierung, große Bedeutung der Hierarchie, „Militarisierung“ der Sprache, Symbole, Strukturen, Abläufe und Kommunikation nach innen und außen, starke interne Fremdkontrollen (Prinzip „Befehl und Gehorsam“), traditionelle männliche Prägung: Chancenungleichheit von Frauen, latente Rassismustendenzen im Korps. Vorherrschende Werte, Normen und Einstellungen, die im Rahmen polizeilicher Sozialisation entwickelt werden, benennt Ricken (1994: 128 ff), aus der Perspektive des organisationsinternen Supervisors, wie folgt: ♦ Ergebnisorientiertheit: Wenn Polizei gerufen wird, wird häufig von Bürgerseite erwartet, dass das Problem umgehend gelöst wird. Das „Wie“ ist dabei oft unwichtig. Dies führt leicht zu einer Einstellung, dass das Ergebnis wichtiger ist als der Weg, auf dem es erreicht wurde. ♦ Generalisierte Lösungen: Dies zieht als Begleiteffekt nach sich, dass in Fortbildungs- veranstaltungen schnell nach konkreten Problemhandhabungsmöglichkeiten gefragt wird. Eine Problematik in allen Facetten zu erfassen, erscheint häufig nicht so wichtig. ♦ Misstrauen: Der häufige Umgang mit Gesetzesbrechern führt sicherlich dazu, dass eine gehörige Portion Misstrauen wesentlicher und notwendiger Bestandteil beruflichen Handelns wird. ♦ Fehlervermeidung: Da polizeiliches Einschreiten häufig mit einer Einschränkung der Freiheit anderer einhergeht, die dieses natürlich hochsensibel beobachten, können Fehler in Fällen von Schwerstkriminalität tödlich sein (z.B. unzureichende Eigensiche- rung). Die Projektgruppe Nordrhein-Westfalen (vgl.1998: 80) beklagt in diesem Zusammenhang eine Kultur, die weniger auf Erfolg als auf Fehlervermeidung bzw. die Vermeidung von Fehlerentdeckung fixiert ist. Als mögliche Gründe werden die Furcht vor Ansehensverlust, vor Ausgrenzung aus der Gruppe, vor Nachteilen für die Karriere, vor öffentlicher Kritik oder möglicher strafrechtlicher Verfolgung genannt. Polizeiliche Organisationskultur ist auch durch starken Anpassungsdruck gekennzeichnet. So stellen Dreher & Feltes (1998: 645) fest, dass „die Bewertung nach Eignung und Leistung vielerorts eine Farce ist“ und dass „Aufstieg am ehesten durch Anpassung und am wenigsten durch Kreativität und 39 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Leistung erfolgt“. Dabei macht Behr (2000: 61) darauf aufmerksam, dass, wer in der Polizei aufsteigen will, regelmäßig versuchen wird, sich in den Positionen nicht länger als notwendig aufzuhalten, in denen er sich und seine Karriere gefährden könnte. Weil zum Beispiel jedes Disziplinarverfahren eine Beförderung blockiert und man ein solches besonders in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit riskiert, ist es nicht unbedingt opportun, dort besonders schneidig aufzutreten. Der Schriftleiter der Zeitschrift „Kriminalistik“ vermerkt im Editorial 7/99, dass in Leserbriefen und Artikeln immer häufiger der Wunsch geäußert wird, „Meinungsäußerungen ohne Namensnennung zu veröffentlichen, weil die Einsender Repressalien ihrer Vorgesetzten fürchten“. 3.2.2.1 Polizeikultur versus Polizistenkultur Neuere Forschungen (vgl. Behr, 2000) zeigen, dass der Polizeikultur, die von Zent- ralisierung, Reglementierung und Unpersönlichkeit geprägt ist, eine Kultur der Polizisten gegenübersteht, die vornehmlich durch subkulturelle Vorstellungen von Männlichkeit, Ge- rechtigkeit, Konformität und Pragmatismus determiniert ist. Behr (a.a.O. 240 ff) beschreibt das prekäre Verhältnis zwischen Polizistenkultur und Polizeikultur als das Ergebnis eines Widerspruchs zweier Logiken in der Polizei. Demnach spielt die Polizeikultur eine Rolle als Idee der weitgehenden Bürokratie- und Verfahrensförmigkeit staatlicher Herrschaft, die allein auf sich gestellt nicht funktionieren würde, wenn sie nicht durchbrochen bzw. gestützt würde durch nichtbürokratieförmige Handlungsmuster der „street cops“ (insbesondere durch deren Männlichkeitskonstruktionen, in denen Tugenden, wie z.B. Solidarität und Tapferkeit, vorkommen, oder ihrer Berufsehre, die sich in den Handlungsmustern ebenfalls widerspiegelt – Hervorhebungen im Original). Behr unterscheidet zwischen Hand- und Kopfarbeitern. „Diejenigen, die Hand anlegen, gehören strukturell gesehen der polizeilichen Unterschicht an. In ihr wird die körperliche Arbeit verrichtet, und hier gehen die Beamten erhebliche Risiken für ihre physische Integrität ein. Im gehobenen Dienst (die polizeiliche Mittelschicht) überwiegt die Schreibtischarbeit, meist in ausführender Funktion, jedoch schon mit Weisungsbefugnis- sen; im höheren Dienst (die Oberschicht der Polizei) wird dagegen richtig befohlen und strategisch gedacht, dort wird entschieden und kontrolliert, dies allerdings, je nach Dienst- alter und Dienstposten, in unterschiedlichem Ausmaß“ (a.a.O. 61). So konkretisiert sich so etwas Diffuses wie etwa der Begriff der „Organisierten Kriminalität“ für den Schutzpolizisten durch eine Schießerei unter konkurrierenden Kosovo-Albanern im Frankfurter Bahnhofsviertel. Sie bekommen die Auseinandersetzung über Funk mit, beteiligen sich möglicherweise an der Fahndung nach den Tätern, nehmen diese fest, riskieren dabei ihre Gesundheit. Sie erzählen der nachfolgenden Schicht von dem Vorfall, sie kommunizieren darüber erlebnisorientiert. Die anderen wollen wissen, wie es war, wer dabei war, wer was gemacht hat, sie wollen sich in die Szene hineinversetzen können, sie vielleicht mit anderen Erlebnissen vergleichen (a.a.O.: 238). 40 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Für die Beamten im Innenministerium ist ein solches Ereignis, wenn es ihnen zur Kenntnis kommt, lediglich einer von vielen Vorgängen, der durch Aktenpraxis geprägt ist und der gemäß der Politik des Hauses abgearbeitet wird. Das Ereignis wird ergebnisorientiert bewertet: Die betreffenden Beamten wollen wissen, welche Schäden entstanden sind, ob es ein juristisch oder politisch kompliziertes Verfahren gibt, ob möglicherweise eine sicherheitspolitische Stellungnahme abzugeben sein wird. Je weiter die Hierarchieebene vom Ereignis entfernt ist, desto abstrakter, aber auch politischer wird es verarbeitet (Hervorhebungen im Original, a.a.O. 239). Während also der Polizeiführung in erster Linie an einem angemessenen gesellschaftlichen Umgang gelegen ist, geht es den „street cops“ um den Kampf gegen eine real erlebte Bedrohung. Für sie ist es gerecht, dagegen anzugehen, und sie entwickeln ihre Haltung und ihre Strategien entlang der Handlungsmuster, die ihnen verständig sind. Die Praxis entwickelt auf diese Weise eigene Lösungen, die sich im Alltag der „street cops“ generieren und bestätigen. In der Gegenüberstellung von Polizei- und Polizistenkultur wird deutlich, dass die Berufung auf eine Polizeikultur zum einen der Selbstverständigung der Polizeiführung, zum anderen als Kommunikationsangebot zur Öffentlichkeit dient. Dagegen richtet sich die Polizistenkultur ausschließlich an die Mitglieder der eigenen Organisation, sie schöpft ihre Wirkung überwiegend aus den internen, subkulturellen Werten. So verortet Behr (a.a.O. 241) die Polizistenkultur vornehmlich an der Basis, während die Polizeikultur in der Nähe zur Organisationsleitung (z.B. in den Stäben) erkennbar sei. Die Ressourcen der Polizistenkultur gründen sich auf Erfahrung- und Praxiswissen, während die der Polizeikultur sich eher auf Bildung und Theorie beziehen. Als berufsethische Tugenden der Polizistenkultur werden Gerechtigkeit, Ehre, Solidarität, Schutz der Gemeinschaft, Sinn und Treue aufgeführt. Demgegenüber beziehen sich die berufsethischen Bezüge der Polizeikultur auf Rechtlichkeit, Verfahrensförmigkeit, Zuverlässigkeit, Stetigkeit und Disziplin. Sind die rollenstützenden Strategien der Polizistenkultur eher auf Verteidigung, Argwohn, Anpassung und Konformität ausgerichtet, so beziehen sie sich im Kontext Polizeikultur mehr auf die Ausgestaltung von Handlungsspielräumen und Innovationen. Seitens der Basis wird die Polizeikultur oft als rationale und distanzierte Sanktionsinstanz erlebt. Im Zusammenprallen von Polizisten- und Polizeikultur in der Organisation Polizei manifestiert sich für Behr (a.a.O. 237 ff) die Auseinandersetzung von Handlungsmustern der Polizisten mit Leitbildern der Organisation. Handlungsmuster und Leitbilder stehen für zwei Grundverständnisse bzw. zwei Handlungslogiken in der Polizei. In der Folge ergibt sich eine Sicht auf die Polizeiarbeit aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Das führt zu ziemlich disparaten Bewertungen der sozialen Wirklichkeit und der polizeilichen Aufgabe: Während sich Leitbilder danach richten, was politisch gewünscht und dementsprechend korrekt ist, orientieren sich Handlungsmuster eher nach den praktischen Erfahrungen der Polizisten im Alltag. 41 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Um konfligierende Praxen, unterschiedliche Grundverständnisse, Handlungslogiken und Leitbilder geht es auch im folgenden Kapitel. Die Steuerungsressource Recht der bürokra- tischen Verwaltung, die direkte Steuerung über allumfassende Regeln, die von oben nach unten und zeitlich in Plänen festgelegt ist nicht mehr ausreichend. Die Ökonomisierung gesellschaftlicher Strukturen macht auch vor dem öffentlichen Sektor nicht Halt, die Marktwirtschaft bleibt nicht vor den Verwaltungstoren stehen. Die Modernisierungsbemü- hungen5 im öffentlichen Sektor sind von dem Versuch geprägt, Modernisierungserfahrungen aus der Privatwirtschaft auf die Verwaltung zu übertragen. Im Folgenden werden das „New Public Management“ (NPM) und das sich hieraus ableitende „Neue Steuerungsmodell“ (NSM) mit seinen Elementen dargestellt, um im Anschluss daran die konträren Logiken privater und öffentlicher Steuerungskonzepte herauszuarbeiten und zu diskutieren. 3.3 Von der Bürokratie zum New Public Management In dem gleichen Maße, in dem die Gesellschaft segregiert und sich eine heterogene und diffuse Erwartungshaltung gegenüber der Polizei herausbildet, reagiert auch der Staat auf die sozialen Umbrüche und gestaltet die Rahmenbedingungen für die öffentliche Verwaltung und damit auch für polizeiliches Handeln neu. Es geht um geplante Veränderungen von organisatorischen, rechtlichen, personellen und fiskalischen Strukturen der Verwaltung. Ob unter den Schlag- und Stichwörtern „schlanker Staat“, „moderne Verwaltung“ oder auch „Neue Steuerung" und „Dezentralität“: die öffentliche Hand sucht auf allen Ebenen nach ihrer künftigen Rolle. Dabei werden Bund, Länder und Gemeinden mit einer steigenden Quantität und Qualität bürgerschaftlicher Erwartungen einerseits und fiskalischen Zwängen dramatischen Ausmaßes andererseits konfrontiert. Nach der Rechtsbereinigung Ende der 50er Jahre, der kommunalen Gebietsreform Ende der 60er und Anfang der 70er, der Funktionalreform in den 70ern, den Bemühungen um mehr Bürgernähe und Verwaltungsvereinfachung seit Mitte der 70er und in den 80er Jahren steht nun seit Anfang der 90er Jahre die betriebswirtschaftlich inspirierte Binnenmodernisierung der Verwaltung nach dem Konzept des „Public Management“ (PM) an. Begreift man Management allgemein als die Steuerung komplexer Organisationen, so kümmert sich das NPM um die Spezifizierung der Steuerungsprobleme 5 Modernisierung wird hier als ein dynamischer Veränderungsansatz verstanden, der die öffentliche Verwaltung den veränderten Herausforderungen ihrer politischen und sozikulturellen Umwelt anpassen will. Modernisierungspolitik bezieht sich auf die Bewältigung von immer wiederkehrenden Problemen und Krisen durch Aktivitäten des politischen Systems, in deren Mittelpunkt die Neubildung und Veränderung strukturell verfestigter Institutionen, die Anpassung routinisierter Verfahren und die Erneuerung von Politikinhalten steht (vgl. Hesse & Benz, 1990: 13). 42 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei von öffentlichen Organisationen. Das NPM zielt auf die Analyse und Gestaltung von Ma- nagementprozessen einzelner Verwaltungseinheiten (vgl. Budäus, 1994: 45 ff). Die Hauptmängel der klassischen Konzeption des öffentlichen Sektors werden in der Steuerung über Verfahren (Regelsteuerung), in der funktionalen Arbeitsteilung nach dem Verrichtungsprinzip bei starker Hierarchisierung, in der prozesskettenbezogenen Kooperation und im Fehlen eines strategischen Managements gesehen. Als neues Regulierungsmodell wird dem klassischen Modell die Steuerung durch ergebnisorientierte Verfahren, mehr Flexibilität beim Ressourceneinsatz, organisatorische Dezentralisierung und Kontraktmanagement, die Auslagerung von Aufgaben auf private Unternehmen und Non-Profit-Organisationen und die Betonung der Kundenorientierung gegenübergestellt. Der internationale New-Public-Management-Ansatz weist in seinen charakteristischen Re- formelementen starke Überschneidungen mit der deutschen Variante des Reformtrends, dem NSM, auf. Dennoch sind die Begriffe NSM und NPM nicht synonym zu verwenden, da das NSM aufgrund seines konzeptionellen Ursprungs im so genannten „Tilburger- Modell“6 eine andere Grundausrichtung hat als das aus der Debatte über ein grundlegendes Staatsverständnis resultierende NPM (vgl. Brecht, 1999: 22). Von daher kann das NSM parallel zum NPM als unterstützender Ansatz zur Reform der Binnenstrukturen öffentlicher Verwaltungen gedacht werden. Unter dem Begriff „NSM“ reformieren seit Anfang der 90er Jahre vor allem Kommunen ihre Verwaltungen. Ziel ist dabei neben mehr Effizienz des Verwaltungshandelns vor allem eine stärkere Bürgerorientierung. In Deutschland gab es einen breiten parteiübergreifenden und die Gewerkschaften einschließenden Konsens bezüglich der Notwendigkeit, die öffentliche Verwaltung zu modernisieren. Das Leitbild der Bundesre- gierung in der ersten Hälfte der 90er Jahre orientierte sich an einem „schlanken Staat“, der wirtschaftlicher und mit weniger Personal arbeitet. Effizienzsteigerung wird hier insbe- sondere durch Privatisierung, Stellenabbau und technisch-organisatorische Modernisierung angestrebt. Dagegen lehnten SPD und GRÜNE in weitgehender Überein- stimmung marktradikale Antworten auf die Frage der Grenzziehung zwischen öffentlichen und privaten Dienstleistungen ab und setzten stattdessen eher auf eine Binnenmodernisie- rung durch eine „lernende“ Verwaltung (vgl. Klages, 1996 a: 67). Bis Ende der 80er Jahre fehlte jedoch ein Führungsmodell, das in der Lage gewesen wäre, die vielen vorhandenen Erkenntnisse zur Verbesserung von Verwaltungsarbeit zu einem neuen Verwaltungssystem zusammenzuschweißen. Anfang der 90er Jahre erhebt die Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt) den Anspruch, ein solches Konzept erarbeitet zu haben, und legt in enger Anlehnung an Erfahrungen der niederländischen Stadt Tilburg ein 6 Die niederländische Stadt Tilburg wurde ausgewählt, da das dort entwickelte Finanzsteuerungssystem „den höchsten vorfindbaren Grad an instrumenteller Geschlossenheit und Unternehmensähnlichkeit aufwies“ (KGSt, 1993: 24). 43 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei „neues Steuerungsmodell“ für die deutsche Kommunalverwaltung vor. Die Kommunen werden dabei zum Vorreiter bei der Modernisierung der Verwaltung in Deutschland (vgl. Bogumil, 1997a: 14). Diese Reformen haben seit einigen Jahren auch die Länderpolizeien erfasst. Mehr Effizienz des Polizeihandelns und eine größere Orientierung an den Wünschen der Bürger soll dabei durch eine größere Selbstständigkeit der mit dem Bürger in Kontakt stehenden Polizisten der Polizeidienststellen erreicht werden. Diese sollen von ihrer nächsthöheren Dienststelle nicht mehr detaillierte Aufgaben zugewiesen bekommen, sondern vereinbaren Zielvorgaben, die sie in Eigenverantwortung mit einem vorgegebenem Budget erfüllen. Die Erreichung der Ziele wird dabei mit einem Controlling-System, wie es in der Privat- wirtschaft schon länger bekannt ist, überprüft. Dieses „neue“ Steuern der jeweils untergeordneten Dienststellen setzt sich dabei vom Innenministerium über die Bezirksre- gierungen, die Polizeiinspektionen und Polizeikommissariate fort, wobei die Ziele nach unten hin immer detaillierter und konkreter werden. 3.3.1 Die Grundlagen und Elemente des Neuen Steuerungsmodells Das NSM verbindet die Vorstellungen von organisatorischer Entflechtung mit denen eines Kontraktmanagements. Dem Kontraktmanagement liegt die Vorstellung einer politischen Führung über Zielvorgaben zugrunde. Die traditionell zentralistische, hoch arbeitsteilige und durchhierarchisierte Verwaltungsorganisation soll in eine produktorientierte und im Rahmen von Zielvereinbarungen weitgehend autonome, dezentral gegliederte Organisation umgebaut werden. Ziel des NSM ist der Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur. Diese zeichnet sich ♦ durch eine klare Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung in Form eines Kontraktmanagements, ♦ durch dezentrale Ressourcen- und persönliche Ergebnisverantwortung, verbunden mit einem zentralen Steuerungs- und Controllingbereich, sowie ♦ durch eine Outputsteuerung in Form von Produktdefinition, Kosten- und Leistungsre- chnung, Budgetierung und Qualitätsmanagement zur Schaffung direkter Abnehmerorientierung aus (vgl. KGSt, 1993: 15ff). Die zuvor aufgeführten zentralen Begrifflichkeiten sollen im Folgenden vertiefend erläutert werden. Die „klare Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung in Form eines Kontraktmanagements“ zielt auf die Vermeidung der bislang unkontrolliert 44 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei durchgeführten Einzeleingriffe von Seiten der Politik in das alltägliche Verwaltungsgeschehen. Es gilt also eine klare Trennung zu schaffen zwischen der Politik, die über das „Was“, also die Bestimmung der Aufgaben, die wahrgenommen werden sollen entscheidet, und der Verwaltung, die das „Wie“, die Art der Erfüllung der anstehenden Aufgaben bestimmt. Die Absprache zwischen Politik und Verwaltung hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel werden durch ein Kontraktmanagement sichergestellt. Die Politik soll die Ziele und Rahmenbedingungen setzen, die Erfüllung der Leistungsaufträge kontrollieren und somit in die Rolle eines Auftrag- und Kapitalgebers hineinwachsen. Die Verwaltung ist dagegen für die Erfüllung der Leistungsaufträge und für Berichte über Auftragsvollzug und - abweichungen zuständig. Diese Verträge können sowohl zwischen der Politik und der Verwaltungsspitze als auch innerhalb der Verwaltung zwischen Verwaltungsleitung und der nächstunteren Ebene geschlossen werden. Durch ein Steuern auf Abstand und möglichst weitreichender Delegation von Verantwortung sollen Handlungsspielräume erweitert und die Motivation der Beschäftigten gesteigert werden. Die „dezentrale Ressourcen- und persönliche Ergebnisverantwortung, verbunden mit einem zentralen Steuerungs- und Controllingbereich“ ist die notwendige Voraussetzung für die Arbeit mit Kontrakten und soll als Konzept zum Ausdruck bringen, dass die einzelnen Fachbereiche der Verwaltung ein Kosten- und Leistungsbewusstsein entwickeln müssen. Dabei sollen die Strukturen nach dem Vorbild eines Konzerns aus der Privatwirtschaft gestaltet werden. Jeder Fachbereich übernimmt die ganzheitlichen Aufgaben und Verantwortungen, die sein Gebiet betreffen. Die Verantwortung für Ressourcen wie Geld, Personal und Sachmittel sowie für das Leistungsergebnis wird an die ausführende Ebene übertragen. Diese „dezentrale Ressourcenverantwortung“ ermächtigt die Fachbereiche, innerhalb des ihnen zugebilligten Rahmens frei zu wirtschaften und zu entscheiden (vgl. KGSt, 1991). Die dezentralen Einheiten sollen auf diesem Weg eine Einstellung zu den zu erbringenden Leistungen und den damit verbundenen Kosten entwickeln, sie sollen lernen, sich mit den Folgen ihres Handelns auseinander zu setzen. Die Verbindung mit dem Controllingbereich ist der Versuch, die Führungsfunktionen „Planung“, „Organisation“, „Personal“ und „Kontrolle“ funktional miteinander zu verknüpfen (vgl. Budäus, 1994: 65). Dieser Bereich soll einerseits nicht zu dezentralisierende Aufgaben wahrnehmen, wie z.B. Koordination und Planung von fachbereichsübergreifenden Aktivitäten, und andererseits ständig über die Aktivitäten in den dezentralen Einheiten informieren und Berichte an die politische Spitze weiterleiten. Controlling kann als System der Führungsassistenz verstanden werden. Es gilt oftmals als Sammelbegriff für eine Vielzahl von auf Führungs- und Sachfunktionen bezogene Verfahren. Geht es um die Gesamtsteuerung einer Organisation im Bereich der Ziel- und Aufgabenentwicklung und Erfolgskontrolle, spricht man von strategischem Controlling. Geht es dagegen um den Aufbau eines effizienten Rechnungswesens und die Binnensteuerung einzelner Organisationseinheiten, spricht man von operativem Controlling. 45 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Mit dem Begriff „Outputsteuerung“ soll zum Ausdruck gebracht werden, welche Leistungen (Output) mit den der Verwaltung zur Verfügung stehenden Mitteln erbracht werden. Bisher erfolgte die Grundlage der Mittelbewilligung von der Inputseite her, das heißt, der Verwaltung wurden zentral Gelder zur Verfügung gestellt, aber es wurde nicht definiert, welche Leistungen hiermit erbracht werden sollten, was dazu führte, dass die Verwaltung praktisch „Narrenfreiheit“ bei der Verwendung der ihnen bewilligten Finanzmittel erhielt. Zur Outputsteuerung gehört, dass die Verwaltung ihre Aktivitäten zu „Produkten“ zusammenfasst und somit eine Erfassung der Tätigkeiten von der Kostenseite ermöglicht. Es wird dann ein Zusammenhang zwischen benötigten Mitteln und erbrachten Leistungen ersichtlich, welcher der Politik den Weg zur Kontrolle der Verwendung der bewilligten Mittel ebnet. In diesem Zusammenhang ist die „Budgetierung“ von Bedeutung. Es handelt sich hierbei um die pauschale Vorgabe von Mitteln an die Fachbereiche, über die diese dann frei verfügen können und die, je nach Bedarf, auch innerhalb der Fachbereiche umgeschichtet werden können (vgl. KGSt, 1993: 18). Unterstützt werden soll die Outputsteuerung weiterhin durch ein durchgängiges Qualitätsmanagement, um die Produkte an den Erwartungen der Kunden bzw. Bürger auszurichten. Die Schaffung einer unternehmensähnlichen dezentralen Führungs- und Organisations- struktur reicht jedoch angesichts des Monopolcharakters zahlreicher kommunaler Leistungen nicht aus. Es gilt Aktivierungsanreize für die Umsetzung der Neuerungen zu finden, die Mitarbeiter zu animieren, ihre Leistungs- und Innovationsfähigkeit in den Dienst der neuen Sache zu stellen. In diesem Zusammenhang sollen, wie es in der Privatwirtschaft an der Tagesordnung ist, Wettbewerbselemente („Wettbewerbssurrogate“ – KGSt, 1993: 22) aktiviert werden. Zwar handelt es sich im öffentlichen Bereich nicht um Waren und Produkte im eigentlichen Sinne, da viele Dienstleistungen der Verwaltung nicht zu Marktpreisen verkauft werden, doch können die verschiedenen Dienstleistungen der Verwaltung vergleichend untersucht werden (Benchmarking-Gedanke), was auch sinnvoll ist und durch eine Untersuchung des Hessischen Landesrechnungshofes aus dem Jahre 1995 untermauert wird: „Während es in Wetzlar nur durchschnittlich 87 Tage dauert, bis ein Bauantrag geprüft und genehmigt ist, verstreichen in Frankfurt im Schnitt 305 Arbeitstage für den gleichen Arbeitsvorgang, der Landesdurchschnitt liegt bei 158 Tagen. Die Anzahl der Baugeneh- migungen pro Mitarbeiter variiert zwischen 20 und 75 im Jahr. Auch die Kosten, die Verwaltungen im Zuge einer Baugenehmigung ausweisen, unterscheiden sich deutlich. Sie schwanken hessenweit zwischen 1265 DM und 4346 DM“ (Bogumil & Kißler, 1997 b: 5). Neben Wettbewerbselementen sollen Leistungsanreizsysteme Mitarbeiter motivieren, mehr Initiative und Engagement zu entwickeln. Das Vorschlagswesen, wie es bisher in der Verwaltung praktiziert wird, sieht keine Belohnung oder Prämierung in Form von Verbesserungsvorschlägen aus Mitarbeiterkreisen vor. Können die Verwaltungsleistungen 46 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei von externen Anbietern erbracht werden, gilt der Markt als Konkurrenzanbieter zum Ver- gleich der Leistungserbringung öffentlicher Verwaltungen. Überhaupt schlägt die KGSt (vgl. 1993: 25 ff) ein ganzes Bündel an Umsetzungsempfeh- lungen vor, die an dieser Stelle nur angerissen werden können, da sie in den weiteren Kapiteln noch eingehend beschrieben und diskutiert werden. Gemeint ist ein mehr auf die örtlichen Interessen zugeschnittener Überzeugungsprozess, um durch Bündelung der Interessen wichtiger Akteure die kritische Masse für den Umbau der Verwaltung zu erhalten. Vorgeschlagen wird die Schaffung einer Projektorganisation mit einem eigenen Budget, freigestellten Mitabeitern, einer der Organisationsführung zugeordneten Len- kungsgruppe aus engagierten Führungskräften und Politikern, Projektgruppen für Teilprojekte inklusive regelmäßiger Evaluation. Großen Stellenwert haben auch die In- vestitionen in das Personal, denn die Verwaltung soll sich zur „lernenden Organisation“ entwickeln, was die aktive Einbeziehung möglichst vieler Mitarbeiter impliziert. Darüber hinaus sind Personalentwicklungsmaßnahmen in Form von verstärkter Fortbildung (Ma- nagementkenntnisse, Umgang mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten, kooperativ- kommunikatives Verhalten) vorzunehmen. Das Grundprinzip des NSM lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Verwaltungsein- heiten erhalten einen höheren Autonomiegrad bezogen auf Budget, Organisation und Personal und haben einen Katalog operationaler Ziele selbständig zu verfolgen. Ein System finanzieller Anreize sorgt dafür, dass Produktivitätsgewinne Budgethoheit ermöglichen, zwischen personellen, investiven und konsumtiven Ausgaben je nach eigenen Optimalitätsvorstellungen zu wechseln. Durch Wettbewerbselemente wird versucht, die systematische Bewertung, der private Unternehmen am Markt kontinuierlich ausgesetzt sind, nachzugestalten und die Vorteile der Marktsteuerung mit den Vorteilen der bürokratischen Steuerung zu verbinden (vgl. Brinckmann, 1995: 308). Letztendlich ist es erklärtes Ziel, das Verwaltungshandeln dezentral am Output, also am Ergebnis auszu- richten, was bedeutet, dass Instrumente der zentralen Steuerung zwar nicht völlig bedeutungslos werden, doch soll mit Hilfe der Einführung des NSM eine Umgestaltung in Richtung dezentrale Ergebnissteuerung stattfinden (vgl. Ströbe, 1998: 324). Die Vorteile dezentraler Strukturen im Sinne von Verantwortungszentren liegen somit im Abbau von Komplexität, in der Schaffung von Transparenz, in der Zurechenbarkeit von Kosten und Leistungen, in der Möglichkeit globaler Budgetierung, in der Herstellung einer Einheit von Entscheidung und Verantwortung und in der Möglichkeit der Institutionalisierung von wettbewerbsadäquaten Mechanismen. Dabei soll es bei der Einführung des NSM nicht darum gehen, öffentliche Verwaltung materiell zu privatisieren, indem man sie dem privatwirtschaftlichen Unternehmen nach- gestaltet, denn der privatwirtschaftliche Staat muss weiterhin von der Verfassung garantierte Werte sichern, die denen des Marktes quasi diametral entgegenstehen, wie z.B. Gleichbehandlung statt Marktentscheidung, Verhältnismäßigkeitsprinzip statt Interes- 47 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei sendurchsetzung, Rechtsförmigkeit statt Gestaltungsfreiheit etc. (vgl. Brinckmann, a.a.O. 310).Das bringt erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Insgesamt wird der geplante Vollzug des NSM als strukturelle und instrumentelle Umrüstung vornehmlich technisch verstanden. Die Instrumenten- und Konzeptvielfalt kann zwar einerseits innerhalb der Verwaltung die Neugier auf Neues wecken, andererseits aber auch zu einer Überforderung führen, wenn Verwaltungsreformen grundsätzlich von Defiziten ausgehen und in einen „Aufholstress“ gegenüber der Privatwirtschaft ausarten. Das kann dann dazu führen, dass Widersprüche, unterschiedliche Handlungslogiken, Traditionen und Wertemuster (s. hierzu Folgekapitel) eher ausgeklammert werden, obwohl sie eigentlich besondere Beachtung und Aufmerksamkeit verdienen. Die Folge wäre, dass sich tradierte Perspektiven und routinisierte Handlungen, die in den alten Verwaltungsstrukturen Stabilität und Orientierung gewährleisteten, unter der Oberfläche der neu implementierten Instrumente und Strukturen problemlos weiterleben bzw. sich reproduzieren. Damit wären kollektive nachhaltige Veränderungen der Denk- und Handlungsweisen in Frage gestellt. Die sich permanent verknappenden Mittelzuweisungen an die öffentlichen Haushalte und damit auch an die Polizei führen zu internen Veränderungsanstrengungen. Die Verknap- pung der Mittel hatte die Einführung von dezentralen Budgetierungsmaßnahmen in Modellbehörden und bei der Mittelzuweisung die beabsichtigte Abkehr von einer bedarfsgesteuerten Income- zu einer kosten und leistungsgesteuerten Outcome- Orientierung zur Folge. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen dieser Art geben der Polizeiarbeit derzeit ihre besondere Prägung und tragen direkt und indirekt zur Schaffung eines höchst ambivalenten Organisationsklimas bei (vgl. Bornewasser, 2000: 35 ff). Nach einer bundesweiten Umfrage der Bundesgeschäftsstelle der Gewerkschaft der Polizei bezüglich des Stands des Neuen Steuerungsmodells in der Polizei vom November 1997 ist im Ergebnis festzuhalten: Die Reformen sind unterschiedlich weit fortgeschritten und teilweise nicht miteinander vergleichbar. Nur in Nordrhein-Westfalen ist das Neue Steuerungsmodell in allen Polizeibehörden eingeführt, in einigen Bundesländern gibt es Pilotprojekte, vornehmlich zur Budgetierung und Haushaltsflexibilisierung (vgl. Terweide, 1997: 10). 3.3.2 Konträre Logiken privater und öffentlicher Steuerungskonzepte Ob und inwieweit die Polizei als Teil der öffentlichen Verwaltung Organisations- und Modernisierungskonzepte aus der Privatwirtschaft übernehmen kann, wird unterschiedlich gesehen: Die eine Seite betont, dass private und öffentliche Managementaufgaben durchaus miteinander vereinbar seien, die andere weist auf die durch die Einbindung in die Politik induzierte grundsätzliche Unvereinbarkeit der öffentlichen Institutionen hin. So betont Naschold (1998: 82), dass eine schnelle, vorbehaltlose und flächendeckende Übertragung der Erfahrungen privater Unternehmen auf den öffentlichen Bereich nicht gerechtfertigt ist, da eine Struktur- und Funktionsäquivalenz zwischen öffentlichem und 48 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei privatem Sektor nicht in ausreichendem Maß gegeben ist. Von Wallace Sayers (zit. nach Brinckmann, 1995: 306) stammt der schöne Satz: „Öffentliches und privates Management gleichen sich fundamental in allen unbedeutenden Aspekten.“ Brinckmann (ebd.) arbeitet heraus, dass es auf der Managementebene7 gravierende Diffe- renzen zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung gibt. In einem privaten Unternehmen ist die Entscheidungsgewalt in ungleich höherem Maße in einer Person oder in einer Personenmehrheit in der Unternehmensführung zusammengefasst als in den jeweiligen hierarchischen Spitzen der öffentlichen Verwaltungen. Die bürokratische Hierarchie bündelt zwar die Entscheidungsgewalt an der Spitze einer Verwaltungseinheit, doch bleibt sie in ein Entscheidungs- und Kontrollsystem eingebunden, das wesentliche Elemente des Gestaltungsraumes eines privaten Managers gar nicht erst enthält: Organisation, Personal und Budget findet der öffentliche Manager nicht als Instrumente, sondern als Begrenzungen seines Handelns vor. In der Welt des Managements werden Führungskräfte nicht in erster Linie dafür bezahlt, das Bestehende solide zu verwalten, sich anzustrengen oder keine Fehler zu machen, sondern sie werden dafür bezahlt, Wirkungen zu erzielen. Während in der Privatwirtschaft als Formalziel die Gewinnmaximierung bzw. Gewinner- zielung durch die Wettbewerbswirtschaft vorgegeben ist, verfügen öffentliche Verwaltungen über differenziertere Zielsysteme. So ist die öffentliche Verwaltung primär dem Gemeinwohl verpflichtet. Dass dabei Wirtschaftlichkeitsinteressen einzuhalten sind, ist Rahmenbedingung ihrer Betätigung, nicht aber ihr primäres Ziel (vgl. Scherer, 2002: 10). In diesem Zusammenhang hält Ahlf (1997: 97) die Polizei mit privaten Wirtschafts- unternehmen nur eingeschränkt vergleichbar, weil die Polizei wegen ihrer besonders starken normativen Bindung in extremer Weise außengesteuert sei (vgl. Kapitel 3.1 ff). Damit ist sie nicht vollständig planbar. Wird z.B. ein Serienmörder mittels Reihen-DNS- Tests gesucht, sprengt dies alle Planungen, was nicht heißt, dass überhaupt nicht geplant werden soll, doch soll hier dafür plädiert werden, die Verhältnismäßigkeit bei eingesetzten Controllingverfahren zu wahren. Auf der Steuerungsebene8 hält Brinckmann (ebd.) die Unterschiede für noch gravierender. Die rechtlichen Regelungen, die als eingefrorene politische Zielsetzungen die Verwaltung 7 „Management“ entspricht im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang der Betriebsführung. Aufgabe eines Managements ist die Planung, Durchführung, Kontrolle und Anpassung von Maßnahmen zum Wohl des Unternehmens und aller daran Beteiligten unter Einsatz von betrieblichen Ressourcen (Definition aus: www.net-lexikon.de/Management.html). 8 Aus Sicht der niedersächsischen Landesregierung (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 55) zählen zu den traditionellen Steuerungsinstrumenten der öffentlichen Verwaltung: das Regelungsgefüge 49 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei steuern sollen, enthalten nur dort operationale Ziele, wo Einzelleistungen oder -belastun- gen festgelegt sind. Auch hier bleibt die Art und Weise der Durchführung offen. Die Programmsätze jedoch, die in fast allen Gesetzen zu finden sind, von der Umwelt über den Sozialbereich bis hin zur Sicherheit und Ordnung, können zwar die Richtung des politischen und administrativen Handelns bestimmen, sind aber keineswegs geeignet, unmittelbar Verwaltungshandeln operational zu steuern. In der Privatwirtschaft sind Ergebnisse entscheidend und ein wesentlicher Schwerpunkt ist dabei die Kostentransparenz. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft weiß die Verwaltung in der Regel nicht, „welche Kosten mit den einzelnen Verwaltungsleistungen verbunden sind und welche Verwaltungseinheiten die Kosten verursachen“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1998: 55). Scala & Grossmann (2002: 51 ff) haben sich mit der formellen und informellen Organisa- tionsstruktur in Wirtschaftsorganisationen und bürokratieähnlichen Organisationen befasst. Nach ihren Erkenntnissen ist die Diskrepanz zwischen formell und informell in Wirtschaftsorganisationen geringer, weil diese Organisationen am besten in der Lage sind, ihre formelle Struktur den Veränderungen in der Umwelt (Markt) entsprechend anzupassen. Im Gegensatz hierzu werden in öffentlichen Institutionen die formellen Strukturen oft auf sehr detaillierte rechtliche Bestimmungen und Regelungen reduziert, die in der Organisation selbst gar nicht verändert werden können. Das trifft auf z.B. Gesetze und Ausführungsbestimmungen zu, die von Parlamenten beschlossen und von Ministerien erlassen werden. So ist das öffentliche Dienstrecht gesplittet in das Besoldungsrecht für Beamte und in Bundesangestelltentarife. In öffentlichen Institutionen ist es durchaus möglich, dass dieselbe Arbeit aufgrund der Splittung in Angestellte und Beamte vollkommen unterschiedlich bezahlt wird, was zu Problemen führt, die dem Informellen überlassen bleiben. Die einzelne Behörde kann hier gar keine tatsächlichen Veränderungen schaffen, sondern muss die vorprogrammierten Spannungen „ausbaden“. Auch im Vergleich zur Privatwirtschaft ist die Besoldung in öffentlichen Institutionen nach anderen Kriterien gestaltet. Die Grundlage der Gehaltsbemessung im öffentlichen Dienst ist eine Eingruppierung, die sich nach den Anforderungen richtet, die von der Stelle und den dort auszuübenden Tätigkeiten gestellt werden. Die Arbeit wird anhand von summarischen oder analytischen Verfahren bewertet, die als Grundlage für die Einstufung in eine Rangfolge oder Einordnung in Schwierigkeitsklassen zwischen den verschiedenen Arbeitsplätzen dient. In der Privatwirtschaft ist es so gut wie undenkbar, das Personal nach vorgegebenen Einstufungen zu entlohnen, die individuelle Leistungen nicht berücksichtigen. Ein weiteres, leistungsunabhängiges Kriterium zur Ermittlung der (Gesetze, Verfügungen, Normen/Standards usw.), die Haushaltsmittel (für Personal, Investitionen, Zuschüsse usw.) und die Arbeitsstrukturen (Organisation, Entscheidungsstrukturen, Beteiligungen usw.). 50 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Besoldung im öffentlichen Dienst liegt bei der Berechnungsgröße „Dienstalter“, die ebenfalls in die Bemessung einfließt (vgl. Deckert & Wind, 1996: 87). Die öffentliche Verwaltung ist nicht einheitlich, sodass die Beamtenschaft in der Polizei nur vordergründig homogen erscheint. Unterschiedliche Berufsgruppen und Qualifikationen sowie die Zuordnung zu Gebietskörperschaften und Ressorts sorgen statt für Einheitlichkeit für eine Vielzahl von Subsystemen. Innerhalb einer einzigen Polizeibehörde können verschiedene kulturelle Subsysteme existieren. Die starke Aufsplittung, zum einen in verschiedene Laufbahn9- und Beschäftigungsgruppen und zum anderen in verschiedene, in sich ebenfalls noch unterteilte Fachrichtungen, trägt zur Verwirrung nicht nur der Außenstehenden, sondern auch der Mitarbeiter und nicht zuletzt der Führungskräfte bei. Die mangelnde Durchschaubarkeit macht es schwierig, Änderungen vorzunehmen und die vielbeschworene Leistungsgerechtigkeit zu realisieren. So stellt Schmidt (1998: 285) für die Polizei in Nordrhein-Westfalen heraus, dass die „Organisation Polizei nicht einmal einen ,einheitlichen Konzern‘ darstellt, sondern in NRW aus über sechzig rechtlich selbstständigen Polizeibehörden und -einrichtungen besteht“. Hinzu kommt, dass die Politik häufig eher das formuliert, was getan werden sollte, nicht aber das, was angesichts knapper Mittel getan werden kann. Im Unterschied dazu würde kein Unternehmen Ziele formulieren, die angesichts des Marktes und angesichts verfügbarer Finanzmittel von vornherein unerreichbar sind. Unterschiedlich sind auch die Lernmöglichkeiten. Während der Markt einem Unternehmen unmittelbar Informationen darüber liefert, ob die Unternehmensziele erreichbar sind, ist eine Rückmeldung im Bereich vieler Verwaltungsaufgaben ausgesprochen ungenau und langfristig. Dieser Mangel an direkten Lernzwängen und Rückmeldungen an die operativen Instanzen führt auch dazu, dass sich innerhalb der Verwaltung keine Instanz zum Promotor für mehr Effizienz und Effektivität entwickelt, denn es lohnt sich für alle Verwaltungseinheiten, ihre ganze politische Energie auf die Ausweitung ihres Ressourcenrahmens zu werfen. Wenn es gelingt, im Wettstreit mit anderen Verwaltungseinheiten zusätzliche Personal- und Sachmittel zu erstreiten, dann führt dies zur Verbesserung der eigenen Position und zu 9 Die Beschäftigungsgrundlage, auf deren Basis die Beamten eingestuft sind, ist das so genannte Laufbahnprinzip, das in den Laufbahnverordnungen der Länder und des Bundes geregelt ist. Die Laufbahnen sind in verschiedene Fachrichtungen eingeteilt. Innerhalb dieser besteht wiederum eine Untergliederung (z.B. gehobener und höherer Dienst bei der zweigeteilten Laufbahn in Niedersachsen). Diese Gruppen sind in Eingangs- und Beförderungsämter unterteilt, die jeweils einer Besoldungsgruppe zugeordnet sind. Prinzipiell gelten zwei Grundsätze: Zum einen muss die jeweilige Laufbahn komplett vom Eingangsamt bis zum letzten Beförderungsamt durchlaufen werden, zum anderen müssen gleiche Voraussetzungen in Vor- und Ausbildung gegeben sein, um die Ämterstufung durchlaufen zu können (z.B. ist die Zugangsvoraussetzung für den höheren Dienst das abgeschlossene Hochschulstudium). 51 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei einer Stärkung nach innen wie nach außen. Dagegen ist die Handlungslogik in einem Unternehmen eher diametral entgegengesetzt. Ein Unternehmen erfährt innere wie äußere Stärkung, wenn es gelungen ist, nach einer erfolgreichen Rationalisierung die Produkte mit geringerem Aufwand zu erstellen und dadurch die Marktstellung zu verbessern (vgl. Brinckmann, a.a.O. 307). Öffentliche Institutionen sind im Vergleich zur Privatwirtschaft durch eine größere Inte- ressenvielfalt gekennzeichnet und müssen sich nun mit komplexeren Bürger- Kundenbeziehungen10 auseinander setzen, weil der Kreis der Leistungsempfänger/ häufig nicht mit dem der Leistungsbezahler deckungsgleich ist (Scherer, 2002: 10) oder weil unterschiedliche „Kundengruppen“ der öffentlichen Verwaltung mit gegensätzlichen Interessen entgegentreten. Dies ist z.B. bei einem Genehmigungsverfahren der Fall, bei dem ein Unternehmen eine zügige Genehmigung seiner Betriebserweiterung anstrebt und die Anwohner eine genaue Prüfung der Umweltverträglichkeit und ggf. eine Ablehnung wünschen. Es geht in der öffentlichen Verwaltung oftmals um die Abwägung zwischen den Interessen einzelner und der Allgemeinheit, und daher ist der Kundenbegriff in der öffentlichen Verwaltung vielgestaltiger, manchmal sogar irreführend und paradox: Wenn ein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt, hat es in der Regel Marktforschung betrieben und weiß, was bei den Kunden ankommt und was diese wünschen. Grundsätzlich gilt, je mehr Kunden, desto besser, denn das bedeutet Profit. Außerdem hat die Polizei kein gleich bleibendes „Produkt“. Das vielzitierte Produzieren von Sicherheit ist so vieldeutig und situationsabhängig, dass sich keine stetigen, standardisierten Einzelleistungen ableiten lassen: Es muss immer wieder neu bestimmt werden, welche Lage zu welcher Maßnahme herausfordert. Dennoch soll in alledem die Stetigkeit einer rechtswahrenden und verfahrensgebundenen Polizei durchscheinen, was eine der vielen Paradoxien ist, die polizeiliches Handeln prägen. Die Handlungsmuster in der Polizei im Umgang mit den Bürgern waren bisher hauptsächlich von rechtlichen Vorgaben geprägt. So wurden im Rahmen der Aus- und Fortbildung entsprechend formelle Handlungsleitlinien einstudiert. Die Interaktion mit dem Bürger besteht im Wesentlichen aus dem Erklären, Belehren und Überzeugen. Die Kommunikation nach innen ist der mit dem Bürger sehr ähnlich. Auch hier wird eher 10 Entlehnt ist der Kundenbegriff privatwirtschaftlichen Diskussionszusammenhängen. Angesichts verstärkter internationaler Konkurrenz, bei gleichzeitiger Sättigung traditioneller Märkte und preis- und qualitätsempfindlicheren Verbrauchern, gewinnt der Kunde an Bedeutung. In allen aktuellen Managementkonzepten avanciert Kundenorientierung zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor. Nachdem es in den 70er Jahren um die Gewinnung von Marktanteilen ging und in den 80er Jahren die technische Rationalisierung im Vordergrund stand, bezeichnen aus Managementsicht nicht wenige die 90er Jahre als Dekade der Kundenorientierung (vgl. Meyer & Dornach, 1994: 22). 52 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei direktiv angeordnet als vorsichtig angefragt oder verhandelt. Verhandlungen, Kompromisse eingehen und Abweichen von der ursprünglichen Absicht sind in der Verwaltungslogik nicht vorgesehen. Was zählt, sind Sachlichkeit, Objektivität, Abgrenzung zum Fall und die Kontrolle bzw. Vermeidung der damit verbundenen Gefühle. In der rechtsstaatlichen Zielsetzung geht es dabei darum, den Bürger vor Amtsanmaßungen des staatlichen Gewaltmonopols zu schützen. Um dieses zu gewährleisten, sollen die Beamten darauf trainiert werden, den rechtsstaatlichen Umgang mit Tatverdächtigen ebenso wie mit Bürgern, die Rechtsgüter verletzt haben, einzuhalten. Die Interaktionen zwischen Polizei und Bürger sollten somit sachlich und emotionslos sein und strengen formellen Regeln folgen. Diese eingeübten Handlungsmuster haben dazu geführt, dass die Beamten jeden Bürger, egal ob Opfer von Straftaten oder Tatverdächtiger, auf diese formelle Art behandelten, was seitens der Opfer von Straftaten immer wieder als „Herzlosigkeit“ beklagt und von Bürgern als potenziell „unfreundlich“ kritisiert wurde, weil sie sich von den Beamten nicht als Subjekte wahrgenommen fühlten. Mit der Einführung neuer Steuerungsinstrumente und damit einhergehender „Kundenorientierung“ wird nun der Versuch gemacht, diese eingefahrenen formellen Interaktionsmuster zu ändern, um die Beamten dahingehend zu sensibilisieren, dass sie die Bürger als Subjekte mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen wahrnehmen sollen und nicht mehr als bloße passive Objekte polizeilicher Maßnahmen. Diese begrüßenswerte Forderung bringt allerdings die Beamten in Konflikte. So stellt die jahrelange Konfrontation der Beamten mit Gewalt und zum Teil mit schweren Verbrechen für diese selbst eine psychologische Belastung dar (vgl. Hallenberger, 1998). Um sich davor zu schützen, unterdrücken sie Emotionen wie Mitgefühl und versuchen, die Tat, das Opfer und den Täter „sachlich“ zu betrachten. Ein ständiges „Mitfühlen“ mit den Opfern würde zu großen psychologischen Belastungen führen, weil man dann der Ohnmacht ausgesetzt wäre, nicht helfen zu können, was letztendlich einen in der täglichen Arbeit lähmen würde. Ohne auf diese Probleme einzugehen, verlangen die neuen Polizeikonzepte nun von den Beamten, den Bürger nicht nur als Bürger, sondern als „Kunden“ zu sehen (vgl. Lange & Schenck, 2003: 69). Dabei sind die Rollen des Bürgers, der an die Polizei oder an den die Polizei herantritt, in der Realität äußerst vielfältig und können den Kundenbegriff arg strapazieren. Der Bürger tritt der Polizei z. B. als Beschuldigter, Subjekt der Kontrolle (z.B. im Straßenverkehr), Tatverdächtiger, Geschädigter, Opfer, Zeuge, Angehöriger, Ratsuchender bzw. als hilfsbedürftige Person gegenüber. Daneben sind aber auch staatliche Kooperationspartner (z.B. Staatsanwaltschaft), kommunale Kooperationspartner (z.B. Ordnungsamt) sowie ge- sellschaftliche Kooperationspartner (z.B. Bürgergruppen) relevante „Kunden“. Und überhaupt: Welcher Kunde ist ein „guter“ und welcher ein „schlechter?“ In der Tagespresse ist oft von Interessensgemeinschaften lokaler Geschäftsleute in Innenstädten zu lesen, die massive Forderungen an die Polizei und an die Politik richten, die Belästigungen ihrer Kundschaft durch Junkies, Bettler etc. zu unterbinden. Hier wird von Polizisten verlangt, was sie sich im „Kundenkontakt“ eigentlich abgewöhnen sollten, 53 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei nämlich mit Autorität und Härte aufzutreten. Und manchmal lässt sich das gar nicht vermeiden, z.B. muss die Polizei bei gewaltsamen Demonstrationen „Kunden“ recht garstig begegnen. Welcher Kunde ist dann noch König? Im Ergebnis wird die Entscheidung, wer der „wirkliche“ Kunde der Polizei ist, sehr stark von der persönlichen und situativen Entscheidung des einzelnen Polizisten abhängig sein. Neue Steuerungskonzepte geben hier keine Antworten. Auch scheint in diesem Zusammenhang die „Kundenzufriedenheit“ ein recht dehnbarer Begriff zu sein. Es ist viel leichter, im Ordnungsamt einen Kunden zufrieden zu stellen, der einen Personalausweis beantragen will, als in der Erziehungsberatungsstelle bzw. Schuldnerberatungsstelle eines Amtes für Jugend und Familie, wo einem Kunden zugemutet wird, sich auf gelegentlich sogar schmerzhafte Weise zu verändern. Mag der Verkehrskasper in Kindergärten auch informativ und lehrreich sein und hohe Zufriedenheit bei den Teilnehmern elementarer Verkehrserziehung hervorrufen, so erzeugt der im Rahmen einer Verkehrskontrolle einbehaltene Führerschein oftmals gegenteilige Reaktionen beim „Kunden“. Beschäftigte öffentlicher Verwaltungen, unerfahren und wenig vertraut mit den Werten und Normen einer Dienstleistungskultur, können sich schnell in Interessenskonflikten wiederfinden. So kollidieren Kundeninteressen (wie z.B. an erweiterten Öffnungszeiten) mit Beschäftigteninteressen (z.B. an Arbeitszeitverkürzung, weniger Dienst zu ungünsti- gen Zeiten), was wiederum den Beschäftigten bewusst ist und zu Zurückhaltung in Bezug auf Arbeitsanforderungen führt, die ein kundenorientiertes Verhalten notwendigerweise mit sich bringen. Deshalb bedeutet Kundenorientierung, Verwaltungsprodukte11 nicht nur zu definieren (z.B. im Rahmen von Kontrakten), sondern auch die technischen, organisatorischen und personellen Bedingungen für ihre Herstellung zu garantieren. Hierzu zählen eine moderne technische Ausrüstung der Verwaltungen (z.B. dezentrale Computernutzung), neue Formen der Arbeitsorganisation (z.B. Gruppenarbeit) und eine Personalentwicklung (z.B. durch Beschäftigtenbeteiligung), die geeignet sind, den strukturellen Interessenkonflikt zwischen Beschäftigten und Kunden zu entschärfen (vgl. Bogumil & Kißler, 1997: 6). Ohne die Veränderung der personellen, technischen und organisatorischen Rahmenbedin- 11 In der Literatur zu den neuen Steuerungskonzepten ist es sehr häufig der Fall, dass der aus der Privatwirtschaft entlehnte Begriff „Produkt“ kritiklos übernommen wird. „Produkte“ sind sprachliche Prototypen ökonomisierten Denkens. Lange & Schenck (2004: 380) halten den Produktbegriff nicht nur wegen der fehlenden Akzeptanz in der öffentlichen Verwaltung für problematisch, sondern auch weil hiermit das Denken, man habe es mit hundertprozentig abgrenzbaren, berechenbaren, vor allem aber gleichsam wie auf dem Fließband reproduzierbaren „Waren“ zu tun. Sie schlagen statt dessen den Begriff „Leistung“ vor. Eine „Leistung“ besteht aus einer Anzahl von „Tätigkeiten“. 54 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei gungen besteht die Gefahr, dass die Reduzierung einer öffentlichen Verwaltung auf eine reine Dienstleistungsinstanz einerseits zu einem Abbau der Gestaltungs- und Aktivie- rungsfunktion öffentlicher Dienstleistungen, andererseits zum Aufbau einer Versorgungsmentalität führt, die einer modernen Zivilgesellschaft in einem kooperativen Staat eher abträglich ist und paradoxerweise Haltungen und Einstellungen fördert, die eigentlich bekämpft und minimiert werden sollten. Zusammenfassend verdeutlichen die vorgetragenen Argumente, dass zwischen öffentlichen und privaten Management- und Steuerungskonzepten beträchtliche Unterschiede bestehen und eine naive Übernahme privatwirtschaftlicher Konzepte in keiner Weise der komplexen öffentlichen Verwaltungsrealität gerecht werden kann. Die große Herausforderung ist, den aus Strukturdifferenzen entstehenden Transferproblemati- ken bei der Ausgestaltung und Implementierung der neuen Instrumente und Praktiken durch spezifische, den Rahmenbedingungen der öffentlichen Verwaltung entsprechende Modifikationen zu begegnen. 3.3.3 Die Rolle der Personalentwicklung im Reformprozess Wie bereits bei der Darstellung der Grundlagen und Elemente des NSM in Kapitel 3.3.1 erwähnt, hat das Personalmanagement und insbesondere die Personalentwicklung die Funktion einer Unterstützungsempfehlung in der Diskussion um die Implementierung der neuen Steuerungsinstrumente in die öffentliche Verwaltung. Es soll die Abkehr von einer administrativen Personalverwaltung hin zu der Ausgestaltung eines systematischen Personalmanagements vollzogen werden. Als Führungsfunktion beinhaltet das Personal- management die Funktionselemente Auswahl, Rekrutierung, Einsatz, Beurteilung, Entlohnung sowie Qualifizierung des Personals (vgl. Budäus, 1994: 50). Dabei hat die Personalentwicklung einen besonderen Stellenwert erlangt. Dieser Bedeutungswandel resultiert aus der Perspektive, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht länger als Kostenfaktor, sondern als das wesentliche Leistungspotenzial zu begreifen (a.a.O. 76). Umfassende Schulungen, die Qualifikation der Führungskräfte für ihre Rolle im Prozess sowie die Einbindung der Beschäftigten in den Veränderungsprozess sind wesentliche ge- stalterische Elemente und gleichzeitig die Anforderung an die Ausgestaltung der Personalentwicklung im Reformprozess (vgl. KGSt, 1993: 25 ff; 1996: 8; Janning, 1994: 243ff; Ridder & Schirmer, 1999: 206 ff). Der Schulungs- und Qualifizierungsbedarf ist deshalb erheblich, da es im NSM z.B. für Führungskräfte nicht mehr ausreicht, bester Sachkenner und Sachbearbeiter zu sein, was bisher ein folgerichtiges Denken war, da sich das Verwaltungshandeln vornehmlich an Ordnungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit ausrichtete. Unter diesem Vorzeichen war die fachliche Anleitung und Kontrolle von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Hauptauf- gabe der Führungskraft, die dementsprechend auch eher als „Vorgesetzter“ bezeichnet wird. Verstärkt wurde diese Tendenz noch dadurch, dass die jeweils höheren Vorgesetzten 55 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei sich ihre Informationen nicht dort holten, wo sie direkt zu bekommen sind, nämlich beim zuständigen Sachbearbeiter. Sie erwarteten vielmehr, dass der in der Hierarchie ihnen unmittelbar Unterstellte alle fachlichen Auskünfte bis ins Detail geben konnte. Dem diametral entgegengesetzt sind die Ansprüche und Erfordernisse im NSM. Nun sollen die in der Verwaltung Beschäftigten ihr Selbstverständnis als obrigkeitlich vollziehende Gewalt aufgeben und sich stattdessen zum modernen Dienstleister entwickeln, und zwar zum Dienstleister für den Bürger, für Wirtschaftsunternehmen und andere gesellschaftliche Einrichtungen als auch im Behördenverkehr untereinander. Aus der Holschuld soll eine Bringschuld werden: Die Verwaltung wird nicht mehr auf Antrag tätig und bescheidet, sondern sie bietet aktiv ihre Leistungen an, berät Partner zu Lösungsmöglichkeiten, nimmt Aufträge entgegen und liefert adressatengerechte Produkte. Somit bläst der „Reformwind“ den „Vorgesetzten“ ins Gesicht, jedenfalls dann, wenn sie sich in einer traditionellen Weise verstehen und ihr Verhältnis zu den Mitarbeitern von ihrem Weisungsrecht her definieren wollen. Aber nicht nur von dieser Seite weht den Vorgesetzten der Wind ins Gesicht. Die Reformen rücken nicht den Vorgesetzten, sondern die Mitarbeiter ins Zentrum, die nicht mehr als Objekte der Disziplinierung und Kontrolle angesehen werden sollen, für die mehr Bewegungsspielraum und Chancen zur Eigeninitiative eingefordert werden. Aus der neuen Perspektive ist die hierarchische Organisation Ausdruck eines veralteten Organisationsdenkens, über das man sich ent- schlossen hinwegzuheben hat, genau wie man sich über die bürokratische Verwaltung im Ganzen erhebt. Überhaupt wird ein genereller Paradigmenwechsel proklamiert. Die überkommenen Verwaltungsstrukturen mit ihren übereinander gestaffelten Vorge- setztenebenen erscheinen nun als das Ergebnis einer Misstrauenskultur, die nicht das Eigenleistungspotenzial der Mitarbeiter im Auge hatte, sondern diese als potenzielle Ge- fahrenquelle missverstand. Nun verändert sich das Hauptaugenmerk in das Gegenteil. Die Vorgesetzten werden zunehmend als potenzielle Risikoquelle identifiziert, als diejenigen, die mit ihrem Machtanspruch und ihrer Besserwisserei die Arbeit der Mitarbeiter behindern. Die Zauberformel heißt nun „flache Hierarchie“, je flacher, desto zielführender. In diesem Zusammenhang macht Klages (2002: 2) darauf aufmerksam, dass, was den Ab- bzw. Umbau von Hierarchien betrifft, nur die Wörter ausgetauscht werden müssen, um sofort ein gänzlich anderes Bild zu bekommen. Spricht man nicht mehr von „Vorgesetz- ten“, sondern von „Führungskräften“ ist eine andere Sichtweise die Folge. So wird bei noch so heftiger Vorgesetztenkritik jeder Verwaltungsmodernisierer zustimmen. Diese Zustimmung würde aber schlagartig ausbleiben, wenn man die Vorgesetztenkritik pauschal auch auf die Führungskräfte übertragen wollte. Es ist unbestritten, dass gerade die modernisierte Verwaltung hochqualifizierte Führungskräfte braucht, um funktionsfähig zu sein. 56 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Ein wesentlicher Kritikpunkt bei der Umsetzung des NSM in der öffentlichen Verwaltung ist die Dominanz betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente. So kommt Naschold (1995: 44 ff) nach einer in elf Ländern durchgeführten Evaluationsstudie zu dem Schluss, dass sich die Reformbestrebungen überwiegend auf die Neubestimmung der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung konzentrieren und eher selten auf die Neugestaltung der Perso- nalarbeit. Auch die Umfrage des Deutschen Städtetags (vgl. Deutscher Städtetag, 1996: 3 ff) weist als besondere Schwerpunkte der Verwaltungsreform die Bereiche „Haushalts- und Rechnungswesen“ aus, gefolgt von den Bereichen „Organisations- und Personalent- wicklung“. Die Bedeutsamkeit, Ausgestaltung und Zielbezogenheit der Personalentwicklung in der öffentlichen Verwaltung variiert nicht nur erheblich, auch die Begrifflichkeit „Perso- nalentwicklung“ wird äußerst unterschiedlich konnotiert. Schütz (1999: 201) zeichnet ein amorphes, recht vielgestaltiges Gesamtbild des Bedeutungsgehalts „Personalentwicklung“, wenn er die Situation wie folgt charakterisiert: „In manchen Verwaltungen hat sich außer modernem Vokabular für althergekommene Personalmaßnahmen nichts verändert. Manche Behörden haben eigene Organisationseinheiten für Personalentwicklung, häufig in Konkurrenz zur Personalverwaltung, eingerichtet. In dem Kampf um Daseinsberechti- gung entsteht heftiger Aktionismus, der in Konzepten, Dienstvereinbarungen und Statistiken über Zahl und Kosten durchgeführter Weiterbildungsmaßnahmen zum Ausdruck kommt. Manche sehen in der Personalentwicklung den Weg zur lernenden Verwaltung und bauen vor allem ein System der Fort- und Weiterbildung aus, in dem vorgegeben und nachgewiesen wird, dass jedem Beschäftigten ein bestimmter Prozentsatz seiner Arbeitszeit zur Weiterbildung zur Verfügung steht. Manche verstehen Personalent- wicklung allein als Karriereplanung, andere als das Mittel, den richtigen Mann an die richtige Stelle zu bekommen. Viele haben die stille Hoffnung, durch Personalentwicklung zur Einsparung von Personalkosten zu kommen.“ Nichtsdestotrotz: Die Qualifizierung von Führungskräften und Mitarbeitern ist ein we- sentlicher Baustein der neuen Steuerung und damit auch der Personalentwicklung. So kommt Schmithals-Ferrari (1999: 66) nach Durchführung von Organisationsdiagnosen in 23 Reformkommunen in Schleswig-Holstein zu dem Schluss: „Alle Kommunen, die eine deutliche Veränderung zu verzeichnen haben, investieren in die Qualifikation ihres Personals. Die Fortbildung ist allerdings oft nicht genügend mit dem Fortschritt im Veränderungsprozess verknüpft.“ Inhalte des Veränderungslernens sind, die Delegation von Verantwortung zu lernen, Verantwortung annehmen zu können, Qualifikationen zum Umgang mit den neuen Instrumente zu erwerben und sich über berufliche Anerkennung und berufliches Weiterkommen zu motivieren. Bevor beispielhaft Definitionen, Aufgaben und Ziele der Personalentwicklung am Beispiel des Geschäftsbereiches des Niedersächsischen Innenministeriums aufgezeigt werden, soll 57 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei im folgenden Kapitel die Verortung der Personalentwicklung in den Reformprozessen der Polizei- und Verwaltungsreform beschrieben werden. 3.4 Polizei- und Verwaltungsreform: Wegbereiter für den Wandel einer Landespolizei Die detailliert dargestellten Instrumente und Zielvorstellungen des NSM proklamieren, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wirksamer, ergebnisorientierter, kostengünstiger und zu einer größeren Zufriedenheit der Bürger mit noch leistungsfähigeren Mitarbeitern wahrnehmen zu können. Dabei weisen einige Anzeichen darauf hin, dass der geplante Vollzug des NSM in erster Linie technisch verstanden und oftmals davon ausgegangen wird, dass sich der häufig proklamierte Kulturwandel, die „Einstellungsänderungen in den Köpfen“, automatisch bzw. eher unsystematisch, gestützt durch die Personalentwicklung im weitesten Sinne, vollziehen soll. Die Implementierung des NSM im Rahmen einer Verwaltungsreform kann nicht losgelöst werden von bisher bereits erfolgten Reformprozessen in den letzten 20 Jahren in der niedersächsischen Polizei. Im Folgenden soll der „niedersächsische Weg“ skizziert werden. Dabei stellt sich die Frage: Wer ist eigentlich das Personal in der niedersächsischen Polizei? Auf der Homepage des Niedersächsischen Innenministeriums wies der Personalbestand der niedersächsischen Polizei am 30.10.2001 insgesamt 22.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Rund 18.600 von ihnen sind Polizeibeamtinnen und -beamte im Vollzugsdienst. 4.000 weitere arbeiten als Polizeiverwaltungsbeamtinnen und -beamte, Angestellte, Arbeiterinnen und Arbeiter. Zunächst sollen die Grundzüge der Polizei- und der Verwaltungsreform als Grundlagen für strukturelle Veränderungen in der Polizei Niedersachsens in den 90er Jahren dargestellt werden, um zu verdeutlichen, in welche politischen Rahmenbedingungen der niedersächsische „NSM-Weg“ eingebettet ist. 3.4.1 Die Polizeireform Die niedersächsische Polizei befindet sich wie die anderen Länder-und Bundespolizeien in einem ständigen Wandlungsprozess. Mit der Koalitionsvereinbarung vom Juni 1990 entschieden die Landesverbände der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Grünen, die Polizei des Landes Niedersachsen auf ihren Reformbedarf untersuchen zu lassen. Ausgangspunkt der Überlegungen waren offensichtliche Mängel und vielfach angemahnte Veränderungen in der Organisation sowie im inneren Gefüge der Polizei. Die niedersächsische Landesregierung beschloss am 06.11.90, den Reformbedarf nicht nur in Teilen, sondern umfassend durch eine Reformkommission erheben zu lassen. Bei der Berufung der Mitglieder wurde Wert darauf gelegt, dass in der Kommission neben 58 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Fachleuten aus der Polizei auch externe Sachverständige vertreten waren. Mit dem Erlass vom 22.11.90 erhielt die Reformkommission den Auftrag, sich schwerpunktmäßig mit zehn Untersuchungsfeldern12 zu befassen. Im Auftrag der Reformkommission wurde 1991 eine umfangreiche Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Ziel der Befragung war es, zu Ergebnissen bezüglich der Arbeitszufriedenheit der Bediensteten zu gelangen und den Reformbedarf aus Sicht der Befragten zu ermitteln. Sie sollte den Ist-Stand unter Einbeziehung eigener Erhebungen analysieren und Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich einer Organisationsreform aufzeigen (vgl. Wempe & Hess, 1999: 84). Aus der Grundgesamtheit von 20.562 Bediensteten (Arbeiter, Angestellte, Beamte) wurden per Zufallsverfahren 1.700 Adressen gezogen (8 % der Grundgesamtheit). Die Anschreiben und Fragebögen gingen an die jeweiligen Privatadressen der ausgewählten Personen. Der Rücklauf (82,5 %) erfolgte über vorfrankierte Antwortbriefe. Als wesentliche Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung sind der hierarchische Aufbau (68 % der Beamten erklären sich mit dem hierarchischen Aufbau der Polizei unzufrieden), das Führungsverhalten der unmittelbaren Vorgesetzten (77 % der Befragten äußerten mehr oder weniger massive Kritik am Führungsverhalten ihrer unmittelbaren Vorgesetzten) und das Beurteilungssystem (76 % der Befragten – über alle Sparten, Laufbahnen und Ebenen hinweg – waren mit dem praktizierten Beurteilungssystem unzufrieden) festzumachen (vgl. Polizeireform Niedersachsen Reformkommission 1993: 109 ff). Es ließ sich eine deutlich erkennbare Unzufriedenheit der Mitarbeiter über alle Sparten und Laufbahnen hinweg feststellen. Für den gesamten mittleren Dienst ergab sich ein Unzufriedenheitspo- tenzial von 51 %, bei den Beamten unter 35 Jahren sogar von 56 % (a.a.O.: 104). Zum Untersuchungsfeld 3, „Organisation und Personalbedarf der niedersächsischen Polizei“, wurde die Firma Kienbaum Unternehmensberatung GmbH mit einer Organisationsuntersuchung beauftragt. Ausgehend von der Ist-Analyse13 durch die Re- 12 Die zehn Untersuchungsfelder und Arbeitsgruppen lauteten: 1. Stellung der Polizei in der Gesellschaft, 2. Rechtsgrundlagen, 3. Organisation und Personalbedarf, 4. Ausbildung; Laufbahnen Schutzpolizei (S)/ Kriminalpolizei (K)/Verwaltung (V), 5. Fortbildung, 6. Polizeitechnik/Ausstattung, 7. Geschlossener Einsatz, 8. Kriminalitätsverfolgung/-verhütung, 9. Verkehrsunfallverhütung, 10. Inneres Gefüge (vgl. Niedersächsische Reformkommission, 1993). 13 Die Situation der niedersächsischen Polizei mit ihren rund 21.000 Beschäftigten (davon 18.000 (S) Schutz- und (K) Kriminalpolizei) und rund 600 Schutzpolizeidienststellen und 70 Kriminalpolizeidienststellen stellt sich wie folgt dar: Vollständige Trennung von Schutz-, Kriminalpolizei und Verwaltung; Vielzahl von Dienststellen und Vielzahl sehr unterschiedlicher Dienststellenstrukturen; partiell Kompetenzüberlagerungen; Polizeidirektionen nur in 2 Großstädten, ansonsten auf der Ebene der Inspektionen kaum Bezug zur politischen und geographischen Region; in Teilen militärisch anmutende 59 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei formkommission/Kienbaum Unternehmensberatung GmbH sind Vorschläge zur Veränderung der Organisationsstruktur der niedersächsischen Landespolizei erarbeitet und umgesetzt worden. Dabei können die folgenden Grundüberlegungen zur Neuorganisation als essenziell bezeichnet werden: Die Organisation der Polizei orientiert sich an dem Prinzip der bürgernahen Verwaltung. In ihrer Grundstruktur ist sie dem Verwaltungsaufbau angeglichen und weitgehend parallel zu den politischen und administrativen Gliederungen einer Region organisiert. Die bisher getrennten Organisationsstränge der Schutz- und Kriminalpolizei sind unter Be- rücksichtigung des Grundsatzes der Einheitlichkeit polizeilicher Aufgaben zu einer gesamtverantwortlichen Polizei zusammengeführt. Die Reduzierung der Zahl der Hierar- chieebenen und der Organisationseinheiten bewirkt eine effiziente Nutzung der Ressourcen (vgl. Niedersächsisches Innenministerium 1996 a, 15 ff). Infolge der Ergebnisse der Befragung und der nachfolgenden Empfehlungen der Kommis- sion wurde die Organisationsstruktur der niedersächsischen Polizei grundlegend verändert. Hierzu gehörte (a) die Einführung der zweigeteilten Laufbahn, (b) die weitgehende Zu- sammenführung von Schutz- und Kriminalpolizei, (c) veränderte Laufbahnzugänge und - wege sowie (d) die Novellierung des Beurteilungswesens. Zu (a) Die Einführung der zweigeteilten Laufbahn Der Einstieg in die so genannte zweigeteilte Laufbahn soll den mittleren Dienst bei der Polizei schrittweise in den gehobenen Dienst überführen und hat zum Ziel, dadurch den Polizeivollzugsdienst statt der bisherigen Untergliederung in drei Laufbahngruppen ausschließlich dem gehobenen und höheren Dienst zuzuordnen. Der niedrig besoldete „mittlere Dienst“ sollte verschwinden und es stattdessen nur noch den gehobenen und höheren Dienst geben. Seit dem Herbst 1995 werden keine weiteren Einstellungen in den mittleren Dienst mehr vorgenommen, und der Nachwuchs der Polizei wird nur noch an der Fachhochschule direkt zum gehobenen Dienst ausgebildet. Im Rahmen des Bewährungs- aufstiegs wird lebensälteren Beamtinnen und Beamten unter näher konkretisierten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, lehrgangs- und prüfungsfrei in den gehobenen Dienst aufzusteigen. Für berufserfahrene Beamtinnen und Beamte, die die Voraussetzun- gen des Bewährungsaufstiegs noch nicht erfüllen, ist ein sechsmonatiger Aufstiegslehrgang mit abschließender Aufstiegsprüfung vorgesehen. Um den Übergangs- charakter deutlich zu machen, sind die laufbahnrechtlichen Regelungen für einen Zeitraum Kommandostruktur mit entsprechenden Kommandosträngen und einer großer Anzahl von Hierarchieebenen; zum Teil sehr niedrige Führungsspannen; unproduktive Bindung von Exekutivbeamten in einer Vielzahl von Innendiensten; erhebliche psychologisch-motivationale Probleme zwischen „S“ und „K“ (vgl. Kienbaum, 1993: 1). 60 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei bis zum Jahr 2005 angelegt (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1996 a: 68 ff). Insgesamt 12.000 Stellen sind unter der SPD-Regierung aufgewertet worden14. Zu (b) Die weitgehende Zusammenführung von Schutz- und Kriminalpolizei Eines der wesentlichen Elemente der Neuorganisation des polizeilichen Einzeldienstes ist die Zusammenführung von Schutz- und Kriminalpolizei. Die Zusammenführung war vor allem deswegen notwendig, um die wachsende Konkurrenzsituation zwischen Schutz- und Kriminalpolizei einzudämmen bzw. aufzulösen. Diese Konkurrenz resultiert vor allem daraus, dass der Dienst in der Kriminalpolizei erst nach langjähriger Tätigkeit in der Schutzpolizei versehen werden konnte, was zur Folge hatte, dass sich die Bewertung durchsetzte, der Dienst in der Kriminalpolizei sei der qualitativ höherwertige. Demzufolge sieht sich die Kriminalpolizei als die Elitepolizei, während sich die Schutzpolizei mit ihren Belangen nur unzureichend wahrgenommen fühlt. Verstärkt wird diese Konfliktsituation durch die mediale Fernsehwirklichkeit (z.B. gibt es in deutschen Kriminalfilmen, wie „Tatort“ oder „Der Alte“, die immer wiederkehrenden Sentenzen, wo ein uniformierter Streifenpolizist, respektvoll grüßend, die Tür für den frisch am Tatort eintreffenden „Kriminalkommissar“ aufhält). Für die Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten bedeutet die Zusammenführung, dass „Beamtinnen und Beamte der Schutzpolizei auch für die kriminalistische Sachbearbeitung befähigt werden sowie Beamtinnen und Beamte der Kriminalpolizei auch verkehrswissenschaftliches Grundlagenwissen vermittelt bekommen“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1996 a: 64). Zu (c) Veränderte Laufbahnzugänge und -wege Der von der Landesregierung beschlossene Einstieg in die zweigeteilte Laufbahn hat zur Konsequenz, dass der Zugang zur Polizei künftig ein Fachhochschulstudium voraussetzt. Aus gesellschaftspolitischen Gründen bleibt der Zugang zur Polizei für Realschüler auch in Zukunft nicht verschlossen. Diese müssen sich in einer zweijährigen Ausbildung in Fachoberschulen an sechs Standorten in Niedersachsen für die Niedersächsische Fach- hochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Fachbereich Polizei, qualifizieren. Eingegliedert wird die Ausbildung in das Kultusressort, um die bisherige „Abschottung“ der polizeilichen Ausbildung aufzubrechen. 14 Im Jahr 2004 hält angesichts der dramatischen Haushaltslage der Landesrechnungshof die zweigeteilte Laufbahn für nicht mehr finanzierbar und verweist darauf, dass selbst der Bund und Bundesländer, die finanziell besser dastehen als Niedersachsen, die zweigeteilte Laufbahn für zu teuer halten. Gefordert wird eine Wiedereinführung der dreigeteilten Laufbahn, was bedeuten würde, dass junge Polizisten künftig wieder als Polizeimeister nach A 7 besoldet werden können (jährlich 27.941 Euro brutto). Heute sind Berufseinsteiger Polizeikommissare nach A9 (jährlich 31.081 Euro brutto), die zuvor eine Fachhochschule absolviert haben (Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 03.06.2004: 4). 61 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Im Rahmen der Öffnung des polizeilichen Laufbahnrechts sollen auch Bewerberinnen und Bewerber, die ein mindestens dreijähriges Fachhochschulstudium in einer geeigneten Fachrichtung mit einer Prüfung erfolgreich abgeschlossen haben, unmittelbar in den geho- benen Polizeivollzugsdienst eingestellt werden können. Mit dieser Regelung soll Personal mit besonderer Qualifikation gewonnen werden. So sollen Absolventen der Fachrichtun- gen Betriebswirtschaft, Wirtschaftsinformatik oder Bank- und Versicherungswirtschaft nach einer polizeifachlichen Unterweisung gezielt als Spezialisten im Bereich der Krimi- nalitätssachbearbeitung eingesetzt werden. Der direkte Einstieg von Bewerbern mit universitärem Bildungsgang in den höheren Dienst ist bereits nach geltendem Laufbahn- recht möglich (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1996 a: 63 ff). Zu (d) Die Novellierung des Beurteilungswesens Die Kritik am bisherigen Beurteilungsverfahren bezog sich insbesondere auf eine fehlende Transparenz, nicht schlüssige Beurteilungskriterien und Bewertungen sowie eine fehlende Nachvollziehbarkeit, Objektivität und Gerechtigkeit des Verfahrens. Tatsächlich hatten insbesondere die in der Beurteilungspraxis feststellbare „Bestnoten-Inflation“ und die Anlegung regional unterschiedlicher Beurteilungsmaßstäbe unakzeptable Auswirkungen. Seit dem März 1996 gelten daher neue Beurteilungsrichtlinien. Sie sind gekennzeichnet durch die folgenden Eckpunkte: Aufwertung der Regelbeurteilung, Trennung in Leistungs- und Befähigungsbeurteilung, Verlagerung der Beurteilungszuständigkeit nach „vorn“, Verbesserung der Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten (Dialogisches Verfahren), Beurteilerkonferenzen, Änderung des Beurteilungsmaßstabes und Einführung von Richtwerten (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1996 a: 69 ff). Die hier dargestellten Ergebnisse der Polizeireform haben das innere Gefüge der nieder- sächsischen Polizei nachhaltig verändert. In der Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage der SPD-Fraktion zum Stand der Polizeireform vom Juni 1996 wird aller- dings auch ein zunehmend bedeutsam werdender Paradigmenwechsel herausgestellt. Die Landesregierung hebt zwar einerseits hervor, dass seit der Regierungsübernahme im Jahre 1990 ein Personalzuwachs von 1.712 Stellen im Polizeibereich (vgl. a.a.O. 3 ff) stattgefunden hat, verdeutlicht andererseits aber auch, dass eine Politik, die sich in Forderungen nach einem „Mehr vom Selben“ erschöpft, zum Scheitern verurteilt ist. Die veränderten finanziellen Rahmenbedingungen15 werden angeführt und darauf verwiesen, 15 Seit 1996 hat sich die Haushaltslage des Landes Niedersachsen weiterhin erheblich verschlechtert, so dass im Jahre 2004 der Landesrechnungshof forderte, Lehrer und Polizisten, die bisher bei Stellenkürzungen tabu waren, nicht mehr davon auszunehmen. Auch wird ein Einstellungsstopp angemahnt, das heißt, auch pensionierte Lehrer und Polizisten sollen keine Nachfolger bekommen. Mehr als 1.000 Polizisten, die bisher in den Schreibstuben ihren Dienst versehen, sollen von Verwaltungsarbeit befreit und in den Polizeivollzugsdienst versetzt werden. Die Verwaltungsaufgaben sollen dann solche Beamte übernehmen, 62 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei dass der durch die Polizeireform eingeleitete Weg, die Arbeit der Polizei auf Basis der vorhandenen Ressourcen zu optimieren, konsequent weitergeführt werden muss. Als Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz werden z. B. die Verbesserung der Ausbildung hin zu einer Steigerung der persönlichen Kompetenz, die Intensivierung der Fortbildung, die Bündelung von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung, der Abbau von Hierarchien und die Verstärkung der Basisorientierung sowie die Betonung der Bürgerorientierung genannt – alles Maßnahmen und Praktiken, die im Folgekapitel „Verwaltungsreform und Neue Steuerung“ im erweiterten Reformkontext auftauchen und behandelt werden. 3.4.2 Die Verwaltungsreform und die Neue Steuerung Die niedersächsische Landesregierung verdeutlichte bereits in ihren ersten Beschlüssen zur Verwaltungsreform Niedersachsen, den Willen zum Umbau einer traditionell, (input-) orientierten Verwaltung ( Ressourcen werden durch Haushaltsplan bereitgestellt) zu einer modernen ziel- und ergebnis- (output-) orientierten Verwaltung mittels eines NSM.16 Die Verwaltungsreform bietet den Rahmen für das neue Steuerungsmodell in Niedersachsen, denn dieses begründet sowohl veränderte Verwaltungsstrukturen (Einführung betriebswirtschaftlicher Steuerungselemente und Anpassung des rechtlichen Rahmens) als auch eine neue Verwaltungskultur (Steigerung der Motivation und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Verbesserung der Bürgerorientierung [vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 15, 1998: 2]). Wie bereits beschrieben ist der zentrale Gedanke die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung und die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit von Verwaltungshandeln. Entscheidende Bedeutung bekommt dabei das Wirtschaftlichkeitsprinzip, das heißt die Optimierung des Ziel-Mittel-Verhältnisses (vgl. Werner, 1995: 22). Dabei wird im Modell davon ausgegangen, dass klare Zielvorgaben und klare Verantwortungsabgrenzungen zu treffen sind. Eine Vereinfachung und bessere Übersichtlichkeit der Verwaltungsstrukturen ist dabei unabdingbar, denn nur durch die Systematisierung der Verwaltungsabläufe können Aufgaben gezielter verrichtet werden und somit auch zur Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung beitragen (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1996: 9). Ein weiterer zentraler Gedanke ist dabei die Bürgerorientierung, dass heißt die strikte Ausrichtung des Verwaltungshandelns auf die Erwartungen der Bürger als die nach einer Organisationsreform der neuen Landesregierung an ihrem alten Arbeitsplatz entbehrlich sind (Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 03.06.2004: 4). 16 Mit Beschluss vom 25.06.96 wurde vom Kabinett eine Arbeitsgruppe beauftragt, konzeptionelle Eckwerte für eine flächendeckende Umsetzung des NSM in der Landesverwaltung zu erarbeiten. Auf der Grundlage eines entsprechenden Konzeptes beschloss das Kabinett am 12.11.96 die stufenweise Einführung neuer Steuerungsinstrumente. 63 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Leistungsempfänger, wobei die Beziehung „öffentliche Verwaltung-Bürger“ wie ein „Kunden-Lieferanten-Verhältnis“ gestaltet werden soll (Niedersächsisches Innenministerium, 1996: 25). Im Übrigen gibt es außer zum Bürger weitere Arbeitsbeziehungen im Sinne eines „Kunden-Lieferanten-Verhältnisses“. Kunden sind die Kommunen oder die Wirtschaft , ebenso staatliche Behörden oder, innerhalb einer Behörde, Organisationseinheiten, denen zugearbeitet wird. Wie bereits in Kapitel 3.3.2 umfassend geschehen, muss in Ergänzung an dieser Stelle das „Kunden-Lieferanten-Verhältnis“ problematisiert werden, denn auch hier sind die Unter- schiede und speziellen Bedingungen zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft eklatant. So machen Jacobs et. al. (2004: 36) darauf aufmerksam, dass in privatwirtschaft- lich organisierten Unternehmen vor allem die Kunden (über die Umsätze) sowie die Kapitalanleger und die Analysten der Börse (über die Aktienkurse) als Warnsystem für das Management fungieren. Dafür sorgt ein internes Rechnungswesen bzw. ein Controlling für die fundierte Analyse und zeitnahe Aufbereitung der entsprechenden Daten, so dass das Management steuernd eingreifen kann. Ein solches Warnsystem steht hoheitlich operierenden und bürokratisch strukturierten Organisationen wie der Polizei nur in sehr reduzierter Form zur Verfügung. Selbstverständlich existieren auch hier Kontrollmechanismen: Von den Rechnungshöfen über die Gerichte, von der Presse bis zur parlamentarischen Opposition schaut eine ganze Reihe von Institutionen auf das Ge- schäftsgebaren der Exekutive, doch haben die genannten Instanzen weder das Mandat noch die Möglichkeit, das operative Geschäft so zu überwachen, dass sie als Frühwarn- system für das Management geeignet wären. Dabei schlägt der Ausfall des Kundenurteils besonders schmerzlich zu Buche: Denn die Empfänger der polizeilichen Dienstleistungen fallen aufgrund der spezifischen Bedingungen des „Kunden-Lieferanten-Verhältnisses“ als Frühwarnsystem weitgehend aus: Sinkt die Qualität der polizeilichen Aufgabenerledigung oder die Zufriedenheit bei den Abnehmern polizeilicher Dienstleistungen, signalisiert kein den Umsatzzahlen entsprechendes Warnsystem den Entscheidungsträgern schnell und zuverlässig, dass die Organisation Probleme hat. Insofern bleiben eigentlich nur noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Informationslieferanten, die den Entscheidungsträ- gern Hinweise auf etwaige Steuerungsnotwendigkeiten geben können. Nichtsdestotrotz ist es Ziel der Wandelbemühungen, durch die Reorganisation der Arbeits- strukturen und die Beseitigung der „organisierten Unverantwortlichkeit“ eine Verbesserung der Beziehungen zum Bürger zu erreichen. Die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Begrifflichkeit „Bürger- bzw. Kundenorientierung“ wurde bereits in Kapitel 3.3.2 umfassend behandelt und muss daher an dieser Stelle nicht noch einmal erläutert werden. Mit der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung ist gemeint, 64 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei eine ganzheitliche, produktorientierte Arbeitsorganisation17 zu implementieren, was bedeutet, dass sich die Bearbeitungswege deutlich reduzieren und Verantwortliche sich für nicht kundengerechtes Verhalten ausmachen lassen. Anforderungen an die Verwaltung aus Sicht der Bürger sind unter anderem Schnelligkeit, Ganzheitlichkeit, Verlässlichkeit, Erreichbarkeit, Verständlichkeit sowie Wirtschaftlichkeit. Das Ergebnis wäre dann eine Steigerung der Qualität des Verwaltungshandelns und damit auch eine Legitimitätssteigerung der öffentlichen Verwaltung, denn auch Effizienz legitimiert. Dabei stellen die Mitarbeiter die wichtigste Ressource dar. Nach Kann (1999: 239) verlässt das Kapital des öffentlichen Dienstes „jeden Abend auf zwei Beinen den Arbeitsplatz“. Es wird die Paradoxie herausgestellt, dass das Verwaltungspersonal den wertvollsten und teuersten „Produktionsfaktor“ der Verwaltung darstellt, ohne jedoch ent- sprechende Betreuungsmaßnahmen zur Hege und Pflege dieses entscheidenden Faktors erhalten zu haben. Nur wenn die Mitarbeiter, als Träger des Reformprozesses, diese Reformen wirksam unterstützen und weiterentwickeln, hat der Modernisierungsprozess nachhaltigen Erfolg. Entstehende Reibungsverluste im Wandlungsprozess sollen durch „Mitspracherechte am Arbeitsplatz und durch das „Herunterbrechen“ von Verantwortung in die untersten Hierarchiestufen weitestgehend aufgefangen werden“ (KGSt, 1994: 7ff). Schwachstellen in den Arbeitsabläufen können am besten durch die unmittelbar Betroffenen identifiziert und verändert werden, denn „Mitarbeiter sind Experten ihres Arbeitsplatzes“ (Hervorhebung im Original) und damit auch „Kenner von Schwachstellen in den Arbeitsabläufen“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 62). Merkwürdigerweise kommen die Mitarbeiter-Führungskräfte-Relationen in der Verände- rungsrhetorik eher selten vor. Man erfährt aber, dass die Führungskräfte eine stark erweiterte Verantwortung zu übernehmen haben, damit die Ressource „Personal“ in einer bestmöglichen Weise zur Entfaltung und zum Einsatz kommt. Die spannende Frage dabei bleibt, ob sich die Leitgesichtspunkte der Freisetzung des Potenzials der Mitarbeiter und die Steigerung der Effizienz und Effektivität der Arbeit sich immer reibungslos zur Deckung bringen lassen. Oder anders herum gefragt: Welches Wissen und welche 17 Als „Produkt“ wird in Niedersachsen das Ergebnis einer in sich geschlossenen Dienstleistung für einen externen Kunden verstanden. Produkte werden bei der niedersächsischen Polizei als nicht steuerungsrelevant für das Management, sondern als Steuerungsbasis für den Haushalt angesehen. Produkte liefern im Zusammenhang mit einer Kosten- und Leistungsrechnung Informationen über den Ressourcenaufwand. Dies wird als geeignete Steuerungsgröße für Verwaltungsbereiche angesehen, deren Erfolg in der Optimierung der Geschäftsprozesse hinsichtlich des Aufwandes liegt. Für die Polizei gilt dies nur bei wenigen Standardprozessen. Der Erfolg bei der Aufgabenerfüllung liegt für die Polizei nicht darin, den Aufwand zu optimieren, und auch nicht darin, die Zahl der Produkte, also den „Absatz“, bei konstantem Ressourceneinsatz zu erhöhen. Der Erfolg polizeilicher Arbeit besteht vielmehr darin, mit begrenzten Ressourcen bestimmte Wirkungen zu erzielen (vgl. Innenministerkonferenz 2001). 65 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Kompetenzen werden benötigt, um dieses Spannungsfeld zwischen diesen beiden Leitge- sichtspunkten bewältigen zu können? Zusammengefasst geht es in diesem outputorientierten Modell um die Optimierung einer zu entwickelnden Dienstleistungsorganisation entlang der Ziele: Kunden- bzw. Bürger- nähe, Wirtschaftlichkeit und Effizienz, Flexibilität und Nachfrageorientierung sowie Mitarbeiterpartizipation. Im nachfolgenden „Reform-Rad“ in Niedersachsen soll diese Optimierung veranschaulicht werden. Abb. 3: Das „Reform-Rad“aus: Niedersächsisches Innenministerium, 1999: 1 Im Zentrum des Rades steht das Leitbild18. Es soll einen Orientierungsrahmen für das Handeln in einem modernen Innenministerium geben und Ziele der künftigen Arbeit 18 Gängige Definitionen von Leitbildern, wie z.B. die von Belzer, (1995: 16) der Leitbilder als „Grundgesetz“ einer Organisation definiert, als etwas, das „die langfristigen Ziele einer Organisation und Richtlinien für das Verhalten der Organisation bzw. das Verhalten der einzelnen Organisationsmitglieder“ Budgetierung Kosten- und Leistungsrechnung Strategische Aufgabenplanung Leistungsbeschreibung Delegation und Dezentralisierung von Zuständigkei- ten und Kompe- tenzen Leitbild Personal- entwicklung Technik- unterstützung Kommu- nikations- manage- ment Controlling Produktbildung 66 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei fixieren (vgl. Kapitel 3.4.2). Mit Beschluss vom 11.01.1994 hat die Landesregierung für die gesamte Landesverwaltung ein Leitbild für eine künftige Verwaltung formuliert: „Angestrebt wird eine bürgernahe, leistungsorientierte und wirtschaftliche Verwaltung, in der motivierte, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einen notwendigen Bestand beschränkte Aufgaben in der Verpflichtung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern kooperativ, eigenverantwortlich und ergebnisorientiert erfüllen sowie mit Hilfe einer flexiblen Organisation und zeitgemäßer Steuerungsinstrumente sowie ohne gravierende Qualitätseinbußen zur Kostenbegrenzung beitragen“ (Niedersächsisches Innenministe- rium, 1997: 22) Da ein einheitliches Leitbild für die niedersächsische Polizei nicht existiert19, Polizei jedoch Teil der Verwaltung ist, soll auf das dargestellte Leitbild der Landesverwaltung eingegangen werden. So ist Löbbecke (2000: 677) im Rahmen einer Untersuchung zur „Leitbild-Diskussion“ in den Bundesländern „interessanterweise kein Fall bekannt, bei dem ein Leitbild-Entstehungsprozess von den Mitarbeitern einer Organisation ausging“. Dass die Handlungsmuster der Hierarchieebenen jedoch völlig unterschiedlich sind und Auswirkungen auf das Handeln in Organisationen haben, wurde bereits am Beispiel Polizeikultur/Polizistenkultur in Kapitel 3.2.2.1 dargestellt. Die durchweg positiven, harmonisierenden Formulierungen wie „motiviert“, „qualifiziert“, „kooperativ“, „eigenverantwortlich“, „ergebnisorientiert“, „flexibel“ vermitteln im Leitbild der Landesverwaltung universelle Werte und eine offensive, demo- kratisch geprägte Beziehung zur Öffentlichkeit. Innovation, partnerschaftliche Kommunikation und wohlwollende Zusammenarbeit stehen im Vordergrund. Es wird ein freundliches, ausgeglichenes, unvoreingenommenes Menschenbild vom Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung kreiert, der, versiert in kommunikativen Prozessen, in kosten- günstiger Manier und ohne Qualitätseinbußen Tag für Tag die Bürger zu glücklicheren Menschen macht. enthält, erwecken den Eindruck, als sei der Begriff „Leitbild“ in der sprachlichen Anwendung etwas Eindeutiges. Das ist aber nicht der Fall. 19 Allerdings sind seit 1995 die „Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung in der Polizei des Landes Niedersachsen“ in einem gelben Faltprospekt veröffentlicht. Es werden dort Aussagen zu Binnenklima, Teamarbeit, Konfliktbewältigung, Zielsetzung durch Zielabsprache etc. gemacht. Im Jargon der Führungskräfte werden die Prospekte häufig als „gelbe Zettel“ tituliert. Es lässt sich schlussfolgern, dass auch das niedersächsische Innenministerium den Wirkungsgrad dieser „Grundsätze“ für gering hält, denn zwei Jahre später wird in einer Publikation ausgeführt: „Erfahrungen mit einer teilweise nur zögerlichen Umsetzung – nach dem Motto „verteilt – abgelegt – vergessen“ belegen, dass neben der bisherigen Organisationsgestaltung auch Verhaltensweisen, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, sich nicht in wenigen Tagen ändern können“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 25). 67 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Nicht nur institutionelle Friktionen zwischen den Hierarchieebenen und unterschiedlichen Organisationszweigen werden ausgeblendet, sondern es wird auch jegliche Disparität und Differenz (z.B. zwischen den Geschlechtern) eliminiert. Die Harmonisierungsbestrebungen des oben genannten Leitbildes führen zur Fixierung auf einen umfassenden Konsens in der Organisation, was zur Ausblendung von Handlungs- mustern niedriger Hierarchieebenen führt. Die vielschichtige Klientel der Polizei, Justiz oder auch in der Ordnungsverwaltung und im Sozialamt legt nämlich nahe, sie distanziert und skeptisch zu betrachten, sich ihr gegenüber nicht zu freundlich, empathisch und naiv zu zeigen. Es geht hier mehr um Abgrenzungs- statt um Verständigungsdiskurse. Gerade im ermittelnden Bereich der unterschiedlichen Verwaltungszweige ist es ein erfolgversprechendes Handlungsmuster, sich eher nicht in die Karten sehen zu lassen und dafür zu sorgen, dass die Grenze zwischen dem verlässlichen sozialen Nahraum und der „bösen Welt“ gewahrt bleibt.20 So meint Behr (2000: 242), dass Polizisten ihren Job mit der in Leitbildern der Polizeikultur (vgl. Kapitel 3.2.2.1) nahe gelegten Grundhaltung nicht machen können, zumindest nicht in den gesellschaftlich prekären Handlungsfeldern. Leitbilder fungieren jedoch nicht als Zielvorgabe oder Orientierung in dem Sinne, dass das gesetzte Ziel auch real erreicht werden soll, sondern als ein Idealtypus, der so in Wirklichkeit nicht zu finden ist und dessen Verwirklichung auch nicht intendiert ist. So viel zur Orientierungsmöglich- keit an Leitbildern. Und nun zurück zu den Steuerungselementen des „Reform-Rades“. Zu den weiteren Grundlagen für einen erfolgreichen Reformprozess gehören ferner eine systematische Personalentwicklung, eine Unterstützung mit moderner Technik, ein professionelles Kommunikationsmanagement und eine mit all dem einhergehende Organisationsentwicklung. Diese Rahmenbedingungen zu gewährleisten, ist Aufgabe der Behördenleitung. Zu den strategischen Zielen gehört das erfolgreiche Arbeiten mit den Neuen Steuerungsinstrumenten (NSI). Deren systematische Umsetzung konzentriert sich auf Leistungsbeschreibung und Produktbildung, Delegation und Dezentralisierung von Zuständigkeiten und Kompetenzen, Kosten- und Leistungsrechnung (KLR), Budgetierung, Controlling und Strategische Aufgabenplanung (a.a.O. 5). Da diese Elemente des NSM bereits in Kapitel 3.3.1 differenziert erklärt wurden, bedarf es an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterungen. 20 So zitiert Reichertz (1990: 194) im Rahmen einer Studie zur Typisierung typisierender Kriminalpolizisten einen Kriminalkommissar wie folgt: „Die einzelnen Täter kennt man mit der Zeit, wenn man viele Jahre beim Einbruch gearbeitet hat. Man hat sie alle schon mehrfach gesucht, verhaftet und vernommen, kennt ihre Geschwister und Eltern, ihre Freunde und Konkurrenten. Man weiß, wie sie rauchen, wie sie sprechen, wie sie sich kleiden, welche Vorlieben sie haben, ...wo sie sich aufhalten, ... Wir können zusammen durch die Innenstadt gehen und ich sag Ihnen: ,Das ist ein Bommel und das nicht!‘ – auch wenn ich den Typen persönlich nicht kenne. Meine Schweine erkenne ich nämlich am Gang.“ 68 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Die Reformaktivitäten lösen aber auch Unsicherheiten aus bzw. werden von Skepsis begleitet, besonders wenn die Diskussion vornehmlich aus betriebswirtschaftlicher Sicht geführt und die ausschließliche Kostenorientierung fokussiert wird. Damit besteht die Gefahr, dass die eigentlichen Entwicklungsziele der Verwaltungsmodernisierung ausgeblendet werden und nur der zeitliche Zusammenhang mit der Finanzmisere der öffentlich Haushalte gesehen wird. „Manch eine Vision und manch ein Traum, der unter der Losung ,Neue Steuerungsmodelle‘ steht, ist für viele der von den Auswirkungen betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu einem drückenden Alptraum geworden. Denn statt Modernisierung meint man viel zu häufig in den Chefetagen der Verwaltungen Haushaltskonsolidierung“ (Meixner, 2000: 217). Sicherlich betont das Neue Steuerungsmodell die Effektivitäts- und Effizienzkriterien stärker. Auch die Konzentration der Diskussion auf betriebswirtschaftliche Instrumente und Techniken (Zielvereinbarung, Budgetierung, Produktbeschreibung, Kosten- und Leis- tungsrechnung, Kennziffern und Berichtwesen) verleitet zu einseitig technokratischen Deutungen und Maßnahmen. In der wegweisenden Publikation der Niedersächsischen Landesregierung „Die niedersächsische Landesverwaltung durch Personalentwicklung zukunftsfähig gestalten“21 (1997) wird grundsätzlich die Kompatibilität der betriebswirt- schaftlichen Managementkonzeptionen nicht bezweifelt. Im Gegenteil: In der 80-seitigen Broschüre wird an massiver Veränderungsrhetorik, die auf das Ziel einer „modernen und zukunftsfähigen Landesverwaltung“ (ebd. 13) ausgerichtet ist, nicht gespart. Allerdings setzt man sich nur an zwei Stellen ansatzweise mit der anderen Systemlogik der Privatwirtschaft auseinander. So heißt es im Hinblick auf den Kundenbegriff, dass es einer „differenzierteren Diskussion bedarf, als dies in bezug auf private Unternehmen der Fall ist“ (ebd. 22). Auch wird darauf verwiesen, dass „weiterhin für den öffentlichen Dienst besondere Rahmenbedingungen und Grenzen bestehen, die entsprechend zu berücksichti- gen sind. Denn im Gegensatz zur Privatwirtschaft hat die Landesverwaltung ihrem öffentlichen Auftrag nachzukommen und Gemeinwohl-Interessen zu wahren“ (ebd. 55). Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen eines Unternehmens, das am Markt bestehen muss, und einer reformierten Polizei, die aber auch künftig auf der Grundlage von Gesetzen, Erlassen und Verfügungen arbeitet, tief in die Rechte von Bürgern einzugreifen berechtigt ist, ihre Personal- und ihre Sachkosten aus Steuermitteln bestreitet und durch ein starres Laufbahn- und Beförderungsprinzip organisiert ist, findet nicht statt. Auch wird immer wieder betont, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die wichtigste Ressource des Entwicklungsprozesses sind, zugleich wird aber häufig darauf vertraut, dass die notwendigen Einstellungs- und Verhaltensänderungen gleichsam automatisch mit der Einführung des Modells zum Tragen kommen (vgl. hierzu auch Klages, 1996: 522). 21 Der Untertitel lautet: „Das Rahmenkonzept der Personalentwicklung in Niedersachsen“. 69 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Von daher ist auch im Rahmen der Darstellung und Interpretation der Untersuchungser- gebnisse immer wieder zu hinterfragen, inwieweit bei der Umsetzung der Neuen Steuerungsmodelle vornehmlich eine verwaltungstechnische Reform gewollt ist oder vielmehr die Wahrnehmung eines veränderten Aufgaben- und Berufsverständnisses im Vordergrund stehen soll. Sollte Letzteres gemeint sein, kommt der Personalentwicklung eine ungleich größere Bedeutung zu als der Entwicklung der Verschlankungsinstrumente. Es sind die Mitarbeiter, welche die Bürgernähe praktizieren und die Kundenorientierung mit Leben füllen sollen. 3.4.3 Personalentwicklung als elementarer Bestandteil der Verwaltungsreform Wie bereits in der Einleitung (Kapitel 1) ausgeführt, gilt die Förderung personalentwickle- rischer Kompetenzen als eine der wichtigsten Aufgaben der Verwaltungsreform in Niedersachsen. Im Rahmen einer Qualifizierungsoffensive, inklusive einer breit angelegten Führungskräfte-Fortbildung, sind Themen wie neues öffentliches Management, Kundenorientierung durch Qualitätsmanagement, Verwaltungs-Betriebswirtschaft, Pro- jektmanagement, Instrumente der Personalentwicklung und Fördermaßnahmen für einzelne Beschäftigtengruppen dabei von besonderer Bedeutung (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 4). Die Ressorts einschließlich der Behörden des jeweiligen Geschäftsbereichs wurden aufge- fordert, systematische PE-Konzepte zu erarbeiten und Schritt für Schritt umzusetzen sowie fortzuschreiben (a.a.O. 2). Der Zielrahmen wurde dabei wie folgt formuliert: „Die leitenden Führungskräfte müssen sich dabei mehr als bisher von Verwaltern zu Managern mit öffentlichem Auftrag entwickeln. Führungskräfte auf allen Ebenen müssen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch beispielhaftes Führungsverhalten und kooperative Führungsmethoden motivieren und in ihren Leistungsstärken fördern. Dazu müssen neben bisherigen Elementen von Personalentwicklung neue Instrumente wie Mitarbeiter/Vorgesetzten-Gespräche, Mitarbeiterbefragungen, strukturierte Beurteilungen usw. genutzt werden.“ (ebd., alle Hervorhebungen im Original). In den Publikationen des Niedersächsischen Innenministeriums kommt immer wieder der erklärte politische Wille zum Ausdruck, den dezidierten Übergang von der Personalver- waltung zur Personalentwicklung einzuleiten (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 19). Gemeint ist die Perspektive, Personal weniger als Kostenfaktor anzusehen, sondern mehr als strategische Ressource einzusetzen. Personalführung in der öffentlichen Verwaltung hat sich über einen langen Zeitraum auf den Bereich der Personalverwaltung beschränkt. Die Ruhe, dieser in Rechtsanwendung und Verfahrenstechnik ritualisierten Personalführung wurde empfindlich gestört, als im Rahmen der vor allem von Haushalts- 70 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei defiziten getriebenen Verwaltungsreformen die seit langem im Schrifttum diskutierte, aber selten angewandte Personalentwicklung22 akut gefordert wurde (vgl. Schütz, 1999: 201). Der Entwicklungsbegriff wurde in der Vergangenheit vornehmlich und einseitig als Lauf- bahnentwicklung im Sinne des Aufstiegs über Beförderungsämter gesehen. Diese formalistisch verkürzte Sichtweise hatte zur Folge, dass Entwicklungsmaßnahmen, die der Leistungsverbesserung innerhalb der jeweiligen Ämter und Aufgaben dienten, ebenso ausgeblendet wurden wie Maßnahmen zur Förderung einer Flexibilität und Berufszufrie- denheit, die unabhängig von Beförderungen ist. 3.5 Ziele, Aufgaben und Dimensionen von Personalentwicklung Definitionen zur Personalentwicklung gibt es viele. Ob Ihre Zahl so groß ist, wie Trebesch (1999: 50) für die Organisationsentwicklung (OE) herausgefunden hat, nämlich 50, der einräumt, „es hätten leicht 100 werden können, doch wurde die Zusammenstellung bei 50 abgebrochen“, kann zwar nicht festgestellt, aber vermutet werden. Die meisten Definitionen differenzieren lediglich das aus, was das Wort ohnehin schon signalisiert. Unter dem Begriff Personalentwicklung können betriebliche Maßnahmen verstanden werden, mit denen Qualifikationen von Mitarbeitern vor allem in ihren Kennens- und Könnens-Komponenten erfasst und bewertet werden. Durch die Organisation von Lern- prozessen mit Hilfe kognitiver, motivationaler und situationsgestalteter Verhaltensbeeinflussung werden aktiv und systematisch Qualifizierungszustände verändert (vgl. Schär, 2001: 151). Den Begriff des „Arbeitsvermögens“ hebt Neuberger (1994: 3) hervor. Er merkt kritisch an, dass Personalentwicklung meistens personalisiert, aufs Technische reduziert und instrumentalisiert, oft auch harmonisiert wird: Die Widersprüche, Probleme und Konfliktfelder würden eliminiert. Seine Definition lautet: „Personalentwicklung ist die Umformung des unter Verwertungsabsicht zusammenge- fassten Arbeitsvermögens.“ Eine ähnliche Perspektive beschäftigt Sprenger (2000: 26): „Personalentwicklung zielt auf Änderung. Der Menschen. Nicht der Organisation. Einstellungen und Verhaltensweisen sollen den gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnissen des Unternehmens angepasst werden.“ Um Widersprüche, Probleme und Konfliktfelder geht es bei Battmann & Schönpflug (1999: 254). Diese sehen angesichts 22 Entwicklungstendenzen der Personalentwicklung in der Fachliteratur zeigen folgendes Bild: In der Mitte der 70er Jahre erreicht der Begriff Personalentwicklung die Stichwortebene und findet Eingang in die Betriebswirtschaftlehre. Nach 1980 erscheinen zahlreiche Monographien und Überblicksreferate zum Bereich Personalentwicklung. Es wird versucht, Teilbereiche und Methoden in eine umfassende PE- Konzeption zu integrieren. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit PE erfolgte zunächst historisch- deskriptiv (Was gibt es?), dann systematisch (Wie ist es einzuordnen?), dann theoretisch (Was soll sein?) (vgl. Schär, 2001: 151). 71 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei der Belastungen, Rollenerwartungen und Rollenkonflikte, denen Führungskräfte ausgesetzt sind, Personalentwicklung im Wesentlichen als Prävention von Stress und Belastungen: „Personalentwicklung kann als eine unmittelbare Form der Stressprävention verstanden werden, ist es doch ihr explizites Ziel, die Anpassungserfordernisse zwischen Organisation und Organisationsmitglied durch eine optimale Einpassung des Mitglieds möglichst gering zu halten.“ Rosenstiel (1999: 100) hat mehrere Forschungsergebnisse zur Personalentwicklung zu- sammengefasst. Er unterscheidet verschiedene Positionierungen hinsichtlich des Zeitpunktes innerhalb der individuellen Karriere und des Ortes der Maßnahmen. Personal- entwicklung im Rahmen der Berufsausbildung oder eines Traineeprogrammes ist dann „into the job“, als qualifikationsfördernde Aufgabengestaltung ist sie „on the job“, als Laufbahnplanung und -beratung „along the job“, im Rahmen einer Lernstatt oder „quality circle“-Arbeit „near the job“, im Rahmen externer Seminare und Schulungen „off the job“, im Zusammenhang von Ruhestandsvorbereitungen „out of the job“. Zur Gestaltung von Personalentwicklungskonzeptionen werden vielseitige Instrumente und Praktiken in der Literatur genannt. So unterscheidet Müller (1996: 101 ff) informatorische Maßnahmen (z.B. Erstellen von Organisationsplänen, Anforderungsprofilen, Personalbeurteilungen, Auswahlverfahren bzw. „Assessment Center“, Mitarbeiter-Vorgesetztengespräche, Mitarbeiterbefragungen, betriebliches Vorschlagswesen, Qualitätszirkel, Aufbau eines computergestützten Personalinformati- onssystems), bildungspolitische Maßnahmen (z.B. aufgabenbezogene Aus-, Fort- und Weiterbildung) und stellenbezogene Maßnahmen (z.B. Laufbahnplanung, Erhöhung der Aufgabenvielfalt und Aufgabenanreicherung23). Neben den schon genannten Instrumenten tauchen bei Janning (1994: 244) und bei Naschold (1998: 92 ff) noch die Konzeption von Führungskräfteschulungen, die Schaffung offener Kommunikations- und lernförderlicher Arbeitsstrukturen sowie das Erstellen von Leitbildern auf. Insbesondere hoch qualifizierten Spezialisten, Führungsnachwuchskräften und Führungs- kräften kommen derartige Maßnahmen zugute. Pawlowski & Bäumer (1992, zit. nach Rosenstiel, ebd.) haben versucht die Zielgruppe, die in den Genuss von Personalentwick- lungsmaßnahmen gelangte, empirisch zu erfassen. Der Schwerpunkt lag bei jüngeren männlichen Personen, die über ein hohes Ausbildungsniveau verfügten und sich durch Aufstiegspotenzial und Karrieremotivation auszeichneten. 23 Im Englischen hören sich diese Maßnahmen, die dort als „job enlargement“, „job rotation“ und „job enrichment“ bezeichnet werden, freundlicher an. 72 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei 3.5.1 Personalentwicklung in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung Verschiedene zuvor dargelegte Definitionen von Personalentwicklung lassen die Frage mehr oder weniger unbeantwortet, ob Personalentwicklung mehr den Zielen des Mitarbeiters oder der Organisation bzw., was häufig zu lesen ist, den Zielen beider dienen soll. Im Kapitel 3.3 wurden konträre Logiken privater und öffentlicher Steuerungskonzepte einander gegenüber gestellt. In diesem Kapitel sollen nun unterschiedliche strategische Ausrichtungen von Personalentwicklung in der Wirtschaft am Beispiel der BMW AG und der öffentlichen Verwaltung am Beispiel des Niedersächsischen Innenministeriums beschrieben werden, um eine eindeutigere Positionierung vornehmen zu können. Dabei wird unter anderem herausgearbeitet, dass ein zentraler Wert in der Personalentwicklung, nämlich die „Arbeitszufriedenheit“ der Beschäftigten, in der Wirtschaft viel stärker resultatsorientiert ist, während in der öffentlichen Verwaltung dieser Wert historisch gewachsen, aber in der Zielausrichtung viel komplexeren Bedingungen unterliegt. 3.5.1.1 Ziele der Personalentwicklung bei BMW Die Personalentwicklung bei BMW ist in eine umfassende Personalpolitik eingebettet. Diese dient der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, da sie unterschiedliche Ansätze zur Effizienzsteigerung bietet. Ritter & Reichart & Herrmann (1997: 52 ff) von der BMW AG definieren klar und prägnant: „Eine Effizienzsteigerung kann durch Leistungssteigerung oder Kostenreduzierung erreicht werden. Bei BMW wird die Effizienzsteigerung im wesentlichen über eine Leistungssteigerung erreicht und nicht nur einseitig über eine Verringerung der Kosten, d. h. über die Reduzierung des Personal- aufwands.“ Dabei arbeiten die Autoren zwei wesentliche Erfolgsfaktoren (a.a.O. 50 ff) heraus, die ihres Erachtens den besonderen Erfolg am Markt begründen. Einerseits hat sich BMW nie völlig einem der aktuellen Managementkonzepte wie ISO, TQM, Business Reengineering, Kaizen oder Lernende Organisation verschrieben, sondern das für BMW Passende übernommen, und andererseits betonen die Autoren, dass nicht die Effizienzsteigerungs- programme den Unterschied ausmachen, denn die würden ja von allen durchgeführt. Die wahre Stärke von BMW sehen sie vielmehr darin begründet, dass Managemententscheidungen von allen getragen und umgesetzt, kurzum: gelebt werden. Vor dem Hintergrund eines enorm gestiegenen globalen Wettbewerbdrucks und des ständigen Wandels, entstehen permanente Herausforderungen, die mit zunehmenden Anforderungen an den Einzelnen verbunden sind. So lauten denn die folgenden strategischen Ziele für die Personalentwicklung bei BMW wie folgt: 73 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei „Personalentwicklung trägt zu einem Klima permanenter Veränderungsbereitschaft bei – dabei fördert sie das Denken in Prozessen und Teams statt in Funktionen und Zuständig- keiten. Personalentwicklung entwickelt die Lernbereitschaft, Innovationsfähigkeit, Initiative, Handlungsfähigkeit und das Selbstmanagement der Führungskräfte und Mitarbeiter weiter und fördert den Mut zur Übernahme von Risiko und persönlicher Verantwortung. Personalentwicklung unterstützt die Internationalisierung und die globale Ausrichtung in Denken und Handeln. Personalentwicklung legt besonderen Wert auf die langfristig-strategische Entwicklung von Potenzialen“ (a.a.O. 51). Das Ziel der Personalpolitik bei der BMW AG, nämlich die Steigerung der Leistungsfä- higkeit, der Leistungsbereitschaft und der Leistungsmöglichkeiten der Mitarbeiter wird durch die zuvor erwähnte Verwendung von Kernbegrifflichkeiten wie z.B. „permanente Veränderungsbereitschaft“, „Initiative“, „Selbstmanagement“, „Mut zum Risiko“, „glo- bale Ausrichtung“, „strategische Entwicklung von Potenzialen“ gestützt. Es scheint eindeutig und unmissverständlich, dass es im wirtschaftlichen Kontext um die Zielver- wirklichung des Unternehmens und weniger um die des Mitarbeiters geht. In die gleiche Richtung weisen auch Grundsatzaussagen der Continental AG: „Grundstein für die Perso- nalentwicklung ist die Auswahl des Mitarbeiters. Hier gemachte Fehler sind schwer zu korrigieren. Für den Mitarbeiter kann es Frustration, für das Unternehmen eine teure Fehlinvestition bedeuten“ (Continental, 1991: 7). So erscheint Personalentwicklung in der Privatwirtschaft vor allem als ein Medium zur Steuerung und Förderung von personellen Ressourcen von Unternehmen. Etwas überspitzt ausgedrückt ist die Zufriedenheit der Beschäftigten in der Privatwirtschaft angesichts der harten Konkurrenz und des alles überragenden Ziels, am Markt überleben zu müssen, überwiegend Mittel zum Zweck, denn die höchst relevante Kundenperspektive entscheidet letzten Endes über Erfolg oder Untergang eines Unternehmens. Dass Unternehmen mit zufriedenen und deshalb hoch engagierten Mitarbeitern einen höheren Gewinn erzielen, ist auch das Ergebnis einer Studie zur Mitarbeiterbindung in Europa des US-Instituts International Survey Research (ISR), bei der 360.000 Arbeitnehmer befragt wurden. Mitarbeiter zeigen der Studie zufolge eine überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft, sofern ihnen eine kluge Unternehmensführung begegnet, „die klare Ziele vorgibt und umfassend kommuniziert, die Potenziale fördert und Spielraum für Entscheidungen anbietet“. In den vergangenen Jahren erzielten Firmen mit zufriedenen Beschäftigten Gewinnsteigerungen von durchschnittlich 2 Prozent, während Unternehmen mit schlechter Führung und daher wenig motivierter Belegschaft im Schnitt um 1,5 Prozent sinkende Gewinne hinnehmen mussten. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter sei ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, lautet das Fazit der Studie (vgl. Hannoversche Allgemeine, 02.11.2002: III/1). Letztendlich lässt sich mit Jacobs et. al. (2004: 50) konstatieren: „Wenn die Arbeitszufriedenheit der Belegschaft dazu dient, besser, kundenfreundlicher, schneller, kostengünstiger, profitabler zu produzieren, kümmert man sich um sie. Dient sie 74 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei dem nicht, müssen Gewerkschaften und Betriebsräte oft hart dafür kämpfen, dass sie nicht unter die Räder kommt.“ Die eindeutige Priorisierung unternehmerischer Ziele soll aber nicht heißen, dass Zielvor- stellungen der Mitarbeiter unberücksichtigt bleiben müssen. Einerseits legt das Unternehmen erheblichen Wert darauf, für die Bewältigung gegenwärtiger und künftiger Anforderungen Mitarbeiter zu qualifizieren. Andererseits ist es das Interesse der Mitarbeiter, diesen Anforderungen gewachsen zu sein, um bei der Arbeit höhere Befriedigung zu erleben, Erfolge zu haben, das eigene Ansehen und die eigenen Karriere- chancen im Unternehmen zu verbessern und im Falle eines Verlassens des Unternehmens die eigenen Arbeitsmarktchancen zu steigern (vgl. Rosenstiel, 1999: 101). 