1 [Vorarbeit zu einem Kapitel in: Krause-Vilmar,D.: Das Konzentrationslager Breitenau. Ein staatliches Schutzhaftlager 1933/34. Marburg 1998, 2. Aufl. 2000] Das Konzentrationslager Breitenau in der zeitgenössischen Presse (1933/1934) Die Berichterstattung in der zeitgenössischen Tagespresse über die frühen Konzentrationslager ist zwar bekannt1, jedoch noch nicht Gegenstand näherer Untersuchung geworden.2 Über fast alle frühen Konzentrationslager ist öffentlich berichtet worden.3 Die 1 Z.B. Klaus Drobisch/ Günther Wieland, 88-94. - Erich Kosthorst/ Bernd Walter, Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Dritten Reich. Beispiel Emsland. Band 1, Düsseldorf 1983, 249-271. - Hans-Günther Richardi, Schule der Gewalt. Die Anfänge des Konzentrationslagers Dachau 1933-1934. Ein dokumentarischer Bericht. München 1983, 37, 44 ff., 59 ff. u.a.m. 2 Als erste Unterschung: Klaus Drobisch: Zeitgenössische Berichte über Nazikonzentrationslager 1933-1939. In: Jahrbuch für Geschichte 26 (1982), 103-133. 3 Für das andere hessische frühe Konzentrationslager Osthofen scheint charakteristisch gewesen zu sein, daß neben einem größeren Bericht vor allem bei der Einlieferung prominenter Schutzhaftgefangener in der Presse berichtet wurde. Paul Grünewald, Das KZ Osthofen, in: Eike Hennig (Hg.), Hessen unterm Hakenkreuz. Studien zur Durchsetzung der NSDAP in Hessen. Frankfurt 1983, 503 ff.; Fehler! Textmarke nicht definiert.Paul Grünewald, KZ Osthofen. Material zur Geschichte eines fast vergessenen Konzentrationslagers. Frankfurt a.M. 1979, 54-69. - Zur Einrichtung des KZ Dachau gab es eine Presseerklärung des Münchner Polizeipräsidenten Heinrich Himmler, der diejenige von Pfeffers (s.u.) ziemlich nahe kam. Die "Notwendigkeit" und das Temporäre dieser Lager wurden herausgestellt (Münchner Neueste Nachrichten vom 21.3.1933. Zitiert nach dem Katalog: Fehler! Textmarke nicht definiert.Konzen- trationslager Dachau 1933-1945. 6. Auflage 1978, 44.). Ähnlich dicht bleibt die Presseberichterstattung über das KZ Dachau. Vgl.: Konzentra- tionslager Dachau, a.a.O., 43 ff. u. 80; sowie Fehler! Textmarke nicht definiert.Richardi, Das Konzentrationslager Dachau, a.a.O., 37, 44 ff., 59 ff. u.a.m. - Ähnlich auch die Presseerklärung anläßlich der Gründung der Emslandlager (Fehler! Textmarke nicht definiert.Kost- horst/Walter, a.a.O., 67). Auch hier erschienen die größeren Berichte unmittelbar bei der Gründung des Lagers. Elke Suhr berichtet über eine dichte Presseinformation zu den Emslandlagern im Juni, Juli und August 1933, die viele Parallelen (Zynismus, Drohung, Abschreckung) mit der Berichterstattung über Breitenau aufweist. Elke Fehler! Textmarke nicht definiert.Suhr/ Werner Boldt, Lager im Emsland 1933-1945. Geschichte und Gedenken. Oldenburg 1985, 13 f. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. 2 Monographien zu den frühen Konzentrationslagern gehen auf die Darstellung in der zeitgenössischen Presse in der Regel nur am Rande ein. Eine Ausnahme bilden Drobisch/Wienand und Sösemann/ Schulz, die auf dieses Thema näher eingehen.4 Diese Zurückhaltung ist deshalb erstaunlich, weil sich mit Hilfe der Analyse der Ta- geszeitungen wichtige Fragen der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung der Konzentrationslager klären lassen. Zuerst stellt sich die Frage nach dem Informationsgehalt der Meldungen: wurde über die Einrichtung des Lagers, die Arbeit der Gefangenen, die Haftgründe und über Ereignisse im Lager berich- tet? Lassen sich Motive und Absichten der Berichterstattung feststellen? Schwierig zu klären ist, ob bereits im Sommer 1933 in der "bürgerlichen" Presse - diejenige der politischen Linken ist bereits verboten und enteignet - eine parteilich-staatliche Steuerung der Berichterstattung nachweisbar ist5. Zur redaktio- nellen Darstellung in den Zeitungen ist zu fragen, ob die Nach- richt wie andere Meldungen auch, sozusagen "alltäglich", mit- geteilt wurde, oder ob es Spuren von Distanz, Nicht-Einver- ständnis, Erschrecken oder gar von Widerspruch gab. Hat man sich in den Redaktionen auf die Wiedergabe amtlicher Presseverlaut- barungen beschränkt oder hat man selbst begonnen, gar vor Ort, zu recherchieren? Und schließlich: Was konnten die Zeitgenossen - auf der Grundlage der öffentlichen Berichterstattung in den Zeitungen - über die frühen Konzentrationslager wissen?6 4 Drobisch/Wieland, a.a.O., 88 - 94 ("NS-Veröffentlichungen"). - Bernd Sösemann/ MichaelSchulz: Nationalsozialismus und Propaganda. Das Konzentrationslager Oranienburg in der Anfangsphase totalitärer Herrschaft. In: Günter Morsch (Hg.): Konzentrationslager Oranienburg. Berlin 1994, 78-94. 5 Im allgemeinen wird das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 als erste greifbare Zäsur angenommen. Vgl. Karl-Dietrich Abel, Presse- lenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der nationalsozialistischen Zeit. Berlin 1968, 29ff. Die Aktivitäten des neu geschaffenen Reichspropagandaministeriums (vor allem die Anweisungen der Reichspressekonferenz) und der ihm unterstellten Gau- propagandaämter setzten allerdings bereits im März 1933 ein; vgl. Jür- gen Hagemann, Die Presselenkung im Dritten Reich. Bonn 1970, 25 ff. Und die Presseberichterstattung über die Annahme des sog. Ermächtigungsgesetzes (Ende März 1933) war bereits von einer - im Vergleich mit der Berichterstattung zum Reichstagsbrand knapp vier Wochen zuvor - erheblich gesunkenen Meinungsvariabilität gekennzeich- net; vgl. Karl-Ludwig Günsche, Phasen der Gleichschaltung. Stichtags- Analysen deutscher Zeitungen 1933-1938. Osnabrück1970, 38. 6 Früh ist darauf hingewiesen worden, daß sogar Leser regionaler Zei- tungen (hier: in Eutin) "über die Existenz anderer Konzentrationslager 3 und - wenn auch verschönernd - das Regiment in ihnen (z.B. in Dachau, Oranienburg, Sonnenburg) [...] regelmäßig informiert" wurden. Stokes, KZ Eutin, 584. 4 Die Berichterstattung über Breitenau wurde hauptsächlich von drei regionalen Tageszeitungen getragen, von denen zwei in Kassel und eine in der damaligen Kreisstadt Melsungen erschienen.7 Zu be- stimmten Ereignissen wurden die ebenfalls in Kassel erschienenen "Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Neuesten Nachrichten" herangezogen. Als deutlich wurde, daß sich die Berichterstattung im wesentlichen auf den Zeitraum der Einrichtung des Lagers (Mitte Juni 1933) erstreckte und in den folgenden Monaten nur noch gelegentlich kleine Meldungen auftauchten, wurden alle er- reichbaren Tageszeitungen, die im Jahre 1933 im Regierungsbezirk Kassel erschienen sind, einbezogen.8 7 Es handelt sich um das "Fehler! Textmarke nicht definiert.Melsunger Tageblatt" 5 (1933) sowie um die beiden in Kassel erschienenen Tageszeitungen "Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Post" 51 (1933); 52 (1934) [Auflage im J. 1931: 36.000] und "Hessische Volkswacht" 4 (1933); 5 (1934) [NSDAP-Organ] (ab 1.9.1933 unter dem Namen "Fehler! Textmarke nicht definiert.Kurhessische Landeszeitung"). - Die drei Zeitungen wurden über die Zeit des Bestehens des Lagers hinaus (vom 1.5.1933 bis zum 31.3.1934) durchgesehen. Von der Kurhessischen Landeszeitung 5 (1934) standen mir folgende Aus- gaben nicht zur Verfügung: Nr. 15 - 22 (15. - 22. 1. 1934); Nr. 28 - 46 (28. 1. - 15. 2. 1934); Nr. 48 - 67 (17 .2. - 12. 3. 1934) und Nr. 69 - 94 (14. 3. - 15. 4. 1934). 