Universität Kassel Macht das „Setting“ den Unterschied? Der Beitrag der verschiedenen Formen der stationären Altenhilfe zur subjektiven und objektiven Lebenszufriedenheit dementiell erkrankter Menschen Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich Sozialwesen der Universität Kassel vorgelegt von: Angela Dühring Kassel/Witzenhausen im August 2006 1 Erklärung gemäß § 5 Promotionsordnung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt und andere als die in der Dissertation an- gegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten Schriften entnom- men sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet wor- den. Kassel/Witzenhausen, den 2 Danksagung Für das Gelingen der vorliegenden Arbeit möchte ich einigen Personen meinen besonderen Dank aussprechen. Ich danke Herrn Prof. Dr. Eckhard Hansen für die Ermunterung, überhaupt mit der Dissertation zu beginnen und trotz aller widriger Umstände „am Ball“ zu bleiben. Dr. Willi Rückert, in seiner Zeit beim Kuratorium Deutsche Altershilfe, hat mich mit Rat und Tat bei der Eingrenzung des Themas und der Auswahl der Methoden unterstützt. Frau Prof. Dr. Gertrud M. Backes danke ich für den aufmunternden Rückhalt bei der Abfassung der vorliegenden Arbeit. Dank auch Frau Dr. Helga Zietzschmann, ohne die die methodischen Hürden nicht genommen worden wären. Mein Dank gilt auch der Geschäftsleitung der Bremer Heimstiftung, Herrn Ale- xander Künzel und Herrn Andrè Vater, die mich von der Idee bis zur Realisierung stets begleitet, sowie den Kolleginnen, die mich im Rahmen der Untersuchung tatkräftig entlastet haben. Dies sind die Plaisir© Evaluatorinnen Frau Karla Li- ßewski und Renate Kessener; die DCM-Mapperinnen Frau Beate Franke und Frau Petra Hülsberger. Herr Rolf Gennrich ermöglichte und überwachte die Plaisir© Datenauswertung. Weiterhin möchte ich mich für die Offenheit und Bereitschaft, an der Untersu- chung mitzuwirken, bei den Leitungen und den Mitarbeitern der beiden untersuch- ten Einrichtungen, Stiftungsdorf Rablinghausen und Stiftungsdorf Kattenesch, bedanken. Ebenso gilt mein Dank den Bewohnern und ihren Angehörigen beider Einrichtungen, die gerne bereit waren, sich auf die umfangreiche Beobachtungssi- tuation einzulassen. Die persönlichen Gespräche und Eindrücke aus der Vorortun- tersuchung waren eine Bereicherung für mich. Frau Anne Czermack, übernahm bereitwillig die notwendigen Korrekturen und brachte so manchen „Schnitzer“ zum Vorschein. Dank auch an Herrn Uwe Reuter für seine Unterstützung: Er hat die Arbeit in die richtige „Form“ gebracht. Den letzen redaktionellen Schliff hat Lutz Peter Kaubisch der Arbeit verpasst und dafür manche freie Stunde mit dem Text verbracht. Auch dafür herzlichen Dank. Diese Danksagung wäre unvollständig, bliebe der Name des Menschen unerwähnt, der mit mir im Laufe der Jahre gemeinsam die Höhen und die Tiefen durchlitten hat. Ohne die beständige Aufmunterungen und gezielten Entlastungen, insbesonde- re in der letzten Phase durch meinen Lebensgefährten Hans-Albert Eike, wäre die Arbeit mit großer Wahrscheinlichkeit im Schredder und nicht vor dem Promotions- ausschuss gelandet. Bremen, im August 2006 Angela Dühring 3 „Gott was ist glücklich: eine Griessuppe, eine Schlafstelle, keine körperlichen Schmerzen – das ist schon viel!“ Zitat von Theodor Fontane (aus Perrig-Chiello, 1997, 54) Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Studie bei der Beschreibung von Personengruppen die männliche Form verwendet. 4 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Aufriss des Themas 6 1.1. Die Ausgangslage 6 1.2. Ziele der Untersuchung 10 2. Institutionelle Versorgung dementiell erkrankter alter Menschen 13 2.1. Einige Aspekte zur Erkrankung Demenz 13 2.2. Demographische Aspekte zur Betreuung dementiell Erkrankter 15 2.3. Theoretische Versorgungs- und Betreuungsmodelle 17 2.3.1. Medizinische/pflegewissenschaftliche Modelle 18 2.3.2. Rehabilitative/therapeutische Modelle 19 2.3.3. Ökologische Modelle 20 2.3.4. Soziotherapeutische Modelle 23 2.3.5. Psychosoziale Modelle 23 2.3.6. Tabellarische Synopse der verschiedenen Modelle 26 2.4. Institutionelle Wohn- und Versorgungsformen 27 2.4.1. Formen der stationären Versorgung 27 2.4.2. Stationäre Pflegesettings 28 2.4.3. Hausgemeinschaften als Alternative? 32 2.5. Zusammenfassung 38 3. Lebenszufriedenheit dementiell Erkrankter in der institutionellen Versorgung 39 3.1. Definition des Begriffes Lebensqualität 39 3.2. Theoretische Ansätze zur Lebenszufriedenheit im Alter 41 3.2.1. Subjektives Wohlbefinden 43 3.2.2. Objektives Wohlbefinden 49 3.3. Ausgewählte Prädiktoren des Wohlbefindens 51 3.3.1. Gesundheit 52 3.3.2. Soziale Beziehungen 53 3.3.3. Alltagsrhythmen 55 3.4. Instrumente zur Erfassung der Lebenszufriedenheit 56 3.5. Zusammenfassung 59 4. Altenheime als Umwelten für dementiell erkrankte alte Menschen 60 4.1. Merkmale und Effekte der Institution 61 4.1.1. Organisationsstrukturen 61 4.1.2. Ökologische Mikrobedingungen der Heimumgebung 65 4.1.3. Heimpersonal 69 4.1.4. Angehörige 76 4.2. Institutionalisierung als kritisches Lebensereignis 78 4.3. Zusammenfassung 80 5. Schlussfolgerungen und Ableitung der eigenen Fragestellung 81 6. Die Untersuchung 85 6.1. Zielsetzung und Anlage der Untersuchung 85 6.1.1. Auswahl der Untersuchungsinstrumente 87 5 6.1.2. Auswahl der Einrichtungen und der untersuchten Personen 90 6.2. Beschreibung der Untersuchungsinstrumente 94 6.2.1. Das Verfahren „Plaisir©“ 94 6.2.2. Das Verfahren „DCM“ 98 6.2.3. Die Mitarbeiterbefragung 103 6.2.4. Die Angehörigenbefragung 103 6.2.5. Feldnotizen 104 6.3. Untersuchungsverlauf 104 6.3.1. Zeitlicher Verlauf der Untersuchung 104 6.3.2. Erfahrungen aus dem Probelauf 106 6.3.3. Erfahrungen aus dem Untersuchungsverlauf 106 7. Exemplarische Ergebnisse zur Lebensqualität dementiell erkrank- ter alter Menschen 110 7.1. Darstellung der Ergebnisse 110 7.1.1. Pflegebedarf und Selbsthilfefähigkeit 111 7.1.2. Dimensionen des Wohlfühlens 118 7.1.3. Interaktion und Kommunikation 120 7.1.4. Aufrechterhaltung sozialer Bezüge 128 7.1.5. Aufrechterhalten der Alltagsgewohnheiten und Alltagsrhythmen 133 7.1.6. Aktivitäten und Wohlbefinden 134 7.1.7. Einschätzungen von Laien und Professionellen 147 7.2. Zusammenfassung 151 8. Diskussion der Ergebnisse 153 8.1. Der Beitrag des Settings 153 8.1.1. Wohlbefinden 153 8.1.2. Autonomie der Heimbewohner 155 8.1.3. Soziale Kontakte, Interaktion und Kommunikation 157 8.1.4. Selbständigkeit 160 8.1.5. Erfolgserlebnisse und sensorische Erfahrungen 162 8.1.6. Begleitsymptome und Verwirrtheitszustände 163 8.1.7. Heimeinzug 164 8.2. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse 167 8.3. Empfehlungen für die Gestaltung künftiger Settings in der stationären Altenhilfe 169 9. Schlussbetrachtung – Macht das Setting den Unterschied? 171 Literaturliste 172 Tabellenverzeichnis 189 Anhang 191 6 1. Einleitung und Aufriss des Themas Die Pflege und Betreuung einer wachsenden Anzahl von dementiell erkrankten alten Menschen stellt in der Altenhilfe eine besondere Herausforderung dar. Unter einer dementiellen Erkrankung wird ein fortschreitender Verlust der kognitiven Funktionen bis zum geistigen Verfall verstanden. Die Erkrankung zieht sich meist über Jahre hin und führt bis zur völligen Pflegebedürftigkeit. Laut einer Studie des Instituts für Gesundheits- und System- Forschung (IGSF) sind 1,3 bis 1,8 Millio- nen Menschen über 65 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland von der Diagno- se Demenz betroffen (Kern & Beske 1999). In stationären Einrichtungen stellen sie inzwischen die dominierende Bewohnergruppe dar. Nach einer Untersuchung von Weyerer & Schäufele (1999) leiden mehr als die Hälfte der Pflegeheimbewohner an einer fortgeschrittenen Demenz. Bickel (2001) und Schneekloth (1998) gehen von 50 bis 70 Prozent dementiell Erkrankten aus. Ihr Anteil an der Bewohnerschaft eines Altenheimes wird weiter steigen, denn veränderte häusliche Strukturen wer- den die Bedingungen der Versorgung in der eigenen häuslichen Umgebung er- schweren. Gründe sind die steigende Zahl allein wohnender alter und hochaltriger Menschen sowie eine abnehmende Anzahl potentieller Pflegepersonen, die bisher die Pflege übernommen haben. In einer Untersuchung der Gründe, die zu einer Heimaufnahme führen, kam Bickel (1996) zu dem Ergebnis, dass 42,6 Prozent der Heimaufnahmen auf dementielle Erkrankungen zurückgehen. Schmidt (2002) verweist in diesem Zusammenhang auf Erfahrungswerte aus Thüringen, nach denen nur bei zirka fünf Prozent der als demenzkrank bezeichneten Altenheimbewohnern eine ärztliche Diagnose der De- menz vorliegt (siehe hierzu auch Baltes und Gutzmann 1990). Dies ist ein Indiz dafür, dass in den wenigsten Fällen dementielle Erkrankungen diagnostiziert sind und, wie zu vermuten ist, therapeutisch behandelt werden. Dies gilt ebenfalls für besondere pflegerische Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen. „Demenz wurde in der Vergangenheit nicht als Herausforderung zu differenzierter Diagnostik verstanden, sondern als ein Synonym für die Vergeblichkeit weiterer Anstrengungen gewertet.“ (Schmidt, 2002, 113). 1.1. Die Ausgangslage Die bisher bestehenden Wohn- und Pflegeformen für Menschen in hohem Alter sind auf die Zunahme der dementiellen Erkrankungen, die mit steigendem Alter immer mehr Personen betreffen, nicht oder nur unzulänglich eingestellt. Dies trifft insbesondere auf die bauliche Beschaffenheit, die organisatorische und konzeptio- nelle Ausrichtung sowie auf Ausbildung und Einsatz des Personals zu. Nach wie vor sind Einrichtungen der Altenhilfe im baulichen Bereich vom Kran- kenhauscharakter mit langen Fluren, großen organisatorischen Pflegeeinheiten (Stationen), zentralen Versorgungseinheiten (z. B. Zentralküchen / Wäschereien) und zentral organisierten Beschäftigungsangeboten (Bundesministerium für Ge- sundheit, 2000) geprägt. Diese Strukturen berücksichtigen nicht die Veränderun- gen, die im Krankheitsverlauf der Demenz entstehen und sich auf Beeinträchtigun- gen der Gedächtnisleistungen, des Orientierungs- und Urteilsvermögens, der Spra- che und auch auf das praktische Handhaben von Objekten beziehen. Es fällt den Betroffenen im Krankheitsverlauf zunehmend schwerer den Alltag zu bewältigen. 7 Das Sozialverhalten verändert sich (Kitwood, 2000). Demenzkranke verfügen auf- grund ihrer krankheitsbedingten Einbußen der Hirnleistungen über nur geringe bis keine Kapazitäten zur Regulierung ihrer sozialen und physischen Umwelt. Je nach Krankheitsstadium werden sensorische und soziale Reize nicht mehr verstanden, eingeordnet oder verarbeitet. (Lind, 2002). Von Einrichtungsträgern und Mitarbei- tern in der Altenhilfe häufig geschilderte Folgen einer nicht angemessenen Betreu- ung und Wohnumfeldgestaltung können aggressives, depressives Verhalten, Weg- lauftendenzen, eine Zunahme der körperlichen Pflegebedürftigkeit und/oder Ver- wirrtheitszustände sein. Die zunehmende Konfrontation mit der Krankheit Demenz und seinen Erschei- nungsformen erfordert die Schaffung eines geeigneten Wohn- und Lebensumfel- des, in dem sich die Betroffenen wohlfühlen und in der Bewältigung ihrer Alltags- verrichtungen, entsprechend ihrem Verarbeitungs- und Reaktionsvermögens, unter- stützt werden. Damit stellt sich die Frage, wie Einrichtungen und deren Konzepte gestaltet sein müssen, um den besonderen Bedürfnissen dieser Bewohnergruppe entsprechen zu können. Wie kann die Pflege dem individuellen Krankheitsverlauf angepasst und durch eine wohnlich, familiär gestaltete Umgebung unterstützt werden? Die derzeitige stationäre Versorgung von Demenzkranken kann als „Integration ohne Integrationskonzept“ (Schmidt, 2002, 97) beschrieben werden. Aus der tradi- tionellen Altenhilfe entwickelt ist sie auf das Leitbild der Integration von demen- tiell Erkrankten und ausschließlich körperlich Pflegebedürftigen ausgerichtet. In den Einrichtungen leben dementiell Erkrankte ohne eine ausreichend fachlich re- flektierte Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse mit nicht dementiell Erkrankten auf engstem Raume zusammen (Schmidt 2002). Die „verordnete“ Integration kann zu einer beständigen Konfrontation beider Personengruppen führen. Schmidt (2002) nennt dies die „naive“ Form der Betreuung. Inzwischen werden in vielen Einrich- tungen integrative Elemente (wie z. B. das gemeinsame Wohnen auf Wohnebenen) mit teilsegregativen Elementen ( wie z. B. spezielle Tagesbetreuungsgruppen) ge- mischt. Sie dienen dem Stressabbau aller Beteiligten und der besonderen Förde- rung dementiell Erkrankter, indem sie sich, zumindest zeitweise, in einer auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Umgebung aufhalten können. Andere Einrichtungen verfolgen das segregative Konzept mit speziellen Bereichen, die ausschließlich für Demenzkranke mit sehr stark ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten vorgehalten sind. Sie zeichnen sich durch eine hohe gerontopsychiatrische Fachlichkeit der Pflege und Betreuung aus. Seit dem Jahr 2000 entwickelt sich eine grundsätzlich neue konzeptionelle und bauliche Ausgestaltung der Altenpflege: „Ein Paradigmenwechsel in der vollstationären Pflege Demenzkranker zeichnet sich derzeit ab. An die Stelle von Maßnahmen, die auf die (therapeutische) Beein- flussung der Person zielen, tritt nun das Bemühen um die Herstellung einer krank- heitsangemessenen Umwelt“ (Schmidt, 2002, 48). Mit der besonderen Gestaltung der Umwelt soll es dementiell Erkrankten ermög- licht werden, sich trotz schwindender Anpassungsmöglichkeiten in ihrer Umge- bung wohlzufühlen und ihren zum Teil hohen Bewegungsdrang angstfrei ausleben zu können. Die Anpassung der Umwelt erfordert eine strikte fachliche Ausrichtung des Settings am „Normalisierungskonzept“ (Schmidt, 2002). 8 Das Konzept entstammt der Eingliederungshilfe im Behindertenbereich und bein- haltet eine Abkehr von der bisher üblichen Defizitorientierung der Pflege. Die Pflege orientiert sich stattdessen an den vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Betroffenen und versucht sie in ein weitgehend „normales“ Alltagsleben einzu- binden. Als „Normalität“ ist dabei das alltägliche Geschehen in einem durch- schnittlichen Haushalt zu sehen. Entsprechend der Leitvorstellung des „Mit-Dementen-Zusammenlebens“ (Schmidt, 2002) liegt der Schwerpunkt auf der gemeinsamen Gestaltung des Tageslaufes mit überwiegend hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. Es entsteht ein Versorgungssetting, in dem Pflegekräfte das Tagesgeschehen unterstützen und begleiten. Den zentralen Mittelpunkt der räumlichen Gestaltung bildet die Wohnküche mit angrenzenden Gemeinschaftsflächen, in denen alle Aktivitäten des täglichen Lebens gemeinsam gestaltet werden. Eine kleine Gruppe bestehend aus acht bis zehn Bewohnern bildet eine Haus- und Lebensgemeinschaft. Es gibt sowohl Hausgemeinschaften in denen ausschließlich dementiell erkrankte alte Menschen leben, als auch Hausgemein- schaften in denen dementiell erkrankte und Nichterkrankte zusammen leben. Ausgehend von der Anforderung einer weitgehenden Aufrechterhaltung alltägli- cher Bezüge und Lebensumstände spielen Personen, die zu dieser Lebenswelt Zu- gang und Kenntnisse haben, eine besondere Rolle. Dies sind insbesondere Angehö- rige, Freunde, Bekannte, Nachbarn und Freiwillige. In der konsequenten Einbindung dieser Personen in die Alltagsgestaltung besteht eine weitere Besonderheit des Settings. Unterstützt wird das neue Versorgungssetting durch die Auflösung der Trennung von „privater Pflege“, wie sie im ambulanten Bereich üblich ist, und der „Pflege als Dienstleistung“ (Schmidt, 2002), wie sie in der stationären Pflege üblich ist. Dies wird im Zusammenhang mit der Darstellung der untersuchten Einrichtung in Kapitel 2.2. näher ausgeführt. Das neue Versorgungssetting der Hausgemeinschaften wird seit dem Jahr 2000 vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) als vierte Generation des Altenheim- baus propagiert und hat inzwischen eine weite Verbreitung gefunden. Radzey/Heeg/Goerlich (1999) führten im Auftrage der Deutschen Alzheimer Ge- sellschaft e. V. in Kooperation mit der Sozialplanung in Baden-Württemberg e. V. eine Untersuchung modellhafter Wohngruppenkonzepte für dementiell Erkrankte in den Niederlanden und Frankreich durch. Ziel der Evaluation war die Sammlung von Daten in Bezug auf Personalbesetzung, Vernetzung verschiedener Hilfen, Ein- bindung von Angehörigen und freiwilligen Helfern in die Alltagsgestaltung sowie Fragen der architektonischen Gestaltung. Diese Daten sollten eine Umsetzung der Konzepte auf bundesdeutsche Verhältnisse ermöglichen. Die Ergebnisse der Eva- luation belegen, dass Wohngruppen auf dementiell Erkrankte positiv wirken, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählen ein auf die individuellen Kompetenzen und Neigungen der Bewohner abgestimmtes Betreuungskonzept, die soziale, fachliche und menschliche Qualifikation der Mitarbeiter sowie aktive Teil- nahme der Angehörigen am Alltagsgeschehen. Das Institut für sozialpolitische und gerontologische Studien in Berlin (Reggen- tin/Dettbam-Reggentin, 2003) untersuchte im Auftrag des Nordrhein- 9 Westfälischen Ministeriums für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie von 2001-2003 die Qualität der Wohngruppen. Die Studie wurde in drei Altenpfle- geheimen mit sieben Wohn- und Kontrollgruppen an insgesamt 111 Personen im Längsschnitt über drei Jahre durchgeführt. Untersucht wurden integrative (Bewoh- ner mit und ohne dementielle Erkrankungen), segregative Wohngruppen mit aus- schließlich dementiell erkrankten alten Menschen und „normale“ Pflegestationen mit gemischter Bewohnerstruktur. Die Studie ging den Fragen nach, welche Aus- wirkungen familienähnliche Gruppenformen auf die Bewohner haben, wie weit das Personal belastet oder entlastet wird und welche räumlichen Gestaltungsmerkmale es für Wohngruppen gibt. Die Ergebnisse der Begleitforschung belegen die positive Wirkung von Wohn- gruppen sowohl auf die Bewohner als auch auf das Personal. Die besonderen „Ge- winner“ sind dementiell erkrankte alte Menschen, die in einer integrativen Wohn- gruppe leben. Nach Einschätzungen des Personals sind sie deutlich zufriedener als in den Kontrollgruppen. Es konnte ein verzögerter Krankheitsverlauf psychischer und somatischer Erkrankungen festgestellt werden. Des Weiteren ergab sich ein geringerer Psychopharmakagebrauch und eine Stabilisierung sozialer Beziehungen dementiell Erkrankter. Die soziale Kompetenz konnte im Vergleich zur Kontroll- gruppe länger erhalten bleiben, ebenso der Gesundheitszustand und die Selbsthilfe- kompetenz. Die bisherigen Studien zu den Wohngruppenmodellen differenzieren die Effekte, die durch eine kleinräumige, aus der eigenen Häuslichkeit vertrauten Umgebung oder durch eine veränderte Einstellung des Personals erzielt wurden, unzureichend. Radzey und Heeg (2001) verweisen auf eine Studie von Downs (1997), in der der Umzug von dementiell erkrankten alten Menschen aus einer gerontopsychiatri- schen Klinik in eine kleine Wohngruppe untersucht wurde. Die Veränderung der Wohnumgebung zeigte keine Auswirkungen auf Verhalten und Kompetenzen der Bewohner. Die Veränderungen bezogen sich auf einen „Wahrnehmungswandel“ des Personals. Die Mitarbeiter schätzten die Bewohner kompetenter und weniger auffällig ein. Entsprechend positiver eingestellt förderten und unterstützten sie die Bewohner und trugen damit zum Erfolg der Wohngruppenkonzeption bei. Des Weiteren kritisieren Radzey und Heeg (2001) die durchgeführten europäischen Untersuchungen bezüglich der Nichtanwendung in der Wissenschaft üblicher me- thodischer Standards. Aus diesem Grund lassen sich die Ergebnisse nicht verall- gemeinern. In der zusammenfassenden Betrachtung fällt auf, dass in den vorliegenden Studien die Wirkung der Wohngruppen nicht aus dem Blickwinkel der Betroffenen, und hier besonders der dementiell Erkrankten, erforscht wurde, sondern ausschließlich aus Sicht des Personals (ISGOS-Studie/ Evaluation von Radzey et.al. 1999). Dar- auf wird in Kapitel 3 näher eingegangen. Des Weiteren wurde in den Studien nicht die Interaktion und Kommunikation zwischen Personal und Bewohnern, der Be- wohner untereinander und zwischen Bewohnern und Angehörigen beobachtet. Eine andere Schwachstelle könnte in der Kürze der Vor-Ort-Untersuchung liegen. Das Untersuchungsteam von Radzey/Heeg/Goerlich (1999) hielt sich nur zirka zwei Tage in den Einrichtungen auf. Dadurch sind die Daten eher als eine Momentauf- nahme zu betrachten. Verzerrende Eindrücke wie zum Beispiel die Personalbeset- zung an den beiden Tagen oder die Tagesform der Bewohner, die bei dementiell Erkrankten sehr unterschiedlich sein kann (Kitwood, 2000), können die Datenerhe- bung erheblich beeinflussen. 10 In einer kritischen Reflexion der verschiedenen Studien zu den Wohngruppenmo- dellen stellen Radzey et al. (2001) weiteren Forschungsbedarf fest. Sie sehen ihn insbesondere im Hinblick auf die für die Betroffenen wichtigen Themen wie zum Beispiel die Verbesserung der Selbständigkeit oder eine Steigerung des Wohlbe- findens, die Interaktion zwischen Erkrankten und Pflegenden oder die Umweltges- taltung. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in den meisten Untersuchungen zu Wohngruppenkonzepten positive Effekte auf die Bewohner und insbesondere auf dementiell erkrankte Bewohner festgestellt wurden. Wohngruppenkonzepte können deshalb als ein Weg zur qualitativ hochwertigen stationären Pflege und Betreuung für dementiell erkrankte alte Menschen bezeichnet werden. Wie Rad- zey/Heeg (2001) und Schmidt (2002) feststellen, reichen die bisherigen Erkennt- nisse nicht aus, um eindeutige Empfehlungen für die Praxis zu entwickeln. Hierzu bedarf es weiterer Untersuchungen und Befundsammlungen. 1.2. Ziele der Untersuchung Der Fokus der Untersuchung richtet sich auf die Sicht der Betroffenen zu den für sie wichtigen Aspekten stationärer Pflege und Betreuung. Dazu zählen die Verbes- serung bzw. die Erhaltung der Selbständigkeit, eine Steigerung bzw. Erhaltung des Wohlbefindens, die Interaktion zwischen Erkrankten und Pflegenden und die Um- weltgestaltung in unterschiedlichen stationären Settings. Im Rahmen einer Vorun- tersuchung wird eine klassisch pflegeorientierte stationäre Altenpflegeeinrichtung mit einer am Konzept der alltagsnahen Normalität orientierten Einrichtung mit mehreren Wohngruppen verglichen. Daraus sollen die Zusammenhänge von perso- nellen, konzeptionellen und räumlichen Bedingungen verschiedener Pflegesettings und der Erhaltung von Selbsthilfefähigkeiten und Wohlfühlen der Bewohner abge- leitet werden. Es sollen zwei Phasen des Heimaufenthaltes, die vermutlich eine besondere Bedeu- tung für dementiell erkrankte alte Menschen haben, untersucht werden. Einzug- und Integrationsphase Kruse/Wahl (1994) bewerten diese Phase als erste Herausforderung für den alten Menschen zur Bewältigung der Übersiedlung und Anpassung an die neuen Um- weltbedingungen. Schmidt beschreibt den Umzug von der Häuslichkeit ins Pflege- heim für dementiell erkrankte alte Menschen als einschneidendes Erlebnis, das von Prozessen einer „sekundären Förderung von Verwirrtheitszuständen“ (Schmidt, 2002, 113) begleitet wird. Der Wechsel von der vertrauten, häuslichen Umgebung ins Heim bedeutet für diesen Personenkreis den Eintritt in eine für sie völlig unbe- kannte Umgebung. Die Betroffenen sehen sich konfrontiert mit vorgegebenen, institutionell geprägten Tagesabläufen, einer Zwangsgemeinschaft mit ihnen gänz- lich unbekannten Mitbewohnern sowie den vorgegebenen Arbeitsabläufen des Heimpersonals. Klingenfeld (1999, 14) beschreibt die Situation des älteren Menschen in der Ein- zugsphase als einen „globalen Umbruch seiner Lebensumstände“, die psycholo- gisch betrachtet ein „kritisches Lebensereignis“ darstellen. Die besondere Situation 11 der Aufnahme in ein Heim wird zusätzlich durch Defizite der Diagnosestellung erschwert. Wie erwähnt verweist Schmidt auf Erfahrungswerte aus Thüringen, nach denen nur bei etwa fünf Prozent der als demenzkrank bezeichneten älteren Menschen eine ärztliche Diagnose der Demenz vorliegt. Ob die Integration in ein Heim krisenhaft oder entwicklungsfördernd verläuft, ist von einer Reihe Bedingungsfaktoren abhängig. Wesentlich ist die Gestaltung des Lebensumfeldes im Heim. Innerhalb der ökologischen Gerontologie wird von ei- nem wichtigen Ressourcencharakter der Lebensumwelt gesprochen. Er bezieht sich auf die mittelbare (Stadtteil, Land, Natur) und die unmittelbare (Wohnung und direktes Wohnumfeld) Umgebung des älteren Menschen. Durch die Gestaltung des Lebensumfelds können die verfügbaren Kapazitäten des alternden Menschen ge- fördert beziehungsweise genutzt werden, zum Beispiel durch angemessen gestalte- te institutionelle Umwelten für dementiell erkrankte Ältere. (Wahl, 2005). Vermutet wird, dass Versorgungssettings, die an dem Konzept der alltagsnahen Normalität ausgerichtet sind, zur Vermeidung des „unausweichlichen Traumas“ (Kruse/Wahl, 1994, 30) des Heimeinzugs, der mit hoher Wahrscheinlichkeit mit zusätzlichen Verwirrtheitszuständen in der Integrationsphase verbunden ist, beitra- gen. Die Art und die Umstände, wie ein Heimeintritt vollzogen wird, wirkt sich auf das gesamte weitere Erleben des Heimalltags aus. Pflegebedürftige alte Menschen verbringen im Heim, bei großer individueller Streuung, im Durchschnitt ca. drei Jahre (Bickel 1996 und 2001). Verweilphase Nach Kruse/Wahl (1994) besteht die zweite Herausforderung für den alten Men- schen darin, im Verlauf des weiteren Heimaufenthaltes Selbständigkeit, persönli- che Kontrolle, soziale Kontakte und Alltagsrhythmen bewahren zu können. Vermutet wird, dass ein alter Mensch eher Selbständigkeit und Lebenszufrieden- heit bewahren kann, wenn seine alltäglichen Gewohnheiten und Abläufe respektiert werden. Die institutionell vorgegebenen, an der Organisation ausgerichteten Pfle- ge- und Versorgungsstrukturen, stehen dem entgegen. Hausgemeinschaften sind die Umsetzung des Prinzips „Normalität als Leitkon- zept“. Gelingt es in diesen Hausgemeinschaften auch, eine „dementenspezifische Normalität“ (Lind, 2002) herzustellen, die zu einer größeren Zufriedenheit demen- tiell Erkrankter beiträgt? In den am privaten Haushalt ausgerichteten Hausgemeinschaften sind im Gegen- satz zu herkömmlichen Pflegeeinrichtungen, in denen Pflegefachkräfte dominieren, überwiegend hauswirtschaftlich ausgebildete Kräfte und Laien (Angehörige, Freunde, Bekannte, Freiwillige) tätig. Dies erfordert ein verändertes professionelles Selbstverständnis der bis heute eher medizinisch und pflegerisch ausgebildeten Pflegefachkräfte. Welche Auswirkungen hat die „Laisierung“ der Pflege und Betreuung auf das Wohlfühlen und die Selbsthilfekompetenz pflegebedürftiger alter Menschen? 12 Diese Fragestellungen stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit, die dazu dienen soll, mit Hilfe von exemplarisch gesammelten Daten Empfehlungen für die Gestaltung künftiger humaner Settings in der stationären Altenhilfe unter besonde- rer Berücksichtigung dementiell erkrankter alter Menschen zu geben. Hierzu wer- den verschiedene Methoden eingesetzt. Die Pilotstudie wird bei 20 Bewohnern einer klassisch organisierten Einrichtung und bei 20 Bewohnern einer nach dem Prinzip der betreuten Wohngruppen organi- sierten Einrichtung durchgeführt. Untersuchungszeitpunkte sind – personenbezo- gen – die Integrationsphase nach dem Einzug ins Heim (zwischen 8 und 10 Tagen nach Einzug) und nach sechs Monaten Verweildauer. Zur Anwendung kommen die Methoden „Dementia Care Mapping“ (DCM), Plaisir, standardisierte schriftliche Fragebögen sowie Verlaufsbeobachtungen und Feldnotizen. Das DCM wurde auf der Basis des „personenzentrierten Ansatzes“ von Tom Kit- wood und Kathleen Bredin in den 90er Jahren entwickelt (Bradford Dementia Group, University of Bradford, 1997/ Kitwood, 2000). Das teilstandardisierte, teil- nehmende Beobachtungsinstrument wird zur Erfassung des relativen Wohlbefin- dens von Menschen mit Demenz und der Messung der Pflegequalität (Rüsing, 2001) eingesetzt. Mit dem DCM wird der Betrachtungswinkel verändert. Nicht die Pflegekräfte und deren Einschätzung des Wohlbefindens des Bewohners stehen im Mittelpunkt, sondern der Betroffene selbst. Zur Ermittlung des Wohlbefindens, der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und Alltagsgewohnheiten aus Sicht der Mitarbeiter und Angehörigen werden zusätzlich standardisierte Fragebögen zur schriftlichen Befragung eingesetzt. Der Fragebogen enthält geschlossene Fragen für den ersten Teil der Befragung. Im zweiten Teil wird eine offene Frage zur Verlaufsbeurteilung hinzugenommen. Zur Einschätzung des biopsychosozialen Gesundheitszustandes, der Pflege und Betreuungsbedarfe wird das Verfahren Plaisir eingesetzt. Dieses Verfahren wur- de am kanadischen Institut Equipe de Recherche Opérationelle en Santé (EROS) von Professor Charles Tilquin entwickelt und wird in Kanada seit den 80er Jahren eingesetzt (Gennrich, 2002). Beide Instrumentarien werden kritisch bewertet in Bezug auf Anwendbarkeit zur Analyse der Wirkungen unterschiedlicher Settings und der Validität der Ergebnisse. Darüber hinaus werden offene Beobachtungen z. B. zur Tageslaufgestaltung wäh- rend der Untersuchung erfasst und exemplarisch dargestellt. In dieser Pilotstudie geht es nicht darum, generalisierende Ergebnisse über die Wirkungen des Settings auf das Wohlfühlen und die Zufriedenheit älterer Men- schen zu ermitteln. Die begrenzte Anzahl der für die Untersuchung zur Verfügung stehenden Personen schränkt quantitative Auswertungs- und Interpretationsmög- lichkeiten ein. Diese Untersuchung ist als Pretest angelegt. Es sollen exemplarisch Erfahrungswerte für eine spätere größere Untersuchung gesammelt werden. Wün- schenswert wären Aussagen über Bedingungen, unter denen diese oder jene Form der Zufriedenheit, insbesondere bei dementiell Erkrankten, erreicht werden kann. „Aufgabe der Wissenschaftler ist es, Forschungskonzepte zu entwickeln, die zu validen Ergebnissen führen, um das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern“ (O´Carroll, Kommentar zu Woods 1999 in Radzey et. al. 2001). 13 2. Institutionelle Versorgung dementiell erkrankter alter Menschen Die stationären Einrichtungen der Altenhilfe werden in der Bevölkerung nach wie vor mit großer Distanz und Ablehnung betrachtet. Zu dieser Einstellung haben u.a. von der Presse berichtete Skandale, negative Eindrücke von Angehörigen bei Be- suchen und stark reglementierende Heimstrukturen beigetragen. Backes/Clemens (2003, 243) stellen „eine überwiegend zurückhaltende bis ablehnende Haltung unter älteren Menschen hinsichtlich einer Übersiedlung in ein Heim“ fest. Um so schlimmer wird es den Betroffenen ergehen, wenn sie durch zunehmende Pflege- bedürftigkeit und/oder durch ein Wegbrechen der familiären Unterstützungssyste- me gezwungen werden, in ein Heim übersiedeln zu müssen. So sind nach Ba- ckes/Clemens (2003) in den Altenheimen überwiegend hochaltrige Menschen (80 Jahre und älter), Verwitwete und Frauen anzutreffen. Des Weiteren hat sich der Gesundheitszustand der Bewohnerschaft verändert. Die Zahl der Bewohner mit krankhaften Veränderungen des Gehirns steigt rasant (Kapitel 2.2). Die mit dieser Krankheit verbundenen psychischen Auffälligkeiten führen zu mehr oder weniger ausgeprägten Beeinträchtigungen im alltäglichen Zusammenleben. Wenn die zu beobachtende Zunahme der dementiell Erkrankten unter der Bewoh- nerschaft weiter voranschreitet und die damit verbundenen Belastungen für De- mente und Nichtdemente nicht in besonderen Pflege- und Betreuungsformen auf- gefangen werden, so ist davon auszugehen, dass das negative Image der Heime bestehen bleibt beziehungsweise verstärkt wird. 2.1. Einige Aspekte zur Erkrankung Demenz Das steigende Lebensalter der Bevölkerung ist verbunden mit einem erhöhten Risi- ko gesundheitlicher Einschränkungen und Behinderungen. Dies bezieht sich auch auf krankhafte Veränderungen des Gehirns, die unter der Diagnose Demenz sub- summiert werden. Das Wort Demenz stammt aus dem Lateinischen und besteht aus den beiden Wort- teilen „de“ = weg und „mens“ = Geist. Wörtlich übersetzt bedeutet dies „ohne Verstand“. Die wichtigsten Symptome der Demenz sind verschiedene kognitive Defizite. In der „International Classification of Diseases“ (ICD-10) wird die klini- sche Diagnose der Demenz gestellt, wenn eine Störung kognitiver Funktionen, wie z. B. Gedächtnis (planen, organisieren, Einhalten einer Reihenfolge, abstrahieren), Sprache, Praxie (Fähigkeit, motorische Handlungen auszuführen) und der Fähig- keit, Gegenstände zu erkennen oder zu identifizieren von einem solchen Schwere- grad vorliegt, dass eine selbständige Lebensführung nur noch mit Einschränkungen möglich ist. Unter der klinischen Diagnose der Demenz wurden früher nur irrever- sible, d. h. nicht umkehrbare Störungen der Hirnleistung verstanden. Heute gehören hierzu auch reversible, d. h. umkehrbare Formen der Hirnleistungseinschränkungen (Oswald, 2000/ Schröder, 2001). Nach heutigem Erkenntnisstand wird davon aus- gegangen, dass die Demenz keine einheitliche Krankheit darstellt, sondern als Sammelbegriff für unterschiedliche Symptome (Krankheitszeichen) genutzt wird. Die Einschränkungen liegen bei einer dementiellen Erkrankung überwiegend im intellektuellen Bereich. Die Gefühlswelt scheint über einen längeren Zeitraum der Erkrankung erhalten zu bleiben und stellt die wichtigste Zugangsmöglichkeit zu den Erkrankten dar (Ma- ciejewski et al., 2001/Kitwood, 2000/ Grond 1991). 14 Symptome der Demenz In der Fachliteratur werden vier Primärsymptome der Demenz beschrieben (Wett- stein, 1991). Dies sind Amnesie (Gedächtnis- und Orientierungstörungen), Aphasie (Sprachstörungen), Apraxie (Unfähigkeit, erlernte Handlungen auszuführen) und Agnosie (Unfähigkeit, Gegenstände in der Umwelt zu erkennen und zu identifizie- ren). Die verschiedenen Symptome der Demenz führen zu Verhaltensweisen, die als Verwirrtheit bezeichnet werden. Eine Folge der zunehmenden Gedächtnisstö- rungen sind der Verlust des natürlichen „Raum-Zeit-Situation-Kontinuum“ (Lind, 2000, 12). Eine besonders prägnante Verhaltensweise ist die Desorientierung, die sich auf verschiedenen Ebenen (räumlich, zeitlich, situativ und personal) bemerk- bar macht und zu massiven Einschränkungen in der Selbständigkeit der Lebensfüh- rung führt. Desorientierung äußert sich darin, dass Räume nicht mehr erkannt wer- den und Betroffene sich auf die Suche nach der vertrauten Umgebung begeben. Sie äußert sich auch im Verlust des Gefühls für Tageszeiten, Zeitpunkte und Zeiträu- me. Das zeitliche Erleben reduziert sich insbesondere durch Störungen des Kurz- zeitgedächtnisses auf die unmittelbare Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft dienen nicht mehr als Orientierungshilfe; entsprechend können Situationen nur eingeschränkt eingeschätzt werden. Die Reaktionen in alltäglichen Situationen erscheinen ziel- und planlos; beispielsweise wird der Herd angestellt und dann die Küche verlassen, ohne sich weiter um das Essenzubereiten zu kümmern. Der Kon- text des Handlungszusammenhanges Essenzubereiten wurde vergessen. Im Rah- men der personalen Desorientierung werden bisher vertraute Personen (wie Ange- hörige) und neu kennengelernte (wie Pflegekräfte, Mitbewohner) nicht mehr bezie- hungsweise nur noch gelegentlich erkannt. Die personale Desorientierung kann sich besonders in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung auch auf die eigene Person beziehen. Pflegekräfte schildern Situationen, in denen Erkrankte vor dem Spiegel stehen und mit dieser für sie fremden Person reden. Die personale Desori- entierung stellt für Angehörige, insbesondere für Ehepartner, eine besondere Belas- tung dar, da sie nach jahrelangem gemeinsamen Lebens als fremde Personen be- handelt werden bzw. gelegentlich vehement abgelehnt werden (Lind, 2000). Im fortschreitenden Krankheitsverlauf können weitere psychische Auffälligkeiten wie Unruhe, Ängste, Aggressionen, Depressionen, Passivität, Apathie, Rückzugs- verhalten, Tag-Nacht-Umkehr (erhöhte körperliche Aktivität in der Nacht) oder auch Wahnvorstellungen auftreten (eine Übersicht über die verschiedenen Verhal- tensstörungen bietet Lind, 2000). Festgestellt wird eine Agitiertheit der Erkrankten, die in drei Agitationstypen unterschieden werden kann. Dies sind nach Cohen- Mansfield et al. (1986) aggressives Verhalten, physisch nicht aggressives Verhal- ten wie erhöhter Bewegungsdrang, zielloses Wandern, hektische Handlungen und verbal agitiertes Verhalten wie Rufen, Schreien, Jammern. Die Agitiertheit ist mit 34- 60 Prozent die am häufigsten beobachtete Verhaltensweise bei dementiell Er- krankten (Cohen-Mansfield, 1986). Vermutet wird, dass diese Verhaltensstörungen nicht nur von den degenerativen Abbauprozessen im Gehirn ausgelöst werden, sondern im Zusammenhang mit den Reaktionen der sozialen Umwelt auf die Erkrankung und den noch vorhandenen eigenen Wahrnehmungs- und Reaktionsmöglichkeiten stehen (Kitwood, 2000). Diese zusätzlichen Auffälligkeiten wie insbesondere Aggressivität, Tag-Nacht- Umkehr sowie Inkontinenz erschweren die häusliche Pflege durch Angehörige. Weyerer et al. (2004) verweisen auf Studien von Matter und Späth (1998), in denen pflegende Angehörige zur Pflegesituation befragt wurden. Drei Viertel empfanden 15 die Unruhe und pflegerische Tätigkeiten, die durch Inkontinenz in der Nacht ausge- löst wurden, als störend. In diesen Situationen wird eine Heimeinweisung wahr- scheinlicher. Nach Schätzungen von Bickel (2001) werden 80 % der dementiell Erkrankten mit zusätzlichen psychischen Auffälligkeiten im fortschreitenden Ver- lauf ihrer Erkrankung in eine stationäre Einrichtung übersiedeln und dort bis zu ihrem Tode verbleiben. Nach Weyerer et al. (2004) ist die Lebenserwartung de- mentiell Erkrankter vom Beginn der ersten Symptome bis zum Tod mit zirka fünf bis zehn Jahren deutlich geringer als bei nicht dementiell Erkrankten. Die Ursachen für eine Demenz sind sehr unterschiedlich. Vermutet werden zum Beispiel Austrocknung, Mangelernährung, Vergiftungen, Depressionen, hirnorga- nische Abbauprozesse und Herz-Kreislauferkrankungen. Die häufigste Diagnose mit zirka 70 Prozent ist die Alzheimer-Demenz (Maciejewski et al, 2001/Schulte, 2001), die zweithäufigste sind vaskuläre Demenzen (aufgrund von Gefäßerkran- kungen verursachte Veränderungen des Gehirns) mit zirka 15-20 Prozent (Weyerer et al. 2004). Der Krankheitsverlauf der Demenz wird basierend auf den Kriterien der DSM-II-R beziehungsweise DSM-IV (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, Maciejewski et al., 2001) in drei Schweregrade eingeteilt. Die Unterscheidung in leichte, mittelschwere und schwere Demenz bezieht sich überwiegend auf die Fähigkeit der selbständigen Lebensführung. Bei der leichten Demenz (Stadium I) sind soziale Aktivitäten, die räumliche und zeitliche Orientie- rung, das Langzeitgedächtnis und die Wortfindung bereits eingeschränkt, die Fä- higkeit zum unabhängigen Leben aber noch vorhanden. Das Verhalten ist durch Unsicherheit, depressive Verstimmungen und Stimmungsschwankungen geprägt. Bei der mittelschweren Demenz (Stadium II) ist die selbständige Lebensführung nur noch erschwert möglich. Die Betroffenen sind hochgradig vergesslich, leiden unter Sprechstörungen wie zum Beispiel das Vertauschen von Wörtern, Sprachver- stümmelung oder die ständige Wiederholung bestimmter Wörter und Wortfetzen. Dementiell Erkrankte sind in diesem Stadium oftmals ziellos unruhig, wandern umher und haben Angstzustände. Bei einer schweren Demenz (Stadium III) ist eine selbständige Lebensführung nicht mehr möglich. Die sprachliche Kompetenz der Betroffenen ist bis auf einige wenige Wörter oder Satzteile geschrumpft; sie leiden zum Teil unter völligem Gedächtnisverlust. Ihr Verhalten ist von ständiger Unruhe, Apathie oder auch Wahnvorstellungen geprägt. Ist in den vorherigen Stadien ihr körperlicher Zustand noch als normal zu bezeich- nen, so sind im Stadium III eine Stuhl- und Harninkontinenz, allgemeine Schwäche bis zur Bettlägerigkeit und Schluckstörungen zu verzeichnen (Maciejewski et al., 2001/Lind, 2003). 2.2. Demographische Aspekte zur Betreuung dementiell Erkrankter Die Zahl der Demenzkranken wird in den nächsten Jahren rasch ansteigen und, wie noch zu zeigen sein wird, zu enormen Pflege- und Versorgungskosten im stationä- ren und ambulanten Altenhilfebereich führen. Die Brisanz, die in dieser Entwick- lung steckt, scheint in der Öffentlichkeit nicht angemessen wahrgenommen zu werden. Angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung ist die Frage nach den Wirkungen spezieller Konzepte für diesen wachsenden Betroffenenkreis zu stellen. Im Jahre 2003 waren in Deutschland insgesamt 2,08 Millionen ältere Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Davon lebten 640 000 in Altenpflegeheimen. Die Mehrheit stellten Frauen mit insgesamt 68 Prozent dar. 16 81 Prozent der Pflegebedürftigen waren 65 Jahre und älter, 32 Prozent 85 Jahre und älter. Die Zahl der stationär Betreuten betrug 2,5 Prozent der Gesamtpopulation der über 65-jährigen (Statistisches Bundesamt, 2005). Diese Zahl ist im Vergleich zu 2001 um 36 000 gestiegen und mit ihr die Anzahl der stationären Pflegeplätze um 6,3 Prozent. Parallel zur Erhöhung der Zahl stationär Versorgter stiegen die Aus- gaben von 1999 bis 2003 um 14,2 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2005). Die Gruppe der Heimbewohner ist demzufolge für die Situation der Gesamtpopulation älterer Menschen nicht repräsentativ. Allerdings wird eine Institutionalisierung aufgrund des ständig steigenden Anteils alter Menschen mit zunehmendem Le- bensalter und dem Wegbrechen familiärer Strukturen immer wahrscheinlicher. In einer älteren aber immer noch aussagekräftigen Untersuchung weist Schick (1978) darauf hin, dass sich institutionalisierte alte Menschen von den nichtinstitutionali- sierten durch gesundheitliche, soziale und familiäre Defizite unterscheiden. Dies gilt ebenfalls für dementiell Erkrankte, die, wie noch zu zeigen sein wird, überwie- gend in stationären Altenpflegeeinrichtungen anzutreffen sind. Der Anteil der in unterschiedlichen Schweregraden dementiell erkrankten alten Menschen wird in den nächsten Jahren erheblich ansteigen. 1996 lag die Zahl bei 770 000; heute sind es nach Bickel (2001, 109) zirka 1,1 Millionen. Er geht von mindestens 20 000 Neuerkrankungen pro Jahr aus (2001, 113). Auf der Grundlage dieser Schätzungen und ausgehend von der Annahme, dass der unmittelbare Zu- sammenhang zwischen zunehmendem Alter und Demenz gleich bleibt, wird sich der Krankenbestand laut Bickel bis 2030 auf 1,56 Millionen erhöhen. Im Jahr 2050 wird die Zahl zwei Millionen betragen (Bickel, 2001 und Kern & Beske 1999). Die Versorgung und Betreuung der wachsenden Anzahl dementiell Erkrankter verursacht zunehmend ökonomische Belastungen. Bickel (2001) verweist auf Krankheitskostenstudien, in denen die bedeutsamsten Kostenfaktoren benannt wer- den. An erster Stelle sind hier die unbezahlten Leistungen der pflegenden Angehö- rigen zu nennen. Im Durchschnitt wird ihre Leistung mit sechs bis zehn Stunden am Tag angesetzt. Die Kosten für Erkrankungen der pflegenden Angehörigen, ver- ursacht durch die oftmals sehr emotional und körperlich belastende Pflege, sowie der Verlust an Lebensqualität bleiben in den Schätzungen unberücksichtigt. Da die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit mit zunehmender Erkrankung immer schwieriger wird, ist davon auszugehen, dass etwa ein Viertel aller von einer de- mentiellen Erkrankung betroffenen Personen in ein Altenpflegeheim übersiedeln wird. Während die Leistungen der pflegenden Angehörigen nur als indirekte Kos- ten berücksichtigt werden, werden die Kosten der Langzeitpflege in stationären Einrichtungen als direkte Kosten wirksam. Die Gesamtaufwendungen für die stati- onäre Langzeitpflege werden mit 50 bis 75 Prozent veranschlagt. Da, wie im Auf- riss erwähnt, nur selten eine Diagnose gestellt wird, sind die finanziellen Aufwen- dungen für Diagnose und Behandlung eher gering einzuschätzen. Sie belaufen sich auf zirka zwei bis drei Prozent der Gesamtkosten (Bickel, 2001). Werden die direkten und indirekten Kosten sowie die Kosten für Diagnose und Behandlung zusammen gezogen, ergeben sich pro Erkranktem zwischen zirka 25 000 bis 50 000 Euro. Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung überwiegen in der frühen Krankheitsphase die indirekten Leistungen durch pflegende Angehörige. Mit steigendem Schweregrad nehmen die Kosten für die Langzeitpflege zu. Für die Gesamtheit der zirka 1,1 Millionen Betroffenen werden die Gesamtkosten von Bickel für das Jahr 2001 (114) auf zirka 25 Milliarden Euro jährlich geschätzt. 