3.5.1.2. Ziele der Personalentwicklung im Niedersächsischen Innenministerium Das niedersächsische Innenministerium arbeitet mit folgender Definition von Personal- entwicklung: „Personalentwicklung (PE) ist die systematische Gestaltung von Prozessen, die es ermöglicht, das Leistungs- und Lernpotential der Beschäftigten zu erkennen, zu erhalten und in Abstimmung mit dem Verwaltungsbedarf verwendungs- und entwicklungsbezogen zu fördern24“ (a.a.O. 1997: 19). Dabei ist es Aufgabe der Personal- entwicklung, „die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Anforderungen der Verwaltung an größere Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit sowie Kunden- und Dienstleistungsorientierung so weit wie möglich in Übereinstimmung zu bringen. Eine systematische Fortbildung, Stärkung der Flexibilität und Eigenverantwortung sowie ein kooperativer Führungsstil sind wichtige Elemente zur Zielerreichung. Personalentwick- lung muss darüber hinaus die persönlichen Entwicklungsperspektiven aufzeigen“ (a.a.O. 1999: 7 Hervorhebung im Original). Dabei sind Ziele einer systematischen Personalentwicklung insbesondere „die Steigerung von Motivation und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten durch die Vereinbarung von Arbeitszielen bei Stärkung der Eigenverantwortung, die Förderung beruflicher Entfaltung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, stärkere Fortbildung einschließlich erhöhter Lern- und Problemlösefähigkeit und neuer Inhalte wie beispielsweise Kenntnisse der Verwal- tungs-, Betriebswirtschaftslehre, Erhöhung der Flexibilität und Mobilität sowie eine verbesserte Auswahl und Entwicklung der Führungskräfte“ (a.a.O. 1997: 20). 24 Die Definition von Personalentwicklung ist deckungsgleich mit der Definition der KGSt, die da lautet: „... systematisch gestaltete Prozesse, die es ermöglichen, das Leistungs- und Lernpotenzial von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erkennen, zu erhalten und in Abstimmung mit dem Verwaltungsbedarf verwendungs- und entwicklungsbezogen zu fördern“ (KGSt, 1996: 8). 75 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Sprache, Inhalt und Diktion unterscheiden sich von den Zielen der Personalentwicklung bei BMW. Das Innenministerium arbeitet mit Kernbegriffen wie „Steigerung von Motivation“, „Stärkung der Eigenverantwortung“, „Förderung beruflicher Entfaltung“, „Verbesserung der Arbeitsbedingungen“, „stärkere Fortbildung“ etc. Vordergründig könnte man annehmen, Personalentwicklung im Geschäftsbereich des Niedersächsischen Innenministeriums diene den Mitarbeiterzielen, denn viele der benannten Ziele drehen sich um den einzelnen Mitarbeiter und die Erhöhung seiner Qualifikation. Erst in der Kombination mit der zuvor genannten Definition und Aufgabe von Personalentwicklung ist zu erfahren, dass es um Zielkongruenz geht, denn es ist einerseits vom Erkennen des Leistungspotenzials der Beschäftigten die Rede, das mit dem Verwaltungsbedarf abge- stimmt werden soll, andererseits sollen die Interessen der Mitarbeiter mit den Anforderungen der Verwaltung in größtmögliche Übereinstimmung gebracht werden. Überspitzt formuliert lautet die Zielkongruenz: Rundum zufriedene und hoch motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schaffen eine effektive und effiziente Landesverwaltung. Einerseits wird an diesem Beispiel deutlich, dass die Bedeutung, die der Befindlichkeit und Zufriedenheit der Belegschaft im öffentlichen Dienst zukommt, sich fundamental von der Privatwirtschaft unterscheidet: Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, das Alimentati- onsprinzip25 und das nicht auf arbeitsvertraglichen Regelungen, sondern auf einem öffentlich-rechtlichen Pflicht- und Treueverhältnis basierende Verhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten, wie es in den „hergebrachten Grundsätzen des Be- rufsbeamtentums“ artikuliert wird, gehören zum wesentlichen Selbstverständnis der staatlichen Exekutive. Von daher ist die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst „ein historisch gewachsener und politisch gewollter Teil des Selbstverständnisses der Organisation“ (Jacobs, et. al. 2004: 50). Andererseits ist ernstlich zu fragen, ob denn die dargelegte Zielkongruenz mit gleicher Intensität verfolgt werden kann oder ob es sich hier nicht um begriffliche Verwirrspiele handelt. Die Zielkongruenz erinnert an die „eierlegende Wollmilchsau“: Optimale Ar- beitsbedingungen und erstklassige Fortbildungsmöglichkeiten erzeugen hoch motivierte Mitarbeiter, die unentwegt an der Wertschöpfung der öffentlichen Verwaltung arbeiten, im Sinne einer gesteigerten Effizienz und Effektivität. Es mag sein, dass die Zielkongruenz auf der zuvor genannten hohen Abstraktionsebene noch bestehen kann, da es an einer 25 Das Alimentationsprinzip (geregelt im Art. 33 Abs. 5 GG) bezeichnet in Deutschland die Verpflichtung des Dienstherrn, Beamten während des aktiven Dienstes, bei Invalidität und nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst aus Altersgründen einen angemessenen Lebensunterhalt zu zahlen (gemessen am letzten oder einem früheren Amt). Dies beinhaltet auch die Versorgung von Angehörigen. Die Beamten des öffentlichen Dienstes erhalten kein Entgelt für einzeln geleistete Arbeiten, sondern eine Gegenleistung für die Bereitstellung ihrer Arbeitskraft dem Staat gegenüber (http://www.definitionen- info.de/Alimentationsprinzip.html). 76 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei relevanten Kundenperspektive fehlt. Auch sind die zuvor erwähnten Ziele der Mitarbeiter und der Verwaltung auf dieser Ebene wenig operationalisiert und für niemanden schmerz- haft. Ähnlich verhält es sich mit Werten. Diese werden in Kommunikationsprozessen erst dann strittig, wenn Konkretisierungen anstehen, wenn es darum geht, sie in Normen und Programme zu übersetzen und darum, bestimmten Personen ein entsprechendes Handeln zuzumuten. Die Notwendigkeit von Personalentwicklung im Sinne eines Handlungsbedarfs wird eher auf niedrigerem Abstraktionsniveau erfahrbar. So hat sich Soetbeer (1996) aus der Sicht eines Personaldezernenten einer Bezirksregierung mit Anspruch und Wirklichkeit „erlebter“ Personalentwicklung auseinandergesetzt. Seine Kritik verdeutlicht die Sichtweisen und Vorstellungen von „Leitung“, einer wesentlichen Bezugsgröße innerhalb einer bürokratischen Organisation. Einige seiner Befunde seien hier in Kurzform gebracht: Personalauswahl und Dienstpostenbesetzung26 erfolgen in aller Regel einzelfall- und an- lassbezogen. Sie sind selten Ergebnis eines langfristigen Entwicklungs- und Planungsprozesses. Führungskräftenachwuchs wird nicht gezielt „herangebildet“, sondern mehr oder weniger zufällig im Zuge von Ausschreibungen und Bewerbungen für Lauf- bahnwechsel und Dienstpostenbesetzung schlichtweg als solcher akzeptiert – oder auch nicht. Die verwendeten Auswahlverfahren sind eher Notlösungen, die mehr den formalen Anforderungen zu genügen haben, als tatsächlich geeignete Basis für Personalentscheidungen zu sein. Dazu trägt in erheblichem Maße die Unbrauchbarkeit vorliegender „dienstlicher Beurteilungen“ bei, die selten ein reales Bild von der Leistungsfähigkeit und dem Leistungspotenzial der Mitarbeiter abgeben. Eine Qualifikation für die Übernahme bestimmter Aufgaben (Sachbearbeiter oder Führung) erfolgt in aller Regel erst nach Übernahme der Funktion. Als Voraussetzung für die Übernahme herausragender Funktionen wird allenfalls eine entsprechende Eignungsprognose erwartet. Der Nachweis bestimmter Fähigkeiten wird nicht vorausgesetzt. Einmal getroffene Auswahlentscheidungen werden kaum jemals korrigiert, auch nicht, wenn sie sich als in der Sache falsch erwiesen haben. Mangelnde Kommunikation und schlechte Informationsflüsse sind bekannt und werden beklagt. Es werden komplexe Melde- und Berichtswege geschaffen, die aber nicht das schaffen können, was notwendig wäre: aus Verständnis für die Sache und die 26 Dienstposten bezeichnen eine „Stelle“ im organisatorischen Sinne. Somit enthält eine „Dienstpostenbeschreibung“ die organisatorisch wichtigen Informationen über die Stelle: Bezeichnung der Stelle, organisatorische Einordnung in die Hierarchie, Aufgaben und Befugnisse; da diese Beschreibung häufig zugleich für die tarifrechtliche Einordnung der Stelle verwendet wird, enthält sie i. d. R. auch die wesentlichen Anforderungen an den Stelleninhaber (vgl. www.olev.de/Dienstposten). 77 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Aufgabenwahrnehmung anderer Sachbereiche im richtigen Moment selbst gewonnene Informationen eigenständig an die richtigen Adressaten zu steuern. In Zeiten immer komplexerer Problemstellungen für Führungskräfte und eines immer stärkeren Strebens aller Mitarbeiter nach Handlungsspielräumen und Verantwortungskorridoren reduziert sich die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Ziel- und Entscheidungs- findung im Wesentlichen immer noch darauf, die in unipersonaler Entwicklung entstandenen Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und umzusetzen. Anspruch und Wirk- lichkeit klaffen sehr weit auseinander, so lautet das Resümee von Soetbeer. Auffällig ist, dass die vorherige Ist-Diagnose (und eine evtl. davon abzuleitende Zielver- wirklichung) weniger mitarbeiter-, sondern eher „unternehmensorientiert“ ist. Pragmatisch werden Missstände benannt und Veränderungen von Strukturen und Prozessen angemahnt. Die Zustandsbeschreibung ließe eine Ableitung von strategischen Veränderungszielen zu. Ein daraus abzuleitender Maßnahmenkatalog würde die bürokratische Organisation Polizei gehörig durcheinander rütteln. Die Diffusität und Unklarheit recht nebulöser, zielkongruenter Vorstellungen seitens des Innenministeriums wird auf der von Soetbeer benannten niedrigeren Abstraktionsebene griffig (da sie nicht zielkongruent ist), doch bleibt unklar, ob das, was auf der unteren Ebene als Veränderungsbedarf markiert wird, auf der Entscheiderebene auch gewollt ist bzw. ob Personalentwicklung hier die ausreichenden Instrumente liefert. Wenn z.B. Soetbeer feststellt, dass „eine langfristige, perspektivische, den Vorstellungen und vor allem den Fähigkeiten der Mitarbeiter entsprechende Personalplanung nicht statt- findet“, so steht diesem Anspruch die implizite Norm der gelebten Organisationskultur gegenüber, die lautet: „Eine gute (retrospektive) Leistungsbeurteilung27 ist Voraussetzung für weitere Karriereschritte; wer einen höherwertigen Dienstposten anstrebt, muss in Kauf nehmen, dass dieser vielleicht nicht seinen Stärken entspricht“ (Pennig & Böning, 2000: 19). Es ist nach dieser Logik wenig hilfreich, eigene Potenziale im Hinblick auf angestrebte Funktionen gezielt weiterzuentwickeln. Wichtiger sind kurzfristige Flexibilität und An- passungsfähigkeit bezüglich sich ergebender Aufgabenfelder. Ob hier Personalentwicklung die notwendigen Einstellungsveränderungen entscheidend mit beein- flussen kann bzw. die Personalentwicklung über politische „Lippenbekenntnisse“ hinaus 27 Beurteilung der Leistung von Mitarbeitern in der Vergangenheit, also insbesondere der Ergebnisse und der Art und Weise, wie sie erreicht worden sind und wie sich der Mitarbeiter gegenüber Kunden/Bürgern, seinen Vorgesetzten, Kollegen und ggf. Untergebenen verhalten hat (vgl. www. olev.de/Leistungsbeurteilung). 78 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei in den entsprechenden Feldern mit geringfügigem oder starkem Wirkungsgrad implemen- tiert wird, soll bei der Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse herausgearbeitet werden. 3.6 Zusammenfassung Bei dem Versuch einer Verortung der Polizei zwischen den wesentlichen gesellschaftlichen Einflussgrößen Politik und Justiz hat sich dieses Hauptkapitel vornehmlich mit widersprüchlichen System- und Handlungslogiken auseinander gesetzt. Dabei wurde zu Beginn herausgearbeitet, dass eine konturiertere Verortung der Polizei insofern außerordentlich diffizil erscheint, als Anfang und Ende der ureigenen Hand- lungsspielräume der Polizei ausgesprochen schwierig zu bestimmen sind. Polizeiliches Handeln ist im Wesentlichen fremdbestimmt. Den vielfältigen, komplexen Anforderungen, Situationen und Umständen begegnet die Politik mit einer Überreglementierung. Die starke Prägung der Polizei durch Gesetze, Normen und Regeln findet in der bürokratischen Organisationsform der Polizei ihre Entsprechung. Die zentrale Mission der Polizei, das rechtstaatliche Handeln, prägt in erheblichem Maße deren innere Funktionsweise, was wiederum Paradoxien und Dilemmata generiert, z.B. zwischen Ver- rechtlichung und Handlungsflexibilität. Dabei kann das Recht die vielfältigen Anforderungen und Erfordernisse für polizeiliches Handeln weder festlegen noch adäquate Rezepte dafür bereithalten, wie ihnen zu entsprechen ist, es kann allenfalls pauschale Vorgaben liefern. Die Organisationskultur der Polizei ist geprägt durch Regelorientierung, Fehlerfreiheit und formale Beziehungsgestaltung, wobei die Polizeikultur, die von Bürokratie- und Verfahrensförmigkeit beherrscht wird, einer Polizistenkultur gegenübersteht, die sich durch nicht bürokratieförmige Handlungsmuster auszeichnet. Deutlich wird dabei ein ausgeprägtes, in sich stimmiges und sich durch Abgrenzung konsistent haltendes System von Grundannahmen, Werten, Verhaltensnormen, Selbst- und Beziehungsverständnissen, die sich im alltäglichen Organisationshandeln kontinuierlich reproduzieren und der Organisation Polizei eine außergewöhnliche Stabilität verleihen. Hier konstituiert sich eine Logik des Systems, die einerseits veränderungsresistente Züge aufweist, andererseits von der Politik zum Wandel gezwungen wird. Der „schlanke Staat“ macht angesichts der Finanznot der öffentlichen Haushalte auch vor der Polizei nicht Halt, „neue Steuerungsmodelle“ halten Einzug. Die traditionell zent- ralistische, hoch arbeitsteilige, durchhierarchisierte und hoheitliche Verwaltungsorganisation soll in eine produktorientierte und im Rahmen von Zielvereinba- rungen weitgehend autonome, dezentral gegliederte und unternehmensähnliche Organisation umgebaut werden. Dieser geforderte Reformprozess impliziert auch einen zu bewältigenden Kulturwandel. Der hoheitliche Vollzugsapparat soll sich in Richtung „Dienstleister“ entwickeln. Während die Qualität des hoheitlichen Vollzugs im strengen 79 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Einhalten der Regeln liegt, so ist die Qualität von Dienstleistern im Allgemeinen durch eine flexible, differenzierte und individualisierte Kundenorientierung gekennzeichnet. Gerade diese widerspricht aber dem tradierten Selbstverständnis der Verwaltung. So lassen sich weitere bedeutsame konträre Logiken privater und öffentlicher Steuerungskon- zepte auf allen wesentlichen Management- und Steuerungsebenen finden. Die gravierenden Unterschiede beziehen sich dabei auf die wesentlichen Entscheidungsgrößen und Parameter (Entscheidungsgewalt, Gestaltungsräume, Wirtschaftlichkeit, Zielsysteme, Normbindung, Leistungs- und Gehaltsbemessung, Kundenorientierung) und auf den Pro- duktbegriff. Zusammenfassend lässt sich konstatieren: Organisation, Personal und Budget findet der öffentliche Manager nicht als Instrumente, sondern als Begrenzungen seines Handelns vor, was deutlich macht, wie beträchtlich und fundamental die Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Managementkonzepten sind. Dabei gilt es, dass in den Reformprozessen, den aus Strukturdifferenzen entstehenden Transferproblematiken bei der Ausgestaltung und Implementierung der neuen Instrumente und Praktiken durch spezifische, den Rahmenbedingungen der öffentlichen Verwaltung entsprechende Modifikationen zu begegnen. Das von der KGSt für die Kommunen entwickelte NSM reklamiert, diesem Anspruch gerecht zu werden. Im Rahmen einer klaren Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung soll in Form von Zielvereinbarungen, durch dezentrale Ressourcen und persönliche Ergebnisverantwortung eine Outputsteuerung in Form von Produktdefinition, Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung und Qualitätsmanagement erzeugt werden. Einerseits soll dabei der Rolle der Personalentwicklung im Reformprozess eine erhebliche Bedeutung zukommen, denn die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sollen nicht länger als Kostenfaktor, sondern als das wesentliche Leistungspotenzial begriffen werden. Führungskräfte bedürfen im NSM umfassender Schulungen. Sie sollen lernen, sich in der Rolle des „Enablers“ (des Befähigers) ihrer Mitarbeiter zu begreifen. Andererseits ist zu konstatieren, dass die bisherigen Erfahrungen mit dem NSM die Anwendung und Ausformung der betriebswirtschaftlichen Elemente in den Vordergrund stellen und weniger die Personal- und Organisationsentwicklung. In Bezug auf das Land Niedersachsen ist die Einführung des NSM stark an das KGSt angelehnt. Die Einführung in die öffentliche Verwaltung, und hier insbesondere in den Geschäftsbereich des Niedersächsischen Innenministeriums, geschieht zu einem Zeitpunkt, wo die Auswirkungen der zuvor durchgeführten Polizeireform noch nicht verarbeitet sind. Im Rahmen dieser Polizeireform wurde die Organisationsstruktur der niedersächsischen Polizei durch die Einführung der zweigeteilten Laufbahn, die weitge- hende Zusammenführung von Schutz- und Kriminalpolizei, veränderte Laufbahnzugänge und die Novellierung des Beurteilungswesens grundlegend verändert. Der niedersächsische Weg der Verwaltungsreform und der „Neuen Steuerung“ orientiert sich an einem Leitbild, das eine bürgernahe, leistungsorientierte und wirtschaftliche 80 3. Politik und Justiz als wesentliche Einflussgrößen auf die Polizei Verwaltung anstrebt und das erfolgreiche Arbeiten mit den Neuen Steuerungsinstrumenten (NSI) vorsieht. In Niedersachsen konzentriert man sich dabei auf die Elemente Leistungsbeschreibung und Produktbildung, Delegation und Dezentralisierung von Zuständigkeiten und Kompetenzen, Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung, Controlling und strategische Aufgabenplanung. Durch die modellhafte Geschlossenheit der Darstellung, wie z.B. durch das niedersächsische „Reform-Rad“, wird im Sinne einer Systemlogik ein zwingender, eigentlich gar nicht anders zu bewerkstelligender Zusammenhang zwischen identifizierten Organisationsmängeln und Defiziten sowie zwischen notwendigen Konzepten, Instrumenten und Maßnahmen einerseits und den angeblich dadurch gewährleisteten Zielerreichungen andererseits hergestellt. Reform ist dann die Reparatur einer defekten Maschine, in diesem Falle des „Verwaltungsapparats“. Obwohl auch im niedersächsischen Modell die Effektivitäts- und Effizienzkriterien der betriebswirtschaftlichen Instrumente und Techniken im Vordergrund stehen und eine grundlegende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen zwischen öffentlicher Verwaltung und der Privatwirtschaft nicht stattfindet, wird der systematischen Personalentwicklung eine starkes Gewicht eingeräumt, denn die Förderung personalentwicklerischer Kompetenzen gilt als eine der wichtigsten Aufgaben der Verwaltungsreform. Vom Grundtenor her wird der Personalentwicklung eine befreiende Funktion zugeschrieben, denn sie soll eine intrinsische Motivation bei den Mitarbeitern freisetzen und aus alter, bürokratischer Überregulierung und hierarchischer Abhängigkeit befreien. Im Rahmen einer Qualifizierungsoffensive, insbesondere der Führungskräfte, werden die Ressorts aufgefordert, systematische PE-Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen. Da die vielfältigen Definitionen von Personalentwicklung unklar lassen, ob Personalent- wicklung mehr den Zielen des Mitarbeiters, der Organisation bzw. den Zielen beider dienen soll, wurden die unterschiedlichen strategischen Ausrichtungen von Personalentwicklung in der Privatwirtschaft am Beispiel der BMW AG, und in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel des Geschäftsbereiches des Niedersächsischen Innenministeriums einander gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung verdeutlicht, dass sich die Ziele der Personalentwicklung im pri- vatwirtschaftlichen und im öffentlichen Kontext in Sprache, Diktion und Inhalt voneinander unterscheiden. Lassen sich im öffentlichen Sektor noch Zielkongruenzen durch die Überlagerung von Zielen der Mitarbeiter und der Organisation feststellen, so erscheint die strategische Ausrichtung der Personalentwicklung in der Privatwirtschaft eindeutiger und unmissverständlicher auf den Unternehmenserfolg ausgerichtet. Zweck- Mittel-Abwägungen wirken einfacher und sind mit weniger Unsicherheiten behaftet, im komplexen öffentlichen Bereich dagegen vager und ungenauer, was mit der größeren Anzahl von Zielkonflikten bzw. der gleichzeitigen Beschäftigung mit zum Teil widersprüchlichen Zielen im öffentlichen Bereich zusammenhängt (vgl. auch Kapitel 81 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand 3.3.2). Eine langfristige, perspektivische und den Vorstellungen der Mitarbeiter entsprechende Personalplanung kollidiert mit der gelebten Organisationskultur, in der kurzfristige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit im Hinblick auf sich ergebende Aufgabenfelder erfolgversprechender erscheinen, sodass die Stärken des Bewerbers mit den Anforderungen des angestrebten höherwertigen Dienstposten nicht unbedingt deckungsgleich sind. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die unterschiedlichen System- und Handlungslogiken von privaten und öffentlichen Steuerungskonzepten erheblich sind. Die politisch verordneten Wandelerfordernisse und Neuausrichtungen der öffentlichen Verwaltung gehen weit über eine Veränderung der Oberflächenstruktur hinaus. Dabei ist deutlich geworden, dass die Wandelbemühungen nur dann erfolgreich sein können, wenn die kulturelle Tiefenprogrammierung der Polizei als Teil der öffentlichen Verwaltung berührt wird. Es wird in dem darzulegenden Reformprozess „Führungskräfte als Personalentwickler“ immer wieder zu fragen sein, welche Rahmenbedingungen, Methoden und Praktiken hier zielführend sein bzw. im gegenteiligen Sinn dafür sorgen, dass der verordnete Wandel ein Oberflächenphänomen bleibt. 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand In Kapitel 2 erfolgte die Darstellung der staatlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedin- gungen, in welche die Polizei als Teil der öffentlichen Verwaltung eingebettet ist. Kapitel 3 befasste sich mit der Beschreibung der wesentlichen Parameter und Einflussgrößen, inklusive ihrer Widersinnigkeiten im Sinne der Darstellung maßgeblicher System- und Handlungslogiken von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung. Herausgearbeitet wurde dabei eine ambivalente, widersprüchliche, nur in Teilen konturiertere Verortung der Polizei innerhalb der gesellschaftlichen Subsysteme. Nun soll in diesem Kapitel die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der empirischen Forschung erfolgen. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: Begonnen wird in den Folgekapiteln 4.1 ff mit der Darstellung der Zielformulierung der Qualifizierungsmaßnahme, um im Anschluss daran den Weg zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs der Zielgruppe im Vorfeld der Maßnahme darzulegen. Dann wird geschildert, wie diese Ergebnisse in die Konzeption eingeflossen sind und die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Seminarbausteine geklärt. Aus Gründen der Darstellungslogik wird die konzeptionelle Grobausgestaltung der Seminarbausteine mit der inhaltlichen Feinabstimmung, also der Form, in der die Seminarbausteine tatsächlich durchgeführt worden sind, gemeinsam abgehandelt. Auf das Zusammenspiel der beteiligten Akteure, die mit der Durchführung der Maßnahme betraut waren, wird ebenfalls eingegangen. 82 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Danach werden in den Kapiteln 4.2 ff der Forschungsauftrag und die eingesetzten Untersuchungsinstrumente beschrieben. Der hier darzustellende, im Wesentlichen qualitative Forschungsansatz wird durch den Autor, einem internen Forscher, der als Angehöriger des Sozialwissenschaftlichen Dienstes (SWD) im Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen (BIP NI) beschäftigt ist, geleistet, was Vor- und Nachteile in Bezug auf die Bearbeitung des Forschungsgegenstandes hat. Diese müssen erörtert und diskutiert werden. In den Kapiteln 4.3 ff wird auf Unterschiedlichkeiten qualitativer und quantitativer Erhe- bungsinstrumente eingegangen, um dann ab Kapitel 4.5.1 auf das problemzentrierte Interview als Forschungsmethode einzugehen. Ab Kapitel 4.5.2 werden die systematischen Auswertungsschritte im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse erläutert. 4.1 Ziele der Qualifizierungsmaßnahme Der Führungskräfteentwicklung kommt bei der Förderung personalentwicklerischer Kom- petenzen eine vorrangige Rolle zu. Daher soll nach Auffassung der Niedersächsischen Landesregierung mit einer breit angelegten Führungskräfte-Fortbildung ein besseres Management und insbesondere ein zeitgemäßes Führungsverhalten angestrebt werden (Kapitel 1; Kapitel 3.4.3). Diese Grundgedanken waren zwar bereits Bestandteil der Polizeireform (Kapitel 3.4.1), doch wurden sie durch das von der Landesregierung beschlossene Personalentwicklungs-Rahmenkonzept und die hierin verankerten Grundsätze28 vom Februar 1997 inhaltlich fortgeführt. Des Weiteren wurden die Ressorts in diesem Rahmenkonzept beauftragt, Mitarbei- ter/Vorgesetzten-Gespräche (MVG) in ihrem Geschäftsbereich stufenweise einzuführen. Dabei wurde eine flächendeckende Einführung bis Ende 1999 angestrebt. Systematische PE-Konzepte sollen in den Ressorts erarbeitet, Mitarbeiterbefragungen durchgeführt und im Rahmen der Personalauswahl soll das Eignungsverfahren (Assessment-Center (AC) als diagnostische Methode von den Ressorts künftig bei Neueinstellungen für den höheren Dienst und bei der Besetzung von herausgehobenen Führungspositionen (ab Besoldungsgruppe A 15/A 16) „häufiger als bisher genutzt werden“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 2 ff). 28 Die 10 Grundsätze zur Personalentwicklung in der niedersächsischen Landesverwaltung lauten: 1. Die Landesverwaltung muss zukunftsfähiger werden; 2. Beschäftigte sind entscheidender Erfolgsfaktor; 3. Ziele von PE sind im Interesse von Arbeitgeber und Beschäftigten; 4. Erfolgreiche PE erfordert Rahmenbedingungen; 5. Modernisierung nur mit PE; 6. Bestehendes und Neues zu systematischer PE ausbauen; 7. PE ist elementare Führungsaufgabe; 8. Frauenförderung – Integraler Bestandteil von PE; 9. Land als sozialer Arbeitgeber; 10. Beschäftigte werden beteiligt. 83 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Als Teil eines noch für die Polizei des Landes Niedersachsen zu erstellenden PE-Gesamt- konzeptes sollte im Sinne des Kabinettsbeschlusses ein Konzept für die Fortentwicklung von Führungskräften erstellt werden, die als Personalentwickler ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch beispielhaftes, kooperatives Führungsverhalten motivieren und in ihren Leistungsstärken fördern. Dabei stellt die Landesregierung heraus, dass „ein effizienter Personaleinsatz, der sich am künftigen Verwaltungsbedarf auszurichten hat, die Beseitigung von Hemmnissen29 bei der Arbeitsproduktivität30 [erfordert]“ (Hervorhebungen im Original, a.a.O. 3). Wie in den Kapiteln über unterschiedliche strategische Ausrichtungen in der Privatwirt- schaft und in der öffentlichen Verwaltung bereits diskutiert wurde, ist Steuerung überhaupt nur dann möglich, wenn Klarheit über die anzustrebenden Ziele besteht. Für die Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ galten die folgenden Zielvorgaben: Die Teilnehmer sollten in ihren Organisationen die Rolle übernehmen, PE-Instrumente zu modernisieren und in ihrem Bereich so umzusetzen, dass Veränderungen für die Mitarbeiter erlebbar werden. Außerdem sollte die Einführung der Instrumente des NSM- Steuerungsmodells durch das Erkennen und Bearbeiten von Veränderungswiderständen sowie die Weiterentwicklung des Rollenverständnisses der Führungskräfte personalent- wicklerisch vorbereitet und unterstützt werden. Zukünftig sollen die Führungskräfte ihren Organisationen als Multiplikatoren für Personal- und Organisationsentwicklung zur Verfügung stehen (vgl. Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, Redaktionsgruppe, 1997 b: 1 ff). Die Begrifflichkeiten der Zielvorgabe erscheinen auf den ersten Blick mehrdeutig, nebulös und inoperational. Wie sind diese allgemein gehaltenen Aussagen zur „Modernisierung“ von PE-Instrumenten und die Umsetzung in den entsprechenden Bereichen gemeint, so dass „Veränderungen für die Mitarbeiter erlebbar werden?“ Wie sollen die Verände- rungswiderstände „erkannt und bearbeitet werden?“ In welchem Umfang und mit welcher Zielrichtung soll sich die „Multiplikatorenfunktion“ der auszubildenden Personalentwick- ler gestalten? 29 Als Hemmnisse werden u. a. benannt: Der Personalbedarf ist nicht genügend transparent, die Führungseignung bei der Besetzung von Stellen spielt eine untergeordnete Rolle, die Beschäftigten haben zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten, der Krankenstand ist teilweise zu hoch. 30 Gelänge es beispielsweise, den Krankenstand – ausgehend von den 183.500 (ungeteilten) Stellen in der Landesverwaltung – um einen %-Punkt (bei einer durchschnittlichen Krankheitsquote von 6,33 % bzw. 13,75 Arbeitstagen mit Fehlzeiten pro Person und Jahr) zu senken, so entspräche dies umgerechnet ca. 1.588 Stellen bzw. einem rechnerischen Wert von mehr als 111 Millionen DM jährlich (ebd. 3 ff). 84 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Fragen über Fragen, die in den Zielformulierungen keine weiteren Ausführungen und Ausdifferenzierungen finden, was bedeuten könnte, dass mitunter gerade unpräzise Vor- gaben ihren Sinn haben, weil sie den Vollzugsakteuren Handlungsspielräume lassen, die angesichts ungesicherter Wirkungsanalysen und unvorhersehbarer Ereignisse eine größere Flexibilität ermöglichen. Auch ist erkennbar, dass weder politische Zielsetzungen noch die Instrumente, mit denen sie erreicht werden sollen, klar und eindeutig sind, sondern in erster Näherung vielmehr als zweideutig, instabil und diffus charakterisiert werden können. So mag es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, dass der Konzeption des Programms eine systematische Bedarfsanalyse mit der potenziellen Zielgruppe im Rahmen von Informationsveranstaltungen, Besprechungen und Workshops vorausging. Die Vorgehensweise zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs soll im Folgenden detailliert dargelegt werden, weil auf den Ergebnissen große Teile der Konzeption, der Struktur und der Inhalte der Maßnahme aufbauen. 4.1.1 Die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs Die Vorbereitungsphase der Qualifizierungsmaßnahme umfasste den Zeitraum Mai 1997 bis Oktober 1997. In dieser Phase wurden die zukünftigen personalentwicklerischen Auf- gaben, die Rollenverteilung zwischen den Organisationseinheiten und Führungsebenen, die damit verbundenen fachlichen, sozialen und persönlichen Anforderungen sowie der Qualifizierungsbedarf erarbeitet und mit den übergeordneten Zielen der Verwaltungsre- form abgeglichen. Die folgende chronologische Zusammenstellung basiert auf Rahmenkonzepten, Beschlussvorlagen, Info- und Arbeitsblättern sowie auf Sitzungs-, Konferenz- und Ergebnisprotokollen von Workshops und Arbeitssitzungen31. PE-Workshop Mai 1997 Die leitenden Beamten der niedersächsischen Polizei haben im Personalentwicklungs- workshop im Mai 1997, unter Moderation des PE-Fachberaters, in einem ersten Prozessschritt Arbeitsschwerpunkte für ein PE-Gesamtkonzept sowie Rahmenvorgaben für ein Qualifizierungsprogramms für Personalentwickler festgelegt. Dazu wurden in 3 Arbeitsgruppen an vier Leitfragen gearbeitet und die Ergebnisse visualisiert und diskutiert. Die vier Leitfragen lauteten: 31 Eine gesonderte Ausweisung der Quellen erfolgt nicht, da es sich fast ausschließlich um Arbeits- und Konzeptionspapiere des Niedersächsischen Innenministeriums bzw. des Bildungsinstituts der Polizei handelt, die wiederum gekürzt und zusammengefasst werden mussten. 85 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand ♦ Frage 1+2) Welche Stärken bzw. Schwächen zeichnen die Personalentwicklung in der niedersächsischen Polizei aus? ♦ Frage 3) Wie sollte Personalentwicklung im Jahr 2005 idealerweise verwirk- licht/implementiert sein? ♦ Frage 4) Welche Projektziele oder Projektebenen sollten 1998/1999 als Einstieg in eine umfassende Personalentwicklung gewählt werden? Es wurde ausgehend von den Antworten auf diese Leitfragen der Auftrag erteilt, diese Rahmenvorgaben zu einer Konzeption auszuarbeiten. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Vertretern der Polizeibehörden und -einrichtungen und des Niedersächsischen Innenministeriums wurde hierzu ein Workshop unter Beteiligung aller Polizeibehörden und -einrichtungen und des Innenministeriums durchgeführt, dessen Vorgehensweise und Ergebnisse im Folgenden dargelegt werden. PE-Workshop zur Erarbeitung des Qualifikationsbedarfs im Juni/Juli 1997 In der Zeit vom 30.06.–02.07.1997 wurde dieser Workshop zwecks Erstellung eines Konzeptes zur Qualifizierung von „Personalentwicklern“ unter Beteiligung aller Polizei- behörden und -einrichtungen und des Innenministeriums durchgeführt. An diesem Workshop haben 36 Funktionsträger, vornehmlich aus dem höheren Dienst, teilgenommen. Insgesamt 17 spätere Teilnehmer an der zweijährigen Qualifizierungsmaßnahme waren aktiv in diesen Workshop involviert. Sämtliche Arbeitsschritte wurden in organisationsbezogenen Arbeitsgruppen durchgeführt: ♦ Eine Arbeitsgruppe mit Personaldezernenten aus den Behörden32 und Einrichtungen ♦ Eine Arbeitsgruppe mit Führungskräften aus den Einrichtungen33 ♦ Eine Arbeitsgruppe mit Führungskräften aus den Polizeiinspektionen (PI) 34 32 Polizeibehörden sind: 1. das Landeskriminalamt, 2. die 4 Bezirksregierungen (Braunschweig, Hannover, Lüneburg, Weser-Ems), 3. die 2 Polizeidirektionen (Städte Hannover, Braunschweig) und 4. die vom Innenministerium durch Verordnung bezeichneten Polizeidienststellen (§ 87 (2) Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz vom 04.03.1998). 33 Polizeieinrichtungen sind das Bildungsinstitut der Polizei, die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege -Fachbereich Polizei-, das Polizeiamt für Technik und Beschaffung und die Landesbereitschaftspolizei. 34 Insgesamt gibt es in Niedersachsen 51 Polizeiinspektionen (PI), die den Bezirksregierungen und der Polizeidirektion Hannover zugeordnet sind. Polizeiinspektionen treffen als Führungs- und Einsatzdienststelle 86 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand ♦ Eine Arbeitsgruppe mit den Polizeikommissariaten (PK)35. Ziel dieses organisationsbezogenen Splittings war es, die verschiedenen Perspektiven der Arbeitsgruppen präzise und ohne Redundanzen herauszuarbeiten. Die Vorgehensweise lässt sich am besten in chronologischer Reihenfolge erklären. Wichtigstes Ziel des Workshops war die Konkretisierung des Qualifizierungsbedarfs für die zukünftigen Per- sonalentwickler und die Benennung von Leitlinien und grundsätzlichen Gestaltungsaspekten für ein Qualifizierungsprogramm. Die einzelnen Arbeitsschritte waren: 1. Feststellung aktueller und zukünftiger Kompetenzdefizite als Grundlage der Personalentwicklungsarbeit. Um die genannten Personalentwicklungsaufgaben der Zukunft zu definieren, wurden in einem ersten Schritt die wichtigsten Personalentwicklungsziele aus der Perspektive der verschiedenen Organisationseinheiten erarbeitet. Diese ergaben sich aus der Betrachtung aktueller und zukünftiger Kompetenzdefizite innerhalb der niedersächsischen Polizei, getrennt nach den verschiedenen Zielgruppen (z.B. Führungsebenen, Stäbe etc.). Anschließend wurden die genannten Defizite in ihrer Gesamtheit betrachtet und daraus Schwerpunkte der Kompetenzerweiterung gebildet. Diese Schwerpunkte bezogen sich auf die fachlichen, sozialen und persönlichen Kompetenzen der Führungskräfte, die im Folgenden tabellarisch dargestellt werden. Fachlich Sozial Persönlich Zielvereinbarung Teamfähigkeit Entscheidungsstärke Management/ Betriebswirtschaftslehre Kooperationsbereitschaft Selbstmanagement Planung und Organisation Gesprächsführung Verantwortungsübernahme Arbeitstechniken und Methoden Konflikt- und Kritikfähigkeit Eigeninitiative Spezial und Fachkenntnisse Vorbildfunktion, Einfühlungsvermögen, Feedback geben und nehmen Abb. 4: Entwicklung von personalentwicklerischen Kernkompetenzen kommissariatsübergreifende Entscheidungen und übernehmen Einsätze von besonderer Bedeutung oder Größe (www.niedersachsen.de/MI Stand 30.10.2001). 35 Den Polizeiinspektionen sind 190 Polizeikommissariate (PK) angegliedert. Den PK wiederum sind in Abhängigkeit von der zu betreuenden Bevölkerungszahl und Fläche 308 Polizeistationen (PSt) nachgeordnet (www.niedersachsen.de/MI Stand 30.10.2001). 87 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand 2. Beschreibung, Bündelung und Zuordnung von Personalentwicklungsmaßnahmen, die dazu dienen sollen, diese Kompetenzdefizite zu schließen. In einem weiteren Vorbereitungsschritt wurden bereits praktizierte bzw. noch einzuführende Personalentwicklungsmaßnahmen ohne Anspruch auf Vollständigkeit als „Produkte“ definiert und zu „Produktgruppen“ zusammengefasst, die sich an den wesentlichen Handlungsfeldern der Personalentwicklung orientierten. In mehreren Arbeitsschritten wurden PE-Aufgaben und PE-Maßnahmen (Aufgaben beinhalten dabei verschiedene, inhaltlich zusammengehörige Personalentwicklungsmaßnahmen) zusammengestellt und nach Hauptverantwortlichkeiten den Organisationsbereichen (Einrichtungen, Behörden, Polizeiinspektionen und Polizeikommissariaten) zugeordnet. Das Prinzip soll durch die nachfolgende Abbildung verdeutlicht werden. Produkt- PE-Aufgaben und Maßnahmen Ebenen gruppen Personal- beschaffung Personalbedarfsplanung, Werbung, Bewerberbetreuung, Einstellung Behörde Personal- auswahl Besetzung höherwertiger Dienstposten, Beförderungsauswahl, Führungskräfteentwicklung Behörde, BIP, PI’en Personal- einsatz und -beurteilung Versetzungsplanung, Praktikantenbetreuung Behörde, PI’en und PK Fortbildung Fortbildungsbedarfsplanung, zentrale Fortbildung, dezentrale Fortbildung BIP, Behörde, PI’en Mitarbeiter- Vorgesetzten- Gespräche Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen, Coaching, Beurteilungsgespräche Behörde, PI’en, PK Strukturelle Maßnahmen Mitarbeiterbefragungen, Projektarbeit, Qualitätszirkel Behörde, PI’en, PK Abb. 5: Zuordnung von Personalentwicklungsmaßnahmen Der Workshop stellte bei der Bewertung der Arbeitsgruppenergebnisse fest, dass die Per- sonalentwicklungsprodukte auf den Ebenen der Behörden und Einrichtungen, der Polizeiinspektionen und der Polizeikommissariate erbracht werden. Personalentwicklung endet somit nicht auf einer bestimmten Hierarchieebene, sondern sollte je nach operativer oder strategischer Ausrichtung der Personalentwicklungsinstrumente hierarchieübergrei- fend angelegt sein. 3. Ableitung eines Anforderungsprofils für Personalentwickler, die diese Personal- entwicklungsmaßnahmen in ihrem Organisationsbereich verantworten sollten. Aufbauend auf den zu leistenden Produkten ergab sich ein Anforderungsprofil für künftige 88 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Personalentwickler, das fachliche, soziale und persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten umfasste. Im fachlichen Bereich wurde Grundlagenwissen, z.B. im Bereich der Personal- wirtschaftslehre, rechtliche Grundkenntnisse wurden beispielsweise im öffentlichen Dienstrecht, Kenntnisse im betriebswirtschaftlichen Management und insbesondere Kenntnisse über Personalentwicklungsinstrumente wie Auswahlverfahren, Arbeitsplatzrotation für erforderlich gehalten. Der soziale Komplex des Anforderungsprofils umfasste Grundlagen- und Vertiefungswissen zur Mitarbeiterführung sowie Fertigkeiten, unter anderem zur Moderation, Gesprächsführung und Gestaltung von Workshops. Das Anforderungsprofil wurde im Bereich der persönlichen Kompetenz durch Belastbarkeit, Ausgeglichenheit sowie durch Fertigkeiten zum Selbstmanagement bzw. zur Selbstorganisation vervollständigt. Neben diesen erlernbaren und trainierbaren Kompetenzen wurden Werte und Grundhaltungen hervorgehoben. Beispielhaft wurden Verantwortungsübernahme, Lernbereitschaft, Vorbildfunktion, soziales Verantwortungsbewusstsein und Teambereitschaft genannt. 4. Benennung des Qualifikationsbedarfs für Personalentwickler. Der Qualifizierungsbedarf ergab sich aus dem Vergleich des Anforderungsprofils mit den bereits vorhandenen Kompetenzen der Zielgruppen. Je nach bereits vorhandenen Kompetenzen stellten die Vertreter der Behörden/Einrichtungen, Polizeiinspektionen und Polizeikommissariate am Anforderungsprofil orientiert einen breiten Qualifizierungsbe- darf mit unterschiedlichen Schwerpunkten heraus. Besondere Defizite bestehen demnach hinsichtlich der Kenntnis spezieller Personalentwicklungsinstrumente, der für die Anwen- dung dieser Instrumente notwendigen Fertigkeiten (Moderation, Gesprächsführung etc.) und in den Bereichen „Betriebswirtschaftliches Management“ sowie „Selbstmanagement & Selbstorganisation“. 5. Festlegung von Eckpfeilern für ein Qualifizierungsprogramm. Abschließend beriet der Workshop über Zielgruppe und Rahmen eines Qualifizierungsprogramms. Orientiert an der Verantwortlichkeit für Produkte der Personalentwicklung sollte sich die Zielgruppe aus Personaldezernenten sowie leitenden Beamten der PI- und PK-Ebene zusammensetzen. Die Auswahl der Teilnehmer am Qualifizierungsprogramm oblag den Polizeibehörden und -einrichtungen. Die verfügbaren Haushaltsmittel ermöglichten die Qualifizierung von ca. 40 bis 46 Teilnehmern über einen Zeitraum von zwei Jahren bei ca. 30 Fortbildungstagen zuzüglich einiger Beratungstage. Die konkrete Ausgestaltung des Qualifizierungskonzepts wurde einer Redaktionsgruppe übertragen. 6. Aufzeigen weiterer flankierender Maßnahmen für andere Zielgruppen. Die Abstimmung mit dem Führungskräfteentwicklungsprogramm für leitende Beamte und Beamtinnen der niedersächsischen Polizei stand hier an erster Stelle. Im Juni 1997 erhielt das Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen den Auftrag, eine umfassende Konzeption zur Führungskräfteentwicklung zu erstellen. Hierzu wurde eine Projektgruppe eingerichtet, die mit Vertretern des Innenministeriums und aller Behörden und 89 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Einrichtungen zusammenarbeitete. Eine Ist-Diagnose, die im Rahmen eines Workshops im Oktober 1997 erstellt wurde, arbeitete heraus, dass keine Behörde bzw. Einrichtung über ein durchgängiges Führungskräfteentwicklungskonzept verfügt. Ausgehend von dieser Erkenntnis war es Ziel der Projektgruppe, eine Gesamtkonzeption zu erstellen, um die Auswahl der Führungskräfte weiterzuentwickeln und zu systematisieren, die gezielte Vorbereitung auf Führungsaufgaben, insbesondere zur Übernahme einer ersten Führungs- funktion, zu unterstützen, die systematische Einarbeitung in Führungspositionen zu ermöglichen und eine bedarfsgerechte und anforderungsorientierte Fortbildung der Füh- rungskräfte aufzubauen. Als weitere flankierende Maßnahmen wurde die Durchführung regelmäßiger dezentraler „PE-Foren“ in Verantwortung der Behörden/Einrichtungen (PI/PK-Leiter bzw. adäquate Führungskräfte der Einrichtungen; Frauenbeauftragte, Personalvertreter) zur Information über den Ablauf der Qualifizierung und zur Weitergabe von Erkenntnissen angeregt, die aus Seminaren/Workshops/Projekten der Qualifizierung, aber auch aus Berichten und Artikeln in polizeirelevanten Publikationen stammen. 4.1.2 Die Konzeption und die Inhalte Im September 1997 erarbeitete die beauftragte Redaktionsgruppe36 die Grundstruktur der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“. Das Qualifizierungsprogramm sollte sich dabei an Führungskräfte richten, die von der strategischen Bedeutung und Notwendigkeit der Personalentwicklung überzeugt sind, die im Bereich fachlicher und sozialer Führung erfahren und interessiert sind, die kritische Selbstreflexion und das fortwährende eigene Lernen als wichtige Elemente der eigenen Arbeit ansehen, die organisationales Lernen als immanenten Bestandteil der Aufgaben einer Behörde oder Einrichtung verstehen, die sich freiwillig der Qualifizierung unterziehen wollen, die bereit und von ihrer Funktion her in der Lage sind, ein Personalentwicklungsprojekt durchzuführen und die auch nach der Qualifizierung perso- nalentwicklerisch tätig sein werden. Die Teilnehmer sollten sowohl Führungskräfte aus den regionalen Dienststellen und den zentralen Einrichtungen (z.B. Landeskriminalamt, Bereitschaftspolizei, Aus- und Fortbil- dungseinrichtungen) als auch Personalfachkräfte der Behörden sein, um von Anfang an eine Verbindung zwischen der personalentwicklerischen Fach- und der Führungsebene zu 36 Ständige Mitglieder der Redaktionsgruppe waren: der Projektleiter, der externe PE-Fachberater, jeweils ein Vertreter des Innenministeriums, der Bezirksregierung Hannover, der Direktion der Landesbereitschaftspolizei, des Sozialwissenschaftlichen Dienstes und der ausrichtenden Fachgruppe 1 des Bildungsinstitutes. 90 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand schaffen. Die Rekrutierung der 40 Teilnehmer und 3 Teilnehmerinnen erfolgte in den Po- lizeibehörden und -einrichtungen dezentral. Ein standardisiertes Auswahlverfahren wurde abgelehnt, da ein Teil der Zielgruppe auf Grund ihrer Funktion als Personaldezernenten als Teilnehmer feststand. Es sollte keine Ungleichbehandlung geben, bei der die anderen Teilnehmer sich einer Auswahlprozedur hätten unterziehen müssen. So fand eine vertiefte Prüfung der individuellen Einstellungen zur Personalentwicklung, der Erfahrungen als Führungskraft und der jeweiligen Motivation für dieses Programm nicht statt (vgl. Pennig & Böning, 2000: 20). Die Qualifizierungsmaßnahme wurde von einem externen PE-Fachberater37 in Zusam- menarbeit mit dem Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen (BIP NI – Interner Projektleiter38 und 5 Verhaltenstrainer39) durchgeführt. Die Qualifizierungsmaßnahme belief sich auf zwei Jahre und umfasste 12 Veranstaltungen (Workshops, Seminare, Ver- haltenstrainings). Die Ausarbeitung und Feinabstimmung der Inhalte der einzelnen Seminarbausteine geschah grundsätzlich in zwei- bis dreitägigen Vor- und Nachberei- tungssitzungen unter Beteiligung des Projektleiters, des PE-Fachberaters und der beteiligten Trainer. Diese Regelung galt auch für die Kleingruppenbausteine sieben bis zehn, die von den Trainern durchgeführt wurden. Die Vorbereitung und Nachbereitung erfolgte ebenfalls im Vorbereitungsteam. Bei den Großgruppenbausteinen waren einzelne Trainer oftmals teilnehmende Beobachter. Die Abstimmung mit dem Führungskräfteentwicklungsprogramm für leitende Beamte der niedersächsischen Polizei, die regelmäßige Durchführung dezentraler „PE-Foren“ in Ver- antwortung der Behörden/Einrichtungen (PI & PK-Leiter bzw. adäquate Führungskräfte der Einrichtungen, Frauenbeauftragte, Personalvertreter) zur Information über den Ablauf der Qualifizierung und zur Weitergabe von Erkenntnissen sowohl aus Seminaren/Workshops/Projekten der Qualifizierung als auch aus Berichten und Artikeln in polizeirelevanten Publikationen waren als weitere flankierende Maßnahmen gedacht (vgl. Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, 1997). 37 Der PE-Fachberater ist Diplom-Psychologe und Diplom-Kaufmann. 38 Der Projektleiter ist ein Polizeioberrat (POR) und war zum Zeitpunkt der Maßnahme in der Fachgruppe 1 „Personal- und Führungskräfteentwicklung“ des Bildungsinstituts der Polizei Niedersachsen (BIP NI) tätig. 39 Die Verhaltenstrainer sind ebenfalls Angehörige der Fachgruppe 1 des BIP NI. Sie sind Polizeivollzugsbeamte, die zu Stress- und Konfliktbewältigungstrainern (SKB-Trainer) in neunwöchigen Seminaren ausgebildet wurden. Inhalte der Ausbildung sind Stresstheorie, Stressanalyse, Bewältigungstechniken zur kurzfristigen Erleichterung und langfristigen Veränderung im Umgang mit Stress, Hilfen zum Selbstmanagement, Entspannungstechniken und konfliktmindernde Kommunikation. Die Trainer führen hauptamtlich SKB-Seminare mit den Beschäftigten der niedersächsischen Polizei durch. 91 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Das Programm war folgendermaßen aufgebaut40. Der Baustein 1 fand im Dezember 1997 in Hannoversch-Münden statt und war eine In- formations- und Orientierungsveranstaltung. Die 44 Teilnehmer wurden über den niedersächsischen Weg zur Einführung des NSM in die niedersächsische Landesverwal- tung informiert und die einzelnen Elemente und Instrumente vorgestellt. Nach dieser Globaleinweisung folgte ein dezidierter Überblick über die aktuelle und künftige Projekt- landschaft zum NSM. Die Projektlandschaft unterteilte sich in die betriebswirtschaftlichen Projekte „Kosten- und Leistungsrechnung in der Polizei“ (KOLEIPOL)41, in organisati- onsentwicklerische Projekte42und in personalentwicklerische Projekte43. Im Anschluss daran wurde der inhaltliche Aufbau der Qualifizierungsmaßnahme dargestellt und erläutert und die Gruppeneinteilung in 4 Kleingruppen für den zweiten Baustein in Braunlage vorgenommen. Der Baustein 2 wurde im Januar/Februar 1998 von der Teilnehmerschaft in vier Kleingruppen zu je 10–11 Personen durchlaufen. Die Trainer waren die Durchführenden, wobei jeweils zwei Trainer eine Gruppe führten. Da die Teilnehmer für den Zeitraum der Maßnahme von ihrem Hauptamt befreit waren, stand in diesem Baustein Zeit-, Selbst- und Stressmanagement im Vordergrund. Ebenso beschäftigte man sich mit der Erarbeitung eigener langfristiger Ziele, dem Erkennen und Bearbeiten von Zielkonflikten und der Her- ausarbeitung persönlicher Motivatoren und Demotivatoren. Der Baustein 3 fand im März 1998 in der Großgruppe mit allen Teilnehmern in Hannoversch-Münden statt. Die Schwerpunktthemen dieses Bausteins waren die 40 Im Folgenden werden aus Gründen der Darstellungslogik die konzeptionelle Planung und der tatsächliche Ablauf zusammengefasst, so dass die Darstellung die reale inhaltliche Struktur widerspiegelt. 41 In ausgewählten Polizeiinspektionen und Bezirksregierungen wurden die Kosten- und Leistungsrechnung, die Budgetierung, die Generierung von Kennzahlen sowie die Erstellung der Landessoftware erprobt. Ein Kabinettsbeschluss sieht die Einführung der Personalkostenbudgetierung im Geschäftsbereich des Innenministeriums zum 01.01.1998 vor. 42 Hiermit ist in erster Linie die landesweite Ausbildung von Controllern in mehreren Phasen und deren Durchführung eigenständiger Veränderungsprojekte gemeint. 43 Neben der hier darzustellenden Maßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ ist hiermit vor allem das Projekt „Führungskräfteentwicklung“ gemeint. Im Zeitraum 1997 – 1999 wurden nach einer Grundlagenerhebung Konzeptionen zur Erarbeitung bzw. Optimierung von „Curricula“ zu Auswahl- und Qualifizierungsverfahren erstellt. Die Zielgruppe waren Nachwuchskräfte vor bzw. nach Übernahme der ersten Führungsfunktion oder auch Führungskräfte zur Übernahme höherer Funktionen. Sehr enge Berührungspunkte in Bezug zur o. g. Maßnahme waren in den Themenbereichen „Anforderungsprofile“ und „Auswahlverfahren“ gegeben. Einige Teilnehmer haben an beiden Maßnahmen teilgenommen. 92 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Erarbeitung und Verwendung von Anforderungsprofilen, das Kennenlernen von Zielen und Methoden zur Durchführung von Auswahlgesprächen bzw. eines Assessment-Centers und das Kennenlernen von Möglichkeiten der Beurteilung von Fähigkeiten und Potenzialen. Ebenfalls wurde über Personalpflege und -betreuungsmöglichkeiten in Form von psychosozialer Beratung, z.B. bei posttraumatischen Stressreaktionen, informiert und die Ziele und Möglichkeiten betrieblicher Suchtberatung erörtert. Der Baustein 4 war ebenfalls ein Großgruppenbaustein und fand im Juni 1998 in Hannoversch-Münden statt. Thematisch stand dieser Baustein ganz im Zeichen der Mitarbeiterförderung. Die Teilnehmer lernten im Plenum und in Übungen kennen, wie Mitarbeiter im Hinblick auf langfristige Ziele und Entwicklungsmöglichkeiten beraten und passende Qualifizierungsmaßnahmen abgeleitet und Förderziele und -maßnahmen durch Mitarbeitergespräche unterstützt und konkretisiert werden können. Darüber hinaus wurden die Anwesenden über die wichtigsten geschlechtsstereotypen Denkmuster, ihre Wirkung auf Personalauswahl- und förderung sowie über Ziel und Maßnahmen frauenfördernder Personalpolitik informiert. Der Baustein 5 stand ganz im Zeichen des Projektmanagements und fand im September 1998 statt. Die Teilnehmer schienen etwas ermüdet zu sein, denn der Projektleiter vermerkt in seinem Anschreiben an die Teilnehmer, dass „im Baustein 4 (verstärkt) feststellbar war, dass Teilnehmer (z.T. teilweise) fehlten, früher abreisten oder andere dienstliche Vorgänge bearbeiteten“. Das Verhalten wurde mit den Beteiligten thematisiert, ein Teilnehmer zeigte sich wohl nicht einsichtig und wurde von der Maßnahme ausgeschlossen. Die Teilnehmer wurden ermahnt, „vollständig und engagiert“ (Einladungsschreiben des BIPNI zum fünften Baustein - Hervorhebungen im Original) an den weiteren Bausteinen teilzunehmen. Die angehenden Personalentwickler lernten im Plenum und durch Übungen in Einzelarbeit und Themengruppen die Grundlagen des Projektmanagements und der Projektinitiierung, Kriterien der Projekteignung und -auswahl, Projektstrukturen- und die Meilensteinplanung sowie die personelle Projektplanung und die Gestaltung des Projektkontraktes kennen. Darüber hinaus stellte der Autor am zweiten Tag das Forschungsdesign der qualitativen Forschung vor. Die Teilnehmer an den problemzentrierten Interviews wurden im Plenum ausgelost. Der Baustein 6 war ein Sonderbaustein, denn im Oktober 1998 trafen sich ca. 30 ange- hende Personalentwickler und ca. 20 ausgebildete Controller im Rahmen eines zweitägigen Erfahrungsaustausches zum „Personalentwickler-Controller-Forum“. Nachdem am ersten Tag die unterschiedlichen Ziel- und Ausbildungsmodalitäten geklärt und die Controller wichtige Projekterfahrungen mit den angehenden Personalentwicklern ausgetauscht hatten, stellten diese anschließend ihre Projektvorhaben den Controllern vor. Am zweiten Tag arbeiteten in 6 Themengruppen Personalentwickler und Controller 93 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand gemeinsam an der Verfeinerung der Projektvorhaben, und in 7 Regionalgruppen wurden gegenseitige Unterstützungsmöglichkeiten erörtert. Der Baustein 7 war, wie auch die folgenden drei Bausteine, ein Kleingruppenbaustein. Alle Kleingruppenbausteine wurden von den Trainern durchgeführt. Die gleichen vier Gruppen wie im Baustein 2 trafen sich im November/Dezember 1998 zum Thema „Mode- ration & Präsentation“. Die Inhalte dieses Bausteines sollten direkt die Handlungsfähigkeit der Teilnehmer bei der beginnenden Projektarbeit unterstützen und stärken. So lernten die Teilnehmer, welche Moderationsmethoden sie in den einzelnen Phasen der Projektarbeit gezielt einsetzen können. Ihnen wurden Kenntnisse über Moderationsverhalten und - techniken vermittelt, und sie bekamen Gelegenheit, als Teilnehmer Moderationen zu erleben, selbst welche zu entwickeln und vorzubereiten sowie auch eigenständig zu moderieren. Darüber hinaus erfuhren sie etwas über das Projektmarketing und ihnen wurden Möglichkeiten geboten, eine Präsentation ihres Projektes vorzubereiten. Der Baustein 8 fand im Januar/Februar 1999 statt und hatte zum Thema „Konflikte und Widerstände“. Die Teilnehmer lernten, wie sie Konflikte erkennen und Konfliktverläufe verstehen und analysieren können. Dabei wurden der Einfluss persönlicher Einstellungen zu Konflikten herausgearbeitet und mögliche Vorgehensweisen zur Bearbeitung von Konflikten eruiert. Übungen in Form von Situationstrainings wurden durchgeführt, und es wurde erarbeitet, wie ein Konfliktgespräch vor- und nachbereitet, unter Zuhilfenahme von Kommunikationstechniken gezielt geführt und wie einer Konflikteskalation begegnet werden kann. Der Baustein 9 hatte zum Thema „Teamarbeit und Teamentwicklung“ und wurde im März 1999 durchgeführt. Die Führungskräfte lernten sowohl Unterscheidungsmerkmale von Team- und Gruppenarbeit kennen als auch, wie Prozesse der Teambildung, des Rollenverhaltens und der Kommunikation beschrieben und analysiert werden können. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten wichtige Gesichtspunkte zur Zusammenstellung von Teams und die gezielte Führung bestehender Teams. Die Erörterung der Möglichkeiten professioneller Teamentwicklungsmaßnahmen schlossen diesen Baustein ab. Der Baustein 10 stand ganz im Zeichen der persönlichen Kompetenzentwicklung der Teilnehmer. Im Rahmen vielfältiger Übungen setzten die Führungskräfte sich mit dem Raum auseinander, den Unklarheit, Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit in ihrem Alltag einnehmen. Sie lernten kennen, wie andauernde innere Konflikte und Polarisierungen bearbeitet werden können, die Bedeutsamkeit authentischen Verhaltens und reflektierten die Möglichkeiten und Chancen der Bearbeitung der eigenen Konfliktlandschaft für die persönliche Weiterentwicklung. Der Baustein 11 fand nach über einjähriger Pause wieder in der Großgruppe in Hannoversch-Münden statt. Der Baustein hieß „Spezielle Handlungsfelder“. Die Teilnehmer wurden über den Stand der Dinge sowohl im Projekt „Führungskräfteentwick- 94 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand lung“ als auch im Rahmen einer Zielprojektion 2003 über den Einführungsstand des NSM informiert. Dabei wurden die Rolle der Personalentwickler im Gesamtkonzept erörtert und die damit einhergehenden Anforderungen bei der Implementierung im eigenen Bereich vertieft. Es wurde sich über Zielvereinbarungssysteme aus personalentwicklerischer Sicht ausgetauscht und ein Strukturvorschlag unterbreitet, wie in Zukunft die Projekte „Perso- nalentwicklung“ und „Führungskräfteentwicklung“ zusammengeführt werden könnten. Der zweite Tag stand ganz im Zeichen des Zusammentreffens der Personalentwickler mit den leitenden Beamten des Niedersächsischen Innenministeriums. Am Vormittag wurden in Arbeitsgruppen die Positionen der Personalentwickler aufeinander abgestimmt und visualisiert, um dann am Nachmittag im Plenum die Arbeitsergebnisse den anwesenden Ministeriumsvertretern zu präsentieren. Unter dem Motto „Wie geht es weiter?“ sollte dann ein moderiertes Plenumsgespräch die Rolle der PE im polizeilichen Alltag konturierter ausgestalten. Am dritten Tag befasste man sich mit rechtlichen Problemen der Personalentwicklung und mit der Frage, in welcher Form der Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme gestaltet und die Projekte präsentiert werden sollten. Den Abschluss bildete der Baustein 12 mit dem Titel „Projekt-Controlling und Ausblick“. Der erste Tag war ganz den evaluatorischen Untersuchungsergebnissen der Qualifizie- rungsmaßnahme gewidmet. Sowohl die quantitativen und qualitativen Ergebnisse als auch die Auswertung der Abschlussberichte der Personalentwickler hinsichtlich der Projektergebnisse wurden präsentiert. Der zweite Tag widmete sich ausschließlich der Diskussion sowie Überarbeitung und Verabschiedung des Positionspapiers der Teilnehmer zur zukünftigen Personalentwicklung in Niedersachsen. Am letzten Tag der Qualifizierungsmaßnahme standen Referate und Reden im Zentrum des Interesses. Im Rahmen einer feierlichen Zeremonie hielt eine Personalentwicklerin der Firma Continental AG ein Referat zur Bedeutsamkeit von PE bei Conti, und ein Teilnehmer der Qualifizierungsmaßnahme berichtete in humoriger Form von seinen Eindrücken und Erfahrungen. Ein abteilungsleitender Ministeriumsvertreter überreichte dann zum Abschluss die Zertifikate an die Teilnehmer. Das Personalentwicklungsprojekt wurde zwischen dem fünften und dem zwölften Seminarbaustein durchgeführt. Hier wurden notwendige personalentwicklerische Maßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich und innerhalb des bestehenden Aufgabenumfangs eingeleitet und vorangetrieben. Der Zeitansatz bezog sich hier auf knapp über ein Jahr (ca. 15 Monate). Ergänzend fanden während des Projektverlaufs drei projektbezogene Reflexionstage im Rahmen thematischer Kleingruppen44 statt, um den 44 Insgesamt gab es vier Themengruppen (z.B. Auswahlverfahren), so dass insgesamt 12 dezentrale Praxisbegleitungstage stattgefunden haben. Wenn Teilnehmer zum Tagungszeitpunkt ihrer Themengruppe verhindert waren, konnte eine andere Gruppe aufgesucht werden. 95 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand internen Erfahrungsaustausch zu gewährleisten und persönliche Fragen zum Projektmanagement und zur inhaltlichen Gestaltung von PE zu bearbeiten. Die folgende Abbildung visualisiert den Gesamtaufbau der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“. 96 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Zeit Lernphase Seminare Projekt Praxisbeg -leitung Evaluation 12/97 Einstimmung und Commitment 1. Führung und Personalentwicklung Strukturierter u. standardisierter Frage- bogen 1- 2/98 2. Selbstmanagement " " 3/98 Fach- u. Methoden Lernen 3. PE-Fachseminar I Anforderungsprofile Auswahlgespräche " " 6/98 4. PE-Fachseminar II Mitarbeiterförderung " " 9/98 5. Projektmanagement Erste Interviewreihe mit 12 TN 10/98 6. Personalentwickler- Controlling-Forum " " 12/98 Verhaltens- Lernen 7. Moderation/Präsentation 1. Einheit " " 1- 2/99 8. Konflikte/Widerstände " " Praxisbegleitung " " 3/99 9. Teamarbeit/ Teamentwicklung 2. Einheit " " 6- 7/99 10. Persönliche Kompetenz Zweite Interviewreihe 12 TN 10/99 11. Spezielle Handlungsfelder 3. Einheit " " Transfer Abschlussberichte über PE-Projekte 2/00 12. Evaluation und Ausblick Bekanntmachung d. Ergebnisse der quantitativen u. qualitativen Untersuchung Abb. 6: Wesentliche Strukturelemente und Inhalte der Maßnahme 4.2 Auftrag und Untersuchungsinstrumente Als schwierig erweist sich in der Praxis oft die Bestimmung geeigneter Kriterien zur Messung des Erfolgs von Entwicklungsmaßnahmen. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, sind die vorgegebenen Ziele, die Implementierung und Fortführung der PE im eigenen Verantwortungsbereich, die Verbesserung des Führungsverhaltens, Personalentwickler als Multiplikator und die personalentwicklerische Unterstützung zur Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente wenig operational. In der Literatur hat sich aber ein Die Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ 97 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Kriterienkatalog von Catalanello & Kirkpatrick (1968, zit. nach Conrads, 1997: 54) durchgesetzt, der vier verschiedene Ebenen der Evaluation berücksichtigt, nämlich die subjektiven Reaktionen der Teilnehmer, das Lernen, das Verhalten im Training und am Arbeitsplatz sowie Resultate in Form von harten Daten wie Fluktuation oder Produktivität, Krankenstand, Qualität etc. Die aufgeführten Resultate in Form von „harten Daten“ lassen sich mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten im Rahmen dieser Arbeit nicht untersuchen, allerdings sehr wohl die anderen drei Ebenen der subjektiven Reaktionen der Teilnehmer, ihre Lernprozesse und ihr Verhalten im Training und am Arbeitsplatz. Der Untersuchungsgegenstand „Führungskräfte als Personalentwickler“ im polizeilichen Kontext erschien neu und unbearbeitet, theoretisches bzw. empirisches Material lag nach ausgiebigen Recherchen des Autors nicht vor. Rückfragen bei den Fortbildungsfeldleitern „Personalentwicklung und Führungskräfteentwicklung im Bildungsinstitut der Polizei“ bestätigten den Sachstand: Innovative Entwicklungen innerhalb der Länderpolizeien werden in der Regel in der zentralen Ausbildungsstätte für den höheren Dienst der Polizei Deutschlands, in der Polizeiführungsakademie Münster, vorgestellt und diskutiert. Die Fortbildungsfeldleiter hatten die Inhalte der Qualifizierungsmaßnahme im Jahr 1998 bei einem Treffen von Polizeivertretern aller Bundesländer vorgestellt. In der sich anschließenden Diskussion stellte sich heraus, dass die anderen Bundesländer über keine vergleichbaren Qualifizierungsmaßnahmen verfügen, was die hier vorzustellende Maßnahme einmalig macht. Somit konnte bei der Untersuchung der Forschungsfragen auch nicht auf Erkenntnisse anderer Bundesländer zurückgegriffen werden. Im Entwurf der „Konzeption zur Qualifizierung von Personalentwicklern“ (Bildungsinsti- tut der Polizei 1997: 8) heißt es unter dem Oberbegriff Evaluation/Erfolgskontrolle: „Eine Evaluation/Erfolgskontrolle soll in wissenschaftlicher Form durch das Bildungsinstitut der Polizei, Zentraler Dienst 1, Sozialwissenschaftlicher Dienst (BIP NI, ZD1, SWD) durch- geführt werden.“ In der Endfassung der besagten Konzeption vom 10.09.97 (a.a.O.: 1998: 3) findet eine weitere Ausdifferenzierung des Auftrages statt: „Begleitet wird das Qualifi- zierungsprogramm durch ein systematisches Bildungs-Controlling. Die notwendigen Instrumente und Verfahren werden durch das BIP NI/ZD1 -SWD- erarbeitet.“ Laut Wilmer (1997: 357) stellt Bildungscontrolling einen Prozess dar, „mit dem alle Stufen des Fortbildungsgeschehens analysiert werden können. Das Ziel ist dabei keine abschließende Statistik in einer Hochglanzbroschüre, sondern eine fortlaufende Qualitäts- sicherung bzw. Qualitätsverbesserung im Sinne einer Feedback-Steuerung“. Die Analyse „aller Stufen des Fortbildungsgeschehens“ bedeutete auf der Handlungsebene den Einsatz quantitativer und qualitativer Verfahren. Die Erarbeitung der „notwendigen Instrumente und Verfahren“ geschah auf zwei Ebenen: Einem Arbeitskollegen des Autors im Sozialwissenschaftlichen Dienst (SWD) des BIP NI, in Zusammenarbeit mit einer Diplomandin der Universität Hannover, oblag die Erarbeitung und Durchführung der 98 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand quantitativen Vorgehensweise. Inhalte, Methoden und Ablauf der Bausteine wurden vornehmlich durch strukturierte und standardisierte Fragebögen zur Lernzielerreichung, am Ende eines jeden Bausteines erhoben. Der Autor, der als Angestellter im SWD des BIP NI tätig ist, untersuchte mit qualitativen Verfahren die prozessorientierten Alltagsauswirkungen der Qualifizierungsmaßnahme auf Person, Rolle und Organisation im Rahmen einer Zufallsstichprobe. Ab dem fünften Baustein entwickelte sich das Untersuchungsdesign „Qualitative Interviews mit den Teilnehmern“ zur zweiten Säule der Evaluation der Qualifizierungsmaßnahme. 4.2.1 Die Rollen des Autors als interner Forscher im Forschungsprozess Die Rollen, Chancen und Begrenzungen des Autors als interner Forscher in dem hier zu schildernden Forschungsprozess sind äußerst vielschichtig und widersprüchlich. Der Au- tor ist als hauptamtlicher interner Berater, Supervisor und Fortbilder in einer Bildungsorganisation der niedersächsischen Landespolizei beschäftigt. Interne Forschung ist, ähnlich wie interne Supervision, durch bestimmte immanente organisationale Vor- und Nachteile gekennzeichnet. Einerseits ist der Autor als interner Forscher Angehöriger der sozialen Wirklichkeit, die er interpretiert. Dadurch stellt sich die Frage nach der Objektivität seiner Beschreibungen bzw. die Frage danach, wie man einen Standpunkt gewinnen kann, der gleichsam von außen die soziale Wirklichkeit betrachtet. Der interne Forscher hat Einblick in die Komplexität und die Zusammenhänge der Organisation Polizei. Laut Duden bedeutet Komplexität „Einsicht in die Vielschichtigkeit und zum anderen die Gesamtheit der Merkmale eines Phänomens“. Andererseits kann gerade die große Nähe zum Forschungs- gegenstand zur „Betriebsblindheit“ bzw. „Überidentifikation“ des Forschers mit der Organisation führen. Kelle (1997: 194) hebt hervor, dass im Kontext von Forschungsfra- gestellungen „Komplexität“ meist nicht allein, sondern fast immer in Verbindung mit „Reduktion“ benutzt wird. Mit diesem Begriffspaar kann auch die methodologische Frage jeglicher Sozialforschung aufgeworfen werden, wie soziale Phänomene angemessen zu vereinfachen seien, so dass sie in Forschungspragmatik übersetzt und damit untersucht werden können. Im qualitativen Forschungskontext verweist das Wort „angemessen“ auf den wissenschaftlichen Anspruch, dass empirische Forschung die soziale Wirklichkeit „originalgetreu“ beschreiben und analysieren sollte bzw. dass diese Beschreibungen und Analysen sich von der Lebenswirklichkeit in den behandelten Bereichen leiten lassen sollten. Der Begriff „Komplexitätsreduktion“ impliziert aber auch die Voraussetzung, dass komplexe soziale Wirklichkeit nur als reduzierte bewältigbar, bearbeitbar, untersuchbar und darstellbar ist. Komplexität wird so zu einem Negativbegriff, der das abstrakte Wissen darüber verkörpert, dass die Dinge komplizierter liegen, als wir in der Lage sind, sie wahrzunehmen, zu verstehen oder darzustellen. 99 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Einerseits sorgt die interne Verortung des Forschers für Nähe zu organisations- und be- rufsspezifischen Problemen der Beschäftigten in der Polizei. Andererseits kann sich hierdurch mangelnde Unabhängigkeit des Forschers entwickeln, was zu einseitigen Sicht- weisen oder „Gefälligkeitsgutachten“ führen kann. Ein häufiger Einwand gegen Praktiker als interne Forscher geht davon aus, dass sie persönlich involviert seien und deshalb nicht die für eine Forschung unabdingbare „Distanz“ aufbringen könnten. Ihre Forschung trage deshalb eher dazu bei, bestehende Vorurteile zu festigen, denn sie kritisch zu hinterfragen. Der Einwand basiert auf der Annahme, dass ein zu enger Kontakt mit den Betroffenen oder die Rollenübernahme im Feld zur Identifizierung oder Loyalität mit bestimmten, im Feld eingeführten Deutungsmustern führen könnte. Das ist eine echte Gefahr, die allerdings auch andere Forschungsrichtungen45 betrifft. Allein, das Problem ist nicht durch physische Distanzierung zu lösen. „Situative Distanz ist nicht so sehr von faktischer oder räumlicher Distanz allein abhängig als vielmehr von der Fähigkeit, subjektiv Distanz zu schaffen, ähnlich beispielsweise der Distanz des Psychoanalytikers. Zur situativen Distanz gehört auch, dass sie dauernd wieder überschritten wird. Diese Überschreitung bleibt aber im Bewusstsein“ (Hameyer, 1984: 175). Einerseits ist die notwendige Distanz zur Organisation hergestellt, da der Autor als interner Supervisor kein Polizeibeamter ist, über einen „Expertenstatus“ verfügt und seine organisatorische Anbindung an den Sozialwissenschaftlichen Dienst des Bildungsinstituts der Polizei Niedersachsen diesen Status stützt. Andererseits können hierdurch unklare Rollendefinitionen entstehen, was zu Rollenkonflikten führen kann, z.B. wenn nicht klar ist, wer gerade spricht, der Forscher oder der Supervisor? Gerade diese Frage zielt auf die Balance und Ausgleichsaufgabe zwischen Distanz und Involvierung und wiederum auf die Reflexion dieser Involvierung. Einerseits kann die Nähe des Autors zur Organisation Polizei und sein Expertenstatus dazu führen, dass die Interviewteilnehmer sich bereitwilliger und auskunftsfreudiger in den qualitativen Interviews „öffnen“. Ein eventueller „Vertrauensvorschuss“ der Führungs- kräfte könnte zu einem erkenntnisproduktiven Blick auf deren Sichtweisen, Einstellungen und Haltungen führen, was wiederum den Forschungsergebnissen zugute kommt. Ande- rerseits kann gerade diese Nähe Ängste der Untersuchungsteilnehmer vor Macht-, Vertraulichkeits-, und Informationsmissbrauch nähren, was eventuell ein Aussage- und Antwortverhalten von sozialer Erwünschtheit generiert. Auch unterliegen Interne eher „Labelzuschreibungen“, wovon sie in der Regel wenig mitbekommen, was wiederum Einfluss auf die (selektive) Mitteilungsfreudigkeit der Teilnehmer haben kann. 45 Vgl. z.B. das „going native“ in der Ethnologie. 100 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Zu fragen ist, durch welche Instrumente, Maßnahmen und Elemente versucht wurde, den zuvor benannten konflikthaften Spannungsfeldern sensibel, bewusst und konstruktiv zu begegnen. • Auftragsklarheit zur Vermeidung von Rollenkonfusionen Der Forschungsauftrag war klar im Konzept der Qualifizierungsmaßnahme formuliert und eindeutig dem Sozialwissenschaftlichen Dienst zugewiesen. Der qualitative Forschungs- ansatz war somit Teil der Evaluation der Qualifizierungsmaßnahme. Der Autor unterlag nicht doppelten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten (z.B. als Referent in anderer Sache in einem der Bausteine bzw. als Supervisor im Verantwortungsbereich der Inter- viewteilnehmer). Die Organisationseinheit und der Dienstsitz (Hannover) des internen Forschers waren inhaltlich und räumlich von der durchführenden Fachgruppe im Bildungsinstitut (Hannoversch-Münden) getrennt. Wie bereits zuvor im „Hameyer-Zitat“ beschrieben, ist die physische Distanzierung vom Untersuchungsgegenstand nicht die alleinige Lösung bei der Vermeidung von Verstrickungen und Involvierungen des internen Forschers, sie hilft aber bei der Herstellung und Aufrechterhaltung der situativen Distanz. Als ebenfalls hilfreich erwies sich, dass die Rolle des Autors als interner Forscher den durchführenden Verantwortlichen und den Teilnehmern gegenüber bekannt gemacht wurde. • Offenheit und Transparenz der Leitung der Maßnahme gegenüber Die organisatorische Leitung oblag dem internen Projektleiter, den fachlichen Input nahm im Wesentlichen der externe PE-Fachberater wahr. Beiden wurde das qualitative For- schungsvorhaben unterbreitet. Der zu erwartende Erkenntnisgewinn wurde begrüßt und Unterstützung zugesagt. Wichtige Forschungsschritte (z.B. Präsentation des Forschungs- vorhabens im Plenum, Erarbeitung der beiden Interviewleitfäden, Präsentation der Ergebnisse im Plenum, Mitarbeit am Abschlussbericht für das Ministerium) wurden gemeinsam besprochen und geklärt. • Offenheit und Transparenz den Teilnehmern der Maßnahme gegenüber Im September 1998 im Baustein „Projektmanagement“ fand die Präsentation des qualitativen Forschungsvorhabens im Plenum46 statt. Ziel und Zweck wurden erläutert, um die Führungskräfte für eine Teilnahme zu gewinnen. Die Akzeptanz der 36 anwesenden 46 Die Präsentation setzte sich mit folgenden Leitfragen auseinander: 1. Wie lautet der Auftrag? 2. Was wird/wurde bisher erforscht? 3. Was soll weiter erforscht werden? 4. Welche Untersuchungsinstrumente erscheinen geeignet? 5. Warum Interviews und keine Fragebögen? 6. Welche Themen werden angesprochen? 7. Was geschieht mit den Interviews? 8. Welche Datenschutzmaßnahmen sind gewährleistet? 9. Was ist noch von Wichtigkeit? Im Anschluss daran wurden noch offene Fragen diskutiert. 101 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Führungskräfte war positiv. Von daher kamen alle Teilnehmer für die Auslosung der 12 Interviewteilnehmer im Plenum in Betracht. Nach der Durchführung der beiden Interview- reihen im Abstand von einem Jahr wurden die vorläufigen Ergebnisse47 der qualitativen Interviews im Baustein 12 im Februar 2000 an die Teilnehmer im Rahmen einer Präsentation im Plenum zurückgemeldet und diskutiert. • Unterstützung des internen Forschers durch externe Beratung und Fortbildung Um die Gefahr der „Betriebsblindheit“ des internen Forschers zu minimieren und die Methodensicherheit48 im Umgang mit den qualitativen Erhebungsinstrumenten zu erhöhen, wurde vom Autor externe Beratung und Fortbildung in den Jahren 1998 – 2000 in Anspruch genommen, um seine Forschungskompetenz zu stützen, zu ergänzen und an- zureichern. Der externe Berater war ein Dozent des Weiterbildungsstudiums Arbeitswissenschaft (WA) der Universität Hannover. Die Beratung bezog sich auf folgende Schwerpunktthemen: Entwurf eines Kategorienschemas, Erstellung einer Datenbankstruktur, Aufbau eines computergestützten Datenbanksystems, Auswertung der beiden Interviewreihen, Zusammenführung und Visualisierung der Ergebnisse. Im Juli 1999 nahm der Autor an einer Fortbildung zur Durchführung qualitativer Interviews teil. Hierbei konnte einer externen, interessierten Gruppe ein anonymisiertes Interview exemplarisch vorgestellt werden, was gemeinsam systematisch durchgearbeitet wurde. Die Anmerkungen, Fragen und Ergänzungen der Teilnehmer hatten Auswirkungen auf die Erstellung des Kategorienschemas. Die Anregungen und Hinweise flossen in den Interviewleitfaden zur zweiten Interviewreihe ein. • Heranziehung unterschiedlicher Datenquellen Durch die Heranziehung unterschiedlicher Datenquellen kann die Güte und Aussagekraft qualitativer Forschung verbessert werden. In der vorliegenden Arbeit standen dem internen Forscher nicht nur die qualitativen Daten aus den Interviews zur Verfügung, 47 Da eine Würdigung und Diskussion der Ergebnisse noch folgt, sei hier nur stichwortartig angeführt, zu welchen Themen aus qualitativer Sicht damals Stellung bezogen wurde: Motive der Teilnehmer; Rezeption der Inhalte in Groß- und Kleingruppe; förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen; Auswirkungen auf das Führungsverhalten; Lernwert der Praxisbegleitungstage; Wertigkeit der Lernelemente Seminarbausteine & Projekt; Stellenwert der Maßnahme in der eigenen Fortbildungsbiografie; Ausblick aus der Sicht der Interviewten. 48 Nach Altricher & Lobenwein & Welte (1997: 651) sind Laienforscher professionellen Forschern in einigen Punkten unterlegen: Sie haben in der Regel weniger Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Forschungsinstrumenten und -entscheidungen. Sie stehen unter Handlungsdruck und nehmen sich daher im Zweifelsfall vielleicht weniger Zeit für die kritische Hinterfragung ihrer Forschungsprozesse. Altrichter et. al. halten diese Argumente jedoch für relative und nicht prinzipielle. 102 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand sondern auch die quantitativen Daten aus den ausgewerteten Fragebögen, die sich vornehmlich auf den Lernerfolg und den Wirkungsgrad der Seminarbausteine bezogen. Darüber hinaus wurde im Rahmen von teilnehmenden Beobachtungen49 an verschiedenen Seminarbausteinen (z.B. Projektmanagement, PE-Controller Workshop, Projektevaluation und Ausblick), Praxisbegleitungstagen (10 von 12 durchgeführten) sowie an verschiedenen Vor- und Nachbereitungsbesprechungen zu Seminarbausteinen teilgenommen. Der Autor konnte nicht nur Einblick nehmen in die Abschlussberichte50 der Teilnehmer, die vom Projektleiter und vom PE-Fachberater zusammenfassend ausgewertet wurden, sondern hat auch deren Ergebnispräsentation beigewohnt. Zusammenfassend erfüllt der hier dargestellte, multimodale Forschungsansatz durchaus Feldstudiencharakter, der sich durch die Heranziehung unterschiedlicher Datenquellen und die Kombination verschiedener Erhebungstechniken im Rahmen einer längeren teilneh- menden Beobachtung kennzeichnen lässt (vgl. Habemehl, 1992: 205). 4.3 Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Erhebungsinstrumenten Die Relativierung der empirischen Sozialforschungsparadigmen „quantitativ versus qualitativ“ in Bezug auf die theoretisierte Diskussion der „besseren Methodik“ ist nicht einfach, verlaufen die Diskussionslinien doch nach wie vor kontrovers. So fasst Kurz (2002: 1) nach einem umfassenden und kritischen Abgleich der gängigen Literatur dieser beiden Forschungsmethoden die Positionen wie folgt zusammen: „Der quantitativen Forschung, einer angeblich hypothesengeleiteten und damit dem naturwissenschaftlichen Paradigma sehr viel näher stehenden, angeblich objektiveren, valideren und reliableren Forschung steht eine qualitative – eher immer noch ein Schattendasein führende –, angeblich verstehende, das Subjekt und seinen alltäglichen Interaktionskontext berück- sichtigende Forschung gegenüber.“ Als handliches Unterscheidungskriterium dient der Einsatz von statistischen Methoden, die Benutzung sogenannter Skalen, überhaupt alle irgendwie standardisierenden Techniken. Den qualitativen Verfahren hängt nach Habermehl (1992: 49) „nicht zuletzt deshalb der Ruch der Ungenauigkeit an, des Behelfsmäßigen, des Vorläufigen. Den quantitativen Verfahren umgekehrt das Image der Fliegenbeinzählerei, der Pedanterie, des Zahlenfetischismus.“ 49 Streng genommen handelt es sich bei der teilnehmenden Beobachtung nicht um eine reine Form der Beobachtungsstudie. Da die Beobachter mit den Beobachteten kommunizieren und an deren Interaktionen teilnehmen, schließt sie mehr oder weniger systematische Befragungen mit ein (vgl. Habermehl, 1992: 5). 50 Die Abschlussberichte bezogen sich auf den Projektverlauf und bauten sich wie folgt auf: 1. Thema; 2. Ausgangssituation und Ziele; 3. Konzeption – Maßnahmen und Materialien; 4. Bewertung der Maßnahmen; 5. Bewertung des Projektmanagements; 6. Aufwand; 7. Hinweise zur Verwendung in der Alltagsorganisa- tion. 103 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Bei quantitativen und qualitativen Verfahren ist grundsätzlich das bekannte und vielfältig diskutierte Problem des Fremdverstehens angesprochen: Wie kann ich die Äußerungen eines Anderen verstehen und den Prozess des Fremdverstehens methodisch kontrollieren? Allen Hoffnungen zum Trotz kann es die eine, richtige Methode nicht geben, allenfalls eine nützliche Methode bezogen auf eine interessierende Fragestellung und die vorhandenen bzw. zugänglichen Daten. So kann man nach Auffassung von Reichertz (1995: 77) nur dann einschätzen, ob eine Methode gut oder schlecht ist, wenn man weiß (a), auf welche Frage eine Antwort gefunden werden soll und (b) welche Daten zur Verfügung stehen. Für Oswald (1997: 79) gibt es kaum ein Problem, das nicht sinnvoll quantitativ oder qualitativ erforscht werden könnte. Er bezweifelt, dass es ein Thema gibt, dessen Bearbeitung zwingend einen der beiden Methodentypen erfordere. Allerdings kann die verfolgte Absicht und dementsprechend der Ertrag unterschiedlich sein. Nach seiner Meinung (a.a.O. 82) sind Auftraggeber von Evaluationsstudien meist am Nachweis der Wirksamkeit von Programmen interessiert, und er führt aus, dass derartige Wirkungsforschung nur quantitativ durchgeführt werden könne. Demgegenüber hält er qualitative Verfahren für vorzüglich geeignet, wenn es darum gehe, die Schwierigkeiten bei der Implementation von Programmen darzustellen und zur Programmverbesserung beizutragen. Am Anfang wissenschaftlichen Vorgehens steht immer ein qualitativer Schritt, da der Forscher erst wissen muss, was untersucht werden soll (vgl. Mayring, 1997: 19). Mit quantitativen Verfahren wurde die Lernzielerreichung der jeweiligen Seminarbausteine gemessen. Diese Verfahren stoßen bei der Untersuchung der über die Seminarbausteine hinausgehenden komplexen Forschungsfragen an Grenzen. „Anders als bei quantitativer Forschung wird bei qualitativen Methoden die Kommunikation des Forschers mit dem jeweiligen Feld und den Beteiligten zum expliziten Bestandteil der Erkenntnis, statt sie als Störvariable soweit wie möglich ausschließen zu wollen“ (Flick, 1995: 15). Die quantitative Sozialforschung ist am Modell der Hypothesenüberprüfung, wie es in den Naturwissenschaften üblich ist, orientiert. Unter diesen Auspizien verblasst die Besonder- heit der gesellschaftlichen Wirklichkeit als sinnstrukturierte51. Der qualitativ verfahrende Forscher fragt typischerweise: Wie kann ich diese vorstrukturierten Sinnkonstruktionen möglichst objektiv verstehen und darstellen? In der quantitativen Forschung wird demge- 51 Die bekannte Grundannahme der Methodologie, die der qualitativen Forschung verpflichtet ist, lautet: Menschen handeln gegenüber Sachen wie gegenüber anderen Lebewesen auf der Basis von Bedeutungen, und diese Bedeutungen werden in sozialen Interaktionen vorausgesetzt, wie sie situationsbezogen in Interaktionen auch erst ausgehandelt werden. Das Alltagshandeln, ob in der Clique, in der Familie, im Beruf usw. ist durch sinnhafte Konstruktionen der Akteure gekennzeichnet, die, durch Regeln generiert, sich in Typisierungen, Wissen und Handlungsentwürfen niederschlagen (a.a. O. 43). 104 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand genüber die Nähe bzw. die Differenz der Probanden zu den theoretischen Konstruktionen gemessen. Wie der Sinnbezug der untersuchten Akteure Eingang in die theoretischen Konstrukte findet, wird vergleichsweise nur schwach kontrolliert (vgl. Asmus, 2002: 43 f). Es geht jedoch hier nicht darum, die Vor- und Nachteile der jeweiligen Methode gegen- einander ins Feld zu führen, eher ist eine komplementäre Vorgehensweise geboten. In Teilen kann im Rahmen dieser Arbeit auf Datenmaterial aus quantitativen Verfahren zu- rückgegriffen werden, was den Vorteil hat, verschiedene Perspektiven auf den Forschungsgegenstand zuzulassen. Insofern kann die Erhebung von Datenmaterial mit unterschiedlichen Verfahren durchaus als Komplettierung und Ergänzung im Sinne der Korrektur von Fehlinterpretationen verstanden werden. Nach Asmus (2002: 46) ist die Gefahr der Fehlinterpretation nicht aufhebbar. Durch Offenlegung des methodischen Vorgehens bei der Erhebung und Auswertung der sinnstrukturierten Daten werden die Ergebnisse jedoch überprüfbar gemacht. Die Vorzüge der Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden sind für Engler (1997: 126) evident. Sie werden darin gesehen, dass unterschiedliche Aspekte und Facetten des Untersuchungsgegenstandes beleuchtet werden, die Komplexität des sozialen Geschehens dargestellt und analysiert und somit eine differenziertere Erkenntnis gewonnen werden kann. Eine Umschreibung qualitativer Verfahren, die den Unterschied zu quantifizierenden Ver- fahren angemessen ausdrückt, bietet Oswald (1997: 75) an. „Qualitative Sozialforschung benutzt nicht standardisierte Methoden der Datenerhebung und interpretative Methoden der Datenauswertung, wobei sich die Interpretation nicht nur, wie (meist) bei den quanti- tativen Methoden, auf Generalisierungen und Schlussfolgerungen beziehen, sondern auch auf die Einzelfälle.“ Denn quantitative Forschung bildet keine Fallstrukturen ab. Sie stützt sich auf allgemein gültige Ergebnisse und ist gegenüber der historischen Individualität des Falles ignorant. Eine reale Individuierung von allgemeinen Bedingungen und Regeln, die Menschen in ihren Handlungssituationen immer vornehmen, findet hier nicht statt (vgl. Asmus, 2002: 47). Kardorff (1995: 8) hält quantitative Methoden für gut geeignet, den Rahmen für eine Untersuchung festzulegen, während das Aufzeigen von Vielfalt, Details sowie Zusammenhänge zwischen Rahmenbedingungen, Personen und Inhalten Stärken der qualitativen Methode sei. Für Kardorff stellt sich die Frage, ob quantitative Verfahren nicht eher den Status erkundender Methoden haben, die Spuren aufzeigen, an denen vertiefende und subtilere Verfahren eingesetzt werden müssen. Damit würde quantitative Methodik vor allem in der Pilotphase eines Projektes im Vordergrund stehen, um die Einstiege für die qualitative Hauptphase zu erkunden. Auf die unterschiedliche Akzentuierung von Erkenntnisakten macht Terhart (1997: 28) aufmerksam, wenn er schreibt: „In quantitativ empirischer Forschung wird ein streng theorie- und hypothesengeleitetes Verfahren bzw. Instrumentarium auf die Wirklichkeit gerichtet, die, derartig zubereitet, dann nur noch im Rahmen der vorab erfolgten Kanalisierung des 105 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Blicks auf die Abstraktionsebene zurückwirken kann. In qualitativ empirischer Forschung wird umgekehrt versucht, Abstraktionen aus der Erfahrung zu generieren und dabei einen Rückbezug auf die Erfahrungsbasis kontinuierlich aufrechtzuerhalten.“ Während in den beiden vorgenannten Statements Kardorff den „erkundenden, rahmenden“ Charakter quantitativer Verfahren von den „vielfältigen, vertiefenden“ qualitativen Methoden unterscheidet, geht es Terhart um die unterschiedlichen Akzentuierungen dieser beider Forschungsansätze in Bezug auf die Verhältnisse von Wirklichkeit und Abstraktion, von Erfahrung und Theorie. Im Rahmen dieser Arbeit sind die quantitativen Erhebungsinstrumente auf die Lernzielerreichung der Teilnehmer in den einzelnen Semi- narbausteinen ausgerichtet (s. Folgekapitel), während das angewandte qualitative Verfahren die Lernzielerreichung zwar nicht außer Acht lässt, aber im Schwerpunkt der Betrachtung steht hier der Transfer des Gelernten in den Arbeitsalltag der Führungskräfte und die Schwierigkeiten die damit verbunden sind. Um eine möglichst große Alltagsnähe herzustellen, wurden die qualitativen Interviews in den regionalen Dienststellen und dort wiederum in den jeweiligen Büros der Führungskräfte durchgeführt und nicht wie die Fragebogenevaluation in den Fortbildungsstätten am Abschluss der jeweiligen Seminarbausteine. Das Interview am Arbeitsplatz sollte den Führungskräften Sicherheit und Kontrolle der Situation vermitteln, um so die Bereitschaft zu nähren, sich einer verunsichernden Interviewsituation inklusive Tonbandaufzeichnung auszusetzen. Zur Herstellung von Alltagsnähe gehört aber auch der Gebrauch alltagssprachlicher Kommunikation durch den Interviewer, bzw. um als Interaktionspartner aufzutreten, bedarf es der Fähigkeit, sich auf die unterschiedlichen Sprachniveaus seiner Partner einzustellen (vgl. auch 4.5.1.2 f). Quantitative und qualitative Methoden unterscheiden sich nicht nur in dem Punkt „Alltagsnähe“. Mit quantitativen Verfahren lässt sich der Lernzielerreichungsgrad der Teilnehmer in den jeweiligen Einzelbausteinen relativ leicht ermitteln, welche Bedeutung, welchen Sinn und welche Plausibilität die Inhalte für den Arbeitsalltag der Führungskräfte haben, wird dadurch jedoch nicht erfasst. Auch fällt die Ermittlung des Bedeutungsgehaltes entweder für den Teilnehmer oder die Organisation, den die Führungskräfte den initiierten Projekten zumessen, nicht schwer. Damit ist aber noch nichts gesagt über die zugrunde liegenden Themen: Motivation für die Projekte, Ergebnisse der Ist-Diagnose, Erfolgsfaktoren im Projektverlauf, hinderliche und förderliche Rahmenbedingungen, Zielvorstellungen der Beteiligten und Rollenspannungen der Projektleiter. Das Wissen und der Bekanntheitsgrad der Neuen Steuerungsinstrumente lassen sich gut mit quantitativen Methoden erheben. Man erfährt dabei aber nicht oder nur äußerst unscharf, welche Instrumente mit welcher Begründung für den eigenen Arbeitsbereich für tauglich bzw. zielführend erachtet werden. Auch lassen sich mit quantitativen Methoden nicht die Relationen zwischen Rahmenbedingungen, Personen und Inhalten darstellen. 106 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Zusammenfassend lässt sich resümieren, dass in dieser Arbeit durch quantitative und qualitative Daten nicht nur Dimensionen beleuchtet werden, die miteinander verflochten sind, sondern diese Daten durchaus in einem Ergänzungsverhältnis gesehen werden können, was im besten Fall ermöglicht, unterschiedliche Facetten des komplexen Untersuchungsgegenstandes zusammenzufügen. 4.4 Die Anwendung quantitativer Erhebungsinstrumente Mit Hilfe standardisierter Fragebögen sollten vornehmlich Forschungsfragen untersucht werden wie z.B. folgende: Inwieweit wurde der Bildungsbedarf richtig erkannt? Welche Lernziele konnten verwirklicht werden? Wie wurden die der Lerninhalte in Bezug auf die Lernziele abgestimmt? Ìnwieweit passten Methoden und Medien zu den Lerninhalten? Inwieweit konnte das Fortbildungsteam die Teilnehmer erreichen? Welche erworbenen Kenntnisse konnten im eigenen Arbeitsfeld umgesetzt werden? (vgl. Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, 1997 c: 14). Alle Teilnehmer wurden am Ende jedes Bausteins durch einen strukturierten und standar- disierten Fragebogen zur Lernzielerreichung sowie zu den Inhalten und Methoden der Seminare befragt. Gemessen wurden der Grad der Zielerreichung eines jeden Bausteins, der Bekanntheitsgrad und die Praxisnähe der Inhalte, der Informationsgehalt der schriftlichen Unterlagen, die bedürfnisorientierte Gestaltung (Flexibilität, aktive Beteiligung der Teilnehmer, Möglichkeit von Erfahrungsaustausch beruflicher Praxis), das Lernklima, die Bedeutung der Fortbildung für die zukünftige Arbeit, die Bedeutung der bisher eingeleiteten PE-Maßnahmen, um die wichtigsten Kategorien zu nennen. Die Ergebnisse wurden in Mittelwerten und Prozentzahlen errechnet und in Form von Balkendiagrammen visualisiert. Außerdem enthielt der Fragebogen vier offene Fragen zum Verhalten der Referenten. Ebenfalls wurden durch Freitextfelder Anmerkungen und Anregungen der Teilnehmer für den folgenden Baustein generiert. Die Evaluationsergebnisse eines jeden Seminarbausteines wurden den Teilnehmern im darauf folgenden Baustein vorgestellt. Die Erkenntnisse aus den Rückmeldungen im Plenum wurden von der Projektgruppe zur weiteren Planung nachfolgender Bausteine benutzt. Lukasczyk (1999) legte im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine Lernprozessevaluierung für die ersten vier von zwölf Bausteinen vor. Sie wertete Evaluierungsbögen der ersten vier Seminarbausteine aus und führte eine Zwischenerhebung nach dem vierten Baustein durch. Wesentliche Befunde werden im Zusammenhang mit der Darstellung der qualitativen Untersuchungsergebnisse nach fünf Bausteinen im nächsten Hauptkapitel diskutiert. Ebenfalls werden relevante Aspekte der Auswertung aller Evaluierungsbögen der 12 Seminarbausteine zur Sprache kommen. 107 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand 4.5 Die Anwendung qualitativer Erhebungsinstrumente Die zentralen Elemente des qualitativen Forschungsansatzes sind die Durchführung der beiden Interviewreihen in einjährigem Abstand, mit dem Ziel, Auswirkungen der Qualifi- zierungsmaßnahme auf die Teilnehmer, ihre Arbeitsbereiche und die Organisation Polizei darzustellen. Fragen nach den subjektiven Reaktionen der Führungskräfte stehen dabei im Vordergrund. Deswegen können gerade bei einer so komplexen Fragestellung, bei der exakte Veränderungsmessungen äußerst problematisch oder sogar methodisch unmöglich sind, die Aussagen weniger Betroffener aussagekräftiger sein als ein exakt erscheinendes Evaluierungsinstrumentarium (vgl. Bleicher, 1984: 511). Dabei wird davon ausgegangen, dass die Führungskräfte selbst am besten wissen, welche Erfahrungen, Ideen und Anregungen Resultat der Qualifizierungsmaßnahme sind. Auch Wechselwirkungen, die sich aus dem Beziehungsgeflecht mit anderen Teilnehmern, Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern ergeben, bündeln sich in ihrer Wahrnehmung. Veränderungen in Einstellung und Verhalten lassen sich eventuell durch den einjährigen Abstand der beiden Interviewreihen herausfiltern. Dass solche Aussagen stark subjektiv geprägt sind, wird dabei in Kauf genommen und bei der Auswertung und Interpretation der Daten berücksichtigt. Auch muss mit Reichertz (1995: 90) einschränkend hervorgeho- ben werden, dass Interviews (zumindest auf der Ebene des Erzählten) entgegen tief sitzender Missverständnisse nur „in Ansätzen“ (Reichert formuliert hier radikaler „nicht“) die „wahren“ Gründe für menschliches Handeln einfangen (als die Gründe, die vor der Handlung lagen, mehr oder weniger bewusst waren und das Handeln motivierten). Solche Motive sind oft für immer verloren. Interviews liefern also nicht die ursprünglichen Um- zu-Motive, sondern allein interessierte Ex-post-Deutungen des eigenen Handelns und dessen Bewertung unter In-Rechnung-Stellung der aktuellen Situation, der antizipierten Zuhörererwartungen und des Wunsches, sich und sein Leben in der eigenen Deutung vorzustellen und plausibel zu machen. Deshalb offenbaren Interviews nur in Ansätzen (Reichertz „auf keinen Fall“) die „wirklichen“ Gründe für ein Handeln (plus Bewertung), sondern eher (Reichertz „allein“) sinnstiftende Deutungen zu dem Thema, was ein (zur Situation, zur eigenen Identität, zur Hörererwartung) passender Grund für eine Handlung (und eine Bewertung) gewesen sein könnte (Hervorhebungen im Original). Weitere Differenzierungen können an dieser Stelle unterbleiben, da sich durch die dezi- dierte Darstellung des Ablaufs der beiden Interviewreihen in Kapitel 4.5.1.2 und in Kapitel 4.5.1.3 relevante Inhalte und die zugrunde liegende Methodik erschließen lassen. In der Abwägung und Abgrenzung einzusetzender Verfahren wurde klar, dass mit anderen qualitativen Erhebungsverfahren, wie zum Beispiel Gruppendiskussionen (im Rahmen eines Bausteins), Experteninterviews (mit dem externen PE-Fachberater, dem internen Projektleiter, den eingesetzten Trainern) oder Beobachtungen (einer verhaltensorientierten Trainingseinheit), der komplexe Untersuchungsgegenstand nur schwer und unscharf zu 108 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand erfassen ist. So lassen sich subjektive, sinnstiftende Deutungen und Einstellungen der Führungskräfte nur teilweise durch Beobachtung erfassen. Auch ist zu bezweifeln, dass unter Beobachtungsgesichtspunkten im Rahmen einer Trainingseinheit persönliche Erfahrungen und private Erlebnisse mitgeteilt werden, da es der Untersuchungssituation an ausreichender Anonymität mangelt. Noch so fundierte Einschätzungen von Experten können schwerlich subjektive Befindlichkeiten und persönliche Entwicklungen der Teilnehmer im Laufe des Qualifizierungsprozesses erhellen. Somit wäre die zentrale Frage des Forschungsansatzes ungenügend fokussiert, bezieht sie sich doch auf die subjektive, sinnstiftende Darstellung des Erlebens der Führungskräfte im Hinblick auf die Wertigkeit des Erlernten für ihren Arbeitsalltag. Andererseits war die Heranziehung und Nutzung unterschiedlicher Datenquellen im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung (z.B. Gruppendiskussionen zu PE-Themen in mehreren Bausteinen, Expertengespräche mit dem Projektleiter/PE-Fachberater, Dokumentenanalyse durch Studium der Projektberichte der Teilnehmer, Teilnahme an der Vorbereitung und der Durchführung der Praxisbegleitungstage) ein ganz wesentlicher Informations- und Verständnisgewinn im Hinblick auf die Durchführung der qualitativen Interviews. Im September 1998 wurde das qualitative Forschungsvorhaben im Rahmen der Vorberei- tungen zum Baustein V „Projektmanagement“ mit dem internen Projektleiter und dem externen PE-Fachberater abgestimmt. In gewisser Weise waren diese beiden zentralen Akteure und der zuständige Referatsleiter im Innenministerium die „gatekeeper“ (Türwächter)52 für die Untersuchung dieser Qualifizierungsmaßnahme. Ausgerichtet an Machbarkeitskriterien (Zeit, Qualität, Ressourcen) wurde die Teilnehmerzahl auf 12 Füh- rungskräfte begrenzt, die im Rahmen von zwei Interviewreihen in einjährigem Abstand befragt werden sollten. Die Teilnehmer wurden nach einer Präsentation zum Forschungs- vorhaben im Plenum ausgelost. Die Auslosung geschah auf der Grundlage eines repräsentativen Querschnittes der teilnehmenden Rollenträger und der jeweiligen Füh- rungskräftefunktionen im Rahmen einer Stichprobe53. In allen qualitativen Studien besteht 52 „Türwächter“ sind Personen, die von der Stellung her in der Lage sind, dem Forscher Zugang zum Feld zu verschaffen. Sie müssen, wenn es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um eine Organisation handelt, eine relativ hohe Position innerhalb dieser Organisation einnehmen, weil ohne deren Unterstützung die Auswahl der Personen, die zur Stichprobe gehören sollen, kaum erfolgreich gestaltet werden kann (vgl. Merkens, 1997: 101). 53 Die Mächtigkeit von Stichproben differiert bei qualitativen Studien in der Regel zwischen einem und maximal hundert Fällen. Über das Problem ihrer Ziehung wird im Rahmen solcher Untersuchungen meistens explizit wenig nachgedacht. So finden sich auch in neueren Handbüchern keine eigenen Artikel über das Ziehen von Stichproben. Die Nähe zum Feld und die damit verknüpfte Authentizitätsannahme führen dazu, dass einer an Kriterien festgemachten Auswahl von Fällen wenig Bedeutung zugemessen wird (vgl. Merkens, 1997: 97). 109 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand unabhängig vom Typ die Herausforderung darin, gute Informanten zu finden. So müssen auch bei Feld- und Erkundungsstudien, wenn es sich beispielsweise um eine Organisation handelt, Personen ausgewählt werden, die beobachtet oder interviewt werden sollen. Morse (1994: 228) beschreibt gute Informanten mit folgenden Merkmalen: Sie verfügen über das Wissen und die Erfahrung, derer die Forscher bedürfen, sie haben die Fähigkeit zu reflektieren, sie können sich artikulieren, sie haben die Zeit, interviewt zu werden, und sie sind bereit, an der Untersuchung teilzunehmen. Verglichen mit quantitativen Untersuchungen spielt bei qualitativen Untersuchungen das Kriterium der statistischen Repräsentativität in der Regel keine Rolle. Stattdessen wird die Forderung nach der inhaltlichen Repräsentation, die über eine angemessene Zusammen- stellung der Stichprobe erfüllt werden soll. Eine angemessene Repräsentation ist immer dann erreicht, wenn einerseits der Kern des Feldes in der Stichprobe gut vertreten ist und andererseits auch die abweichenden Vertreter hinreichend in der Stichprobe aufgenommen worden sind (vgl. Merkens, 1997: 100). In der vorliegenden Untersuchung war die wichtigste Forderung, die repräsentativen Funktions- und Altersgruppen der Teilnehmerschaft in der Stichprobe zu erfassen. Anhand der Teilnehmerlisten ließen sich die relevanten Funktionsgruppen herausfiltern und zuord- nen. Jeweils drei Führungskräfte wurden aus den folgenden Funktionsgruppen gelost: ♦ Leiter von Polizeiinspektionen ♦ Leiter von Polizeikommissariaten ♦ Personaldezernenten der Behörden ♦ Vergleichbare Dienstposten (z.B. Dezernatsleiter etc.). Die „gelosten“ Führungskräfte der relevanten Funktionsgruppen repräsentierten somit das gesamte Funktionsspektrum der Teilnehmer, was eine breit angelegte, reichhaltige Infor- mationsgewinnung ermöglichen sollte. Die Forderung nach einer breiten Streuung der Altersgruppen wurde ebenfalls durch das Funktionsgruppensplitting erfüllt, da z.B. die Dienstposten der Personaldezernenten in den Behörden eher von lebensjüngeren Beamten des höheren Dienstes wahrgenommen werden, wogegen der mit A 15 besoldete Dienst- posten des Polizeiinspektionsleiters eher von lebensälteren Beamten ausgeübt wird. Die Hierarchieleiter nähert sich hier ihrem Ende. Allerdings ist in dem Sample nicht die ge- schlechtsspezifische Problematik repräsentiert, also unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen von Frauen und Männern, da keine der insgesamt vier weiblichen Teilnehme- rinnen zu den Gelosten gehörte. Die Idee, im Nachhinein noch eine der Teilnehmerinnen zu gewinnen, um auch weibliche Sichtweisen in die Untersuchung einfließen zu lassen, wurde in der Diskussion mit dem Projektleiter und dem PE-Fachberater verworfen, da dem erhebliche Schwierigkeiten bezüglich der Anonymisierung des Materials 110 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand entgegenstanden. Es musste befürchtet werden, dass erhebliche Teile aus besagten Anonymisierungsgründen dann so verfremdet hätten dargestellt werden müssen, dass die Relation zwischen Aufwand und Aussagewert nicht günstig gewesen wäre. Mit einem Kriterienkatalog der vorgestellten Art kann ein Netz gespannt werden, das im Sinne der (Fast-)Vollständigkeit sichert, dass die im Feld von den Führungskräften der Polizei eingenommenen unterschiedlichen Positionen angemessen repräsentiert sind. Gleichzeitig wird auch dem Aspekt der Ökonomie entsprochen, weil die Auswahlkriterien sicherstellen, dass man die Zahl der befragten Personen nicht zu groß werden lassen muss, um dem erstgenannten Ziel genügen zu können. Insgesamt wurden im Rahmen der Untersuchung 24 Interviews geführt, die ca. 42 Stunden auswertbares Tonbandmaterial ergaben. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Maßnahmen zur Erhöhung der Validität und der inhaltlichen Repräsentativität findet sich in der nachfolgenden Abbildung: 111 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand  Qualitative Interviews mit einem Drittel der gesamten Teilnehmerschaft  Losverfahren bei der Auswahl der Befragten versus Freiwilligkeit der Meldungen (evtl. hätten sich sonst nur die „Motivierten“ gemeldet)  Prozesshafte Vorgehensweise durch zwei Interviewreihen in einjährigem Abstand versus einmalige Erhebung  Auswahl der Teilnehmer nach Repräsentanz der Funktionen versus Zufall (evtl. ausschließlich eine Funktionsgruppe im Sample) Abb. 7: Eckpfeiler des Untersuchungsdesigns 4.5.1 Das problemzentrierte Interview als Untersuchungsmethode Bestandteile des problemzentrierten Interviews sind der Kurzfragebogen zum Abfragen der sozial statistischen Daten, die Generierung und der Einsatz eines (non-direktiven) In- terviewleitfadens, die Anfertigung eines Postskriptums sowie eine Tonbandaufzeichnung der Interviews (vgl. dazu auch Witzel, 1982: 89 ff, s. auch in Spöhring, 1989: 178 ff). Es bot sich zur Bearbeitung der Forschungsfrage die Methodik des problemzentrierten Interviews an. Im Vergleich zu weniger strukturierten Interviewformen, wie zum Beispiel dem narrativen Interview, arbeitet das problemzentrierte Interview mit einem Leitfaden, der sich auf vom Forscher erarbeitete, wesentliche Aspekte der Problemstellung konzentriert. „Der Leitfaden dient nicht zur Vorstrukturierung eines Frage-Antwort- Schemas, sondern fungiert im Gegenteil lediglich als Orientierungsrahmen und Gedächtnisstütze für den Interviewenden, indem er Hintergrundwissen thematisch organisiert“ (Friebertshäuser, 1997: 380). Ein weiteres Kriterium, sich gegen eine narrative Vorgehensweise nach Schütze (1978) zu entscheiden, war die Einschätzung des Autors, dass eine problemzentrierte Vorgehensweise sich als eher in die Orga- nisationskultur der Führungskräfte „passend“ erweist. Gerade in der Anfangsphase von narrativen Interviews wird versucht, den Interviewten eine längere Erzählsequenz zu entlocken. Eine freie Erzählaufforderung hätte bei einzelnen Teilnehmern stärker widerstandsbehaftet sein können. Ebenfalls war die Methodenwahl durch die Einschätzung beeinflusst, dass eine weitgehend narrative Vorgehensweise weniger Vergleichsmöglichkeiten der Interviews untereinander zulässt. Die Entscheidung für eine problemzentrierte Vorgehensweise ist als Kompromiss zu betrachten, wie von Hopf (1995: 178) beschrieben. „Problemzentrierte Interviews können als Kompromissbildungen zwischen leitfadenorientierten und narrativen Gesprächsformen 112 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand angesehen werden, wobei die Begriffswahl ,problemzentriert‘ kaum trennscharf ist: Denn wer möchte schon darauf verzichten, problembezogene Interviews zu führen?“ Als Vorteile von halb strukturierten Einzelinterviews haben Doppler & Lauterburg (1999: 197) die persönliche und individuelle Ansprache des Einzelnen, den höchsten Offenheits- grad, die hohe Interaktivität (Qualität der Kommunikation) und den Tiefgang der Analyse (ermöglicht ein sehr genaues Verstehen der betrieblichen Zusammenhänge) herausgear- beitet. Als Nachteil wird der hohe Zeitaufwand gesehen. Drei Kriterien sind Grundgedanken des problemzentrierten Vorgehens: Als erstes sei die Problemzentrierung benannt, die sich sowohl auf die zuvor vom Forschenden ermittelten Themenkomplexe bezieht wie auch auf die Betonung der Sichtweise der Befragten. Die Gegenstandsorientierung bezieht sich auf den spezifischen Bezug zum Forschungsge- genstand, dass heißt, die Methoden müssen am Gegenstand, „am Material“ entwickelt werden (vgl. Mayring, 1997: 19; Schmidt, 1997: 547 ff). Als drittes Prinzip wird die Prozessorientierung hervorgehoben. Gemeint ist die schrittweise Gewinnung und Prüfung von Daten im Forschungsprozess. Der reflexive Bezug impliziert auch eine eventuelle Revidierung von Entscheidungen auf der Grundlage von Erfahrungszuwachs (vgl. Witzel, 1982: 116). Der Vorteil der leitfadenorientierten Interviewführung ist die Eingrenzung des interessie- renden Problembereiches. Durch die gezielte Einschränkung des Datenmaterials wird eine detaillierte qualitative Analyse ermöglicht. Witzel (a.a.O.: 119) sieht den besonderen Nutzen dieser Interviewmethode in der Verwertbarkeit der Ergebnisse, da mit dieser Methode konkret und detailliert die Probleme aus der Sicht der Befragten in Erfahrung gebracht werden können. Voraussetzung hierfür ist, dass der Leitfaden nicht einen starren, dogmatischen Charakter bekommt und situative und individuelle Eigenheiten außer Acht lässt. Er soll in erster Linie zur Unterstützung und Ausdifferenzierung von Erzählpassagen dienen. „Das bedeutet, dass der Forscher/Interviewer auf der einen Seite den vom Befragten selbst entwickelten Erzählstrang und dessen immanente Nachfragemöglichkeiten verfolgen muss, und andererseits gleichzeitig Entscheidungen darüber zu treffen hat, an welchen Stellen des Interviewverlaufs er zur Ausdifferenzierung der Thematik sein problemorientiertes Interesse in Form von exmanenten Fragen einbringen sollte“ (a.a.O.: 90). Einen weiteren Vorteil des Leitfadeninterviews, nämlich Spontaneität und Flexibilität, beschreiben Bortz & Döring (1995: 289). Das Leitfadeninterview lässt genügend Spielraum, spontan aus der Interviewsituation heraus neue Fragen und Themen einzubeziehen oder bei der Interviewauswertung auch Themen herauszufiltern, die bei der Leitfaden-Konzeption nicht antizipiert wurden. Die vorwiegend positive Konnotation des Leitfadeninterviews im vorgenannten Sinne von „Spontaneität“, „Flexibilität“ und „Direktheit“ kann nicht verdecken, auf welch schmalem 113 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Grat sich der (interne) Forscher bewegt: Einerseits ist er dem Prinzip der Offenheit54 und Neutralität verpflichtet, andererseits permanent der Gefahr ausgesetzt, durch selektive Perzeption die Ergebnisse zu beeinflussen, wenn „spontan“ und „direkt“ auf spezifische Erzählsentenzen reagiert wird. Wann und unter welchen Umständen darf der Interviewer „spontan“ und „direkt“ eine Begründungspflicht beim Interviewten einfordern? Wann darf der Interviewte mit „vom Forscher subjektiv wahrgenommenen Widersprüchen“ konfrontiert werden? Einen Begründungszwang beim Interviewten einzufordern oder, noch problematischer, ihn auf Widersprüche hinzuweisen, bedarf nicht nur eines hohen Maßes an empathischen Fähigkeiten und der Berücksichtigung situativer und zeitlicher Aspekte, sondern vielmehr auch eines hinreichenden Wissens über den Interaktionskon- text des Befragten bezüglich seiner Frustrationstoleranz und Kritikfähigkeit. Wie wurde mit beschriebenem Spannungsfeld im Rahmen der beiden Interviewreihen umgegangen? Bei Wissensdefiziten des Forschers, unklaren Interaktionskontexten und subjektiv empfundenen Widersprüchen wurde vornehmlich auf zwei Ebenen seitens des internen Forschers reagiert. In diesen Phasen wurde einerseits einfühlsam und vorsichtig formuliert, um keine Verhörsituation aufkommen zu lassen. Gleichzeitig wurde sich bemüht, dem Interviewten zu vermitteln, dass seine subjektiven Erfahrungen und Erlebnisse interessant und wichtig sind, und dass er als Kommunikationspartner Fragen ausweichen oder unbeantwortet lassen könne. Der Forscher hat immer die Möglichkeit, später eventuell darauf zurückzukommen, entweder wenn der Befragte selbst die Absicht äußert, sobald die Vertrauensbasis intensiviert worden ist, oder zum Abschluss des Interviews. Verständnisschwierigkeiten und damit Klärungsbedarf seitens des Forschers wurden in der Regel mit einer „Ich-Botschaft“ eingeleitet (z.B. „Ich habe das folgendermaßen – es folgt konkreter Bezug – verstanden. War das so gemeint? Bitte erklären Sie mir das noch einmal, mir erschließt sich der Zusammenhang noch nicht – es folgt konkreter Bezug.