8 Die folgenden Zeitungen wurden in der Zeit vom 15. Juni 1933 bis 15. Juli 1933 durchgesehen und auch außerhalb dieses Zeitrahmens zu be- stimmten Ereignissen (Weihnachtsamnestie, Auflösung des Lagers) herangezogen: Bebraer Nachrichten. Mittagszeitung. Täglicher Anzeiger (1933) - Bebra- er Tageblatt. Bebraer Tageszeitung 28 (1933) [Auflage im J. 1931: 3.125] - Borkener Zeitung 8 (1933) - Carlshafener Zeitung (1933) - Eschweger Tageblatt. Eschweger Kreisblatt 85 (1933) [Auflage im J. 1931: 9.134] - Eschweger Zeitung 52 (1933) - Frankenberger Zeitung 64 (1933) - Fritzlarer Kreis-Anzeiger 71 (1933) [Auflage im J. 1931: 1.550] - Fuldaer Zeitung 60 (1933) [Auflage im J. 1931: 14.000] - Fulda-Werra-Zeitung (Eschwege) (1933) - Gelnhäuser Anzeiger [NSDAP- Organ] (1933) - Gelnhäuser Tageblatt (1933) - Tageszeitung für den Kreis Gelnhausen (1933) - Gudensberger Zeitung 28 (1933) [Auflage im J. 1931: 980] - Hanauer Anzeiger. General-Anzeiger für Hanau Stadt und Land 208 (1933) [Auflage im J. 1931: 15.500] - Hanauer Rundschau (Langenselbold) (1933) - Hersfelder Tageblatt. Hersfelder Kreisblatt 83 (1933) - Hessische Rundschau. Kirchhainer Zeitung (1933) [Auflage im J. 1931: 2.200] - Hessischer Kurier. Tageszeitung für Niederhessen, Oberhessen und Waldeck. Kassel (1933) - Hofgeismarer Zeitung 67 (1933) [Auflage im J. 1931: 2.800] - Homberger Zeitung 6 (1933) - Homberger Kreisblatt 65 (1933) [Auflage im J. 1931: 2.120] - Kasseler Neueste Nachrichten . Hessische Abendzeitung 23 (1933) [Auflage im J. 1931: 35.000] - Neustädter Zeitung 5 (1933) - Niederhessische Zeitung (Zierenberg) 22 (1933) [Auflage im J. 1931: 1.340] - Oberhessische 5 Zeitung. (Marburg) 68 (1933) - Rotenburger Tageblatt 77 (1933) [Auflage im J. 1931: 1.500] - Schlüchterner Zeitung (1933) - Schwalm-Bote. (Treysa) 36 (1933) - Tageblatt für Kurhessen und das angrenzende Thü- ringen und Sachsen. (Eschwege) (1933) - Thüringer Hausfreund. (Schmalkalden) (1933) - Waldeckische Landeszeitung 47 (1933) -[Auflage im J. 1931: 7.500] - Waldeckischer Anzeiger. Arolser Tagblatt, Corbacher Post 6 (1933) - Werra-Bote (Bad Sooden-Allendorf) (1933) [Auflage im J. 1931: 2.250] - Witzenhäuser Kreisblatt und Tageblatt 65 (1933) [Auflage im J. 1931: 2.500] - Wolfhager Kreisblatt (1933) - Ziegenhainer Zeitung (1933) [Auflage im J. 1931: 1.500]. - Die Spangenberger Zeitung [Auflage im J. 1931: 1.100], die Wildunger Zeitung, das Hünfelder Kreisblatt [Auflage im J. 1931: 2.350], das Gersfelder Kreisblatt, die Waldecksche Zeitung (Bad Wildungen) und der Fulda-Eder-Bote. (Körle) (1933) standen uns wegen "fehlender Originale" bei der Verfilmung nicht, die Hersfelder Zeitung nur teilweise zur Verfügung. - Zur Auflagenhöhe der zeitgenösssischen Zeitungen vgl. die Selbstangaben bei: Fehler! Textmarke nicht definiert.Sperlings Zeitschriften- und Zeitungs-Adreßbuch. Handbuch der deutschen Presse. Die wichtigsten deutschen Zeitschriften und politischen Zeitungen Deutschlands, Österreichs und des Auslands. 57. Ausgabe. Leipzig 1931 und 59. Ausgabe. Leipzig 1935. - Vgl. auch: Kurhessische und wald- eckische Zeitungen bis 1945 in Mikroform. Verfilmte Zeitungsbestände in der Universitätsbibliothek Marburg, der Gesamthochschulbibliothek Kassel und der Landesbibliothek Fulda. Ein Katalog (=Schriften der Universitätsbibliothek Marburg, Bd. 60; Hessische Forschungen zur ge- schichtlichen Landes- und Volkskunde, Bd. 24). Marburg und Kassel 1992. 6 Zur Berichterstattung über die Planung des KZ Breitenau Die Berichterstattung in der zeitgenössischen Presse über das Konzentrationslager Breitenau zwischen dem 15. Juni und dem 15. Juli 1933 umfaßte 49 Meldungen, Berichte oder Artikel. Sie reich- te von kleinen Nachrichten über Zweispalter bis hin zu großen dreispaltigen Berichten; sie durchzog die gesamte nordhessische Presselandschaft. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Raum Kassel und zeitlich in der Gründungsphase des Lagers, den Tagen zwischen dem 15. und 25. Juni 1933. Bereits einen Tag vor der Einrichtung des Konzentrationslagers Breitenau, am 15. Juni 1933, erschienen die ersten Meldungen über die Planung des Lagers. Sie wurden gleichzeitig in vier Tageszei- tungen veröffentlicht: in der "Kasseler Post", in der "Hessischen Volkswacht" (NSDAP), im "Melsunger Tageblatt" und in der in Zierenberg, einer Gemeinde im Kreis Wolfhagen bei Kassel, er- schienenen "Niederhessischen Zeitung". Bevor wir uns der Darstellung Breitenaus in der Presse zuwenden, sollen die beiden erwähnten Kasseler Tageszeitungen knapp charakterisiert werden.9 Die deutsch-nationale "Kasseler Post" hatte mit der "nationalen Revolution" Hitlers sympathisiert und dieser in Kassel die Wege geebnet. In ihrem Kampf gegen den demokratischen Weimarer Rechtsstaat10 und in dem kampagnen- ähnlichen Anfeinden des Kasseler pazifistischen Studienrats Hein Herbers11 hatte diese Haltung beispielhaft ihren Ausdruck gefun- den. Gleichwohl blieb sie in der Sicht des Nationalsozialismus 9 Fehler! Textmarke nicht definiert.Lothar Döhn, Presse und Nationalsozialismus in Kassel, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945. Band 2: Studien. Hrg. v. Wilhelm Frenz, Jörg Kammler u. Dietfrid Krause-Vilmar. Fuldabrück 1987, 58 - 95. 10 Die "Kasseler Post" verfaßte z.B. unmittelbar nach dem Staats- streich v. Papens, die die Absetzung der demokratischen Spitzenbeamten auch in Kassel zur Folge hatte - der Oberpräsident der Provinz Hessen- Nassau August Haas und der Polizeipräsident in Kassel Dr. Adolf Hohen- stein wurden sofort entlassen - einen hämischen Bericht unter der bezeichnenden Überschrift: "Haas und Hohenstein im Ruhestand. Das 'System' hat in Kassel und Hessen-Nassau endlich ausgewirkt". Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Post Nr. 200 vom 22.7.1933 - Döhn erinnert an die unter dem Titel "Philippopel" in der "Kasseler Post" veröffentlichten Herabsetzungen Philipp Scheidemanns, die mit sach- licher Kritik nichts gemeinsam hatten. 11 Fehler! Textmarke nicht definiert.Volksgemeinschaft und Volksfeinde I, 38 - 45. 7 eine "bürgerliche" Zeitung. Die seit 1930 erscheinende "Hessische Volkswacht" war eine ausgesprochene Parteizeitung, die Gauzeitung der NSDAP im Gau Kurhessen, die den politischen Kampf mit publizistischen Mitteln fortsetzte. Diese waren antisemitische Hetze, Verächtlichmachen des politischen Gegners und triumphale Berichte über den fortschreitenden Sieg der eigenen "Bewegung". Journalistisch war die Zeitung, die überwiegend als Agitations- mittel dienen sollte (ein Teil der Auflage wurde kostenlos ver- teilt), bis zum Jahre 1932 schlecht gemacht. Dann wurde sie bei der Fa. Pillardy (Kassel) hergestellt, was drucktechnisch zur Verbesserung führte. Seit Mitte 1933, spätestens seit der Umbe- nennung in "Kurhessische Landeszeitung" (1.9.1933) war sie "nach rein äußerlichen Merkmalen als vollwertige Tageszeitung anzuse- hen".12 Die "Kasseler Post" meldete am 15. Juni 1933 unter der Über- schrift "Breitenau wird Konzentrationslager": "Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, soll der Plan, der Erziehungsanstalt Breitenau (Bezirk Kassel) ein Konzentrationslager anzuschließen, demnächst zur Durchführung gelangen. Und zwar soll eines der beiden Anstaltsgebäude zur Aufnahme von Schutzhäftlingen benutzt werden, um das Kasseler Polizeigefängnis zu entlasten. Wir kommen demnächst auf diese Angelegen- heit noch zurück."13 Diese erste Meldung ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Zum einen verweist sie indirekt auf den Begründer des Lagers, den Polizeipräsidenten Fritz von Pfeffer. Da er die Einrichtung des Lagers initiiert hatte, kann mit der "unterrichtete[n] Seite" niemand anders als er oder seine Behörde gemeint sein. Er muß die Presse informiert haben, da nichts in der Meldung dafür spricht, daß es sich um eine recherchierte Eigenleistung der Zeitung gehandelt hat. Die Voranstellung "Wie wir ... erfahren" verstärkt den Eindruck, daß die Zeitung eine Nachricht, die sie zu dem Zweck der Veröffentlichung erhalten hat, wiedergegeben hat. 12 Fehler! Textmarke nicht definiert.Lothar Döhn, Presse und Nationalsozialismus, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde 2,58-95 (hier: 65).(im folgenden zitiert: Döhn. Presse und Nationalsozialismus) 13 Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Post Nr. 163 vom 15.6.1933. - Der Begriff "Konzentrationslager" ist im Original gesperrt gedruckt. 8 Zum andern handelte es sich um die Ankündigung der Errichtung eines Lagers, die bereits am Tage der Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen dem Polizeipräsidenten und dem Grundstücks- eigner, dem Landeshauptmann in Hessen, veröffentlicht wurde. Die ersten Schutzhaftgefangenen trafen in Breitenau erst am folgenden Tag ein. Von Pfeffer hatte es mit der Presseverlautbarung eilig. Schließlich erscheint der Begriff der Erziehung hier bemerkenswert. Er taucht bei vielen frühen Konzentrationslagern auf, zumeist durchsichtig demgogisch oder zynisch. Die Be- zeichnung Erziehungsanstalt für die Landesarbeitsanstalt war zwar vertretbar, gleichwohl für den zeitgenössischen Sprachgebrauch dem Arbeitshaus gegenüber ungewöhnlich. Kam es von Pfeffer dabei darauf an, eine erzieherische Seite im Unterschied etwa zur "Straf"-seite, zu Willkür und Gesinnungsjustiz, wie sie für das Instrument der Schutzhaft charakteristisch waren, öffentlich besonders hervorzuheben? Einer solchen Tendenz entspräche auch die Ausdrucksweise, das KZ würde der Erziehungsanstalt "ange- schlossen" - gleichsam als erweiterte Erziehungsabteilung in ein unumstrittenes regionales Institut integriert: selbst eines der beiden Anstaltsgebäude könne benutzt werden. Schließlich fügte die Meldung noch ein rationales Motiv an, das eine reale Grundla- ge hatte: das Polizeigefängnis sei überfüllt und müsse entlastet werden. Alles in allem also doch keine beiläufige Meldung, sondern eine um Verständnis werbende, rational argumentierende und zugleich - verharmlosende Nachricht, die wohl kalkuliert erscheint. In der Tat gab es im Juni 1933 für die Polizeiführung in Kassel Anlässe genug für Strategien der Verharmlosung, Rechtfertigung und Beruhigung. Zum einen war der von äußerster Brutalität gekennzeichnete Märzterror von SA und SS, - besonders die Miß- handlungen politischer Gegner in den "Bürgersälen" und im "Was- sersporthaus" und der Tod des bekannten von Roland Freisler persönlich verfolgten Rechtsanwalts Dr. Max Plaut - in Kassel nicht geheim geblieben.14 Bereits die ersten größeren Berichte in Kasseler Tageszeitungen über Schutzhaftmaßnahmen im April 1933 waren von dem Bemühen um Rechtfertigung und Erklärung gekenn- zeichnet. Nach dem Wüten des Märzterrors waren die neuen Regierungs- und Amtsinhaber daran gegangen, eine "Schadensbegren- zung" vorzunehmen. Die Kasseler SA-Standarte 83 und die NSDAP- Kreisleitung hatten eine Baracke als Schutzhaftstelle eingerich- 14 Krause-Vilmar, Hitlers Machtergreifung in der Stadt Kassel, 13- 36, hier 24-30 ("Der Sturmlauf zu den Hebeln der Macht im März 1933"). 