17 Wie Weyerer et al. (2004) bemerken, hat sich das Verhältnis zwischen dementen und nicht dementen Bewohnern in den deutschen Altenpflegeheimen verschoben. In verschiedenen Studien wird die Anzahl dementiell Erkrankter an der Gesamtbe- wohnerschaft stationärer Pflegeeinrichtungen auf 50 bis 70 Prozent geschätzt (Weyerer et al. 2001; Bickel, 2001; Schäufele et al. 2002; BMFSFJ 1998). Wie dargestellt, liefert eine dementielle Erkrankung in Verbindung mit psychischen Auffälligkeiten den mit Abstand am häufigsten genannten Grund für eine Heim- aufnahme (Bickel, 1996). Weyerer et al. (2001) verglichen in ihrer repräsentativen Mannheimer Studie Heimbewohner in der Einzugsphase mit denen, die vier Jahre zuvor aufgenommen wurden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass in beiden Gruppen jeweils über 50 Prozent mittelschwer bis schwer dementiell erkrankt waren. Wissenschaftler, Politiker und Praktiker kritisieren angesicht dieser hohen Zahl die derzeitige Pflege und Betreuung in der stationären Pflege als unzureichend (Schmidt 2002, Weyerer et al. 2004, Baltes/Gutzmann, 1990, Müller 1994). Insbe- sondere wird der hohe Psychopharmakaeinsatz und das Ausmaß an freiheitsentzie- henden Maßnahmen bemängelt. In diesen Maßnahmen wird die Überforderung, zum Teil auch die Hilflosigkeit aller Beteiligten im Umgang mit den Erkrankten deutlich. Klie et al. (2005) kritisieren, dass weder die Pflegeversicherung in ihrem Pflegebe- dürftigkeitsbegriff und in ihrem Leistungsspektrum, noch die Einrichtungen und ambulanten Dienste auf die Bedürfnisse dementiell Erkrankter ausgerichtet sind. Es wird nach wie vor von einem somatisch Pflegebedürftigen und selbst bestimmt agierenden Heimbewohner ausgegangen. Da es keine einheitlichen konzeptionellen Richtungen in der stationären Altenhilfe in Deutschland gibt, lässt sich die Versor- gungssituation als noch im Versuchsstadium befindlich beschreiben. Viele Träger der Altenhilfe sind auf der Suche nach wirksamen Wegen zur Verbesserung der Versorgungsqualität und Lebenssituation dementiell Erkrankter. Angesichts der Größenordnung der Zunahme der dementiellen Erkrankungen und der damit verbundenen Pflegekosten ist die Frage zu stellen, wie die vorhandenen Ressourcen in der Pflege und Betreuung der dementiell Erkrankten (z. B. durch spezielle Pflege-, Betreuungs- und Wohnkonzepte) eingesetzt werden. Kann das Ziel einer angemessenen fachlichen und den besonderen Bedürfnissen dieser Per- sonengruppe gerecht werdenden Pflege mit diesen Konzepten erreicht werden? „Dabei geht es nicht um sozialromantische Deinstitutionalisierungsbilder, sondern um fiskalisch und gesellschaftspolitisch hoch relevante Gestaltungsfragen hinsicht- lich eines neuen Welfare-Mixes für die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz“ (Klie et al., 2005, 124). Auf diese Thematik wird im Folgenden näher eingegangen. 2.3. Theoretische Versorgungs- und Betreuungsmodelle Seit den 70er Jahren wurden aus verschiedenen Fachrichtungen theoretische Mo- delle zur Versorgung und Betreuung Demenzkranker entwickelt. Sie bilden die Grundlage für heutige Versorgungskonzepte und die räumliche Gestaltung statio- närer Einrichtungen. Entsprechend der Entwicklung neuer Konzepte hat sich der Altenheimbau in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten beständig verändert. 18 Zur Darstellung der Entwicklung bietet sich die vom KDA vorgeschlagene Unter- teilung in vier Generationen an (Bundesministerium für Gesundheit 2000). Praxis- relevante Modelle sind das medizinische Modell, das Rehabilitations- /Therapiemodell, ökologische Modelle und personenzentrierte Modelle wie unter anderem das psychosoziale Modell (Radzey et al., 2001). Ausgehend von der ursprünglichen Vorstellung, dass psychisch auffällige Personen „verrückt“ oder „besessen“ sind, fand die Pflege und Betreuung dieser Menschen noch um die Jahrhundertwende in Armenhäusern statt. Die Betreuungskonzepte waren geprägt vom Verwahrcharakter. Die erste Generation des Altenheimbaus, die bis in die 60er Jahre reichte, ist geprägt von dem frühen Charakter der „Ver- wahranstalten“ mit einfachsten Versorgungsformen. Merkmale sind Mehrbettzim- mer, lange funktionale Flure und minimale technische Ausstattung. Die eher kaser- nenhafte Organisation des täglichen Lebens bestand aus gemeinsamen Tages- rhythmen. Männer und Frauen wurden separiert untergebracht (Dieck, 1993). Das Pflegekonzept war an der „Verwahrung pflegebedürftiger Insassen“ orientiert und beinhaltete die Unterbringung und körperliche Versorgung (Arend, 2002). Müller (1994) weist in ihrer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Betreuungskonzepte für verwirrte alte Menschen darauf hin, dass sich die Sicht- weise von einem unbeeinflussbaren geistigen Verfall erst ab den 40er Jahren ver- ändert hat. Ausgelöst durch Ergebnisse verschiedener Experimente mit sensori- scher Deprivation wird der Weg für die Erkenntnis über die Zusammenhänge zwi- schen Umweltfaktoren und psychischen Veränderungen geebnet. Ergebnisse sind zum Beispiel die halluzinatorischen Reaktionen auch junger Menschen auf Stunden der Dunkelheit und Stille sowie in einer Umgebung mit nicht eindeutigen Geräu- schen und Lichtreizen. Nach Müller (1994) werden in diesem Zusammenhang Ver- gleiche zur „Reizdeprivation“ in Pflegeeinrichtungen gezogen. 2.3.1. Medizinisch/pflegewissenschaftliche Modelle Das medizinische Modell richtet den Fokus auf die biologischen Ursachen und Veränderungen der Erkrankung Demenz. Dahinter steht die bis in die 60er Jahre vorherrschende Defizit-Sichtweise, dass Alter gleichbedeutend mit Verlust ist (Wahl, 2004). Entsprechend dieser Fokussierung stehen die therapeutische Behand- lung der Erkrankung, eine stark auf körperliche Aspekte ausgerichtete Pflege und eine medikamentöse Behandlung der kognitiven und funktionalen Einschränkun- gen im Vordergrund. Alle Maßnahmen sind auf das Ziel der Heilung der Erkran- kung ausgerichtet und orientieren sich an der Krankheit des Patienten. Auf der Basis des medizinischen Modells entwickelte Pflege- und Betreuungskonzepte finden sich in Krankenhäusern, in der Langzeitbetreuung Demenzkranker und in ärztlich geleiteten gerontopsychiatrischen Stationen der Psychiatrischen Kliniken. Neben der medizinischen Therapie, die auf Heilung ausgerichtet ist, werden in diesen Einrichtungen auch kompensatorische Maßnahmen zur Symptomlinderung eingesetzt (Radzey et al., 2001). Der Altenheimbau der zweiten Generation orientiert sich an der Krankenhausarchi- tektur mit streng funktionaler Gliederung des Baukörpers und einer eindeutigen Ausrichtung auf Medizintechnik und Sterilität. Statt der Mehrbettzimmer überwie- gen jetzt Zwei- und Dreibettzimmer. Das Pflegekonzept ist auf die „Behandlung von pflegebedürftigen Patienten“ ausgerichtet und orientiert sich somit am medizi- 19 nischen Modell (Arend, 2002). Nach wie vor prägen lange funktionale Flure, ste- reotype Anordnungen der Räumlichkeiten und zentrale Versorgungseinheiten das Gesicht dieser Einrichtungen. Weitere positive Forschungsergebnisse über die Wirkungen neu eingeführter Hirn- stimulationsprogramme für psychisch Erkrankte führen seit den 50er Jahren zu einer erweiterten Sichtweise auf therapeutische Interventionsmöglichkeiten. Er- gebnisse sind zum Beispiel die Verbesserung des Allgemeinzustandes dementiell Erkrankter durch die persönliche Zuwendung seitens des Personals und einer Be- schäftigungstherapie. Nach Wahl/Heyl (2004) fand in den 60er Jahren ein Para- digmenwechsel statt: die Abwendung von der reinen Alter=Verlust Orientierung hin zu einem eher an Kompetenzen ausgerichteten Sichtweise. Diese Neuorientie- rung findet sich in Ansätzen in dem Realitäts-Orientierungs-Training (ROT), in- dem Erkenntnisse aus der Verhaltens- und Lerntheorie einflossen, wieder. 2.3.2. Rehabilitative / Therapeutische Modelle Seit den 60er Jahren wird in den USA ein neues Konzept von Folsom und Mitar- beitern (Müller, 1994) entwickelt: die Realitäts-Orientierungs-Therapie (ROT). Grundlage des Konzeptes und verschiedener Interventionsmaßnahmen ist die Ü- berzeugung, dass auch dementiell Erkrankte lernfähig sind und in einem gewissen Rahmen bleiben. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis wurden weitere Interventi- onskonzepte, wie zum Beispiel das Rehabilitations- beziehungsweise Therapiemo- dell, entwickelt. Das ROT besteht aus zwei Komponenten. Erste Komponente ist die Stimulation von Denken und Gedächtnis und zweitens die Belohnung von richtigem Verhalten (van der Kooij, 2001 / Gutzmann und Zank, 2005). Hauptprinzipien sind die Konfrontation der Betroffenen mit der Normalität mit dem Ziel, sie in die Gegenwart zurückzuholen. Das Programm wurde hauptsächlich von Pflegekräften durchgeführt und bestand in der Wiederholung der Informatio- nen über Tag, Stunde, Namen und Aufgaben. Richtiges Erinnern der Betroffenen wurde gelobt. In Trainingsprogrammen wurde das Gedächtnis, die Tagesstruktur etc. geübt. Die stark kognitive ausgerichtete therapeutische Interventionsform des ROT sowie die Konfrontation der Betroffenen mit Tatsachen führte bei den De- menzkranken zu Versagensängsten und zum Scheitern der Bemühungen. Das ROT wurde als „Erziehungsprogramm“ kritisiert (z. B. Klie, 2001). Das Rehabilitations- beziehungsweise Therapiemodell unterscheidet sich vom me- dizinischen Modell durch die Grundannahme, dass der dementielle Abbauprozess durch rehabilitative Maßnahmen verlangsamt oder ggf. gestoppt werden kann. Die Verbesserung bzw. Verlangsamung des Abbaus der kognitiven und funktionalen Leistungen soll durch gezieltes Training und Anregung der geistigen Fähigkeiten, wie sie zum Beispiel in Beschäftigungs- und Gedächtnistrainings stattfinden, er- reicht werden (Radzey et al., 2001; Meier-Baumgartner, 1994). Dementsprechend werden aktivierende und rehabilitative Konzepte der Pflege- und Betreuung entwi- ckelt, deren Grundlage das Rehabilitations- bzw. Therapiemodell bildet. Die Pfle- gekonzepte sind auf die „Aktivierung von Bewohnern“ ausgerichtet (Arend, 2002). Sie spiegeln sich in der Architektur der dritten Generation des Altenheimbaus wie- der- mit deutlich aufgelockertem Charakter, der an ein Wohnheim oder Hotel ange- 20 lehnt ist. In der Gestaltung des Wohnumfeldes spielen jetzt Privatsphäre, individu- elle Gestaltungsmöglichkeiten der Zimmer, zum Beispiel durch eigene Möbel, Gemeinschaftsräume zur Kommunikation und Beschäftigungstherapie, eine prä- gende Rolle. Nach wie vor gibt es zentrale Versorgungs- und Pflegeeinheiten, in denen die Arbeitsaufgaben bewohnerfern und stark funktionsbezogen durchgeführt werden. Dies geschieht zum Beispiel in Großküchen und Pflegedienstzimmern. Das Rehabilitations- beziehungsweise Therapiemodell wird überwiegend in Lang- zeitpflegeeinrichtungen der Altenhilfe und in geriatrischen Abteilungen der Kran- kenhäuser als Grundlage der Pflege- und Betreuungskonzepte eingesetzt. Alle drei Generationen sind durch das Defizitmodell vom Alter geprägt. Grundzü- ge finden sich noch heute in verschiedenen stationären Altenpflegeeinrichtungen wieder (Bundesministerium für Gesundheit, 2000). Die dritte Generation wird als die sogenannte klassische Form des Altenheimbaus bezeichnet (Bundesministeri- um für Gesundheit, 2000). Schmidt (2002) beschreibt die derzeitigen unterschiedlichen Settings in der statio- nären Betreuung dementiell Erkrankter als „Paradigmenwechsel“ von der therapeu- tischen Beeinflussung zur Entwicklung einer „krankheitsangemessenen Umwelt“. Als Basis für die Gestaltung dieser angemessenen Umwelt dienen ökologische Modelle. 2.3.3. Ökologische Modelle Ökologische Modelle wurden in den USA seit den 30er Jahren entwickelt und erst später auch in Deutschland, in der ökologischen Gerontologie, aufgegriffen. In den 60er bis zu den 80er Jahren stand Wohnen im Alter im Mittelpunkt vieler Studien. Auf ihrer Grundlage wurden ökologische Theorien zur Person-Umwelt-Sicht vom Alter entwickelt, die sich noch heute nachhaltig auf die Gerontologie auswirken. In Deutschland wurde zunächst der Fokus bis zu den 80er Jahren auf das Altern in Institutionen ausgerichtet und seit den 90er Jahren auf das Wohnen in Privathaus- halten. Die Forschung in den USA befasste sich seit Anfang der 1990er Jahre zu- nehmend mit der Person-Umwelt Beziehung dementiell erkrankter alter Menschen (Wahl, 2005). Die Forschungen belegen eine ständige Wechselbeziehung zwischen der räumlich-sozialen Umwelt und dem alten Menschen. Diese Erkenntnis bildet die Grundlage für verschiedene ökologische Modelle (Wahl, 2000/Saup, 1989). Person-Umgebungs-Passungs-Modell Das bekannteste ökologische Theoriekonzept ist das 1973 von Lawton und Nahe- mow entwickelte „Person-Umgebungs-Passungs-Modell“ (Radzey et al. 2001, Wahl, 2000). Nach diesem Konzept wird davon ausgegangen, dass es einem Men- schen wahrscheinlich gut geht, wenn seine Kompetenzen mit den Anforderungen der Umwelt übereinstimmen. Bei abnehmenden Kompetenzen, wie dies bei demen- tiell Erkrankten der Fall ist, beeinflussen die Umgebungsbedingungen im positiven wie im negativem Sinne die Befindlichkeit des Einzelnen. Der Stellenwert der Umwelt wächst mit den Kompetenzeinbußen und kann von den Betroffenen als „Umweltdruck“ (Wahl 2000) dem sie ausgesetzt sind, empfunden werden. Lawton betont in seiner „docility“-These die Möglichkeit der positiven Beeinflussung zum Beispiel von Verhaltensauffälligkeiten durch ein auf die individuelle Situation des 21 Einzelnen abgestimmtes, prothetisch gestaltetes Umgebungsmilieu (Saup, 1993). Die räumliche Gestaltung der Umgebung entspricht der vertrauten bisherigen Um- gebung, Funktionsräume sind klar und eindeutig gekennzeichnet, Flure und Ge- meinschaftsräume enthalten stimulierende Anregungen für den Einzelnen. Saup (1993) weist daraufhin, dass Lawtons Modell die Möglichkeit einer persönlichen Entwicklung, ausgelöst durch die Auseinandersetzung mit Umweltanforderungen, nicht berücksichtigt. Daher sieht er dieses Modell nicht prozeßhaft, sondern eher als statisch an. Person-Umgebungs-Interaktionsmodell Das ökologische „Person-Umgebungs-Passungs-Modell“ wurde von Kanaha (1975 und 1982) zum Person-Umgebungs-Interaktionsmodell (person-environment inter- action model) weiterentwickelt und erlangte in den USA besondere Beachtung. Dieses Modell wurde auf Altenpflegeheime und deren Bewohner angewendet. Grundlage ist die Vorstellung, dass sich ein Mensch immer dann wohlfühlt, wenn seine persönlichen Bedürfnisse mit den Bedingungen der Umwelt übereinstimmen. Die Übereinstimmung (congruence) zwischen Umwelt und Individuum bezieht sich nicht nur auf räumlich/physische Umweltaspekte, sondern auch auf soziale Umgebungsaspekte. Person-Umwelt-Streß-Ansatz Der „Person-Umwelt-Streß-Ansatz“, von Hall und Buckwalter 1987 entwickelt, wird als demenzspezifische Erweiterung der oben genannten Modelle gewertet (Radzey et al., 2001). Grundlage ist hier ebenso die Beziehung zwischen Umge- bungsbedingungen und den im weiteren Krankheitsverlauf zunehmenden kogniti- ven und funktionalen Einschränkungen der Betroffenen. Die ständige Überforde- rung der Betroffenen führt zu Aggressionen und Gefühlsausbrüchen. Bezogen auf das Konzept sollen die Umweltreize, die als Stressoren zu Abwehrreaktionen füh- ren können, auf ein Minimum reduziert oder ausgeschaltet werden. Das Betreu- ungsmilieu ist durch „kontrollierte Stimulation“ (Radzey et al. 2001; Wahl, 2000) und durch die Ausschaltung akustischer und visueller störender Reize wie zum Beispiel Radio oder Fernsehen gekennzeichnet. Mit dieser Vorgehensweise soll eine weitgehende Ausgeglichenheit der Betroffenen erreicht werden. Prozessmodell der Person-Umwelt-Interaktion Nach Saup lassen sich die verschiedenen theoretischen Ansätze der ökopsychologi- schen Theorie in drei Gruppen einordnen. Dies sind Kompetenz-, Kongruenz- und Streßverarbeitungs- beziehungsweise Prozessmodelle (Seidl und Walter, 2002). In den Kompetenzmodellen wird davon ausgegangen, dass die Anpassung der alten Menschen an herausfordernde Umweltbedingungen überwiegend von ihren Fähig- keiten beeinflusst werden. In den Kongruenzmodellen wird davon ausgegangen, dass die erfolgreiche Anpas- sung durch ein Übereinstimmen der Merkmale der Umwelt mit denen des alten Menschen ermöglicht wird. Beide Modelle erscheinen eher statisch im Gegensatz zu den Stress- bzw. Prozess- modellen. Bei diesen werden die alten Menschen als aktiv gestaltende Personen 22 innerhalb eines prozesshaften, sich immer wieder verändernden Umfeldes gesehen. Bei der näheren Betrachtung der Person-Umwelt-Beziehung erhalten alle drei As- pekte Bedeutung. Die Wahrnehmung der Umwelt wird dabei stark durch die indi- viduelle Betrachtungsweise, den Gesundheitszustand und die psychische Situation geprägt. Saup (1993) entwickelt das „Prozessmodell der Person-Umwelt- Interaktion im Alter“. Die Interaktion des älteren Menschen mit seiner „alltägli- chen räumlich-sozialen Umwelt“ steht dabei im Vordergrund. Saup sieht darin „einen Handlungsprozess, der einerseits durch Umweltfaktoren und Situationsmerkmale und andererseits durch personspezifische Faktoren wie Umweltdispositionen und –fähigkeiten als auch durch externe Ressourcen beein- flusst ist.“ (Saup, 1993, 48). Die alltäglich genutzte räumlich-soziale Umwelt wird unterteilt in „Settings“ (zum Beispiel Wohnung, Pflegestation) und „Aktionsräume“ (zum Beispiel Altenpflege- heim, Quartier) (Saup, 1993). Saup ordnet beiden zur näheren Charakterisierung verschiedene Attribute zu. Dies sind beispielsweise Erreichbarkeit und Zugäng- lichkeit, Sicherheit und Unterstützungsgrad, Anregungsgehalt und Stimulierung, Lesbarkeit und potentieller Belastungsgrad der unmittelbaren Umwelt (vgl. Saup, 1993). Diese Umweltmerkmale können sich fördernd oder behindernd auf die Per- son-Umwelt-Aktion auswirken. In diesem Sinne kann die Umwelt als Ressource für subjektive Prozesse der Auseinandersetzung beziehungsweise im negativen Falle behindernd als Barriere auf individuelle Verhaltensweisen auswirken. Mit beeinflusst werden die Person-Umwelt-Interaktion durch habituelle, im Laufe der Biographie erworbene und geprägte Personmerkmale. Saup bezeichnet sie als „Umweltdispositionen“. Dies sind zum Beispiel die Sensibilität gegenüber auditi- ven und sensitiven Reizen, die individuell stark ausgeprägt sind und zu einer unter- schiedlichen Wahrnehmung von Beeinträchtigungen führen. Individuelle Unter- schiede in den Umweltdispositionen werden auch durch psychische und physische „Umweltfähigkeiten“ und der Verfügbarkeit externer, finanzieller und sozialer Ressourcen, wie zum Beispiel Geld und enge Beziehung zu Angehörigen, deutlich. Verhalten und Erleben des älteren Menschen werden nach diesem Modell nicht nur durch die faktische räumliche-soziale Umwelt, sondern auch durch die subjektiv erlebte Umwelt geprägt. In einer „Ziel-Perzeptions-Bilanzierung“ (Saup, 1993, 55) werden die individuellen, situationsspezifischen Ziele mit den Anforderungen der konkreten räumlich-sozialen Umwelt verglichen. Die Ergebnisse dieser Bilanzie- rung können in der Übereinstimmung bestehen und deshalb positiv wahrgenom- men werden. Werden Diskrepanzen festgestellt, führt dies in der Regel zu kogniti- ven und / oder emotionalen Anstrengungen, um sie auszugleichen. Durch sein Ver- halten versucht der ältere Mensch, einen verändernden Einfluss auf seine Umwelt auszuüben. Gelingt dies, so kann von einer positiven Person-Umwelt-Interaktion ausgegangen werden. Gelingt dies dauerhaft nicht, können negative Auswirkungen auf die Persönlichkeit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität die Folge sein. Die in vielen Untersuchungen zur Situation von Heimbewohnern festgestellte Hoffnungslosigkeit, Depressivität und Rückzugtendenzen der Bewohnerschaft deuten auf eine überwiegend negative Ziel-Perzeptions-Bilanzierung in stationären Einrichtungen der Altenhilfe hin. 23 2.3.4. Soziotherapeutische Modelle Das soziotherapeutische Modell wurde 1980 in Holland entwickelt und führte in Holland zum Teil zur Auflösung der vorherigen, großräumigen Heimstrukturen zugunsten kleinerer Wohneinheiten mit Selbstversorgungscharakter. Grundlage dieses Modells ist die Erweiterung der materiellen, räumlichen Umwelt auf die soziale Umwelt der Betroffenen. Der wichtigste Umweltfaktor sind in diesem Mo- dell die Menschen, die in einem Altenheim miteinander zu tun haben (Kors/Seunke, 1997). Dies sind die Bewohner, das Personal, die Mitbewohner, die Familie und die Ehrenamtlichen. Sie sind es, die die Umwelt prägen und deren Einfluss verändern können. Nach der Definition des Ausschusses für Soziotherapie ist Soziotherapie „...die methodische Einflussnahme auf das Lebensklima einer Gruppe von Patien- ten mit dem Ziel, diese Gruppe klinisch oder teilweise klinisch zu behandeln, wo- bei die Behandlungsziele der einzelnen Patienten berücksichtigt werden“. (Kors/Seunke, 1997, 58). Ein soziotherapeutisches Klima besteht aus vier Bedingungen. Wichtigste Bedin- gung ist die Bildung von Kleingruppen, die sich idealerweise aus bis zu acht Be- wohnern zusammensetzen und einen starken Familiencharakter aufweisen. Zweite Bedingung ist die Differenzierung in Gruppen mit Menschen, die in etwa das glei- che Niveau beziehungsweise Krankheitsstadium haben. Damit soll verhindert wer- den, dass Bewohner zum Beispiel wegen störenden Verhaltens ausgegrenzt wer- den. Idealerweise ergänzen und stützen sich die Bewohner untereinander. Durch eine anregungsreiche Umwelt- und Angebotsgestaltung wird die Motivation der Betroffenen, ihre Selbständigkeit zu erhalten und zu fördern, angeregt. Vierte Be- dingung ist die Integration der Angehörigen, freiwilligen Helfer und aller an der Pflege und Betreuung Beteiligten in die Alltagsgestaltung. Die Pflege und Betreu- ung wird nach diesem Modell in Form der Gruppenpflege durchgeführt (Kors/Seunke, 1997). 2.3.5. Psychosoziale Modelle Im Jahre 1993 wurde von Tom Kitwood in England das psycho-soziale Modell zur Pflege und Betreuung dementiell Erkrankter entwickelt (Kitwood, 2000). Grundla- ge dieses Modells ist die besondere Bedeutung, die den sozialen Beziehungen zwi- schen Betroffenen und ihren Aktionspartnern zugemessen wird. Im Mittelpunkt dieses Konzeptes steht der Mensch und nicht die Erkrankung. In diesem personen- zentrierten Ansatz ist die Erkrankung Demenz eine besondere Belastung für die Betroffenen und ihre Bezugspersonen, da sie in der Kommunikation und Interakti- on durch die kognitiven und funktionalen Veränderungen im Krankheitsverlauf zunehmend eingeschränkt sind. Probleme im Zusammenleben und die individuelle Situation des Betroffenen sind deshalb die wichtigsten Fragestellungen im psycho- sozialen Modell. Erweitert wird das Modell durch die Berücksichtigung der indivi- duellen Lebensqualität, die sich in der Beachtung individueller Bedürfnisse als auch in der Berücksichtigung des Rechts auf Selbstverwirklichung ausdrückt, zum Beispiel durch selbständige Tätigkeiten (Radzey et al., 2001). Dadurch sollen de- mentiell Erkrankte das Gefühl der Unabhängigkeit erleben. Voraussetzung ist, dass die Tätigkeiten auf die individuelle Situation und das Vermögen des Einzelnen abgestimmt sind und dessen Gewohnheiten und Interessen entsprechen. Verletzun- 24 gen oder andere Gefährdungen der Betroffenen werden als nachrangig betrachtet. Das psychosoziale Modell nach Kitwood (2000) stellt ein Konzept zur Umsetzung der individuellen Lebensqualität für alte Menschen mit dementiellen Erkrankungen dar. Es wird inzwischen in den USA, Großbritannien, Japan, Spanien und in Deutschland in den Einrichtungen zur Verbesserung der Betreuung von dementiell Erkrankten eingesetzt (Radzey et al., 2001/Innes, 2004). Die wichtigsten Gedanken der ökogerontologischen Modelle und des psychosozia- len Modells nach Kitwood stellen in dieser Arbeit den theoretischen Hintergrund für die Beobachtung des Wohlbefindens bei dementiell Erkrankten dar. Aus diesem Grund wird das psychosoziale Modell nach Kitwood unter dem Aspekt des Wohl- befindens im Kapitel 3 näher erläutert. Auf der Grundlage der ökologischen Modelle und unter Einfluss psychosozialer Konzepte wie zum Beispiel von Kitwood entsteht die vierte Generation des Alten- heimbaus, in der die räumliche Gestaltung an einer normalen Wohnung und am Konzept der „alltagsnahen Normalität“ (Bundesministerium für Gesundheit, 2000, 9) ausgerichtet ist. Es entstehen die „Hausgemeinschaften“. Sie stellen eine Weiterentwicklung der bisher pflegedominierten Heimkonzepte hin zu Unterstützungsformen für weitgehend selbstbestimmtes Leben auch bei hoher Pflegebedürftigkeit dar. Einfluss auf die Entwicklung dieser Konzepte hat die Be- wegung innerhalb der Behinderten- und Psychiatriereform, die in den 70er und 80er Jahren die Auflösung stationärer Großeinrichtungen zugunsten kleiner Wohn- gruppen bewirkt hat. In dieser Zeit entstanden Wohngruppenkonzepte, die sich fachlich nicht mehr an der „Anstaltsversorgung“ mit medizinisch / pflegerischen Hintergrund, sondern an der gelebten „Normalität“ ausrichteten. Dies sind selbst- organisierte Wohngemeinschaften für psychisch Kranke, jüngere Menschen, ambu- lant konzipierte Wohngemeinschaften für dementiell Erkrankte, stationär ausge- richtete Hausgemeinschaften und sowohl ambulant als auch stationär betriebene Wohngruppen. Die wesentlichen Unterschiede ergeben sich in der Anwendung des Heimgesetzes, das für die stationär betriebenen Hausgemeinschaften zur Geltung kommt und der Radikalität, in der sie eine normale Wohnung als Wohnumfeld nutzen. So befinden sich im Wesentlichen die ambulanten Wohngemeinschaften in einer normal angemieteten Wohnung, in der zum Beispiel die Sanitärräume nicht der Heimmindestbauverordnung (die Badewanne muss an drei Seiten frei zugäng- lich sein) entsprechen. Für alle drei Wohnformen gilt eine geringe Gruppengröße, die zentrale Rolle der gemeinsamen Gestaltung des Alltags, die Einbeziehung der Angehörigen und Ehrenamtlichen sowie der Beteiligung der Betroffenen an den Aktivitäten des täglichen Lebens. Im Folgenden wird näher auf die stationäre Betreuungsform der Hausgemeinschaften eingegangen. Alle Aktivitäten in diesen Hausgemeinschaften sind am Ablauf und den Tätigkei- ten in einem normalen Familienleben ausgerichtet. Dem Leitbild entsprechend werden die Anstaltsstrukturen mit den zentralen Versorgungseinheiten zu Gunsten kleiner familienähnlicher Bewohnergruppen, in denen sämtliche Aktivitäten statt- finden, aufgelöst. Die Bewohner dieser Gruppen werden zum „Mitglied einer Hausgemeinschaft“. Es gilt der Grundsatz: „so viel Selbständigkeit wie möglich, so viel Pflege und Hilfe wie nötig“ (Bundesministerium für Gesundheit, 2000, 12). Die Gestaltung der Räumlichkeiten weicht von der bisherigen Stationsstruktur ab. Die Zimmer der Wohngruppenmitglieder sind um den zentralen Mittelpunkt mit dem großzügigen, gemeinschaftlich genutzten Wohn-/Essbereich mit einer offenen Küche herum gruppiert. 25 In der folgenden Tabelle werden die verschiedenen Generationen des Altenheim- baus mit ihren Leitbildern, Kennzeichen, Grundzügen der Pflege- und Betreuungs- konzepte sowie deren Nutzer zusammengefasst. Tabelle 1: Darstellung der verschiedenen Generationen des Altenheimbaus Gene- ration Leitbild Kennzeichen Pflege- und Betreuungs- konzept Nutzer I Verwahran- stalt Wohn- und Schlaf- säle Unterbringung und kör- perliche Versorgung nach dem Modell der Verwahr- pflege Insasse II Krankenhaus Pflegestationen Grund- und Behandlungs- pflege nach dem medizini- schen Modell Patient III Wohn- heim/Hotel Wohnbereiche/ zentrale Einrichtun- gen Aktivierende rehabilitative Pflege nach dem Rehabili- tations- bzw. Therapiemo- dell Bewohner IV Hausgemein- schaft Kleine familienähn- liche Gruppen mit permanent anwe- sender Bezugsper- son Selbstbestimmtes am All- tag ausgerichtetes Leben nach dem ökologischen und psychosozialen Mo- dell Mitglied 26 2.3.6. Tabellarische Synopse der verschiedenen Modelle Im Folgenden werden die verschiedenen theoretischen Modelle, die jeweiligen zugrunde liegenden Sichtweisen zur Demenz, Zielsetzungen und Interventionen tabellarisch dargestellt. Tabelle 2: Tabellarische Synopse der verschiedenen Modelle Theoretische Modelle Sichtweisen zur Demenz Zielsetzungen Maßnah- men/Interventionen Medizinische/ pflegewissen- schaftliche Modelle Demenz als Krank- heit mit molekular- biologischen und neuropsychischen Defiziten/Zerstörung der neuronalen Funktionen Ziele: Stabilisierung des Gesundheitszu- standes der Erkrank- ten, Verringerung der Verhaltensauf- fälligkeiten Kausale Behandlungsstra- tegien, Behandlung der Symptome zur Verzöge- rung bzw. Heilung der Krankheit Rehabilitative/ therapeutische Modelle Lebenslanges Ler- nen möglich; kogni- tivistische Herange- hensweise Ziele: Verlangsa- mung des Abbau- prozesses durch Stimulation und Lernsituationen Stimulation von Denken und Gedächtnis; Konfron- tation mit der Normalität; Belohnung richtigen Ver- haltens Ökologische Modelle Einfluss der räumli- chen Milie- us/Person-Umwelt- Beziehung Ziele: demenz- bzw. kompetenzgerechte Ausgestaltung der Wohnformen und Formen des indivi- duellen Umgangs mit Demenzkranken Individuelle Anpassung der räumlichen und sozia- len Umweltgestaltung Soziothera- peutische Modelle Einfluss des Perso- nals, der Angehöri- gen und Mitbewoh- ner Ziele: Teilhabe an Gemeinschaft trotz der Erkrankung/ Ermöglichung von sozialer Interaktion und Kommunikation Methodische Einfluss- nahme auf das Lebens- klima einer Gruppe Psycho- soziale Modelle Akzeptanz der Er- krankung und ihrer Symptome/ Verbindung von sozialer und Person- Umwelt-Beziehung Ziele: Gelingender Alltag; Wahrneh- mung individueller Wünsche und Be- dürfnisse/ Verbesserung der Lebensqualität Verknüpfung von Raum- struktur und personalen Milieukomponenten; Schaffung einer demenz- gerechten Normalität Zur Beurteilung der Güte der verschiedenen Modelle kommen die Autoren der Studie des BMFSFJ (2001) zu dem Schluss, dass wichtige Zielkriterien bei der Evaluation der Betreuungkonzepte meist nicht untersucht werden und systemati- sche Untersuchungen zu den Effekten einzelner Betreuungskonzepte ebenfalls nicht vorliegen. Eine Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse sowie internationa- le Vergleiche scheitern zudem an der mangelnden einheitlichen Definition der wichtigsten Begrifflichkeiten, wie Re und Wilbers (2004) feststellen. 27 Ungeachtet mangelnder Wirksamkeitsstudien sind in der Altenhilfe seit den 80er Jahren eine Reihe von Rezepten zur Demenzbetreuung mit einfachen Erklärungs- versuchen verbreitet, darunter Konzepte wie das ROT, das in den 90er Jahren von der Validation abgelöst wurde; später folgte das Snoezeln (eine Übersicht bietet das KDA 2001). Die Umsetzung der Konzepte ist mit hohen Kosten in der Schu- lung der Mitarbeiter beziehungsweise in der baulichen Umsetzung (Einrichtung eines Snoezelraumes) verbunden, deren Nutzen bisher nicht evaluiert wurde. Das verdeutlicht den hohen Handlungsdruck, der heute auf die Einrichtungen der stati- onären Altenhilfe besteht. 2.4. Institutionelle Wohn- und Versorgungsformen Stationäre Einrichtungen der Altenhilfe werden entsprechend ihrer Wohnform in Altenpflegeheime, Altenwohnheime und Altenheime unterteilt. Diese klassischen Heimtypen lassen sich heute nicht mehr eindeutig von einander abgrenzen. Es ha- ben sich vielmehr Mischformen herausgebildet, die verschiedene Wohnformen in einer mehrgliedrigen Einrichtung vereinen. In der Alltagssprache wird die Be- zeichnung Altenheim weitgehend synonym für Pflegeheim verwendet und mit entsprechend negativen Assoziationen verbunden. 2.4.1. Formen der stationären Versorgung Das Altenheim eignet sich für alte Menschen jenseits des 65. Lebensjahres, die keine beziehungsweise nur geringe Unterstützung bei der Gestaltung des Alltags benötigen und in der Lage sind, den eigenen Haushalt ohne Hilfestellung durch Dritte zu führen. Im Altenheim werden in der Regel Zimmer oder kleine altenge- recht gestaltete Appartements mit Küche und Bad angeboten. Die Einrichtungen sind überwiegend an ambulante Pflegedienste angeschlossen, die notwendige Hilfe und Pflege übernehmen können. Das reine Altenheim hat durch den weiteren Aus- bau der ambulanten Versorgung im Zuge des Pflegeversicherungsgesetzes und der Schaffung von Service-Wohnanlagen für alte Menschen an Bedeutung verloren (Marwedel, 2004/Dieck 1994). Diese Alten-Service-Häuser verkörpern das Wohn- angebot in den Quartieren für Menschen mit niedrigeren Einkommen. Sie werden in der Regel mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaues finanziert. Ihr Konzept be- steht darin, das Dienstleistungsangebot fortlaufend dem Bedarf entsprechend anzu- passen bis hin zur Sterbebegleitung und Pflege bis zum Tode. Demgegenüber bieten Altenwohnheime gestaffelte Wohnangebote, von kleinen Ein-Zimmer-Appartements mit Kochnische und Bad bis zu Zwei- und Drei- Zimmer-Appartements. Die Appartements sind altengerecht eingerichtet und mit Notrufsystemen ausgestattet. Je nach Bedarf können weitere Hilfestellungen und Unterstützung einschließlich Pflege und Betreuung hinzugewählt werden. Auch diese Wohnform richtet sich an ältere Menschen, die ihre Selbständigkeit in weiten Teilen des täglichen Lebens besitzen und noch nicht dauerhaft auf Pflege und Betreuung angewiesen sind. Das Altenpflegeheim richtet sich an dauerhaft pflegebedürftige alte Menschen und bietet eine umfassende pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung an. Die pflegebedürftigen alten Menschen leben in Ein- oder Mehrbettzimmern. Die Pflege 28 und die hauswirtschaftliche Versorgung werden in der Regel von im Heim ange- stellten Mitarbeitern geleistet. Aufgrund der demographischen Entwicklung und des Ausbaus des ambulanten Versorgungssystems hat sich die Bewohnerschaft dieser Einrichtungstypen gewan- delt. Die früher gültige Einteilung der Bewohner in rüstige Altenwohnheimbewoh- ner ohne Pflege- und Betreuungsbedarf und umfassend pflegebedürftige Altenpfle- geheimbewohner ist so nicht mehr haltbar. Auch in die Altenheime und Alten- wohnheime ziehen inzwischen Bewohner mit psychiatrischen Erkrankungen ein. Nach Untersuchungen von Grond (1993) zu Diagnosen von Bewohnern der ver- schiedenen Wohnformen befinden sich in Altenpflegeheimen Bewohner mit psy- chiatrischen Krankheiten zu 82 Prozent, in Altenheimen zu 61,8 Prozent und in Altenwohnheimen zu 38,5 Prozent. Der Anteil der Demenzerkrankung nimmt in- nerhalb der psychiatrischen Krankheiten den größten Anteil ein. Damit wird der Bedarf einer Anpassung an die veränderten Bedürfnislagen ihrer derzeitigen und künftigen Bewohnerschaft in allen drei Wohnformen deutlich und erfordert neue Wohnkonzepte. Übersicht entnommen aus Grond (1993, 130). Diagnosen Altenpflegeheim Altenheim Altenwohnheim Demenz 56,9% 38,2% 7,7% Depression 12,5% 16,2% 23,5% Alkoholismus 5,6% 1,5% - Schizophrenie 1,4% 1,5% 5,1% Persönlichkeits- störung 5,6% 4,4% 2,6% Psychiatr. Krank- heiten insgesamt 82,0% 61,8% 38,5% 2.4.2. Stationäre Pflegesettings Der Begriff „Setting“ stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt „Rah- men“ oder „Umgebung“. Der Brockhaus (2001, 546) subsumiert unter „Setting“ „...allgemein die objektive, physisch-soziale Umgebung eines Ereignisses. Im wei- teren Sinn werden darunter auch alle Rahmenbedingungen für einen Prozess ver- standen.“ Eine erweiterte Definition liegt von Dorsch (Psychologisches Wörterbuch 1998, 787) vor: „Setting (engl. Setzen, Anordnung), Milieu, Umgebung, Situation, Arrangement...“ Der Ökogerontologe Saup (1993, 80) greift den Umweltaspekt des Begriffes „Set- ting“ auf: „Das Setting kann auch als eine phänomenale Umwelteinheit interpretiert werden; d.h. die Alltagsmenschen sind mit Settings als Orte ihrer unmittelbaren Alltags- 29 umwelt phänomenal vertraut....Das alltägliche Verhalten und Erleben älterer Men- schen ist in ihre unmittelbare Lebensbereiche (Settings) eingebettet.“ Saup bezieht sich mit dieser Sichtweise auf sozial- und verhaltenswissenschaftliche Theoriekonzepte, unter anderem das Konzept des „Behavior Setting“ aus der öko- logischen Psychologie. Grundlage ist der von Barker (Volpert, 1984, Saup, 1993) geprägte Begriff des „Behavior Setting“ ( behavior englisch= Verhalten). Volpert (1984, 1-2) zitiert in seiner Darstellung des Behavior Setting die Um- schreibung von Kaminski von 1983 nach der das Behavior Setting „eine überindividuelle ökobehaviorale System-Einheit, ein raumzeitlich abgrenzba- res Gesamt-Geschehen, dessen innere Organisiertheit durch eine Art Programm bestimmt erscheint und das bis in seine Details auf das physische Milieu abge- stimmt erscheint ... Jedes dieser Behavior Settings ist gekennzeichnet durch spezi- fische gleichbleibende Verhaltensmuster (standing patterns of behavior), die sich aus seinem Programm ergeben. Mit ihnen ist gleichsam vom Gesamtsystem her weitgehend festgelegt, welche Handlungen das sich im System aufhaltende Indivi- duum (´inhabitant´) vollführt.“ Mit diesem Ansatz werden die Auswirkungen der äußeren Umweltbedingungen auf den einzelnen Menschen erklärt. Saup (1993, 10) führt, wie vorher dargestellt, dazu aus: „Die Betrachtung der räumlichen Dimension des menschlichen Alltags muß dem- nach eine zweifache oder doppelseitige sein; sie muß einerseits die sozial definier- ten räumlichen Umfelder des alltäglichen Lebensvollzugs fokussieren, andererseits aber auch die raumbezogenen Verhaltensweisen im Alltag thematisieren.“ Bezug nehmend auf die oben geschilderten Definitionen lassen sich drei Faktoren des Settings gesondert betrachten. Dies sind die Unterbringung (bauliche, konzep- tionelle Faktoren), die Betreuung (Pflege- und Betreuungsmodelle) und die raum- bezogenen Verhaltensweisen (Interaktion und Kommunikation). Im Folgenden sollen zunächst die räumlich konzeptionellen Faktoren in Verbin- dung mit stationären Pflege- und Betreuungsmodellen für alte Menschen mit De- menz dargestellt werden. Die raumbezogenen Verhaltensweisen werden im Kapitel 4 ausführlicher dargestellt. In der Langzeitversorgung alter Menschen lassen sich drei Formen der Settings je nach Zusammenführung oder Trennung in demente und nichtdemente Bewohner unterscheiden: integrative, teilintegrierte und segregative Versorgungssettings. Integrative Settings In den meisten Einrichtungen überwiegt die integrative Pflege- und Betreuungs- form. Sie wird von Schmidt (2002, 97) als „Integration ohne Integrationskonzept“ bezeichnet. Alle Bewohner leben und wohnen unabhängig von ihren Beeinträchti- gungen gemeinsam in einer Einrichtung bzw. Tür an Tür. Es findet keine auf die besonderen Bedürfnislagen der dementiell Erkrankten abgestimmte Betreuung und Pflege statt. Die Gemeinschaftsräume werden von dementen und nichtdementen Bewohnern genutzt; Beschäftigungsangebote richten sich an beide Gruppen. Die 30 gemeinsame Unterbringungsform setzt ein hohes Maß an Verständnis, Rücksicht- nahme und Toleranz beider Parteien voraus, das nicht immer vorhanden ist. Schmidt (2002) verweist auf die Situation der nichtdementen Bewohner, die im Zustand der körperlichen Pflegebedürftigkeit mit zum Teil ängstigenden Verhaltensweisen der dementiell Erkrankten konfrontiert werden. Probleme, die sich aus dem „verordneten“ Zusammenleben in der Praxis ergeben, sind zum Beispiel Aggressionen, Unverständnis und Ablehnung auf beiden Seiten (Müller, 1994 / Schmidt, 2002). Neben den sich eher aus dem praktischen Zusammenleben ergebenden negativen Aspekten des integrativen Ansatzes gibt es eine Reihe theoretisch-ethischer Argu- mente, die für ein Zusammenleben sprechen. Müller (1994) verweist auf den Son- derstatus, den die dementielle Erkrankung durch eine gesonderte Behandlung der Betroffenen erhält. Dadurch werde die dementielle Erkrankung als nicht zum nor- malen Leben dazugehörend stigmatisiert. Eine Unterbringung in einer geschlosse- nen Abteilung, Einrichtung oder Tagesgruppe wäre mit einem Ortswechsel, da- durch ausgelösten notwendigen Anpassungsprozessen und erheblichen Einschrän- kungen in den persönlichen Selbstbestimmungsrechten der Betroffenen verbunden. Müller (1994, 20) verweist auf Dörner & Plog und Mätzke, nach denen ein „nor- males“ Umfeld und ein „normaler“ Umgang eine stabilisierende Wirkung auf de- mentiell Erkrankte haben können. Niebuhr (2004, 51) kommt in ihrer Zusammen- fassung von Interviews mit 40 Demenzkranken, die zum Teil in stationären Ein- richtungen lebten, zu einem ähnlichen Ergebnis. „Das wichtigste Bedürfnis, das demenziell Erkrankte äußern, ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und sozialen Kontakten. Demenzkranke wollen dazugehören, sie suchen die Nähe zu anderen ... Dieses Bedürfnis nach sozialen Kontakten ver- deutlicht, wie wichtig es für die Kranken ist, ihr Leben möglichst „normal“ weiter- zuführen. Am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, dazuzugehören und nicht ausgegrenzt zu werden ist das zentralste Anliegen, das die Erkrankten auf vielfältigste Weise zum Ausdruck bringen.“ (Niebuhr, 2004, 51) Des Weiteren können nichtdemente Bewohner von den Unterstützungsmaßnahmen für demente Bewohner profitieren und mit deren Hilfe ihre Selbständigkeit länger erhalten (vgl. auch Grond, 1991). Befürworter des integrativen Ansatzes befürchten in einer Separierung Demenzkranker deren Stigmatisierung als psychisch Kranke mit den Folgen einer weitgehenden Ausgrenzung und Abwertung in der Öffent- lichkeit sowie im Heimgeschehen (Lind, 2000). Weitere positive Ergebnisse ergab eine vergleichende Evaluationsstudie zur De- mentenbetreuung, die in Hamburg mit traditionell integrativ versorgten Demenz- kranen durchgeführt wurde. Die von Weyerer et al. (2005, 2006) durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass im integrativen Modell die Aktivitäten der Be- wohner höher waren und länger von den Betroffenen aufrechterhalten werden konnten. Ebenfalls zeigte sich, dass eine Steigerung der Besuchshäufigkeit von Angehörigen sowie deren Einbindung in Pflege und Betreuung in diesen Einrich- tungen zu verzeichnen waren. Aufgrund dieser positiven Ergebnisse kann die integrative Betreuungsform nicht grundsätzlich als überholt betrachtet werden. Voraussetzung scheint allerdings eine konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Probleme im Zusammenleben von dementen und nichtdementen Bewohnern, die nicht dem zufälligen Gelingen überlassen sein darf. 31 Teilsegregative Settings Als Antwort auf die oben geschilderten Fragestellungen wurden teilsegregative Settings entwickelt. Teilsegregative Unterbringungsformen bestehen aus einer Kombination von integrativen, wie zum Beispiel das mit Nichtdementen gemein- same Wohnen auf einer Station, und segregativen Elementen, wie die zeitweise Betreuung in besonderen Tagesgruppen. Vorteile des teilintegrierten Ansatzes lie- gen einerseits darin, in den Tagesgruppen dementiell Erkrankte individuell fördern zu können und andererseits ein gemeinschaftliches Leben im „normalen“ Umfeld zu ermöglichen. Nichtdemente Bewohner erhalten eine zeitliche Entlastung und können von den allgemeinen Unterstützungsmaßnahmen wie zum Beispiel Orien- tierungshilfen profitieren (Schmidt, 2002). Praktiker berichten über positive Effek- te für nicht dementiell erkrankte Bewohner, bei dementiell Erkrankten sind hinge- gen die Ansichten gemischt. Einerseits profitieren sie von den individuellen För- dermöglichkeiten. Andererseits führt der tägliche Ortswechsel von der vertrauten Umgebung in die Tagesgruppe und zurück bei einigen zu erhöhter Unruhe und Weglauftendenzen. Hinzu kommt, dass sich dementiell Erkrankte gegenseitig mit ihrer Unruhe und Angst anstecken (Müller, 1994). Die Aufenthaltszeit in der Gruppe kann für die Betroffenen in diesem Fall zu einer Belastung werden. Segregative Settings In einigen Einrichtungen werden segregative Betreuungsformen angeboten. Hierbei handelt es sich um klar von anderen Pflegebereichen abgegrenzte Wohngruppen, die ausschließlich für dementiell Erkrankte geschaffen worden sind (auch nach dem Domusprinzip benannt). Diese Wohngruppen unterscheiden sich durch eine strikte Ausrichtung der Betreuungs- und Beschäftigungsangebote auf die Bedürf- nisse dieser Bewohnergruppe. Weyerer et al. (2004) weisen daraufhin, dass in Deutschland wenige wissenschaftlich gesicherte quantitative Studien zu Wirkun- gen besonderer stationärer Versorgungsformen für Demenzkranke vorliegen. Sie verweisen auf Praxisberichte, Einzelfallstudien wie von Damkowski et al. 1994 und Demenz-Verein Saarlouis e. V. 2000 und die Erfahrungen aus dem „Modell- programm Stationäre Dementenbetreung“ in Hamburg, die einhellig über positive Auswirkungen der separierten Betreuung auf die Betroffenen, das Personal und Angehörige berichten. Weitere positive Ergebnisse ergaben sich auch in amerikani- schen Studien in Bezug auf Aktivitätsniveau, Geselligkeit, Agitiertheitsgrad und Fixierungen. Diese positiven Einschätzungen in Bezug auf die Kernsymptome der Demenz, wie zum Beispiel der Verlust der Selbständigkeit in der Durchführung alltäglicher Tä- tigkeiten sind von amerikanischen Forschungen nicht bestätigt worden. „Nach den bisherigen Forschungsbefunden kann eine Verzögerung des Leistungs- abbaus bei Demenzkranken, wenn überhaupt, in erster Linie durch antidementive Medikamente und nur für eine begrenzte Zeitspanne erreicht werden“ (Weyerer et al., 2004, 7 und 2005, 87). Ebenfalls nicht nachgewiesen werden konnte eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Grad der Selbständigkeit in den alltäglichen Tätigkei- ten. 32 Weyerer et al. (2004 und 2005) verweisen auf die Ergebnisse einer an ihrem Insti- tut in Mannheim durchgeführten quantitativen und qualitativen Interventionsstudie, in der festgestellt wurde, dass einerseits die kognitiven Beeinträchtigungen und der Verlust an Selbständigkeit nicht beeinflusst werden konnten. Andererseits konnte durch zum Beispiel körperliche Aktivierung und andere kompetenzfördernde Maß- nahmen eine positive Beeinflussung nichtkognitiver Symptome festgestellt werden. Ebenfalls zeigten sich in den Indikatoren für Lebenszufriedenheit deutliche Unter- schiede zu integrativen und teilsegregativen Konzepten. So äußerten die Bewohner häufiger positive Gefühle; es entstanden mehr Sozialkontakte zum Personal; es wurden weniger freiheitsentziehende Maßnahmen notwendig, und es fand eine bessere gerontopsychiatrische Versorgung statt. Weyerer et al. (2004) warnen da- vor, aufgrund der bisher vorliegenden international uneinheitlichen Forschungser- gebnisse Schlussfolgerungen für die Umsetzung zu ziehen. Dafür liegen ihrer Mei- nung nach zu wenig Erfahrungen und Evaluationen vor. Unter anderem fordern sie „Erfolgs-“ bzw. „Outcome-Kriterien“, die sich nicht nur an den Kernsymptomen der Erkrankung, sondern auch auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität der dementiell Erkrankten richten, in eine konzeptionelle Bewertung aufzunehmen. Erst dann können Empfehlungen für die eine oder andere Betreuungsform ausge- sprochen werden. Es ist zu befürchten, dass die fachliche Diskussion durch die demographische Ent- wicklung überholt wird. Mit der Zunahme der dementiellen Erkrankungen wird in naher Zukunft fast die gesamte Bewohnerschaft in stationären Einrichtungen von kognitiven Einschränkungen betroffen sein. Es wird dann nur noch die segregative Betreuung geben. Die integrierte Betreuung ist eine auslaufende Betreuungsform. Die teilsegregative Betreuung wird sich eher an unterschiedlichen Schweregraden der dementiellen Erkrankung ausrichten. Diese Entwicklung erfordert eine konzep- tionelle, Neuausrichtung der Heime, wie dies zum Beispiel in den verschiedenen Wohngruppen und Hausgemeinschaften vorgenommen wurde. 