“). Die hiermit angesprochenen bzw. erzielten Klärungen, Modifikationen und Verifizierungen durch die Interviewten wirkten beidseitig entlastend und sorgten für eine lebendige Gesprächsatmosphäre, so dass nach subjektivem Eindruck des Forschers die Offenheit und Motivation der Interviewten eher positiv unterstützt als beeinträchtigt wurden. Friebertshäuser (1997: 377) sieht als Hauptgefahr eines Leitfadeninterviews, dass das Interview zu einem Frage- und Antwort-Dialog verkürzt wird, indem die Fragen des Leitfadens der Reihe nach „abgehakt“ werden, ohne dass dem Befragten Raum für seine Themen und die Entfaltung seiner Relevanzstrukturen gelassen wird. Auf gängige „Kunst- 54 Das Prinzip der Offenheit besagt, dass die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat (Hoffmann – Riem, 1980: 343). Bekanntestes Beispiel für diese Art des Vorgehens ist die „grounded theory“ von Glaser & Strauss (1967). 114 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand fehler“ im Umgang mit Leitfadeninterviews macht Hopf (1995: 181 ff) aufmerksam. Sie benennt folgende Planungsfehler: Fehleinschätzungen des Verhältnisses von Informationsinteressen und von zur Verfügung stehender Zeit; überlange Leitfäden; die Häufung suggestiver Fragen; Schwierigkeiten und fehlende Geduld beim Zuhören und beim Aufgreifen von Anhaltspunkten für Nachfragen; eine aus Angst und Unsicherheit resultierende Unfreiheit im Umgang mit dem Frageleitfaden, der immer wieder ins Gedächtnis gerufen („Diese Frage hatten wir schon“) oder als Disziplinierungsinstrument benutzt wird („Wenn wir uns kürzer fassen, kommen wir heute noch mit unseren Fragen durch“), der aber auch den Blick für interessante, nicht antizipierte Aspekte verstellen kann. 4.5.1.1 Aufbau der Interviewleitfäden Die Erarbeitung vorformulierter Fragen und Themenbereiche grenzt nicht nur die Inter- viewthematik ein und gibt bestimmte thematische Komplexe vor, der Leitfaden dient auch dazu, eine gewisse Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Einzelinterviews zu sichern. Leitfadeninterviews setzen ein gewisses Vorverständnis des Untersuchungsgegenstandes auf Seiten der Forschenden voraus, denn das Erkenntnisinte- resse richtet sich in der Regel auf vorab bereits als relevant ermittelte Themenkomplexe (vgl. Friebertshäuser, 1997: 375). Die bedeutsamen Faktoren, die den Autor als internen Forscher bei der Entwicklung eines „gewissen Vorverständnisses zur Ermittlung relevanter Themenkomplexe“ beeinflusst haben, wurden bereits in Kapitel 4.2. und insbesondere in Kapitel 4.2.1 und 4.5 ausführlich behandelt. Dabei macht Dern (1998: 78) darauf aufmerksam, dass der interpretative Nachvollzug von Äußerungen durch den Forscher an dessen Vorverständnis gebunden bleibt. Diese Einsicht gehört auch zum untrennbaren Bestandteil des hermeneutischen Zirkels, nachdem die Teile einer Äußerung nur richtig zu verstehen sind, wenn die Sinnganzheit der Äußerung an die Teile herange- tragen wird. Und umgekehrt gilt, dass die Sinnganzheit einer Äußerung nur über deren Teile zu erschließen ist. Dies ist nicht nur ein Problem bei der nachträglichen Interpretation von dokumentierten Äußerungen des Probanden, sondern der Forscher erzeugt manchmal erst, wie z. B. im Interview, zusammen mit dem Interviewten Text und Kontext der Äußerungen (vgl. Asmus, 2002: 45). Wird z.B. bei der vorliegenden Studie das alltägliche Berufshandeln der interviewten Führungskräfte im polizeilichen Dienst richtig dargestellt oder wird eine Realitätssicht erzeugt, in der ein leitender Polizeibeamter diese Arbeit gegenüber einem internen Forscher darstellen möchte? Wichtiges Merkmal des Leitfadens sind offene Fragen, die im Hinblick auf Vorüberlegungen und Vorerfahrungen nicht suggestiv beeinflussend wirken. Es wurde Wert darauf gelegt, eindeutig zu fragen. Lange Fragen sollten vermieden werden, um Überforderungen des Befragten zu vermeiden. Ebenso wurde es als wichtig erachtet, nicht allgemein, sondern konkret zu fragen (vgl. Hron, 1994: 121). Inhaltlich haben sich im 115 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Besonderen die Diskussionen mit dem PE-Fachberater & Projektleiter als fruchtbar und erkenntniserweiternd erwiesen, da hierdurch wichtige Anregungen in den Leitfaden ein- flossen. Auf der Grundlage von Entwürfen wurden die Schlüssel- und Eventualfragen beider Leitfäden (s. Anhang) Themenbereich für Themenbereich durchgearbeitet und reflektiert, zum Teil präzisiert, modifiziert und erweitert. Auf diese Weise ließen sich problematische, zu komplexe oder unverständliche Frageformulierungen ermitteln und verbessern. Es hatte sich als hilfreich erwiesen, beide Leitfäden detailliert auszuformulieren, was neben der besseren Vergleichbarkeit auch erhebliche Entlastung für den Interviewer in der Interviewsituation bringt, ohne dass der Interviewer dann starr oder dogmatisch wirkte. Erste Priorität aller Kommunikationsstrategien sollte sein, dem Offenheitsprinzip zu entsprechen, um beim Interviewpartner z.B. Gedankenschleifen, Korrekturen durch zunehmende Erinnerung, die Nennung weiterer Beispiele und insgesamt seine Art und Weise der Entfaltung und Formulierung der in Frage stehenden Thematik anzuregen. Auf diese Weise sollen auch überraschende Informationen ermöglicht werden. Der Interviewer fördert die Narration und wartet dabei sozusagen ab, bis einzelne Äußerungen sich zu einem Muster fügen und umgekehrt interpretierte Muster durch später geäußerte Details korrigiert werden können (vgl. Witzel, 1996: 55). Die inhaltlichen Themenblöcke beider Leitfäden wurden durch Schlüsselfragen eingeleitet, um von den Befragten ganz gezielt Auskunft zu den wesentlichen Themengebieten zu erhalten. Da die Teilnehmer durch Los bestimmt waren, somit nicht alle „freiwillig“ an den Interviews teilnahmen, war es bei wenig erzählfreudigen Teilnehmern wichtig, durch Eventualfragen die Schlüsselfragen weiter aufzufächern und zu differenzieren. Als hilfreich haben sich auch kleine Geschichten, Anekdoten und Er- lebnisse erwiesen, die in der Folge den Interviewten veranlassten, eine längere Erzählsequenz zu liefern. Dieser wechselseitige Kommunikationsprozess diente der Ver- trauensbildung. Vertrauen wurde teilweise erst über diesen beidseitigen Kommunikationsprozess hergestellt. 4.5.1.2 Ablauf der ersten Interviewreihe Der Interviewzeitraum der ersten Befragungsreihe erstreckte sich von Ende Oktober 1998 bis Mitte November 1998. Dieser Zeitraum konnte insofern als günstig gewertet werden, da der Seminarbaustein V „Projektmanagement“ und das „PE-Controller-Forum“ wichtige Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelten und die Teilnehmer so mit dem notwendigen theoretischen Rüstzeug versorgt waren. Die Abstimmung des Projektdesigns war in den letzten beiden Seminarbausteinen erfolgt. Die Befragungsreihe war in der „Halbzeit“ der Qualifizierungsmaßnahme angesiedelt, was atmosphärische Vorteile hatte, da „Halbzeiten“ in der Regel zur Reflexion einladen. 116 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Bis auf eine Ausnahme (Besprechungszimmer in einer Polizeidirektion) fanden alle Inter- views in den Dienststellen der Führungskräfte statt und dort in den jeweiligen Dienstzimmern. Die durchschnittliche Dauer eines Interviews belief sich auf 1 Stunde 30 Minuten. Die folgende Abbildung zeigt die Intervieworte in Niedersachsen. Die Anzahl der Interviewpartner in den jeweiligen Orten ist in Klammern aufgeführt. Abb. 8: Verteilung der Interviewpartner in Niedersachsen Die Interviewsituation war in der Regel durch folgenden Ablauf gekennzeichnet: Nach dem Begrüßungsritual im Büro des Interviewteilnehmers sorgte ein wenig „small-talk“ für eine entspannte Anfangssituation. Hatte dann jeder seinen Platz eingenommen, stellte der Interviewer sich und den Zweck der Untersuchung vor. Da alle Interviewten an der Prä- sentation im Baustein 5 teilgenommen hatten, konnte diese Phase kurz gehalten werden. Sie wurde abgeschlossen durch die Nachfrage, ob in Bezug auf das Verfahren noch Klä- rungsbedarf bestand. In der Regel war das nicht der Fall. Die Zusicherung der Anonymität und des weiteren korrekten Umgangs mit dem Datenmaterial wurde erläutert. Je nach Interessenlage wurden mehr oder weniger komprimierte Erläuterungen zur Notwendigkeit 117 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand der Tonbandaufnahme gegeben. Der ungefähre Zeitrahmen wurde abgesteckt und geklärt, wie mit Störungen (z.B. eingehende Telefongespräche, Gesprächswünsche von Mitarbeitern) verfahren werden sollte (z.B. Abschalten des Aufnahmegerätes, Verlassen des Raumes, Stummschaltung der Telefonanlage, Absprachen mit Vorzimmer etc.). Als vorteilhaft erwies sich, eventuelle Befürchtungen oder noch offene Fragen der Interviewten offensiv anzusprechen und zu klären („Gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch Fragen oder Wünsche, die wir vor Beginn des Interviews klären sollten?“). In einem Falle wurde darum gebeten, auf einen Tonbandmitschnitt zu verzichten55. Hier bedurfte es eines intensiveren Eingehens auf die dahinterstehenden Erfahrungen, Ängste und Unsicherheiten. Ein gelegentliches Stoppen des Tonbandes und gemeinsames Anhören der Interviewpassagen erwies sich als entspannungsfördernd, wenngleich der Interviewverlauf nicht frei von Zähflüssigkeit blieb. Als besonders entlastend für die Interviewten hat es sich erwiesen, ihnen eine schriftliche Kurzform des jeweiligen Leitfadens in Form einer Darstellung der jeweiligen Schlüsselfragen vor Interviewbeginn zu überreichen, anhand derer die interessierenden Themenblöcke in Kurzform vorgestellt wurden. Unmittelbare Entspannung der Körperhaltung und der Gesichtszüge waren die Folge, was die Gesprächsatmosphäre und Mitteilungsfreudigkeit der Gesprächspartner positiv beeinflusste. Auch wurde es dem Befragten freigestellt, mit welchem Themenblock der Gesprächseinstieg erfolgen sollte. Bis auf eine Ausnahme entschieden sich die Teilnehmer für den vorgeschlagenen chrono- logischen Ablauf. Ein „kontaktförderlicher“ Gesprächsaufbau war Voraussetzung für ein perspektiven- und facettenreiches Gespräch. So wurden zu Beginn des Interviews relativ allgemeine Fragen zur Führungsaufgabe gestellt („Erzählen Sie mir bitte, in welcher Funktion Sie tätig sind und welche Aufgaben Sie wahrnehmen“). Daran schloss sich ein Fragenteil an, der auf die Rahmenbedingungen der spezifischen Führungsaufgabe einging, wobei berücksichtigt wurde, dass z.B. der Aufgabenzuschnitt eines Personaldezernenten anders geartet ist als der eines PI-Leiters („Worauf kommt es in Ihrer Aufgabe besonders an?“). Im dritten Teil wurde direkt Bezug genommen auf die Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“, wobei die Motive zur Teilnahme und die damit verknüpften Erwartungen ergründet werden sollten („Wie ist es zu Ihrer Teilnahme an der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ gekommen?“). Im sich daran anschließenden Teil wurden die Inhalte der bisher erlebten Seminarbausteine mit der Führungsaufgabe und dem Führungsverhalten verknüpft. Gefragt wurde nach den 55 Das Beispiel verdeutlicht, dass die Tonbandaufzeichnung eine erhebliche Intervention darstellt und sich schwerlich mit der geforderten Nähe zum Alltag der Befragten verträgt. Abseits von Pressegesprächen seitens der Interviewten sind in erster Linie „Tatverdächtige“, also „Kunden“ der Polizei, mit Tonbandaufzeichnungen im Rahmen von Vernehmungen konfrontiert. 118 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand bisherigen Auswirkungen der Fortbildung auf Haltungen, Einstellungen und Handeln der Führungskräfte. („Hat Ihnen die Teilnahme bisher etwas gebracht? Hat es Auswirkungen bis zum heutigen Tage gegeben?“) Die Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente im eigenen Bereich wurde fokussiert („Wie gestaltet sich die Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente in Ihrem Verantwortungsbereich?“) In der Folge wurde der Themenbereich „Führungskraft als Projektleiter“ behandelt. Bewusst wurden Anfangssituationen fokussiert, die sich auf die Gestaltung der ersten Schritte zur Implementierung der PE im eigenen Verantwortungsbereich bezogen („Wie sind Sie zur Wahl Ihres Projektes gekommen? Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Projekt?“) In beiden Interviewreihen hat sich für beide Seiten entlastend und gesprächsförderlich erwiesen, am Ende eines jeweiligen Themenblocks die Kernaussagen zusammenzufassen und diese Zusammenfassung durch den Interviewten verifizieren bzw. modifizieren zu lassen. So konnten beide Seiten gedanklich und emotional ein Thema „abschließen“ und einen entspannten, sanften Übergang zum nächsten Themenbereich einleiten. Die Sozialdaten (Alter, Geschlecht, Familienstand, Berufszugehörigkeit etc.) wurden in einem Kurzfragebogen am Ende des Interviews erhoben und werden im Folgenden tabellarisch dargestellt. Ein Postskriptum, welches nach Ende des Interviews angefertigt wurde, enthielt meine subjektiven Eindrücke hinsichtlich des Interviewablaufs. 119 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Alter Seit wann im Polizeidienst Jetzige Funktion Seit wann in dieser Funktion Anzahl unterstellter Mitarbeiter Thema des Projektes Anzahl der Projektmit- arbeiter Anzahl der vom Projekt Betroffenen 48 1968 PI-Leiter 1998 207 Qualifizierung des Wachbereiches 8 80 51 1967 PI-Leiter 1994 210 Qualifizierung von Nachwuchskräften 4 188 42 1975 PK-Leiter 1994 130 Anforderungsprofil Dienstabteilungsführer 5 150 47 1968 Personalplaner 1995 - Strukturierte Auswahlgespräche 7 ca. 450 39 1979 PK-Leiter 1998 148 Qualifizierung von Mitarbeitern 7 7 52 1965 Stellvertr. Abteilungsführer 1997 90 Anforderungsprofil 7 60 42 1975 Personaldezernent 1997 16 Strukturierte Auswahlgespräche 6 50 38 1978 PK-Leiter (z. Zt. Stabsfunktion) 1997 182 Systematische Einarbeitung 6 ca.15 39 1978 PK-Leiter 1997 130 Entwicklungsbedarfsanalyse 7 70 43 1976 KFI-OK-Leiter 1994 16 Strukturierte Auswahlgespräche 7 4–20 37 1981 Dezernatsleiter 1996 18 Wissenstransfer 6 80 46 1977 Personaldezernent 1997 10 Optimierung Personalinformationssystem 7 395 Abb. 9: Sozialdaten der Interviewteilnehmer 120 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand 4.5.1.3 Ablauf der zweiten Interviewreihe Die 12 Interviews der zweiten Interviewreihe haben im Zeitraum von November 1999 bis Januar 2000 stattgefunden. Der zeitliche Abstand zur ersten Interviewreihe betrug über ein Jahr. In der zweiten Befragungsreihe sollten die Auswirkungen der Qualifizierungsmaß- nahme auf Person, Rolle und Organisation weiter geführt und tiefenschärfer untersucht werden. Dieser Leitfaden wurde analog zum Leitfaden der ersten Befragungsreihe erstellt, um eine möglichst gute Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten. So arbeitete auch dieser Interviewleitfaden mit Schlüsselfragen, und jeweilige Eventualfragen wurden diesen zugeordnet. Darüber hinaus wurden neue Fragen formuliert, die bei der ersten Befragungsreihe nicht hätten beantwortet werden können, da nun die Gesamtmaßnahme, auch vor dem Hintergrund der formulierten Ziele, im Vordergrund des Interesses stand. Die Teilnehmer hatten zum Zeitpunkt der zweiten Befragungsreihe 11 Seminarbausteine absolviert und konnten in vier Gruppen an insgesamt 12 Praxisbegleitungstagen ihren Projektverlauf reflektieren. Viele befanden sich vor dem Abschluss ihres Projekts bzw. hatten mit ihrem Abschlussbericht begonnen. Der Interviewzeitpunkt erschien günstig, da sowohl eine zeitliche Nähe zum letzten Baustein als auch zum letzten Praxisbegleitungstag gegeben war, woraus sich eine gewisse Nähe zur Thematik ergab. Drei Teilnehmer der Befragung waren zwischenzeitlich in anderen Positionen und Funktionen, von denen ein Teilnehmer als Lehrkraft in ein anderes Bundesland gewechselt war. Bis auf zwei Ausnahmen (Hotelzimmer, Privatwohnung) fanden alle Interviews in den Dienststellen der Führungskräfte statt und dort in deren Dienstzimmern. Die Intervieworte waren, bis auf eine Ausnahme, identisch mit denen der ersten Interviewreihe. Da diesmal die Gesamtmaßnahme Gegenstand des Gespräches war, belief sich die durchschnittliche Gesprächsdauer auf ca. 2 Std. pro Interview. Zum „Aufwärmen“ und zum Aufbau einer entspannten Gesprächsstruktur empfahl es sich, sich nach Veränderungen bzw. nach einem eventuellen Wandel der Führungsaufgabe zu erkundigen („Gab es Veränderungen bei der Führungsaufgabe, bzw. in der Arbeitsorganisation?“). Der nun folgende Themenkomplex zielte auf den Ist-Stand der Erwartungen in Bezug auf die Qualifizierungsmaßnahme, die nicht von der jeweiligen Motivlage im Hinblick auf die Teilnahme zu trennen ist. Aus der ersten Befragungsreihe ließen sich biographie-, rollen- und organisationsbezogene Motivblöcke herauskristallisieren. Gefragt wurde nach dem Ist-Stand der Erwartungen bzw. deren Realisierung in Bezug auf die Qualifizierungsbau- steine („Wie zufrieden sind Sie mit den bisher erlebten Qualifizierungsbausteinen?“). Der nachfolgende Themenbereich war ein wesentlicher Kernbereich dieser Interviewreihe und bezog sich auf die Entwicklung des Projektes auf mehreren Ebenen (Ist-Stand, eingesetzte Diagnoseinstrumente, Dynamik der Projektgruppe, Rollenspannungen als 121 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Projektleiter, Bewertung des Prozesses im Rahmen einer Vor- und Rückschau). Benannt seien an dieser Stelle die Schlüssel- und Leitfragen („Wie hat sich Ihr Projekt weiterent- wickelt? Hat es Spannungen bzw. Konflikte gegeben? Welche Veränderungen wurden durch die Maßnahmen angestrebt bzw. sind diese eingetreten?“). Im Anschluss daran interessierte, wie hilfreich die Praxisbegleitungstage im Projektverlauf empfunden wurden („Inwieweit konnte von den Praxisbegleitungstagen profitiert werden?“). Die nachfolgende Frage sollte zur Distanzierung vom Prozess der Qualifizierungsmaßnahme einladen und fokussierte die Person und das organisationale Umfeld. Gefragt wurde nach den Auswirkungen auf Person, Rolle und Organisation („Hat es Auswirkungen bis zum heutigen Tage gegeben?“). Der letzte Themenblock war noch einmal gegenwartsbezogen, verdichtend resümierend angelegt, schlug aber auch die Brücke zur weiteren Entwicklung in der Zukunft („Was nehmen Sie mit? Gibt es PE-Bereiche, an denen Sie in Zukunft weiter arbeiten werden?“). Festzustellen war, dass die beiden gelben Ordner mit den schriftlichen Unterlagen zu den bisherigen 11 Bausteinen in den Diensträumen der Führungskräfte gut sichtbar positioniert waren. Bis auf eine Ausnahme wirkten alle Teilnehmer gelassener, sicherer und entspannter als bei der ersten Interviewreihe. Das mag damit zusammenhängen, dass das Prozedere der Interviewführung bekannt war, das heißt die Interviewsituation war nun nicht mehr so fremd und löste keine Ängste mehr aus. Dies kann aber auch darin begründet sein, und darauf weisen einige noch darzustellende Untersuchungsergebnisse hin, dass die Führungskräfte ihre Rolle im Umgang und „Handling“ von angewandten PE kompetenter und selbstbewusster ausgestalten. Bei dieser Interviewreihe war es eine Besonderheit, dass des Öfteren charakteristische Ge- sprächsausschnitte aus der ersten Interviewreihe in Kurzform zusammengefasst oder, wenn diese Äußerungen sehr anschaulich waren, im Original verlesen wurden, um anschließend aktuelle Einschätzungen, Stimmungsbilder und Statements zu erbitten. Die Vorgehensweise erzeugte lebhafte Aufmerksamkeit bei den Teilnehmern und war teilweise Anlass für humorige Anmerkungen, erzeugte in einem Fall aber auch Ärger, als ein Teilnehmer vehement abstritt, ein Zitat aus der ersten Interviewreihe gemacht zu haben. Eindeutig und unmissverständlich soll noch einmal hervorgehoben werden: Die hier beschriebenen Abläufe der beiden Interviewreihen stützten sich auf Leitfäden, die sich als wichtige Orientierungshilfe und Gedächtnisstütze bewährt haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Oberste Regel im Umgang mit den Leitfäden war, den Gesprächsfluss an der Erzähllogik des Interviewten auszurichten, was zur Folge hatte, dass Gedanken- und Themensprünge unvermeidlich waren. So ergab sich eine aufmerksame, lebendige Ge- sprächsatmosphäre, vielfach zeigte man sich erstaunt darüber, dass die Interviewzeit so schnell vergangen sei. Einzelne Teilnehmer erklärten am Ende nachdenklich-humorig, „gar nicht vorgehabt zu haben, so viel zu erzählen“. Allerdings stellte die strikte 122 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Ausrichtung auf die Erzähllogik des Interviewten erhöhte Anforderungen an die Auswertung der Interviews. 4.5.2 Auswertung durch qualitative Inhaltsanalyse Ein Vorteil des problemzentrierten Interviews ist die ausgezeichnete Kompatibilität mit dem Auswertungsverfahren der qualitativen Inhaltsanalyse. „Content analysis is a research technique for making replicable and valid inferences from data to their context“ (Krippendorf, 1980: 21 zit. nach Spöhring 1989: 190). Nach Mayring (1995: 209) steht dabei nicht nur der Erzählgehalt im Zentrum des Interesses. „Moderne Inhaltsanalyse zielt dabei nicht mehr nur auf den Inhalt des verbalen Materials ab. Formale Aspekte ebenso wie latente Sinngehalte kann sie zu ihrem Gegenstand machen.“ Dabei ist von Wichtigkeit, dass „Auswertungsstrategien an den jeweiligen Forschungsgegenstand und die Forschungsfragestellungen angepasst werden. Es gibt keinen Auswertungsmechanis- mus, der, einmal festgelegt, sozusagen aus sich selbst heraus theoretische Konzepte generiert“ (Witzel, 1996: 72). Der fehlende uniforme Auswertungsmechanismus bedeutet jedoch nicht, dass bei der qualitativen Inhaltsanalyse „wildes Deuten“ angesagt ist, also Texte einfach überflogen werden, einzelne Passagen hervorgehoben und andere vernachlässigt werden. „Intuitive Deutungen mit dem Charakter der Beliebigkeit, die weder objektiv (also intersubjektiv nachvollziehbar) noch reliabel sind (wahrscheinlich fallen dem Forscher am nächsten Tag ganz andere Ideen ein) sollen durch regelgeleitetes, systematisches Durcharbeiten des Textes vermieden werden“ (Bortz & Döring, 1995: 310). Eine nachvollziehbare Systematik der Textbearbeitung hat Mayring entworfen. Die Kernpunkte sind dabei das Arbeiten mit einem Kategoriensystem und das Zerlegen des Materials in Bearbeitungseinheiten. Wo ein solches Verfahren dem Gegenstand angemessen erscheint, führt es im Gegensatz zu einer „freien“ Textinterpretation zu entscheidend exakteren Ergebnissen, die auch leichter anhand von Gütekriterien nachprüf- bar sind (vgl. Mayring, 1995: 213). „Inhaltsanalyse will Kommunikation analysieren; fixierte Kommunikation analysieren; dabei systematisch vorgehen; das heißt regelgeleitet vorgehen; das heißt auch theoriegeleitet vorgehen; mit dem Ziel, Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen“ (Mayring, 1997: 13 - Kursivdruck vom Original übernommen). Im Folgenden wird eine Auswertungsstrategie dargestellt, die sowohl dem umfangreichen Datenmaterial als auch dem Forschungsziel gegenüber angemessen erschien und den dar- gelegten Gütekriterien qualitativer Forschung entsprach. Nach Mayring (1997: 111) sind solche Kriterien z.B. (a) die Verfahrensdokumentation, (b) die argumentative Interpretati- onsabsicherung, (c) die Nähe zum Gegenstand, (d) Regelgeleitetheit, (e) kommunikative Validierung und (f) Triangulation. 123 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Zu (a) Verfahrensdokumentation: Da das eigene, qualitative Vorgehen speziell auf den Untersuchungsgegenstand zugeschnitten war, wurde eine relativ detaillierte Beschreibung des Forschungsprozesses notwendig. Dies ist im Rahmen der Arbeit sowohl im Hinblick auf eine Explikation des Vorverständnisses (siehe Kapitel 2 und 3) und der Methodik der Untersuchung (siehe Kapitel 4.5 ff) als auch bezüglich der Darstellung von Datenerhebung (vgl. Kapitel 4) und Interpretation (Kapitel 5) geschehen. Zu (b) Argumentative Interpretationsabsicherung: Da die Untersuchungsergebnisse in ent- scheidendem Maße auf die im Forschungsprozess getroffenen Interpretationsentschei- dungen zurückgehen, müssen diese auf jeden Fall schlüssig sein. Deswegen wurde darauf geachtet, dass bei der Darstellung und Interpretation der Ergebnisse (siehe Kapitel 5) die jeweiligen Interpretationen argumentativ abgesichert waren. Dabei wurden auch Alterna- tivdeutungen berücksichtigt. Zu (c) Nähe zum Gegenstand: Die geforderte Nähe zur Alltagswelt der Beforschten konnten in der eigenen Untersuchung dadurch erreicht werden, dass der Autor als Angehöriger der Polizei Teil der Alltagswelt der Beforschten ist, das heißt, er wurde als interner Supervisor und Forscher wahrgenommen. Die damit einhergehenden Vor- und Nachteile, Schwierigkeiten und Spannungsfelder wurden eingehend in Kapitel 4.2.1 dargestellt und dem Leser offen gelegt, des Weiteren wurden dort Maßnahmen zur Optimierung des Forschungsverlaufs beschrieben. Zu (d) Regelgeleitetheit: Um im Forschungsverlauf nicht erwünschte Willkür von der notwendigen Beachtung des Prinzips der Offenheit abzugrenzen, war im Vorfeld und während der Untersuchung ein in Grundzügen festgelegtes systematisches Vorgehen erforderlich, was mit Hilfe externer Beratung und Fortbildung (siehe Kapitel 4.2.1) erar- beitet wurde. Die grundlegenden, regelgeleiteten Auswertungsschritte sind in dieser Arbeit in Kapitel 4.5.2 ff beschrieben. Zu (e) Kommunikative Validierung: Der Grundgedanke dabei ist, eine Einigung bzw. Übereinstimmung über die Ergebnisse der Analyse zwischen Forschern und Beforschten diskursiv herzustellen (Mayring, 1997: 112). Dabei ist die Gefahr der selektiven Wahr- nehmung und eventuellen Selbstbestätigung bei einer kommunikativen Validierung, die vom Forscher selbst durchgeführt wird, kritisch zu beurteilen. Im Bewusstsein dieser Grenzen wurde die Möglichkeit, durch eine kommunikative Validierung zur Absicherung der eigenen Untersuchungsergebnisse beizutragen, in der vorliegenden Untersuchung nur ansatzweise genutzt: einerseits im Rahmen der zweiten Interviewreihe, indem Befragte mit Statements aus der ersten Interviewreihe konfrontiert wurden, um ihnen Verifizierungen bzw. Falsifizierungen zu entlocken (s. Kapitel 4.5.1.3), andererseits, indem der Forscher seine vorläufigen Forschungsergebnisse im Rahmen des Bausteines 12 dem Plenum der Teilnehmer an der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ präsentierte und diskursiv erörterte (siehe Kapitel 4.2.1). Ein dritter 124 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Zugang des Austausches zwischen Forscher und Beforschtem wurde erschlossen, indem eine erste Veröffentlichung von Forschungsergebnissen (Driller, 2001) Bestandteil der Teilnehmerunterlagen zum ersten Jahrestreffen der Personalentwickler im Jahre 2001 war und während der Veranstaltung Raum für Fragen, Anmerkungen und Diskussion eingeräumt wurde. Zu (f) Triangulation: Durch die Heranziehung unterschiedlicher Datenquellen (z.B. quantitative Daten, teilnehmende Beobachtung, vgl. Kapitel 4.2.1) kann die Güte und Aussagekraft qualitativer Forschung verbessert werden, so dass eine umfassende Gesamt- beurteilung der Forschungsproblematik ermöglicht wurde. Es lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass einerseits durch die geschilderte Beachtung der Gütekriterien qualitativer Forschung von der Erfüllung wesentlicher Qualitätsstandards ausgegangen werden kann, andererseits die Gültigkeit der Ergebnisse doch immer noch stark von den subjektiven Entscheidungen und der Kreativität des Forschers im Untersuchungsverlauf abhängt. Hier dem Leser gegenüber Transparenz zu erzeugen und seiner Einschätzung zugänglich zu machen, ist Ziel der Kapitel 4.2 bis 4.5.2. 4.5.2.1 Erfassung und Kategorisierung Alle Interviews wurden mit einem Kassettenrekorder aufgenommen und anschließend verschriftet, um alles, was während des Interviews gesprochen wurde, so wortgetreu und vollständig wie möglich festzuhalten. Für die Verschriftung, auch Transkription genannt, gibt es unterschiedliche Regeln, die vor allem vom Forschungsinteresse und vom Auswertungsansatz abhängen. Dabei sollen neben den „sprachlichen Äußerungen nur diejenigen kontextuellen Daten aufgenommen werden, die nach den Auswertungskriterien für die Untersuchung als relevant anzusehen waren“ (Heinzel, 1997: 472). Es wurden emotionale Aspekte miteinbezogen, da Pausen, Wortstellungen und Versprecher für die Interpretation wichtig sein können (vgl. Schmidt 1997: 546). Es wurde dabei nur so viel und so genau transkribiert, wie es von der Fragestellung her tatsächlich notwendig erschien, damit die Lesbarkeit und Übersichtlichkeit des Transkripts nicht beeinträchtigt wurden (vgl. Flick, 1995: 162). 125 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Die Verschriftung erfolgte nach den folgenden Transkriptionsregeln: (5) = Dauer der Pause in Sekunden .... = unvollendeter Satz ((lachend)) = Begleiterscheinungen des Sprechens Nein = betont viel- = Abbruch ( ) = Inhalt unverständlich, Länge der Klammer entspricht der Dauer der Äußerung (sagte er) = unsichere Transkription Abb. 10: Transkriptionsregeln Alle Transkriptionen (insgesamt 24) wurden mehrmals gelesen. Da „lesen“56 selbst ein Prozess der Bedeutungskonstruktion ist, in den die Ziele bzw. Motive des Lesers, sein Vorwissen und seine speziellen Erfahrungen eingehen und mit dem neuen Wissen in einer fortlaufenden Auseinandersetzung verknüpft werden, waren insbesondere die in Kapitel 4.2.1 beschriebenen Maßnahmen57 hilfreich und erkenntniserweiternd. Der Entwurf eines weitmaschigen Kategorienschemas für die jeweiligen Interviewreihen anhand des markierten Materials war der nächste Analyseschritt. Es wurden vier Interviews (analog der repräsentierten Funktionsgruppen) ausgewählt und systematisch auf die darin vorkommenden Aspekte und Themen untersucht und mit dem Grobraster verglichen. Themen und Aspekte wurden in den Texten mit Kennzeichnungen markiert. Dabei war es Ziel des intensiven Durchlesens, „die Formulierungen, die die Befragten verwenden, zu verstehen und unter Überschriften zusammenzufassen“ (vgl. Schmidt, 1997: 549). Nach Flick (1995: 165) und Kuckartz (1997: 589) lassen sich im Wesentlichen drei Quellen benennen, aus denen Kategorien für Interpretationen geschöpft werden können: aus dem Datenmaterial, zweitens aus einem (vor)formulierten theoretischen Modell (z.B. aus der Literatur anderer, ähnlich gearteter Untersuchungen) und drittens anhand der konkreten Fragestellung (Leitfaden) des Forschers. Die Kategorienbildung erfolgte im Wesentlichen auf der Basis der Interviewleitfäden und anhand des Materials. „Das eigene 56 Lesen ist keineswegs eine einfache Angelegenheit, wie kein Geringerer als Goethe bestätigt: „Die guten Leutchen wissen nicht, was es einem Zeit für Zeit und Mühe gekostet hat, um Lesen zu lernen. Ich habe achtzig Jahre dazu gebraucht und kann jetzt noch nicht sagen, dass ich am Ziel wäre“ (Goethe in einem Brief an Eckermann vom 25.01.83, zit. nach Grzesik, 1990: 9). 57 In erster Linie sind die Aktivitäten unter der Rubrik „Unterstützung des internen Forschers durch externe Beratung und Fortbildung“ gemeint. In beiden Interviewreihen wurden exemplarisch transkribierte, anonymisierte Texte nicht nur vom Autor, sondern auch vom externen Berater bzw. einer interessierten Gruppe mehrmals gelesen, analysiert und ausgewertet. 126 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand theoretische Vorverständnis und die eigenen Fragestellungen lenken dabei bewusst die Aufmerksamkeit, so dass im Text zu ihnen passende Passagen und auch Textstellen, die den Erwartungen nicht entsprechen, entdeckt werden können“ (Schmidt, 1997: 549). Als wichtigste Hauptkategoriensegmente ließen sich folgende markieren: Die wichtigsten Auswertungskategorien der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ Struktur: 12 Seminarbausteine in zwei Jahren; Durchführung eines Projekts über den Zeitraum von einem Jahr ERWARTUNGEN; MOTIVE BEWERTUNG DER INHALTE AUSBLICK; WÜNSCHE NACH FÜNF SEMINARBAUSTEINEN NACH ZEHN SEMINARBAUSTEINEN (Nov./Dez. 1998) (Nov. 1999–Jan. 2000) LERNTEIL BAUSTEINE: Bedeutsame Inhalte – Auswirkungen auf den Arbeitsalltag – Förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen – Neue Führungs- und Steuerungsinstrumente und Führungsaufgabe – Leitung und Moderation PRAXISTEIL PROJEKT: Projektmotivation – Projektziel – Erkenntnisse aus Ist-Diagnose – Förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen – Erfolgsfaktoren – Praxisbegleitungstage EINFLÜSSE DER QUALIFIZIERUNGSMASSNAHME AUF ORGANISATION, PERSON UND ROLLE: Stellenwert Lernteil/Praxisteil – Stellenwert in Fortbildungsbiographie –Veränderungen – Multiplikatorenrolle Abb. 11: Auswertungskategorien der Qualifizierungsmaßnahme 127 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand 4.5.2.2 Strukturierung und Zusammenfassung Dieser Auswertungsschritt wird in der qualitativen Literatur oft als Kodierung bezeichnet, worunter „das Zuordnen von Codeworten (Kategorien) zu Textsegmenten“ (Kuckartz, 1997: 588) verstanden wird, oder, anders gesagt es handelt sich hier um „eine Zuordnung des Materials zu den Auswertungskategorien“ (Schmidt, 1997: 555). Hierbei soll jede neu kodierte Textstelle mit solchen verglichen werden, die zuvor mit derselben Kategorie kodiert wurde. Dieser Vergleich soll zur Entdeckung von Eigenschaften bzw. Merkmalen der Kategorie führen. Dieser Vorgang wird solange fortgeführt, bis der Vergleich von Textstellen nicht mehr zu neuen Einsichten und zur Entwicklung neuer Kategorienmerkmale führt. Wenn dieser Punkt „theoretischer Sättigung“ erreicht ist, soll der Forscher die Kodierung beenden und sich darauf beschränken, die Kategorien anhand ihrer Merkmale zu Oberkategorien zusammenzufassen, um die Integriertheit und Sparsamkeit der entstehenden Theorien zu sichern (vgl. Kelle, 1995: 27). Dabei hebt Flick (1995: 165) hervor, dass es sich hierbei um einen kreativen Prozess handelt. Es geht darum, anhand der Daten und Phänomene angemessene Kategorien und Kategoriensysteme zu entwickeln. Bei diesem Verständnis von Forschung hängt der Ertrag wesentlich von der Qualität der entwickelten Kategorien und der Kreativität des Forschers ab. Qualität meint dabei, einerseits den Daten gerecht zu werden und sie in ihrem Wesen abzubilden, und andererseits, „neue Zusammenhänge darin freilegen“. Wie wurde dieser Anspruch in die forscherische Praxis umgesetzt? Von jeder Interviewtranskription wurde eine zusammengefasste, paraphrasierte Fassung erstellt. Ziel der Zusammenfassung war es, die Inhalts- und Bedeutungsvielfalt der Aussagen weiter zu reduzieren, so dass die wesentlichen Inhalte erhalten blieben und ein Abbild des Grundmaterials ergaben (vgl. Mayring, 1997: 55 ff). Da alle Transkriptionen mit Hilfe eines Textverarbeitungsprogramms erfolgt waren, lagen die Voraussetzungen für eine computergestützte Analyse vor. Der inhaltsanalytische Arbeitsablauf gestaltet sich mit herkömmlichen Mitteln als recht aufwändig, wird im Englischen als „Cut and Paste- Technik“58 bezeichnet, im deutschsprachigen Raum auch als „Papier-Mund-Schere- Technik“ bekannt. Um dieses aufwändige Verfahren sowohl zu erleichtern als auch die 58 Gemeint ist das folgende methodische Vorgehen: „Mit Schere, Kleber und Karteikarte bewaffnet, bearbeitet man den Text und schneidet jene Stellen aus, die zu einem bestimmten Thema relevant sind. Auf die Karteikarte schreibt man zuoberst das Stichwort, darunter vermerkt man die Herkunft des Abschnitts und klebt den Textabschnitt auf“ (Kuckartz, 1997: 588). Diese Karten werden nach Schlagworten geordnet in Rubriken eines Karteikastens eingeordnet. Hierdurch können alle Textpassagen zu einem bestimmten Thema gesammelt und miteinander verglichen werden. 128 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand Nachteile59 dieser Vorgehensweise zu reduzieren, erwies sich die Einrichtung von Makros auf dem Desktop des Autors als hilfreich und nützlich. Das Ausschneiden des Textes geschah durch den Befehl „Text markieren“, das Anklicken der entsprechenden Makros versorgte dann automatisch den jeweiligen Textblock mit dem entsprechenden Textnamen (z.B. Interviewnummer), Seitenzahl im Originaltext und Fundstelle (Anfangs- und Endzeile) auf der jeweiligen Originaltextseite. Es verblieb, den jeweiligen Textblock mit dem entsprechenden Leitgedanken/Stichwort (Codewort) zu versehen, woraus sich später weitere Paraphrasierungen ableiten ließen. Auf Papier, Klebe und Schere konnte allerdings im Auswertungsprozess nicht verzichtet werden. Dieses Verfahren wurde eingesetzt, um die kodierten Texte zu visualiseren. Die Schlagwort- oder Stichwortzusammenfassungen zu einer Kategorie wurden an Pin- Wänden befestigt und konnten anhand von Bündelungen und Schwerpunktaussagen thematisch quantifiziert werden. So ergab sich bei dem genannten Beispiel, dass die Aussagen zur Motivationslage sowohl einheitliche als auch divergierende Muster aufzeigten. Erst wenn kein Zweifel mehr über Zuordnungen und Gewichtungen der einzelnen Statements bestand, wurden die Pins entfernt und die Statements geklebt. Vorher wurde immer wieder in die Originaltexte zurückgegangen, wenn z.B. feststellbar war, dass zu einer Kategorie von den befragten Personen keine Aussagen vorlagen, oder um zu überprüfen, ob eine Äußerung wirklich unter eine bestimmte Kategorie fiel. Der Vorteil der Visualisierung anhand von Pinwänden ist, dass sich Sinnzusammenhänge durch Pfeile markieren, Notizen und Statements anheften und Zuordnungen verändern lassen. Diese Vorgehensweise erwies sich als sehr arbeitsaufwändig. Hier war die intensive Kenntnis des Materials äußerst hilfreich. Im Laufe des Forschungsprozesses wurden anhand des Kategorienschemas und weiterer Ausdifferenzierungen weitläufige und vielschichtige „Kategoriensegmente“ produziert, was auch den Vorteil hatte, dass bei der Prüfung von Zusammenhangshypothesen auf diese später nicht nur zurückgegriffen werden konnte, sondern durch Zusammenlegen von „Kategoriesegmenten“ Sinnzusammenhänge auch erschlossen werden konnten. 4.5.2.3 Interpretation Die Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse sind zentrales Element der Qualitativen Inhaltsanalyse. Für Flick (1995: 167) geht es bei der Darstellung der 59 Als Nachteile werden gesehen: Textpassagen werden durch Ausschneiden aus ihrem Kontext gerissen; Überlappungen von Textsegmenten, die mit bestimmten Kodes verknüpft wurden, sind nur schwer darstellbar; eine differenzierte Kodierung von Texten führt schnell zur Unübersichtlichkeit von Karteien, da die Zahl der Karteikarten bei einem differenzierten Vorgehen schnell anwächst (vgl. Prein, 1995: 99). 129 4. Die Qualifizierungsmaßnahme als Untersuchungsgegenstand wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung darum, „den kreativen Umgang des Forschers mit seinem Material durch mehr oder minder formale Schritte und Kriterien im Sinne kontrollierter Subjektivität nachvollziehbar werden zu lassen“. Zur „kontrollierten Subjektivität“ lässt sich für eine methodologische Fundierung qualitativ-interpretativer Verfahren Folgendes sagen: Auszugehen ist von der Einheit „Interpret-interpretiertes Objekt“. Momente der Subjektivität sind in beiden Elementen enthalten und bedürfen der Kontrolle. Da der Interpret selbst Teil des Forschungsinstruments ist, ist sein Part ebenfalls methodenkritisch zu bedenken. Zu fordern ist, dass die konstituierenden und determinierenden Prozesse, die der Interpret in seine Arbeit einbringt, explizit benannt werden (z.B. die Forschungssituation und -absicht, die Untersuchungsbedingungen etc., vgl. Kapitel 4.2 ff). Da der Interpret nicht davon ausgehen kann, dass seine Deutungsmuster in jedem Fall zutreffen, ist er gehalten, weitere Optionen ins Auge zu fassen und für bisher nicht bekannte Handlungszusammenhänge offen zu bleiben (vgl. Brunner, 1994: 203f). Die reduzierten Textausschnitte dienten dabei durch ihre größere Übersichtlichkeit als Ausgangsbasis für das Aufspüren von Tendenzen und Mustern in den Daten. Wenn sich also in den Paraphrasierungen zu bestimmten Themen auffällige Wiederholungen ähnlicher Aussagen, eine Häufung von Meinungsäußerungen in eine bestimmte Richtung oder bemerkenswerte Gegensätze abzeichneten, so kam dies immer einer Aufforderung an den Forscher gleich, diese Evidenz durch Rückgriff auf die Basistexte abzusichern. Dies geschah, indem wieder die ungekürzten Textsegmente betrachtet wurden und nach ent- sprechenden Belegstellen gesucht wurde, die den festgestellten Sachverhalt besonders plastisch und prägnant darstellten. Dabei war handlungsleitend, sowohl typische als auch widersprüchliche Aussagen in den Mittelpunkt der Interpretation zu rücken. Im Rahmen der Interpretation wurde sich auch ansatzweise mit den unbewussten Inhalten der Texte und Aussagen auseinander gesetzt. Dabei wurde der vermittelte Sinn eines Statements in verschiedenen Richtungen gelesen. Besondere Beachtung fanden widersprüchliche, heterogene Sinndeutungen (fehlende Worte oder Satzteile, Unterbrechungen, auffällige Worte, Metaphern, Wiederholungen und gefühlsmäßig stark besetzte Ausdrücke). Auch wurden die Gedanken des Autors, die sich bei der Rezeption in Form einer Reaktion auf das Echo, das der Text auslöste, zugelassen. In einer Art Gegenübertragung antwortet der Autor auf die Übertragung (vgl. Laplanche & Pontalis, 1999: 550 ff) des Sprechers, indem der Autor seine Reaktionen darauf wahrnimmt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auswertung und Interpretation der Daten sich an folgenden Leitfragen orientierte: Warum wurde der jeweilige Aspekt betrachtet? Was sagten die Interviewtranskripte bzw. die strukturierten Zusammenfassungen zu der Thematik aus? Welche Textstellen belegten die aufgezeigten Tendenzen, Muster und Widersprüche prägnant? Was wurde von den Befragten nicht angesprochen bzw. 130 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse mitgeteilt? Wie lassen sich die herausgearbeiteten Sachverhalte interpretieren und in den Gesamtzusammenhang einordnen? 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Im Folgenden wird ein Überblick über die wesentlichen Untersuchungsergebnisse der er- kundenden Feldstudie gegeben. Die zentrale Fragestellung der Untersuchung fokussiert die Lern- und Transferprozesse von Inhalten der Maßnahme durch die Teilnehmer in den Arbeitsalltag bzw. Auswirkungen der Maßnahme auf die Organisation Landespolizei Niedersachsen. Dementsprechend wurde das vorhandene Datenmaterial aus vier verschiedenen Perspektiven dargestellt und interpretiert. Die Perspektiven beziehen sich (a) auf die subjektiven Reaktionen auf die theoretischen Seminarinhalte (vgl. Kapitel 5.1), (b) die Rezeption der Neuen Steuerungsinstrumente (vgl. Kapitel 5.2), (c) die Projektarbeit als Schlüsselkompetenz für den organisationalen Wandel (vgl. Kapitel 5.3) und (d) die Reaktionen der Organisation Landespolizei auf die personalentwicklerischen Wandelbe- mühungen. Ziel der Darstellung ist es, die zentralen Erkenntnisse der jeweiligen Kapitel herauszuarbeiten. Durch eine solche Schwerpunktsetzung ist es möglich, einen nachvoll- ziehbaren und plastischen Querschnitt durch die Untersuchungsergebnisse zu geben. Jedes Kapitel gibt zunächst einen kurzen Abriss über die jeweilige Thematik und zeigt Schwerpunkte auf, die bei der qualitativen Inhaltsanalyse auffielen. Charakteristische Zitate belegen dann unterschiedliche Positionen und Facetten der Thematik und werden interpretiert. Aus Gründen der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit wird im Wesentlichen darauf verzichtet, das gesamte Spektrum von ähnlichen Aussagen verschiedener Führungskräfte zu einem Sachverhalt durch Belegzitate abzubilden. Wesentliche Argumentationsstränge wurden zusammengefasst. Wichtiger erschien es, abweichende oder ergänzende Textpassagen aufzuführen, so dass auch gegensätzliche Meinungen nachempfunden werden können. Ziel der Inhaltsanalyse ist es, die herausgearbeiteten Tendenzen darzustellen und ihr Zustandekommen zu erklären. Hinter den Zitaten wird in Klammern jeweils die Interviewnummer, die Fundstelle und die Anfangszeile bzw. Endzeile des Textsegments ausgewiesen. Jedes Kapitel schließt mit einer Reflexion bzw. mit einem Zwischenfazit, inklusive der Herausarbeitung wesentlicher Kernaussagen der Teilergebnisse. 5.1 Inhalte zwischen Rahmenbedingungen und Lernarchitekturen Begonnen wird in diesem Kapitel mit den subjektiven Reaktionen der Führungskräfte auf die Seminarbausteine. Die zeitliche Darstellungslogik legte nahe, wesentliche Ergebnisse der quantitativen Untersuchung durch Lukaszyk (1999) vor der ersten Befragungsreihe darzustellen. Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse reflektieren dann die 131 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Kategorien Rahmenbedingungen, Teilnehmerkreis, Motive, Verunsicherungen der Teilnehmer, Kritikpunkte, Reaktionen des Umfeldes, aber auch erste Auswirkungen der Maßnahme aus der ersten Interviewreihe nach fünf Seminarbausteinen. Das Textmaterial der zweiten Interviewreihe, die ein Jahr später, nach 11 Seminarbausteinen stattfand, setzt sich gezielt mit den Unterschiedlichkeiten des Lernens in Groß- und Kleingruppen auseinander. Inhalte, Rahmenbedingungen und Leitungsverhalten dieser unterschiedlichen Lernarchitekturen werden zueinander in Beziehung gesetzt. Im Anschluss daran werden der Nutzen, den die Befragten bestimmten Seminarmodulen zumessen, beschrieben und die Auswirkungen der Bausteine mit hohem Wirkungsgrad auf das Alltagsverhalten diskutiert. Die unterschiedlichen Lernarchitekturen beeinflussten das Leitungsverhalten, standen für unterschiedliche organisationale Muster bzw. Handlungslogiken und wirkten so auf die Teilnehmer zurück. Themen wie Distanz und Nähe sowie das Verhältnis von formeller und informeller Kommunikation rückten damit in den Blickpunkt und werden organisationstheoretisch reflektiert. 5.1.1 Quantitative Ergebnisse zur Anfangssituation Lukasczyk (1999) hat im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine Lernprozessevaluierung für die ersten vier von insgesamt zwölf Bausteinen vorgelegt. Evaluierungsbögen der ersten vier Seminarbausteine wurden ausgewertet und eine Zwischenerhebung nach dem vierten Baustein durchgeführt. Die wesentlichen Befunde waren: Von den 37 Befragten gaben 31 an, „freiwillig“ an der Maßnahme teilzunehmen, und sechs Teilnehmer klassifizierten sich als „freiwillig gezwungen“ (Paradoxie aus dem Original übernommen). Bei der Einschätzung der derzeitigen Organisationskultur (Zeitpunkt der Abfrage: Ende Baustein 1) in Bezug auf Personalentwicklungsmaßnahmen auf einer Siebenerskala (eins = hemmend, sieben = fördernd) wurde ein Mittelwert von „zwei“ errechnet (a.a.O. 71). Skalenwerte bei fünf und sechs hinsichtlich der Gestaltung und Durchführung der Bausteine wiesen eine positive Rezeption aus. Der Zielerreichungsgrad lag in jedem Baustein über 60 % (a.a.O. 72). Für alle 37 Befragten ergab sich bei der Frage nach der Verwertbarkeit der Lerninhalte auf der Bewertungsskala von 0–100 % ein Mittelwert von knapp 60 % (a.a.O. 77). Im Bereich Hemmnisse bei der Umsetzung von personalentwicklerischen Maßnahmen im eigenen Arbeitsbereich wurden zuerst die eigene Arbeitsbelastung, aber auch die Überlastung mit einer Vielzahl von Einzelprojekten, die distanzierte Haltung der Behördenspitze im Niedersächsischen In- nenministerium und ein umfassender Veränderungsdruck genannt. Bei 13 Nennungen wurden Hemmnisse in Bezug auf Überforderungen der Mitarbeiter durch zu viele Neuerungen und mangelnde Akzeptanz sowie fehlendes Bewusstsein bei Führungskräften beschrieben (a.a.O. 84). Auf die Frage, ob die Führungskräfte Unterstützung durch ihre Vorgesetzten bei der Umsetzung personalentwicklerischer Maßnahmen erfuhren, gaben von 34 antwortenden Teilnehmern insgesamt neun an, „manchmal“, elf „kaum“, sieben 132 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse jedoch „ständig“ Unterstützung von ihrem Vorgesetztem zu erhalten. Die Bewertung der Kategorie „teils, teils“ zeigte dabei eine Tendenz in Richtung „kaum“ auf (a.a.O. 82). Die Zahlen verdeutlichten, dass bei der Mehrzahl der Vorgesetzten der Teilnehmer eine inhaltliche und sachverständige Auseinandersetzung mit dem Thema Personalentwicklung nur unzureichend stattfand (zu fragen bleibt, ob diese seitens der Teilnehmer eingefordert wurde). Die „fehlende Qualifikation der Kollegen“ spielte für insgesamt zehn der 36 Befragten eine Rolle (a.a.O. 84). Die Autorin resümiert in ihrem Fazit: „Warum manche Bereiche dennoch mehr und manche weniger Umsetzung in der Praxis fanden, lässt sich anhand der Ergebnisse dieses Fragebogens nicht konkret feststellen. Hierfür könnte es viele Begründungen geben, die im Fragebogen nicht ermittelt werden“ (a.a.O. 88). 5.1.2 Schwierige Rahmenbedingungen und ein heterogener Teilnehmerkreis Einzelne Aussagen aus den quantitativen Ergebnissen machen neugierig und sollen zum Anlass genommen werden, die konstituierenden Rahmenbedingungen und den Teilneh- merkreis eingehender zu betrachten. So war im Vorkapitel zu erfahren, dass sechs Teilnehmer von 37 Befragten sich als „freiwillig gezwungen“ beschrieben, also unter Druck der entsendenden Behörden und Einrichtungen an der Qualifizierungsmaßnahme teilnahmen. Hatte man nicht genügend „Freiwillige“ gefunden oder nicht gründlich und umfassend nach geeigneten Teilnehmern gesucht? Der Umstand der eher „erzwungenen“ Teilnahme Einzelner deckte sich nicht mit der Konzeption (vgl. Kapitel 4.1.2), richtete sich das Qualifizierungsprogramm doch an Führungskräfte, „die von der strategischen Bedeutung und Notwendigkeit der Personalentwicklung überzeugt sind und sich freiwillig der Qualifizierungsmaßnahme unterziehen“. Sowohl dieses Kriterium als auch die weiteren in Kapitel 4.1.2 aufgeführten konnten nicht überprüft werden, da auf ein Auswahlverfahren verzichtet wurde. Der Verzicht darauf bedeutete, dass wesentliche Parameter des Anforderungsprofils für zukünftige Personalentwickler, wie individuelle Einstellungen und inhaltliche Motivation, nicht überprüft werden konnten. War es der Mangel an Ernsthaftigkeit und Umsicht bei den politisch und administrativ Verantwortlichen, wenn bei einer Pilotmaßnahme mit erheblichen Auswirkungen auf den organisationalen Wandel in der niedersächsischen Landespolizei auf die Auswahl geeigneter Kandidaten im Sinne des Anforderungsprofils der Konzeption verzichtet wurde? Oder bestand gar kein Interesse an erhöhter Transparenz? Die Steigerung der Transparenz von Zielen, Teilzielen und Spielräumen öffentlichen Handelns gegenüber den Beteiligten birgt die Gefahr in sich, dass deutlich wird, in welchem Ausmaß das gesetzte Ziel unerreichbar bleibt. Was blieb? Vorerst eine kontraproduktive Botschaft an die Beschäftigten: Wenn schon bei einer bedeutsamen Pilotmaßnahme zum organisationalen Wandel auf das wichtige personalentwicklerische Instrument „Auswahlverfahren“ verzichtet werden konnte, wieso 133 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse sollten dann Auswahlverfahren zur Ermittlung des geeignetsten Bewerbers im alltäglichen Dienst eingerichtet und die hiermit erzielten Ergebnisse ernst genommen werden? Die Auswahl der Teilnehmer schien oftmals eher zufällig und spontan erfolgt zu sein. Im Vorfeld der Maßnahme war bei vielen Teilnehmern ein erhebliches Wissensdefizit hinsichtlich Inhalte und Ziele als auch hiermit verknüpfte Erwartungen und Belastungen festzustellen. War knapp die Hälfte der Teilnehmer an der Konzeption und Planung der Maßnahme aktiv beteiligt und damit im Vorfeld ausgezeichnet informiert (vgl. Kapitel 4.1.1), so blieben doch viele „Nicht-Eingeweihte“ ahnungslos, da seitens der Behörden und Einrichtungen unzureichend informiert wurde, was auch von der Hälfte der Inter- viewten als ein erheblicher Kritikpunkt markiert wurde. Exemplarisch ein Dienststellenleiter: „Ich selber hab von diesem Vorgang oder von diesem Vorhaben so gut wie gar nichts erfahren, es ging, also angekündigt wurde es für mich, es gibt so ein Seminar 3 Tage in Hannoversch Münden. Willst du da hinfahren? Da geht es um Personalentwicklung. So, und dann, als man mir gesagt hat, ich fahr da hin, habe ich mitbekommen, dass es ein zweijähriges Qualifizierungsprogramm war mit über 30 Seminartagen, da habe ich gedacht, ja gut dann haben sie ja den Richtigen ausgesucht, nur ich wusste es nicht.“ 11/22/17-21 Auch lässt die dürftige Informationspolitik der Behörden und Einrichtungen im Vorfeld der Maßnahme den Schluss zu, dass trotz der Erarbeitung von Rahmenvorgaben und der inhaltlichen Schwerpunkte unter Beteiligung der bedeutsamen Hierarchiestufen und Funktionsträger (vgl. Kapitel 4.1.1) die Diskussion um Dimension, Ausgestaltung und Funktion zukünftiger Personalentwickler im Wesentlichen auf den Kreis der unmittelbar „Beteiligten“ beschränkt blieb. Wenn schon „Auserwählte“ darüber klagten, äußerst dürftig bzw. falsch und dann noch sehr kurzfristig informiert worden zu sein, wie dürr und mager mag dann erst die Informationslage unter den nicht direkt betroffenen Dienststellen und deren Beschäftigten gewesen sein? Allerdings greift die Typisierung in „Gutinformierte“ und mehr oder weniger „Ahnungslose“ zu kurz. Es gab noch einen dritten Typus, den „Ahnungsvollen“. So wurden Befragte charakterisiert, die mehr über die kommende Entwicklung wussten, aber aus taktischen Gründen hiermit hinter dem Berg hielten. Ein Beispiel: „Ja, das weiß ich noch relativ deutlich. Es war fünf vor vier Uhr und ich kriegte einen Anruf des X (Direktor der Polizei – Ergänzung des Autors), der mich fragte, Herr Z. wollen Sie sich qualifizieren lassen zur Personalentwicklung? Daraufhin habe ich die Frage gestellt, was ist denn das überhaupt? Das war vielleicht ein bisschen unfair, weil ich wusste so ungefähr, was sich dahinter verborgen hat. Und er hat dann so sinngemäß gesagt, ja da werden Sie qualifiziert und dann müssen Sie so zwei bis drei Mal in Dienstbesprechungen was darüber erzählen. Aber mehr ist das eigentlich nicht, Herr Z.“ 12/17-18/29-2 In diesem Statement informierte ein Direktor der Polizei äußerst bruchstückhaft, da der tatsächliche Arbeitsaufwand, wichtige Inhalte und das geforderte Commitment verschwiegen wurden. Stattdessen wird der zukünftige Teilnehmer mit einer Qualifizierung „gelockt“, die lediglich zur Folge habe, dass man „zwei bis drei Mal in 134 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Dienstbesprechungen was erzählen muss“. Vielleicht lag in dieser Aussage aber auch sehr viel Organisationserfahrung, nämlich die Einschätzung, dass sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen „Personalentwicklung“ auf das Davon-Erzählen in Dienstbesprechungen beschränkt. Aber auch der zukünftige Teilnehmer hält mit seinem Mehrwissen hinter dem Berg, stellte sich dumm und ahnungslos in Bezug auf das Thema Personalentwicklung, wobei er einräumt, dass seine eingenommene Haltung „ein bisschen unfair“ gewesen sei. So wählten beide Seiten eine Strategie, die einerseits einen offenen, ehrlichen und konstruktiven Austausch über die Perspektiven, Belastungen und Ziele verhinderte, andererseits aber höchst erfolgreich und zielführend war: Der Direktor hatte seine Aufgabe erfolgreich erledigt und mit geringem zeitlichen und kommunikativen Aufwand einen Teilnehmer seiner Behörde für die Maßnahme geworben. Der Teilnehmer war ebenfalls zufrieden. Durch die Ansprache des Direktors konnte er sich als „auserkoren“ betrachten, als Teil einer Elite. Er war „dabei“. Die genaue Erinnerung an die Uhrzeit des Anrufs des Direktors lässt erahnen, wie bedeutsam und markant die Auswahl seiner Person für den Teilnehmer gewesen sein musste. Der schlechte Mittelwert von „zwei“ (eins = hemmend, sieben = fördernd) bei der Einschätzung der polizeilichen Organisationskultur durch die Teilnehmer am Ende des Bausteines 1 verdeutlichte erhebliche Vorbehalte, ohne dass klar erschien, worauf sich diese gründeten. Eindeutig erschien einzig die skeptische Einschätzung: Die Startbedingungen für Personalentwicklung in der Landespolizei wurden als eher ungünstig und schwierig bewertet. Ein Teil der Skepsis mochte dadurch begründet sein, dass zum Zeitpunkt der Abfrage klar war, dass das Innenministerium sich an dem Qualifizierungsprogramm nicht durch die Entsendung von Teilnehmern beteiligen würde. Somit war für viele Teilnehmer unklar, ob die oberste Behörde die personalentwicklerischen Veränderungen wirklich befürwortete und im eigenen Bereich anwenden würde. Ein anderer Teil der pessimistischen Einschätzung könnte in der Haltung der Mitarbeiterschaft der Führungskräfte zu suchen sein, die der Teilnahme ihrer Vorgesetzten neutral bis kritisch gegenüberstanden. Die Mitarbeiterreaktionen auf die Teilnahme der Vorgesetzten zur Halbzeit der Qualifizierungsmaßnahme bezogen sich auf zwei wesentliche Reaktionsstränge. Der erste Reaktionsblock ließ sich mit Zuschreibungen wie „abwartend“, „teilnahmslos“ oder „zur Kenntnis nehmend“ charakterisieren. Die Interviewten erklärten das Desinteresse oftmals mit fehlender Information der Mitarbeiter über das Gelernte. Die Mitarbeiter wurden deswegen unzureichend informiert, da die Befragten selbst noch Mühe hatten, die vielen neuen Informationen zu Beginn der Maßnahme einzuordnen, einzuschätzen und zu verarbeiten. So kam es dann beidseitig zu einer Sprachlosigkeit, die durch eine Führungskraft folgendermaßen beschrieben wurde: „Aber die Mitarbeiter gucken mich schon an, wenn ich sage, also ich bin dann und dann da und dann sagen die, ja, kennen wir schon.“ 7/20/19-21 135 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Der andere Reaktionsstrang war eher negativ ablehnend, zum Teil mit affektiven Reaktionen der Mitarbeiter auf den teilnehmenden Chef versehen. Das „Zutexten“ der Mitarbeiter mit abstrakten Begrifflichkeiten, ohne in diesem Stadium sagen zu können, welche Auswirkungen der Veränderungsdruck auf die Mitarbeiter haben würde, führte zu Negativreaktionen, wie ein Dienststellenleiter sie darstellte: „Schon wieder so ein Blödsinn wird dann gesagt. Ich nehme mir regelmäßig und sehr häufig Zeit, meine Mitarbeiter über die Neuerungen in der Polizei zu informieren, die geplanten Steu- erungsinstrumente, das ganze Modell, es ist sehr schwierig zur Zeit, das an den Mann zu bringen oder an die Frau zu bringen.“ 6/23-24/29-1 „Wenn wir ihn brauchen, ist er nicht da“, so beschrieb eine andere Führungskraft die Bewertung seiner Mitarbeiter. Die maßnahmebedingte, häufige Abwesenheit vom Arbeitsplatz beschäftigte auch andere Teilnehmer. Die Folge war für einen Befragten, dass die hiermit zusammenhängende verdichtete Arbeitszeit eine durchgängig mitarbeiterzugewandte Haltung, die ihren Ausdruck in einer „Politik der offenen Tür“ in seinem Polizeikommissariat fand, nicht mehr durchzuhalten war. „Die Tür ist notgedrungen ab und zu verschlossen“, lautete seine Schlussfolgerung. Zu Beginn der Maßnahme war die Lage für die Teilnehmer bezogen auf die Mitarbeiter- schaft also schwierig. Gaben sie sich wenig mitteilsam, war oftmals beidseitig Sprachlosigkeit die Folge und verstärkte nicht zur Sprache kommende Phantasien und Spekulationen. Versuchten die Führungskräfte ihre Mitarbeiter frühzeitig einzubinden, hinsichtlich der Sinnhaftigkeit des Wandelbestrebens, war dies angesichts der damaligen Entwicklung und Ausreifung der Steuerungsinstrumente nur auf einem recht hohen Abstraktionsniveau möglich. Affektiv gefärbte Negativreaktionen der Mitarbeiter waren dann oft die Antwort, was wiederum auch die Mitteilsamkeit einiger Führungskräfte in Richtung Mitarbeiterschaft beeinflusste. Da diese Führungskräfte für die Teilnahme an der Maßnahme nicht freigestellt waren, bedeutete dieser Umstand eine höhere Arbeitsbelastung durch stärkere Arbeitsverdichtung, was in Einzelfällen Entfremdungstendenzen am heimischen Arbeitsplatz erhöhen konnte. Nachdem die Informationspolitik bezogen auf die Qualifizierungsmaßnahme aus der Sicht von „oben“ und von „unten“ ausgiebig dargestellt wurde, soll nicht versäumt werden, den Teilnehmerkreis eingehender zu beschreiben. Ihn kennzeichnete eine ausgeprägte Heterogenität, da sich die Landespolizei Niedersachsen in ihm in ihrer Vielfalt abbilden sollte. Den Hauptteil der Teilnehmer stellten die Bezirksregierungen und Polizeidirektionen und die jeweils nachgeordneten Polizeiinspektionen und Polizeikommissariate. Ein gutes Viertel der Teilnehmerschaft kam jedoch aus anderen Behörden und Einrichtungen der Landespolizei, wie z.B. Fachhochschule, Bildungsinstitut der Polizei, Bereitschaftspolizei, Landeskriminalamt, Polizeiamt für Technik und Beschaffung. Die große Mehrheit der Teilnehmer waren Angehörige des höheren Dienstes. Von 39 Teilnehmern gehörten insgesamt 31 dem höheren Dienst an, davon 8 Polizei- und Kriminaldirektoren, 16 Polizei- und Kriminaloberräte und 8 Polizei- und 136 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Kriminalräte. Vornehmlich Hauptkommissare bildeten den Schwerpunkt des teilnehmenden gehobenen Dienstes. Der niedrigste Dienstrang war ein Polizeioberkommissar. So erstreckten sich die Hierarchiestufen der Teilnehmer über 6 Ebenen, von A 10 (Oberkommissar) bis A 15 (Polizeidirektor). Die folgende Abbildung verdeutlicht die vertretenen Hierarchieebenen. 137 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Abb. 12: Zuordnung der Teilnehmer nach Hierarchiestufen Auf der Grundlage des Interviewsamples variierte das Alter der Teilnehmer zwischen 37 und 51 Jahren (Durchschnittsalter 44 Jahre), die Dienstzeit bei der Polizei reichte von 17 bis zu 31 Jahren. Bei einem solch heterogenen Teilnehmerkreis lag es in der Natur der Sache, dass auch das Wissen um Personalentwicklung erheblich differierte. Die Bandbreite erstreckte sich hier vom komplett Uninformierten bis zu recht gut informierten und präparierten Teilnehmern. Letzterer Personenkreis rekrutierte sich im Wesentlichen aus drei Personengruppen: Insgesamt acht Teilnehmer nahmen mit doppelter Zugehörigkeit teil, waren einerseits Teilnehmer der Maßnahme als auch Teilnehmer des Projektes „Führungskräfteentwicklung“. Da dieses Projekt schon ein Jahr vorher den Auftrag erhalten hatte, eine umfassende Konzeption zur Qualifizierung von Führungskräftenachwuchs und ein Konzept zur Qualifizierung von Führungskräften zu erarbeiten, war dieser Personenkreis mit Teilen der Materie, insbesondere mit den Handlungsfeldern „Anforderungsprofile“ und „Auswahlverfahren“, vertraut (vgl. Kapitel 4.1.2 Fußnote 37). Eine andere Personengruppe, die ebenfalls aus acht Teilnehmern bestand, gehörte zur Bezirksregierung Braunschweig. Seit 1997 orientierte sich diese Behörde an einem von Mitarbeitern entwickelten „Rahmenkonzept Personalentwicklung für die Polizei im Regierungsbezirk Braunschweig“. In diesem Rahmenkonzept wurden wesentliche Aussagen zu den Instrumenten der Personalentwicklung gemacht, Förder- möglichkeiten für Mitarbeiter beschrieben, die Zielgruppen markiert und Eingangs- und Teilnahmevoraussetzungen dargestellt. Auf Grund dieser Vorerfahrungen verfügten die sieben Teilnehmer dieser Bezirksregierung teilweise über Wissensvorsprünge in den ersten Bausteinen, da in den anderen Bezirksregierungen und Polizeidirektionen derartige Verteilung der Teilnehmer nach Hierarchiestufen N = 39 8 16 8 2 4 1 Polizei bzw.K riminaldirektoren A15 Polizei bzw.K riminaloberrräte A14 Polizei bzw. K riminalräte A 13 Erste Polizei bzw. Kriminalhauptkommissare A13 Polizei bzw. K riminalhauptkommissare A12/11 Polizeioberkommissar A10 138 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Konzeptionen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Stellvertretend für die dritte Personengruppe kann ein Befragter genannt werden, der den ersten Seminarbausteinen wenig abgewinnen konnte, da sich für ihn inhaltlich vieles wiederholt hatte. Hier war der Hintergrund, dass der Betreffende und mit ihm einige andere Teilnehmer erst kürzlich den Ratslehrgang zum höheren Dienst an der Polizeiführungsakademie (PFA) Münster60 absolviert hatten, wo ähnliche Lerninhalte zur Personalentwicklung und den Neuen Steuerungsinstrumenten gelehrt worden waren. Neben den unterschiedlichen Wissensständen und Vorerfahrungen sind aber die Motivationslagen der Teilnehmer von Bedeutung, was Gegenstand des nächsten Abschnitts ist. 5.1.3 Motive für die Teilnahme Für alle 12 Befragten war der Wunsch nach der Optimierung des Führungsverhaltens durch eine Stärkung und Verbesserung der eigenen Führungskompetenzen handlungsleitend. Dies drückte sich aus in: ♦ dem Wunsch, mehr über systematisierte und gezielte Mitarbeiterförderung zu erfahren, ♦ Erwartungen, die Anwendungsmöglichkeiten von PE-Instrumenten differenziert kennen zu lernen, ♦ Hoffnungen auf erweiterte Handlungsmöglichkeiten bei der Bearbeitung von Qualifi- zierungsdefiziten bei Mitarbeitern. Die Statements verdeutlichten eine enge Wechselwirkung zwischen dem Wunsch der Teilnehmer nach strukturierter Mitarbeiterförderung und der Erweiterung des eigenen Verhaltensrepertoires als Führungskraft. Bei über der Hälfte der Befragten stand neben den zuvor genannten Gründen noch or- ganisationsbezogene Motive im Vordergrund. Diese ließen sich in zwei Kategorien einteilen, die ungefähr gleichgewichtig benannt wurden: in den Wunsch, den durch Polizeireform und Verwaltungsreform bedingten organisationalen Wandel aktiv mitzugestalten und eigene Erfahrungen mit Organisationsdefiziten. „Wie kann man das anders machen, was ich am eigenen Leib erfahren habe, wenn ich an meinen Aufstieg in den höheren Dienst denke, wie unstrukturiert das alles gelaufen ist, in welchen gedanklichen Situationen man sich befunden hat, weil man einfach keine Ansprechpartner gehabt hat. Weil die Vorgesetzten nicht kompetent waren, einem 60 Das Polizeiwesen und das Polizeirecht sind Angelegenheit der Länder. Die Polizeiausbildung für den höheren Polizeidienst erfolgt – gemäß diesem Grundsatz – 1 Jahr bei den Entsendeländern, 1 weiteres Jahr als zentrale Ausbildung für alle Anwärterinnen und Anwärter an der Polizeiführungsakademie Münster (Quelle: www.pfa.nrw.de/1/sv/internet_ neu/diepolizei.htm). 139 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Hilfestellung zu geben, weil man kein System und keine klare Linie erkennen konnte. Nichts Berechenbares, auf das man sich einstellen konnte.“ 2/10/17-23 Wandel heißt Veränderung. Den Wandel mitgestalten zu können, bedeutete für einen Teilnehmer eine besondere Chance. Er betrachtete sich als Teil einer auserwählten Elite und die Möglichkeit, konstruktiv gestalterisch wahrgenommen zu werden, hatte für ihn karrierefördernde Elemente. In seinen Äußerungen zur persönlichen Motivationslage wurde explizit ein direkter Karrierebezug benannt. „Es gibt in Niedersachsen seit der Polizeireform oder dem Einstieg in die Polizeireform viele Projekte, viele Entwicklungen, die die Polizei grundlegend prägen. Wo man mitgestalten kann, wo man partizipieren kann, wo man – und jetzt kommt das Ehrliche – sich aber auch einen Namen machen kann, wenn man denn dabei ist, dann ist das insbesondere als Beamter des höheren Dienstes schon etwas, wo man sagen kann, okay, du gehörst schon mal zu einem Kreis, da guckt man schon mal drauf, mag das sehr ehrgeizig von mir gedacht sein, auch das war ein Gedanke und deshalb will ich den an den Anfang stellen, ich wär schon gern dabei gewesen, bei dieser Geschichte, weil ich sie A für wichtig halte, für richtig halte, und B für recht bedeutsam halte.“ 8/14/15/28-6 Es überraschte, dass nur ein Teilnehmer von zwölf sich offen und klar auch auf die karrie- refördernden Elemente der Qualifizierungsmaßnahme bezog, war doch nach Angaben des Projektleiters und des PE-Fachberaters „die eigene Karriereförderung für viele Personal- entwickler ein wichtiges Motiv für die Teilnahme“ (Pennig & Böning, 2000: 23). Obwohl keine „Bestenauslese“ bei der Bestimmung der Teilnehmer stattgefunden hatte, zählten die Teilnehmer zu einer Elite, denn ca. 10 % des höheren Dienstes in der Polizei Niedersachsen nahmen hieran teil. Ein Karriereschritt, der auch Freude und Genugtuung hervorrufen könnte. Auch konnte die Teilnahme an der Maßnahme als wichtiges Unter- scheidungsmerkmal gegenüber Konkurrenten im Zusammenhang mit einer weiteren „Verwendung“ in höheren Leitungsfunktionen der niedersächsischen Landespolizei gelten. Bei der Analyse des Textmaterials war der karrierebezogene Aspekt in vielen Äußerungen der Befragten durchaus Teil der Motivation, war indirekt in vielen Statements „versteckt“: Wer „Missstände in der Polizei bekämpfen“, „als Polizei weiter vorankommen“, „Potenziale in Menschen entdecken“, „Instrumente an die Hand bekommen“ will – der hat noch was vor mit seiner Person in der Organisation. Das ist auch nicht ehrenrührig. Es scheint aber ehrenrührig und polizeiuntypisch zu sein, den personenbezogenen, karriereförderlichen Aspekt zu benennen. Umso wichtiger erschien es, die Erreichung von Sachzielen herauszustellen und von persönlichen Ambitionen, Wünschen und Hoffnungen abzukoppeln. 5.1.4 Auf der Suche nach Orientierung und Handlungsbezug Die erste Befragungsreihe war nahezu in der Mitte der Gesamtqualifizierungsmaßnahme verortet, so dass die Inhalte von sechs Bausteinen reflektiert werden konnten. Knapp ein Jahr waren die Interviewpersonen nun dabei, hatten 17 Seminartage, davon fünf Groß- 140 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse gruppenbausteine und einen Kleingruppenbaustein absolviert. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Teilnehmer inhaltlich mit dem Stress- und Zeitmanagement, der Erstellung und Anwendung von Anforderungsprofilen, den Standards und dem Verhalten in strukturierten Auswahlgesprächen, der Methodik der Entwicklungsbedarfsanalyse, den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Fähigkeitsbeurteilung, der Potenzialanalyse, der Qualifizierung am Arbeitsplatz, der Karriereberatung, den Maßnahmen der Personalbetreuung und der Frauenförderung auseinander gesetzt. Die Teilnehmer befanden sich in der Startphase ihrer Projektarbeit, hatten in Baustein 5 das theoretische Rüstzeug für das Projektmana- gement erhalten, sich im Baustein 6 mit den Controllern ausgetauscht und ihre Projektvorhaben weiter ausdifferenziert und verfeinert. Es zeigten sich Ermüdungser- scheinungen unter den Teilnehmern, denn im Einladungsschreiben zu Baustein 5 hatte der Projektleiter alle Teilnehmer ermahnt, weiterhin vollständig und engagiert teilzunehmen, da vor allem in Baustein 4 einzelne Teilnehmer gefehlt hatten, früher abgereist waren oder sich daran gemacht hatten, andere dienstliche Vorgänge zu bearbeiten. Ein Teilnehmer wurde ausgeschlossen (vgl. Kapitel 4.1.2). Von den ursprünglich 44 Teilnehmern waren im September 1998 noch 39 dabei. In der Einschätzung des Lernwertes der bisherigen Seminarbausteine ließ sich eindeutig eine positive Gesamtrezeption der Lerninhalte ausmachen, allerdings mit unterschiedlichen Abstufungen und Schwerpunkten. Folgende Ausrichtungen und Differenzierungen ließen sich ermitteln: Ein Teil der Befragten hielt alle Bausteine für wichtig und kompetenzerweiternd. „Als Ergebnis aber kann ich sagen, das, was vermittelt wurde, ist für mich gewinnbringend gewesen. In allen Bereichen, wenn es um Personalarbeit geht. Überhaupt keine Diskussion.“ 10/10/15-17 Ein Teil der Befragten kannte die Inhalte teilweise und hielt die Vertiefung in den Bausteinen für bedeutsam. „Im Grunde hat jeder Baustein etwas gebracht. Selbstverständlich. Es war immer einiges Wissen da, was wir in Ansätzen gehört haben. Da gab es sicherlich, könnte ich mir vorstellen, bei etlichen war das ähnlich, so ein Wiederkennungseffekt. Der wurde dann vertieft. Ich halte keine Bausteine für überflüssig.“ 1/19/1-5 Ein Teil der Befragten kannte die Inhalte teilweise und hielt die Kontaktaufnahme zu anderen Führungskräften für bedeutsam. „(5) Für mich war klar, so die ersten Bausteine, die reißt man ab, nimmt das eine oder andere mit. Das eine oder andere ist halt eine Wiederholung oder die fünfte Wiederholung, aber nun gut. (5) Ehrlich gesagt, das, was mir am meisten genutzt hat, waren die informellen Gespräche, die losgelöst vom Thema waren.“ 11/36/16-20 Ein Teil der Befragten fand den verhaltensorientierten Kleingruppenbaustein innerhalb der ersten fünf Seminareinheiten besonders wichtig bzw. erklärte Bausteine mit einem hohen Anteil an praktischen Übungen für bedeutsam. 141 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse „Und diese Gesprächsführung, die haben wir auch geübt. Insofern ist das bei mir im Kopf auch besonders haften geblieben. So, und deshalb sehe ich hier auch ja den größten Lernerfolg, um ’s mal so zu sagen.“ 5/28/25-27 Ein Teil der Befragten hob den prozesshaften Charakter der Qualifizierungsmaßnahme hervor und erkannte eine zunehmende Sinnhaftigkeit auf Grund zunehmender pragmatischer Ausrichtung der Bausteine. So berichteten mehrere Befragte von einer anfänglichen Skepsis, die sich aber mittlerweile aufgelöst hatte. Beispielhaft hierfür: „Also sage ich mal die Bausteine 1 und 2. Danach, nach dem Baustein 2, 3, ging es mir nicht mehr so, sondern auch in Gesprächen mit anderen Personalentwicklern wussten wir nicht richtig, wo ’s hingehen sollte. Also wir hatten also so das Gefühl, gut, wir lernen jetzt irgendwas dazu und machen was, aber die richtige Richtung war uns noch nicht klar. Was passiert oder was machen wir eigentlich? Das ist uns eigentlich erst im 4., 5. Baustein klar geworden, wo es also gezielt dann auch um die Projekte ging, und man dann eben von diesen vorhergehenden Dingen teilweise zehren konnte, man muss ja auch immer wieder nachschauen, denn viele Dinge geraten ja auch in Vergessenheit, weil in 3 Tagen ist das ja sehr kompakt, was man dort vermittelt bekommt.“ 9/21/22/24-4 In der Redewendung „wir wussten nicht mehr richtig, wo es hingehen sollte“ kommt zum Ausdruck, dass angehenden Personalentwickler nach Orientierung suchen. Der Sprecher verdeutlichte durch den Gebrauch des „wir“, das sich auf Gespräche „mit anderen Personalentwicklern“ gründete, dass es sich um eine kollektive Empfindung handelte. Die Diffusität und Richtungslosigkeit der Ausrichtung der Maßnahme in den Augen des Sprechers markierte sich durch die Aussage „Wir lernen jetzt irgendwas dazu und machen was“, die dann in die verunsicherte Frage mündete „Was passiert oder was machen wir eigentlich?“ Möglichen Gründen der Verunsicherung soll im Folgenden nachgegangen werden. Ein Teil der Irritationen wurden in den Kapiteln 5.1.1 und 5.1.2 benannt: Die pessimisti- sche Einschätzung der Teilnehmer angesichts einer divergierenden Organisationskultur zur Personalentwicklung, Vorbehalten von Vorgesetzten und Mitarbeitern und der Nichtteilnahme wichtiger Akteure aus dem Innenministerium. Die Teilnehmer befanden sich in einem Dilemma: Einerseits hatten sie zwischenzeitlich eine enorme Menge an theoretischem Wissen unter hohem zeitlichen Druck („In 3 Tagen ist das ja sehr kompakt“) erworben. Andererseits war absolut nicht klar, welches Wissen erwünscht und verwendbar war, wie der Aufgabenzuschnitt der Personalentwickler sich einmal gestalten sollte bzw. welche Rolle sie in der niedersächsischen Landespolizei bzw. in ihrem Dienstbereich einnehmen sollten. Und das verunsicherte. Angehende Personalentwickler lernen viel und wissen nicht, wofür. Die Ziele erschienen abstrakt und schwer greifbar (vgl. Kapitel 4.1). Die Diffusität und Verunsicherung löste sich erst im vierten und fünften Baustein auf, „wo es dann gezielt um die Projekte ging“. Erstmalig taucht hier eine Zielbezogenheit auf: Es geht also um Projektarbeit und dafür werden all diese Inhalte benötigt. Nun bekam die Maßnahme für den Sprecher einen Sinn. Er zeigte nicht nur Bereitschaft, bei Bedarf Gelerntes „nachzuschauen“, sondern ihm wird auch bewusst, dass er von den vorhergehenden Bausteinen „zehren“ konnte. 142 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Als Synonym für diese unklare Situation mit ihren vielen Unwägbarkeiten und Mehrdeu- tigkeiten mag auch die unübersichtliche Lernsituation im Plenum herhalten, die für viele eine Zumutung bedeutete und als nicht erwachsenengerecht bezeichnet wurde. Die Erfahrung einer in der „Masse“ von 39 Teilnehmern aus sechs Hierarchiestufen zu sein, wirkte, je nach Ausprägung des eigenen Standesdünkels, verunsichernd und irritierend, und zwar vornehmlich deswegen, weil hierdurch nicht das Image des exponierten Dienststellenleiters & Personaldezernenten bzw. des angehenden Personalentwicklers als Behördeninnovator genährt wurde, sondern die insuffiziente Schülerrolle. So berichtete ein Befragter, wie sehr ihn dieser Perspektivwechsel beschäftigte. „Ja, ich habe darüber sicherlich nachgedacht, als ich in Hannoversch Münden da gesessen habe, praktisch wie ein Schüler in diesem ungemütlichen Raum, wie eine Aula, und das dann angehört habe, habe ich schon gedacht, kannste das überhaupt vereinbaren mit deinem Job?“ 3/15/26-29 Die allgemeine Verunsicherung der angehenden Personalentwickler nahm immer dann ab, wenn pragmatisch Handlungskompetenzen in den Bausteinen erarbeitet wurden. Als bedeutsame Bausteine und Lerninhalte in der ersten Hälfte der Qualifizierungsmaßnahme wurden jene herausgehoben, in denen „geübt“ und „erprobt“ werden konnte. Der Schwerpunkt lag hier deutlich auf den persönlichkeitsbildenden Maßnahmen einerseits und auf Managementtechniken andererseits, z.B. stieß der erst kürzlich absolvierte Baustein „Projektmanagement“ auf großes Interesse. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der eigenen Person bzw. das Einüben von Fertigkeiten (Ge- sprächführungstechniken, Stress- bzw. Zeitmanagement) wurden als besonders wichtig und hilfreich im Führungsgeschäft erachtet. Dass gute und konstruktive Gesprächsführung ein ganz wesentlicher Bestandteil eines positiven Führungsverhaltens ist, hoben zwei Teilnehmer besonders hervor. Exemplarisch berichtete ein Teilnehmer, wie Rollenspiele dabei geholfen haben, sich zu erproben und sicherer in der Gesprächsführung zu werden. „Und das ist in diesen 5 Bausteinen insbesondere auch mit diesen Rollenspielen, die wir durchgeführt haben, strukturierte Interviews, Wiedereingliederungsgespräche, aber auch Kritikgespräche, das hat eine Menge gebracht. Hier für diese Führungstätigkeit, die ja im Wesentlichen aus Sprechen bzw. Miteinanderreden besteht, und da hat, wie gesagt, dieses Wissen um diese Dinge, die ich in diese Gespräche einbauen kann, eine Menge gebracht.“ 8/20/16-22 In dem Statement verdichtete sich noch einmal der nahtlose Übergang von theoretischem Lernschritt und praktischem Anwendungsbezug für die eigene Persönlichkeit, aber auch in Bezug auf das alltägliche Führungsgeschäft. Im folgenden Kapitel wird diese Perspektive des Lerntransfers noch vertieft. 5.1.5 Auswirkungen auf den Arbeitsalltag Hier lautete die Frage an die Führungskräfte, ob die Bausteininhalte Auswirkungen auf den Arbeitsalltag der Teilnehmer gehabt hatten. Es ließ sich in den Antworten ein 143 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse eindeutiger Trend feststellen: Ausnahmslos alle Befragten berichteten über eine vertiefte geistige Auseinandersetzung mit Elementen der Personalentwicklung, entweder in Bezug auf ihre Mitarbeiter (Mitarbeiterförderung) oder in Bezug auf ihre eigene Rolle als angehende Personalentwickler (Multiplikatorenrolle). Durchgängig war bei allen Interviewten ein vertiefter Prozess des Nachdenkens, des Reflektierens und der Sensibilisierung für personalentwicklerische Elemente festzustellen. Vereinzelt wurde versucht, Mitarbeiterförderung aktiver zu betreiben, andere sammelten Erfahrungen in der Anwendung systematischer Auswahlgespräche, Die Bereitschaft, Multiplikatorenfunktionen wahrzunehmen, war noch am wenigsten entwickelt. Hier war der Tenor, sich selbst erst eine eigene Meinung über das Gelernte zu bilden, um anschließend im weiteren Arbeitsumfeld hierüber zu informieren und mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Viele Befragte machten deutlich, schon immer „irgendwie“ Mitarbeiterförderung betrieben zu haben, im Sinne einer aufgeschlossenen, unterstützenden, mitarbeiterbezogenen Grundhaltung. Im Unterschied zu einer eher diffus förderlichen Haltung wurde nach sechs Bausteinen ein Wissenszuwachs vermerkt, nämlich dass man nun besser wisse, „wen man, wie und mit welchen Mitteln“ fördern solle. So meinte Befragter 10: „Dass der Mitarbeiter im Mittelpunkt unserer Arbeit steht, ist überhaupt gar kein, ist indiskutabel. Aber wie man ihm in diesem Mittelpunkt Arbeitsbereiche eröffnen kann und welche Maßnahmen man treffen kann, um vielleicht Verwendungsbreite oder andere Dinge, die für den Mitarbeiter, aber auch für die Organisation wichtig sind, wie man so etwas sinnvoll strukturiert, in Zeitabläufen realisieren kann, das war mir unbekannt. Das ist für mich jetzt neu. Das hat den Horizont erweitert.“ 10/9/3-9 Die Führungskräfte analysierten ihr „Alltagsgeschäft“ und versuchten, personalentwicklerische Intentionen hiermit in Einklang zu bringen. Es blieb aber nicht bei der Nachdenklichkeit einzelner Führungskräfte. Personalentwicklung hatte nach sechs Bausteinen die Dienststellen der Führungskräfte in stärkerem Maße erreicht und wurde dort vermehrt thematisiert. So hielt eine Führungskraft die Tatsache, dass in ihrer Dienststelle über PE gesprochen wird und ihr eine positive Vorreiterfunktion zukommt, für bedeutungsvoll. „Sie fragten eben nach den Auswirkungen auf die Dienststelle. Was man nicht zu gering schätzen darf, ist der Umstand, dass über PE gesprochen wird, dass die Mitarbeiter in dieser Dienststelle wissen, es entwickelt sich im Bereich PE etwas, da gibt es Programme, da gibt es Maßnahmen, von denen auch die Mitarbeiter partizipieren. Und sie wissen, dass der Vorge- setzte zu dem Thema positiv eingestellt ist. Im Sinne von Vorbildfunktion, von positivem Vorangehen. Vielleicht ist ja nur diese kleine Dimension schon etwas Wichtiges mit einer langfristig nicht zu unterschätzenden Wirkung.“ 8/19/7-15 Das Zitat verdeutlichte aber auch einen markanten Zusammenhang, der sich auch durch andere Interviewsequenzen der ersten Befragungsreihe zog. Es wurde in den Dienststellen vermehrt über Personalentwicklung gesprochen und Maßnahmen thematisiert, bei denen 144 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse die Mitarbeiter eindeutig sicher sein konnten, dass die maßgeblichen Vorgesetzten eine unmissverständliche, positive Grundhaltung gegenüber den Instrumenten einnahmen. War das nicht der Fall bzw. Ignoranz die vorherrschende Grundhaltung, sorgten Sprachlosigkeit und Tabuisierung wichtiger Leitfragen für schwierige Rahmenbedingungen personalentwicklerischer Maßnahmen. Die zuvor beschriebenen Beispiele zeugten von der Intensität der geistigen Auseinander- setzung mit personalentwicklerischen Instrumenten. Die vertiefende Beschäftigung war aber noch nicht mit konkreten Handlungen verbunden. Davon unterschied sich etwa ein Drittel der Befragten, die zum Interviewzeitpunkt über erste Umsetzungserfahrungen berichten konnten. So hob ein Befragter, der sich mit seiner Behörde in einem Umorganisationsprozess befand, die für ihn wertvolle Erkenntnis der Wichtigkeit der frühzeitigen Einbindung betroffener Mitarbeiter hervor. Aus dem Bereich der Implementierung systematischer Auswahlgespräche im eigenen Dienstbereich berichteten zwei Teilnehmer über positive, bestärkende Praxiserfahrungen. Ein anderer Dienststellenleiter schilderte an einem Praxisfall, wie er aktiv Mitarbeiterförderung betrieben, einen Oberkommissar aus seinem Verantwortungsbereich gezielt angesprochen und ihm Förderungsmöglichkeiten unterbreitet hatte. Dieser war über die persönliche Ansprache erfreut, und nun, in einer fortgeschrittenen Phase, wurde die Ehefrau des Oberkommissars einbezogen, da beide im Polizeivollzugsdienst arbeiteten und sich Entscheidungen im Umfeld und Privatleben der Beteiligten niederschlagen würden. So fasste der Dienststellenleiter seine Initiative wie folgt zusammen. „Das sind so Dinge, die mir vorschweben, einfach Mitarbeiter bei der Hand zu nehmen und zu sagen, hier, wir kümmern uns um dich. Wir wollen auch was für dich tun und nicht nur Dienst- stelleninteressen vertreten.“ 2/14/8-10 Würde man das Drittel der Interviewten, die über erste Umsetzungserfahrungen berichteten, auf die Gesamtzahl der Teilnehmer (ca. 40) beziehen, müssten ungefähr 13 Personen erste Umsetzungserfahrungen gemacht haben. Hier divergierten die Ergebnisse mit denen aus der quantitativen Untersuchung von Lukasczyk (1999: 79), wo berichtet wurde, „dass bisher viele Teilnehmer (21 bzw. 24) in den Bereichen Anforderungsprofile und Auswahlgespräche bereits erste Maßnahmen ergriffen haben“. Die Unterschiede mögen in der Anzahl der Befragten (Vollbefragung versus Stichprobe) und in den Fragestellungen (Maßnahmen versus Auswirkungen) begründet sein, vielleicht auch in der Tatsache, dass die Kategorie „Maßnahmen eingeleitet“ im standardisierten Fragebogen nicht näher definiert ist. Eventuell wurden organisatorische Vorüberlegungen oder das vorbereitende Gespräch im Führungskreis bzw. in Dienstversammlungen der Dienststelle als eingeleitete Maßnahme gewertet. Möglich könnte aber auch sein, dass es einfacher und bequemer war, in standardisierten Fragebögen erwartungsgemäß ein „Kreuzchen“ zu setzen, als sich eingehend hierzu im Gespräch befragen zu lassen. 145 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.1.6 Zwischenfazit: Eine unübersichtliche und widersprüchliche Gesamtsituation Im Folgenden sollen die wesentlichen Reaktionen auf die inhaltliche Rezeption der ersten sechs Bausteine in Zusammenhang mit der strukturellen Einbettung dieser Qualifizie- rungsmaßnahme betrachtet werden. Genauer gesagt sollen die konstituierenden Elemente und Rahmenbedingungen, wie in den Kapiteln 4.1 bis 4.1.2 beschrieben, mit Ergebnissen der ersten Befragungsreihe im Rahmen eines Zwischenfazits zusammengefasst werden. Diese Betrachtung kann zu diesem Zeitpunkt nur unvollständig sein, da sowohl Vorbereitung und Beginn der Projektarbeit als auch die Rezeption der Neuen Steuerungsinstrumente an dieser Stelle nicht vertiefend einfließen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden diese wichtigen Bereiche in gesonderten Kapiteln im Zusammenhang dargestellt. Aber auch ohne diese Einflussfaktoren, welche die Komplexität noch erhöhten, ergab sich zur Halbzeit der Qualifizierungsmaßnahme ein äußerst widersprüchliches, unübersichtliches und hoch komplexes Gesamtbild, gezeichnet von Ambiguitäten und Mehrdeutigkeiten auf verschiedenen Ebenen, mit denen sich die Teilnehmer auseinander zu setzen hatten. Die in Kapitel 4.1 beschriebenen vagen politischen Ziele und die daraus resultierenden mehrdeutigen, diffusen Rollenerwartungen an die angehenden Personalentwickler ließen kaum Operationalisierungsmöglichkeiten und damit Messungen der Zielerreichung zu. Auch waren Planungen, Verbindlichkeiten, Verantwortlichkeiten und Zusagen über die Qualifizierungsmaßnahme hinaus seitens des Innenministeriums und der nachgeordneten Behörden und Einrichtungen nicht zu erkennen. Das hatte erhebliche Vorteile für die beteiligten Organisationen, da ihnen Handlungsspielräume eröffnet wurden, die angesichts ungesicherter Wirkungsanalysen und unvorhergesehener Ereignisse eine größere Flexibilität ermöglichten. Im Übrigen sind Ziele abhängig von Umweltbedingungen. Ändern sich diese, ändern sich auch die Ziele. Die Wichtigkeit der Erhaltung größtmöglicher, organisationaler Flexibilität wurde auch daran deutlich, dass die angehenden Personalentwickler im Gegensatz zu den Controllern nicht für diese Fortbildung freigestellt wurden. Dieser Umstand nährte Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Zielgerichtetheit der politisch intendierten Wandelbemühungen, denn Stellenwert und Image der Maßnahme, also die Wertigkeit und Wichtigkeit von Veränderungsbemühungen, definieren sich oft über Rahmenbedingungen. Äußerst widersprüchlich wirkte die enorm komplexe, hoch differenzierte und sehr aufwändige Herangehensweise zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs und der Erstellung der Konzeption unter Beteiligung bedeutsamer Hierarchie- und Funktionsgrup- pen (vgl. Kapitel 4.1.1), wenn andererseits auf ein Auswahlverfahren zur Ermittlung geeigneter Teilnehmer verzichtet wurde. Das bedeutete, dass nicht überprüft werden konnte, was konzeptionell für notwendig und wichtig erachtet wurde, was letztendlich auf 146 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse eine Schwächung der Wirksamkeit der Maßnahme hinausläuft. Der Verzicht auf ein Aus- wahlverfahren bedeutete aber auch noch in anderer Hinsicht eine erhebliche Schwächung des Themas Personalentwicklung, da eine Auseinandersetzung über ein Anforderungsprofil „Personalentwickler“ nicht stattfand. Das Thema drang nicht wirklich in den Alltag der Behörden, Einrichtungen und nachgeordneten Dienststellen, was aber nötig gewesen wäre, um einen weitgehenden Konsens über die „strategische Bedeutung und Notwendigkeit der Personalentwicklung“ zu erzielen, worauf sich dann ein tragfähiges Anforderungsprofil für Personalentwickler hätte gründen können. Da dieser breit angelegte Diskussionsprozess sich nicht entwickelte, wurde die Erarbeitung des Qualifizierungsprogramms zur Spezialistenarbeit, der es nicht an Sorgfalt und anspruchs- voller inhaltlicher Ausgestaltung mangelte, die aber einen großen Informations-, Diskussions- und Abstimmungsbedarf aufwies, wie unter anderem beispielhaft an dem Sachverhalt dargestellt werden konnte, dass Teilnehmer im Vorfeld der Maßnahme nur bruchstückhaft informiert wurden (vgl. Kapitel 5.1.2). Diese Kommunikationsdefizite waren auf allen Ebenen feststellbar: Die pessimistische Einschätzung der Organisationskultur hinsichtlich Personalentwicklung durch die Teilnehmer, die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung der Vorgesetzten der Teilnehmer mit Personalentwicklung (vgl. Kapitel 5.1.1), die Nichtteilnahme von wichtigen Akteuren aus dem Innenministerium, die kritischen Vorbehalte von Mitarbeitern der Teilnehmer in Bezug auf deren Teilnahme und eine korrelierende zurückhaltende Informationspolitik bezüglich den Inhalten der Maßnahme (vgl. Kapitel 5.1.2) können durchaus als eine tief gehende Zweck-Mittel-Unsicherheit auf allen Ebenen betrachtet werden, was eigentlich einen großen Diskussions- und Abstimmungsbedarf zur Klärung dieser Unsicherheiten impliziert hätte, aber aus den genannten Gründen unterblieb. Das Bild vom Start eines Satelliten mag zur Veranschaulichung dienen: Da schießt ein komplex und hochwertig ausgestatteter Forschungssatellit mit vielen Offizieren und einer kleinen Mannschaft unterschiedlichster Rangordnung an Bord, deren Rekrutierung und Auswahl oft von Zufall und Spontaneität geleitet war, ausgestattet mit einer Vielzahl unklarer Aufträge und noch zu programmierenden Untersuchungs- und Messinstrumenten in den Wandelorbit. Die vielschichtigen Mehrdeutigkeiten und Diffusitäten in Bezug auf die Mission sorgen nicht für einen notwendigen intensiven Funkverkehr zwischen Bodenstation und Satellit, sondern für erhebliche Funkstörungen, wobei einzig und allein klar scheint, dass die Offiziere auf breiter Basis zu schulen und zu trainieren sind, allerdings auf der operationalen Ebene unklar bleibt, wozu und wofür überhaupt, ebenso wie die Erfolgskriterien der Mission im Vagen bleiben. Mission, impossible? Die Zweck-Mittel-Unsicherheit wurde noch verstärkt durch die Lernsituation, die sich vornehmlich in der Großgruppe abspielte und in der sich ein äußerst heterogener Teilnehmerkreis zum Zeitpunkt der ersten Befragungsreihe befand. Fünf Großgruppenbausteine und ein Kleingruppenbaustein im Laufe eines Jahres waren nicht 147 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse ausreichend dazu in der Lage, identitätsstiftend und orientierungsstärkend auf die Teilnehmer zu wirken. Im Gegenteil, die Maßnahme drohte zu kippen, und der Projektleiter musste die „vollständige und engagierte“ Teilnahme anmahnen (vgl. Kapitel 5.1.3). Die Lernsituation Großgruppe erwies sich als unübersichtlich und schwer steuerbar: Knapp 40 Teilnehmer, Hierarchiespannen über sechs Ebenen, „gesetzte“ und strategisch wichtige Teilnehmer wie Personaldezernenten und andere Funktionsträger (z.B. Hauptpersonalrat) bildeten einen eigenen Kern, während die Teilnahme der „Nicht- Gesetzten“ vornehmlich aus Zufall und Spontaneität bei der Auswahl resultierte. Erhebliche Motivationsspannen (Stichwort „freiwillig gezwungen“, vgl. Kapitel 5.1.1) und ein eklatantes Wissensgefälle in Bezug auf bedeutsame Aspekte der Personalentwicklung (vgl. Kapitel 5.1.2) waren weitere Kennzeichen der Heterogenität des Teilnehmerkreises. Die Wünsche der Teilnehmer nach Komplexitätsreduktion im Sinne von Überschaubarkeit, Klarheit und Handlungsbezug fanden bei den Seminarbausteinen ihre Entsprechung, in denen die „Erprobung“ und das „Üben“ im Umgang mit neuem Wissen im Vordergrund stand. Verhaltens- und praxisbezogene Lerninhalte wurden als bedeutsam und anregend für das alltägliche Führungsgeschäft empfunden und entsprechend wert- schätzend konnotiert (vgl. Kapitel 5.1.3). In Bezug auf den Lerntransfer führten die Unklarheiten über die Zielrichtung und Nützlichkeit der Maßnahme in Kombination mit der diffusen Aufgaben- und Rollendefinition dazu, dass die Führungskräfte lange rätselten, welche Bedeutung sie der Qualifizierungsmaßnahme zubilligen sollten. Dabei wurde das erworbene Wissen auf Alltagstauglichkeit im eigenen Verantwortungsbereich hin reflektiert und wurde zunehmend bedeutsamer im Alltagshandeln. So traute man sich vorsichtig und behutsam an umsetzungsorientierte Maßnahmen heran (vgl. Kapitel 5.1.4). 5.1.7 Lernarchitekturen und Intergruppenprozesse Zu Beginn dieses Kapitels werden die wesentlichen Evaluationsergebnisse der quantitativen Fragebogenerhebung vorgestellt. Im Unterschied zu Kapitel 5.1.1, wo die Ergebnisse der ersten vier Bausteine thematisiert wurden, bezieht sich diese Darstellung auf die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der standardisierten Fragebögen nachdem zehn Bausteine absolviert wurden. Damit ist auch der Beitrag quantitativer Erhebungsergebnisse zu dieser Arbeit beendet, denn im folgenden Kapitel 5.1.6.2 werden die Lernerfahrungen der Teilnehmer im Rahmen von Intergruppenprozessen dargestellt, die in der zweiten Interviewreihe nach elf Bausteinen erhoben wurden, wobei die Spannungsfelder des Lernens in Groß- und in Kleingruppen in den Blick genommen wurden61. Dieser Themenblock bildet in gewisser Weise eine Ergänzung und Ausdifferenzierung der zuvor beschriebenen quantitativen Ergebnisse und wird im 61 Diese Interviewreihe hatte im Zeitraum November 1999 und Januar 2000 stattgefunden. 148 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Folgekapitel 5.1.6.3 noch durch Interviewergebnisse zum Thema „Intergruppenprozesse und Leitungsrezeption62“ angereichert, da sich Prozesse, Rahmenbedingungen, Leitfiguren und handelnde Akteure schlecht auseinander dividieren lassen. Im Anschluss daran sollen Auswirkungen und Umgehensweisen, bezogen auf die Lernerfahrungen der Teilnehmer in den unterschiedlichen Lernarchitekturen63, diskutiert werden, und zwar weniger im Hinblick auf die Vor- und Nachteile (eine solche Perspektive ist aus der Klein- und Großgruppenforschung hinlänglich bekannt), sondern vielmehr unter der Fragestellung, was auf der jeweiligen Ebene bearbeitet, gelöst, geregelt oder auch nicht gelöst wird und wo entsprechende Diskrepanzen sich hinderlich auswirken können. „Last but not least“ findet eine Auseinandersetzung mit Inhalten statt, denen die Teilnehmer einen hohen Wirkungsgrad attestierten. Eine Zusammenfassung resümiert die Auseinandersetzung mit Lernarchitektur und Intergruppenprozessen anhand der qualitativen Parameter Struktur, Leitfiguren und Inhalte, die in nachfolgender Abbildung visualisiert sind. Abb. 13: Lern- und Spannungsfelder der Qualifizierungsmaßnahme 5.1.7.1 Quantitative Ergebnisse nach zehn Seminarbausteinen Die quantitative Auswertung der Seminarbausteine bezog sich auf die Grundlage von 10 Bausteinen. Der Sonderbaustein 6 „PE - Controller Forum“ floss nicht in diese Evaluation ein, da der Teilnehmerkreis hier stark divergierte. Ebenfalls konnten die Evaluationser- 62 Mit Leitung sind hier der interne Projektleiter und der externe PE-Fachberater für die Großgruppen und die Trainer für die Kleingruppen gemeint. 63 Die Teilnehmer hatten im Gegensatz zur ersten Befragungsreihe, bei der ein Kleingruppenbaustein und fünf Großgruppenbausteine erlebt wurden, in der zweiten Interviewreihe vier Kleingruppenbausteine und einen Großgruppenbaustein erfahren (vgl. Kapitel 4.1.2). Lernarchitekturen & Intergruppenprozesse Inhalte Struktur Leitfiguren 149 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse gebnisse des Bausteines 12 „Projekt - Controlling und Ausblick“ nicht in die Auswertung einfließen, da bei diesem Baustein die Präsentation der quantitativen und qualitativen Daten erfolgte. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, nach jedem Baustein einen Fragebogen mit Fragen zur Lernzielerreichung, zu den vermittelten Inhalten, zur Gruppe, zur Methodik & Didaktik und zu den Rahmenbedingungen auszufüllen (weitere Themenbereiche vgl. Kapitel 4.4). Der Fragebogen enthielt offene Fragen und Themenbereiche mit Statements. Die Evaluationsergebnisse wurden den Teilnehmenden nach jedem Baustein in Form von Mittelwerten und Prozentzahlen vorgestellt. Diese hatten dadurch die Möglichkeit, ihre persönlichen Einschätzungen mit der Gesamteinschätzung der Gruppe abzugleichen und weiterführende Anregungen zur Seminargestaltung zu geben. Im Folgenden reflektiert das Gesamtergebnis fünf Großgruppenbausteine (1; 3; 4; 5; 10) und fünf Kleingruppen- Bausteine (2; 6; 7; 8; 9). Im Gesamtergebnis aller Bausteine antworteten auf das Statement „Die Ziele des (jeweiligen) Seminarbausteins wurden aus meiner Sicht erfüllt“ insgesamt knapp 70 % „erfüllt“, 24 % „teilweise erfüllt“ und 6 % „nicht erfüllt“. Differenziert nach Groß- und Kleingruppenbausteinen belief sich der Durchschnittswert aller Großgruppenbausteine auf 61 % „erfüllt“, 29 % in den Kleingruppenbausteinen „teilweise erfüllt“ und 10 % „nicht erfüllt“. Demgegenüber lag der Durchschnittswert „erfüllt“ in den Kleingruppenbausteinen bei recht hohen 77 %, für „teilweise erfüllt“ bei 21 % und für „nicht erfüllt“ bei 2 %. Im Folgenden werden die wichtigsten Themenbereiche (7-er-Skalierung von 1 = „stimmt überhaupt nicht“ bis 7 = „stimmt voll und ganz“) und die jeweiligen Durchschnittswerte, aufgeschlüsselt nach Groß- und Kleingruppen, tabellarisch dargestellt. 150 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Statement Durchschnitts- wert Großgruppen Durchschnitts- wert Kleingruppen „Die Inhalte waren praxisfern.“ 3,5 3.0 „Die Inhalte waren unbekannt.“ 4,1 3,8 „Die Inhalte waren gegliedert.“ 5,5 6,4 „Die Gestaltung war flexibel.“ 4,4 6,2 „Die Gestaltung war abwechslungsreich/anregend.“ 5,0 6,1 „Die Gestaltung ließ aktive Beteiligung zu.“ 5,8 6,7 „Meine eigene Beteiligung war sehr aktiv.“ 4,7 5,7 „Ich habe mich in der Gruppe wohl gefühlt.“ 5,9 6,8 „Ich konnte meine Erfahrungen mit anderen austauschen.“ 5,9 6,4 „Ich konnte meine berufliche Praxis nicht reflektieren.“ 2,7 2,3 „Die schriftlichen Unterlagen waren informativ.“ 6,0 6,0 „Die Bedeutung der Fortbildung für meine zukünftige Arbeit ist sehr hoch.“ 5,2 5,7 „Die Bedeutung der von mir bisher eingeleiteten PE- Maßnahmen bewerte ich sehr hoch.“ 4,1 4,5 Abb. 14: Auswertung der Statements der standardisierten Fragebögen Zusätzlich konnten die Teilnehmer zum Verhalten der Referenten der jeweiligen Bausteine sowohl positiv als auch negativ Stellung nehmen64. So wurde von Teilnehmerseite in der Großgruppe die „Fachkompetenz und Souveränität“, die „gute Vorbereitung“ und das „didaktisches Vorgehen“ der Referenten gelobt. Kritisiert wurde immer wieder das „starre Zeitkonzept“, die „geringe Steuerung bei weitschweifigen Teilnehmerbeiträgen“ und „wenig Transparenz bei Gruppenarbeitsaufträgen“. In den Kleingruppen wurde bei den Trainern sowohl „hohe Flexibilität“ und „ Fachkompetenz“ herausgestellt als auch immer wiederkehrend die Kombination „Ruhe, Ausgeglichenheit und Empathie“ genannt. In punkto Kritik ließen sich hier keine Häufungen finden, allenfalls Einzelstatements, z.B. dass ein Thema „zu langatmig“ behandelt worden sei, bzw. wurde bemängelt die „fehlende Steuerung versus dirigistischer Steuerung“. Trotz fehlender weiterer Erläuterungen zu diesem Statement kann wohl angenommen werden, dass hiermit generell das erhebliche Spannungsverhältnis zwischen Groß- und Kleingruppenarbeit in der Qualifizierungsmaßnahme gemeint war. Zusammenfassend lässt sich anhand der quantitativen Daten feststellen, dass in vielen erfragten Themenbereichen aller Seminarbausteine überdurchschnittliche Ergebnisse mit, in Teilen, sehr hohen Zielerreichungsgraden erlangt wurden. Diese differierten teilweise erheblich zwischen den Groß- und Kleingruppensettings zugunsten des letzteren, wobei die größten Diskrepanzen im Bereich der Zielerreichung, der Flexibilität, des Abwechs- 64 Es werden jeweils die häufigsten drei Nennungen in den Groß- und Kleingruppen aufgeführt. 151 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse lungsreichtums und der aktiven Beteiligung lagen. Am Verhalten der Referenten wurde in beiden Settings deren Fachkompetenz geschätzt, wobei im Großgruppensetting die sach- orientierten Referentenmerkmale Wertschätzung erfuhren, im Gegensatz zu äußerst positiv konnotierten beziehungsorientierten Trainercharakteristika in den Kleingruppen. 5.1.7.2 Lernerfahrungen und Intergruppenprozesse aus qualitativer Sicht Auf die Frage nach der Zufriedenheit mit den bisher erlebten 11 von 12 Qualifizierungs- bausteinen lobten fast alle Befragten den gut durchdachten und strukturierten Aufbau der thematischen Abfolge der Bausteine in ihrer Gesamtheit, mit der Ausnahme, dass sich die meisten Teilnehmer den Baustein „Moderation/Präsentation“ vor Beginn ihrer Projekte gewünscht hätten. Niemand meinte, ein Baustein sei unnötig oder unwichtig gewesen. Die hohe Qualität der schriftlichen Bausteinunterlagen, die als Nachschlagewerk in der personalentwicklerischen Arbeit dienen sollen, fand ebenfalls viel Anerkennung und Zuspruch. So meinte eine Führungskraft: „Also, mit den Inhalten und mit deren Vermittlung war ich sehr zufrieden. Ich habe bisher eigentlich keinen Bereich bei der Polizei kennen gelernt, der so professionell aufbereitet war und so professionell an die Leute wiedergegeben worden ist.“ 12/4/5-8 Allerdings setzten sich zehn von zwölf befragten Führungskräften intensiv mit den Kontexten des Lernens auseinander und meinten entschieden, dass das verhaltensorientierte, ganzheitliche Lernen in Kleingruppen ihnen „wesentlich mehr gebracht“ hätte, als die eher input-orientierte Wissensvermittlung in der Großgruppe. Die Teilnehmer markierten Unterschiede im Bereich der organisatorischen Rahmenbedingun- gen wie auch bei den (lern)atmosphärischen, methodischen und gruppendynamischen Elementen der unterschiedlichen Lernarchitekturen. Die Auswirkungen der Differenzen der Lernarchitekturen auf die Teilnehmer wirkten wie zwei Welten, wobei die Frage gelöst scheint, welche Architektur nicht nur große Zufriedenheit ausgelöst, sondern auch für das intensivere Lernen gesorgt hatte. Die Termini Zufriedenheit und Unzufriedenheit beschreiben das Wechselspiel von motivierten Handlungen und statischen emotionalen Zuständen. Zufriedenheit deutet eine Tendenz zur Ruhe, zur Gelassenheit oder zur Wunschlosigkeit an, die als emotional angenehm erlebt und von der man wünscht , dass sie aufrecht erhalten bleibt. Unzufriedenheit steht im Gegensatz dazu eher für die Dissonanz erzeugende Unerfülltheit und Unausgeglichenheit, bezeichnet einen Anspannungszustand, der auf Veränderung oder Flucht aus der Situation mittels verschiedener Handlungen drängt. In Bezug auf die Initiierung organisationalen Wandels durch die Qualifizierungsmaßnahme erscheint die Frage wichtig, wie viel Zufriedenheit ungünstig und wie viel Unzufriedenheit günstig ist. Es wurden alle Interviewsegmente des Kategoriensystems „förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen“ im Zusammenhang mit Seminarbausteinen auf Differenzen und 152 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Disparitäten untersucht und paraphrasiert. Die Auswertung ergab eine klare Dichotomisierung hinsichtlich Zufriedenheits- und Wertigkeitsfaktoren in den Lernstrukturen der Großgruppen (Bausteine 1;3;4;5;10) bzw. Kleingruppen (Bausteine 2;6;7;8;9). Die folgenden beiden Abbildungen verdeutlichen die Diskrepanzen und Disparitäten der beiden Lernarchitekturen in der Wahrnehmung der Teilnehmer. 153 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Rahmenbedingungen und Lernatmosphäre aus der Sicht der Teilnehmer Kleingrupppen Braunlage (Bausteine 2; 6; 7; 8; 9) Großgruppen Hann.-Münden (Bausteine 1; 3; 4; 5; 6; 10) Für die Mehrzahl der Teilnehmer günstigere geographische Lage 6/29/7 ff. Für die Mehrzahl der Teilnehmer ungünstigere geographische Lage 6/29/7ff. Gemütlichere Räumlichkeiten, bessere Unterbringung 6/29/7 ff. Unterbringung und Räumlichkeiten verbesserungsbedürftig 6/29/ 7 ff. Hotelcharakter 11/4/3 ff. Kasernencharakter 11/4/3 ff. Gute Trainingsräume, ausgezeichnet ausgestattet 10/12/25 ff. Nicht vergleichbar 10/12/25 ff. Kleingruppen blieben vornehmlich konstant in der Zusammensetzung 9/4/16-18 Konstanz der Gruppe und gegenseitige Akzeptanz haben Spaß gemacht 710/12 ff. Kleingruppen wechselten öfter die Zusammensetzung, da thematisch angelegt 9/5/16-20 Der häufige Wechsel erlaubte gutes Kennenlernen der gesamten Teilnehmerschaft 12/15/13-17 Lernfördernd: 2 Trainer u. 10–12 Teilnehmer10/11/19 ff. Lernhemmend: 1 Vortragender u. 40 Teilnehmer im Plenum 10/11/19ff. Ausflugsatmosphäre (kein Urlaub) 11/4/3 ff. Alltagsatmosphäre 11/4/3 ff. Belebende Atmosphäre 3/17/9ff. Lähmende Atmosphäre 3/17/9 ff. Ruhige Atmosphäre 10/12/25 ff. Oft unruhige Atmosphäre im Plenum 10/12/25 ff. Kollegiale Atmosphäre mit guten Austauschmöglichkeiten 5/6/15 ff. Kollegiale Atmosphäre mit guten Austauschmöglichkeiten.5/6/15 ff. Individuelle Lernatmosphäre 2/3/ 30 ff. Massenveranstaltung mit geringer Eigenbeteiligung 2/3/30 ff Abb. 15: Rahmenbedingungen und Lernatmosphäre aus der Sicht der Teilnehmer 154 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Methodik und Gruppendynamik aus der Sicht der Teilnehmer Kleingruppen Braunlage (Bausteine 2; 6; 7; 8; 9) Großgruppen Hann.-Münden (Bausteine 1; 3; 4; 5; 6; 10) Persönliche Entwicklung hat stattgefunden 3/3/20ff. Thematischer Anstoß und Orientierung 3/3/20 ff. Personenzentriertes Lernen 3/2/ 18 ff. Frontalunterricht 3/2/18 ff. Kreative Gruppenübungen, die unvergesslich bleiben und viel Spaß gemacht haben 12/4/24 ff. Keine Angaben über kreative Gruppenübungen Übungssituationen, bei denen man oft über sich selbst lachen konnte 12/4/18-20 Keine Angaben Hohe aktive Beteiligung 5/10/25 ff. Zurücknahme, um Abläufe nicht zu stören bzw. keinen schlechten Eindruck zu machen 5/10/ 25 ff. Ganzheitliches Lernen: Alle Sinne waren beteiligt 12/4/20 ff. Eindimensionales, rationales Lernen 12/6/7 ff. Vielfältige Möglichkeiten zur Selbsterprobung durch Übungen/Rollenspiele 4/5/1 ff. Mehr agieren als konsumieren 4/5/1ff. Weniger Möglichkeiten zur Selbsterprobung durch Übungen/Rollenspiele 4/5/1 ff. Mehr konsumieren als agieren 4/5/1 ff. Hohes Maß an Selbstbeteiligung 2/3/30ff. Selbstbeteiligung nicht ausreichend möglich, 2/3/30ff. Straffes, zielgerichtetes Lernen, da Bewältigung der Gruppendynamik nicht so viel Energie raubte 6/26/6 ff. Gruppendynamische Prozesse konstituierten sich immer wieder neu auf Grund von wechselnden Arbeitsgruppen; kraftraubend und mit negativen Auswirkungen auf die Arbeitsergebnisse 6/26 ff. Arbeitsergebnisse der Gruppe gehaltvoll und qualitativ gut 6/28/22 ff. Arbeitsergebnisse der Gruppe unbefriedigend 6/28/22 ff. Gruppenarbeit nicht unter Zeitdruck, abschließende Bearbeitung eines Themas in der Gruppe hatte Vorrang 9/3/28-33 Gruppenarbeit unter Zeitdruck 9/5/18-20 Viele Themenfelder wurden angerissen 9/3/18-20 Hoher Zeitdruck ließ Verständnisfragen und Reflexion nicht zu 8/4/15ff. Durch tiefere Verarbeitung wurde mehr mitgenommen, was auch vor Ort umgesetzt wurde, z.B. Moderation, Präsentation 9/3/22-24 Keine explizite Aussage Gruppe hat Prioritäten der Themenbearbeitung festgelegt, Folge: Zufriedenheit 9/3/29-33 Starrer Zeit- und Themenplan, Folge: Unzufriedenheit 9/4/1-4/7-14 Beschränkung auf ein wesentliches Schwerpunktthema 11/4/28 ff. Aneinanderreihung von Themen 11/4/28 ff. Trainer duzten sich mit den Teilnehmern Verhältnis Projektleiter/PE-Fachberater zu Teilnehmern wie „Lehrer-Schüler“-Verhältnis 3/15/19 ff. auch 3/18/4 ff. Gruppe konnte sich gruppendynamisch entwickeln, z.B. Vertrautheit entwickeln 9/5/10-15 Gruppe musste sich immer wieder neu finden auf Grund von Themenschwerpunkten 9/5/16-18 155 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Methodik und Gruppendynamik aus der Sicht der Teilnehmer Kleingruppen Braunlage (Bausteine 2; 6; 7; 8; 9) Großgruppen Hann.