9 tet und deren Aufgabe so dargestellt, als wäre es darum gegangen, "im amtlichen Auftrag den Schutz aus[zu]üben, der jedem Deutschen und jedem in Deutschland Lebenden gewährt wird."15 Zum andern hat es Gegenwehr der Schutzhaftgefangenen und solidarische Aktionen gegeben. Der "Hessischen Volkswacht" war zu entnehmen, daß in Kassel von Seiten der Kommunisten Handzettel verteilt worden waren, - also eine öffentliche Aktivität! - in denen gegen die Behandlung der politischen Schutzhaftgefangenen protestiert worden war, und daß es Aktivitäten und Gegenwehr kom- munistischer Schutzhaftgefangener gegeben habe.16 15 Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Neueste Nachrichten Nr. 82 vom 5.4.1933 ("Eine Schutzhaftstelle"). 16 Fehler! Textmarke nicht definiert.Hessische Volkswacht Nr. 136 vom 13.6.1933. 10 Bereits im März war es von Pfeffer darum gegangen, - damals war er noch nicht Polizeipräsident, sondern SA-Gruppenführer und Stabsführer der Generalinspektion der SA und SS - eine Ein- schränkung "unmotivierter" SA- und SS-Terrormaßnahmen zu erreichen. Der Kommissar für Hessen und Hessen-Nassau, von Ulrich, hatte sich scharf gegen Ausschreitungen, willkürliche Verhaftungen und Mißhandlungen von SA-Männern gewandt. Sein Stellvertreter von Pfeffer hatte einen Sturmbannführer und zwei Adjutanten eingesetzt, um permanent die Ordnung in den SA-Heimen und -Wachen zu überprüfen. Erst nach diesem disziplinarischen Eingreifen beruhigte sich die Situation in Kassel etwas.17 Diese Vorgänge vom März 1933 werfen ein Licht auf das Motiv für die Einrichtung des Konzentrationslagers Breitenau: durch ein "geord- netes" Lager nämlich den "wilden" Terror von SA und SS ein- zuschränken. Nahezu wortgleich mit der Meldung der "Kasseler Post" berichteten am selben Tage das "Melsunger Tageblatt"18, die "Niederhessische Zeitung"19 und die "Hessische Volkswacht"20 über den Plan der Ein- richtung eines Konzentrationslagers in Guxhagen. Es fällt auf, daß der Bericht in der "Hessischen Volkswacht", die ebenfalls am 15. Juni die Einrichtung des Lagers ankündigte, sich durch einen polemisch-gehässigen Ton erheblich von den bislang erwähnten Meldungen unterschied. Die Überschrift "Marxistische Schutzhäftlinge werden konzentriert" war von politischem Feinddenken bestimmt. Nur in dieser Zeitung findet sich der zyni- sche Hinweis zu den Schutzhaftgefangenen, daß in Breitenau ihre "bisher größtenteils brachliegende Arbeitskraft nutz- bringender Beschäftigung zugeführt werden wird."21 17 Fehler! Textmarke nicht definiert.Wilhelm Frenz, Der Aufstieg des Nationalsozialismus in Kassel 1922 bis 1933, in: Wolf, Werner / Peter, Antonio (Hg.): Als es mit der Freiheit zu Ende ging. Studien zur Machtergreifung der NSDAP in Hessen. Wiesbaden 1990, 21-64 (hier: 56 ff.). 18 Fehler! Textmarke nicht definiert.Melsunger Tageblatt Nr. 137 vom 15.6.1933. 19 Niederhessische Zeitung Nr. 71 vom 15.6.1933 unter der Überschrift "Breitenau wird Konzentrationslager". 20 Fehler! Textmarke nicht definiert.Hessische Volkswacht Nr. 138 vom 15.6.1933. 21 Ebenda. 11 Es überrascht nicht, daß sich der Hinweis auf eine "Erziehungsan- stalt", der mit dem Konzentrationslager eine weitere Abteilung "angeschlossen" werde, in der "Hessischen Volkswacht" nicht findet. Die "Hessische Volkswacht" verfügte offenbar über weitere Informationsquellen. Denn sie teilte als erste etwas über die Schutzhaftgefangenen in Breitenau mit. Es handele sich bei ihnen "um insgesamt etwa 40 Schutzhäftlinge aus dem Kasseler Stadt- gebiet", die bislang im Polizeipräsidium und "in Wehlheiden"22 [Strafanstalt in Kassel] untergebracht waren. 22 Ebenda. 12 Innerhalb der nächsten drei Tage berichteten weitere zwölf Tages- zeitungen aus Nordhessen, überwiegend aus der Umgebung von Kassel, in ähnlicher Weise wie die "Kasseler Post" über den Plan der Gründung eines KZ Breitenau. Drei von ihnen bezogen sich aus- drücklich auf sie als Quelle23; bei den anderen neun ist anzuneh- men, daß sie sich ebenfalls auf sie bezogen haben, da die Meldun- gen im Wortlaut nahezu identisch sind.24 Wieder tauchte die "Erziehungsanstalt" auf, der das Lager "angeschlossen" werde; eines der Anstaltsgebäude werde genutzt und das Kasseler Polizeipräsidium werde "entlastet". Als weiteres Indiz für die Annahme, die "Kasseler Post" sei der Informant gewesen, mag man die Tatsache ansehen, daß sich in keiner dieser Meldungen auch nur eine der für den Bericht in der "Hessischen Volkswacht" cha- rakteristischen Informationen und Meinungen (daß es sich um marxistische Gefangene gehandelt habe; daß einige von ihnen aus der Strafanstalt Wehlheiden kamen; der Hinweis auf die vermeint- lich "brachliegende" Arbeitskraft) findet. Zusammenfassend: Über den Plan der Gründung des Konzentrations- lagers Breitenau haben 16 Tageszeitungen aus dem Regierungsbezirk Kassel in einer knappen Notiz berichtet. Sie haben fast alle den Wortlaut der "unterrichteten Seite" wiedergegeben. Die Meldungen wurden fast überwiegend in die Spalte "Aus der Heimat" eingerückt - neben anderen Neuigkeiten von allgemeinem Interesse, auch (wenngleich keineswegs nur) zwischen trivialen oder ephemeren Neuigkeiten.25 Unter diesen 16 Zeitungen waren neben Kassel, dem 23 Frankenberger Zeitung Nr. 138 vom 16.6.1933 ( "Wie die 'Kasseler Post' zu berichten weiß ..."); Fuldaer Zeitung Nr. 138 vom 18.6.1933 ("Wie die 'Kasseler Post' erfährt ..."); Gelnhäuser Tageblatt Nr. 138 vom 16.6.1933 ("Wie die 'Kasseler Post' erfährt,..."). 24 Bebraer Nachrichten Nr. 139 vom 16.6.1933; - Bebraer Tageblatt Nr. 140 vom 17.6.1933; - Eschweger Tageblatt Nr. 138 vom 16.6.1933; - Fritzlarer Kreis-Anzeiger Nr. 72 vom 17.6.1933; - Gudensberger Zeitung Nr. 48 vom 17.6.1933; - Homberger Kreisblatt Nr. 138 vom 16.6.1933; - Rotenburger Tageblatt Nr. 139 vom 17.6.1933; - Tageblatt für Kurhessen und das angrenzende Thüringen und Sachsen Nr. 138 vom 17.6.1933; - Waldeckische Landeszeitung vom 16.6.1933. 25 In der "Gudensberger Zeitung" z.B. ist die Meldung über den Plan der Gründung eines KZ in Guxhagen zwischen der Nachricht über einen Ministererlaß zum Thema "Unberechtigtes Tragen von Kriegsauszeichnungen und Ehrenzeichen" und der Nachricht von der Verschiebung des nationalsozialistischen Flugtags "Bomben auf Kassel" wiedergegeben. Auch die beiden sich anschließenden Meldungen verdeutlichen, daß es sich in dieser Rubrik um Neuigkeiten "quer durch die Heimat" - und nicht nur um Alltägliches oder Untergeordnetes - gehandelt hat: die Selbsttötung einer Frau aus Kassel wird gemeldet; dann wird auf die 13 Sitz des Regierungspräsidenten, die damaligen Kreisstädte Bebra, Eschwege, Frankenberg, Fritzlar, Fulda, Homberg, Melsungen und Rotenburg vertreten, darüberhinaus noch Zeitungen aus den größe- ren Gemeinden Gudensberg und Zierenberg. Sämtliche 16 Berichte sprechen unmißverständlich - z.T. sogar mit Hervorhebung im Druck - vom "Konzentrationslager". Kassel und die nähere Umgebung - Berichte in den Zeitungen aus Hofgeismar, Treysa, Witzenhausen und Wolfhagen haben sich nicht gefunden (Meldungen aus Hofgeismar und Witzenhausen sollten eine Woche später folgen) - hatten die Information aufgegriffen und veröffentlicht. Weihe des "Messerschmidt-Hauses", bei der Gauleiter Weinrich eine Rede halten wird, hingewiesen. - Gudensberger Zeitung Nr. 48 vom 17.6.1933. Presseerklärung und Führung in Breitenau Nach dieser ersten Information in der Presse folgte eine knappe - Woche nach Gründung des Lagers, am Donnerstag, den 22. Juni 1933, eine ausführliche Presseverlautbarung des Kasseler Polizeipräsi- denten. Diese Presseerklärung war mit einem Besuch des Lagers durch Journalisten verbunden. 