2.4.3. Hausgemeinschaften als Alternative? „Eine Hausgemeinschaft im hier verstandenen Sinne umfasst im Kern eine in ei- nem gemeinsamen Haushalt lebende überschaubare soziale Gruppe von bis zu acht älteren pflegebedürftigen Personen“ (Bundesministerium für Gesundheit, 2000, 12). Mitte bis Ende der 80er Jahre entwickelten sich im europäischen Ausland nach dem Konzept der Wohngruppen neue Versorgungsformen für dementiell erkrankte alte Menschen. Es entstanden unter anderem in Schweden die Gruppboende, in Großbritannien die Domus units, in Frankreich Cantou und in den Niederlanden Anton-Pieck-hofje. Aufgrund dieser Erfahrungen entstanden auch in Deutschland alternative Modelle wie die betreuten Wohngruppen zur Versorgung Demenzkran- ker in stationären oder ambulanten Einrichtungen (Radzey/Heeg, 2001). Kennzei- chen dieser Hausgemeinschaften sind die Schaffung einer möglichst alltagsnahen Wohn- und Pflegesituation in kleinen überschaubaren räumlichen Zusammenhän- gen. Wie oben beschrieben, bestehen die Hausgemeinschaften aus maximal zehn Personen, deren Lebensmittelpunkt die Wohnküche ist. Die Bewohner werden in das unmittelbare Alltagsgeschehen einbezogen (Bundesministerium für Gesund- heit, 2000). Alle Aktivitäten der täglichen Versorgung finden in dieser Wohnküche im Beisein der dort lebenden Personen statt (Wäschewaschen, Reinigungsarbeiten, 33 bügeln, kochen). Die Mitglieder der Hausgemeinschaft können sich ihrer Kompe- tenz und ihren Wünschen entsprechend an den Aktivitäten beteiligen, sie ganz ü- bernehmen oder passiv an ihnen teilhaben. Das Mittagessen wird gemeinsam zube- reitet: Einige Mitglieder schälen Kartoffeln oder rühren die Suppe im Kochtopf, andere schauen zu. Die sinnlichen Reize des normalen Lebens, wie zum Beispiel die Gerüche und Geräusche, die beim Essenkochen oder beim Bügeln entstehen, sind für alle in der Wohnküche erlebbar. Entsprechend der familienähnlichen Ta- geslaufgestaltung mit überwiegend hauswirtschaftlichen Tätigkeiten spielen in diesen Hausgemeinschaften Hauswirtschaftskräfte eine wichtige Rolle. Sie stellen die Präsenzkräfte dar, die tagsüber als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und in diesem Sinne die Rolle der „Hausfrau“ erfüllen. Da hauswirtschaftliche Tätig- keiten mehr oder weniger jedem Menschen geläufig sind, können Angehörige sich direkt in das Alltagsgeschehen einbringen. Die Rolle der Pflegekräfte besteht ü- berwiegend in der Übernahme reiner pflegerischer Aufgaben, beziehungsweise in der Prozessbegleitung und Steuerung. Forschungsstand Auf internationaler Ebene wurden ab Mitte/Ende der achtziger Jahre eine Reihe von Forschungsprojekten zu Auswirkungen von Wohngruppen mit überwiegend positiven Ergebnissen durchgeführt. Im Folgenden werden die wichtigsten europäi- schen Forschungsergebnisse zusammenfassend dargestellt (Radzey/Heeg, 2001). Schweden Von Annerstedt (1992) liegt eine Begleitforschung zu den Wohngruppen in Malmö vor. Die Ergebnisse der Forschung sind eine positive Wirkung der Wohngruppen während einer beschränkten Zeit der Demenzerkrankung. Festgestellt wurden eine Reduzierung von Symptomen wie Ängstlichkeit, Depression und Argwohn. Be- wohner konnten in der Erhaltung ihrer Unabhängigkeit gestützt werden. Dies setzte allerdings eine Zusammensetzung der Bewohnergruppe im gleichen Stadium der Demenz, umfangreich qualifizierte und engagierte Mitarbeiter sowie eine über- schaubare, wohnlich gestaltete Umgebung voraus. Die positiven Effekte sind dieser Studie zufolge zeitlich begrenzt und enden dann, wenn die Krankheit so weit fort- geschritten ist, dass eine sehr intensive Pflege notwendig ist. Dann entstehen durch die zeitintensive Pflegetätigkeit für die anderen Bewohner der Wohngruppen Nachteile. Diesen Ergebnisse zufolge können die Wohngruppen die Versorgungs- lücke zwischen der Pflege in der eigenen Häuslichkeit und den Pflegeheimen für einen begrenzten Zeitraum füllen. Frankreich Von Ritchie et al (1992) liegt eine Vergleichsstudie zu den Wohngruppen (Cantou) mit gerontopsychiatrischen Pflegebereichen vor. Die Ergebnisse der Forschung sind ebenfalls eine positive Wirkung in Bezug auf eine höhere Mobilität, eine grö- ßere Selbständigkeit, mehr Aktivität, weniger Depressivität und mehr verbale Kommunikation bei den Bewohnern der Wohngruppen. Großbritannien Von Lindsay et al (1991 in Radzey/Heeg, 2001) liegt eine ähnliche Vergleichsstu- die zu den Domos Units im Vergleich mit gerontopsychiatrischen Pflegebereichen 34 vor. Die Studie kommt ebenfalls zu positiven Ergebnissen für die Wohngruppen in Bezug auf den Aktivitätsgrad der Bewohner, die Anzahl der Kontakte zwischen Bewohner und Personal sowie auf die Personalzufriedenheit. Auffallend sind die Einschätzungen der Fähigkeiten und Selbständigkeit der Bewohner durch das Per- sonal der Wohngruppen. Obwohl sich beide Bewohnergruppen objektiv nicht un- terschieden, schätzten die Mitarbeiter der Wohngruppen die Fähigkeiten der Be- wohner positiver ein. Niederlande Von Plaisier et al (1992) liegt eine Evaluation des Anton Pieck-hofje vor. Evaluiert wurde die Erreichung der Einrichtungsziele. Auch die Ergebnisse dieser Studie sind positiv in Bezug auf die Zufriedenheit der Bewohner in einer alltagsnahen, häuslich gestalteten Umgebung. Radzey/Heeg (2001) folgern, dass die bisherigen Studien zu den Wohngruppenmo- dellen nicht ausreichend zwischen den Effekten differenzieren, die durch eine kleinräumige, aus der eigenen Häuslichkeit vertrauten Umgebung oder durch eine veränderte Einstellung des Personals erzielt werden. Sie verweisen auf eine Studie von Downs (1997), in der der Umzug von dementiell erkrankten alten Menschen aus einer gerontopsychiatrischen Klinik in eine kleine Wohngruppe untersucht wurde. Die Veränderung der Wohnumgebung zeigte keine Auswirkungen auf Ver- halten und Kompetenzen der Bewohner. Die Veränderungen bezogen sich auf ei- nen „Wahrnehmungswandel“ des Personals. Die Mitarbeiter schätzten die Bewoh- ner kompetenter und weniger auffällig ein. Entsprechend positiver eingestellt, för- derten und unterstützten sie die Bewohner und trugen damit zum Erfolg der Wohn- gruppenkonzeption bei. Radzey/Heeg (2001) kritisieren die durchgeführten europäischen Untersuchungen bezüglich der Nichtanwendung der in der Wissenschaft üblichen methodischen Standards. Aus diesem Grund warnen sie vor einer Verallgemeinerung der Ergeb- nisse. Deutschland Aus Deutschland liegen zwei Studien zu Wohngruppen in stationären Bereichen vor. 1. Wie in Kapitel 1 erwähnt, führten Radzey/Heeg/Goerlich (1999) im Auftrage der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. in Kooperation mit der Sozialplanung in Baden-Württemberg e. V. eine Untersuchung modellhafter Wohngruppenkonzepte für dementiell Erkrankte in den Niederlanden und Frankreich durch. Die Untersu- chung sollte dazu dienen, Daten in Bezug auf Personalbesetzung, Vernetzung ver- schiedener Hilfen, Einbindung von Angehörigen und freiwilligen Helfern in die Alltagsgestaltung und Fragen der architektonischen Gestaltung zu sammeln und eine Umsetzung der Konzeptionen auf bundesdeutsche Verhältnisse zu unterstüt- zen. 35 Ergebnisse der Evaluation im Überblick: - Aufnahme- und Ausschlusskriterien für Bewohner können nur einge- schränkt von der medizinischen Diagnose und dem Stadium der Demenz abhängig gemacht werden. Entscheidender ist, inwiefern jeder Einzelne von der Wohngruppe profitieren kann beziehungsweise die Enge der Gruppe als belastend erlebt wird. Die Verlegung von schwerstpflegebe- dürftigen Bewohnern aus der Wohngruppe in reine Pflegestationen ließ sich im Alltag nur eingeschränkt durchführen. - Angehörige leisten einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Wohngruppe, zum Beispiel durch ihre Präsenz, die Teilnahme am Alltagsgeschehen und durch Übernahme von Verantwortung für die Alltagsgestaltung. Seitens der Einrichtungen setzt dies eine aktive Einbindung der Angehörigen vor- aus. - Die Arbeit in der Wohngruppe verlangt eine menschliche, soziale und fachliche Qualifikation insbesondere im Umgang mit den dementiell Er- krankten. Eine spezielle Auswahl und begleitende Schulungen der Mitar- beiter wirken auf den Erfolg des Gesamtkonzeptes. - Die Betreuungsansätze werden auf die individuell vorhandenen Kompe- tenzen und Neigungen abgestimmt. Wirkungsvolle Betreuungsangebote o- rientieren sich an alltagspraktischen Tätigkeiten, die den Betroffenen sinn- volle Aktivitäten ermöglichen. Eine Schwachstelle der Evaluation könnte in der Kürze der Vor-Ort-Untersuchung liegen. Das Untersuchungsteam hielt sich zirka zwei Tage in den Einrichtungen auf. Dadurch sind die Daten eher als eine Momentaufnahme zu betrachten. Verzer- rende Eindrücke wie die Personalbesetzung an den beiden Tagen oder die Tages- form der Bewohner können die Datenerhebung beeinflussen. Des Weiteren wurden die Daten aufgrund von Gesprächen mit den verantwortlichen Mitarbeitern ge- sammelt. Die Betroffenen selber beziehungsweise deren Angehörige wurden nicht in die Evaluation einbezogen. Die Verantwortlichen geben damit nur ihre eigene Einschätzung wieder, die sich von der der Betroffenen und deren Angehörigen unterscheiden können. 2. Wie in Kapitel 1 beschrieben, wurde im Auftrag des Nordrhein-Westfälischen Ministeriums für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie in Nordrhein- Westfalen vom Institut für sozialpolitische und gerontologische Studien in Berlin (Reggentin/Dettbarn-Reggentin, 2003) die ISGOS-Studie durchgeführt. Dabei wurden drei stationäre Einrichtungen im Abstand von einem halben Jahr unter- sucht. Bei Bewohnern mit leichter bis mittelschwerer Demenz wurden die Faktoren soziales Verhalten, Stimmung (mit Hilfe eines Fragebogens), der Verlauf der dementiellen Erkrankung (mit Hilfe des MMSE= Mini-Mental-State-Examination nach Folstein et al), die physische Selbständigkeit (mit Hilfe des Barthel-Index), die Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten (mit NOSGER= Nurses Observation Scale for Geriatric Patients) und die funktionellen Fähigkeiten der Bewohner (mit BGP= Beurteilungsskala für Geriatrische Patienten) erfasst. Erstmalig wurden in Deutschland mit dieser Vergleichstudie die Milieueffekte in segregativen Wohn- gruppen mit den Effekten in den klassischen stationären Pflegeeinrichtungen er- forscht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung belegen einen signifikanten Zusam- menhang zwischen den Effekten des Wohngruppenmilieus auf die Stimmung und das soziale Verhalten dementiell erkrankter Bewohner. Das Wohngruppenmilieu 36 hatte keinen positiven Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung und den damit ver- bundenen Verlusten an Selbständigkeit in der Lebensführung. Feststellen ließ sich allerdings ein milderer Verlauf der Einschränkungen. Die positiven Ergebnisse ließen sich in den Wohngruppen ohne weitere therapeutische Maßnahmen nur durch eine individuelle Unterstützung durch Biographiekenntnisse erreichen (Reggentin, 2005). Die besonderen „Gewinner“ sind dementiell erkrankte alte Menschen, die in einer integrativen Wohngruppe leben. Nach Einschätzungen des Personals sind sie deutlich zufriedener als in den Kontrollgruppen. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick: - Bei den Bewohnern der Wohngruppen konnte ein verzögerter Krankheitsverlauf psychischer und somatischer Erkrankungen festgestellt werden. Des Weiteren ergab sich ein etwas geringerer Psychopharmakagebrauch und eine Stabilisierung sozialer Bezie- hungen dementiell Erkrankter. - Neue Bewohner konnten trotz ihrer krankheitsbedingten Verhal- tensauffälligkeiten gut in die kleinen Wohngruppen integriert wer- den. - Der Gesundheitszustand und die Fähigkeit zur Verrichtung von all- täglichen Aufgaben verschlechterte sich wesentlich langsamer. - Im Vergleich zu den Kontrollgruppen konnte die soziale Kompe- tenz dementiell erkrankter alter Menschen länger erhalten bleiben. Aus den Forschungsergebnissen lassen sich verschiedene Ergebnisse und daraus resultierende Empfehlungen für die Praxis ableiten. Zur besseren Übersicht werden diese im Folgenden tabellarisch zusammengefasst. 37 Tabelle 3. Zusammenfassende Darstellung der Forschungsergebnisse zu den Hausgemeinschaften Studie Ergebnisse Empfehlungen Annerstedt (1994/1995) Reduzierung von Be- gleitsymptomen wie z. B. Ängstlichkeit, Depressi- on Homogene Zusammenset- zung der Gruppe im glei- chen Demenzstadium; quali- fizierte und engagierte Mit- arbeiter; wohnlich gestaltete Umgebung; bei weit fortgeschrittener Erkrankung Umzug in ande- re Betreuungsformen Ritchie et al. (1992) Höhere Mobilität; Erhal- tung der Selbständigkeit und sozialen Kommuni- kationsfähigkeit; Redu- zierung von Begleitsym- ptomen wie Depression Plaisier et al. (1992) Höhere Zufriedenheit Alltagsnahe und an der Häuslichkeit orientierte Gestaltung der Umgebung Radzey et al. (1999) Aufnahme- und Ausschluss- kriterien sollten von den Teilnahmemöglichkeiten an der Wohngruppe abhängig gemacht werden; Einbin- dung der Angehörigen in die Alltagsgestaltung; menschli- che, soziale und fachliche Qualifikation der Mitarbei- ter entscheidend; individuel- le Betreuungsansätze nach vorhandenen Neigungen und Kompetenzen Reggentin/Dettbarn- Reggentin (2003/2005) Verzögerter Krankheits- verlauf psychischer und somatischer Erkrankun- gen; geringerer Psy- chopharmakagebrauch; Stabilisierung sozialer Beziehungen; leichtere Integration neuer Be- wohner; längere Auf- rechterhaltung der sozia- len Kompetenz; Teil- nahme an den Vorgängen in der Umgebung Gruppenbezogene Tagesges- taltung; menschliche Nähe (Personalkonstanz, Präsenz- kraft); Aktivität nach Be- darf; Kleinräumig- keit/Vertrautheit der Umge- bung; Schaffung eines klei- nen Zentrums mit freundli- cher/anregender Atmosphäre 38 2.5. Zusammenfassung In den meisten Untersuchungen zu Wohngruppenkonzepten wurden positive Effek- te auf die Bewohner und insbesondere auf dementiell erkrankte Bewohner festge- stellt. Sie sind die eindeutigen „Gewinner“ dieser Wohn- und Betreuungsform. Die Wohngruppenkonzepte können deshalb als ein Weg einer qualitativ hochwertigen stationären Pflege und Betreuung für dementiell erkrankte alte Menschen bezeich- net werden. Wie bereits Radzey/Heeg (2001) feststellen, reichen die bisherigen Erkenntnisse allerdings nicht, um eindeutige Empfehlungen für die Praxis zu ent- wickeln. Hierzu bedarf es weiterer Untersuchungen und Befundsammlungen. 39 3. Lebenszufriedenheit dementiell Erkrankter in der institutionellen Versorgung Die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung in der Bundesrepublik hat sich in den vergangenen hundert Jahren annähernd verdoppelt. Grundlage für die Verlängerung der Lebenszeit sind eine bessere medizinische Versorgung, eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und die Erhöhung des Lebensstan- dards. Der Zugewinn an Lebensjahren bedeutet nicht gleichzeitig einen Gewinn an Lebensqualität, da mit steigendem Lebensalter auch die Zahl der chronischen Er- krankungen und insbesondere der dementiellen Erkrankungen und damit die Wahr- scheinlichkeit eines Heimeintritts zunimmt (siehe Kapitel 2.2.). Auch wenn eine grundlegende Besserung des Gesundheitszustandes in der Regel nicht möglich erscheint, ist die Erhaltung der Lebensqualität im Heim durch entsprechende Inter- vention und Umweltgestaltung zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen. In unserer Gesellschaft ist in der Regel eine gute Lebensqualität an das „Bild der neuen Alten“ gebunden. Sie erfüllen Attribute wie rüstig, vital, gesund und leis- tungsfähig. Das Idealbild eines alten Menschen ist ebenfalls durch eine Zunahme an Weisheit und Gelassenheit geprägt. Ein dementiell erkrankter alter Mensch, der nicht Herr seiner Sinne zu sein scheint, passt nicht in dieses Bild. Er stellt eher ein abschreckendes Beispiel des alternden Menschen dar. Ausgrenzung und Ableh- nung der Betroffenen bis hin zum „Wegsperren“ in geschlossenen oder stationären Einrichtungen der Altenhilfe sind die Folge. Für viele Gesunde scheint ein zufrie- denes Leben mit oder trotz dementieller Erkrankung nicht möglich. Was bedeutet Lebensqualität für Demenzkranke? Wie ist ihr subjektives Erleben zu erfassen? Welche Determinanten führen zu Wohlbefinden trotz dieser Erkrankung? Da im Gegensatz zu anderen älteren Menschen Demenzkranke nicht oder nur ein- geschränkt Aussagen zu ihrem Wohlbefinden machen können, müssen andere We- ge gefunden werden, um zu zuverlässigen Aussagen zu kommen. Welche Instru- mente sind für eine Einschätzung der Lebensqualität Demenzkranker geeignet? Im Folgenden werden die Lebensqualität im Kontext der Konzepte zum Erfolgrei- chen Altern sowie die Ergebnisse verschiedener Forschungsstudien dargestellt. Es soll deutlich werden, welchen Einfluss die Umstrukturierungen der pflegerischen Versorgung von dementiell erkrankten alten Menschen auf die Lebensqualität die- ser Personengruppe haben könnten. 3.1. Definition des Begriffes Lebensqualität Der Begriff Lebensqualität trat zum ersten Mal in der griechischen Philosophie durch Aristoteles in Erscheinung. Nach ihm führt tugendhaftes Wirken der Seele zu Glück und damit zu einem guten Leben. Die Verbindung des Begriffes Lebensqua- lität mit der Vorstellung von einem „guten Leben“ hat sich bis heute insbesondere in der Umgangssprache erhalten. Eine hohe Lebensqualität hat demnach derjenige, der unter anderem aufgrund sei- ner finanziellen und gesundheitlichen Lebensumstände in der Lage ist „sorgenfrei“ zu leben. Ein erstrebenswertes Ziel, das als „Streben nach Glück“ als Grundrecht in die Unabhängigkeitserklärung des amerikanischen Volkes aufgenommen wurde 40 (King 2001). Wie beide Zugänge deutlich machen, werden die Begriffe „Glück“, „Wohlbefinden“ und „Lebenszufriedenheit“ mit der Lebensqualität in Zusammen- hang gebracht. Lehr (2000) beschreibt, wie der Begriff „Lebensqualität“ als „quali- ty of life“ ursprünglich von Hearnshaw (1972) zur Erfassung der Lebenssituation von Rentnern nach der Berufsaufgabe eingeführt wurde. Seither ist der Begriff in sehr vielfältiger Weise gebraucht worden und immer neue Instrumente zur Mes- sung der„Lebensqualität“ entwickelt worden, ohne dass eine eindeutige Definition und einheitliche Messkriterien vorliegen (Lehr 2000). Die umfassendste Definition liegt von der WHO vor. Sie spiegelt die Erkenntnisse aus verschiedenen Forschungsansätzen wieder, in denen eine weitgehende Über- einstimmung darin besteht, dass die Lebensqualität nur subjektiv empfunden und beurteilt werden kann. Darauf verweist auch der vierte Altenbericht vom BMFSFJ (2002). In ihm wird festgehalten, dass kein direkter statistischer Zusammenhang zwischen der allgemeinen Lebenszufriedenheit und den objektiven Lebensumstän- den der untersuchten Personen festgestellt werden konnte. Die allgemeine Lebens- zufriedenheit scheint demnach vielmehr von der Zufriedenheit in Teilbereichen des Lebens und der Lebensumstände abhängig zu sein. Stellvertretend soll hier die Definition der Lebensqualität von Angermeyer et al. (2000, 10) zitiert werden. „Lebensqualität ist die individuelle Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation im Kontext der jeweiligen Kultur und des jeweiligen Wertesystems und in Bezug auf die eigenen Ziele, Erwartungen, Beurteilungsmaßstäbe und Interessen.“ Nach dieser Definition ist Lebensqualität eine individuelle Einschätzung und damit für den externen Beobachter nur begrenzt nachvollziehbar. Der vierte Altenbericht des BMFSFJ (2002) verweist auf die Problematik einer objektiven und externen Einschätzung. Demnach entzieht sich die Lebensqualität weitgehend einer objekti- ven, externen Einschätzung. Es konnte kein direkter statistischer Zusammenhang zwischen der allgemeinen Lebenszufriedenheit und den objektiven Lebensumstän- den der Personen festgestellt werden. Ergebnisse weiterer verschiedener Untersu- chungen (BOLSA, Bonner Längsschnittstudie, Thomae, 1976, 1983, Lehr & Tho- mae 1987) unterstützen die These, dass Lebensqualität vor allem subjektiv, das heißt vom Individuum selbst ausgehend erfassbar ist. Die Lebensqualität wird demnach von verschiedenen Faktoren beeinflusst. An erster Stelle wird der indivi- duell wahrgenommene Gesundheitszustand, der vom objektiven abweichen kann, benannt. Dazu kommen eine Reihe weiterer Faktoren, die sich unter anderem aus den Sozialkontakten, der finanziellen, familiären oder auch der Wohnsituation ergeben und die zur Relativierung der erlebten Bedeutung gesundheitlicher Ein- schränkungen beitragen. Die Definition der WHO mit der Wiedergabe der Subjektivität und Relativität des Begriffes ist die Grundlage für die vorliegende Vorstudie (Capell, 2005, 195). Im Zusammenhang mit der Lebensqualität werden Begriffe wie „Glück“, „Lebens- zufriedenheit“ und „Wohlbefinden“ verwendet (Lehr, 2000). Die Lebensqualität äußert sich in der Lebenszufriedenheit und besteht aus körperlichem, seelischem und sozialen Wohlbefinden. 41 Im Folgenden werden die verschiedenen Begriffe in ihrem theoretischen Zusam- menhang dargestellt und im Weiteren die Einflussfaktoren auf die Lebensqualität im Alter näher beschrieben. 3.2. Theoretische Ansätze zur Lebenszufriedenheit im Alter Das Konstrukt Wohlbefinden wurde verstärkt ab den sechziger Jahren im Zusam- menhang mit dem Thema „Lebenszufriedenheit“ Gegenstand der sozialgerontolo- gischen und psychogerontologischen Forschung. Im Mittelpunkt der gerontologi- schen Forschung stand von Anfang an die Bedeutung des subjektiven Wohlbefin- dens für ein erfolgreiches Altern (Mayring,1987). Erfolgreiches Altern wird als geglückte Anpassung des Einzelnen an soziale, psychische und körperliche Verän- derungen im höheren Alter bezeichnet (Baltes, 1992). Dies setzt eine gelungene Auseinandersetzung mit den Veränderungen im Alter, einer Anpassung der persön- lichen und sozialen Entwicklungsziele, Entwicklungspotentiale und Ressourcen voraus. Ein wichtiger Indikator für die gelungene Anpassung an diese Veränderun- gen ist die Lebenszufriedenheit älterer Menschen. Für Thomae (1983, 43) stellen „die Konstrukte >>Lebenszufriedenheit<< und >>Wohlbefinden<< bedeutsame Aspekte der menschlichen Situation“ dar. In der Erforschung dieser Konstrukte sieht er „eine der wichtigsten Aufgaben der sozial- wissenschaftlichen Altersforschung“. Entsprechend dieser Bedeutung finden sich Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit als Hauptkriterien sowohl in der Aktivitätstheorie als auch in der Disengagement- Theorie wieder (Mayring, 1987; Thomae, 1983). Die Disengagement-Theorie wur- de in den 60er Jahren von Cumming & Henry (1961) aufgrund der Ergebnisse der „Kansas City Study of Adult Life“ entwickelt. Sie wird auch als „Theorie des sozi- alen Rückzugs“, ein mit dem Alter verknüpfter Rückzug aus sozialen Rollen (zum Beispiel Beruf) und sozialen Kontakten (zum Beispiel Auszug der Kinder aus dem Elternhaus), beschrieben (Backes / Clemens 1998 und Wahl / Heyl 2004). Cum- ming & Henry (1961) gehen davon aus, dass der Prozess des Rückzugs sowohl vom Individuum als auch von der Gesellschaft (zum Beispiel durch die Verrentung in einem bestimmten Alter) ausgelöst werden kann. Eine Gleichzeitigkeit von indi- viduellen Rückzugsbedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen wird als Idealfall angenommen. Ist dies nicht der Fall, kommt es zum Rückzugs- bezie- hungsweise Disengagementprozess, ein zwangsläufiges Phänomen des Alterns, das sich selbst weiter vorantreibt und zu veränderten sozialen Rollen und Beziehungen führt (Wahl/Heyl, 2004 und Lehr, 2000). Die Veränderungen können sich einer- seits positiv und andererseits negativ auf die Lebenszufriedenheit des Einzelnen auswirken. Die positiven Wirkungen werden in der „Befreiung“ von Rollen gese- hen, die aufgrund von altersbezogenen Einschränkungen in körperlicher und geisti- ger Hinsicht nicht mehr wahrgenommen werden können. Negative Effekte oder Krisen entstehen demnach immer dann, wenn keine adäquaten neuen Rollen und damit verbundene soziale Beziehungen für das Alter gefunden werden können (Wahl/Heyl, 2004). Demgegenüber steht die Aktivitätstheorie (Tartler, 1961), nach der ein älterer Mensch durch Aktivität, Leistungsvermögen und sozialer Einbindung in Form des „Gebrauchtwerdens“ eine höhere Lebenszufriedenheit erlangen kann. Dies setzt voraus, dass enge soziale Kontakte bestehen oder aktiv gesucht werden. Allerdings verfügen nicht alle älteren Menschen über Kontakte, beziehungsweise erleben den 42 Verlust dieser Kontakte durch den Tod von Freunden und Verwandten und nicht immer gelingt es ihnen, den Verlust zu überwinden und neue zu suchen. Anderer- seits kann durch die Betonung der besonderen Bedeutung der Aktivität im Alter ein „Aktivitätszwang“ entstehen, indem Aktivität um jeden Preis von den älteren Men- schen gefordert wird und zu Überforderung führen kann (Backes/Clemens 1998). Beide Theorien sieht Lehr (2000) durch empirische Forschungen mehrfach wider- legt. So kommt Lehr (2000, 57) zu dem Schluss, dass beide Theorien nicht geeig- net sind, „für alle Lebenslagen den rechten Weg zur Zufriedenheit zu weisen“. Kruse und Wahl (1999) beschäftigten sich in ihrer Arbeit über den Forschungs- stand der Psychologischen Gerontologie von 1988 bis 1997/1998 mit den sozialen Beziehungen im Alter. Sie stellen fest, dass ältere Menschen eher ihre sozialen Kontakte am emotionalen Gewinn, der in der Interaktion mit anderen entstehen kann, ausrichten. Das bloße Vorhandensein von sozialen Kontakten und auch die Kontakthäufigkeit hat keinen wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden. Es kommt dementsprechend auf die Qualität der Beziehung an, zum Beispiel das Empfinden von Nähe. Nicht alle Beziehungen sind positiv gestaltet und führen automatisch zu einem höheren Wohlbefinden. Negative Beziehungen können zu Belastungen führen, die wiederum negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere Beziehungen, die mit Unterstützungsleistungen verbunden sind. Kruse und Wahl verweisen auf den Verlust von Autonomie, Kompetenz und auf das überbehütende Verhalten der Kontaktpartner (Angehörige sowie Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen von Einrichtun- gen / ambulanten Diensten). Das Übermaß an „Hilfestellung“, insbesondere bei der Ausführung der Aktivitäten des täglichen Lebens durch die Kontaktpartner führt langfristig zu einer Abnahme der Selbständigkeit und Zufriedenheit der älteren Menschen. Beide Autoren greifen in diesem Zusammenhang den Begriff des „Unselbständigkeitsunterstützungs- skripts“ auf. Sie verweisen auf Forschungsergebnisse von Lang & Cartensen (1998), die vier negative Aspekte unterscheiden: „1. dysfunktionale Unterstützung, wie unerwünschte, ineffektive oder exzessive Unterstützungsleistungen, 2. als unangenehm oder überfordernd erlebte soziale Kontakte, 3. Gewalt und Vernachlässigung, 4. antizipierte oder tatsächlich einge- tretene Verlusterlebnisse“ (Kruse/Wahl, 1999, 336). Ihre Forschungsergebnisse weisen einen engen negativen Zusammenhang zwi- schen dysfunktionaler Unterstützung und subjektivem Wohlbefinden nach. Dem- gegenüber hat positiv erlebte Unterstützung einen geringeren Einfluss auf das Wohlbefinden. Bezugnehmend auf Havighurst (1961) stellt für Thomae (1983, 59) „die Lebenszu- friedenheit den besten Indikator für die Anpassung zwischen individuellen Bedürf- nissen und Erwartungen einerseits und der sozialen und biographischen Situation des Älteren dar“. Der Grad der Befriedigung dieser Bedürfnisse bestimmt das Wohlbefinden ebenso wie die physischen, materiellen und persönlichen Lebens- umstände. Dies weist sowohl auf subjektive als auch objektive Bedingungen der Lebenszufriedenheit hin. 43 3.2.1. Subjektives Wohlbefinden Nach Mayring (1987) wird Zufriedenheit als das subjektive Abwägen positiver und negativer Lebensbedingungen definiert. Die Zufriedenheit wird beeinflusst durch Freuden und Belastungen, wie sie durch körperlicher Symptome und durch objek- tive Lebensumstände entstehen können. Im engen Zusammenhang mit der Zufrie- denheit sieht Mayring den Begriff „Glück“. Glück geht über das konkrete Erleben einzelner Glücksmomente (`state` Komponente) und dem Empfinden des eigenen Lebens als globalem, glücklichem Leben (`trait` Komponente) hinaus und stellt den umfassendsten Wohlbefindensbegriff dar. Neben den drei Variablen entwickelt Mayring (1987) bezugnehmend auf Lawton (1984) einen weiteren Aspekt des sub- jektiven Wohlbefindens. Dies ist die Zielkongruenz, d. h. die Zufriedenheit und Überzeugung, die eigenen Ziele erreicht zu haben. “Wohlbefinden lässt sich danach nicht nur durch eine Vermehrung von Erfolgen steigern, sondern auch durch eine Veränderung, eine Zurücknahme schwer erreich- barer Ziele.“ (Mayring, 1987, 16) Kruse und Wahl (1999) stellen einen Wechsel in der Priorität einzelner Ziele fest. Dieser Perspektivenwechsel hängt eng mit der „subjektiven Zeitperspektive“ älte- rer Menschen zusammen. Die zeitliche Begrenztheit ihres Lebens vor Augen, rü- cken unmittelbare Bedürfnisse wie emotionales Wohlbefinden für ältere Menschen in den Vordergrund. Im Gegensatz dazu haben jüngere Menschen eher längerfristi- ge Zielstellungen. Aufgrund seiner Analyse empirischer Forschungsergebnisse entwickelt Mayring (1987, 1989) einen Vierkomponentenansatz des subjektiven Wohlbefindens. Die vier zentralen Faktoren subjektivem Wohlbefindens sind: „ - Belastungsfreiheit: Alle Dimensionsanalysen von Wohlbefinden weisen die Bedeutung des Belastungsfaktor nach. Es scheint, als ob die Abwesenheit von sub- jektiven Belastungen, von Symptomen, von negativen Emotionen, allein schon ein Wohlbefindensfaktor sei. - Freuden: Das Erleben positiver Emotionen im Alltag, konkrete Freuden, Lust, Hochstimmung stellen eine zweite Dimension dar. Der positive, emotionale, kurz- fristige Aspekt des Wohlbefindens soll damit bezeichnet werden. - Zufriedenheit: Wohlbefinden besitzt auch eine kognitive Komponente, die in der subjektiven Einschätzung der eigenen Lebensbedingungen besteht. Der Einzelne wägt Positives und Negatives im eigenen Leben ab, überprüft für sich, inwieweit er die eigenen Vorstellungen vom Leben erfüllt hat, seine Ziele erreicht hat. Diese kognitive Wohlbefindenskomponente wird als Zufriedenheit bezeichnet. - Glück: Schließlich muss eine langfristige positiv-emotionale Dimension des Wohlbefindens konzipiert werden. Glück bedeutet dabei ein positives Lebensge- fühl, das über den konkreten Augenblick (Freuden) hinausgeht.“ (Mayring, 1989, 4) Die obengenannten vier Faktoren des subjektiven Wohlbefindens sind nicht von den objektiven Lebensbedingungen losgelöst zu betrachten. Sie bedingen sich wechselseitig, führen nicht bei allen Personen automatisch zu Wohlbefinden und werden ergänzt durch weitere Faktoren. 44 In explorativen Interviews mit 65- bis 74- Jährigen zu Glück und Lebensqualität im Alter konnten Fliege und Filipp (2000) den oben geschilderten Ansatz belegen. Bestätigt wurde in dieser Untersuchung insbesondere die Dimension „Lebensqualität und Glück als Gegenteil von Unglück bzw. als Abwesenheit von besonderen Problemlagen“ und der Freiheit von Belastungen (Fliege/Filipp, 2000, 311-312). Die Vorstellungen älterer Menschen von Lebenszufriedenheit und Glück beinhal- ten nicht nur den bilanzierenden Rückblick auf das, was gewesen ist, sondern vor allem die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie bestätigen damit den bereits 1991 von Becker beschriebenen „Zukunftsoptimismus“ als eine wichtige Komponente des Wohlbefindens. Weitere Befunde von Fliege und Filipp (2000) sind der hohe Stellenwert der Güte von sozialen Beziehungen, die Betonung von Selbständigkeit und Unabhängigkeit und die von äußeren Zwängen befreite Tagesgestaltung. Dar- über hinausgehend fanden Fliege und Filipp (2000) eine ausgeprägte Orientierung der älteren Menschen an den tatsächlichen Lebensgegebenheiten vor. Sie schließen daraus auf eine höhere Anpassungsbereitschaft älterer Menschen. Weitere Faktoren des Wohlbefindens sind nach Becker (1991) neben Zukunftsop- timismus die positive Einstellung zur eigenen Person und die Bejahung der Um- welt. Diese drei Komponenten stellen die „positive Triade“ des Wohlbefindens dar. Sie sind nach Becker (1991) die Garanten für subjektives Wohlbefinden. Das sub- jektive Wohlbefinden wird von Becker (1991) weiter in „aktuelles Wohlbefinden“ (AW) und in „habituelles Wohlbefinden“ (HW) unterteilt. Aktuelles Wohlbefinden bezieht sich auf das individuelle momentane Erleben und ist von kurzfristig wirkenden Faktoren abhängig. Es schließt nicht nur emotionale Empfindungen sowie positive Stimmungen ein, sondern auch körperliche Empfin- dungen, die z. B. durch das Fehlen von Beschwerden ausgelöst werden können. Dementsprechend kann das aktuelle Wohlbefinden durch die Verminderung oder Beseitigung negativer Zustände, zum Beispiel Schmerzen, Müdigkeit, Hilflosig- keit, und über positive Erfolgserlebnisse, zum Beispiel sensorische Erfahrungen, soziale Zuwendungen und Nähe, hergestellt werden (Becker, 1991). Das habituelle Wohlbefinden bezieht sich dagegen auf die Grundhaltung eines Menschen und seiner aus dieser Grundhaltung heraus vorgenommenen Einschät- zungen. Das bedeutet, dass eine Person mit einem überwiegend positiven Selbst- wertgefühl einen ausgeprägten HW-Wert hat und sich relativ häufig in einem Zu- stand des Wohlbefindens befindet. Die Bewertung durch die Person findet unab- hängig von objektiven Lebensumständen statt und wird als relativ stabile Persön- lichkeitsvariable betrachtet. Der HW-Wert kann als Ausdruck für eine gelungene Bewältigung externer und interner Lebensanforderungen betrachtet werden. Becker (1991) verweist auf die empirisch abgesicherten Ergebnisse der zentralen Bedeu- tung des Selbstwertgefühls, das eng mit der Beziehung zu anderen Menschen und dem Vorhandensein von sinnvollen Aufgaben verknüpft ist. Ein weiterer Faktor für Wohlbefinden besteht in der Person-Umwelt-Interaktion. Saup (1993) und Becker (1991) betonen in ihren anpassungstheoretischen Ansät- zen, dass immer, wenn die allgemeinen Lebensumstände gut mit den Fähigkeiten und Bedürfnissen übereinstimmen, Zufriedenheit und Wohlbefinden die Folge sind. Eine optimale Anpassung an die objektiven Bedingungen sind günstige Vor- aussetzungen für Lebenszufriedenheit. Becker (1991) verweist in diesem Zusam- 45 menhang auf das von Carp & Carp (1984) entwickelte „Komplementaritäts- Kongruenz-Modell des Wohlbefindens“. „Wohlbefinden erreicht eine Person in dem Maße, in dem ihre Kompetenzen der zur Erhaltung eines unabhängig geführten Lebens notwendigen Erfüllung der Um- weltanforderungen gerecht werden, sowie in dem Maße, in dem die Umwelt Be- friedigung ermöglicht, und zwar nicht nur hinsichtlich der existentiellen Bedürfnis- se, sondern auch der Bedürfnisse höherer Ordnung (z. B. Gesellung, Privatheit, ästhetisches Erleben)“ (Becker, 1991, 252). Die Einbeziehung von Umweltfaktoren entspricht dem Perspektivenwechsel vom Defizitmodell zum Kompetenzmodell des Alterns (Perrig-Chiello, 1997). Nach dem Kompetenzmodell führt die Nichtnutzung von vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu Kompetenzverlusten und in der weiteren Folge zu Unzufriedenheit. Eine Ursache für den Kompetenzverlust wird in einer anforderungs- und anreizar- men Umwelt gesehen. Eine andere Zuordnung der verschiedenen Aspekte des Wohlbefindens werden von Perrig-Chiello (1997) in ihrem multidimensionalen Modell des Wohlbefindens vorgestellt. Für sie lassen sich vorwiegend drei Komponenten unterscheiden: phy- sisches, psychisches und soziales Wohlbefinden. Physisches Wohlbefinden wird durch Bedürfnisse im körperlichen Bereich geprägt. Dies sind Bedürfnisse nach Sättigung, Schmerzfreiheit, des physischen „Versorgtseins“. Das psychische Wohlbefinden bezieht sich auf die Bedürfnisse wie Geborgenheit, Zufriedenheit, Glück und Kontrollmöglichkeiten. Das soziale Wohlbefinden wird beeinflusst von dem Verlangen nach Partizipation, aber auch von Autonomiebedürfnissen. Perrig- Chiello (1997) bildet die drei Komponenten in Form einer Pyramide ab. In dieser Pyramide befinden sich an der Basis die körperlichen Aspekte wie körperliche Zufriedenheit und Beschwerdefreiheit. Darüber geordnet befinden sich Aspekte wie Lebenszufriedenheit, Kontrolle und Lebenssinn. Die Spitze wird durch Auto- nomie und Partizipation gebildet. Nach Perrig-Chiello (1997) befinden sich die drei Komponenten im Verlaufe des Lebens in einer ständigen Wechselbeziehung und treten unterschiedlich stark nach ihrer Bedeutung in den Vordergrund. Im Alter findet eine Verschiebung der Bedeu- tung der drei Komponenten statt. „So ist das soziale Wohlbefinden auch bei älteren Menschen ein wichtiger Faktor, doch der soziale Aktionsradius wird kleiner, die gesellschaftliche Einflussnahme ist nicht mehr so existentiell wie während der Berufsausübung. Das psychische Wohl- befinden (Sinn des Lebens neu formulieren, Kontrolle über das eigene Denken und Tun wahren) und vor allem das physische Wohlbefinden (wie soll mit den zuneh- menden Gebrechen und Schmerzen umgegangen werden) bekommen eine neue, starke Bedeutung.“ (Perrig-Chiello, 1997, 116). Den drei Komponenten des Wohlbefindens ordnet Perrig-Chiello drei Gruppen von Ressourcen zu. Mit dem Begriff Ressourcen werden die „intrapersonellen“ und „extrapersonellen“ Bedingungen, die einer Person zur Verfügung stehen, bezeich- net. Physische Ressourcen sind der allgemeine Gesundheitszustand, chronische Krankheiten und Gesundheitsverhalten. Psychische Ressourcen werden unterteilt in kognitive Variablen und Persönlichkeitsvariablen. Als kognitive Variablen führt Perrig-Chiello (1997) Gedächtnis (objektiv und subjektives) sowie Intelligenz an. Als Persönlichkeitsvariablen werden Neurotizismus und Selbstkonzept benannt. 46 Eine weitere Persönlichkeitsvariable, die internalen Kontrollüberzeugungen, haben einen besonderen Stellenwert in der Entstehung von psychischen Wohlbefinden. Die sozialen Ressourcen beziehen sich zum Beispiel auf Nachbarschaft, Wohnum- feld, Wohnverhältnisse, finanzielle Situation. Mayring (1987, 9) verweist auf die Kritik an der bisherigen Vorgehensweise der Wohlbefindensforschung; sie sei theoretisch mangelhaft fundiert und bestehe aus einer überwiegenden Faktorenanalyse im Anschluss an einen „undurchschaubar zusammengestellten Itempool“. Auch Perrig-Chiello (1997) sieht in der bisherigen Forschung verschiedene Aspekte nicht, beziehungsweise nicht ausreichend berück- sichtigt. Sie kritisiert die mangelnde theoretische Aufarbeitung und weist auf einen „impliziten Negativismus“ (Wohlbefinden wird mit dem Fehlen von Beschwerden gleichgesetzt) hin. Zudem konstatiert sie sozio-kulturelle Verzerrungen, weil schichtenspezifische Aspekte nicht beachtet worden seien und kritisiert, dass die abgefragten Ergebnisse durch soziale Erwünschtheit und Ja/Nein-Sage-Tendenzen älterer Menschen beeinflusst worden seien. Perrig-Chiello (1997) spricht damit einen wichtigen Aspekt der Lebensqualität an. Sie kann nicht außerhalb von sozialen Kontexten betrachtet werden. Diesen Aspekt greift Tom Kitwood (2000) in seiner sozialpsychologischen Definition von „Per- sonsein“ (Kitwood, 2000, 27) auf und entwickelt auf dieser Grundlage sein Kon- zept der „Personenzentrierten Pflege“. Der Sozialpsychologe Tom Kitwood hat sich in seinem Konzept der „Personen- zentrierten Pflege“ intensiv mit der Lebensqualität und dem Wohlbefinden von dementiell Erkrankten in stationären Einrichtungen beschäftigt. Grundlage seines Konzeptes ist die sozialpsychologische Definition von „Personsein“. „Es ist ein Stand oder Status, der dem einzelnen Menschen im Kontext von Bezie- hung und sozialem Sein von anderen verliehen wird. Er impliziert Anerkennung, Respekt und Vertrauen. Ob jemandem Personsein zuerkannt wird oder nicht: Bei- des hat empirisch überprüfbare Folgen.“ (Kitwood, 2000, 27) Grundlage seines Konzeptes ist die Vorstellung, dass Wohlbefinden für jeden Menschen von vier „globalen Empfindungszuständen“ abhängt. „Jeder Mensch bedarf der Anerkennung seines Wertes, seiner Würde und Bedeut- samkeit; jeder Mensch möchte handeln, auf Menschen und Dinge einwirken, einen Unterschied im Lauf der Dinge machen können; jeder bedarf des Vertrauens in soziale Beziehungen, benötigt Kontakt und Interaktion; jeder bedarf der Hoffnung im Sinne des Urvertrauens, dass Welt und Menschen in einem fundamentalen Sin- ne gut und verlässlich sind.“ (Müller-Hergl, 2001, 256) Es geht immer dann einem Menschen gut, wenn er über diese vier Dimensionen in ausreichendem Maße verfügt. Dieses Wohlbefinden ist relativ in Bezug auf die übrigen Belastungen, die auf einen Menschen zu kommen. Er spricht in diesem Zusammenhang vom „relativen Wohlbefinden“. Für Tom Kitwood bedeutet „Relatives Wohlbefinden, dass den Grundbedürfnissen der Menschen nachgekom- men wird und es den Pflegekräften gelingt, Wünsche und Bedürfnisse herauszufin- den und zu befriedigen, Verhalten als Kommunikation zu deuten und die darin 47 enthaltenen Intentionen zur Zufriedenheit zu ergänzen, zu unterstützen und zum Erfolg zu bringen.“ (Müller-Hergl, 2001, 84-85) Das Personsein sieht er nicht so sehr durch Autonomie und rationale Fähigkeit geprägt, wie es in unserer kulturellen Tradition steht, sondern eher in Verbindung mit Gefühl, Emotion und der Fähigkeit, in Beziehungen zu leben. Diese Betonung des Personseins im Austausch mit dem Anderen entspricht eher den Demenzkran- ken, die in hohem Maße gefühlsbetont reagieren und agieren, während die Ein- schränkungen im kognitiven Bereich sich im Verlauf der Erkrankung verstärken. Diese Sichtweise des Personsein setzt einen verstehenden und einfühlsamen Um- gang im Gegensatz zur bisherigen überwiegend rationalen, distanzierten, sachli- chen eher an medizinisch- psychosomatischen Vorgängen ausgerichteten Um- gangsweise seitens der Pflegekräfte voraus. Dies erfordert eine hohe psychosoziale Kompetenz und Sensibilität in der Wahrnehmung der Gefühlslagen. Demgegenüber stellt Kitwood eher verschiedene Abwehrformen von pflegenden Personen gegenüber Demenzkranken fest. Diese Sichtweise sieht er begründet in der Tendenz vieler westlicher Kulturen, Menschen mit schwerer körperlicher oder seelischer Behinderung zu depersonali- sieren (auszugrenzen). Von dieser Ausgrenzung besonders betroffen sind Men- schen mit Demenz. Dies macht sich für ihn durch zum Beispiel viel zu niedrige Mittel, die zur Verfügung gestellt werden, um eine angemessene Betreuung und Pflege zu gewährleisten, sowie eine unzureichende Qualifizierung des Pflegeper- sonals in Bezug auf die Pflege dementiell Erkrankter deutlich. Als Problem in der Pflege und Betreuung Demenzkranker sieht er nicht die Krank- heit an sich, sondern die gestörte Interaktion zwischen Demenzkranken und ihrer Umwelt, aus der sich eine Eigendynamik von Reaktion und Gegenreaktion entwi- ckelt. In Form einer „Involutionsspirale“ (Kitwood, 2000, 82) entwickeln sich aus ersten neurologischen Beeinträchtigungen Missverständnisse oder auch Unver- ständnis in der Umgebung, die wiederum zum Beispiel herausforderndes Verhalten der Demenzkranken erzeugen. Dieses Verhalten wird von Außenstehenden als Symptom der Krankheit angesehen und führt nicht selten zu Zwangsmaßnahmen, Psychopharmakagabe oder auch zu Fixierungen. Durch diese Maßnahmen wird das „Personsein“ der Betroffenen massiv beeinträchtigt. Die Folgen sind die mehrfach beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten wie aggressives Verhalten, Schreien, Weinen, Rückzug. Aus seinen umfangreichen Beobachtungen und Untersuchungen in der Praxis ent- wickelte Tom Kitwood die Formen der depersonalisierenden Pflege in stationären Settings. Er beschreibt sie als „maligne, bösartige Sozialpsychologie“ (Kitwood, 2000, 75-76). In seinem Konzept werden 17 Formen unterschieden, in denen sich die maligne Sozialpsychologie ausdrückt. Dies sind beispielhaft (die vollständige Aufzählung ist im Anhang aufgelistet): 1. Betrug (treachery) – Einsatz von Formen der Täuschung, um eine Person abzulenken, zu manipulieren oder zur Mitwirkung zu zwingen. 2. Zur Machtlosigkeit verurteilen (disempowerment) – jemandem nicht ges- tatten, vorhandene Fähigkeiten zu nutzen; die Unterstützung beim Ab- schluss begonnener Handlungen versagen. 