-Münden (Bausteine 1; 3; 4; 5; 6; 10) Intensivere Kommunikation ermöglichte besseres Kennenlernen und tiefer gehende Problemerörterung; Folge: hohes Maß an Offenheit und Ehrlichkeit 2/4/1 ff. (gilt auch umgekehrt) Großgruppenstruktur erschwerte intensives Lernen,vornehmlich Wissensvermittlung, teilweise trockener Input 2/3/25 ff. Lernsituationen und Ereignisse sehr präsent 1/8/30 Lernsituationen und Thematiken müssen in Unterlagen nachgeschlagen werden 1/8/30ff. Hohes Maß an Feedback und Nachfrage, Antworten werden heute noch erinnert 7/9/31 ff. Nachschlagen von Thematiken 7/10/5ff. „Radschlagen“ (gemeint ist die Profilierungssucht einzelner) nicht mehr erforderlich 8/16/ 19 ff. „Radschlagen“ (gemeint ist die Profilierungssucht einzelner) wird immer wieder versucht 8/16/19 ff. Zusammengehörigkeitsgefühl 9/7/8-9„Fremde“ wurden integriert (z.B. bei Terminschwierigkeiten); 6/27/3 ff. Nach kurzer Aufwärmphase entspannter Umgang miteinander 1/11/13 ff. Anonymität im Plenum 9/3/10, Gesamtgruppe nicht integrativ, da hohes Maß an Anonymität 6/27/6 ff. „Nickligkeiten“ im Umgang miteinander in Baustein 11 1/11/13 ff. Lernfördernd :inhaltlichen Input selbst ausprobieren, Arbeitsgruppenaufträge selbst erarbeiten 10/12/25 ff. Lernhemmend: Zwischenfragen konnten im Plenum nicht ausdiskutiert werden 10/12/25 ff. Abb. 16: Methodik und Gruppendynamik aus der Sicht der Teilnehmer Die Statements der Führungskräfte zum Lernen in Groß- und Kleingruppe und zum Setting und Leitungsverhalten erinnern an Analogien zur Organisationskultur in der Polizei (vgl. Kapitel 3.1.2.1), wo eine Polizeikultur einer Polizistenkultur gegenübersteht, was bedeutet, das einerseits das System Großgruppe einer Polizeikultur entspricht, die geprägt ist durch Zentralisierung, Reglementierung und Unpersönlichkeit. Auf der anderen Seite spiegeln sich im System Kleingruppe Bedürfnisse der Teilnehmer nach Individualität, Flexibilität und Reflexivität. In gewisser Weise symbolisiert die anonyme Großgruppe die Bürokratie- und Verfahrensförmigkeit staatlicher Herrschaft, die hierarchische Organisation (vgl. Kapitel 3.2). Allein auf sich gestellt könnte diese Organisationsform nicht funktionieren, es bedarf komplementärer Tugenden, wie sie die Gruppe der auszubildenden Führungskräfte im Kleingruppensetting praktiziert, mit ihren Bedürfnissen nach Austausch, Subjektivität und Kreativität. Bemerkenswert erscheint auch, die Lernerfahrungen der Teilnehmer in den unterschiedlichen Lernarchitekturen vor dem Hintergrund der jeweiligen Eigenheit der Bildungsstätte zu betrachten. Die Groß- gruppenbausteine fanden in der zentralen Bildungseinrichtung, dem Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen65 in Hannoversch-Münden statt. Die Liegenschaft befindet sich auf 65 Das Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen existiert erst seit 1997 und ist hervorgegangen aus den vormals eigenständigen Fortbildungsbereichen des Landeskriminalamtes (LKA), der 156 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse einem großflächigen, kasernenartigen Gelände mit zahlreichen langgestreckten Gebäuden. Unter anderem befindet sich hier auch die Fachhochschule für Verwaltung und Rechts- pflege, Fachbereich Polizei. Dagegen fanden die Kleingruppenbausteine in einer idyllisch gelegenen, gemütlich wirkenden Fortbildungsstätte in Braunlage im Harz statt, in der vor- nehmlich zu „weichen“ Themen (z.B. Stress- und Konfliktbewältigung) fortgebildet wird. Betrachtet man aus einer anderen Perspektive die unterschiedlichen Lernarchitekturen Großgruppen versus Kleingruppen als Synonyme für Organisation und Gruppe, ergibt sich eine direktere Bezogenheit und Interdependenz. In der Kleingruppe sind Subjektivität und Individualität ab einem bestimmten Punkt für die Organisation dysfunktional. Anonymität, Generalisierungen und Depersonalisierungen, wie sie sich in der Großgruppe manifestieren, sind dagegen für die Psyche bedrohlich. Die Sachaufgaben stehen in der Organisation im Vordergrund, während die Beziehungen und die direkte Kommunikation nur Mittel zum Zweck sind. Macht und Abhängigkeit, Nähe und Distanz sind für die Person vor allem als spezifische Beziehungsqualitäten lebbar, für die Organisation entstehen letztere aus strukturellen Zusammenhängen und sind in ihren psychischen und sozialen Folgen sekundär. In der Zusammenfassung der Statements, aufgeschlüsselt nach Unterschieden in den Bereichen Rahmenbedingungen und Lernatmosphäre einerseits und methodische bzw. gruppendynamischen Differenzen zwischen den Lernprozessen in der Groß- bzw. Kleingruppe andererseits, wurden sowohl konkrete Arbeitssituationen in den un- terschiedlichen Gruppen als auch relativ allgemeine und strukturelle Zustände bewertet. Das führte zu Polarisierungen, die sich, extrem verdichtet, auf folgenden Punkt bringen lassen: Das vornehmlich kognitive Lernen in der Großgruppe wurde von den Teilnehmern als „instruktiv“ bewertet und erheblich hinterfragt, während das verhaltensorientierte Lernen in der Kleingruppe als „partizipativ“ beurteilt wurde und hohe Wertschätzung erfuhr. Hinsichtlich der vergleichsweise in weiten Teilen eher moderaten Unterschiede der quantitativen Befunde aus dem vorherigen Kapitel 5.1.6.1 erscheinen die hier benannten Differenzen erheblich gegensätzlicher, im Sinne einer Idealisierung der Kleingruppenarbeit einerseits und einer Abwertung der Großgruppenarbeit andererseits. Als wichtigster Verständnishintergrund kann hier in erster Linie der Interviewzeitpunkt herangezogen werden. Die zweite Interviewreihe fand nach dem Großgruppenbaustein 11 „Spezielle Handlungs- felder der Personalentwicklung“ statt. Zuvor waren im Laufe eines Jahres vier Polizeiausbildungsstelle für Technik und Verkehr (PATVN) und der Landespolizeischule Niedersachsen (LPSN). 157 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Kleingruppenbausteine in konstanten Gruppen erlebt worden. So stand den Erfahrungen emotionaler Nähe und lateraler Kooperation in der Kleingruppenarbeit nun die Anonymität, Unpersönlichkeit und vertikale Kooperation der Plenumssituation gegenüber. Dieser Großgruppenbaustein stellte nicht nur die emotional kräftezehrende Aufgabe an die Teilnehmer, sich neu in der Großgruppe zu sortieren und zu positionieren, sondern forderte auch die Konfrontation mit der Organisationsmacht. Eine Delegation ranghoher Repräsentanten aus dem Innenministerium wollte mit den Teilnehmern über die weitere Ausgestaltung der Personalentwicklung in Niedersachsen diskutieren. Die Personalentwickler fühlten sich auf diese Auseinandersetzung schlecht vorbereitet. In den Interviews kam durchgängig zum Ausdruck, sich inhaltlich dürftig, unausgegoren und wenig anschlussfähig sowie sich in der Darstellung unprofessionell präsentiert zu haben. In der ganzen Qualifizierungsmaßnahme gab es keinen Baustein, der so viele Missverständnisse, Irritationen, unausgesprochen Erwartungen und Enttäuschungen unter den Teilnehmern produzierte, wie dieser. Es gab auch keinen Baustein, auf den mit so heftigen affektiven Reaktionen wie Ärger, Wut, Scham, Bestürzung und Enttäuschung reagiert wurde. Höchstwahrscheinlich haben sich unaufgearbeitete Affekte im Zusammenhang mit diesem Baustein bezüglich der inhaltlichen Gesamtwürdigung der Großgruppenbausteine negativ niedergeschlagen, was auch einzelne Befragte einräumten. Diese Tendenz könnte Ausdruck der latent mitschwingenden ego- und ethnozentrischen Perspektive sein, welche die akute Veränderung in negativem Licht erscheinen lässt, nämlich wieder Teil einer anonymen Großgruppe zu sein, was als erheblich einschränkend und verunsichernd erlebt wurde und fern liegende Autonomie- und Freiheitsspielräume in überschaubaren, konstanten Kleingruppen mit hohem Wohlfühlfaktor in einem positiven Licht erscheinen lassen, um sodann alles Unangenehme dem Naheliegenden (zähe Auseinandersetzung mit der Hierarchie und der formalen Organisationsmacht) anzulasten. Eine detaillierte Aufarbeitung der Geschehnisse erscheint an dieser Stelle unangebracht. Sie erfolgt im Kapitel 5.4.2 im Kontext von „Wissen trifft Macht“. Angesichts der zuvor benannten Einflussfaktoren lassen sich folgende Thesen formulieren: Wenn Führungskräfte der Polizei an einer zweijährigen Qualifizierung zu Personalent- wicklern teilnehmen, deren Schwerpunkt in der ersten Hälfte auf Fach- und Methodenlernen in der Großgruppe liegt und in der zweiten Hälfte auf Verhaltenslernen in der Kleingruppe, dann kann der Lernerfolg nicht losgelöst vom Erhebungszeitpunkt, von den konstituierenden Rahmenbedingungen, der angewandten Methodik und sich hieraus ergebender Gruppendynamik bewertet werden. In der Bewertung spiegelt sich dann eine Wahrnehmungsdynamik, die durch Polarisierungstendenzen gekennzeichnet ist, weil das Lernen in der Großgruppe als anonym, kognitiv, theoretisch „zum Nachschlagen“ und das Lernen in der Kleingruppe als ganzheitlich, erlebnisorientiert, personenzentriert und er- wachsenengerecht qualifiziert wird. Die Befunde zeigen, dass jene Maßnahmen, die interaktives Lernen mit kurzen Rückkopplungen erlauben, bezüglich ihrer Anwendbarkeit 158 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse positiver eingeschätzt werden als die kognitive Informationsvermittlung in komplexeren, störanfälligen, emotional wenig ansprechenden Arrangements. Es etablierten sich zwei Wirklichkeiten, die sich scheinbar kaum noch miteinander berühren, die formelle Organisationswirklichkeit (Großgruppe) und die informelle Beziehungswelt (Kleingruppen). Die formelle Organisationswirklichkeit mit ihrer reinen Sach- und Aufgabenbezogenheit steht dann für die Unpersönlichkeit, Anonymität und Intransparenz der Hierarchie, während in der informellen Beziehungswelt der Kleingruppen all jene Bedürfnisse und Wünsche ihren Platz haben, die in der Welt der formalen Abläufe und Vorschriften zurückgedrängt und unterdrückt werden. Formell steht dann für Einschränkung und Zwang, und informell ist dann das Synonym für weitgehende Autonomie und Freiheitsspielraum. Bei diesem Denkmuster besteht die Gefahr, dass die formellen Strukturen eine Bedrohung darstellen und daher auch nicht weiterentwickelt werden. In diesem Sinne wurde nicht an den unzufrieden machenden Rahmenbedingungen der Großgruppe gearbeitet und versucht, diese erwachsenengerechter und teilnehmerorientierter zu verändern, sondern es wurden die Kleingruppenbedingungen idealisiert. Um zu erfahren, was im informellen Bereich jeweils Wichtiges geschieht, ist es notwendig, darauf zu achten, ob in den formalen Arbeitsstrukturen alle für die Aufgabenerfüllung wichtigen Tätigkeiten ablaufen. Ist das nicht der Fall, geschieht dies mit hoher Wahrscheinlichkeit informell. Als Beispiele können einzelne Sachverhalte aus den tabellarischen Abbildungen zu den Unterschieden in den Bereichen Methodik & Gruppendynamik bezogen auf die Lernarchitekturen dienen: So wurden das starre Zeitkonzept und die inhaltlichen Überfrachtungen in den Großgruppen mit der höchsten möglichen Teilnehmerautonomie in Bezug auf Zeit und thematischer Orientierung in den Kleingruppen beantwortet. Oder ein anderes Beispiel: Der Rückzug von Teilnehmern in den Großgruppen, „um Abläufe nicht zu stören bzw. um nicht negativ aufzufallen“, wurde mit „hoher aktiver Beteiligung“ in den Kleingruppen kompensiert. So entstand eine Dynamik, die dazu beigetragen hat, das Emotions- und Kommunikationsdefizit der formalen Organisationswirklichkeit in den Bereich der informellen Beziehungswelt zu verschieben und dort zu beheben. In den Großgruppen erfolgte dann eine „Kastration durch Sachlichkeit“. Konflikte werden dann nicht dort angesprochen und gelöst, wo sie entstehen, sondern man verschafft sich Linderung und Ausgleich an anderer informeller Stelle: in den Kleingruppen, wo man noch „Mensch“ sein darf, weil hier nicht das Emotionale vom Sachlich-Funktionalen abgespaltet werden muss. Weder die Zufriedenheit der Teilnehmer mit den Kleingruppen noch ihre Unzufriedenheit mit den Großgruppen erweisen sich den anzustrebenden lern- förderlichen Veränderungen als zuträglich, denn beide Stimmungen zementieren den Status quo und damit quer zueinander stehende Selbstverständnisse und Handlungslogiken, die wenig miteinander in Beziehung treten. Die Monomethodik der Großgruppen hätte durchaus von der Lebendigkeit, Vielfalt und Kreativität der Kleingruppenarbeit befruchtet werden können. Dazu hätte aber ein Austausch und eine 159 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Verständigung im Rahmen von Metakommunikation hinsichtlich der ermöglichenden und beschränkenden Faktoren der divergierenden Lernarchitekturen stattfinden müssen. Ob sich diese quer zueinander stehenden Selbstverständnisse auch auf der Ebene des Leitungsverhaltens in den Groß- und Kleingruppen zeigen, klären die folgenden Kapitel. 5.1.7.3 Intergruppenprozesse und Leitungsrezeption Wenn hier von der Rezeption der Leitung durch die Teilnehmer in den unterschiedlichen Lernarchitekturen die Rede sein soll, dann sind für die Großgruppen der interne Projekt- leiter und der externe PE-Fachberater und für die Kleingruppen die Verhaltenstrainer gemeint. Schon in den Vorbereitungsworkshops zu dieser Qualifizierungsmaßnahme hatte diese Leitungskonstellation (vgl. Kapitel 4.1.2) zusammengearbeitet. Die Aufgabe des internen Projektleiters war die Gesamtleitung und Koordination der Qualifizierungsmaßnahme im Hinblick auf Organisation, Planung, Durchführung und Auswertung. Der externe PE-Fachberater war zuständig für die inhaltliche Aufbereitung und Vorbereitung der Seminarbausteine. Er war als sachkundiger Referent in den Semi- narbausteinen tätig und zuständig für die Fachberatung bei den Praxisbegleitungstagen. Die fünf Verhaltenstrainer waren in Zusammenarbeit mit dem Projektleiter und dem Fachberater verantwortlich für die Erarbeitung, Gestaltung und Umsetzung der Inhalte in Bezug auf die verhaltensorientierten Bausteine sieben bis zehn. Sie nahmen oftmals an den Großgruppenbausteinen als teilnehmende Beobachter teil, führten die verhaltensori- entierten Bausteine aber in eigener Regie und Kompetenz durch, denn an diesen nahmen weder der PE-Fachberater noch der Projektleiter teil. Deren Aufgabe beschränkte sich auf die Vor- und Nachbereitung dieser Bausteine mit den Trainern. Es soll versucht werden, vor dem Hintergrund der differierenden Lernarchitekturen und Unterschiede im Leitungsverhalten die Reaktionen der Führungskräfte zu reflektieren. Führungskräfte setzen sich im Folgenden mit den „Führern und Leitern“ dieser Qualifizie- rungsmaßnahme auseinander, was immer auch eine Auseinandersetzung mit Aspekten des eigenen Führungshandelns impliziert. Dabei geht es bei dieser Fragestellung nicht darum, wer von den Akteuren hier seine Sache besonders gut oder schlecht gemacht hat, sondern es soll die Frage interessieren, wie Charakteristika und Leitungsmuster in den unter- schiedlichen Settings rezipiert und bewertet werden. Wurden im vorhergehenden Kapitel die strukturellen Unterschiede zweier „Wirklichkeiten“, der formellen Organisationswirk- lichkeit (Großgruppe) und der informellen Beziehungswelt (Kleingruppen), herausgearbeitet, stehen nun die Repräsentanten der unterschiedlichen Lernarchitekturen im Mittelpunkt. Lassen sich ähnliche oder abweichende Muster, Zuschreibungen und Projektionen finden? Wie gestaltete sich das Wechselspiel der Bedürfnisse, Wünsche, Irritationen und Affekte dieser äußerst heterogenen Teilnehmerschaft im Hinblick auf „Leitung“, bzw. wie wurden Charakteristika, Leitungsstile und -muster von den Teilnehmern rezipiert und bewertet? 160 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.1.7.3.1 Der interne Projektleiter Die Organisations- und Arbeitsleistung des internen Projektleiters nötigte drei Viertel der Befragten Respekt und Anerkennung ab. Insbesondere dessen Engagement und die an- spruchsvolle Integrationsleistung in Bezug auf den heterogenen Teilnehmerkreis wurden hervorgehoben. Einzelne Befragte reflektierten die widersprüchlichen Rollen des Projekt- leiters. So zeigte ein Teilnehmer auf, in welch schwieriger Situation ein Projektleiter steckt, wenn unterschiedliche Erwartungen und Interessenlagen aufeinander prallen, die sich mitunter schwerlich vereinbaren lassen. „Herr A., denke ich mir, der ist in einer relativ komplizierten und schwierigen Situation irgendwo, weil von Seiten des Herrn B. (PE-Fachberater – Ergänzung des Verfassers) eine gewisse Erwartungshaltung da ist, von Seiten des BIP eine gewisse Erwartungshaltung da ist, von Seiten des MI eine gewisse Erwartungshaltung da ist und von Seiten der Personalentwickler eine gewisse Erwartungshaltung da ist, und das alles jetzt unter einen Hut zu bringen, miteinander zu vermischen, ist natürlich ganz schwer.“ 3/14/6-11 Häufigster Kritikpunkt der Befragten war die ausgeprägte sach- und funktionsbezogene Haltung des Projektleiters. Gemeint war, dass nach Meinung der Befragten der Projektleiter der sachgerechten Themenbearbeitung eine größere Bedeutung zumaß als den Bedürfnissen der Teilnehmer. Insbesondere wurde der starre Umgang des Projektleiters mit Zeitansätzen- und Vorgaben kritisch gesehen, oder man bemerkte einen „schulmeisterlichen Ton“, der als nicht erwachsenengerecht beurteilt wurde. Von einigen Teilnehmern wurde der Projektleiter als „Zuchtmeister“ gesehen, dessen Interventionen als nicht adäquat eingestuft wurden. Gerade im Vergleich zu den flexiblen Möglichkeiten, die das Kleingruppensetting den Trainern bot, stieß die Diskrepanz unangenehm auf und löste Ärger aus. „Vielleicht war es so etwas wie Bevormundung und man stellt sich unter Erwachsenenbildung etwas anderes vor, aber das ist ja läuft es in der Schule halt ab, aber es muss nicht so sein. Man kann also auch aus, manche Dinge könnte man, sag ich mal, moderater rüberbringen, bisschen Lockerheit an den Tag legen, das sind so Dinge, die ich so manchmal vermisst habe. Also, raus aus diesem starren Gefüge.“ 9/15/18-23 Das Statement markiert prägnant die Spannungspole: Das „starre Gefüge“ steht beispielhaft für die „Schule“, in der Lehrer bevormunden und Lehrpläne festschreiben, was zu lernen ist und dass man sich ins Unabänderliche zu fügen hat. Demgegenüber markiert „raus aus“ diesem starren Gefüge die Fluchtbewegung hin zu einem offeneren System, wo „Lockerheit“ als Synonym für Ergebnisoffenheit, Kreativität und Humor steht. Einen anderen Befragten beschäftigte die Tatsache, dass nach seiner Wahrnehmung der Projektleiter von Entwicklungen der Teilnehmer ausgeschlossen war, was Anlass zu Unverständnis und Missverständnissen geboten habe. Er diagnostizierte eine gewisse Distanz zur Erlebniswelt der Personalentwickler und machte erhebliche eigene „Entwicklungssprünge“ in der Auseinandersetzung mit dem Projektleiter deutlich. Auch 161 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse repräsentierte dieser für ihn Ausprägungen der formellen, hierarchischen Organisation: Arbeitsaufträge wurden ohne „Wenn und Aber“, in zackigem Ton und unter zeitlichem Druck erteilt. Fasst man die Rollenreflexionen der Führungskräfte in Bezug auf den Projektleiter zusammen, dann wurde ihm Respekt und Anerkennung für die Organisations- und Arbeitsleistung gezollt. Kritik und Änderungswünsche zielten auf einen flexibleren Umgang mit zeitlich-thematischen Strukturen und auf einen gelasseneren und entspannteren Umgang mit den Teilnehmern. 5.1.7.3.2 Der externe PE-Fachberater In der Wahrnehmung des externen PE-Fachberaters stand für die Teilnehmer die kompetente Wissensvermittlung vorne an. Sie fühlten sich gut mit „PE-Wissen“ versorgt und hielten auch den Wissenstransfer für gelungen. So stellte ein Befragter die „PE-Pio- nierleistungen“ des Fachberaters innerhalb der Organisation Polizei heraus: „B. (PE-Fachberater – Ergänzung des Verfassers) hat ’ne sehr hohe Fachkompetenz in die Polizei mitgebracht, von der wir sicherlich lange Jahre werden profitieren können.“ 12/16/16- 18 Andere Teilnehmer erachteten für wichtig, dass der PE-Fachberater kompetent und souverän auftauchende Fragen zu PE-relevanten Themen klären konnte. Vor einer Großgruppe mit völlig unterschiedlichen PE-Wissensständen und Erwartungshaltungen zu referieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Was dem einen zu schnell geht, ist dem anderen zu langsam. Kritik wurde an der kompakten und knackigen Form der Vermittlung geäußert. Hier gab es Teilnehmer, die sich ein anderes Lerntempo gewünscht hätten, um so besser die Thematik verdauen und verarbeiten zu können. Das Großgruppensetting förderte in ungünstiger Weise Phantasien von unwissenden Schülern und machtvollen Lehrern, was Störungen und Lernblockaden auslösen kann. Was ein Teilnehmer noch emotionslos und stimmig beschrieb, nämlich den Wechsel von Vortrag und daraus sich ableitenden Aufträgen für Arbeitsgruppen, führte bei einem anderen Dienststellenleiter zu affektiven Einfärbungen, hatte er doch das Gefühl, dass die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppentreffen schon vorher feststanden bzw. der Fachberater diese „auf Tasche“ hatte, unabhängig von den Einlassungen der Arbeitsgruppen. „Ja, dass im Prinzip also wir auch durch unsere Arbeit nichts wesentlich Neues werden erarbeiten können oder so, sondern im Prinzip werden Aufträge durch Herrn B. irgendwo letztendlich vergeben, wo er selber im Prinzip nur seine Aktentasche aufmachen muss, und dann kann er das Ergebnis rausziehen, und das war ’s dann.“ 3/15/14-17 Schüler-Lehrer-Situationen im Plenum beschrieb auch ein anderer Befragter. Er hätte sich eine größere Toleranz und Gelassenheit seitens des PE-Fachberaters gewünscht, wenn dessen thematische Position kritisch hinterfragt wurde: 162 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse „Ich wünschte mir nur manchmal auch (lachend) etwas mehr Gesprächsbereitschaft, immer dann, wenn dagegengehalten wird, dann macht er zu. Solange er ganz normal reden kann und keine Fragen kommen oder nicht dagegengehalten wird argumentativ, dann ist das alles ganz locker, aber sobald jemand versucht, eine etwas andere Meinung zu vertreten, als er sie gerade präsentiert hat, oder vielleicht bestimmte Dinge, Aussagen anders zu bewerten, als er es tut, dann besteht die Gefahr, dass er zumacht, dass er auch hart formuliert.“ 8/13/25-29 Fasst man die Rollenreflexionen der Führungskräfte in Bezug auf den PE-Fachberater zusammen, dann wurde ihm viel Anerkennung für die kompetente Vermittlung von PE zuteil. Kritik und Änderungswünsche zielten auf das hohe Lerntempo, was für einige Teilnehmer nicht mit der eigenen Verarbeitungsfähigkeit korrelierte. Auch wünschte man sich mehr Flexibilität und Geschmeidigkeit im Umgang mit anderen Meinungen. 5.1.7.3.3 Die Leitfiguren als Repräsentanten formeller Organisationswirklichkeit Bei der Zusammenfassung der Statements der Teilnehmer hinsichtlich der Rollen des Projektleiters und PE-Fachberaters war klar erkennbar: Sie wurden als unzweifelhaft stark im Management-Teil ihrer Rollen wahrgenommen: Fachwissen, Engagement, Planung und Organisation erzeugten hohe Zufriedenheit. Die Stellungnahmen zur Prozesskompe- tenz waren eher kritisch. Ebenfalls wurde in den Zuschreibungen für diese Leitfiguren viel über die formale Organi- sationswirklichkeit in der Polizei ausgesagt. Wenn die Rolle des Projektleiters im Kapitel 5.1.6.4.1. als komplizierte und schwierige dargestellt wird, da er vielfältigen und oftmals widersprüchlichen Erwartungen ausgesetzt ist, dann entsteht eine Nähe zur weitgesteckten Rolle der Polizei in der Gesellschaft, die sich im Spagat zwischen Sicherheit und Freiheit befindet (vgl. Kapitel 2.6). Wenn der Projektleiter der sachgerechten und effizienten The- menbearbeitung größere Bedeutung zumisst als den Bedürfnissen der Teilnehmer, erscheinen Bilder von den Routinen und der Verfahrensförmigkeit der bürokratischen Organisation Polizei nicht so weit hergeholt, ebenso wie die geäußerte Kritik, die sich auf die Starrheit, Unflexibilität, den schulmeisterlichen Ton und die Ferne zur Erlebniswelt der Bediensteten bezog (vgl. Kapitel 3.2). Wenn dem PE-Fachberater Respekt für die knackige und kompetente Wissensvermittlung von „Neuem“ gezollt wird, dann entsteht Nähe zur effizienten, arbeitsteiligen, bürokratischen Organisation (vgl. Kapitel 2.6), ebenso wie bei der Kritik an dem hohen Lerntempo, was die Analogie zu der Vielzahl an Vorgaben, Erlassen und Verfügungen, die erfasst und umgesetzt werden sollen, zulässt (vgl. Kapitel 3.1). Die hierarchische Organisation kann, analog zur Kritik am externen PE- Berater, schwerlich gelassen und tolerant mit Kritik an ihren Routinen umgehen, sondern reagiert eher konfrontativ, und da wird dann schon eher mal „zugemacht“ bzw. „hart“ formuliert“. Die Zuschreibungen und Projektionen der Teilnehmer in Bezug auf die Leitungsebene der Qualifizierungsmaßnahme nähren Analogien zur regelgebundenen bürokratischen Organisation, die auf Erhaltung von Normalität und Kontinuität ausgerichtet ist. Diese 163 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse bürokratische Ausrichtung ist dann nicht im Stande, kreative Initiativen, Spontanaktionen und Ad-hoc-Entscheidungen zu entwickeln und zu fördern. Gut erkennbar wurde die Auseinandersetzung mit der limitierenden, bürokratischen Organisationsspitze im vorherigen Kapitel 5.1.7.4.2, als eine Führungskraft in einem Statement seine Befürchtung ausdrückte, dass die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen schon im Vorhinein feststehen könnten, der PE-Fachberater „nur seine Aktentasche aufmachen muss und dann kann er das Ergebnis rausziehen, und das war ’s dann“. Da entsteht das Bild von einem Zauberer, der in der Lage ist, ein Kaninchen aus dem Zylinder zu zaubern. Man bewundert seine Fä- higkeiten und Fertigkeiten, allerdings will auch der Beigeschmack von „faulem Zauber“ nicht weichen. Dieses Statement kann als ein verdichtetes Konzentrat von Spannungen und Unsicherheiten bezogen auf die anstehenden Reformbemühungen und die Rolle, die die Personalentwickler dabei spielen, verstanden werden. Hier offenbarte sich eine komplexe Beziehungs- bzw. Vertrauenskrise durch die Angst, als „Reformalibi“ herhalten zu müssen. Man wird aktiv, engagiert sich, motiviert die Mitarbeiterschaft, wirbt um partizipativen Input, investiert Zeit und Mühen, entwickelt neue Ideen und Wege, und am Ende öffnet die Organisationsspitze ihre Aktentasche und sagt: „So wird es gemacht“. Das Werben um Partizipation und Beteiligung erweist sich dann im Nachhinein als „fauler Zauber“. 5.1.7.3.4 Die Verhaltenstrainer66 Im Gegensatz zu den vorhergehenden Kapiteln, wo sich die Statements in Lob und Kritik in Bezug auf das Leitungsverhalten in Großgruppensettings aufteilten, wirkten die Einlassungen der Teilnehmer zum Leitungsverhalten in den Kleingruppen recht einheitlich. Es gab kein kritisches Statement und keinen Befragten, der sich im Resümee nicht wertschätzend bis hochgradig wertschätzend über die Moderations- und Transfer- leistungen der Trainer, die sich an den Bedürfnissen der Teilnehmer ausgerichtet hätten, äußerte. Besonders herausgestellt wurde immer wieder die ausgesprochene Flexibilität in Bezug auf den Umgang mit Zeit und Stimmungen sowie die Aufnahme- bzw. Verarbeitungskapazität der Teilnehmer. Wie bereits erwähnt, hatten die Trainer oftmals als teilnehmende Beobachter an den Großgruppenbausteinen teilgenommen. Sie standen also fortwährend sowohl mit dem Projektleiter und dem PE-Fachberater als auch mit den Teilnehmern in Kontakt. Sie konnten Stimmungen, Blockaden, Missmut, Lähmungen wahrnehmen und erspüren und das Kleingruppensetting entsprechend anders strukturieren, z.B. wurden hier die Variablen 66 Umgangssprachlich hat sich der Terminus „Trainer“ innerhalb der Polizei durchgesetzt und wird deswegen im weiteren Verlauf benutzt. 164 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Zeit und Thema eindeutig an den Verarbeitungskapazitäten der Teilnehmer ausgerichtet. Die meisten Teilnehmer hatten eine ausgeprägt erlebnis- und bedürfnisorientierte Lernform so noch nicht erlebt, da sie fernab des so genannten „Lehrgangslernens“ liegt. Beispielhaft seien hier einige Stimmen aufgeführt: „Dass sie erst mal äußerst flexibel waren, dass sie eine unheimlich gute Vorbereitung hatten, sie haben sich, haben sie auch teilweise gesagt, in eine durchaus fremde Materie sehr gut eingearbeitet, haben das auch untereinander reflektiert.“ 1/16/15-18 „Aber es war sehr glaubwürdig, und das war für mich das Entscheidende. Die beiden haben das, was sie dort verkauft haben, vorgelebt. Und das hat mich persönlich sehr beeindruckt. Das ist vielleicht Lernen am Beispiel, wenn man auf eine Methode kommen will.“ 2/7/16-19 „Sehr professionell, auch sehr engagiert und aus meiner Sicht dann auch sympathisch. Also, ich bin also nach Braunlage gern hingefahren.“ 4/12/1-5 „Sag mal die 4 Bausteine in Braunlage, da ging das gegen 100 % mit der Zufriedenheit. Weil ganz einfach effektiv und effizient gearbeitet werden konnte, weil die Hygienefaktoren stimmig waren, weil das Wetter auch noch schön war (Lachen). Ja, ist klar, das gehört aber nun mal dazu. Da kann es keine Verbesserungen geben. Die Trainer waren ausgezeichnet.“ 6/32/18-21 Zusammenfassend bezogen sich die durchgängig wertschätzenden Äußerungen der Befragten auf folgende Kompetenzebenen: ♦ Fachkompetenz (umfassende Vorbereitung, professionelle Aufbereitung der Themen, methodisch gut strukturierter Aufbau der Themenblöcke, praxisbezogene Auseinan- dersetzung mit der Materie) ♦ Prozesskompetenz (gute Arbeitsatmosphäre schaffen, flexibler Zeitansatz, phasenori- entierte Interventionen, Themendosierung ausgerichtet an Aufnahme- und Verarbeitungsvermögen der Teilnehmer, Aushandeln thematischer Schwerpunkte) ♦ Rollenkompetenz (Lernen am Erleben, Gruppenleiter bieten sich als Rollenvorbild an (z.B. in Hinblick auf Authentizität, Offenheit, Engagement, Konfliktfähigkeit) Die teilweise überschwänglichen Voten der Teilnehmer grenzten an Idealisierungen. Sie waren insofern überraschend, da innerhalb der Polizei, wie oftmals in Weiterbildungsab- teilungen großer Institutionen, der „Prophet im eigenen Land“ nicht so viel gilt wie der externe Berater, dem häufig per se ein Kompetenzvorsprung eingeräumt wird. Hierarchieunterschiede schienen sich nicht lernbehindernd ausgewirkt zu haben. Waren 32 von 39 Teilnehmern der Qualifizierungsmaßnahme Angehörige des höheren Dienstes, so sind die Verhaltenstrainer im gehobenen Dienst der Polizei angesiedelt. Bemerkenswert war auch, dass, bis auf eine Ausnahme, kein Trainer namentlich besonders hervorgehoben wurde, sondern in den Statements war immer von den „Trainern“ die Rede. Insgesamt kamen hier fünf verschiedene Trainerpersönlichkeiten zum Einsatz, die jedoch in ihrem 165 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Verhalten der Gruppe gegenüber als ausgesprochen homogen und weitgehend auf einer Kompetenzlinie liegend wahrgenommen wurden. „Ja, ich meine, ich habe alle erlebt. Ja, ohne Ausnahme. Unterschiedlicher, ich weiß nicht, warum, die Gruppen haben gewechselt oder ich hab mal die Gruppe gewechselt, ja, oder die Trainer haben gewechselt, wie dem auch sei, ich habe alle genossen, und ich muss sagen, es hat mir bei allen gleich viel Spaß gemacht, die waren alle sehr kompetent, ich kann nur Gutes über die Trainer berichten.“ 7/14/14-18 5.1.7.3.5 Die Trainer als Repräsentanten der informellen Beziehungswelt Dass „die Trainer“ als eigenständige Akteure in den Teilnehmerstatements nicht konturiert wurden, anders als z.B. Projektleiter & PE- Fachberater, könnte ein Hinweis dafür sein, dass nicht ihre Person, sondern ihre Funktion in der Qualifizierungsmaßnahme bedeutsam und wichtig war. In gewisser Weise standen die Trainer als Synonym für die „Öffnung des Ausgeschlossenen“. Als Beleg mögen die Abbildungen zur Methodik und Gruppendynamik in Kapitel 5.1.6.2 wie auch das letztgenannte Zitat des vorherigen Kapitels dienen, wo von „Genuss“ und „Spaß“ in der Zusammenarbeit mit den Trainern die Rede war, was deutlich macht, dass die Ebene der Emotionalität, der Konflikte, der Situation immer wieder in die in die Gruppenarbeit mit den Trainern einfloss. Es kann sehr befreiend und arbeitsfördernd sein, wenn Konflikte auf den Tisch gelegt und ausgetragen werden können, wenn sich Ängstlichkeiten und Blamagefurcht erübrigen. Da wachsen nicht nur die Bereitschaft mitzugestalten und die Kreativität der Beiträge, sondern die Arbeit macht insgesamt mehr Spaß, weil von einem mehr verlangt wird als sonst im streng funktionalisierten arbeitsteiligen Prozess üblich. Die Trainer waren auch in anderer Hinsicht die Protagonisten der informellen Beziehungswelt, denn sie waren „enthierarchisiert“, da sie im Regelfall mit niedrigeren Dienstgraden ausgestattet waren als die Teilnehmer. Somit übten sie, im Gegensatz zum Projektleiter, keinerlei Kontroll-, Bewertungs- oder Disziplinierungsfunktionen aus. Auch mussten die Teilnehmer in den Kleingruppen untereinander nicht ernsthaft in Konkurrenz treten, was für viele eine ganz neue Erfahrung war, denn mit dem knappen Gut des „Wahrgenommenwerdens“ konnte sehr personenbezogen umgegangen werden. Zur Not wurden Settingveränderungen vorgenommen und vorbestimmte Inhalte weggelassen, um im Prozess gewünschte Aspekte und Thematiken zu vertiefen. So standen die beiden unterschiedlichen Leitungshaltungen in den differierenden Lernar- chitekturen für unterschiedliche Ziele. Diese Dualität entspricht der Rollenaufteilung in Familien. Der Projektleiter & der PE-Fachberater verkörperten die Autorität in der Sache (sie sind sozusagen die „Väter“, die für das wirtschaftliche Überleben zu sorgen haben), während die Trainer den mütterlichen Part übernahmen, nämlich für die Bedürfnisse der Teilnehmerschaft zu sorgen. Die Trainer als „pflegender“ Teil der Maßnahme konnten stützen, ermutigen, einfühlen, vermitteln, halten, veranschaulichen. Das Bild ist nicht so 166 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse weit hergeholt. Wie in den Statements zu den Leitfiguren Projektleiter & PE-Fachberater bzw. Trainer zu lesen war, zeigten sich in deren Verhalten Parallelen zu dem der Vater und der Mutter. Beide Parteien unterstützen in einträchtiger Arbeitsteilung diese Projektionen. Wenn die Väter den dichten Themenkatalog „durchboxten“, Teilnehmer ermahnten, disziplinierten und zurechtwiesen, Regeln setzten, dann sorgten die Mütter für Ausgleich für die erlittene Unbill durch großzügige Zeit-, Aufmerksamkeits- und Autonomiegeschenke. Möglicherweise erklärt diese Sichtweise auch die Häufigkeit der „Kompetenz- und Glaubwürdigkeitszuschreibungen“ an die Trainer, die als Dankbarkeit dafür verstanden werden müssen, die Bedürfnisse der Teilnehmer erkannt, besprechbar gemacht und ihnen Raum verschafft zu haben. Nachdem sich in den letzten Kapiteln intensiv und tief gehend mit den Auswirkungen von Strukturen, Lernarchitekturen und ihrer Leitfiguren auf die Teilnehmer auseinander gesetzt wurde, soll sich im Folgenden mit dem noch ausstehenden Teil, der Rezeption für die Teilnehmer bedeutsamer Inhalte, eingehend beschäftigt werden. Danach wird im Rahmen einer resümierendenden Analyse das Verhältnis von formeller und informeller Organisationsstruktur, wie es sich in dieser Qualifizierungsmaßnahme abbildete, dargestellt. 5.1.7.4 Inhalte mit hohem Wirkungsgrad Generell war in den Statements zur zweiten Interviewreihe ein vertieft handlungsbezoge- ner Ansatz im Führungshandeln erkennbar, im Gegensatz zur ersten Befragungsreihe, die geprägt war durch wachsende geistige Auseinandersetzung mit der Thematik und zunehmender Sensibilisierung potenzieller Anwendungsformen von PE-Instrumenten. So berichtete die große Mehrheit der Befragten kurz nach Interviewbeginn „unaufgefordert“ von einem höheren Stellenwert der Personalentwicklung im eigenen Verantwortungsbe- reich und brachte prägnante Beispiele, wo Bausteininhalte zur Anwendung kamen. Die Bausteine mit dem höchsten Wirkungsgrad wurden anhand der Häufigkeit der Nennungen, aber auch anhand des zugeschriebenen Bedeutungsgehaltes für den Arbeitsalltag ermittelt. Die Bausteine mit dem höchsten Wirkungsgrad erfüllten in der Regel vier Kriterien, die ihre Attraktivität erklärten: ♦ Die Inhalte waren vielseitig anwendbar. ♦ Die Inhalte erwiesen sich als alltagstauglich und nutzbringend. ♦ Die Anwendung der Inhalte wurde als Kompetenzsteigerung erlebt. ♦ Die Anwendung der Inhalte erbrachte dem Anwender ein positives Feedback. 167 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.1.7.4.1 Moderation und Präsentation Es gab mehrere Indikatoren, welche die Bedeutsamkeit dieses „Bausteinhighlights“ unter den Führungskräften verdeutlichten. Bereits während der ersten Interviewreihe im November/Dezember 1998 äußerten Teilnehmer Erwartungen in Bezug auf gewünschte inhaltliche Unterstützung durch die nächsten Bausteine. Fünf Führungskräfte erwarteten explizit die meiste Unterstützung vom Baustein „Moderation & Präsentation“, da hier nach eigener Einschätzung noch erheblicher Verbesserungsbedarf, besonders was die Projektgruppenarbeit betraf, antizipiert wurde. Wie bereits im vorigen Abschnitt beschrieben, wurde zu Beginn der zweiten Interview- reihe nach Veränderungen in der Führungsaufgabe gefragt. Viele Führungskräfte hatten diese Frage zum Anlass genommen, um über Anwendungserfahrungen mit Bausteininhalten zu berichten, die sich fast ausnahmslos auf den Baustein „Moderation & Präsentation“ bezogen und als durchweg bereichernd dargestellt wurden. Es gab keinen Befragten, der diesen Baustein nicht auf seiner persönlichen „Hitliste“ ganz vorne platziert hätte, entweder als den wichtigsten Baustein überhaupt oder in Verbindung mit anderen wichtigen Bausteinen. Drei Befragte in neuen Funktionen berichteten über die Nützlichkeit und hohe Alltags- tauglichkeit dieser Inhalte bei der Strukturierung und Systematisierung ihrer neuen Aufgaben (z.B. Gestaltung von Lehrveranstaltungen, Versammlungen, Implementierung von Controlling). Andere Führungskräfte waren in Umorganisationsprozesse ihrer Behörden involviert, entweder als Initiatoren oder als Teil einer Prozesskette. Beispielhaft sei eine Führungskraft angeführt: „Schwergewicht war in diesem Jahr der Umbau der Büroorganisation, das heißt, wir hatten eine Erfassung, die war beim ZKD (Zentralen Kriminaldienst) angesiedelt. Und das haben wir jetzt also alles auf dieser Etage zusammengeführt, wobei ich die ganzen Moderationstechniken angewandt habe, ich habe also alle Leute zusammengefasst, alles Frauen, ich habe die Verant- wortlichen zusammengenommen, wir haben vorher ja die Aufgabenfelder erst mal nur unter den Verantwortlichen beschrieben, das haben wir dann in Etappen widergespiegelt, und immer wie wir Akzeptanz hatten, haben wir weitergemacht.“ 1/1/10-18 Die Erkenntnis, dass diese Methoden und Techniken sich grundsätzlich als hilfreich, all- tagstauglich und effizienzsteigernd bei Besprechungen aller Art erweisen, greift als alleiniger Erklärungsansatz für die „enthusiastische“ Rezeption dieser Inhalte zu kurz. Es scheint einiges für folgenden Erklärungsansatz zu sprechen: Die Führungskräfte erleben Moderationsmethoden als geeignete Möglichkeiten, über Gestaltungswünsche der Mitarbeiter vertieften Kontakt zu ihnen herzustellen, ohne dass diese Form der Kooperation mit der Angst vor Kontrollverlust einhergeht, da sie firm in der Anwendung und Interpretation dieser „Tools“ sind und nicht die Mitarbeiter. So berichtete ein Dienststellenleiter von einer entspannteren Haltung seinen Mitarbeitern gegenüber. Er sah sich in seiner Führungsrolle zunehmend als Moderator. Indem er seinen 168 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Mitarbeitern in Besprechungen Gestaltungsspielräume verschaffte, konnte er zuhören, Zusammenhänge entdecken, Fragen formulieren und sich eine umfassendere Meinung zu Themen bilden, ohne vorschnell bewerten und entscheiden zu müssen. „Ich habe sehr stark profitiert von dem Baustein Moderation, das ist für mich zwar in Ansätzen schon vorhanden gewesen, aber durch die Vertiefung in dem Baustein habe ich mir eine andere Verhaltensweise zugelegt, ich lasse Mitarbeiter, ja, mehr zur Geltung kommen in dieser Frage- stellung, indem ich mich aus der Führungsrolle auch in einer Besprechung zurückziehe und mich in die Rolle des Moderators zurückziehe. Das heißt, es kommt ein in der Regel sehr breiter Output der Mitarbeiter, sie bringen sich ein, und ich bin nicht mehr der von vornherein Bewertende, sondern der Zuhörende, und ich glaube, das entspannt einfach das Führungsge- schäft.“ 2/4/17-24. Die Aussage „Das entspannt einfach das Führungsgeschäft“ weist daraufhin, dass die Ent- spannung bei der Führungskraft und den Mitarbeitern stattfindet, also eine beidseitige ist, denn die gelungenen „Geschäfte“ beruhen darauf. Interessant ist, wie die beidseitige Entspannung zu Stande kommt. Der Sprecher lässt Mitarbeiter „mehr zur Geltung kommen, indem er sich zweifach „zurückzieht“, nämlich einmal „aus der Führungsrolle“ und das andere Mal „in die Rolle des Moderators“. Der doppelte Rückzug der Führungskraft ermöglicht einen „sehr breiten Output der Mitarbeiter“. Diese „bringen sich ein“, da sie die sich ihnen bietende Möglichkeit, auf Verständnis zu stoßen, nutzen. Die geäußerte Meinungsvielfalt ermöglicht wiederum dem Sprecher, zu einem tiefen Verständnis der Problematik zu kommen, da er nicht mehr der „Bewertende, sondern der Zuhörende“ ist. Und das „entspannt einfach das Führungsgeschäft“. Wenn etwas „einfach“ in der Handhabung ist und dabei beidseitig für „Entspannung“ sorgt, dann ist die Chance auf Integration in das Verhaltensrepertoire groß. Von daher kann angenommen werden, dass es beim Sprecher zu nachhaltigen Verhaltensänderungen gegenüber Mitarbeitern gekommen ist. Die Führungskräfte erleben die Auseinandersetzung mit Moderationsmethoden und Prä- sentationstechniken als eine erhebliche Erweiterung ihres Interventionsspektrums, was auch ihr Rolleninventar um moderierende Aspekte im Sinne eines kooperativen Füh- rungsstils erweitert. Erfolgreiche Moderation & Präsentation von Arbeitsgruppen und Versammlungen erscheint in der Außenwirkung als eminent wichtiger Teil angewandter Leitungskompetenz und in der Innenwirkung als hochgradig identitätsstiftend in Bezug auf die Kernaufgabe Führen und Leiten. 5.1.7.4.2 Umgang mit Konflikten Oftmals in direktem Zusammenhang zum vorherigem Baustein, jedoch mit gehörigem Abstand, was die Anzahl der Nennungen angeht, wird der Baustein „Konflikte und Kon- fliktmanagement“ als besonders bedeutungsvoll hervorgehoben. Das Konfliktmanage- ment im Verantwortungsbereich der Befragten ist alltägliches Führungsgeschäft. Ähnlich wie bei der Moderation und Präsentation fühlten sich die Führungskräfte durch die Inhalte 169 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse dieses Bausteins in ihrer Leitungskompetenz gestärkt. Einzelne Befragte stellen das frühere „Bauchgefühl“ einer vertieften Reflexion von Interessengegensätzen gegenüber, was für eine Führungskraft zu „einer bewussteren Gesprächsführung im Konfliktbereich“ führt. Das „Wissen um Bestandteile von Konflikten und Eskalationsstufen“, die Fähigkeit „Zuordnungen von Konfliktarten“ vornehmen zu können, um die eigene Handlungssicherheit zu verbessern, bedeutet für Andere Wege zur „unmittelbaren Problemlösung“. Das Erkennen der Systematik und Struktur konflikthafter Verläufe sowie der bewusstere Umgang hiermit stärken für viele Befragte die eigene Wahrnehmung und Handhabung und machen sie selbstbewusster bzw. konfliktfähiger. Konfliktfähigere Führungskräfte können die Organisationen, in denen sie tätig sind, „konfliktfähiger“ machen, so dass diese zum konstruktiven Bearbeiten von Differenzen, Reibungen und Spannungen in der Lage sind. In diesem Zusammenhang tritt aber immer wieder die Schwierigkeit auf, zwischen extremen Konflikthaltungen das rechte Maß zu finden. Gemeint sind die Konfliktscheu auf der einen und die Streitlust auf der anderen Seite. Aber weder die eine noch die andere Haltung befähigt dazu, sich mit Differenzen, Spannungen und Konflikten konstruktiv auseinander zu setzen. Den beiden Haltungen liegen im Allgemeinen bestimmte Angstvorstellungen zugrunde. Die Konfliktscheuen befürchten, dass sie durch aggressives Auftreten gefühllos, kalt und unmenschlich wirken, andere zurückstoßen, verletzen und zerstören. Wird diese Haltung von vielen Personen in einer Gemeinschaft geteilt, entsteht in Organisationen eine Organisationskultur der Konfliktvermeidung und Konfliktunterdrückung, die zum Verlust von Freude und Kreativität führt. Die Streitlustigen dagegen befürchten, dass sie nicht genug zu sich selbst stehen, wenn sie sich zu nachgiebig zeigen. Sie wollen nicht für feige oder unsicher gehalten werden, darum zeigen sie ihre Emotionen und handeln offensiv. Ist Streitlust das ausgeprägte Muster in Organisationen, besteht wiederum die Gefahr, dass über alles und mit jedem gestritten wird, bis jegliches Gemeinschaftsgefühl zerstört ist. Lebhaft schildert eine Führungskraft, wie sehr sie versucht, eine veränderte Konflikthand- habung (mehr Offenheit und Transparenz, weniger Konfliktvermeidung) mit persönlichen Charakterzügen (Impulsivität) in Einklang zu bringen: „Ich nehme für mich in Anspruch, aber das müssten meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vielleicht bestätigen, dass ich Konflikte anders handhabe hier im Haus. Zumindest gebe ich mir Mühe, das zu tun. Ob mir das immer gelingt, ich bin mitunter ein sehr impulsiver Mensch, haue auch mal mit der Faust auf den Tisch, auch wenn es mir anschließend Leid tut, aber das offene Ansprechen, Offenheit, Transparenz, auch Konflikte nicht vermeiden, sondern sie aus- zutragen, bei verschlossener Tür wirklich die Dinge auf den Punkt zu bringen, da kann ich noch ein bisschen an mir arbeiten, mit Sicherheit, aber das habe ich so erfahren, dass während diese Qualifizierungsmaßnahme das schon sehr unterstützt hat, bei mir in meinem Verhalten.“ 8/11/5-14 Der Sprecher beginnt einen generalisierenden „Anspruch“ zu formulieren, nimmt sich aber umgehend zurück, denn diesen „müssten meinen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen 170 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse vielleicht bestätigen“. Er stellt nun eine Lernerfahrung heraus, nämlich „dass ich Konflikte anders handhabe hier im Haus“. Er wird sich dem eigenen, generalisierenden Anspruch aber plötzlich bewusst und schränkt ein, dass er sich „Mühe gibt“. So outet er sich als sehr „impulsiven Menschen“, der „auch mal mit der Faust auf den Tisch haut“. Es ist durchaus möglich, dass dieses Verhalten für ihn eine erfolgreiche Form der Konfliktbearbeitung im Alltag war, allerdings wohl keine befriedigende, denn es tat ihm „anschließend Leid“. Ein brüllender Chef passt nicht recht zu den kooperativen Führungsmethoden. Nun hat er gelernt, sein vormals impulsives Gebaren zunehmend in Worte zu fassen, er hat gelernt, dass offenes „Ansprechen“ der Konfliktgründe, „Offenheit“ hinsichtlich Befindlichkeit und Auswirkungen des Konflikts in Kombination mit einer Haltung, die „Konflikte nicht vermeidet“, Vorteile bietet. Vielleicht impulsivitätsreduzierend wirkt, vielleicht bessere und nachhaltigere Lösungen produziert. So ganz ist das neue Verhalten aber noch nicht in die Persönlichkeit integriert, denn er ist darauf angewiesen, bei „verschlossener Tür wirklich die Dinge auf den Punkt zu bringen“. Vielleicht verletzt dieser verdichtete Klärungsprozess die Betroffenen, oder die eigene Impulsivität bricht durch. In beiden Fällen sorgt die „verschlossene Tür“ dafür, dass Differenzen vor der Öffentlichkeit verborgen werden und Dinge nicht nach außen dringen. Widersprüchlich wirkt die „verschlossene Tür“, welche die Aura des „Geheimnisvollen“, der „Absprachen“ umgibt, mit der zuvor verkündeten Offenheit und Transparenz bei der Konfliktaustragung. Er ist noch nicht zufrieden, da will er noch „ein bisschen an sich arbeiten, mit Sicherheit“, wobei nicht klar ist, an was er arbeiten will. Vielleicht an der richtigen Dosierung bei der Zufügung von Schmerzen, an der eigenen Impulsivität oder an dem Widerspruch zwischen „verschlossener Tür“ und offener, transparenter Konfliktaustragung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Erfolg und die Wertschätzung dieses Bausteines bei den Teilnehmern vornehmlich darin begründet lagen, Konflikte im dienstlichen Alltag frühzeitiger zu erkennen und auch in einem fortgeschritteneren Stadium besser zu durchschauen. Dazu gehörten die Entwicklung eines tieferen Verständ- nisses davon, welche Mechanismen zur Intensivierung der Konflikte und zur Verstrickung beitragen, wie auch Kenntnisse über die Anwendung von Wegen und Mitteln, die zur Klärung von Standpunkten und Situationen nützlich sind. 5.1.7.4.3 Projektmanagement Mit deutlichem Abstand konnte der Baustein „Projektmanagement“ als drittes „Baustein- highlight“ bezeichnet werden, obwohl hier ein so genannter „dritter Platz“ nicht ganz eindeutig auszumachen war, da dieser oft im Verbund mit anderen Bausteinen benannt wurde. Im Baustein „Projektmanagement“ wurde elementares Wissen um Organisation, Ablauf und Struktur von Projektarbeit vermittelt. So begann dieser Baustein mit einer Prä- sentation und Erörterung möglicher Projektthemen, um dann die Grundlagen des Projektmanagements zu erörtern. In der zweiten Hälfte des ersten Seminartages wurde 171 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse dann in Übungen die Projekteignung und -auswahl vertieft. Der zweite Seminartag hatte im Wechsel von inhaltlichem Input und Übung sowohl die Projektstrukturplanung und die Meilensteinplanung als auch die personelle Projektplanung zum Schwerpunkt. Der dritte Tag war ganz auf die Erarbeitung von tragfähigen und realistischen Projektkontrakten ausgerichtet. Bestandteil eines Projektkontraktes war das Projektthema, die Beschreibung der Ausgangssituation, konkrete Ergebnisziele, Meilensteine, notwendige Ressourcen, K.- o.-Kriterien und Informationen und Unterlagen zur Einarbeitung in das Thema. Die Fülle und Dichte der wichtigen Informationen zur Gestaltung von Projektarbeit ließen diesen Seminarbaustein zur Grund- und Einstiegsvoraussetzung für erfolgreiche Projekt- arbeit werden. Der unmittelbare Bezug zwischen theoretischer Wissensvermittlung, verantwortlicher, zeitnaher und praktischer Anwendung sowie Projekterfolg war für einen Befragten bestechend. „Projektmanagement insofern positiv, weil man ’s ja selber erlebt, weil man selber verantwortlich ist und selber natürlich gut beraten ist, sich die Dinge anzueignen, damit das eigene Projekt natürlich auch erfolgreich ist.“ 3/9/3-6 Ein anderer Teilnehmer hob ausdrücklich die Bezogenheit der Seminarbausteine hervor und meinte, ohne das erworbene Wissen der vier vorherigen Bausteine überhaupt nicht „projektfähig“ gewesen zu sein. „Sehr viel, überhaupt keine Frage, also ich wäre mit Sicherheit nicht in die Lage versetzt worden, ohne die Bausteine ein Projekt anzugehen. Absolut nicht.“ 1/15/13-14 Der Seminarbaustein „Projektmanagement“ gehörte in die Seminarsegmente, die sich als hilfreich und nützlich bei der Vorbereitung, Strukturierung und Bewältigung der projekt- bezogenen Fragestellungen erwiesen. Der hohe Wirkungsgrad basierte einerseits auf der Verortung unmittelbar vor Beginn der praktischen Projektarbeit. Andererseits hatte dieser Baustein für die Führungskräfte eine Integrationsfunktion, weil er Wissens- und Strukturelemente mit dem Erwerb von Kompetenzen und Fertigkeiten zu bündeln. Denn Hierarchieverhalten und Projektmanagementverhalten widersprechen einander und schließen sich manchmal sogar aus. Eine Gruppe von Gleichberechtigten zu leiten, ist etwas anderes, als einer Abteilung vorzustehen; den Widerspruch zur Hierarchie zu managen, etwas anderes, als in der Linie zu agieren; Gruppenprozesse zu steuern und Gruppenentscheidungen herbeizuführen, etwas anderes, als sich von Sachbearbeitern „zuarbeiten“ zu lassen und Einzelentscheidungen zu treffen; auf Unvorhergesehenes plötzlich und sofort organisatorisch zu reagieren, etwas anderes, als bei Vorgesetzten rückzufragen, was getan werden soll. 5.1.7.5 Diskussion zu den Wirkfaktoren der Bausteine mit hohem Wirkungsgrad Abgesehen vom letztgenannten Seminarbaustein, stellten die „Spitzenreiter“, die Bausteine „Moderation und Präsentation“, wie auch der Baustein „Umgang mit 172 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Konflikten“ verhaltens- und persönlichkeitsorientierte Kleingruppenbausteine dar. Für die Teilnehmer hatten sie einen hohen Lernwert. Dieses Faktum muss, angesichts eines gegenläufigen Trends in der beruflichen Fortbildung, noch einmal hervorgehoben werden. Nach Weiss (2000: 14 ff) hat die deutsche Wirtschaft im Jahr 1998 insgesamt 34 Milliarden Mark für betriebliche Weiterbildung ausgegeben, wobei das meiste Geld für die Vermittlung von Fachkompetenz ausgegeben wurde. Persönlichkeits- und Verhaltenstrainings hatten nur einen prozentualen Anteil von 13 % aller behandelten Themen, die in Lehrgängen durchgeführt wurden. Für die Befragten wies die Arbeit in den Seminarbausteinen folgende Besonderheiten auf: ♦ Die eigene Beteiligung und das Engagement waren außerordentlich hoch. ♦ Das Lernklima in der Kleingruppe wurde als offen, unterstützend und positiv bezeichnet. ♦ Die Dichte der Rückmeldungen über das eigene Verhalten ermöglichte Reflexions- prozesse zur Differenzierung des eigenen Führungsbildes. Kennzeichen dieser nachhaltig positiv erlebten Lernkultur sind also eine hohe Kommuni- kationsdichte einerseits und eine überschaubare Komplexität bezogen auf Thema und Gruppe andererseits. Nach Rosenstiel (1999: 102) fordert Kommunikation (unter Ein- schluss des Lesens und Schreibens und der Informationsübermittlung mit Hilfe technischer Kommunikationsmittel) ca. 90 % der Arbeitszeit einer Führungskraft. Die skizzierten Organisationsveränderungen in der Polizei laufen darauf hinaus, dass der Be- darf und die Notwendigkeit zur Kommunikation drastisch zunehmen. Es bedarf daher wirkungsvoller Instrumente, sich täglich auf neue, jeweils individuell geprägte Situationen einzulassen, Veränderungen in der Umwelt rasch wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Die Inhalte beider Bausteine lieferten hier wichtige Instrumente und Werkzeuge, und sie füllen das seit den 80er Jahren postulierte, vornehmlich kognitiv vermittelte kooperative Führungssystem mit Leben. Die Arbeitsgruppe 10 der Kommission zur Untersuchung des Reformbedarfs in der niedersächsischen Polizei fasste 1992 die Idee der kooperativen Führung wie folgt zusammen: „Kooperativ führen heißt, Mitarbeiter, soweit es eben geht, an Zielbildung, Planung und Entscheidung teilhaben zu lassen, sie umfassend und recht- zeitig zu informieren, sich für seine Mitarbeiter einzusetzen, ihre Leistung anzuerkennen, ohne dabei den besonderen Leistungsanspruch der Organisation aus den Augen zu verlieren. Kooperative Führung bindet den Mitarbeiter in den Führungsprozess ein, ohne den Vorgesetzten aus seiner Führungsverantwortung zu entlassen. Insoweit stellt das ko- operative Führungssystem an Mitarbeiter wie Vorgesetzte hohe Anforderungen in der Zusammenarbeit und muss im täglichen Miteinander immer wieder neu mit Leben erfüllt werden“ (Kommission zur Untersuchung des Reformbedarfs in der Niedersächsischen Polizei, Arbeitsgruppe 10, 1992: 47). 173 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Dem postulierten Anspruch steht die organisationale Wirklichkeit gegenüber, die Buchmann, (1995: 140) ein lehrender Psychologe in der Polizei, wie folgt beschreibt: „Obgleich in allen Bundesländern das sogenannte ,Kooperative Führungs-System‛ (KFS) eingeführt (um nicht zu sagen verordnet!) wurde, wird permanent gegen die Richtlinien verstoßen. Und zwar in schöner Regelmäßigkeit zuallererst und immer wieder ,von oben nach unten‛. Solange ein Polizeipräsident oder ein Polizeidirektionsleiter ,ungestraft‛ autoritäre Tiraden verbreiten kann, solange in Ministerien kaum oder gar kein Wert auf Kooperation, Transparenz und konstruktive Kritik gelegt wird, solange wirkliche Beurteilung- und Beförderungsstrukturen ,im Nebel‛ bleiben, solange ist das Vermitteln des KFS nur pseudodemokratische Feigenblatt-Lehre.“ Von daher vermittelten die Bausteine mit hohem Wirkungsgrad Fertigkeiten auf der Handlungsebene, welche das bisher erlebte Vakuum zwischen Wissens- und Handlungsschiene mit Leben füllten. Es wurde eben nicht wie bisher mit schönen bunten Graphiken Theorie vermittelt, sondern auf der Verhaltensebene Können eingeübt, was all- gemeine Zufriedenheit auslöste, da in den Kleingruppen tragfähigere Problemlösungen im Alltag erarbeitet wurden. Hierdurch konnte die Diskrepanz zwischen theoretischem An- spruch und praktischer Feld-Wirklichkeit gering gehalten werden. Das Erlernen alternativen Verhaltens wird ermöglicht, was sich als vorteilhaft für das tägliche Miteinander erweisen kann. Denn organisationale Veränderungsmaßnahmen lassen sich nicht mehr wie bisher top-down implementieren, Mitarbeiter fordern zunehmend auch Partizipation ein. Die Führungskräfte können nicht mehr in gewohntem Ausmaß entscheiden und die Umsetzung der Entscheidung anweisen, sondern sie werden zunehmend zu Moderatoren von Entscheidungsprozessen ihrer Teams. Hierdurch verlagert sich die Verantwortung der Führungskraft von der Ergebnis- zur Prozessverantwortung: etwas wagen, sich auf Gruppenprozesse einlassen, konstruktives Feedback geben und erhalten sowie neues Verhalten erproben. Das sind insgesamt gesehen alles kleine Schritte, die vorsichtig erprobt werden konnten, und sich für den Erfolg „zu Hause“ als hilfreich erweisen. Die Führungskräfte bekamen nützliche Methoden vermittelt und konnten im geschützten Rahmen einüben, wie Mitarbeiter an Entscheidungen beteiligt werden können. Das war für viele neu, denn sie hatten sich selbst und andere häufig als Referenten erlebt, die eine Folie nach der anderen auflegen, um zum krönenden Abschluss die Frage zu stellen, ob es noch Fragen gebe. Dieselbigen kommen dann zwar eher spärlich, weil man sich oftmals sich in größeren Versammlungen nicht traut, seine Unwissenheit zuzugeben, doch kommen sie spätestens bei der Umsetzung. Wirkungsbeschreibungen von Visualisierungs- und Moderationsmethoden tauchen auch in polizeilichen Fachartikeln auf (vgl. Endriss & Braun & Groh 1999: 194 ff, Eulenstein, 2000: 12ff), wobei die wesentlichen Vorteile dieser Methoden darin bestehen, dass sie nicht nur Aktivität und Dynamik inmitten sonst ermüdender Fachvorträge, sondern auch 174 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse überzeugende Strukturierungshilfen bei der Bearbeitung von Konflikten bieten. Sie eröffnen Möglichkeiten, einen sowohl partnerschaftlichen als auch effizienten Führungsstil zu verwirklichen. Mit den Methoden kann gezielt auf Teilnehmerbedürfnisse eingegangen werden. Die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema wird angeregt. Spezifische Fragestellungen und Problemlösungen können in betroffenen Kleingruppen erarbeitet werden. Es kann eine Selektion von wichtigen und unwichtigen Punkten vorgenommen werden. Die Wahrnehmung durch Auge und Ohr gleichzeitig verstärkt die Merkfähigkeit. Durch das Visualisieren wird eine deckungsgleichere Interpretation der Aussagen bei allen Teilnehmern erreicht. Zudem erleichtert es diese Technik, verbal schwierig zu erklärende Sachverhalte zu vermitteln. Es wird eine bessere Identifikation der Teilnehmer mit dem Ergebnis erzielt. Auch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Teilnehmer sich bei der Realisierung der Ergebnisse stärker engagieren werden. Durch das Selbsterarbeiten, das Selber-Sprechen-und-Tun wird die Behaltensquote des aufgenommenen Wissens erhöht. Der Lernerfolg ist größer als bei Vortragsveranstaltungen. Die souveräne Beherrschung von Moderations- und Präsentationstechniken durch Führungskräfte kann sowohl als Beitrag zur Demokratisierung der Polizei als auch als Aufwertung der Führungsrolle verstanden werden. Die Stärkung des partizipativen Führungsverhaltens durch Moderationsmethoden, Präsentationstechniken und Konfliktmanagement steht einerseits für eine kooperative und damit demokratischere Polizei. Andererseits bedeutet der Umgang mit diesen Techniken und Instrumenten aber auch den Ausbau von „Herrschaftswissen“, denn das Instrumentarium ist noch längst nicht allgemeiner Bestandteil der Besprechungskultur innerhalb der Polizei. Letzten Endes wird der Wirkungsgrad dieser Techniken von der Glaubwürdigkeit und Integrität der Anwender abhängen. Die eloquenteste und elaborierteste Moderation und die perfekt durchstrukturierte Präsentation werden in ihren Wirkungen verpuffen, wenn die tragenden Werte der Führungskraft vornehmlich geprägt sind durch Befehl, Gehorsam und Misstrauen. 5.1.8 Reflexion zum Verhältnis formeller und informeller Organisationsstrukturen Bereits im theoretischen Teil dieser Arbeit wurde in den Kapiteln zur Organisationskultur (vgl. Kapitel 3.2.2) und im Unterkapitel „Polizeikultur versus Polizistenkultur“ (vgl. Kapitel 3.2.2.1) herausgearbeitet, dass die formelle Arbeitsorganisation und ihre Relation zu den zu bewältigenden Aufgaben in der Polizei zwar wichtige Orientierungspunkte bieten, doch hierdurch nur ein Teil der Organisation Polizei abgebildet wird. Vieles geschieht auf informellem Weg, sowohl auf der Beziehungs- als auch auf der Arbeitsebene. 175 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Betrachtet man die Organisation nun als Intergruppenprozesse, als System der Beziehungen zwischen Gruppen, dann lautet der Organisationswiderspruch in einer zugespitzten Formulierung von B. Pesendorfer: Die Gruppe ist der natürliche Feind der Organisation und die Organisation der natürliche Feind der Gruppe (zit. nach Heintel & Krainz, 2001: 137). Buchinger (vgl. 1997: 72) hat relevante Unterschiede zwischen Organisation und Gruppe herausgearbeitet. So schließen sich Gruppen nach außen zwar ab, doch müssen sie sich als Teil der Organisation mit anderen Teilen vernetzen. Als Gruppen verlangen sie nach Autonomie und Selbstorganisation – als Organsaktionseinheiten sind sie aber übergeordneten Zielen und Vorgaben unterworfen und ausgesetzt. Als Gruppen verlangen sie nicht hierarchische Kooperation und gemeinsame Verantwortung – als Teil der Hierarchie unterliegen sie jedoch einer hierarchischen Binnendifferenzierung und einer entsprechenden Abstufung der Verantwortung. Als Gruppen benötigen sie keine eindeutig berechenbare Eigenzeit, um spezifische Funktionsmechanismen zur Erreichung der Arbeitsfähigkeit zu entwickeln, als Teile der Organisation sind sie eher mechanistischen Zeitvorstellungen unterworfen. Im Zusammenspiel der widersprüchlichen Intergruppenprozesse und Lernarchitekturen spiegelt sich auch die Dynamik zwischen „Personal“ und „Persönlichkeit“ und letztendlich auch das Dilemma der Personalentwicklung wider. Nach Sprenger (2000: 107) atmet das „Personal“ den Geist der Masse, des Gesichtslosen, das sich elastisch an die Bedürfnisse der Organisation anschmiegt. Der Personaleingang ist bekanntlich hinten, dort, wo die Mülltonnen stehen. „Entwicklung“ verweist auf etwas „Ver-wickeltes“, das „ent-wickelt“ werden soll. Das Verhältnis von formeller und informeller Kommunikation kann dabei eine sehr aussa- gekräftige Quelle hinsichtlich der Organisationsstrukturen sein. Es konnte bisher sowohl auf der Ebene der Struktur und der Intergruppenprozesse (vgl. Kapitel 5.1.7.2) als auch auf der Ebene der Wirkung der Leitfiguren der unterschiedlichen Lernarchitekturen (vgl. Kapitel 5.1.7.3 ff) sowie bei Rezeption der von den Teilnehmern bedeutsam erachteten Inhalte (vgl. Kapitel 5.1.7.4) dargestellt werden, dass in Organisationen mit sehr bürokratischen Strukturen einerseits das Informelle einen überaus hohen Stellenwert hat und andererseits erhebliche Aversionen gegen das Formelle bestehen. Dabei wurde herausgearbeitet, dass „formell“ für Einschränkung und Zwang steht und „informell“ für Autonomie und Freiheitsspielräume. Da sich in diesem tief sitzenden Denkmuster das „Formelle“ als Bedrohung manifestierte, wurde es auch nicht weiterentwickelt, sondern abgespalten und das „Informelle“ idealisiert. Es entstanden zwei unterschiedliche Selbstverständnisse und Handlungslogiken, die wenig Verknüpfungen und Kooperationen aufwiesen. Diese zwei „Welten“ von organisationalem Selbst- bzw. Wandelverständnis, die untereinander in Ergänzung, aber auch in Konkurrenz zueinander standen, erschwerten das Entstehen eines weitgehend gemeinsamen Selbst- bzw. Wandelverständnisses, das an den konkreten Lernerfahrungen der Teilnehmer ausgerichtet ist. Der Blick soll auf mögliche Ursachen und Hintergründe gerichtet sein. Folgende Interpretationen zum 176 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Verhältnis formeller und informeller Organisationswirklichkeit anhand der Spannungsfelder in den Seminarbausteinen könnten Verstehenshilfen bieten. Die formelle Organisationswirklichkeit bildete sich in vielen Facetten in der Großgruppe ab. Sie sorgte für Druck, Zwang und Einschränkung. Die immer wiederkehrende Kritik der Teilnehmer entzündete sich an der Aufgabenbewältigung unter hohem zeitlichen Druck, an den Schwierigkeiten der Verarbeitung ganz unterschiedlicher Themen im Plenum und an den schwierigen Rahmenbedingungen. Die genannten Kritikpunkte entsprechen vielfach polizeilicher Realität. Denn polizeiliche Aufgabenbewältigung geschieht oftmals unter hohem zeitlichen Druck (vgl. Kapitel 2.1), hat ein breites Aufgabenspektrum abzudecken (vgl. Kapitel 2.2) und ist vielfältigen, oftmals widersprüchlichen Verhaltenserwartungen (vgl. Kapitel 2.3 und Kapitel 2.6) unterworfen. Der oft zitierte „Schulcharakter“ der Großgruppe könnte mit der hochgradigen Fremdbestimmtheit polizeilicher Führungsentscheidungen durch politische und gesetzliche Vorgaben (vgl. Kapitel 3.1) korrespondieren. Die von den Führungskräften durchzuführende Umsetzung von Erlassen, Verfügungen, gesetzlichen Vorgaben und Dienstvorschriften hat oft „schulmeisterlichen“ Charakter und ist nicht wegzudiskutierender Teil der Führungsrolle. Während polizeiliche Arbeit im Alltag weitgehend durch reaktives Handeln geprägt ist, benötigen Fortbildungsveranstaltungen zum Organisationswandel vornehmlich proaktive Elemente, um die Analyse und Reflexion von organisationalen Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Quantitative und qualitative Überforderungen der Teilnehmer durch thematische Überfrachtungen unter hohem zeitlichen Druck wirken kontraproduktiv. Inhaltliche Reduktionen, transparente Kleingruppenarbeit, kreative Gemeinschaftsübungen und angeleitete Reflexionszeiten bewirkten dagegen die „Öffnung des Ausgeschlossenen“, da die emotionalen Bedürfnisse der Teilnehmer einbezogen wurden und sich auf Atmosphäre, Umgang miteinander und Rezeption der Lerninhalte nachhaltig positiv und förderlich auswirkten. Die formelle Organisationswirklichkeit, wie sie sich in der Großgruppe abbildete, verstärkte Insuffizienzgefühle der Teilnehmer in mehrfacher Hinsicht. Einmal wirkte affektverstärkend, dass der „Schulcharakter“ der Großgruppe für eine Rollenumkehr sorgte. Im Alltag sind es die Führungskräfte, die ein Plenum leiten, Fachwissen aufbereiten, komplexe Sachverhalte vermitteln oder in dozierender Manier ihre Mitarbeiter „unterweisen“. Die nun zu besetzende „Schülerrolle“ nährte Insuffizienzge- fühle, und diese unangenehmen Assoziationen erhöhten den Widerstand gegen diese Lernform. Vielleicht ertrug es die „Elite“ auch nicht mehr, als „Masse“ behandelt zu werden, denn die Anonymität der Großgruppe verstärkte die Profilierungswünsche einzelner zuungunsten thematischer Vertiefungen. Gleichzeitig zementierte die thematische Überfrachtung in der Großgruppe die „Lehrer-Schüler“-Rollen, denn seitens der Projektleitung und des PE-Fachberaters musste immer wieder die Einhaltung des Zeitplans angemahnt, Diskussionen abgekürzt und ein Ebenenwechsel eingeleitet werden, was das Lernklima belastete und für Unwohlsein auf beiden Seiten sorgte. 177 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Zum anderen fanden auch Kränkungen der Teilnehmer auf der inhaltlichen Ebene statt. Sie erfuhren in den sach- und fachorientierten Großgruppensettings, dass ihre Sicht der Dinge nicht mehr stimmt, und waren gehörig verunsichert, was den Gesprächsbedarf und den Wunsch nach Austausch und Übung in den Kleingruppen steigerte. Sie sollten lernen, Macht abzugeben, behielten aber trotzdem Verantwortung für das Ganze, es drohte ein Machtverlust. Gleichzeitig mussten sie sehr viel anspruchsvolleren Bedingungen in der Mitarbeiterführung gerecht werden. Amtsautorität musste ersetzt werden durch Akzeptanz der Persönlichkeit, das Einfordern von Gehorsam durch Integrität und Glaubwürdigkeit. Macht- und Ranghierarchien mussten ersetzt werden durch Beziehungen, die durch Vertrauen, dem Bemühen nach Übereinkunft und wechselseitige Akzeptanz gekennzeichnet sind. Zusätzlich erlebten sie durch den Ruf nach einer schlanken Verwaltung und nach Hierarchieabbau eine Abwertung, der sie versuchten, durch den verstärkten Ausbau von interpersonalen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu begegnen, was sich auch durch die hohe Bedeutsamkeit der Inhalte mit hohem Wirkungsgrad bestätigen lässt. Die Interessen des Innenministeriums an dieser Qualifizierungsmaßnahme, die vornehmlich auf die kognitive PE-Wissensvermittlung in den Großgruppen-Seminarbau- steinen ausgerichtet war, unterschieden sich erheblich von den Interessen der teilnehmenden Führungskräfte, die sich entweder mit diesen ergänzten oder in Konkurrenz zu ihnen standen. So drehten sich die an Idealisierung grenzenden Teilnehmeräußerungen zum verhaltensorientierten Lernen in Kleingruppen vornehmlich um die immer wieder kehrenden Kernbegriffe Experimentieren, Reflexion, Feedback und Erfahrungsaustausch, was verdeutlicht, als wie wichtig und bereichernd verhaltens- und erfahrungsorientiertes Lernen im geschützten Rahmen eingeschätzt wird, mangelt es doch im alltäglichen Führungsgeschäft sowohl an adäquaten Reflexions- als auch Übungsmöglichkeiten. Die Reflexion polizeilicher Umgangsformen im Miteinander sind dem informellen Bereich zugeordnet, erscheinen als die Ausnahme und nicht als die Regel, denn eine wohlwollende Auseinandersetzung mit persönlichem Führungsverhalten findet nur punktuell und nicht strukturell statt, den vielfältigen Aspekten von Situationen kann im Alltagsgeschäft oft nur unzureichend nachgegangen werden. In der relativ konstanten Zusammensetzung der Kleingruppe konnten die Führungskräfte ohne Angst vor Gesichtsverlust eigene Schwierigkeiten zugeben und besprechbar machen. Das war für viele eine Ausnahmesituation. Austausch, Reflexion und Feedback ermöglichte es den Führungskräften größtenteils, mehr „Sicherheit“ auf unsicherem Terrain zu erlangen, weil die persönlich und strukturell verunsichernden Aspekte von Wandel Gegenstand und Fokus der gemeinsamen Betrachtungen waren. Außerdem wurde immer wieder berichtet, dass die gemeinsame Problemanalyse konstruktive und praxisnahe Lösungen hervorge- bracht habe. Verhaltensänderungen – insbesondere in kritischen Situationen und Bereichen – erfolgt nur zu einem Bruchteil über kognitive Informationen. Soziale Unterstützung durch eine wohlwollende Gruppe, ein Netzwerk, ein Feedback seitens anderer und ein experimentierfreudiges Klima sind einige der Bedingungen, die 178 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Einstellungs- und Verhaltensänderungen begünstigen und stabilisieren. Folgendes Statement verdeutlicht dies exemplarisch: „Um insgesamt auf die verhaltensqualifizierenden Sachen zu kommen. Wo und wann hat man als Führungskraft denn sonst mal die Chance, eigene Dinge zu reflektieren, das ist für mich erstmalig in der Polizei in der Form so gewesen. Vielleicht über SKB hätte man Möglichkeiten gehabt, aber bisher sind solche Trainings mit uns nie durchgeführt worden, und ich denke, dass da ’ne Menge auch sitzen geblieben ist für Verhaltensveränderungen für später.“ 12/5/7-13 Die Wichtigkeit, „eigene Dinge zu reflektieren“, erlebte die zitierte Führungskraft erstmalig in der niedersächsischen Polizei. Er lässt anklingen, dass im SKB-Programm67 sich eventuell dafür Möglichkeiten geboten hätten, und bedauert, dass „solche Trainings mit uns nie durchgeführt worden“ sind. Der verunsichernde Paradigmenwechsel und der erhebliche Reflexionsbedarf gehen einher mit starken Unsicherheiten in Bezug auf neu auszufüllende Steuerungsaufgaben, die eine andere Art von Autorität verleihen, wie z.B. das Postulat von der Führungskraft als Coach der Mitarbeiter bzw. die Herausarbeitung und genaue Differenzierung zwischen Steuerungssituationen, die nach wie vor Entscheidungen der Vorgesetzten verlangen, einerseits und ihrer Moderationsaufgabe andererseits. In diesem spannungsreichen Feld kann für Führungskräfte die Inanspruchnahme von Supervision & Coaching hilfreich und nützlich sein. Diese Beratungsformen helfen dabei, „Informelles“ auch in „formelle Strukturen“ zu übersetzen. Damit soll nicht gesagt sein, dass es sinnvoll wäre, alles, was informell passiert, in die formelle Organisation zu überführen, denn es gibt in Organisationen immer beide Ebenen. Als wichtig erscheint es, beide Ebenen im Blick zu haben. Supervision & Coaching bieten hier eine hilfreiche Unterstützung bei den Fragen, was momentan von der formellen Organisation bzw. informellen Ebene bearbeitet, gelöst, geregelt oder auch nicht gelöst wird. Auch könnten Supervision & Coaching Ideen liefern, wo sich die Differenzen negativ oder hemmend auswirken können bzw. inwieweit formelle und informelle Kommunikation im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung zusammenpassen. Allerdings sind diese Instrumente im polizeilichen Bereich noch wenig bekannt, werden selten genutzt und oftmals gescheut. Neben den auch in der Polizei weit verbreiteten Denken, „zum Lernen eher auf ein Seminar zu gehen als in eine Beratung“ (Loos, 1992: 174), werden im folgenden Exkurs 67 SKB bezeichnet ein Verhaltenstraining zur Stress- und Konfliktbewältigung der Polizei Niedersachsens. Das Training gliedert sich in ein Grund- und Auffrischungstraining und umfasst grundsätzlich 3 mal 5 Tage mit einer je 14 tägigen Unterbrechung. Das Training wird von Verhaltenstrainern der Polizei durchgeführt. Es werden Stresstheorien vermittelt und persönliche Stressanalysen erstellt, des Weiteren Bewältigungstechniken zur Entspannungs- und Stressreduktion sowie konfliktmindernde Kommunikationstechniken in Theorie und Praxis. Im Zeitraum 1989–2002 haben in Niedersachsen insgesamt 4.245 Beschäftigte (ca. ein Fünftel aller Polizeibediensteten) aller Hierarchiestufen an diesem Training teilgenommen (BIP NI, 2002, G/K Information). 179 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse weitere Hintergründe aufgezeigt, die belegen, dass sich im Aufeinandertreffen von Supervision & Coaching und Polizei verschiedene Wertewelten begegnen, was sich durchaus befruchtend auswirken kann. 5.1.8.1 Exkurs: Unterschiedliche Handlungslogiken in Supervision und Polizei Die Deutsche Gesellschaft für Supervision e. V. (DGSv) beschreibt Supervision als eine Beratungsmethode, die zur Sicherung und Verbesserung der Qualität beruflicher Arbeit eingesetzt wird. Belastende Probleme und Konflikte aus dem Arbeitsalltag werden in der Supervision zur Sprache gebracht und mögliche Lösungen erarbeitet. Die Leitungssuper- vision wird allgemein als Coaching bezeichnet. Dabei schaffen Supervision & Coaching Reflexionsräume und ermöglichen ein vertieftes Verstehen der beruflichen Realität, indem eine Situation aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert und erörtert wird (vgl. DGSv, 1999: 4). In den letzten Jahren wurde in Fachpublikationen der Polizei immer wieder an- gesprochen, dass Supervision wichtig für die Polizei sei (Baurmann 1992, Werdes 1996, Hallenberger 1998, Behr 2004, Driller 2004, Driller & Hoffmeister, 2005). Nichtsdestotrotz scheinen die Chancen und Möglichkeiten von Supervision in der Polizei kaum wahrgenommen zu werden, denn der Begriff „Supervision“ ist in der Polizei weiterhin relativ unbekannt. Nach einer Länderabfrage sind bisherige Zielgruppen von Supervision vornehmlich Verhaltenstrainer und vereinzelt Führungskräfte in Trainings (Hessisches Innenministerium, 2001). Die „Unbekanntheit“ von Supervision in der Polizei mag damit zusammenhängen, dass sich in internen „polizeilichen“ Supervisionsprozessen zwei Wertewelten begegnen, die vordergründig schwerlich als miteinander kompatibel erscheinen und somit erst einmal abschrecken können. So hat Ricken (vgl. 1994, 131 ff) herausgearbeitet, dass polizeiliches Handeln an der Re- sultatsorientierung ausgerichtet ist, in der Supervision jedoch die Prozessorientierung im Vordergrund steht, das heißt, der Prozess ist genauso wichtig wie das Ergebnis. Es geht um Verstehen statt Verurteilen. Während der Fokus polizeilicher Tätigkeit die Sachebene ist – Sachorientiertheit und Schnelligkeit erfreuen sich hoher Wertschätzung – geht es in der Supervision auch um die Beziehungsebene. Zentrale Stichworte sind hier die Beziehungsklärung zwischen den Beteiligten und die Verhaltensreflexion. Polizeiliche Arbeit bedeutet, möglichst keine Fehler zu machen, denn Fehler haben harte Folgen für den, der sie macht. Die Supervision zeichnet sich durch „Fehlerfreundlichkeit“ aus, denn reflektiertes Fehlverhalten bietet neuen Erkenntnisgewinn und somit Optimierungschancen. Während die polizeiliche Tätigkeit oft durch die lineare Maxime: „Prüfen – Entscheiden – Maßnahmen durchführen“ geprägt ist, gilt für die Supervision eher ein zirkulärer oder reflexiver Modus, im Sinne von „Betrachten – Abwägen – neu Ordnen“. Polizeiliches Handeln heißt auch Machtanwendung im Rahmen des Gewaltmonopols, in der Supervision geht es in erster Linie um Machtreflexion. Die Klärung und das Verstehen unterschiedlicher Interessen stehen im Vordergrund, es geht 180 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse um Aushandlungsprozesse und das Kennenlernen eigener Grenzen. In der Supervision müssen Polizeibeamte einen Rollenwechsel vollziehen, was nicht immer einfach ist: Statt Fragen zu stellen, sollen sie sich und ihr Handeln infrage stellen lassen. Sie müssen in Distanz zu ihrer Tätigkeit gehen und etwas von ihrer Überlegenheit, auch etwas von ihrer Definitionsmacht, die ja Teil ihrer Ausrüstung ist, aufgeben. Supervision & Coaching in der Polizei bedeutet also die Konfrontation von zwei Relevanz- und Wertsystemen, die ein Spannungsfeld erzeugt. Dieses Spannungsfeld mag auf Grund der Gegensätzlichkeit einerseits als zutiefst konflikthaft und verunsichernd erscheinen, andererseits aber auch anregend und befruchtend wirken, nämlich dann, wenn Supervision in der Polizei als „Forum“ genutzt wird, auf dem jenseits der sonstigen Hierarchien, formellen Strukturen und Denkgewohnheiten eigene Positionen geklärt und „informelle“ Wünsche zugänglich und besprechbar gemacht werden können. Die Nutzung dieses Forums bedeutet, neue Formen des Nachdenkens und der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu ermöglichen, was wiederum Auswirkungen auf die Organisationskultur haben kann, da bekannte Denkmuster verlassen und neue Handlungsspielräume erschlossen werden können. Kulturverändernde Wirkungen auf Routinen, Prozesse und Verfahren sind möglich. Auf einer Informationsveranstaltung zur Supervision in der Polizei berichtete eine Hauptkommissarin, eine ehemalige Supervisandin, die folgende Geschichte: Sie war Mitarbeiterin in einer Sonderkommission (Soko), die in einem Mordfall an einem Kind ermittelte. Trotz hoher Beteiligung der Öffentlichkeit, intensivster Bemühungen und des Engagements aller Mitarbeiter über Wochen und Monate hinweg blieben greifbare Ermittlungserfolge aus. Motivation und Stimmungslage in der Soko verschlechterten sich zunehmend. Problemverschärfend kam noch hinzu, dass die Soko-Mitarbeiter sich nicht mehr in die Heimatdienststellen „trauten“, da ihnen dort Vorhaltungen gemacht wurden, in der Soko Zeit zu „verplempern“, wo sich doch in der Heimatdienststelle die Vorgänge „stapelten“. Diese Vorhaltungen belasteten die Arbeitsatmosphäre erheblich, wurden aber nicht in den gemeinsamen Dienstbesprechungen verbalisiert. Drei Mitarbeiterinnen dieser Soko, alle mit eingehender Supervisionserfahrung, entschlossen sich, diesen Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Dienstbesprechung zu setzen. Das Problem wurde dann auch eingehend erörtert, und es wurde beschlossen, dass eine Abordnung der Soko die beteiligten Heimatdienststellen aufsucht und dort im Rahmen von Dienstversammlungen intensiv über die vielschichtigen Ermittlungsansätze informiert und aufklärt. Diese Vorgehensweise sorgte für einen bedeutsamen Akzeptanzgewinn in den Heimatdienststellen und löste zu einem erheblichen Teil den dort angestauten Unmut auf, was wiederum für die betroffenen Soko-Mitarbeiter eine weitreichende Entlastung bedeutete (vgl. Driller, 2004: 23). Es stellt sich die Frage, was diese kleine Geschichte über die Zielgruppe der Führungs- kräfte als Personalentwickler zu tun hat? Sie kann als Beispiel dafür dienen, über die 181 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Wichtigkeit des Informellen und über die Notwendigkeit der Übersetzung in formelle Arbeitsabläufe nachzudenken, was sich wiederum auf den Arbeits- und Leistungsprozess optimierend auswirkt. Wie beschrieben kommen die Führungskräfte nicht darum herum, sich intensiv mit Organisationsfragen zu befassen, sie müssen Anforderungs- und Leitungsprofile entwickeln und Leitungskompetenzen wahrnehmen. Sie sollen als Multiplikatoren den Entwicklungs- und Transformationsprozess der Gesamtorganisation Niedersächsische Landespolizei voranbringen. Damit Hand in Hand geht ein wachsendes Bewusstsein hinsichtlich der inhaltskonstitutiven Bedeutung von Organisation, das heißt, des Zusammenhangs von Organisationsgestaltung und Qualität der jeweiligen Leistung. Supervision in der Polizei könnte dabei helfen, beim Zusammenführen dieser Dimensionen die wesentliche Funktion und Aufgabe, den Zusammenhang zwischen der Qualität des Leistungsprozesses und der Qualität der Organisationsgestaltung fest im Blick zu haben und zu behalten. Den Zusammenhang dieser komplexen Parallelprozesse kann schwerlich durch andere Instrumente gewährleistet werden. 5.2 Die Relevanz der Ökonomie und ihr Einfluss auf polizeiliche Denkmuster Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Auseinandersetzung der Führungskräfte mit den Neuen Steuerungsinstrumenten. Als eines der Hauptziele der Qualifizierungsmaßnahme ist die personalentwicklerische Unterstützung bei der Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente benannt. Dabei sollte die Einführung der Instrumente des neuen Steuerungsmodells durch das Erkennen und Bearbeiten von Veränderungswiderständen sowie die Weiterentwicklung des Rollenverständnisses der Führungskräfte personalentwicklerisch vorbereitet und unter- stützt werden. Von daher verdient diese Thematik besondere Würdigung und soll in diesem Hauptkapitel herausgehoben werden. Stand früher in erster Linie die Erfüllung des gesetzlichen Auftrages (Gefahrenabwehr und Strafverfolgung) im Vordergrund, so nehmen ökonomische Überlegungen zunehmend einen höheren Stellenwert ein. Wurden in der Polizei früher die Möglichkeiten gesehen und genutzt, bei quantitativer und qualitativer Aufgabenerweiterung nach mehr Geld und Stellen zu rufen, so wird ihr nun durch die desolate Lage der öffentlichen Länderhaushalte vermittelt, dass der Ressour- centopf einen Deckel erhält und die Aufgabenerfüllung in einem recht grob definierten Inhaltsrahmen bei bestehender Grundausstattung zu erfolgen hat (vgl. Kapitel 3.3.1). Die beiden Interviewreihen reflektieren den Zeitraum eines Jahres aktiver Auseinanderset- zung der interviewten Führungskräfte mit den Inhalten, wobei angemerkt werden muss, dass keiner der Befragten zu einer der ausgewählten Pilotdienststellen gehörte, in denen z.B. die KLR exemplarisch erprobt wurde. Trotzdem waren die meisten Befragten unter- schiedlich stark in Veränderungsprozesse involviert, die Antworten waren dementsprechend heterogen und vielschichtig und oftmals geprägt von Nachdenklichkeit und Unsicherheiten. Da Kerninstrumente des NSM in in den Bezirksregierungen, 182 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Behörden und Einrichtungen durch völlig unterschiedliche Zielvereinbarungen, Vorgaben und Schwerpunktbereiche angegangen wurden, war die inhaltliche Durchdringung im jeweiligen Verantwortungsbereich nicht von der Bindung an Personen und der jeweiligen Interessens- und Motivationsausrichtung zu trennen. So wurde die ursprüngliche Absicht, beide Interviewreihen im Sinne eines prozesshaften Fortschreitens in Form von „Trends“ abzubilden, fallen gelassen, da die jeweiligen Entwicklungen hin zur Implementierung des neuen Gedankenguts in den Dienststellen völlig unterschiedlich verliefen und damit schwer miteinander vergleichbar sind. Differierende und interpretationsbedürftige Vorgaben sorgten dafür, dass Qualität und Quantität der Auseinandersetzung der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern hinsichtlich der Zielrichtung, Schwerpunktsetzung und Einführung von Instrumenten in hohem Maße schwankten. Auffällig war, dass einzelne Führungskräfte bereits in der ersten Interviewreihe68 in Dienstversammlungen, Vorträgen und Besprechungen aktiv das Gespräch und die Auseinandersetzung über Kostenaspekte polizeilichen Handelns führten und erste Ansätze von dezentraler Ressourcenverantwortung wahrnahmen, während andere erst zum Zeitpunkt der zweiten Interviewreihe69 diese Aspekte mit den Beteiligten vertieften. Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt waren die Zauberworte „Kosten“ und „sparen“ Schwerpunkt dieses Themenkomplexes. Eindeutig feststellbar war eine Entwicklung zu einem vertieften Kosten- und Nutzenbewusstsein in den Denkmustern der Führungskräfte innerhalb des Interviewzeitraumes von einem Jahr. In der ersten Interviewreihe waren sich die Befragten allerdings einig, der dezentralen Ressourcenverantwortung in Verbindung mit der Budgetierung die allerhöchste Relevanz zuzuerkennen. Die hiermit verbundenen Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen, die dieses von den Führungskräften favorisierte Instrument auslöste, werden in Kapitel 5.2.1 beschrieben und analysiert. Die Relevanz, die die Führungskräfte dem ökonomischen Teil der Führungsrolle zumessen, hat eine Umorientierung im Denken und Handeln eingeläutet, aber auch neue konflikthafte Spannungsfelder geschaffen, z.B. im Umgang und in der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern, da Kontrollaufgaben der Führungsrolle mehr in den Vordergrund rücken, was wiederum die Mitarbeiter nicht unbeeindruckt lässt und Ängste und Widerstände auslöst (Kapitel 5.2.2). Andererseits erzeugen Veränderungsprozesse auch bei den Führungskräften Unsicherheiten, Ängste und Widerstände und können z.B. zu Identitäts- und Abgrenzungsproblemen der Führungsrolle führen, was eingehender zu beschreiben ist (Kapitel 5.2.3). Ein vertiefender Exkurs zur Rezeption von Führung in der Polizei einerseits und Gedanken zur anschlussfähigeren 68 Die Leitfrage lautete: „Wie gestaltet sich die Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente in Ihrem Verantwortungsbereich?“ ( s. Anhang Interviewleitfaden 1) 69 Die Leitfrage lautete: „Haben Sie Möglichkeiten gehabt bzw. sehen Sie Möglichkeiten in der Zukunft, Elemente der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente zu unterstützen? (s. Anhang Interviewleitfaden 2) 183 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Ausgestaltung der Führungsrolle unter den Rahmenbedingungen alter und neuer Steuerung andererseits bilden in Kapitel 5.2.4 den Abschluss. 5.2.1 Die Budgetierung als zentrales und favorisiertes Steuerungsinstrument Der klare und eindeutige Trend der ersten Interviewreihe wies aus, dass bis auf zwei Ausnahmen die Befragten zuallererst die Budgetierung70 als das wesentliche Steuerungsinstrument herausstellten. Mit weitem Abstand zu vorgenanntem Instrument wurde aus dem Bereich der Personalentwicklung die Mitarbeiterentwicklung genannt. Zwei Führungskräfte wiesen ausdrücklich auf die Bezogenheit aller Instrumente hin, die Bürgerorientierung fand sporadisch in den Statements Erwähnung. Äußerst selten tauchten die Produktbildung, das Qualitätsmanagement, das Controlling und das Berichtswesen auf. An die Budgetierung sind die größten Erwartungen71 geknüpft, die oftmals im Sprachgebrauch als Synonym für die Neuen Steuerungsinstrumente benutzt wird. Es gab keinen Befragten, der die Budgetierung nicht begrüßt hätte. Andere Instrumente schienen zum ersten Interviewzeitpunkt nicht im Bewusstsein der Befragten zu sein, hatten also für das Führungshandeln wenig oder gar keine Bedeutung. Obwohl bisher keiner der Befragten global budgetiert war, lag es auf der Hand, weshalb die Budgetierung im wahrsten Sinne des Wortes „in aller Munde“ ist. Sie bietet Gestaltungsmöglichkeiten, weckt Begehrlichkeiten und erlaubt Prioritätensetzungen. Gleichzeitig ist sie das griffigste und vordergründig klarste der bezeichneten Instrumente. So betonte eine Führungskraft 70 Das niedersächsische Innenministerium (1999: 13) definiert die „Budgetierung“ wie folgt: „Die Budgetierung ist ein Instrument, den Mittelbedarf zur Realisierung konkret definierter und für den Budgetempfänger verbindlicher Ziele zu planen. Den Mitteleinsatz bestimmt die Organisationseinheit in zeitlicher und sachlicher Hinsicht selbst bei grundsätzlichem Ausschluss der Überschreitung des Finanzrahmens. Grundlage für die Planung und den Nachweis der Verwendung der Budgets sind die Ergebnisse der Kosten-Leistungs-Rechnung.“ 71 Die Budgetierung soll dabei helfen, frühere systembedingte Schwachstellen, die wirtschaftliches Handeln nicht förderten, sondern bestraften, zu vermeiden. Genannt wird das in diesen Fällen oft angeführte „Dezemberfieber“, also das Ausgeben nicht verbrauchter Mittel, um Einsparungen bei den entsprechenden Titeln im Folgejahr zu verhindern. Waren Gelder eines Titels am Jahresende nicht ausgegeben, wurden sie eingezogen, „verfielen“ somit aus Sicht der Behörden. Wurden Titel nicht ausgeschöpft, war die Folge oft, dass die Behörden im Folgejahr mit wesentlich weniger Geld ausgestattet wurden. War eine Behörde sparsam mit den Mitteln umgegangen, durfte sie das eingesparte Geld nicht behalten und bekam im Folgejahr noch weniger Geld. Die Budgetierung soll die Möglichkeit bieten, diese Mittel auf das Folgejahr zu übertragen. Ein weiterer Vorteil wird darin gesehen, dass die Behörden durch die nicht mehr titelgenauen Vorgaben flexibler mit dem Geld umgehen und beispielsweise Mehrausgaben in einem Bereich durch Einsparungen in einem anderen selbst ausgleichen können (vgl. Schmidt, 2000: 105). 184 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse die größeren Handlungs- und Entscheidungsspielräume, die sich durch die Budgetierung böten. „Also, ich bin persönlich nicht der Auffassung, dass die Budgetierung ein Allheilmittel sein wird, um mal den einen Standpunkt darzustellen, aber sehr wohl der Auffassung, dass die Budgetierung mit all ihren Problemen, die sie bringen wird, ein Mehr an Handlungsfreiheit geben wird, an Entscheidungsfreiheit. Aber der Weg dorthin wird dornenreich und sehr anspruchsvoll sein.“ 10/19/27-31 Größere Autonomie und erweiterte Handlungsspielräume waren die „Zauberworte“ der Führungskräfte, welche die Statements durchzogen. Die Führungskräfte überzeugte die Klarheit und Griffigkeit dieses Instruments. Eigene Anschaffungen machen zu können vor dem Hintergrund klarer Prioritäten, die an der innerbetrieblichen Bedürfnislage ausgerichtet sind, ist das erklärte Ziel einer anderen Führungskraft: „Ich will kein Geld mehr ausgeben, sondern ich will ’s nur gezielter ausgeben können.“ 5/35/13 Die Budgetierung ist aber auch ein Machtfaktor, denn sie bedeutet Kontrolle der Finanz- mittel. Die Führungskräfte sahen sich hier fast ausnahmslos an der Spitze der bedarfsorientierten Umverteilung zur Realisierung von Wunschlisten der Dienststellen. Dabei kann die Budgetierung auch als Disziplinierungsmittel dienen, die Mitarbeiter in die Verantwortung zu nehmen: Wenn das Geld verbraucht ist, kann das schadhafte Bürofens- ter eben erst im nächsten Jahr repariert werden. Einsparen, um anzuschaffen, heißt die Devise. Wie tief greifend Schwerpunktsetzungen in der sächlichen Ausstattung sich aus- wirken können, verdeutlicht ein Befragter anhand seiner Wunschprioritäten: „Ich würde mir z.B. wünschen, wenn ich also das entscheiden könnte, im Rahmen der Budgetierung einen bestimmten Satz an Geld zur Verfügung hätte, würde ich sagen, also wir brauchen gar nicht so viele Funkstreifenwagen wie wir sie haben. Wir können also durchaus auf ein oder zwei Funkstreifenwagen verzichten. Das Geld würde uns dann zur Verfügung stehen als Beispiel, und davon könnten wir dann, was mein Wunsch wäre, z.B. die PC- Ausstattung stark verbessern.“ 3/41-42/25-2 Im Rahmen der Interviews wurde eine andere Führungskraft mit der obigen Grundaussage „Streifenwagen versus PC-Ausstattung“ konfrontiert. Sichtlich erregt erwidert dieser, diese Meinungsäußerung gehöre „bestraft“ (was allerdings lachend eingefordert wurde), weil „Computer niemals für Präsenz beim Bürger sorgen können“. Letztendlich wurde der oben zitierten Führungskraft angesichts ihrer Wunschprioritäten ein „falsches Aufgaben- verständnis“ unterstellt. Welches konflikthafte Spannungsfeld wird hier offenbar? Statements wie das zuvor genannte markieren ein Dilemma. Es mangelt an verlässlichen Eckdaten, polizeiliche Bedarfe und Notwendigkeiten eindeutiger zu bestimmen und zu präzisieren, was die Handlungsspielräume der Budgetierung um so verlockender macht und zu kreativen Gedankenspielen anregt. Es wird also vermehrt abgewogen, ob bestimmte Maßnahmen wirklich notwendig sind oder die Gelder hierfür nicht eingespart werden können. Zwangsläufig steigen die Anforderungen an die Beamten, geplante 185 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit plausibel zu begründen, was insofern ein Problem darstellt, da die unterstellten Wirkungszusammen- hänge weitgehend unerforscht sind. Die Anzahl der durchgeführten Geschwindigkeitskontrollen in einer Region sagt noch nichts darüber aus, ob hierdurch die Zahl der Unfälle reduziert werden konnte bzw. ob Autofahrer nachhaltig veranlasst wurden, langsamer zu fahren. Wenn die Präsenz der Polizei, wie allgemein vermutet wird, kaum dazu beiträgt, Straftaten zu verhindern, welchen Einfluss nimmt sie dann auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und welcher Mitteleinsatz der Polizei ist dann noch gerechtfertigt, um den Grad des Sicherheitsgefühls zu steigern? Ob Maßnahmen zu erwünschten Ergebnissen führen, ist oftmals im Vorhinein nicht zu ermitteln, sondern bleibt spekulativ. Wie groß dürfen aber die Sicherheitsdefizite sein? Welches Maß an Unsicherheit ist noch tolerabel? Im Klartext: Wie viele Straftaten und wie viele Verkehrstote sind noch hinnehmbar? Die Polizei orientiert sich insoweit nicht an einem vorgegebenen Sicherheitsstandard, sondern an einem Unsicherheitsniveau. Dessen Parameter sind insbe- sondere Kriminalitätsentwicklung und Verkehrsunfallgeschehen. In Anbetracht der konkreten Zahlen stellt sich dann die Frage, ob „dies der Gesellschaft noch zugemutet werden kann“ (vgl. Kniesel, 1996: 52). Wenn es aber so ist, dass sich die Produktion von Sicherheit nur in der Interaktion zwischen Polizei und Gesellschaft vollziehen kann, stellt sich das Problem, ob es in den Belangen „innerer Sicherheit“ tatsächlich eine objektiv messbare Wirkung polizeilicher Tätigkeit geben kann, wie es das NSM verspricht. Allgemeine Gefahrenabwehr ist eine der beiden zentralen Aufgaben der Polizei. Die methodische Schwierigkeit liegt systematisch darin, dass der Erfolg polizeilicher Arbeit in diesem Bereich nicht danach beurteilt werden kann, ob registrierbare Erfolge feststellbar sind. So soll z.B. die polizeiliche Präsenz verhindern, dass bestimmte Gefahren erst gar nicht entstehen. Somit ist es äußerst schwierig, Aufwand und Ertrag in ein messbares Verhältnis zu setzen. Wenn Gefahrenabwehr dazu beitragen soll, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung zu erhöhen, stellt sich das noch größere Problem, wie dieses überhaupt gemessen werden kann. So ist mehr als fraglich, ob das jeweilige Sicherheitsempfinden der Bevölkerung tatsächlich von den halbwegs objektivierbaren Sicherheitsstandards in der eigenen Wohnungsumgebung geprägt ist oder ob es nicht auch von der medialen Berichterstattung über den Regionalraum hinaus beeinflusst ist. Das würde aber letztendlich bedeuten, dass auch höchst effektive Polizeiarbeit kaum Einfluss darauf hat, ob eine Person bzw. die Bevölkerung eines Stadtviertels sich „sicher“ fühlt oder nicht. Der Konflikt „Streifenwagen versus PC-Ausstattung“ beschreibt aber auch beispielhaft das Aufeinandertreffen kodifizierter Normen. Darf zugunsten einer zeitgerechteren besseren materiellen Ausstattung und damit einer stärkeren Mitarbeiterorientierung die aktive Verkehrsunfallbekämpfung bzw. die Kriminalitätsbekämpfung darunter leiden? Um das Konfliktfeld noch weiter zu spannen: Darf auf Streifenfahrten verzichtet werden, 186 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse damit die knappen Budgets für Benzin geschont bleiben? Oder andersherum: Schafft nicht gerade die verbesserte materielle Ausstattung die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Verkehrsunfall- bzw. Kriminalitätsbekämpfung? Da, wie aufgezeigt, Ursache-Wirkung-Relationen im polizeilichen Handeln oftmals schwerlich herzustellen sind, mangelt es nicht an kreativen Argumentationsketten seitens der Befragten, was ihre Wahrnehmung der dezentralen Ressourcenverantwortung betrifft. So berichtete ein PI-Leiter, er habe seinem Einsatz- und Streifendienst (ESD) vorgerechnet, dass pro Tag, umgerechnet auf fünf Fahrzeuge, insgesamt 244 km nicht gefahren werden dürfen, um mit den kontingentierten Finanzmitteln zur KFZ- Unterhaltung zurechtzukommen. Seine Lösung lautete, dass pro Schicht mindestens 15 Minuten „Standkontrolle“ durchzuführen sei, anstatt umherzufahren. Konfrontiert mit der sich daraus ergebenden eingeschränkten Präsenz bei der Streifentätigkeit wies der Befragte daraufhin, dass es effektiver sein könne, Fahrzeuge an „Brennpunkten“ (z.B. an Örtlichkeiten, die in Bezug auf KFZ-Aufbrüche, Körperverletzungen etc. polizeibekannt seien) „hinzustellen“ und sich „umzugucken“, anstatt mit dem KFZ Kosten zu verursachen. Viele Befragte erlebten eine Vorstufe der Budgetierung: die Kontingentierung einzelner Haushaltstitel (z.B. Geschäftsbedarf, Büroausstattungen etc). Hier bot sich ein breites Übungsfeld für kostenbewusstes Denken und Handeln der Beteiligten. Dies erfordert jedoch von den Führungskräften einen erheblich höheren Kontrollaufwand hinsichtlich der Ausgaben und Tätigkeiten. Hier weiß ein Dienststellenleiter von Erfahrungen zu berichten: „Wir sind jetzt dabei, Kontingentierung der Telefonkosten. Ich spreche jeden Mitarbeiter an oder schreibe ihn an, der Gespräche über 40 Einheiten führt. Einfach um die Telefonkosten runterzukriegen, die einfach zu hoch sind. Das funktioniert. Die Raten laufen runter, und da merken die Mitarbeiter, man kann sparen, man lebt nicht mehr im Füllhorn und sie werden sensibilisiert, um ihr eigenes Verhalten auf Ausgaben zu überprüfen.“ 2/20/14-18 Eine paradoxe, zwiespältige Situation für die Führungskräfte. Um mehr Freiheit auf der Ausgabenseite zu bekommen, muss der Kontrollaufwand der Führungskraft erheblich erhöht werden. Um mehr Kostenbewusstsein bei den Mitarbeitern zu erzeugen, muss mehr kontrolliert, gerügt und zusammengestrichen werden. Der postulierte Anspruch vom Mitarbeiter als „Experten seines Arbeitsplatzes“ wird arg strapaziert. Mehrfach machten die befragten Führungskräfte darauf aufmerksam, dass ihre Mitarbeiter die angestrebte Kostentransparenz bei der Produktbildung erst einmal als Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten „übersetzen“: „Richtig, sie sehen nur, ich kann mich nicht mehr so frei entfalten, wie sie es früher konnten, ich bin eingeschränkt. Ich unterliege ja auch einer Kontrolle, das heißt Fahrtenbücher werden dezidierter kontrolliert, Telefonlisten werden dezidierter kontrolliert, im ersten Moment sehen sie eine negative Komponente, die der Überprüfung.“ 2/21/22-24 187 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Eine „Überprüfung“ ist für den Betroffenen unangenehm, doch birgt sie in der Polizei eine zusätzliche Brisanz. Überprüft wird im polizeilichen Alltag die andere Seite, der Bürger, der im Verdacht steht, eine Normverletzung begangen zu haben. Manche Führungskräfte sind überzeugt, dass die kritische Haltung der Mitarbeiterschaft temporär ist und sich in eine positivere, dem Instrument zugewandtere Haltung verändern wird. Und zwar dann, wenn Mitarbeiter erleben, dass etwas über die Einsparleistungen zu ihren Gunsten passiert, indem Anschaffungen getätigt werden, die sonst nicht möglich gewesen wären, und sich Ausstattungsfragen somit zu verbessern beginnen. Allerdings „beißen“ sich für einige Führungskräfte zunehmende Prüf- und Kontrollanteile der Führungsrolle mit dem eigenen Selbstverständnis von Führung, nämlich für die Mitarbeiter „Dienstleister“ zu sein, im Sinne der Schaffung von förderlichen Arbeitsbedingungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und des Outputs. Es stellt sich nämlich die weiter gehende Frage, nämlich inwieweit die Ökonomie den polizeilichen Auftrag steuert und nicht mehr das klassische und polizeiprägende Legalitätsprinzip, das für viele Polizisten identitätsstiftend war und ist. Unterschiedliche Normen und Wertehaltungen prallen hier aufeinander. Soll und darf der (bußgeld- einbringende) Verkehrsüberwachungsdienst zu Lasten der (kostenaufwändigen) polizeilichen Verfolgung von so genannten Bagatelldelikten ausgebaut werden? Zumindest besteht die Gefahr, dass die Kostenfrage in den Vordergrund gestellt wird, trotz anders lautender Beteuerungen von offizieller Seite, dass polizeiliche Maßnahmen niemals am Budget scheitern dürften. Die Aufgaben der Polizei und damit auch ihre Ausgaben sind zu einem erheblichen Teil fremdbestimmt. Wenn z.B. ein Hilfeersuchen oder Notruf eingeht, muss sie tätig werden und damit auch die Kosten für den Einsatz tragen. Bei zugewiesenen Budgets besteht die Gefahr, dass Erfolgsaussichten von polizeilichem Handeln vornehmlich nach ökonomischen Kriterien beurteilt werden, Kostenaspekte also die zentrale Rolle einnehmen und somit handlungsleitend werden, gerade bei kostenintensivem Personal- und Ressourceneinsatz zur Aufklärung einer Straftat. Der Fokus polizeilicher Entscheidungskriterien verschiebt sich somit vom erwünschten Ziel der Verbrechensaufklärung hin zu der Frage nach den verbleibenden Ressourcen und deren optimalen Einsatz. Und genau mit dieser Problematik sind die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter konfrontiert. Haushaltsdefizite und die nur noch schwer finanzierbaren öffentlichen Dienstleistungen entfachen einen Modernisierungsdiskurs, der sich unter dem Druck zur Haushaltskonsolidierung als Rationalisierungsschub entpuppt. Die zunehmende Kostendiskussion und die sich daraus ergebenden Rechtfertigungszwänge sind neu für die Polizei, der Widerstand seitens der Mitarbeiterschaft ist nicht unerheblich. Den Beschäftigten bleibt die hohe Priorität, die der Kostensenkung im Modernisierungsprozess eingeräumt wird, nicht verborgen. Der Glaube an die Realisierung von Modernisierungszielen im Bereich der Erhöhung der Arbeitsqualität und der Verbesserung 188 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse der Kundenorientierung nimmt stark ab. Die Beschäftigten sind von der prinzipiell multi- funktionalen Grundausrichtung der Verwaltungsmodernisierung nicht überzeugt. Dementsprechend werden viele Diskussionen in Dienstversammlungen in einer emotional aufgeheizten Atmosphäre geführt. Prägnant verdeutlicht das Statement eines Interviewten in zentrierter Form die Argumen- tationslinien von Führungskräften und Mitarbeitern. Die Mitarbeiter argumentieren „wertebezogen“, wollen vermitteln, dass Sicherheit ihren gesellschaftlichen Preis hat, und formulieren zugespitzt, ob eine Suchaktion bei einer „16-Jährigen“ noch erlaubt ist und bei einem „78-Jährigen“ als überflüssig erscheint, oder sie weisen auf die „Unkalkulierbarkeit des Kostenaufwandes zur Aufklärung eines Mordfalles“ hin. Demgegenüber steht der „ökonomisch“ geprägte Argumentationsstrang der Führungskraft, die heraushebt, dass es an „steuerungsrelevanten Finanzdaten“ fehle, somit ein „Schiff gesteuert“ werde, ohne dass man wisse, „was das Schiff kostet“. „Die Mitarbeiter sagen, warum, wenn es eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe ist, fangen wir jetzt an, den Pfennig umzudrehen? Wenn der Bürger Sicherheit haben will, dann muss er sie sich auch was kosten lassen. Da jetzt eine Denkweise reinzukriegen und zu sagen: Nee, wir müssen doch mal über ihre Finanzen nachdenken, dass ist dann manchmal nicht so einfach. Das kann im Extremfall bis zu Beispielen gehen, wo denn einer fragt: Ja, soll ich denn in Zukunft für eine Suchaktion, wo ich einen Hubschrauber brauche, bei dem 78-jährigen Mann keinen Hubschrauber mehr holen und bei dem 16-jährigen Mädchen den Hubschrauber holen? Oder können wir die Kosten, wenn wir jetzt mal einen Mord als ein Produkt betrachten, können wir die Kosten für einen Mordfall überhaupt kalkulieren, jeder Mordfall ist anders. Und was nützt es mir, zu wissen, dass mein Hausfriedensbruch eine Mark fünfundzwanzig teurer ist als der Hausfriedensbruch in der Nachbar-PI. Das sind so Argumente, die erst mal daliegen und die erst mal so oberflächlich, wo man sagt: Ja, irgendwie ist da auch was dran. Denn ist ja was dran. In der gesamten Argumentation, auch in der Bildung von Produkten, wird dabei aber verkannt, dass wir überhaupt keine steuerungsrelevanten Finanzdaten haben. Wir steuern ein Schiff, ohne zu wissen, was uns das Schiff kostet.“ 10/18-19/ 28-12 Die Mitarbeiter argumentieren pointiert mit dem hoheitlichen, sicherheitsrelevanten Teil ihrer Aufgabe. Dabei zielt die Argumentation eindeutig auf den Punkt, dass die Polizei eben kein gleich bleibendes „Produkt“ erzeugt. Jeder Mordfall ist anders, jeder Hausfriedensbruch auch. Die Aufgabe der Polizei als Produzent von Sicherheit ist in vielen Fällen so vieldeutig und situationsabhängig, dass sich nur im Groben standardisierte Einzelleistungen ableiten lassen. Dabei muss immer wieder feinjustiert werden, welche Lage zu welcher Maßnahme herausfordert. Gleichzeitig, und das ist die Paradoxie, soll in alledem die Stetigkeit einer rechtswahrenden und verfahrensgebundenen Polizei durchscheinen. Das wird deutlich durch die zitierte Befürchtung. Die Aufklärung eines Mordfalles hat höchste rechtliche und gesellschaftliche Priorität. Sie ist in Kosten schwer zu bemessen, da extrem differierend. Es zählt der Erfolg, der die finanziellen Mittel (im gesetzlichen Rahmen) rechtfertigt. Polizeiliche Arbeit besteht jedoch nicht nur aus der Aufklärung von Mordfällen. Die „Hausfriedensbrüche“ prägen die Alltagsarbeit in weitaus größerem Maße. Da macht aus der Sicht des Mitarbeiters der „Eine-Mark-Fünfzig“- Unterschied zur „Nachbar-PI“ keinen Sinn. Befürchtet werden jedoch die Kontrolle, die 189 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Fragen nach der Vergleichbarkeit und der Sinnhaftigkeit des Hinterfragens der Vergleichbarkeit aufgrund differierender Umstände, der Eingriff in die Autonomie der Aufgabenwahrnehmung, der eventuell sich daraus ergebende Rechtfertigungszwang bzw. reale oder befürchtete Arbeitsverdichtung und Personalabbau. Das Zitat verdeutlicht, dass beide Argumentationsketten, die „wertebezogene“ der Mitarbeiter im Sinne einer Polizistenkultur und die „ökonomische“ der Führungskraft im Sinne einer Polizeikultur, keine Berührungspunkte haben und ihnen kein gemeinsames Verständnis der Situation zugrunde liegt. Beide Seiten müssen lernen: Die Mitarbeiter werden nicht umhinkönnen, sich mit Kostenaspekten ihres polizeilichen Handelns argumentativ und diskursiv auseinander zu setzen, und die Führungskräfte müssen lernen, dass Ökonomie und Sparmotive nicht allein Führungsentscheidungen bestimmen dürfen, sondern Effizienz im Sinne von Wirksamkeit polizeilichen Handelns Teil einer übergreifenden Perspektive sein sollte. All die zuvor genannten Ausführungen und Beispiele bezogen sich bisher auf Sachausga- ben. Zukünftig soll aber auch die Personalkostenbudgetierung in die Landesverwaltung72 eingeführt werden. Dabei sollen die Budgetierung und die damit verbundene Verantwortung dazu führen, dass sich die Fachbereiche stärker ihrer Beschäftigten annehmen. „Sie werden quasi gezwungen, diese zu betreuen und zu entwickeln. Die Per- sonalentwicklung wird einen erheblichen Schub erhalten, da künftig unterlassene Personalentwicklung teuer wird – anders als bisher, denn da war Nichtstun auf diesem Gebiet nicht mit Kosten verbunden“ (KGSt-Bericht, 1995: 62). Ob die optimistische Einschätzung hinsichtlich der schwer unmittelbar festzumachenden Ursache-Wirkungs- Relation tragfähig ist? Fakt ist, dass bei völliger Budgetierung von Sach- und Personal- kosten die Gefahr besteht, dass die Relation zwischen einer Polizistenstelle und einer Anzahl von Bürgern, nun landeseinheitlich geregelt, zukünftig von jeder Behörde eigen- ständig festgelegt wird und damit zwischen den Behörden erhebliche Diskrepanzen entstehen können, wenn z.B. eine Behörde bestrebt ist, Planstellen zu sparen und diese in Sachmittel zu investieren, eine andere dies aber nicht unternimmt. Entwickeln sich die jeweiligen Ausstattungen mit Personal und Ausrüstung immer stärker auseinander, wird der Grundsatz verletzt, dass die Bürger an allen Orten gleiche Qualitätsstandards der polizeilichen Arbeit erwarten können. Die Personalkostenbudgetierung bietet aber für die Führungskräfte auch Möglichkeiten, verlorenes Terrain wieder zu besetzen. Kooperative Führungsmethoden implizieren den 72 Der Stellenplan als maßgebliche Steuerungsgröße wird dann durch die verbindliche Vorgabe eines Personalkostenvolumens und eines finanziellen Budgets für die einzelnen Ressorts und Behörden abgelöst werden. Diese erhalten eine größere Freiheit bei der Personalbewirtschaftung innerhalb des ihnen gesteckten Rahmens (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 57). 190 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Verlust von Führungsmacht. Ein Befragter verdeutlicht, dass die Personalkostenbudgetie- rung durchaus ein Mittel ist, Führungsmacht zu etablieren, sogar noch auszubauen, denn Leitfiguren der Organisation würden in die Lage versetzt, „bestimmte Stellen einzuspa- ren“. Das gesparte Geld könnte dann an „anderer Stelle wieder ausgegeben“ werden. „Denn der Sachhaushalt ist ja im Vergleich zum Personalhaushalt eher gering, sehr viel geringer, und das könnte natürlich dann auch für den einen oder anderen Dienststellenleiter oder auch Direktor der Polizei, oder Polizeipräsidenten, je nachdem, an welcher Stelle man das ansiedelt, ein Anreiz sein, bestimmte Stellen einzusparen für einen bestimmten Zeitraum. Das spart Geld, das an anderer Stelle wieder ausgegeben werden kann.