14 "Auf Einladung des Polizeipräsidenten zu Kassel besichtigten gestern Vertreter der Kasseler Presse das Konzentrationslager."26 17 Tageszeitungen im Regierungsbezirk Kassel - darunter auch einige "Amtliche Anzeiger" -griffen diese Presse- erklärung auf und arbeiteten sie teils im Wortlaut, entweder in verkürzter Form oder in einem größeren Bericht eines Redakteurs vor Ort, der bei der Presse- führung in Breitenau anwesend war, ein.27 Sogar eine 26 Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Post Nr. 171 vom 23.6.1933. 27 Bebraer Tageblatt Nr. 146 vom 24.6.1933 - Eschweger Tageblatt Nr. 144 vom 23.6.1933 - Eschweger Zeitung Nr. 145 vom 24.6.1933 - Frankenberger Zeitung Nr. 145 vom 24.6.1933 - Fritzlarer Kreis-Anzeiger Nr. 75 vom 24.6.1933 - Gudensberger Zeitung Nr. 50 vom 24.6.1933 - "Das Konzentrationslager Breitenau", in: Hanauer Rundschau Nr. 145 vom 24.6.1933 - "Im Konzentrationslager Breitenau. Kasseler Schutzhäftlinge 15 - Zwei Gruppen - Verpflegung und Beschäftigung", in: Hersfelder Zeitung vom 24.6.1933 - Homberger Kreisblatt Nr. 144 vom 23.6.1933 - Hofgeisma- rer Zeitung Nr. 146 vom 26.6.1933 - Homberger Kreisblatt Nr. 146 vom 26.6.1933 - "Das Konzentrationslager Breitenau - Sie können sich nicht beklagen. Besuch im Konzentrationslager", in: Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Neueste Nachrichten Nr. 144 vom 23.6.1933. - "Eine Stunde unter Schutzhäftlingen. Besuch im Konzentrationslager Breite- nau", in: Fehler! Textmarke nicht definiert.Kasseler Post Nr. 171 vom 16 der größten und angesehensten überregionalen Tageszei- tungen, die "Vossische Zeitung", vermerkte in der Rubrik "Heute neu" die Gründung eines "Konzentrations- lagers bei Kassel"28. 23.6.1933 - "Das Konzentrationslager Breitenau", in: Melsunger Tageblatt Nr. 145 vom 24.6.1933 - Waldeckische Landeszeitung Nr. 145 vom 23.6.1933 - Werra-Bote Nr. 145 vom 23.6.1933 - Witzenhäuser Kreis- blatt Nr. 146 vom 25.6.1933. 28 Vossische Zeitung (Morgenausgabe) vom 22.6.1933. - Andere über- regionale Zeitungen haben diese Nachricht nicht mitgeteilt: Die Deutsche Allgemeine Zeitung (Ausgabe Groß-Berlin) 72 (1933), das Berliner Tageblatt und Handelszeitung 62 (1933), die Münchener Neuesten Nachrichten, die Kölnische Zeitung und die Frankfurter Zeitung vermerk- ten in der Zeit vom 18.6. - 3.7. 1933 - wie übrigens auch der Völkische Beobachter (Norddt. Ausgabe) - nichts zu Breitenau. 17 Von den 16 Zeitungen, die eine Woche zuvor über den Plan der Gründung von Breitenau berichtet hatten, sind sechs nun nicht mehr vertreten. Die "Niederhessische Zeitung", die "Bebraer Nach- richten", das "Rotenburger Tageblatt", die "Fuldaer Zeitung", das "Tageblatt für Kurhessen und das angrenzende Thüringen und Sachsen" und die "Hessische Volkswacht" setzten mithin ihre Berichterstattung zunächst nicht fort. Hierfür muß - bis auf die zuletzt Genannte - keineswegs ein besonderer Anlaß oder Grund vorgelegen haben. In Bebra hatte die zweite Tageszeitung nunmehr zum ersten Male ausführlich berichtet.29 Ähnlich war es in Eschwege, wo statt des "Tageblatts für Kurhessen" nunmehr die "Eschweger Zeitung" einsprang.30 Überraschend ist, daß die "Ful- daer Zeitung" nicht berichtete - stand doch das katholische Fulda in einer kritischen Haltung zum sich etablierenden nationalso- zialistischen Staat; zudem hatte sich die "Fuldaer Zeitung" die erste Information über Breitenau aus der "Kasseler Post" geholt, woraus zu schließen ist, daß der Kasseler Polizeipräsident Fulda nicht informiert hatte, die Zeitung jedoch den Vorgang für so bedeutend hielt, daß sie tätig wurde. Bemerkenswert erscheint weiterhin, daß die "Hessische Volkswacht" über diese Presseerklä- rung des Kasseler Polizeipräsidenten mit keinem Wort berichtet hat. Es ist denkbar, daß von Pfeffer die Richtung der Kasseler Parteipresse nicht ins Konzept der staatlich-polizeilichen Beruhigungspolitik gepaßt hat. Auch der Artikel in der "Hessi- schen Volkswacht", in der von Pfeffers Maßnahmen gegenüber Schutzhaftgefangenen öffentlich bekannt gemacht worden waren31, 29 Bebraer Tageblatt Nr. 146 vom 24.6.1933. 30 Eschweger Zeitung Nr. 145 vom 24.6.1933. 31 Es hieß dort: "Nun hat ja freilich der Polizeipräsident auf Grund einwandfreier Feststellungen, die ergeben haben, daß verschiedene kommunistische Wühlereien der letzten Zeit auf die Initiative der kommunistischen Schutzhäftlinge zurückzuführen sind, diesen den Verkehr 18 dürfte kaum in seinem Sinne gewesen sein. mit der Außenwelt untersagt; [...]" In: Fehler! Textmarke nicht definiert.Hessische Volkswacht Nr. 136 vom 13.6.1933 ("Latrinengerüchte der Kommunisten"). Während sechs Zeitungen nach der polizeilichen Presseerklärung ihre Berichterstattung nicht fortsetzten, meldeten sich sieben andere aus dem Regierungsbezirk Kassel zum ersten Male zum Thema Breitenau zu Wort: es waren dies die "Eschweger Zeitung", die "Hanauer Rundschau", die "Hersfelder Zeitung", die "Hofgeismarer Zeitung", die "Kasseler Neuesten Nachrichten", der "Werra-Bote" und das "Witzenhäuser Kreisblatt". Von den 25 Landkreisen bzw. Städten des Regierungsbezirks Kassel waren von den Kassel näher gelegenen Kreisen Wolfhagen und Ziegenhain und von den weiter entfernten Gelnhausen, Marburg (Stadt und Land), Schmalkalden und Schlüchtern nicht vertreten. Von den dort erschienenen Tageszei- tungen ist über Breitenau im Juni 1933 nicht berichtet worden. Eine Erklärung hierfür können wir nicht geben. Für die Beurteilung der Frage, inwieweit in diesen Städten und Kreisen die Zeitgenossen etwas wissen konnten, ist allerdings zu berück- sichtigen, daß die "Hessische Volkswacht", deren Berichterstat- tung über Breitenau dargelegt wurde, auch in einigen dieser Kreise (z.T. sogar mit eigenem Lokalteil, z.B. in Marburg) erschienen ist. In geringerem Umfang wurde vermutlich in den Kreisen Wolfhagen und Ziegenhain gelegentlich auch eine der großen Kasseler Tageszeitungen abonniert. Im übrigen dürfte - z.B. bei Lehrern, Ärzten, Rechtsanwälten oder besonders politisch Interessierten aller sozialen Schichten - eine der überregionalen Zeitungen (wie die "Frankfurter Zeitung" oder die "Vossische Zeitung") in Nordhessen gelesen worden sein. In den anderen 18 Kreisen bzw. Städten (Kassel, Hanau und Fulda) wurde, - z.T. aus- führlich, z.T. mehrfach und z.T. in Zeitungen aus Altkreisen (wie z.B. Bebra, Homberg) - über das Konzentrationslager Breitenau berichtet. Die Berichte selbst, die nun der Presseerklärung von Pfeffers folgten, waren der Form nach keineswegs einheitlich. 19 Inhaltlich allerdings lassen sich - wenn man von Kürzungen ab- sieht - nur wenig Abweichungen entdecken. Aufgrund der dichten Berichterstattung läßt sich sogar der Wortlaut der polizeilichen Presseerklärung mühelos rekonstruieren. So findet sich folgender Text in der "Frankenberger Zeitung", in der "Hersfelder Zeitung" und in der "Waldeckischen Landeszeitung": "Im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung, aber auch zum Schutz ihrer eigenen persönlichen Sicherheit sind bekanntlich nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler auch in Kassel eine ganze Reihe ehemaliger KPD- und SPD-Führer in Schutzhaft genommen worden. Diese Schutzhäftlinge, insgesamt etwa 40 Personen, waren bisher teils im Polizeipräsidium, zum anderen Teil in der Strafanstalt Wehlheiden untergebracht. Seit Ende vergangener Woche hat man sie nun in ein geschlossenes Lager nach Breitenau übergeführt, das zu besichtigen heute der Kasseler Presse Gelegenheit gegeben war. Das aus dem 12. Jahrhundert stammende Benediktiner- kloster, gegenüber dem Dorf Guxhagen, am Ufer der Fulda gelegen, untersteht als Korrektions- und Landes- pflegeanstalt der Landesverwaltung. In einem schon lange für ähnliche Zwecke benutzten Flügel der alten Wallfahrtskirche bot sich genügend Raum, bis zu 100 Schutzhäftlinge unterzubringen, so daß durch die jetzige Belegung mit 40 Personen die zur Verfügung stehenden Räume bei weitem nicht voll belegt sind, und die Häftlinge reichlich Bewegungsmöglichkeit haben. Die Schutzhaftgefangenen sind in zwei Gruppen einge- teilt. Auf diese Weise hat man die besonders radikalen Elemente von den übrigen getrennt. Im ersten Stock des Hauses steht jeder Gruppe je ein geräumiger Tagesraum zur Verfügung, im zweiten Geschoß liegen die Unter- kunftsräume für die Wachmannschaft, die aus 15 SA- Hilfspolizisten unter Führung eines Polizeihauptwacht- meisters besteht, der dritte Stock enthält zwei große luftige Schlafräume und die Waschräume. Im Erdgeschoß gegenüber