3. Infantilisieren (infantilization) – jemanden sehr väterlich bzw. mütterlich autoritär behandeln, etwa wie ein unsensibler Elternteil dies mit einem sehr kleinen Kind tun würde. 48 Die Personsein schädigende Formen des Umgangs führen nach dieser Theorie zu einer tiefen Beeinträchtigung der Person und beeinflussen das körperlichen Wohl- befindens der Betroffenen. Kitwood unterstellt keine Bösartigkeit bzw. Absicht der Betreuenden. Er sieht vielmehr ihr schädigendes Verhalten als Bestandteil ihres kulturellen Erbes. Demgegenüber stehen Möglichkeiten, das Personsein zu stützen und zu stärken. Ausgehend von der Annahme, dass dementiell Erkrankte darauf angewiesen sind, Beschäftigung und Aufgaben angeboten zu bekommen, in der Gemeinschaft mit anderen unterstützt und begleitet zu werden sowie Konstanz in der Anwesenheit von Personen zu erleben, entwickelt er seine Theorie der „positiven Personenar- beit“. Sie ist eine stark individuelle, auf den Krankheitsverlauf abgestimmte Unter- stützungsform und darauf ausgerichtet, durch die einfühlsame Begleitung des Be- troffenen dessen Wohlbefinden zu erhalten und zu steigern. Ziele sind, das „Sub- jektsein“ zu erhalten, Unterstützung bei der Behauptung des eigenen Willens zu geben, Gefühle ausdrücken zu können, soziale Kontakte aufnehmen zu können, Zuneigung zu geben und zu empfangen, Spaß zu empfinden, sich sinnvoll betäti- gen zu können, sich zu entspannen und zu erholen (Müller-Hergl, 2001). Es werden zwölf positive Interaktionsformen unterschieden, die als Anregung für die Praxis dienen. Aufgabe der Pflegepersonen ist, die Möglichkeiten der positiven Förderung individuell zu erkennen und geeignete Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen. Positive Interaktionsformen sind beispielsweise (die zwölf Interaktionsformen sind im Anhang aufgelistet): „1. Anerkennen (recognition). Hierbei wird ein Mann oder eine Frau mit Demenz als Person anerkannt, ist namentlich bekannt und wird in seiner bzw. ihrer Einzig- artigkeit bestätigt. Anerkennen lässt sich durch einen einfachen Akt des Grüßens oder durch achtsames Zuhören über einen längeren Zeitraum, in dem jemand viel- leicht einen Teil seines früheren Lebens beschreibt, erreichen. Anerkennen ist je- doch niemals rein verbal und kann auch völlig wortlos erfolgen. Einer der grundle- genden Akte des Anerkennens ist einfach der direkte Blickkontakt. 2. Verhandeln (negotiation). Das charakteristische Merkmal dieser Art von Interak- tion besteht darin, dass Menschen mit Demenz nach ihren Vorlieben, Wünschen und Bedürfnissen gefragt werden, statt den Vermutungen anderer angepasst zu werden. Vielmehr wird verhandelt über einfache Angelegenheiten des Alltags, etwa ob sich jemand in der Lage sieht, aufzustehen, eine Mahlzeit einzunehmen oder nach draußen zu gehen. Geschicktes Verhandeln berücksichtigt die Ängste und Unsicherheiten von Menschen mit Demenz sowie das langsamere Tempo, in dem sie mit Informationen umgehen. Verhandeln gibt selbst hochgradig abhängi- gen Menschen ein gewisses Maß an Kontrolle über die Pflege, die sie erhalten, und gibt ihnen Macht zurück.“ (Kitwood, 2000, 134) Das „Subjektsein“ der Demenzkranken kann durch die gute Pflege in dem Maße erhalten werden, in dem das Personsein trotz des fortschreitenden Verlustes kogni- tiver Fähigkeiten vorausgesetzt wird. Ausdruck der guten Pflege ist das Wohlbe- finden der Betroffenen, egal in welchem Stadium der Erkrankung sie sich befinden. Das relative Wohlbefinden Demenzkranker ist ein wichtiges Kriterium zur Beurtei- lung der Qualität der Pflege. Dementsprechend ist für die Qualität der Pflege und 49 Betreuung nicht die Beseitigung der Symptome beziehungsweise eine Wiederher- stellung gestörter Funktionen wichtig, sondern der alltägliche Umgang mit den Betroffenen. Damit rückt die Prozessqualität, das Miteinander umgehen, in den Mittelpunkt. Kitwood entwickelte auf der Grundlage seines Person-zentrierten Ansatzes ein Instrumentarium zur Erfassung des relativen Wohlbefindens bei dementiell Er- krankten, das in dieser Studie zur Anwendung kommt und in Kapitel 3.4. einge- hender dargestellt wird. 3.2.2. Objektives Wohlbefinden Die Persönlichkeitsvariablen des Wohlbefindens sind nicht unabhängig von den sozialen Bedingungen, die das Lebensumfeld und damit auch die Handlungsspiel- räume zur Gestaltung der eigenen Existenz ermöglichen oder begrenzen. Die ob- jektiven Lebensumstände bilden den Rahmen für subjektiv empfundene Lebens- qualität. Der Einfluss der äußeren Lebensumstände auf das subjektive Erleben der betref- fenden Menschen wird im Lebenslagekonzept aufgegriffen (Backes und Clemens, 2000 / Clemens, 1994 / Backes, 1997). Mit dem Begriff „Lebenslage“ werden gleichbedeutend die Begriffe „Soziallage“ und „soziale Lage“ verwandt. Gegens- tand der Betrachtung sind die Auswirkungen und Bedingungen sozialer Ungleich- heit, wie sie von Max Weber thematisiert wurden (Clemens, 1994 / Backes 1997). Die Vielfalt der Definitionen und empirischen Operationalisierungen des Begriffes werden zum Beispiel bei Backes (1997) ausführlich dargestellt. Die objektive Strukturiertheit der Lebenslage wird „als Ergebnis eines gesellschaft- lich-historischen Entwicklungsprozesses verstanden“ (Clemens, 1994, 142). Sie stellt den sozialen Spielraum dar, in dem der einzelne Mensch Interessen und Be- dürfnisse befriedigen kann (Tesch-Römer, 2002). „Lebenslagen sind die historisch entstandenen und sich entwickelnden Strukturbe- ziehungen, die sich aus den äußeren Lebensbedingungen ergeben, die Menschen im Ablauf ihres Lebens vorfinden, sowie die mit diesen äußeren Bedingungen in wechselseitiger Abhängigkeit sich entwickelnden individuellen Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungen, die diese Menschen hervorbringen.“ (Amann, 1994:323f zitiert in Backes/Clemens, 1998, S. 20) Das Lebenslagekonzept findet in verschiedenen Bereichen wie soziale Gerontolo- gie, Familie, Arbeitsschutz, Gesundheitssicherung, Wohnungswirtschaft sowie der Theorie und Praxis sozialer Arbeit Anwendung (Clemens, 1994). Backes und Cle- mens (1998) beschreiben sieben Dimensionen des Lebenslagekonzeptes: „1. der Vermögens- und Einkommensspielraum; 2. der materielle Versorgungsspielraum: Er bezieht sich auf den Umfang der Ver- sorgung mit übrigen Gütern und Diensten, insbesondere des Wohnbereichs, des Bildungs- und Gesundheitswesens incl. Art und Ausmaß infrastruktureller Einrich- tungen, Dienste und Angebote des übrigen Sozial- und Gesundheitswesens; 50 3. der Kontakt-, Kooperations- und Aktivitätsspielraum: Er betrifft die Möglichkei- ten der Kommunikation, der Interaktion, des Zusammenwirkens mit anderen sowie der außerberuflichen Betätigung; 4. der Lern- und Erfahrungsspielraum: Er steckt die Möglichkeiten der Entfaltung, Weiterentwicklung und der Interessen ab, die durch Sozialisation, schulische und berufliche Bildung, Erfahrungen in der Arbeitswelt sowie durch das Ausmaß sozia- ler und räumlicher Mobilität und die jeweiligen Wohn-Umweltbedingungen deter- miniert sind; 5. der Dispositions- und Partizipationsspielraum: Er beschreibt das Ausmaß der Teilnahme, der Mitbestimmung und der Mitgestaltung in den verschiedenen Le- bensbereichen; 6. der Muße- und Regenerationsspielraum sowie der Spielraum, der durch alterns- typische psycho-physische Veränderungen, also vor allem im Gesundheitszustand und in der körperlichen Konstitution, bestimmt wird, und 7. schließlich der Spielraum, der durch die Existenz von Unterstützungsressourcen bei alternstypischer Hilfe- und Pflegeabhängigkeit aus dem familialen und/oder nachbarschaftlichen Umfeld bestimmt ist.“ (Backes/Clemens, 2000, 15) Mit dem Lebenslagenkonzept ist eine präzisere Beschreibung der Lebenssituation möglich. Insofern ergänzt es die subjektiven Aspekte des Lebensqualitätsansatzes. In der subjektiven Bewertung der eigenen Lebenslage kann eine Beurteilung der Lebensqualität vorgenommen werden (Cappell, 2005). Capell (2005) beschreibt und ergänzt die „Domänen“ und „Facetten“ beider Be- grifflichkeiten in Anlehnung an Angermeyer et al. (2000) von Lebenslage und Le- bensqualität. Dies sind unter der Domäne physische Gesundheit die Facetten Schmerz/Unwohlsein, Energie/Erschöpfung, Schlaf/Ruhe, Mobilität, tägliche Ver- richtungen, Abhängigkeit von Medikamenten/mededizinische Behandlung und Arbeitsfähigkeit, unter der Domäne Psychische Gesundheit: positive/negative Ge- fühle, Denken, Lernen, Gedächtnis, Konzentration, Selbstakzeptanz, Köper- bild/Erscheinung, Lebenssinn, Entfaltung/Weiterentwicklung der Interessen, unter der Domäne Soziale Beziehungen: persönliche Beziehungen, Sexualleben, soziale Unterstützung, Teilnahme-, Mitbestimmungs-/Mitgestaltungsmöglichkeiten und unter der Domäne Umwelt Facetten wie Sicherheit, Wohnung, Einkommen, Ver- mögen, Zugang/Leistungsfähigkeit von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen, Informationszugang, Gelegenheit/Beteiligung an Freizeitaktivitäten, gesundes Wohnumfeld, Beförderungsmittel. Die bisherigen Forschungen zu Wohlbefinden im Alter verdeutlichen, dass ver- schiedene Einzelaspekte zusammenwirken und nicht losgelöst von sozialen Le- benslagen betrachtet werden können. Erst das Zusammenwirken zwischen subjek- tiven und objektiven Bedingungen kann die Voraussetzungen für Wohlbefinden schaffen. Das Wohlbefinden wird aufgrund persönlicher Bewertungen in Sinne des „Habituellen Wohlbefindens“ subjektiv empfunden und steht im engen Kontakt mit Lebenszufriedenheit, Glück, Freude, Beschwerdefreiheit, der Erhaltung der Fähig- keiten und Fertigkeiten, Autonomiebedürfnissen, der Kontrolle über das eigene Denken und Tun sowie sozialen Kontakten. Trotz der Uneinheitlichkeit der theoretischen Zugänge gibt es eine weitgehende Übereinstimmung zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die Lebenszufriedenheit alter Menschen. Dies sind subjektiver und objektiver Gesundheitszustand, persön- liche Kontrolle, Selbständigkeit, die Bildung positiver Beziehungen zu anderen 51 Menschen, Vertrautheit und Beherrschung der Umgebung, finanzielle Situation, Bildung und Familienstand (Thomae, 1983, Zank/Baltes, 1998, Lehr, 2000). 3.3. Ausgewählte Prädiktoren des Wohlbefindens Trotz der Unübersichtlichkeit der Forschungslage zur Lebensqualität und dem Wohlbefinden besteht weitgehende Einigkeit in Bezug auf einflussnehmende Fak- toren. Drei Prädiktoren, Gesundheit, soziale Beziehungen und Alltagsrhythmen sollen im Folgenden in Bezug auf ihre Bedeutung für dementiell Erkrankte näher betrachtet werden. Zum besseren Verständnis soll zunächst die besondere Lebens- situation der Betroffenen dargestellt werden. Eine wesentliche Veränderung der Lebenssituation mit Auswirkungen auf die Le- bensqualität der Betroffenen und Angehörigen ist der Eintritt von Pflegebedürftig- keit und/oder die Erkrankung an einer Demenz. Dadurch ergeben sich Einschrän- kungen der individuellen Handlungsspielräume mit negativem Einfluss auf die Lebensqualität. Insbesondere eingeschränkt werden die Handlungsspielräume in der selbständigen Gestaltung des Alltags, da die Erkrankten dazu nicht mehr alleine in der Lage sind. Die Veränderung der Lebenssituation bezieht sich auf den Er- krankten und seine Angehörigen, die Pflege und Versorgung übernehmen müssen. Beeinträchtigt werden die physische Gesundheit durch Veränderungen des Schlaf- und Wachrhythmus bis zur völligen Umkehrung durch erhöhte Motorik bis zur Erschöpfung sowie der Unselbständigkeit im täglichen Leben. Die psychische Ge- sundheit wird durch das Erleben des Versagens und des Vergessens bis zum Ver- lust der eigenen Identität sowie den Verlust des Realitätsbezugs bis zu Wahnvor- stellungen beeinträchtigt. Bei fortschreitender Erkrankung entfremden sich die Betroffenen in ihren sozialen Beziehungen; zum Teil erkennen sie langjährige Partner und Verwandte nicht wieder. Das erschwert die Wertschätzung und soziale Unterstützung. Die Wahrscheinlichkeit steigt, aufgrund der Erkrankung in eine stationäre Einrich- tung ziehen zu müssen. Die Auswahl einer geeigneten Einrichtung wird von den zur Verfügung stehenden finanziellen Möglichkeiten beeinflusst, da die Leistungen der Pflegeversicherung nur einen Teil der Pflegekosten abdecken (§ 41 bis 43 SGB XI). Eine über die normalen Heimentgelte und deren pauschalierte Leistungen hinausgehende spezielle individuelle Betreuung, besondere Betreuungskonzepte et cetera müssen zusätzlich finanziert werden. Die soziale Ungleichheit der Lebensla- gen wird deutlich. Durch den Umzug in ein Heim ist von einer bedeutsamen Änderung der Lebenssi- tuation auszugehen. Sie erfordert Anpassungsprozesse auf verschiedenen Ebenen. Eine Verschlechterung der Lebensqualität ist unter den gegebenen Bedingungen wahrscheinlich. Verschiedene Modelle dienen zur Erklärung der institutionellen Wirkung auf die Lebenszufriedenheit. Jenull-Schiefer und Janig (2004) führen zwei Erklärungsmo- delle an: „das Modell der erlernten Hilflosigkeit“ (Kontingenzlosigkeit des eigenen Verhaltens führt zu Kontrollverlust) und „das Modell der gelernten Abhängigkeit“ (verstärkende Reaktionen der sozialen Umwelt auf Unselbständigkeit) nach Baltes. Weiteren Einfluss haben die Einschränkungen der Autonomie, der Wahl- und Ent- scheidungsfreiheit sowie „distanzierte Routinepflege“. Von Havighurst (1968) und 52 Tartler (1961) werden die Bedeutung von Aktivität für die Lebenszufriedenheit und das allgemeine Wohlbefinden hervorgehoben. „Das subjektive Wohlbefinden und die Anpassung an die Pflegeheimumgebung sind unmittelbar damit verbunden, inwiefern der Pflegeheimbewohner in Entschei- dungen des täglichen Lebens eingebunden ist und Aktivitäten, die den Interessen und Neigungen entsprechen, ermöglicht werden. Die Notwendigkeit, dem alten Menschen im Sinne eines Kompetenzmodells zu begegnen, ist längst erkannt, den- noch wird die Kluft zwischen theoretischer Auseinandersetzung mit dem Bereich Beschäftigung und Aktivierung und der praktischen Umsetzung dieser Erkenntnis- se als enorm bezeichnet.“ (Jenull-Schiefer/Janig, 2004, 394) 3.3.1. Gesundheit Der objektive Gesundheitszustand ist für das Leben und die Lebensqualität von grundlegender Bedeutung. Hier spielen die Ernährung und eine regelmäßige Be- wegung eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der körperlichen und kognitiven Gesundheit. In der Wahrnehmung älterer Menschen steht das subjektive Gesund- heitsbefinden im Vordergrund. Wie oben beschrieben, belegen Studien die Er- kenntnis, dass trotz objektiver Gesundheitseinschränkungen durch Krankheiten, das subjektive Empfinden der Lebensqualität nicht zwingend beeinträchtigt sein müssen. Zank und Baltes (1998) verweisen auf Studien, nach denen selbst bei schwersten Erkrankungen hohe Zufriedenheitswerte angegeben wurden. Diese Befundlage ist unabhängig von der Lebensform in einer Institution beziehungswei- se in der eigenen Häuslichkeit. Erklärungsmodelle für diese Diskrepanz zwischen objektiver und subjektiver Realität gehen in der Psychologie davon aus, dass be- sonders der alte Mensch von bestimmten mentalen Anpassungsprozessen Gebrauch zu machen scheint, die seine psychologische Widerstandsfähigkeit erhöhen. Neben den Anpassungsprozessen werden Vergleiche mit anderen, denen es schlechter geht und zum eigenen früheren Leben gezogen. Aufgrund dieses Vergleichsprozes- ses werden Ansprüche und Erwartungen reduziert bzw. Hoffnungen auf die Beibe- haltung des jetzigen Zustandes und nicht auf eine Verbesserung ausgerichtet. Erst die fortschreitenden Einschränkungen in den Aktivitäten des Lebens führen zu einer negativen subjektiven Einschätzung (Zank/Baltes, M.M., 1998). Diese Erkenntnisse sind bei kognitiv gesunden alten Menschen gewonnen worden und können zum Teil auf Demenzkranke übertragen werden. In der Untersuchung von Meier (1995) zur Erfassung der individuellen Lebensqua- lität von gesünderen Älteren sowie von Patienten im Anfangsstadium einer De- menz und ihren Angehörigen wurde gezeigt, dass eine dementielle Erkrankung zu einer Lebensqualitätseinbuße bei den Betroffenen und den Verwandten führt. Die Lebensqualität wurde besonders vom subjektiven Erleben des Demenzprozesses mit den begleitenden kognitiven Defiziten beeinträchtigt. Die Betroffenen litten unter Einschränkungen der Flexibilität, dem Verlust bestehenden Wissens und einer Verlangsamung der kognitiven Funktionen. Weitere Belastungen ergaben sich aus der Dauer der Krankheit, Stimmungsschwankungen und den Störungen des Gedächtnisses in Form von Orientierungsschwierigkeiten. Entlastend scheinen Störungen des Langzeit- und Kurzzeitgedächtnisses zu wirken. Betroffene können in diesen Fällen keinen Vergleich mit dem früheren Leben herstellen, da sie es vergessen haben. 53 Die Lebensqualität der Angehörigen wurde weniger von den Gedächtnisstörungen negativ beeinflusst, als von der verminderten Verhaltenskontrolle der Betroffenen. Dazu zählen die verminderte Fähigkeit, Umweltreize zu erkennen und richtig zu interpretieren, Schwierigkeiten in der Körperpflege und der Verlust sozialer Kom- petenz. Die Langzeitbeobachtung über ein Jahr ergab keine weiteren Verschlechte- rungen der Lebensqualität trotz der fortschreitenden Erkrankung der Probanden. Die Ergebnisse der Untersuchung von Meier weisen darauf hin, dass sowohl die Demenzkranken als auch ihre Angehörigen im Verlaufe der Erkrankung gelernt haben, mit dieser besser umzugehen beziehungsweise sie zu akzeptieren. 3.3.2. Soziale Beziehungen Soziale Kontakte spiegeln die Beziehungen des Individuums in seinem unmittelba- ren sozialen Umfeld wieder. Die Bedeutung sozialer Beziehungen zu Familienan- gehörigen, Ehepartnern, Freunden et cetera bekommt dadurch Gewicht, dass die meisten Bedürfnisse erst in der Interaktion mit anderen befriedigt werden können. Mit sozialen Beziehungen sind nicht nur die Anzahl der Kontakte sondern auch deren „Qualität“ oder auch Intensität gemeint. Die Qualität liegt vor allem in der sozialen Hilfestellung bei der Aufrechterhaltung eines weitgehend selbständigen Lebens. In verschiedenen Studien zu den Faktoren der Lebenszufriedenheit bei Heimbe- wohnern wurde die Vermutung belegt, dass die Möglichkeiten zu Sozialkontakten nicht automatisch die Zufriedenheit erhöhen (Zank/Baltes 1998/ Kempe et. al. 1989). Vielmehr beobachteten auch sie das von Koch-Straube (1997) beschriebene Phänomen, dass trotz der Anwesenheit vieler Personen über Einsamkeit geklagt wird. Institutionen wie Altenpflegeheime können demnach in der bisherigen Form nur begrenzt zur Aufnahme neuer und intensiver Kontakte beitragen. Der stärkste Faktor für Wohlbefinden im Alter scheint das Vorhandensein eines Partners oder einer Vertrauensperson zu sein. Demgegenüber steht die konkrete Situation der Heimbewohner. Sie sind in der Regel alleinstehend beziehungsweise verwitwet und haben über längere Zeit vor dem Heimeintritt allein gelebt (Backes und Cle- mens, 1998). Sie sind deshalb in der Kontaktaufnahme auf die sie im Heim umge- benden Personen, das Personal und die Mitbewohner, angewiesen. Beeinträchtigt wird die Kontaktaufnahme durch die Einschränkungen, mit denen die dementiell Erkrankten leben müssen. Sie verlieren mit fortschreitendem Ver- lauf der Krankheit – zunehmend - die sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Die Heim- bewohner sind darauf angewiesen, dass die Bezugspersonen (Angehörige, Mitbe- wohner, Personal) ihr Ausdrucksverhalten deuten und die richtigen Schlüsse auf ihr Befinden und ihre Bedürfnisse ziehen. Das bedeutet, dass sich die Kommunikation von der verbalen auf die nonverbale Ebene verschiebt. Bär et al. (2003) haben eine Studie vorgelegt, in der sie die nonverbale Ausdrucks- fähigkeit von 29 Heimbewohnern mit mittlerer und schwerer Demenz sowie die Reaktionen des Personals beschrieben. Das Ergebnis belegt die Vermutung, dass die Fähigkeit, Emotionen erleben und sie zu zeigen, bei demenzkranken Menschen deutlich länger erhalten bleibt als die Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck. Auf- fällig war die Unsicherheit der ausgebildeten Fachkräfte, die nonverbalen Signale der Bewohner zu deuten. Dem gegenüber reagierten nichtausgebildete Mitarbeiter 54 intuitiver und angemessener. Diese Erkenntnis spricht einerseits für eine Mischung beider Mitarbeitergruppen im Team und andererseits für veränderte Aus- und Fort- bildungskonzepte. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die H.I.L.D.E. Studie (Becker et al., 2005). Becker et al. stellten in ihrer Untersuchung fest, dass bei ausgebildeten Pflegekräften eine hohe Unsicherheit in der Deutung der Mimik zu erkennen ist. Hinzu kommt die fachliche Unsicherheit in der Einschätzung von Symptomen de- mentieller Erkrankungen trotz der festgestellten hohen Grundqualifikation. Unsi- cher waren sie in der Einordnung der Bewohner in „Demenzkrank oder nicht“ und insbesondere in der Deutung von nicht kognitiven Symptomen (wie zum Beispiel Angst). Während der Studie wurden Situationen beobachtet, in denen die Bewohner Freude und Wohlbefinden zum Ausdruck brachten. Das Gefühl der Freude wurde durch Zuwendung und persönliche Ansprache verstärkt. Immer dann wenn die Bewohner zu einfachen Alltagsaktivitäten angeregt wurden oder sie ihre individuellen Vorlie- ben und Gewohnheiten ausleben konnten, fühlten sie sich wohler. Dagegen führten Situationen in denen ihre Handlungsmöglichkeiten eingeengt wurden, sie sich zu etwas gedrängt beziehungsweise genötigt fühlten sowie Konflikte mit anderen Bewohnern zu negativen Emotionen. Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die Bedeutung des persönlichen Ge- sprächs und der individuellen Zuwendung im Leben der Heimbewohner. In einer älteren empirischen Untersuchung zu Korrelaten des psychischen und so- zialen Wohlbefindens von Heimbewohnern konnte Schick (1978) den Einfluss der Institution Heim auf den Umfang und die Qualität der sozialen Beziehungen fest- stellen. Ergebnisse ihrer Studie belegen den Zusammenhang zwischen Reglemen- tierungsgrad der täglichen Lebensvollzüge und dem Umfang von Kontakten. Ein starker Reglementierungsgrad scheint Freundschaften der Bewohner untereinander zu verhindern beziehungsweise zu erschweren. Auch die Beziehung zum Personal wird vom Reglementierungsgrad beeinflusst. In Einrichtungen mit geringem Reg- lementierungsgrad hat das Personal weniger negative Vorurteile gegenüber alten Menschen, lehnt Restriktionen und sozialen Rückzug als adäquate Verhaltensweise im Alter ab. Ist der Reglementierungsgrad hoch, das Stimulationsangebot gering und die Einstellung des Personals den alten Menschen gegenüber autonomieunter- bindend und vorurteilsbelastet, wird die Institutionalisierung negativer erlebt. Für die Zufriedenheit und Lebensqualität von Demenzkranken ist die Berücksichti- gung ihrer individuellen Situation in der Bedarfsermittlung, Planung und Durch- führung der Pflege von grundlegender Bedeutung. Neben der verbalen Kommuni- kation spielen nonverbale Gesten, Handlungen und emotionaler Ausdruck eine entscheidende Rolle. Es ist davon auszugehen, dass sich Demenzkranke und auch andere Pflegebedürftige sachlich und emotional verstanden wissen wollen. Wird ihren Bedürfnissen nicht entsprochen, so ist davon auszugehen, dass ihre Lebens- qualität gemindert wird. Merkmal einer guten Pflege und Betreuung ist die Berück- sichtigung der kommunikativen Bedürfnissen der Bewohner. 55 3.3.3. Alltagsrhythmen Vertrautheitserfahrungen dementiell erkrankter älterer Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen stehen im Zusammenhang mit Interessen, die früher für sie im Mittelpunkt standen. In der Praxis beobachtet werden vor allem zwei Bereiche. Dies sind die Lebenssituation in der Familie (die Ursprungsfamilie und die selbst gegründete Familie) sowie die frühere Arbeitssituation. Ihre Aktivitäten, ihr Alltag und ihre Tagesstrukturierung war über Jahrzehnte hinweg von diesen Interessens- gebieten geprägt. Im Gegensatz dazu steht die Heimumgebung mit ihren eigenen - an organisatorischen Vorgaben ausgerichteten - Tagesstrukturen, der „Rund-um- Versorgung“ und „künstlichen“ Aktivitäten. In diesen Einrichtungen scheinen sich eine Mehrzahl von dementiell Erkrankten nicht zu Hause zu fühlen. Das Gefühl äußert sich in der von Praktikern beschriebenen ständigen Beschäftigung vieler Betroffener mit dem Thema „nach Hause wollen“. Auffällig für Bosch (1998) ist, dass dies ein wichtiges Thema für Frauen ist. Sie leiden besonders unter der Fremdheit des Alltags im Heim. Auch wenn sie schon Jahre in einer Einrichtung leben, bleibt das Gefühl, „nach Hause zu wollen“. Die Beweggründe sind nach Bosch ambivalent: der Mann, die Kinder, die Mutter war- ten oder müssen versorgt werden. Häufig offenbart sich in ihrer Motivation das Verantwortungsgefühl für diejenigen, für die, um die sich früher gekümmert haben. Beobachtet wird eine Zunahme der Unruhe mit dem Bedürfnis, nach Hause zu wollen, um 16 bis 17 Uhr wenn in der Vergangenheit der Mann und die Kinder eintrafen. Bei dementiell erkrankten älteren Männern, steht eher die Beschäftigung mit Regu- larien in ihrem früheren Berufsleben im Vordergrund. Auch das Vereinsleben prägt die Interessenlage männlicher Demenzkranker. Zu den Unterschieden im Erleben zwischen Frauen und Männern schreibt Bosch: „Im Erleben der dementierenden Frauen, so hat sich aus der Untersuchung ergeben, steht vor allem die frühere Situation innerhalb des Hauses im Mittelpunkt. Frauen möchten nach Hause. Aus ihren Äußerungen wird deutlich, wer in ihrem Leben signifikante Bezugspersonen waren und es noch immer sind: Mann, Kinder, Mutter und einige Male auch der Vater. Bei Männern ist das nicht der Fall. Das „(Zu)Hause“ wird wesentlich seltener behandelt, und die Männer fühlen auch nicht so sehr den Drang, nach Hause zu wollen. Im Allgemeinen passen sie sich schnel- ler und einfacher der Pflegesituation an als Frauen.“ (Bosch, 1998, 85-86) Ein weiteres Ergebnis der Studie waren Unterschiede in der Interpretation der Ver- haltensweisen von Seiten des Pflegepersonals. Eine höhere Akzeptanz fand bei ihnen das Wegwollen der dementiell erkrankten Männer zu ihrem Arbeitsplatz. „Das Wegwollen der Männer zu ihren Arbeitsplatz wird mehr oder weniger als selbstverständlich empfunden und begriffen; es ruft weniger das Gefühl der Macht- losigkeit oder Irritation hervor. ...Im Gegensatz dazu wird das Verhalten der Frau- en... häufiger als negativ, abweichend oder krank eingeschätzt und definiert. ...Möglicherweise beruht dieser Unterschied darin, dass das Verhalten der Männer, die zu ihrer Arbeit wollen, nicht der (impliziten oder expliziten) Zielsetzung der Pflegenden entgegensteht: nämlich, ein Zuhause zu schaffen. Das Verhalten wird nicht als Kritik an der Arbeit aufgefasst und vermittelt den Pflegenden nicht das 56 Gefühl, zu versagen. Darüber hinaus spielt möglicherweise die geringe Bewertung der Arbeit von Hausfrauen eine Rolle.“ (Bosch, 1998, 86-87) Die Vertrautheitserfahrungen dementiell erkrankter älterer Menschen stehen mit ihren früheren Lebenssituationen in der Familie beziehungsweise der Arbeit im Zusammenhang. Durch die Sorge für die Familie beziehungsweise die Arbeit er- hielt das tägliche Leben einen Inhalt und eine sinnhafte Struktur. Die Tätigkeiten, die in der Vergangenheit als sinnvoll, wesentlich und wertvoll erfahren wurden, und mit denen ein Großteil des täglichen Lebens ausgefüllt war, spielen auch in der stationären Einrichtung eine wichtige Rolle. Daraus ist zu schließen, dass eine von früher vertraute Umgebung, die Beibehal- tung von gewohnten Alltagsrhythmen und -tätigkeiten eine wichtige Voraussetzung für das Wohlbefinden Demenzkranker in der stationären Versorgung ist. 3.4. Instrumente zur Erfassung der Lebenszufriedenheit Es gibt eine Fülle von verschiedenen Instrumentarien zur Erfassung der Lebens- qualität und des allgemeinen subjektiven Wohlbefindens (Mayring, 1989). Der Anteil derjenigen Arbeiten, die sich direkt und unmittelbar mit der subjektiven Erlebniswelt von dementiell erkrankten alten Menschen beschäftigen, ist demge- genüber eher gering. Dies erklärt sich aus der allgemein anerkannten These, dass der Betroffene selbst die angemessenste Quelle für Aussagen über seine Lebens- qualität ist (Mayring, 1989). Eine direkte Nutzung der Aussagen kann dementspre- chend nur bei den Personen vorgenommen werden, die noch in der Lage sind, sich verbal verständlich zu machen. Instrumente zur Erfassung der subjektiven Lebensqualität Niebuhr (2004) führte in ihrer qualitativen Untersuchung zur subjektiven Lebens- qualität Interviews mit Demenzkranken. Die befragten Personen verfügten noch über ein Mindestmaß an sprachlicher Kommunikation. Das Auswahlkriterium schränkte die Gruppe der Befragten und damit die Aussagekraft der Ergebnisse ein; diese Einschätzung wird von der Forscherin bestätigt. Nur ein Teil der Interviews (25 von 40) sei vollständig auswertbar gewesen (Niebuhr, 2004). Eine weitere Annäherung der subjektiven Lebensqualität über Interviews stellt die von Meier (1995) vorgenommene Entscheidungsanalyse dar. Sie befragte an De- menz erkrankte alte Menschen im Anfangsstadium sowie in der mittleren Phase der Krankheit und bezog Angehörige zu einzelnen Aspekten der Lebensqualität ein. Die Ergebnisse wurden mit Hilfe der Methode des sozialen Urteilens (SEIQol, Meier, 1995) ausgewertet. Auch für diese Studie wurden die Befragten im An- fangs- beziehungsweise mittlerem Stadium der Demenz ausgewählt. Personen in weiter fortgeschrittenen Stadien beziehungsweise mit eingeschränkter sprachlicher Kompetenz blieben unberücksichtigt. Die Beurteilung der Lebensqualität bei Demenzkranken, die keine beziehungswei- se nur eingeschränkte Aussagen zu ihrer Lebenssituation geben können, ist eine Herausforderung. Dies betrifft insbesondere die Validität des Instruments (Sowar- ka, 2000). 57 Weitere Instrumente der Beobachtungsforschung dienen dazu, aus dem emotiona- len Verhalten dementiell erkrankter Menschen Rückschlüsse auf das Wohlbefinden zu ziehen. Damit können auch Personen erfasst werden, die die Fähigkeit zur ver- balen Kommunikation verloren haben. Beispiel ist die Beobachtung des mimischen Ausdrucks bei Bär et al. (2003). Sie sehen ihre Hypothese bestätigt, dass die Fä- higkeit, Emotionen zu erleben und zu zeigen, bei dementiell Erkrankten länger erhalten bleibt als die verbale Ausdrucksfähigkeit. Demnach können aus der Beo- bachtung des mimischen Ausdrucks Rückschlüsse auf Situationen mit positiven beziehungsweise negativen Emotionen gezogen werden (Bär et al., 2003). Einen anderen Versuch zur Ermittlung der subjektiven Lebensqualität unternahm Bosch (1998) in ihrer Studie zur Vertrautheit – einer teilnehmenden Beobachtung der Lebenswelt dementierender alter Menschen. Die Studie wurde durch Inter- views, Berichte, Literatur und persönlichen Erfahrungen ergänzt. Bosch beobachte- te die Bewohner in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung mehr als ein Jahr lang bei Gesprächen untereinander und mit den Pflegekräften. Zur Reihe der Beobachtungsinstrumentarien zählt auch das von Kitwood (2000) entwickelte Verfahren DCM (Dementia Care Mapping), ein Beobachtungsinstru- ment zur Erfassung des subjektiven Wohlbefindens in stationären Einrichtungen. Es erfasst die Interaktionsqualität zwischen Demenzkranken und Pflegenden und bildet sie ab. DCM orientiert sich an den emotionalen Äußerungen der dementiell Erkrankten. Eine direkte Interaktion zwischen Beobachtern und Beobachteten so- wie Befragungen der beteiligten Personen sind nicht vorgesehen. Erfasst werden darüber hinaus Aktivitäten und Beschäftigungen der Betroffenen. Das Verfahren wird im Kapitel 3.2 eingehend vorgestellt. Multidimensionale Erfassungsinstrumentarien Um zu einer verlässlichen Aussage zur Lebensqualität pflegebedürftiger alter Men- schen zu kommen, sollte nicht nur die subjektive Einschätzung der Lebensqualität herangezogen werden. Die verschiedenen theoretischen Konzepte zur Lebensquali- tät erfordern vielmehr einen multidimensionalen Forschungsansatz (Mayring, 1989). Sinnvoll erscheint der Einsatz verschiedener Methoden zur Ermittlung der individuellen Einschätzung, der Beurteilung alltagsnaher Kompetenzen und der Erfassung der sozial-räumlich gestalteten Umgebung (Sowarka, 2000). Heidelberger Instrument zur Erfassung von Lebensqualität bei Demenz Beispielhaft für die Umsetzung des multidimensionalen Ansatzes steht H.I.L.D.E., das Heidelberger Instrument zur Erfassung von Lebensqualität bei Demenz (Be- cker et al., 2005). Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung und Erprobung eines umfassenden Instrumentariums zur Messung der Lebensqualität bei demenz- kranken Heimbewohnern. Grundlage des Instrumentes sind die vier Dimensionen der Lebensqualität nach Lawton et al. (1996). Daraus wurden acht Dimensionen von Lebensqualität abge- leitet. Dies sind 1. die räumliche Umwelt (Besonderheiten der räumlichen Um- welt), 2. die soziale Umwelt (Art und Struktur sozialer Kontakte), 3. die Betreu- ungsqualität (Merkmale der infrastrukturellen Umwelt: Versorgung durch Ärzte und Pflege, Qualifikation, Alltagsgestaltung), 4. der medizinisch funktionale Status (Medizinischer Status, Allgemeinzustand, Ernährungszustand), 5. der kognitive Status (Psychopathologie, Verhaltensauffälligkeiten), 6. das subjektives Erleben 58 und die emotionale Befindlichkeit (Emotionale Befindlichkeit, subjektives Erleben der räumlichen Umwelt, subjektives Erleben der sozialen Umwelt). Becker et al. wendeten die Untersuchungsmethode bei 121 Demenzkranken, 97 Pflegekräften und 101 Angehörigen in elf Pflegeeinrichtungen an. Der Methodenmix bestand aus einer Befragung der Mitarbeiter und Bewohner sowie Angehörigeninterviews, die Analyse von Pflegedokumenten und einer gerontopsychiatrischen Untersuchung. Das Projekt berücksichtigt die Multidimensionalität der Lebensqualität, die indivi- duelle Perspektive der Bewohner und die Perspektive der Pflegemitarbeiter sowie der Angehörigen. Die vielfältigen im H.I.L.D.E.- Projekt eingesetzten Instrumenta- rien tragen dazu bei, umfassende Informationen über die verschiedenen Aspekte der Lebensqualität demenzkranker Menschen zu erhalten. Nicht erfasst wurden die Wirkungen von Interaktion und Kommunikation zwischen Pflegekräften und Be- wohnern auf deren Wohlbefinden. Die Interaktionen spiegeln die Pflegehaltung der Pflegekräfte mit den entsprechenden Konsequenzen wieder (zum Beispiel „Un- selbständigkeits-Unterstützungs-Muster“ Wahl, 1998; Kapitel 4.1.3). Die Betrachtung der räumlichen Umwelt orientierte sich an den vier ausgewählten Aspekten Sicherheit, Orientierung, Privatheit und Gestaltung des sozialen Milieus. Ausgeklammert wurden in der Beobachtung die Alltagsgestaltung, sensorische Erfahrungen, Aktivitätsangebote sowie deren Wahrnehmung und Wirkung auf dementiell Erkrankte. Aus den Erfahrungen im H.I.L.D.E.- Projekt wird deutlich, dass durch einen Me- thodenmix umfassende Informationen über wichtige Aspekte, die für die Lebens- qualität dementiell Erkrankter wichtig sind, gesammelt werden können. Aus den umfassenden Informationen können demnach eher Empfehlungen für die Gestal- tung positiv valenter Situationen und - darauf aufbauend - gezielte Förderung posi- tiver Emotionen für demenzkranke Bewohner in Altenheimen abgeleitet werden. Instrumente zur Beurteilung der Pflegequalität nach SGB XI - Pflege- versicherungsgesetz Neben den Regularien des Heimgesetzes wurden im Sozialen Pflegeversicherungs- gesetz (SGB XI) eigene Vorgaben für die Prüfung und Beurteilung der Pflegequali- tät in den Vorschriften und Ausführungsbestimmungen zum § 80 SGB XI. aufge- nommen (Schellhorn, 2005). Die Prüfsystematik befindet sich noch im Aufbau. Im SGB XI finden sich wenige konkrete Strukturvorgaben. Konkreter und umfangrei- cher werden Prozessvorgaben gemacht. Sie beziehen sich auf eine systematisch zu planende und nach Vollzug möglichst lückenlos dokumentierte Pflege (zum Bei- spiel Qualitätsvereinbarungen für den stationären Bereich, Stand 10.07.1996 in Schellhorn, 2005). Verankert wurde eine Standardisierung der pflegerischen Hand- lungen, die zu einer Vereinheitlichung der Pflegepraxis führen soll (zum Beispiel wurden Expertenstandards zur Dekubitusprophylaxe oder zur Sturzprophylaxe entwickelt). Die Standards beziehen sich bis heute auf körperliche Pflegetätigkeiten und nicht auf besondere Pflege- und Betreuungsangebote für dementiell Erkrankte. Durch die Strukturvorgaben in den Qualitätsvereinbarungen ergeben sich Kon- trollmöglichkeiten durch den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen). Sie beziehen sich auf die standardisierte Verrichtung von pflegerischen Aufgaben. Da die Pflege dementiell Erkrankter individuell und nach Tagesform unterschiedlich gestaltet werden muss, ist der Anteil der standardisierten Verrichtungen gering. Der 59 Schwerpunkt liegt in der Kommunikation und Interaktion mit den Betroffenen. Die bisherigen Kontrollmöglichkeiten können im besten Fall eine Verschlechterung der Lebensqualität im Bereich der physischen Gesundheit verhindern. Zur Verbesse- rung der psychischen und sozialen Lebensqualität erscheinen sie eher ungeeignet. Dies wird auch im vierte Bericht zur Lage der älteren Generation (BMFSFJ, 2002) festgestellt. Grundlage des vierten Berichtes sind die Auswertungen von über 4 000 Qualitätsprüfungen durch den MDK. Die Auswertung der Ergebnisse ergab, dass differenzierte qualitative und quantitative Aussagen über die Pflege dementiell Erkrankter mit diesem Instrumentarium nicht ermittelt werden können. 3.5. Zusammenfassung Für die Pflege und Betreuung an Demenz erkrankter alter Menschen ist ein prinzi- pielles Umdenken erforderlich. Ausgangspunkt und nicht erst Ergebnis der Pflege dieses Personenkreises sollte das relative Wohlbefinden sein (vgl. Buhl und Entzi- an, 2002). Die Prozessqualität der Pflege und Betreuung sowie die personennahe, an der vertrauten Lebenswelt orientierte Umweltgestaltung schaffen die Vorausset- zungen dafür, vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten bis ins hohe Alter zu erhal- ten. Relatives Wohlbefinden stellt ein wichtiges Kriterium für die Pflegequalität dar. Entscheidend ist, wie einfühlend pflegerische Maßnahmen auf die Situation und das Vermögen des Einzelnen abgestimmt werden. Geht es den Betroffenen nicht gut, so kann dies weitgehend auf die Nichtbeachtung wesentlicher Bedürfnisse zurückgeführt werden. „Grundhypothese für die Beobachtung ist: Wenn es Menschen mit Demenz relativ gut geht, dann ist dies ein wesentliches Kriterium für eine gute Pflegequalität. Wohlergehen von Menschen mit Demenz muss demnach überzeugend operationa- lisiert werden. Geht es Menschen mit Demenz in der Regel schlecht, werden we- sentliche Bedürfnisse wohl nicht wahrgenommen. Eine Reorganisation der Pflege ist erforderlich.“ (Müller-Hergl, 2001, 257). Eine weitgehende Übereinstimmung der allgemeinen Lebensumstände mit den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Bewohner begünstigt mit hoher Wahrscheinlichkeit deren Wohlbefinden und Zufriedenheit. Positive Erfolgserleb- nisse, sensorische Erfahrungen und soziale Zuwendungen stehen im linearen Zu- sammenhang mit dem Wohlbefinden älterer Menschen. Partizipation und das Ein- gehen auf Autonomiebedürfnisse erhöhen das aktuelle Wohlbefinden. Die Frage ist, wie das Wohlbefinden dementiell erkrankter alter Menschen in der Institution Altenheim aufrechterhalten bzw. hergestellt werden kann. 60 4. Altenheime als Umwelten für dementiell erkrankte alte Menschen Im Dezember 2003 waren 2,08 Millionen Menschen im Sinne des Pflegeversiche- rungsgesetzes pflegebedürftig, davon 68 Prozent Frauen. 81 Prozent waren 65 Jah- re und älter, 32 Prozent 85 Jahre und älter. Insgesamt 31 Prozent oder 640 000 der Pflegebedürftigen wurden in Pflegeheimen betreut. Gegenüber 2001 hat die Bedeu- tung der stationären Pflege zugenommen. Die Zahl der Heime stieg um 6,3 Prozent gegenüber den Vorjahren. Der Anteil der stationär betreuten alten Menschen an der gesamten Bevölkerungsgruppe betrug 2,5 Prozent. (Statistisches Bundesamt 2005, Pflegestatistik 2003 – Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung - Deutschlander- gebnisse). Der Familienstand der Heimbewohner unterscheidet sich von dem der Gesamtbevölkerung. Sie weisen im Vergleich zu nicht im Heim Lebenden eine schlechtere soziale Verankerung auf. Ledige, Verwitwete und Geschiedene sind in der Überzahl. In den Heimen leben überwiegend Frauen. Ihr Anteil beträgt 80 Pro- zent und mehr (Brandenburg, 1994). Auch dies ist im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung mit 65 Prozent in Nordrhein-Westfalen hoch. Die Zahlen belegen einen zunehmenden Trend zur stationären Betreuung. Für im- mer mehr Betroffene wird das Leben in der „Umwelt Altenheim“ zur letzten Stati- on in ihrem Leben. Der Wechsel von der selbstbestimmten eigenen Häuslichkeit in die Institution Heim ist mit einer grundlegenden Veränderung ihrer Lebensumstän- de verbunden. Da sie die meiste Zeit ihres Tages in ihrem unmittelbaren Lebens- umfeld verbringen (Saup, 1993), hat ihr Wohnumfeld direkten und indirekten Ein- fluss auf ihr Wohlbefinden, ihre Selbständigkeit, ihr Verhalten und ihr Erleben. In den vergangenen Jahren hat sich in der Gerontologie die Erkenntnis von dem zent- ralen Stellenwert von „räumlich-sozialen Umweltbedingungen“ für die Erhaltung einer weitgehenden Selbständigkeit und dem Wohlbefinden älterer Menschen durchgesetzt (Saup, 1993). Entsprechend dem „environmental richness“ Ansatz von Lawton & Nahemow kann die Alltagskompetenz des alten Menschen nicht losgelöst von den Umweltgegebenheiten betrachtet werden. Es besteht vielmehr eine wechselseitige Person-Umwelt-Beziehung. Aus diesem Grund sollen im Fol- genden die Umweltgegebenheiten der Institution Altenheim und deren Auswirkun- gen auf die in ihr lebenden alten Menschen dargestellt werden (Wahl, 1989; Wahl/ Reichert, 1994). Im Mittelpunkt der Darstellung stehen ältere Menschen mit dementiellen Erkran- kungen, da deren Heimübersiedlung in der Regel nicht freiwillig geschieht und sie gezwungen sind, sich in einer für sie fremden Welt mit völlig fremden Personen und Tagesabläufen zurechtzufinden. Der Wechsel ist in Bezug auf die im Kapitel 2 beschriebene Person- Umwelt-Beziehung prägnant: sie ist durch die Erkrankung gestört. Die Umwelt-Reize können nicht mehr angemessen verarbeitet werden. Mögliche Folgen sind eine Zunahme von Verwirrtheit und Desorientierung. In diesem Abschnitt soll folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Er- kenntnisse liegen zu den Wirkungen der „Umwelt Heim“ vor? Welche Faktoren haben Auswirkungen auf das Leben und die Lebensqualität in den Einrichtungen? Welche Bedingungen führen zu einer gelingenden Adaptation? Im Folgenden werden zunächst die Merkmale und Effekte einer totalen Institution aus soziologischer Sicht dargestellt, besondere Belastungssituationen herausgear- beitet und durch ökologische Erkenntnisse ergänzt. Aus den beschriebenen Er- 61 kenntnissen sollen die vermuteten Wirkungen der verschiedenen Settingformen der Hausgemeinschaften und der klassischen Pflegestationen auf Pflege und Betreuung dementiell Erkrankter abgeleitet werden. 4.1. Merkmale und Effekte der Institution Welchen Einfluss haben die organisatorischen Strukturen auf das Wohlbefinden dementiell erkrankter alter Menschen in Alten- und Pflegeheimen? Das bekanntes- te klassische Modell ist das Konzept der „totalen Institution“ von Goffman. (1973). Das dieses 40 Jahre alte Konzept nach wie vor zur Erklärung struktureller Wirkun- gen Anwendung findet, haben Amrhein (2005) und Koch-Straube (1997) in ihren Studien dargelegt. Nicht alle Merkmale, wie insbesondere die Umgangsstrategien der Bewohner totaler Institutionen, lassen sich auf die Situation der dementiell Erkrankten übertragen, da ihre Verhaltens- und Reaktionsweisen nicht mit „norma- len“ Heimbewohnern gleichzusetzen sind. Zudem sind viele Heime in den letzten Jahren umgestaltet worden und können nicht mehr als „totale Institutionen“ im Sinne Goffmans definiert werden. Gleichwohl können mit Hilfe des Konzeptes einige Wirkungen erklärt werden. 4.1.1. Organisationsstrukturen In der 1961 in englischer Sprache erschienenen und 1973 übersetzten Studie von Goffman werden der umfassende, „totale“ Charakter sozialer Institutionen und die Wirkungen auf das Leben und die Persönlichkeit der dort lebenden und arbeitenden Menschen beschrieben. Goffman zählt zu den von ihm beschriebenen Institutionen auch Altenheime, da in ihnen zwar im Gegensatz zu Psychiatrien und Gefängnissen freiwillig Menschen leben, diese Institutionen aber für einen längere Zeit Wohn- und Arbeitstätte für Personen darstellen, die gleiche Bedürfnislagen haben. In die- sen Institutionen findet ein weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschnittenes Le- ben statt. Er beschreibt auf einer deskriptiven Ebene die institutionellen „totalen“ Merkmale: „1. Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und der selben Autorität statt. 2. Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird und alle die gleiche Tätigkeit verrichten müssen. 3. Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System expliziter forma- ler Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben. 4. Die ver- schiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu errei- chen.