“ 6/44/10-16 Somit würden Leitfiguren zukünftig in die Lage versetzt, innerhalb des vorgegebenen Rahmens zu bestimmen, wo eingespart und wo Geld ausgegeben werden kann. Es drängt sich das Bild von Feudalherrschern auf, die nach Gutsherrenart bzw. politischem, strate- gischem Kalkül einsparen und ausgeben. Es besteht die Gefahr, zu Lasten von Planstellen neue Einsparoptionen zu erschließen, auch wenn es von der Aufgabenstellung und Ar- beitsbelastung her betrachtet nicht angemessen erscheint. Die Personalkostenbudgetierung erfordert eine hohe Führungsverantwortung, kann weder ein Verfahren zur automatischen Mittel- und Stelleneinsparung noch ein Ersatz für detaillierte Organisationsuntersuchun- gen sein. Aber es besteht noch eine weitere Gefahr. Gerade weil der Sachhaushalt im Vergleich zum Personalhaushalt eher gering ausfällt, darf es nicht zu Verwerfungen dahingehend kommen, mit hohem Personalaufwand budgetierte Mittel wie Materialkosten einzusparen. Ein hoher Personalaufwand würde in keiner Relation zu den eingesparten Geldern stehen und wäre schwerlich an Betroffene vermittelbar. In gewisser Weise wäre eine solche Praxis ein gutes Argument für alle Reformgegner, nämlich pointiert den Widerspruch aufzuzeigen zwischen dem restriktiven wirtschaftlichen Verhalten auf der Ebene einer budgetierten Behörde einerseits und dem aus dem Blickwinkel der Gesamtorganisation Polizei in hohem Maße unwirtschaftlichen Effekten andererseits. In diesem Zusammenhang warnt Bogumil (2004: 202) davor, Rationalisierungsfallen zu vermeiden. Er führt aus, dass die Wechselbeziehungen zwischen Modernisierung und Haushaltskonsolidierung sich als kontraproduktiv erweisen. Als prägnantes Beispiel führt er den Widerspruch zwischen zentralen Budgetierungsvorhaben zur Einsparung von Per- sonalkosten und dem Versprechen einer dezentralen Ressourcenverantwortung auch im Personalbereich an. Da die dezentralisierten Einheiten nicht genügend einsparen, wird ihnen von außen die Personalhoheit bis jetzt verwehrt, ganz abgesehen von dem Problem, welchen Wert eine Ressourcenverantwortung mit stark reduzierten Mitteln noch hat. Eine andere Frage ist, wie sich der Budgetierungsnutzen über mehrere Jahre entwickelt. Im ersten und vielleicht einem weiteren Jahr freut man sich darüber, welche Budgetierungsgewinne plötzlich zur Verfügung stehen. Längerfristig würde das Ergebnis immer schmaler werden, denn bei bedarfsangepasst zugeschnittenen Budgets würde mit 191 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse der Einrechnung von Einsparauflagen der Budgetgewinn schrumpfen, es sei denn, die Dienststelle wäre in der Lage, nennenswerte Einnahmen zu erzielen, was für den Gesamtbereich Polizei schwierig sein dürfte. 5.2.2 Ängste, Unsicherheiten und Widerstände der Mitarbeiter Veränderungsprozesse erzeugen erhebliche Ängste und Unsicherheiten bei den Mitarbeitern, da gerade im Anfangsstadium Zieldefinition und Zielerreichung im jeweiligen Dienststellenkontext abstrakt und wenig greifbar erscheinen und die Gefahr der Überforderung wegen der weitgefächerten Informationslage groß ist. Den Führungskräften schlägt in ihren Dienststellen bei der Vorstellung der Neuen Steuerungsinstrumente eine Menge Skepsis, Irritationen und Widerstände entgegen. In Dienstversammlungen und bei Präsentationen äußerten Mitarbeiter Verwunderung und Ungläubigkeit hinsichtlich der Funktionsfähigkeit und Alltagstauglichkeit der Elemente. Andere berichteten von Widerstand und Unmut und sahen Zusammenhänge zwischen der Vielfalt unterschiedlicher Reformbemühungen und Überforderungsreaktionen der Mitarbeiter. Viele meinten, die Folgen der Polizeireform seien noch längst nicht „verdaut“ und es werde nun an der Verwaltungsreform „gekaut“. Daneben gab es landesweit Arbeits- gruppen zur Führungskräfteentwicklung, der Aufbau des landesweiten Controllings wurde vorangetrieben, Pilotprojekte unterschiedlichster Couleur (z.B. Kosten-Leistungs- Rechnung, Prozessmanagement, Neuorganisation des traditionellen Schichtdienstmodells) forderten die Polizei und ihre Mitarbeiter. Es gab die Haltung, die Mitarbeiter vor weiteren Belastungen zu schützen. Nachdenklich meinte eine Führungskraft: „Schon wieder was Neues. Wir wollen nicht mehr. Wieder ein Workshop, wieder eine Arbeits- gruppe. Vielleicht haben wir unsere Kollegen wirklich in den letzten Jahren ein bisschen überfordert.“ 12/32/22-24 Neben der Vielfalt wirkte aber auch das Tempo der Reformen verunsichernd. Ein anderer Dienststellenleiter machte einen Trend zur Abwehr von Reformgedanken aus, den er auf das hohe Tempo des Veränderungsdrucks zurückführte. „Ich bin auf vielen Tagungen und Besprechungen. Zunehmend mehr wird der Trend geäußert, dass es eigentlich alles zu schnell kommt. Dass man nicht mehr hinterherkommt. Also diese Entwicklung, die jetzt so bis 2003 dann so auf einen einströmt, die hat jetzt eine Form ange- nommen, wo die Leute auch so in die Abwehrhaltung gehen. Dass die sagen, bloß nicht noch was Neues, ne. Also, wenn jetzt einer mit Reformgedanken kommt, ne, dann machen die zu.“ 11/33/2-7 Der Besuch von „vielen Tagungen und Besprechungen“ im Zusammenhang mit den ange- strebten Reformen und die Konfrontation mit Abwehrhaltungen der Mitarbeiter beschäftigte die Befragten. Die Mitarbeiter erwarten Expertise, Anleitung und Begleitung bei anstehenden Veränderungen und bemerken, dass die Führungskräfte auch noch „Fragende“ und „Suchende“ sind. Beide Gruppen eint die Wahrnehmung, dass „NSM“ vor allen anderen Aspekten ein Sparkonzept ist, hinter dem Humanitäts- und 192 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Qualitätsaspekte erst einmal zurückstehen. So war eine andere Führungskraft zutiefst unzufrieden mit dem Stand der Dinge und sah sich, aus Mitarbeitersicht, reduziert auf die Rolle als vornehmlich „abwesende“ Führungskraft, die bei Anwesenheit schlechte Nachrichten (Sparappelle) verkündet, was eventuell in der Folge beidseitig „Abwesenheitswünsche“ nähren könnte. „Ich stelle heute fest, es ist Frust überall vorhanden, über allgemeine Neue Steuerungsinstrumente oder Modelle, egal wie man das nennen mag, weil jeder sagt, überall, ihr seid ja nur unterwegs, der Behördenleiter ist nur unterwegs, ich bin unterwegs, und nun muss doch langsam mal was rüberkommen. Und dass also der Frust in der Beamtenschaft dahin geht, wir wollen ständig was Neues machen, aber immer Zielrichtung sparen, sparen, sparen. Irgendwo geht das nicht, das heißt, Widerstände tun sich auf.“ 6/51/16-22 In diesem Statement verdichtet sich die Quintessenz der beiden vorherigen Zitate, in denen die Vielfalt und das Tempo der Reformen bemängelt wurde. Das eigentlich Frustrierende ist nicht die Vielfalt und das Tempo der Reformen. Das Frustrierende ist in den Augen der Beamtenschaft die ausschließliche Herrschaft der Ökonomie, was dazu führt, dass der Reformbegriff zum Reizwort wird. Dieser steht nicht mehr für bessere Lebensverhältnisse und damit auch für Verbesserungen in der Gesellschaft wie z.B. in den 70er Jahren („Mehr Demokratie wagen“), sondern Reform wird heutzutage übersetzt mit Kontrolle, Einschränkung von Handlungsspielräumen, Kürzungen, Streichungen und Dis- ziplinierungen. Der wachsende Widerstand der Mitarbeiter untergräbt dann paradoxerweise den eigentlichen Sinn von Reformpolitik, nämlich planvoll Wirklichkeit neu zu konstruieren. In so einem Klima wird es dann schwierig, Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie stehen, und bei ihnen die Bereitschaft für Schulung und Training im Umgang mit den neuen Instrumenten zu wecken. Fehlende Trainingsphasen führen dann vorschnell zu dem Befund, dass die Instrumente nicht zur Kultur passen, also nicht direkt als nützlich betrachtet werden. Zeiten von Veränderungen implizieren ein gesteigertes Informationsbedürfnis und erhöhten Diskussionsbedarf. Bei erheblich belasteter Kommunikationsatmosphäre wird es dann eher unwahrscheinlich, die Informationskultur den neuen Anforderungen anzupassen und gemeinsam nach gangbaren Wegen zu suchen, Handlungsspielräume auszuloten, Dissens herauszuarbeiten und zu ertragen sowie um Konsens zu ringen. Wahrscheinlicher ist die schriftliche Formulierung von Handlungs- wegen und dass in Dienstbesprechungen mehr verkündet als diskutiert wird, was wiederum die Widerstände erhöht und Veränderungsbereitschaft sinken lässt. Neben der einseitigen, ökonomisch ausgerichteten Reformpolitik des NSM mit der Betonung auf Effektivitäts- und Effizienzkriterien wirkten die implizierten Kontroll- und Prüfaspekte auf die Mitarbeiter bedrohlich. Mit Hilfe von Kennzahlen werden bei der Kosten- und Leistungsrechnung als Grundlage der Budgetierung Daten erhoben, um die Transparenz der Arbeitsleistung einer Gruppe zu verdeutlichen. Es wird mit großem Aufwand angestrebt, jeder einzelnen Tätigkeit möglichst permanent die exakten Kosten 193 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse gegenüberzustellen. Die KLR73 bildet eine der Grundlagen für Kostentransparenz und impliziert sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeiter einen hohen Lernbedarf, was die umfassende Aufgaben- und Kostenplanung, insbesondere in Form von Budgetierung und Controlling angeht. Die KLR bildet zunächst nur den Ist-Zustand ab und erhebt ihn damit auch zum Maßstab. Sie kann allerdings keine Informationen darüber liefern, ob Aufbauorganisationen und Verwaltungsabläufe richtig gestaltet sind. Von daher ist ein höherer Gesamtnutzen absolut nicht gewährleistet. Im privaten Sektor ist die KLR mit dem Markt verbunden und liefert erst im Zusammenwirken mit ihm steuerungsrelevante Informationen hinsichtlich Kosten, Preis, Service, Qualität, und zwar im Wettbewerb mit Konkurrenzprodukten. Das öffentliche Interesse ist dagegen kein Objekt der Preisbildung. Im öffentlichen Bereich schafft man dann sozusagen „Quasimärkte“, indem man Kenn- zahlen ermittelt, Vergleiche erstellt und Optimierungen versucht. Es ist paradox: Proklamiert wird, dass die Mitarbeiter die wichtigste Ressource für den Entwicklungspro- zess sind, gleichzeitig wächst bei diesen Mitarbeitern aber die Furcht vor Datenmissbrauch, und die Angst vor totaler Reglementierung seitens des Vorgesetzten ist sehr hoch. „Es sind ja auch Führungsdaten im Prinzip, sagen wir mal auf Dienststellenleiterebene, so bewerte ich das Ganze, um erkennen zu können, ob nun die richtigen Schwerpunkte gebildet werden, wie viel Personal ich in einem bestimmten Bereich eingesetzt habe, um im Nachhinein zu Erkenntnissen zu kommen, Kostenträger festzulegen, Produkte festzulegen, das sind ja alles ganz neue Dinge, wo man vor 2 oder 3 Jahren gesagt hätte, Produkt, was soll denn Produkt sein bei der Polizei? Ja, wir produzieren doch keine Schrauben, darum geht es auch immer wieder. Man glaubt noch nicht so recht, dass es ein Mittel gibt, Qualität in der Leistung bei der Polizei erheben oder feststellen zu können. Das ist auch sehr schwierig.“ 6/25/2-8 „Man kann dann schon mal gucken, was eine Dienstabteilung oder ein Fachkommissariat oder Ähnliches denn tatsächlich gemacht hat, wenn die Daten, die erhoben wurden, dann auch der Realität entsprechen. Das macht Angst.“ 6/23/25-28 „Man ist noch nicht so weit, dem Vorgesetzten, sage ich jetzt mal, ganz einfach zu vertrauen, dass diese Daten nicht missbräuchlich behandelt werden, benutzt werden.“ 6/24/4-6 Die Gefahr, dass das Misstrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern wächst, ist nicht von der Hand zu weisen. Berichtspflichten und Arbeitszeitaufschriebe halten Einzug, Produkte werden beschrieben, Leistungen auf Kostenträger gebucht, und Kennzahlen werden mittels Erfassungsbögen erhoben und durchleuchtet. Danach geschieht für den Mitarbeiter nichts, außer dass der zuvor geschilderte Prozess für ihn erhebliche Mehrarbeit 73 Folgende Varianten der KLR sind denkbar: a) als Kostenrechnung, b) als Kostenstellenrechung und c) als Kostenträgerrechnung. Letztere will die Kosten für jeden Kostenträger (z.B. ein Produkt bzw. eine Leistung). Die Kostenträgerrechnung ist wiederum unterteilt in die a) Teilkostenrechnung (es werden nur die direkten Kosten berechnet), b) die Vollkostenrechnung (plus Gemeinkosten) und c) die Prozesskostenrechnung, womit gemeint ist, dass zusätzlich alle prozessbedingten Kosten erfasst werden (vgl. Beyer, 1998: 309–313). 194 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse bedeutet, denn der Aufwand zur Datenerfassung ist beträchtlich. Kein noch so kleiner Vorteil lässt sich für die Arbeitsqualität und das persönliche Wohlbefinden am Arbeitsplatz ableiten. Wer etwas tun soll, wovon er keinen Nutzen hat, wird dies nicht lange tun und auch nicht gut. Hinzu kommt die Befürchtung der Mitarbeiterschaft, dass es in erster Linie darum gehe, die Daumenschrauben fester anzuziehen, bzw. dass die neuen betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstrumente den Führungskräften endlich genaue Daten liefern würden, welche Mitarbeiter fleißig seien und welche nicht. So kann kein notwendiges Vertrauen, keine Sinnhaftigkeit wachsen. Wenn die Kultivierung eigenverantwortlicher Qualitätssteuerung unterbleibt und es an Partizipation und Kooperation zur Gestaltung der Qualität des Alltags fehlt, werden sich Motivation und Arbeitszufriedenheit verschlechtern. Mitarbeiter müssen in die Lage versetzt werden, aus eigenem Antrieb sich zu überlegen, wie ein bestimmtes Problem zu bewältigen ist. Sie müssen eingebunden sein in Prozesse, in denen Strategien und Ziele entwickelt, Prozesse gestrafft und Ressourcen effizient eingesetzt werden. Kennzahlen müssten von Mitarbeitern entwickelt werden, weil sie selbst daran interessiert sind, zu sehen, wie sich ihre Anstrengungen auswirken. Es macht einen großen Unterschied, ob neue Managementinstrumente eingesetzt werden, um den Arbeitsdruck zu erhöhen und Kosten zu senken, oder mit ihnen die Absicht verfolgt wird, Wirkungen zu erzielen und Gestaltungsspielräume zu vergrößern, womit den Mitarbeitern letztendlich die Möglichkeit gegeben wird, erfolgreich zu sein. Das Misstrauen der Mitarbeiter darüber, wie seitens der Führungskräfte mit hochsensiblen Daten umgegangen wird, kann eventuell noch durch einen weiteren Aspekt genährt werden. Streit und Konflikte um die Verteilung des Budgets werden zunehmen. Auch wenn, wie schon ausgeführt, fast ausschließlich die Segnungen der Budgetierung mit den Möglichkeiten höherer Autonomie, eigener Schwerpunkt- und Prioritätensetzung und einer gezielteren Ausgabenpolitik wahrgenommen werden, machten zwei Dienststellenleiter keinen Hehl daraus, dass es im Rahmen der Budgetierung zu internen Verteilungskämpfen kommen wird, die erhebliches Konfliktpotential in sich bergen. So stellte ein Befragter lapidar fest: „Also, ich denke, es wird dann als Nächstes auch Widerstand geben bei der Verteilung des Budgets. Wie viel kriegt denn der eine, wie viel kriegt der andere?“ 10/20/14-16 Ausschmückender und wortreicher äußerte sich ein anderer Interviewpartner zur gleichen Thematik: „Man sieht im Moment nur das Positive, dass ich Handlungsspielraum habe, wo ich den früher nicht hatte. Dann muss ich auch entscheiden, wer profitiert von welcher Einsparung? Da sagt mir beispielsweise der eigene Dienstzweig, oh, ich, wir haben doch aber so viel in diesem Bereich eingespart, Papier oder Dienstkraftstoff bei den Dienstfahrzeugen, oder Sie haben sie ja selber gepflegt. Wie auch immer, und wir profitieren jetzt nicht davon, sondern das, was wir eingespart haben, geht also in diesen anderen Bereich.“ 8/31/2-10 195 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Das zuvor genannte Statement lässt erahnen, dass der „Spartenstreit“ um Zuweisungen und Gelder den Umgang miteinander erheblich verändern kann. Die einzelnen Dienstab- teilungen im Wachdienst, der Kriminalermittlungsdienst, die Verwaltung und die Prävention werden nicht umhinkönnen, die Wichtigkeit ihrer Aufgaben darzustellen und um Mittel zu werben. Das ist neu und erfordert neue Strategien bei der internen Positionierung. Statt des bislang üblichen und auch gemütlichen Miteinanders entstehen neue Konkurrenzen, da die Konfliktlinie nun nicht mehr zwischen einer Behörde und dem Land, sondern in die Behörde verlegt wird. Eventuell bleibt es aber auch gemütlich, wenn z.B. die jeweiligen Budgetanforderungen der Organisationseinheiten kreativ, argumentativ und extrem überhöht eingefordert werden, im Wissen darum, dass es sich mit der dann bewilligten Hälfte des ursprünglich geforderten Budgets ganz gut haushalten lässt. Dann hätte man allerdings durch die Hintertür wiederum diejenigen unwirtschaftlichen Effekte, die eigentlich bekämpft werden sollten. Die Führungskräfte sind in diesem Widerstreit der Interessen besonders gefordert, es besteht ein höherer Managementbedarf. Nicht nur die verschiedenen interdependenten Aufgabenbereiche sind zunehmend darauf angewiesen, sich ihre Vernetzung in direktem Austausch miteinander selbst zu organisieren, auch die Kooperation ist nicht mehr aus- schließlich durch Strukturen abgesichert, sondern durch gelingende Kommunikation. Insbesondere ist von den Führungskräften ein hohes Maß an Sensibilität und Fingerspit- zengefühl, solide kommunikative Kompetenz und Gestaltungskraft, eine gehörige Portion Durchsetzungsvermögen und Durchsetzungskraft und, „last but not least“, überdurchschnittliches Verhandlungsgeschick gefordert. Von daher kann davon ausgegangen werden, dass die Personenabhängigkeit wieder zunehmen wird. Zusätzlich zu den hierarchischen Wegen der Kommunikation werden also andere aufgebaut werden müssen, die zu diesen im Widerspruch stehen. Sich hieraus ergebende Dilemmata werden im folgenden Kapitel eingehender beschrieben. 5.2.3 Ängste, Unsicherheiten und Widerstände der Führungskräfte Die befragten Führungskräfte ließen auf der Mesoebene vornehmlich auf zwei Ebenen Ängste, Unsicherheiten und Widerstände im Umgang mit den neuen Steuerungselementen erkennen: auf der generellen Bewusstseinsebene einerseits und auf der speziellen Transfer- und Praktikabilitätsebene andererseits. Waren auf der Bewusstseinsebene Schnelligkeit und Vielschichtigkeit der Reformen Tenor fast aller Statements, so wurde auf der Transferebene die Unübersichtlichkeit, die Zähigkeit und der „schneckenhafte“ Fortschritt hinsichtlich der Implementationsbemühungen der Instrumente in den Alltag der Behörden und Einrichtungen beklagt. Auf der Ebene des Führungshandelns im persönlichen Verantwortungsbereich fand bei einigen Führungskräften eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Verortung zwischen Autorität und Autonomie im Wechselspiel Führungskraft-Mitarbeiter statt. 196 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Die Vielfalt und das Tempo des Reformdrucks ließ auf der Ebene der generellen Wahr- nehmung die Führungskräfte nicht unbeeindruckt. So meinte ein Befragter, selbst über 20 Jahre Polizist, dass hinsichtlich seiner Berufsfeldes sich in 15 Jahren „überhaupt nichts bewegt habe“, die Veränderungen der letzten fünf Jahre allerdings „dramatisch“ seien. Oft wurden Polizei- und Verwaltungsreform als globaler Oberbau und spezielle Initiativen, wie z.B. Umorganisation des traditionellen Schichtsystems, in einem Atemzug genannt. Zur Veranschaulichung der Wandelbemühungen wurden sehr ausdruckstarke Bilder benutzt, welche die Erschütterung des Gesamtsystems Polizei in ihren Traditionen und ihrer Kultur plastisch und greifbar machten. So wurde das Veränderungstempo von einer Führungskraft mit dem Bild vom „Schneeball zur Lawine“ beschrieben, die Orientierungslosigkeit mit einer Moorwanderung „auf schwammigen Gelände, wobei kein rettendes Ufer in Sicht ist“, verglichen. Ein Befragter schilderte, dass Einzelne „galoppieren“, die breite Mehrheit aber bewegungslos bliebe und starr verharre. Ein sehr einprägsames und anschauliches Bild lieferte ein Befragter, der die rasanten innerpolizeili- chen Entwicklungen mit einem Flughafen verglich: „Man muss das fast mit einem Flughafen vergleichen. Es hat sich in den letzten Jahren un- heimlich viel geändert. Die einen finden sich immer noch auf der Startbahn und sind noch nicht abgehoben. Und die anderen, die sehr viele Maßnahmen durchlaufen haben, befinden sich inzwischen schon in 10.000 m Höhe. Und zwischen denen wird die Kommunikations- ebene immer dünner, und das ist eigentlich unglücklich.“ 12/27/7-11 Sicherlich gehörten die befragten Führungskräfte zu denen, die sich schon in „großer Höhe“ bewegen. Beunruhigend wirkte auf den Interviewten, dass die breite Mehrheit noch nicht „abgehoben“ hatte. Als Warnzeichen wurde interpretiert, dass die „Kommunikationsebenen immer dünner“ werden. Es scheint nicht mehr gewährleistet, dass Mitarbeiter und Führungskraft sich noch verstehen, die gleiche Sprache sprechen. Viele Gründe für störanfällige, instabile Kommunikationsebenen wurden bereits im vorherigen Kapitel benannt: der aus Sicht der Mitarbeiter befürchtete Verlust von Vieldimensionalität und Freiräumen, die einseitig geführte Spardiskussion, die Angst vor Datenmissbrauch, zunehmende Reglementierung und die Herabwürdigung auf die Funktion von Zahlenlieferanten. Auf der Transfer- und Praktikabilitätsebene hinsichtlich des Umsetzungsstandes der Instrumente waren die Statements geprägt von Fragen, Ratlosigkeit, Skepsis und unzureichender Informiertheit in Bezug auf Entwicklungen in den Behörden und Einrich- tungen. Eindrücke von mangelnder Zielführung und Kooperation wurden beklagt. Die Befragten machten sich mehr oder weniger Sorgen sowohl um die eigene als auch die Anschlussfähigkeit ihrer Mitarbeiter. „Wie komme ich mit neuer Steuerung generell in die Fläche. Ne, wenn man- das ist ein weit- aus größeres Problem; also die Leute, die jetzt so eine Maßnahme wie die Controller oder die Personalentwickler durchgezogen haben, oder jetzt, die sich um Kosten- und Leistungs- Rechnung, Budgetierung, dezentrale Ressourcenverantwortung kümmern, da gibt es ja so einige Dienststellen, die sind da ja vorreitermäßig unterwegs. Also diese Leute, die leben in dieser Thematik. Die muss ich da auch nicht mehr einfangen. Aber, ich sag mal, wir haben 197 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse immer noch 17.500 Leute, die noch nicht eingefangen wurden. Und das ist eine riesige Masse, und die muss ich irgendwann dann ins Boot holen.“ 11/ 29/1-7 Das Statement der Führungskraft verdeutlicht das Dilemma zwischen Spezialisierung und Generalisierung: Ganz wenige wissen, bezogen auf das NSM, viel, die überwältigende Mehrheit aber sehr wenig oder gar nichts. Drei Jahre nach Kabinettsbeschluss war die Lage hinsichtlich der Verbreitung des NSM in der Polizei Niedersachsens äußerst verwirrend und diffus. Es gab einige Pilotdienstellen, die ausprobierten und experimentierten, doch wussten die meisten Beschäftigten nicht genau, was da vor sich ging, und ein Plan, wie denn nun Ideen, Erfahrungen und Ergebnisse „in die Fläche“ kommen könnten, war nirgendwo erkennbar, die Experten blieben unter sich und der Rest wartete, was da kommen mochte. Es mangelte an der Verbindung und Abstimmung der Verfahren zueinander. Die einzelnen Behörden und Einrichtungen erschufen ihr eigenes „Steuerungsmodell“. Tempo, Vorgehensweise und Schwerpunktsetzung waren dabei sehr unterschiedlich, was Akzeptanzprobleme nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Führungskräften auslöste. Die allgemeine Undurchschaubarkeit des Stands der Dinge in den Behörden und Einrichtungen wurde auch in der zweiten Interviewreihe immer wieder genannt. „Also die Einführung der Neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente gestaltet sich aus meiner Sicht ohnehin sehr schleppend, da weiß man eigentlich gar nicht, an welchem Punkt stehen wir zur Zeit, was ist schon installiert, was ist nicht installiert, und das ist in den Behörden auch recht unterschiedlich.“ 12/42/3-6 Die Unüberschaubarkeit mochte mit darin begründet sein, dass die Schwerpunktsetzungen sehr unterschiedlich waren, also in einer Behörde verstärkt an Zielvereinbarungen gearbeitet wurde, andere hingegen sich vertieft mit Controlling oder systematischer Personalentwicklung befassten. Wenn die Innovationsgebiete unterschiedlich zugeordnet sind, kann es sein, dass die Anschlussfähigkeit der nicht direkt involvierten darunter leidet, weil wichtige Entwicklungsprozesse nicht genügend kommuniziert werden können. Andererseits erscheint es auch nicht sinnvoll und effektiv, alle möglichen Ziele im Schrotlinienverfahren anzupeilen. So verdeutlichte ein Dienststellenleiter, dass die feste Zuordnung von Schwerpunkten ein Merkmal der Organisation Polizei sei. Er selbst war nicht involviert in die Implementierung betriebswirtschaftlicher Elemente in die polizeiliche Arbeit, wusste sich aber im gleichen „Boot“ sitzend und hoffte, irgendwann mehr zu erfahren. Der Gedanke, im gleichen „Boot“ zu sitzen und dass „alles fest zugeteilt ist“, schuf erst einmal Sicherheit. Nicht übergangen oder vergessen zu werden, nährt die Hoffnung auf einen „Masterplan“, in den man dann zum rechten Zeitpunkt eingeweiht wird. Ein „Masterplan“ existierte allerdings nicht, die landesweite Beschäftigung mit dem Gedankengut des NSM scheint eher von Gutdünken und Beliebigkeit geprägt. „Weil da hat man ja so den Eindruck bei der Polizei, dass alles irgendwo doch fest zugeteilt ist und fest zugeordnet ist und organisiert ist, und der eine macht eben Personalentwicklung und 198 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse der andere macht Controlling und der dritte macht Kosten-Leistungs-Rechnung und so weiter, aber irgendwo sitzen wir doch alle in einem Boot.“ 3/42/8-11 Es war nicht nur das Fehlen verpflichtender Vorgaben und damit ein politisches Lei- tungsvakuum in Bezug auf den Umsetzungswillen festzustellen, sondern auch, dass die Schwerpunktsetzung und Vorgehensweise stark behörden- und personengebunden erschien, was sich wiederum an den unterschiedlichen Zeitpunkten festmacht, an denen das neue Gedankengut mit den Mitarbeitern und Untergebenen kommuniziert wurde. Während einzelne Führungskräfte bereits in der ersten Interviewreihe in Dienstversammlungen, Vorträgen und Besprechungen aktiv das Gespräch und die Auseinandersetzung über Kosten- und Nutzenaspekte gesucht hatten bzw. sich mit der Wahrnehmung dezentraler Ressourcenverantwortung auseinander setzten, sahen sich andere erst um den Zeitraum der zweiten Interviewreihe dazu in der Lage. Neben der zentralen Bedeutung der Budgetierung für die Führungskräfte nannte knapp die Hälfte der Befragten die Mitarbeiterentwicklung als weiteres für sie wesentliches Element. Dabei war für diesen Personenkreis die Balance von Bürger- und Mitarbeiterorientierung ein wichtiger Bestandteil der Verwaltungsreform. Diese Führungskräfte wollten optimale Rahmenbedingungen für zielorientiertes Arbeiten ihrer Mitarbeiter schaffen. In diesem Sinne äußerte sich ein Befragter über die Essentials seines Führungsverständnisses: „Die Freiheiten ihm (dem Mitarbeiter – Anmerkung des Autors) zu geben, sich in seinem Bereich bewegen zu können. Die Verantwortung zu übertragen, damit auch die Aufgabe verantwortlich abschließend bearbeiten zu müssen. Das ist für mich ein wesentlicher Teil. Ein ganz, ganz wesentlicher Teil.“ 10/18/1-9 Das Statement beleuchtete ein zentrales Dilemma, in dem sich Führungskräfte in der Auseinandersetzung mit den neuen Steuerungsinstrumenten befinden. Der Spannungsbogen dieses Statements ist weit gezogen, beginnt mit „Freiheit“ und endet mit „Teil“. Es ist das Wesen der Freiheit, nach allen Seiten offen und unbeschränkt zu sein, was sich mit hierarchischen Polizeistrukturen nur schwerlich vereinbaren lässt. Diese Schwierigkeit drückte die Führungskraft bereits im zweiten Satzteil aus, indem sie den Bewegungsraum auf einen „Bereich“ eingrenzt. Aber der Raum wird nicht nur beschränkt, sondern der Raum wird auch gefüllt mit „der Übertragung von Verantwortung“ und darüber hinaus mit dem Zwang, „eine Aufgabe verantwortlich abschließend bearbeiten zu müssen“. Das ist für die Führungskraft „ein wesentlicher Teil“. Sukzessive wird die anfängliche Freiheit zum Zwang. Wie wichtig diese Übernahme von Pflicht und Verantwortung ist, lässt sich schließlich an der letzten Sequenz feststellen. Sie ist ein „ganz, ganz wesentlicher Teil“, was sich einmal an der eingesetzten Verstärkung durch Wiederholung wie auch an der Doppelung des Wortes „ganz“ festmacht. Es schwingt Ärger mit, und der Ärger der Führungskraft ist nachvollziehbar. Die Funktion der neuen Steuerungsmodelle sieht vor, dass die Führungskräfte Macht abgeben. Sie werden aber trotzdem nicht von der Verantwortung entlastet, im Gegenteil: Die Verunsicherung der Führungskraft nimmt zu, es droht Machtverlust, und gleichzeitig müssen sie wesentlich 199 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse anspruchsvolleren Bedingungen der Mitarbeiterführung gerecht werden. Hinzu kommt, dass für die Führungskraft nicht klar ist, ob sich all diese Bemühungen lohnen. Es muss eher befürchtet werden, dass bei umfassenderer Inanspruchnahme des Mitarbeiters als „Experten seines Arbeitsplatzes“ sich für die Führungskraft die Abläufe komplizieren, da hierdurch auch die Komplexität zunimmt, was die Vorhersagbarkeit der Ergebnisse beeinträchtigt bzw. das Gefühl verstärkt, „außen vor“ zu sein. Hier spielt ganz stark die Angst hinein, bei einer Übernahme der „mitarbeiter-aktivierenden Rolle“ und unverändert erhalten bleibender Letztverantwortung einen Machtverlust zu erleiden und somit letztlich, ohne ausreichend eingreifen zu können, den Kopf für jeden „Unsinn der Mitarbeiter“ hinhalten zu müssen. Diese Angst wird verstärkt durch eine weit verbreitete Uninformiertheit über die Aufgaben moderner Führung und über die Merkmale und Bedingungen eines Führens, das auch aus der Perspektive der Mitarbeiter gut und erfolgreich ist. An dieser Stelle kommen Gesichtspunkte der Organisationsreife, der Organisationskultur und einhergehender Führungskultur stark zum Tragen, was dem Autor in einer Interviewsentenz mit dem Leiter einer großen Polizeidienststelle überaus bewusst wurde. Dessen Antwort auf Möglichkeiten der Verantwortungsdelegation war der entrüstete Einwand, dass er dann den ihm vorgesetzten Direktor der Polizei bei Sachstands- und Rückfragen viel häufiger an die jeweils zuständige Sachbearbeitung verweisen müsste. Dabei war ihm anzusehen, dass ihm diese Konsequenz nicht schmeckte, und er machte keinen Hehl daraus, dass er dieses Verfahren für wenig praktikabel hielt, entweder aus Angst, bei Meinungsbildungsprozessen „außen vor“ zu sein bzw. selbst als Führungskraft als „schwach/unwissend“ eingestuft zu werden, was dann wieder Auswirkungen auf die Reputation und Beurteilung haben könnte. So erscheint die Systemkonformität unerlässlich bei der Etablierung neuer organisationaler Praktiken. Denn im hierarchischen System teilen die Akteure die Definitionsmacht unter sich auf, indem sie die Regelungskompetenz in Partizipationsverfahren kanalisieren, die die Mitarbeiter auf das Feld der Korrektur- und Umsetzungsbeteiligung verweist. Diese bleiben Ausführende von Entscheidungen, die der Definitionsmacht der traditionellen Führungskräfte entspringen. Wie verunsichernd sich das Spannungsfeld um die Definitionsmacht angesichts des angestrebten Zusammengehens der Management- und der Personalentwicklungsfunktion in der Rolle der Führungskraft sich gestalten kann, zeigt das folgende Beispiel. Mitarbei- terorientierung, Verantwortungen nach vorne zu übertragen, die abschließende Bearbeitung eines Vorgangs in der federführenden Hand des Mitarbeiters sind alles Dinge, die auch von einem anderen Befragten im Arbeitsalltag gelebt und durchgeführt werden. Dabei bemerkte die interviewte Führungskraft kritisch, dass seine Mitarbeiter Entscheidungen treffen, bei denen er sich eine Vorabinformation bzw. frühzeitigere Einbindung gewünscht hätte: „Sie sind dann sehr, sehr eigenständig, informieren mich teilweise auch über Entscheidungen, die sie getroffen haben, erst hinterher.“ 4/27/23-25 200 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Das zuvor genannte Führungsdilemma zwischen Autorität und Autonomie vertieft sich hier. Eigenständige und autonom agierende Mitarbeiter mit Vorgangsverantwortung „vergessen“, den Vorgesetzten bei der Entscheidungsfindung zu beteiligen, bzw. schaffen Tatsachen. Das macht Führungskräfte nicht sicherer. Irgendwie scheint die Situation ungerecht und schwer erträglich. Da gibt sich ein Vorgesetzter Mühe, fragt seine Mitarbeiter erheblich häufiger als in früherer Zeit, doch gleichzeitig erhöht sich der Druck auf die Führungskraft auf Grund immer komplexer werdender Anforderungen, und dann werden sie bei Entscheidungen noch nicht einmal mehr gefragt. Gerade Führungskräfte im mittleren Management verfügen in der Regel über die Möglichkeit, Informations- und Kommunikationskanäle zu kontrollieren, Organisationsregeln zu nutzen und Expertenwis- sen vorzuenthalten. Und diese Machtmittel sollen jetzt geschwächt werden, wo es doch eigentlich gilt, diese zu erhalten und auszubauen? Es ist schwierig, sich in diesem Spannungsfeld nachvollziehbar (auch für die Mitarbeiter) zu verorten, besonders wenn es sich hier nicht um ein „Start-Up-Unternehmen“ handelt, sondern um die traditionell hochgradig hierarchische Organisation Polizei, wo einerseits bei wichtigen Akteuren immer noch die Meinung vorherrscht, die wichtigste Funktion der Führungskraft bestehe darin, alle Details des operativen Geschäfts besser zu können und besser zu wissen als die anvertrauten Mitarbeiter. Häufig gilt: „Wer zu viel diskutiert, gilt als wenig durchsetzungsfähig, wer zu wenig fragt, gilt als autoritär“ (Walter, 1997: 193). Auch ist in der Polizei die Praxis weit verbreitet, die Mitarbeiter zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu bewegen und die Leistungserbringung entsprechend zu kontrollieren. Hieraus ergibt sich oft der Anspruch, den Vorgesetzte an sich selbst stellen: „Die Dinge stets fest im Griff zu haben“. Dieser Anspruch und die damit verbundene Einstellung führen bei den Mitarbeitern zu wenig Eigeninitiative und Risikobereitschaft, was dann wiederum von den Vorgesetzten beklagt wird: „Alles muss man selbst machen und kontrollieren“. Daraus entsteht ein sich selbst reproduzierender Zirkel, der so lange problemlos scheint (nicht für die Mitarbeiter, sondern für die Vorgesetzten), wie es sich um die Erledigung relativ stark strukturierter Aufgaben handelt. Dagegen ist ein „outputorientiertes“ Verständnis von Führung in dem Sinne, dass die Mitarbeiter unterstützt und ihnen dabei geholfen wird, Probleme zu lösen und Wirkungen zu erzielen, noch wenig entwickelt. Es wird oft nicht realisiert, dass ein Vorgesetzter allein den Output gar nicht steuern kann. Output wird vornehmlich vom Mitarbeiter geliefert, gefördert, gesteuert oder auch behindert. Outputsteuerung ist daher für die Führung nur sekundär möglich. Ohne willige Mitarbeiter geht es nicht. Dies gilt insbesondere für die Leistungsqualität, die fast ausschließlich über den Mitarbeiter läuft. Kreativität, Sinnhaftigkeit und bedingungslose Partizipation bei Qualitätsstandards und Kontrollen sind Voraussetzung. Ein solches Führungsverständnis in der praktischen Umsetzung wäre aus fordernden und fördernden Aspekten zusammengesetzt. Den Mitarbeitern würde Mitsprache, Gestaltungs- 201 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse spielräume, sinnvolle Arbeit und Kommunikation in Augenhöhe geboten, und seitens der Führungskräfte würde von ihnen Leistungsbereitschaft, Identifikation mit der Aufgabe, Ernsthaftigkeit und Veränderungsbereitschaft eingefordert. Die Konsequenz wäre dann eine zunehmende Ausrichtung der Führungskräfte darauf, Lernprozesse in der Dienststelle zu organisieren, Foren und Räume zu schaffen, in denen die Mitarbeiter ihre Ideen einbringen und entwickeln können, Diskussionen anzustoßen und zu moderieren, Veränderungsprozesse zu strukturieren, die eigene Dienststelle „nach oben“ hin zu vertreten und den eigenen Leuten den Rücken freizuhalten. Im Kräftespiel zwischen den zuvor beschriebenen „traditionellen“ und „outputorientierten“ Führungshaltungen wiesen Interviewbefunde daraufhin, dass zum Erhebungszeitraum sich eher die aufeinander treffenden Kräfte neutralisierten und aufgeschlossene Führungskräfte angesichts der widersprüchlichen Anforderungen zurückhaltend bis paralysiert erschienen. So wünschte ein Dienststellenleiter, sich mehr mit seinen Mitarbeitern über die Ziele zu verständigen. Für ihn sind das Mitarbeitergespräch und Zielvereinbarungen Indikatoren für einen partizipativen Führungsstil. Im Rahmen eines breit gesteuerten Diskurses möchte er fragen: „Wo wollen wir hin in Sachen Bürgernähe, in Sachen Unfall- bzw. Kriminalitätsbekämpfung?“ Gleichzeitig räumte er ein, dass für ihn in absehbarer Zeit hieran nicht zu denken ist, da auf die Mitarbeiter zu viele Neuerungen in zu kurzer Zeit einströmten, die nicht adäquat verarbeitet werden könnten. Von daher wäre es nicht der richtige Zeitpunkt, die Mitarbeiter mit durchaus wünschenswertem, aber bisher (auch für ihn) abstraktem Gedankengut zu konfrontieren. „Nun könnten Sie natürlich sehr schnell und berechtigt sagen, ja, warum fangen sie mit so was denn nicht an. Ich muss auch da wieder an meine Aussage von eben anknüpfen. Es gibt so viel Neues und noch wieder was Neues zu machen, um z.B. das Thema ,Führen mit Zielen‘ in die Alltagsorganisation einzuführen, davor habe ich bisher immer zurückgeschreckt. Ich find das mit eines der spannendsten Themen, hätte das auch gerne gemacht, aber ich warte da eigentlich auch mehr ab so wie die Maus vor der Schlange. Wann kommt wirklich was von oben, um nicht noch wieder ein neues Thema aufzunehmen, was für die Mitarbeiter nicht so richtig greifbar ist.“ 12/48/19-27 Es wird deutlich, wie sehr die Führungskraft erst einmal um das eigene „Verstehen“ ringt. Sie musste selbst erst einmal verstehen, was bei der Komplexität der Materie nicht leicht fällt, um dann die politischen Zielvorgaben und die Sinnhaftigkeit des Vorgehens glaubhaft in Richtung Mitarbeiterschaft zu kommunizieren und diese zu überzeugen. Wie positioniert man sich da, auch gegenüber den eigenen Vorgesetzten? Als vorantreibender Motor, engagierter Vermittler, penibler Besserwisser, kritischer Bedenkenträger, distanzierter Beobachter? Wem verhält man sich wie gegenüber? Wohin mit den eigenen Fragen und Zweifeln? 202 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Die Haltung der mittleren Führungsebene in punkto Zielvereinbarungen74 „abzuwarten“, was von „oben“ kommt, anstatt initiativ zu werden, empfiehlt sich, wie das folgende Beispiel zeigt. Ein Polizeikommissariatsleiter schloss mit seinen Dienstabteilungsleitern Zielvereinbarungen (z.B. Steigerungsraten im Bereich Alkoholkontrollen, Verkehrsunfall- bekämpfung etc.). Der vorgesetzte Polizeiinspektionsleiter hatte aber auch Zielvereinbarungen mit dem zuständigen Direktor der Polizei, die, „heruntergebrochen“ auf das Polizeikommissariat, von den erstgenannten abwichen. Auf „stillem“ Wege wurden die „neuen“ Zahlen an die Basis durchgereicht, was sofort auffiel, zu erheblichem Unmut führte und nur mit Zähneknirschen akzeptiert wurde. Die ursprüngliche Intention, Handlungsspielräume konstruktiv zu nutzen, musste hierarchischem Zwang weichen, was letztendlich die Haltung fördert, die entsprechenden „Zahlen zu liefern“. Führung verortet sich auf unsicherem Terrain, wobei dem Autor bisher kein Fall bekannt ist, wo eine nicht erfüllte Zielvereinbarung Konsequenzen für die Betroffenen nach sich gezogen hätte. Der Weg zu einer ziel- und ergebnisorientierten Verwaltung bedeutet für die Führungs- kräfte eine Erweiterung ihres Handlungsinstrumentariums und ihrer Kompetenzen. Die Steigerung des betriebswirtschaftlichen Fachwissens der Führungskräfte ist erklärtes Ziel der Verwaltungsreform. Erstaunt hat in den Interviewreihen, dass der mangelnde be- triebswirtschaftliche Sachverstand der Führungskräfte nicht als Einschränkung gesehen wurde. Hier markierten nur zwei Führungskräfte explizit fehlendes Wissen und forderten entsprechende Unterstützung von Betriebswirtschaftlern ein. Eine dieser beiden Stimmen befasste sich kritisch mit der zunehmenden Aufgabenvielfalt im höheren Dienst und tat kund, sie würde sich zwecks angemessener Bewältigung am liebsten „eine größere Festplatte“ einbauen lassen. Die Wunschvorstellung kennzeichnet ein eher mechanistisches Menschenbild: Probleme werden in der eigenen, zu geringen Speicherkapazität gesehen, nicht in der mangelnden Kompatibilität unterschiedlicher Strukturen und Prozesse. 74 Lange & Schenck (2004: 328 ff.) machen darauf aufmerksam, dass, solange die Polizei eine landesstaatliche Einrichtung ist, die grundsätzlichen Ziele polizeilichen Handelns nicht frei vereinbart werden. Die Grundsätze und Inhalte der Polizei- und Kriminalpolitik können nur staatlich, d. h. vom Gesetzgeber und zuständigem Ministerium einheitlich vorgegeben und von den ausführenden Behörden entsprechend umgesetzt werden. Der Vereinbarungsaspekt kann sich infolgedessen nur darauf beziehen, nach dem Ausmaß regionaler und lokaler Probleme (z.B. in der Kriminalitätsentwicklung) zu fragen und dementsprechend Schwerpunkte polizeilichen Handelns zu setzen. Dort, wo es Drogenprobleme gibt, kann es landeseinheitlich nur eine präventive, eine repressive oder eine Mischform geben, aber nicht in der einen Behörde eine präventive und in der anderen eine repressive Strategie, nur weil die jeweiligen Behördenleiter diese mit ihren Beamten so vereinbart haben. Dies würde dem Rechtsstaat die Grundlagen entziehen. Zielvereinbarungen setzen also ein differenziertes Verständnis über die staatliche Aufgabenbestimmung, über den staatlichen Steuerungsanspruch sowie über die Grundlagen der demokratischen Legitimation exekutiven Handelns voraus. 203 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Die Führungskräfte sind Polizeipraktiker, beherrschen eine Vielzahl von Rechtsnormen, haben sich Wissen um Mitarbeiterführung angeeignet und sind geschult, Einsätze aller Größenordnungen bewältigen zu können. Aber um die Finanzen brauchte sich bislang niemand zu kümmern. Bilden sich hier die überfordernden Komponenten des Polizeiberufs mit seinem vielfältigem Tätigkeitsspektrum im Rahmen von Allzuständigkeit und Omnikompetenz ab? Besteht da nicht immenser Schulungsbedarf? Auch auf der Prozessebene? Dass jede Führungskraft ab einer bestimmten Hierarchieebene einen eigenen Betriebswirtschaftler bekommt, ist nicht erklärtes Ziel der Verwaltungsreform, gewollt ist vielmehr das „enlargement/enrichment“ der Führungsrolle (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 56). Durch die Zuweisung von betriebswirtschaftlichen Aufgaben würde sich die Komplexität der Führungsrolle erhöhen, was erhebliche Unsicherheiten und Ängste nähren könnte. Eindringlich markierte eine befragte Führungskraft die zunehmende Diffusität und Unklarheit der Führungsrolle. Sie prognostizierte Widerstand unter den Führungskräften, die ihre originäre Rolle beanspruchen und nicht den „Globalmanager“ für alles spielen wollen: „Der nächste Widerstand wird sein innerhalb der Führungskräfte, die, sagen wir, sind keine Verwaltungsbeamte, wir sind auch keine Betriebswirte, wir sind Exekutivbeamte, wir wollen unsere Kriminalpolizei, unsere Schutzpolizei führen, aber wir sind nicht der Globalmanager für alles.“ 10/20/12-14 Eine andere Form des Umgangs mit der Erweiterung der Führungsrolle um handlungslei- tende, betriebswirtschaftliche Anteile ist die Hoffnung, dass sich die Ansätze von selbst erledigen werden, da sie keine Akzeptanz unter den Beschäftigten finden würden. Dann müsste man sich nicht ernstlich mit der Flut an Anforderungen und Neuerungen, die in Zusammenhang mit den Neuen Steuerungsinstrumenten auf die Polizei zukommen, auseinander setzen. So meinte ein Dienststellenleiter skeptisch, dass gerade die betriebswirtschaftlichen Instrumente sich von selbst erledigen würden, da sie stark vom „Zeitgeist“ geprägt seien, sich letztlich aber als nicht praktikabel erweisen würden: „Insofern, das kommt auf uns zu. Bis zum Jahr 2001 haben wir das durchzuführen. Beides, Budgetierung und KOLEIPOL, und Produktbeschreibung habe ich noch vergessen. Ob uns das was bringt? Also, ich zweifele da sehr dran. In den vielen Jahren habe ich festgestellt, dass man sehr schnell auf einen Zug aufsprang, und dann, ein paar Jahre später, hatte man das Ganze abgehakt.“ 1/29/20-23 Das Neue Steuerungsmodell ist Bestandteil des Reformprozesses der öffentlichen Verwaltung nicht nur in Deutschland, sondern in nahezu allen westlichen Demokratien (vgl. Brinckmann, 1996: 308ff). Von daher ist die Erwartung, dass sich die Einführung der Instrumente in die Polizei aufgrund der zahlreich vorhandenen Schwierigkeiten und Probleme am Ende verhindern lassen bzw. rückgängig gemacht werden können, wohl eher unwahrscheinlich. Die stärkere Begründung der eigenen Leistung und die stärkere Legitimation des Ressourceneinsatzes im Leistungsprozess werden sich durchsetzen. Allerdings reflektiert das Statement erlebte Organisationserfahrung und zeigt einige „seherische“ Qualitäten, denn der Befragte bezweifelt den Nutzen einzelner betriebswirt- 204 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse schaftlicher Instrumente für die Polizei und prognostiziert eine Revision bzw. Korrektur. Seine Prognose erfüllte sich in Teilen, denn eineinhalb Jahre später wurden bereits Änderungen vollzogen. Eine Veränderung in der Ausrichtung der Wandelbemühungen durch betriebswirtschaftli- che Instrumente wurde durch das niedersächsische Innenministerium im Jahr 2001 vorgenommen, da nicht alle zur Anwendung gekommenen Verfahren nützliche Wirkungen haben erzielen können. So meldete das Referat 24 des Niedersächsischen Innenministeriums (2001a: 4 f), dass sich, nach nunmehr fast fünf Jahren des Sammelns von Erfahrungen, bundesweit feststellen lässt, dass es im Bereich Polizei schwierig ist, aussagekräftige, in der Praxis des polizeilichen Führungsprozesses verwendbare und nützliche Kostenrechnungssysteme aufzubauen, was auch eine Erkenntnis der KLR- Pilotprojekte in Braunschweig und Salzgitter war. Dort lieferten die produktbezogenen Informationen zwar eine Menge an Kennzahlen, aber diejenigen, die den Managementprozess der Führungskräfte unmittelbar und wirksam unterstützten, konnten kaum ermittelt werden. Das war ein Grund, warum nur eine begrenzte Akzeptanz für dieses Steuerungsmodell bei den Führungskräften sowie Mitarbeitern erreicht werden konnte. Zu Beginn des Jahres 2000 setzte eine neue Entwicklung ein. Es entstanden „Steuerungsmodelle der zweiten Generation“. So wurden in den Länderpolizeien Modellversuche zur „ergebnisorientierten Steuerung“75 begonnen. Die Modelle der zweiten Generation konzentrierten sich konsequenter an den Managementprozessen innerhalb der Polizei, weshalb sie einen anderen Ansatz wählten. Im Vordergrund stand nicht mehr die Orientierung an Produkten, sondern die Entwicklung zielführender Strategien sowie die konsequente Ausrichtung aller Aktivitäten und Prozesse auf diese Strategien. Die Frage nach dem Nutzen der entwickelten Aktivitäten im Hinblick auf die angestrebten Wirkungen sollte dabei zur entscheidenden Steuerungsgröße werden. 75 In Niedersachsen wird seit 2002 das Pilotprojekt „Wirkungsorientiertes Polizei-Management (WPM)“ durchgeführt. Dabei werden Leistungsdaten (z.B. Personal- und Sachaufwand) von den Beschäftigten grundsätzlich nicht dauerhaft manuell erfasst. Es soll also kein dauerhaftes Aufschreibverfahren geben. Zur Bildung und laufenden Wirkungsprüfung von Strategien und Zielen wird in einigen Polizeibehörden die Balanced Score Card (BSC) erprobt. Sie soll weitere Informationen liefern, welche die Kostenrechnung für die öffentliche Verwaltung nicht bereitstellen kann. Die BSC wird als ein Instrument verstanden, mit dessen Hilfe versucht wird, neben den monetären auch die nicht-monetären Perspektiven von Verwaltungsaktivitäten zu ermitteln und die Erkenntnisse daraus in Leistungsaufträge umzuwandeln. Auf der Basis von ergebnisorientierten Budgets sollen Fach- und Ressourcenverantwortung zusammengeführt werden. Ziel ist eine verbesserte Wertschöpfung. Dabei ist man sich seitens des niedersächsischen Innenministeriums bewusst, dass „der Erfolg des Projektes entscheidend von der Akzeptanz und Bereitschaft zur aktiven Unterstützung durch die Beschäftigten abhängt“ (Niedersächsisches Innenministerium, 2002 a: 2). 205 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.2.3 Exkurs: Führung im Spannungsfeld alter und neuer Steuerung Der bisher beschriebene Prozess der zunehmenden Ökonomisierung polizeilichen Handelns verdeutlicht, wie schwierig, zäh und gespickt mit zahlreichen Unwägbarkeiten und nicht intendierten Effekten und Affekten bei den Betroffenen die Implementation neuer Steuerungsinstrumente in den polizeilichen Alltag erfolgt. Das Wissen um die Instrumente, die Motivation, diese anwenden zu wollen, die Verfügbarkeit der Instrumente im eigenen Verantwortungsbereich und der Wille, die Fertigkeiten der Anwendung im Sinne eines „learning by doing“ auch zielbezogen weiterzuentwickeln waren dabei äußerst diffizil und wurden unterschiedlich gehandhabt. Weniger divergierend und weitläufig schienen Einschätzungen und Haltungen von Beschäftigten, Befragten und deren Vorgesetzten. Weit verbreitet waren hier allgemeine Skepsis und Zurückhaltung hinsichtlich der Praktikabilität und Nützlichkeit verschiedenartiger betriebswirtschaftlicher Instrumente. Insbesondere das Missverhältnis zwischen Aufwand der Datenerhebung und Verwertbarkeit der Daten wurde kritisiert. Das führte dann teilweise zu Resümees wie „die Polizei kreist nur noch um sich selbst und vernachlässigt ihren Auftrag“ bzw., wenn die weitreichende und Mitarbeiter belastende umfassende Datenerfassung letztendlich zu Datenfriedhöfen führte, verstärkte sich auch bei den Betroffenen die Wahrnehmung, „für den Papierkorb“ gearbeitet zu haben (eine nicht unbekannte Erfahrung für Polizisten). Da- durch wird dann in letzter, aber dauerhafter Konsequenz die Motivation zerstört, an der Verwaltungsmodernisierung aktiv mitzuarbeiten. Denn je einfacher den Betroffenen aufgrund eigener Erfahrungen (oder im Nahbereich) die Widerlegung von Steuerungsmodellannahmen in der Praxis gelingt, desto mehr verstärkt sich die Abwehrhaltung bzw. die Auffassung, man könne in der Mitarbeiterschaft überhaupt keine Aufgeschlossenheit für notwendige Modernisierungsschritte mehr erzeugen. So kann dann das Scheitern von Reformen als Begründung für eine generelle Abwehrhaltung gegenüber Reformen dienen. Dies stellt keine leichte Situation für alle Beteiligten, Beschäftigten und Führungskräfte aller Hierarchieebenen dar, eine Situation, die noch dadurch verschärft wird, dass die offizielle Veränderungsrhetorik eher die „schöne neue Welt“ mittels neuer Instrumente beschreibt und nicht die real sich abbildenden Schwierigkeiten und Konflikte im Umgang mit ihr. Liest man den Leitartikel der „ReformZeit“, der Zeitung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Niedersächsischen Landesverwaltung, mit dem Titel „Führungskräfte vor neuen Aufgaben“, scheint die Metamorphose zur enthierarchisierten Landesverwaltung schon konfliktfrei vollzogen zu sein. Dort ist zu lesen: „Bedienen sich die Führungskräfte nicht konsequent der Bausteine der Neuen Steuerungsinstrumente, dann leidet die Qualität der erbrachten Leistung. Die gesamte Verwaltungsreform steht und fällt mit den Führungskräften aller Ebenen. Sie müssen managen und kalkulieren, motivieren und delegieren sowie führen, ohne zu befehlen. Die Steuerung durch Einzelanweisungen von oben nach unten gehört der Vergangenheit an. Stattdessen werden 206 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Hierarchien allmählich aufgelöst und Kompetenzen nach unten verlagert, wird Verantwortung delegiert“ (Liere, 2000: 1). Wie bereits dargelegt, ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit erheblich. Die Wirklichkeit ist gekennzeichnet durch sehr tief verwurzelte Erscheinungsformen einer polizeilichen Organisationskultur, die in Bezug auf die ambivalente und widersprüchliche Adaption des „Neuen“ mehr oder weniger Ängste, Unsicherheiten und Widerstände bei den Betroffenen auslöst. Der Anspruch wird markiert durch eine einseitig beschönigende, harmonisierende, politisch gesteuerte Veränderungsrhetorik. Das ist keine gute Aus- gangslage, um unter solchen Rahmenbedingungen Orientierungshilfen für Führung in der Polizei zu erhalten, denn die Rahmenbedingungen werden schwieriger und komplexer. Dabei ist Führung nicht nur in Zeiten der „Neuen Steuerung“ ein anspruchsvolles Unterfangen, wird doch das Erscheinungsbild von Führung aus der Sicht der Beschäftigten generell äußerst kritisch beäugt, was im Folgenden eingehender beschrieben werden soll. Daran anschließend soll verstärkt der Frage nachgegangen werden, inwieweit die aus der empirischen Polizeiforschung bekannten Befunde zur Rolle der Führung unter den Rahmenbedingungen der Neuen Steuerung anschlussfähiger gestaltet werden könnten. Obwohl sich die niedersächsische Polizei seit über 20 Jahren formell dem „kooperativen Führungssystem“ verschrieben hat, klafft eine große Lücke zwischen dem formulierten Idealbild und dem alltäglichen Führungsverhalten. Mitarbeiterbefragungen unter den 20.000 Bediensteten (vgl. Wempe & Berndt, 1990; vgl. Polizeireform Niedersachsen /Reformkommission 1993; vgl. Bezirksregierung Lüneburg, 1997; vgl. Runde et al. 1998) haben als wesentliche Unzufriedenheitsfaktoren den hierarchischen Aufbau, das Verhältnis zum Vorgesetzten, ein negatives Organisations- und Arbeitsklima und das Beurteilungssystem ausgemacht. Dabei steht das Führungsverhalten in den unterschied- lichsten Untersuchungen immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik, was nicht nur ein niedersächsisches Phänomen ist, sondern als bundesweiter Trend gelten kann. In einer Hamburger Untersuchung der Polizeigewerkschaft im Beamtenbund äußern nach Bornewasser (2000: 36) „sage und schreibe 95 % aller Befragten ein generelles Misstrauen in die Polizeiführung“. In einer bei der österreichischen Polizei durchgeführten Untersuchung (N=3500) resümiert Meggeneder (1995: 255) die „geringe Wertschätzung polizeilicher Arbeit durch Vorgesetzte“. Nach Einschätzung der befragten Polizisten wird die geleistete Arbeit durch die unmittelbaren Vorgesetzten zwar in größerem Ausmaß anerkannt als durch die höheren Vorgesetzten, doch muss insgesamt von einer relativ geringen Wertschätzung der Arbeit seitens der Vorgesetzten gesprochen werden. Nach Dreher & Feltes (1998: 641), Sielaff (1992: 354) und Walter (1991: 448) kehren folgende Kritikpunkte in den Mitarbeiterbefragungen zu den Führungsqualitäten der Vorgesetzten regelmäßig wieder: Distanz der Führung; Scheu, Verantwortung zu übernehmen; keine Bereitschaft zu Gesprächen; Angst vor Auseinandersetzungen; Aus- dem-Weg-Gehen; keine Rückendeckung für Nachgeordnete; keine Beteiligung. Am 207 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse häufigsten werden fehlende Information und mangelnde Transparenz genannt. Eine gemeinsame Umfrage der Universität Osnabrück und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Jahre 1998 unter knapp 5.000 Bediensteten des Regierungsbezirkes Weser-Ems wurde von 2.433 (Rücklaufquote 49,6 %) Beschäftigten beantwortet. Für den Teilbereich „Führung“ meinen 53 % der Befragten, dass die Führung der Polizei nicht bereit sei, Entscheidungsbefugnisse abzugeben; und 58 % finden nicht, dass die Führung der Polizei durch einen kooperativen Führungsstil gekennzeichnet sei. Eine Mehrheit von 69 % halten den Satz für nicht zutreffend, dass die Führung der Polizei seit der Reform stärker an ihren Mitarbeitern interessiert ist (vgl. Runde & Witthaut & Wolf, 1998). Dabei macht Bornewasser (2002: 97 f) darauf aufmerksam, dass all diese Befunde einer- seits schwer vergleichbar sind, weil immer mit unterschiedlichen Dimensionen, unterschiedlichen Messskalen und unterschiedlichen statistischen Verfahren gearbeitet wird. Andererseits arbeitet er aus der Vielzahl an Untersuchungen Trends heraus, die für den Bereich Führung besagen, dass der Komplex Arbeit zum einen im jeweiligen Überlap- pungsbereich von lateraler und vertikaler Kooperation, also z.B. in den konkreten Dienstgruppen und auf den konkreten Dienststellen, durchweg positiv bewertet wird, zum anderen aber der Komplex Arbeit im Bereich der vertikalen Kooperation mit der Inspektionsleitung, zur Behördenleitung und zum obersten Dienstherrn in der Polizeiabteilung des Innenministeriums progressiv negativer bewertet wird. In diese Negativbewertung fließen ebenso der hierarchische Aufbau der Polizei, der Informationsfluss, die mangelnden Mitsprachemöglichkeiten und das fehlende Vertrauen in die Ministerialbürokratie ein. Die Wiederholung der Mitarbeiterbefragung von 1991 in Niedersachsen (vgl. Kapitel 3.4.1) im Jahre 2001 (4.200 zufällig ausgewählte Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte wurden angeschrieben, 2.631 antworteten, Rücklaufquote über 60 %) erbrachte als wesentliches Ergebnis, dass „ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß erlebter Partizipationsmöglichkeiten und der Berufszufriedenheit“ besteht (Ohlemacher et.al. 2002: 76). Die Antworten auf das Belastungsempfinden bestätigten den Eindruck, dass die Arbeit in einer stark hierarchisch aufgebauten Organisation oft ein erhebliches Demotivationspotenzial mit sich bringt. So ist aus der Befragung ersichtlich, dass bei denjenigen, die beruflich sehr stark beansprucht sind, nur dann die Berufszufriedenheit beeinträchtigt wird, wenn wenige oder keine Handlungs- und Entscheidungsspielräume vorhanden sind. Anders ausgedrückt: Eine hohe Arbeitsbelastung schlägt nicht negativ auf die Berufszufriedenheit durch, wenn die entsprechenden Handlungs- und Entscheidungsspielräume vorgegeben sind (a.a.O. 71). Auch ist zum Zusammenhang zwischen der Bewertung der eigenen alltäglichen Arbeitsbelastung und der Berufszufriedenheit zu sagen, dass Polizisten, die ihre Arbeitsbelastung als „genau richtig“ bewerten, eine hohe Berufszufriedenheit aufweisen. Anders ausgedrückt: Es besteht ein enger negativer Zusammenhang zwischen 208 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Berufszufriedenheit und Unter- bzw. Überforderungserleben in der täglichen Arbeit (a.a.O. 59). Zusammenfassend lässt sich feststellen: Polizisten beklagen in ihrer Arbeit Vergeblich- keits- und Sinnlosigkeitsempfindungen, es fehlt oft an sinnhaftem Wirksamkeitserleben. In Bezug auf ihre Vorgesetzten wachsen das Misstrauen und die Kritik in dem Maße, in dem der Kernbereich der eigenen Arbeit, an dem die eigene Person unmittelbar parti- zipiert, weniger berührt ist. Es mangelt den Polizisten an Anerkennung und Wertschätzung, an Beteiligung und an Entfaltungsmöglichkeiten. Dabei ist empirisch nachgewiesen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß erlebter Partizipationsmöglichkeiten, abgestimmter Arbeitsbelastung und der Berufszufriedenheit besteht. Die allgemeine Unzufriedenheit der Polizisten mit der vertikalen Kooperation legt die mögliche Interpretation nahe, dass die meisten Vorgesetzten vor allem die Erfüllung ihrer Sachaufgabe wahrnehmen, aber nur unzureichend die der Personenaufgabe, die in den Rahmen der Mitarbeiterführung fällt. Sie scheinen sich nicht die Zeit zum Führen zu nehmen. Das ist eine paradoxe Situation. Vorgesetzte sollen eigentlich führen, wenden sich aber de facto vor allem der Sachaufgabe zu, sind also sozusagen hierarchisch aufgewertete Sachbearbeiter. Die mögliche positive Multiplikatorenwirkung auf die Mitarbeiter wird damit stark reduziert. Wenn sich Vorgesetzte auch für den Bereich der Mitarbeiterführung in der Polizei verantwortlich fühlen würden, dürfte die in den Befunden zum Ausdruck kommende Unzufriedenheit nicht so groß und flächendeckend sein. Gestützt wird diese Interpretation von Sprenger (2000: 115), einem exponierten Vertreter der deutschsprachigen Managementliteratur. Für ihn ist das gesamte Projekt der Personalentwicklung mit seinen Milliardeninvestitionen nahezu vollständig gescheitert. Seiner Meinung nach würden drei von vier Führungskräften, vor die Wahl gestellt, ein Mitarbeitergespräch zu führen oder ein Sachproblem zu lösen, das Sachproblem wählen. Vier von fünf seien nicht in der Lage, den Job zu machen, für den sie bezahlt werden: Rahmenbedingungen für hohe Mitarbeiterleistung zu schaffen. Sprenger beklagt die Überzahl der „macht- und karriereorientierten Selbstoptimierer“, die Millionenbudgets verwalten, die kompliziertesten Betriebssysteme steuern, aber unfähig sind, ein Mitarbeitergespräch auch nur einigermaßen dialogisch und adressatenbezogen zu führen. Für ihn sind Führungskräftetrainings oftmals „hit ’n run“ und damit weitgehend wirkungslos, da keinerlei Transferverknüpfung mit dem Führungskräftealltag stattfindet. Was Sprenger für die Wirtschaft diagnostiziert, beschreibt Schmidt (1997: 92) in ähnlicher Weise für die Polizei. Nach seinen Feststellungen werden polizeiliche Führungskräfte den unterschiedlichen Rollenerwartungen oftmals nicht gerecht. Er sieht die Ursachen aber weniger im Karrieredenken oder opportunistischen Verhalten, sondern überwiegend in diffusen und nicht transparenten Erwartungshaltungen und in der Unfähigkeit, sich im Dialog mit Vorgesetzten, Gleichgeordneten und Mitarbeitern darüber auseinander zu setzen. 209 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Distanzbildung und wechselseitige Abschottung (s. Kapitel 3.2.2.1 „Polizeikultur versus Polizistenkultur“) haben zu einer Situation geführt, in der die beidseitigen Erwartungen unrealistisch und die Realitätswahrnehmungen verzerrt sind, die jedoch in den relevanten Referenzgruppen aufrechterhalten werden. Es wird zukünftig erforderlich sein, vermehrt Bedingungen zu schaffen, die das wechselseitige Misstrauen abbauen und durch eine Ori- entierung an objektiven Leistungskriterien ersetzen. So macht Christe-Zeyse (2003: 41) eindringlich darauf aufmerksam, dass ein falsch verstandenes Controlling leicht zu einer moderneren Spielart bürokratischen Kontroll- wahns wird; eine Kosten- und Leistungsrechnung, deren Daten nicht zur Effizienzsteigerung genutzt werden, entartet zum teuren und zeitaufwändigen Datenfriedhof; eine dezentrale Ressourcenverantwortung, die nur dem Kostensparen dienen soll, inthronisiert genau dieselben Verhaltensweisen wieder, die man endgültig beseitigt glaubte; ein Benchmarking, das Behörden in eine Art Hitliste zwingt, lenkt knappe Ressourcen in die Manipulation von Statistiken; und eine outputorientierte Steuerung, die nicht auf Wirkungen ausgerichtet ist, produziert zwar Kennzahlen, aber keinen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger. Die Auswahl geeigneter Selbstbeobachtungen, häufig in Form von relevanten Kennzahlen, bildet einerseits eine unverzichtbare Grundlage für die wirksame Steuerung einer Organisation, andererseits ist die Erstellung dieser Kennziffern immer selektiv und damit riskant, da an keiner Stelle in der Organisation ein vollständiger Überblick über alle relevanten Einflussfaktoren vorliegt. Die Organisation entzieht sich so immer wieder der eigenen Beobachtung und ist deshalb in besonderem Maße auf die Aufmerksamkeit der Führung angewiesen. Die Aufmerksamkeit der Führung ist auch insofern hochgradig relevant, als es gilt, Grenzen auf Grund von Zielkonflikten klar zu benennen und nicht durch diffuses Visionsmanagement zu verwischen. So arbeitet Brinckmann (1996: 315) heraus, dass das Performanzmanagement, das Mittelzuweisung auf der Basis von Indikatoren und Kennzahlen zum Ziel hat, überall dort relativ leicht umzusetzen ist, wo sich Aufgaben und der Grad der Aufgabenerfüllung quantifizieren lassen; in den Feldern komplizierter Dienstleistungen stößt es allerdings schnell an seine Grenzen, weil Qualitäten sich nur schwer in Kennzahlen umsetzen lassen und zudem divergierende Interessen an der Art und Weise der Aufgabenerfüllung bestehen, weshalb mehrdimensionale Standards erforderlich sind. Versucht man, komplexe Outputs durch komplexere Indikatoren besser zu erfassen, steigt die Regelungsdichte notwendigerweise an. Es besteht die Gefahr, dass an die Stelle der Überregulierung des Verfahrens (vgl. Kapitel 3.1) die Überregulierung der Outputs tritt. Das diese Gefahr ganz real ist, beweisen Beispiele aus anderen Bundesländern, die teilweise schon über größere Erfahrungen im Umgang mit den Neuen Steuerungsinstrumenten verfügen. Gerhard Gößler, Vizepräsident des Rechnungshofes in Baden Württemberg, berichtet über einen Pilotversuch, Kennzahlen für die Polizei zu ge- 210 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse nerieren. Diese Kennzahlen bilden eine Grundlage für Analysen, z.B. für solche über den Zusammenhang zwischen der Zahl der Fußstreifen und den Fallzahlen der Straßenkrimi- nalität. Sein Resümee: „Die Dauer solcher Untersuchungen ist beachtlich: bei der Polizei waren es 11 Monate, unter anderem, weil zeitintensive Befragungen durchgeführt werden mussten. Der Aufwand dieser Methode bei der Zielentwicklung, der Priorisierung und bei der Verknüpfung nicht konsistenter Messgrößen ist hoch“ (Gößler, 2003: 42). Eindringlich weist er darauf hin, dass die Methode an die Grenzen der Praktikabilität stößt, wenn man in den verschiedenen Ressorts nicht nur einige wenige Kennzahlen entwickelt, sondern Dutzende. Im Wissen um den Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und Unter- und Überforde- rungsaspekten in der Arbeit kommt der Vereinbarung von Zielen, welche die Mitarbeiter optimal aktivieren eine hohe Bedeutung zu. So sollte für Führungskräfte nicht nur die Entscheidung über die qualitative Natur der Ziele, sondern auch die Entscheidung über die Höhe der an die Mitarbeiter gerichteten Anforderungen, also der quantitative Aspekt von hoher Wichtigkeit sein. Die Vereinbarung von Arbeitszielen macht eine „klare Linie“, sozusagen das direktive Element des Führungsverhaltens, keineswegs überflüssig. Bei einem aktivierenden Führungsverhalten werden den Mitarbeitern im Alltag Rückmeldungen („feedback“) über das erreichte Leistungsniveau gegeben. Hierzu gehört, dem Mitarbeiter gegenüber bei guter Leistung Anerkennung auszusprechen was dessen Motivation einen wichtigen Schub geben kann. Zu einem aktivierenden Führungsverhalten gehört aber auch, die Mitarbeiter „umfassend“ zu informieren. Nur so kann eine Arbeit bzw. Tätigkeit auch als „sinnvoll“ erlebt werden. Für die Motivation der Mitarbeiter ist es aber ebenfalls von großer Bedeutung, dass die Führungskraft ihre „Vorbildfunktion“ ernst nimmt und sie engagiert ausfüllt. Klages (2003: 11) präsentierte nach einem zweijährigen Forschungsprojekt zum Umset- zungsstand von Zielvereinbarungen in der Verwaltung ein ernüchterndes Ergebnis. Er stellte fest, dass der Zielvereinbarung auf der Ebene der Reformpraxis, im Vergleich zu anderen Modernisierungselementen, eher eine nachrangige und periphere Rolle zukomme. Dort, wo Mitarbeitergespräche durchgeführt wurden, war es den Beteiligten in der Regel freigestellt, Zielvereinbarungen abzuschließen oder auch auf sie zu verzichten. In den Mittelpunkt rückte vielfach das Ersatzziel, sich bietende Chancen zu einer zweckfreien dialogischen Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern sporadisch zu nutzen, allerdings ohne dass hiermit auch die weiterführende Absicht zu einer konkreten Zielvereinbarung verbunden gewesen wäre. Mit der Zielvereinbarung blieben dann aber auch die sonstigen auf die PE-bezogenen Programmpunkte auf der Strecke. Sehr unterschiedlich waren aber auch die Berichte der Führungskräfte und der Mitarbeiter über das, was in den Gesprächen ablief. So sahen die Führungskräfte die Mitarbeiterge- spräche durch die rosarote Brille, die Mitarbeiter aber neigten zur Skepsis. Deren Meinung zufolge erreichten Gespräche nicht die eigentlich angestrebte Intensität. Was den 211 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Mitarbeitern besonders fehlte, war das nachdrückliche Vermitteln von Orientierung und Sicherheit, das intensive Sprechen über Fortbildung, über Ziele und über die Einhaltung früherer Zielvereinbarungen. Als relativ unbefriedigend bewerteten die Mitarbeiter auch die „Berufliche Entwicklung“ und die „Aufgabenerfüllung“ (a.a.O. 12). Angesichts der Reformbemühungen im Rahmen des NSM meint Christe-Zeyse (2003: 48), dass fast überall dort, wo Budgetierung und dezentrale Ressourcenverantwortung eingeführt wurden, sich ein vergleichbares Bild zeigt: Die vergrößerten Freiräume, die Zusammenführung von Aufgabe und Ressourcenverantwortung, die bedarfsgerechtere Beschaffung und das größere Maß an Wirtschaftlichkeit stoßen eher auf Zustimmung, da Beschaffungen sehr viel stärker an den Bedürfnissen der operativen Ebene ausgerichtet werden können als im herkömmlichen System. Dabei wird oft zum spielentscheidenden Faktor, ob die politische Führung es mit den gegebenen Versprechen ernst meint oder ob die im Rahmen der „neuen“ Steuerung erarbeiteten Freiräume und Gestaltungsmöglichkei- ten wieder einkassiert werden. So berichten Christe-Zeyse (ebd.) und Lange & Schenk (2004: 67) von einzelnen Finanzministern der Länder, die den budgetierten Behörden – entgegen den ursprünglichen Zusagen – die erwirtschafteten Effizienzgewinne wieder ab- nahmen, um damit Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. Waren die mangelhafte Ausstattung, das intransparente Beschaffungssystem und die organisatorische Vorherr- schaft der Verwaltungsabteilung bei der Verteilung von Ressourcen im Rahmen der „alten“ Steuerung etwas, was zwar missmutig registriert, auf der anderen Seite aber auch resignierend hingenommen wurde, so wuchs sich die Unzufriedenheit über die Mittelkürzungen an vielen Stellen zur offenen Empörung aus. Hierdurch werden nicht nur die vorhandenen positiven Potenziale konterkariert, sondern die Motivationsgrundlage der Beschäftigten nachhaltig zerstört, da man diesen erst Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten gibt, um sie ihnen dann wieder zu nehmen. Wäre es da nicht besser gewesen, von Anfang an alles beim Alten zu lassen? Wie lässt sich Führung in der Polizei im Spannungsfeld zwischen alter und neuer Steuerung anschluss- und zukunftsfähiger denken? Es scheint für die Polizei noch fremd zu sein, Führung weniger von der althergebrachten funktionsorientierten Gliederung des Organisationsaufbaus her zu definieren, als vielmehr von ihrer Bedeutung als Organisator des Zusammenspiels von weitgehend selbständigen und eigenverantwortlichen Einheiten. Würde man sich letzterer Sichtweise annähern, dann wäre die logische Konsequenz ein Führen über Zielvereinbarungen auf der Grundlage gemeinsam getragener Controllinginstrumente. Wechselseitige Verbindlichkeit würde dann weniger über hierarchischen Zwang entstehen, sondern mehr durch Selbstfestlegungen, die im Prozess des Aushandelns unterschiedlicher Positionen erfolgen. Eine in diesem Sinne ausgestaltete Führung würde „sicherstellen, dass die einzelnen Organisationseinheiten ihren autonomen Handlungsspielraum im Dienste des gemeinsamen Ganzen ausfüllen“ (Wimmer 1996: 50). 212 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Auf der personalen Ebene bedeutet die permanente an die Führungskräfte gestellte Herausforderung, die Paradoxie von der „Abhängigkeit von Personalressourcen – der Autonomie der Beteiligten“ erfolgreich zu managen. Denn einerseits wächst die Abhängigkeit der Organisation Polizei von ihren Beschäftigten aufgrund der knappen öffentlichen Kassen, erhöhten Leistungsanforderungen bzw. der wachsenden Bedeutung des Faktors „Wissen“. Allein die vertragliche Bindung von Beschäftigten stellt jedoch nicht sicher, ob die Organisation über das eingestellte Personal bzw. das Leistungspotenzial verfügen kann. Es bedarf einer feinen Justierung von Personal- und Organisationsinteressen, denn zum einen gilt es, die Absicherung der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten im Sinne der Organisationsziele durch Instrumente der Personalauswahl und Personalentwicklung zu befördern, zum anderen aber auch, Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten auf der Grundlage einer tragfähigen Eigeninitiative gesteigert werden können. Auf der organisationalen Ebene bedeutet die permanente an die Führungskräfte gestellte Herausforderung, die Paradoxie vom „Schutz vor Unsicherheit durch Grenzziehung – Durchlässigkeit von Grenzen durch permanente Irritation“ erfolgreich zu managen. Dabei muss auch in der hierarchischen Organisation Polizei das Verhältnis zwischen kreativen Freiräumen und nicht kontrollierbarer Selbststeuerung einzelner Organisationseinheiten auf der einen und der Schaffung notwendiger Regeln und Strukturen im Sinne verlässlicher Rahmenbedingungen auf der anderen Seite immer wieder ausbalanciert werden. Die Notwendigkeit permanenter Organisationsveränderungen löst bestehende Sicherheiten auf und schwächt den Zusammenhalt der Organisation, was auch die Polizei erlebt. Je schneller und häufiger Veränderungen initiiert werden, desto größer wird bei allen Beteiligten das Bedürfnis nach Stabilität. Dabei ist es die Gestaltungsaufgabe von Führung, die Organisationsverhältnisse so auszugestalten, dass genügend Gestaltungs- und Handlungsspielräume für professionelles Handeln der Beschäftigten gewahrt bleiben, ohne dass der Zusammenhalt des Ganzen gefährdet wird. Gerade im Polizeiberuf hat der Zusammenhalt zwischen Kolleginnen und Kollegen eine wesentliche Funktion, wenn es um die Arbeits- und Berufszufriedenheit geht. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht oftmals aus herausfordernden Problemstellungen des polizeilichen Alltags, die jenseits des gleichförmigen Abarbeitens von Routinen liegen: gemeinsam kritische und bedrohliche Situationen im Streifendienst meistern, gemeinsam in einer Sonderkommission die vielfältigen Spuren untersuchen, dabei reichlich Überstunden und erhebliche Einschränkungen des Privatlebens in Kauf nehmen, gemeinsam physisch und psychisch belastende Großeinsätze durchstehen. Das schweißt zusammen. Aber nicht nur die Bewältigung von schwierigen Einsatzsituationen schweißt Menschen zusammen, sondern auch die gemeinsame Erreichung von Zielen, wenn sie denn als sinnvoll und wertig erlebt werden und von daher gemeinsam getragen werden. 213 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Ein modernes Management mit Zielvereinbarungen, Strategieentwicklung und Controlling würde in diesem Sinne nur dann funktionieren, wenn die Führungskräfte diese Instrumente in einen Prozess einbetten können, der auch die Bedürfnisse der Beschäftigten nach Selbständigkeit, Klarheit, Sinnerfüllung und Orientierung berücksichtigt. Wer eine Wirkung erzielen und Probleme lösen will, kommt um Überlegungen hinsichtlich der Ursachen und möglicher Lösungswege nicht herum. Da das außerordentlich komplexe Tätigkeitsfeld der Polizei weitgehend durch die Probleme anderer bestimmt ist (vgl. Kap. 3.1), erlangt die Zusammenarbeit mit anderen Stellen und Einrichtungen eine hohe Wichtigkeit. Diese Zusammenarbeit muss gut geplant, koordiniert und organisiert werden. Ein Arbeitsteam, das erfolgreich sein möchte, muss sich also über Ziele verständigen, um erfolgreich arbeiten zu können. Und wenn diese Ziele vereinbart sind, bedarf es der Entwicklung einer Strategie, um diese auch zu erreichen. Dabei darf die Frage nicht vergessen werden, woran man denn erkennt, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden. Somit würde die Frage nach den richtigen Kennzahlen ins Spiel kommen. Hierüber müsste man sich auseinander setzen, was völlig neu wäre. Die vielfältigen Befunde, in denen Polizistinnen und Polizisten über mangelnde Anerkennung und Sinnlosigkeitsempfindungen ihrer Arbeit klagen, legen nahe, dass der Arbeitsalltag eben nicht durch Ziele und Leistungsvorgaben seitens der Führungskräfte geprägt ist. Bei der Einbindung der Beteiligten in eine zu formulierende Strategie wird daher ein hohes Maß an Empathie und Verständnis gefordert – sowohl bezogen auf die Schwerpunkte und Arbeitsweisen der operativen Ebene als auch auf die Informationsbedürfnisse der jeweiligen Organisationseinheit. Eine zentrale Aufgabe der Steuerung bestünde dann darin, diese Ambivalenz so weit auszubalancieren, dass einerseits nutzbare Informationsgrundlagen geschaffen werden können, andererseits das Wissen um deren Grenzen bewusst bleibt, denn das Wissen um die Anzahl der durchgeführten Geschwindigkeitskontrollen sagt noch nichts darüber aus, ob eine Wirkung auf die Reduzierung der Unfallhäufigkeit erzielt wurde, geschweige denn ob nachhaltige Verhaltensänderungen beim Adressaten, nämlich langsamer zu fahren, erreicht wurden. Nach Lange & Schenck (2004a: 400 f) gehören solche angestrebten Verhaltensänderungen zu den „Impact-Orientierungen“, die besonders schwer messbar und prinzipiell problema- tisch sind, wenn das polizeiliche Handeln allein daran gemessen würde, ob es „erzieherische“ Effekte erreicht. In Abgrenzung hierzu führen sie die alternative „Out- come-Orientierung“ ein, wobei das Konzept des „Outcome“ durchaus anstrebt, Verhaltensänderungen zu erreichen, „nimmt diese aber nicht zum Maßstab“ (a.a.O. 401). Ihres Erachtens bietet „Outcome“ den Vorteil, dass es einerseits gesellschaftliche, andererseits prinzipiell feststellbare Effekte zum Ziel hat. Notwendig ist hierzu, dass die vom Parlament verabschiedete globale Zielsetzung in konkrete Zielerreichungsschritte unterteilt wird. Der Umsetzungsplan ist mit ebenso konkreten Zielerreichungsschritten bzw. Behördenzuständigkeiten (wer macht was, wann und wie) auszuweisen. Es ist die Aufgabe des jeweiligen Innenministeriums, die Zielerreichungsschritte mit den zuständigen Polizeibehörden zu vereinbaren. Innerhalb der Behörden gilt es, vergleichbar 214 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse mit den zuständigen Dienststellen konkrete Umsetzungen zu vereinbaren. Die ausgewiesenen Zielerreichungsschritte dürfen sich dabei nicht an rein verwaltungsinternen Logiken (Effizienzsteigerung, methodische Berechenbarkeit) ausrichten, sondern müssen daran orientiert sein, gesellschaftlich vorgegebene Ziele zu erreichen. Wirkung ist in diesem Sinne zu definieren als der Grad an realisierten Zielformulierungen. Ein solcher Wirkungsbegriff ist qualitativ angelegt. Er differenziert zwischen Adressaten (z.B. Straftä- ter), Betroffenen (z.B. Opfer von Straftaten) und Kooperationspartnern (z.B. Jugendämter, Drogenberatungsstellen) und ermöglicht es von daher ebenso, differenziert Rückmeldungen über die intendierten bzw. nicht intendierten Folgen polizeilicher Maßnahmen bei der Umsetzung der Programme einzuholen. Weichen die erreichten Ergebnisse von den Zielvorgaben ab oder treten vermehrt nicht intendierte Effekte auf, gilt es seitens der Behördenleitung gegenzusteuern. Gerade weil es hier immer um weitreichende Eingriffsbefugnisse geht, welche den Polizeibehörden zur Verfügung stehen, müssen gleichberechtigt zu den Indikatoren von Effizienz und Effektivität solche der Bürgerrechte treten. Auf die Einhaltung dieses Gleichgewichtes zu achten, ist eines der zentralen Ziele des parlamentarischen Controlling. Ebenfalls aus diesem Grund ist der Behördenleiter politisch verantwortliche Leitungsperson. Auf diese Weise angewandt sind quantitative Erhebungstechniken notwendige Bestandteile eines qualitativ verstandenen Wirkungsbegriffs. Diese Techniken können sein: Straftäterbefragungen, Opferbefragungen, Zielgruppenbefragungen (z.B. Einzelhändler), allgemeine Bürgerbefragungen (z.B. in sozialen Brennpunkten). Dabei setzt Evaluierung aber immer voraus, ortsspezifische Besonderheiten (Bevölkerungsverteilung, Einkommensstruktur, soziale Situation etc.) zu berücksichtigen. Damit bekommt der Aspekt der Datenerfassung, Datenhaltung und Datenauswertung eine ganz neue Dimension. Allerdings ist bei diesem Verfahren ernstlich zu fragen, ob die Motivation der Mitarbeiter beim Zusammentragen und Eintippen von Daten eine Steigerung erfährt, da man ja nun Sinn und Zweck der Erhebung kennt oder sich angesichts des ungeheuren Aufwandes gegenteilig auswirkt. So machen Lange & Schenck (ebd.) deutlich, dass ein Evaluierungs-Controlling dann zum Problem wird, „wenn es aufgrund der unzweifelhaft vorhandenen Schwierigkeiten der Wirkungsforschung dazu übergeht, Standardisierungen mit der Absicht zu konstruieren, messbare und berechenbare Zahlen zu erhalten“. Damit Führungskräfte sich in diesen Strukturen zurechtfinden und sie aktiv ausgestalten, müssen sie wissen, wie die Instrumente funktionieren, was sie zu leisten im Stande sind und was nicht. Sie müssen aber auch ihre Ängste, Unsicherheiten und Widerstände erkennen und reflektieren, müssen sowohl wissen, wie ihr Führungsstil den „Geist“ in der Dienststelle prägt, als auch darum, was sie ihren Mitarbeitern zumuten können und was nicht. Dabei sollten sie aber auch einschätzen können, wie bürokratische Organisationen auf Veränderungsbemühungen reagieren, wie man mit den tief verwurzelten Erscheinungsformen einer polizeilichen Organisationskultur umgeht und wie man in hierarchischen Organisationen mit Abhängigkeiten, Macht und Statusfragen klug umgeht. Ein hervorragendes Übungs- und Betätigungsfeld hinsichtlich der Umsetzung von 215 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse innovativen Wandelbemühungen in den polizeilichen Alltag bietet die Konzeption und das Management von Projekten. Projektmanagement in der Polizei ist eine Herausforderung, denn es bedeutet, das hierarchische System reflexiv in Frage zu stellen. Damit endet der Exkurs, und die folgende Einführung markiert gleichzeitig den Beginn des nächsten Hauptkapitels. 5.3 Projektarbeit zwischen Autonomie und Abhängigkeit Zunehmend versuchen auch traditionelle Organisationen wie die Polizei, deren Aufgaben- verfolgung projektförmiges Arbeiten nicht von vorneherein nahe legt, ihre interne Entwicklung, ihre organisationsbezogenen Veränderungsprozesse und die Lösung spezifischer Probleme mit Hilfe von Projekten zu realisieren. Dabei herrscht oftmals die Vorstellung vor, Projektmanagement könne man gewissermaßen additiv zu den bestehenden Organisationsabläufen dazufügen, ohne dass sich dadurch weitere Komplikationen ergäben. Was dabei aber weniger realisiert wird, ist, dass auf diese Weise ein System im System entsteht. Projektarbeit heißt, dass eine oder mehrere Gruppen in einer hierarchischen Organisation arbeiten, wobei das System Gruppe und das System Hierarchie sich in einem dialektischen Widerspruchsverhältnis befinden. Gruppen werden von der Hierarchie eingesetzt, um besondere Leistungen zu erbringen, brauchen dafür aber einen Freiraum, um dazu überhaupt erst in der Lage zu sein. Von daher scheint es für das Verständnis der Untersuchungsergebnisse als wichtig, die Besonderheiten der Projektarbeit in einer hierarchischen Organisation in ihren wesentlichen theoretischen Grundzügen in diesem einführenden Kapitel zu beschreiben. Die Sonderstellung von Projekten in Organisationen stellen Heintel & Krainz (1992: 133) heraus: „Sie haben Anfang und Ende, kennen keine Routine, auf die man schon zurück- greifen könnte, entgegen weitverbreiteten Wunschvorstellungen können sie nicht einfach ,durchgezogen‘ werden, sondern verlangen einen ungewöhnlicheren und aufmerksameren Reflexions-, Planungs- und Entscheidungsaufwand; schließlich zeichnen sie sich durch Kooperationsnotwendigkeiten aus, die Fachbereiche und Hierarchieebenen übergreifen. Man kann daher sagen, dass Projekte ihrem Wesen nach in Widerspruch zur hierarchischen Ordnung der Linienorganisation stehen.“ Nach Wolf (1997: 12) beinhaltet Projektmanagement alle Maßnahmen, mit denen ein Vorhaben in einem interdisziplinären Team zum Erfolg geführt werden soll. Diese Maßnahmen umfassen Methoden, Hilfsmittel, Darstellungen, Werkzeuge sowie ziel- und ergebnisorientierte Verhaltensweisen. Am Ablauf des Vorhabens orientiert, gliedern sich die Maßnahmen in Start-, Planungs-, Steuerungs- und Abschlussaktivitäten. Der Projektleiter begleitet mit seinem Team den Gesamtprozess so lange, bis das Ergebnis vorliegt. Die Bearbeitung einer Aufgabe als Projekt ist nach Düvelmeyer (1999: 251) an folgende Bedingungen geknüpft: die zeitliche Befristung (ein Projektteam bildet sich und löst sich 216 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse nach der Realisierung wieder auf), die operationale Zielsetzung (Aufgaben, bei denen die Ziele nicht präzisiert werden können, sind nicht geeignet für die Projektarbeit), begrenzte Ressourcen (Budget und Personalkapazität lassen sich vor Beginn des Projektes eindeutig begrenzen), die bereichsübergreifende Zusammenarbeit (Aufgaben, die das Zusammenarbeiten von verschiedenen Bereichen/Abteilungen einer Organisation notwendig machen), die Komplexität (verschiedene Arbeitsabläufe innerhalb einer Aufgabe greifen ineinander und müssen vorausschauend geplant und koordiniert werden) und der innovative Charakter (die Aufgabenstellung sollte für die Organisation bedeutsam für Veränderungen und Weiterentwicklung sein). Zur klareren Abgrenzung haben Mayershofer & Kröger (1999: 14) nachfolgende Tren- nungslinien zwischen Projektarbeit und Linienarbeit gezogen. 217 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Merkmal Projektarbeit Linienaufgabe Zielorientierung Zieldefinition eher als kon- tinuierlicher Prozess Eher klar vereinbarte Ziele in definiertem Zeitraum Zeitliche Begrenzung Aufgabe endet zu definier- tem Zeitpunkt Kontinuierliche Funktion, die erst endet, wenn Pro- duktwechsel ansteht Einmaligkeit und Neuartig- keit Jedes Projektprodukt ist ein Unikum Produkte und Dienstleistun- gen werden immer wieder in der gleichen Form und Aus- führung erbracht Komplexität Jeder Arbeitsprozess im Projekt muss neu erfasst, geplant und gestaltet werden Ziel: Standardisierung und Vereinfachung wiederholba- rer Prozesse Aufgabenbezogenes Budget Budget bezieht sich auf Aufgabe Budget bezieht sich in der Regel auf Funktionsbereich Rechtlich organisatorische Zuordnung Vorübergehende Organisati- onsform, die bei jedem Projekt eingerichtet wird Dauerhafte Organisation Interdisziplinarität Synergien durch unter- schiedliche Disziplinen Fachleute aus einer Diszip- lin übernehmen eine Funktion Abb. 17: Unterschiede Projekt- und Linienarbeit Zusammengefasst lässt sich ein Projekt folgendermaßen charakterisieren: Es hat ein defi- niertes Ziel, ist zeitlich begrenzt, weist eine gewisse Einmaligkeit auf, ist gegenüber anderen Vorhaben abgegrenzt, hat einen finanziellen und personellen Rahmen und erfordert eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit sowie eine spezifische Organisation und Leitung. Die Abbildung verdeutlicht das konfliktreiche Spannungsfeld, in dem sich die Führungs- kräfte befinden. Die Polizei als klassische Linienorganisation, die von Dauerhaftigkeit, Routinen und Verfahrensförmigkeit geprägt ist, übt sich in Projektarbeit, die sich durch Einmaligkeit, Neuartigkeit und Komplexität auszeichnet. Der Einmaligkeitscharakter von Projekten bildet einen erheblichen Kontrast zu dem, was man in einer Linienorganisation gewohnt ist. Dort wird ja versucht, so viel wie möglich zu standardisieren und die Dinge so dauerhaft zu organisieren, dass möglichst wenig passiert. Bei Projekten dagegen lassen sich die Dinge weniger leicht routinisieren, umso wichtiger erscheint es daher, das 218 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Feedback zu institutionalisieren. Wenn in Projekten Personen aus verschiedenen Abteilungen quer durch die Hierarchie und aus verschiedenen Fachdisziplinen zusammengezogen werden, ergibt sich eine komplexitätsangemessene Synthetisierung der Kräfte, was aber gleichzeitig organisatorisch einen Widerspruch zur Hierarchie etabliert. Der Widerspruch stellt sich wie folgt dar: Um Veränderungsanforderungen zu erfüllen, reicht die Starrheit von Kommunikationsme- chanismen der Hierarchie nicht aus. Es bedarf einer intensiven Mobilisierung von Kommunikation, um aus verschiedenen Organisationsbereichen Informationen zu generie- ren, die wichtig und relevant für die angemessene Lösungsfindung sind, wie es z.B. durch Projektarbeit geschieht. Andererseits kann die Vielzahl und Masse von Kommunikations- anforderungen und Kommunikationswegen eine Organisation enorm belasten, insbesondere tradierte, hierarchische Organisationen, die wenig Übung im Umgang mit der Projektarbeit haben. Spannung verspricht die Frage, wie sich der Widerspruch Projektarbeit versus hierarchische Linienorganisation Polizei durch die Teilnehmer „managen“ lässt? Dieses Problem wurde noch durch die Dynamik angereichert, dass Projektarbeit als „learning by doing on the job“ angelegt ist, die Qualifizierung also fortlaufend und prozessabhängig sind, während die zuvor erlebte „Seminarwelt“ eine eigene lernträchtige Wirklichkeit darstellte, aber nicht jene, um die es eigentlich ging. Projektarbeit ist eine Arbeitsform, die der bisherigen organisationalen Struktur und den von ihr geprägten Arbeitshaltungen der Mitarbeiter entgegenläuft. Daraus entstehen neue Gegensätze und Widersprüchlichkeiten. Ein Dilemma ist hierbei, dass Projektleiter unter der Unvereinbarkeit zweier einander widersprechender Organisationsanforderungen arbeiten müssen, denn auch während der Projektarbeit bleibt die hierarchische Struktur ja weiter bestehen. Die Mitglieder der Projektgruppe befinden sich in einer Situation „doppelter Verantwortlichkeit“ (Bengstermann, 1990: 92): Sie sind einerseits dafür verantwortlich, dass die Projektgruppe über Planungen und Verhandlungen das Projektziel erreicht, andererseits sind sie ihren hierarchisch organisierten Einheiten rechenschaftspflichtig. Der Projektleiter bleibt auch unter diesen veränderten Arbeitsbedingungen für die fachgerechte Erfüllung der Aufgaben seiner Mitarbeiter verantwortlich, er muss den Überblick und die Kontrolle behalten, wodurch er sich in einem nicht auflösbaren Widerspruch befindet: „Seine Position bleibt hierarchisch definiert, aber nicht mehr hierarchisch ausübbar“ (Buchinger, 1997: 86). 5.3.1 Projektmanagement in einer weitläufigen Projektlandschaft Nach Witschi & Schlager & Scheutz (1998: 81) ist Projektmanagement in hohem Grade auch Beziehungsmanagement. In diesem Sinne bedeutet Projektmanagement nicht nur die Handhabung von Problemlösungen, sondern ebenso das Management von Kommunika- 219 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse tion und Energien. Mayrshofer & Kröger (1999: 77) heben als besondere Kompetenzen des Projektleiters die Prozess- und Strukturierungskompetenz heraus. Mit Prozesskompetenz meinen sie die Fähigkeit, unabhängig von den Inhalten die Arbeits-, Kooperations- und Entscheidungsprozesse zu steuern. Strukturierungskompetenz bedeutet, die Übersicht über die Komplexität des Projektes und die Zerlegung in zeitliche und inhaltliche Teilprozesse zu behalten, deren Einhaltung der Projektleiter kontrolliert. Für Düvelmeyer (1999: 255) kann der Projektleiter, als „Vorgesetzter“ auf Zeit, die Motivation „seiner“ Mitarbeiter beeinflussen, und zwar durch leistungsfördernde Aufgabenverteilung, einen kooperativen Führungsstil, eine offene Informationspolitik nach innen und nach außen, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Vertretung der berechtigten Interessen der Projektgruppe gegenüber dem Auftraggeber. Die unterschiedlichen Zugänge und Beschreibungen der Führungsaufgaben visualisiert Lemke (2000: 19) durch ein Dreieck, dass sich durch die Schenkel Aufgaben, Befugnisse und Verantwortung charakterisieren lässt. 220 5 . D a rstellu ng u nd Inte rp retatio n d e r U nte rsu ch u ng se rg eb nisse A bb . 18 : In stru m ente d es P rojektm an ag em ents in d er P erso n alentw icklu ng au s: H . J . L em k e (2000 : 19) Projektleitung Aufgaben Befugnisse Verantwortung Planung, Steuerung und Überwachung der Kapazitäten und der Projektarbeit Auswahl, Zusammensetzung und Leitung des Projektteams Strukturierung in Teilaufgaben Zusammenfassung zu Gesamtberichten Informationen beschaffen und auswerten Berichterstattung an AG Regelkommunikation festlegen protokollierte Besprechungen Entscheidungen herbeiführen fachliches Weisungsrecht Einfordern von Kapazitäten und Know-how Vergabe von internen Aufträgen Ansprechpartner nach innen und nach außen Erreichung der Projektziele (Termin – Qualität – Kosten) Budget- und Kostenverantwortung inhaltliche Ergebnisverantwortung geeignete Projektorganisation regelmäßige Prüfung der Ergebnisse 221 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Neben der guten und vorausschauenden Planung machen Doppler & Lauterburg (1999: 277) auf die Wichtigkeit der Dynamik und der Vernetzungen (Hervorhebungen im Origi- nal) aufmerksam, die sie als erfolgsentscheidende Faktoren im Projektverlauf betrachten. Die Struktur der Dynamik von Projektverortungen und ihre Vernetzung in der Linienorga- nisation Polizei war auf Grund der Vielfalt und Weitläufigkeit der Projektlandschaft nur noch unklar und unkonturiert wahrnehmbar. Eine Abfrage der Steuerungsgruppe im Niedersächsischen Innenministerium vom Sommer 1999 ergab folgendes Ergebnis: Bei einer Beschäftigtenzahl von 19.351 in der niedersächsischen Polizei waren zum Zeitpunkt der Erhebung 290 laufende, geplante bzw. abgeschlossene Modernisierungsprojekte (nicht nur Personalentwicklung, auch Projekte im Bereich Führungskräfteentwicklung, Qualitätsmanagement, Controlling, Kosten- Leistungsrechnung etc. – Ergänzung des Verfassers) gemeldet, an denen 1.540 Be- schäftigte beteiligt waren, was eine Beteiligungsquote von knapp 8 % ausmachte (vgl. Drögemüller, 2000). Bei knapp 300 Projekten in der niedersächsischen Polizei mit jeweils sehr heterogener Ausrichtung und Intention kann man schon mal den Überblick verlieren. Nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist dem Autor die Präsentation eines Controller der niedersächsischen Polizei zum Thema „Das Qualitätsmanagement der Polizei des Landes Niedersachsen“. Eines der eindringlichsten Schaubilder war „Wir ertrinken in Informationen und hungern nach Wissen“ (ebd.). Die widersprüchliche Aussage eines „Wissenden“ kennzeichnet ein Informationsparadox. Normalerweise wird erwartet, dass Entscheidungen umso besser ausfallen, desto besser sie durch Informationen abgestützt sind. Andererseits gilt: Je mehr Informationen man hat, desto schwieriger wird es, diese Informationen zu verarbeiten, in Beziehung zu setzen, Schlussfolgerungen zu ziehen und: desto mehr werden Entscheidungen und Handlungen hinausgezögert. Das Leiden, das durch die Überflutung mit Informationen verursacht wird, verdeckt oftmals das eigentliche Problem, nämlich das Kommunikationsdefizit. Kommunikation wird hier verstanden als Austausch untereinander, als ein Aufeinanderzugehen und ein Sichauseinandersetzen – alles Dinge, welche die Voraussetzung und Möglichkeit für eine Verständigung bilden. Das eigentliche Defizit liegt in der Verständigung, nicht in der Information. Hinter dem Wunsch nach mehr „Wissen“ verbirgt sich ein tieferes Anliegen. Betroffene wollen Entwicklungen und Veränderungsprojekten nicht einfach ausgeliefert sein, sondern rechtzeitig in Hintergründe und Zusammenhänge eingeweiht werden. Betroffene haben das Bedürfnis, mitteilen zu können, wie es ihnen mit diesen Vorhaben geht – in der Hoffnung, dass ihre Anliegen berücksichtigt werden. Allerdings ist es die Eigenart von Veränderungsprozessen, auf unbekannte Ziele zuzusteuern und dass sie sich auf teilweise unbekanntem Terrain abspielen. Das verursacht Angst. Angst kann zu Lähmungen und Blockaden führen. Andererseits gilt es, Systeme aus ihrer satten Zufriedenheit zu lösen und in Unruhe zu versetzen, wenn sie veränderungsfähig werden sollen. Wer mit allem zufrieden ist, ist genauso veränderungsresistent wie jemand, der von Angst blockiert ist. Dieser Prozess 222 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse konstruktiver Beunruhigung unter gleichzeitiger Vermeidung von Angstblockaden ist eine Gratwanderung. Das ist aber nicht die einzige Gratwanderung. Wenn nämlich die zu verändernde Organisation selbst schon sehr kompliziert ist – in diesem Fall handelt es sich um eine Landespolizei –, werden durch die Bewältigung der eigenen Komplexität viele Kräfte absorbiert, und die Projektorganisation wird nur schwer mit der Gestaltung und Leitung des Veränderungsprozesses im noch komplexeren Adressaten- bzw. Klientensystem fertig werden. Wenn aber andererseits die Veränderungsstrategie zu simplifizierend angelegt ist, wird sich das Adressatensystem gegen diese Simplifizierung wehren, weshalb die Veränderungsvorhaben kläglich scheitern können. Hier den goldenen Mittelweg zu finden, ist schwer und erfordert von allen, die für die Veränderung verantwortlich sind, größte Wachheit in der Wahrnehmung des Systems und viel Kreativität bei der Manövrierkunst. Wie war die Projektarbeit der Teilnehmer der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ in diesem weitläufigen, komplexen und unübersichtlichen Pro- jektumfeld der niedersächsischen Landespolizei verortet? Konnten die Teilnehmer als Projektleiter die Gratwanderungen meistern und „goldene Mittelwege“ finden? Die Projektarbeit startete im zweiten Jahr der Maßnahme, nach dem sechsten von zwölf Bausteinen (s. Abb. 3). Für die Durchführung hatte jeder Teilnehmer 15 Monate Zeit. Um eine möglichst hochwertige und professionelle Arbeit zu gewährleisten, wurden bestimmte Standards des Projektmanagements vorgegeben und vor Beginn des Projekts im Baustein „Projektmanagement“ vermittelt (Erstellung eines Projektkontraktes, Meilensteinplanung, Ist-Diagnose, Projektmarketing, Implementierung, Projektcontrolling und standardisierte Projektdokumentation). Die Teilnehmer übernahmen die Rolle des Projektleiters und bil- deten Projektgruppen, an denen Mitarbeiter aus dem eigenen Verantwortungsbereich beteiligt waren. Die Projektleiter hatten damit nicht nur die Aufgabe, Personalentwick- lungsmaßnahmen vor Ort umzusetzen, sondern auch eigene Mitarbeiter als Projektgruppenmitglieder in die personalentwicklerischen Grundlagen einzuarbeiten. Die Projektarbeit wurde durch die projektbegleitenden Bausteine Moderation und Präsentation, Konfliktmanagement, Umgang mit Widerständen in Veränderungsprozessen, Teamführung und Persönlichkeit unterstützt. Ergänzend fand in drei Staffeln Praxisbe- gleitung statt. Hier tauschten die Teilnehmer in vier thematisch zusammengestellten Gruppen Erfahrungen aus und bekamen durch die Berater Hinweise für das Projektmana- gement und die inhaltliche Gestaltung ihrer Personalentwicklungsmaßnahmen. 5.3.2 Projektthemen und Motive der Projektleiter für die Projektwahl Alle Teilnehmer hatten einen schriftlichen Projektkontrakt mit ihrem jeweiligen Vorge- setzten zu schließen. Zum Zeitpunkt der ersten Interviewreihe war der Kontrakt in den meisten Fällen bereits geschlossen. Er beinhaltete in der Regel das Projektthema, die Be- 223 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse schreibung der Ausgangssituation, konkrete Ergebnisziele, notwendige Ressourcen, K.-o.- Kriterien wie auch Hinweise zur Projektorganisation und Information. Der Projektkontrakt sollte eine persönliche Verpflichtung beider Seiten darstellen. Der Auftraggeber verpflichtete sich einerseits, bestimmte Ressourcen zur Verfügung zu stellen, dem Projekt eine bestimmte Priorität einzuräumen und das erklärte Ziel zu unterstützen. Gleichzeitig sollte er zu diesem frühen Zeitpunkt seine Bedenken und Anregungen äußern. Insofern sollte der Kontrakt den Auftragnehmer vor unerwarteten Restriktionen und Entscheidungen „von oben“ schützen. Der auftragnehmende Projektleiter verpflichtete sich anderseits, die Verantwortung für die Zielerreichung im Rahmen der zur Verfügung gestellten Ressourcen zu übernehmen. Bei dieser Art der Durchführung der Projekte sollte ihm möglichst viel Gestaltungsfreiheit eingeräumt werden, wobei letztendlich die Ergebnisverantwortung bei ihm lag. Ähnlich breit und weitläufig angelegt wie die Bedarfsbestimmung zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs (s. Kapitel 4.1.1) war die Spannbreite der Projektthemen und der betroffenen Zielgruppen, was in der Konsequenz zu einer großen Themenfülle und Sekto- renvielfalt76 führte, woraus sich eine unübersichtliche Projektarchitektur ergab. Diese Projektarchitektur mit ihren stark differierenden organisationalen Breiten- und Tie- fungsgraden soll anhand von ausgewählten Projektthemen illustriert werden. So bezog sich ein Projektthemenblock auf die Operationalisierung und Implementierung von Anforderungsprofilen für ausgewählte Führungsfunktionen auf unterschiedlichen Verantwortungsebenen in verschiedenartigen Organisationseinheiten mit differierenden Kulturausprägungen77. Ein anderes Projektthemensegment war ausgerichtet auf Auswahl- verfahren zur Besetzung höherwertiger Dienstposten78 unter Verwendung strukturierter bzw. multimodaler Auswahlgespräche. 76 Mit „Sektoren“ sind Organisationseinheiten (z.B. Dienststellen, Abteilungen) gemeint. Es macht einen erheblichen Unterschied aus, ob sich ein Projekt auf eine Abteilung einer Organisationseinheit, mehrere Abteilungen unterschiedlicher Organisationseinheiten oder die gesamte Organisation bezieht. 77 Zielgruppen waren hier z.B.: Dienstabteilungsleiter im Einsatz- und Streifendienst, Leiter im Kriminalermittlungsdienst, Zugführer (Leiter einer Einheit von ca. 30 Beamten und Beamtinnen) in der Landesbereitschaftspolizei und Dezernatsleiter im Polizeiamt für Technik und Beschaffung. In diesen Bereich der personalentwicklerischen Grundlagen fiel ebenfalls ein Projekt zur umfassenden Analyse des Qualifizierungsbedarfs im Einsatz- und Streifendienst. 78 Beteiligte Behörden waren hier z.B. die Landesbereitschaftspolizei, das Landeskriminalamt, die Bezirksregierung Weser-Ems, die Polizeidirektion Braunschweig und die Kriminalpolizeiinspektion Organisierte Kriminalität Lüneburg. 224 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Ein dritter Projektthemenschwerpunkt deckte den vielfältigen Bereich der Qualifizie- rungsmaßnahmen79 von Sachbearbeitern und Führungskräften ab. Die Breitbandigkeit der Projektthemen allein dieses Themenschwerpunkts mögen zwei Beispiele verdeutlichen: So befasste sich ein Projektleiter mit der systematischen Qualifizierung von Mitarbeitern in einem Kriminalermittlungsdienst innerhalb eines Polizeikommissariats, da die Einrichtung eines Ermittlungsbereiches „Minderjährige“ notwendig wurde. Ziel war es, den Leiter und die beiden Sachbearbeiter sowie drei weitere Schlüsselpersonen hierfür zu qualifizieren. Die Qualifizierung war bislang nicht konzeptionell erfolgt und, wenn überhaupt, kam sie zeitlich stark verzögert. Geschätzte Arbeitsbelastung des Projektleiters in Stunden: 80. Geschätzte durchschnittliche Arbeitsbelastung je Mitglied der Projektgruppe in Stunden: 50. Geschätzte Referentenkosten (polizeiexterne Personen): 1.400,00 DM. Diese Projektarbeit war als ein Einzelthema in einem unisektoralen Organisationsbereich verortet. Frauenförderung durch Mentoring80 war das Thema eines anderen Projektleiters. Ziel dieses Pilotprojektes war es, tradierte Strukturen aufzubrechen, die Kompetenzen von Frauen sichtbar und nutzbar zu machen, sie entsprechend ihren Qualifikationen einzusetzen und ihnen langfristig den Zugang zu Führungspositionen zu erleichtern. Langfristiges Ziel ist die Erhöhung des Anteils weiblicher Führungskräfte. Eine landesweite Steuerungsgruppe wurde eingerichtet. Mit Unterstützung des Niedersächsischen Innenministeriums und unter Schirmherrschaft eines Staatssekretärs wurde dieses Projekt durchgeführt. Die Qualifizierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgte unter Mitwirkung einer Heimvolkshochschule, die bereits über entsprechende Erfahrungen verfügte und das notwendige Know-how durch Beteiligung an Mentoring-Projekten der öffentlichen Verwaltung und der freien Wirtschaft erworben hatte. Sechzehn Mentees und Mentoren wurden im Rahmen des Programms in Workshops auf ihre Aufgaben vorbereitet und durch Supervision begleitet. Die Mentoren sollten mit 79 Qualifizierungsmaßnahmen erfolgten z.B. im Rahmen von Hospitation und Rotation im Einsatz- und Streifendienst, im Kriminalermittlungsdienst, im Zentralen Kriminaldienst und in Polizeistationen. Weiterhin wurden Qualifizierungsmaßnahmen im Einsatz- und Streifendienst zur Verbesserung der Bürgerbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die systematische Einarbeitung neuer Mitarbeiter (z.B. beim Wechsel zwischen Kriminalermittlungsdienst und Einsatz- und Streifendienst bzw. Wasserschutzpolizei oder bei der Übernahme einer Lehrtätigkeit an der Fachhochschule). Wiedereingliederungs- und Frauenförderungsmaßnahmen fielen ebenso unter diese Rubrik. 80 Mentoring bedeutet, dass erfahrene Führungskräfte qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen, indem sie sie über einen begrenzten Zeitraum beraten und begleiten. 225 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren Verbindungen dem jeweiligen Mentee als Ratgeber zur Verfügung stehen und diesen während des Projektes in seinem beruflichen Werdegang begleiten. Die Mentees bearbeiteten während des Projektes eine Sonderaufgabe, welche für die Organisation von Nutzen sein sollte. Geschätzte Arbeitsbelastung des Projektleiters in Stunden: 400. Geschätzte durchschnittliche Arbeitsbelastung je Mitglied der Projektgruppe in Stunden: 160. Referentenkosten (polizeiexterne Personen): 150.000,00 DM. Diese Projektarbeit war als Einzelthema in multisektoralen Organisationsbereichen verortet, mit Auswirkungen auf die gesamte Landespolizei. Die Motive der Befragten zur Durchführung ihrer speziellen Projekte können nicht losge- löst von der durchzuführenden Ist-Diagnose betrachtet werden. Alle Führungskräfte hatten zu Beginn der Projektarbeit eine Ist-Diagnose in ihrem Verantwortungsbereich unter Zu- hilfenahme quantitativer und/oder qualitativer Erhebungsinstrumente durchzuführen. Der gemeinsame Nenner zur Durchführung der jeweiligen Projekte lautete, wahrgenommene Missstände im eigenen Verantwortungsbereich der Behörde oder der Dienststelle syste- matisch, strukturiert und zielbezogen anzugehen und Lösungsmöglichkeiten unter Zuhilfenahme von PE-Instrumenten aufzuzeigen bzw. die Missstände innerhalb des vor- gegebenen Zeitrahmens zu beheben. Zur Illustration seien exemplarische Motivationen der Befragten aus den jeweiligen Pro- jektteilbereichen benannt. Anforderungsprofile: Operationalisierung und Implementierung von Anforde- rungsprofilen am Beispiel Zugführer81. Die Ausgangssituation war gekennzeichnet durch fehlende Anforderungsprofile, was eine systematische Heranführung an die Aufgabe verhinderte. Das Projekt sollte ein standardisiertes Anforderungsprofil für den Zugführer erarbeiten. Der Umgang mit diesem sollte auf Führungskräfte und Mitarbeiter akzeptanzsteigernd wirken und das Anforderungsprofil als Grundlage für entsprechende Personalmaßnahmen (z.B. Mitarbeiterförderung, Dienstposten- besetzung) Anwendung finden. Ein anderer Projektleiter befasste sich mit der Entwicklungsbedarfsanalyse zur Be- setzung von Dienstabteilungsleiterposten82 in einer Polizeiinspektion. Hintergrund für dieses Projekt war die Tatsache, dass der Entwicklungsbedarf von potenziellen Dienstabteilungsleitern unstrukturiert erhoben wurde. Die Leitfadenerstellung und 81 Leiter einer Einsatzeinheit von ca. 30 Beamten. 82 Dienstabteilungsleiter leiten im Einsatz- und Streifendienst eine Gruppe von fest zugeteilten Beamten. Sie sind im Schichtdienst tätig. 226 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse die Qualifizierung von Führungs- und Fachkräften zur Erhebung des Qualifikati- onsbedarfs bildeten die Grundlage des Projekts. Auswahlverfahren: Schaffung von Transparenz der Entscheidungsgründe und Er- höhung der Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen durch Vorbereitung und Durchführung von Auswahlgesprächen in Form von strukturierten Interviews zur Besetzung höherwertiger Dienstposten. Die Ausgangssituation war durch unstruk- turierte Auswahlverfahren und nicht qualifizierte Kommissionsmitglieder gekennzeichnet. In einigen Behörden wurden Dienstpostenbewerber hinsichtlich ihrer Eignung, Leistung und Befähigung auf der Grundlage ihrer Personalakten miteinander verglichen. Die Projekte aus diesem Bereich hatten vornehmlich zwei wesentliche Ziele: einerseits die Erstellung eines Leitfadens zur systematischen Durchführung von strukturierten Interviews, andererseits die Qualifikation der Auswahlkommission. Qualifizierung: Optimierung des Wissenstransfers aus externen Datenverarbei- tungslehrgängen in interne Arbeitsfelder. Die Ausgangssituation war dadurch gekennzeichnet, dass die Datenverarbeitungsspezialisten bei externen Firmen qualifiziert und fortgebildet werden. Der Haushaltsansatz hierfür beläuft sich auf 100.000 DM jährlich. Die Mitarbeiter hatten bisher wenige Möglichkeiten, die ver- mittelten theoretischen Inhalte auf den Arbeitsplatz zu transferieren oder als Multiplikator anderen zugänglich zu machen. Das Projekt hatte zum Ergebnisziel, die Multiplikatorennutzung zu systematisieren und Arbeitsfreiräume zu schaffen, um Erlerntes optimaler transferieren zu können. Ein weiteres Projekt befasste sich mit der systematischen Einarbeitung von Mitar- beitern nach Übernahme einer neuen Funktion. Die Ausgangssituation war geprägt durch das jeweilige Engagement der Dienststellenleiter und der Arbeitskollegen. Ziel sollte die Erstellung eines Einarbeitungskonzepts sein, das die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Verwendungsbereiches definiert und eine Vermitt- lung der hierfür erforderlichen Kenntnisse sicherstellte. Die Analyse der verschiedenartigen Ausgangssituationen ergab eine Vielzahl von Infor- mationen über aktuelle Probleme, Befindlichkeiten, Erwartungen und Befürchtungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Es wurde deutlich, dass, bezogen auf den Nutzen und die Anwendung von Anwendungsprofilen, umfassend informiert werden müsste und dass die Erwartung an die Systematik und Transparenz von Anforderungsprofilen sehr hoch war. In dem Bereich „Auswahlverfahren“ wurde klar, dass die Beschäftigten sich eine professionellere Dienstpostenbesetzung durch einen deutlicheren Anforderungsbezug im Auswahlverfahren, mehr Transparenz der Verfahrensweise und eine Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen wünschten. In punkto Erhebung des Entwicklungsbedarfs sahen die Mitarbeiter ein Defizit bei der Fortbildungsplanung und -realisierung. Zum 227 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Interviewzeitpunkt wurden in den Projekten zur Einarbeitung und Qualifizierung teilweise noch andauernde Erhebungen der Qualifizierungsfelder in Workshops, Aufgaben- und Anforderungsanalysen, Bedarfsanalysen, Bürgerbefragungen oder Dokumentenanalysen sowie der Bedarf an fachlicher, sozialer und persönlicher Kompetenz mehr oder weniger systematisch ermittelt. Die Aussagen der Führungskräfte zu ihren Motivlagen waren in unterschiedlicher Weise von den diagnostischen Erkenntnissen durchdrungen und geprägt. Bündelt man die motiv- geleiteten Kernaussagen, so ging es den Führungskräften um mehr Transparenz und Struktur in den Auswahlverfahren, um eine Optimierung des Wissenstransfers, um mehr Kundennähe und Bürgerorientierung, um strukturierte und gehaltvolle Einarbeitungsprogramme, um gründlich analysierte Entwicklungsbedarfe und, „last but not least“, um aussagekräftige und praxisgerechte Anforderungsprofile. Analyse, Transparenz, Struktur und Transfer waren die Kernbegriffe, welche die Teilnehmer motivierten und ihnen ein Ansporn waren. Alle interviewten Führungskräfte schienen bei der Schilderung der Motivlage für den Projektentwurf hoch gespannt bzw. konzentriert und sehr damit beschäftigt zu sein, die eigenen Gedanken und Ideen zu ordnen sowie die nächsten Projektschritte zu planen und umzusetzen. Die Anspannung war erklärlich, da Aufgaben, Befugnisse und Verantwortung zum damaligen Zeitpunkt größtenteils noch eher diffus und unklar schienen. Die Projektarbeit war als „Nagelprobe“ für die Qualifizierungsmaßnahme gedacht, als ein Prüfstein und Praxischeck, um die erarbeitete Theorie in zielgerichtete Veränderungsschritte umzusetzen. Auf der sachlich-fachlichen Ebene ging es darum, Wissen und Können zu vermitteln und zu trainieren. Auf der persönlichen Ebene sollte es um die Auseinandersetzung mit Motiven, Einstellungen und Erwartungen, um das Erlernen neuer Verhaltensweisen, um Konfliktklärung und Konfliktlösung gehen. In der ersten Interviewreihe stellte sich die Lage in Bezug auf den Entwicklungsgrad der Projekte uneinheitlich dar. Einige der Interviewten waren gerade dabei – jeweils mit unterschiedlicher Intensität und Streuung – ihr Projekt in den beteiligten Dienststellen und Abteilungen bekannt zu machen, bzw. warben Mitarbeiter für das Projektteam an und machten sich Gedanken über eine möglichst effektive strategische Ausrichtung. Andere wiederum sinnierten noch über Zielrichtung und Ausdifferenzierung des Projektes. Vereinzelt waren diese Prozesse bereits abgeschlossen und das erste „Kick-Off-Meeting“ erfolgt. 