dem Wachzimmer liegen die Bade- und Brause- räume, die den Häftlingen in ausgedehntem Maße zur Verfügung stehen. Ein Blick in die Küche und eine Kostprobe aus den großen Kesseln überzeugen von der Qualität und Schmackhaftigkeit des Anstaltsessens, das für die Schutzhäftlinge und die Wachmannschaft wie 20 auch für alle übrigen Insassen des Hauses das gleiche ist. Die Gefangenen entwickeln einen recht gesunden Appetit, der freilich durch ihre Beschäftigung in frischer Luft verständlich ist. Die Arbeit der Leute wickelt sich zum größten Teil auf den ausgedehnten Äckern und Wiesen der Anstalt ab, wo sie mit Heumachen, Rübenhacken usw. beschäftigt werden. Darüber hinaus werden sie zu Wegebauten, Aufforstung, Fruchtbarmachung von Ödland usw. herangezogen, wobei aber besonders bemerkt werden muß, daß es sich stets um Arbeiten handelt, die in keiner Weise dem freien Arbeitsmarkt entzogen werden. Im ganzen gesehen, führen die Schutzhäftlinge in Breitenau ein recht erträgliches Dasein, das zum Teil über dem Niveau dessen liegt, was sie in früheren Zeiten gewohnt waren."32 Die kursiv wiedergegebenen Passagen stellen eine von den Redak- tionen gekürzte Fassung dar; sie findet sich auch im "Eschweger Tageblatt", im "Witzenhäuser Kreisblatt", im "Bebraer Tageblatt", in der "Gudensberger Zeitung", in der "Hanauer Rundschau" (sie gehörten vermutlich alle demselben Maternversand an, wie man dem Druckbild entnehmen muß), im "Melsunger Tageblatt", im "Homberger Kreisblatt" (mit einer unbedeutenden Abweichung zweier Worte; auch diese beiden Zeitungen waren einem Maternversand angeschlossen) und in der "Hofgeismarer Zeitung". Wie wäre diese Übereinstimmung auf Punkt und Komma anders zu erklären als durch eine gemeinsame Textvorlage? Und wer anders als der Kasseler Polizeipräsident - oder einer seiner Untergebenen - könnte nach der Gründungsgeschichte des Konzentrationslagers diese ausge- arbeitet haben? Er hatte Breitenau eingerichtet und Pressever- treter dorthin eingeladen; er wird die Presseerklärung auch an nicht eingeladene Redaktionen mit der Bitte um Abdruck versandt 32 Waldeckische Landeszeitung Nr. 145 vom 23.6.1933; Frankenberger Zeitung Nr. 145 vom 24.6.1933; Hersfelder Zeitung vom 24.6.1933. 21 haben. Von dieser Presseerklärung unterschieden sich sprachlich und inhaltlich die Berichte der beiden Journalisten, die auf der Grundlage eigener Anschauung verfaßt worden waren - sie waren bei der Führung in Breitenau seitens der Kasseler Polizei persönlich zugegen gewesen. Zunächst jedoch zum Inhalt der Presseerklärung selbst. Es handelte sich nicht um eine sachliche Information der Öffentlichkeit durch eine Behörde über bestimmte interessierende Vorgänge. Die Presseerklärung war politisch, weil sie auf eine Wirkung in der öffentlichen Meinungsbildung zielte. Atmosphärisch wurde ein bestimmtes Bild des Lagers gezeichnet; Argumente und Kommentare wurden in rechtfertigender Absicht aufgenommen. In landschaftlich herrlicher Lage ("am Ufer der Fulda gelegen") hat man in einem "ehemaligen Benediktinerkloster" Räume vorgefunden, wo man die ehemaligen KPD- und SPD-Führer sauber und ordentlich bei guter Verpflegung in einem "geschlossenen Lager" unterge- bracht hat. Diese Menschen selbst finden dort ein besseres Le- bensniveau vor als sie - während der Zeit ihrer Arbeitslosig- keit? - gehabt hatten. Sie verrichten nützliche Arbeiten, ohne jemand anderem die Arbeit wegzunehmen. Das Essen ist für alle das gleiche; also auch hier "Gerechtigkeit" und keine Privilegien- wirtschaft. Wieder tauchte der Erziehungsgedanke auf, wenn es hieß, daß die Unterbringung der Gefangenen "in einem schon lange für ähnliche Zwecke benutzten Flügel der alten Wallfahrtskirche [!]" erfolgt ist. Das Bild, das hier entworfen wird, rankt sich um Worte wie "reichlich Bewegungsmöglichkeit", "geräumig", "luftig", "Wasch-, Bade- und Brauseräume" (von denen in ausge- dehntem Maße Gebrauch gemacht werde), "gesunder Appetit", "fri- sche Luft" usw. Da das Lager am 22. Juni noch nicht voll belegt war, gab es sicher Bewegungsmöglichkeit und Platz. Und luftig war es im Hauptgebäude der Anstalt damals gewiß. Die Tatsache, daß diese Schutzhaftgefangenen nur auf Grund einer anderen politi- schen Auffassung, also unschuldig eingesperrt wurden, war freilich in der Presseerklärung kein Thema. Der vage Hinweis auf das "Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung" wie auf "ihre eigene persönliche Sicherheit" sollte ausreichen. Auch Fragen des Umgangs mit den Gefangenen, Praktiken ihrer "Bestrafung", ob z.B. in Breitenau, wie man es von anderen Lagern wußte oder gehört hatte - und wie man es gerade noch in den Straßen der eigenen Stadt erlebt hatte - , die politischen Gegner verhöhnt und verspottet, erniedrigt oder gedemütigt wurden, ob es zu Quälereien und Mißhandlungen kam, wurden nicht thematisiert. Auch 22 ist zu berücksichtigen, daß das Konzentrationslager zum Zeitpunkt des Pressebesuchs noch keine Woche bestanden hat. Unter Gesichts- punkten redlicher Berichterstattung wäre deshalb eine Darstellung der Einrichtung und der Anfänge möglich gewesen; keinesfalls aber lag genug Erfahrung vor, um in derart abschließend positiver Art und Weise die Öffentlichkeit zu informieren. Nun zu den Berichten der beiden in Breitenau anwesenden Journali- sten. Sie finden sich einen Tag nach dem Besuch vor Ort in der "Kasseler Post" und in den "Kasseler Neuesten Nachrichten". Wahrscheinlich waren keine weiteren Journalisten eingeladen worden.33 Der Bericht in den "Kasseler Neuesten Nachrichten" ist mit "gl" unterzeichnet. Er enthält Argumentationen der Rechtfertigung, von denen anzunehmen ist, daß die Auffassung des begleitenden führenden Polizeibeamten den Journalisten gegenüber in den Bericht eingeflossen ist. Zunächst wurde dargelegt, daß das Unterliegen im politischen Kampf bedeuten könne (man habe dann sozusagen "Pech" gehabt), in Gefangenschaft zu geraten. Hätten z.B. die Kommunisten gewonnen, "so wären die Insassen ihrer Konzentrationslager heute wahrscheinlich weit zahlreicher"34. Die in der nationalsozialistischen "Revolution" angewandte Methode der Konzentrationslager sei letztlich die "humane". "Jede Revolution wird die Führer ihrer Gegner irgend- wie ausschalten. Die folgende Methode ist die humane." Unter "irgendwie ausschalten" war folgendes gemeint: "Der Sinn der Inhafthaltung ist in erster Linie natür- lich, während des Aufbaues der neuen Volksgemeinschaft solche Leute fernzuhalten, von denen der National- sozialismus eine erneute Vergiftung der Atmosphäre erwartet." Soweit zu dem unvermeidlich Unangenehmen ("Gefangen zu sein, ist 33 Ganz ausschließen kann man dies auch bei der "Frankenberger Zei- tung" und bei der "Waldeckischen Landeszeitung" nicht. Beide haben den Passus über den Pressebesuch ("das zu besichtigen heute der Presse Gelegenheit war") aufgenommen; Beide melden ausdrücklich von "Kassel, 22. Juni". Und der Bericht in der Frankenberger Zeitung ist mit "W.B." gekennzeichnet. 34 Die folgenden Zitate aus: Kasseler Neueste Nachrichten Nr. 144 vom 23.6.1933. 23 gewiß für niemand schön" - so lautete der erste Satz des Arti- kels). Nun aber zu dem "Positiven". Und dies schien Sinn und Zweck des ganzen Berichts zu sein. Man wolle, so wurde dargelegt, die Leute nicht einfach "in irgendwelchen dunklen Zellen brüten lassen", sondern sie mit Hilfe einer "Arbeitstherapie" wieder auf den rechten Weg bringen. "Man will auch so manchen, der seit Jahren Arbeit nicht mehr gekannt hat, und so sein Geltungsbedürfnis in der politischen Agitation austobte, wieder an die Arbeit gewöhnen und der Natur näherbringen." Unter diesem Gesichtspunkt seien auch die Hilfspolizisten "für den gewiß nicht leichten Umgang mit politisch extrem Anders- denkenden ausgesucht" worden. Das ungestörte Gespräch der Gefangenen mit den Hilfspolizisten sei möglich. Zeitungen (wenn auch nicht die neuesten) stünden zur Verfügung35. "In Zukunft sollen auch Bücher ausgegeben und Vorträge gehalten werden." Von daher ist auch die Überschrift des Artikels folgerichtig: "Sie können sich nicht beklagen." Der Tenor dieser Darstellung war etwa folgender: vorübergehend seien solche Einrichtungen unver- meidlich, man wolle sie aber lieber heute als morgen wieder schließen. Auch die Entlassung Gefangener ("sie [i.e. die Schutzhaftgefangenen] durch Lösung von der Agitationssphäre auf andere Wege bringen zu können") wird als selbstverständlich hin- gestellt. "Auch für die politische Polizei ist das Lager eine an sich unerwünschte Notwendigkeit, und der Staat wird zufrieden sein, wenn er das letzte Konzentrationslager wird auflösen können." 