“ (Goffman, 1973, 17) Einzelne Merkmale der totalen Institution nach Goffman sind in vielen klassischen Einrichtungen der stationären Altenpflege bis heute nachvollziehbar. Nahezu alle Bewohner leben dort auf grund ihrer Pflegebedürftigkeit bis zum Tod. Da sie pfle- gebedürftig sind, können sie die Einrichtung nicht eigenständig wieder verlassen. Zudem ist in der Regel ihre eigene Wohnung aufgelöst worden. Viele Bewohner sind nicht freiwillig eingezogen; die zunehmende Pflegebedürftigkeit, die kogniti- 62 ven und körperlichen Einschränkungen und die fehlenden Pflegemöglichkeiten zu Hause zwingen zur Heimunterbringung. Alle Aktivitäten des Lebens werden vom Pflegepersonal begleitet und beaufsichtigt. Wohnen alte Menschen in Zweibett- zimmern, finden auch intime Bedürfnisse (wie die Benutzung des Toilettenstuhls) vor anderen Mitbewohnern statt. Der Tageslauf wird in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Bewohner und der Dienstzeiten der Mitarbeiter exakt geplant. Dabei greifen in der Regel feste An- fangs- und Endzeiten der Schichten (Vormittagsschicht, Nachmittagsschicht und Nachtschicht) ineinander über und bestimmen den Beginn und das Ende des Tages für den Bewohner. Für beide, Bewohner und Mitarbeiter, gibt es eine feste Tages- struktur mit zum Teil absurden Situationen und biologisch unsinnigen Schlaf- und Essenszeiten. Der Tag beginnt in der Regel um 6.00 Uhr mit dem Beginn der Ta- gesschicht und endet gegen 20.00 Uhr mit der Nachmittagsschicht. Die Bewohner werden dem entsprechend früh geweckt beziehungsweise zu Bett gebracht (einige schon nach dem Abendessen um 18.00 Uhr) und verbringen bis zu zwölf Stunden im Bett. Das stört den normalen Schlaf- und Wachrhythmus. Die Bewohner sind über einen langen Zeitraum hinweg sich selbst überlassen und liegen lange Zeiten wach. Bewohner berichten von quälenden Gedanken, dem Gefühl der Einsamkeit und dem Gefühl, die leere Zeit „totschlagen“ zu müssen. Eine weitere starre Routine ist die Pflegerunde zu festen Tages- und Nachtzeiten für die, die nicht alleine zur Toilette gehen können. Sie müssen zu einer vom Pfle- gepersonal vorgegebenen Zeit die Notdurft verrichten. Vor nicht allzu langer Zeit gab es noch die einheitlich festgelegten Dusch- und Abführtage. Die standardisierte, zeitlich genau geplante und an den organisatorischen Abläufen ausgerichtete Tagesstruktur erfordert die Aufgabe individueller Gewohnheiten und Rhythmen. Das führt zur Einschränkung der Selbstbestimmung der Heimbewohner und geht mit einem Interessenverlust einher, der bis zur Apathie führen kann. Die Welt der Insassen sieht Goffman geprägt durch den Widerspruch individueller Bedürfnisse und organisatorischer, struktureller Vorgaben. Er beschreibt fünf Stra- tegien, wie Bewohner (Insassen) mit dieser Situation umgehen. Dies sind 1. die Regression (Rückzug), 2. die Rebellions- bzw. Verweigerungshaltung, 3. die Kolo- nisierung (in Besitz nehmen), 4. die Konversion (Veränderung zum perfekten Be- wohner), und 5. die Kombination von verschiedenen Anpassungsformen. Die von Praktikern am häufigsten beobachtete Reaktionsformen von Menschen mit Demenz sind zwei Strategieformen: die Regression und die Rebellion- bezie- hungsweise Verweigerungshaltung. Die weiteren Strategien setzen eine kognitive Auseinandersetzung voraus, zu denen sie insbesondere bei fortschreitender Erkran- kung nicht mehr in der Lage zu sein scheinen. Auch die von Goffman beschriebene soziale Zwitterfunktion der totalen Institutio- nen lässt sich auf einige heutige Pflegeheime übertragen. Das Altenheim hat den Anspruch, für seine „Insassen“ (Bewohner) eine Wohn- und Lebensgemeinschaft zu bieten (Goffman, 1973). Diesen Anspruch kann das Heim aufgrund der derzeiti- gen Rahmenbedingungen nicht erfüllen. Dies führt zu einem immanenten Wider- spruch zwischen humanitären Zielen einerseits und mangelhaften Realisierungs- möglichkeiten im Heimalltag andererseits. Folgt man der Argumentation Goffmans und betrachtet die derzeitigen Rahmenbedingungen (nach Pflegeversicherung), unter denen stationäre Altenhilfe organisiert ist, so wird der Widerspruch deutlich. 63 Im Pflegeversicherungsgesetz (§ 43 SGB XI) wird lediglich die Grundversorgung und Pflege zugesichert und bezuschusst. Demgegenüber steht die Erwartungshal- tung der Angehörigen, der Mitarbeiter und der betroffenen Bewohner selbst nach einer hochwertigen, individuellen Pflege. Die Ausrichtung des Heimalltags und der Aktivitäten des täglichen Lebens sind unter diesen Rahmenbedingungen nur standardisiert und unter rationellen Kriterien wie oben geschildert durchführbar. Im möglichst reibungslosen Ablauf ist für Indi- vidualität der Bewohnerschaft nicht viel Platz; Personen, die sich dem nicht unter- ordnen können (zum Beispiel aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen), werden als störend wahrgenommen. Nach Goffman werden zur Lösung dieses Wider- spruchs verstärkt Kontroll- und Reglementierungsmaßnahmen vorgenommen. Auch dies findet sich zum Beispiel in den Hausordnungen vieler Heime wieder. Die Hausordnungen werden mit dem Schutz der Bewohner begründet, dienen tat- sächlich eher zur Disziplinierung unerwünschter Verhaltensweisen wie von Anthes (1975) untersucht und festgestellt wurde. Kontroll- und Reglementierungsmaß- nahmen erweisen sich im Umgang mit dementiell Erkrankten als unwirksames Mittel und führen im Gegenteil zu weiteren Verweigerungen beziehungsweise zu Regression (Rückzug in eine innere- imaginäre Welt). Im Folgenden werden verschiedene Forschungen zu den Wirkungen der Lebens- welt Altenheim auf der Basis der von Goffman (1973) beschriebenen Merkmale der totalen Institutionen vorgestellt. Knobling (1985) hat mit ihrer Analyse von „Konfliktsituationen im Altenheim“ die von Goffman beschriebenen Wirkungen der Institution Altenheim auf die Lebens- umstände der Bewohner belegen können. Gründe zahlreicher Konflikte sind nach ihren Ergebnissen die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Heim, individuelle traumatische Erlebnisse vor und nach dem Heimeintritt und unrealistische Berufs- vorstellungen der jungen Pflegekräfte. In den Strukturen ähneln Altenheime den von Goffman beschriebenen Kriterien für totale Institutionen. Knobling beschreibt vor allem den starren monotonen Tagesablauf mit vielen „Leerlaufzeiten“, in denen nichts geschieht. In ihrer Analyse vom Verhalten und Erleben alter Menschen unter Institutionalisie- rungsbedingungen beschreibt Schick (1978) die Merkmale der Heimsituation. Dies sind weitgehende Alters- und Geschlechtshomogenität, die Gemeinsamkeit der Pflege- und Versorgungsbedürftigkeit, der notgedrungene Zusammenschluss mit Aktionspartnern, die nicht selbst ausgesucht wurden, der Bruch mit den gewohnten Lebensbezügen sowie die Einschränkung der persönlichen Autonomie. Schick konstatiert des Weiteren die Aufgabe der autonomen, individuellen Lebensführung zugunsten eines „imaginären Gemeinwohls“, den Interessengegensatz zwischen Bewohnern und Personal (Bewohner suchen nach dem Verlust von Bezugsperso- nen im Heim eine Art Familienersatz), die „Normen der Kollektivität“ und ein überwiegend negatives Menschenbild in den Einrichtungen - geprägt von negativen Altersstereotypien. Schick (1978) verweist außerdem darauf, dass nicht nur die ökologischen Bedin- gungen der Heimumgebung das Wohlbefinden der Bewohner beeinflusst, sondern auch die sozialen Bedingungen in diesen Organisationen. Die sozialen Bedingun- gen werden von den Mitbewohnern, den Mitarbeitern, den Angehörigen und den Ehrenamtlichen geprägt. 64 In einer qualitativ-heuristischen Studie beschäftigt sich Düx (1997) mit dem le- bensweltlichen Alltag von Alten- und Pflegeheimbewohnern. Ergebnisse seiner Studie belegen die Erwartungshaltung der alten Menschen, in der Institution Alten- und Pflegeheim ihre Individualität und Alltagsgewohnheiten aufrecht erhalten zu können. Demgegenüber stehen die realen strukturellen Rahmenbedingungen, die eine Anpassung an institutionelle Zwänge erforderlich machen. „Aus diesem Wiederspruch heraus resultiert ein Gefühl „relativer Deprivation“, das sich in den Aussagen der Betroffenen offenbart: Sie klagen über Autonomie- /Individualitätsverluste, Mobilitätsverluste, massive individuelle Einschränkungen, Restriktionen und Kommunikationsprobleme in der neuen Lebenswelt.“ (Düx, 1997, 23) In zahlreichen Interviews mit Bewohnern kristallisiert sich insbesondere der un- freiwillige Einzug in ein Heim als „...radikalen Bruch mit ihrem bisherigen Le- ben...“ (Düx, 1997, 20) heraus. Die Akzeptanz der neuen Lebenswelt bleibt bei den Pflegeheimbewohnern auch nach der Eingewöhnungsphase auf einem geringen Niveau bestehen. Düx stellt eine dauerhafte Ablehnung der Institution Pflegeheim fest, die sich in Aussagen der Betroffenen wiederspiegeln. Dies wird deutlich im Wunsch, das Pflegeheim schnellstmöglichst wieder zu verlassen. Realitätsflucht, Depressionen, Minderwertigkeitsgefühle, Selbststigmatisierungen, Krankheiten und individuelle Todeswünsche (Düx, 1997) sind weitere Phänomene der Ableh- nung. Besonders benachteiligt sind der Studie zufolge Personen, die aufgrund ihrer physischen und psychischen Konstitution nicht über Kommunikations- und Hand- lungsressourcen verfügen. Sie leiden mehr unter den allgemeinen Existenzbedin- gungen der „Lebenswelt Alten- und Pflegeheim“ (Düx, 1997). In der ethnologischen Studie „Fremde Welt Pflegeheim“ von Koch-Straube (1997) wird ebenfalls die Einschränkung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten in der Institution Altenheim und deren Auswirkungen auf die Betroffenen deutlich. Sie beschreibt den „...institutionelle(n) Widerspruch zwischen Schutz und Zwang...“ (Koch-Straube, 1997, 341). „Das Pflegeheim bietet Schutz und Sicherheit, Hoffnung auf Verbesserung seines Gesundheitszustandes, Vermeidung von Risiken und fordert gleichzeitig Unterord- nung unter die Regelungen des Heimalltags, schränkt individuelle Entfaltungsmög- lichkeiten ein, übt eine starke soziale Kontrolle aus.“ (340). Als Reaktion auf diesen Widerspruch stellt sie in ihrer Studie fest, dass Betroffene sich der realen Umgebung und den dort wirkenden Menschen entziehen, Krankheit und Inkompetenz entwickeln und sich damit Zuwendung regelrecht erzwingen. Sie bezeichnet diese Reaktionen als „Formen des Widerstands“ (31). Koch-Straube stellt Verbindungen zum Konzept der „totalen Institution“ von Goffman (1973) her. Die Abläufe und Regeln des Heimalltags enthalten ihren Erkenntnissen nach Charakteristika der totalen Institution. Dementsprechend ist das Pflegeheim für sie „...ein Ort verkürzter Sprache oder des Verstummens“ (11). Ein weiteres Phänomen, das in Altenheimen auftritt, ist das Gefühl der Einsamkeit und Isolation, obwohl viele Personen (Mitbewohner und Personal) auf engstem 65 Raume anwesend sind. Saup (1986) und Koch-Straube (1997) beschreiben dieses Phänomen. Saup (1986) verweist auf eine Mikroökologische Studie von Ste- phens/Willems, nach der nur 13 Prozent der sozialen Interaktionen in den Gemein- schaftsräumen und 34 Prozent in den Speisesälen stattfanden. Die eigentlich ge- dachte Nutzung dieser Räumlichkeiten zur Begegnung und zur Kommunikation konnte bisher offensichtlich nicht umgesetzt werden. Dies kann unter anderem von dem Gefühl der Massierung in den klassischen großen Speisesälen hervorgerufen werden. Der Rückzug in das eigene Zimmer wäre dann der Versuch der „Pri- vatheitsregulation“ (Saup, 1986). Viele Altenheimbewohner beklagen immer wieder Langeweile und mangelnde Anregung im Heim. Mögliche Reaktionen darauf könnten die am häufigsten vorge- fundenen Verhaltensweisen wie „Vor-sich-hin-schauen“ und „Schlafen“ sein (Saup 1986). Auch die von den Einrichtungen durchgeführten Aktivierungs- und Be- schäftigungsangebote scheinen den Personenkreis nicht zu erreichen. Jenull- Schiefer und Janig (2004) berichten in ihrer Studie zur Inanspruchnahme und Zu- friedenheit von Aktivierungsangeboten in Pflegeheimen mit 255 Heimbewohnern über eine deutliche Häufung depressiver Erkrankungen und passivem/abhängigem Verhalten. Als depressionsverursachend wird dabei neben krankheitsbedingten Ursachen der Einfluss der Institution angesehen, die eher Hilflosigkeit verstärkt als Selbständigkeit fördert. Dadurch gehen Kompetenzen der Bewohner verloren. Eine am Kompetenzmodell ausgerichtete Pflege und Betreuung findet in der Praxis kei- ne konkrete Umsetzung. Eine mögliche Ursache für die Kluft zwischen Theorie und praktischer Umsetzung liegt in der nach wie vor vom Defizitmodell geprägten Sichtweise des Alters bei den Mitarbeitern und Leitungen der Einrichtungen. Diese Sichtweise verstellt den Blick auf die vorhandenen Fähigkeiten und Möglichkeiten in alltagsnahen Tätig- keiten, die sich z. B. aus der Biographie ergeben. Zu kritisieren ist die bisherige Aktivierung in den Altenpflegeheimen, die nach dem „Gießkannenprinzip“ durch- geführt, aus alltagsfernen Tätigkeiten besteht und nicht auf die individuellen Be- dürfnisse der Betroffenen ausgerichtet wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist eine höhere Zufriedenheit der Heimbewohner durch deren Einbeziehung in die Gestal- tung des Heimalltags mit sinnvollen Beschäftigungsangeboten zu erreichen. 4.1.2. Ökologische Mikrobedingungen der Heimumgebung Heime sind Wohn- und Versorgungsorte in denen alte Menschen mit körperlichen und psychischen Erkrankungen wohnen und leben. Heime sind im Unterschied zur Privatwohnung eigens für diesen Personenkreis speziell konzipierte Umwelten. Wie in den vorhergehenden Abschnitten beschrieben, überwiegt in Altenheimen inzwischen der Anteil der dementiell erkrankten Bewohnerschaft. Ihre besondere Problematik bleibt weitgehend unberücksichtigt. Die Erforschung der Wirkung des Wohnumfeldes wurde zum Gegenstand der Öko- logischen Gerontologie, deren Vertreter Saup verschiedene Vorstellungen unter dem Begriff „Umwelt“ subsumiert. Saup (1993, 78) teilt die unterschiedlichen Sichtweisen in vier Kategorien ein. Erstens: die Einteilung der Umwelt in ver- schiedene Größeneinheiten. Dazu zählen die mikroökologische, das heißt die un- mittelbare Umwelt (Besitz eines Telefons) und die halböffentlichen Übergangsbe- reiche vor der eigenen Wohnung (Gemeinschaftsräumlichkeiten) sowie die Makro- 66 ökologische Umwelt, hierzu gehört die Stadt, der Stadtteil und die weitere Umge- bung des unmittelbaren Wohngebietes. Zweitens: die Einteilung der Umwelt in verschiedene „Realitätsarten“. Saup spricht von der „subjektiv erlebten Umwelt“ (Erleben von Belastungssituationen) und der „tatsächlichen (faktischen) Umwelt“ (Reglementierende Heimordnungen, strukturelle Gegebenheiten). Drittens: die Unterscheidung nach Umweltaspekten. Saup nennt in diesem Zusammenhang die „räumlich physikalischen Merkmale“ (sächliche Ausstattung der Räumlichkeiten) und die „sozialen Merkmale der Umwelt“ (Umgangsformen und Verhaltensweisen des Personals). Viertens: die Unterscheidung nach „Attributen“. Saup bezeichnet die Umwelt als „reglementierend“ oder „stimulierend“. In diesem Zusammenhang sollen weitere Aspekte aus ökopsychologischer Sicht in die Betrachtung der Mikroökologie im Altenheim einbezogen werden. So verwei- sen Kruse/Wahl (1994) auf eine ökopsychologische Grundhypothese, die besagt, „je niedriger die Kompetenz des alten Menschen, desto größer der Einfluss der Umwelt auf sein Erleben und Verhalten (Lawton und Nahemow 1973; vgl. auch Wahl 1991). Und noch einen Schritt weitergehend: Sind die Anforderungen der neuen Umwelt Heim in einem sehr breit verstandenen Sinne zu hoch oder zu nied- rig, so geht dies wahrscheinlich zu Lasten von Lebenszufriedenheit und von effek- tivem Handeln im Alltag.“ (Kruse/Wahl, 1994, 28) In die Betrachtung der „räumlichen Dimension des menschlichen Alltags“ einbe- zogen werden müssen zwei Bereiche. Dies sind die „räumlichen Umfelder des alltäglichen Lebensvollzugs“ sowie die „raumbezogenen Verhaltensweisen im Alltag.“ (Saup, 1993, 10) Mit einer stützenden Umgebung können Einbußen kompensiert werden. In diesem Sinne kann die Umgebung einen „prothetischen Charakter“ erhalten (Wahl/Reichert, 1994). Mollenkopf et al. (2004) verweisen auf Studien über das Wohnverhalten von Bewohnern stationärer Einrichtungen, die in den 70er und 80er Jahren von Baltes, Barton, Orzech und Lago (1983) durchgeführt wurden. Ergeb- nis: Der am häufigsten genutzte Raum ist das private Zimmer; die häufigste Positi- on ist das Sitzen; die häufigsten Verhaltensweisen sind „Vor sich hin schauen“ und Schlafen. Die sozialen Interaktionen mit anderen Bewohnern und dem Personal folgten erst mit deutlichem Abstand. Entsprechend dem Grade der Pflegebedürftig- keit bezog sich der Aktionsradius auf den Bereich der Pflegestation oder sogar nur auf das Pflegebett. Bestätigt werden diese Ergebnisse durch Saup (1993.) Er ver- weist auf Tageslaufanalysen von Altenheimbewohnern von Stephens und Willems (1979), nach denen Aktivitäten zu 90 Prozent innerhalb der Einrichtung und 60 Prozent im eigenen Zimmer stattfanden. Die besonderer Stellung, die das Zimmer als Aufenthaltsort einnimmt, kann allerdings auch auf ein gesteigertes Bedürfnis der Separierung von den Mitbewohnern gedeutet werden. Saup (1993, 18) beschreibt die Begrenztheit des Lebens im Altenpflegeheim als „Totalisierung der Wohnerfahrungen“. Im Folgenden sollen die „Totalisierung der Wohnerfahrungen“ in ihrer vermuteten Wirkung auf dementiell erkrankte Heimbewohner übertragen werden. Ein besonde- rer Schwerpunkt liegt auf den Wirkungen der mikroökologischen Umweltbedin- gungen des täglichen Lebens und die raumbezogenen Verhaltensweisen. 67 Die Mikrobedingungen beziehen sich auf die Gestaltung der Wohnform und des unmittelbaren Wohnumfeldes. Hierzu zählen der eigene Wohnraum, die Wohnung beziehungsweise das Zimmer im Heim. Die Gestaltung und damit die Privatheit der Wohnräume sind uneinheitlich gestaltet. In einigen Pflegeeinrichtungen haben Bewohner kleine wohnungsähnliche Räumlichkeiten in denen zum Beispiel eine kleine Kochgelegenheit, ein kleiner Flur und ein eigenes Bad vorhanden sind. Im Gegensatz dazu gibt es ebenfalls Altenpflegeheime die nur über Doppelzimmer verfügen. Die Einrichtung der Räumlichkeiten sind entweder standardisiert und funktional auf die Pflegebedürftigkeit ausgerichtet (Pflegebett, Nachttisch) oder bieten die Möglichkeit, durch eigene Möbel und Bilder, etwas von der früheren eigenen Häuslichkeit abzubilden. Je nachdem wird die Umgebung als fremd oder vertraut empfunden. Entsprechend reagieren die Bewohner mit Ablehnung oder Akzeptanz. Wenn sich Erinnerung und Identität an Objekte knüpfen lassen, so sollten diese auch in der neuen Wohnsituation einen Platz finden und zum Gefühl eines eigenen Zuhause beitragen können. Nach älteren Untersuchungen (zum Beispiel Schick, 1978) zählt das Vorhanden- sein eines abgesicherten individuellen Lebensraumes zu den zentralen Bereichen der Mikrobedingungen in der Umwelt Heim. Der Verlust der Privatsphäre führt zu negativen Verhaltenseffekten, unabhängig von kognitiven Einschränkungen. Ver- haltenseffekte sind zum Beispiel: erhöhte Aggressivität und Verringerung der Ko- operationsbereitschaft, wie de Lang in einer älteren Untersuchung (1970) festge- stellt hat. Diese Verhaltenseffekte werden von den Praktikern besonders bei einer Unterbringung im Doppelzimmer und bei dementiell Erkrankten beschrieben. Die unmittelbare Konfrontation mit einer fremden Person ohne Rückzugsmöglichkeit wird als eine der entscheidendsten Belastungssituationen und Konfliktauslöser im Heimleben angesehen. Uneindeutig sind die Ergebnisse der Untersuchungen zu Entstehung von Freund- schaften und Konflikten. Die Studie von Lawton und Simon (1968) ergab einen positiven Einfluss von räumlicher Nähe auf soziale Interaktionen, während die Untersuchung von James (1975) die Erkenntnis lieferte, dass eher räumliche größe- re Distanz zu positiven Interaktionen führte. Die Widersprüchlichkeit wird auch von Praktikern bestätigt, die von Freundschaften zwischen dementiell Erkrankten berichten: Man wandert gemeinsam die Flure ab, hält sich an den Händen und er- zählt sich etwas, ohne Bezug aufeinander nehmen zu können. Es ist auch eine emo- tionale Ausgeglichenheit beider Beteiligter zu beobachten. Tagesformabhängig kann es zu Streitereien kommen. Wichtig erscheint die Möglichkeit, sich aus dem öffentlichen Charakter des Heimlebens in einen privaten Lebensraum zurückziehen zu können. Dadurch haben die dementiell Erkrankten die Wahlfreiheit bezüglich sozialer Interaktionen. Eine Begleitsymptomatik bei dementiellen Erkrankungen ist erhöhte motorische Unruhe, die unter anderem zum beständigen Umherwandern führt. Der starke Be- wegungsdrang kann zu Verletzungen und Stürzen führen, wenn die halböffentli- chen Räumlichkeiten (Treppenhäuser, Gänge) nicht vorsorglich konzipiert wurden. Da diese Symptomatik in der Regel mit Orientierungs- und Gedächtnisverlust ver- bunden ist, verirren sich Betroffene in der Umgebung oder gelangen unbeobachtet ins Freie – manchmal mit fatalen Folgen. Es ist davon auszugehen, dass in den Einrichtungen, in denen keine geeigneten räumlichen Vorkehrungen für ein gefahr- loses Ausleben des Bewegungsdranges getroffen wurden, reglementierende Maß- nahmen den Einzelnen einschränken. Dies sind in der Regel Fixierungsmaßnah- men; das Festbinden am Stuhl oder am Bett und der Einsatz von Psychopharmaka 68 zur „Ruhigstellung“. Klie und Lörcher (1994) haben einen hohen Anteil an Fixie- rungsmaßnahmen in deutschen Altenheimen festgestellt. Demnach wurden 1994 von 404 untersuchten Mannheimer Pflegeheimbewohnern bei 369 Männern und Frauen entsprechende Fixierungen veranlasst, am häufigsten Bettgitter. An zweiter Stelle rangierten ruhigstellende Psychopharmaka (Tranquilizer, Beruhigungs- und Schlafmittel, Neuroleptika), die sich nicht auf Diagnose und Therapie zurückführen ließen. Die räumliche Orientierung ist von der Möglichkeit, sich im Raum zu „orten“ , das heißt eine räumlich-strukturelle Vorstellung von der Umgebung zu entwickeln, abhängig. Es wird eine „kognitive Landkarte“ von der Umgebung erstellt (Heeg, 1994). Menschen mit kognitiven Einschränkungen sind nicht oder nur begrenzt in der Lage, diese Landkarte in einer neuen Umgebung zu erstellen. Hinzu kommt der zunehmende Gedächtnisverlust, der das Wiedererkennen von Räumlichkeiten und deren Funktionen (zum Beispiel der Toilette) erschwert - insbesondere, wenn die Räumlichkeiten nicht in vertrauter Weise gestaltet sind und damit anhand bestimm- ter Merkmale wiedererkannt werden können oder wenn sie sich nicht in ihrem Blickfeld befinden. Ängste, Wahnvorstellungen, Unruhe aber auch das oben ge- schilderte Umherwandern können die Folge sein. Dies wird auch von den Betroffe- nen in dem Wunsch, „nach Hause gehen zu wollen“, geäußert (Bosch, 1998). Praktiker beschreiben darüber hinaus Suchbewegungen und lautes Rufen demen- tiell Erkrankter. Sie suchen offensichtlich die Nähe zu vertrauten Menschen. Lind (2000) beschreibt stationäre Einrichtungen als „regelrechte Null-Zonen“ in Bezug auf Kontakte und Reize für die Bewohnerschaft. Fehlt aufgrund baulicher Gege- benheiten der Blickkontakt zwischen Pflegekraft und Bewohner, werden wiederum Ängste, Unruhe, Schreien und Weglauftendenzen ausgelöst. Aus dem „Schreiver- halten“ Demenzkranker – besonders wenn sie in ihrem Zimmer allein sind (Lind, 2000) - kann interpretiert werden, dass die Betroffenen die Situation als existentiell bedrohlich empfinden und mit ihrem Verhalten auf sich aufmerksam machen wol- len. Es ist zu vermuten, dass durch eine ständige Präsenz des Personals sowie die Kontakte zu Mitbewohnern und Angehörigen eine Stabilisierung Demenzkranker erreicht werden kann. Dementiell Erkrankte haben unter anderem Probleme in der räumlichen Orientie- rung, in Situationen, die komplexes Handeln erfordern und in der räumlichen Wahrnehmung. Heeg (2000) beschreibt Situationen, in denen Betroffene panisch reagieren, wenn sie zum Beispiel in einen dunklen Flur ohne Ausgang geraten. Sie sind nicht in der Lage, diesen Bereich wieder alleine zu verlassen. Nach Wojnar (1997) ist die dementielle Erkrankung häufig gekoppelt mit einer ausgeprägten Störung der räumlichen Wahrnehmung. Hinzu kommt die im Alter nachlassenden Sehschärfe und eine Störung in der Farbwahrnehmung. Zusammen mit kognitiven Einschränkungen, nach denen das unscharf gesehene nicht erkannt und zugeordnet werden kann, wird eine räumliche Orientierung fast unmöglich. Starke optische und akustische Reize wie zum Beispiel laute Musik, Spiegelungen, diffuse Lichter erschrecken und ängstigen. Auch die Lösung komplexer Aufgaben wie das Ankleiden oder das Essenkochen sind eingeschränkt. Die Komplexität der Tätigkeit drückt sich in nacheinander folgenden Handlungsschritten aus. Deren logische Abfolge wird nicht mehr nach- 69 vollzogen und kann, wie alle anderen oben genannten Punkte, zu den Sekundär- symptomen der Demenz wie Unruhe, Ängste, Wahnvorstellungen, Aggressionen beitragen. Heeg (2000, 238) beschreibt dementiell Erkrankte als durch „Umwelt- stress in besonderem Maße verwundbar“. Aus diesen Gründen scheint eine häus- lich vertraute Umgebungsgestaltung besonders relevant für die Lebensqualität de- mentiell Erkrankter. Heeg legte (1994 und 1996) Vorschläge zur baulichen Umsetzung der Erkenntnisse verschiedener Forschungsansätze in ein „krankheitsangemessenes“ Milieu vor. Sie empfahl die Kompensation krankheitstypischer Einschränkungen durch Anpassung der Umweltanforderungen an die individuellen Fähigkeiten sowie die therapeuti- sche Beeinflussung der Begleitsymptome durch Vermeidung von Reizüberflutung und die Gestaltung einer anregenden Umgebung. Auch die Vermeidung von insti- tutionellen Nachteilen durch die vertraute, an eine normale Wohnung erinnernde Gestaltung der Lebensumwelt wird betont. Weitere Gefährdungen für dementiell Erkrankte entstehen, weil ihre Wahrnehmung für Gefahren in der Umgebung herabgesetzt ist, zum Beispiel werden giftige Zim- merpflanzen als essbare wahrgenommen. Betroffene können aufgrund ihres ver- minderten Realitätssinns die Gefährdungen nicht erkennen und probieren von die- sen Pflanzen. Dementiell Erkrankte reagieren sehr sensibel auf akustische oder optische Reize in der Umgebung. Schlecht ausgeleuchtete Räume werden als Sackgassen gemieden. Dunkle Farben des Fußbodens werden als Abgründe interpretiert, beim Überschrei- ten dieser Bereiche können extreme Reaktionen wie Panik oder Schreien ausgelöst werden. Lange, nicht untergliederte Flure werden als unendlich wahrgenommen. Frei schwebende Treppen eröffnen Abgründe, und spiegelnde Flächen konfrontie- ren mit einer alt gewordenen Gestalt, die nicht als die eigene erkannt wird, sondern als fremd und bedrohlich. Die Anwesenheit vieler Personen (Mitbewohner und Personal) in einem großen Raum (zum Beispiel Speisesaal), laute Geräusche von modernen Reinigungsmaschinen usw. tragen zu einer weiteren Verwirrung bei (Heeg, 2000). Diesen Erkenntnissen zur Folge erscheint es notwendig, eine vertraute Umgebung zu schaffen, die leicht erkannt und verstanden werden kann. Beständiger Blickkon- takt zwischen Personal und Bewohner tragen zur kompensatorischen Wirkung der Umgebung bei. Das so gestaltete vertraute, menschennahe Milieu ermöglicht emo- tionale Sicherheit. 4.1.3. Heimpersonal Die Pflege und Betreuung alter Menschen im Heim ist eine soziale Dienstleistung, die von der Begegnung zwischen Pflegekraft und Bewohner geprägt wird. Die Wohnung der Bewohner ist gleichzeitig die Arbeitsstätte des Heimpersonals. Es ist davon auszugehen, dass die formellen Strukturen einen wesentlichen Einfluss auf die Begegnung zwischen Pflegekraft und Bewohner und damit auf die Pflege und Betreuung haben. „In allen Organisationen wird Handeln von formellen Strukturen mitbeeinflusst. Diese Strukturen sind im Voraus unabhängig vom einzelnen Organisationsmitglied 70 geplant oder durch lange Gewohnheiten entstanden. Persönlich bekommt sie das Organisationsmitglied durch die an es gestellten Anforderungen zu spüren. Sein konkretes Verhalten schließlich richtet sich einmal nach den Erwartungen der Teil- nehmer und Teilnehmerinnen seines Rollenfeldes und zum anderen nach den ver- schiedenen sozialen Konzepten, Verhaltenstypisierungen, Interpretationsmustern und Quasirollen, die es für solche Gelegenheiten speziell gelernt hat, oder aus der Erfahrung in anderen sozialen Bereichen erbringt.“ (Dechmann/Ryffel 1995, 104) Im Folgenden werden die unterschiedlichen Befunde und Erklärungsansätze zum Einfluss der Strukturen auf das Handeln des Personals in der Pflege und Betreuung dementiell erkrankter alter Menschen dargestellt. Qualifikation Statistische Daten zur Beschäftigungssituation, entnommen aus Statistisches Bun- desamt (2005) Bericht: Pflegestatistik 2003- Pflege im Rahmen der Pflegeversiche- rung- Deutschlandergebnisse. Die Zahl der Beschäftigten in Altenpflegeheimen betrug 2003 insgesamt 511 000. Davon arbeiteten 68 Prozent im Bereich Pflege und Betreuung, 19 Prozent in der Hauswirtschaft, drei Prozent in der sozialen Betreuung, zehn Prozent im Bereich Verwaltung und Haustechnik. Von den 68 Prozent Beschäftigten im Bereich Pflege und Betreuung waren 47 Prozent Krankenschwestern beziehungsweise Altenpfle- gefachkräfte. Die Statistik verdeutlicht, dass der überwiegende Anteil des Heimpersonals im Bereich Pflege und Betreuung tätig wird. Die Hauswirtschaft spielt mit 19 Prozent nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Das bedeutet, dass der Bereich Pflege und damit die Pflegekräfte das Heimgeschehen wesentlich prägen. Eine Unterscheidung nach Krankenpflege- und Altenpflegeausbildung ist dieser Statistik nicht zu entnehmen. Die Krankenpflegeausbildung ist von ihrer Ausrich- tung her auf die Wiederherstellung von Gesundheit und die Beseitigung von Krankheiten ausgerichtet. Demgegenüber ist die Altenpflegeausbildung nicht pri- mär auf die medizinische Unterstützung zur Therapie von Krankheiten ausgerich- tet, sondern eher auf die Begleitung alter Menschen über einen langen Zeitraum hinweg bis zum Tode (Brandenburg/Klie, 2003). Aus der unterschiedlichen Ausrichtung ist zu schließen, dass Altenpflegekräfte eher auf die besondere Pflege und Betreuung sowie die Belastungen im täglichen Umgang mit dementiell Erkrankten vorbereitet sind, da sie die größte Bewohner- gruppe in Altenpflegeheimen darstellen. Dementsprechend hoch müsste der Anteil der Unterrichtsstunden in der Ausbildung sein. Die Realität sieht anders aus. Inner- halb der dreijährigen Ausbildung zur Altenpflegefachkraft nimmt das Thema „Grundlagen der gerontopsychiatrischen Pflege“ zirka 150 von insgesamt 2 400 Theoriestunden in Anspruch (Lernfelder der bundeseinheitlichen Altenpflegeaus- bildung- Stundentafel Bremen). Verschiedene Weiterbildungsträger bieten Zusatz- fortbildungen in gerontopsychiatrischer Pflege an, die nicht gesetzlich gefordert beziehungsweise geprüft werden und somit nicht zum Qualifizierungsstandard gehören (Heimgesetz, Qualitätsvereinbarungen). Die Folge: die Altenpflegekräfte räumen Unsicherheit und Hilflosigkeit ein, besonders im Umgang mit den Verhal- tensstörungen der Demenzkranken. 71 In einer Befragung von 147 Pflegekräften zu entsprechenden Belastungen (Whall et al., 1992) wurden an erster Stelle das akustisch störende Verhalten wie Schreien, Schimpfen und Stöhnen sowie ständige Wiederholungen genannt. An zweiter Stel- le wurde auf Aggressionen verwiesen, die bis zu Tätlichkeiten reichen. Sie ereig- nen sich überwiegend in den Pflegesituationen, in denen ein enger Körperkontakt (Duschen oder Waschen) besteht (Lind, 2000). Das Personal reagiert im emotiona- len Spektrum mit Hilflosigkeit, Ärger, Schuldgefühlen und Selbstzweifel. Bezie- hungsprobleme mit den Kollegen und die Furcht vor den Bewohnern werden als soziale Folge genannt. Schlafstörungen und Kopfschmerzen sind die somatischen Folgen des Drucks. Die Verhaltensweisen dementiell Erkrankter wirken sich nicht nur belastend auf das Personal aus, sondern auch auf andere Mitbewohner, die mit Angst und Unruhe reagieren und somit wiederum einen erhöhten Betreuungsaufwand auslösen. Soziale Beziehungen Mit zunehmender Pflegebedürftigkeit der Bewohner werden Mitarbeiter nicht sel- ten zum Ersatz der nicht oder nicht mehr vorhandenen Familie. Heimbewohner weisen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine schlechtere sozi- ale Verankerung auf. In der deutlichen Überzahl sind Ledige, Verwitwete und Ge- schiedene. In Altenpflegeheimen leben überwiegend Frauen. Ihr Anteil beträgt an der Heimbewohnerschaft 80 Prozent und mehr. Auch dies ist im Vergleich zu ih- rem Anteil an der Gesamtbevölkerung mit zum Beispiel 65 Prozent in Nordrhein- Westfalen recht hoch. Die meisten der im Heim lebenden Frauen sind Witwen und können daher nicht auf familiäre Pflege und Unterstützung zurückgreifen (Bran- denburg, 1994). Dem Heim kommt demnach eine wichtige Funktion in der Schaffung von zwi- schenmenschlichen Beziehungen zu. Sind keine anderen Kontaktmöglichkeiten vorhanden, bleiben soziale Beziehungen zu den Mitarbeitern und gegebenenfalls zu anderen Mitbewohnern. Da Kontakte zwischen dementiell erkrankten Bewohnern eher selten sind, richtet sich der Fokus auf die Mitarbeiter. Dadurch entstehen Probleme hinsichtlich der Nähe und Distanz zwischen Pflegekräften und Bewoh- nern. Sie erfordern professionelles Handeln. Die Probleme zwischen Nähe und Distanz beschreibt Koch-Straube (2005), indem sie das Altenheim mit einem Schiff vergleicht, auf dem die Bewohner und das Per- sonal zusammenleben und sich vom Ufer, der normalen Welt entfernen. Beide bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft: Das Personal fühlt sich wie die Bewohner aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Nach Koch-Straube machen die Mitarbeiter dies an verschiedenen Faktoren fest, zum Beispiel der unzureichenden Personalausstat- tung und dem dadurch ausgelösten Arbeitsdruck, der mit dem Gefühl der beständi- gen Überforderung verbunden ist. Gleichzeitig erleben sie die Erwartungshaltung der Bewohner nach Nähe und Zuwendung sowie deren Einsamkeit. Dies führt wie- derum zu Ohnmachts- und Schuldgefühlen. Diese Gefühle werden von dem gerin- gen Status, den die Altenpflege in der Gesellschaft besitzt, verstärkt. Die Mitarbei- ter reagieren wie die Bewohner eher mit Rückzug und Resignation. “ Sie solidarisieren sich vielmehr mit den alten Menschen in einer gemeinsamen Perspektivlosigkeit, verschanzen sich mit den Alten in der `Bastion Heim`(...) und 72 schauen mit kritischem Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse (...). Sie füh- len sich mit den alten Menschen `in einem Boot sitzend`.“ (Koch-Straube, 2005, 223) Lehr (2000) verweist auf die Bedeutung des Verhaltens des Personals für die psy- chische Situation der Bewohner. Das Verhalten kann sowohl förderlich als auch belastend auf die Bewohner wirken. Belastungen ergeben sich nach Wahl/Kruse (1994) durch eine häufig vom Personal geweckte Erwartungshaltung der Heimbe- wohner nach einer partnerschaftlichen Beziehung, die im Arbeitsalltag der Pflege- kräfte oftmals nicht erfüllt werden kann. Weitere Belastungen ergeben sich durch unterschiedliche Erwartungshaltungen von Mitarbeitern und Angehörigen. Wäh- rend die Pflegekräfte ein hohes Engagement der Angehörigen erwarten, wünschen diese eine umfassende Pflege und Versorgung durch die Institution. Lehr (2000) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Beziehung der Heimbewohner zum Pflegepersonal im Extremfall zu gewaltsamen Auseinander- setzungen führen kann. Sie verweist auf Schneider (1990), der ein Verursachungs- modell für gewaltsame Situationen im Heim entwickelt hat. Nach seinem „Modell der Auslösung von Gewalt“ sind Merkmale der Person für die Eskalation verant- wortlich. Sie sind bei den Heimbewohnern durch eine geringe soziale Kompetenz und Verwirrtheit definiert; beim Personal spielen der Grad der Arbeitsbelastung, das Lebensalter und die Motivation zur Qualifizierung eine wichtige Rolle. Auch die Größe und Differenziertheit der Einrichtung kann die Entstehung von Gewalt begründen. Lehr (2000) fordert deshalb eine Dezentralisierung mit kleineren Ein- richtungen in der stationären Altenhilfe. Soziale Konflikte In einer Befragung von 116 angehenden Altenpflegern stellte Amrhein (2005) die Frage, welchen Einfluss soziologische Strukturen auf das Arbeits- und Lebensum- feld in Altenheimen haben. Genauer betrachtet werden „soziale Konflikte in der stationären Altenpflege als Ausdruck struktureller Macht- konstellationen“ (184). Er bezieht sich auf die soziologischen Erklärungen nach Goffman (1973), nach denen die Konflikte des Personals durch die Normen der Humanität der Institution einerseits und der Anforderung der organisatorischen Effizienz andererseits bedingt sind. Dieser Konflikt verleite das Personal, Bewohner zu bevorzugen, die an- spruchloser und einfacher in der Pflege und Betreuung sind. In dieser Konstellation werden dementiell Erkrankte mit auffälligen Begleitsymptomen eher abgelehnt, da sie in der Durchführung von Alltagsroutinen als störend wahrgenommen werden. Mitarbeiter beschreiben die Reaktion dementiell Erkrankter auf Zeit- oder Hand- lungsdruck als zum Teil totale Verweigerung mit aggressivem Potential. Es ist einerseits eine eher flexible Arbeitshaltung gefragt, die andererseits den engen strukturellen Vorgaben (Essenszeiten, Arbeitszeiten des Personals) wiederspricht. Von Amrhein (2005) werden solche Situationen der subtilen und niederschwelligen Formen von Gewalt gegen eigenwillige beziehungsweise störrische Bewohner mehrfach beschrieben. Geschildert werden Situationen, in denen „auffällige“ Be- wohner ins Zimmer gebracht wurden. Wenn dann noch keine Beruhigung eintrat, wurden ruhig stellende Medikamente verabreicht. Diese subtilen Formen der Ge- waltanwendung wurden von den befragten Pflegekräften nicht als Gewalt angese- 73 hen, da Gewalt für sie eher mit direkten körperlichen Zwangsmaßnahmen verbun- den ist. Nicht nur Konflikte zwischen Bewohnern und Personal prägen die Heimumwelt, sondern auch die Konflikte zwischen dem Personal. Sie werden ausgelöst durch soziale Beziehungen der Pflegenden untereinander und durch die Arbeitssituation im Heim. Brandenburg (1994, 76) nennt als Konflikte zwischen dem Personal die Schwierigkeiten und Probleme in der Zusammenarbeit im Team, die Konkurrenz zwischen verschiedenen Teams, die Auseinandersetzungen zwischen Führungs- kräften und Mitarbeitern sowie die Probleme in der personellen Besetzung der Schichten und die mangelhafte Arbeitsorganisation. Folge dieser Konflikte sind mangelnde Motivation, hohe Krankheitsraten und Burn-out. Nach Brandenburg sind nicht so sehr die Konfrontation mit dem Leiden der Bewohner belastende Si- tuationen, sondern vielmehr die mangelnde Qualifikation der Mitarbeiter, mit Kon- fliktsituationen umzugehen, sie zu thematisieren und geeignet zu bearbeiten. Als weitere wichtige Gründe sieht er die Ausrichtung der Arbeitsorganisation und die betriebliche Arbeitsablaufgestaltung zur Erfüllung von Sachaufgaben und weniger der Befriedigung individueller Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Bewohner. Es sind demnach vorwiegend soziale Gründe, die zu Konflikten führen. Diese sind nicht nur durch verbesserte Aus-, Fort- und Weiterbildung zu lösen, sondern müs- sen strukturelle Konsequenzen nach sich ziehen. Für die Entstehung von Belastungen und Konflikten werden unterschiedliche Er- klärungsansätze angeführt. Aus soziologischer Sicht wird der Blickwinkel primär auf durch organisatorische Strukturen verursachte Arbeitsbelastungen und Konflik- te gerichtet (Goffman, 1973 / Amrhein, 2005 / Saake, 1998). Sozial-psychologische Betrachtungsweisen betonen die zwischenmenschlichen und inneren Belastungs- konflikte (Zimber / Weyerer, 1998). Ökogerontologische Erklärungsansätze setzen ihren Schwerpunkt auf Austauschbeziehungen zwischen Heimgruppen, die fürein- ander „soziale Umwelten“ darstellen (Wahl, 1999). Selbstständigkeit und Autonomie Die Selbständigkeit und Autonomie der Heimbewohner befinden sich im Wider- spruch zwischen dem Anspruch der Pflegekräfte nach einer individuellen Pflege und der Realität im Heimalltag. In seiner Studie hat Amrhein (2005) festgestellt, dass zum Beispiel Essens- und Getränkewünsche der Bewohner erfragt, andere Bedürfnisse wie zum Beispiel nach individueller Weckzeit und Kleidung nicht berücksichtigt wurden, da dadurch der geordnete Stationsablauf gestört wurde. Wahl kommt zu ähnlichen Ergebnissen in seiner alltagsnahen Erhebung in ver- schiedenen Settings (ambulante und stationäre Versorgungsformen). Das Ziel der befragten Pflegekräfte verhielt sich im Widerspruch zu dem tatsächlichen Handeln. Das erklärte Ziel ist die Förderung der Selbständigkeit und Autonomie der Bewoh- ner. Ihr konkretes Handeln richtet sich dagegen am Ziel der Hilfe aus. Ausgelöst werden diese Verhaltensweisen bereits durch schwache Signale der Hilflosigkeit. Die noch vorhandene Selbsthilfekompetenz des alten Menschen spielt dabei keine Rolle und wird auch nicht bekräftigt. Nach Wahl (1989) bestehen mit hoher Wahr- scheinlichkeit die häufigsten Reaktionen von Sozialpartnern auf unselbständiges Verhalten alter Menschen darin, die Unselbständigkeit zu verstärken. Die Wahr- scheinlichkeit dieser Reaktionsweise ist in Institutionen höher als in der häuslichen Pflegesituation. Die Hilfeleistung und Unterstützung kann mit Nähe, Körperkon- 74 takt und menschlicher Zuwendung verbunden werden und gilt deshalb als massiver Verstärker unselbständigen Verhaltens. Es ist davon auszugehen, dass noch verfügbare Selbsthilfefähigkeiten durch Nicht- gebrauch als Folge des „Unselbständigkeits-Unterstützungs-Musters“ verloren gehen (Wahl, 1992, 111). Saake (1998) kommt im Ergebnis eines Forschungsprojektes über subjektive Al- terstheorien zu einem ähnlichen Resultat. Sie untersuchte die Beziehung von Pfle- genden und Gepflegten (Sozialdimension), die Art der Pflege (Sachdimension) und die zeitliche Verteilung der Pflege (Zeitdimension). Sie stellte fest, dass der Blick- winkel aus der jeweiligen organisatorischen Einrichtung den Fokus auf die Klientel und die Erwartungshaltung bezüglich der vorhandenen Kompetenzen bestimmt. Mit der stationären Unterbringung ist ein umfassender Hilfebedarf verbunden. In der ambulanten Versorgung führt dies zu einer Ablehnung der Pflege, da sie nur punktuell unterstützend geleistet wird. In Altenheimen sind durch die Anwesenheit vieler Bewohner eine Vielzahl von Bedürfnissen zur gleichen Zeit zu befriedigen. In der ambulanten Versorgung steht die allmähliche Bearbeitung von vorüberge- henden Problemlagen im Vordergrund. Obwohl beide Organisationen die gleiche pflegerische Versorgungsaufgabe haben, führen die verschiedenen organisatori- schen Vorbedingungen zu unterschiedlichen Konsequenzen für Bewohner und Mitarbeiter. Gleichzeitigkeit von Bedürfnissen Der Arbeitsablauf ist in den stationären Einrichtungen an der Dominanz der Institu- tion, in der ambulanten Versorgung an den Fähigkeiten der Patienten und der pfle- genden Angehörigen ausgerichtet. Dementsprechend richten die in Heimen arbei- tenden Mitarbeiter ihre Arbeitsabläufe an den zeitlichen Vorgaben aus. Die gleich- zeitige Anwesenheit vieler Bewohner im Heim beinhaltet ein nicht unwesentliches Konfliktpotential. Die Mitarbeiter geraten in die Zwickmühle, unter knappen zeitli- chen Vorgaben die gleichzeitigen und unaufhörlichen Bedürfnisse und Erwartun- gen der Bewohner erfüllen zu müssen. Diesen Konflikt können sie nur bewältigen, indem die Bedürfnisse und Erwartungen nach ihrer Dringlichkeit sortiert und bear- beitet werden. Bei dieser Prioritätensetzung werden die betreuerischen Leistungen in den meisten Fällen den pflegerischen Interventionen untergeordnet zum Bei- spiel: Das Gespräch mit der Bewohnerin muss unterbrochen werden, wenn ein anderer Bewohner zur Toilette geführt werden möchte. „Resultat pflegerischer Selektionen ist eine Pflegeorganisation, deren zentrales Kennzeichen die Trennung von pflegerischen und betreuenden Elementen ist, wor- unter sowohl die Bewohner als auch die Pflegefachkräfte leiden.“ (Saake, 1998, 182) Mitarbeiter empfinden die ständige Konfrontation mit den gleichzeitigen Bedürf- nissen der Bewohner als Überforderung und gleichzeitig als Versagen, insbesonde- re in Bezug auf Erfüllung emotionaler Bedürfnisse der Bewohner. Saake (1998) sieht hierin ein Ideal der Pflegekräfte, das in der eher von depersonalisierenden Umgangsweisen geprägten Institution besonderen Stellenwert genießt. Die Mitar- beiter versuchen eine Ausgleich zu schaffen, in dem sie mit einigen wenigen Be- wohnern eine persönliche Beziehung aufbauen. In der stationären Pflege werden somit Bedürfnisse der Bewohnerschaft weitge- hend dem zeitlichen Betriebsablauf untergeordnet. Besondere Bedürfnisse führen 75 zu Störungen im Ablauf. Die Form der Pflege richtet sich an den grundpflegeri- schen Tätigkeiten aus zu Lasten betreuerischer Elemente. Demgegenüber wird in der ambulanten Versorgung jeweils nur eine Person ge- pflegt. Die Zeit für die Betreuung richtet sich nach den Vereinbarungen mit den Patienten und den Angehörigen. Die Pflege findet in der Umgebung des Patienten statt; dadurch werden sein individuelles Umfeld und die Angehörigen für die Betreuungskräfte erlebbar. Sie unterstützen den Patienten in der Erhaltung seiner selbständigen Lebensführung punktuell und in den Bereichen, die durch die pfle- genden Angehörigen oder dem Patienten selbst nicht mehr geleistet werden können (Saake, 1998). Kommunikationskultur In der Evaluation eines Modellprojektes zur Entwicklung einer Kommunikations- kultur in stationären Einrichtungen der Altenhilfe hat Heinemann-Knoch (1999, 40) festgestellt, dass „...eine erhebliche Diskrepanz zwischen der (positiven) Selbsteinschätzung der Mitarbeiter, in Pflegesituationen nicht-pflegeorientierte Themen anzusprechen und Ich-Botschaften zu senden, und dem tatsächlich zu beobachtenden Verhalten in den Pflegesituationen (Fremdeinschätzung)...