5.3.3 Offener Widerstand gegen Projektarbeit Projekte als Verkörperung des „Neuen“ fordern den Widerstand der Linie, den Verwaltern des „Alten und Bewährten“, geradezu heraus. Widerstand ist im Arbeitsbereich ein ganz alltägliches Phänomen und die normale Begleiterscheinung eines jeden Entwicklungs- 228 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse prozesses. Projekte sind aus der Alltagsarbeit herausgehoben, sie beschäftigen sich mit Fragen, die nicht Bestandteil der Alltagsarbeit sind. Projekte sind damit grundsätzlichen Zweifeln ausgesetzt: ob das Projekt überhaupt sinnvoll sei, der zu erwartende Nutzen den Aufwand rechtfertige etc. In den eingespielten Abläufen des Alltagsbetriebes wirken Projekte zunächst einmal als Störung, ziehen sie doch Arbeitskraft aus der Linie ab, schaffen Unruhe durch Workshops, Befragungen oder anderen Neuerungen der unterschiedlichsten Form. In der Startphase der Projekte hatte es eine erhebliche Störung in Form von Widerstand83 und indirektem Boykott der Projektarbeit durch einen Behördenleiter gegeben. Ein Direktor der Polizei hatte sich nicht an die ursprüngliche Abmachung (pro Teilnehmer ein Projekt) gehalten und den drei Teilnehmern dieser Behörde lediglich die Durchführung eines Projektes gestattet. Begründet wurde dies damit, dass die Arbeitsbelastung der Behörde die zeitliche Einbindung von drei Projektleitern und damit von drei Projektteams nicht zuließe. Die Teilnehmer äußerten erheblichen Unmut und Missfallen im fünften Baustein angesichts dieser Argumentation, wurden sie dadurch doch zu aus ihrer Sicht weniger eingespannten Führungskräften aus weniger belasteten Behörden und Einrichtungen herabgestuft. Einige sahen ein „Türchen“, sich die anstehende Projektarbeit erheblich zu erleichtern bzw. ließen durchblicken, dass die eigene Behördenleitung zu ähnlichen Einschätzungen in der Lage sei. Die Wertigkeit der Projektarbeit im gesamten Qualifizierungsprozess, aber auch ihr Wirkungsgrad in der Organisation Polizei standen ernsthaft zur Debatte. Nach einer erhitzten Diskussion war es Konsens, die eigene Projektentwicklung ungeachtet der Störung weiter voranzutreiben. Die Projektleitung der Qualifizierungsmaßnahme sollte die Störung an das Innenministerium adressieren und auf Änderung und Einflussnahme drängen. Es sollte versucht werden, über die Linie Einfluss auf den Direktor zu nehmen, um ihn zum Einlenken zu bewegen und den drei Teilnehmern die gleichen Lernchancen zu ermöglichen. Dieser Interventionsversuch scheiterte. Es blieb beim Sachstand: Drei Teilnehmer des höheren Dienstes einer Behörde arbeiteten an einem Projekt, davon zwei Interviewpartner. Das Thema des Projektes lautete: „Erprobung des Auswahlinstruments ,Strukturiertes Interview‘ zur Auswahl des geeignetsten Bewerbers für die Besetzung von Dienstposten, die nach A 12 oder A 13 g.D. BBesO bewertet sind“. Eine weitere Schwächung erfuhr das Projekt durch die inhaltliche Nach Doppler & Lauterburg (1999: 293) kann von Widerstand immer dann gesprochen werden, wenn vorgesehene Entscheidungen oder getroffene Maßnahmen, die auch bei sorgfältiger Prüfung als sinnvoll, logisch oder sogar dringend notwendig erscheinen, aus zunächst nicht ersichtlichen Gründen bei einzelnen Individuen, bei einzelnen Gruppen oder bei der ganzen Belegschaft auf diffuse Ablehnung stoßen, nicht unmittelbar nachvollziehbare Bedenken erzeugen oder durch passives Verhalten unterlaufen werden. 229 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Zielformulierung. Ursprünglich sollte das Projekt des „Projektowners“ nicht „Erprobung des Auswahlinstruments“,sondern „Einführung des Auswahlinstruments“ heißen. Der Widerstand des Direktors gegen das Projekt der Teilnehmer seiner Behörde wurde damit begründet, dass keine „Unruhe“ in der Behörde aufkommen sollte, eine gründliche „Ist-Diagnose“ war unerwünscht, was der eigentliche „Projektowner“ verdeutlichte: „Da wurde mit dem Direktor, damals mit dem Direktor vereinbart, er wollte also keine große Befragung machen, keine große Unruhe, und wir sollten nur die Papierlage, also aktenmäßig, um hier nicht Erwartungen und irgendwelche falschen Erwartungen zu wecken oder irgendetwas, was mit Unruhe zusammenhängt, zu produzieren.“ 4/24/19-23 Die von dem Direktor befürchtete „Unruhe“ durch eine „große Befragung“ legt nahe, dass nicht quer über alle Hierarchieebenen mit- und übereinander geredet werden sollte, damit „nicht Erwartungen“ bzw. „irgendwelche falschen Erwartungen“ geweckt wurden, um nicht neue Unruhe hervorzurufen. Unmut kann sehr laut und vernehmlich ausfallen. Demgegenüber ist das Studium der „Papierlage“ ein stilles Unterfangen und leichter kontrollierbar. Das Statement offenbart ein klassisches Hierarchieverständnis, denn die Hierarchie ist geradezu darauf ausgerichtet, den Arbeitsprozess mit einem möglichst geringen Kommunikationsaufwand zu organisieren. Kommunikation ist in diesem Verständnis ein „Störenfried“, verhindert Arbeit, bzw. hält von Arbeit ab. Dem gegenüber steht die kommunikationsaufwändige Befragung als Vorstufe der Projektarbeit, also einer Dienstleistung, die nicht „aktenmäßig“, sondern aktionsbezogen arbeitet. Projektarbeit hängt stark vom Einsatz und der Kompetenz der Professionellen ab, sie muss Veränderungen in der Umwelt rasch wahrnehmen und darauf reagieren, um Lösungen für neue Problemstellungen zu erarbeiten. Gemäß dem Motto „Wehret den Anfängen“ begab sich besagter Entscheider offen in den Widerstand und missachtete offenkundig die Beschlüsse der Landesregierung sowie deren Umsetzung durch die Verantwortungsträger, die Direktorenkonferenz des Niedersächsischen Innenministeriums. Allerdings war der Widerstand nicht ungeschickt organisiert. Der Entscheider verweigerte seinen Nachgeordneten nicht die Teilnahme, un- tersagte ihnen auch nicht generell die Teilnahme an der Projektarbeit, sondern machte letztere „klein“ und deformierte sie zur Unkenntlichkeit. Ein Boykott der gesamten Qualifizierungsmaßnahme wäre ein offener Affront gewesen. Die Herabwürdigung der Projektarbeit kann als symbolischer Akt der Verweigerung, der Nichtteilnahme gedeutet werden. Projektarbeit sollte somit abgespalten und aus den Kernprozessen der Behörde ausgegliedert werden. Ein solcher Abspaltungsprozess macht es äußerst schwierig, Arbeitsergebnisse der Projektgruppenarbeit sinnvoll in die Alltagsorganisation einzuarbeiten, falls unter solchen Rahmenbedingungen überhaupt welche zustande kommen. Der Entscheider verweigerte sich und seiner Behörde Lernmöglichkeiten, und der Auftraggeber und Verantwortungsträger der Qualifizierungsmaßnahme, das 230 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse niedersächsische Innenministerium, sah keine Veranlassung zur Intervention, bzw. auch wenn interveniert worden sein sollte, konnte keine Ergebniskorrektur erzielt werden. Sprenger (2000: 29) hält Personalentwicklung unter hierarchischen Bedingungen für illegitim, denn Hierarchie heißt: „Ich muss nicht lernen“. Nichtteilnahme wird zum Zertifikat des Angekommenseins. Das Personal, das sich da entwickeln soll, sind aus der Sicht der Hierarchie folgerichtig „die Anderen“, die noch Unvollständigen. Sie können unausgesprochen als „minderfähig“ definiert werden. Vielleicht liefert der Erklärungsansatz Sprengers auch die Begründung, warum das Innenministerium sich nicht durch die Entsendung von Teilnehmern an dem Qualifizierungsprogramm beteiligte. Die vorliegende Arbeit setzt sich mit einem Veränderungsprozess innerhalb einer Landespolizei auseinander. Es gibt in der Praxis kein Lernen und keine Veränderung ohne Widerstand. Von daher kann der zuvor artikulierte Widerstand nicht übergangen werden, sondern verdient Beachtung. Ein Verständnis von Widerstand als wichtigem Signal, das Reibungsflächen und Schnittstellen anzeigt, an denen innerhalb einer Organisation Energien freigesetzt werden, eröffnet Chancen und Möglichkeiten, denn organisatorischer Wandel bedeutet die reibungsvolle Gleichzeitigkeit von Alt und Neu. Unterschiedliche Organisationslogiken sind gleichzeitig präsent, und das schafft zusätzliche Irritation, was gerade die Projektarbeit innerhalb einer Linienorganisation kennzeichnet. Auch in unterschiedlichen Behörden verortete Projekte mit identischer Themenstellung und Zielsetzung, in diesem Falle allerdings im gleichen Dezernat und damit innerhalb eines vergleichbaren Aufgaben- und Funktionszuschnitts, können eine völlig unterschiedliche Entwicklung nehmen und höchst unterschiedliche Resultate in der Innen- und Außenwirkung erzielen. Das hier aufgeführte „widerstandsbehaftete“ Projekt zum Thema Auswahlverfahren wird im folgendem Kapitel einem inhaltlich identischen Projekt gegenübergestellt, das in wesentlich günstigere, förderlichere Struktur- und Rahmenbedingungen eingebettet war. 5.3.4 Auswahlverfahren: Objektiviertes Verfahren oder Spielball der Interessen? Einführend sei hervorgehoben, dass Auswahlverfahren eine zentrale Bedeutung im öffent- lichen Dienstrecht haben. Gemäß Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Das öffentliche Dienstrecht sieht vor, dass die Auslese nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen ist. Von der Rechtssprechung wird der Begriff der Eignung (im weiteren Sinne) dabei als das umfassendste Qualifikationsmerk- mal verstanden. Er schließt die gesamte Persönlichkeit eines Bewerbers – über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus – mit ein und erfasst damit die Merkmale der Befähigung und der fachlichen Leistung. Die genannten Vorschriften sind nicht nur bei der Einstellung im öffentlichen Dienst von Relevanz. Sie sind auch in allen Fällen zu beachten, in denen es um die Möglichkeit geht, 231 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse im öffentlichen Dienst höhere Funktionen wahrzunehmen. Das so festgeschriebene Prinzip der Bestenauslese, auch Leistungsprinzip genannt, beherrscht das Auswahlverfahren. Durch die bestmögliche Besetzung der Stellen und Dienstposten sollen die Effizienz der Verwaltung im Sinne einer optimalen Aufgabenerledigung gewährleistet und qualifizierte Bewerber vor willkürlichen Benachteiligungen geschützt werden. Gemäß § 9 Abs. 1 Niedersächsisches Gleichberechtigungsgesetz (NGG) kommt es im Auswahlverfahren bei der Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ausschließlich auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle an. Dabei stellt die Eignung des Bewerbers auf seine Veranlagung ab, das heißt auf die körperliche Leistungsfähigkeit, Intelligenz, Willensstärke und auf charakterliche Ausprägungen, wie Zuverlässigkeit, Arbeitsfreude und Kooperationsbereitschaft. Mit der Befähigung sind eher die durch Ausbildung erworbenen Fähigkeiten gemeint. Dieser Begriff umfasst das allgemeine und fachliche Wissen, welches den Bewerber befähigt, die wahrzunehmenden Aufgaben zu erfüllen. Die fachliche Leistung besteht in den nach Maßgabe der dienstlichen Anforderungen bislang erbrachten Arbeitsergebnissen. Es bleibt grundsätzlich der Entscheidung des Dienstherrn überlassen, zwischen mehreren möglichen und dem Prinzip der Bestenauslese Rechnung tragenden Auswahlmethoden zu wählen, sofern nur das Prinzip selbst nicht in Frage gestellt wird. Dabei gehört es zum Wesen des behördlichen Ermessens, dass grundsätzlich auch mehrere Entscheidungen „richtig“, das heißt rechtmäßig sein können (vgl. Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, Arbeitsgruppe „Auswahlverfahren“, 1999: 5). Projekte aus dem Themensegment „Auswahlverfahren“ befassten sich vornehmlich mit der Einführung strukturierter bzw. multimodaler Auswahlgespräche in den jeweiligen Behörden. Sie sollen sowohl dem Interesse des Dienstherrn an einer bestmöglichen Stellenbesetzung wie auch den berechtigten Forderungen der Beschäftigten nach ange- messener beruflicher Entwicklung und Förderung Rechnung tragen. Auswahlgespräche sind nach der Auswertung der Bewerbungsunterlagen die am häufigsten eingesetzte Methode der Personalauswahl. Anforderungsbezug und Grad der Strukturiertheit eines Auswahlgespräches sind wichtig für die Zuverlässigkeit der Prognose. Unter Strukturiertheit ist die vorherige Festlegung von Ablauf, Inhalt und Bewertung zu verstehen. Eine Auswahlkommission führt ein Auswahlgespräch in Form eines Einzelin- terviews, wobei die Basis für das Gespräch von folgenden Eckpunkten gekennzeichnet ist: Gesprächseröffnung, Selbstvorstellung des Bewerbers, biografische Fragen, Fachfragen, situative Fragen und Gesprächsabschluss. Die Notwendigkeit der Einführung strukturierter Auswahlgespräche wurde von den Pro- jektleitern vornehmlich damit begründet, dass die Besetzung höherwertiger Tätigkeiten und Funktionen bislang oftmals nach Aktenlage (Personalakte) vorgenommen wurde. Bei Leistungsgleichheit fanden Auswahlgespräche statt, die unstrukturiert durchgeführt wurden. Unstrukturierte Auswahlgespräche haben wegen ihrer leichteren Handhabbarkeit 232 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse bei den Vorgesetzten einen hohen Stellenwert, verfügen jedoch nur über geringe Zuverlässigkeit und Genauigkeit hinsichtlich der Eignungsprognose, sind wenig transparent und kaum nachvollziehbar. Auch wurden die Auswahlkommissionen situativ zusammengestellt und die Kommissionsmitglieder nicht speziell für Auswahlverfahren qualifiziert. Somit sind die Kernbegriffe, um die die inhaltliche Arbeit zur Einführung von strukturierten Auswahlgesprächen kreisen, Objektivität, Gültigkeit, Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit, Anwendbarkeit, Transparenz, Akzeptanz, Fairness, Chancengleichheit und Rechtmäßigkeit. Als wichtigste Größe zur Verbesserung von Auswahlgesprächen haben sich der Anforderungsbezug und der Grad der Strukturiertheit, das heißt der gleichartige Aufbau der Gespräche und entsprechende Frageformen erwiesen. So können im Rahmen der Vorbereitung auf das Interview sowohl die anforderungsbezogene Gestaltung des Interviews als auch die Vorbereitung der Mitglieder der Auswahlkommission darauf durch ein sorgfältiges und kompetent durchgeführtes Training verbessert werden. Die Auswahlkommission sollte mit Fachvertretern und Personalexperten beiderlei Geschlechts besetzt sein. Bei der Durchführung des Interviews in strukturierter Form hat sich die Verwendung geprüfter, vorformulierter und im Idealfall verhaltensbezogener Skalen zur Beurteilung während des Gesprächs bewährt, ebenso die Trennung von Informationssammlung und Entscheidung, während des Gesprächs. Erst nach Abschluss des Gesprächs sollen die vorhandenen Informationen zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst werden. Wichtig sind bei der Auswertung die Verwendung standardisierter, anforderungsbezogener Beurteilungsbögen, die Entscheidung durch mehrere Beurteiler, die standardisierte Gewichtungs- und Entscheidungsprozedur sowie die Berücksichtigung von Beurteilungsfehlern. Es sollen im Folgenden zwei extrem divergierende Projektverläufe zur Einführung strukturierter Auswahlgespräche in Auswahlverfahren beschrieben werden, um im Anschluss daran erfolgskritische Faktoren und Prozesse von Projektarbeit in der Polizei herauszuarbeiten. Es macht auch insofern Sinn, dem Personalentwicklungsinstrument „Auswahlverfahren“ tiefer gehende Beachtung zu schenken, als dieses Instrument zwischen den zwei anderen personalentwicklerischen Säulen „Anforderungsprofile“ und „Qualifizierungsmaßnahmen“ verortet ist. Denn grundlegende Voraussetzung für die Durchführung von Auswahlverfahren sind Anforderungsprofile. Beschäftigte, die sich weiterentwickeln wollen, aber auch Vorgesetzte, die fähige und engagierte Mitarbeiter zu fördern bestrebt sind, müssen sich Gedanken machen, durch welche personalentwickleri- schen Maßnahmen jemand ein ausgewiesenes Anforderungsprofil erfüllen kann, um in einem Auswahlverfahren bestehen zu können. Abgelehnten Bewerbern in einem Aus- wahlverfahren wird ein Feedback-Gespräch angeboten. Diesem kommt ebenfalls besondere Bedeutung zu. In einem solchen Gespräch können die Entscheidungsgründe erläutert, erkannte Schwächen und Stärken erörtert und auf diese Weise die Akzeptanz und Transparenz der Entscheidung erhöht werden. Dieses Gespräch kann auch Anlass dafür sein, bestimmte Qualifizierungsmaßnahmen anzuregen. 233 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Wie im vorherigen Kapitel bereits gesagt wurde, gehörten zum Interviewsample zwei Projektleiter, von denen einer der eigentliche „Projektowner“ war. Beide Führungskräfte hatten unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen in ihrer Behörde Projektarbeit zu leisten. Die sich erheblich unterscheidenden Struktur- und Prozesselemente sollen identifiziert und mit einem inhaltlich gleichen Projekt einer anderen Behörde kontrastiert werden, in der der Projektleiter fast diametral entgegengesetzte, nämlich äußerst entwicklungsförderliche Struktur-, Prozess- und Rahmenbedingungen vorfand bzw. diese vom Autor herausgearbeitet werden konnten. Dieser Projektleiter gehörte ebenfalls zum Interviewsample, sodass im Rahmen der Analyse von zwei Interviewreihen, Projektkontrakten und Projektprotokollen erfolgskritische Elemente, Faktoren und Prozesse von Projektentwicklungen eines inhaltlich deckungsgleichen Projektthemas herausgearbeitet und einander gegenübergestellt werden können. Zur Veranschaulichung eignet sich der folgende bildhafte Vergleich: Es werden in der Gegenüberstellung nicht Äpfel und Birnen miteinander verglichen, sondern Äpfel derselben Sorte. Sie wachsen auf nahe beieinander liegenden Bäumen mit vergleichbarem Geäst. Die jeweiligen Bodenverhältnisse, die Lichtdurchlässigkeit der Baumkronen und die klimatischen Bedingungen sind allerdings höchst unterschiedlich. Das Thema der beiden Projekte lautete: „Einführung (Projektleiter A) bzw. Erprobung (Projektleiter B) des strukturierten Auswahlverfahrens bei der Dienstpostenbesetzung A 12/A 13 gehobener Dienst“. Die Zielsetzung der Gegenüberstellung von Struktur- und Prozessdynamiken dieser beiden Projekte ist die Erarbeitung der erfolgskritischen Faktoren für Projektarbeit in der Polizei. Diese Zielsetzung macht Sinn, da hierüber wenig empirisches Material in der Polizei vorliegt. Die Unterscheidungskriterien, nach denen die Projekte einander gegenübergestellt werden, lauten: Ausgangssituation der Projektleiter („strukturiertes Auswahlgespräch“), Anspruch und Zielsetzung des Projekts, personelle Besetzung der Projektgruppe und Bekanntmachung des Projekts sowie Ergebnisse der Ist- Analyse. Was das letzte Unterscheidungsmerkmal betrifft, werden der jeweilige Projektverlauf mit den Ergebnissen des Projekts verglichen. In Abweichung von der bisherigen Vorgehensweise werden in diesem Kapitel Originalzitate aus den Transkriptionen, Projektgruppensitzungen und Rundschreiben in Anführungsstriche gesetzt und nicht eingerückt in verkleinerter Schrift präsentiert. Um die Urheber der Zitate zu anonymisieren, wird auch von den Zifferzuordnungen abgesehen. Die Angleichungen der Zitate an die Zeilenhöhe des Textes waren mit Ausnahme von vier Komplettzitaten auf Grund von Übersichtlichkeit und Lesbarkeit notwendig. Auch soll hiermit verdeutlicht werden, dass das zugrundeliegende Datenmaterial sich aus unterschiedlichen Quellen speist (z.B. Transkriptionen, Projektkontrakte, Protokolle von Projektsitzungen, Flyer etc.) 234 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.3.4.1 Ausgangssituation der Projektleiter „Strukturiertes Auswahlgespräch“ Projektleiter A ist Angehöriger des gehobenen Dienstes und als Sachbearbeiter im Aus- und Fortbildungsdezernats einer Behörde mit ca. 4000 Beschäftigten tätig. Ihm gefällt seine Aufgabe und er macht seine Arbeit gern. Aufgrund eines anstehenden Wechsels des Personaldezernenten hat Projektleiter A als Vertreter der Behörde an den Vorbereitungsworkshops (vgl. Kapitel 4.1.1) zur inhaltlichen Gestaltung der Qualifizie- rungsmaßnahme teilgenommen. Alle Personaldezernenten waren „gesetzte“ Teilnehmer. Laut A empfand der amtierende Personaldezernent dessen Teilnahme als sein Vertreter in der Maßnahme als „entlastend“. Eine Abstimmung mit dem Direktor der Polizei war ebenfalls erfolgt. Der Kommunikationsfluss und der regelmäßige Austausch über die Inhalte zwischen Sachbearbeiter und Dezernenten wurde als gut bezeichnet. A freute sich über seine Teilnahme, weil ihn die Themen und Aspekte interessierten und er Chancen und Möglichkeiten sah, sich weiter zu qualifizieren und „persönlich einzubringen“. Er betrachtete sich zum Zeitpunkt des ersten Interviews unter dem Gesichtspunkt der alltäglichen Arbeitsbelastung als in einem „Grenzbereich“ angekommen, da er die Behörde auch im Projekt „Führungskräfteentwicklung“ (vgl. Kapitel 4.1.2) vertrat. Projektleiter B ist Angehöriger des höheren Dienstes und als Personaldezernent Leiter des Dezernats Aus- und Fortbildung einer Behörde mit ca. 1.100 Beschäftigten. Zum Zeit- punkt der Vorbereitungsworkshops zur Qualifizierungsmaßnahme war er noch nicht Personaldezernent. An diesem hatte sein Vorgänger teilgenommen. Im Rahmen einer Rotation des höheren Dienstes wurde er in das Personaldezernat „umgesetzt“. Ihm gefällt die Tätigkeit als Personaldezernent, weil er hier an einer zentralen Schaltstelle der Behörde sitzt, die sich direkt mit allen auf die Polizei einwirkenden Reformen; Neuerungen und Strukturveränderungen auseinander zu setzen hat. Unmittelbar nach Übernahme dieser Funktion startete der erste Seminarbaustein, an dem er nicht nur als „Gesetzter“ teilgenommen hatte, sondern „natürlich“ auch freiwillig, weil er die Inhalte als wichtig und gut erachtete. Sein Verhältnis zum Direktor der Polizei ist kritisch. Er sei „nicht sein Freund und auch nicht sein erster Berater“. Er schildert die Behörde als eine kleine, „wo jeder jeden kennt, in der es viele Seilschaften gibt, viele Erbhöfe und viele Versprechungen“. Es kommt immer wieder zu Konflikten mit dem Direktor und anderen Akteuren, da Personalentscheidungen am Personaldezernat vorbei vorbereitet werden, was seinem Ziel, für transparente und nachvollziehbare Personalentscheidungen zu sorgen, entgegenläuft. 5.3.4.2 Anspruch und Zielsetzung des Projekts Projektleiter A betont, dass sein Dezernent und der Direktor die Erwartung hätten, dass die Behörde durch seine Teilnahme an der Qualifizierungsmaßnahme einen inhaltlichen Input erfährt. Das ist Projektleiter A auch selber wichtig, denn er findet es kaum erträglich, wenn nach zweijähriger Teilnahme nichts dabei „rüberkommt“. Er hebt hervor, 235 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse dass für die Kollegen „etwas dabei rauskommen“ muss. Die Motivation für sein Projekt entstammte seiner Unzufriedenheit über den bisherigen Verlauf von Auswahlgesprächen, an denen er als Beobachter teilgenommen hatte. Die Gespräche verliefen unstrukturiert, die Teilnehmer wirkten hochgradig angespannt, den Entscheidungsgründen für oder gegen einen Bewerber mangelte es oft an Transparenz, und den jeweiligen Bewerbern wurde nach Abschluss des Verfahrens nicht erläutert, aus welchen Gründen man sich für oder gegen sie entschieden hatte. Nachdem A im dritten Baustein inhaltlich sehr viel lernen konnte, da sich der thematische Schwerpunkt auf Anforderungsprofile und Auswahlgespräche bezog, reifte in ihm der Entschluss, sich im durchzuführenden Projekt mit der „Einführung eines strukturierten Auswahlverfahrens bei der Dienstpostenbesetzung A 12/A 13 g. D.“ in seine Behörde zu befassen. A hielt dieses Projekt für vernünftig, weil es „nicht zu hoch angehängt, aber auch nicht zu niedrig“ sei. Er unterbreitete seinem Vorgesetzten und dem Direktor sein Vorhaben und versicherte sich ihrer Unterstützung, was „die Arbeit ungemein erleichtert“ habe. Der Kontrakt zwischen A und dem Direktor der Polizei enthält folgende Ergeb- nisziele: die Erstellung eines Leitfadens zur Personalauswahl „strukturiertes Interview“, die Qualifizierung von Kommissionsmitgliedern, die Auswahlentscheidung basiert auf dem Votum der Auswahlkommission, das Auswahlverfahren ist auf Bewertungsbögen dokumentiert und damit transparent, das Verfahren ist den Bewerbern bekannt. K.-o.- Kriterien werden im Kontrakt nicht benannt. Der Kontrakt ist unterschrieben vom Projekt- leiter A und dem Direktor der Polizei. Projektleiter B betonte im ersten Interview, dass es kürzlich im Rahmen eines unstruktu- rierten Gespräches eine konflikthafte Auswahlentscheidung in der Behörde gegeben habe. Es wurde ein Bewerber aus „sachgerechten“ Gründen gegen den Willen des Direktors durchgesetzt, der einen anderen Kandidaten favorisierte, sich aber vorgenannten Gründen nicht „entziehen“ konnte. Auch B bekam im dritten Baustein die Idee, sich mit der Einführung strukturierter Interviews für die Dienstpostenbesetzung A 12/A13 g. D. im durchzuführenden Projekt zu befassen. Ihm war klar, dass er nach vorheriger Erfahrung hiermit den „Konflikt sucht“, da dieses Thema den Direktor „prickt“. Die Entscheidung des Direktors aus Arbeitsbelastungsgründen nur ein Projekt für die drei Personalentwick- ler der Behörde zuzulassen, führte dazu, dass die beiden anderen Projektleiter, ebenfalls Angehörige des höheren Dienstes, sich hinter dem Projekt von A versammelten. Ihre Entscheidung begründeten sie damit, dass zu diesem Zeitpunkt die Vorbereitungen am weitesten fortgeschritten und die eigenen Ideen zur Gestaltung von eigenständigen Projekten noch unausgereift waren. Die beiden anderen Projektleiter hatten eine ambivalente Einstellung zum Projektthema. Auf der einen Seite waren wichtige Vorarbeiten durch B bereits erledigt, auf der anderen Seite war es nicht „ihr“ Thema und es bedeutete „Ärger“ mit dem Direktor, der seine Einwilligung zur Bearbeitung dieses Themas in der Projektarbeit gegenüber B schon gegeben hatte. So kam es dazu, dass die beiden Co-Projektleiter die von B geplante „Einführung“ des strukturierten Interviews 236 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse abschwächten in den Status der „Erprobung“ des strukturierten Interviews, da sie der Meinung waren, der Direktor würde den Kontrakt sonst nicht unterschreiben. Trotz all der Schwierigkeiten, insbesondere was Fragen der Leitung, Kooperation und Koordination des Projekts anging, war B der festen Meinung, dass „wir es machen müssen“, da es ihm sinnvoll erschien. Der Kontrakt benannte als Ergebnisziele das Vorhandensein eines Leitfadens zur systematischen Führung von strukturierten Interviews, die Erstellung vorbereiteter strukturierter Interviews und Bewertungsbögen, die Qualifizierung der Auswahlkommission und die Bekanntmachung des Auswahlverfahrens den Bewerbern gegenüber. Die aufgeführten Ziele deckten sich mit denen von Projektleiter A, bis auf die Ausnahme, dass die Auswahlentscheidung auf dem Votum der Auswahlkommission basieren sollte. K.-o.-Kriterien wurden nicht benannt. Der Kontrakt trägt die Unterschrift aller drei Projektleiter, des Vorsitzenden des Personalrats und des Direktors der Polizei. 5.3.4.3 Personelle Besetzung der Projektgruppe – Projektmarketing Projektleiter A hatte die Mitglieder seiner Projektgruppe gezielt ausgewählt und persönlich aufgesucht. Inhaltlich fokussierte er die Werbungsgespräche um die Ziele der Qualifizierungsmaßnahme und im Besonderen um die Zielsetzung seines Projektes, womit er die Bedeutsamkeit der jeweiligen Person für die Gruppe aufzeigen wollte. Auf diese Weise wurden die Frauenbeauftragte und der Personalrat als Funktionsträger einbezogen. Hinzu kamen noch ein PI-Leiter, ein PK-Leiter, der fachlich zuständige Sachbearbeiter und der Personaldezernent. Die gezielte Ansprache des PI-Leiters geschah, weil „der in der gesamten PI-Leiterrunde ein gewichtiges Wort hat“. Die Gewinnung dieses Polizeidi- rektors mit guter Reputation war für A von zentraler Bedeutung, wurde doch hierdurch ein wichtiges Signal gesetzt, mit strategischer Ausstrahlung in die PI-Leiterrunde und darüber hinaus, was wie folgt zusammengefasst wurde: „Wenn der sich zu etwas bekennt, dann kann es an sich nicht schlecht sein“. Auch die Einbeziehung des PK-Leiters geschah nicht ohne Kalkül, das darin bestand, „jemanden von der Basis zu haben, der selbst schon durch Auswahlverfahren gelaufen ist und auch Möglichkeiten in seinem Bereich hat, das auch wieder dann weiterzubringen“. Nach der ersten Projektgruppensitzung berichtete A zufrieden, dass „alle dahinter stehen und auch jeder gesagt hat, das ist unbedingt erforderlich, dass wir das machen“. Diese Entschlossenheit und Tatkraft wurde auch gleich in Handlungen umgesetzt. So war einer der wichtigsten Beschlüsse, die Arbeit innerdienstlich öffentlich zu machen. Es wurde in der ersten Sitzung ein Rundschreiben in Form eines Flugblattes an die Kollegen verfasst, das über die Zusammensetzung der Projektgruppe und den Auftrag und die Zielsetzung des Projekts berichtete. Im Titel wies sich die „Projektgruppe Personalentwicklung“ aus. Jeder Polizist und jede Polizistin im Zuständigkeitsbereich der Behörde wurde aufgefordert, „uns anzurufen, uns anzufaxen, uns zu schreiben oder bei Gelegenheit persönlich reinzuschauen“, um eigene Gedanken zur Lösung des Auftrages beizutragen. Die Ansprache der Beschäftigten wurde bewusst kollegial, mitwirkungsorientiert und mit Aufforderungscharakter gestaltet. Ein Auszug aus 237 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse dem ersten Flugblatt lautet: „Denn eines ist doch klar: Je breiter die Mitwirkung an der Ausgestaltung des künftigen Förderungs- und Auswahlverfahrens ist, desto leichter kommen wir künftig zu Chefs, von denen wir sagen können, dass sie die richtigen sind“. Unterzeichnet wurde das erste Flugblatt von dem leitenden Polizeidirektor in der Funktion des PI-Leiters. Dort wird A als Leiter der Projektgruppe ausgewiesen, bei dem die externen Informationen zusammenfließen sollen. Zukünftig wurde in Aussicht gestellt, nach jeder Projektgruppensitzung über den Fortgang des Projekts zu berichten. Projektleiter B hatte nicht die flexiblen, strategischen Möglichkeiten der Projektgruppen- besetzung, da mit ihm insgesamt drei Personalentwickler bereits „gesetzt“ waren, was fast die Hälfte der Projektgruppe ausmachte. Hinzu kamen noch die Frauenbeauftragte, der Personalratsvorsitzende und zwei Mitarbeiter des Dezernats Aus- und Fortbildung. Die drei Leiter hatten vereinbart, sich in der Leitung der Projektgruppensitzungen abzuwechseln. Vom Personalratsvorsitzenden war bekannt, dass er der Erprobung des strukturierten Interviews sehr kritisch gegenüberstand und in Personalratssitzungen bereits „Stimmung“ gegen das Projekt gemacht hatte, was für B schwer nachvollziehbar war. Die Gründe hierfür wurden in der Furcht dieses Funktionsträgers vermutet, die eigene Macht zu verlieren. B hatte auch den Gedanken nicht aufgegeben, den Direktor doch noch „ins Boot zu holen“, obwohl alle Zeichen ungünstig standen. Einerseits hatte der Direktor B gegenüber verlauten lassen, dass er gar nicht ernsthaft an die Erprobung denke, aber nachvollziehen könne, dass alle drei Leiter dieses Projekt für ihre Qualifizierung als Personalentwickler benötigten. Anderseits wurde im Kontraktgespräch vereinbart, die einzelnen Projektentwicklungsstufen jeweils mit ihm durchzusprechen. B hoffte, dass durch diesen regelmäßigen Kontakt Missverständnisse geklärt werden könnten. So wollte er ihn überzeugen, dass er keinesfalls vorhabe, das strukturierte Auswahlgespräch generell als Standard einzuführen, sondern nur in den Fällen, in denen es „sinnvoll“ erscheine. Auch hoffte er z.B. bei der Qualifizierung der Auswahlkommission auf positive Rückmeldungen der Involvierten, die dann eventuell auch Einfluss auf die Meinungsbildung des Direktors haben könnten, so dass letztendlich dem Projekt allseits der angemessene Wert zukommen würde. Auch die Projektgruppe hatte nach ihrer Konstituierung ein Rundschreiben an die Be- schäftigten herausgegeben. Im Titel hieß es: „Die Personalentwickler informieren!“ Im Folgenden beantworteten die Personalentwickler sieben Fragen auf zwei Seiten: Definition von Personalentwicklung, Bedeutungsgehalt für die Polizei, Ziele der Qualifizierungsmaßnahme, Titel des Projekts, Beteiligte, Stand der Dinge, Fortgang der Projektarbeit. Die Bezeichnung der Organisationseinheit der Personalentwickler und ihre telefonische Erreichbarkeit bildeten den Abschluss, verbunden mit dem allgemeinen Hinweis, dass sie für „Anregungen und Fragen zum Projekt gern zur Verfügung stehen“. Im Gegensatz zum Rundschreiben von Projektgruppe A war dieses Infoblatt weder expli- zit projektbezogen noch mitwirkungsorientiert und ließ jeglichen Aufforderungscharakter 238 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse zur Mitarbeiterbeteiligung vermissen. Konträr zur kollegialen Ansprache, die mit einer aktiven Werbung um Beteiligung im Projekt A einherging, vermittelten Sprache und Duktus im Rundschreiben von Projekt B den Eindruck, dass hier „Spezialisten“, ausgestattet mit dem Sprachschatz der Professionellen, über einen zu vollziehenden „Spezialeinsatz“ informierten. Die Mitwirkung der Beschäftigten erschien bedeutungslos, was insgesamt die behördliche Haltung gegenüber dem Projekt B widerspiegelte. 5.3.4.4 Ergebnisse der Ist-Analyse Projektleiter A hatte mit seiner Projektgruppe in der ersten Projektgruppensitzung einen Fragebogen mit 12 Leitfragen entworfen, der an alle 53 Personen (Rücklauf: 49 Fragebögen) verschickt wurde, die im letzten Jahr an einem Auswahlverfahren der Behörde teilgenommen hatten. Gefragt wurde unter anderem, inwieweit das erlebte Aus- wahlverfahren den Vorstellungen des Bewerbers entsprach, in welchem Maße das Anforderungsprofil Einfluss auf die Bewerbung gehabt hatte (nach der Einschätzung der Atmosphäre und der eigenen emotionalen Situation während des Gesprächs) und ob die Zusammensetzung der Kommission sachgerecht empfunden wurde (nach dem Grad der Transparenz und der Akzeptanz der Entscheidung, nach Veränderungsvorschlägen zum Verfahren). Nicht nur der hohe Rücklauf wirkte auf die Projektgruppe motivierend, sondern die um- fangreiche Beantwortung der Fragen, die oftmals noch mit persönlichen Kommentaren und Anmerkungen versehen wurden. Als „roter Faden“ zog sich durch die Antworten der Adressaten ein tiefsitzendes Misstrauen, nämlich die weitverbreitete Meinung, dass die Auswahl eines Kandidaten schon vor dem Verfahren feststand oder unsachgemäß beein- flusst wurde. So wurde auch immer wieder der Eindruck geäußert, dass Bewerber, die in der Nähe von wichtigen Entscheidungsträgern „sitzen“, auf Grund ihrer alltäglichen Nähe zum Entscheider große Wahrnehmungsvorteile gegenüber Bewerbern aus räumlich und arbeitstechnisch entfernten Dienststellen hätten. Die betreffenden Bewerber meinten, dass sie ihre fachlichen und persönlichen Qualitäten in der Kürze des Auswahlverfahrens nicht adäquat hätten darstellen können. Mit Ausnahme derjenigen, die erfolgreich das Auswahlverfahren durchlaufen hatten, wurde von vielen die mangelnde Transparenz der Entscheidung beklagt. Für die Projektgruppe waren Quantität und Qualität der Rückmeldungen ein wichtiger Motivationsschub, denn die Gruppe erfuhr dadurch inhaltliche Bestätigung im Sinne von „Wir sind auf dem richtigen Weg!“ Auch wurde die Aufforderung an die Beschäftigten zur aktiven Mitwirkung sehr positiv aufgenommen, und es gingen eine Fülle an Anregungen, Vorschlägen, Hinweisen und Merkposten beim Projektleiter A ein. Hilfreich und unterstützend erwiesen sich auch die von A und seinem Dezernenten einmal jährlich durchgeführten Personalversammlungen in allen 18 Polizeiinspektionen, an denen durchschnittlich 70 % der Beschäftigten einer PI teilnahmen. Bei diesen Versammlungen 239 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse war der Stand des Projekts jeweils ein Tagesordnungspunkt, der unter den Beteiligten erörtert wurde. In diesem Zusammenhang stellte A heraus, dass jede Person, die telefonisch oder persönlich Empfehlungen oder Anregungen zum Projekt gab, eine Rückmeldung hinsichtlich der Nützlichkeit des Vorschlages bekam. Bei negativen Rückmeldungen wurde dem Sender gegenüber begründet, warum man den Vorschlag nicht weiter verfolgt habe. Projektleiter B stand vor dem Problem, dass der Direktor eine Befragung ablehnte. Das Hauptargument dagegen lautete, dass bei einer Befragung der Zielgruppe (wie bei A Kandidaten, die in der Behörde ein Auswahlverfahren durchlaufen hatten) evtl. abgelehnte Bewerber den Eindruck bekommen könnten, es seien Verfahrensschritte eventuell „rechtswidrig“ gelaufen, da man nun ein neues Verfahren plane. Als Konsequenz wurde die Entstehung von Unruhe und Misstrauen in der Behörde antizipiert. Diesen Ableh- nungsgrund konnte B akzeptieren. Nach seiner Ansicht genügten als Datengrundlage eine Dokumentenanalyse, sein umfangreiches Detailwissen zum Sachverhalt, die eigenen Erfahrungen als Betroffener von Auswahlmaßnahmen und die Ressourcen der Projektgruppe. Er berichtete, dass er persönlich Auswahlgespräche in äußerst unangenehmer Erinnerung habe, da er nie wusste, „was wollen die von mir, wie läuft das ab und das Ergebnis wurde nicht begründet“. Die Dokumentenanalyse erstreckte sich über den Zeitraum von 1994 bis 1998. Erfasst wurden 22 Dienstpostenausschreibungen A 11 - A 13 g. D. der Schutz- und Kriminalpoli- zei mit insgesamt 106 Bewerbern. In 18 Fällen wurde ausschließlich nach Aktenlage durch den Direktor der Polizei entschieden, in einem Fall in Form eines schriftlichen Vergleichs der Beurteilungstexte, und in drei Fällen wurde die Entscheidung durch stimmberechtigte Mitglieder einer Auswahlkommission getroffen, die ein nicht oder nur bedingt strukturiertes Auswahlinterview durchgeführt hatten. Die Zusammensetzung der Auswahlkommission war durch den Direktor festgelegt worden. 5.3.4.5 Projektverlauf und Ergebnisse des Projekts Projektleiter A hatte insgesamt 11 Projektgruppensitzungen im Verlauf eines Jahres durchgeführt. Dabei war die gängige Methodik in den Sitzungen die Leitthemen vorzu- stellen (z.B. Erstellung eines Leitfadens) sowie für die einzelnen Unterthemen Arbeitspakete zu schnüren und Projektgruppenmitgliedern zuzuordnen. Letztere suchten sich dann weitere fachkundige Helfer und Unterstützer außerhalb der Projektgruppe und bildeten eine Unterarbeitsgruppe, um den jeweiligen Auftrag sachgerecht bearbeiten zu können. Das Ergebnis der jeweiligen Unterarbeitsgruppe wurde dann in der folgenden Projektgruppensitzung vorgestellt und von den anderen Projektgruppenmitgliedern um den jeweiligen Input ergänzt, doch wurden auch Änderungswünsche eingebracht. Nach einer Diskussion fand die Fortschreibung der bearbeiteten Aspekte statt. So konnte in relativ kurzer Zeit der Entwurf eines komplexen Leitfadens für strukturierte Auswahlgespräche 240 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse entstehen. Im anschließenden Beteiligungsverfahren wurden Experten und wichtige Entscheidungsträger der Behörde einbezogen. Es gab dann noch marginale Änderungen, und der Leitfaden, als „A und O“ des strukturierten Auswahlgespräches, wurde zur verbindlichen Orientierungshilfe aller am Verfahren Beteiligten. A führte das hohe Engagement, die Leidenschaft und die Leistungsbereitschaft der Pro- jektgruppenmitglieder im Wesentlichen auf drei Faktoren zurück: Einmal war jedes Projektgruppenmitglied auf Grund der Ist-Diagnose, der Rundschreiben an die Beschäf- tigten und der unterstützenden Reaktionen aus der Kollegenschaft von der Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit des Projekts überzeugt, da das Projekt zum Ziel hatte, einen erkennbaren Missstand zu beheben. Zum anderen war der Projektzuschnitt „machbar“, das heißt der Gesamtprozess konnte von den Beteiligten übersehen werden, war für sie somit greif- und in die Praxis umsetzbar. Zum Dritten stimmte die „Chemie“ im Miteinander der Projektgruppe. Der allgemeine Umgangston wurde als locker, angenehm und aufmerksam beschrieben. Trotz der Spanne von sechs Hierarchiestufen kehrte auch der ranghöchste leitende Polizeidirektor nicht den großen „Zampano“ heraus. Vom Projektleiter war allerdings bei der Struktur, welche die Sitzungen hatten, einiges „Fingerspitzengefühl“ gefordert. Projektsitzungen wurden nicht verschoben, wenn Mitarbeiter durch Urlaub, Krankheit oder dienstliche Beanspruchungen verhindert waren. Erarbeitete Ergebnisse wurden den Absenten übersandt, so dass der Informationsfluss nicht abriss. Die intensive Öffentlichkeitsarbeit des Projekts A führte dazu, dass der Projektleiter an die Grenzen seines Leistungsvermögens gelangte, denn das Projekt wurde über den Einzugs- bereich der Behörde hinaus wahrgenommen. Verschiedene andere benachbarte Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung fragten den Projektleiter als Fachreferenten an. Die Reaktionen anderweitiger Behördenvertreter auf Tagungen und Dienstversammlungen waren durchweg positiv und wertschätzend. Der Mehrarbeit des Projektleiters aufgrund der steigenden Nachfrage stand das positive Feedback der Rezipienten und dessen wachsender Bekanntheitsgrad gegenüber, was wiederum anregend wirkte und viele Mühen nivellierte. Die Einführung des strukturierten Auswahlverfahrens bei der Dienstpostenbesetzung A 12/ A 13 g. D. hat die Einstellungen der betroffenen Personen in der Behörde in nicht unerheblichem Maße verändert, was mit zwei Fällen illustriert werden soll: So berichtete A, dass Kollegen die Anforderungsprofile intensiver läsen und sich somit tiefgehender mit den Anforderungen des Profils einerseits und den eigenen Qualifi- kationen andererseits auseinander setzten. Sie träten öfter an Vorgesetzte heran und äußerten Veränderungswünsche, um sich im Rahmen von Hospitationen und Rotationen in andersgearteten Funktionen neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen. Beispielhaft wurde von einem abgelehnten Bewerber berichtet, der seit acht Jahren auf einem Dienstposten „saß“ und seine Selbstvorstellung im Auswahlverfahren nach zwei 241 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Minuten beendet hatte, während andere Kandidaten auf Grund der Darstellung ihrer viel- fältigen Tätigkeiten hierfür 15 Minuten in Anspruch genommen hatten. In einem Feedbackgespräch wurde dem abgelehnten Bewerber im Nachgang zum Verfahren von den Mitgliedern der Auswahlkommission zurückgemeldet, dass er sich mehr „bewegen“ müsse, um in Zukunft in einem Auswahlverfahren für einen höherwertigen Dienstposten Chancen zu haben. Daraufhin habe der Bewerber seinen sicheren Dienstposten verlassen und nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten neue Aufgaben übernommen, um sein Tätigkeitsspektrum und Funktionsfeld zu erweitern. In einem anderen Fall schilderte A Einstellungsveränderungen und Umdenkungsprozesse von PI-Leitern und anderen Entscheidungsträgern, die Mitglieder von Auswahlkommissionen waren. Dieser Personenkreis favorisierte des Öfteren bestimmte Kandidaten im Vorfeld, was dann dazu führte, dass man sich mit „gewissen Vorstellungen“ in Auswahlverfahren begab. Beispielhaft wird im folgenden Statement der Umdenkungsprozess eines PI-Leiters dargestellt. Der favorisierte Kandidat bediente die Erwartungen der Kommission durch sozial erwünschte Antworten. Dabei wurde offenkundig, dass die Antworten zu einem Themensegment sich nicht mit den inneren Überzeugungen des Kandidaten deckten, was dann zur Bevorzugung eines Mitbewerbers führte. „Es war schon beispielhaft für einzelne Auswahlgespräche, dass also PI-Leiter mit, sag ich mal, mit gewissen Vorstellungen in die Auswahlgespräche gegangen sind und hatten auch eine Person im Kopf, die also unbedingt nach Ihrer Meinung diesen Dienstposten bekommen sollte und nach Ende des Auswahlgespräches, der PI-Leiter sich doch nicht mehr so sicher war, ob es dann der richtige Mann ist auch gerade im Bereich, wenn Fragen aus der sozialen Kompetenz kamen, die auch ja sehr wichtig gerade in Führungsfunktionen sind. Merkte man doch manchmal, dass also derjenige, der als Bewerber auftrat, das sagte, was die Kommission hören will. Das war aber nicht seine eigene Meinung. Das war ganz klar zu erkennen, und das PI- Leiter oder auch Entscheidungsträger von ihrer Meinung abgewichen sind und dann auch mit einem anderen letztendlich zufrieden waren, den sie vorher überhaupt nicht in ihrer Planung hatten.“ Insgesamt fanden im Projektverlauf 11 strukturierte Auswahlgespräche mit 39 Bewerbern statt. Der Projektleiter nahm an allen teil. Es erfolgte eine Implementation strukturierter Auswahlgespräche in die Ablauforganisation der Behörde. Zur Besetzung höherwertiger Dienstposten werden zukünftig ausschließlich strukturierte Auswahlgespräche durchgeführt. Erste Schritte seitens der Behörde sind bereits erfolgt, um die strukturierten Auswahlgespräche auf die Dienstpostenbesetzung A 11 g. D. und den höheren Dienst auszuweiten. Projektleiter B hat insgesamt 12 Projektgruppensitzungen im Projektverlauf durchgeführt und musste sich mit erheblichen Widrigkeiten und Erschwernissen auseinandersetzen. Ein negativ eingestellter Direktor und die problematische Zusammensetzung der Projekt- gruppe mit drei Leitern und einem blockierenden Personalrat bewirkten einen hemmenden und zähen Projektverlauf. So stellte B lakonisch fest, dass „wir im Prinzip kein Projekt- team geworden sind“. Im Gegensatz zu Projektleiter A hatte er keine Gruppe, in der alle 242 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse mitarbeiteten und in der man gemeinsam nach tragfähigen Lösungen suchte. Die Arbeitshaltung in seiner Projektgruppe beschrieb er mit „na ja, schauen wir mal, gehen wir mal hin, was da jetzt schon wieder abläuft und wie wir den nächsten Schritt nun möglichst auch beobachten können, wie wir da bestimmte Dinge auch in unsere Richtung beeinflussen können“. So war ihm von allen Projektgruppenmitgliedern am meisten daran gelegen, das Projekt auch in der Praxis zu erproben, dem Personalrat dagegen am wenigsten. Diese extremen Spannungspole verdeutlichen die weit auseinander liegenden, höchst unterschiedlichen Interessen, die letztendlich die Teilnehmer daran hinderten, das Projekt „zu unserer Sache zu machen“. Nichtsdestotrotz informierte B immer wieder in verschiedenen polizeilichen Kontexten über sein Projekt und bot sich als Ansprechpartner für die Thematik aktiv an. Im Projektverlauf wurde er lediglich ein Mal von einer Dienststelle zu einem Vortrag geladen. In der Mitte des Projektverlaufs wechselte der Direktor der Polizei. Der Nachfolger war bekannt. Dieser stand dem Projekt aufgeschlossen gegenüber, so dass einer Erprobung des Instruments nichts mehr im Wege stand. Nach der Erstellung eines Anforderungsprofils für einen zu besetzenden Dienstposten A 12 g. D. mit dem zuständigen Dienststellenleiter fand ein zweitägiger Workshop zur Schulung einer Auswahlkommission mit allen zwanzig Dienststellenleitern der Behörde und unter Beteiligung des Direktors an einer Fortbildungsstätte statt. Dieser Workshop wurde von der Projektgruppe vorbereitet und durchgeführt. Er wurde vom eigentlichen Projektleiter, aber auch vom Co-Leiter als Höhepunkt im Projektverlauf dargestellt. Ziel dieses Workshops war es, den Direktor und die Dienststellenleiter auf das Instrument strukturiertes Auswahlverfahren einzustimmen, sie mit „ins Boot zu holen“, um ein qualifiziertes Auswahlverfahren zur Besetzung des A- 12-Dienstpostens im Projektzeitraum durchzuführen. Sehr praxisnah und anschaulich wurden anhand von Rollenspielen und Übungen vielfältige Prozessabläufe in Auswahlverfahren erarbeitet, abgestimmt und eingeübt, was sich höchst förderlich auf Interesse und Engagement der Teilnehmer auswirkte, so dass die Veranstaltung als rundherum gelungen bewertet wurde. Mit Spannung wurde dem eigentlichen Auswahlverfahren entgegengesehen. Dieses erwies sich als äußerst konfliktträchtig. Im Rahmen des Verfahrens wurden aus neun Bewerbungen vier Auswahlinterviews zur Besetzung des Dienstpostens durchgeführt. In der Auswahlkommission waren die stimmberechtigten Mitglieder lediglich der Direktor der Polizei, der Personaldezernent und der Dienststellenleiter. Als nicht stimmberechtigte Mitglieder nahmen der Personalratsvorsitzende und die Frauenbeauftragte teil. Das Ergebnis des Verfahrens war, dass anhand der Bewertungsbögen der „rechnerisch“ insgesamt am höchsten bewertete Kandidat nicht den Dienstposten bekam, sondern ein anderer Bewerber, der schon im Vorhinein als eigentlicher Favorit für das Verfahren gegolten hatte. Hierzu äußerte sich der Projektleiter wie folgt: „Wir standen in einer Personalentscheidung plötzlich vor dem Problem, dass der Direktor auch eigene Interessen hatte, Interessen des Personalrates da waren und dieses Auswahlverfahren 243 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse jetzt eigentlich eine ganz andere Entscheidung gebracht hat und wir jetzt vor dem Problem standen: Mein Gott, haben wir alles richtig gemacht. Ist dieses Verfahren, wie wir es betrieben haben, richtig, weil eigentlich will ich meinen Mann ja da haben, und das Verfahren hat jetzt gesagt, das ist eigentlich ein anderer. Und da kam es dann schon mal so, dass wir doch in eine Kontroverse geraten sind, aber letzten Endes konnte er sich durchsetzen.“ Die Stimmung innerhalb der Behörde angesichts des Ergebnisses des Verfahrens beschrieb der Projektleiter mit den Worten: „Wieso habt ihr denn so einen Riesenbalihu gemacht und ein Instrument etabliert, wenn doch derjenige dabei rauskam, der es dann schon vorher war“. Trotz all der geschilderten Widrigkeiten, Desillusionierungen und Enttäuschungen vermerkte der Projektleiter positiv, dass „man es sich nicht leicht gemacht“ habe. So hätten „mehrere Sitzungen“ stattgefunden, wo „wir uns richtig gestritten haben“. Das hatte es in der Behörde bisher nicht gegeben. Auch sei man überein gekommen, dass man den rechnerischen Gewinner des Verfahrens weiter fördern müsse. Ein weiterer, vertiefender Schulungsbedarf für Auswahlkommissionen wurde ebenfalls gesehen, weil die Kommission im Bewertungsverfahren immer wieder tiefe Unsicherheiten zeigte. Ein Beispiel: So lautete eine Kandidatenfrage, aus der Sicht eines Dienststellenleiters zu erläutern, wie der Bewerber eine bestimme Problemstellung in seinem Verantwortungsbereich angehen würde. Ein Kandidat erläuterte dann, wie er die Bearbeitung der Problemstellung aus seiner bisherigen Funktion gehandhabt hätte. Ein Kommissionsmitglied fand die Darlegung der Vorgehensweise schlüssig und gab ihm die volle Punktzahl, da der Kandidat verdeutlichte, dass er „es drauf“ habe. Dagegen bewertete ein anderes Mitglied die Antwort mit null Punkten, weil er der Meinung war, der Kandidat habe die Frage nicht beantwortet. Angesichts all der widrigen Umstände, Rahmenbedingungen und Ergebnisse wertete Projektleiter B „sein“ Projekt als Erfolg, denn es sei ein Anfang gemacht, niveauvollere Auswahlgespräche, d. h. sie „transparenter und offener“ zu führen. Alle Teilnehmer dieses ersten Durchgangs hatten in einem Fragebogen das Verfahren als positiv und fair bezeichnet. Auf Grund der Schulung der Dienststellenleiter als zukünftige Auswahlkom- missionsmitglieder sei die Akzeptanz für dieses Instruments in der Behörde gewachsen, denn letztere könne ihre Kandidaten nun viel besser vorbereiten, was früher nicht möglich gewesen sei, weil „man nie wusste, was kommt“. Alsbald würden weitere Auswahlgespräche folgen. Selbstkritisch räumte er ein, es wäre sinnvoller gewesen, am Anfang des Projekts für „mehr Verbündete“ zu werben, anstatt mit dem „Kopf durch die Wand“ zu gehen. Viel bewusster sei ihm, die Bedeutsamkeit dieses Instrumentes zur Sicherung von Macht und Einfluss. Projektleiter B machte auf einen bedeutenden persönlichen Entwicklungsschritt aufmerksam: Nachdem er anfänglich das Ergebnis des Verfahrens als „persönliche Niederlage“ empfunden habe, sei ihm mit „gehörigem Abstand“ nun klar, dass die eigentliche „positive Geschichte“ die aktive und emotionale Auseinandersetzung sowie der Streit um die Wertigkeit und den Stellenwert dieses Instruments im Auswahlverfahren sei. 244 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.3.5 Erfolgskritische Faktoren für Projektarbeit in der Polizei Beide Projektverläufe A und B zeigen, dass die Einrichtung von Projektarbeit in die All- tagsorganisation eine alternative, konkurrierende Sozialstruktur in der hierarchischen Organisation darstellt. Die vielfältigen Widerstände, Fallstricke und Hindernisse, mit denen sich z.B. Projektleiter B auseinander setzen musste, verdeutlichten exemplarisch, dass die Einrichtung von Projektmanagement einen schweren Eingriff in das Organisationsleben bedeutet. Auf der anderen Seite, und hierfür ist der Projektverlauf A ein gutes Beispiel, kann es durchaus gelingen, den Widerspruch zwischen den beiden Organisationsformen „Projektarbeit“ und „Hierarchie“ erfolgreich zu managen. Der Projektverlauf A zeigt, dass es auch in einer zutiefst tradierten, hierarchischen Organisation wie der Polizei möglich ist, die von der Hierarchie etablierten Reflexionstabus organisationsweit zu durchleuchten und erstarrte Strukturen durchlässiger zu gestalten. Eine sinnvolle Organisationsentwicklung, wie die Implementierung von strukturierten Auswahlverfahren in eine Polizeibehörde, ließ sich nicht nur in Gang bringen, sondern auch etablieren. Von daher macht es Sinn, die erfolgskritischen Faktoren für Projektarbeit in der Polizei prägnanter und konturierter herauszuarbeiten. Die Frage könnte auch lauten: „Was unterscheidet erfolgreiche Projekte in der Polizei von weniger erfolgreichen?“ 5.3.5.1 Eine unterstützende Leitung in einer kollegialen Organisationskultur Beide Projektverläufe verdeutlichen, dass Projektmanagement bei den jeweiligen Organi- sationsleitungen und den Mitarbeitern Managementqualifikationen voraussetzt, die sich wiederum stark prägend auf die Organisationskultur auswirken und mit denen man von vorneherein nicht rechnen kann. Von der Sache her haben beide Projektleiter den selben Sachstand: einen Seminarbaustein Projektmanagement. Sie verfügen also über dieselben Grundlagen im Sinne der Ausstattung mit elaborierten Planungsinstrumenten der Vorgehensmethode, stoßen aber, obwohl in aufgabengleichen Dezernaten der jeweiligen Behörden verortet, auf verschiedenartige Managementqualifikationen und Organisationskulturen. In der Organisationskultur von B erscheinen wesentliche Prozess- und Verfahrensabläufe noch patriarchalischer und autoritärer geregelt, etwa durch die Anordnung, drei Projektleiter für ein Projekt einzusetzen, was eine wirkliche Zielformulierung, eine klare Auftragserteilung und zugewiesene Befugnisse für die Projektnehmer gar nicht erst ermöglichte. Schon die Themenwahl („Erprobung“ statt „Einführung“) des Projekts macht die Unent- schlossenheit und die fehlende Unterstützung wichtiger leitender Akteure in Bezug auf das Projektthema offenkundig und nährt somit starke Zweifel, ob das Ganze überhaupt etwas taugt. Die Normkultur in der Behörde B scheint eher rigide auf Vorgesetzten-Untergebe- nen-Verhältnisse ausgerichtet. Erst im zweiten Teil der Projektarbeit, nach dem Leitungswechsel, deuteten sich Auflockerungen an. Diese Auflockerungen genügten 245 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse jedoch nicht, um das Ergebnis der Auswahlkommission anzuerkennen, was auch als bedeutsames Zeichen der Systemabwehr gewertet werden kann, die hier unabhängig von Personen erfahrbar wird. Demgegenüber erscheint Projektleiter A, obwohl in der Hierarchie wesentlich niedriger als B verortet, in eine andere „kollegialere“ Organisationskultur eingebettet. Auf der funktionalen, sozialen und organisationalen Ebene zeigte man sich hier in Behörde A In- novationen gegenüber zugewandter, denn (a) wird die Teilnahme von A an der Maßnahme von seinem vorgesetztem Personaldezernenten als Entlastung und nicht als Bedrohung bewertet, (b) will die Behördenleitung durch A einen „inhaltlichen Input“ für die Ent- wicklung der Behörde erzielen und (c) ist es dem Projektleiter A ein Anliegen, dass für die Kollegen „etwas dabei herauskommt“ (vgl. Kapitel 5.3.4.2). Insgesamt ist ein hohes Maß von extrinsischer und intrinsischer Motivation der relevanten Akteure festzustellen. Hier herrschte also von Anfang an in Bezug auf die Behördenhaltung zum Projekt ein „drive“ auf allen Ebenen. Die Entschlossenheit zur Veränderung wird auch unterstrichen durch die Spezifizierung des Projektthemas: „Einführung des strukturierten Auswahlgesprächs“ sowie durch die Markierung des Ergebnisziels im Projektkontrakt, dass das Ergebnis des Verfahrens auf dem Votum der Auswahlkommission basiert. In gewisser Weise verdeutlichen die Projektverläufe A und B unterschiedliche Hand- lungslogiken von Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, obwohl beide Projekte im letzteren verortet sind. In der Privatwirtschaft, analog zum Projekt A, ist mit der Definition eines Projekts und seiner Organisation automatisch verbunden, dass der Gesamtprojekt- auftrag und die damit zusammenhängenden Teil- und Unteraufträge klargestellt und nicht nur für die Papierform sauber formuliert werden. Eine Situation wie im Projektverlauf B, in der die Leitung eindeutig verdeutlicht, dass sie sich nicht für den weiteren Verlauf des Projekts interessiert bzw. keine organisationale Wirkung mit dem Projekt erzielt werden soll, wäre in der Privatwirtschaft so nicht denkbar. Dort würde das nämlich die Rücknahme des Auftrags bedeuten bzw. die Nichtabnahme des Projekts durch einen externen Kunden, was wiederum mit der Weigerung einherginge, die Rechnung zu bezahlen, und unmittelbar Auswirkungen auf die Geschäftsbereiche, die Leitung und die Mitarbeiter hätte. Ein Projektverlauf wie B – mit einem desinteressierten, verhindernden Behördenleiter, drei Projektleitern und diffuser Zielstellung – entzieht der Projektarbeit vollständig den Sinn, hat erst einmal keine pekuniären Folgen und hinterlässt demotivierte Mitarbeiter. Letztere stehen dann Innovationen und Veränderungen zunehmend kritischer gegenüber, was letzten Endes aber auch niemanden interessiert, aber mittel- und langfris- tig erhebliche Auswirkungen auf die Innovations- und Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten hat. Da wird dann etwas lustlos abgearbeitet, was niemand kaufen würde. Hieraus erklären sich viele Interviewstatements, welche die enorme Wichtigkeit einer sichtbaren Unterstützung der Leitung für den Projekterfolg belegen. Beispielhaft sei hier das in Kapitel 5.3.2 schon aufgeführte Projekt „Frauenförderung durch Mentoring“ erwähnt. Unter der Schirmherrschaft eines Staatsekretärs wurde eine landesweite Steue- 246 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse rungsgruppe eingerichtet und ausgestattet mit erheblichen Ressourcen, insbesondere Finanzmitteln. Angesichts der politischen Bedeutsamkeit und der reichhaltigen Mittelausstattung musste man sich um den Projekterfolg und die Zukunftsträchtigkeit keine Gedanken machen. 5.3.5.2 Kernaufgaben des Projektleiters: Kurs, Klima, Öffentlichkeit Die Funktion des Projektleiters ist es, die Gruppe gegenüber der Organisation und der Or- ganisationsleitung zu repräsentieren und für die Platzierung der Vorschläge und Ergebnisse zu sorgen. In der Gruppe ist er „primus inter pares“. In den Projektverläufen A und B schien die herausgehobene Funktion des Projektleiters nivelliert zu sein. A hatte nicht nur ranghöhere Mitglieder in seiner Gruppe, sondern auch eine Leitfigur mit hoher Reputation. B musste sich die Leitung mit zwei anderen Leitern teilen. Welche Antworten gaben die Interviewten zu zentralen Steuerungsaufgaben der Projektleiter? Die Anfangsphasen der Projektarbeit wurden von den Leitern ganz unterschiedlich ges- taltet. Einige haben sich vorher durch Trainer beraten lassen und die Eröffnungssitzung von ihnen moderieren lassen, um Rollenüberfrachtungen und Interessenkonflikte zu mi- nimieren. Am Anfang der Projektarbeit wurden Zeichen gesetzt und Weichen gestellt. Teammitglieder zeigten ihre Motivation zur Mitarbeit. Die Projektleitung entwickelte ihren Leitungsstil. Arbeitsweisen und Regeln etablierten sich. Fast alle Befragten führten aus, wie wichtig ein gelungenes „Kick-off-Meeting“ und die ersten Treffen für die Motivation und Gruppenatmosphäre gewesen seien. Dabei standen die Zieldefinition und die Bestimmung der Meilensteine gar nicht einmal im Vordergrund. Zentral erschien das Bemühen um Verständigung, Partizipation und Begegnungsqualität. Beispielhaft sei hier Projektleiter A angeführt: „Die erste Projektgruppensitzung, die habe ich im Grunde genommen ohne ein bestimmtes Thema zusammengerufen. Das war einfach nur die Kennenlernphase. Da haben wir auch ohne, dass wir sagen, das und das und das wollen wir heute behandeln, wir haben uns zusammengesetzt und ich habe mir in etwa vorgestellt, was wir machen wollen, wie so die Zielrichtung ist, obwohl die natürlich noch so im Nebel war, wo wir dann letztendlich hin- kommen, wie ich mir das Arbeiten in der Gruppe vorstelle. So habe ich es dann auch gemacht und wir hatten von vornherein ein gutes Klima in dieser Arbeitsgruppe. Es war jeder bereit mitzuarbeiten und jeder bereit, gleich zu sagen, ich übernehme den und den Bereich und beim nächsten mal arbeiten wir es dann zusammen aus bzw. wir ändern es noch. Also, dieser Umgang miteinander war wirklich gut in der Gruppe. Es hat jeder bis zum Schluss zur Stange gehalten.“ Das Statement verdeutlicht, dass am Anfang aller Projektbemühungen erst einmal der Prozess der Selbstfindung als Gruppe steht, es geht um das Kennenlernen der Mitglieder, es geht um Vertrauensaufbau, um die Herstellung von Arbeitsfähigkeit. Das Originalzitat des Projektleiters A markiert die Wichtigkeit der Balance zwischen dem Auftrag (Ziel- richtung) und der Arbeit der Gruppe an sich selbst (Kennenlernen). Jede Einseitigkeit ist zu vermeiden. Sich kopfüber in die Sache zu stürzen, ist ebenso wenig zielführend, wie 247 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse nur auf der emotionalen, sozialdynamischen Ebene zu arbeiten. Erfolgreiche Projektleiter müssen in der Lage sein, beide Ebenen im Blick zu haben und zu managen, denn das sorgt mit für ein „gutes Klima“. Ein gutes Klima erhöht die Bereitschaft, sich aktiv in die Gruppe einzubringen und Verantwortung für Arbeitsbereiche zu übernehmen. Dies wirkt sich wiederum auf den Prozess der Problembearbeitung positiv aus, da alle hieran beteiligt sind. Wenn jeder weiß, wie Entscheidungen zustande gekommen sind, Kommunikation, Arbeitsbereiche und Beweggründe transparent gemacht werden, prägt das den guten „Umgang miteinander“. Wenn Gruppenmitglieder sich in den Geschehnissen wiederfin- den können, hat das günstige Auswirkungen auf die Konsistenz und die Durchführungsenergie der Projektgruppe. All dies stärkt den Zusammenhalt und ermöglicht den erfolgreichen Abschluss, da „jeder bis zum Schluss zur Stange gehalten“ hat. Ein gelungener Anfang ist allerdings noch nicht die Garantie für einen gelungenen Pro- jektverlauf. Gerade Gruppen mit euphorischem Beginn können zum „Abheben“ neigen und sich von der Hierarchie abkapseln. Projektleiter müssen daher immer den notwendigen Widerspruch zwischen Selbstschutz des Binnenlebens und der Durchlässigkeit nach außen managen. Die Durchlässigkeit des Projekts nach außen war ein Spezifikum von Projektleiter A. Sie markiert sich durch die strategische Besetzung der Projektgruppe, die intensive Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Kapitel 5.3.4.3), die offensiv angelegte Ist-Diagnose (vgl. Kapitel 5.3.4.4) sowie starke Präsenz und engagiertes Feedback in Form von Dienststellenbesuchen und Vorträgen zum Stand der Dinge (vgl. Kapitel 5.3.4.5). Andere Projektleiter hatten Schwierigkeiten mit der Durchlässigkeit nach außen. So schilderte ein Dienststellenleiter bezogen auf sein Projekt, einen zu „großen Bissen“ zu sich genommen zu haben. Gemeint war, den Projektumfang zu groß dimensioniert zu haben. Er konnte sein Projekt nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit abschließen. Viel Zeit hatte er investiert, die Projektmitglieder „auf Augenhöhe“ zu bringen, um einen adäquaten PE-Wissenstand zu vermitteln. Er hatte Trainer als Moderatoren von Projektgruppensitzungen gewinnen können und verstand sich als „derjenige, der das PE- Wissen hatte, als Projektgruppenmitglied und als Projektgruppenleiter“. Vor lauter Partizipationsbestrebungen im Rahmen breit angelegter demokratischer Entscheidungs- prozesse in der Projektgruppe kam es zu eigener Rollenkonfusion und zu Überlastungen und Überfrachtungen durch Kommunikation. Der Zustand, dass ein Projektleiter gleichzeitig als Beurteilungsvorgesetzter fungierte, war kein seltener. Diese Situation kann seitens einzelner Projektgruppenmitglieder durchaus gewollt und erwünscht sein, etwa um das eigene Leistungsvermögen und Engagement darzustellen, was sich dann, so hofft man, positiv in der nächsten Beurteilungskonferenz niederschlägt und den entscheidenden Punktvorsprung gegenüber Konkurrenten bringt. Es kann aber auch das Gegenteil eintreten. In einem Qualifizierungsprojekt bemerkte der 248 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Projektleiter Lähmungserscheinungen in der Projektgruppe und klärte die Ursache hierfür. Die Mitarbeiter hatten ein Problem damit, ihrem Beurteilungsvorgesetzten Schwächen zu offenbaren, da negative Auswirkungen auf die nächste Beurteilung antizipiert wurden. Das offene An- und Besprechen ermöglichte eine konstruktive Lösung. Eine weitgehende Anonymisierung der Mitarbeiterangaben zur Ist-Diagnose sorgte für die nötige Sicherheit und stellte beide Seiten zufrieden. Fasst man alle Statements der Interviewteilnehmer hinsichtlich der erfolgskritischen Aus- gestaltung der Projektleiterrolle zusammen, so lassen sich folgende drei Kernaussagen im Sinne von Handlungsaufforderungen treffen: Gruppe auf Kurs halten, für gutes Klima sorgen und intensive Öffentlichkeitsarbeit nach außen und nach innen. Die Funktion des Projektleiters als Initiator und Durchführer intensiver Öffentlichkeitsarbeit ist eindeutig erfolgskritisch. Viele Befragte berichteten über umfangreiche Öffentlichkeitsarbeitsmaßnahmen in allen Phasen der Projektarbeit, wobei unterschiedliche Informationsmethoden angewandt wur- den: Führungskräftebesprechungen, Fernschreiben, Hauszeitungen, Dienstversamm- lungen, Flyer, Informationsmappen. Grundsätzlich sollte projektbezogene Öffentlichkeitsarbeit im Führungskräfteumfeld Priorität haben. Hieran musste Informations- und Überzeugungsarbeit ansetzen, um Führungskräfte mit „ins Boot“ zu holen bzw. sich mit Kritik und Widerständen auseinander zu setzen, aber auch um für umfassende Information zu sorgen, da sich Mitarbeiter mit Fragen zum Projekt an ihre jeweiligen Vorgesetzten wandten. Danach verdichteten sich Informations- und Kommunikationsflüsse wechselseitig: Erfolgreiche Projektleiter müssen in der Lage sein, einen sich gegenseitig befruchtenden Kommunikationsfluss in Gang zu halten und zu steuern. Dass es wichtig ist, in allen Phasen des Projektprozesses das Ohr an die Linie zu halten und sensibel wahrzunehmen, welche Strömungen, Stimmungen und Ideen dort kursieren, zieht sich durch viele Statements. Die Bedeutung offensiven Projektmarketings kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. So bezog sich ein wesentlicher Antwortstrang auf die Frage, was die Führungskräfte im Lichte der Erkenntnisse der vor dem Abschluss stehenden Projektarbeit im Nachhinein verändern würden, das heißt auf nicht ausreichendes Projektmarketing in der Startphase. Dabei wurde selbstkritisch bemerkt, dass die eigene Überzeugung, mit dem Projekt wichtige Pionierarbeit zu leisten, nicht ausreicht. Entscheidend sei es, Verbündete für den dornenreichen Projektweg zu gewinnen. In diesem Zusammenhang reflektierte ein Polizeiinspektionsleiter sein vornehmlich „schriftlich“ geleitetes Projektmarketing als wenig zielführend. Er würde bei zukünftigen Projekten mit einer großen Dienstversammlung beginnen, nicht nur um das Unterfangen bekannt zu machen und für Mitarbeit zu werben, sondern auch um Kritik und Widerstand der Beschäftigten auszulo- ten und besprechbar zu machen. 249 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.3.5.3 Zur Relevanz von Leitfiguren in der Projektgruppe Die Zusammenstellung von effektiv und effizient arbeitenden Projektteams ist keine leichte Aufgabe für Projektleiter. Einerseits muss zur Bewältigung der Problemkomplexi- tät die getroffene Personalauswahl diese Komplexität auch einigermaßen repräsentieren. Andererseits ist es eine bekannte Tatsache, dass je mehr Widersprüche und Sichtweisen in einem Projektteam vertreten sind, sich die Zusammenarbeit umso anstrengender und schwieriger gestaltet. Die Besetzung von Projektteams ist also eine sensible und diffizile Angelegenheit. Dabei gehört zur Grundregel in Projektteams die Einbindung von wichtigen organisationalen Funktionsträgern wie Personalräten, Frauenbeauftragten und Vertretern der Schwerbehinderten. Dies wurde auch in allen Projektteams beachtet und durchgeführt und bedarf an dieser Stelle keiner besonderen Vertiefung. Die aktive Einbindung von organisationalen Leitfiguren in die Projektarbeit ist dagegen nicht selbstverständlich. Die Wichtigkeit dieser Personen für den Projekterfolg wird oftmals unterschätzt. Die Gewinnung zweier wichtiger Akteure mit hohem organisationalen Wirkungsgrad war für Projektleiter A absolut erfolgskritisch. Die Einbindung eines allseits geachteten und respektierten leitenden Polizeidirektors als Projektpromotor in die PI-Leiterrunde war eine strategisch bedeutsame, akzeptanzsteigernde Maßnahme. Die Identifikations- und Integra- tionskraft dieser Leitfigur wirkte aber auch erheblich nach „unten“, aufgrund von der Projektgruppe verfassten und von ihm unterschriebenen Rundbriefe an die Mitarbeiterschaft, in denen positiv, offensiv und um Verständnis werbend die Projektidee den Beschäftigten dargestellt und der Projektverlauf transparent gemacht wurde. Die Wirkung dieser Leitfigur war laut Projektleiter A nicht allein durch die herausgehobene Funktion begründet, sondern auch durch ihre charakterliche Integrität, im Sinne von Verlässlichkeit, Geradlinigkeit und Konsistenz. Erst die Kombination von Funktion und Person erklärte den hohen Wirkungsgrad dieser Leitfigur. Als umsichtige und weitreichende Maßnahme erwies sich auch die Integration des PK- Leiters in das Projektteam, der einerseits ein weitreichendes Erfahrungsspektrum als Be- troffener von Auswahlentscheidungen in die Arbeit einbringen konnte, andererseits sich aber auch als Multiplikator des Projektes für die mittlere Führungsebene verstand. Damit waren markante Informations- und Kommunikationskanäle nicht nur durch wichtige Leit- figuren abgedeckt, sondern wurden auch aktiv bearbeitet. Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung belegen, dass die Wichtigkeit der Ein- bindung zentraler Akteure als Integrations- und Identifikationsfiguren in die Projektarbeit (besonders in tradierten hierarchischen Organisationen) gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, denn dadurch gewinnt das Projekt erst die erforderliche Bedeutung. Die dezente, für die breite Allgemeinheit der Beschäftigten nicht sichtbare Unterstützung der Behördenleitung reicht nicht aus, sondern bedarf der gestalterischen Mitarbeit zentraler 250 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Leitfiguren (z.B. als Promotoren der Öffentlichkeitsarbeit nach innen), die wesentliche Impulse geben und so Sorge dafür tragen, dass das Projekt die erforderliche organisationale Tiefung erhält, um sich tragfähig zu entwickeln. In gewisser Weise ist die Mitwirkung von Leitfiguren mit hoher innerbehördlicher Reputation und Akzeptanz für die Beschäftigten das erfolgskritische Signal, dass das Projektvorhaben überhaupt ernst zu nehmen ist. Vordergründig verfügte auch Projekt B über drei wirkungsgradstarke Akteure. Hier wirkte die Abspaltung der Projektarbeit aus den Kernprozessen der Behörde, ausgewiesen unter anderem durch die Dreiteilung der Projektleitung in Projekt B, als mächtiges Signal der Systemabwehr. Die Systemabwehr wirkt hier auf duale Weise. Erstens wird durch die Ab- spaltung bewirkt, dass möglichst wenig Berührungsprobleme zwischen der alten und neuen Organisationsform entstehen. Zweitens etabliert sich in der Projektgruppe durch das autoritäre Hineinregieren des Behördenleiters derselbe Organisationscharakter, so dass möglichst wenig beunruhigende Alternativerfahrungen gemacht werden können. Bei drei „Leitern“, die sich gegenseitig auf die Finger schauten, wurde verhindert, dass in der Pro- jektgruppe „freie“ und kommunikativ-fördernde Luft geatmet werden konnte. Eher schien die „stickige“ Atmosphäre der Hierarchie angesagt, denn das „Häuptling-Indianer-Miss- verhältnis“ in der Gruppe erwies sich nicht als arbeitsförderlich. Die Aufsplittung von Kompetenzen führte nach innen dazu, dass sich auch der eigentliche Projektowner nie „richtig“ verantwortlich fühlen konnte und sollte. Das verhinderte wiederum, dass der „Funke“ weder nach innen in Richtung Projektgruppe noch nach außen in Richtung offensive Öffentlichkeitsarbeit überspringen konnte. Es entstand für Außenstehende eher der Eindruck, dass es sich um ein Beschäftigungsprojekt für Teilnehmer einer Qualifizierungsmaßnahme handelte, was eine wirkliche Ernsthaftigkeit des Anliegens gar nicht aufkommen bzw. erst in der Schlussphase des Projekts entstehen ließ. 5.3.5.4 Die Wichtigkeit eines griffigen und sinnigen Themas Neben der Präsenz von Leitfiguren muss auch das Problem der Mehrfachzugehörigkeit in Projektgruppen gelöst werden. Konkret lautet die zu beantwortende Frage für jedes Pro- jektgruppenmitglied: „Fühle ich mich mehr emotional/fachlich an das Projekt gebunden oder liegt meine emotionale/fachliche Bindung mehr in der Alltagsaufgabe, innerhalb meiner Funktion in der Hierarchie?“ Der persönliche Einsatz im Projekt hängt sehr stark von der Beantwortung dieser Frage ab. Jede Projektgruppe muss hier unterschiedliche Einsatzbereitschaften zur Kenntnis nehmen und mit diesen Unterschieden arbeiten. Dabei kann die Einsatzbereitschaft aller Projektgruppenmitglieder sich erheblich steigern, etwa durch den Konsens im Team, das Projekt für „unbedingt erforderlich“ (vgl. Kapitel 5.3.4.3) zu deklarieren. Mit diesem eindeutigen Bekenntnis konstituiert sich gleichzeitig ein wesentlicher sinnstiftender Faktor, nämlich die konsensuale Erkenntnis, mit dem 251 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Projekt einen notwendigen Dienst an der Gemeinschaft zu verrichten, was noch zusätzlich erhebliche Verstärkung erfährt durch den hohen Rücklauf der Fragebogenaktion und die zahlreichen bestärkenden Voten der Zielgruppe, sich eines wirklich wichtigen Themas angenommen zu haben. Die Wahrnehmung der Kollegen dient als wesentliche Bezugsgröße für das, was in der täglichen Arbeit als zielführend und qualitativ hochwertig empfunden wird. Im Vergleich zur Privatwirtschaft ersetzt in gewisser Weise das Urteil der Kollegen das Urteil der Kunden bzw. des Marktes. Dass der bisherige Verlauf von Auswahlgesprächen den subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen des Projektleiters A (in großen Teilen gilt das auch für B, allerdings mangelt es an zuvor genannten Punkten) widersprach, kann als weiterer motivierender, sinnstiftender Faktor betrachtet werden. Der Projektgruppenkonsens, ein „notwendiges“ Thema zu bearbeiten, reicht für sich allein genommen noch nicht aus. Das Thema muss auch „greifbar“ und „überschaubar“ sein, also innerhalb des gegebenen Zeitrahmens zu bewältigen sein. Dann kann, wie Projekt- gruppe A zeigt, Disziplin und Leidenschaft in der Vorgehensmethodik erzeugt werden, die Auswirkungen auf die Gesamtorganisation hat und den bisherigen behördlichen Status quo verändern kann. Dieser ist im Wesentlichen geprägt von einem feinen, komplexen und schwer durchschaubaren Gewebe aus Statusfragen, Machtbalancen und Einflussdomänen, die durch das Projekt durcheinander gebracht werden. Dabei besteht die Gefahr, dass das routinierte Funktionieren der Alltagsorganisation die Innovationskräfte absorbiert. Ein er- folgreicher Projektverlauf wie A beweist, dass auf die Alltagsroutinen ein notwendiges, überschaubares und kalkulierbares Projektthema einwirken muss. Dieses sollte von einem entschlossenen Projektteam bearbeitet werden, das einerseits nicht die Erdung in der Or- ganisation verliert und andererseits seinen organisationalen Wirkungsgrad permanent erweitert. Der Erfolg eines Projektes kann dann auch mit daran bemessen werden, inwieweit die hiervon Betroffenen gezwungen sind, neue Handlungsspielräume zu entwickeln und neue Handlungssicherheiten und Rollenstabilitäten aufzubauen bzw. Be- reitschaft zeigen, diese im Sinne ihrer persönlichen und positionsbedingten Machtpotenziale als Verhandlungsressource einzusetzen (z.B. indem Entscheidungsträger die Schlüssigkeit von strukturierten Auswahlverfahren anerkennen und bereit sind, vorge- fasste Meinungen in Bezug auf Kandidaten auf Grund aktueller Ergebnisse zu revidieren). 5.3.5.5 Hohe Störanfälligkeit oder die Schwierigkeit der Erfolgsbemessung Nun könnte man vordergründig der Meinung sein, A als bedeutsame Erfolgsstory zu bewerten, da hier das Projektziel der Einführung des strukturierten Auswahlgespräches in die Organisation nachhaltig erreicht worden ist. Dagegen wirkte der Projektverlauf B eher blass, holprig und einförmig, hielt er sich doch im Rahmen, was man bürokratischen, hierarchischen Organisationen so alles zutraut. Zuvor wurde jedoch dargestellt, dass Projektleiter B sein Projekt ebenfalls als Erfolg betrachtete, was sich auch mit der Bewertung des Co-Leiters deckte. Das stimmt nachdenklich. Vergleicht man die im 252 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Kontrakt benannten Ergebnisziele (vgl. Kapitel 5.3.4.2) mit dem Erreichten, lässt sich B zustimmen. Die Ziele waren allerdings wesentlich bescheidener formuliert („Erprobung“ statt „Einführung“). Vom Ergebnisziel, dass die Auswahlentscheidung auf dem Votum der Auswahlkommission basieren sollte, war nicht die Rede. Dafür wurden ein Auswahlverfahren „erprobt“, was nicht ausgewiesenes Ergebnisziel war, ein Leitfaden erstellt, eine Auswahlkommission geschult und das Auswahlverfahren den Bewerbern bekannt gemacht. Formal wurden also die bescheidenen Ziele erreicht. Bedenkt man dann noch die vielfältigen Widrigkeiten und Schwierigkeiten der gegebenen Struktur- und Rahmenbedingungen, unter denen B „werkeln“ musste, und wertet man den Streit um die richtige Entscheidung in dem durchgeführten Verfahren als substanziellen Erkenntnis- und Ergebnisschritt (gemäß dem Motto: Streit und Konflikt sind der Motor der Veränderung), dann verkehrt sich Wahrnehmung. Eingefahrene dysfunktionale Muster aber aufzubrechen, bringt Konflikte, birgt die Gefahr der Resignation und benötigt vor allem Zeit. Der zur Verfügung gestandene Projektzeitraum reichte dafür nicht aus. Angesichts dieses wirklich schwierigen Projektumfeldes verblasst dann der zielführende Projektverlauf und das eindrucksvolle Ergebnis von A. Ist B der Held? Verkehrte Welt? Alles ist gut? Nein, dem ist nicht so, doch soll das Beispiel verdeutlichen, wie schwierig es ist, einen Projekterfolg eindeutig zu markieren, wenn man neben den offiziellen Zielen noch die mit dem Projekt beabsichtigten Wirkungen und relevante inoffizielle und daher nicht explizite Ziele mit betrachtet. Vergleicht man A und B, wird auch deutlich, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor für erfolgreiche Projektarbeit in der Polizei nicht von der präzisen Interventionslogik an exakt ermittelten Problemstellen abhängt, sondern von Machtspielen und Interessen wichtiger Organisationsbereiche und Akteure. Innovationsspielräume und Entwicklungskorridore sind im Wesentlichen hiervon bestimmt, was im Positiven, aber auch im Negativen an den beiden Projektverläufen abzulesen ist. Erfolgsbemessungen hängen einerseits stark von den subjektiven Wahrnehmungen, Ein- schätzungen und Zuschreibungen der Akteure, hier: den Projektleitern, ab. So fiel auf, dass niemand der Interviewten seinen Projektverlauf als Misserfolg deklarierte, obwohl Projekte zu groß dimensioniert, Ziele nicht erreicht und Projekte nicht termingerecht abgeschlossen werden konnten. Hierzu passte auch die Tatsache, dass nur in zwei von zwölf Projektkontrakten K.-o.-Kriterien seitens der Projektleiter angeführt wurden. In diesem Zusammenhang spielten individuelle Zuschreibungen der Projektleiter bezogen auf projektbehindernde Faktoren eine entscheidende Rolle. Allerdings kann der Verweis auf die Umstände nicht die Frage klären, ob im Einzelfall nicht mehr „drin“ gewesen wäre, also ob der eigentliche Misserfolg nicht eher in der mangelnden Professionalität von Projektverantwortlichen zu suchen ist, weil die Projektgruppe z. B. einfach unzureichend „geführt“ wurde bzw. Projektleiter sich gegenüber den Auftraggebern zu vorsichtig und mutlos verhalten haben. Es ist wichtig, dass Projektleiter die von dieser Seite notwendige Unterstützung ab- und einfordern. Ebenfalls müssen sie in der Lage sein gegenüber 253 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse zuarbeitenden Organisationseinheiten Autorität aufzubauen, um zeit- und qualitätsgerechte Ergebnisse abzufordern. Andererseits können Erfolgsbemessungen nicht losgelöst gesehen werden von strukturellen Bedingungen. Auf Grund des höheren Abstimmungsbedarfs erschwerten Parallelen zu anderen Veränderungsprojekten (z.B. Führungskräfteentwicklung, Einführung von Qualitätsmanagementsystemen) in der Polizei des Landes Niedersachsen die Arbeit in den Projektgruppen vor Ort und der Teilnehmer im Qualifizierungspro- gramm. Zudem wurden viele personelle und finanzielle Ressourcen für Pilotprojekte der Kosten-Leistungsrechnung benötigt, was zu Engpässen führte, aber vor allem aus der Sicht mancher Teilnehmer die Frage aufwarf, ob die Personalentwicklung wirklich konsequent gewollt war. Zum Zeitpunkt der zweiten Interviewreihe November 1999– Januar 2000 war in vier von elf Fällen das Projekt noch nicht abgeschlossen. Ein ähnliches Bild bot sich in Bezug auf die Gesamtmaßnahme. Zum Zeitpunkt der Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme im Februar 2000 hatte ein Drittel der Führungskräfte ihr Projekt noch nicht abgeschlossen. Bei den meisten war aber ein Ende in den Folgemonaten abzusehen. In ihrer Gesamtheit weisen die erfolgsbeeinträchtigenden Zuschreibungen auf eine hohe Störanfälligkeit (siehe auch Projekt B) von Projektarbeit in der Polizei hin. Einige polizei- spezifische, erfolgsbeeinträchtigende Störfaktoren sollen exemplarisch benannt werden. Stark betroffen vom nicht termingerechten Abschluss der Projekte war das Themenseg- ment „Entwicklungsbedarfsanalyse“ bzw. „Anforderungsprofile“, in dem keiner der Gesprächspartner zum Interviewzeitpunkt sein Projekt beendet hatte. Was waren die Gründe? Die Qualifizierungsmaßnahme war eng vernetzt mit dem parallel laufenden Ver- änderungsprojekt „Führungskräfteentwicklung“. Hier wurden landesweite Standards der Auswahl und Qualifizierung von Führungskräften erarbeitet, wobei zunächst für alle wichtigen Dienstposten Anforderungsprofile erstellt wurden. Die Projektleiter, die sich mit Anforderungsprofilen befassten, waren teilweise auf Arbeitsergebnisse aus der Füh- rungskräfteentwicklung angewiesen, weil dort ähnliche Fragestellungen bearbeitet wurden. Umgekehrt mussten Arbeitsergebnisse der Projektgruppe in die „Führungskräfte- entwicklung“ eingearbeitet bzw. Zuordnungen und Bezüge hergestellt und Sprachregelungen getroffen werden. An diesen Schnittstellen waren erhebliche Reibungs- verluste festzustellen, die zu Verzögerungen in der Terminierung der anstehenden Entwicklungsschritte und für erheblichen Frust bei den Projektleitern sorgten. Für Frustrationen sorgte auch immer wieder ein systemimmanentes Dilemma. Auf der einen Seite sind Selbstorganisationsmechanismen (Projektarbeit) wichtig, damit die Problemlösungskapazitäten in der Organisation mobilisiert werden. Auf der anderen Seite braucht man eine Fremdorganisation (zentralistische Entscheidungen), um neue, ungewohnte Lösungen in die Organisation hineinzutragen. Nicht nur die schon 254 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse beschriebenen Abstimmungsprobleme, sondern auch die damit einhergehende Fremdbestimmung wirkten sich auf die Motivation und Arbeitsfreude der Projektgruppe aus. Irgendwann stellte sich dann die Frage, ob sich die Projektgruppe in dem „abgestimmten“ Ergebnis noch wiederfindet. So berichtete ein Projektgruppenleiter aus dem Segment „Anforderungsprofile“, dass man sich in der Projektgruppe in „tagelangen Diskussionen teilweise über jede einzelne Formulierung Gedanken gemacht hat“. Als man dann in der Projektgruppe einen Konsens erzielt hatte, wurde ein Beauftragter der Arbeitsgruppe damit nach „Hannover“ (Sitz des Innenministeriums) geschickt. Dieser kam dann wieder mit einer „vollkommen anderen Formulierung“, die sich allerdings in einem Prozess landeseinheitlicher Abstimmung befand. Für den Projektleiter war das ein „Aha-Erlebnis“, und dieser hatte Mühe das vereinheitlichte Ergebnis zu akzeptieren. Im folgenden Zitat kommt seine völlig ambivalente Haltung zum Ausdruck: „Das ist zwar eigentlich unser Anforderungsprofil, aber irgendwie ist es das doch nicht. Nicht, weil eben zu viele Fremdfaktoren, Fremdeinflüsse da gewesen sind.“ Weiterhin wirkte für diesen Projektleiter irritierend und demotivierend, dass nicht klar war, ob das zu erstellende Anforderungsprofil für Dienstabteilungsleiter mit als Grundlage für Personalentscheidungen dienen würde oder aber „Lippenbekenntnisse“ des Nieder- sächsischen Innenministeriums bleiben würden. Im Spannungsfeld von zentraler und dezentraler Verantwortung sah er Tendenzen, dass das Innenministerium nicht ein landesweites Anforderungsprofil Dienstabteilungsleiter festschreiben würde, sondern mit Rücksicht auf „regionale Besonderheiten“ die Bezirksregierungen für zuständig erklären würde, den Umgang hiermit zu bestimmen. Dieses Dilemma zwischen Selbstorganisation und Fremdorganisation scheint nicht auflösbar und birgt erhebliche Gefahren. Wie am Beispiel zu ersehen, wirkte für die Mitglieder der Projektgruppe das Ergebnis der Fremdorganisation so befremdlich, dass sie Mühe hatten, noch Reste ihres Produktes wiederzuerkennen. Im schlimmsten Falle verweigern sich Projektmitarbeiter nach solchen Erfahrungen in der Zukunft, was fatale Folgen für die Fremdorganisation haben kann, denn ohne deren Input lässt sich schwerlich Neues entwickeln. Kritisch wäre auch zu hinterfragen, ob es nicht Leitungsaufgabe des Projektleiters gewesen wäre, die wichtige Botschafter- und Übersetzungsfunktion im überörtlichen Rahmen selber wahrzunehmen, anstatt ein Projektgruppenmitglied zu schicken. Es bedarf aufwändiger Motivations- und Übersetzungsarbeit und eines prozesshaften Kommunikationsmanagements, das die Spannungspole und die dazwischen verorteten Entscheidungen nicht aus den Augen verliert, Fremdeinflüsse und Interessen benennt bzw. transparent macht. Gemeint ist, dass es wenig sinnvoll erscheint, die Interessen der Fremdorganisation zu verschweigen. Wenn vermieden wird, über derlei Interessen zu reden, verlagern sich die Interessenkonflikte in die Arbeit der Projektgruppe 255 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse selbst hinein. Diese spiegelt dann die äußere Organisationswirklichkeit wider: Offizielle und inoffizielle Hierarchien lähmen sich gegenseitig und hebeln sich aus. Einen erheblichen Einschnitt bedeutet es, wenn Projektgruppenmitglieder aufgrund einer besonderen Situation, etwa als Mitarbeiter in einer Mordkommission, nicht mehr zur Verfügung stehen. Da erhebliche Personalressourcen in die Mordkommissionsarbeit einflossen, sah sich ein Projektleiter veranlasst, sein Projekt für ein halbes Jahr zu unter- brechen, da eine parallele Projektarbeit auf wenig Akzeptanz in seiner Polizeiinspektion gestoßen wäre. In manchen Fällen sorgten Krankheit und nicht absehbare Versetzungen von Gruppenmit- gliedern für unregelmäßige Treffen oder führten zu einer dezimierten Projektgruppe. Projektleiter, deren Projektgruppe zum großen Teil mit Mitarbeitern aus dem Einsatz- und Streifendienst besetzt war, standen vor einem Dauerdilemma. Auf Grund der unterschied- lichen Schichtzugehörigkeiten minimierten sich Terminmöglichkeiten, und situative Einflüsse sorgten für erhebliche Unruhe. Diese Projektleiter würden zukünftig für eine bessere „Durchmischung“ der Projektgruppe sorgen. Eine Projektgruppe steht am Scheideweg, wenn ein engagierter Projektleiter die Gruppe verlässt. Ist damit der Arbeitsauftrag hinfällig? Fällt die Gruppe auseinander? Unter welchen Bedingungen kann weitergearbeitet werden? Ein Projektleiter wurde in ein anderes Bundesland versetzt. Als sich mit seinem Weggang die Existenzfrage des Projektes stellte, empfand er die Behandlung seines Themas auf einem der drei Praxisbegleitungstage als ausgesprochen hilfreich und unterstützend. Die Beratungsergeb- nisse dieses Tages führten zu einem „weichen“ Übergang und zur Weiterarbeit am Projekt. Der hohe zeitliche Aufwand für die Projektarbeit bedeutete für viele Projektleiter eine er- hebliche Mehrbelastung. Im Gegensatz zur einige Jahre zuvor landesweit durchgeführten Controllerausbildung hatten die Personalentwickler erschwerte Bedingungen bei ihrer Qualifizierungsmaßnahme. Sie waren zur Durchführung des Projekts nicht von ihren originären Aufgaben freigestellt, sondern hatten ihre Projekte innerhalb des Tagesge- schäfts durchzuführen, was teilweise erhebliche Belastungen mit sich brachte. Da die Projektleiter ihre normale Linienaufgabe und die Projektarbeit bewältigen mussten, waren die Widersprüche zwischen Routine und Innovation auszuhalten, was wiederum unge- klärte Fragen aufwarf, etwa inwieweit der Projektverlauf sich für weitere Karriereschritte als dienlich erweist, ob ein erfolgreiches Projekt das alltägliche Führungsgeschäft erschwert oder ob ein ungünstiger Projektverlauf karriereschädigend wirken könnte. Zur Unterstützung bei der Durchführung der Projektarbeit war das Projektcoaching, das im Rahmen von Praxisbegleitungstagen stattfand, gedacht, dessen Nutzen im folgenden Kapitel beschrieben wird. 256 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.3.5.6 Projektcoaching im Rahmen von Praxisbegleitungstagen Das gemeinsame Erarbeiten von konstruktiven Lösungen bei Schwierigkeiten im Projekt- verlauf war auch Ziel des Projektcoachings im Rahmen von Praxisbegleitungstagen. Die Projektcoachings waren als Angebot und zugleich Verpflichtung gedacht, sich mit der Gestaltung des eigenen Projekts, der Rolle als Projektleiter und dem Umgang mit Wider- ständen vor Ort auseinander zu setzen und sich gleichzeitig mit anderen Projektleitern auszutauschen. Die Praxisbegleitungstage fanden an wechselnden Orten statt, vornehmlich in Räumlich- keiten von Polizeibehörden in Hannover, Braunschweig, Lüneburg und Oldenburg. Die Teilnehmer hatten sich in vier Gruppen aufzuteilen, was jedem Teilnehmer die Möglichkeit gab, zumindest an drei Praxisbegleitungstagen teilzunehmen, nach Bedarf auch öfter, falls eine dringliche Situation der unmittelbaren Klärung bedurfte. In der ersten Runde der Praxisbegleittermine waren die Gruppen noch nach thematischen Schwerpunkten zusammengestellt, was für viele aus terminlichen Zwängen schwierig war. Somit wurde die ursprüngliche thematische Zuordnung ab der zweiten Runde aufgehoben. Das hatte wiederum zur Folge, dass die jeweiligen Gruppen aufgrund ständig wechselnder Besetzung und der zeitlichen Fassung schwerlich zur „Gruppe“ werden konnten. Die projektbegleitende Praxisreflexion hatte einen strukturierten Ablauf, der sich stark verkürzt wie folgt darstellte: ♦ Begrüßung der Teilnehmer ♦ Erhebung einer thematischen Übersicht (Teilnehmer benannten ihr Projektthema auf einer Moderationskarte). Analog dazu wurden offene Fragen formuliert. Thema und Fragen wurden auf Pinwänden visualisiert) ♦ Feststellung der Schwerpunkte und Festsetzung des Zeitrahmens ♦ Alle Teilnehmer gaben einen Kurzüberblick zum Stand ihres Projekts ♦ Bearbeitung der Schwerpunktfragen der Teilnehmer ♦ Verschiedenes: Organisatorisches, Hinweise ♦ Schlussrunde mit Feedback. Ein Drittel der Befragten empfand die Praxisbegleitung positiv und konstatierte einen günstigen Einfluss auf das Projekt. Die Hälfte äußerte sich eher unzufrieden und meinte, der Besuch der Praxisbegleitungstage habe ihnen wenig oder gar nichts gebracht und somit auch keinen Einfluss auf das Projekt gehabt. Die Gründe für den Unmut der Unzu- friedenen waren nicht bei den Praxisberatern zu suchen (man warf ihnen also nicht vor, sie 257 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse hätten zu wenige Hilfestellungen und Unterstützung gegeben), sondern lagen in der Struktur der Praxisbegleitung. Kritisiert wurde der starre Organisations- und Zeitrahmen, der sich bei dringlichen Fragen als untauglich für eine bedürfnisorientierte sowie problem- und zeitnahe Erörterung erwies. Dringliche projektbezogene Fragen wurden statt dessen z.B. ♦ im telefonischen Austausch mit überörtlichen, thematisch ähnlich involvierten PE- Kollegen geklärt, ♦ im persönlichen Austausch mit örtlichen PE-Kollegen beraten (teilweise hatten sich lockere lokale Netzwerke gebildet) und ♦ in den verhaltensorientierten Seminarbausteinen thematisiert bzw. in kleiner Runde außerhalb der Arbeitszeiten erörtert. Dabei wurde von keinem Befragten die Notwendigkeit einer Praxisbegleitung während des Projektzeitraumes bezweifelt. Richtig war aber auch, dass die Mehrheit der Befragten im Vorfeld der Praxisbegleitungstage nach Lösungen für dringliche Fragen im Rahmen der Projektarbeit gesucht und auch gefunden hatten, sodass für die meisten der unmittelbare Klärungsdruck nicht mehr vorhanden war. Auch war richtig, dass hierbei die informelle Lösung (z.B. Ansprache von problematischen Situationen in der Projektarbeit im vertrauten Teilnehmerkreis innerhalb der verhaltensorientierten Seminarbausteine) gegenüber der formellen Lösung (Ansprache von problematischen Situationen innerhalb der Praxisbegleitungstage) bevorzugt wurde. Somit lässt sich schlussfolgern: Es entspricht eher nicht der polizeilichen Führungskultur, bei der Klärung projektbezogener Fragen auf eine zeitlich fern verortete Praxisbegleitung zu verweisen oder die Klärung projektbezogener Fragen „an die große Glocke“ zu hängen, sondern hierfür intimere, vertrauensvollere Settings zu wählen. Sachverhalte einordnen und bewerten, mögliche Verlaufsformen von Frage- und Problem- stellungen analysieren und antizipieren und dann situativ entscheiden, kennzeichnet den Führungsalltag der Führungskräfte. Das Neue ist, dass dies nicht mehr im stillen Kämmerlein passiert. Bei der Suche nach Lösungen wurden kreative, gut überschaubare und vertrauensvolle Kommunikations- und Reflexionswege gefunden. Für künftige Planungen wäre zu beachten, dass eine effektivere und effizientere Praxisbegleitung sich einerseits unmittelbarer an den Bedürfnissen der Teilnehmer ausrichten und andererseits die Wünsche nach Schutz und Vertraulichkeit berücksichtigen sollte. Die Anregungen der Befragten bezogen sich auf eine zeitlich flexiblere Gestaltung der Beratung bei gleichzeitig stärkerer Lokalisierung des Settings, was etwa auf eine Projektberatung vor Ort hinauslaufen würde. Viele regten die Nutzung schnellerer und unmittelbarerer Kommunikationsformen (Hotline, Telefon- oder Videokonferenzen, Mailkontakt etc.) an. 258 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.3.6 Zusammenfassung: Erfolgsfaktoren für Projektarbeit bei der Polizei Insgesamt wurden von den Teilnehmern 37 dezentrale Projekte mit insgesamt 213 Pro- jektgruppenmitgliedern durchgeführt, was einer durchschnittlichen Projektgruppengröße von 6 Personen (ohne Projektleiter) entsprach. Die Arbeitsbelastung des Projektleiters betrug im Durchschnitt 170 Stunden, zuzüglich 21 Stunden zusätzlicher Arbeitsbelastung für Projektmarketing und Referententätigkeit. Ein Drittel der Projekte konnte bis zum Ende der Qualifizierungsmaßnahme nicht abgeschlossen werden (vgl. Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, 2000: 10). Veränderungsprojekte in der Polizei sind in ein höchst komplexes und sehr unterschiedliches Umfeld eingebunden, was nicht nur für das beispielhaft aufgeführte Themenfeld „Einführung strukturierter Auswahlverfahren“ gilt. Die Spannbreite innerhalb der verschiedenen Themenfelder war weitreichend. So konnten bei der Implementierung von Anforderungsprofilen wichtige Ergebnisse erzielt und Erkenntnisse gewonnen werden. Zahlreiche Anforderungsprofile wurden erstellt, mit zum Teil landesweiter Bedeutung. Durch Informationsveranstaltungen, strukturierte Interviews zur Operationalisierung der Anforderungsprofile und Implementierungsworkshops mit Füh- rungskräften wurde ein profunderes Verständnis für die Bedeutung und Verwendung von Anforderungsprofilen geschaffen. Entsprechend wurden Anforderungsmerkmale direkt in Ausschreibungstexten und Auswahlverfahren verwandt. Zielvereinbarungen zur Anwendung der Anforderungsprofile in der Fortbildungs- und Karriereplanung, der Förderpoolbildung und der Beurteilung waren in einem Fall weitere positive Folgen. Demgegenüber konnte etwa die Hälfte der Projekte im Themenfeld „Einarbeitung“ aufgrund fehlender Personalzuweisung Einarbeitungsmaßnahmen nicht realisieren. Beabsichtigte Hospitationen/Seminare mussten teilweise aufgrund geringer Personalstär- ken zurückgestellt bzw. gestrichen werden. Beantragte finanzielle Mittel für Projekte standen zum Teil gar nicht oder verspätet zur Verfügung. Teilweise waren langwierige Verhandlungen notwendig. Was bleibt festzuhalten? Die Projektarbeit in der Polizei ist ein dynamisches Geschehen im Spannungsfeld von Interessen, Bedürfnissen, Motivationen und Machtkonstellationen. Innovationsspielräume und Entwicklungskorridore von Projekten sind dabei abhängig von Machtspielen und Interessen wichtiger Organisationsbereiche und Akteure und daher ein zentraler Erfolgsfaktor. Die Machtstrukturen hinter den Projekten sind entscheidend. Die exemplarischen Projektverläufe A und B verdeutlichen, dass es nicht genügt, einen Pro- jektauftrag inhaltlich zu durchdringen und in Teilschritte zu zerlegen. Genauso wichtig ist es, um die verschiedenen Interessen und Machtpotenziale zu wissen und sie für Verände- rungsprozesse zu nutzen. Ebenso ist die unterschiedliche Projektverbreitung in den Behörden und Dienststellen, sowohl was die zeitliche Dynamik wie auch die Flächende- ckung und Veränderungstiefe betrifft, abhängig von konkreten Akteurskonstellationen und den faktischen Machtstrukturen vor Ort. In diesem Sinne sind die jeweils in Projekten 259 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse eingeschlagenen Reformpfade höchst unterschiedlich, landesweit kaum einheitlich zu beobachten, sondern differierend und abhängig von der Bereitschaft, dem Reifegrad und der Innovationsfähigkeit der Behörden und Dienststellen. Solche durch prozessuale Dynamiken geprägte Entwicklungen sind in einem statischen Organisationsmodell, wie es auch im Neuen Steuerungsmodell vertreten wird, nicht vorgesehen. Im Folgenden sollen die wesentlichen Erfolgsfaktoren aus den vorherigen Kapiteln zu- sammengefasst werden, um hieraus Grundsätze für eine erfolgreiche Projektarbeit abzuleiten. Diese könnten durchaus als Orientierungshilfe für die Implementierung von Projektarbeit in der Polizei dienen können. Das Fundament für erfolgreiche Projektarbeit ist dabei die vorbehaltlose, sichtbare Unter- stützung des Auftraggebers, eine gewollte, projektspezifische Informationsstrategie des internen und externen Projektumfeldes und der Wille, Betroffene tatsächlich zu beteiligen und einzubeziehen. Der Erfolg des Projekts hängt stark von dessen Überschaubarkeit, der Alltagstauglichkeit und der Akzeptanz durch die späteren Nutzer ab, was im Rahmen der Ist-Diagnose durch partizipative Erhebungsverfahren eindeutiger bestimmt werden könnte. Für die Zusammenstellung einer handlungsfähigen, zielführenden Projektgruppe sind fachliche, soziale und strategische Kriterien bedeutsam, wobei die Einbindung organisati- onaler Leitfiguren ein zentraler Erfolgsfaktor ist. Wesentliche Kernaufgaben des Projektleiters sind, die Projektgruppe auf Kurs zu halten, für ein gutes Klima zu sorgen und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit nach innen sowie nach außen zu initiieren und zu koordinieren. Dabei dient ein professionelles „Kick-off-Meeting“ nicht nur der Zieldefinition und der Bestimmung der Meilensteine, sondern ebenso zentral ist das Bemühen um Verständigung, Partizipation und Begegnungsqualität. Intensive Öffentlichkeitsarbeit im Sinne eines offensiven Projektmarketings heißt weniger lautstarkes Anpreisen der Neuerungen, sondern mehr sondieren, Stimmungen aufnehmen, Terrain erkunden, zuhören und Feedback geben durch die kreative Nutzung vielfältiger Kommunikationskanäle. Regelmäßige und strukturierte Feedbackschleifen in Form von Gesprächszirkeln, Dienstversammlungen, Hauszeitungen, Infoblättern, Hotlines etc. sind ein Gradmesser für die Ernsthaftigkeit der Bereitschaft, Betroffene einzubinden. Dabei gilt besonders am Anfang des Projekts das Motto „Sprache“ (z.B. Dienstversammlung) vor „Schrift“ (Info-Brief). Feedbackschleifen vielfältigster Art dienen dann als Seismographen für Akzeptanz und Widerstand gegenüber der Projektarbeit in der Organisation. Ein kontinuierliches Projektcoaching der Projektleiter ist dabei wichtig. Es wird effektiver und effizienter, wenn die Wünsche nach Aktualität und Vertraulichkeit der Projektleiter berücksichtigt werden können, was die Nutzung weiterer und schnellerer Kommunikationskanäle (Telekommunikation, Videokonferenzen, Mailkontakte) nahe legt. 260 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse 5.4 Personalentwicklung zwischen Person und Organisation Das Kapitel „Personalentwicklung zwischen Person und Organisation“ lenkt den Blick schwerpunktmäßig auf das Lernen der qualifizierten „Führungskräfte als Personalent- wickler“ in ihrem organisationalen Kontext. Organisationaler Wandel ist an das Wissen und die Fertigkeiten von Individuen geknüpft. Die Lernprozesse der einzelnen Organisati- onsmitglieder sind die notwendige Voraussetzung für das Lernen der gesamten Organisation. Individuelles Lernen ist der Ausgangspunkt für organisationales Lernen. Nach Schneider (2000: 84) ist Wissensarbeit nicht die Tätigkeit eines Individuums, also des sprichwörtlichen Forschers im stillen Kämmerlein, sondern beruht auf dem Zusam- menspiel von Personen und Organisation, die gemeinsames Wissen schaffen und speichern. In die gleiche Richtung zielt Heintel (1992: 368), der verdeutlicht, dass es in Organisationen nur dann zu Lernprozessen, Entwicklungen und Veränderungen kommt, wenn diese kollektiv organisiert sind. Lernen ist also in erster Linie eine Leistung von Individuen, die eine zweifache Management-Aufgabe zu lösen haben. Einerseits müssen Organisationsmitgliedern die Freiräume und Informationszugänge eröffnet werden, damit sie aus ihren Aktivitäten neue, produktive und handlungsleitende Einsichten gewinnen können. Andererseits muss die Organisation so verfasst sein, dass dieser Erkenntniszugewinn nicht in den Köpfen der Einzelnen hängen bleibt, sondern der Organisation insgesamt, insbesondere aber der Führung, verfügbar gemacht wird. Die Modernisierungsziele der Verwaltungsreform propagieren das Leitbild der „lernenden Organisation“, was impliziert, dass sich „Einstellungen, Verhalten, Struktur und Kultur verändern müssen“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1997: 57). In den Publikationen des niedersächsischen Innenministeriums werden weitreichende Visionen und Vergleiche entworfen. Der Arbeitsplatz und das Arbeitsumfeld sollen zum wichtigen Entwicklungs- feld werden, wobei dann „PE und OE stärker zusammenwachsen“. Dabei sollen reformorientierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „auch Strukturen und Abläufe in ihrer Organisation ändern“. Den Führungskräften kommt dabei „auf allen Ebenen eine Schlüs- selrolle als Vorbilder und Motoren für das Gelingen des Reformprozesses zu“. Weiterführende Slogans wie „Mitarbeiter sind Experten ihres Arbeitsplatzes“ und „Verwalter zu Managern im öffentlichen Auftrag“ (Niedersächsisches Innenministerium, 1999: 7) klingen spektakulär und bedürfen an dieser Stelle keiner weiter gehenden Vertiefung, da sie in den Kapiteln 3.4.2 f und 3.5.1.2 schon erschöpfend behandelt wurden. 261 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Es kann sich aus Popularitätsgründen heutzutage keine Organisation mehr erlauben, sich nicht als „lernende Organisation“84 zu deklarieren. Prätorius (2004: 178) spricht angesichts der Häufigkeit der Nennungen in den Management-Litaneien von „Allgemeinplatzangst“ und meint, dass schon einige Trivialitäten als Euphoriebremse dienen könnten. So gäbe es z.B. gar keine Organisationen, die nicht lernende Organisationen wären. Die Frage sei lediglich, welche Gestalt organisationale Lernprozesse annehmen. Nicht zwangsläufig sei diese Gestalt dann aber auch erfreulich. In der Literatur werden im Zusammenhang mit organisationalem Lernen vornehmlich zwei Arten von Lernen unterschieden. Das Verbesserungslernen oder Single Loop Learning und das Erneuerungslernen oder Double Loop Learning (vgl. Argyris & Schön 1978: 18). Beim Verbesserungslernen geht es um Prozesse, in denen Fehler aufgespürt und korrigiert werden, ohne die bestehenden Regeln und Normen zu verändern. Diese Prozesse spielen sich innerhalb der gegebenen Strukturen ab. Nach Hedberg (1981: 8) ist diese Art des Lernens dadurch gekennzeichnet, dass nur geringfügige, reversible Korrekturen vorgenommen werden, indem Parameter oder einzelne Regeln verändert werden. Grob vereinfachend ließe sich der Projektverlauf B aus dem Kapitel zur Projektarbeit als Beispiel heranziehen. Bei der Einführung eines strukturierten Auswahlverfahrens durch Projektmanagement kann sich trotz intensiver Vorbereitung und Schulung der Auswahlkommission die Schlüssigkeit des Verfahrens nicht gegen die Organisationsmacht durchsetzen, und das obwohl der leitende Akteur ausgetauscht wird. Im Gegensatz zum Verbesserungslernen bezieht sich Erneuerungslernen auf tief gehende Veränderungen der Regeln und Normen in der Organisation. Beim Erneuerungslernen werden durch Veränderung der grundsätzlichen Überzeugungen, Wertvorstellungen und mentalen Strukturen bestehende Verhaltensmuster in Frage gestellt und neue Verhal- 84 In der Literatur lassen sich normative und deskriptive Definitionen des Lernens von Organisationen unterscheiden. Die normative Definition bezieht sich auf bestimmte Anforderungen, die eine lernende Organisation erfüllen muss. „Eine lernende Organisation ist erfahren darin, Wissen zu schöpfen, zu erwerben und weiterzugeben sowie ihr Verhalten im Lichte neuer Kenntnisse und Einsichten teilweise zu revidieren“ (Garvin, 1994: 75). Demgegenüber stehen deskriptivere Definitionen anderer Autoren. So stellt Kim (1993: 37) fest, dass sich alle Organisationen bewusst oder unbewusst in einem ständigen Lernprozess befinden. Manche Organisationen versuchen, diesen Lernprozess zu stimulieren, andere verzichten auf derartige Anstrengungen und geraten dadurch in Gefahr, Gewohnheiten zu entwickeln, die ihre Lernfähigkeit reduzieren. Ungeachtet der zuvor markierten Unterschiedlichkeiten zwischen normativen und deskriptiven Definitionen soll als Arbeitsdefinition unter „lernender Organisation“ die ständige und vor allem gesteuerte Weiterentwicklung der Organisation verstanden werden, die sich so verändert, dass sie die ihr von der Umwelt gestellten Probleme ständig besser bewältigt. 