35 Belegen läßt sich, daß ein Gefangener die "Hessische Volkswacht" zu Gesicht bekam. Man hatte von NSDAP-Seite sich sein Blockhaus im Setzebachtal angeeignet, eine Tatsache, die er als Schutzhaftgefangener in Breitenau über die Zeitung erfuhr. Er schrieb von Breitenau aus einen Brief an die Ortspolizei in Oberkaufungen: "In der Sonntags- ausgabe der 'Hessischen Volkswacht' lese ich, daß mein in der dortigen Gemarkung liegendes Wochenendhaus im Setzebachtal polizeilich beschlagnahmt ist ..." (Gemeindearchiv Oberkaufungen XVIII,1/1,17). Besagter Artikel fand sich tatsächlich an angegebener Stelle unter der Überschrift "Ein Kommunistennest ausgehoben" (Fehler! Textmarke nicht definiert.Hessische Volkswacht Nr. 182 vom 5./6.8.1933 [Sonn- abend/Sonntag]). 24 Ungeklärt allerdings bleibt in diesem Bericht, was mit denjenigen geschehen soll, die sich nicht nationalsozialistisch erziehen lassen wollen. War doch in Breitenau eine von zwei Gruppen aus- drücklich nach dem Kriterium gebildet, "ob der Fanatismus jede Einwirkung ausgeschlossen erscheinen und ihren Umgang mit den anderen unerwünscht erscheinen läßt." Was sollte mit ihnen ge- schehen? Vielleicht wurde diese Frage der Polizei in Breitenau nicht gestellt. Der Redakteur der "Kasseler Neuesten Nachrichten" hielt zwei bemerkenswerte persönliche Eindrücke fest; zum einen traf er den ihm offenbar bekannten Kasseler Reichsbannerführer Karl-August Quer; der Berichterstatter schien hier - vielleicht irritiert - für einen Moment seine distanzierte Sprachebene zu verlassen: "Wiedersehen mit Herrn Quer. Ein eigen Ding. Aber er sagt, daß die Behandlung nicht schlecht sei und daß, nachdem er Schachpartner gefunden habe, auch die Lan- geweile sich überwinden lasse." Der Redakteur hat auch in Gesichter in Breitenau geblickt, "die sich abgefunden haben;" auch in "solche, auf die der politische Kampf seinen Stempel geprägt hat." Sowohl in der ganz knapp notierten Begegnung mit Karl-August Quer als auch beim Anblick von Gefangenen, die sich "abgefunden" haben (konnte dies anderes bedeuten als: die resigniert hatten?), schien etwas von der trostlosen Lagerwirklichkeit Breitenaus im Juni 1933 auf. Der zweite größere Bericht über Breitenau war in der "Kasseler Post" und mit Mtzl. (Metzler?) unterzeichnet. Überschrieben war er "Eine Stunde unter Schutzhäftlingen", womit wahrscheinlich realistisch der zeitliche Rahmen des Pressebesuchs in Breitenau festgehalten war. Sprachlicher Ausdruck und Inhalt hatten einen ganz anderen Charakter als der Artikel in den "Kasseler Neuesten Nachrichten". Der aus der Zeit der Weimarer Republik bekannte völkisch-nationalistische Kampagnen-Stil der "Kasseler Post" wurde hier noch gesteigert. Die "Schamröte" steige einem ins Ge- sicht beim Gedanken an Weimar, wo man sich von Menschen, denen "deutsches Denken fremd geworden war", verhöhnen und verspotten lassen mußte usw. usw.36 Und doch war auch hier, selbst in diesen 36 Die folgenden Zitate aus: Kasseler Post Nr. 171 vom 23.6.1933. 25 dreisten Phrasen37, die polizeiliche Presseführung noch zu erkennen, wenngleich diese durch ein Übermaß an nationalsozia- listischen Bekenntnissen konterkariert und von daher in der Wir- kung eingeschränkt wurde. Die polizeiliche Presseführung erkennt man in folgenden Aussagen wieder: Die Häftlinge, so wird auch graphisch hervorgehoben, "haben es gut". Grundsatz in der Behand- lung sei nicht Drill, vielmehr "gegenseitiges Verstehen". Jeder Beschwerde werde genauestens nachgegangen und, so sie berechtigt sei, werde Abhilfe geschaffen. Eine Entlassung sei vorgesehen, wenn der Gefangene künftig auf staatsfeindliche Tätigkeit verzichte. Ebenfalls findet sich in der "Kasseler Post" der Satz, daß Konzentrationslager nicht auf Dauer eingerichtet werden sollen. Die Verpflegung sei reichlich und gut. Zeitungen stünden den Häftlingen zur Verfügung. "Besondere Veranstaltungen im Rundfunk werden durch Lautsprecher im Aufenthaltsraum übertragen. Es ist geplant, durch Vorträge mit anschließender Diskussion die Inhaftierten mit dem Wesen des Nationalsozialismus 37 Die Kasseler Post vertrat die bizarre These, daß die Schutzhaft dazu diene, die Sozialdemokraten und Kommunisten "vor ihren eigenen Genossen zu schützen, die den Verrat und den Betrug, die an ihnen verübt wurden, erkannt hatten"! - Kasseler Post Nr. 171 vom 23.6.1933. 26 genau bekannt zu machen."38 38 Hier griff man eine Praxis aus der Reformära des Arbeitshauses Anfang der 20er Jahre auf, die auch im Arbeitshaus Breitenau eingeführt worden war: die Vorträge. Während man damals aber auf "Erörterungen" eher verzichten wollte, waren nun Diskussionen zur Vertiefung der nat.- soz. Ideologie angezeigt. Vgl. Ayaß, Arbeitshaus Breitenau, 256f. Zusammenfassend können wir festhalten: Auch dieser Bericht läßt trotz des Widerspruchs zwischen amtlicher, auf Beruhigung zielender Redeweise und völkisch-nationalistischer Agitation die Absicht des Kasseler Polizeipräsidenten gegenüber der Öffentlich- keit noch erkennen. Es ist bemerkenswert und bedarf einer Erklärung, daß nach dieser Presseführung am 22. Juni 1933 nicht mehr in größerem Umfange über das Konzentrationslager Breitenau in der Presse berichtet worden ist. Weitere Meldungen Was nun noch bis zum Dezember 1933 folgte, waren kleine Meldungen und Nachrichten, zumeist im Zusammenhang mit Inhaftierungen einzelner Gefangener. Deutlich tritt jetzt das Ziel der abschreckenden Wirkung als Motiv klar hervor; z.B. bei folgender Nachricht: 27 "Eschwege. In Schutzhaft genommen wurden wegen un- gebührlicher Mißhandlung von Lehrlingen die Gebrüder Karl und Gustav G. von hier. Es ist beantragt, die beiden Verhafteten in ein Konzentrationslager zu über- führen."39 Beide waren Fabrikanten, mithin nicht unbekannt in Eschwege; der hier mitgeteilte Haftgrund war nur vorgetäuscht; tatsächlich waren sie aus politischen Gesinnungsgründen verhaftet worden; sie waren Anhänger der Tannenbergbewegung. Sie kamen ins Konzen- trationslager Breitenau. Besonders zynisch war die Berichterstattung bei der Mobilisierung antisemitischer Vorurteile. So wurde in Fulda über die Inhaftierung zweier Geschäftsleute unter der Überschrift "Wir trauern ihnen nicht nach" folgendes gemeldet: "Ergänzend können wir mitteilen, daß die beiden jüdischen Schutzhäftlinge Katz und Cohn Freitag vor ihrer Überführung nach Kassel noch eine letzte 'Ehrenrunde' durch Fulda, dem Ort ihres 'erfolgreichen Wirkens', gaben. Unter treuer Obhut von SS-Männern ging es durch die liebgewordenen Straßen; Manch 'schöne Erinnerung' wird wohl nochmals bei ihnen erwacht sein. Sie hatten sich den Abschied von Fulda sicherlich ganz anders vorgestellt! Auf einem großen Schild, das der Jude Katz trug, wurde den zahlreichen Zuschauern das Vergehen dieser wertvollen 'deutschen Staatsbürger' mitgeteilt [...]"40 39 Homberger Kreisblatt Nr. 198 vom 25.8.1933. (Abkürzung des Nachnamens im Original). 40 Fuldaer Nachrichten vom 2.9.1933, zitiert nach "... werden in Kürze anderweit untergebracht ...". Das Schicksal der Fuldaer Juden im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Hg. v. Gerhard Renner, Joachim Schulz und Rudolf Zibuschka. Fulda 1990, 69. - Ein anderer Artikel zu den beiden in Schutzhaft genommenen Fuldaer Bürgern in derselben Aus- 28 gabe dieser Zeitung trug den Titel "Endlich im Konzentrationslager". 29 Die abschreckende Wirkung dürfte auch bei folgendem Artikel mit der bezeichnenden Überschrift "Sie wandern ins Zuchthaus" im Vor- dergrund gestanden haben: "Es gibt immer noch dumme Menschen, die glauben, heimlich gegen die Regierung arbeiten zu können. Bei Haussuchungen in Heckershausen [...] führten auch Fä- den nach Obervellmar, wo vier Personen, die im kom- munistischen Sinne weiter Propaganda betrieben haben, durch den Oberlandjäger G. verhaftet wurden. [...] Die früheren Kommunisten Walter Leng und Christoph Boerner blieben in Haft. [...]"41 Die Drohung mit "Breitenau" wurde nicht nur gegenüber dem politi- schen Gegner aus der Zeit der Weimarer Republik aufrechterhalten; sie diente auch dazu, der propagierten "sozialen Gerechtigkeit" Nachdruck zu verleihen. So wurde ein Händler, der den Bauern gegenüber mit Zahlungen im Rückstand gewesen sein soll, kurzerhand nach Breitenau eingewiesen. Die öffentliche Darstel- lung dieses Vorgangs sollte diesen an den Pranger stellen, um andere abzuschrecken. "Grüsselbach (Kr. Hünfeld). Der 21 Jahre alte Schwei- nehändler J.H. II von hier hatte in den letzten Monaten einen Schweinehandel angefangen, der einen vielversprechenden Anfang nahm. Das leicht verdiente Geld verleitete ihn aber zu einem leichtsinnigen Le- benswandel und die Bauern bekamen das ihnen zustehende Geld nur nach langem Warten oder überhaupt nicht. Da er damit den Aufbau des Landstandes sabotiert hat, wurde er zunächst in Schutzhaft genommen und jetzt auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei in Kassel in das Konzentrationslager Breitenau überwiesen."42 Im übrigen läßt sich die aufgezeigte Differenz zwischen der Argu- mentationslinie der Polizeiführung und derjenigen der "Hessischen Volkswacht" auch nach dem Juni 1933 beobachten. Während die 41 Fehler! Textmarke nicht definiert.Kurhessische Landeszeitung Nr. 245 vom 18.10.1933. - Die Genannten kamen in das KZ Breitenau. 