“ besteht. Gezielte Fortbildungsprogramme halfen, das Kommunikationsklima in den Wohnbereichen zu verbessern, die Diskrepanz zwischen der Selbst- und Fremd- wahrnehmung verhinderte sie nicht. 90 Prozent der Mitarbeiter schätzten ihre Fä- higkeit, sich mit Bewohnern zu verständigen und ihre Bedürfnisse zu erkennen, hoch ein. Aus ihrer Sicht ergab sich somit nur ein geringer Bedarf einer Schulung. Dem gegenüber steht die Beobachtung der Forscher, dass nur zirka 50 Prozent der Pflegekräfte die Wünsche der Bewohner in Pflegesituationen erfragten. Sie zeigten nur geringe Bereitschaft, sich in Bezug auf die eigene Kommunikationsfähigkeit selbstkritisch in Frage zu stellen und dazu zu lernen. So konnte das selbstbestim- mungsfördernde Verhalten der Mitarbeiter trotz Schulung nur zu einem geringen Teil geändert werden (Heinemann-Knoch, 1999). Fazit: In den vorliegenden Studien besteht Einigkeit darin, dass die Arbeit in den Altenheimen generell mit seelischen und körperlichen Belastungen verbunden ist. Sie können zu Konflikten bis hin zu Machtmissbrauch und Gewaltbereitschaft füh- ren. Die dementiell Erkrankten tragen durch ihre kognitiven Einschränkungen und häufige Verweigerung zu diesen Konflikten bei und haben selbst darunter zu lei- den. Das häufig beschriebene Ausbrennen und die vorzeitige Aufgabe des Berufes können als mögliche Reaktionen auf die hohen Belastungen in der Pflege und Betreuung dieses Personenkreises angesehen werden (Becker/Meifort 1997). Es reicht nicht aus, die Mitarbeiter mit Supervision und Fortbildung zu stärken, wenn nicht auch die räumlichen und sozialen Umwelten verändert werden. Erst dann kann der von Knobling (1985) beschriebene Teufelskreis, bestehend aus hoher Arbeitsbelastung, hohen Krankheits- und Fluktuationsraten auf Seiten der Mitar- beiter, mangelhafter Ausstattung der Einrichtung, Rationalisierungsmaßnahmen und unzureichender Pflege und Betreuung der Bewohner durchbrochen werden. 76 4.1.4. Angehörige In jedem institutionellen Pflegesetting gibt es immer mehrere Akteure, die zusam- menwirken müssen. Dies sind die Mitarbeiter, die Angehörigen und die rechtlichen Betreuer. In der Regel werden die Angehörigen zu rechtlichen Betreuern bestimmt. Wenn keine Angehörigen vorhanden sind beziehungsweise sie die notwendigen Entscheidungen nicht treffen können, werden andere Personen mit den Aufgaben betraut. Dies können Rechtsanwälte oder Mitglieder von Betreuungsvereinen sein. Ihr Auftrag ist es, im Sinne des Betroffenen zu entscheiden und zu handeln. Dabei schwelt der Konflikt: Die Betroffenen nehmen die Fähigkeit, noch ein selbständi- ges Leben in der eigenen Häuslichkeit führen zu können anders wahr als die Be- treuer. Der Wille des Betroffenen steht im Wiederspruch zur Hilfe- und Pflegebe- dürftigkeit und beeinflusst alle betreuerischen Maßnahmen (Re/Wilbers, 2004). Die Angehörigen sind in der Regel die zentralen Ansprechpartner für alle Beteilig- ten in der Pflege- und Betreuung dementiell Erkrankter, die auf grund ihrer kogni- tiven Einschränkungen ihre Interessen nur eingeschränkt wahrnehmen können. Die Angehörigen sind die Einscheidungsträger, wenn es darum geht, die Ausgestaltung der Pflege- und Betreuung, die Fortführung der häuslichen Pflege sowie die Wahl des Altenheimes vorzunehmen. Diese Rolle kommt ihnen insbesondere dann zu, wenn sie die rechtliche Betreuung ihres Angehörigen übernehmen. Der Umzug in ein Heim wird überwiegend als letzte Möglichkeit eingestuft und erst nach einer längeren Entscheidungsphase beschlossen. Die Entscheidung wird in den wenigs- ten Fällen leichtfertig vorgenommen; in der Regel wird vorher nach anderen Mög- lichkeiten gesucht. Die Entscheidung zur Heimübersiedlung hat einen längeren Vorlauf, in dem die häusliche Pflege einen Grad erreicht hat, der nicht mehr zu verkraften scheint. Re und Wilbers (2004) weisen auf die Schnittstelle dementiell erkrankter Mensch und betreuende Person hin, die in den überwiegenden Versor- gungsformen vernachlässigt werden. Die Pflege dementiell Erkrankter ist für die Angehörigen mit starken Belastungen verbunden. Sie resultieren zum einen aus den Begleitsymptomen der Erkrankung (zum Beispiel dem Verlust der zeitlichen/örtlichen Orientierung und der sprachli- chen Ausdrucksmöglichkeiten) sowie Gedächtnisstörungen, Inkontinenz und Ver- haltensauffälligkeiten (zum Beispiel Wahnvorstellungen, Stimmungsschwankun- gen und aggressives Verhalten). Zum anderen ergeben sich Einschränkungen im finanziellen Bereich. Die ambulante Pflegeunterstützung, die stationäre Unterbrin- gung sowie Pflegehilfsmittel werden von er Pflegeversicherung beziehungsweise den Krankenkassen nur zu einem Teil finanziert. Der überwiegende Kostenanteil muss von den Angehörigen/Betroffenen selbst getragen werden. Weitere Ein- schränkungen ergeben sich im Familienleben und in der Reduzierung von Außen- kontakten. Manche Angehörige fühlen sich bei Pflegezeiten von sechs bis acht Stunden regelrecht vom Leben ausgeschlossen (Reggentin, 2005). Weitere Belas- tungen ergeben sich aus dem langsamen Abschiednehmen von einem nahestehen- den Angehörigen. Reggentin (2005) hat in einer Studie die Belastungen der Angehörigen dementiell Erkrankter in Wohngruppen im Vergleich zu häuslicher und stationärer Versor- gung untersucht. Die Ergebnisse belegen, dass die Belastungen auch nach dem Heimeintritt bestehen bleiben. Die Nachwirkungen der Trennung wirken nach: Sie äußern sich in psychischem Stress mit somatischen Beschwerden besonders bei 77 älteren Frauen und nicht Berufstätigen. Bei einer Pflegedauer bis zur Heimaufnah- me von durchschnittlich 2,5 Jahren und einer ebenfalls zwei bis dreijährigen Auf- enthaltszeit in der Einrichtung erscheinen diese Ergebnisse nachvollziehbar. Der per Fragebogen ermittelte Besuchsintervall birgt eine Überraschung: Er lag in der stationären Einrichtung täglich bei 15,7 Prozent und wöchentlich mindestens einmal bei 80,9 Prozent, in den Wohngruppen bei täglich 15,7 Prozent und einmal wöchentlich bei 79,3 Prozent. Die bei den Besuchen verbrachte gemeinsame Zeit betrug in der stationären Versorgung 5,4 Stunden und in den Wohngruppen 4,3 Stunden (Reggentin, 2005). Damit liegt die Besuchshäufigkeit und –länge in der stationären Versorgung leicht höher als in den Wohngruppen. Erwartet wurde eine gegensätzliche Verteilung der Besuchshäufigkeit und der Besuchslänge. Praktiker klagen seit Jahren darüber, dass die Mehrheit der Bewohnerschaft wenig Besuch bekommt. Besonders betroffen sind Bewohner mit dementiellen Erkrankungen, deren Besuchssituation auf grund ihrer kognitiven Einschränkungen als schwierig beschrieben wird. Reggentin fragte in der Studie nicht nach der Intensität der Be- suche und der Aktivitäten während dieser Zeit; sie beließ es bei einer schriftlichen Selbstauskunft. Es bleibt offen, ob die angegebene Besuchshäufigkeit und -länge tatsächlich der Realität entspricht oder ein Wunsch bleibt, der aus dem schlechten Gewissen resultiert, die Angehörigen in eine Einrichtung abgegeben zu haben. Klie et al. (2005, 123) beschreibt eine Ursache für das Fernbleiben der Angehöri- gen in der Tatsache, dass sich in der Bevölkerung ein fast „...dichotomes Gegenüber von häuslicher Versorgung, fast ausschließlich durch Familienangehörige sichergestellt, hier und eine vollstationäre Versorgung ohne Beteiligung von Angehörigen dort als „Pflegearrangements“ kennt“. Insbesondere durch das Pflegeversicherungsgesetz und das Heimgesetz wird eine strikte Trennung zwischen ambulanten und stationären Versorgungsformen vorge- nommen. Dies bedeutet, dass sich Angehörige nicht verpflichtet fühlen, in der sta- tionären Versorgung eine teilhabende beziehungsweise teilnehmende Rolle einzu- nehmen - man zahlt schließlich für eine umfassende Pflege und Betreuung. Diese Abgabehaltung trifft auf die Übernahmebereitschaft seitens des Personals (Klie et al., 2005). Zu dem sind die Angehörigen hilf- und ratlos hinsichtlich der Möglich- keiten, sich mit den demenzkranken Familienmitgliedern in den Einrichtungen zu beschäftigen. Es bleibt die Frage, wie die Besuchssituation mit kognitiv Beein- trächtigten gestaltet werden kann, die kein normales Gespräch führen können und sich in der fremden Situation nicht zurecht finden – sie vielleicht sogar vehement ablehnen. Aus Hilflosigkeit werden Besuche vermieden. Da sich stationäre Pflege grundsätzlich von der häuslichen Pflege insbesondere in der individuellen Zuwendung unterscheidet, haben Angehörige Erwartungen und Ansprüche, die sich in den stationären Bedingungen nicht wiederfinden. Von den Pflegemitarbeitern werden häufige Konflikte über die individuelle Zuwendung und über den Umfang pflegerischer Leistungen berichtet. Hinzu kommt, dass Angehö- rige oftmals in der häuslichen Pflege die gleichen pflegerischen Leistungen wie zum Beispiel Ganzwaschung, Ankleidehilfe und Nahrungsanreichen jahrelang durchgeführt haben und in der Einrichtung durch die Übernahme der Tätigkeiten durch die professionellen Fachkräfte aus der ehemals aktiven Rolle in eine passive Rolle der Besucher gedrängt werden. 78 Die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen, Betreuern und Mitarbeitern hat eine besondere Bedeutung für die Ermittlung von Wünschen, Bedürfnissen und Alltags- gewohnheiten dementiell Erkrankter. Eine gelingende Kooperation würde für das Wohlergehen der Betroffenen beitragen. 4.2. Institutionalisierung als kritisches Lebensereignis Unter dem Begriff „kritisches Lebensereignis“ werden nach Zank/Baltes (1998) Lebensereignisse verstanden, die eine Anpassung an veränderte Lebensbedingun- gen erfordern. Gravierende Lebensereignisse sind zum Beispiel die Geburt des eigenen Kindes oder auch der Tod einer nahestehenden Person. In diesem Sinne kann auch die Institutionalisierung als kritisches Lebensereignis betrachtet werden, die eine erhebliche Anpassung erfordert (Backes und Clemens, 1998). Der Umzug in ein Heim stellt - vor allem, wenn die Entscheidung nicht freiwillig getroffen wurde - einen Wendepunkt im Lebenslauf eines jeden Betroffenen dar. Der Umzug kann das psychische Gleichgewicht stören und zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen (Schmidt, 2002/Kruse/Wahl, 1994/Klingenfeld, 1999/Lehr, 2000). Immer mehr alte Menschen sehen sich mit der Situation kon- frontiert, nach einem Krankenhausaufenthalt plötzlich in ein Heim einziehen zu müssen. Ebenfalls verändert hat sich auch der allgemeine Gesundheitszustand der Betroffenen. War die Aufnahmensituation bis vor einigen Jahren durch eine leichtere bis mittel- schwere Pflegebedürftigkeit der Betroffenen gekennzeichnet, so ist inzwischen die Aufnahme mit schwerster Pflegebedürftigkeit verbunden (siehe Kapitel 2). Die nähere Betrachtung der Folgen des Heimeintritts ist deshalb mehrdimensional. Wahl/Reichert (1994) erläutern die „lebensumspannende Entwicklungsperspekti- ve“ von Baltes, in dem sie drei die Entwicklungsprozesse beeinflussende Ursachen beschreiben. Dies sind „alterskorrelierte Einflüsse“, „geschichtlich bedingte Ein- flüsse“ und „nicht-normative Einflüsse“. Alterskorrelierte Einflüsse ergeben sich aus dem Zusammenspiel von biologischen und gesellschaftlichen Faktoren, die für die Mehrzahl alter Menschen einen normativen Charakter erhalten. Beide Autoren führen als Beispiel die Pensionierung an. Ein wichtiger, geschichtlich bedingter, Einfluss kann in dem einschneidenden Erlebnis der Weltkriege gesehen werden. Die „nicht-normativen Einflüsse“ beziehen sich auf Ereignisse, die nicht bei allen alten Menschen gleich auftreten, aber höchstwahrscheinlich zu einer Veränderung des weiteren Lebens führen. Nach Wahl/Reichert (1994) ist der Heimeintritt ein solches „nicht-normatives Ereignis“ mit hoher „Entwicklungsaufgabe“ und bein- haltet sowohl die Möglichkeit von Entwicklungsgewinnen als auch von Verlusten. Wie weiter auszuführen sein wird, können Gewinne zum Beispiel in der Sicherheit der Pflege und Betreuung, der Entlastung der Angehörigen und auch durch neue Kontakte zu Mitbewohnern bestehen. Verluste ergeben sich durch die notwendige Anpassung an institutionelle Strukturen und Vorgaben, die nicht immer mit den bisherigen Alltagsgewohnheiten übereinstimmen. Die von Wahl/Reichert (1994) genannten Beispiele der Gleichzeitigkeit von Ver- lust (zum Beispiel die Zunahme der körperlichen Einschränkungen und Schmer- zen) und Gewinn (Freundschaft mit der Zimmernachbarin) können in der Praxis 79 bestätigt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass das alltägliche Leben in einem Heim von der Gleichzeitigkeit von Gewinnen und Verlusten gekenn- zeichnet ist. Die Bewertung dessen was als Gewinn oder Verlust empfunden wird, korreliert mit den individuellen Erfahrungen im Leben. Wahl/Reichert (1994, 27) verweisen auf empirisch gesicherte Annahmen, nach denen von einer „intraindivi- duellen Variabilität“, das heißt von „großen zwischenmenschlichen Unterschieden im Verlauf und in der Gestaltung von Alternsprozessen“ auszugehen ist. Diese Unterschiede können sich auf Erwartungen und Bedürfnisse, das kognitive Leistungsvermögen, Erfahrungen und Erleben sowie den Gesund- heitszustand beziehen und führen nach Wahl/Reichert (1994, 27) zum „klassischen Konflikt zwischen der notwendigerweise standardisierten Umwelt Heim und den spezifischen Bedürfnissen der Bewohner“. Nach Saup (1990), Lehr (2000) und Wahl/Reichert (1994) ist die Freiwilligkeit des Umzugs in ein Heim ein wesentlicher Faktor, um sich an die neue Situation anzu- passen. Dass dementiell Erkrankte sich freiwillig für die Heimunterbringung ent- scheiden, ist fraglich. Praktiker berichten von einer erhöhten Weglauftendenz, der Zunahme von Verwirrtheitszuständen, dem Auftreten von Inkontinenz und der Verstärkung örtlicher Desorientierung in den ersten Wochen nach dem Umzug. Nach Mollenkopf et al. (2004) erleben Betroffene reglementierende und einengen- de Umgebungsbedingungen verstärkt negativ. Sie fragten Altenheimbewohner, in wieweit sie der Verlust an Autonomie belastet. Die Ergebnisse belegen ein Anstei- gen des Grades der Belastung mit dem Ausmaß an Autonomieeinschränkungen. Saup (1984) kommt zu ähnlichen Ergebnissen. In seiner Arbeit konnte er nachwei- sen, dass mit dem Grad der Autonomieeinschränkungen durch institutionelle Reg- lementierungen die Wahl der jeweiligen Copingstrategie beeinflusst wird. Nach den vorliegenden Erkenntnissen stellt die Übersiedlung in ein Heim einen Wendepunkt im Leben eines alten Menschen dar. Mit dem Umzug geht eine grund- legende Veränderung des bisherigen Lebens einher. Die Übersiedlung in ein Heim wird von Saup (1990) als „ökologischer Übergang“ bezeichnet, als radikale Verän- derung der vorher weitgehend selbständigen Alltagsgestaltung und der vertrauten Umgebung. Die Betroffenen müssen sich abrupt an ein fremdbestimmtes, an orga- nisatorischen Abläufen orientiertes, standardisiertes, fremdes Wohnumfeld anpas- sen. Lehr (2000) bezeichnet die durch den Wechsel in ein Heim ausgelösten Belas- tungen als „relocation-stress“. Ungünstig wirkt sich die „Radikalität der Verände- rung“ aus. Je unbekannter die Umgebung, das Personal, die Mitbewohner und die Einrichtung sind, um so höher scheint die Mortalität. Ein Anstieg der Mortalitätsra- ten im Zusammenhang mit einem Umzug ins Heim ist kritisch zu betrachten, da die Bewohner mehrfach Erkrankungen aufweisen und sich zunehmend erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Pflegebedürftigkeit in ein Heim einziehen. Lehr (2000) benennt mehrere Faktoren, die sich günstig auf die Lebenssituation in den Einrichtungen auswirken. Dies sind ein jüngeres Alter bei der Heimaufnahme, gutes Orientierungsvermögen, und die Fähigkeit zu kommunizieren. Bis auf den Faktor des Lebensalters sind die von Lehr genannten Faktoren auf dementiell Er- krankte nicht zutreffend. Hinzu kommt der in der Regel nicht freiwillige Umzug der Betroffenen. Aufgrund der krankheitsbedingten kognitiven Veränderungen geht 80 eine realistische Einschätzung der eigenen Situation schon früh verloren. Für die Betroffenen ist eine selbständige Lebensführung in ihrer eigenen Häuslichkeit noch möglich, für Außenstehende und nahe Verwandte ist der Hilfe- und Betreuungsbe- darf nicht zu übersehen. Die Betroffenen fassen den Entschluß zur Übersiedlung in ein Heim in der Regel nicht selbst. Der Umzug wird zum Teil vehement abgelehnt. Diese Umstände der Übersiedlung müssen zwangsläufig zu Problemen in der Ein- gewöhnungsphase führen, die Auswirkungen auf den weiteren Aufenthalt im Heim haben. Auf die Einrichtungen kommt die Aufgabe zu, den veränderten Aufnahmebedin- gungen und Bedürfnislagen der Betroffenen Rechnung zu tragen und sie positiv zu gestalten. Entscheidend ist, dass dem neuen Heimbewohner eine Perspektive im Heim vermittelt werden kann. Die Übersiedlung in ein Heim könnte dementspre- chend als Entwicklungsaufgabe betrachtet werden. Wenn sie gelingt, dann könnte der Heimeintritt ein Gewinn für den Einzelnen sein. 4.3. Zusammenfassung Die verschiedenen oben geschilderten Forschungen unterstreichen, dass nicht nur der alte Mensch selber, sondern auch die Merkmale der Institution seine konkreten Bewältigungsstrategien bestimmen (Saup, 1990/Lehr, 2000). Beschrieben werden sowohl positive als auch negative Effekte von Institutionen. In der Analyse ver- schiedener Forschungsergebnisse kann festgestellt werden, dass Bewohner von Pflegeheimen den Privatbereich im Heim unter anderem subjektiv beengend emp- finden. Trotz der Anwesenheit vieler Menschen herrscht Einsamkeit vor. Die starke Reglementierung der Selbstbestimmungsrechte führt zu lange Phasen der Leere und Langeweile. Die Bewohner fühlen sich nutzlos und sehen sich mit dem Leiden und Sterben der Mitbewohner konfrontiert. Positive Effekte treten dann auf, wenn Bewohner neue Kontakte knüpfen können, sie Anerkennung für die Übernahme sinnvoller Aufgaben bekommen, für sie eine vertraute Umgebung geschaffen wird und das Personal sie fördernd unterstützt. Der Gestaltung der Umwelt in der statio- nären Versorgung kommt dabei eine wichtige Funktion zu: Sie kann sowohl för- dernd als auch reglementierend und kontrollentziehend wirken. In Bezug auf die Mitarbeiter ist festzustellen, dass die Arbeit in den Altenheimen generell mit großen seelischen und körperlichen Belastungen verbunden ist. Man- gelnde Qualifizierung und strukturelle Defizite führen zu Konflikten, Macht- und Gewaltproblematik. Eine umfassende Stärkung der fachlichen und persönlichen Kompetenzen im Umgang mit dementiell Erkrankten, eingebettet in strukturelle Veränderungen der organisatorischen und räumlichen Rahmenbedingungen, er- scheint notwendig. Die Erhaltung der sozialen Kontakte und familiären Netzwerke stellen in stationä- ren Einrichtungen eine Herausforderung dar. Die enge Kooperation zwischen An- gehörigen, Betreuern und Mitarbeitern hat eine besondere Bedeutung für die indi- viduelle Pflege und Betreuung dementiell Erkrankter. Eine gelingende, partner- schaftliche Kooperation würde zum Wohlergehen der Betroffenen beitragen. 81 5. Schlussfolgerungen und Ableitung der eigenen Fragestellung Eine positive, demenzgerechte Gestaltung der Person-Umwelt-Beziehung berück- sichtigt ökopsychologische Ansätze (Wahl/Reichert, 1994). Die Grundhypothese besagt, dass der Einfluss der Umwelt auf das Erleben und Verhalten alter Men- schen wächst, je niedriger ihre kognitive Kompetenz ist. Der Einfluss der Heim- umwelt auf ihr Erleben und Verhalten muss entsprechend eingeschätzt werden. Im Idealfall passen die Umweltanforderungen zu ihren Bedürfnissen und Kompeten- zen. Allerdings müssen nach dem „Person-Umwelt-Passungsansatz“ (Kahana`s, 1982) die Umweltanforderungen weiterhin den nachlassenden Kompetenzen angepasst werden. Der Betroffene ist aufgrund der fortschreitenden Erkrankung immer weni- ger in der Lage, sie selbst zu beeinflussen beziehungsweise sie zu ändern. Ein wei- terer ökopsychologischer Ansatz bezieht sich auf die „Person-Umwelt- Transaktion“ innerhalb der Heimsituation. Dabei kommt dem Aspekt der „protheti- schen Umwelt“ des Heimes Bedeutung zu. Die Umweltfaktoren gewinnen durch die zunehmenden physischen und psychischen Einschränkungen eine wichtige Rolle, um die Selbständigkeit weitgehend aufrechterhalten zu können. Eine stüt- zende Umgebung kann Einbußen zumindest vorrübergehend kompensieren. Dazu zählen barrierefrei gestaltete Wohnräume, in denen sich die Bewohner sicher und angstfrei bewegen können sowie eine fachlich und psycho-sozial kompetente Pfle- ge und Betreuung. Der zweite Aspekt bezieht sich als „Mindest-Person-Perspektive“ (Wahl/Reichert, 1994) auf eine für das Individuum anregungsreich gestaltete Umgebung, stimulie- rende Angebote und Möglichkeiten der weitgehenden selbständigen Lebensfüh- rung. Der ökopsychologische Ansatz berücksichtigt, dass das Kernelement der Pflege darin liegt, das Gleichgewicht zwischen den geistigen und funktionalen Kompetenzen (Binnenstrukturen) der Betroffenen und der sie umgebenden physi- schen und sozialen Umwelt (Außenstrukturen) wiederherzustellen. Demzufolge ist die Aufgabe der Pflege, die Verluste an Binnenstrukturen durch angemessene, de- menzgerechte Außenstrukturen aufzufangen. „Verwirrtheit und Desorientierung kann somit hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit durch angepasste, demenzspezifische Außenstrukturen dementsprechend beein- flusst werden, dass es ein Plus an Umweltanpassung ein Minus an Verwirrtheit zur Folge haben wird. Oder anders ausgedrückt: eine Steigerung des Inputs demenzge- rechter Lebenswelt führt zu dem erwünschten Output Reduzierung von Verwirrt- heitszuständen.“ (Lind, 2000, 13) Wie müssen die Lebenswelten gestaltet sein, um ein größtmögliches Wohlbefinden und Zufriedenheit bei dementiell erkrankten alten Menschen zu gewährleisten? Um diese Frage zu beantworten, müssen die Lebensqualität und die das Wohlbefinden beeinflussenden Faktoren untersucht werden. Hierzu hat die gerontologische For- schung eine Vielzahl von Ergebnissen vorgelegt. Dies sind ökologische, organisa- tionsspezifische und individuelle Faktoren. In der Abbildung Nr. 4 werden die Wechselwirkungen der verschiedenen Determi- nanten des Wohlbefindens auf die besondere Situation dementiell erkrankter alter Menschen zusammenfassend dargestellt. 82 Abbildung Nr. 4: Determinanten des Wohlbefindens dementiell erkrankter alter Menschen Die nachfolgende Pilotstudie beschreibt, in wieweit ökologische, organisationsspe- zifische und individuelle Faktoren auf die in der Abbildung Nr. 4 dargestellten Aspekte des Wohlbefindens dementiell Erkrankter in der Heimsituation wirken. Der Ansatz bildet – bezogen auf 40 Heimbewohner - die wechselseitigen Wirkun- gen ab; in den bisherigen Untersuchungen wurde das kaum berücksichtigt. Die Erforschung der besonderen Situation dementiell Erkrankter in der stationären Versorgung befindet sich zudem noch im Aufbau (Radzey/Heeg, 2001/Schmidt, 2002). Es sollen die im Folgenden beschriebenen Fragen analysiert werden:  Welchen Beitrag leistet die Einbeziehung der alltäglichen Gewohnheiten, Rituale und Abläufe zur Erhaltung der weitgehenden Selbständigkeit und Lebenszufriedenheit dementiell erkrankter alter Menschen? Welchen Bei- trag leistet die Gestaltung der Lebenswelt im Heim zur Ausprägung von Begleitsymptomen?  Beeinflusst der Totalitätsgrad der Heime die Voraussetzungen für die Le- benszufriedenheit der Heimbewohner mit Demenz in höherem Maße als individuelle Faktoren?  Gibt es Beziehungen zwischen dem Setting und der Qualität der Kommu- nikation und Interaktion zwischen Bewohnern und Personal? Sinnvolle Aufgaben Selbstwert Gefühl Soziale Beziehungen Stützende/ anregende Umwelt Wohlbefinden Selbstbestim- mung Autono- mie Somatische Erfahrungen Positive Stimmung Sensorische Erfahrungen 83  Gibt es Beziehungen zwischen dem Setting und der Aufrechterhaltung be- ziehungsweise dem Aufbau von sozialen Kontakten?  In welcher Weise trägt ein an der alltagsnahen Normalität ausgerichtetes Versorgungssetting zur Kompensation negativer Heimwirkungen wie zum Beispiel das „unausweichliche Trauma“ (Kruse/Wahl, 1994) des Heimein- zugs bei?  Inwieweit hilft eine anregungsreiche Gestaltung der Altenpflegeheime, po- sitive Erfolgserlebnisse, sensorische Erfahrungen sowie soziale Zuwen- dung zu ermöglichen und andererseits eine Reduzierung von Aktivitäten zu verhindern?  Gibt es Unterschiede in der Einschätzung und im Umgang mit Selbsthilfe- fähigkeiten, Wohlfühlen, der Interaktion und Kommunikation mit demen- tiell erkrankten Bewohnern zwischen qualifizierten Pflegekräften, Angehö- rigen und weniger qualifizierten Mitarbeitern? Diese Fragen sollen anhand der Untersuchung verschiedener Wohlbefindensmerk- male in zwei, nach unterschiedlichen Konzepten ausgerichteten Pflegeheimen er- mittelt werden. Die erste Einrichtung ist eine entsprechend des Hausgemein- schaftsprinzips gestaltete, stationäre Pflegeeinrichtung. Die zweite orientiert sich an den klassischen Pflegeprinzipien. Sie dient als Vergleichseinrichtung. Um die Wirkungen des Settings während der Integrationsphase der Bewohner und im weiteren Verlauf des Heimaufenthaltes beurteilen zu können, fand die Untersu- chung in zwei Zeitabschnitten statt: in der Phase unmittelbar nach dem Heimeinzug und nach vier bis sechs Monaten Heimaufenthalt. In der folgenden Abbildung werden die Faktoren des Settings in der Heimeinzugs- phase und der Anpassung in einem Modell dargestellt. Die Kürzel LZ bedeutet Lebenszufriedenheit, T1 ist gleichzusetzen mit dem Zeitpunkt der ersten, T2 mit dem der zweiten Untersuchung. 84 Abb. Nr. 5: Heimeinzug und Anpassung an den Heimalltag Abb. Nr. 6: Heimeinzug und Anpassung an den Heimalltag im institutionellen Vergleich In der folgenden Abbildung werden die Untersuchungsmerkmale und die Untersu- chungsorte grafisch dargestellt. Die Einrichtung A ist eine nach dem Hausgemein- schaftsprinzip gestaltete stationäre Pflegeeinrichtung. Die zweite Einrichtung B dient als Vergleichseinrichtung und ist eine nach dem klassischen Prinzip gestaltete Pflegeeinrichtung. Ökologische Faktoren Organisations- spezifische Faktoren Individuelle Faktoren LZ T1 - Pflegebedarf - Wohlfühlen - Interaktion - Kommunikation - Soziale Bezüge LZ T2 - Pflegebedarf - Wohlfühlen - Interaktion - Kommunikation - Soziale Bezüge Ökologische Faktoren Organisations- spezifische Faktoren Individuelle Faktoren LZ T1 Einrichtung A Einrichtung B LZ T2 Einrichtung A Einrichtung B 85 6. Die Untersuchung Im Folgenden werden die Zielsetzung und Anlage der Untersuchung, die Auswahl der Untersuchungsmethoden unter Berücksichtigung der Problematik von Evalua- tionen bei dementiell erkrankten alten Menschen, die Auswahl der untersuchten Einrichtungen und Personen, sowie der Untersuchungsverlauf beschrieben. 6.1. Zielsetzung und Anlage der Untersuchung Die Zielsetzung und Anlage der Untersuchung wurde bereits im Vorfeld mit dem Träger und den untersuchten Einrichtungen abgestimmt. Der Träger, die Bremer Heimstiftung, ist eine kommunale Stiftung der Stadt Bre- men. Die Bremer Heimstiftung ist mit 21 Einrichtungen der größte Altenhilfeträger im Lande Bremen. In den verschiedenen Einrichtungen leben und wohnen zirka 3.500 alte Menschen. Die Angebote reichen von dem klassischen stationären Al- tenpflegeheim, über besondere Pflege und Betreuungsangebote für gerontopsychi- atrisch erkrankte alte Menschen bis zu ambulanten Pflege- und Versorgungsformen in eigenen Servicewohnanlagen. Seit Ende 1999 wurden erstmalig in einer Einrichtung sechs integrative Hausge- meinschaften angeboten. Weitere Umbaumaßnahmen für stationäre Einrichtungen befanden sich in der Planung. Für den Träger stellte sich die Frage, in wie fern Hausgemeinschaften eine Alterna- tive zu den klassischen stationären Pflegeheime darstellen, worin ihre Vorteile bestehen, worin ihre Grenzen liegen und welche Faktoren zu einer größeren Zu- friedenheit der Bewohnerschaft führen können. Die Hausgemeinschaftseinrichtung und die Vergleichseinrichtung hatten ein Inte- resse an einer kritischen Reflexion ihrer Arbeit und deren Auswirkungen auf die Betroffenen. Des Weiteren bestand ein großes Interesse des Trägers an der Anwen- dung und Überprüfung der Instrumente Plaisir© und Dementia Care Mapping. Aus diesen Gründen war der Träger bereit, an der Untersuchung mitzuwirken, Einrich- tungen und Mitarbeiter zur Unterstützung z. B. bei der Erhebung der Daten zur Verfügung zu stellen. Die notwendigen Schulungen der Untersucher im Dementia Care Mapping (siehe unter 6.2.2) sowie die Kosten der Auswertung der Plaisir©- Daten wurden ebenfalls vom Träger übernommen. Ausgewählte Aspekte und erwartete Ergebnisse Wie in den vorangehenden Kapiteln dargelegt wurde, scheint das Wohlbefinden der Heimbewohner von einem komplexen Bedingungsgefüge von ökologischen und organisationsspezifischen Aspekten neben heimspezifischen und individuellen Faktoren abhängig zu sein. Um zu einer Einschätzung der Wirkungen der Settings auf die Lebensqualität zu kommen, erscheint es deshalb sinnvoll, nicht nur einzelne Aspekte herauszugreifen, sondern die Zusammenhänge der verschiedenen Faktoren in die Untersuchung einzubeziehen. Dies soll im Rahmen einer Erkundungsstudie geschehen. Ziel ist die Ermittlung von Erfahrenswerten der Merkmalsstreuung für eine spätere, größer angelegte Studie. 86 Untersucht werden psychische und soziale Aspekte des Wohlbefindens (gemessen am Ausdruck der Zufriedenheit, an der Veränderung von Aktivitäts- und Kontakt- niveaus, wahrgenommene Veränderung der Aktivitätsstruktur), der Pflege- und Betreuungsbedarf, Verhaltensauffälligkeiten und Beeinträchtigungen sowie Alter und Geschlecht. Aktivitäten Aktivitäten tragen in erheblichem Maße zum Wohlbefinden bei. Die Ausübung der Aktivitäten kann mit einem bestimmten Grad an Autonomie in Verbindung ge- bracht werden, deshalb ist eine Analyse der Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden sinnvoll. Erfasst wurden alle Aktivitäten des Heimbewohners im öffentlich zugänglichen Aufenthaltsbereich, die Teilnahme an Beschäftigungs- angeboten im Heim sowie die Veränderungen der Aktivitäten seit Heimeintritt im weiteren Verlauf des Heimaufenthaltes. Mit der Betrachtung der Aktivitäten über einen längeren Zeitraum sollte eine Aussage zu Institutionalisierungseffekten er- möglicht werden. Kontakte Negative Wirkungen des Heimerlebens können durch eine Aufrechterhaltung von familialen, freundschaftlichen und anderen Kontakten kompensiert werden. Es ist zu erwarten, dass je intensiver (persönlicher) die Kontakte gestaltet sind, das Wohlbefinden höher ist. Besondere Bedeutung kommt der Interaktion und Kom- munikation mit dem Personal zu. Erfasst wurden die generelle Beteiligung von Angehörigen, Freunden und Bekannten an der Alltagsgestaltung der dementiell erkrankten Heimbewohner sowie Kontakte mit den Mitbewohnern. Zur Vermei- dung einer statischen Betrachtung der Kontakthäufigkeit wurde die Wirkung der Interaktion und Kommunikation zwischen Bewohner und Mitbewohnern sowie zwischen Personal und Bewohner erfasst. Um eine Aussage zu den Wirkungen des Settings vornehmen zu können, wurden die Veränderungen seit Heimeintritt im Verlauf des Heimaufenthaltes erfasst. Alltagsnahe vertraute Umgebung Vermutet wird, dass Versorgungssettings, die an dem Konzept der alltagsnahen Normalität ausgerichtet sind, zur Vermeidung weiterer negativer Heimwirkungen beitragen, zum Beispiel zusätzliche Verwirrung beim (ungewollten) Heimeinzug und Verlust der persönlichen Kontrolle beim weiteren Aufenthalt im Heim. Mit der Betrachtung der Begleitsymptome, des Hilfe- und Pflegebedarfes bei Heimeinzug und nach einem längeren Zeitraum, sollte eine Aussage zur Vermeidung der nega- tiven Heimwirkungen ermöglicht werden. Gesundheitszustand Die Befunde über den Einfluss der Umwelt auf das Erleben und Verhalten alter Menschen weisen darauf hin, dass der Einfluss mit abnehmender Kompetenz steigt. Vermutet wird, dass Settings, die an der alltagsnahen Normalität ausgerichtet sind, zu einem geringeren Grad an Verwirrtheit beitragen. Die Gestaltung einer demenz- gerechten Lebenswelt führt zur Reduzierung von Verwirrtheitszuständen und ande- ren Begleitsymptomen. Mit der Erfassung des Pflege- und Unterstützungsbedarfes, 87 der Begleitsymptome und den kognitiven/affektiven Einschränkungen im Verlaufe des Heimaufenthaltes sollte eine Einschätzung der Bedeutung der Umweltgestal- tung auf die kognitive Gesundheit ermöglicht werden. Zu untersuchende Aspekte: - Pflege- und Betreuungsbedarf - Subjektives Wohlbefinden - Interaktion und Kommunikation - Soziale Bezüge (Kontakte zu Angehörigen/Freunden/Bekannten) 6.1.1. Auswahl der Untersuchungsinstrumente Bei der Auswahl der Untersuchungsinstrumente besteht die Wahl zwischen quanti- tativen und qualitativen Forschungsmethoden bzw. aus einer Mischung von beiden. Beide Forschungsansätze unterscheiden sich in der Art der Datenerhebung und in der Datenanalyse. Merkmale quantitativer Forschung Merkmale quantitativer Forschung sind die weitgehend standardisierten Datener- hebungsprozesse. Mit ihnen werden in gleicher Weise, in der gleichen Abfolge, mit zum Beispiel den gleichen Fragen Daten erhoben, statistisch ausgewertet und ver- allgemeinerbare Ergebnisse abgeleitet (Wahl/Heyl, 2004). Nach Gutzmann und Zank (2005) sind sie bei einigen Forschungsfragen vorzuziehen, „... weil die Reliabilität und Validität der Instrumente belegt sind und die Ergebnis- se den Vergleich mit anderen Studien erlauben.“ (Gutzmann/Zank, 2005, 143) Nachteile sehen sie allerdings in der mangelnden „Sensitivität“ der standardisierten Erhebungsinstrumente für die Abbildung von Veränderungen, wie sie bei demen- tiell Erkrankten notwendig wären. Sie schlagen deshalb eine Ergänzung durch qua- litative Methoden, wie Befragungen von Angehörigen und Betreuern oder Verhal- tensbeobachtungen vor (Gutzmann/Zank, 2005, 144). Merkmale qualitativer Forschung Merkmale qualitativer Erhebungsmethoden sind der eher offen und flexibel gestal- tete Forschungsprozess. Die Forschungsverfahren sind überwiegend offene oder teilstandardisierte Interviews, die in der Regel auf Tonband aufgenommen, an- schließend in Kategorien geordnet und interpretiert werden. Eine spätere statisti- sche Auswertung der Daten kann vorgenommen werden (Wahl/Heyl, 2004). Nach Bortz und Döring (2002) sind qualitative Methoden wie zum Beispiel offene Be- fragungen bei einigen Forschungsfragen vorzuziehen, bei denen viele Details und „Verbalisierungen der Erfahrungswirklichkeit“ (295) erfasst werden sollen. Nachteile sehen Bortz und Döring (2002) in dem hohem Zeitaufwand in der Er- mittlung der qualitativen Daten zum Beispiel im Rahmen einer offenen Befragung, in der Problematik der Vergleichbarkeit der individuellen Aussagen und in der Gültigkeit der anschließenden Interpretationen. Eine Eignung ausschließlicher qua- litativer Befragungen für Gruppenvergleiche, wie sie in dieser Arbeit angestrebt 88 werden, scheint deshalb fragwürdig. Ein weiterer Grund der den Einsatz und die Aussagekraft qualitativer Methoden einschränkt, liegt in der gesundheitlichen Situ- ation der untersuchten Bewohnergruppe. Wie bereits beschrieben, setzt die qualita- tive Forschung auf eine offene und flexible Datenerhebung. Zum Einsatz kommen überwiegend Interviews (Gutzmann/Zank, 2005). Die Fragen sind so gestaltet, dass die Befragten möglichst frei antworten können, viel Raum für ihre eigene Sicht- weise erhalten und sich nicht an bestimmte Antwortkategorien halten müssen. Die- se Form des Interviews setzt eine verbale Ausdrucksfähigkeit der Interviewten voraus. Mit einer Demenz verbunden sind Einschränkungen der verbalen Aus- drucksfähigkeit, die Fähigkeit, Sprache zu verstehen und sich auszudrücken, Fra- gen zu verstehen und darauf zu antworten sowie eigene Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen (siehe Kapitel 2.1). Die Interviewfähigkeit dementiell Erkrankter wird von Mozley et al. (2004) prob- lematisiert: Sie ist ihren Erkenntnissen nach abhängig vom Stadium der Erkran- kung und den Einschränkungen des Sprachvermögens. Bestätigt wird diese Ein- schätzung von Niebuhr (2004). In ihren Interviews mit Demenzkranken stellte sie fest, dass die sprachlichen Äußerungen dementiell Erkrankter nicht immer das ausdrücken, was tatsächlich gemeint wird. Aus diesem Grund konnte sie von ins- gesamt 40 Interviews nur 25 vollständig transkribieren. Die von ihr interviewten Personen wohnten noch in ihrer Häuslichkeit und befanden sich in einem frühen Stadium der Erkrankung. Des Weiteren nehmen die offenen Interviews viel Zeit und Konzentration in An- spruch. Bei dementiell erkrankten Menschen ist die Konzentrationsfähigkeit auf kurze Intervalle beschränkt. Wie Bortz und Döring (2002, 297) schreiben: „Schwerkranke Patienten sind nur bedingt in der Lage, ein qualitatives Interview zu absolvieren, das mehrere Stunden in Anspruch nimmt und trotz alltagsnaher Gesprächsform die Informanten kognitiv beansprucht.“ Mozley et al. (2004) schlagen deshalb vor, die Anzahl der Interviewten zu erhöhen, vorab die sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu testen und nur kurze Befragungen durchzuführen. Demzufolge sind die Einsatzmöglichkeiten und die Aussagekraft qualitativer Inter- views bei der zu untersuchenden Bewohnergruppe eingeschränkt. Nach Gesprä- chen mit den Mitarbeitern in beiden Einrichtungen, Beobachtungen des Gesund- heitszustands und des Ausdrucksvermögens der Bewohner und eigenen Befra- gungsversuchen wurde auf ein qualitatives Interview verzichtet. Auswahl der Verfahren Beispiele verschiedener Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität wurden be- reits unter Kapitel 3.4 vorgestellt. Zur Erhebung werden zwei standardisierte eher quantitativ ausgelegte Erhebungs- verfahren ausgewählt: das „DCM“ und „Plaisir“. Wie unter Abschnitt 6.2.1 und 6.2.2 näher ausgeführt wird, lässt das DCM auch qualitative Aussagen zu. Daneben wird eine schriftliche, standardisierte Befragung der Mitarbeiter und der Angehöri- gen durchgeführt und es werden im Beobachtungsprozess umfangreiche Feldnoti- zen erstellt. Entsprechend der obengenannten Anforderungen nach Gutzmann/Zank (2005) werden die eher quantitativ ausgerichteten Verfahren durch offene Beo- 89 bachtungen in beiden Einrichtungen ergänzt. Die Datensammlung umfasst ver- schiedene Informationsquellen: die Bewohner, ihre Angehörigen, die sie betreuen- den Mitarbeiter, die DCM-Mapper und Plaisir©-Evaluatoren. Die Auswahl der zum Einsatz kommenden Verfahren wurde aus drei verschiede- nen Gründen vorgenommen: 1. In dieser Vorstudie soll die Perspektive der Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Da Interviews aus oben genannten Gründen nicht in Frage kamen, wurde nach einem geeigneten Beobachtungsinstrument gesucht. Auf Grund der Empfehlung des KDA und den Erfahrungen im praktischen Einsatz in England und zum Teil auch in Deutschland, wurde das DCM ausgesucht. Der Beobachter nimmt die Per- spektive des Beobachteten ein und versucht aus dessen Sicht die Wirkungen der Umwelt, Interaktion und Kommunikation auf sein Wohlergehen zu ermitteln. Die Beobachtungssituation und die Anwesenheit des Beobachters können die Ergebnis- se sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Um die Aussagekraft zu erhöhten, müssen sie durch andere Instrumente ergänzt werden. Es wurden deshalb zusätz- lich offene Beobachtungen, Mitarbeiter- und Angehörigenbefragungen durchge- führt. 2. In dieser Vorstudie soll die institutionelle Pflege und Versorgung in Hausge- meinschaften im Vergleich zur traditionellen Pflegeeinrichtung zu zwei Untersu- chungszeitpunkten betrachtet werden. Dieser Vergleich setzt unter anderem eine hohe Übereinstimmung der untersuchten Personen in Bezug auf ihren gesundheitli- chen Zustand, ihren Pflegebedarf, ihren kognitiven Einschränkungen und der beo- bachteten Situationen voraus. Dies legt die Auswahl quantitativer Instrumente na- he. Mit Hilfe standardisierter Methoden können eher quantitative Vergleiche beider Einrichtungsformen miteinander, zu zwei Untersuchungszeitpunkten und mit ande- ren Studien vorgenommen werden (Gutzmann/Zank, 2005; Bortz/Döring, 2002). 3. Beide Einrichtungen hatten über einen längeren Zeitraum praktische positive Erfahrungen in der Anwendung des Plaisir© gesammelt. Es bestand das Interesse an einem Einsatz dieses Instruments im Rahmen der Untersuchung. Darüber hinaus waren ausgebildete und geübte Plaisir-Evaluatorinnen beim Einrichtungsträger vorhanden, die in die Untersuchung mit einbezogen werden konnten. Des Weiteren bestand der Wunsch der Autorin und der Einrichtungen, das bis da- hin in der Altenpflege erst vereinzelt eingesetzte DCM in der Praxis anzuwenden und auf die Aussagekraft der Ergebnisse hin zu überprüfen. Unterstützt wurde die Auswahl der verschiedenen Instrumente durch eine persönli- che Empfehlung von Herrn Dr. Willi Rückert (Kuratorium Deutsche Altershilfe). 90 Tabelle Nr.7: Übersicht über die zum Einsatz kommenden Instrumente zur Erfassung der Wirkungsaspekte Wirkungsaspekte Instrumente Informationen/Daten Pflegebedarf Plaisir - Darstellung des Pflegeaufwandes - Durchschnittsalter und Ge- schlecht - Einschränkungen der Bewohner - Grad der kognitiven Defizite und der psychiatrischen Probleme - Verhaltensprobleme - Verteilung der Bewohner nach Beeinträchtigungsgrad; Beschäf- tigung; Soz. Integration; Orientie- rung Wohlfühlen DCM und Feld- notizen Plaisir© Mitarbeiter und Angehörigenbe- fragung - Wohlbefindenswerte - Anerkennung/Lob - Teilhabe an Aktivitä- ten/Beschäftigung - Einsatz von freiheitsentziehenden Maßnahmen Interaktion und Kommunikation DCM und Feld- notizen Plaisir Angehörigen- und Mitarbeiter- befragung - Verhaltenskategorien/Aktivitäten - Abwechslungsfaktor - Tagesverlaufsbeschreibungen - Mahlzeitensituation - personseinschädigende Verhal- tensweisen - personseinfördernde Verhaltens- weisen Soziale Bezüge Plaisir© DCM und Feld- notizen Angehörigen und Mitarbeiterbefra- gung - Beeinträchtigungsgrad bei sozia- len Beziehungen - Aufenthaltszeit in öffentlichen Räumen - Möglichkeiten zur Aufrechterhal- tung der gewohnten Beziehungen - Kontakte zu Mitbewohnern - Einbindung der Angehöri- gen/Freunde in die Alltagsgestal- tung 6.1.2. Auswahl der Einrichtungen und der untersuchten Personen Es handelt sich um eine ad hoc - Stichprobe (Gelegenheitsstichprobe) mit insge- samt 40 Personen, die in dem Untersuchungszeitraum in die Einrichtungen einge- zogen sind. Die 40 Personen werden in zwei Gruppen unterteilt, je nach dem Ein- richtungstypus, in dem sie leben. Es werden 20 Bewohner einer klassisch organi- sierten Einrichtung und 20 Bewohner einer nach dem Prinzip der betreuten Wohn- gruppen organisierten Einrichtung in die Untersuchung einbezogen. Untersu- 91 chungszeitpunkte sind personenbezogen in der Integrationsphase nach dem Heim- einzug (zwischen acht und zehn Tagen nach Einzug) und nach vier bis sechs Mo- naten Verweildauer im Heim. Die Untersuchung wurde in zwei stationären Pflegeeinrichtungen eines gemeinnüt- zigen Trägers in Bremen durchgeführt (siehe Kapitel 6. 1). Entsprechend der Fra- gestellung wurden zwei unterschiedliche Einrichtungen ausgewählt. Eine der Ein- richtungen ist nach dem Hausgemeinschaftsprinzip entsprechend der vierten Gene- ration des Altenheimbaus konzipiert. Die zweite Einrichtung dient als Ver- gleichseinrichtung. Sie ist eine stationäre Pflegeeinrichtung, die nach der dritten Generation des Altenheimbaus gestaltet und konzeptionell ausgerichtet ist. Beide Einrichtungen belegen ihre Plätze nach den Integrationsprinzip: Es werden sowohl dementiell erkrankte als auch nicht dementiell erkrankte alte Menschen aufgenommen. In der klassischen stationären Einrichtung bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung ein teilsegregatives Gruppenangebot für eine kleine Bewohner- gruppe mit weit fortgeschrittener Demenz und ausgeprägten Verhaltensauffällig- keiten. Zum Untersuchungszeitpunkt nahm keiner der beobachteten Bewohner an diesem Gruppenangebot teil. Die Hausgemeinschaft (Einrichtung A) Ausgewählt wurde eine stationäre Pflegeeinrichtung mit insgesamt 62 Pflegeplät- zen, unterteilt in sechs Hausgemeinschaften auf drei Wohnebenen, die im Novem- ber 1999 fertiggestellt wurde. Die Einrichtung bildet gemeinsam mit 56 senioren- gerechten und behindertenfreundlichen Service-Mietwohnungen und einem reno- vierten ehemaligen Bauernhaus mit Küche und Restaurant das Stiftungsdorf Rablinghausen der Bremer Heimstiftung. Diese stationäre Einrichtung ist nach dem Hausgemeinschaftsprinzip ausgerichtet und wird vom Kuratorium Deutsche Al- tershilfe in der Dokumentation der BMG-Modellprojekte für „familienorientierte Wohnbereichspflege mit Hausgemeinschafts-Charakter im Rahmen von stationärer Langzeitpflege“ vorgestellt und empfohlen (Bundesministerium für Gesundheit, 2002). Neben der Ausrichtung des Konzeptes auf das Hausgemeinschaftsprinzip ist ein weiteres Ziel des Trägers, in dieser Einrichtung eine „Struktur des ambulanten Handelns in stationären Strukturen“ umzusetzen (Bundesministerium für Gesund- heit, 2002). Demzufolge wird die pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung nicht zentral durch die Einrichtung selbst, sondern durch zwei eigenständige Ko- operationspartner durchgeführt. Pro Ebene leben zehn bis elf Bewohner in einer Wohngemeinschaft. Die Einrich- tung verfügt über 58 Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer, ausgestattet mit Du- sche und WC. Die Einrichtung war zum Zeitpunkt der Untersuchung voll belegt. Die Abläufe werden dezentralisiert und den einzelnen Wohngruppen zugeordnet. Konzeptionell bildet eine Wohngruppe eine „Hilfsgemeinschaft“ nach dem „Nach- barschaftsprinzip“. Die Bewohner erhalten gezielte Unterstützung und Hilfestel- lung durch das Personal nur in den Bereichen, die sie nicht bzw. auch mit Unter- stützung ihrer Angehörigen nicht selbst bewältigen können. Im Mittelpunkt steht die Unterstützung bei der „Selbstorganisation ihrer Versorgung“. 