262 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse tensweisen angenommen (vgl. Scheurer & Zahn, 1998: 175). Hier kann durchaus der Projektverlauf A als Beispiel dienen. Das grundlegende Programm „Auswahlverfahren“ wurde zu Gunsten eines strukturierten Auswahlverfahrens revidiert. Der Anspruch, Perso- nalentscheidungen an objektiven Kriterien auszurichten und durch größtmögliche Transparenz Akzeptanzprobleme zu reduzieren, wurde im Projektverlauf A realisiert, indem alle Verantwortlichen bereit waren, zum Thema „objektivierte Personalauswahl“ grundlegende Vereinbarungen zu treffen, deren Umsetzung vertrauensbildend zu gewähr- leisten und somit eine Auswahlkultur zu entwickeln. Organisationales Lernen setzt also bei den Kontexten an. Ebenso wichtig wie die konkrete Gestaltung der strukturellen Voraussetzungen zur Umsetzung einer lernenden Organisation ist die Schaffung der inhaltlichen Voraussetzungen, an denen sich die konkrete Umsetzung orientieren kann. Das setzt allerdings ein Organisationsverständnis voraus, gemäß dem Inhalte von Seiten der Organisationsführung nunmehr nicht einfach vorgegeben werden. Vielmehr hat Führung in einer lernenden Organisation primär die Aufgabe, inhaltliche Anstöße für konkrete Lernprozesse auf den verschiedenen Ebenen der Organisation zu liefern, die hieraus resultierenden Diskussionsergebnisse zu sammeln und im Sinne einer Weiterentwicklung der Organisation auszuwerten. Dabei können diese inhaltlichen Diskussionsanstöße der Organisationsführung sowohl auf der Ebene des Ver- besserungs- als auch des Erneuerungslernens eingebracht werden. Beide Lernarten sind wesentliche Bestandteile zur Entwicklung einer fortschrittsfähigen Organisation. Sie stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang und sind von grundsätzlicher Bedeutung. Während Lernprozesse im Bereich des Verbesserungslernens die stetige Aufgabe aller Mitarbeiter in der Organisation sind, trägt die Organisationsführung eine besondere Ver- antwortung für rechtzeitiges Erneuerungslernen. Und hier soll im Folgenden genauer hingesehen werden. Zunächst steht im anschließenden Kapitel 5.4.1 „Wissen entwickelt sich“ die persönliche Lernebene der Führungskräfte im Vordergrund. Da „nicht Systeme Veränderung betreiben, sondern Personen“ (Nellessen, 1996: 74), werden Lernprozesse bzw. Auswirkungen der Maßnahme auf die Führungsrolle der Befragten dargestellt. Sollen die Lernprozesse der Individuen sich als organisationales Lernen in der Organisation niederschlagen, muss es Kontexte geben, die das „neue“ Wissen integrieren können. Kontexte, die das nicht ermöglichen, verhindern organisationales Lernen. Zwei Schlüsselkontexte werden intensiver beleuchtet. Im Baustein 11 „Spezielle Handlungsfelder“ trafen die Führungskräfte mit der Führungsspitze der niedersächsischen Polizei zusammen, um die weitere Entwicklung von Personalentwicklung in der Polizei zu diskutieren, was Inhalt von Kapitel 5.4.2 „Wissen trifft Macht“ ist. Die Folge und das Ergebnis dieses Zusammentreffens war, dass die zu Personalentwicklern ausgebildeten Führungskräfte ein gemeinsames konsensuales Positionspapier zur weiteren Entwicklung der Personalentwicklung in Niedersachsen verfassten, um mit ihrer Expertise wichtige Kernbereiche zu skizzieren und die weitere Fortentwicklung zu beeinflussen. Dieser Thematik widmet sich Kapitel 5.4.3 „Wissen 263 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse versucht Macht zu beeinflussen“ ausführlich. Die Steuerungsleistung von Organisationen läuft über Entscheidungen. Können die Personalentwickler mit ihren Vorschlägen an die Hierarchie andocken? Welche Handlungslogiken treffen hier aufeinander? Welche Entscheidungen werden zur weiteren Personalentwicklung in Niederachsen getroffen? Welcher Stellenwert bzw. Platz wird dabei den ausgebildeten Personalentwicklern eingeräumt? Das Kapitel 5.4.4 „Wissen zerläuft“ lässt erahnen, dass für eine personalentwicklerische Euphorie und flächendeckende Innovationen kaum Anlass besteht. Die Blickrichtung geht über den Zeitraum der Qualifizierungsmaßnahme hinaus. Die Situation beim ersten Jahrestreffen der Personalentwickler im Jahre 2001 wie auch die nachfolgende Entwicklung werden dargestellt und reflektiert. 5.4.1 Wissen entwickelt sich Alle Interviewten bemerkten in der zweiten Interviewreihe eine positive Entwicklung des Führungsverhaltens von unterschiedlicher Qualität und Tiefe. Mehr oder weniger explizit nahmen die Interviewten für sich in Anspruch, ihr Führungsverhalten im Ablauf der zu- rückliegenden zwei Jahre durch die in der Qualifizierungsmaßnahme erhaltenen Anstöße und Anregungen verbessert zu haben. Die Vielzahl qualitätsvoller Schilderungen von Führungssituationen ließ vielschichtigere Ursachenzuweisungen für problematische Aspekte der Führung erkennen. Insgesamt zeichnete sich ein kritischeres Selbstbild der Interviewten ab, das sich differenzierter und lockerer als in der ersten Interviewreihe mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzt und diese oft als maßgeblich für Defizite des Führungsverhaltens und daraus resultierende Probleme ansieht. So half der Abgleich des eigenen Selbst- mit dem Fremdbild nicht nur, sich selbst, sondern auch andere kritischer zu betrachten. Dieses Wissen erhöhte das Selbstvertrauen und machte die zuvor erwähnte Lockerheit in der Darstellung eigener Entwicklungsprozesse nachvollziehbarer. Eine häufig geäußerte Erkenntnis war, dass „andere auch nur mit Wasser kochen“. Wo können sich Führungskräfte sonst über so einen langen Zeitraum so intensiv und multidimensional miteinander vergleichen? Aus dieser Differenzierung des Selbstbildes der Führungskräfte, die durch eine Reihe von Interviewpassagen angedeutet wird, lässt sich folgern, dass die Maßnahme die Reflexions- kompetenzen der Führungskräfte bezüglich eigener Verhaltensweisen gefördert hat. Bei einigen Führungskräften geben die selbstkritischen Einschätzungen des eigenen Führungsverhaltens Anlass zu der Vermutung, dass beraterische und fördernde Elemente gegenüber der Mitarbeiterschaft im Alltag stärker gelebt werden. Detaillierte Schilderungen von Alltagssituationen mit Mitarbeitern lassen den Schluss zu, dass das Verhältnis zu den Mitarbeitern positiver erlebt wird. Implizit wird oftmals deutlich, dass ein situations- und mitarbeiterbezogenes Verhalten als wichtig und entscheidend angesehen wird. Gemeint waren hier mehr Offenheit, Transparenz, Zuwendung und 264 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Beteiligung der Mitarbeiter, alles Schlüsselbegriffe, die in vielen Interviewpassagen zu finden sind. In vielen Fällen hat Verbesserungslernen stattgefunden. Insbesondere im eigenen Führungsverständnis der Teilnehmer sind vereinzelt Ansätze von Erneuerungslernen erkennbar. So beschreibt eine Führungskraft dezidiert seine veränderte Umgehensweise bei der Einbindung von Mitarbeitern zur Erreichung von Arbeitszielen wie auch die Erkenntnis, dass sich Mitarbeitervorschläge häufiger als treffender und angemessener erwiesen hätten als die eigenen Ideen. „Ja, ich versuche die Kollegen noch mehr einzubeziehen. Ja, dass ich versuche, mich aus Führung zurückzunehmen und mehr oder weniger nur sage: ,Okay, wir haben ein Ziel, ja, und auf dieses Ziel, da müssen wir irgendwie hinkommen. Aber wie wir da hinkommen oder so was, das lasst uns mal gemeinsam besprechen.‘ Ja, früher habe ich nicht nur das Ziel vorgege- ben, sondern auch noch den Weg dahin. Ne, und habe festgestellt, dass der Weg, den ich vorgeschlagen habe, manchmal nicht halb so gut war wie der Weg, den die Kollegen dort vorschlagen könnten oder würden.“ 5/38/25-31 Einem Befragten fielen Schlüsselsituationen ein, die er heute anders angeht als vor der Qualifikation zum Personalentwickler. Exemplarisch berichtete er über sein verändertes Verhalten beim Leiten von dienstlichen Besprechungen. Das Statement signalisiert einen signifikanten Ausbau seiner Moderationskompetenz. Er war nun in der Lage, durch eine umsichtigere und empathischere Leitung von Besprechungen für ein gutes Klima zu sorgen. Außerdem stellte er heraus, dass es ihm und allen Beteiligten damit besser gehe. Als nicht unerheblich schätzt er die Tatsache ein, dass sein verändertes Verhalten, das heißt die gewonnene Fähigkeit, sich und sein Anliegen besser zu „verkaufen“ auf ein positives Feedback stößt, das wiederum sein verändertes Verhalten unterstützt. „Ich gehe ganz anders an die Sache ran, auch wenn Konflikte auftreten in einer Dienstbesprechung, dann gehe ich diese Konflikte ganz anders an als vorher. Früher hätte ich eher unterbunden, es kommt ja auch drauf an, mache ich eine Besprechung und ich bespreche mit denen, und die hören zu, oder lasse ich besprechen und ich bin also großzügiger, lasse andere ausreden, als Beispiel, ganz banale Beispiele, lasse andere ausreden, und wenn ich dann abwürge, aus Zeitgründen, mache ich das nicht so wie vorher, indem ich sage, so, Schluss, aus, wir müssen weitermachen, sondern, ja, gestalte das Ganze ja runder, so dass ich persönlich der Meinung bin, die ganze Atmosphäre als solche lässt sich besser ertragen von allen und nicht nur von mir, sondern von den anderen auch. Und ich hab auch den Eindruck, das ich aufgrund von Rückmeldungen den Eindruck habe, ich kann mich besser in Gänsebeinchen ‚verkaufen.‘ 7/58/10-22 Ein anderer Teilnehmer fühlte sich durch die Lernerfahrungen besser in der Lage, seinen Mitarbeitern zuzuhören, er kann sich nun öfter zurücknehmen und situationsbezogene Rückmeldungen geben und wünscht, dass seine Bemühungen um Zugewandtheit öfter von Erfolg gekrönt sein würden, da es ihm noch manchmal daran mangele, diese Haltung auch glaubhaft „rüberzubringen“. In eine ähnliche Richtung gehen die Erkenntnisse eines anderen Befragten. Er habe nicht mehr das Gefühl, seinen Mitarbeitern und Führungskräften als „der geheimnisvolle Vorgesetzte“ gegenübertreten zu müssen. Ein offener und entspannterer Umgang im Miteinander, indem klar und offen benannt wird, 265 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse was einen bewegt und umtreibt, hat sich für ihn als wohltuender Weg erwiesen. Diese Offenheit und Transparenz wird von den Mitarbeitern gewürdigt, indem sie „angenehm“ damit umgehen, was ihn wiederum positiv bestärkt, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. „Gegenüber anderen Führungskräften, aber auch hier im Umkehrschluss gegenüber den Mitarbeitern, einfach die Sachen auf den Tisch zu packen, hier keine Mauer aufzubauen, ,der geheimnisvolle Vorgesetzte‘, was steht hinter dieser Mauer, sondern zu sagen: ,So fühle ich mich, das sehe ich als Schwierigkeiten, das hab ich als Problem.‘ Diese Dinge ganz offen auf den Tisch legen zu können. Und – ja – ich hab da sehr positive Erfahrungen mit gemacht. Die Mitarbeiter gehen da sehr angenehm mit um. Sie wissen, woran sie sind. Sie können mich sehr gut einschätzen und sie sehen auch, dass ich nicht der Zauberer bin, der in den Hut greift und die Lösung rausnimmt, sondern dass ich die Mitarbeiter zur Lösung brauche.“ 2/22/15-25 Viele Teilnehmer berichteten von einem Zuwachs an Handlungskompetenz auf Grund einer kompetenteren Einschätzung sozialer Situationen und eines erweiterten Verhaltensrepertoires. So war es für eine Führungskraft eine wichtige Erfahrung, personal- entwicklerische Entscheidungen im Lichte der gewonnenen Erkenntnisse zu überprüfen und zu bewerten. Personalentwicklung war für ihn in der Vergangenheit ein Synonym dafür, vornehmlich den persönlichen Wünschen und Vorlieben der Mitarbeiter zu entsprechen. Er beschrieb es als einen bedeutenden Lernprozess, dass er sich nun darum bemühe, die Mitarbeiterförderung eindeutiger und klarer mit den Behördenzielen in Einklang zu bringen. Während sein Blickwinkel früher eher auf personalentwicklerische Einzelmaßnahmen ausgerichtet gewesen sei, die mehr oder weniger isoliert und abgekoppelt von den Zielen der Gesamtbehörde durchgeführt wurden, habe sich nun seine Perspektive erweitert, wodurch ihm verknüpfendere Interventionsmöglichkeiten eröffnet worden seien, was er als Bereicherung empfinde. Überhaupt wurde den Teilnehmern der Lernwert der Maßnahme hauptsächlich im Um- gang mit „Nicht-Teilnehmern“ bewusst. Als Unterscheidungskriterien wurden immer wieder Wissensvorsprünge und der erworbene Erfahrungsschatz sowie der umgangs- sprachliche Gebrauch fachspezifischer PE-Terminologie genannt. Ganz konkret berichtete ein Teilnehmer, dass der schon erwähnte Wissensvorsprung in Kombination mit einem sensibilisierten Gespür für Atmosphäre und Stimmungen sich als äußerst hilfreich erwies, in Führungskräftebesprechungen schneller auf den „Punkt“ zu kommen. Teil einer Elite zu sein, war nicht nur erfahrbar in Beziehung zu „Nicht-Wissenden“, sondern eben auch als Angehöriger der Gruppe der „Wissenden“. Immerhin umfasste die Gruppe der ausgebildeten Personalentwickler etwa 10 % des höheren Dienstes der Polizei des Landes Niedersachsen. Die Ausführungen eines Dienststellenleiters unterstreichen die Bedeutsamkeit intensiven Kennenlernens über zwei Jahre. Da erweitert nicht nur der „schnelle Griff“ zum Telefonhörer das Handlungsrepertoire, sondern auf gegenseitiger Vertrauensbasis etabliert sich eine behörden- und einrichtungsübergreifende Zusammen- arbeit nach dem Motto: „Hilfst du mir, so helfe ich dir“. Diese implizite Übereinkunft eines Großteils der Personalentwickler erscheint effektiv und effizient, denn der Sprecher 266 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse attestierte dem gegenseitigen Zugriff auf formelle und informelle Ressourcen „einen gewissen Bestand“. Bei der Gesamtbewertung des Qualifizierungsprogramms hielten drei Viertel der befragten Führungskräfte das Programm für persönlich sehr bedeutsam. Für die meisten war es neben der Ausbildung zum höheren Dienst die wichtigste Fortbildungsmaßnahme. Es wurde herausgestellt, dass in den Bausteinen wichtige Inhalte praxisbezogen vermittelt wurden und ein langfristig angelegtes, prozesshaftes Lernen in dem gut zweijährigen Qualifizierungsprogramm möglich war, was sich wohltuend vom Lehrgangslernen abgehoben habe, da hier persönliche Entwicklungen stattgefunden hätten. Gemessen an der Häufigkeit der Nennungen stand die persönliche Entwicklung der Teilnehmer vorne an. Eine Schlüsselerfahrung war hier die „Praxisreflexion des eigenen Führungshandelns“, wobei Übungen und Rollenspiele wichtige methodische Hilfsmittel darstellten. Die Bedeutung „langfristigen, prozesshaften Lernens“ hing kausal eng mit den zuvor erwähnten Erkenntnissen zusammen. Die Erklärung eines Teilnehmers, dass „Dinge sich haben setzen können und Erfahrungen sich verfestigt haben“, markierte diesen Umstand prägnant. Dabei wurden scharfe und deutliche Unterschiede zum „Lehrgangslernen“ gemacht, welches zielbezogen auf die Erlangung der karrierefördernden Lehrgangsbescheinigung ausgelegt sei. Als weiterer wertgeschätzter Lernfaktor wurde das freiwillige Lernen genannt, das ohne Klausuren und Notendruck eine eher lustbetonte Bearbeitung von Themen, die für wichtig erachtet wurden, ermöglichte. Diese Lernform wurde dann von vielen als eine „andere“ Qualität erfahren. Schließlich wurde das karrierefördernde Element der Maßnahme angeführt. Die Wertigkeit der Maßnahme wurde als einzubringendes „Pfund“ dargestellt, als eventuell entscheidendes Pfund, welches Teilnehmer den nicht ausgebildeten Mitbewerbern in der Konkurrenz um attraktive Dienstposten im Landesdienst voraushaben. Die breite Mehrheit der interviewten Teilnehmer bewertete die Verbindung der Inhalte der Bausteine mit dem durchgeführten Projekt eindeutig positiv. Das Gelernte auszuprobieren, anzuwenden, auf seine Alltagstauglichkeit zu überprüfen, wurde als befruchtend und kompetenzsteigernd erlebt. Es galt das Motto „Wägen und wagen, statt sitzen und sinnen“ (Nellessen), denn die Verbindung von Lernteil (Bausteine) mit Praxisteil (Projekt) sorgte für eine ganzheitliche Lernerfahrung, die sich direkt an den Erfordernissen des Alltags der Teilnehmer ausrichtete. Die Folge war eine tiefere Verankerung des erworbenen Wissens im Wechselspiel mit intensiverer Verhaltensreflexion. Erhöhte Handlungssicherheit auf Grund einer breiteren Palette zur Verfügung stehender Handlungsalternativen, in Verbindung mit einer gesteigerten Kompetenz in der Einschätzung sozialer Situationen, stärkte die Konfliktfähigkeit und Innovationsfreude der Führungskräfte gleichermaßen. Das wurde auch deutlich an der Auseinandersetzung der Führungskräfte mit Humanitäts- und Qualitätsaspekten der NSM, genau genommen an der Beschäftigung der Befragten 267 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse mit der Implementierung und Fortführung der PE im eigenem Verantwortungsbereich und darüber hinaus (z.B. Multiplikatorenrolle). Die heranreifende Personalentwickleridentität, die durch 12 Bausteine und die Projektarbeit gestärkt wurde, bezog sich vornehmlich auf das Führungs- und Personalmanagement als Schwerpunktinstrument. So sahen sich die Teilnehmer zu einem Teil künftig in der Rolle des PE-Fachberaters, der in benachbarten Polizeiinspektionen Hilfestellung leistet und am Aufbau von Strukturen beteiligt ist, die der Personalentwicklung dienlich sind, der eingebunden ist in die Arbeits- gruppe „Zielvereinbarungen“, Ansprechpartner für „Anforderungsprofile“ im Bereich der Polizeiinspektion ist, perspektivische Karriereberatung und, damit einhergehend, Qualifizierungsberatung leistet, die Rahmenbedingungen für Hospitation und Rotation verbessert, als Referent für PE tätig ist, Projekte personalentwicklerisch (zusammen mit Controllern) angeht und die Einführung der betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstru- mente mit Gedankengut der Personalentwicklung anreichert. Zusammenfassung: Wenn Führungskräfte der Polizei an einer zweijährigen Qualifizierung zu Personalentwicklern teilnehmen, deren Schwerpunkte Fach- und Methodenlernen, Ver- haltenslernen und Projektarbeit sind, dann wird dieser Maßnahme eine hohe Wertigkeit, bescheinigt. Dabei wird die Bedeutung der Kombination von praxisbezogenem Lernen und anwendungsorientiertem Üben für die Entwicklung sowohl der Führungsrolle als auch der Persönlichkeit hervorgehoben. Vielfach berichteten die Teilnehmer von positiven Veränderungen des Führungsverhaltens, bedingt durch die persönliche Erfahrung der Bedeutung prozesshaften Lernens, was zur kritischeren Reflexion des eigenen Führungsverhaltens führte. Herausgestellt wurden in diesem Zusammenhang das Erkennen der Wichtigkeit von situations- und mitarbeiterbezogenem Führungsverhalten und der Kompetenzgewinn durch Erweiterung des methodischen Handlungsrepertoires. Die Teilnehmer antizipierten, die personalentwicklerische Rolle vornehmlich durch die aktive Wahrnehmung des Führungs- und Personalmanagements in ihrem unmittelbaren oder erweiterten Arbeitsumfeld auszuüben. 5.4.2 Wissen trifft Macht Im Baustein 11, „Spezielle Handlungsfelder“, traf eine hochkarätige Delegation des Niedersächsischen Innenministeriums, angeführt vom Landespolizeidirektor und Referatsleitern, auf die Personalentwickler, um mit diesen ins Gespräch über die weitere Entwicklung der PE innerhalb der Landespolizei Niedersachsens zu kommen. Bereits in Kapitel 5.1.7.2 wurden die Irritationen, die dieser Baustein hervorrief, aufgezeigt. Diese trugen mit zu der ungünstigen Bewertung des Großgruppensettings durch die Interviewten beit. Es wurde hervorgehoben, dass kein Baustein so viele Missverständnisse und unerfüllte Erwartungen unter den Teilnehmern hervorrief. Gleichzeitig wurden heftige, affektive Reaktionen wie Ärger, Wut, Scham, Bestürzung und Enttäuschung in der Interviewsituation reproduziert. Auf die Leitfrage, wo Erwartungen enttäuscht worden 268 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse sind, wurde vor allen Dingen der Baustein 11 genannt, genau genommen der Kontext im Rahmen der Zusammenkunft mit den Ministeriumsvertretern. Von 11 bei diesem Segment anwesenden Interviewten empfanden 9 die Ergebnisse der Diskussion im Plenum, den zeitlichen Rahmen zur Vorbereitung, die Art und Weise der Präsentation der Gruppenergebnisse bzw. die Darstellung der Personalentwickler vor den Ministeriums- vertretern als äußerst unglücklich bis total misslungen. Dieser Baustein, dessen Kern aus dem Aufeinandertreffen von Personalentwicklern und Ministeriumsvertretern bestand, ließ keinen Teilnehmer „kalt“ und verdient daher besondere Beachtung, um Verstehenszu- sammenhänge erschließen zu können. Was waren die Hintergründe für die heftigen negativen Gefühle? Zunächst sei ein Blick auf Struktur, Atmosphäre und Inhalte geworfen. Die Teilnehmer trafen sich nach einjähriger Pause wieder im Plenum der Großgruppe, nachdem sie zwischenzeitlich in vier verhaltensorientierten Bausteinen in konstanten Kleingruppen intensive Lernerfahrungen gemacht hatten. Auf der personalen Ebene konnten sie die Bedeutung von Selbstbeobachtung erkennen, höhere Sensibilität bei der Fremdbeobachtung entwickeln, im geschützten Rahmen ihre Handlungskompetenz im Umgang mit schwierigen Situationen erweitern und viele Anregungen zur Erweiterung ihres Verhaltensrepertoires und zur Ausgestaltung ihrer Führungsrolle in ihren beruflichen Alltag mitnehmen. Auf der jeweiligen Gruppenebene hatte sich oftmals ein „Wir-Gefühl“ entwickelt, Vertrautheit und Akzeptanz untereinander waren gewachsen, was wiederum Suchprozesse auslöste, die der Reflexion und Weiterentwicklung der Führungsrolle dienten (vgl. Kapitel 5.1.7.2). Nun saß der Einzelne wieder im Plenum. Der nährende und schützende Kokon der Kleingruppe mit hohem Wohlfühlfaktor gehörte der Vergangenheit an, die Eckpunkte der Gegenwart waren bestimmt durch die Anonymität, Distanz und Unruhe der Großgruppe. Inhaltlich wirkte der Baustein stark überfrachtet. Das Zusammentreffen mit den Entscheidern des Innenministeriums hatte am zweiten von drei Seminartagen stattgefunden. Die Leitfrage dieser Zusammenkunft unter dem Thema „PE im polizeilichen Alltag“ lautete: „Wie soll sich die Entwicklung der PE im Lande Niedersachsen weiter gestalten?“ Für die Einstimmung, Vorbereitung und Abstimmung der Positionen der Personalentwickler in Kleingruppen standen, inklusive Pausen, 2,5 Stunden zur Verfügung. Die Präsentation der Positionen im Plenum war mit 45 Minuten veranschlagt. Der Zeitrahmen für das moderierte Gespräch im Plenum umfasste insgesamt 3 Stunden. Diese Struktur mag sinnvoll sein, wenn der Abstimmungsbedarf unter den Teilnehmern weitestgehend geklärt und abgeschlossen ist. Sie ist jedoch kontraproduktiv, wenn der Klärungsbedarf hoch und dann noch an eine Präsentation „mit Folgen“ gekoppelt ist. Die Wichtigkeit dieser Zusammenkunft hätte auch die Inanspruchnahme der gesamten Seminarzeit gerechtfertigt, legt man für die komplexe Feinabstimmung der Per- sonalentwicklerpositionen 1,5 Tage und für den diffizilen Aushandlungsprozess mit den Entscheidern noch einmal den gleichen Zeitraum zugrunde. Statt dessen wurde ein 269 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Potpourri an weiteren Themen behandelt: Ist-Stand Projekt „Führungskräfteentwicklung“, Zielvereinbarungen als Instrument der Organisations- und Personalführung, Grundlagen des Potenzialgespräches, rechtliche Fragen der Personalentwicklung. Eingerahmt von diesen strukturellen, atmosphärischen und inhaltlichen Rahmenbedingungen bestimmten vor allem folgende Themen und Prozesse die allgemein negative Rezeption dieses Seminarbausteins: (a) die unzureichende Vorbereitung und Präsentation der Personalentwicklerpositionen erzeugten Stress, Frust und Insuffizienzgefühle; (b) es wurde seitens der Personalentwickler Kritik am Ministerium geübt, bemängelt wurden handwerkliche Fehler bei der landesweiten Ausschreibung einer Führungsposition. Die ursprüngliche Intention des Ministeriums eine Topposition ohne strukturiertes Auswahlverfahren besetzen zu wollen, löste bei engagierten Personalentwicklern Ärger, Wut und Sarkasmus aus; und (c) entstand bei der Auseinandersetzung um Positionen, Themen und Interessen im Plenum der Eindruck, dass persönliche Interessen von Personalentwicklern eine zentralere Rolle einnahmen als die Entwicklung der gemeinsamen Sache, was auf Interviewte enttäuschend und desillusionierend wirkte. Zu (a) Unzureichende Vorbereitung, Abstimmung und Präsentation von Positionen Das Setting – Plenum und die Podiumsdiskussion mit Entscheidern – verdeutlichte: Die Organisation trat in Form ihrer leitenden Repräsentanten unübersehbar ins Bild. Ergeb- nisse sollten unter hohem zeitlichen Druck produziert und präsentiert werden. Form und Inhalt der zu leistenden Ergebnispräsentation lösten tiefe Verunsicherung unter den Teilnehmern aus, wobei die Statements stärker wut- und schambesetzt in Bezug auf die Form der Präsentation als auf die inhaltliche Ausrichtung waren. Das kann vordergründig verwundern, da man annehmen könnte, es gehe um Letzteres. Aber die Führungskräfte wollten auch voller Stolz ihre Einsichten und Lernerfolge präsentieren und zeigen, was sie sonst noch so „draufhaben“. Die Delegation war mit Entscheidern besetzt, die für den bisherigen und weiteren Karriereverlauf der Anwesenden bedeutsam und wichtig waren. Es konnte angenommen werden, dass der allgemeine Wunsch der Führungskräfte, sich professionell, kompetent, konstruktiv und innovativ darzustellen, höchste Priorität genoss, und zwar in zweierlei Hinsicht: einmal, um die Sache PE plastisch, erfahrbar und nachvollziehbar in das Land zu tragen und somit den Anwesenden auch den eigenen Lernfortschritt zu dokumentieren, andererseits aber auch, um als praxisnaher „Change Agent“ wahrgenommen zu werden, der weiß, wie es geht. So wurde dem Autor mit entsetztem Gesichtsausdruck berichtet, dass man sich „auf hand- geschriebenen Zetteln“ präsentiert habe, wo doch schon „die kleinste Dienststelle mit Power Point“ arbeite. Ein anderer Teilnehmer fand es „nicht sehr professionell, mit krakeliger Handschrift“ Folien zu beschreiben. Inhaltlich war man „teilweise weit auseinander, untereinander nicht abgestimmt, das waren alles ,Schnellschüsse‘“. Gemeint 270 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse war, dass sich die kontroversen Diskussionen in den Kleingruppen vornehmlich zwischen den Spannungspolen Bewahrung versus Veränderung sowie Spezialisierung versus Generalisierung abspielten, und zwar in Bezug auf die darzustellende wünschenswerte Entwicklung von Personalentwicklung. Unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmer kollidierten miteinander. Dabei wurde festgestellt, dass der Diskussionsbedarf größer war als angenommen und nicht ausreichte, um eine abgestimmte, konsensuale Darstellung zu erreichen. Gleichzeitig bestand die Erwartungshaltung, sich rund, einheitlich und stimmig präsentieren zu wollen. Neben den inhaltlichen Insuffizienzgefühlen steigerte sich aber auch der Druck im Hinblick auf die Visualisierung der Gruppenergebnisse im Plenum. Es entstand eine Haltung, die am ehesten mit den Worten „Wenn wir schon nicht inhaltlich übereinkom- men, dann wollen wir uns wenigstens professionell präsentieren“ umschrieben werden kann. Auch hier wurden die hohen eigenen Erwartungen in Bezug auf die visuelle Qualität der Präsentation nicht erfüllt und führten zu Frustrationen. So beschrieb ein Teilnehmer den hohen inhaltlichen und darstellerischen Druck bildhaft und plastisch wie folgt: „Insbesondere, man will ja auch noch ein bisschen Karriere und so weiter, da kann man doch nicht mit so was dem Landespolizeidirektor oder einem anderen Referatsleiter oder dem Direktor der Polizei im Innenministerium kommen, mit so einer handgeschriebene Folie da, und so aus dem Bauch heraus das unvorbereitet vortragen zu müssen. Und eh, das ist auch wahrscheinlich nicht besonders gut angekommen, was wir da gemacht haben. Wir haben uns sehr stark angreifbar gemacht.“ 6/30/10-15 Dieses Statement beschreibt sehr deutlich, was man besser „nicht“ tut, wenn man auf der polizeilichen Karriereleiter noch ein wenig nach oben klettern möchte. Das benannte „Nicht“ macht sichtbar, was aufgrund der Rationalität der Organisation bisher mit dem Image der Geringfügigkeit, Bedeutungslosigkeit und Belanglosigkeit ausgestattet wurde und deshalb wenig wahrnehmbar war. Demnach ist es absolut tabu, einem leitenden Ver- antwortlichen der Polizei mit einer „handgeschriebenen“ Folie gegenüberzutreten, „aus dem Bauch heraus“ zu argumentieren und etwas „unvorbereitet“ vorzutragen. Die Folge ist, dass man sich dann „stark angreifbar“ macht. Obwohl von Inhalten in dem Statement noch keine Rede war, lässt sich ableiten, dass, wenn man Inhalte an den polizeilichen „Mann“ bringen will, zuallererst die Form stimmen muss. Es ist dabei absolut nicht sicher, ob bei erzielter Formvollendung auch der Inhalt sich als tragfähig erweisen wird, sicher scheint jedoch, dass bei Formschwächen der Inhalt chancenlos bleibt. Nun ist das „Neue“, die „Veränderung“, die „Innovation“ in allererster Linie etwas Prozesshaftes, mit dem Makel der Unfertigkeit behaftet und damit „angreifbar“. Man weiß nicht, ob die präsentierte Neuerung, die vorgeschlagene Veränderung unbedingt besser ist als das Alte, man weiß aber viel über „Formfehler“. Formfehler stehen für Unklarheit und Unausgegorenheit, und beides wirkt verunsichernd und damit wenig überzeugend. 271 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Im Wissen um die besondere Relevanz und Dynamik von guter Vorbereitung85 und damit von Form und Inhalt in der Polizei ist nicht nachvollziehbar, warum die Teilnehmer nicht umfassend und umsichtig auf die wichtige Begegnung mit den Vertretern des Ministeriums eingestimmt wurden. In der Privatwirtschaft werden solche Begegnungen im Vorfeld mittels Rollenspiel und Simulation trainiert, um „Stolpersteine“ auszuräumen, Argumentationsketten zu stärken und inhaltlich zu überzeugen. Es wäre sinnvoll und nutzbringend gewesen, die ganzen drei Tage auf diesen Abstimmungsprozess zu verwenden, mit der Option, offen gebliebene Fragen im folgenden, letzten Baustein zu klären. Angesichts der Bedeutsamkeit des Treffens zwischen personalentwicklerischem Wissen und einem wichtigen Teil der Organisationsmacht, in dem thematisiert werden soll, wie Veränderungsprozesse in die hierarchische Organisation implementiert werden können, erscheinen 1,5 Tage für die Abstimmung der Teilnehmer untereinander und 1,5 Tage für die praxisbezogene Erörterung, Planung und Priorisierung der wichtigsten PE- Instrumente mindestens notwendig. Es ist schwer feststellbar, wieso diesen wichtigen Umsetzungsüberlegungen so wenig Bedeutung zugemessen wurde. Waren es zeitliche oder thematische Vorgaben der Vertreter des Ministeriums, maximal einen Nachmittag für einen Austausch zur Verfügung zu stehen? War es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen der Projektleitung und den Ministeriumsvertretern, einer Formalie in möglichst allgemeiner Form Genüge zu tun? War es methodische Rat- und Hilflosigkeit der Projektleitung, wie die unterschiedlichen Interessen und Wünsche ministerialer Routine einerseits und personalentwicklerischer Innovation andererseits eine adäquate Form der Begegnung finden können? Oder hatte man in vier vorhergehenden Kleingrup- penbausteinen die machtgestützte Alltagsorganisation verdrängt? Die Informationslage zu dieser Fehleinschätzung hinsichtlich des Zeitbedarfs war dünn. Auf Nachfrage des Autors meinte der Projektleiter, im Vorfeld mit einzelnen Teilnehmern den Zeitbedarf für diese Zusammenkunft eruiert zu haben, wobei ihm immer wieder zurückgemeldet worden sei, die Positionen seien „klar“ und von daher bedürfe es nur eines geringen Abstimmungsbedarfs untereinander, was sich dann in besagter Seminarstruktur niederschlug und als fatal erwies. Zu (b) Eine Stellenausschreibung schlug Wellen Im Rahmen der Podiumsdiskussion zur zukünftigen Ausrichtung der Personalentwicklung in der niedersächsischen Polizei wurde eine aktuelle, ministerial gesteuerte, landesweite, Ausschreibung einer Topposition in der Landespolizei heftig kritisiert. Der Kritik lag ein Anforderungsprofil zu Grunde, das in den Augen einzelner Teilnehmer eindeutige Anzeichen eines persönlichen Zuschnitts („Man hat quasi Sachbearbeiterinhalte für eine Topfunktion in diese Ausschreibung aufgenommen, um einen ganz bestimmten Mann 85 So lauten die sieben „P“ der amerikanischen Bundespolizei FBI: „Proper Prior Preparation Prevents Piss Poor Performance“. 272 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse schon mal nach vorne zu setzen“) aufwies. Auch sollte diese Personalentscheidung nach Aktenlage und nicht im Rahmen eines Auswahlverfahrens fallen. Pikanterweise war die Person, die diesem Zuschnitt entsprach, ebenfalls ein Teilnehmer der Qualifizierungsmaß- nahme und befand sich unter den Anwesenden. Frust, Ärger, Enttäuschung und Wut eines Teils der Personalentwickler wurden präsent und greifbar, als sie realisierten, dass ihre Bemühungen um transparente, nachvollziehbare Auswahlverfahren vom Ministerium offenbar nicht genügend ernst genommen wurden. So zeigte sich ein Befragter äußerst irritiert, auf der einen Seite von ministerialer Seite immer wieder zu hören, strukturierte Auswahlgespräche seien das Instrument der Zukunft, auf der anderen Seite aber dann hautnah mitzubekommen, dass das Verfahren im Verant- wortungsbereich des Innenministeriums nicht genutzt wird. Die Situation war nicht ohne Süffisanz und Ironie: Angehende Personalentwickler bemühten sich in einer hochwerti- gen, zweijährigen Qualifizierungsmaßnahme, Fairness, Offenheit und Transparenz in polizeiliche Auswahlstrukturen einzuführen und zu etablieren, um dem Anspruch nach Bestenauslese im Sinne von Eignung, Leistung und Befähigung zu entsprechen. Dabei mussten sie erfahren, dass ihr oberster Dienstherr, der eigentlich „Speerspitze der Bewegung“ sein sollte, genau das Gegenteil tat: erkennbar und offenkundig eine bestimmte Person für eine bestimmte Funktion favorisieren. Ein Teilnehmer war so wütend, dass er sich im Nachgang zu diesem Baustein an den Ver- antwortlichen im Ministerium wendete. Für ihn wurde nicht nur die Glaubwürdigkeit der Personalentwicklung beschädigt, sondern auch die Ernsthaftigkeit bezweifelt, inwieweit Veränderungen in Richtung Offenheit und Transparenz bei Stellenbesetzungen im höheren Dienst seitens des Ministeriums gewollt waren. Die Entschuldigung des Verantwortlichen vor den versammelten Führungskräften im Plenum für dieses unglücklich gelaufene Verfahren konnte den Unmut des Teilnehmers nicht wesentlich lindern. „Mir hat ’s den Boden unter den Füßen weggezogen, als ich eine Ausschreibung der Behörde F gesehen habe, es ging um die Position R, also, wo es so personenbezogen das Ausschreibungs- profil war, dass ich den Namen dahinter schreiben konnte. Es gab auch Gespräche dann, auch von meiner Seite aus mit Z. (Verantwortlicher im Innenministerium – Ergänzung des Autors), wo ich ihn gefragt habe, ob wir nun noch weitermachen sollen, ich würde jetzt die Akten zu- sammenklappen, nach so einem Quatsch, der da gelaufen ist, im letzten Baustein Z. dann auch die Mannschaft direkt darauf angesprochen, er hat sich entschuldigt, hat gesagt es war ein Versehen und ...“ 1/62/9-15 Die heftige Kritik hatte eine Verfahrensänderung zur Folge. Die Ausschreibung wurde nicht zurückgenommen, aber ein Auswahlverfahren mit Auswahlgesprächen wurde durchgeführt. Es setzte sich der gleiche Kandidat durch, dem die Personenbezogenheit des Anforderungsprofils zugeordnet wurde. Somit wurde der ursprüngliche Favorit offiziell legitimiert. Das Beispiel belegt (ähnlich wie Projektverlauf B s. Kapitel 5.3.4.5), dass sich durch Anwendung transparenter, strukturierter Verfahren nicht automatisch Kernbereiche 273 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse organisationaler Realität ausblenden lassen. Gemeint sind die Machtstrukturen und die Interessen wichtiger Akteure in der Organisation Polizei. Dass z.B. Dienstposten nicht ausschließlich nach Qualifikation, sondern auch nach Seniorität und, besonders bei Top- positionen, nach politischem Kalkül besetzt werden, ist kein Geheimnis. Dem Sprecher hat es „den Boden unter den Füßen“ weggezogen. Wenn man den Boden unter den Füssen verliert, fehlt Halt und Orientierung. Mit Orientierungslosigkeit kann auch die Kluft zwischen Sein und Schein beschrieben werden. Mit der Betonung des Positiven (Bestenauslese nach Eignung, Leistung und Befähigung) und den Harmonisierungsbestre- bungen der Neuen Steuerungskonzepte (Führungskräfte sollen delegieren, motivieren, unterstützen, aber nicht mehr befehlen) wird die Differenz von Macht und Einfluss eliminiert, ins Abseits gedrängt, was sich rächt, denn wie die Beispiele zeigen, treten diese wirkungsvoll wieder zu Tage, und es wird den Beteiligten verdeutlicht, „wo es lang geht“. Die Fixierung auf eine „Wunsch-Realität“, die aber konträr zur realen Wirklichkeit in der Organisation steht, verhindert eine grundlegende Auseinandersetzung und Bearbeitung der organisationalen Konfliktmuster, da diese verdeckt gehalten werden. Für die Bediensteten hat dies zur Folge, dass sie die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Beziehung setzen müssen, was, wie gesehen, nicht nur heftige Emotionen produziert, sondern auch Verwirrung und Konflikte. Zu (c) Personale Entwicklung oder Personalentwicklung? Im Rahmen der Präsentationen der Gruppenergebnisse entspann sich alsbald eine Diskussion zwischen den Führungskräften und den Ministeriumsvertretern. Die Einheit und Solidarität der Personalentwickler wurde starken Belastungen ausgesetzt, als in der Podiumsdiskussion thematisiert wurde, dass eine Bezirksregierung schon eine Anfrage bzgl. der Einrichtung eines Dienstpostens an das Ministerium lanciert hatte, die abschlägig beschieden worden war. Nichtsdestotrotz nutzten die anwesenden Repräsentanten die Gelegenheit, ihr Begehren weiter zu forcieren. Einige wollten sich also Positionsvorteile beim Ringen um knappe Ressourcen verschaffen, was bei anderen Personalentwicklern Ärger und Befremden auslöste, da hier der Diskussions- und Abstimmungsbedarf untereinander noch längst nicht abgeschlossen war. Eigeninteressen dominierten vor den verkündeten Gruppenergebnissen der Personalentwickler. Ein Befragter machte deutlich, dass seinem Eindruck nach manch einer sein Statement eher nach karriereförderlichen als nach personalentwicklerischen Gesichtspunkten formulierte. „Ich hatte auch das Gefühl, dass manche Kollegen und Kolleginnen aus diesem Forum auch im Hinterkopf an sich selbst gedacht haben, wie geht es mit mir weiter, und, und dann eh, doch ja, so Dinge von sich geben, die also mit Personalentwicklung nicht sehr viel zu tun haben, sondern es geht ums eigene Weiterkommen.“ 9/10/10-14 So wurde kontrovers diskutiert, ob für die weitere Entwicklung von Personalentwicklung im Lande Niedersachsen die Schaffung von hauptamtlichen Dienstposten Not tut. Es gab Personalentwickler, die sich hierfür stark machten, andere Teilnehmer sahen hierfür keine Notwendigkeit. Ein Teilnehmer mokierte sich darüber, dass hier die Personalentwickler 274 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse untereinander sich „das Wasser abgegraben“ hätten und die anwesenden Ministeriumsvertreter nicht ernsthaft gefordert würden, sich mit notwendigen Implikationen auseinander zu setzen. Statt dessen könnten diese sich gelassen und entspannt die kontrovers vorgetragenen Standpunkte anhören und diese mit der Bitte um einvernehmliche Positionsklärung an das Plenum zurückadressieren. Man kam überein, dass eine Arbeitsgruppe der Personalentwickler ein Positionspapier zur weiteren Entwicklung der Personalentwicklung entwerfen sollte. Anschließend sollte dieses Positionspapier konsensual mit der Gesamtheit der Personalentwickler abgestimmt werden, um es dann zum Abschluss der Maßnahme dem Ministerium zur weiteren Ver- anlassung zu übergeben. Bei dieser Zusammenkunft von Wissen und Macht kam es nicht zu einer engeren Ankoppelung von neuem Wissen an die Macht. Die Dynamik des Großgruppensettings, vielfältige, widersprüchliche Interessen und sich daraus ergebende Zielkonflikte sorgten für Verwirrung, Ärger und Insuffizienzgefühle bei den Teilnehmern, was durch das Wechselspiel von Podium und Plenum noch verstärkt wurde. Spürbar wird, wie spannungsvoll und chaotisch der Weg zwischen etablierter Ordnung und der Suche nach neuen Wegen ablaufen kann. Auch belegt der Ablauf, dass die Suche nach gangbaren Wegen nicht von persönlichen Interessen und Inhalte nicht von einer akzeptierten Form der Darbietung losgelöst betrachtet werden können. Es traf hier die Hierarchie, als Synonym für Entscheidungen, Beständigkeit und Ordnung, auf die „Nichthierarchie“ (das Plenum, den Träger von organisationalem „Neuwissen“, das integriert werden will), die für Flexibilität und Veränderung steht. Einerseits ist es erklärter politischer Wille, dass auf das „Know-how“ und die Einsatzbereitschaft der Personalentwickler zurückzugreifen ist, andererseits kann nicht auf hierarchische Steuerungsformen und bürokratische Vorgaben verzichtet werden, so dass der Beschluss, die Erstellung eines gemeinsamen Positionspa- piers der Personalentwickler einzufordern, den Entscheidungsroutinen und Selbstverständlichkeiten innerhalb der Organisation Polizei entsprach. 5.4.3 Wissen versucht Macht zu beeinflussen Die ausgebildeten Personalentwickler im Nebenamt hatten ein detailliertes Positionspapier verfasst, in dem Erwartungen an die Zukunft der Personalentwicklung und Vorstellungen zu deren Weiterentwicklung benannt wurden. Die Erarbeitung der Entwurfsfassung des Positionspapiers fand zwischen dem elften und zwölften Seminarbaustein statt. An diesem Entwurf haben insgesamt sechzehn Teilnehmer der Qualifizierungsmaßnahme, inklusive des Projektleiters, mitgewirkt. Der Entwurf wurde an alle Personalentwickler versandt mit der Bitte um Ergänzung, Veränderung und Anmerkung. Die Veränderungsvorschläge wurden dann in einer Plenumssitzung im zwölften Baustein visualisiert und aufeinander abgestimmt, und gemeinsam wurde die Endfassung erstellt. Das Positionspapier reflektierte den erzielten Konsens der qualifizierten Personalentwickler und wurde im 275 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Rahmen der Abschlussveranstaltung im Februar 2000 dem Abteilungsleiter Polizei im Niedersächsischen Innenministerium übergeben, mit der Bitte um Kenntnisnahme und Entscheidung. Einen Monat später, im März 2000, wurde ebenfalls der Abschlussbericht des „Programms zur Qualifizierung von Führungskräften als Personalentwickler“ an das niedersächsische Innenministerium übersandt. Erstellt wurde dieser Bericht vom Projekt- leiter, vom PE-Fachberater und vom Autor. Inhaltlich reflektierte der Abschlussbericht die Erkenntnisse zweier Interviewreihen, die Ergebnisse der standardisierten Fragebögen am Ende eines jeden Bausteins und die Erfahrungen und Resultate hinsichtlich der Projektin- halte, -ergebnisse und -aufwendungen, aggregiert aus den standardisierten Abschlussberichten der Teilnehmer. Dieser umfassende multimodale Ansatz ermöglichte eine zusammenfassende Einschätzung der Auswirkungen der Qualifizierungsmaßnahme auf Teilnehmer und Organisation. Die Erwähnung des Abschlussberichts an dieser Stelle ist deswegen von Wichtigkeit, da einzelne Positionen des Positionspapiers der Personalentwickler (z.B. Fortbildung von ca. 50 weiteren Führungskräften als Personalentwickler, Qualifizierung weiterer Zielgruppen in einem abgestuften Modell) unterstützt wurden. Das zehnseitige Positionspapier mit dem Titel „Personalentwicklung in der Polizei des Landes Niedersachsen“ gliedert sich in die Abschnitte (a) Vorbemerkung, (b) Bedeutung und Wirkung von Personalentwicklung, (c) Grundvoraussetzungen für die Einführung der Personalentwicklung, (d) Organisation der PE-Aufgabenwahrnehmung, (e) Qualifizierung der Personalentwickler und (f) Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise. Zu (a) Vorbemerkung Es wird verdeutlicht, dass das Positionspapier aus der Zusammenkunft im Baustein 11 mit den Vertretern den Innenministeriums entstanden ist (s. vorheriges Kapitel). Die Aussagen zur Bedeutung, Organisation und zu Qualifizierungsaspekten der Personalentwicklung sollen verstanden werden als „umsetzungsfähige Eckpunkte für ein zukünftiges Fachkon- zept Personalentwicklung in der Polizei“. Zu (b) Bedeutung und Wirkung von Personalentwicklung Es wird dargelegt, dass Personalentwicklung die Stärken der Mitarbeiter erkennt und fördert, die Organisationskultur verändert und durch mehr Professionalität, Qualität, Bürgerorientierung und Wirtschaftlichkeit wesentlich zur Erreichung der Organisations- ziele beiträgt. Als Referenzrahmen für diese positive Einschätzung wird auf erste Erfahrungen mit Projekten der Personalentwicklung verwiesen. Als Negativbeispiel von Veränderungsprozessen ohne begleitende personalentwicklerische Maßnahmen wird auf 276 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse die „Einführung der Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung“ 86 oder auf Teilaspekte der Einführung neuer Führungs- und Steuerungsinstrumente verwiesen, bei denen in den Zielgruppen erhebliche Akzeptanz- und Identifikationsprobleme entstanden bzw. entstehen. Zu (c) Grundvoraussetzungen für die Einführung von Personalentwicklung Die erfolgreiche Einführung von Personalentwicklung in die niedersächsische Polizei wird von folgenden Grundvoraussetzungen abhängig gemacht: Durchführung einer breit ange- legten Informationskampagne, um Ziele und Inhalte von PE transparent zu machen, Verständnis von Personalentwicklung als „Chefsache“, Standardisierung und verbindliche Einführung von vielfältigen Instrumenten der PE (Anforderungsprofile, Auswahlverfah- ren, Mitarbeitergespräche etc.), PE als Bestandteil der Ausbildung und zentraler/dezentraler Fortbildung, Aufbau eines landesweiten Info-Managements zum ko- ordinierten Zusammenwirken der Behörden und Einrichtungen, Beschreibung der Positionierung der PE im Gesamtgefüge und Darstellung der Zusammenhänge und Wech- selwirkungen mit anderen artverwandten Themen, wie Beurteilung, Mitarbeiter- Vorgesetzten-Gespräch und Zielvereinbarung. Zu (d) Organisation der PE-Aufgabenwahrnehmung Die Gewährleistung einer systematischen Personalentwicklung wird von der festen Einbindung damit verbundener Aufgaben abhängig gemacht. Die Personalentwicklungsverantwortung wird für folgende Ebenen beschrieben: Mitarbeiter, unmittelbarer Vorgesetzter, Dienststellenleiter, Sachbearbeiter Personal/Aus- und Fortbildung, Mitarbeiter der Personalstellen, Behördenleiter bzw. Direktor der Polizei, Verantwortliche im Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen und Entscheider im Innenministerium. Dabei definieren die Führungskräfte als „ausgebildete Personalentwickler“ ihre Rollen als Multiplikatoren und Initiatoren von PE-Prozessen im eigenen Verantwortungsbereich sowie als Berater und Unterstützer von nicht ausgebildeten Führungskräften zur Initiierung von PE-Maßnahmen in angrenzenden Bereichen. Zu (e) Qualifizierung der Personalentwickler Auf der Basis der durchgeführten Qualifizierung von Führungskräften als Personalent- wickler und den dort gewonnenen Projekterfahrungen sowie der Erkenntnisse aus den Handlungsfeldern der Führungskräfteentwicklung soll ein PE-Handbuch entwickelt werden, um einerseits Hilfestellung für Anwender bei der Durchführung von 86 In Kapitel 3.4.2 „Die Verwaltungsreform und die Neue Steuerung“ wurde bereits in der erläuternden Fußnote 17 die geringe Wirkung der Grundsätze auf die Führungskräfte der Polizei dargestellt. 277 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Personalentwicklungsmaßnahmen zu leisten und andererseits landesweit gültige PE- Standards zu beschreiben. Es wird vorgeschlagen, alle Beschäftigten in einem zeitlich und hinsichtlich des Umfangs und der Inhalte abgestuften Modell zu qualifizieren. Die bereits qualifizierten Personalentwickler sollen in einen kontinuierlichen Wissens- und Erfahrungsaustausch im Rahmen einer jährlichen „PE-Werkstatt“ treten. Flächendeckend sollen in allen Polizeiinspektionen mindestens eine Führungskraft als Personalentwickler fortgebildet werden, ebenso bisher nicht qualifizierte Personaldezernenten und Personalverantwortliche im Innenministerium. Der Bedarf wird auf ca. 50 Personen spezifiziert. Ebenso sollen ca. 150 Sachbearbeiter Personal/Aus- und Fortbildung qualifiziert werden, da dieser Personenkreis in erheblichem Umfang die zu treffenden personalentwicklerischen Maßnahmen unterstützt. Personalratsmitglieder und Frauenbeauftragte sollen in einer Grundqualifizierung in die Thematik eingearbeitet werden. Zu (f) Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise Als kurzfristige Maßnahmen werden der Abschluss einer Zielvereinbarung über die Inhalte des Positionspapiers zwischen dem Innenministerium und den Polizeibehörden angeregt, wobei die Übernahme der Aufgabe Personalentwicklung in die Alltagsorganisa- tion sowohl der Polizei als auch des Innenministeriums, die Einrichtung einer „Koordinierungsgruppe Personalentwicklung87“ auf Landesebene durch das Innenministe- rium, die präzise Beschreibung von PE-Aufgaben und die verbindliche Einführung vorhandener Standards der Personalentwicklung „umgehend“ umzusetzen seien. Als mittel- und langfristige Maßnahmen werden die Erstellung eines „Fachkonzepts Personalentwicklung in der Polizei“, die „Erarbeitung und Umsetzung einer umfassenden Qualifizierungskonzeption Personalentwicklung“ und die Berücksichtigung des Themas „Personalentwicklung“ in den Lehrplänen für den Aufstiegslehrgang gehobener Dienst (AL g. D.) und den Curricula der Fachhochschule eingefordert (vgl. Bildungsinstitut der Polizei Niedersachsen, 2000). Mit dem Positionspapier setzten sich die leitenden Beamten des Niedersächsischen In- nenministeriums und die Direktoren der Polizei in ihrer Arbeitstagung im Herbst 2000 87 Die Forderung nach Einrichtung der „Koordinierungsgruppe Personalentwicklung“ bedeutet die Institutionalisierung von Personalentwicklung und kann auf die Einrichtung der „Koordinierungsgruppe Controlling (KoCon)“ im Jahr 1996 zurückgeführt werden. Die „KoCon“ unterstützt die Durchführung des Zentral- und Bereichscontrolling bei der Polizei des Landes Niedersachsen und koordiniert die Zusammenarbeit. So wurden die Controller im Rahmen eines umfassenden Qualifizierungskonzeptes fortgebildet, für die Durchführung von Projekten freigestellt und Dienstposten für Controller in den Polizeibehörden geschaffen. Die „KoCon“ initiiert Pilotvorhaben für Controlling und begleitet diese, arbeitet Ergebnisse aus dem Controlling auf und setzt diese in Vorschläge um. 278 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse auseinander. Ein Tagesordnungspunkt der Arbeitstagung war das Thema „Personalentwicklung & Führungskräfteentwicklung“. Folgende Beschlüsse wurden hierzu gefasst: Eine „Koordinierungsgruppe Personalentwicklung“ wird nicht eingerichtet. Die fachliche Gesamtverantwortung für PE bleibt im Innenministerium verankert. Alle Beschäftigten haben eine persönliche Verantwortung für PE. Dem operativen Bereich ist für PE-Maßnahmen grundsätzlich kein Personal zu entziehen. Eine weitere Fortbildung von Führungskräften zu nebenamtlichen Personalentwicklern wird nicht weiterverfolgt. In PE-Angelegenheiten sollen vorrangig diejenigen fortgebildet werden, die sich hauptamtlich mit PE befassen, z.B. Personaldezernenten, Personalsachbearbeiter etc. Die inhaltlichen Prioritäten werden in der landesweiten Einführung des Mitarbeiter- Vorgesetzten Gespräches (MVG)88 und der Erstellung eines PE-Fachkonzeptes Polizei gesehen. Einmal jährlich sollen sich die ausgebildeten Personalentwickler zu einem Workshop treffen (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 2000). Die Kluft zwischen den Leitentscheidungen und den formulierten Erwartungen und Vorschlägen der Personalentwickler war erheblich. Kaum eine der Ideen und einer der Strukturvorschläge zur Personalentwicklung der Polizei in Niedersachsen fand Beachtung, was in der folgenden Abbildung deutlich wird, in der die unterschiedlichen Auffassungen und Positionen einander gegenübergestellt werden. 88 Das MVG ist ein regelmäßiges Gespräch zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Unabhängig von der konkreten Aufgabenerledigung, das heißt anlassunabhängig, erörtern Mitarbeiter und Vorgesetzte Aspekte der Zusammenarbeit, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitszufriedenheit und der persönlichen Förderung (Niedersächsisches Innenministerium, 2002 b: 16). 279 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Aussagen von Entscheidern und Teilnehmern zur Personalentwicklung in der Polizei Niedersachsen Positionspapier der Teilnehmer zur Personalentwicklung in der Polizei des Landes Niedersachsen vom Februar 2000 Leitentscheidungen zur Personalentwicklung im Rahmen der Tagung des Niedersächsischen Innenministeriums mit den Direktoren und leitenden Beamten der Polizeibehörden und - einrichtungen vom September 2000 Zielgruppe von PE- Maßnahmen Fachliche Qualifizierung aller Beschäftigten in einem zeitlich und hinsichtlich des Umfangs und der Inhalte der Qualifizierung abgestuften Modell. Fortbildungsvolumen ist durch PE nicht zu erhöhen. Es sollten in PE-Angelegenheiten vorrangig diejenigen fortgebildet werden, die sich hauptamtlich mit PE befassen, z.B. Personaldezernenten und -Sachbearbeiter sowie die Sachbearbeiter Aus- und Fortbildung. Organisation der PE-Aufgabenwahr- nehmung Die Aufgaben und Verantwortungsbereiche im Rahmen der Personalentwicklung werden für alle relevanten Funktionsgruppen vom Mitarbeiter bis zum Entscheider im Innenministerium beschrieben. Keine Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen der Aufgaben- und Funktionsbereiche zuvor genannter Personengruppen. In allgemeiner Form wird allen „eine persönliche Verantwortung“ für PE zugesprochen. Rahmen- bedingungen für PE Ziel und Inhalte von PE sind z. Zt. in der Polizei nur eingeschränkt bekannt. Breit angelegte Information der Beschäftigten soll Transparenz und Akzeptanz stärken. Integration von PE in die zentrale und dezentrale Fortbildung. Fortbildungsvolumen wird nicht erhöht. Dem operativen Bereich ist für PE-Maßnahmen grundsätzlich kein Personal zu entziehen. Bedeutung und Wirkung von PE Durch Beispiele unterfütterte Feststellung, dass Veränderungsprozesse der personentwicklerischen Begleitung und Unterstützung bedürfen, um nicht durch Akzeptanz und Identifikationsprobleme der Zielgruppen wirkungslos zu werden bzw. zu scheitern. Keine explizite Auseinandersetzung mit Wirkmechanismen von PE bei Veränderungsprozessen. Neu zu qualifizierende Personalentwickler a) Führungskräfte Flächendeckende Qualifikation von mindestens einer Führungskraft (PI-Leiter oder anderer Dienststellenleiter) als Personalentwickler. Fortbildungsbedarf für ca. 50 Pers. bei verkürzter Qualifizierungsdauer. Keine weitere Qualifizierung von Führungskräften als Personalentwickler. 280 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Aussagen von Entscheidern und Teilnehmern zur Personalentwicklung in der Polizei Niedersachsen Positionspapier der Teilnehmer zur Personalentwicklung in der Polizei des Landes Niedersachsen vom Februar 2000 Leitentscheidungen zur Personalentwicklung im Rahmen der Tagung des Niedersächsischen Innenministeriums mit den Direktoren und leitenden Beamten der Polizeibehörden und - einrichtungen vom September 2000 b) Qualifizierung von Personaldez., SB Personal/Aus- und Fortbildung Zentrale Grundqualifizierung für diesen Personenkreis. Diese ca. 150 Beschäftigten unterstützen in erheblichem Umfang die zu treffenden personalentwicklerischen Maßnahmen. Wird zugestimmt: Personaldezernenten, Sachbearbeiter Personal/Aus- und Fortbildung sollen zielgerichtet fortgebildet werden. Aufgaben der Führungskräfte als qualifizierte Personalentwickler Die qualifizierten Personalentwickler beschreiben ihre möglichen Funktionen als Multiplikator im eigenen Verantwortungs- bereich, als Initiator von PE-Maßnahmen im PI-Bereich, als Berater von Vorgesetzten anderer Bereiche, als Unterstützer bei der Wahrnehmung von PE-Sonderaufgaben. Keine Aussagen über die zukünftigen Wirkungskreise und Arbeitsfelder der qualifizierten Personalentwickler. Eine Arbeitsgruppe PE-Fachkonzept soll eingerichtet werden, um Einzelkonzepte zu einem PE-Gesamtkonzept zu integrieren. Vorlage des Ergebnisses bis zum 30.06.2001. Verantwortlichkeit für PE Nds. Innenministerium obliegt fachliche Gesamtverantwortung für PE. Vorschlag, eine „Koordinierungsstelle Personalentwicklung“ zur Unterstützung der Entscheider einzurichten. Dito Eine „Koordinierungsgruppe PE“ wird nicht eingerichtet. PE-Handbuch Auf der Basis der durchgeführten Qualifizierung und den gemachten Projekterfahrungen soll ein PE-Handbuch als Hilfestellung für Anwender bei der Durchführung von PE-Maßnahmen und zur Beschreibung landesweit gültiger Standards erstellt werden. Kein „PE-Handbuch“. Stattdessen sollen in Ergänzung zu einem PE-Fachkonzept die polizei- relevanten Instrumente beschrieben werden. Abb. 19: Wunsch und Wirklichkeit der Personalentwicklung Aber nicht nur inhaltlich waren die Leitentscheidungen desillusionierend und entmutigend; die Identität der Engagierten unter den Personalentwicklern erfuhr auch eine massive Kränkung. War die erste Begegnung und Auseinandersetzung der Personalent- wickler mit den Entscheidern im Baustein 11 noch geprägt von schlechter Vorbereitung, methodischem Dilettantismus und erheblich divergierenden Vorstellungen, so hatte das engagierte Arbeiten am Positionspapier in Untergruppen für detaillierte, konsensuale Positionen gesorgt. Hier manifestierte sich ein hoher Grad an Reife und Selbstorganisation der Personalentwickler: Wo vorher individuelle Wünsche und Sichtweisen bzw. Bedürfnisse lokaler Gruppierungen die verbale Diskussion mit den Entscheidern 281 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse bestimmten, lag nun ein durchdachtes, ausgefeiltes Strategiepapier vor, an dem alle Personalentwickler mitgewirkt hatten und das in arbeits- und zeitaufwändigen Abstimmungsprozessen zu „ihrem Positionspapier“ gereift war. Die Leitentscheidungen der Direktorentagung wurden ein halbes Jahr nach Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme in einem von der Expo 2000 in Hannover überschatteten personalentwicklerischem „Vakuum“ getroffen. Das Mandat des Projektleiters und des PE-Fachberaters als Koordinatoren im bisherigen „mündlichen“ Vermittlungsprozess war abgelaufen. Die Gruppe der Personalentwickler existierte nicht mehr, die Personalent- wickler waren nicht mehr organisiert. Einsprüche bzw. Widerspruch mussten somit nicht befürchtet werden. Die Tatsache, dass man beidseitig kein gemeinsames Forum für die weiter gehende Auseinandersetzung zwischen Direktoren und Personalentwicklern finden wollte, um sich auf Augenhöhe über die weiteren Ziele der Personalentwicklung und das „Wie“ der Zielerreichung auseinander zu setzen, kann dahingehend interpretiert werden, dass die Personalenentwickler aus dem sensiblen Entscheidungsgeschehen herausgehalten werden sollten. Offenkundig wurde allerdings auch die strategische Planungsschwäche der Personalent- wickler, denn das Szenario der Ablehnung der Positionen und daraus resultierende mögliche Strategien des Umgangs hiermit wurden im Vorhinein nicht bedacht und erörtert, was aber notwendig gewesen wäre, um die Grundlage für ein beidseitiges Ringen um Konzepte, Prozesse und Strategien überhaupt erst zu ermöglichen. Auch erfolgten keinerlei Gegenreaktionen der Personalentwickler auf die ernüchternden Beschlüsse. Neben der schon erwähnten „Nichtorganisation“ soll ein professionsbezogener Erklä- rungsansatz für das Ausbleiben von Reaktionen versucht werden: Polizeiarbeit ist weitgehend reaktives Handeln. 95 % der Schutzpolizei und schätzungs- weise 80 % der kriminalpolizeilichen Kapazitäten sind durch reaktive Maßnahmen wie Notrufbearbeitung und Strafanzeigenaufnahme und -bearbeitung (nicht Ermittlung) gebunden (vgl. Feltes, 2001: 5). In der Auseinandersetzung mit den Leitentscheidungen geht es jedoch um aktives Prozessmanagement mit unsicherem Ausgang. Ein unsicherer Ausgang ist allerdings Alltagsgeschäft in der Polizei. Feltes (a.a.O.: 2) spricht von 10 % Eigenaufklärung und Dunkelzifferrelationen zwischen 1:1 (bei Mord bzw. Totschlag) bzw. 1:3 bis 1:50 (bei sonstigen Delikten). Somit kann ein nennenswerter Anteil der Gewaltkriminalität nicht verhindert werden. Ermittlungsbemühungen von Polizeibeamten werden nach der Wahrscheinlichkeit eines Ermittlungserfolges getätigt. Bei Ermittlungsverfahren im Bereich der Gewalt-, Sexual- oder Wirtschaftskriminalität stellt sich die handlungsleitende Frage, ob ein Verfahren Erfolg im Sinne von Aufklärung und Täterermittlung verspricht oder ob das Verfahren mit vielen Unwägbarkeiten verbunden ist. Dabei spielt der vorhandene oder nicht vorhandene öffentliche Druck eine große Rolle, denn letztendlich ist davon abhängig, ob ein Fall bearbeitet oder „totgeschrieben“ wird. In Bezug auf die Auseinandersetzung mit den Leitentscheidungen sind vorherige 282 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Handlungsmaximen, Erfolgsorientierung oder öffentlicher Druck nicht vorhanden, ganz abgesehen davon, dass die Teilnehmer polizeilich sozialisiert sind, also erfolgreich ein Beurteilungssystem durchlaufen haben, das Anpassungsleistungen belohnt. Es ist daher kaum vorstellbar, dass sich ein Individuum oder eine Gruppe (die keine mehr ist) gegen Entscheidungen der Leitungsebene stellt bzw. diese hinterfragt. Auch lockten keine lukrativen Dienstposten, sondern die Aussicht auf Personalentwicklung im Nebenamt. Im Übrigen hatte schon der anstrengende konsensuale Prozess der Formulierung der Positionen enorme Kraft gekostet. Die Personalentwickler haben mit ihrem Positionspapier die Routinen des Ministeriums in Frage gestellt. Ihre Innovationsziele zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben der Pro- grammsprache des Neuen und den angekündigten Änderungen neue Strukturen und Prozesse, Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und damit Handlungsspielräume eröffnen. Das ruft die Entscheidungsträger auf den Plan, denn wo Routinen und bestehende Struktu- ren hinterfragt werden, sind Widerstände und Konflikte abzusehen, was durch die erheblichen Diskrepanzen zwischen Wissen über und die Macht zur polizeilichen Personalentwicklung in Niedersachsen verdeutlicht wird. Diese Widerstände und Konflikte haben weniger eine personenbezogene Komponente. Sie tauchen nicht etwa deswegen auf, weil die Entscheider der Direktorentagung die Ewiggestrigen sind, die von einer innovativen Personalentwicklung abgeschreckt wären, sondern die Konflikte waren deswegen zu erwarten, weil aus dem Blickwinkel der Entscheidungsträger Interessen, Machtpotenziale und Gestaltungsspielräume und die damit einhergehenden identitätsbildenden Selbstverständlichkeiten verloren gehen würden, schlösse man sich der Sicht der Personalentwickler an. Hinzu kommt, dass das trotz aller Expertise unter „Laborbedingungen“ verfasste Positionspapier kaum Aussagen treffen darüber kann, ob das „Neue“ auch das bessere Konzept sei bzw. wie die Vorschläge, Konzepte und Verfahren sich in der „freien Wildbahn“ komplexer Systeme tatsächlich auswirken werden. Beispielhaft wird aber auch am Konflikt zwischen Wissen und Macht in der Organisation Polizei deutlich, dass mit Wissen immer schon Einschätzungen aktueller Zustände im Hinblick auf ihren Wissensbedarf verbunden sind, die von anderen geteilt werden können, aber nicht müssen. Nach Baecker (vgl. 1998: 12) hat das Wissen nicht nur eine Sachdimension (Hervorhebung im Original) – das heißt, es ist nicht nur ein Wissen über etwas–, sondern es hat auch eine Sozialdimension, das heißt, es ist ein Wissen der einen über ein Wissen und Nichtwissen der anderen. Und es hat eine Zeitdimension, das heißt, es ist ein Wissen über den notwendigen Korrekturbedarf von Wissen. Nimmt man diese drei- dimensionalen Ablehnungsmöglichkeiten bei der Bewertung und Einordnung der Entscheidungsgrundlagen in Bezug auf das Positionspapier zu Hilfe, so kann geschlussfolgert werden, dass es in allen drei Dimensionen abgelehnt wurde. Es wurde im Bereich der Sachdimension abgelehnt, da die Entscheider von der Sache, mit Ausnahme der Zustimmung zur Fortbildung der Ausführungsebene, einen anderen Eindruck hatten. 283 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Auch wurde es in der Sozialdimension abgelehnt, da die Entscheider die Positionen zum Umfang des Qualifizierungsbedarfs, zur Notwendigkeit des Qualifizierungsbedarfs bestimmter Zielgruppen, zur Einrichtung eines Repräsentantensystems etc. nicht teilten. Ebenfalls implizierte die Ablehnung des Positionspapiers die Zeitdimension, denn die Überlegungen der Personalentwickler zur Qualifizierung der unterschiedlichen Funktions- und Zielgruppen in einem zeitlich abgestuften Verfahren fanden genauso wenig Zustim- mung. Erkennbar wird, dass diese Ablehnungsmotive nicht nur etwas mit der Unvernunft der Verhältnisse zu tun haben, sondern sie schützen die Verhältnisse vor der Zumutung, anderes für relevant zuhalten, andere zu Wort kommen zu lassen und sich auf andere Grundlagen zu stellen. Fast nie ist absehbar, worauf man sich einlassen würde, wenn man diese Zumutung akzeptierte. Es kann vermutet werden, dass befürchtet wurde, die Chancen für die Umsetzung des Positionspapiers könnten als zu kräftezehrend für die Gesamtorganisation bewertet werden, und zwar im Sinne einer Überlastung durch Kommunikation. Als Folge scheint Kontrollverlust in Bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Gesamtsystems Auslöser der Furcht zu sein. So behielt man bewährte und bekannte Entscheidungs- und Funktionsweisen bei, vermied Irritationen, die eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Positionspapier ausgelöst hätten. Statt dessen verständigte man sich auf eine Politik der kleinsten Schritte, wie z.B. diejenigen mit mehr Wissen auszustatten, die kraft ihres Amtes schon mit der Materie befasst waren, oder eine Arbeitsgruppe „PE-Fachkonzept“ einzusetzen, in der auch ausgebildete Personalentwickler mitarbeiteten. Erschwerend kam hinzu, dass die Personalentwickler nicht auf die zu erwartenden Konflikte vorbereitet waren, denn mit Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme waren sie in der Auseinandersetzung zwischen „Wissen“ und „Macht“ keine eigenständige Größe mehr. Sie verfügten über keinerlei Strukturen, den Zeitraum zwischen Februar 2000 (Überreichung des Positionspapiers) und September 2000 (Entscheidungen zu den Positionen) zur Vermittlung ihrer Vorschläge für Verhandlungen adäquat zu nutzen. Wahrscheinlich hatte keiner der Personalentwickler die lineare Umsetzung ihrer Ideen und Überlegungen erwartet, sondern eher ein Resultat, bei dem gleichermaßen die Entscheider des Innenministeriums wie die Personalentwickler lernen und ein neues Kraftfeld etablieren. Das hätte aber einen intensiven Verhandlungsprozess zwischen Entscheidern und der Gruppe bzw. einer Abordnung der Personalentwickler vorausgesetzt, der von keiner Seite artikuliert wurde. Auf solchen Foren für Aushandlungsprozesse wäre eine externe Moderation angezeigt gewesen, um beiden Seiten zu helfen, Gestaltungs- möglichkeiten zu entdecken, Machtspielräume zu erkennen, Verhandlungsprozesse zu gestalten und auf diese Weise neue Machtbalancen herzustellen. Die Personalentwickler versuchten mit ihrem Positionspapier, Strukturen und Abläufe zu- künftiger Personalentwicklung zu beeinflussen; diese Rolle wurde ihnen seitens der Entscheider der Organisation aber nicht zugestanden. Die Entscheiderebene wirkte in der 284 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Gestaltung des Reformprozesses ungeübt und reagierte auf Kooperationsangebote der Personalentwickler abweisend, da sie nicht gewillt schien, mit der „passageren Abgabe von Autonomie und Führungsanspruch zugunsten von Kooperation“ (Nellessen, 1999: 81) umzugehen, und das Kooperationsangebot als erhebliche Beeinträchtigung ihrer Steue- rungskompetenz bewertete. In den Leitentscheidungen war keinerlei Begründung von Notwendigkeiten beinhaltet. Ausgedrückt wurde durch die Leitentscheidungen das Ergebnis eines gedanklichen Prozesses, ohne den Personalentwicklern den gedanklichen Prozess nahe zu bringen, der dem Ergebnis vorangegangen war. In der Konsequenz fehlte den ausgebildeten Personalentwicklern jegliche formale Aner- kennung der errungenen Arbeitsgebiete, von der Überreichung der Qualifikationsurkunde einmal abgesehen. Ihr Wissen ermöglichte allenfalls, sich informelle Autoritätspositionen zu sichern und damit den Mangel an formellen Einflussmöglichkeiten persönlich zu kompensieren. Sie wollten zum großen Teil gestalten, ihre Kompetenzen zur Anwendung bringen und Einfluss nehmen. Dabei wurde ihnen das schwer gemacht, was seitens der Entscheider insofern verständlich war, als offensichtlich keinerlei Interesse an der Bildung einer „Nebenhierarchie“ gegenüber der formellen Hierarchie, ihren Routinen und Ent- scheidungsverfahren besteht. Von daher waren die Ablehnung der Position „Einrichtung einer Koordinierungsgruppe PE“ zur Unterstützung der Entscheider im Innenministerium und der gleichzeitige Hinweis auf die Zuständigkeiten der Personaldezernenten für PE- Belange der Beschäftigten folgerichtig. Allerdings ist das dahinter stehende Problem dadurch nicht gelöst, denn bei der Gestaltung der Prozessorganisation in Veränderungsprozessen ergibt sich immer wieder das Dilemma, dass der Innovationsprozess einerseits vor der Hierarchie geschützt werden muss, andererseits aber auch der kontinuierlichen Unterstützung (s. in Teilen Projektverlauf A in Kapitel 5.3.4 und 5.3.5 ff.) bedarf. Dieses Kunststück könnte am ehesten in Organisationsstrukturen gelingen, die neben den klassischen Hierarchien und Linien „Parallel-Organisationen“ der Innovation entwickeln, die über klare Zuständigkeiten im Modernisierungsprozess verfügen. Die beste Lösung wäre eine völlige Freistellung von Personen und eine klare Kompetenzzuordnung für das Prozessmanagement. Indem kein weiterführender Auftrag seitens der Hierarchie an die Personalentwickler ergangen war, wurde ein konflikthaftes Zusammenprallen von Fremd- und Selbstdefinition vermieden, was den großen Vorteil bot, dass Personalentwickler nicht zu den unausgebildeten Führungskräften, welche die Majorität darstellten, in Konkurrenz traten. Somit bestand keine Gefahr für den Status quo und die alleinige Entscheidungsho- heit, bezogen auf die Ausgestaltung der Personalentwicklung, blieb bei den Direktoren der Polizei und den leitenden Akteuren des Innenministeriums. Der Beschluss, zukünftig nur diejenigen „Personaler“ weiter fortzubilden, die sich hauptamtlich damit zu beschäftigen 285 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse haben, schaffte eine äußerst übersichtliche Situation, in der Verantwortlichkeiten klar zu- geordnet werden konnten. Die zukünftige, insgesamt zehntägige Fortbildung von ca. 150 Personalsachbearbeitern stärkte die Ausführungsebene. Das ist wichtig, macht aber erst wirklich Sinn und entfaltet organisationale Tiefenwirkung, wenn sie mit der Fortbildung weiterer Führungskräfte, wie im Positionspapier vorgeschlagen, kombiniert wird. Eine innovative Weiterentwicklung und Fortschreibung der PE mussten daher nicht befürchtet werden. Durch das Hineinregieren der Hierarchie war eine hohe Störanfälligkeit gegeben, weil diese größtenteils nicht im Bilde sein konnte, da nicht fortgebildet in Personalentwicklung. Der Projektverlauf B hat anschaulich gemacht, wie ein Veränderungsprozess durch Verweigerung der Behördenspitze boykottiert werden kann. Abzusehen war auch, dass die Akzeptanz- und Identifikationsprobleme unter den Beschäftigten bei den aktuellen und anstehenden Veränderungsprozessen voraussichtlich nicht verringert werden konnten, denn eine wesentliche Zielgruppe, die Führungskräfte des höheren Dienstes, blieben zukünftig von weiteren Qualifizierungsmaßnahmen zur Personalentwicklung ausgespart. Somit erschöpfte sich das politische Postulat von der „breit angelegten Führungskräfte- Fortbildung“ auf die Fortbildung von etwa 10 % der Angehörigen des höheren Dienstes der Polizei in Niedersachsen. Wenn die oberste Hierarchieebene in den Behörden der Polizei kein fundiertes Wissen über Prozesse und Strukturen moderner Personalentwicklung aufweist, das an nachgeordnete Dienststellen weitergegeben werden kann, wie sollen dann Grundgedanken neuer Steuerung wirkungsvoll kommuniziert und vorgelebt werden? Der Blick der Organisationsangehörigen wird sich immer auf die Be- hördenleitung richten. Es ist einfacher, ein bestimmtes Verhalten nicht zu zeigen, sofern sich die oberste Führungsebene nicht verpflichtet fühlt, eine Veränderung mitzutragen, als die Umstrukturierung von der Leitung zu unterstützen. Hier würde sich der Kreis schließen, denn es wäre wieder die originäre Rolle der Führungskräfte als Personalent- wickler betroffen (zumindest in beratender Funktion89, wenn diese denn zugestanden und gefördert würde). Es scheint wohl so zu sein, dass in Zeiten institutioneller Unsicherheit, bedingt durch Poli- zeireform und Verwaltungsreform, sich die Polizei auf bewährte Muster und Routinen konzentriert, was Rückschlüsse auf den Machtaufbau in der Organisation zulässt. Indem die Personalentwickler, als Träger organisationalen Wissens, im Rahmen der Abschluss- veranstaltung ein „fertiges“ Positionspapiers an einen wichtigen ministerialen Akteur, einem Träger organisationaler Macht, „überreichen“, ebnen sie den Weg für die Bearbeitung durch die Entscheider im Rahmen ihrer üblichen Verfahrens- und Entscheidungsroutinen, ohne eine weitere kommunikative Rahmung bzw. Vereinbarung 89 Es geht auch anders. Als Erfolgsfaktor stellt Drögemüller (2004: 92) in einer Betrachtung der Arbeit der Controller in Niedersachsen die interne Beratung von Führungskräften durch Controller heraus. 286 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse darüber. Denn man kann die Botschaft der Überreichung des Positionspapiers auch durchaus so verstehen: Nun haben wir genug gearbeitet, jetzt sind die Entscheider an der Reihe! Das Positionspapier versucht ansatzweise, der strukturellen Unperfektheit der formalen Organisation, ihren Regelungslücken, Widersprüchlichkeiten und Paradoxien zu begegnen. Dabei bringen die Personalentwickler ihre beruflichen Erfahrungen, ihre Interessen, Ziele und Karriereambitionen mit ein, indem sie versuchen, ihre verfügbaren Machtquellen wie Wissen, Informationen, Experten-Know-how bzw. Positionierung an relevanten Schnittstellen zu kapitalisieren, da es mit der Umsetzung des Positionspapiers einen erheblichen Steuerungs- und Regelungsbedarf gegeben hätte (s. Vorschlag der Ein- richtung einer PE-Koordinierungsstelle), der darüber hinaus ohne die Unterstützung der Personalentwickler schwerlich abzuarbeiten gewesen wäre. Diese Machtquellen hätten für Personalentwickler Chancen zur Profilierung und Restrukturierung von Konzepten ergeben, was allerdings sicherlich nicht konfliktfrei in der Auseinandersetzung mit nicht fortgebildeten Führungskräften verlaufen wäre, denn diese hätten befürchten können, dass ihre Handlungsmöglichkeiten beeinflusst bzw. eingeschränkt hätten werden können. Somit sind zuvor benannte Machtquellen zugleich Unsicherheitsfaktoren, denn Leistungen und Kooperationen können gewährt oder verweigert werden, was im Verlauf der Qualifizie- rungsmaßnahme auch oft zu beobachten war, da das „Know-how“ der Personalentwickler, von Ausnahmen abgesehen, eher selten von anderen Dienststellenleitern abgerufen wurde. Von daher ist die Allgegenwärtigkeit von Macht in organisationsinternen Austauschpro- zessen der Effekt einer gegenseitigen Abhängigkeit. Blanke Ohnmacht gibt es nicht in dieser Handlungslogik, auch wenn die Macht nicht gleichmäßig verteilt ist, sondern asymmetrisch. „Je dichter das Geflecht gegenseitiger Abhängigkeit, je höher der Grad der Arbeitsteilung ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Zielsetzungen der unterschiedlichen Akteure divergieren; dementsprechend politisch und mit Machteffekten aufgeladen ist ein Handlungsfeld“ (Barthel, 2004: 124). So musste auch Widerspruch seitens der Personalentwickler gegen die Leitentscheidungen des Ministeriums nicht ernstlich befürchtet werden. Den in Modernisierungskonzepten, wie hier im Positionspapier, formulierten Ansprüchen von Ganzheitlichkeit und Kooperation steht die Loyalität zu traditionell hierarchischen Vorgehensweisen sowie die Orientierung an mächtigen und einflussreichen Funktionsträgern gegenüber. Die Aufgeschlossenheit und Ankündigung des Positionspapiers, neue Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Handlungsspielräume zu kreieren, könnte das eigene Verhalten und das anderer anerkannter Rollenträger in Frage stellen. Auch erscheint es als nicht unerheblich, dass ab Hierarchiestufe A 15 die Personalhoheit im Innenministerium liegt. Zuviel Innovation, Kritik und Konfrontation könnten durchaus den Zweifel an der Hierarchie- und Funktionsfähigkeit von Personalentwicklern aufkommen lassen, was sich schädigend auf weitere Karriereambitionen auswirken bzw. befürchtet werden könnte. 287 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Aus organisationstheoretischer Sicht haben die leitenden Beamten des Niedersächsischen Innenministeriums und die Direktoren der Polizei im Sinne einer klassischen Organisation reagiert. Demnach gilt eine Organisation erst als Organisation, wenn man ihr freistellt, hochselektiv mit Wissen90 umzugehen, Daten nicht zur Kenntnis zu nehmen und aus In- formationen keine Schlüsse zu ziehen (vgl. Baecker, 1998: 6). Vertiefend beschreibt Baecker (a.a.O.: 5), dass Organisationen angebotenes Wissen nicht ablehnen, da man sich das dort nicht leisten kann. Sollte dies dennoch der Fall sein, wird die Ablehnung nur in einer Form akzeptiert, die es leicht macht, dieses Wissen im wahrsten Sinne des Wortes zu den Akten zu legen. Das ist der größte Teil der Schriftform, in die fast alles Wissen gebracht wird. Die Schriftform beruhigt die, die das Wissen produziert haben. Denn in dieser Form bleibt es vorhanden. Und es beruhigt auch die, „die es gar nicht brauchen. Denn so können sie es ablegen, ohne es explizit abzulehnen“. Der Konflikt, der sich hier auf der Ebene zwischen Personalentwicklern und Entscheidern abspielt, ist aber auch ein Zielkonflikt: Die Innovationsziele der Personalentwickler und die Routinen des Innenministeriums scheinen schwer miteinander vereinbar. Während die Innovationsziele der Personalentwickler eher offene Strukturen im Sinne der Dezentralisierung voraussetzen, zielen die Routinen der Entscheider nicht auf Erweiterungen, sondern auf Begrenzungen von Handlungsspielräumen durch Standardisierungen und eindeutige Zuordnungen von Verantwortlichkeiten, was durch die folgende Abbildung verdeutlicht wird. 90 „Looked at in large, organizations exist to suppress data. Some data are screened in but most are screened out. The very structure of organization – the units, the levels, the hierarchy – is designed to reduce data to manageable and manipulable portions“ (Vildasky, 1983: 29). 288 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Positionspapier der Personalentwickler Leitentscheidungen des Innenministeriums und der Direktoren der Polizei Deskriptive Sprache und Handlungslogik Normative Sprache und Handlungslogik Missionarischer Ansatz: Wandel ist angelegt auf Breitenwirkung. Alle Beschäftigten sollen in einem zeitlich und inhaltlich abgestuften Modell qualifiziert werden. Expertenansatz: Wandel wird zur Spezialistensache durch Zuschreibung an „Wandelbeauftragte“ wie Personaldezernenten bzw. Sachbearbeiter. Erweiterung der Handlungsspielräume durch Zuweisung von PE-Verantwortlichkeiten für Funktionsgruppen, der Forderung nach Auseinandersetzung mit Rahmenbedingungen für PE, der Bedeutung und Wirkung von PE, Beschreibung der Aufgaben der qualifizierten Personalentwickler. Beschränkung von Handlungsspielräumen durch fehlende Auseinandersetzung bzw. Ablehnung von Forderungen. Wandel und Wandelanstöße sind nicht mehr eindeutig zu verorten und zu lokalisieren auf Grund der Bezogenheit der Funktionsgruppen und ihrer Darstellung in vernetzten Strukturen. Wandel und Wandelanstöße sind eindeutig zu verorten durch Zuschreibung an die organisationalen „Personalstellen“. Dezentralisierung von Verantwortlichkeit für PE durch den Vorschlag eine „Koordinierungsstelle Personalentwicklung“ zur Unterstützung der Entscheider einrichten. Zentralisierung der Verantwortlichkeit durch alleinige Entscheidungshoheit im Innenministerium. Keine Koordinierungsstelle. Funktionsbeschreibung der qualifizierten Personalentwickler als Multiplikatoren, Initiatoren, Berater und Unterstützer von PE. Entwertung der qualifizierten Personalentwickler, da die formelle Anerkennung im Nebenamt verweigert wird und keinerlei Zuständigkeiten definiert werden. Abb. 20: Zielkonflikt: Innovation versus Routine Das „Innovative“ kommt auf den Prüfstand der Routineorganisation, womit zwei Rationalitäten in Konkurrenz geraten. Die missionarische Rationalitätsbehauptung des Modells, die im Positionspapier enthalten ist, fordert die Rationalitätsbehauptungen der Routineorganisation heraus, insbesondere die dahinter wirksamen Machtstrukturen der Alltagsorganisation. In diesem Prozess wird das „Neue“ abgeschliffen und zurechtgestutzt, so dass es störungsfrei und passfertig in die bewährten 289 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Organisationsstrukturen eingebaut werden kann. Dabei zeigt sich, dass weniger vom Neuen gewünscht, dafür mehr vom selben Alten umgesetzt und praktiziert wird. Beide Positionen verdeutlichen ein Dilemma bei Veränderungsprozessen, nämlich wie breit bzw. schmal soll das Vorgehen sein? Es ist in Großorganisationen wie der Polizei nicht möglich und nicht sinnvoll, mit allen Veränderungsvorhaben in der gesamten Organisation gleichzeitig zu beginnen. Es bedarf eines komplexen Abstimmungsprozesses, um die Themenfülle und die Sektorenvielfalt, im Sinne involvierter Organisationseinheiten, festzulegen. Das Positionspapier und die Leitentscheidungen reflektieren ein weiteres Dilemma: In einer komplexen Organisation können durch eine differenzierte Organstruktur (Positionspapier) Kompliziertheiten geschaffen werden, die viele Kräfte an sich binden. Bei zu simpler Organstruktur (Leitentscheidungen) besteht die Gefahr, dass die Eigentümlichkeiten der vielschichtigen Organisation missachtet werden und dadurch immer wieder Unverständnis und Ablehnung bei den Betroffenen entstehen. Die Palette der Möglichkeiten ist höchst unterschiedlich. So macht es einen Unterschied, ob das Thema „Einführung strukturierter Auswahlverfahren“ nur in einer Organisationseinheit, gleichzeitig in mehreren Organisationseinheiten oder in der ganzen Organisation eingeführt wird. Ebenfalls macht es einen Unterschied, ob mehrere Themen (z.B. Anforderungsprofile, Auswahlverfahren, Qualifizierungsprogramme) gleichzeitig in einer Organisationseinheit, in mehreren oder der ganzen Organisation zur Einführung anstehen. Hier bedarf es eines abgestuften Vorgehens, einer guten Kooperation und differenzierten Feinabstimmung von „Wissen“ und „Macht“. Dazu müsste man sich aber verständigen, nämlich über strategische und operative Aspekte von Führung. Es braucht daher eine strategische Führung, die vorausdenkt, und eine operative Führung, die die strategischen Vorgaben mit den weitgehend autonom operierenden dezentralen Einheiten in Beziehung setzt. Wichtige Klärungs- und Übersetzungshilfe könnten hier die schon angedeuteten Foren für Aushandlungsprozesse, besetzt mit Vertretern beider Seiten, leisten, was im vorliegenden Fall unter ungünstigen Rahmenbedingungen einmal ansatzweise durchgeführt, aber nicht fortgeführt wurde. Eine Grundvoraussetzung für einen konstruktiven Dialog wäre ein Führungsverständnis auf der Basis, dass strategische Entscheidungen nicht im Alleingang, sondern nur durch Ausnutzung der fachlichen Ressourcen getroffen werden können. Es gäbe wichtige konzeptionelle Fragen zur Gestaltung von PE, über die sich zu verständigen lohnen würde. Leitfragen für einen strategischen Ansatz könnten sein: Was werden die wichtigsten Leistungsbereiche sein und wo stellen sich besondere Qualitätsanforderungen? Welche grundlegenden Veränderungen in den Leistungen, Leis- tungsqualitäten, der Aufbau- und Ablauforganisation und dem Selbstverständnis werden notwendig sein? Was muss auf jeden Fall erreicht werden? Nicht minder wichtig wäre es, 290 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse die Rollen zu klären: Welche Rolle kommt der oberen, mittleren und unteren Führungs- ebene zu? Welche Rolle kommen den Spezialisten und anderen Mitarbeitern zu? Welche Rolle spielen die verschiedenen Organisationseinheiten? Es wäre sinnvoll, sich über die Anforderungen zu verständigen: Welche Anforderungen sind für den Erfolg für alle von herausragender Bedeutung? Welche herausragenden spezifischen Anforderungen ergeben sich für die verschiedenen Zielgruppen? Daran anschließen könnte sich eine Klärung der PE-Instrumente: Welche PE-Instrumente müssen im Rahmen dieser Ausrichtung entscheidend weiterentwickelt werden, damit diese Kompetenzziele erreicht werden? Auch müsste grundlegend über die PE-Verantwortlich- keiten Einigkeit erzielt werden: Wer steuert die PE-Aktivitäten in welcher Form? Wer trägt die fachliche Verantwortung in welcher Form? Wie lässt sich hohe Selbstverantwor- tung bei Führungskräften und Mitarbeitern erreichen? Man kann den Innovations-Routine-Konflikt aber auch als Wertekonflikt begreifen, und das Bild würde sich dann anders darbieten. Die Führungskräfte der Zukunft sollen unter Zuhilfenahme personalentwicklerischer Instrumente mit Kooperationsfähigkeit, Glaub- würdigkeit, Integrität, Überzeugungskraft und Empathie ausgestattet sein. Die Sozialisation in der Polizei (und nicht nur dort) belohnt jedoch eher Durchsetzungsfähigkeit auf Kosten anderer, Willen zur Macht, Karriere, Aufstieg und Einzelkämpfertum sowie die Fähigkeit zur Profilierung, Selbstdarstellung und Anpassung an die Organisationskultur. So sieht Sprenger (vgl. 2000: 30) Führungskräfte in einem virulenten Dilemma: Sie sollen Personalentwicklung unterstützen, aber belohnt werden sie für etwas anderes. Die Beurteilungssysteme weisen seiner Meinung nach klar aus, dass Führungskräfte selten bis nie für die Förderung ihrer Mitarbeiter beurteilt werden, sondern für die Produktion von Zahlen. Der Innovations-Routine-Konflikt kann aber auch als Sicherung von Führungswissen verstanden werden. Führungswissen bezeichnet das in der Regel verdeckt thematisierte Wissen darüber, wie eine Organisation als Hierarchie zu führen und als Arbeitsteilung zu koordinieren ist (vgl. Baecker, 1998: 7). Sprenger meint, dass die gängige Diskussion über Motivationstechniken und Personalführung vor allem darin seinen Sinn hat, dieses Führungswissen nicht anzutasten und implizit zu lassen. Seine Schlussfolgerung lautet, dass die Debatte um Motivation und Kreativität eine wichtige Funktion erfüllt, nämlich ei- nerseits die eigentlichen Autoritätsstrukturen der Organisation abblenden zu können und andererseits die Unsicherheitsgefühle der Mitarbeiter zu wecken und wach zu halten, so „dass die Chancen für Autorität eher steigen als abnehmen“ (a.a.O. 8). 5.4.4 Wissen zerläuft Die divergierenden und diffundierenden Positionen der Personalentwickler und Leitent- scheidungen der Direktorentagung führten nicht dazu, dass die ursprünglich den 291 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse ausgebildeten Personalentwicklern zugedachten Multiplikator- und Unterstützungsfunkti- onen von PE-Maßnahmen im Lande Niedersachsen obsolet wurden, zumindest nicht in der Schriftform. Der Anspruch konkretisierte sich im Ressortkonzept für die Personalent- wicklung im Geschäftsbereich des Niedersächsischen Innenministeriums, in dem festgehalten ist, dass die Behördenleitungen im Rahmen ihrer Managementaufgaben für ein modernes Personalmanagement mit Personalentwicklung verantwortlich sind. Dabei sollen für die konkrete Planung und Umsetzung von Personalentwicklungsmaßnahmen die ausgebildeten Personalentwickler hinzugezogen und frühzeitig beteiligt werden (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 2001: 6). Welches Bild zeichnen Anspruch und Wirklichkeit? Der erste Jahresworkshop der Personalentwickler, das „PE-Forum“, fand im Rahmen eines 3-tägigen Seminars im Mai 2001 im Bildungsinstitut der Polizei in Hannoversch-Münden statt. Das PE-Forum umfasste ein dichtes, aber weit gestreutes Themenfeld: den Abgleich der Positionen der Personalentwickler mit den Leitentscheidungen der Direktorentagung aus dem Vorjahr, den Ist-Stand zum Projekt „Führungskräfteentwicklung“, ein Referat zum Thema Coaching als Instrument zur Umsetzung der PE-Strategie, einen Vortrag zum Thema Berufsanforderungen und Bewerbereinstellungstest, eine persönliche Standortbestimmung der Personalentwickler91, die Entwicklung von Bereichskonzepten und die Erarbeitung von Qualifizierungsinhalten für die Sachbearbeiter Personal bzw. Aus- und Fortbildung, wobei der letztgenannte Tagesordnungspunkt besondere Bedeutung hatte, da hier ausgebildete Personalentwickler als Fachreferenten kontinuierlich eingesetzt werden sollten. Die Stimmung der Personalentwickler im ersten Jahresworkshop, mehr als ein Jahr nach Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme und neun Monate nach Bekanntgabe der Leitentscheidungen, war eher gedrückt. Beklagt wurde, dass die erworbenen Kompetenzen und Fertigkeiten sehr wenig von den Behörden und Dienststellenleitungen nachgefragt würden. Diese Tendenz hatte sich schon in der zweiten Interviewreihe angedeutet, als mehrere Befragte schilderten, dass sie außerhalb ihres Verantwortungsbereiches sich persönlich als Multiplikator in verschiedenen Zirkeln (Führungskräftebesprechungen, Dienstversammlungen etc.) angeboten hätten, aber sehr selten nachgefragt würden. Auch kritisierten Anwesende, dass es bisher keine „Antwort“ auf das Positionspapier der Perso- nalentwickler gegeben hatte. Ein nicht unerheblicher Teil der Anwesenden war über die Beschlüsse der Direktorentagung enttäuscht und fühlte sich gekränkt, von den leitenden Akteuren im Innenministerium und den Direktoren der Polizei nicht mehr als „polizeiliche Personalentwickler“ wahrgenommen zu werden. In dieser Logik wurde von Teilnehmern 91 Hierzu gab es einen Erfahrungsaustausch im Rahmen von Gruppenarbeit mit drei Leitfragen: 1) Wie erlebe ich PE in meinem Verantwortungsbereich (Aktivitäten, Grundhaltungen)? 2) Wo stehe ich? Wie sieht es mit meiner eigenen Motivation aus? 3) Was könnte meine Motivation erhöhen? 292 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse als Reaktion auf das gemeinsame Positionspapier eine „Antwort“ an die „Gruppe“ der Personalentwickler erwartet. Personalentwickler, deren Projekt zum Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme noch nicht beendet war, meldeten, dass niemanden die Ergebnisse der inzwischen abgeschlos- senen Projektarbeit interessierte. Als einzelne Personalentwickler begannen, im Plenum diese negative Gesamtentwicklung der Personalentwicklung zu „beklagen“, wurden sie von der Majorität wegen der zur Schau gestellten „Jammerhaltung“ kritisiert, worauf die Kritisierten konterten, in der Polizei mangele es einerseits an einer Wertschätzungskultur, was die ausbleibende Auseinandersetzung mit dem Positionspapier deutlich gezeigt habe, und andererseits dürften Emotionen in der Auseinandersetzung um ungünstige Verlaufsformen der Personalentwicklung wohl nicht zum Ausdruck gebracht werden. Dabei wurde auch bemerkt, dass in den Leitentscheidungen Aussagen zu einer strategischen Ausrichtung der Personalentwicklung in der Polizei des Landes Niedersachsen nicht erkennbar seien. Zusätzliche Unruhe verursachte ein Papier aus dem Innenministerium, das das „Rollenverständnis einer Führungskraft der niedersächsischen Polizei“ ausdifferenzierte und Teil der Teilnehmerunterlagen war. Zum Hintergrund: Bei der Abschlussveranstaltung der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ im Februar 2000 hatte eine Personalentwicklerin der Continental AG den Festvortrag gehalten und dabei das Rollenverständnis einer Füh- rungskraft der Continental AG erläutert, das auf sechs Säulen, den „Big Six“, beruht. In der Folge wurden die „Big Six“ für Führungskräfte der Niedersächsischen Polizei im Rahmen eines neu entworfenen Rollenverständnisses92 definiert, um deutlich zu machen, dass „das Denken, Handeln und Auftreten sich an den folgenden Säulen auszurichten habe“: Ziele vermitteln, vernetzt handeln, Personalverantwortung wahrnehmen, Qualität sicherstellen, wirtschaftlich vorgehen, Veränderungen gestalten. Weniger die Widersprüchlichkeit93 vorgenannter Leitbilder sorgte für Unruhe, sondern es setzte sich vor dem Hintergrund der Verfahrensweise mit dem Positionspapier und den 92 Das Beispiel verdeutlicht die weiterhin starke Ausrichtung polizeilicher Leitfiguren an privatwirtschaftlichen Steuerungskonzepten (vgl. Kapitel 3.3.2 und Kapitel 3.5.1 ff.). 93 Das eingeforderte Rollenverständnis impliziert die Aufforderung, sich als Vorbild und Autorität zu erweisen und gleichzeitig einen kooperativen und ganzheitlichen Führungsstil zu gestalten. „Veränderungen gestalten“ beinhaltet Freude am Widerspruch, am Experimentieren und Ausprobieren neuer Wege und muss mit „Qualität sicherstellen“ in Einklang gebracht werden, was wiederum Streben nach Sicherheit, Reduktion von Komplexität und Konformität bedeutet. 293 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Leitentscheidungen der schon skizzierte Trend der unzureichenden Vermittlung wichtiger Inhalte zukünftigen Führungsverständnisses in der niedersächsischen Polizei an die Ausführungsebene fort. Der offenkundige Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit sorgte für Irritationen, Unmut und Unverständnis unter den Teilnehmern: Auf der Organisationsebene vermitteln Leitbilder universelle Werte und eine offensive, demokratisch durchdrungene Beziehung zum Adressatenkreis94, doch machte auf der Handlungsebene die Form der Darreichung (per Kommuniqué) seitens der Organisationsspitze deutlich, dass eine Distanz zum Adressatenkreis geschaffen und aufrechterhalten wurde; die Anzeichen deuten eher auf einen Abwehr- als auf einen Verständigungsdiskurs hin. Auf der Organisationsebene fällt bei den Leitbildern der offensive und positive Charakter auf. Dort stehen Innovation, kooperatives Verhalten und wohlwollende, interdisziplinäre Zusammenarbeit im Vordergrund 95. Auf der Handlungsebene, z.B. im Umgang mit dem Positionspapier, aber auch bei der Verbreitung der „Big Six“, wird allerdings eher deutlich, dass man sich im Entscheidungsgeschehen nicht „in die Karten gucken lassen“ will. Auf der Handlungsebene wird von den Leitbildern ein freundliches, Veränderungen begrüßendes, kommunikativ versiertes und stets verständnisvolles und tolerantes Menschenbild kreiert. In diesem Bild wird permanent der menschliche Kontakt gesucht, indem man den Beschäftigten nicht nur 94 So heißt es zum Thema „Ziele vermitteln“: „Menschen streben danach etwas Sinnvolles zu tun. Die Führungskraft der Polizei verfügt im Rahmen der Organisationsziele über klare Vorstellungen von Zielen und Visionen der polizeilichen Arbeit, der Organisation und der Aufgabenwahrnehmung. Sie verfolgt zielorientiert die Weiterentwicklung der niedersächsischen Polizei, kann andere für das Bild der Zukunft begeistern, fördert so die Zustimmung und vermittelt die Identifikation der Beschäftigten. Belange der öffentlichen Sicherheit vertritt sie offensiv und mit Überzeugung nach innen und außen.“ (Infoblatt „Rollenverständnis einer Führungskraft der niedersächsischen Polizei“ zum PE-Forum 2001) 95 So heißt es zum Thema „Vernetzt handeln“: „In einem immer komplexeren Lebens- und Entscheidungsumfeld löst jede Aktion eine Vielzahl unterschiedlicher Folgen aus. Die Führungskraft der Polizei handelt und entscheidet im Sinne der übergeordneten Organisationsziele, greift veränderte Rahmenbedingungen auf und berücksichtigt sie in ihren Wechselwirkungen im direkten Verantwortungsbereich, innerhalb der Gesamtorganisation sowie zu anderen Systemen. Sie denkt vernetzt, systemisch, ganzheitlich und vorausschauend, verknüpft polizeiliches Wissen mit externen Erfahrungen und Kenntnissen und bedenkt Folgen sowie Auswirkungen des Tuns. Übertragene Verantwortung versteht sie als Verpflichtung für das Ganze. Dabei fördert sie die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt zwischen den Organisationsteilen.“ ( Infoblatt „Rollenverständnis einer Führungskraft der niedersächsischen Polizei“ zum PE-Forum 2001) 294 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse vorurteilsfrei und umsichtig, sondern ständig lernbereit gegenübertritt96. Die Handlungs- muster der Organisationsspitze legen aber eher nahe, dass diese die Adressaten distanziert und skeptisch betrachtet und sich vor deren Begehr um Einmischung und Partizipation schützt. Solche verordneten guten Vorsätze sind für die Außendarstellung der Polizei nützlich, „outet“ sich Führung doch als den Demokratisierungsbestrebungen und Modernisierungs- prozessen zugetan. Indes bleibt höchst zweifelhaft, ob durch die diffusen Zielvorgaben die Selbstbindung der Führungskräfte an die guten Vorsätze erhöht wird. Sowohl die Beachtung als auch das Ignorieren des Leitbildes haben für Führungskräfte keinerlei Konsequenzen. Nicht umsonst haben die Personalentwickler in ihrem Positionspapier am Beispiel der Einführung der „Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung“ dargestellt, dass solche Aktionen durch personalentwicklerische Maßnahmen begleitet werden müssen, da sonst Akzeptanz- und Identifikationsprobleme bei den Zielgruppen entstehen. Weil die Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit solcher weitläufigen Definitionen auf der Handlungsebene nicht hilfreich sind, werden Unverbindlichkeit genährt und Unsicherheiten erzeugt. Eventuell ist die „verunsichernde“ Wirkung solcher Allgemeinplätze auch gewollt, denn letztendlich lässt sich im Nachhinein jegliche Füh- rungsentscheidung mit dem Hinweis darauf auskontern, dass nicht ausreichend „Ziele vermittelt“ oder nicht umsichtig genug „vernetzt“ gehandelt worden wäre, was impliziert, dass ein „Mehr davon“ die Problematik oder den Konflikt gelöst hätte, was im Grunde genommen aber auch niemand beweisen kann. Zweifelsohne zählt der kundige Diagnostiker kraft seiner Definitionsmacht zu denen, die über Herrschaftswissen verfügen. 96 So heißt es zum Thema: „Veränderungen gestalten“: „Wer Zukunft will, muss sich verändern. Die Führungskraft der Polizei ist bereit zum Wandel und empfindet diesen nicht als Bedrohung. Veränderungen und Weiterentwicklungen werden von ihr aktiv und konsequent begleitet, ggf. initiiert oder forciert. Auf Bewährtes baut sie auf, Handlungsoptionen wägt sie ab. Andere Auffassungen, Umstände und Probleme wertet sie nicht als störend, sondern sieht darin die Möglichkeit und Verpflichtung, Ideen und Kreativität anderer einfließen zu lassen, ggf. eine Denkpause einzulegen und (auf)klärende Gespräche zu führen. Sie ist tolerant.“ ( Infoblatt „Rollenverständnis einer Führungskraft der niedersächsischen Polizei“ zum PE-Forum 2001) Zum Thema „Personalverantwortung wahrnehmen“ heißt es: „Die Führungskraft der Polizei hat ein positives, von Vertrauen und Partnerschaft getragenes Menschenbild. Durch ihr Verhalten wird eine humanitäre Kultur des Miteinanders gefördert. Besonders in Krisensituationen nimmt sie sich mit der notwendigen Sensibilität der Belange und Bedürfnisse der Beschäftigten an.“ ( Infoblatt „Rollenverständnis einer Führungskraft der niedersächsischen Polizei“ zum PE-Forum 2001) 295 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Ein Teilnehmer des PE-Forums 2001 brachte seine Ratlosigkeit auf den Punkt: Er wisse nicht, ob er sich seitens des Ministeriums auf den Arm oder in den Arm genommen fühlen solle. Die Frage ist nicht leicht und eindeutig zu beantworten. Auf der einen Seite ist ein Res- sortkonzept Personalentwicklung entstanden. Es existiert eine „Konzeption zur Führungskräfte-Entwicklung“ mit Leitfäden zur Durchführung von Auswahlverfahren und zur Erstellung von Anforderungsprofilen. Rahmenanforderungsprofile für 13 Dienstposten, Personalentwicklungsverfahren für erste Führungsfunktionen und den höheren Polizeivollzugsdienst wurden erarbeitet. Ausgebildete Personalentwickler haben engagiert daran mitgewirkt. Vieles ist konzeptionell erarbeitet und liegt den Behörden vor, es hapert, von Ausnahmen abgesehen, lediglich an der Umsetzung. So ist z.B. das Mentoring aus einem Projekt hervorgegangen und wird landesweit umgesetzt. Personalentwickler sind in die Fortbildung der Personenkreise involviert, die sich hauptamtlich mit PE befassen. Allgemein gestaltete sich die Reformlage im Jahre 2001 als außerordentlich komplex und schwer durchschaubar. Die Idee zu der Zeit war, dass zahlreiche Pilotprojekte der Gewinnung von Erfahrungen dienen und die so gewonnenen Ergebnisse in der Gesamtorganisation umgesetzt werden sollten. In einem weiteren Schritt sollten die Pilot- projekte durch die Einführung eines Qualitätsmanagements vernetzt und im Zusammenhang betrachtet werden. Es wurden haushaltsrechtliche Möglichkeiten zu einer globaleren und flexibleren Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln geschaffen. Der Umfang der Budgetierung blieb jedoch für die Polizeidienststellen, die pilothaft betriebswirtschaft- liche Instrumente erprobten, auf den Beeich der Mittel der Sachkosten beschränkt. Das Controlling in Niedersachsen richtete sich auf zwei Bereiche aus: zum einen auf die Orga- nisationsentwicklung, zum anderen auf die Einführung des mit dem Qualitätsmanagement verbundenen Controllingsystems sowie auf die Anwendung der Balanced Score Card. Gemäß diesen beiden Ausrichtungen wurden vorhandene und neue Controller qualifiziert. Kennzahlen für das Berichtswesen und die Aussagen über die Wirkungen polizeilichen Handelns existieren noch nicht, müssen noch entwickelt werden. Daher gibt es auch kein Benchmarking auf Landesebene. Im Bereich des Qualitätsmanagements gab es einige Pi- lotbehörden, die gängige Methoden wie das EFQM-Modell oder DIN-ISO 9000/2000 erprobten. Die Akzeptanzprobleme hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Elemente sowohl bei der Basis als auch bei Führungskräften sind erheblich (vgl. Innenministerkonferenz, 2001). Groß ist auch die Rat- und Orientierungslosigkeit hinsichtlich nachhaltiger Personalent- wicklung. Die Aufbruchstimmung Ende der neunziger Jahre hat sich in eine Stimmung aus Ignoranz, Selbstberuhigung und Interesselosigkeit gewandelt. Nach PE-Aktivitäten fragte der Autor im Februar 2002 exemplarisch einen Personalentwickler der 296 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Bezirksregierung Weser-Ems, weil ihm zu Ohren gekommen war, dass sich dort ein Personalentwickler-Netzwerk gebildet haben sollte. Im Nachgang zu den schon beschriebenen Beschlüssen zur Personalentwicklung im Rahmen der Direktorentagung vom September 2000 hatte der für diesen Personalentwickler zuständige Direktor der Polizei im Oktober 2000 ein Schreiben an alle Dienststellen der Bezirksregierung verfasst, in dem darauf hingewiesen wurde, dass „die Kenntnisse und Fähigkeiten der bereits fortgebildeten Personalentwickler des Landes Niedersachsen zu nutzen sind, indem sie anlassbezogen bzw. projektbezogen als Berater für die Behörde eingesetzt werden“. Danach wurden in dem Schreiben die qualifizierten Personalentwickler namentlich, inklusive behördlicher Zugehörigkeit, aufgeführt. Innerhalb des damaligen 1,5-jährigen Zeitraums zwischen diesem Schreiben und der Nachfrage des Autors gab es weder beim Befragten noch bei seinen Kollegen irgendwelche Anfragen bzw. Anforderungen von Behörden und Einrichtungen. Die Nichtnutzung des Wissens der Personalentwickler war jedoch nicht nur im Geschäfts- bereich des Ministeriums des Inneren festzustellen, sondern galt im Wesentlichen auch für die anderen Ressorts. So wurden mit Stand September 2000 insgesamt 86 Beschäftigte gemeldet, die zu PE-Beratern qualifiziert wurden und die in den jeweiligen Bereichen bei Veränderungsprozessen unterstützen sollten. Diese Unterstützung wurde jedoch nur ge- ringfügig oder gar nicht von den Dienststellen in Anspruch genommen, denn die Publikation der Evaluationsergebnisse weist aus, dass „deren Inanspruchnahme allerdings noch deutlich verbessert werden muss. Mehrere in Abständen durchgeführte Evaluierungen zum aufgabengerechten Einsatz von PE-Beratern haben einen entsprechenden Handlungsbedarf aufgezeigt“ (Niedersächsisches Innenministerium, 2002: 53). Wissen geht durch Nutzung nicht unter, im Gegenteil, es gewinnt an Wert. Hingegen ver- fällt es bei Nichtnutzung relativ rasch, „weil Lücken in den expliziten Anteilen auftreten (etwa im Wortschatz einer nicht benutzten Sprache), und die Automatik der Verbindung zwischen expliziten und impliziten Anteilen unterbrochen wird. Wissensmanagement muss daher nicht nur auf den Erwerb von Wissen setzen, wie es durch formale Aus- und Weiterbildung schon länger Aufgabe des (Personal-)Managements war, sondern auf wiederholte Aktivierung in Handlungen“ (Schneider, 2000: 100). Die wiederholte Aktivierung in Handlungen scheiterte daran, dass ein landesweiter Dialog zwischen „Wissen“ und „Macht“ nicht zustande kam bzw. beidseitig ernsthaft gar nicht daran gearbeitet wurde. Dieser Dialog wäre aber wichtig gewesen, um Erwartungen auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen, Ziele zu ermitteln und Vorgehensweisen zur Zielerreichung abzustimmen. Ein regionales „Netzwerk“ oder ein wie immer gearteter Zusammenschluss der Personal- entwickler innerhalb der regionalen Behörden hat sich nirgendwo etablieren können. Das 297 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse jährliche Treffen der Personalentwickler, das bereits im Jahre 2001 an Teilnehmerschwund litt, konnte mangels Masse zum geplanten Termin 2002 nicht stattfinden. Bei der Bewertung der Schwerpunktsetzungen 2001/2002 durch die Direktorenrunde wurde festgestellt, dass „die besondere Bedeutung des PE-Konzeptes künftig nicht mehr durch eine Schwerpunktsetzung betont werden“ muss, was unter anderem damit begründet wurde, dass ein „PE-Fachkonzept“ in Arbeit sei. Durch diese Etikettierung der PE als Schwerpunkt vergangener Zeiten entsteht der fälschliche Eindruck einer flächendeckenden Umsetzung von PE-Konzepten in den Behörden und Dienststellen. Zu Beginn des Jahres 2002 meldete das „Polizei-Extrablatt“ unter dem Thema Personal- entwicklung „Fachkonzept fertig“ (Kittelmann, 2002: 5). Die auf Grund der Leitentscheidungen vom Innenministerium eingesetzte Arbeitsgruppe hatte die aktuellen und die in die Zukunft gerichteten Ziele, Inhalte und Zuständigkeiten in der Personalent- wicklung für die Polizei des Landes Niedersachsen zusammengeführt und geregelt. Das Fachkonzept enthielt sowohl konkrete Aussagen zu Handlungsfeldern der PE, Inhalten, Zielen und Standards einzelner PE-Instrumente (z.B. Anforderungsprofile, Einarbeitung, Mitarbeiterbefragungen) als auch zu benötigten Daten, mit denen eine systematische Per- sonalentwicklung hätte ermöglicht werden können. Das Konzept regelte die entsprechenden Zuständigkeiten (z.B. Erstellung und Umsetzung von Einarbeitungskonzepten auf Behörden-, Einrichtungs- und Dienststellenebene) und verstand sich als „verbindliche Grundlage für alle Beschäftigten und alle Organisationsbereiche“. Für bestimmte Bereiche wurden landesweit gültige Standards definiert sowie Empfehlungen ausgesprochen, um eine Personalentwicklung nach gleichen Grundsätzen und mit gleicher Qualität zu ermöglichen. Auch wurden die Verantwortlichkeiten der Personalentwickler definiert. Sie sollten bei der konkreten Planung und Umsetzung von Personalentwicklungsmaßnahmen unterstützen. Dabei sollten die aktuellen Aufgaben, wie z.B. die Mitwirkung bei der Erstellung von Bereichskonzepten und die Wahrnehmung von besonderen Aufgaben (Potenzialanalyse, Mitglied in Auswahlkommissionen), „im Rahmen von Vereinbarungen zwischen der Behördenleitung/Personalstellen und den Personalentwicklern geregelt“ werden. In dem Artikel wurde herausgehoben, dass in dem Konzept auf Wünsche verzichtet und Wert auf das „Machbare“ gelegt würde. Das Fachkonzept erhob den Anspruch, einen geringen Umfang zu haben, übersichtlich und leicht lesbar zu sein sowie die wesentlichen Inhalte einer polizeispezifischen Personalentwicklung auf den Punkt zu bringen. Leider fand das Fachkonzept Personalentwicklung, das verbindliche Ziele und Inhalte der Perso- nalentwicklung für die Polizei des Landes Niedersachsen festlegen sollte, niemals Eingang in die Praxis und kam über den Status eines Entwurfs nicht hinaus. Damit erlebt das „PE- Fachkonzept“ das gleiche Schicksal wie die ein Jahr zuvor an alle Behörden und 298 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Organisationseinheiten versandte „Konzeption zur Führungskräfteentwicklung97“, die über den Status eines Instrumentenkoffers (man kann ihn öffnen und benutzen oder es auch lassen) nicht hinauskam, da eine organisationale Verankerung durch einen Einfüh- rungserlass nicht stattfand, was unter anderem verhinderte, dass Anforderungsprofile landesweit verbindlich gemacht wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wenigen konkreten Begegnungen zwischen Teilnehmern und Funktionsträgern, also zwischen Wissen und Macht, mehr von gegensei- tiger Ausgrenzung und Geringschätzung geprägt zu sein schienen als vom Versuch, Situationen, Strategien und Anliegen der anderen zu verstehen. Die große Distanz zwischen „Wissen und Macht“, das praktizierte Heraushalten von Wissensträgern aus dem Entscheidungsgeschehen, manifestiert durch die Leitentscheidungen der Direktorenrunde, die nicht gewollte Implementation einer „Koordinierungsstelle Personalentwicklung“ in die Landespolizei und das Fehlen eines PE-Fachkonzeptes belegen, dass eine systematische, strategische Personalentwicklung nicht ernsthaft gewollt war und von daher keine wirkliche Chance hatte, sich zu einem Schwerpunkt zu entwickeln. Allerdings sollte mit diesem Resümee nicht gesagt werden, dass in den Behörden und Dienststellen nun alle personalentwicklerischen Bemühungen zum Stillstand gekommen waren. Die Befunde dieser Arbeit zum Schwerpunkt Projektarbeit (s. Projektverläufe A und B) und der vielfältigen Projektthemen belegen, dass es für Reformversuche nicht einer formalen Anordnung durch ein Innenministerium bedarf, sondern deren Erfolg eher von Handlungsspielräumen und günstigen Rahmenbedingungen in den Behörden und vom Modernisierungselan wichtiger Akteure abhängt (vgl. Kapitel 5.3.5 ff). 5.4.5 Exkurs: PE im Spannungsfeld von Planlosigkeit und Verweigerung Bei der Planung und Steuerung von Veränderungsprozessen taucht früher oder später immer die schwierige Frage auf: Soll von zentraler Stelle ein uniformes Vorgehen für alle Organisationseinheiten vorgegeben werden oder soll jede Organisationseinheit nach eigenem Gutdünken beliebig planen bzw. handeln können? Die Gefahr der Uniformität im Vorgehen ist, dass sowohl Überforderung als auch Unterforderung auftreten können, die zu einer Beeinträchtigung oder Vernichtung der Veränderungsenergien führen können. Und wenn allen dasselbe vorgeschrieben wird, gleichgültig, ob das für sie wirkliche Verbesserungen bringt oder nicht, dann wird Energie nicht nur vergeudet, sondern durch die sinnlose Mehrarbeit sogar Demotivation erzeugt. Hingegen birgt die Option 97 Die äußerst umfassende und umfangreiche Konzeption beschreibt in ihrer ersten Fassung das System der Führungskräfteentwicklung, einen Leitfaden zur Erstellung von Anforderungsprofilen, Anforderungsprofile, einen Leitfaden zur Durchführung von Auswahlverfahren, Personalentwicklungsverfahren für erste Führungsfunktionen und Personalentwicklungsverfahren für den höheren Polizeivollzugsdienst. 