42 Fehler! Textmarke nicht definiert.Melsunger Tageblatt Nr. 212 vom 11.9.1933. Die Worte "Konzentrationslager Breitenau" sind im Original durch Fettdruck hervorgehoben. 30 Polizei in amtlichem Tonfall Meldungen ausstreut, setzt die "Hessische Volkswacht" ihre zynische Bekämpfung des politischen Gegners fort.43 43 So heißt es dort z.B., daß die Mitte Juli inhaftierten Sozialdemokraten "nun in Breitenau in produktiver Arbeit - vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben - etwas Gutes für ihr Volk tun." Fehler! Textmarke nicht definiert.Hessische Volkswacht Nr. 159 vom 10.7.1933. Unter den so Gescholtenen befanden sich z.B. der ehemalige preußische Landtagsabgeordnete und langjährige Bürgermeister von Nieste Carl Kraft, Bürgermeister Pfannkuch aus Heiligenrode und andere Mandats- träger.Ganz ähnlich auch die beiden Artikel gegen den ehemaligen sozialdemokratischen Bezirkssekretär Karl Herrmann, der auch namentlich "vorgeführt" werden sollte, unter der Überschrift "'Kameradschaft' in der Bonzokratie. Ein Stücklein aus Breitenau." (Fehler! Textmarke nicht definiert.Kurhessische Landeszeitung Nr. 235 vom 6.10.1933) und " 'Kameradschaft' in der Bonzokratie. Im 'Volksblatt' wie in Breitenau." (Fehler! Textmarke nicht definiert.Kurhessische Landeszeitung Nr. 245 31 vom 18.10.1933). 32 Zwei Meldungen waren es noch im Jahre 1933, von denen die eine unzweideutig, die andere vielleicht vom Kasseler Polizeipräsi- denten stammte. Die eine gab die "Bestimmung" Breitenaus zum "Provinzial-Konzentrationslager" bekannt44 - eine an sich ganz unübliche Bezeichnung! Für diese Bezeichnung scheint sich von Pfeffer besonders eingesetzt zu haben; die Meldung liest sich so, als melde er hier einen Erfolg, den er gegenüber Berlin durch- gesetzt hat. In der Tat wird an dieser kleinen Meldung der ganze Horizont eines regional eingerichteten und gegenüber Berlin behaupteten Konzentrationslagers deutlich. Anders als z.B. die Emslandlager, die auf die Initiative des preußischen Innenministeriums zurückgingen, war Breitenau eine regionale Initiative. Von daher überrascht die Assoziation "Provinz" nicht: im eigentlichen Sinne war Breitenau kein preußisches Provinzial- Arbeitshaus, da in der Provinz Hessen-Nassau die beiden Bezirks- Kommunalverbände Kassel und Wiesbaden bestanden.45 Zum andern galt es aus der Sicht von Pfeffers gegenüber der Zentrale Berlin, die Notwendigkeit des Lagers unter regionalen Gesichtspunkten zu begründen. 44 Fehler! Textmarke nicht definiert.Kurhessische Landeszeitung Nr. 248 vom 21./22.10.1933: "Provinzial-Konzentrationslager Breitenau. Wie amtlich bekannt gegeben wird, ist das Konzentrationslager in Breitenau zum Provinzial-Konzentrationslager bestimmt worden. Die Leitung des Lagers bleibt in Händen des Polizeipräsidenten von Pfeffer, Kassel." 45 Ayaß, Arbeitshaus Breitenau, 69 f. 33 Die andere Meldung berichtet von Dr. Stern, einem Arzt aus New York, der Ende August 1933 Breitenau besucht und allseits Gesund- heit angetroffen habe - wahrscheinlich einer solcher Besuche, die aus propagandistischen Motiven veranstaltet wurden. Merkwürdiger- weise findet sich der Bericht über diesen Besuch nur an unter- geordneter Stelle - das "Melsunger Tageblatt", das mit ihm verbundene "Homberger Kreisblatt" und das AWitzenhäuser Kreisblatt@ berichteten darüber. Das AWitzenhäuser Kreisblatt@ teilte mit, daß AHerr Pfarrer Breuer von hier [Ermschwerd] mit einem amerikanischen Arzte, Dr. Med. Stern/New York, das Lager Breitenau (besuchte)@. 46 Es bleibt unklar, warum diese Meldung nicht von der Kasseler Presse aufgegriffen wurde. Einige Auszüge aus dieser - übrigens in beiden Zeitungen identischen - Meldung mögen verdeutlichen, daß die Formulierung aus der Feder eines Mitarbeiters im Kasseler Polizeipräsidium hat stammen können: "[...] Dem Amerikaner war Gelegenheit gegeben, mit den Lagerinsassen vertraulich über ihre Lage zu sprechen. Alle waren mit der Behandlung sowie mit der Verpfle- gung zufrieden. Das Aussehen der einzelnen war ausge- zeichnet. Das Lager macht den Eindruck besonderer Sau- berkeit und Ordnung. Die stramme militärische Zucht, die nie Unmenschliches fordert, aber das Beste im Menschen wachruft, hat offensichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt. [...]"47 Die letzten Pressemitteilungen stammen aus dem Dezember 1933. Kurz vor Weihnachten wurde mitgeteilt, daß eine große Zahl Schutzhaftgefangener "aus Anlaß des Weihnachtsfestes" entlassen werde - und zwar "in der Erwartung, daß sie nunmehr nützliche Glieder der Volksgemeinschaft werden."48 Die letzte Meldung, die 46 Witzenhäuser Kreisblatt Nr. 197 vom 24. August 1933. - Pfarrer Johannes Claus Breuer (1898 - 1970) war von 1932 bis 1936 Pfarrer in Ernschwerd (Mitteilung des Landeskirchlichen Archivs der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 16.3.1997). Im Landeskirchlichen Archiv und in den Ermschwerder Kirchenakten findet sich kein Hinweis auf diesen Besuch in Breitenau. Gleichwohl besagt diese Nachricht, daß der Besuch mit Dr. med. Stern stattgefunden hat. 47 Melsunger Tageblatt Nr. 198 vom 25.8.1933; Homberger Kreisblatt Nr. 199 vom 26.8.1933. Über diesen Dr. Stern ließ sich nichts Näheres ermitteln, und Presseberichte im Ausland von ihm oder mit ihm sind nicht bekannt. 48 Fehler! Textmarke nicht definiert.Melsunger Tageblatt Nr. 299 34 wir über Breitenau in der zeitgenössischen Presse gefunden haben, stammt vom Jahresende 1933; darin heißt es: "Auch dem Konzentrationslager Breitenau stattete der Anstaltsleiter des Karlshospitals, Papa Kröning, mit seiner Laienspielgruppe einen Besuch ab. Zusammen mit der Breitenauer und Guxhagener Bevölkerung und der NS- Frauenschaft versammelten sich die Insassen des Kon- zentrationslagers zu einer Weihnachtsfeierstunde. Papa Kröning sprach von der Erlösung des Einzelmenschen aus dem Alleinsein durch den Kampf und den Einsatz für die Gemeinschaft. Besonders berührte er das na- tionalsozialistische Wollen zum Christentum durch den Kampf um die innere Freiheit unseres Volkes. Es folgte sodann das Weihnachtskrippenspiel 'Deutsche Weihnach- ten', dem alle aufmerksam folgten."49 vom 22.12.1933; Kurhessische Landeszeitung Nr. 304 vom 22.12.1933 (beide Artikel wortgleich). 49 Fehler! Textmarke nicht definiert.Kurhessische Landeszeitung Nr. 308 vom 29.12.1933. Falls diese Nachricht zutraf, weist sie auf eine Berührung zwi- schen der Bevölkerung im Ort und den politischen Schutzhaftge- fangenen hin. Zugleich zeigt sie eine bislang zu wenig beachtete Wahrnehmung dieser frühen Konzentrationslager im Ort und in der Region. Die Vorstellung, Stacheldraht und Wachtürme hätten das KZ Breitenau im Jahre 1933 hermetisch von der Gesellschaft abgeschlossen, ist unzutreffend. 35 Ergebnisse Die große Anzahl der Meldungen und Berichte über das Konzentrationslager Breitenau war zunächst überraschend. Der Vergleich mit der Berichterstattung über andere frühe Konzen- trationslager zeigt jedoch, daß dies keine Besonderheit Breitenaus war. Die Berichterstattung über die Konzentrations- lager in Deutschland war im Sommer 1933 allgemein dicht und vielfältig. Insofern trifft nicht zu, was Karl August Wittfogel - der selbst im KZ Esterwegen 1933 als Schutzhaftgefangener eingesperrt war - als typisch für die zeitgenössische Presse ansah, daß sich nämlich über die Konzentrationslager nur "ein paar ungenaue, verschwommene Zeilen"50 finden lassen. Meldungen, die eher beiläufig daher kommen, gab es auch über Breitenau. Die Meinungsbildung der Leser dürfte jedoch von den größeren Berichten und Reportagen bestimmt worden sein. Dies ging auf die Initiative des Kasseler Polizeipräsidenten von Pfeffer zurück. Spuren von Nicht-Einverständnis oder gar von Kritik und Widerspruch von Seiten der Presse finden sich auf den ersten Blick hin nicht. Allerdings sind Form und Inhalt zwischen den Be- richten in der "Kasseler Post" und in den "Kasseler Neuesten Nachrichten" so grundverschieden gewesen, daß man hier zwischen einem "Geschieht den Bonzen Recht"- Tenor und einem vorgeblich um Sachlichkeit bemühten, zugleich jedoch schönenden und verharmlosenden Bericht unterscheiden kann. Erstaunlich war, daß die meisten Zeitungen sich darauf beschränkt haben, den amtlichen Bericht bzw. die Presseerklärung wie- derzugeben. Es sind keine Recherchen vor Ort unternommen und auch keine Fotos wiedergegeben worden. Hier trifft die Beobachtung K. A. Wittfogels zu: Die Zeitungen meldeten dies, wie sie andere Nachrichten auch meldeten. Keine Nachfragen, keine Recherchen, 50 Fehler! Textmarke nicht definiert.Karl August Wittfogel, Staatliches Konzentrationslager VII. Eine Erziehungsanstalt im Dritten Reich. Roman. Bremen 1991, 43. 