92 Die Wohnküchen sind für jeweils zehn bis elf Bewohner zentraler Mittelpunkt ihres Wohnbereiches und dienen neben den mit Sitzecken ausgestatteten Fluren auch als Aufenthaltsraum. In den Wohnküchen werden sämtliche Mahlzeiten für die Bewohnergruppe hergestellt. Jede Wohnküche ist mit hauswirtschaftlichen Mitarbeitern besetzt, die dieser Küche fest zugeordnet sind. Diese Mitarbeiter wer- den als „Präsenzkräfte“ oder „Managerin des Alltags“ bezeichnet. Ihre Aufgabe besteht darin, die Bewohner entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten in die Organisation des hauswirtschaftlichen Alltags (Waschen, Bügeln, Reinigung) mit einzubeziehen. Sie unterstützen den Bewohner in der Durchführung der anfallenden hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und sind ständiger Ansprechpartner. Die Wohnküchen sind in der Zeit von 7.30 bis 20.00 Uhr durch die Präsenzkräfte besetzt. Die Qualifikation der Präsenzkräfte besteht in der Fähigkeit, einen Haushalt kom- petent organisieren und führen zu können, sowie in Erfahrungen in der Betreuung von alten Menschen und Menschen mit Demenz. Im Untersuchungszeitraum wurde erstmalig eine spezielle Fortbildungsreihe vom Träger der Einrichtung für die Prä- senzkräfte in den Wohnküchen angeboten. Die pflegerische Versorgung wird von einem ambulanten Dienst in der gesamten Einrichtung durchgeführt. Die Besetzung besteht zu 50 Prozent aus Pflegefachkräf- ten und Pflegehilfskräften mit zum Teil sechswöchigen pflegerischen Grundkursen. Keiner der Mitarbeiter in der Pflege war zum Untersuchungszeitraum in spezieller gerontopsychiatrischer Pflege ausgebildet. Die Vergleichseinrichtung (Einrichtung B) Als Vergleichseinrichtung wurde eine Einrichtung mit großen stationären Pflegebe- reichen ausgewählt. Die Einrichtung verfügt über vier Pflegestationen mit insge- samt 100 Bewohnern und bildet mit einem Wohnbereich mit 64 Wohnappartments für rüstige Senioren das Stiftungsdorf Kattenesch der Bremer Heimstiftung. Das Haus wurde 1975 gebaut. Die Bewohner leben in dieser Einrichtung überwiegend in Doppelzimmern, ausgestattet mit Dusche und WC. Beide Stationen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung voll belegt. Auf Station drei gab es 14 Einzelzimmer und zehn Doppelzimmer, auf der Station vier 20 Einzelzimmer und sieben Doppel- zimmer. Für die Untersuchung wurden die beiden Pflegestationen drei und vier mit jeweils 33 Bewohnern ausgewählt, um eine Vergleichbarkeit der Bewohnergesamtanzahl herzustellen. Die konzeptionelle Ausrichtung der Einrichtung orientiert sich an der klassischen Pflegeorganisation nach dem AEDL-Konzept nach Krohwinkel (Krohwinkel, 1993). Die Pflege auf den Stationen wurde überwiegend von Pflege- kräften durchgeführt. Eine Unterstützung durch Hauswirtschaftskräfte fand nur punktuell zur Vorbereitung der Mahlzeiten statt. Die Reinigungsarbeiten sowie die Wäscheversorgung wurden von externen Firmen ebenfalls zentral durchgeführt. Das Haus verfügt über eine Zentralküche, in der für alle Bewohner gekocht wird. Die Verteilung der Mahlzeiten und die mundgerechte Zubereitung zum Beispiel von Broten wird in der kleinen offenen Verteilerküche auf der Station vorgenom- men. Die Bewohner der Pflegestationen nehmen ihre Mahlzeiten in einem großen, offenen Raum auf der Bereichsebene ein. Der Speisebereich dient gleichzeitig als Aufenthaltsraum für die Bewohner und deren Besucher und ist die einzige Zu- 93 gangsmöglichkeit für die Bewohner und Besucher zu der Station. Weitere Aufent- haltsmöglichkeiten sind ein kleiner Fernsehraum auf der Ebene, weitere Räumlich- keiten für Gruppenbeschäftigungen auf anderen Ebenen und der zentrale Speisaal für rüstige Bewohner. An den Mahlzeiten im Speisesaal nehmen die Bewohner aus der gesamten Einrichtung und der näheren Umgebung teil. Die Tageszeiten für die Speisenversorgung sind vorgegeben, individuelle Wünsche können berücksichtigt werden. Alle anderen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, wie zum Beispiel Reini- gung der Räumlichkeiten und Wäscheversorgung, werden über zentrale Dienste durchgeführt. Zur Beschäftigung der Bewohner wurden im Untersuchungszeitraum Gruppen- stunden durch eine Sozialdienstmitarbeiterin in den Speiseräumen auf den Statio- nen angeboten. Von den wöchentlich geplanten zwei Stunden (Dienstags und Don- nerstags) fielen die meisten aus. Dies wurde per Aushang mit Urlaub beziehungs- weise Erkrankung der Sozialdienstmitarbeiterin begründet. Darüber hinaus wurde die wöchentliche Teilnahme an einem ökumenischen Gottesdienst angeboten. Die Mitarbeiterbesetzung bestand im Untersuchungszeitraum jeweils zu 50 Prozent aus Pflegefach- und Pflegehilfskräften. Die Pflegehilfskräfte besaßen eine pflegeri- sche Grundausbildung im Umfang von vier bis sechs Wochen-Lehrgängen. Keiner der Mitarbeiter war in spezieller gerontopsychiatrischer Pflege ausgebildet. Die Personalstärke war im Tagesverlauf unterschiedlich und durch die Schichtdienst- zeiten vorgegeben. Die Frühschicht begann um 6.30 Uhr und endete um 14.00 Uhr, die Spätschicht von 13.00 bis 21.30 Uhr. Die durchschnittliche Besetzung betrug in der Frühschicht vier Mitarbeiter und in der Spätschicht drei Mitarbeiter. Einer der anwesenden Mitarbeiter war immer eine Pflegefachkraft mit dreijähriger Ausbil- dung. Auswahl der untersuchten Personen Im Untersuchungszeitraum von Mitte 2002 bis Mitte 2004 wurden die Probanden in der Reihenfolge, in der sie in die Einrichtungen eingezogen sind, aufgesucht. Der Einzugszeitraum war abhängig von dem vorherigen Auszug (Versterben) der bisherigen Bewohner. Es handelte sich um eine ad-hoc Stichprobe. Die Aufnahme der Bewohner in den beiden Einrichtungen war von der Position auf der Warteliste abhängig. Besondere allgemeine Aufnahmekriterien für Bewohner, wie zum Beispiel besondere Fertigkeiten und Fähigkeiten, die über den Nachweis der Heimbedürftigkeit (festgestellt nach einheitlichen Vorgaben durch den MDK nach Pflegeversicherungsgesetz) bestanden in den beiden untersuchten Einrichtun- gen nicht. Um eine möglichst hohe Ähnlichkeit beider Gruppen und damit zu einer höheren Aussagekraft der Ergebnisse zu kommen, wurden aus dem Kreis der neu eingezo- genen Bewohner je 20 Personen für die Untersuchung nach verschiedenen Krite- rien ausgewählt. 94 Die Auswahlkriterien: - Alter - Vorliegen einer ärztlich ermittelten Diagnose Demenz (leicht bis mittelschwer) - Einschränkungen im kognitiven, affektiven Bereich, in Verhalten, Sprache, Sehvermögen und Gehör - Pflegebedarf - Einverständnis der Betroffenen (soweit möglich von den Bewohnern selbst eingeholt) und/oder Einverständnis der Betreuer und Angehörigen. Ausschlusskriterien waren die Bettlägerigkeit der Bewohner (DCM wird nur in öffentlichen Räumen angewendet), eine Parkinsonsche Erkrankung (die Erkran- kung geht einher mit multisensorischen Behinderungen, Lähmungen und psychiat- rischen Erkrankungen, die die Mimik beeinträchtigen können), eine ablehnende Haltung der Betroffenen sowie das Vorliegen einer schweren Demenz. Daten von Probanden, die zwischen den beiden Untersuchungsterminen verstorben sind, wurden in die Analyse nicht einbezogen. 6.2. Beschreibung der Untersuchungsinstrumente Im Folgenden werden die zur Anwendung kommenden Instrumente beschrieben, deren Validität und Reliabilität kritisch reflektiert und notwendig Maßnahmen zur Erhöhung der Validität und Reliabilität abgeleitet. 6.2.1. Das Verfahren „Plaisir“ Das Verfahren „Plaisir“ (Planification Informatisée des Soins Infirmers Requis en milieux des soins prolongés) wird zur informationsgestützten Planung der erfor- derlichen Pflege in Einrichtungen der Langzeitpflege eingesetzt. Ursprünge und Anwendungsbereiche Das Instrument wurde 1983/84 in Kanada von der Firma EROS (Èquipe de Re- cherche Opérationnelle en Santé) unter der Leitung von Prof. Charles Tilquin ent- wickelt und von dort ausgehend in verschiedenen Ländern, wie in einzelnen Kan- tonen (Waadt, Jura, Neuenburg und Genf) der Schweiz, Spanien, Italien, Luxem- burg und Belgien zur Ermittlung der quantitativen und qualitativen Pflegebedarfe eingeführt. Grundlage des Verfahrens sind Erfahrungen bei der Entwicklung der Systeme CTMSP (zur Erfassung in der ambulanten Pflege) und eines weiteren Instrumentes (PRN) zur Erfassung des täglichen Pflegeaufwandes in Krankenhäu- sern (Gennrich, 2002, 275). Mit Hilfe des Verfahrens werden die individuell erfor- derlichen Pflegebedarfe der Pflegeheimbewohner ermittelt. Es lässt gesicherte Aussagen in verschiedenen Verwertungszusammenhängen sowohl über einzelne Personen, über Gruppen als auch über Einrichtungen beziehungsweise Regionen zu. Plaisir ermöglicht Querschnitt- und Längsschnittanalysen. Bestandteile des Verfahrens sind der Fragebogen (FRAN= Formulaire de Relevè des Actions Nursing), mit dem die einzelnen Bewohnerdaten mittels eingehend 95 geschulten Fachkräften (Evaluierer) erfasst werden, die Dateneingabe und Über- prüfungsmethode, die Plausibilitätsprüfung mittels Desk-Review durch ausgebilde- te Validierer (spezielle von EROS ausgebildete Fachkräfte, die die Gültigkeit der Angaben im FRAN überprüfen), die Datenverarbeitung und die Ergebnisse (OUT- PUTs und AUDITs). Grundlage für die Ausbildung der Evaluierer und der Validie- rer, Erfassung, Überprüfung und Auswertung der Daten bilden ausführliche Erläu- terungen im Handbuch und in der Nomenklatur von Plaisir (KDA GmbH, 2003). Plaisir ist ein dreidimensionales Verfahren, mit dem zwei Arten von Merkmalen der Bewohner erfasst werden. Dies sind das individuelle bio-psycho-soziale Profil und die erforderlichen Pflege- und Unterstützungsleistungen. Das bio-psycho- soziale Profil beinhaltet die Darstellung des Gesundheitszustandes des Bewohners in Bezug auf Erkrankungen, Schädigungen, Probleme, Kompensationen und Beein- trächtigungen. Neben den somatischen Problemen werden ebenfalls kognitive und psychische Einschränkungen und Erkrankungen erfasst. Zur Ermittlung des bio-psycho-sozialen Profils werden zirka 180 Merkmale bezie- hungsweise Merkmalskombinationen erfasst. Grundlage der Merkmalserfassung bilden anerkannte Kategorien wie zum Beispiel das ICD 9 (International Classifi- cation of Diseases, 9. Fassung). Aufbauend auf der Ermittlung des bio-psycho- sozialen Profils werden in einem zweiten Schritt die notwendigen Unterstützungs- leistungen und notwendigen Hilfestellungen erfasst. In einem dritten Schritt wer- den die erforderlichen Ressourcen zur Erbringung der Leistungen ermittelt. Das Besondere an diesem Verfahren ist die Erfassung der Bedürfnisse des Bewohners ohne eine Bewertung der tatsächlichen Pflege- und Betreuungssituation in der Ein- richtung. Erfasst wird ausschließlich der individuell erforderliche Pflegebedarf der Bewohner. Auf Anregung des Kuratorium Deutsche Altershilfe wurde das Verfahren erstmalig in Deutschland 1998/99 in mehreren Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt unter wissenschaftlicher Begleitung eingesetzt (KDA, 2000). Inzwischen wurde in ver- schiedenen Bundesländern (Bremen, Landkreis Bad Segeberg und Hamburg) mit diesem Verfahren gearbeitet. Im Rahmen eines Modellprojektes wurde über zwei Jahre lang die Anwendbarkeit des Verfahrens auf deutsche Verhältnisse überprüft sowie dessen Validität bestätigt (KDA GmbH, 2003). Vorgehensweise in der Ermittlung der Werte Ein ausgebildeter Evaluator sammelt anhand der Pflegedokumentation und in per- sönlichen Gesprächen mit Mitarbeitern und den zu erfassenden Bewohnern Daten über Einschränkungen, Krankheitsbilder und notwendige Unterstützungsleistun- gen. Grundlage der Datenerfassung ist ein standardisierter Fragebogen (FRAN, siehe Anhang); auf ihm werden die eingetragenen Werte fixiert. Als erstes wird das bio-psycho-soziale Profil des Bewohners erstellt. Als Grundlage dienen 180 Merkmale bzw. Merkmalskombinationen (die vollständige Liste befindet sich im Anhang). Zusätzlich zu den genannten Merkmalen können erläuternde Informatio- nen zu einem bestimmten Zustand oder besonderen Verhaltensweisen erfasst wer- den. Diese Zusatzinformationen beziehen sich auf psychische und kognitive Funk- tionen, Möglichkeiten der Aufrechterhaltung von Beschäftigung und sozialen Be- ziehungen, Besonderheiten in der Betreuung, wie zum Beispiel die Anleitung und Beaufsichtigung, sowie spezielle Pflegeaktionen wie zum Beispiel individuell un- terstützende Kommunikation bei kognitiven Defiziten oder Unterstützung in der 96 Beziehung zu Angehörigen. Damit werden auch die Besonderheiten dementiell erkrankter Bewohner erfasst. Nach der Ermittlung der Daten für das Bewohnerpro- fil werden anhand von 175 Pflegeaktionen die für den Bewohner erforderlichen Pflegeleistungen ermittelt. Diese Pflegeleistungen müssen sich aus dem Zustand und den Bedürfnissen des Bewohners ableiten lassen. Die Abfrage zu den Pflegeaktionen bezieht sich auf folgende Bereiche (entnommen aus Kieschnick / Berthou, 2004, 93): - Atmung - Essen und Trinken können - Ausscheiden können - Sich pflegen/sich kleiden können - Sich bewegen können - Kommunikation - Verabreichung von Arzneimitteln - Infusionstherapie - Behandlungen - Diagnostische Maßnahmen Die Plausibilität der Angaben wird im Rahmen des Desk-Reviews überprüft. Er- fasst werden die Hilfeformen wie Unterstützung, teilweise Übernahme, vollständi- ge Übernahme, Anleitung und Beaufsichtigung bei der Durchführung der Aktivitä- ten des täglichen Lebens (Kieschnick/Berthou, 2004, 94). Sie bilden die Grundlage für die Errechnung der notwendigen Ressourcen. Die Daten werden für einen bestimmten und festgelegten Beobachtungszeitraum von sieben Tagen (eine Woche) erfasst. Bei der Ermittlung der Pflegeaktionen können neben den standardisierten Fragebögen zusätzliche Notizen zur Beschrei- bung besonderer Aktionen genutzt werden. Ergebnisauswertung und -darstellung Ergebnisse, die zur Verfügung gestellt werden (entnommen aus KDA GmbH, 2003 21-22): - Längsschnittdaten (longitudinale OUTPUTs, zeitliche Entwicklungen) - Vergleichende Auswertungen (verschiedene Pflegebereiche, mehrere Hei- me, Gesamtheit) - Nicht vergleichende Auswertungen (z. B. Verteilung der Bewohner nach Beeinträchtigungsgrad) - Bewohnerbezogener OUTPUT (bio-psycho-soziales Profil, Pflegeleistun- gen, Pflegezeit) - Wohnbereichs- und einrichtungsbezogener OUTPUT - Einrichtungsbezogene Ergebnisse (AUDIT) In dieser Untersuchung werden die Bewohnerbezogenen und die Wohnbereichsbe- zogenen QUTPUTs verwendet. Validität und Reliabilität des Instruments Die wichtigste Basis für Validität und Reliabilität ist eine grundlegende Schulung und Unterweisung der Evaluierer. Die Anwenderschulungen für ausgebildete Pfle- gefachkräfte geschehen ausschließlich durch erfahrene Fachkräfte der Firma E- 97 ROS. Sie umfassen drei Tage Gruppenschulung in Seminarform und zwei Tage Einzelschulungen in den jeweiligen Pflegeeinrichtungen. Des Weiteren werden sie über mehrere Evaluationen hinweg supervidiert. Grundlage der Schulungen und der Anwendung in der Praxis ist ein umfassendes Handbuch sowie ein stark stan- dardisiertes Vorgehen anhand ankreuzbarer Fragebögen. Im Rahmen der Datenermittlung findet eine umfassende und verbindliche Überprü- fung der Plausibilität der Daten im Rahmen eines Desk-Review statt. In einem ersten Schritt werden die Daten per EDV erfasst und im Rahmen einer ersten Ko- härenzkontrolle überprüft. In einem zweiten Schritt findet eine systematische Prü- fung durch eine speziell geschulte Fachkraft statt. Sie achtet auf Lücken in den Angaben, sich wiedersprechende und unrealistische Angaben und stellt einen Ab- gleich zwischen bio-psychisch-sozialem Bewohnerprofil, den Besonderheiten und den angegebenen Pflegeaktionen her. Dieser intensive Überprüfungsaufwand trägt zu einer hohen Validität des Instrumentariums bei und stellt eine Ausnahme im Vergleich zu anderen Instrumentarien dar (KDA GmbH, 2003). Kritik an dem Verfahren Plaisir wurde in Bezug auf die Übertragbarkeit der in Kanada entwickelten Standards auf deutsche Verhältnisse, die stark auf somatische Beeinträchtigungen bezogene Ermittlung der Bedürfnisse und deshalb fragliche Anwendbarkeit auf dementiell erkrankte Bewohner sowie mangelnde Transparenz der Berechnungsgrundlagen von Pflegewissenschaftlern geäußert (Bartholomeyc- zik et al., 2002, 23). Diese Kritik wurde in einem großangelegten Projekt aufge- nommen und führte z. B. zur Überarbeitung des Handbuches und des Fragebogens in Bezug auf kognitive Beeinträchtigungen. Erste Forschungen zur Übertragung der Methode auf europäische Verhältnisse fand 1996 und 1998 in den schweizeri- schen Kantonen Bern und Freiburg, sowie in einer Einrichtung in Deutschland statt (Berthou 1999). Im Rahmen des Projektes zur Ermittlung eines validen und reliablen Instrumentes zur „Pflege- und Personalbedarfsermittlung in der vollstationären Pflege“ (PPvP) wurden bundesweit über zwei Jahre hinweg zirka 10 000 Evaluationen mit Plaisir erstellt. Nach Abschluss des Projektes sprach der Beirat zum Projekt eine Empfeh- lung an die zuständigen Bundesministerien für eine flächendeckende Einführung des Verfahrens Plaisir in Deutschland aus (KDA GmbH, 2003). Zur Einhaltung und Erhöhung der Validität und Reliabilität des Instruments wur- den die Evaluationen durch Mitarbeiter durchgeführt, die von der Firma EROS ausgebildet und geschult wurden und die umfangreiche Erfahrungen in der prakti- schen Anwendung der Methode besaßen. Die Daten wurden nach den vorgegebe- nen Kriterien von der Firma EROS überprüft, validiert und ausgewertet. Aufgrund der Empfehlung des Beirates, der Standardisierung des Instruments, der eingehenden Validitätsprüfungen und praktischen Erfahrungen in den zu untersu- chenden Einrichtungen wurde das Verfahren für die vorliegende Studie ausge- wählt. In dieser Studie dient das Plaisir zur Klärung der Frage, wie die Gestaltung des Settings mit Lebenszufriedenheit und Gesundheit (das Ausmaß an Pflegebedürftig- keit) zusammenhängen. 98 6.2.2. Das Verfahren „DCM“ Das „Dementia Care Mapping“ (DCM) wurde von Tom Kitwood und Kathleen Bredin an der Universität Bradford Ende der 80er-Jahre für die Evaluation der De- menzpflege entwickelt (Innes, 2004/Bradford Dementia Group, 1997). Ursprünge und Anwendungsbereiche Das DCM ist ein Beobachtungsverfahren, das speziell für Menschen mit Demenz entwickelt wurde und inzwischen internationale Anerkennung findet (Innes, 2004,15). Mit Hilfe des DCM wird die Umsetzung personenzentrierter Pflege in der stationären Versorgung beobachtet. Sie dient dem „Abbilden der Demenzpfle- ge“ (Innes, 2004,15). Mit dieser teilstandardisierten, teilnehmenden Beobachtung ist es möglich, das Verhalten der beobachteten Menschen und die Schwankungen des (Un-)Wohlbefindens, die Wirkungen pflegerischer Maßnahmen, die Zusam- menhänge zwischen der Personalbesetzung und räumlicher Ausstattung einer Pfle- geeinrichtung und dem Wohlbefinden ihrer Bewohner zu ermitteln und einzuschät- zen (Kuratorium Deutsche Altershilfe, 2000). Mit Hilfe des DCM wird die Perspektive der Betroffenen eingenommen, ihr Wohl- befinden ermittelt und in dieser Form von Daten dargestellt. Die Kombination aus quantitativen und qualitativen Daten macht das Besondere der Methode aus, ist aber zugleich auch Anlass für vielfältige Kritik an der Validität und Reliabilität. Die Daten werden über einen längeren Zeitraum gesammelt und bilden die Aktivi- täten, die pflegerischen Maßnahmen und das Wohlfühlen der Betroffenen ab. Die Ergebnisse der Beobachtungen können als Grundlage für notwendige Veränderun- gen des Pflege- und Betreuungsangebotes oder auch des Umgangs mit den Betrof- fenen herangezogen werden. Weiterhin kann mit Hilfe des DCM beobachtet wer- den, ob das gewünschte Ergebnis, eine Steigerung des Wohlfühlens, auch tatsäch- lich eingetreten ist. In diesem Zusammenhang kann das DCM zur Beobachtung in Pflege-Settings he- rangezogen werden. Innes (2004, 15-16) schreibt dazu: „Die DCM-Beobachterinnen gewinnen detaillierte Informationen über das Pflege- Setting als Ganzes sowie über jede darin lebende Person mit Demenz. Zwar ist der eingehende Beobachtungsprozess zeitaufwändig und kann infolge seiner Konzepti- on nur in öffentlichen Bereichen ablaufen, er sagt uns jedoch viel darüber, wie die Person mit Demenz die Pflege in formellen Pflege-Settings erlebt, da das Pflege- Setting so gründlich wie möglich aus der Sicht des einzelnen Pflegeempfängers bzw. der einzelnen Pflegeempfängerin evaluiert wird.“ Für Innes besteht in der Betonung des Erlebens der dementiell Erkrankten die be- sondere Innovation des DCM. Insbesondere, da Menschen mit Demenz verbal nur bedingt zuverlässige Auskunft über ihre Situation geben können und andere geeig- nete und evaluierte methodische Alternativen fehlen. Dieser Ansicht schließt sich auch das KDA an. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe sieht im DCM das Beste derzeitig verfügbare Instrumentarium zur Steigerung der Lebensqualität demenziell erkrankter alter Menschen (Niebuhr, 2004, 3). 99 Vorgehensweise in der Ermittlung der Werte Ein in spezieller Psychometrik ausgebildeter Beobachter (Mapper) beobachtet über mehrere Stunden (empfohlen werden mindestens sechs Stunden) Bewohner in öf- fentlichen Räumen. Bewohnerzimmer, Toiletten und andere Privaträume sind zur Wahrung der Intimsphäre der Bewohner von der Beobachtung ausgeschlossen. Der Beobachter hält sich unauffällig zum Beispiel im Wohngruppenraum auf und ach- tet auf das Verhalten, auf Zeichen des Wohlbefindens oder Unwohlseins der Be- wohner. Zeichen des Wohlbefindens sind zum Beispiel ein zufriedener Ge- sichtsausdruck, ein Lächeln. Zeichen des Unwohlseins können zum Beispiel Unbe- hagen, Unruhe oder aggressives Verhalten sein. Zur Aufzeichnung der beobachteten Informationen werden insgesamt vier Kodie- rungsrahmen verwendet (Innes, 2004, 16-17): 1. Das Verhalten wird in 24 Verhaltenskategorien unterteilt und mit einem Buch- staben des Alphabetes gekennzeichnet. Da die Verhaltenskategorien nicht trenn- scharf voneinander zu unterscheiden sind, werden die jeweils dominierenden Ver- haltensformen, die vermutlich für den Bewohner im Vordergrund stehen, aufge- zeichnet. Es werden Verhaltenskategorien, die als personseinfördernd und person- seinuntergrabend gesehen werden, unterschieden. Als personseinfördernd gelten die Kategorien A, E, F, G, H, I, J, L, M, O, P, R, S, T und X. Personseinuntergra- bende Kategorien sind B, C, D, U, W und Y. Die vollständige Beschreibung der Verhaltenskategorien befindet sich im Anhang. Die Verhaltenskategorien werden einer qualitativen Hierarchie zugeordnet und entsprechend ihres zeitlichem Umfangs während der Kodierungsphase erfasst. Treten innerhalb des fünfminütigen Kodierungszeitraums verschiedene Kategorien auf, so ist nach bestimmten Regeln nur eine Kategorie zu erfassen. 2. Auf einem Rohdatensammelblatt (siehe Anlage) werden für den einzelnen Be- wohner die Verhaltensformen und ihnen zugeordnete Wohlbefindlichkeitswerte im fünfminütigen Rhythmus eingetragen (WIB-Werte). Die Wohlbefindlichkeitswerte bestehen aus einer sechsstufigen Skala (-5; -3; -1; +1; +3; +5). Der Wert +5 bedeu- tet außerordentliches Wohlbefinden; +3 erhebliche Anzeichen des Wohlergehens; +1 für mäßiges Wohlergehen ohne Zeichen des Unwohlseins. Der Wert –5 dagegen bedeutet erhebliche Zustände von Apathie, Rückzug oder Trauer und anhaltende Vernachlässigung für mehr als eine Stunde. Der Wert –3 wird vergeben bei be- trächtlichen Anzeichen von Unwohlsein, anhaltendes Abstürzen in Apathie und Rückzug, sowie anhaltende Vernachlässigung über eine halbe Stunde. Mit –1 wird kodiert, wenn ein leichtes Unwohlsein sichtbar ist, zum Beispiel bei Langeweile oder Frustration (Bradford Dementia Group, 1997). Bei einer Beobachtung von einer Stunde werden auf diese Weise zwölf Werte des Wohlbefindens und zwölf Verhaltenskategorien erfasst, bei einer Beobachtungszeit von sechs Stunden insge- samt je 72 Verhaltensbeobachtungen. 3. Negative Momente, in denen die Bewohner eine Form der Erniedrigung oder Herabwürdigung erfahren, werden ebenfalls kodiert und nach Schweregraden un- terteilt erfasst. Hierzu sind 17 Kategorien vorgegeben, die aus der malignen Sozi- alpsychologie von Kitwood entwickelt wurden. Sie werden als „personale Detrak- 100 tionen“ bezeichnet. Dies sind zum Beispiel Einschüchtern, Verspotten oder Zwin- gen (eine Auflistung der 17 personalen Detraktionen befindet sich im Anhang). 4. Ebenfalls aufgezeichnet werden positive Ereignisse, die während der Beobach- tungszeit auffallen und zu einem Wohlergehen der Bewohner beitragen. Dies ge- schieht in wenig strukturierter Form eines „positiven Ereignisberichts“. Beispiele für personseinfördernde Ereignisse sind besonders wertschätzende, liebevolle Um- gangsweisen von Mitarbeitern aber auch Tanz und Musik, die angenehme Erinnerungen wecken. Ergebnisauswertung und -darstellung Die ermittelten Daten werden nach vorgegebenen Regeln (zum Beispiel haben aktive Verhaltensweisen Vorrang vor passiven) analysiert und zu Wohlbefindlich- keitsprofilen und Verhaltensprofilen aufgearbeitet. Daraus werden ein Wohlfühl- faktor errechnet und differenzierte Profile der Bewohner gezeichnet. Mit Hilfe des DCM kann ein umfassendes Gesamtbild der Pflege- und Betreuungssituation de- mentiell Erkrankter in einer Einrichtung erstellt werden. Mit Hilfe des DCM können: - die Wirkungen pflegerischer Maßnahmen auf die Betroffenen eingeschätzt werden - die Veränderungen im Verhalten der Betroffenen beobachtet werden - das relative Wohlbefinden dementiell Erkrankter ermittelt und abgebildet wer- den - die Aktivitäten und deren Wirkung auf das Wohlbefinden über den Zeitraum der Beobachtung dargestellt werden - der Pflegeprozess und seine Ergebnisse evaluiert werden - Momente ermittelt werden, in denen Bewohner eine Erniedrigung erfahren - Situationen und Aktionen dargestellt werden, in denen das Wohlbefinden einer dementiell erkrankten Person gestärkt wird. Validität und Reliabilität des Instrumentariums „Die Validität gibt an, ob ein Test das misst, was er messen soll, beziehungsweise was er zu messen vorgibt (d. h. ein Intelligenztest sollte tatsächlich Intelligenz messen und nicht z. B. die Testangst).“ (Bortz/Döring, 2002, 199) Die Validität und Reliabilität des DCM ist umstritten (Woods/Lintern, 2004). Die Schwierigkeit beziehungsweise die Herausforderung besteht darin, das Wohlbefin- den von Menschen einzuschätzen, die sich hierzu nicht verlässlich äußern können. Die Beobachter arbeiten im Rahmen des DCM mit der Methode des „in die Schuhe schlüpfen“ (Müller-Hergl, 2004, 119), zur Beschreibung von Tätigkeiten und Wohlbefinden eines dementiell erkrankten alten Menschen. Die dabei notwendige Empathie und Intuition beeinflussen die Objektivität und Wiederholbarkeit der Ergebnisse. Des Weiteren wird durch die Beobachtung eine künstliche Situation geschaffen, die die Ergebnisse auf die Mitarbeiter und die Bewohner bezogen be- einflussen können. „Es entsteht somit die Notwendigkeit, durch Beobachten Wohlbefinden, Affekte, Vorlieben und Abneigungen zu >übersetzen< oder zu >rekonstruieren<, anhand des von Behinderung und Institutionalisierung bereits überformten Ausdrucks, der Körpersprache, der Interaktionsweisen sowie der Tätigkeiten und Aktivitäten. 101 Es handelt sich demnach um nachempfundenes, eingefühltes Wohlempfinden einer Person mit Demenz durch einen beobachtenden Dritten.“ (Müller-Hergl, 2004, 118) Diese Einschränkungen müssen in die Interpretation der Ergebnisse einfließen und zu einer kritischen Würdigung führen. Dies insbesondere, da das DCM nicht pri- mär als Forschungsinstrument entwickelt wurde. Es wurde in den 90er Jahren zu- nächst aus Mangel an anderen validen Instrumenten zur Ergebnismessung einge- setzt. Zur Reliabilität und Validität des Beobachtungsinstruments liegen deshalb bisher nur wenige Untersuchungen vor. In einer Literaturanalyse der bisherigen Forschungen im Rahmen einer Bachelorarbeit kommt Rüsing (2001) zu dem Schluss, dass es dringend notwendig ist, weitere Studien durchzuführen, da die bisherigen Studien im Umfang und in der Durchführung nicht für fundierte Aussa- gen ausreichen. Erst seit 2002 werden eine Reihe von Forschungsarbeiten zur Validität und Relia- bilität durchgeführt (Brooker, 2004). In ihrer Analyse der Qualitätsmessinstrumen- te in der Begleitung und Pflege dementiell erkrankter Menschen verweist Coester (2004, 66) auf eine im Jahr 2002 von Fossey, Lee und Ballard durchgeführte psy- chometrische Teststudie: Die Ergebnisse belegen eine Übereinstimmung des relati- ven Wohlbefindens und der WIB-Werte, weniger hohe Korrelationen gab es dage- gen bei den Verhaltenskategorien. Zur Validität konnte ein starker Zusammenhang zwischen Wohl beziehungsweise Unwohlbefinden und der Lebensqualität festge- stellt werden. Diese Werte korrelierten stark mit der Lebensqualitätsskala (Blau- Scale). Eine Übersicht zu den vorhandenen Ergebnissen von Forschungsstudien zur Vali- dität des DCM liegt von Woods und Lintern (2004) vor. Die Autoren berichten über positive Ergebnisse in Bezug auf die Konkurrenz-Validität, den Augenschein und die Inhaltsvalidität. In Bezug auf die Einschätzung des Wohlbefindens und die Qualität der Pflege von Menschen mit Demenz sehen sie allerdings weiteren drin- genden Forschungsbedarf. Dieser Forschungsbedarf bezieht sich zum Beispiel auf einen Vergleich der DCM-Indizes mit anderen Umgebungsmessgrößen und in ei- ner größeren Anzahl von Pflegesettings mit unterschiedlichen Pflege- und Versor- gungsqualitäten. Trotz der Kritik an der ungenügenden Forschungslage zur Validi- tät des Instruments stellt das DCM für Woods und Lintern (2004, 45) den derzeiti- gen „Goldstandard“ für die Einschätzung des Wohlbefindens dementiell Erkrankter dar. Einen wesentlichen Beleg sehen sie in der weltweiten Anwendung des Verfah- rens verbunden mit positiven Erfahrungen in der Praxis, die unter anderem auch von Innes (2004) beschrieben werden. Da in der Untersuchung Veränderungen über einen Zeitraum betrachtet und Ver- gleiche zu anderen Pflegeumfeldern gezogen werden sollen, ist die Retest- Reliabilität des Instruments von Bedeutung. Die Retest-Reliabilität ist wichtig, da das Ausmaß der Übereinstimmung in derselben Umgebung im Abstand von eini- gen Tagen oder Wochen (innerhalb eines Zeitrahmens, in dem bedeutsame Verän- derungen des Umfeldes, beziehungsweise des Bewohners nicht zu erwarten sind) überprüft wird. Die Retest-Reliabilität ist relevant für zeitübergreifende Vergleiche zwischen verschiedenen Settings. „Erhielte man unterschiedliche Resultate, wenn das Abbilden ein paar Tage später durchgeführt würde, so kann den über einen längeren Zeitraum beobachteten Ver- änderungen oder der Tatsache, dass ein Pflegeheim einen höheren Demenzpflege- 102 index hat als ein anderes, nur geringe Bedeutung zugemessen werden.“ (Woods/Lintern, 2004, 39) In der Demenzpflege können zum Beispiel unterschiedliche Mitarbeiter einen we- sentlichen Einfluss auf die Ergebnisse des Mappings haben. Zum DCM sind keine Berichte über die Retest-Reliabilität zu finden (Woods/Lintern, 2004, 41). Woods und Lintern (2004, 41) haben in ihrer Untersuchung verschiedener For- schungsstudien einige Belege zur Interrater-Reliabilität des Instruments gefunden, halten aber die gegenwärtige Nachweisbasis insgesamt betrachtet für nicht ausrei- chend. Gleichwohl entwickeln sie aus den Ergebnissen der Forschungsanalysen wichtige Voraussetzungen für eine Erhöhung der Reliabilität. Dies sind eine weit- gehend eindeutige Definition (ergänzt durch Beispiele) und Abgrenzung der Ver- haltensweisen von ähnlichen Verhaltensweisen, eine Reduktion der hohen Anzahl an Verhaltenskategorien und der bis jetzt 17 personalen Detraktionen. Des Weite- ren erschweren verschiedene Regeln, die bei der Kategorisierung einzuhalten sind, eine Übereinstimmung der Einschätzungen verschiedener Mapper. Eine Reduzie- rung und damit Vereinfachung der Kategorien ist aus dieser Sicht wünschenswert, aber zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht umgesetzt worden. Die Untersu- chung wurde auf der Grundlage der siebten Auflage des Manuals durchgeführt. Aus der Komplexität der Methode werden weitere Reliabilität erhöhende Voraus- setzungen deutlich. Dies sind gut ausgebildete Beobachter, die regelmäßig Reliabi- litätsprüfungen durchführen und eine möglichst breite Praxiserfahrung in der An- wendung der Methode besitzen. Weitere Aspekte sind eine kleine Anzahl zu beo- bachtender Personen, da eine Gruppe von fünf bis zehn Bewohnern (wie im siebten Manual vorgeschlagen) mit hoher Aktivität nur unbefriedigend zu beobachten sind; ein einheitlicher beziehungsweise gleicher Blickwinkel auf das Geschehen und das Vermeiden von Ermüdungserscheinungen bei Beobachtungsperioden über mehrere Stunden. Entsprechend den Forderungen an eine Erhöhung der Reliabilität und Validität wurden in der vorliegenden Untersuchung die Untersucherinnen in zwei Lehrgän- gen zu advanced user theoretisch ausgebildet. Im Anschluss an die Grundausbil- dung im basic user und begleitend zu dem Aufbaulehrgang zum advanced user führten die Beobachterinnen 20 bis 30 DCM-Übungsmappings durch. Einige dieser Beobachtungen wurden von einem externen erfahrenen DCM-Beobachter evaluiert und begleitet. Des Weiteren wurden mehrere gemeinsame Mappings durchgeführt um eine möglichst große Übereinstimmung in den Beobachtungen zu erzielen. Deshalb untersuchte ein Beobachter jeweils nur einen Bewohner. Da immer in den gleichen Räumlichkeiten beobachtet wurde, nahmen die Mapper immer einen be- stimmten Beobachtungsplatz ein, der die gleiche Sicht auf die zu beobachtenden Bewohner zuließ, ohne aufdringlich zu wirken. Der gesamte Beobachtungszeit- raum von 8.00 bis 16.00 Uhr wurde durch mehrere kleinere Pausen und eine größe- re Mittagspause unterbrochen, die zur Erholung der Beobachter dienten. Die Pau- sen ergaben sich aus dem Rückzug des Bewohners aus den öffentlichen Räumen in private Räume, zum Beispiel zum Mittagsschlaf. Nach den Mappings fand ein direkter Austausch über die Empfindungen und Wahrnehmungen im Zusammen- hang mit der gesamten Beobachtungssituation statt. Diese wurden als zusätzliche Informationen in den Feldnotizen dokumentiert. Aufgrund der weltweiten Anwendung des Verfahrens, positive eigene praktische Erfahrungen der Untersucherin sowie der Empfehlung des DCM als „Goldstan- 103 dard“ wurde das Instrument für diese Studie ausgewählt (Woods und Lintern, 2004, 45). Die Beobachtungen im Rahmen des DCM dienen der Klärung der Fra- gen, welchen Einfluss das Setting auf die Interaktion und Kommunikation mit dem Bewohner hat und inwiefern eine anregungsreiche Gestaltung der Altenpflegehei- me zu positiven Erfolgserlebnissen, sensorischen Erfahrungen beitragen und sozia- le Zuwendung ermöglichen kann. 6.2.3. Die Mitarbeiterbefragung Die Mitarbeiterbefragung wurde von der Autorin dieser Studie selbst erstellt. Wie bereits erläutert, scheint das Wohlbefinden der dementiell erkrankten Heimbewoh- ner von der Erhaltung der Selbsthilfefähigkeiten, der Aufrechterhaltung der All- tagsgewohnheiten und sozialer Bezüge sowie der Interaktion und Kommunikation abhängig zu sein. Zu diesen Aspekten wurde ein standardisierter Fragebogen zur schriftlichen Befragung der Mitarbeiter enwickelt. Mit der vollständig strukturier- ten, schriftlichen Befragungsform sollte eine weitgehende Objektivität erreicht und steuernde Einflüsse durch Interviewer vermieden werden (Bortz/Döring, 2002). Der Fragebogen enthält geschlossene Fragen für die erste Befragung (T1). In der zweiten Befragung (T2) wurde eine offene Frage ohne Antwortvorgabe zur Ver- laufsbeurteilung hinzugenommen. Insgesamt wurden sechs Items abgefragt, die sich auf die zu untersuchenden Merkmale beziehen (der Fragebogen befindet sich im Anhang): - Subjektives Wohlbefinden - Selbsthilfefähigkeiten - Aufrechterhaltung der Alltagsgewohnheiten - Interaktion und Kommunikation - Soziale Bezüge - Beteiligungsmöglichkeiten von Externen Die Beantwortung wurde in Form einer Ratingskala mit vier möglichen Antwort- vorgaben vorgenommen. Praktische Vorgehensweise: T1: Ein mit der Aufnahme, Pflege und Betreuung des Bewohners betraute Pflege- fachkraft füllt nach Absprache mit dem Mitarbeiterteam den Fragebogen am achten bis zehnten Tag nach der Heimaufnahme aus und leitet ihn an die Untersucherin weiter. T2: Die gleichen Mitarbeiter füllen nach Ablauf von vier, spätestens nach sechs Monaten den Fragebogen für die zweite Befragung aus und leiten ihn zur Auswer- tung weiter. 6.2.4. Die Angehörigenbefragung Mit Hilfe der Befragung soll die Einschätzung der Angehörigen zum Wohlbefinden ihrer Verwandten ermittelt werden. Der Fragebogen ist mit dem unter Abschnitt 6.2.3 beschriebenen Fragebogen für die zweite Erfassung (T2) identisch (der Fra- gebogen befindet sich im Anhang). 104 Praktische Vorgehensweise: T2: Ein nahestehender Angehöriger wird von den Mitarbeitern nach vier, spätes- tens nach sechs Monaten Aufenthalt gebeten, einen vorgefertigten Fragebogen auszufüllen und ihn anonym an die Untersuchende (per Freiumschlag) weiterzulei- ten. 6.2.5. Feldnotizen Im Rahmen der Studie waren die Beobachter (Evaluiererinnen und Mapperinnen) insgesamt an zirka 120 Untersuchungstagen über eine längeren Zeitabschnitt (im Falle der DCM- Mappings von 8.00-16.00 Uhr) in den Einrichtungen. Sie konnten eine ganze Reihe von Beobachtungen vornehmen, die in Form von Feldnotizen schriftlich und in offener Form festgehalten wurden. Beobachtet wurden besondere Ereignisse, Verhaltensmuster sowie unausgesprochene Regeln und Gesetze im Zusammenleben, die über die unmittelbar zu beobachtenden Personen hinaus gin- gen. Mit Hilfe dieser Feldbeobachtungen konnte den Fragen nachgegangen werden, welchen Beitrag die Lebensweltgestaltung auf die Ausprägung von Begleitsym- ptomen hat sowie die Frage nach dem Einfluss der Aufrechterhaltung von alltägli- chen Gewohnheiten und Ritualen auf die Erhaltung einer weitgehenden Selbstän- digkeit und Lebenszufriedenheit dementiell erkrankter Heimbewohner. Des Weiteren wurden Feldnotizen zu möglichen Verbesserungspotentialen in Be- zug auf bauliche Gegebenheiten, Organisationsstruktur (zum Beispiel laute Geräu- sche durch Reinigungsgeräte oder Türenschlagen) zur Pflegekultur (zum Beispiel Tempo der Bewegung der Mitarbeiter auf der Station, die über die Bewohner hin- weg laut kommunizieren) und zur Esskultur (zum Beispiel Gestaltung der Mahlzei- tensituation) erstellt. 6.3. Untersuchungsverlauf Im Folgenden werden der zeitliche Verlauf der Untersuchung, Erfahrungen aus dem Probelauf und die Erfahrungen im Untersuchungsverlauf dargestellt. 6.3.1. Zeitlicher Verlauf der Untersuchung Nach einer ersten intensiven Abstimmung mit dem Träger wurden folgende Schrit- te vereinbart und durchgeführt: - Auswahl und Information der beteiligten Einrichtungen, deren Mitarbeiter, betroffene Bewohner und Heimbeiräte - Auswahl und Schulung der Mapper in DCM basic user und advance user - Auswahl der Plaisier-Evaluatorinnen - Probemapping mit DCM/Feststellen der Interraterreliabilität - Entwicklung und Erprobung der standardisierten Fragebögen 105 Die Information der betroffenen Bewohner, ihrer Betreuer und Angehörigen und das Einholen des Einverständnisses erfolgte unmittelbar vor den einzelnen Unter- suchungsphasen, da zwischen der ersten und letzten Phase bis zu zwei Jahre lagen. Da davon auszugehen war, dass die Einwilligung der Betroffenen vorab nicht die Einwilligung in der unmittelbaren Situation bedeutet, wurde noch einmal über das Mapping in angemessener Form informiert. Die DCM-Beobachter stellten sich jeweils zu Beginn des Mappings noch einmal den anwesenden Bewohnern und der zu beobachtenden Person vor und holten noch einmal ihr Einverständnis ein. Erst dann konnte mit dem Mapping begonnen werden beziehungsweise das Mapping vertagt oder sogar abgebrochen werden. Dies kam allerdings nicht vor. Die Untersuchung wurde zeitgleich in beiden Einrichtungen durchgeführt. Einzugsphase (nach 5-10 Tagen): - DCM Beobachtung über acht Stunden (jeweils von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr) - Plaisier Evaluation - Schriftliche, standardisierte Mitarbeiterfragebogen Verweilphase (nach 4-6 Monaten): - DCM Beobachtung über acht Stunden (jeweils von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr) - Plaisier Evaluation - Schriftliche, standardisierte Mitarbeiterfragebögen plus einer offenen Frage zum Verlauf - Schriftliche, standardisierte Angehörigenfragebögen plus einer offenen Frage zum Verlauf Tabelle Nr. 8: Untersuchungsverlauf 2002 2003 2004 2005 Schu lun- gen Prob elauf Infor ma- tion T 1: DCM / Plaisir / Mitarbeiterbe- fragung T 2: DCM / Plaisir / Mitarbeiter- und Angehörigenbefragung Auswertung Zeitschiene Untersuchungsphasen 106 6.3.2. Erfahrungen aus dem Probelauf Im Probelauf wurden die Fragestellungen der beiden Fragebögen (Mitarbeiter und Angehörige) und die Interraterreliabilität in Bezug auf die Erfassung der DCM- Daten erprobt. Die beiden Fragebögen wurden zwei ausgewählten Mitarbeitern und zwei Angehörigen in nicht in die Untersuchung einbezogenen Einrichtungen vor- gelegt und um Beantwortung gebeten. Aufgrund der Rückmeldungen wurden die Fragestellungen überarbeitet und präzisiert. Zur Erfassung der DCM-Daten wurden gleichzeitig von den drei ausgewählten Mappern über einen Zeitraum von zwei Stunden dreimalige Mappings bei drei Bewohnern in verschiedenen Einrichtungen vorgenommen. Das Ergebnis des ers- ten Mappings wurde durch einen geübten Trainer reflektiert und führte zu weiteren Probemappings und Absprachen in der konkreten Vorgehensweise. Es wurde miteinander vereinbart, dass immer vor dem Mapping die Mitarbeiter zu dem momentanen Gesundheitszustand des Bewohners und zu Besonderheiten der vorhergehenden Nacht befragt werden. Diese Informationen sollten auf den DCM- Beobachtungsbögen vermerkt werden und bei starken Abweichungen zur „norma- len“ Situation (zum Beispiel wenn der Bewohner nicht geschlafen hat oder extrem unruhig ist) zum Abbruch des Mappings führen. Ebenfalls sollte zum Mapping immer der gleiche Beobachtungswinkel gewählt werden, damit die Mimik und Gestik des zu Beobachtenden gut zu erkennen ist. Das Ergebnis des dritten Mappings führte zu einer Erhöhung des Konkordanzkoef- fizienten und damit zum Abschluss des Probelaufs. 6.3.3. Erfahrungen im Untersuchungsverlauf Im Vorfeld wurde gemeinsam mit den Mitarbeitern der untersuchten Einrichtungen überlegt, unter welchen Umständen die Ergebnisse nicht mehr vergleichbar sind und zu einem Abbruch der Untersuchung führen sollten. Es wurde vereinbart, dass zwischen Untersucherinnen und Mitarbeitern ein beständiger Austausch zu dern angegebenen Punkten stattfindet. Da sich die Untersuchung über einen längeren Zeitabschnitt hinzog, wurden unmittelbar vor jeder Beobachtung Informationen und das Einverständnis der Betroffenen eingeholt. Folgende Aspekte sollten zum Abbruch der Untersuchung führen, da eine Ver- gleichbarkeit der Ergebnisse nicht mehr gegeben erscheint: Methodische Einflüsse durch - Veränderung des Verhaltens bei den Bewohnern und den Mitarbeitern durch die Beobachtungssituation - Erschöpfung und/oder Voreingenommenheit der Beobachter - Veränderungen des Verhaltens und des Umgangs mit den Bewohnern aufgrund von Rückmeldungen aus der ersten Erfassung (T1) mit DCM. 107 Der Situation des Bewohners durch - zusätzliche Erkrankungen (physisch und psychisch) der Bewohner in dem Un- tersuchungszeitraum oder gravierender Verlauf einer bestehenden Erkrankung - Tod des Bewohners - Tod eines nahen Angehörigen - Schwere Erkrankung und/oder Probleme eines nahen Angehörigen - Umzug innerhalb oder aus der Einrichtung heraus. Organisatorische und strukturelle Veränderungen in den untersuchten Einrichtun- gen durch - Veränderungen des Betreuungs- und Pflegekonzeptes im Untersuchungszeit- raum - Umbaumaßnahmen in den untersuchten Bereichen - Gravierender Personalwechsel/Personalausfall. Die Beobachter wurden in beiden Einrichtungen von allen anwesenden Bewohnern mit Neugier und Interesse begrüßt. Einige Bewohner zeigten Interesse an den Auf- zeichnungen und ließen sie sich erklären. Zunächst herrschte auch Unsicherheit bei einigen zu beobachtenden Bewohnern. Die von Bradford Dementia Group (1997, 19) beschriebene Beeinflussung der Ergebnisse durch die Beobachtungssituation und dadurch verändertes Verhalten konnte auch in dieser Untersuchung festgestellt werden. Ebenfalls festgestellt wurde, dass nach einiger Zeit der Beobachtung (zirka einer Stunde) der Beobachter und die besondere Situation „vergessen“ wurden. Dementsprechend wurden die ersten Daten nicht in die Auswertung aufgenommen sondern als Probelauf gewertet. Nach einigen Probemappings vor Ort wurden die Beobachter als dazugehörig begrüßt und zum Teil gefragt, wann sie denn wieder kommen. Einige nicht zu beobachtende Bewohner nutzten die Gelegenheit, mit den Beobachtern über die Unterbringung und andere Probleme zu sprechen oder sich zu beschweren. Für Angehörige stellte die Beobachtungssituation eine gern genutz- te Gelegenheit dar, sich mit den Untersuchern über die Einrichtung, den Gesund- heitszustand und die Betreuungssituation ihrer Verwandten zu unterhalten. Den Mitarbeitern ging es ähnlich: Sie zeigten sich auf Grund der ungewohnten Beobachtungssituation zunächst unsicher und befangen. Dies betraf insbesondere die Mitarbeiter der klassischen Einrichtung. Sie befürchteten negative Ergebnisse, während die Kollegen aus der Hausgemeinschaft eine positive Bestätigung ihrer Arbeit erhofften. In der Hausgemeinschaft waren besonders die Wohnküchenmit- arbeiter auf ihre Arbeit und ihren guten Kontakt zu Bewohnern und Angehörigen stolz. Sie fühlten sich gegenüber den Pflegekräften durch ihre recht selbständige Arbeit aufgewertet und wollten dies in den Beobachtungen bestätigt sehen. In der Vergleichseinrichtung wurde demgegenüber eine kritische Einschätzung der Pfle- gekräfte bezüglich ihres Verhaltens und ihrer Möglichkeiten deutlich. Sie hatten zum Teil ein schlechtes Gewissen; konnten die Gründe und Ursachen dafür aller- dings nicht konkret benennen. Nach Information über Sinn und Zweck der Unter- suchung und Offenlegung der einzelnen DCM-Aufzeichnungen legten sich die Bedenken. Die Mitarbeiter waren bereit, an einer Analyse der auch für sie unbe- friedigenden Situation mitzuwirken. Die Beobachter wurden nun akzeptiert, zu Möglichkeiten des alternativen Umgangs mit verhaltensauffälligen Bewohnern befragt, sowie als Gelegenheit für Beschwerden genutzt. 