299 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Beliebigkeit die Gefahr in sich, dass die Veränderungsprojekte völlig divergieren und diffundieren. Der bereits erwähnte Bericht zur Umsetzung des Kabinettsbeschlusses vom 18.02.97 (vgl. Kapitel 3.5.1.2.1), dessen Gegenstand die Evaluation der Personalentwicklung in der nie- dersächsischen Landesverwaltung ist (600 Dienststellen wurden im Herbst 2000 im Rahmen einer Vollerhebung per standardisierten Fragebogen angeschrieben, um den Sachstand der Ressorts bis Ende 1999 zu erheben), beschrieb die Situation wie folgt: „Die Bedingungen für eine optimale Personalentwicklung, für ein wirksames modernes Perso- nalmanagement müssen noch weiterentwickelt werden. Dies gilt insbesondere für die strategische Ausrichtung der jeweiligen Organisations- und Personalentwicklung, die Ver- netzung der verschiedenen Reformfelder und ein entsprechendes Controlling. Dabei wird häufig der Verantwortung der Führungskräfte und insbesondere der Behördenleitungen für Personalentwicklung noch unzureichend Rechnung getragen“ (Niedersächsisches Innen- ministerium, 2002: 6). Die beiden Hauptkritikfelder, mangelnde strategische Ausrichtung einerseits, und unzureichende Verantwortung der Führungskräfte bzw. Behördenleitung für Personalentwicklung andererseits, verdienen vertiefende Beachtung. 5.4.5.1 Die unzureichende strategische Ausrichtung der Personalentwicklung Für die Abteilung Polizei innerhalb des niedersächsischen Innenministeriums wurden Gründe für die mangelnde strategische Ausrichtung der Personalentwicklung in den vorherigen Kapiteln differenziert und detailliert herausgearbeitet. Die Entwicklung der Personalentwicklung in den anderen Ministerien verlief ähnlich weitläufig, und auch dort waren Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ressorts schwerlich zu erkennen. Beim Studium der Evaluationsergebnisse der anderen Ressorts beschleichen den Leser Assoziationen von Planlosigkeit und Beliebigkeit angesichts der vollkommen unterschiedlichen Entwicklung und der Tiefung von PE-Instrumenten in den Ministerien. Andererseits, wie kaum anders zu erwarten, handelt es sich bei den Veränderungsprozessen in der Polizei, wie auch bei den Bemühungen der anderen Ressorts, um Einstiegsphasen. Einstiegsphasen sind geprägt von vielen Unklarheiten und Unsicherheiten, denn niemand weiß genau, wohin die Reise geht. So scheint jedes Ressort seine eigene Personalentwicklung mehr oder weniger ausdifferenziert zu betreiben bzw. diese zu unterlassen: 76 % der Dienststellen des niedersächsischen Finanzministeriums verfügten Ende 1999 über ein PE-Konzept, gegenüber 67 % der Dienststellen des Innenministeriums. Dagegen stehen 0 % der Staatskanzlei und des Kultusministeriums (Niedersächsisches Innenminis- terium, 2002: 15). 86 % der Dienststellen des Justizministeriums verfügen über ein Konzept zur Führungskräfteentwicklung, im Geschäftsbereich des Innenministeriums sind dies 36 % der Dienststellen. Entgegengesetzt ist der Anteil des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur mit 12 % sowie des Umweltministeriums mit 4 % sehr gering 300 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse (a.a.O. 23). Ein Vergleich der Standards der Einführung des Mitarbeiter-Vorgesetzten- Gesprächs zeigt, dass im Bereich des Ministeriums der Finanzen dieses Instrument nur zu 1 % eingeführt ist, dagegen zu 100 % im Bereich der Staatskanzlei und zu 64 % im Bereich des Innenministeriums (a.a.O. 30). Enorme Unterschiede zeigen sich ebenfalls beim Vergleich der Ressorts in Bezug auf Mitarbeiterbefragungen. Während die Staatskanzlei (0 %) und das Wirtschaftsministerium (4 %) weitgehend nicht planen, ihre Beschäftigten zu befragen, hat mehr als die Hälfte der Dienststellen des Kultusministeriums und des Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales Mitarbeiterbefragungen durchgeführt (a.a.O. 37). Der Ressortvergleich zeigt auch bei den Kunden-/Bürgerbefragungen deutliche Differenzen. Das Justizministerium meldet 1 %, das Landwirtschaftsministerium 5 %, das Wirtschaftsministerium 7 %. Dagegen wurden im Geschäftsbereich des Kultusministeriums zu 50 % und im Innenministerium zu 40 % Kunden- bzw. Bürgerbefragungen durchgeführt (a.a.O. 40). Die personalentwicklerische Landkarte weist in Niedersachsen „Insellösungen“ aus, wobei unklar bleibt, ob und wie diese miteinander vernetzt sind. Zusammenhangs- und Planlosigkeit scheinen eine strategische Ausrichtung der Personalentwicklung zu verhindern. Die personalentwicklerische Landschaft erscheint so unübersichtlich, weil ein grundlegendes organisationales Problem durch Mehrdimensionalität gekennzeichnet ist, das der Organisationssoziologe Thompson (1967: 78) schon in den sechziger Jahren beschrieben hat: „Je mehr die einzelnen Einheiten der Organisation in der Lage sind, sich zu verselbständigen, desto dringender, aber auch komplizierter wird die Integration dieser Einheiten in eine Gesamtorganisation. Mit der zunehmenden Differenzierung in selbstorganisierende, teilautonome Einheiten wird die Integration immer schwieriger, gleichzeitig aber auch immer notwendiger.“ Diese Mängel scheinen aber auch hausgemacht zu sein. Die Entscheidung, dass jedes Ressort seine eigenen PE-Konzepte entwerfen und fortschreiben solle, war eine politische (vgl. Kapitel 3.4.3.). Da die Ziele der Politik eher nebulös blieben und Personalentwicklung als Breitbandantibiotikum ausgeflaggt wurde (vgl. Kapitel 3.5.1.2.1), sind unterschiedliche Standards und Entwicklungsstände der Personalentwicklung in den Ressorts folgerichtig. Die Ergebnisse sind dann bunt und vielschichtig, auf jeden Fall schwer miteinander vergleichbar und bieten wenig Ansatzpunkte für eine strategische Ausrichtung. Die Standards und Verläufe der Personalentwicklung in den Ressorts entwickelten sich divergierend, da die Ausgestaltungsspielräume hierfür vollkommen unterschiedlich genutzt wurden. In gewisser Weise haben die Führungskräfte in den Ressorts das Postulat vom „Verwalter zum Manager der öffentlichen Verwaltung“ (bekanntlich gibt es da auch gute und schlechte) nicht nur ernst genommen, sondern auch eigenständig interpretiert, was in der Konsequenz dazu führte, dass sie das gemacht haben, was sie in ihrem Verantwortungsbereich aus Sach- oder Profilierungsgründen für notwendig, machbar oder bedeutsam hielten oder auch nicht. Personalentwicklung erscheint als „Spielwiese“, als Parallelwelt, die abseits der Kernprozesse liegt. Man kann sich ihr zwar nicht verschließen, allerdings gibt es auch nicht viel zu gewinnen. Der geringe Stellenwert der 301 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Personalentwicklung mag vielleicht damit zu erklären sein, dass Erfolge und Misserfolge von Personalentwicklung nur schwer messbar sind. Nicht nur zwischen den Ressorts entwickelten sich völlig unterschiedliche Entwicklungs- und Wissensstände, sondern auch innerhalb der Ressorts. Im zuvor genannten Bericht wurden im Ressortbereich des Innenministeriums im Rahmen der Evaluation 118 Dienststellen berücksichtigt, wobei die größte Gruppe die Vermessungs- und Katasteräm- ter mit 73 Dienststellen darstellen, die Polizeidienststellen beliefen sich auf 30. Es seien einige Ergebnisse genannt: „Eine systematische Führungskräfte-Entwicklung gibt es bei über der Hälfte der Vermessungs- und Katasterämter; im Bereich der Polizei lediglich in einer von dreißig Dienststellen. MVG werden vor allem bei den Vermessungs- und Katasterämtern und der Allgemeinen Verwaltung durchgeführt; im Bereich der Polizei ist dies geplant. Ähnliches gilt für den Bereich der Kunden und Bürgerbefragungen. Auch hier gibt es Aktivitäten vor allem in der Allgemeinen Verwaltung und den Vermessungs- und Katasterämtern, selten im Bereich Polizei ...“ (Niedersächsisches Innenministerium, 2002: 61). Die Orientierungs- und Planlosigkeit der Ressorts im Hinblick auf die Gestaltung der Per- sonalentwicklung liegt aber auch in den Besonderheiten der Ministerialverwaltung begründet. Ministerien nehmen in der Regel Regierungsfunktionen (Politikformulierung, - planung und -koordinierung, Unterstützung des Kabinetts, Anlaufstelle für Klientel) und Verwaltungsfunktionen (Implementation, Programmierung, Normierung, Aufsicht, Orga- nisationsfunktionen) zugleich wahr. Es gibt hier eine überaus enge Beziehung zwischen Verwaltung und Politik. Die Ministerialverwaltung ist stark verhandlungsorientiert und nicht so vollzugsorientiert wie die Vollzugsverwaltung und damit nicht in gleicher Weise planbar. Neue Prioritäten ergeben sich oft über Nacht. Generell unterliegen die Ministerialverwaltungen stärker als andere Verwaltungen dem politischen Willen des jeweiligen Ministers. Durch dessen jeweilige Organisationshoheit ist es auch schwer, zu landes- bzw. bundeseinheitlichen Modernisierungsanstrengungen zu kommen. Diese Besonderheiten der Ministerialverwaltungen stehen einer einheitlichen Modernisierungsstrategie im Wege. Insofern ist auch das Prozessmanagement auf Bundes- und Länderebene deutlich komplexer als in den Kommunalverwaltungen (vgl. Bogumil, 2002: 15 ff.). Zusammenfassend lässt sich konstatieren: Die Instrumenten- und Konzeptvielfalt kann zwar einerseits innerhalb der Verwaltung die Neugier auf Neues wecken, andererseits aber auch zu einer Überforderung führen, wenn Verwaltungsreformen grundsätzlich von Defiziten ausgehen und in einen „Aufholstress“ gegenüber der Privatwirtschaft ausarten. Auch schließt sich die Gefahr der Beliebigkeit im Veränderungsprozess an, wenn der Ein- druck entsteht, das jeweilige Vorgehen hängt mehr vom persönlichen Geschmack von Entscheidern oder Gremienentscheidungen ab, als dass es von Sachlogik geprägt ist. Ungeklärt bleibt die Frage, wie denn eine öffentliche Verwaltung den Weg finden kann, 302 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse der ihr angemessen ist. Öffentliche Verwaltungen erhalten durch diese Gestaltungsvor- schläge keine konkreten Anhaltspunkte, wie sie die Güte und Angemessenheit der auf dem Markt feilgebotenen Instrumente und Konzepte in ihrem eigenen, sehr spezifischen Kontext beurteilen und auswählen sollen. 5.4.5.2 Die Verweigerung der Führungskräfte bzw. Behördenleitungen Als „bad boys“ geraten die Führungskräfte bzw. Behördenleitungen nicht nur aus dem Evaluationsblickwinkel des Niedersächsischen Innenministeriums ins Visier der Kritik. So schreibt der Vorsitzende des Bezirkspersonalrates bei der Bezirksregierung Braunschweig in einem Leserbrief an die Zeitung „ReformZeit“98 mit der Überschrift „Problembaustelle Vorgesetzte“, dass Vorgesetzte auf breiter Linie den Reformprozess blockieren: „Bei Mit- arbeiterbefragungen, im Steuerungskreis Verwaltungsreform, in Äußerungen des Staatsmodernisierers, des Landesrechnungshofes sowie bei Personalrätetreffen wird immer wieder und mit zunehmender Resignation und Ohnmacht die Fortbildungsresistenz der Vorgesetzten gegen die Inhalte der Verwaltungsreform beklagt. Die entscheidende Hierarchieebene der Vorgesetzten steht wie ein engmaschiges Stahlnetz zwischen den Re- formbeauftragten und reformwilligen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes. Verfahren wird nur nach dem Prinzip der vergangenen Jahrzehnte, in denen man Reformansätze aus- gesessen hat“ (Niedersächsisches Innenministerium, 2002: 8). Wenig später wird vermerkt, dass „der Einstieg in eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Führungskräften in Form der MVG bisher zu keinem besseren Umgang geführt hat. Das MVG als Instrument der Verwaltungsreform wird von einer Vielzahl der Vorgesetzten nicht eingesetzt99“ (ebd.). Die Zielrichtung der Kritik erscheint unscharf, da die „Vorgesetzten“ nicht näher geoutet werden, sondern im „Schrotschussverfahren“ alle irgendwie gemeint sind und sich doch niemand angesprochen fühlen muss. Klar ist nur die Zielgruppe der Kritik. Gemeint sind die Anderen, die sich verweigernden Entscheidungsträger. Die „Guten“ sind die fleißigen Reformarbeiter. Das Statement drückt das klassische Dilemmas von organisationalem Wandel aus, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen etablierter Ordnung und der 98 „ReformZeit“ ist die Zeitung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung Niedersachsen und wird vom niedersächsischen Innenministerium herausgegeben. 99 Zum Stand der Dinge in Sachen MVG aus dem Evaluationsbericht: Bis Ende 1999 wurden in 36 % aller Dienststellen MVGs durchgeführt. Selbst in den Dienststellen, in denen MVGs durchgeführt werden, geschieht dies nur mit einem Teil der Beschäftigten; oft liegt der Anteil deutlich unter 50 %. Über den Umfang der im Rahmen von in MVGs abgeschlossenen Zielvereinbarungen liegen für 45 % keine Angaben vor. Soweit Angaben vorliegen, werden in diesen Dienststellen Ziele überwiegend jedoch nur bei wenigen MVGs vereinbart (vgl. Niedersächsisches Innenministerium, 2002: 18). 303 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Suche nach neuen Wegen. Dabei liegt es erst einmal in der Natur der Sache, dass hier hierarchische und nichthierarchische Koordinierungsformen aufeinander prallen. Typischerweise repräsentieren die „Vorgesetzten“ die organisationale Ordnung, während die „reformwilligen“ Beschäftigten für Flexibilität und situativ angemessenes Verhalten stehen (zumindest in der Eigensicht). Einerseits soll breiter auf die Initiative und die Selbstabstimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten zurückgegriffen werden, andererseits kann nicht auf hierarchische Anweisungen und bürokratische Vorgaben verzichtet werden. Spannend wird das Zitat dadurch, dass den Vorgesetzten vorgeworfen wird, in erprobter, bewährter Manier „Reformansätze auszusitzen“. Welche Mechanismen entfalten hier ihre Wirkung? Drei Denkfiguren, das „Hierarchiespiel“ (Bogumil), der „Fachhochschul- Trugschluss“ (Prätorius) und das vom Autor noch zu erläuternde „Förderdilemma“ könnten vertiefende Verstehensansätze bieten. Bogumil (2004: 195 f.) beschreibt, dass bei Reformprozessen in der Verwaltung vor allem das mittlere Management sowie die Beschäftigten auf Sachbearbeitungsebene involviert sind. Er unterteilt das mittlere Management in drei Gruppen: die Modernisierungsgegner, die Modernisierungsdulder und die Modernisierungsbefürworter. Gemeinsam ist allen die Angst vor Status- und Machtverlust. Unterschiedlich sind nur die Strategien. Die Gegner sabotieren den Modernisierungsprozess, indem sie sich verweigern, und die Dulder blockieren ihn, indem sie sich verhalten wie immer. Als Beispiel der Verweigerungshaltung wird eine Stadtverwaltung angeführt. Als sich bei der umfassenden Reorganisation der Verwaltungsstrukturen durch Aufgabenintegration die Zahl der Füh- rungsstellen deutlich verringerte, kam es im Zuge der Neubesetzung der mittleren Managementebene zu erheblichen, fast ein Jahr andauernden, personalrechtlichen Ausei- nandersetzungen, die bis zur Androhung von gerichtlichen Verfahren gingen. Auch die ersatzweise angebotenen neuen Führungsfunktionen (Expertenlaufbahnen) wurden von den Personen, die nicht wieder auf eine Leitungsstelle kamen, nicht akzeptiert, da die Einstufung als Experte, also als Fachmann ohne Vorgesetzteneigenschaften, abgelehnt wird. Der traditionelle Status des Vorgesetzten (ausgewiesen durch den Dienstrang und die Zahl der untergebenen Mitarbeiter) wäre dadurch in Frage gestellt. Der Vorgesetzte verfügt über Machtmittel, die dem Experten nicht zur Verfügung stehen, z.B. über die Möglichkeit zur Sanktionierung und Gratifikation von Mitarbeitern. Diese Auseinandersetzungen führten zu erheblichen Verzögerungen im Umsetzungsprozess und bedrohten die gesamte Modernisierungsmaßnahme. So stellt Bogumil fest, dass in Verwaltungen das so genannte „Hierarchiespiel“ dominiert, bei dem alle davon ausgehen, dass sie von diesem Spiel profitieren. Die Vorgesetzten im mittleren Management verfügen in der Regel über die Möglichkeit, Informations- und Kommunikationskanäle zu kontrollieren, Organisationsregeln zu nutzen und Expertenwis- sen vorzuenthalten. Diese Machtmittel gilt es zu erhalten und auszubauen, und insofern lohnt es sich auch, derartige Positionen anzustreben. Die dem Hierarchiespiel zugrunde liegenden Regeln besagen, dass Status, Entlohnung und Aufstieg in Verwaltungen an 304 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse hierarchische Positionen gekoppelt sind und dass jedem der Aufstieg möglich ist, wenn er sich entsprechend verhält. Durch die Existenz zahlreicher Hierarchiestufen und Führungs- funktionen ist dies auch kein leeres Versprechen, sondern erste Aufstiege realisieren sich mitunter, wenn auch nicht für alle, in relativ kurzer Zeit. Wichtig ist jedoch, dass die „da unten“ sich häufig als solche empfinden, die bald auch „weiter oben“ sind, und insofern diesen Strukturen nicht negativ gegenüberstehen. Insofern stehen auch die Beschäftigten der Abflachung von Hierarchie und der im Verwaltungsreformprozess vorgesehenen Teamorientierung skeptisch gegenüber, was nicht heißen soll, dass Veränderungen und Innovationen nicht möglich sind, aber sie sind schwierig. Neben dem „Hierarchiespiel“ erscheint der Mechanismus der Immunisierung der Theorie gegenüber der Praxis bedeutsam, wie ihn Prätorius (2004: 180) anschaulich beschreibt. Am Beispiel Recht zeigt er die im Polizeialltag geläufigste Form einer immunisierten Theorie auf. Die Denkfigur, die zu dieser Immunisierung führt, nennt er den „Fachhochschul-Trugschluss“. Da eine Polizei, die tätig gegen das Recht verstößt, ein unerträglicher Gedanke ist, wird die Ausbildung des Polizisten in bekannt großem Maße auf das Erlernen der Rechtsgrundlagen abgestellt. Wenn man aber schon so viel Zeit und Energie in einen Lernstoff investiert hat, dann ist auch der Gedanke schwer zu ertragen, dass diese erlernte Theorie die Praxis nicht ungebrochen reflektiert. Die entgegengesetzte Annahme ist, dass das Recht die polizeiliche Arbeit nicht nur anleitet, sondern beschreibt. Diese Annahme entsteht deshalb so leicht, weil die Polizeiarbeit, wann immer sie aktenkundig wird, sich des Vokabulars des Rechts bedient. Die sprachliche Erscheinung der Praxis in der Theorie verhindert, dass die Distanz zwischen beiden hinreichend zum Thema wird. Es gibt zwar reichlich interne Reflexion über diese Distanz, doch die findet in einer anderen Sprachwelt statt (z.B. dem Kollegengespräch), die für die externe juristische Theoriepflege in Urteilen, Aufsätzen, Verwaltungsrichtlinien, Verordnungen usw. nicht zur Herausforderung wird. Es wäre daher nicht unstatthaft zu vermuten, dass dem betriebswirtschaftlichen Jargon des Managements und der Effizienzsteigerung ein ähnliches Schicksal drohen könnte: als immunisierte Theorie aus Sprachhülsen verstetigt, in die man das, was man ohnehin tut, bequem umverpacken kann („Produkte“, „Module“, „Zielvereinbarungen“). Die leuchtenden Augen der reformeifrigen Führungsaufsteiger werden dann von gewieften Praktikern mit sanftem Sarkasmus kommentiert, aber die offizielle interne Kommunikation bedient sich einer Sprache, die vorgegebene Theorien und Doktrinen am Werke erscheinen lassen und somit eine Immunisierung der Führung unterstützt. Der Wirklichkeit kann man immer noch Tribut zollen, indem man augenzwinkernd unter der offiziellen Lehre „wegtaucht“. Dem Faktor „Erfahrung“ kommt an dieser Stelle besondere Bedeutung zu. Erfahrung betont die Kenntnis des Besonderen: Tricks und Kniffe, persönliche Verbindungen, zu vermeidende Falltüren und das, „was wir immer schon so gemacht haben“. Die Tatsache, dass das schon erwähnte, nicht in die Polizei Niedersachsens eingeführte und umgesetzte „PE-Fachkonzept“ keinen Einzug in die Praxis halten konnte, gibt zu 305 5. Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse Spekulationen Anlass, die in Richtung eines „Förderdilemmas“ gehen. Das Dilemma deutet sich im Entwurf des Fachkonzeptes folgendermaßen an, wo es zu den Grundsätzen und Zielen von PE heißt: „Personalentwicklung dient in erster Linie Ihrer (gemeint sind die Bediensteten) persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung in Ihrem jeweiligen Arbeitsbereich und nicht Ihrer Beförderung oder Höhergruppierung. Es kommt darauf an, dass Sie Tätigkeiten wahrnehmen, in denen Sie gut sind und ihre Fähigkeiten einbringen können, denn die Polizei lebt von ihren Erfahrungen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Ihrem Engagement“ (Niedersächsisches Innenministerium, 2002 b: 4). Das hier ausgeflaggte Postulat „Fördern statt befördern“ versucht den knappen öffentlichen Kassen entgegenzukommen, indem es der beruflichen Satisfaktion eine höhere Priorität zuweist als Besoldungs- und Karrierefragen. Diese Sichtweise gerät ins Gemenge mit der Lebenswirklichkeit der Beschäftigten, die von einer streng hierarchischen Struktur geprägt ist. So sorgen allein acht Aufstiegspositionen bei der zweigeteilten Laufbahn zwischen dem Eingangs- und dem möglichen, aber recht unwahrscheinlichen Endgehalt B 2 dafür, dass die Bediensteten immer das Gefühl behalten, höher kommen zu müssen, ein Gefühl, das auch zur Mitarbeitersteuerung benutzt wird. Gleichzeitig belohnt das polizeiinterne Beurteilungssystem Angepasstheit und bestraft Abweichungen in jeglicher Form. Somit ist der Aufstieg eine Belohnung für Anpassungsleistungen und ein wichtiger Teil polizeilicher Identität. Kein Bediensteter kann es sich erlauben, auf die Hierarchie zu pfeifen, denn das würde ihn zum Außenseiter, zum Sonderling machen, und auf Dauer würde die Person Schaden nehmen. Im Übrigen: Wenn es nicht die Bediensteten sind, die auf Grund von Engagement, Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert und (befördert) werden, wer dann sonst? Oder andersherum in dieser Systemlogik gedacht: Wenn keinerlei Aussichten auf Beförderung bestehen, wozu dann überhaupt? „Fördern statt befördern“ hat aber noch auf einer zweiten Ebene eine systemgefährdende Sprengkraft. Durch ein Fachkonzept bestünde die Gefahr, Fortbildungsbedarfe und Be- dürftigkeiten nicht nur festzuschreiben, sondern auch zu steigern, was angesichts zunehmend knapper öffentlicher Kassen nicht vermittelbar wäre und daher nicht in die politische Landschaft passen würde. So heißt es im Entwurf des Fachkonzeptes zum Thema Fortbildung: „Die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten reichen nicht für das ganze Berufsleben. Sie müssen regelmäßig aktualisiert und ergänzt werden. Das erfordert ,lebenslanges Lernen!‘ Damit ist Fortbildung ein wesentliches Instrument der Personalentwicklung“ (a.a.O. 13). Vielleicht aber auch ein zu teures Instrument, könnte hinzugefügt werden. Denn das Fachkonzept sah vor, dass die Gestaltung der Fortbildung sich auf Maßnahmen stützen sollte, wie die Erfassung von intern und extern erworbenen Kenntnissen aller Beschäftigten, die Ermittlung des Qualifi- zierungsbedarfs der Beschäftigten, die Entwicklung von Fortbildungskonzepten, die Erstellung und Pflege eines Referentenpools, den Auf- und Ausbau eines systematischen Wissensmanagements und die Anpassung der Fortbildungskonzepte an die aktuelle Ent- 306 6. Resümee wicklung. Insgesamt soll die Fortbildung durch die aufwändigen benannten Verfahren hochgradig professionalisiert werden, sie wäre dann wohl aber auch nachhaltig kosten- trächtiger, denn die vorgeschlagenen Maßnahmen würden einer dauerhaften Pflege und Aktualisierung bedürfen. So lässt sich feststellen: Propagiert wird ein anspruchsvolles, aufwändiges Verfahren und Unterfangen, das nur unter erheblichem Ressourcen- und Personalaufwand realisierbar wäre, dem allerdings die dramatische Haushaltslage in Niedersachsen entgegensteht. Von daher würde eine konzeptionelle Festschreibung der anspruchsvollen Planungsgrundlagen und eine sich daran anschließende Systematisierung und Anpassung der Instrumente und Verfahren an die jeweiligen Zielgruppen, wie im Entwurf geschehen, schwerlich realisierbar sein, evtl. so gar anspruchschöpfende Wirkung haben, was ein Scheitern hochwahrscheinlich und offensichtlich machen würde. Das Scheitern wäre dann im Wortsinne „festgeschrieben“ und daher „messbar“, woran der Politik, aber auch den nachgeordneten Ausführungsebenen in keiner Weise gelegen sein kann. 6. Resümee Am Beispiel eines umfangreichen Reformprojekts, nämlich der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“, wurde die Problematik von Veränderungsprozessen in der Großorganisation Polizei dargestellt. Die zweijährige Qualifizierungsmaßnahme hatte als direktes Ziel, Führungskräfte der niedersächsischen Landespolizei zu Personalentwicklern zu qualifizieren. Auf diesem Wege sollte im Sinne eines Multiplikatoreffekts das indirekt anvisierte Ziel, die Umstellung der Organisation der Polizei von einer hierarchisch-bürokratisch geführten zu einer kooperativen mitarbeiter-orientierten Organisation vorangetrieben werden. Untersucht wurden in dieser Arbeit die Auswirkungen der Qualifizierungsmaßnahme auf die Organisation Polizei Niedersachsen und die beteiligten Führungskräfte. Die wesentlichen Befunde der drei zentralen Untersuchungsebenen, ♦ Lernteil: die Wirkungen der Inhalte der Seminarbausteine auf die Teilnehmer, ♦ Praxisteil: die Einführung von personalentwicklerischen Innovationen in die Arbeitsbereiche der Teilnehmer durch Projektarbeit, ♦ Organisationsteil: die Implementation innovativer Personalentwicklung in die Gesamtorganisation, belegen, dass die Polizei ein komplexer Organismus ist, der nur begrenzt linearen Steuerungsmechanismen gehorcht. Die reibungsvolle Gleichzeitigkeit von Alt und Neu schafft Konflikte und Widerstände. Reformprozesse konfrontieren die Alltagsorganisation 307 6. Resümee Polizei in besonderem Maße mit widersprüchlichen Handlungslogiken, was in der Reaktion dazu führt, die Widersprüche weitestgehend zu vermeiden oder zurückzuweisen. Da diese auftretenden Widersprüche nicht reflektiert und damit nicht thematisiert werden, kommt es nicht zu weiter führenden Aushandlungsprozessen auf der Ebene der Gesamtorganisation. So bleibt als Ergebnis festzuhalten: Der individuelle Lernwert der an der Qualifizierungsmaßnahme beteiligten Führungskräfte kann durchgängig als „hoch“ bezeichnet werden. Das intendierte Ziel eines breit angelegten Strategiewandels durch Personalentwicklung wurde dagegen verfehlt, da es an begleitenden Unterstützungs- und Entwicklungsmaßnahmen in der Organisation mangelte. Somit stützt und belegt diese Dissertation das Verständnis von prozessualen Dynamiken, die das Geschehen in der Organisation und damit auch das Schicksal von Veränderungsprozessen bestimmen. Reformprozesse sind niemals allein mit der mechanistischen Gestaltung von Organisationszielen, also der Durchführung von Programmen, sondern sowohl mit der Dynamik interner Machtprozesse als auch mit der Art und Weise des Umgangs mit widersprüchlichen Handlungslogiken konfrontiert. Werden letztere nicht zur Kenntnis genommen und bearbeitet bzw. mit traditionellen Lösungsstrategien angegangen, dann bleiben Innovationen suboptimal – wie dies in der untersuchten Maßnahme der Fall ist. Im Folgenden sollen die Dynamiken von Machtprozessen und widersprüchlichen Handlungslogiken nicht nur diskutiert und zusammengeführt werden, sondern auch organisationsstrukturelle Maßnahmen angeregt werden, die der Bearbeitung des institutionell verankerten Widerstandes gegen Veränderungen gerecht werden bzw. in der Lage sind, damit produktiv zu arbeiten. 6.1 Die Allgegenwärtigkeit von Macht Wenn Menschen handeln und entscheiden, hängt dies keineswegs nur von sachlichen Überlegungen ab. Die Impulse unseres Verhaltens sind emotional, orientieren sich an unseren persönlichen Bewertungen und zielen auf den eigenen Nutzen ab, wovon Personalentwickler und Entscheider nicht ausgenommen sind. „Rationales Handeln wäre ohne Emotionen weder motiviert, noch würde es gegen Ermüdung, Unlust und Rück- schläge behauptet. Gefühle, Emotionen treiben unser Handeln voran“ (Nellessen, 1996: 71). Die Grundtendenz dabei ist der Wunsch, auf Geschehnisse und beteiligte Personen Einfluss zu nehmen, also Entwicklungen im eigenen Sinn gestalten zu können, kurz: Macht auszuüben. Wobei „Macht“ hier nicht als Gewaltanwendung verurteilt, sondern als sehr menschlicher Versuch gesehen wird, eigene Vorstellungen zu verwirklichen. Dies ist allerdings deswegen nicht immer leicht zu erkennen, weil wir uns bemühen, unser Verhalten logisch oder sachlich zu begründen, also im Nachhinein zu rationalisieren. 308 6. Resümee Interessant ist demnach nicht die „absolute Macht“ eines Individuums oder einer Gruppe, sondern die „relative Macht“. Macht ist im Sinne Geigers (1964: 342) „interkursiv“: „A steuert das Verhalten von B nicht restlos, sondern nur zu einem gewissen Grad. Wo der Widerstand des einen sich meldet, hört die Macht des anderen auf, und durch die bloße Voraussicht des Widerstandes wird der Machtgebrauch des Mächtigen gesteuert. Es stehen also nicht Mächtige den Ohnmächtigen, sondern Mächtige den minder Mächtigen gegenüber!“ In diesem Sinne lösen sich Machtbeziehungen auf in ein System gegenseiti- ger, asymmetrischer, themenspezifischer Beziehungen, die zu einem Gesamt- Beziehungssystem verflochten sind. Nun könnte man einwerfen: Aber bei der Polizei, einer „Organisation mit Gewaltlizenz“, ist doch offenkundig, dass es hier permanent um Machausübung geht! Einerseits stimmt dies, andererseits wiederum nicht. Sicherlich ist die Polizei eine machtausübende und auch machtdurchsetzte Organisation. Macht in der Polizei wird oft als ausgeübte Herrschaft und hierarchische Vollzugsgewalt gedacht, wobei bei dieser Denkfigur dann „Macht“ ausschließlich „oben“ an der Organisationsspitze verortet ist und eher kaum im Zwischenraum nach „unten“. Dort befinden sich dann die Befehlsempfänger, die ihre Potenziale, ihre Kreativität und ihr Engagement nicht zum Einsatz bringen können, weil sie keine Macht haben. Allerdings ist das zu einfach gedacht und wird auch durch die Befunde dieser Arbeit widerlegt: Der erfolgreiche Projektverlauf A verdeutlicht, dass ein kundiger und handwerklich ge- schickter Projektleiter auf der Sachbearbeiterebene nachhaltig in der Lage ist, Auswahlverfahren in seiner Organisation zu reformieren. Macht ist also sehr wohl auch „unten“. Das Ringen der Personalentwickler um die Definitionsmacht in Sachen Personalentwicklung zeigt einerseits, dass hier Denkschemata provoziert und Machtstrukturen herausgefordert werden. Andererseits ist dieser Prozess von erheblichen Unsicherheitsfaktoren geprägt, denn, wie aufgezeigt, können Leistungen und Kooperationen gewährt, aber auch verweigert werden. Das Thema „Macht“, als ein Stoff, aus dem Handlungen und Struktur erzeugt werden, zieht sich in vielfachen Variationen wie ein roter Faden durch diese Arbeit. Gemeint ist nicht nur personale oder positionsbezogene Macht, also Macht als Attribut, sondern Macht als Entscheidungs- und Gestaltungsmacht. Die Großorganisation Landespolizei mit ihren vielfältigen Subeinheiten, in denen Veränderungsprozesse stattfinden, erscheint im Wesentlichen durch Prozesse des Machtaufbaus, Machtausbaus und des Machterhalts gekennzeichnet. Ständig ringen Altes und Neues, Formelles und Informelles, Routine und Innovation miteinander um Einfluss und kontrollieren sich dabei gegenseitig. Führungskräfte, die etwas verändern wollen, brauchen, um ihre Funktionen wahrnehmen zu können, Macht und müssen diese aktiv nutzen. Dabei zeigt sich Macht zum einen in ihren ermöglichenden Aspekten und zum anderen in ihren verhindernden Aspekten. Macht ist erforderlich, um notwendige Entscheidungen treffen zu können. Man kann Macht aber 309 6. Resümee auch einsetzen, um diese zu verhindern. Man braucht Macht, um die mit Entscheidungen verbundenen Veränderungen anzuschieben. Sie kann aber auch zur Blockade von Veränderungen genutzt werden. Macht ist entscheidend, um für eine konsequente Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen zu sorgen. Andererseits kann der gezielte Einsatz von Macht Umsetzungen erschweren oder sogar unmöglich machen. Individuen und Gruppen sind nicht nur an der Leistungserbringung in der Organisation orientiert, sondern auch an eigenen Interessen, ein Sachverhalt, der im empirischen Teil dieser Arbeit immer wieder angeklungen und im Folgenden reflektiert wird. 6.1.1 Eine schwierige Ausgangssituation Das Spannungsfeld konstituierte sich schon bei der Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs (vgl. Kapitel 4.1.1), indem die leitenden Beamten der niedersächsischen Polizei, Personaldezernenten, Polizeiinspektionsleiter, Polizeikommissariatsleiter etc. mittels vielfältiger reflektierter Kommunikationsprozesse und moderierter Workshops den fachlichen und sozialen Qualifikationsbedarf erhoben. Das Ergebnis war ein bunter Strauß fachlicher Notwendigkeiten und persönlichkeitsfördernder Entwicklungsmaßnahmen. Der offenen, umfassenden, demokratischen, transparenten Vorgehensweise liegt ein Denken zugrunde, das beim gemeinsamen und lernorientierten Umgang der Betroffenen miteinander, die Organisation Landespolizei sich rational im Rahmen der postulierten Ziele entwickeln wird. Dieses Denken verkennt jedoch die strukturerzeugende Wirkung von Macht in Organisationen. Nach der enorm komplexen, hoch rationalen, differenzierten und aufwändigen Herangehensweise zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs und der Erstellung der Konzeption unter Beteiligung bedeutsamer Entscheidungsträger und Funktionsgruppen (vgl. 4.1.2) hätte folgerichtig ein Auswahlverfahren zur Ermittlung geeigneter Teilnehmer stehen müssen, denn ein objektiviertes Verfahren hätte die Wahrscheinlichkeit erhöht, konzeptionell für notwendig und wichtig erachtete Inhalte durch Anforderungsmerkmale zu überprüfen. Statt einer objektivierten Personalauswahl wurde der Großteil der Teilnehmer durch leitende Akteure der jeweiligen Behörden und Einrichtungen ausgesucht, angesprochen und mit eher dürftigen Informationen ausgestattet. An der Anwerbung eines Teilnehmers durch seinen Direktor der Polizei, die in einem Zitat in Kapitel 5.1.2 anschaulich dargestellt wird, wird die beidseitig effiziente Strategie deutlich, Wissen nur in Bruchteilen zu kommunizieren, mit dem wahren Bedeutungsgehalt aber hinter dem Berg zu halten. Hier wurde das schon beschriebene „Hierarchiespiel“ gespielt. Die Teilnehmerschaft rekrutierte sich aus sechs Hierarchieebenen. Sie bestand aus engagierten, interessierten und unfreiwilligen Personen. Diese sollten Personalentwicklung im Nebenamt betreiben, vor dem Hintergrund einer vagen und diffusen Zielformulierung. Zusätzliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen um eine systematische Personalentwicklung wurden durch die Nichtteilnahme 310 6. Resümee ministerialer Akteure genährt (vgl. Kapitel 5.1.2). Solche symbolischen Prozesse spiegeln die strukturerzeugende Wirkung von Macht in Organisationen wider, nähren aber eher Phantasien, als dass sie diskursiv verfügbar sind. Die Qualifizierungsmaßnahme hatte es also von Anfang an schwer, was noch durch die generell pessimistische Einschätzung hinsichtlich einer wenig akzeptierenden Organisationskultur in Bezug auf Personalentwicklung seitens der Teilnehmer untermauert wurde (vgl. Kapitel 5.1.1). 6.1.2 Die Wirkung der Lernarchitekturen Groß- und Kleingruppe Wenn formell „Personal“ den Geist der Masse, des Anonymen, des Gesichtslosen und des Sachlichen atmet, so entsprach dieses Synonym den Lernerfahrungen der Teilnehmer in der Großgruppe. Die Teilnehmerstatements zur informellen „Entwicklung“ in der verhal- tensorientierten Kleingruppe waren entgegengesetzter Natur. Gemeint sind hier die positiv konnotierten Selbstentfaltungs-, Freiheits- und Handlungsspielräume, das Persönliche, die Beziehungsebene. Wie aufgezeigt (vgl. Kapitel 5.1.8) hat in Organisationen mit starken bürokratischen Strukturen einerseits das Informelle , das nahezu idealisiert wird, einen hohen Stellenwert, während andererseits erhebliche Aversionen gegenüber dem Formellen bestehen, da hiermit Zwang und Einschränkung assoziiert werden. Da Letzteres als bedrohlich erlebt wurde, fand auch keine Auseinandersetzung mit belastenden Strukturen und Rahmenbedingungen der Qualifizierungsmaßnahme statt, was dazu führte, das diese nicht weiterentwickelt werden konnten. Hier wurden Auseinandersetzungen mit Macht und repräsentierenden Leitfiguren um die Nutzung von Gestaltungsspielräumen vermieden. Somit konnte eine wichtige Lernerfahrung, nämlich dass organisationale Rahmenbedingungen des Großgruppensettings auch in Frage gestellt und eventuell abgelehnt werden können, nicht vermittelt gemacht werden. Auch konnte aufgezeigt werden, dass das, was emotional hervorgerufen wird, in der Organisation normalerweise keinen Platz hat; es wird ins Unbewusste der Organisation abgeschoben. So repräsentiert in den dargestellten Befunden die Großgruppe die sachlich- funktionale Organisation und die „Kastration durch Sachlichkeit“, die Abspaltung des Emotionalen findet ihren Ort in den verhaltensorientierten Kleingruppen. So wichtig beide Lernerfahrungen für die Teilnehmer auch waren, , die Aufforderung, Gefühle dort zum Ausdruck zu bringen und zu bearbeiten, wo sie nicht entstehen (obwohl sich nicht nur die Polizei hiermit gut auskennt), wirkte auf sie befremdlich. Andererseits, und das zeigen die durchweg überschwänglichen Bewertungen der Teilnehmer zur Arbeit in den verhaltensorientierten Kleingruppen deutlich, fangen diese informellen Gruppen ein Defizit der Organisation auf, da hier der „ganze Mensch“ mit seinen Bedürfnissen und Problemen, Emotionen und Konflikten wahrgenommen wird. Die offizielle Organisation kann diese Informalität auch zulassen, sie existiert „eigentlich“ nicht, denn sie bleibt rein „persönlich“ und ohne Auswirkungen auf Verfahren und Strukturen. 311 6. Resümee Auf der anderen Seite wurde gerade durch die verhaltensorientierten Lernteile der persönliche Lernerfolg, die Erweiterung der Führungs- und Handlungskompetenzen, von allen Teilnehmern (vgl. Kapitel 5.4.1) herausgestellt. Kooperative Führung wurde oftmals erstmalig (be)greifbar erlebt und erfahren; die Bewertungen der Führungskräfte lassen den Schluss zu, dass beraterische und fördernde Elemente in Bezug auf die Mitarbeiterschaft im Alltag stärker gelebt werden. Die Führungskräfte erleben sich stärker in der Teamführung, verstehen nun, dass strategische Entscheidungen nicht im Alleingang, sondern nur durch Ausnutzung der fachlichen Ressourcen getroffen werden können, erleben sich kundiger in produktiver Teamarbeit, da sie besser bei der Integration von fachlichen und prozessbezogenen Aufgaben geworden sind. Ihr Wirkungsgrad hat sich durch Anwendung moderner Moderations- und Präsentationsmethoden erhöht, was durchaus als Stärkung ihrer internen kooperativen Funktions- und Positionsmacht gelten kann. 6.1.3 NSM und Budgetierung Die Befragungsergebnisse zu den NSM wiesen prägnant und unmissverständlich aus, dass die dezentrale Ressourcenverantwortung in Zusammenhang mit der Budgetierung als das zentrale neue Steuerungsinstrument favorisiert wurde. In den Augen der Teilnehmer bietet die Budgetierung nicht nur erweiterte Handlungs-, Gestaltungs- und Entscheidungsspiel- räume, sie ist auch ein Machtfaktor, denn sie bedeutet die Kontrolle der Finanzmittel. Die Führungskräfte haben realisiert, dass ökonomische Überlegungen einen höheren Stellenwert einnehmen, was in zunehmenden Maße zu Abwägungen führt, ob bestimmte Maßnahmen wirklich notwendig sind oder ob die Gelder hierfür nicht eingespart werden können. Von daher steigt der Begründungszwang hinsichtlich der Wirksamkeit polizeilicher Maßnahmen, der insofern schwer zu erbringen ist, als die Wir- kungszusammenhänge zwischen der Präsenz der Polizei (vgl. Kapitel 5.2.1 Konflikt „Streifenwagen versus PC-Ausstattung“) und der Verhinderung von Straftaten weitgehend unerforscht sind. Die Macht der Führungskräfte angesichts knapper Budgets wächst durch ihre Definitionsmacht und Deutungshoheit. Ob eine polizeiliche Maßnahme zum Erfolg führt, lässt sich schlecht im Vorhinein ermitteln. Die Einschätzung bleibt subjektiv und spekulativ. Wie das Beispiel „Standkontrolle“ (vgl. Kapitel 5.2.1) belegt, hat die Frage nach den vorhandenen Ressourcen und deren optimalem Einsatz Priorität bei Führungsentscheidungen, welche die Durchführung polizeilicher Maßnahmen betreffen. Das birgt die Gefahr, dass sich Handlungsspielräume verengen, weil kostenintensivere Lösungsstrategien zunehmend ausgeblendet werden (müssen). Haushaltsdefizite und die nur noch schwer finanzierbare öffentliche Dienstleistung entfa- chen einen Modernisierungsdiskurs, der sich unter dem Druck zur Haushaltskonsolidierung als Rationalisierungsschub entpuppt. In den Einschätzungen der Führungskräfte zu den Ängsten, Unsicherheiten und Widerständen der Mitarbeiter (vgl. 312 6. Resümee Kapitel 5.2.2) ist sehr viel Skepsis und Misstrauen bezüglich des NSM erkennbar. Prokla- miert wird, dass die Mitarbeiter die wichtigste Ressource für den Entwicklungsprozess sind. In der alltäglichen Praxis aber erleben sie stattdessen wachsende Kontrolle, Ein- schränkung von Handlungsspielräumen, Kürzungen, Streichungen und Disziplinierungen. Die dadurch belastete Kommunikationsatmosphäre macht es dann schwieriger, Hand- lungsspielräume auszuloten, Dissens herauszuarbeiten und zu ertragen, als auch um Konsens zu ringen. Dabei kommt den Führungskräften bei der feinen Justierung von Personal- und Organisationsinteressen eine zentrale Bedeutung zu. Wenn sie Wirkung erzielen und Probleme lösen wollen, müssen sie einerseits in der Hierarchie klug mit Abhängigkeiten, Macht- und Statusfragen umgehen, anderseits die Bedürfnisse der Beschäftigten nach Selbständigkeit, Sinnerfüllung und Orientierung berücksichtigen, denn die Beschäftigten verfügen über eine subtile Verhinderungsmacht. Ihr Widerstand kann den eigentlichen Sinn von Reformpolitik untergraben, nämlich strukturiert Wirklichkeit neu zu gestalten. 6.1.4 Die Erfolgsfaktoren von Projektarbeit Anhand des Vergleiches zweier thematisch identischer Projektverläufe zur Einführung strukturierter Auswahlverfahren aus dem Segment „Auswahlverfahren“ (vgl. Kapitel 5.3.4 ff) konnte aufgezeigt werden, dass das Instrument des Projektmanagements in der Polizei stark von den Zug- und Druckkräften der Organisation abhängig ist. Die Projektverläufe A und B waren geprägt von unterschiedlichen Organisationskulturen, den Hierarchiebeziehungen bzw. Machtspielen relevanter Akteure und den Interessen von Organisationsbereichen. So ist feststellbar, dass bei thematisch identischer Ausrichtung der Projektarbeit, die Hierarchiebeziehungen sich in den beiden Projekten vollkommen unterschiedlich und höchst dynamisch darstellten. Ebenso wird an den beiden exemplarischen Beispielen „Macht“ als ermöglichende Ressource im Projektverlauf A ( durch die eindeutige Unterstützung der Behördenleitung und durch die Integration einer wichtigen ranghohen Leitfigur in die Projektgruppe) deutlich. Genauso klar sichtbar wird aber auch der Kontrapunkt, nämlich Macht als verhindernde Ressource, ausgeübt durch einen ignoranten, Behördenleiter im Projektverlauf B, der fürchtet, dass die Innovation auf Kosten seiner Macht geht. Aber nicht nur Projektverläufe verdeutlichten Machtstrukturen. Auch die Thematik „Auswahlverfahren“ bezeichnete gleich an mehreren Stellen dieser Arbeit immer wieder die Konfliktlinien. Der Anspruch von Offenheit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz des Verfahrens zur Ermittlung von Eignung, Leistung und Befähigung der Kandidaten gerät ins Gemenge mit mehr oder minder diskreten Machtstrukturen und anderslautenden Interessen wichtiger Akteure und Entscheider. So kann das in den Kapiteln 5.3.4 ff. beschriebene Spannungsfeld „Auswahlverfahren – Objektiviertes Verfahren oder Spielball der Interessen?“ nicht generell aufgelöst werden. Es hängt von den Akteuren und den Interessen ab, wie viel „Macht“ und damit wie viel Ernsthaftigkeit dem Verfahren zugesprochen wird. Die Tendenz geht gegenwärtig wieder in Richtung 313 6. Resümee Akteursinteressen. So berichtete kürzlich ein Personalentwickler, dass in der Vergangenheit bei Stellenausschreibungen Wert darauf gelegt wurde, die funktionskriti- schen Anforderungsmerkmale auf maximal vier bis fünf zu begrenzen. Die bewusste Begrenzung war notwendig, damit die Anforderungsmerkmale mittels strukturierter Auswahlgespräche auch überprüfbar gehalten werden konnten. Heutzutage werden Stellenausschreibungen zunehmend mit bis zu 15 Anforderungsmerkmalen ausgeschrieben, die dann nicht mehr in Auswahlgesprächen überprüfbar sind. Hierdurch wird das Verfahren für Akteursinteressen störanfälliger gemacht. 6.1.5 Die Schwierigkeiten der Verständigung von Wissen und Macht Während Routinen auf Überschaubarkeit, Kalkulierbarkeit und Beachtung von Bereichsspezifika setzen, zielen Innovationen auf die Flexibilisierung, Dynamik und Veränderung bestehender Strukturen. Dieser Prozess lässt sich nicht nach dem Schlagwort beschreiben: „Die Personalentwickler da unten ändern sich und die Entscheider da oben aber nicht“, das wäre zu einfach, sondern beide ändern sich in Teilaspekten und in anderen eben nicht. Dieses Nebeneinander von Alt und Neu sorgt für erhebliche Verunsicherung, Verwirrung und Konflikte. Der schwierige Prozess der Bemühungen um Verständigung zwischen Personalentwicklern und Entscheidern, zwischen Wissen und Macht, wurde in den folgenden Prozessschritten ausführlich dargelegt: die Entwicklung und Anwendung von Wissen im eigenen Verantwortungsbereich; das diskursive Aufeinandertreffen von Wissen und Macht in Form von Informationsaustausch; der Versuch der Beeinflussung bestehender Machtstrukturen und Prozesse durch eine schriftliche Stellungnahme; das vorläufige Scheitern durch die Entscheidungen der Organisationsspitze hinsichtlich der Ausformung einer systematischen und verbindlichen Personalentwicklung. Dabei wurde in diesen Prozessschritten klar erkennbar, das Veränderungsprozesse hoch- dynamische Phasen sind, in denen die Organisation und die Akteure in der Organisation sich intensiv gegenseitig beobachten. Auf dem Prüfstand steht immer die Elastizität der Gesamtorganisation, d. h. ihre Fähigkeit, sich mit ihren eigenen internen Prozessen und Zuständen auseinander zu setzen. Neben dieser Grundlagenarbeit und einzelnen Umset- zungserfolgen aus der Projektarbeit hat dieser Prozess aber auch eindeutig und unmissverständlich zum Vorschein gebracht, dass die Steuerungs- und Handlungslogiken von Personalentwicklern und Entscheidern in der Konsequenz eher zu Sprachlosigkeit bzw. Dialogunfähigkeit als zur Gestaltung eines konsensfähigen „dritten Weges“ führen. So wurde seitens der Organisationsspitze versäumt, den Personalentwicklern den Entwicklungskorridor für deren Positionen aufzuzeigen. Da keine Eckpunkte vorgegeben waren, fühlten sich diese kraft ihrer Kompetenz berufen, systematische Personalentwick- lung in ihrem Sinne neu zu definieren und zu entwerfen. Daraufhin dokumentierten die Entscheidungen der Organisationsspitze, dass diese weitreichende Ausgestaltung nicht gewünscht war. In der Ablehnung von Wissen seitens der Organisationsspitze wurde aber 314 6. Resümee nicht nur die weitere systematische Personalentwicklung zu den Akten gelegt, sondern die Form der Ablehnung per Dekret brachte auch die Möglichkeit mit sich, sich der eigenen Kultur zu vergewissern und diese machtvoll zu demonstrieren. Im Gunde findet diese Form der Ablehnung ihre Entsprechung bei Teilnehmern (vgl. Kapitel 5.1.7.3.3 und Kapitel 5.1.7.4.2), nämlich in der tief empfundenen Beziehungs- und Vertrauenskrise einer Führungskraft gegenüber der Organisationsspitze: Man lässt sich auf Innovationen ein, bemüht sich und strengt sich an, erarbeitet neue Verfahren und präsentiert Alternativen zu Routinen. Am Ende öffnet die Leitung dann sinnbildlich ihren „Aktenkoffer“, und mit den Worten „So wird es gemacht“ werden ausgearbeitete Lösungen präsentiert. Bei den Bemühungen von Wissen, an Macht anzudocken, machten beide Seiten ihre „blinden Flecken“ offenkundig. Die Entscheider als Vertreter der klassischen Hierarchie verfolgen in ihren Leitentscheidungen ein Denkmodell, das geradezu darauf ausgerichtet ist, die Neugestaltung der Personalentwicklung mit möglichst wenig Kommunikationsaufwand zu organisieren. Kommunikation selbst ist in diesem Verständnis keine Arbeit. Sie hält vielmehr von der Arbeit ab. Die Kommunikationsbahnen sind durch die Hierarchie auf ein Minimum reduziert, vornehmlich per Kommuniqué, was für Routineaufgaben auch vernünftig ist, aber als ungeeignet für personenbezogene Dienstleistungen erscheint, wie es nun mal die Neugestaltung einer systematischen Personalentwicklung darstellt. Zur Abarbeitung nicht routinemäßiger Dienstleistungen bedarf es des vollen Einsatzes und der Kompetenzen vieler Professioneller. Auf der anderen Seite sieht das Positionspapier der Personalent- wickler eine wesentlich größere Involviertheit von Personen und Organisationseinheiten in der Personalentwicklung vor, durch die Dezentralisierung, bzw. Erweiterung von Entscheidungskompetenzen und die Auflösung klassischer Zuständigkeiten. Offen bleibt, wie dieser hohe Ressourcenaufwand und Abstimmungsbedarf finanziell, personell und zeitlich bewältigt und gesteuert werden kann. Unklar bleibt ebenfalls, welch einen Qualitätszuwachs die polizeilichen Leistungsprozesse oder die Organisationsgestaltung durch eine nach den Vorschlägen der Personalentwickler gestaltete Personalentwicklung erfahren könnte. Hier hätten Verständigungsprozesse anzusetzen. Wie so ein Verständigungsprozess aussehen könnte, wird exemplarisch in Kapitel 6.2.5 dargestellt. In gewisser Weise zeichnet sich hier ein Ressourcenparadoxon100 ab. Der skizzierte Veränderungsprozess durch Personalentwicklung im NSM läuft darauf hinaus, dass der Bedarf und die Notwendigkeit zur Kommunikation zumindest zu Beginn der Umsetzung von Reformprozessen drastisch zunehmen. Faktisch wird aber zwischen Entscheider- und Ausführungsebene weniger miteinander gesprochen, Kontakte sind reduziert oder 100 Aus der Krisenintervention ist der klassische Ausspruch einer Betroffenen an ihren Helfer bekannt: „Wenn Sie sich ganz viel Zeit nehmen, geht es ganz schnell.“ 315 6. Resümee beschränken sich auf die Bevorzugung formeller gegenüber informeller Kommunikation. Den erhöhten Abstimmungs- und Kommunikationsanforderungen steht die Zunahme des Leistungsdrucks bei immer angespannterer Haushaltslage gegenüber. Es sollen mit weniger Ressourcen das Leistungsvolumen gehalten oder sogar gesteigert und gleichzeitig gestiegene Qualitätsansprüche des Bürgers an polizeiliche Arbeit erfüllt werden. Das führt in eine schwer auflösbare Situation: Die hierarchische Organisation Polizei hat im Prinzip weniger Zeit, braucht aber mehr Zeit, um in Kommunikation und Selbststeuerung zu investieren. Sie läuft damit stets Gefahr, die Balance zwischen Planung und Entwicklung, Struktur und Dynamik zu verlieren und bei zu strikter Vorgabe in bürokratischer Erstarrung zu ersticken oder, umgekehrt, bei zu großer Offenheit in Unkontrollierbarkeit zu versinken. Der Grat zwischen den beiden Kernfragen ist schmal. Wie viel Autonomie ist förderlich und konstruktiv? Ab wann wird Autonomie dysfunktional und destruktiv? Die Befunde dieser Arbeit belegen, dass das vermeintliche Chaos der Unkontrollierbarkeit die stärkeren Ängste auslöst. Mit dem Wissen von aufwändig fortgebildeten Personalentwicklern setzt man sich wenig auseinander. Weder wird ernsthaft daran gearbeitet, das Wissen der Personalentwickler im Rahmen einer angemessenen Rollenzuweisung funktional in den organisationalen Alltag einzubinden, noch findet es Anerkennung und Verbreitung durch ein Fachkonzept. Damit versuchte die Hierarchie das grundlegende Dilemma zu lösen. Die Realisierung zentraler Zielvorgaben wird durch die aktive Mitarbeit unterer Führungsebenen zugleich ermöglicht und gefährdet. Die Angehörigen unterer Ebenen dürfen nicht bloß Objekte oder Mittel sein. Sie müssen auch Subjekte bleiben, die den notwendig abstrakt bleibenden, zentralen Wille konkretisieren, indem sie ihren eigenen Willen hinzufügen. Dabei wird der Versuch der Hinzufügung des eigenen Willens durch das Positionspapier als systemgefährdend im Sinne einer befürchteten Unkontrollierbarkeit betrachtet. Die heftige Gegenreaktion der hierarchischen Organisation wird vor dem skizzierten Hintergrund verständlich, da die fixierten Positionen der Personalentwickler eine erhebliche Provokation bedeuten: Sie stellen die klassische hierarchische Denkfigur in Frage, nämlich, dass den oberen Ebenen die Aufgabe der Zielfestsetzung und den unteren Ebenen die der Zielumsetzung obliegt. Indem die oberen Leitungsebenen den weitaus größten Teil der Personalentwicklerpositionen ignorieren bzw. zurückweisen, andererseits den Personalentwicklern „ihren Platz“ in der Fortbildung der Ausführungsebene „zuweisen“, werden die kritisch hinterfragten hierarchischen Verhältnisse wieder zurechtgerückt. Macht wirkt hier zweiseitig, bestehende Machtverhältnisse werden stabilisiert und zum anderen Komplexität reduziert. Unter pragmatischen Gesichtspunkten reicht der dargelegte Versuch nicht aus, um die Eigenlogik der Hierarchie einerseits und die Reformbestrebungen andererseits einem Verständnis zuzuführen. Vielmehr müssten beide Seiten in einen Dialog eintreten, in dem Erwartungen auf ihren Realitätsgehalt überprüft werden. Angesichts der aufgezeigten 316 6. Resümee Unterschiede (Positionspapier versus Leitentscheidungen) würde der Dialog wohl eher im Dissens geführt werden, was durchaus Vorteile bieten würde. Der mögliche Vorteil könnte am Ende in einem tragfähigen Konsens liegen. Dieser kann nur aus einem offen ausgetragenen Dissens entstehen. Das entspricht bisher nicht der Polizeikultur und bleibt Illusion, weil der Alltag eher von konkreten Erscheinungsformen der Schaffung und Aufrechterhaltung von Distanz, der Reduzierung von Kontakten und der Bevorzugung von formeller gegenüber informeller Kommunikation geprägt ist. Kommunikation und Information in der Polizei sind Schlüsselkategorien, die über das Ausmaß der Teilhabe an der Organisationsmacht entscheiden. Informationen zu besitzen, sie eine Weile für sich zu behalten und dosiert weiterzugeben, das kann als eine grundlegende Kommunikationskultur in der Polizei betrachtet werden. Speziell für eine in erheblichem Maße auf Stabilität ausgerichtete Organisation wie die Polizei bedeutet es eine erhebliche Anstrengung und Zumutung für die Beteiligten, es anders zu machen, anderes für relevant zu halten, andere zu Wort kommen zu lassen und sich auf andere Grundlagen zu stellen. Fast nie ist absehbar, worauf man sich einlassen würde, wenn man diese Zumutung akzeptieren würde. 6.2. Mit Macht mitmachen, um das Machbare zu machen Die Allgegenwärtigkeit von Macht und ihre Wirkungen in organisationalen Veränderungsprozessen macht aber auch wesentliche Funktionsweisen der Organisation Polizei deutlich. Sie funktioniert, indem ihre wesentlichen Macht- und Tiefenstrukturen in großen Teilen nicht durchschaubar sind und sich einer systematischen Erschließung durch Verfahren, Regeln oder Diskurs entziehen. Dabei wurde aber auch ein wesentliches Dilemma des polizeilichen Managements offenkundig. Einerseits soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Polizei als sensible und kooperative Organisation extrem stark mit der Umwelt verwoben ist. Somit wirken viele situative und soziale Einflüsse auf die Organisation ein. Andererseits soll gerade Polizei als anordnender und einschreitender Apparat nach außen als möglichst homogen und geordnet erscheinen. Die machtgestützte Komplexität in der Organisation Polizei absorbiert vielfältige Innova- tionswirkkräfte. Qualifizierungsprogramme, ohne flankierende Unterstützungsmaßnah- men, reichen für die Organisationsentwicklung in der von Paradoxien und Dilemmata durchsetzten Polizei nicht aus. Sie haben wenig Berührung mit den Tiefenstrukturen und damit mit den Handlungs- und Entscheidungspraktiken. Eine stärkere Beachtung der Tiefenstrukturen der Organisation und eine genaue Beobachtung der etablierten Praktiken ist aber notwendig, um Veränderungsprozessen mehr Wirksamkeit zu verleihen und damit ihre Erfolgschancen zu erhöhen. Die nachfolgenden Überlegungen mögen zur Stärkung des Entwicklungsgedankens beitragen. Da die Organisation Polizei sich eher schwer durchschaubar und hochgradig komplex präsentiert, ist zu fragen, welche Perspektiven und Faktoren helfen könnten, mit 317 6. Resümee Störungen und Widerständen konstruktiv umzugehen, um Wandelkompetenzen innerhalb des Systems Polizei zu stärken. Dabei ist Zurückhaltung geboten, denn ein Königsweg ist nicht erkennbar, auch wenn so genannte „maßgeschneiderte“ Programme das Gegenteil versprechen. 6.2.1 Ein realistischeres Organisations- und Wandelverständnis Das vornehmlich technisch-rational geprägte Organisationsverständnis in Verwaltung und Polizei bedarf einer kritischen Reflexion. Die Arbeitsergebnisse legen nahe, die Organisation nicht als einen defekten „Apparat“ zu betrachten, deren Defizite mit Hilfe eines gut bestückten Instrumentenkoffers behoben werden können. Die rational schlüssige Logik des NSM, symbolisiert durch die niedersächsische Ausformung des glatten, runden „Reform-Rades“ (vgl. Abbildung 3) besticht durch eine beeindruckend klare Systemlogik von Organisationsmängeln einerseits und notwendigen Konzepten zur Behebung dieser Mängel andererseits, die jedoch nicht der Realität entspricht. Vielmehr präsentiert sich die Organisation als komplexes Sozialsystem mit vielen Ecken und Kanten, Blindstellen und Unvorhersehbarkeiten, das durch Traditionen, Routinen, Hierarchien, Strategien, Abhängigkeiten, Widersprüche, Interessen und Konflikte gekennzeichnet ist. Diese Komplexität ist durch die modellhafte Geschlossenheit einer technischen Planungslogik, wie sie das „Reform-Rad“ mit der Personalentwicklung im Zentrum als Symbol der Veränderungsrhetorik darstellt, kaum zu erfassen. Die Befunde der unterschiedlichen Erhebungsebenen (Lernebene, Projektebene, Implementierungsebene) legen eben nicht nahe, dass Wandelprozesse, wenn sie nur umfassend geplant werden, im Ergebnis auch prognostiziert werden können. Von daher helfen hier einfache Steuerungsideen nicht weiter. Die Vielzahl und Vielfalt der Projekte, deren Verlauf, Zielbezogenheit und -erreichung aber in der Gesamtorganisation auf wenig nachhaltiges Interesse stoßen, lässt eher auf hektischen Aktionismus schließen, als darauf, dass nach einer Lösung der sachlichen Veränderungsfrage gesucht würde. Das indirekt anvisierte Ziel der Qualifizierungsmaßnahme, nämlich die Umstellung der Organisation der Polizei von einer hierarchisch-bürokratisch geführten zu einer mitarbeiter-orientierten Organisation voranzutreiben, lässt sich nicht dadurch erreichen, dass der hierarchischen Organisation Polizei eine weitläufige, unübersichtliche Projektlandschaft gegenübergestellt wird, deren Steuerung durch Projektmanagement eine zielsichere Planungs- und Vorgehensmethodik vorgaukelt. Ein Scheitern ist dann hochwahrscheinlich, wenn die Unordentlichkeiten der Organisation, ihre unterschiedlichen internen Handlungslogiken und Interessen, die Machtspiele und der Widerstand ausgeklammert werden. Da hilft dann die durch Projektarbeit suggerierte Innovationsfreude und der implizite Planungsrationalismus durch Meilensteinplanung und schrittweises Abarbeiten von Problemen nicht weiter. Das schrittweise Abarbeiten ist 318 6. Resümee sinnvoll bei technischen Problemen, da diese sich gut definieren und einordnen lassen. Bei sozialen Prozessen und komplexen Organisationen muss man aber eher von unscharf definierten Problemen ausgehen, die ungewisse Problemlösungen erzeugen. Deutlich wird dies unter anderem dadurch, dass es nicht gelungen ist, die bestehenden Initiativen „Führungskräfte als Personalentwickler“ und „Führungskräfteentwicklung“ zu einem Gesamtkonzept Personalentwicklung zusammenzuführen, welches Ziele, Grundsätze, Strukturen, Standards und wesentliche Instrumente definiert und für verbindlich erklärt. Die Welt der Planbarkeit lässt oft keinen Raum für die strukturelle Unsicherheit und Kontingenz von organisatorischen Veränderungsprozessen. Planung und Steuerung kann in einer Welt der Kontingenz nicht die zukünftigen Zustände des Systems im Voraus bestimmen und schon erst recht nicht die Ereignisse in der Umwelt, was in dieser Arbeit anhand der erheblichen Diskrepanzen zwischen Zielsetzung und Wirklichkeit der Qualifizierungsmaßnahme aufgezeigt worden ist. Die Entwicklungsmaßnahme sollte als Initialzündung für eine professionelle und innovative Personalentwicklung durch eine breit angelegte Führungskräfte-Fortbildung dienen, um die Polizei in die Lage zu versetzen, ihre Aufgabe als moderner Dienstleister besser zu erfüllen. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen jedoch eine Wirklichkeit, die geprägt ist von Widersprüchen und Unvorhersehbarkeiten, die durch eine solche Entwicklungsmaßnahme entstehen können. Letztlich stellt die Entwicklungsmaßnahme sich als reine Qualifizierungsmaßnahme der Führungskräfte heraus, ohne ausreichende in der Organisation ansetzende begleitende Unterstützungsmaßnahmen. Damit ist sie ein zwar sinnvolles, aber für das anvisierte Ziel zahnloses Instrument. Vorhaben dieser Größenordnung lassen sich nicht im Verlauf eines fünfjährigen Prozesses flächendeckend umsetzen. Man kann in der Polizei nichts übers Knie brechen. Eher ist der lange Atem gefragt. Dem gegenüber steht das sich durch alle Phasen dieser Arbeit ziehende sportive Höher, Weiter, Schneller. Immer zu viel in zu kurzer Zeit. Das Neue beginnen, wobei das Alte noch gar nicht abgeschlossen wurde. Polizei- und Verwaltungsreform, NSM, Haushaltsvollzugsreform, Personalkostenbudgetierung, Personalentwicklung, Führungskräfteentwicklung, Mentoring, Controlling, Gender Main Streaming, Balanced Score Card, Qualitätsmanagement, wirkungsorientiertes Polizeimanagement – die Polizei „macht das schon“ und kriegt das schon alles in die Köpfe. Sie ist bei diesen Reformprozessen von politischen Prozessen gesteuert. Zu unreflektiert werden Konzepte aus der Privatwirtschaft übernommen, ohne ein entsprechendes Marktkorrektiv und ohne dass sie an die spezifischen Bedürfnisse angepasst werden. Die Anwendung technischer Fertigkeiten bedeutet nicht schon ein „Verstehen“ dessen, was erst durch konfliktreiche Praxiserfahrungen aufgezeigt werden kann. Viele der zuvor genannten Reformbestrebungen hätten einen höheren Wirkungsgrad in der Organisation wenn man sich im vorhinein mit den etablierten Handlungs- und Entscheidungspraktiken der Alltagsorganisation auseinandersetzen und sich um ein Verständnis ihrer Funktionen bemühen würde. Das hätte Konsequenzen: Es müsste sich 319 6. Resümee von dem Fehlschluss verabschiedet werden, dass Reform ein „Top-down-Prozess“ ist. So haben die Ergebnisse dieser Arbeit gezeigt, dass eine hierarchische Anordnung neuer Instrumente oder gar großflächiger Veränderungsvorhaben nicht greifen kann. Statt dessen müsste die offene und aktive Auseinandersetzung mit organisational verankerten Widerständen intensiviert und die Überzeugung, dass alles planbar ist, minimiert werden. Wünschenswert wäre eine kritischere Haltung gegenüber den Heilsversprechungen der neuen Managementmethoden, wobei die Leitfragen „Was brauchen wir?“ und „Passt das Instrumentarium zu uns?“ Klärungsprozesse in Gang bringen könnten. Überhaupt erscheint angesichts der vielfältigen und oftmals widersprüchlichen Reformprogramme ein Weniger mehr zu sein: weniger rationale Wissensvermittlung, dafür mehr kritische Überlegungen und Auseinandersetzungen mit den Eigenmächtigkeiten, Prozessen, Strukturen und Dynamiken der Routineorganisation. Um dabei zu einem realistischeren Veränderungsverständnis und -konzept zu kommen, müssen die Umsetzungsbarrieren, Sinnblockaden und kulturellen Werte ernst genommen werden. Diese Arbeit hat einige wichtige Ergebnisse zu (a) der Rolle der Führungskräfte, (b) zur Wirkung der Projektarbeit und (c) zur Implementierung von Reformbestrebungen beizutragen: Zu (a) Die Lernebene der Qualifizierungsmaßnahme hat durch die Koppelung von Wissens- und Verhaltensorientierung sowie durch die Möglichkeit der Erprobung eines neuen Verhaltens im geschützten Raum bei vielen Teilnehmern für ein nachhaltig verbessertes Führungsverständnis und für ein verändertes Führungsverhalten im eigenen Verantwortungsbereich gesorgt. Die Rolle der Führungskräfte hat sowohl eine Erweiterung als auch Stärkung erfahren, was für die Führungskräfte einen „Gewinn“ bedeutete. Zu (b) Die Projektebene hat verdeutlicht, dass Macht und Umsetzungspotenzial eher nicht bei der Organisationsspitze sondern in lokalen Machtzentren verortet sind. Auf dieser regionalen Ebene braucht man Motive, um sich auf neues Wissen einzulassen. Die Verfahren für das Einbringen von Erfahrungen erscheinen auf lokaler Ebene überschaubarer und berechenbarer. Die Handlungs- und Gestaltungsspielräume wichtiger Wandelakteure sind hier im Sinne einer praktischen Handlungsorientierung durch Zielfindungs- und Zielbildungsprozesse angesiedelt. Die beispielhafte Herausarbeitung von erfolgskritischen Faktoren für Projektarbeit könnte bei der Umsetzung von Reformbestrebungen auf lokaler Ebene helfen. Andererseits weisen Befunde in diesem Kontext auch auf die Grenzen der Machbarkeit hin. Widerstand ist nur insofern zu moderieren und zu bearbeiten, als die Interessen und Machtpotenziale der Betroffenen dies zulassen. Zu (c) Auf der Ebene der Implementierung in die Gesamtorganisation wurde die große Distanz zwischen Entscheidern und mittlerer Führungsebene deutlich. Daraus 320 6. Resümee resultierende Missverständnisse und Verständigungsschwierigkeiten scheinen in der Folge Manövriermöglichkeiten zu blockieren und Aushandlungen zu verhindern. Einerseits haben sich teilweise regionale Standards etabliert, andererseits konnten konzeptionell verbindliche Regelungen zum Umgang mit Standards, Instrumenten und Verfahren der Personalentwicklung auf der Ebene der Gesamtorganisation Polizei nicht getroffen werden. Ein Teil der Probleme mit Veränderungsprozessen hängt mit einer unzulänglichen Implementierung zusammen. So zeigen sich Schwächen im Modernisierungsmanagement, die in dieser Arbeit aufgezeigt wurden (kein Auswahlverfahren der Teilnehmer, keine Freistellungen, keine Kompetenzen, keine Koordinierungsstelle Personalentwicklung, keine weitere Qualifizierung von Führungskräften als Personalentwickler, kein landes- weites Fachkonzept). Dargestellt wurde, dass gerade OE- und PE-Prozesse in öffentlichen Verwaltungen angesichts des dort vorherrschenden Strukturkonservatismus und fehlender Erfahrung mit Partizipationsstrategien, Flexibilität und offenen Prozessen unter äußerst schwierigen Bedingungen statt finden, zumal wenn es vielfältige Rückzugsmöglichkeiten und Einflussmöglichkeiten von Hierarchen gibt. Andererseits lässt sich aber auch feststellen, dass die zugrunde liegende Theorie schwerlich kompatibel ist. Die öffentliche Verwaltung unterliegt spezifischen Besonderheiten, die im betriebswirtschaftlichen Public-Management-Modell (vgl. Kapitel 3.3.2 f. und Kapitel 3.5.1 ff.) nicht berücksichtigt sind. Nicht kompatibel mit dieser Theorie sind zum einen der Planungsrationalismus einerseits als auch die Aussparung der Dynamik von Routinen und Machtstrukturen andererseits. 6.2.2 Dezentralisierung und Reflexion ermöglicht Handlungs- und Gestaltungsspiel- räume Was als relevant betrachtet wird, wird sehr stark von der Einschätzung „vor Ort“ bestimmt. Die prinzipiell angelegte Einheitlichkeit des polizeilichen Handelns ist damit potenziell gefährdet. Sie wird zudem von der Organisationsspitze in Frage gestellt, wenn etwa durch das Fehlen eines PE-Fachkonzeptes in den Behörden und Einrichtungen unterschiedliche Standards und Verfahrensweisen Grundlagen für Auswahlentscheidungen werden können. Dies führt aufgrund mangelnder Transparenz zu Verunsicherungen und mangelnder Akzeptanz bei den Beschäftigten. Wenn im vorherigen Kapitel festgestellt wurde, dass die wesentlichen Macht- und Tiefen- strukturen der Organisation durch die Pilot-Qualifizierungsmaßnahme nicht erreicht werden konnten, ist damit nicht gesagt, dass es keine Veränderungsspielräume innerhalb der dargelegten Prozesse gegeben hätte. Sie liegen aber weniger im „technischen“ Bereich, sondern eher im Nahbereich der persönlichen Ausgestaltung der Führungsrolle (vgl. Kapitel 5.1.7.4 ff und Kapitel 5.4.1) und in der Konstruktion zielbezogener Projektarbeit, wie exemplarisch in der Kontrastierung zweier thematisch identischer 321 6. Resümee Projektverläufe (vgl. 5.3.4 ff. und 5.3.5) veranschaulicht wurde. Dabei zeigt der Projektverlauf A eindrucksvoll, was im „Kleinen“ machbar ist. Ein einschneidender und tief gehender Veränderungsprozess in der Organisation wird ermöglicht, wenn ein Handlungsfeld genau erfasst und analysiert wird, wenn die durch Befragung einbezogenen Betroffenen das Projekt für notwendig und erforderlich halten und wenn wichtige Akteure in der Projektgruppe und der angrenzenden Hierarchie in der Lage sind, einen Machtstrom und damit Machtstrukturen zu erzeugen. Primäre Erfolgskriterien sind mithin ein nutzenorientiertes Kontext- und Feldverständnis bei klarer Prozessorientierung sowie ein Rollenverständnis der verantwortlichen Akteure, das „Macht“ bei allen Prozessschritten mitdenkt. Es genügt nicht, einen Projektauftrag inhaltlich zu durchdringen, in Teilschritte zu zerlegen und in Netzplänen zu bearbeiten. Es bleibt wichtig, das Machtprofil hinter der Projektaufgabe zu erkennen. Entscheidend sind die Machtstrukturen und die Prozesskompetenz im kundigen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten. Zentrale und landesweit angelegte Konzepte können Strukturen, Ziele und Inhalte von Qualifikationen aufzeigen, aber schwerlich lokale Umsetzungsspezifika mitdenken. Der breit angelegte Abstraktionsgrad weist auf ein in der Zukunft verortetes „PE- Fachkonzept“. Ohne diesen Schritt fehlt die Zielperspektive und -ausrichtung. Es spricht einiges dafür, kleine, transfergesicherte, ziel-, problem- und mitarbeiterorientierte Bildungs- und Lernprojekte zu pflegen, die bei Gelingen von anderen Behörden, Einrichtungen und Abteilungen nachgefragt werden können. Hier wäre die Organisationsspitze wieder als steuernde Instanz von Wichtigkeit. Für transferorientierte Qualifizierungsmaßnahmen würde das bedeuten, sich zukünftig konzeptionell auf die Bildung lokaler Netzwerke und deren Vernetzung auszurichten. 6.2.3 „Key Player“101 schaffen Veränderung Aber es sind nicht nur die Machtstrukturen. Ebenso wichtig sind die „Key Player“ in diesen Strukturen. In den Projektverläufen A und B wurde die Rolle dieser entscheidenden Akteure als ermöglichende, aber auch verhindernde Ressource aufgezeigt. Abseits hiervon scheint die Lage paradox. In dieser Arbeit über Personalentwicklung wird mehr von Verfahren und Instrumenten und weniger von den Personen berichtet, obwohl von den Teilnehmern das an der eigenen Person ausgerichtete, verhaltensorientierte Lernen am wichtigsten erachtet wurde. So konnten in der vorliegenden Untersuchung nur wenige Personen ausgemacht werden, die als Identifikations- und Leitfiguren den Reformbemühungen über ihre Person, Reputation und Wirkungsmacht Kontur und Gestalt verliehen haben. Exemplarisch weist hier Projektleiter A auf die Wichtigkeit von 101 Gemeint sind bestimmte „Schlüsselpersonen“, die Arbeitsklima und Umgangskultur in der jeweiligen Organisation wesentlich bestimmen. In der Regel handelt es sich hier um Führungskräfte. 322 6. Resümee Promotoren mit innerbehördlicher Reputation für die Erreichung des Projektzieles hin. Promotoren nehmen eine bedeutsame Brückenfunktion zwischen Projekt und Routineorganisation wahr. Die Politik scheint eher auf die anonyme Kraft von Veränderungssystemen zu setzen, wo eigentlich Personen als Leitfiguren und Machtpromotoren gefordert sind. Für Verände- rungsprozesse in der Polizei wäre in stärkerem Maße anzuregen, organisationsinterne „Key Player“ mit Vorbildcharakter zu identifizieren und für die Vorhaben einzuwerben, wobei diese durchaus nicht Projektleiter und damit „Prozess-Owner“ sein müssen, gleich- wohl aber unabdingbarer Teil des Projektteams sein sollten. Themen- und Machtpromotoren sind von großer Wichtigkeit, weil die Hierarchie in der Polizei kein bloßes Über- und Unterordnungsverhältnis darstellt, sondern auch ein Konkurrenzverhältnis. Unterschiedliche Ideen und Themen, aber auch konfligierende Praxen konkurrieren um Gehör und Beachtung in den Behörden und Einrichtungen. Es bedarf wichtiger Akteure, die mit ihrem persönlichen Bekenntnis zu einer Idee deren Wichtigkeit herausstellen und damit einen Unterschied zu anderen Themen herstellen. Darüber hinaus bedarf es bei nachhaltigen Veränderungsprozessen glaubhafter Vorbilder. Die entscheidende Veränderung oder Nicht-Veränderung von Mitarbeitern findet nicht durch Seminare und Publikationen statt, sondern durch das, was die Mitarbeiter in Organisationen als Führung erleben. In diesem Zusammenhang berichtet Sprenger (2000: 25), dass der Geschäftsführer von Coca-Cola Deutschland, Pat Smyth, im Jahre 1998 das überlebensgroße Bild des Firmengründers Max Keith im Treppenaufgang der Hauptzentrale in Essen abhängen ließ und es durch eine Grafik, in deren Zentrum das Wort „Change“ prangte, ersetzte. Der heftige Protest der Mitarbeiter, die Keith als eine Leitfigur ansahen, sorgte dafür, dass der alte Zustand wiederhergestellt wurde. Der gleiche Autor bringt ein weiteres Beispiel (a.a.O. 114): Im Februar 2000 veröffentlichte die Boston Consulting Group die Untersuchung eines Chemieunternehmens, das sich seit vier Jahren zur „lernenden Organisation“ erklärt und viel Zeit und Geld in dieses Thema investiert hat. Bei einer Befragung der Manager landete der Führungsgrundsatz „Vorbild sein“ auf dem ersten, der Grundsatz „Freiräume für Veränderung und Lernen schaffen“ jedoch weit abgeschlagen auf dem allerletzten Rangplatz. 6.2.4 Wandelbeauftragte stärken Wandelbeauftragte in Veränderungsprozessen haben in (Polizei-)Organisationen einen schweren Stand. Einerseits herrscht die Kultur vor, zum Lernen in ein Seminar zu gehen, andererseits bereiten Trainingsprogramme nur auf den „gesellschaftsfähigen“ Teil von Veränderungsprozessen vor. Trainings- und Alltagsrealität von Wandelbeauftragten sind, trotz optimaler Methodik (z.B. Projektarbeit) und klarer Ausrichtung an Praxiserfordernis- sen, oftmals schwer miteinander in Einklang zu bringen. Erfahrene Fortbilder sprechen in diesem Zusammenhang vom „Back-Home-Effekt“. Zuhören und Integrieren wurde in 323 6. Resümee Rollenspielen geübt. In der Dienststelle ist Ellenbogen einsetzen und Druck ausüben als optimaler Ausdruck von Stärke angesagt. Oder in der Organisation herrscht ein verände- rungsfeindliches Klima, nach dem Motto „Ist ja ganz schön, was Sie da gelernt haben, aber jetzt kommen Sie mal wieder auf den Teppich“, was ebenso die Anwendung neuen Wissens und einhergehender Fertigkeiten verhindert. Folge dieses stressigen Spannungsfeldes ist, dass sich alternatives Verhalten zurück- oder aber gar nicht erst her- ausbildet. „Von Führungstrainings kommen Vorgesetzte oft merkwürdig verändert zurück. Doch keine Angst: Der Spuk dauert nicht lange. Die durchschnittliche Anwendungsdauer von Seminarinhalten beträgt in hartnäckigen Fällen bis zu sechs Wochen. Danach ist ihr Chef wieder ganz der Alte“ (Pfaller, 1996). Gute Qualifizierungsmaßnahmen für Führungskräfte implizieren immer eine intensive Auseinandersetzung mit Einstellungen und eigenen Verhaltensweisen. Ein dynamischer Personalbegriff umfasst die systematische Ver- und Bearbeitung der Erfahrungen, die Menschen mit sich, der Aufgabe und den organisationsspezifischen Besonderheiten machen. Lernen in Seminarbausteinen kann Alternativen für die Praxis aufzeigen. Der eigentliche Lern- und Festigungsprozess findet im Alltag am Arbeitsplatz statt. Diesen Lern- und Festigungsprozess können Supervision und Coaching (vgl. Kapitel 5.1.8.1) als Instrumente der Personalentwicklung wesentlich unterstützen. Insbesondere haben die Er- gebnisse zum Projektcoaching (vgl. Kapitel 5.3.5.6) strukturelle Schwächen der Qualifizierungsmaßnahme offenbart. Die Hälfte der befragten Teilnehmer äußerte sich hierüber unzufrieden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an maximal drei Praxisbegleitungstagen pro Teilnehmer in einem Jahr in ständig wechselnden Gruppen erwies sich als nicht ausreichend hilfreich und damit nicht handlungseffizient. Gewünscht wurde eine bedürfnisorientiertere Ausrichtung vorzugsweise in regionalen Settings. Beispielhaft für eine effektive Unterstützung von Wandelbeauftragten durch Coaching kann die Qualifizierung der Controller der niedersächsischen Polizei angeführt werden. Die Qualifizierung erstreckte sich über einen ähnlich langen Zeitraum von 20 Monaten. Ebenso wie die Personalentwickler hatten die Controller ein Projekt durchzuführen. In vier Coachinggruppen, die sowohl nach regionalen (auch hier kamen die Teilnehmer aus ganz Niedersachsen) wie auch nach inhaltlichen Aspekten zusammengestellt waren, hatten die Teilnehmer Möglichkeiten zur gezielten Reflexion der jeweiligen Projektstände. Jede Gruppe hatte einen festen Coach. In jeder Gruppe wurden bis zu 12 Coachingtermine durchgeführt. Mit der Implementation von Supervision & Coaching in Veränderungsprozessen wird nicht nur die Handlungseffizienz in der Praxis gesteigert, sondern das persönliche Gespräch im Interesse der Organisation bekommt eine andere Bedeutsamkeit und Verbindlichkeit (im Gegensatz zur verbreiteten Besprechungskultur). Erst in der 324 6. Resümee persönlichen Begegnung, in der die wirklichen Probleme nicht ausgeklammert, sondern bearbeitet werden, in der sich die Beteiligten nicht aufs Formelle oder aufs Informelle zu- rückziehen, können tragfähige Arbeitsbeziehungen und funktionierende organisatorische Lösungen entstehen. Von daher kann Supervision & Coaching ein wichtiges Instrument zur Sicherung des PE-Transfers vor Ort sein. Sinnvoll wären folgende Ansätze und Formen von Supervision & Coaching: ♦ Begleitung von Wandelbeauftragten in Form von Rollenbegleitung ♦ Begleitung/Unterstützung der Veränderungsprojekte (Prozessbegleitung) ♦ Unterstützung von Führungskräften in der Ausgestaltung ihrer Leitungsrolle durch neue Qualifikationen (Stichwort: „Neue Führungskultur“) ♦ Unterstützung lokaler Wandelbeauftragter/Personalentwickler in Form von Gruppen- supervision ♦ Begleitung einzelner Führungskräfte in schwierigen Situationen ♦ Begleitung von Organisationseinheiten bei der Übernahme neuer Aufgaben und Kom- petenzen. In Widersprüchen leben zu müssen, aktiviert ständig ambivalente Gefühle, für die vergeblich eine Lösungsautorität außerhalb gesucht wird. Zum „Material“ der Selbstreflexion gehören nicht nur formale Organisationsabläufe, sondern vor allem die Gefühle, Folgen und Widerstände, die sie auslösen. Jede Organisationsanalyse und Ist- Diagnose bleibt ohne Selbstreflexionsprozess unvollständig. Von daher wäre zum dargestellten Qualifizierungsprogramm kritisch anzumerken, dass es sich auf den „gesell- schaftsfähigen“ Teil von Führung und Wandel bezieht, auf den Teil, über den geredet und der gut in Fortbildungskonzepten beschrieben werden kann. Die Befunde dieser Arbeit legen nahe, dass zusätzlich andere Ingredienzien und Themen von Wichtigkeit sind, Themen, über die kaum gesprochen wird, die aber jeden in der Organisation beschäftigen und selten freiwillig geöffnet werden. Da geht es um Macht und Strategien, um den politischen Nutzen von Informationen, um Absicht und Wirkung, um Autorität und Machtprozesse, Konkurrenz und Kooperation und auch um persönlichen Mut. Um diese Themen bearbeiten zu können, bedarf es eines geschützten und vertrauensvollen Settings. Supervision & Coaching können dies nicht nur bieten, sondern im Zusammen- hang mit dem teilweise hohen Wirkungsgrad der Projektarbeit mit sicherstellen, dass mehr organisationale Bewusstheit in die Polizei hineinkommt. Dazu gehört auch mehr Bewusstheit über organisationsstrukturell ausgelöste Gefühle, Verhaltens-, Widerstands- und Abwehrformen. In ihnen haben viele Konflikte ihre Ursache, etwa Loyalitätskonflikte gegenüber Personen und Gruppen. 325 6. Resümee Was könnte der Gewinn für die zuvor benannten Zielgruppen sein, sich reflektierend mit Autorität, Macht und Hierarchie zu beschäftigen? Diese Reflexionsarbeit könnte zur Er- schließung neuer Perspektiven und zu der Erkenntnis führen, dass eine Organisation mehr ist als eine nur nach einem bestimmten Organisationsschema und verfahrensförmigen Ge- setzmäßigkeiten funktionierende Einheit. Es ließe sich ein Gefühl dafür entwickeln, dass eine Organisation nicht von oben nach unten verändert wird, sondern dass Veränderungen beim einzelnen Menschen beginnen. Diese Gefühle und Erkenntnisse könnten eine völlig neue Kompetenzdimension für Führungskräfte und Wandelbeauftragte erschließen. Gemeinsame Reflexions- und Verständigungszeiten etwa in Form von Coaching & Supervision für die Bearbeitung all dieser Effekte zu organisieren, wird gerade in der Polizei immer noch als überflüssiger Luxus diskriminiert. Es geht hier aber nicht um „Ge- fühlsduselei“ oder individuelles Feedback, sondern um die Einsicht, dass strukturbedingte psychosoziale Verhaltensformen und Gefühle auf die Rationalität von Arbeitsabläufen Einfluss haben. Ziel müsste die Implementierung einer Kommunikationskultur sein, in der die Veränderung und der Wandel der Organisation reflexiv bearbeitet und damit vielleicht als weniger bedrohlich erlebt werden kann. So könnten geleitete Reflexionsprozesse ein Forum bieten, in dem außerhalb der sonstigen Hierarchien und Denkgewohnheiten neue Formen des Nachdenkens und der Selbst- und Fremdwahrnehmung ermöglicht werden, was erheblich zur Klärung eigener Positionen beitragen könnte. 6.2.5 Aspekte zur funktionalen Bedeutung von Distanz Der dargelegte Verlauf der Qualifizierung von Führungskräften zu Personalentwicklern weist Parallelen zu vielen Projekten auf. Die Qualifizierungsmaßnahme wurde mit großen Ankündigungen und intensiven Planungsbemühungen begonnen. Im Mittel und Schlussteil, in der konfliktreichen Phase der Auseinandersetzung über Innovation und Routinen, gerieten die Teilnehmer der Maßnahme in das Gemenge behördeninterner Auseinandersetzungen und Machtkämpfe, die unterschiedlich ausgingen. Nach dem offiziellen Ende der Qualifizierung hat man von den Personalentwicklern nicht mehr viel gehört. Es scheint daher am Schluss dieser Arbeit sinnvoll, die strukturellen Rahmenbe- dingungen dieser Qualifizierungsmaßnahme zu hinterfragen. Der Blick auf die Strukturen eines Veränderungsprozesses ist mit der Frage verbunden, inwieweit durch Veränderung von strukturellen Rahmenbedingungen Verstehensprozesse der beteiligten Akteure hätten intensiviert werden können, die dann in der Folge eine höhere Wahrscheinlichkeit der Verknüpfung von Innovationen mit der Alltagsorganisation ermöglicht hätten. Zugespitzt würde die Frage lauten: Wie könnte aus dem sich in dieser Arbeit abbildenden Abwehr- diskurs zwischen Entscheidern und Entwicklern ein Verständigungsdiskurs werden? Die Frage scheint relevant, da wohl davon auszugehen ist, dass Veränderungen und Organisa- 326 6. Resümee tionsentwicklungsprozesse102 die Polizei auch in Zukunft massiv beschäftigen werden und die Rückkehr zu einem dauerhaft stabilen Organisationsgefüge wenig wahrscheinlich ist. Das sich durch diese Arbeit ziehende Leitthema ist die große Distanz zwischen Entschei- dern und Entwicklern. Es kann nicht zielführend sein zu klären, ob nun die Haltung der Personalentwickler oder die der Entscheidungsträger die problematischere ist. Beide Seiten müssten in einen Dialog eintreten, in dem Erwartungen auf ihren Realitätsgehalt überprüft werden. Auf diese Weise würde Distanz vermindert, Misstrauen reduziert und Gemeinsamkeit geschaffen. Entscheidend dabei wäre nicht die Häufigkeit der Begegnungen, sondern deren Qualität. Von daher sollen die sich zwischen beiden Seiten darstellenden Berührungspunkte aufge- zeigt werden, um in einem nächsten Schritt Veränderungsmöglichkeiten zu simulieren und zu diesen anzuregen. Sicher haben sowohl die geringe Anzahl als auch die Qualität der Begegnungen zwischen den Entscheidungsträgern und den Personalentwicklern wesentlichen Einfluss auf die Ent- fremdung beider Parteien gehabt. Die Berührungspunkte beschränkten sich auf den Anfang und das Ende der Maßnahme. Der Anfang war geprägt von der Festlegung der Rahmenvorgaben und der Arbeitsschwerpunkte durch die Entscheidungsträger im Rahmen des PE-Workshops im Mai 1997 (vgl. Kapitel 4.1.1). In der Folge trat die Leitung der niedersächsischen Polizei erst wieder am Ende der Qualifizierung ins Bild: im Baustein 11, dem Diskurs um die weitere Zukunft der Personalentwicklung in der Polizei Niedersachsen im Oktober 1999, bei der Abschlussveranstaltung und der Zertifikatsübergabe an die Personalentwickler im Februar 2000 sowie im September 2000 bei der Festsetzung der Leitentscheidungen. Somit mangelte es über zwei Jahre an formalisierten Interaktionssituationen. Eine persönliche Begegnungssituation zwischen Entscheidungsträgern und Personalentwicklern hat es im dreijährigen Gesamtprozess von Planung, Durchführung und Entscheidung lediglich in zwei Situationen gegeben. Es kann daher nicht verwundern, dass die große Distanz zwischen beiden Seiten wesentlich dazu beigetragen hat, Aushandlungsprozesse zu verhindern, was in der Folge zu gegen- sätzlichen Bewertungen und unvereinbaren Standpunkten künftiger polizeilicher Personalentwicklung führte. Das Problem wurde hierarchisch gelöst. Kontaktverlust und die sich daraus ergebenden Kommunikationsstörungen dürften erheblich zur Unvereinbar- keit der Positionen beigetragen haben. Der Verlauf und die Prozessschritte sind bekannt und wurden diskutiert. Im Folgenden soll ein Gegenentwurf skizziert werden, der einerseits berücksichtigt, dass Kommunikation und Information Schlüsselfaktoren in der Polizei sind. Andererseits kann angesichts bisheriger Befunde auch nicht außer acht 102 Mit der Entscheidung der neuen Landesregierung in Niedersachsen aus dem Frühjahr 2003, die Bezirksregierungen aufzulösen, wurde auch der Aufbau und der Ablauf innerhalb der Polizei neu organisiert. 327 6. Resümee gelassen werden, dass die Chancen personalentwicklerischer Veränderungsvorhaben im Sinne der Veränderung von Entscheidungs- und Handlungspraktiken, angesichts der Beharrlichkeit eingespielter, langfristiger Routinen einer durch Stabilität geprägten Organisation, nicht allzu gut sind. Die getrennte Erarbeitung der Arbeitsschwerpunkte und Rahmenvorgaben durch die leitenden Beamten der niedersächsischen Polizei im Workshop vom Mai 1997 und die darauf folgende Erarbeitung des Qualifikationsbedarfs durch die Funktionsträger der Behörden und Einrichtungen im PE-Workshop vom Juli 1997 hätten auf einem weiteren Forum zusammengeführt werden müssen. Hierzu hätte sich der erste Baustein angeboten. Diese Zusammenführung wäre bedeutsam gewesen, da es sich bei der Neugestaltung der PE um ein unbekanntes Feld handelte. Unbekanntes löst zunächst Unsicherheit und Angst und damit Widerstände aus. Dieser Prozess der Beunruhigung durch Neugestaltung unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Widerständen ist eine Gratwanderung. Der Austausch von Entscheidungsträgern und Personalentwicklern auf einem Startforum hätte es begünstigt, dass sich beide Seiten über Absichten, Hintergründe und Zusammenhänge hätten informieren können. Wenn die Philosophie und die Rahmenbedingungen des Vorgehens im Zentrum der Betrachtung gestanden hätten, so hätten auch Vorbehalte, Missverständnisse und Fehleinschätzungen von Beteiligten vermindert werden können. Durch eine Abstimmung von Rahmenvorgaben und Arbeitsschwerpunkten wäre eine gemeinsame Arbeitsbasis und damit die Verbindlichkeit von Zielbildungsprozessen geschaffen worden. Eine Großgruppenkonferenz würde zumindest temporär eine Chance zur Öffnung von Strukturen geben. Hierdurch könnten andere Kommunikationsstrukturen und auch Werte erfahren und für die Entwicklung neuer Ideen nutzbar gemacht werden. Die Orientierungslosigkeit der Teilnehmer wäre verringert worden und ihre Suche nach Handlungsbezug (vgl. Kapitel 5.1.4) hätte eher Klärung erfahren können. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn sich in dieser Konferenz eine Steuergruppe etabliert und die Arbeit aufgenommen hätte. Die Steuergruppe sollte ein funktional ausgerichtetes Gremium sein, besetzt mit Vertretern des Ministeriums und „Key Playern“ der Behörden und Einrichtungen. Sie sollte übersichtlich und überschaubar bleiben, um ihre Handlungsfähigkeit nicht zu gefährden. Die Aufgabe dieses Gremiums wäre es, für die ständige Verbindung zwischen der Routine-Organisation und den Personalentwicklern zu sorgen. Frühzeitig, parallel zu den Seminarbausteinen, hätten Rahmenprojektplanungen in Abhängigkeit von Art und Zielsetzung des Projektes (z.B. Querschnitts- oder Bereichs- projekt) mit den Behörden und den Personalentwicklern abgestimmt werden können. Die Koordination der Teilprojekte und die Überprüfung der Stimmigkeit wären also eine Not- wendigkeit, und erforderlich wäre es auch, das Funktionieren der Projektorganisation regelmäßig zu evaluieren, um nötigenfalls Änderungen vorzunehmen. Die Steuergruppe hätte die wichtige Aufgabe wahrzunehmen, für das richtige Tempo des Vorgehens zu sorgen. Ebenso müsste sie für die gewünschte Verbreiterung und Transferaktivitäten der 328 6. Resümee Innovation durch die Organisation übergreifender Meetings, Workshops und Info- Veranstaltungen, wie z.B. durch die Initiierung einer „Projektmesse“, sorgen. Ein Forum in Form einer „Projektmesse“ hätte in der zweiten Hälfte der Maßnahme das Gemeinschaftserlebnis und die Akzeptanz hinsichtlich laufender Veränderungsprozesse erhöht. Es hätte die deutliche Markierung einer Etappe bedeuten können, mit einem gemeinsamen Rückblick auf das Geleistete und einen Ausblick auf die nächsten Ziele. Als Zielgruppe hätten sich nicht nur die leitenden Beamten des Niedersächsischen Innenministeriums, sondern auch die Führungskräfte aller Projektdienststellen sowie die Personalvertretungen, Frauenbeauftragten etc. angeboten. Statt hierarchischem Austausch und Informationsweitergabe hätte eine Projektmesse die Möglichkeit zu vernetztem Austausch sowie informellen und persönlichen Kontakte geboten. Sie hätte für eine Vitalisierung des Systems sorgen und auch Resonanzen des Gesamtsystems einholen können. Anstatt ausgefeilter Analysen und rational-abstrakter Darstellungen hätten kurze Sketches, Persiflagen, Live-Interviews zu aktuellen Problemen, Darstellungen von ange- strebten Visionen oder kurze Theaterstücke andere Kommunikationskanäle eröffnen können und wahrscheinlich die Teilnehmer nachhaltiger erreicht. Ein drittes Forum hätte zum Ende der Maßnahme verortet werden können. Hier hätten sich unter der Leitung der Steuergruppe Personalentwickler, interessierte Führungskräfte aller Behörden und Einrichtungen und Entscheidungsträger zu einer weiteren Konferenz zu- sammenfinden können. Inhalt wäre die Erarbeitung eines praktikablen Modells zur strategischen Personalentwicklung gewesen, das eine Vorlage für zu treffende Leitentscheidungen in der Zukunft hätte sein können. Zielführend hätte hier die Prämisse der Machbarkeit und Umsetzbarkeit einerseits unter dem konkreten Aspekt des Nutzens der PE für die Organisation Polizei Niedersachsen anderseits sein können. Zu Beginn dieses Forums würden die zukünftigen Rahmenbedingungen und die absehbaren Umfeldveränderungen erörtert. Diese würden den Rahmen für weitere Überlegungen und die sich daraus ableitende Strategie bilden. Von Wichtigkeit wäre die Klärung der wichtigsten Leistungsbereiche und von einhergehenden Qualitätsanforderungen. Daran schlösse sich die Frage nach der Notwendigkeit grundlegender Veränderungen in den Leistungen, in der Aufbau- und Ablauforganisation und im Selbstverständnis an. In der Folge würde man sich über Rollen und Verantwortlichkeiten auseinander setzen. Die Umsetzung der Strategie würde ein Verantwortungsbewusstsein verschiedener Zielgruppen für die Umsetzungsarbeit erfordern. Entsprechend müsste definiert werden, wer welche Rolle bei dieser Implementierung einnehmen soll. Daher sollte zwischen den verschiedenen Führungsebenen, den Experten (Personalverantwortliche) und Nicht- Experten sowie besonderen Organisationseinheiten unterschieden werden. Es würde sich empfehlen, grundlegende Verhaltenserwartungen (Rollen) und Ergebniserwartungen (Aufgaben) zu definieren. Danach stellt sich die Frage nach den Anforderungen. Die Leitfrage könnte sein, welche spezifischen Anforderungen sich für die verschiedenen Zielgruppen ergeben. Der nächste Arbeitsschritt wäre die Weiterentwicklung bestimmter 329 6. Resümee PE-Instrumente zur Erreichung dieser Kompetenzziele. Letztlich wären die Verantwort- lichkeiten festzulegen, indem man sich darüber auseinander setzen würde, wer die PE- Aktivitäten und wer die fachliche Verantwortung in welcher Form steuern müsste. Es würden Etappenziele bestimmt, die im Rahmen von halbjährlichen Personalentwickler- Treffen überprüft und angepasst werden könnten. Dieses Szenario könnte man als idealtypisch ansehen, denn viele Konflikte und Widersprüche bleiben hierbei ausgespart. Der fiktive Verlauf gründet auf der Annahme, dass ein zielgerichteter, vertiefender Kontakt gerade seitens der Entscheider gewünscht gewesen wäre. Möglich wäre aber auch das Gegenteil. Der zuvor beschriebene Entwurf ist gerade nicht gewollt. Dann aber würde die große Distanz zwischen Personalentwicklern und Entscheidern andere Funktionen erfüllen. So wäre denkbar, dass sich die Entscheidungsträger mit ihrer distanzierten Haltung vor Unwägbarkeiten schützen woll- ten. Ein erweiterter personalentwicklerischer Ansatz hätte Komplexität und mögliche Handlungserfordernisse erhöht, was auf der Ebene realistischer Befürchtungen Unkalku- lierbarkeiten, finanzielle Erfordernisse und Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeiten ausgelöst hätte. Dass auf der Abschlussveranstaltung von dem maßgeblichen Abteilungs- leiter keine weiterführenden Erklärungen zur Personalentwicklung mehr gegeben wurden, lässt die Vermutung zu, dass weitere Umsetzungsmaßnahmen nicht (mehr) zur Disposition standen. Damit ist auch diese Arbeit an ihr Ende angelangt. Am Beispiel der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ wurden im Rahmen der exemplarischen Auseinandersetzung zwischen Innovation und Routine vor allem Strukturen und Prozesse thematisiert, die unabhängig von Modernisierungsbemühungen weitgehend unverändert fortbestehen. In organisationaler Hinsicht handelt es sich bei der Polizei um die Beharrungstendenz einer von ihrer Aufgabe her auf höchste Stabilität angelegten Organisation, die darauf geeicht ist, auftretende interne Widersprüche weitestgehend zu vermeiden oder zurückzuweisen. Damit werden auch die begrenzten Be- und Verarbeitungsmöglichkeiten erkennbar. Diese galt es zu thematisieren und zu verstehen, um dadurch die Möglichkeiten, mit ihnen förderlich umzugehen, zu erweitern. 330 331 Anhang Anhang 332 Interviewleitfaden 1 + 2 Interviewleitfaden 1 + 2 Interviewleitfaden 1: Führungskräfte als Personalentwickler 1. Führungsaufgabe: Erzählen Sie mir bitte, in welcher Funktion Sie tätig sind und welche Aufgaben Sie wahrnehmen? • Seit wann sind Sie in dieser Funktion tätig? • Wie viele Mitarbeiter haben Sie? 2. Rahmenbedingungen: Worauf kommt es in Ihrer Aufgabe besonders an? • Was bereitet Ihnen Freude an Ihrer Führungsaufgabe? • Welche Schwierigkeiten & Probleme bringt Ihre Führungsaufgabe mit sich? • Gibt es spezielle Probleme in ihrem Aufgabenfeld? • Was sollte sich ändern? 3. Motive und Erwartungen in Bezug auf die Qualifizierungsmaßnahme: Wie ist es zu Ihrer Teilnahme an der Qualifizierungsmaßnahme „Führungskräfte als Personalentwickler“ gekommen? • Wie haben Sie damals davon erfahren? • Was haben Sie sich von der Teilnahme an dieser Maßnahme versprochen? • Wie war die Reaktion Ihrer Mitarbeiter auf Ihre Teilnahme? • Wie war die Reaktion Ihres Vorgesetzten auf Ihre Teilnahme ? 333 Interviewleitfaden 1 + 2 • Welche Erwartungen hatten Sie an die anderen Teilnehmer? • Welche Erwartungen hatten Sie an die Leitung der Maßnahme? (interne Projektleitung und externer PE-Fachberater) • Welche Erwartungen hatten Sie an die Inhalte der Qualifizierungsmaßnahme? 4. Halbzeit: Erhebung des Ist-Standes: Hat Ihnen die Teilnahme bisher etwas gebracht? Hat es Auswirkungen der Qualifi- zierungsmaßnahme auf Ihre Tätigkeit als Führungskraft (PI-Leiter, PK-Leiter, Dezernent etc.) gegeben? • Haben sich Ihre Erwartungen bisher bestätigt? • Was empfanden sie bisher als positiv, was als negativ? • Welche Themen waren für Sie besonders wichtig? • Haben Sie bisher etwas gelernt, was Ihnen in der täglichen Arbeit genutzt hat? • Hat sich bisher durch Ihre Teilnahme irgendetwas an Ihrer täglichen Arbeit geändert? • Haben Sie Anregungen für Ihre tägliche Arbeit bekommen? • Hat sich Ihr Vorgesetzter in Bezug auf Ihre Teilnahme im Verlauf dieses Jahres geäußert? Wenn ja, positiv oder negativ? • Was, glauben Sie, hat die Qualifizierungsmaßnahme bisher den anderen Teilnehmern gebracht? 5. Führungskraft als Wegbereiter für die Neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente: Wie gestaltet sich die Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente in Ihren Verantwortungsbereich? • Kennen Sie die „Neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente“, die im Rahmen der Verwaltungsreform in die niedersächsische Landesverwaltung eingeführt werden sollen? 334 Interviewleitfaden 1 + 2 • Welche Führungs- und Steuerungsinstrumente sind Ihnen in Ihrem Verantwortungsbe- reich wichtig? • Welche Probleme & Schwierigkeiten stellen sich Ihnen bei der Einführung ? • Fühlen Sie sich genügend unterstützt? Von wem wünschen Sie sich mehr Unterstüt- zung? 6. Führungskraft als Projektleiter - Projektwahl, Herangehensweise, erste Erfahrungen: Wie sind Sie zur Wahl Ihres Projektes gekommen? Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Projekt? • Wie heißt Ihr Projekt? • Welche Gründe waren für die Wahl Ihres Projektes ausschlaggebend? • Was möchten Sie mit Ihrem Projekt erreichen? • Fühlen Sie sich zur Durchführung Ihres Projektes ausreichend gerüstet? (theoretische Vorbereitung in Seminarbaustein V/materielle Ausstattung zur Durchführung) • Wie waren die bisherigen Reaktionen Ihrer Mitarbeiter in Bezug auf den (geplanten) Start des Projektes? Eher unterstützend, desinteressiert oder ablehnend? • Wie hat Ihr Vorgesetzter auf Ihre Projektidee reagiert (Kontrakt)? Eher unterstützend, desinteressiert oder ablehnend? • Wie weit ist Ihr Projekt bereits gediehen? • Was wünschen Sie sich für den weiteren Verlauf Ihres Projektes? • Woran werden sie feststellen, dass Ihr Projekt erfolgreich ist? 7. Abschlussfrage: Gibt es bisher noch nicht angesprochene Aspekte und Themen, zu denen Sie sich äußern möchten? Herzlichen Dank für das Gespräch! 335 Interviewleitfaden 1 + 2 Interviewleitfaden 2 Führungskräfte als Personalentwickler 1. Einstiegsfrage: Gab es Veränderungen in der Führungsaufgabe bzw. in der Arbeitsorganisation? 2. Ist-Stand Erwartungen und deren Realisierung: Wie zufrieden sind Sie mit den Inhalten der bisherigen Seminarbausteine? • Haben sich Ihre Erwartungen bisher bestätigt? Ist das, was Sie sich von den Bausteinen versprochen haben, eingetreten? • Was hat Ihnen die Teilnahme an den Bausteinen bisher gebracht? • Wie interessant und wie wichtig waren für Sie die behandelten Themen? • Wo sind Erwartungen enttäuscht worden? • Wie beurteilen Sie die Leitung der Qualifizierungsmaßnahme? • Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit anderen Teilnehmern? • Welche Rahmenbedingungen haben Sie als besonders lernfördernd bzw. lernhemmend empfunden? • Haben Sie im Gespräch mit Kollegen/Vorgesetzten die Maßnahme weiterempfohlen? • Haben Sie Verbesserungsvorschläge für die Zukunft? 3. Führungskraft als Projektleiter: Wie hat sich Ihr Projekt weiterentwickelt? Hat es Spannungen bzw. Konflikte gegeben? Welche Veränderungen wurden durch die Maßnahmen angestrebt bzw. sind diese eingetreten? (hier: Einstieg über ein Resümee: Projektstand zum Zeitpunkt des ersten Interviews) 336 Interviewleitfaden 1 + 2 Ist-Stand: • Wo steht Ihr Projekt in Bezug auf die angepeilten Ziele? (hier Konfrontation mit Aussagen zum Thema „Projektziele“) • Welche Rahmenbedingungen erwiesen sich als unterstützend/behindernd in Bezug auf die Zielerreichung? Diagnose: • Als wie hilfreich erwiesen sich die angewandten Diagnoseprozeduren? War die Datenbasis ausreichend? • Welche Missstände zu Beginn des Projektes sind deutlich geworden (Ist-Diagnose)? Welche Erwartungen und Befürchtungen gab es? Welche Auswirkungen hat das auf die Konzeption gehabt? • Inwieweit sind die antizipierten Schwierigkeiten eingetroffen? (hier Konfrontation mit Aussagen aus der ersten Interviewreihe hierzu) Gab es andere Schwierigkeiten? Wie wurde mit diesen umgegangen? Projektgruppe: • Als wie tragfähig hat sich die angewandte Strategie der Projektgruppenbesetzung (z.B. Ausschreibung oder „handverlesen“) erwiesen? „Sympathie“ und „Kompetenz“ sind Schlüsselbegriffe bei der Projektgruppenbesetzung. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? • Blieb die Projektgruppe konstant bzw. gab es Veränderungen? Wie wirkten sich Veränderungen aus? • Konnten Sie kontinuierlich Projektgruppensitzungen abhalten bzw. was waren Hinde- rungsgründe? • Konnten sie Projektmarketing betreiben bzw. was stand dem entgegen? • Wie zufrieden ist die Projektgruppe mit ihrer Arbeit? Welche Erwartungen wurden erfüllt, welche nicht? Rollenspannungen: • Welchen Spannungen sahen Sie sich als Projektleiter ausgesetzt? Wie sind Sie mit ihnen umgegangen? 337 Interviewleitfaden 1 + 2 • Haben Sie mit der Unterstützung eines Moderators (Controller, Trainer) gearbeitet? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? • Hat sich Ihr Vorgesetzter eingemischt? Wenn ja, in welcher Weise? • Hatten Sie genügend Unterstützung durch Ihren Vorgesetzten? Wie hat diese ausgesehen bzw. was hätten Sie sich gewünscht? Organisationale Wirkung: • Was waren für Sie wesentliche Erfolgsfaktoren bzw. Misserfolgsfaktoren im Hinblick auf das Projektziel? • Hat Ihr Projekt Veränderungen in Ihrer Organisation bewirkt? Wenn ja, welche? (Die Folgefragen sind als Ausdifferenzierungen der Leitfrage zu verstehen) • Haben Sie Ihre Zielgruppe erreicht? Wie groß war die Zielgruppe? Wie viele Personen konnten erreicht werden? • Hat es Änderungen bei der Zielgruppe im Bereich von Wissen und Fertigkeiten gegeben? • Hat es Änderungen im Bereich der Einstellungen und Haltungen gegeben? (z.B. Erhöhung der Akzeptanz, Abbau von Widerständen) • Können Sie Ihr erprobtes Verfahren im Alltag einsetzen? Ist es alltagstauglich? Was müsste passieren, damit es alltagstauglich wird? • Hat es Veränderungen in der täglichen Arbeit gegeben? Konnten Missstände in der Dienststelle behoben werden? Sind Arbeitsergebnisse beeinflusst worden? Rück- und Vorschau: • Wenn Sie retrospektiv noch einmal „verändernd“ in Ihr Projekt eingreifen würden, was hätten Sie anders gemacht? • Wie beurteilen Sie den Aufwand für die Projektdurchführung in der Retrospektive? • Haben Sie Verbesserungsvorschläge, was den Stellenwert und den Rahmen eines solchen Projektes innerhalb einer Qualifizierungsmaßnahme angeht? 338 Interviewleitfaden 1 + 2 4. Praxisbegleitungstage: Inwieweit konnten Sie von den Praxisbegleitungstagen profitieren? • Haben Sie regelmäßig teilgenommen? Falls nicht, was waren die Hinderungsgründe? • Haben Sie eigene Fragen eingebracht? Wurden Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit geklärt? • Hatten Sie den Eindruck, dass die Fragen der anderen zu deren Zufriedenheit geklärt wurden? • Waren Sie mit dem Ablauf und der Struktur der drei Praxisbegleitungstage zufrieden? • War die Anzahl von Praxisbegleitungstagen ausreichend oder hätte es Ihres Erachtens weiterer Reflexionsmöglichkeiten „zwischendurch“ bedurft? • Konnten Sie von den Erfahrungen Ihrer Kollegen profitieren? • Was hätten Sie sich anders gewünscht? Haben Sie Verbesserungsvorschläge? • War die Unterstützung durch den Projektleiter/PE-Fachberater hilfreich und unterstützend? 5. Auswirkungen auf Person, Rolle und Organisation: Hat es Auswirkungen der Maßnahme auf Ihre Person, Rolle bzw. Organisation gegeben? Person: • Hat sich die Maßnahme auf Einstellungen und Haltungen der PE gegenüber ausgewirkt? • Hat sich die Maßnahme auf Ihr Wissen und Ihre Fertigkeiten ausgewirkt? • Haben Sich Ihre persönlichen und sozialen Kompetenzen erweitert? Auf welchen Feldern konnten Sie Ihre Kompetenzen erweitern? Woran machen Sie das fest? Rolle: • Hat sich die Maßnahme auf Ihren Arbeitsalltag ausgewirkt? Haben sich Schwer- punktsetzungen verändert? Hat es Veränderungen in der täglichen Arbeit gegeben? 339 Interviewleitfaden 1 + 2 • Hat sich die Maßnahme auf Ihr Führungsverhalten/Ihre Führungsrolle ausgewirkt? Konnten von Ihnen festgestellte Missstände behoben werden? • Hat es Reaktionen Ihrer Vorgesetzten gegeben? Wenn ja, waren sie positiv oder negativ? • Hat es Reaktionen Ihrer Mitarbeiter gegeben? Wenn ja, waren sie positiv oder negativ? Multiplikatorenrolle: • Haben andere aus Ihrem Umfeld schon von dem profitieren können, was Sie mitge- nommen haben? • Interessiert Sie eine Multiplikatorenrolle außerhalb Ihres Verantwortungsbereiches? Wie könnte diese aussehen? • Streben sie in Zukunft einen anderen Aufgabenschwerpunkt an? Inwieweit ist dies durch die Maßnahme beeinflusst? Welchen Stellenwert messen Sie dabei der PE zu? Organisation: (hier auch Teile des Fragenblocks 5 der ersten Interviewreihe zur Einführung der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente) • Haben Sie konkrete Veränderungen in Ihrem Verantwortungsbereich initiieren können oder haben Sie das in naher Zukunft vor? • Waren Sie an konkreten Veränderungen in Ihrem Verantwortungsbereich beteiligt? • Waren Sie an konkreten Veränderungen in anderen Bereichen beteiligt? Neue Führungs- und Steuerungsinstrumente: • Haben Sie Möglichkeiten gehabt bzw. sehen Sie Möglichkeiten in der Zukunft, Ele- mente der neuen Führungs- und Steuerungsinstrumente zu unterstützen? Wie hat Ihre Unterstützung ausgesehen bzw. wie könnte Sie aussehen? • Welche Steuerungsinstrumente sind Ihnen in Ihrem Verantwortungsbereich wichtig? In welchen Bereichen greift die Budgetierung bei Ihnen? Hat es hier im Vergleichs- zeitraum Änderungen gegeben? Wünschen Sie sich Änderungen? In welchen Bereichen? 340 Interviewleitfaden 1 + 2 6. Resümee und Ausblick: Was nehmen Sie mit? Gibt es PE-Bereiche und Themen, an denen Sie zukünftig weiterarbeiten werden? • Das Projekt sollte die Möglichkeit bieten, das Erlernte in der Praxis zu erproben und anzuwenden. Lag für Sie der wesentliche Lernwert mehr im „Lernteil“(Bausteine), im „Praxisteil“ (Projekt) oder in der Verbindung dieser Teile? • Wenn Sie einmal die unterschiedlichen Qualifizierungen, die Sie im Laufe Ihrer Karriere genossen haben, Revue passieren lassen: Welchen Stellenwert hat dann „Führungskräfte als Personalentwickler“? Wie würden Sie den besonderen Charakter dieser Maßnahme kennzeichnen? • Angenommen, Sie treffen einen Freund, den Sie schon zwei Jahre nicht mehr gesehen haben, und dieser fragt Sie: „Sag mal, was hat dir die Teilnahme an dieser Fortbildung ,Führungskräfte als Personalentwickler‘ eigentlich gebracht?“ Was würden Sie ihm antworten? • Wie beurteilen Sie die weitere Rolle der PE in der Polizei? Wie sollte/müsste es Ihres Erachtens weitergehen? Wo ist Ihr Platz bei der weiteren Entwicklung von PE? Gibt es Bereiche und Themen, woran Sie weiter arbeiten werden? 7. Abschlussfrage: Gibt es noch bisher nicht angesprochene Aspekte, zu denen Sie sich äußern möchten? Herzlichen Dank für das Gespräch! 341 Literatur Literatur AHLF, E. H. (1997): Ethik im Polizeimanagement. BKA-Forschungsreihe. Bundeskrimi- nalamt. Kriminalistisch-kriminologische Forschungsgruppe, Band 42. ALTRICHTER, H. & LOBENWEIN, W. & WELTE, H. (1997): PraktikerInnen als ForscherInnen. Forschung und Entwicklung durch Aktionsforschung. In: B. Friebertshäuser, & A. Prengel (Hrsg.) Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim, München, Juventa Verlag, 640–660. ARBEITSGRUPPE „LEITBILD FÜR DIE HESSISCHE POLIZEI“ (1998): Leitbilder – eine Form indirekter Führung. In: Deutsches Polizeiblatt (DPolBl.) 98/1, 18–24. ARM, H. (1999): Projektmanagement im Testlauf. In: Kriminalistik, Heft 7, 457–462. 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D. gehobener Dienst GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls i.d.R. in der Regel ISO Internationale Standard Organisation ISR International Survey Research Jg Jahrgang 369 Abkürzungsverzeichnis K Kriminalpolizei KFI Kriminalfachinspektion KFN Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen KFS Kooperatives Führungs-System KFZ Kraftfahrzeug KGSt Kommunale Gemeinschaftsstelle KLR Kosten- und Leistungsrechnung KoCon Koordinierungsgruppe Controlling KOLEIPOL Kosten- und Leistungsrechnung in der Polizei LPSN Landespolizeischule Niedersachsen MI Ministerium des Innern Niedersachsen MVG Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräch NGG Niedersächsisches Gleichberechtigungsgesetz NPM New Public Management NRW Nordrhein-Westfalen NSI Neue Steuerungsinstrumente NSM Neues Steuerungsmodell OE Organisationsentwicklung OK Organisierte Kriminalität PATVN Polizeiausbildungsstelle für Technik und Verkehr PE Personalentwicklung PFA Polizei-Führungsakademie PI Polizeiinspektion PK Polizeikommissariat 370 Abkürzungsverzeichnis PKS Polizeiliche Kriminalstatistik PM Public Management PSt. Polizeistation POR Polizeioberrat S Schutzpolizei SB Selbstbedienung SKB Stress- und Konfliktbewältigung SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StPO Strafprozessordnung SWD Sozialwissenschaftlicher Dienst TQM Total Quality Management vgl. vergleiche WA Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft der Universität Hannover WPM Wirkungsorientiertes Polizei Management z.B. zum Beispiel zit. zitiert ZD 1 Zentraler Dienst 1 ZKD Zentraler Kriminaldienst 371 Veröffentlichung von Teilen der Dissertation vorab Veröffentlichung von Teilen der Dissertation vorab Teile der Dissertation sind unter folgender Zitation vorab veröffentlicht worden und im Literaturverzeichnis aufgeführt: DRILLER, U. (2001): Führungskräfte als Personalentwickler. In: Polizei & Wissenschaft, Heft 1, 39–58 DRILLER, U. (2002): Führungskräfte als Personalentwickler. Evaluation einer Qualifizierungsmaßnahme in der Niedersächsischen Polizei. In: M. Bornewasser (Hrsg.): Empirische Polizeiforschung III, Herbolzheim, Centaurus Verlag, 178–193. DRILLER, U. (2002): Tatort Polizei: Gestalter statt Verwalter in der öffentlichen Verwaltung? In: Gruppendynamik und Organisationsberatung, 33. Jg., Heft 2, 149–173. Ulrich Driller 372 Erklärung Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig und ohne unerlaubte Hilfsmittel angefertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden. Ulrich Driller