36 keine Kritik. Diese Art der Berichterstattung dürfte sich aus dem zunehmenden - politischen Druck von Seiten des Goebbels'schen Propagandamini- steriums auf die bürgerliche Presse seit März 1933 erklären. Viele Redakteure hatten Deutschland bereits verlassen, andere hatten sich angesichts der massiven Drohungen und des sich einengenden Gestaltungsraums auf eine scheinbar distanziert- neutrale Berichterstattung zurückgezogen51. Es ist anzunehmen, daß eine ausdrückliche Presseanweisung, wie über Konzentrations- lager zu berichten wäre, nicht erforderlich war52. Auszuschließen ist freilich nicht, daß über die in Kassel tätige Gaupropaganda- leitung und deren Verbindungen ins Goebbels'sche Ministerium "Empfehlungen" an die regionale Presse ergangen sein könnten.53 Die Berichterstattung über die Einrichtung des Konzentrations- lagers Breitenau enthielt wichtige Grundinformationen: Über die Gründung selbst, die Inhaftierung politischer Gefangener, die vorgesehenen Arbeiten im Lager, die Wachmannschaft u.a. wurde berichtet. Bemerkenswert ist, daß die Berichterstattung nach der Gründungsphase abgebrochen wurde. Die Wirklichkeit des Lagers selbst taucht in der zeitgenössischen Presse nicht mehr auf. Zum einen spricht dies dafür, daß es von Pfeffer bei seiner Presse- führung im Juni 1933 um eine gezielte Wirkung in der Öffentlich- keit gegangen ist. Zum andern bedeutet es, daß eine solche Wirkung später entweder als nicht mehr notwendig oder als nicht aussichtsreich beurteilt worden ist. Beides erscheint denkbar. Die Motive der Berichterstattung liegen auf der Hand: es handelte sich um die amtliche "Steuerung" durch die Kasseler 51 Vgl. Oron J. Hale, Presse in der Zwangsjacke 1933-1945. Düssel- dorf 1965, bes. 83-100; Ernest K. Bramsted, Goebbels und die national- sozialistische Propaganda. Frankfurt a.M. 1971, 101-147; Norbert Frei/ Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, München 1989, 20-38. 52 Auf die Konzentrationslager bezogene Presseanweisungen sind für das Jahr 1933, von einer peripheren Ausnahme abgesehen, nicht nachweisbar. Vgl.: NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation. Band 1: 1933. München, New York, London, Paris 1984, 217 f. 53 Nachweisen läßt sich dies nicht. Immerhin war die Gau-Propaganda- leitung im Gau Kurhessen im Jahre 1933 ausgeweitet und personell ausge- baut worden. Sie bestand aus dem Gau-Propagandaleiter Karl Gerland (dem späteren Gauleiter) und sechs "Abteilungsleitern", unter anderem für "Presse-Propaganda" und "Lügenabwehr". Vgl. Handbuch für den Gau Kurhessen der N.S-D.A.P.. Im Auftrag der Gauleitung Kurhessen bearbeitet vom Gaupresseamt [Kassel. April 1934]. 37 Polizeiführung, bei der die Presse sich zur Verfügung gestellt hat. Einwandfrei geht aus der Untersuchung hervor, daß der Begriff "Konzentrationslager" verwandt wurde. Mit diesem Begriff ist übrigens von Naziseite im Frühjahr 1933 in Kassel, wie ein anderer Vorgang belegt, demonstrativ umgegangen worden54. 54 Am 1. April 1933, als die jüdischen Geschäfte auch in Kassel boykottiert wurden, hatten SA-Leute mitten in der Stadt ein sym- bolisches KZ aufgestellt. In der NS-Zeitung hieß es hierzu: "Das 'Konzentrationslager' am Opernplatz. Damit bei allem Ernst, der dem Boykott zugrunde lag und mit dem er durchgeführt wurde, der Scherz nicht fehlte, hatten SA-Männer auf dem Opernplatz einen viereckigen Raum durch Stacheldraht abgeteilt und durch Anbringung eines Plakates den Sinn dieser kriegerischen Maßnahme erläutert: Konzentrationslager für widerspenstige Staatsbürger, die ihre Einkäufe bei Juden tätigen, stand auf diesem Plakat zu lesen." (Hessische Volkswacht Nr. 80 vom 4.4.1933). 38 Die Frage bleibt, was die Zeitgenossen über das Konzentra- tionslager auf der Grundlage der Presseberichterstattung wissen konnten. Jeder Kasseler Bürger, soweit er lesen wollte, konnte den Tageszeitungen (auch bei beschönigender und verharmlosender Berichterstattung) doch so viel entnehmen, daß zahlreiche politi- sche Gegner des Hitler-Staates gefangengenommen und zu Umerzie- hungszwecken in ein Konzentrationslager eingesperrt worden waren. Die Geheimhaltung der Konzentrationslager gilt für die frühen Lager nicht.55 Einer der politischen Schutzhaftgefangenen Breite- naus hatte in dokumentarischer Absicht bis in unsere Tage den großen Artikel über Breitenau in der "Kasseler Post" als origi- nalen Zeitungsausschnitt verwahrt! Schließlich hat uns die Untersuchung der Presseberichte über unsere eingangs formulierten Fragen hinausgeführt und in zweier- lei Hinsicht die Konturen Breitenaus deutlicher hervortreten lassen. Erstens ist die Rolle der Kasseler Polizeiführung, möglicherweise damit auch diejenige von Pfeffers für Breitenau erkennbarer geworden. Breitenau war seine Gründung - sowohl ge- genüber dem preußischen Innenministerium in Berlin als auch in Abgrenzung zu der regionalen Naziführung (aus der er übrigens weder politisch noch regional stammte) um den Gauleiter in Kurhessen Karl Weinrich, um Roland Freisler und den Kasseler NSDAP-Kreisleiter Rudolf Sempf. Bei diesen handelte es sich um einen anderen Typus von Naziführer, um Anhänger eines extrem antisemitisch und gewalttätig eingestellten irrationalen Terror- und Rachesystems. Damit hängt ein zweiter Gesichtspunkt zusammen. Da Breitenau tatsächlich als Gründung von Pfeffers anzusehen ist, die mit den preußischen Regierungsinstanzen zwar abgesprochen, ihnen gegen- über jedoch ständig gerechtfertigt bzw. verteidigt und gehalten werden mußte, verfolgte von Pfeffer dabei das Ziel, mit Hilfe des Konzentrationslagers Breitenau die durch den Märzterror der SA und SS beunruhigte Öffentlichkeit in der Region wieder zu beruhi- gen. Er beabsichtigte nicht, den Terror weiter zu treiben oder 55 Der Satz: "Das Verfahren der sogenannten Schutzhaft, die Existenz der sogenannten Konzentrationslager, ihre 'Aufgaben', die Zustände in ihnen, die Zahl ihrer Insassen wird strengstens geheimgehalten, jedes Eingehen darauf verboten" (Jürgen Hagemann, Die Presselenkung im Drit- ten Reich. Bonn 1970, 180) gilt für die frühen Konzentrationslager nicht. Auch für spätere Zeiten ist diese Annahme nicht zutreffend, da z.B. in Meyers Lexikon im Jahre 1939 und in anderen Lexika bis in die Kriegszeit hinein der Begriff "Konzentrationslager" als Stichwort aufgenommen und eingehend erläutert wurde. Meyers Lexikon. 8. Aufl. Leipzig 1939, Band 6, 1416 f. 39 ihn systematisch zu verschärfen, sondern ihn durch Verwaltungshandeln zu ersetzen und ihn dadurch zu normalisieren. Zugleich band er damit das System der politischen Unterdrückung an - freilich nationalsozialistisch entstellte -.Vorstellungen von >Staat=, >Ordnung= und >Erziehung=. Auch in späteren Jahren hat der überzeugte Nationalsozialist Fritz von Pfeffer, immerhin Träger des goldenen NSDAP-Parteiabzeichens, Dissonanzen und Konflikte mit der NSDAP nicht gescheut, wenn von dort in seine staatlichen Kompetenzen - als Regierungspräsident in Wiesbaden - hinein zu regieren versucht wurde.56 56 Im Jahre 1942 wies er in scharfem Ton den Frankfurter Gauleiter Sprenger zurück, obgleich es nur um ein Rundschreiben betr.Kohlenversorgung ging: "Ich bin keine dem Gauleiter nachgeordnete Dienststelle. Ich darf daher eine 'Anordnung' oder 'Anweisung' von Ihnen nicht entgegenehmen. Weisungen von unbefugten Dienststellen an staatliche oder kommunale Behörden können nur Unsicherheit und Verwirrung bei den einzelnen Beamten und in den betroffenen Bevölkerungskreisen hervorrufen. [...] Die dadurch hervorgerufene Rechtsunsicherheit muß abe rm.E. gerade im Kriege vermieden werden.". v. Pfeffer wandte sich an Hitler persönlich, da Sprenger aufgrund des oben im Auszug zitierten Schreibens seine Ablösung als Regierungs- präsident gefordert und schließlich auch ereicht hat. Näheres bei Karlheinz Müller: Preußischer Adler und Hessischer Löwe. Hundert Jahre Wiesbadener Regierung 1866 - 1966. Dokumente der Zeit aus den Akten. Wiesbaden 1966, 279 f., 313-317.