108 Trotz der geschilderten Bemühungen bleibt ein Risiko der Verzerrung der Ergeb- nisse durch Unsicherheit, Befangenheit oder Interesse an positiven Ergebnissen seitens der Mitarbeiter sowie der Bewohner bestehen. Die Beobachtungssituation ist eine künstliche Situation und Beeinflussungen können nicht ausgeschlossen werden (Bortz/Döring, 2002). Diese Einschränkungen müssen in die Interpretation der Ergebnisse einfließen. Die Personalbesetzung in der Vergleichseinrichtung war an den Untersuchungsta- gen unterschiedlich. Es war zwar immer die gleiche Mitarbeiteranzahl anwesend aber nicht immer die gleichen Personen. Durch krankheitsbedingte Ausfälle des Stammpersonals halfen Mitarbeiter aus anderen Betreuungsbereichen aus. Im Be- schäftigungsbereich wurden die Angebote in diesen Fällen abgesagt. Personalaus- fälle sind nach Auskunft der Leitungskräfte in diesem klassischen Setting durchaus „normal“. Die Auswirkung der Vertretung durch unkundige Kollegen war: Es wur- de das Frühstück sehr viel später verteilt, Bewohner nicht in der gewohnten Weise unterstützt, viel Zeit ging durch Absprachen und Informationsbedarf der Mitarbei- ter für die Bewohnerbetreuung verloren. Auch in der Hausgemeinschaft gab es Vertretungssituationen. Der Ersatz wurde durch Springerkräfte, die jeweils zwei Wohnküchen unterstützen, geleistet, beide Wohnküchen wurden zusammengelegt oder der Speiseplan angepasst. An diesen Tagen gab es dann „nur“ Eintopf. Da die Pflegekräfte wohnküchenübergreifend eingesetzt waren, kannten sie alle Bewohner und waren deshalb in der Lage, den Personalausfall ohne erhöhten Informationsbe- darf zu ersetzen. Die PDCs und PEs wurden entsprechend der Anlage des DCM direkt im unmittel- baren Anschluss an die DCM-Erfassung vor Ort an die Mitarbeiter weitergegeben. Die Rückmeldung kann zu Verzerrungen der weiteren Beobachtungen führen, wenn Mitarbeiter die Informationen zur Veränderung ihres Umganges, Gestaltung von Aktivitäten usw. mit den Bewohnern nutzen. Es könnte dadurch eine positivere Entwicklung in der zweiten Erfassung ausgelöst werden. Inwiefern eine Weiterga- be der Informationen an alle Kollegen erfolgte und diese eine Veränderung der Umgangsformen auslöste, konnte im Untersuchungszeitraum nicht beobachtet werden. Die zeitliche Anlage der Untersuchung wurde von den Beobachtern generell an- strengend erlebt. Die wiederkehrende Anwesenheit in den Einrichtungen, die Beo- bachtungsdauer von acht Stunden sowie die passive Beobachtungsposition führte zu Erschöpfung. Weitere Gefühle wie Unbehagen bis zu körperlichem Unwohlsein wurden in der klassischen Einrichtung durch Urin- und Kotgerüche nach den Mahlzeiten; dem untätig Zusehen müssen, wie Bewohner sich selbst überlassen bleiben, beziehungsweise abwertend behandelt werden, den Belastungen durch ungewolltes Fernsehen und der Berieselung mit Radiomusik ausgelöst. Um mögli- che Verzerrungen durch Vorurteile und Abneigung einzugrenzen, mussten viele Pausen eingelegt und Reflexionsgespräche geführt werden. Im Untersuchungsverlauf traten weitere verzerrende Ereignisse auf. Dies waren eine zusätzliche Erkrankung (physisch und psychisch) der Bewohner verbunden mit Bettlägerigkeit, eine gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes, Tod des Bewohners, Tod eines nahen Angehörigen, Schwere Erkrankung und/oder Probleme eines nahen Angehörigen. Sie führten zum Abbruch der Untersuchung bei dem jeweiligen betroffenen Bewohner. Von den ursprünglich in jeder Einrich- tung ausgesuchten 30 Personen konnten unter Ausschluss der verzerrenden Ein- flüsse jeweils nur 20 Bewohner in die Ergebnisanalyse einbezogen werden. Es 109 wurde eine „positive Selektion“ vorgenommen, die bei der Interpretation der Er- gebnisse berücksichtigt werden muss. Vorwiegende Ausschlussgründe waren der Tod der Bewohner innerhalb der zwei Untersuchungszeiträume und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Bewohner, einhergehend mit längeren Krankenhausaufenthalten und/oder Bettläge- rigkeit. Organisatorische, strukturelle sowie bauliche Veränderungen wurden in den Ein- richtungen im Untersuchungszeitraum nicht vorgenommen. Der Personalbestand einschließlich der Leitungskräfte (Bereichsleitungen/Pflegedienstleitungen) blieb ebenfalls gleich. 110 7. Exemplarische Ergebnisse zur Lebensqualität dementiell erkrankter alter Menschen In diesem Kapitel werden zunächst Daten zu den in die Untersuchung einbezoge- nen Bewohner bezogen auf Alter, Geschlecht, Pflegebedarf und Einschränkungen im Zusammenhang mit ihrer dementiellen Erkrankung dargestellt. Anhand der Daten wird deutlich, dass die Bewohner in beiden untersuchten Einrichtungen ähn- liche Voraussetzungen erfüllen und damit die Aussagekraft der Ergebnisse aus der DCM-Erfassung, der Befragungen und den Feldbeobachtungen erhöhen. In einem zweiten Schritt werden die Daten aus den Erfassungen exemplarisch und in vereinfachter Form zusammen mit den protokollierten Beobachtungen darge- stellt. Die Beobachtungen wurden in Form von Feldnotizen erfasst, die in den DCM-Mappings gemacht wurden und sich nicht nur auf die untersuchten Personen, sondern auch auf deren Umfeld beziehen. Die DCM-Mapper befanden sich über einen Zeitraum von 8.00 bis 16.00 Uhr an insgesamt 120 Tagen in der ersten und zweiten Untersuchung in den Einrichtungen A und B bei zunächst jeweils 30 Be- wohnern. Daraus ergaben sich ein Fülle von Beobachtungen und Notizen. Ergänzt werden die Feldnotizen durch die offenen Fragen an Mitarbeiter und Angehörige in der zweiten Befragung. 7.1. Darstellung der Ergebnisse Aufgrund der relativ kleinen Gruppe der untersuchten Personen (Auswertung von jeweils 20 Bewohnern) werden die Zahlen und Daten der Mitarbeiter- beziehungs- weise Angehörigenbefragung in vereinfachter Form mit Hilfe von Histogrammen (einfache Balkendiagramme) und Verlaufsdiagrammen dargestellt. Die Auswer- tung der Plaisir© - Daten wurde von der Firma EROS vorgenommen. Aus dieser Auswertung werden einige Daten ausgewählt und ebenfalls in vereinfachter Form dargestellt. Die DCM-Daten werden auf der Basis der im Manual Nr. 7 von der Dementia Group (Bradford Dementia Group, 1997) vorgegebenen Kriterien erfasst, berechnet und mit einem kleinen EDV-Programm auf Excel-Basis ausgewertet. Das Excel-Programm wurde von der DCM-Trainerin Christine Riester in enger Zusammenarbeit mit der Universität Bradford für die Auswertung und Darstellung der Daten entwickelt. Für die vorliegende Studie werden ebenfalls nur einige Daten aus dem umfangreichen Material ausgewählt und abgebildet. Ergänzt werden die Daten durch Notizen aus den Feldbeobachtungen und Angaben aus der offenen Fragestellung der zweiten Mitarbeiterbefragung bzw. der Angehörigenbefragung. Wie in den meisten Altenpflegeeinrichtungen überwiegen auch in dieser Studie Frauen. Sie sind mit 75 Prozent in der Hausgemeinschaft und mit 90 Prozent in der Vergleichseinrichtung deutlich in der Mehrheit. Das Durchschnittsalter der Be- wohner betrug bei Einzug 83,6 in der Hausgemeinschaftseinrichtung und 85,9 Jah- re in der Vergleichseinrichtung. Es entspricht dem Durchschnittsalter aller Heim- bewohner in der gesamten Bremer Heimstiftung (zirka 1 000 Pflegeheimbewoh- ner). 111 Tabelle Nr. 9: Durchschnittliches Alter und Geschlecht der Bewohner (Plai- sir©) Durchschnittsalter Durchschnittsalter Frauen Durchschnittsalter Männer Einrichtung A 83,6 84,0 82,1 Einrichtung B 85,9 85,7 87,7 Tabelle Nr. 10: Verteilung auf die Geschlechter in Prozent (N= 20) Plaisir© Weiblich Männlich Einrichtung A 75% 25% Einrichtung B 90% 10% 7.1.1. Pflegebedarf und Selbsthilfefähigkeit Welchen Beitrag haben die Aufrechterhaltung der alltäglichen Gewohnheiten, Ri- tuale und Abläufe an der Erhaltung einer weitgehenden Selbständigkeit und Le- benszufriedenheit dementiell erkrankter alter Menschen? Welchen Beitrag hat die Gestaltung der Lebenswelt im Heim auf die Ausprägung von Begleitsymptomen und Verwirrtheitszuständen? Pflegebedarfe Zur Einschätzung des Pflegebedarfs und der Einschränkungen der Bewohner wur- de eine Einstufung der Bewohner nach Pflege VG nicht herangezogen, da der ü- berwiegende Anteil der Bewohner in der Einzugsphase entweder noch keine Ein- stufung hatte, beziehungsweise ihre „alte“ aus der vorhergehenden häuslichen Ver- sorgung mitgebracht haben. Eine Einstufung nach Pflege VG hätte zudem keine weiteren Informationen zu Einschränkungen der Bewohner zum Beispiel in Bezug auf kognitive und affektive Aspekte, Verhalten, Sprache, Sehvermögen und Gehör abgebildet (vgl. Einstufungskriterien nach SGB XI in Schellhorn, 2005, 196 ff.). Stattdessen wurde die detailliertere Beschreibung der Gesundheitssituation anhand der Plaisir© Daten zur Auswertung genutzt. Bei der Betrachtung der durchschnittlichen Pflegebedarfe in Minuten pro Bewoh- ner und Tag fällt auf, dass die Bewohner der Vergleichseinrichtung in der ersten Untersuchungsphase (T1) einen leicht erhöhten Pflegebedarf von 11,3 Minuten gegenüber der Hausgemeinschaftseinrichtung haben. Mit T1 wird im Folgenden die erste Erfassung nach dem Einzug in das Heim (in- nerhalb von 5-10 Tagen) und mit T2 die zweite Erfassung nach vier bis sechs Mo- naten Aufenthalt im Heim benannt. Demnach haben die Bewohner der klassischen Einrichtung gegenüber der Haus- gemeinschaftseinrichtung bei Einzug einen höheren Pflegebedarf. Dies kann einer- seits auf einen späteren Einzug (in einem späteren Stadium der Pflegebedürftigkeit) in die klassische Einrichtung zurück zu führen sein. Andererseits kann dies auch auf das „Trauma des Einzugs“, der einhergehen kann mit der Zunahme an Ver- 112 wirrtheit und Pflegebedürftigkeit, hinweisen. So wurde in einem Fall beobachtet, wie ein neu eingezogener Bewohner sich vom ersten Tag an nicht mit der neuen Situation im Heim arrangieren konnte, offen den Wunsch zu sterben äußerte, zuse- hends körperlich und seelisch in sich zusammen sank, bettlägerig wurde und nach vier Wochen verstarb. Im Gegensatz dazu gelang es in den Hausgemeinschaften in einem ähnlichen Fall einen Bewohner, der sich zunächst weigerte sein Zimmer zu verlassen und die meiste Zeit in seinem Bett verbrachte, in das Gemeinschaftsleben weitgehend zu integrieren. Er verließ häufiger sein Zimmer, setzte sich in die Wohnküche, beobachtete das Geschehen und suchte Kontakt zu anderen Bewoh- nern. Er wirkte insgesamt mobiler als in der Einzugsphase. Zu vermuten ist, das dies seine Lebenszeit verlängert beziehungsweise sie „lebenswerter“ erscheinen lässt. Beide Bewohner waren nicht freiwillig eingezogen. Trotzdem gelang es dem einen, im Setting der Hausgemeinschaft, neuen Lebensmut zu finden während der andere sich zurückzog und verstarb. Beide Bewohner sind nicht in die Wertermittlung einbezogen, da der erste Bewoh- ner zwischen beiden Untersuchungsphasen verstarb und sich der zweite Bewohner in seinen Privaträumen aufhielt. Eine Beeinflussung der Werte durch die positive Selektion der in die Untersuchung einbezogenen Bewohner kann nicht ausgeschlossen werden. Weitere Beobachtun- gen und zum Beispiel ein Vergleich der Verweildauer in beiden Einrichtungen erscheinen hier notwendig. Die These, in der Hausgemeinschaft bleibe der Pflegebedarf auch über längere Zeit auf dem gleichen Niveau wie beim Einzug, lässt sich anhand der Zahlen nicht bes- tätigen. In beiden Einrichtungen erhöhten sich die durch Plaisir© ermittelten Pfle- gebedarfe. In der zweiten Erfassungsphase erhöhte sich der Wert in der klassischen Einrichtung um 5,8 Minuten. Bei den Bewohnern in den Hausgemeinschaften stieg dagegen der Pflegebedarf von 100,3 Minuten pro Tag auf 110,1. Die Differenz beträgt 9,8 Minuten pro Tag (Tabelle Nr. 11). Die Veränderungen ergaben sich in der klassischen Einrichtung im Bereich der Grundpflege, Pflege bei Inkontinenz, Zahnpflege, An- und Auskleiden, Einreiben und Lagern sowie bei den Bewe- gungsmöglichkeiten. In der Hausgemeinschaftseinrichtung ergaben sich höhere Pflegebedarfe bei der Grundpflege, Hilfestellung bei der Benutzung der Toilet- te/des Nachtstuhls, Aufstehen und Hinlegen sowie Bewegungsmöglichkeiten. Diese Daten lassen in Bezug auf die Erhaltung der Selbsthilfefähigkeiten in beiden Settings keinen Unterschied erkennen. Bei näherer Betrachtung der notwendigen Hilfestellungen lässt sich eine eher aktivitätsfördernde Haltung der Pflege- und Betreuungskräfte in den Hausgemeinschaften erkennen. Die Pflege bei Inkontinenz ist in der klassischen Einrichtung mit dem Anlegen von Windeln und Einlagen durch Pflegekräfte verbunden. In der Hausgemeinschaft erhalten die Bewohner vermehrt Hilfestellung bei der eigenständigen Benutzung der Toilette beziehungs- weise des Nachtstuhls. Damit lassen sich störende Windeln/Einlagen weitgehend vermeiden und die Bewohner behalten ihre Eigenständigkeit bei einer bedeutsamen körperlichen Verrichtung. 113 Tabelle Nr. 11: Durchschnittlicher Pflegebedarf in Minuten pro Bewohner pro Tag in der ersten und zweiten Untersuchungsphase (T1 und T2, Plaisir©) Einschränkungen der Bewohner Um eine Beurteilung des Wohlbefindens vornehmen zu können, soll zunächst ge- klärt werden, welche Einschränkungen die Bewohner beider Einrichtungen haben. Besonders bedeutsam sind die Einschränkungen im kognitiven und affektiven Be- reich, im Verhalten und die Kommunikation und Interaktion beeinflussenden Fak- toren wie Sprache, Sehvermögen und Gehör. Des Weiteren ist zu klären, inwiefern sie sich in beiden Erfassungszeiträumen verändert haben. Tabelle Nr. 12: Verteilung der Bewohner nach Einschränkungen Einrichtung A und B in der ersten Untersuchung in Prozent (Plaisir©) Kognitiv Affektiv 100,3 110,1111,6 117,4 90 95 100 105 110 115 120 T1 T2 Minuten A B 20 70 1010 75 15 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schw er/Vollständig Anzahl A B 25 70 5 20 80 0 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B 114 Verhalten Sprache Sehvermögen Gehör Anhand der Daten wird deutlich, dass beide Bewohnergruppen in Bezug auf ihren Gesundheitszustand vergleichbar sind. Dies bleibt auch in der Verweilphase im Heim weitgehend bestehen. Eine Verschlechterung von T1 bis T2 ist im Bereich der kognitiven Einschränkungen von Leicht nach Schwer/Vollständig von jeweils 20 80 0 15 85 0 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schw er/Vollständig Anzahl A B 45 55 0 45 45 10 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B 30 70 0 10 90 0 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B 25 75 0 25 75 0 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B 115 10 Prozent in beiden Einrichtungen zu vermerken. Im Bereich Verhalten konnte in der Hausgemeinschaftseinrichtung eine Verbesserung festgestellt werden, in der Vergleichseinrichtung beides, sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlech- terung. Während die anderen Werte gleich blieben, konnte in der Hausgemein- schaftseinrichtung eine Verbesserung des Sehvermögens und des Gehörs festge- stellt werden. Zu vermuten ist, dass eine Korrektur der Seh- und Hörhilfen stattge- funden hat. Tabelle Nr. 13: Verteilung der Bewohner nach Einschränkungen Einrichtung A und B in der zweiten Untersuchung in Prozent (Plaisir©) Kognitiv 20 60 20 10 65 25 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B Affektiv 25 70 5 20 75 5 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B Verhalten 25 75 0 25 70 5 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schwer/Vollständig Anzahl A B 116 Sprache 45 55 0 45 45 10 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schw er/Vollständig Anzahl A B Sehvermögen 20 80 0 10 90 0 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schw er/Vollständig Anzahl A B Gehör 15 85 0 25 75 0 0 20 40 60 80 100 Adäquat Leicht Schw er/Vollständig Anzahl A B Ausprägung von Begleitsymptomen Die Ausprägung von Begleitsymptomen und Verwirrtheitszuständen wurden mit Hilfe des Plaisir© erfasst und werden in den folgenden Tabellen Nr. 14 und 15 dargestellt. Bei der Betrachtung fällt eine leichte Verschlechterung der psychiatri- schen Probleme in beiden Einrichtungen auf. 117 Tabelle Nr. 14: Verteilung der Bewohner in A und B nach dem Grad der kog- nitiven Defizite und der psychiatrischen Probleme in der ersten Untersu- chungsphase in totalen Zahlen (Plaisir©) 6 6 1 1 5 8 7 2 0 3 0 5 10 15 20 Leichte kognit. Def. Mäßig leichte kognit. Def. Schwere kognit. Def./aktive Bew. Schwere kognit. Def./passive Bew. Kein Problem Anzahl A B Tabelle Nr. 15: Verteilung der Bewohner in A und B nach dem Grad der kog- nitiven Defizite und der psychiatrischen Probleme in der zweiten Untersu- chungsphase in totalen Zahlen (Plaisir©) 6 6 2 1 4 9 4 3 1 3 0 5 10 15 20 Leichte kognit. Def. Mäßig leichte kognit. Def. Schwere kognit. Def./aktive Bew. Schwere kognit. Def./passive Bew. Kein Problem Anzahl A B Verhaltensprobleme Bei der Betrachtung der Daten ist in der Hausgemeinschaft das Verschwinden der physischen Aggression und in der Vergleichseinrichtung eine Abnahme der Unru- he und der verbalen Aggressionen zu verzeichnen (Tabelle Nr. 16 und 17). 118 Tabelle Nr. 16: Prävalenz bestimmter Verhaltensprobleme in der ersten Un- tersuchungsphase Einrichtung A und B in totalen Zahlen (Plaisir©) 1 0 1 2 1 15 0 1 0 3 0 15 0 5 10 15 20 Ph ys isc he A gg re. Ve rb ale A gg re. Un ru he Um he rir ren Ke in Pr ob lem Anzahl A B Tabelle Nr. 17: Prävalenz bestimmter Verhaltensprobleme in der zweiten Un- tersuchungsphase Einrichtung A und B in totalen Zahlen (Plaisir©) 0 0 1 2 1 14 0 0 0 2 0 18 0 5 10 15 20 Ph ys isc he A gg re. Ve rb ale A gg re. Un ru he Um he rir ren Ke in Pr ob lem Anzahl A B Mit diesen Ergebnissen kann eine positive Beeinflussung der Verhaltensprobleme durch die Hausgemeinschaften nicht belegt werden. Im Zusammenhang mit der Gabe von Psychopharmaka, wie sie in den folgenden Tabellen Nr. 18 und Nr. 19 gezeigt werden, ergeben sich Anhaltspunkte für eine positive Beeinflussung. Den Daten nach steigt die Psychopharmakagabe in der Vergleichseinrichtung von 45 Prozent auf 60 Prozent, obwohl die Bewohner keine Zunahme an Verhaltensprob- lemen hatten. Auch die Abnahme von Unruhe und verbalen Aggressionen hatten keinen senkenden Einfluss auf die Anzahl der Medikamentengabe. Im Gegensatz dazu ist die Gabe von Psychopharmaka in den Hausgemeinschaften trotz einer hier nicht abbildbaren Verbesserung der Bewohner im gleichen Zeitraum gesunken. 7.1.2. Dimensionen des Wohlfühlens Beeinflusst der Totalitätsgrad der Heime die Voraussetzungen für die Lebenszu- friedenheit der Heimbewohner mit Demenz in höherem Maße als individuelle Fak- toren? 119 Freiheitsentziehende Maßnahmen Eine besonders prägnanter Ausdruck einer totalen Institution ist die Einschränkung der persönlichen Selbstbestimmung. Ein Indiz für die Einschränkungen ist der Ein- satz verschiedener freiheitsentziehender Maßnahmen. Die Maßnahmen reichen von psychischen Maßnahmen wie der Einsatz von Psychopharmaka bis zu physischen Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit einschränken wie Bettgitter oder andere mit Möbeln verbundene Maßnahmen (Tischplatten am Rollstuhl befestigt). Nach Auskunft von Praktikern gehören Bettgitter zu den am häufigsten in der Altenpfle- ge angewandten physisch einschränkenden Maßnahmen und sie werden überwie- gend auf Wunsch der Bewohner ausschließlich in der Nacht beziehungsweise bei Bettlägerigkeit eingesetzt (Klie/Lörcher, 1994, 47). Die Ermittlung der Daten ließ Mehrfachnennungen zu. So kam es vor, dass Be- wohner Psychopharmaka erhielten und gleichzeitig durch mit Möbeln verbundene Maßnahmen in ihrer Freiheit eingeschränkt wurden. Diese Kombination war in beiden Einrichtungen vorzufinden. Tabelle Nr. 18: Freiheitsentziehende Maßnahmen in der ersten Untersu- chungsphase Einrichtung A und B in Prozent (Plaisir©) 55 10 10 35 45 15 15 50 0 10 20 30 40 50 60 70 Ps yc ho ph ar m a ka B et tg itt er M it M öb el n ve rb un de ne M aß na hm en ke in e Anzahl A B Tabelle Nr. 19: Freiheitsentziehende Maßnahmen in der zweiten Untersu- chungsphase Einrichtung A und B in Prozent (Plaisir©) 35 15 15 50 60 25 25 30 0 10 20 30 40 50 60 70 Psychopharmaka Bettgitter Mit Möbeln verbundene Maßnahmen keine Anzahl A B Der Psychopharmakagebrauch nahm in der Hausgemeinschaft zwischen der ersten und zweiten Untersuchung von 55 Prozent auf 35 Prozent ab, während er in der Vergleichseinrichtung von 45 Prozent auf 60 Prozent anstieg. Der Einsatz weiterer 120 freiheitsentziehender Maßnahmen wie Bettgitter und mit Möbeln verbundene Maßnahmen stiegen in der Hausgemeinschaftseinrichtung nur leicht um jeweils fünf Prozent an, in der Vergleichseinrichtung jedoch um jeweils zehn Prozent. Hatten in der Einzugsphase in der Hausgemeinschaftseinrichtung nur 35 Prozent der Bewohner keine freiheitsentziehende Maßnahme, so waren es in der zweiten Untersuchung schon 50 Prozent. In der Vergleichseinrichtung verlief die Entwick- lung genau anders herum. Dort waren in der Einzugsphase 50 Prozent ohne frei- heitsentziehende Maßnahmen, in der zweiten Untersuchung sank der Wert auf 30 Prozent (Tabelle Nr. 18 und 19). Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die Bewohner im weiteren Aufenthalt in der Hausgemeinschaft weniger Psychopharmaka erhalten und weniger freiheits- entziehenden Maßnahmen ausgesetzt sind. 7.1.3. Interaktion und Kommunikation Gibt es Beziehungen zwischen dem Setting und der Qualität der Kommunikation und Interaktion zwischen Bewohnern und Personal? Die Frage ist, wann und in welchem Rahmen Interaktion und Kommunikation statt- findet. Hierzu kann der typische Verlauf eines Vormittages in beiden Einrichtun- gen einen näheren Einblick bieten. Bei der Betrachtung des Tageslaufes wird die besondere Bedeutung der Mahlzeitensituation für den Austausch zwischen den Bewohnern und den Mitarbeitern deutlich. Die Kommunikation und Interaktion in der unmittelbaren Pflegesituation in den Pflegezimmern der Bewohner konnte und sollte in dieser Studie nicht erfasst werden. Gründe sind in den einerseits sehr inti- men Situationen, die in der Pflege entstehen (zum Beispiel Ausscheidungshilfe oder Köperpflege) und daher eine Beobachtung durch Außenstehende aus ethi- schen Gründen nicht in Frage kamen. Andererseits sind die Besonderheiten des Settings eher in den öffentlichen Räumen zu erfassen und nicht in den individuell gestalteten Räumen der Bewohner. Zudem ist das DCM auf die Beobachtung in öffentlichen Räumen beschränkt. Tagesverläufe Zur Beurteilung der Interaktion und Kommunikation zwischen Bewohnern und Personal kann der typische Verlauf eines Vormittages in beiden Einrichtungen herangezogen werden. Aus dieser Verlaufsbeschreibung ergeben sich Einblicke in das Geschehen und in die Anlässe zur Kommunikation und Interaktion. Ausge- wählt wurden im Folgenden zwei typische Verläufe, die durch Beobachtungen an anderen Bewohnern ergänzt wurden. Verlauf eines Vormittages in der klassischen Einrichtung 7.50 Uhr. Die Untersucherin betritt die Gemeinschaftsräume; die Bewohner, ca. 22 Personen, sitzen an den verschiedenen Gemeinschaftstischen und nehmen ihr Frühstück ein. An diesem Tag sind drei Mitarbeiter aus der Pflege anwesend, eine Hauswirtschaftskraft unterstützt stundenweise die Verteilung der Mahlzeiten. Frau W. sitzt in ihrem Rollstuhl an einem Tisch im Speiseraum zusammen mit einer anderen Bewohnerin. Es wird kein Wort gesprochen, im gesamten Speiseraum herrscht trotz der vielen anwesenden Personen Stille. Eine Pflegekraft geht von 121 Tisch zu Tisch und versucht Frau W. zum Trinken zu überreden. Sie trinkt einen Schluck und sitzt dann wieder still da. Das Brot liegt noch vor ihr. Nach einer Wei- le setzt sich die Pflegekraft zu Frau W. an den Tisch und hilft ihr schweigend beim Frühstück. 8.20 Uhr. Das Frühstück scheint beendet zu sein, die ersten Bewohner verlassen bereits den Speiseraum. Es wird abgeräumt und die Bewohner, die nicht selbst gehen können, werden nach und nach von den Pflegekräften in ihre Zimmer oder in den Fernsehraum gebracht. Da nur drei Mitarbeiter anwesend sind, dauert dies entsprechend lange. Frau W. sitzt inzwischen eingesunken in dem sich leerenden Raum. 9.30. Uhr. Mit ihr sind noch drei weitere Bewohner „sitzen geblieben“. Es sind offensichtlich dementiell erkrankte Bewohner. Eine Bewohnerin stöhnt gelegent- lich, eine andere wischt ständig über den Tisch. Frau W. ist wach geworden und versucht aufzustehen, was ihr aber misslingt, anschließend schläft sie ein. Es ist keiner der Mitarbeiter zu sehen und es herrscht Stille. 10.20 Uhr. Eine Pflegemitarbeiterin erscheint, spricht mit Frau W. und bringt sie kurz in ihr Zimmer und anschließend in den Fernsehraum. Es läuft eine Telenovela, der Ton wurde von einer anderen Bewohnerin sehr laut gestellt. Sie schaut zu- nächst auf den Fernseher, versucht dann abwechselnd aus ihrem Rollstuhl aufzu- stehen beziehungsweise an ihrer Kleidung zu nesteln. Die anderen Bewohner sind vor dem Fernseher eingeschlafen. Frau W. sitzt jetzt zusammengesunken in ihrem Rollstuhl. 11.30 Uhr. Sie wird mit den anderen Bewohnern wieder in den Speiseraum ge- bracht. Dort sitzen bereits andere Bewohner, trotzdem ist es wieder sehr still. Ge- räusche entstehen erst, als die Tische eingedeckt und das Essen verteilt wird. Frau W. schaut erwartungsvoll auf den Speisewagen. An ihrem Tisch wird kein Wort gesprochen. Sie sitzt in sich versunken in ihrem Rollstuhl. 12.20 Uhr. Die Pflegekraft setzt sich zu ihr an den Tisch und hilft ihr beim Mittag- essen. 12.30 Uhr. Frau W. hat keinen Hunger mehr und wird in ihr Zimmer gefahren. Dieser Verlauf eines Vormittages konnte mehrfach beobachtet werden. Auffällig war das Phänomen, dass mehrfach eine große Gruppe von Bewohnern schweigend angetroffen wurde. Die Bewohner sind offensichtlich nicht in der Lage, ohne An- regung und Unterstützung von Mitarbeitern miteinander zu kommunizieren. Vor allem in der Zeit zwischen 10.30 und 12.00 Uhr scheint eine Zeit der großen Leere und Langeweile zu sein. Viele Bewohner verschwinden nach dem Frühstück gleich in ihren Zimmern und kommen nur zur Morgenrunde (ein bis zwei mal wöchent- lich stattfindendes Beschäftigungsangebot für eine dreiviertel Stunde im Gemein- schaftsbereich der Station) und zu den Mahlzeiten aus ihren Zimmern. Im Aufent- haltsbereich bleiben die Bewohner sitzen, die Unterstützung benötigen, dies sind in der Regel dementiell erkrankte Bewohner. Sie verbleiben im Gemeinschaftsbereich beziehungsweise werden nach kurzem Aufenthalt im Zimmer wieder zurück in den Gemeinschaftsbereich gebracht. Dort sitzen vier bis sechs Bewohner, sie schwei- gen und dämmern vor sich hin. Die Pflegekräfte sind nicht anwesend, da zu dieser Zeit die Pflege in den Zimmern stattfindet, Pausen gemacht werden oder Arbeiten im Dienstzimmer (Tabletten vorbereiten, Pflegedokumentation erstellen) stattfin- den. Die Bewohner sind weitgehend sich selbst überlassen. 122 Ab 10.30 Uhr werden die Bewohner nach und nach aus den Zimmern in den Ge- meinschaftsraum gebracht. Die Gehfähigen kommen ebenfalls aus ihren Zimmern. Nach und nach füllt sich der Raum mit bis zu 25 Menschen. Es herrscht weitge- hend Schweigen, bis gegen 11.45 mit den Vorbereitungen für das Mittagessen be- gonnen wird. Es werden die Tische eingedeckt und der Wärmewagen wird aus der Zentralküche geholt. Er wird im speiseraum angeschlossen. Einige Bewohner, die eingenickt sind, wachen durch die entstehende Aktivität auf und schauen zum Wärmewagen. Die Speisetöpfe werden geöffnet und die Pflegekräfte portionieren die Speisen auf den Tellern. Jetzt entsteht Unruhe, einige Bewohner möchten als erstes ihr Essen erhalten, essen schnell und verlassen, noch bevor die letzten Be- wohner ihr Essen bekommen haben, den Speiseraum. Als letztes erhalten die hilfe- bedürftigen Bewohner ihr Essen. Gegen 13.00 Uhr haben auch die letzten Bewoh- ner ihre Speisen erhalten und werden, soweit sie Hilfe benötigen, in ihre Zimmer gebracht. Es wird abgeräumt, der Wärmewagen wird mit dem Geschirr in die Zent- ralküche gebracht und es kehrt wieder Stille ein. Diesmal sind alle Bewohner in ihren Zimmern. Es herrscht wiederum Stille bis zum Nachtmittagskaffee. Beobachtet wurde, dass dementiell erkrankte Bewohner, die gegen 10.40 bereits aus ihren Zimmern in den Aufenthaltsraum gebracht wurden, zu diesem Zeitpunkt erwartungsvoll an ihren Tischen saßen. Da bis 12.00 Uhr nichts weiter passiert und sie ihr Essen erst nach 12.00 Uhr gereicht bekamen, veränderte sich ihr Verhalten: Einige schliefen ein, wurden unruhig oder riefen laut nach jemanden. Ihr Hunger schien nach Ablauf der langen Wartezeit verflogen und sie aßen trotz aller Bemü- hungen durch das Personal nur eine kleine Portion. Verlauf eines Vormittages in der Hausgemeinschaft 8.25 Uhr. Die Bewohnerin wird von den Pflegekräften in die Wohnküche gebracht und an den Tisch gesetzt, die Pflegekräfte verlassen den Raum. Frau L. wird von der Wohnküchenmitarbeiterin begrüßt und beginnt, ihr Frühstück zu essen. An diesem Tag ist die Wohnküchenmitarbeiterin in ihrer Wohnküche alleine. Die Pflegemitarbeiter verteilen sich auf das gesamte Haus und sind in der Wohnküche nur zu bestimmten pflegerischen Handlungen anwesend wie zum Beispiel Medi- kamente verabreichen oder Nahrungshilfe bei Bewohnern mit Schluckstörungen geben. Während ihres Frühstücks unterhält sich die Wohnküchenmitarbeiterin mit ihr und den anderen Bewohnern am Tisch. 9.00 Uhr. Sie putzt sich akribisch die Krümel von ihrem Kleid; die Wohnküchen- mitarbeiterin holt das Besteck aus der Spülmaschine versucht sie zu motivieren, beim Abtrocknen zu helfen. Zunächst möchte sie nicht, greift dann aber doch zu den Bestecken, die vor ihr liegen und beginnt ganz langsam mit dem Abtrocknen. Sie faltet das Handtuch zusammen und sortiert immer wieder das Besteck neu; sie wird mehrfach gelobt und freut sich, erhält einen Apfel – schält ihn selber und isst ihn; die Wohnküchenmitarbeiterin setzt sich mit ihrer Arbeit (Kartoffelschälen) zu ihr an den Tisch, sie schaut interessiert zu und sie unterhalten sich über die Kartof- feln, wie sie früher angebaut wurden und schmeckten. 10.50 Uhr. Die Wohnküchenmitarbeiterin bastelt zusammen mit den Bewohnern Grußkarten. Frau L. ist sofort eifrig dabei, schläft aber gelegentlich ein. Die Wohn- küchenmitarbeiterin lässt sie ein kurzes Nickerchen machen; als sie erwacht möch- te sie Sterne auf eine Karte kleben, die Mitarbeiterin hilft ihr dabei. 123 11.10 Uhr. Spontan fängt eine Bewohnerin an ein Lied zu singen, die Mitarbeiterin und Frau L. singen mit; Frau L. hält längere Zeit einen glitzernden Stern in der Hand, streicht immer wieder mit den Händen über den Stern, er scheint ihr zu ge- fallen; auf Vorschlag der Wohnküchenmitarbeiterin hängen sie ihn gemeinsam an ihre Zimmertür. Auf dem Herd kocht das Mittagessen, es duftet im ganzen Raum. 11.35 Uhr. Sie erhält überraschend Besuch von ihren Kindern, die zum Essen blei- ben und ihr Gesellschaft leisten. Nach dem Essen trocknen sie gemeinsam das Besteck ab und bringen sie auf ein Nickerchen in ihr Zimmer. Der sehr anregungsreiche Vormittag konnte mehrfach beobachtet werden. Hier übernehmen die Wohnküchenmitarbeiter die Beschäftigungsangebote für die Be- wohner. Die Pflegekräfte kümmerten sich vorwiegend um pflegerische Aufgaben und fühlten sich nicht für die Ansprache und Beschäftigung der Bewohner zustän- dig. Diesen Part übernahmen die Hauswirtschaftskräfte. Sie bastelten, spielten oder gingen mit den Bewohnern spazieren; sie sprachen auch immer wieder die Bewoh- ner an und holten sie aus ihrer Lethargie. Auch in der Hausgemeinschaft unterhalten sich die Bewohner nur wenig miteinan- der: Allein gelassen, saßen sie schweigend im Raum und starrten vor sich hin; sie warteten auf die Ansprache durch die Mitarbeiter. Erst das Personal vermittelte ein Gespräch zwischen den Bewohnern. Dies geschah zwanglos und beiläufig über die gemeinsamen Alltagstätigkeiten wie Kochen und Abtrocknen. Dadurch, dass im- mer eine Person in unmittelbarer Nähe anwesend war und alle hauswirtschaftlichen Aktivitäten vor den Bewohnern stattfanden, gab es immer etwas zu beobachten. Der Tag war mit Leben und Aktivität gefüllt. Anhand der Tagesverläufe wird deutlich, dass die Mahlzeitensituation eine zentrale Möglichkeit der Interaktion und Kommunikation darstellt. Sie strukturieren des Tagesablauf. Neben besonderen Beschäftigungsangeboten und pflegerischen Hand- lungen stellen sie im Alltagsleben der Bewohner häufig das einzige „Ereignis“ am Tage dar. Mit diesem Ereignis verbunden sein könnte ein intensives soziales und sinnliches Erlebnis, das sich auf das Wohlfühlen der Bewohner auswirkt. Es ist gleichzeitig eine vertraute Situation in die individuelle Erfahrungen und Be- dürfnisse einfließen. Gleichzeitig ist die Mahlzeitensituation durch die strukturellen Vorgaben der Institution Heim geprägt: Die Herstellung der Speisen in Großkü- chen verursachen zeitliche Vorgaben wann gegessen werden soll. Nach diesen Vorgaben müssen sich Pflegekräfte und Bewohner richten. Um die Arbeitsabläufe und Arbeitszeiten in der Küche zu gewährleisten, muss das Geschirr zügig wieder in die Küche zurück gebracht werden. Darüber hinaus werden die Mahlzeiten nach ernährungsphysiologischen und finanziellen Vorgaben zusammengestellt und müs- sen mit dem Geschmack aller Bewohner abgestimmt werden. Es ist zu vermuten, dass die Mahlzeitensituation aufgrund dieser Vorgaben mit hohem Zeitdruck und Stress für die Mitarbeiter und Bewohner verbunden ist sowie wenig Raum für Indi- vidualität bleibt. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, wie viel Zeit die Bewohner mit den Mahl- zeiten in beiden Settings verbringen und wie die Mahlzeitensituation gestaltet ist. 124 Die Mahlzeitensituation Es fällt auf, dass die Bewohner in der Vergleichseinrichtung schon gegen 8.10 Uhr mit dem Frühstück fertig sind, während in den Hausgemeinschaften die Bewohner den Tag entspannter beginnen und sich das Frühstück zum Teil bis 9.30 Uhr hin- zieht. Ab 11.00 Uhr gibt es dann schon eine kleine Zwischenmahlzeit oder Geträn- ke. Tabelle Nr. 20: Dauer des Frühstücks in der ersten und zweiten Untersu- chungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen (DCM) 0 5 10 15 10 Min 15 Min 20 Min 25 Min 30 Min 35 Min 40 Min 45 Min 50 Min 55 Min 60 Min Anzahl A B In der Tabelle Nr.: 20 ist die Anzahl der Bewohner und die Dauer ihres Frühstücks abgebildet. Bei der Betrachtung wird deutlich, dass in der Vergleichseinrichtung die Mehrzahl der Bewohner das Frühstück in kürzerer Zeit einnehmen: in der Ein- richtung B frühstücken acht Bewohner 20 Minuten, acht Bewohner 25 Minuten und sechs Bewohner 30 Minuten lang. Während in der Hausgemeinschaft das Frühstück deutlich länger dauert: in der Einrichtung A frühstücken sieben Bewoh- ner 25 Minuten, acht Bewohner 30 Minuten, vier Bewohner 35 Minuten, zwei Be- wohner 40 Minuten, zwei Bewohner 45 Minuten und zwei Bewohner 60 Minuten lang. Das Frühstück dauert in A im Durchschnitt vier Minuten länger als in B. Die Unterbrechungen in A zwischen den einzelnen F-Phasen (F = Food) werden gefüllt mit B +3 Werten (es gab etwas zu beobachten) in der Vergleichseinrichtung eher mit niedrigen Werten zum Beispiel B +1. Die F Werte erhöhen sich durch Kom- munikation und besondere Zuwendung beim Essen. Die Werte sind in der Haus- gemeinschaft höher als in der Vergleichseinrichtung (Tabelle Nr. 37). Tabelle Nr. 21: Dauer des Mittagessens in der ersten und zweiten Untersu- chungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen (DCM) 0 2 4 6 8 10 12 14 10 Min 15 Min 20 Min 25 Min 30 Min 35 Min 40 Min 50 Min Anzahl A B Beim Mittagessen werden die Unterschiede zwischen beiden Settings deutlich (Ta- belle Nr. 21). In der Hausgemeinschaftseinrichtung wird im Durchschnitt 4 Minu- ten länger gegessen. 125 Die Anzahl (hier nicht abgebildet) der Zwischenmahlzeiten ist in A mit insgesamt 20 mal gegenüber 15 mal in der Vergleichseinrichtung häufiger. Überwiegen in der Vergleichseinrichtung das einmalige F bei den Zwischenmahlzeiten, so kann in der Hausgemeinschaft bis zu sechs F Einheiten (6 x 5 Minuteneinheiten) beobachtet werden. Die F Einheiten werden in der Vergleichseinrichtung häufig unterbrochen durch Zeiten des passiven B, das heißt dem Beobachten, was am Nachbartisch geschieht. Bewohner, die Nahrungshilfe benötigen, müssen zum Teil bis zu 30/40 Minuten nach Beginn der Essensverteilung auf ihre Hilfe warten, da mehrere diese Hilfe benötigen, aber die anwesenden drei Kräfte die Mahlzeiten an alle verteilen und deshalb nur einer zur Zeit Hilfestellung erhalten konnte. Die Mitarbeiter geraten angesichts dieser Situation in Stress und reagierten zum Teil barsch oder kurz an- gebunden auf Wünsche von Bewohnern. Dies führt wiederum zu Unmut und Be- schwerden bei einigen Bewohnern. Bis der letzte Bewohner seine notwendige Unterstützung beim Essen erhält, ist sein Hunger verflogen und er ist entweder unruhig und aggressiv geworden oder däm- mert vor sich hin. Entsprechend wenig kann er zu dem Zeitpunkt essen. Die Mitar- beiter können sich anschließend abmühen, in der Regel vergeblich. Wäre die Un- terstützung früher geschehen, hätte er vermutlich sehr viel mehr gegessen. An dieser Situation kann die Problematik der Gleichzeitigkeit von Bedürfnissen vieler Bewohner in stationären Einrichtungen, wie sie von Saake (1998) beschrie- ben wurde, nachvollzogen werden. Da die Speisezeiten institutionell vorgegeben sind, möchten alle Bewohner möglichst zeitgleich ihr Essen einnehmen und nicht erst lange warten müssen. Es müsste dementsprechend mehr Personal zur Unter- stützung zur Verfügung stehen, was aber nicht der Fall war. Folglich musste das Personal in der Hilfestellung Prioritäten setzen. Dies ging immer zu Lasten der dementiell Erkrankten: Sie waren die letzten, die Hilfe erhielten. Es ist zu vermuten, dass die Mahlzeitensituation auch Einfluss auf den Ernährungs- zustand der Bewohner hat. Interaktionsformen der positiven Personenarbeit Anhand der Beschreibung des Tageslaufes in den Hausgemeinschaften wird deut- lich, dass hier eine Reihe von Interaktionsformen der positiven Personenarbeit (Kitwood, 2000, 134-137, Auflistung siehe Anhang) anzutreffen sind, die für eine gute Qualität der Pflege sprechen. Interaktionsformen der positiven Personenarbeit sind: Anerkennen: in der kleinen Gruppe sind die Bewohner persönlich bekannt; über Gespräche werden Erinnerungen geweckt und an ihnen angeknüpft. Verhandeln: die Bewohner werden direkt mit ihren Vorlieben, Wünschen und Bedürfnissen in das Alltagsgeschehen einbezogen und bestimmen zum Beispiel über das Essen oder ihre Tätigkeiten im Haushalt. Zusammenarbeiten: gemeinsames Arbeiten im Haushalt je nach den Möglichkei- ten und Wünschen der Bewohner. Beziehungen zwischen den Wohküchenmitarbei- 126 tern und den Bewohnern scheinen eng zu sein, da sie viel Zeit miteinander in der Küche verbringen und sie mehr miteinander tun. Über das gemeinsame Kartoffel- schälen usw. ergibt sich eher ein Gespräch und eine Arbeitsbeziehung. Timalation: die sinnlichen Wahrnehmungs- und Erlebensmöglichkeiten sind viel- fältig, da das Essen und der Kaffee in der unmittelbaren Nähe zubereitet werden. Die Bewohner riechen, schmecken, beziehungsweise hören die Geräusche und fühlen sich an Bekanntes erinnert, zum Beispiel der Milchreis brennt an – alle rie- chen es und es wird gemeinsam über das Malheur gelacht. Feiern: die Stimmung bei den Mahlzeiten ist häufig aufgeschlossen und gesellig; die Trennung zwischen Mitarbeitern und Bewohnern verändert sich, wenn zum Beispiel kleine Gelegenheiten zum „feiern“ genutzt werden, zum Beispiel wird ein kleiner Spaziergang anschließend gemeinsam mit einem Gläschen Eierlikör gefei- ert. Entspannen: in der kleinen Gruppe ist es möglich, das Tempo auf den einzelnen Bewohner abzustimmen und Zeiten der Entspannung mit aufzunehmen, zum Bei- spiel indem die Bewohner in der Wohnküche ein Nickerchen machen können oder einfach nur beobachten, was um sie herum geschieht. Durch die ständige Anwe- senheit einer Mitarbeiterin sind sie nicht allein gelassen und können den Kontakt bei Bedarf aufnehmen. Die Interaktionsformen der positiven Personenarbeit sind in den Hausgemeinschaf- ten täglich anzutreffen und stellen keine Ausnahmesituation dar. In der Vergleichseinrichtung kommt zum Beispiel die positive Personenarbeit „Spielen“ vor. Sie stellt aber eine Ausnahmesituation dar, da sie nur an den Tagen und Zeitabschnitten vorkommt, in denen die Beschäftigungsgruppe angeboten wird. Dies gilt ebenfalls für die Kategorie „Feiern“. Es gibt verschiedene Feste (zum Beispiel Freimarktsfest, Martinsgansessen, Karneval), an denen auch in der Vergleichseinrichtung gefeiert wird. Allerdings sind sie kein fester Bestandteil der täglichen Arbeit und die Trennung zwischen Mitarbeitern und Bewohner bleibt bestehen. Personale Detraktionen Die personalen Detraktionen werden im DCM zur Beurteilung der Pflegequalität herangezogen. Die PDCs (personalen Detraktionen, Bradford Dementia Group, 1997, 63) spiegeln die direkte Interaktion und Kommunikation mit den Betroffenen wieder. In ihnen wird die Professionalität im Umgang mit dementiell erkrankten Bewohnern abgebildet. Die 17 personalen Detraktionen werden in Kategorien von a = mild/b = mäßig/c = schwer und d = sehr schwer unterteilt (Auflistung der per- sonalen Detraktionen im Anhang). Es fällt auf, dass nur drei personale Detraktionen in der Hausgemeinschaften beo- bachtet werden konnten, während in der Vergleichseinrichtung neun verschiedene zum Teil mehrfach auftraten. Damit scheint die Qualität der Interaktion und Kom- munikation mit den Betroffenen in der Vergleichseinrichtung erheblich schlechter zu sein als in der Hausgemeinschaft. 127 Personale Detraktionen in der Hausgemeinschaft: Beobachtet werden konnten zwei PDCs in der ersten und zweiten Untersuchung bei den bei der Beobachtung anwesenden Bewohnern: - PDC 4a: Einschüchtern - ein Bewohner wurde nach agressivem Verhalten ge- maßregelt und aus dem Raum geführt. - PDC 12a: Zwingen - ein Bewohner wurde gegen seinen Willen über den Flur in die Wohnküche gebracht. - PDC 3a: Infantilisieren – eine Bewohnerin wurde überfürsorglich behandelt. Personale Detraktionen in der Vergleichseinrichtung : Beobachtet werden konnten mehrfach PDCs bei den bei der Beobachtung anwe- senden Bewohnern in der ersten und zweiten Untersuchung: - PDC 13a bis b: Vorenthalten - Bewohner möchte noch etwas zu essen, äußert dies fünf mal, bekommt es nicht (mehrfach); Bewohner rufen - erhalten keine Antwort. - PDC 13b: Vorenthalten - Bewohner ruft und winkt zu den Pflegekräften, sie ignorieren sein Kontaktbedürfnis; Kaffee wird einfach ohne Ansprache hinge- stellt (mehrfach). - PDC 1c: Betrügen - Bewohner möchte auf sein Zimmer, es wird versprochen, ihn gleich zu bringen und es dann nicht getan. - PDC 11c: Ignorieren - Bewohner schreien in ihrem Zimmer, es wird nicht dar- auf reagiert sondern weiter gearbeitet als wäre nichts (mehrfach). - PDC 2c: Entmächtigen - Bewohner will aufstehen, er wird einfach wieder in den Rollstuhl gesetzt; Bewohner wird die Klingel ausgestellt ohne dass er Hilfe erhält; Bewohner mögen die Suppe nicht -Mitarbeiter sagt es gibt nichts ande- res. - PDC 12b bis d (sehr schwer): Zwingen - lautes Radio/Fernsehen mit angstma- chendem Programm (mehrfach), Bewohner werden nicht gefragt. - PDC 12a: Zwingen - einem Bewohner wird ein Getränk aufgedrängt; Bewoh- ner versucht aufzustehen, erhält keine Unterstützung und gibt entnervt auf. - PDC 14 b: Anklagen - Bewohner werden für ihr Verhalten ausgeschimpft (mehrfach) oder werden zurechtgewiesen. - PDC 17c: Herabsetzen und verächtlich machen - andere Bewohner rufen zu einem Bewohner: „halt die Klappe“- keiner der Mitarbeiter schreitet ein. - PDC 3b: Infantilisieren - Bewohner werden mit „Schatz“ angesprochen (mehr- fach). 128 - PDC 15b: Unterbrechen – Bewohner sortieren Servietten und Küchentücher, sie werden ihnen ohne Kommentar weggenommen und demonstrativ wegge- legt. In der Vergleichseinrichtung waren überwiegend Pflegekräfte tätig. Die eingesetz- ten Pflegekräfte besaßen zu 50 Prozent eine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft; Die Pflegerischen Hilfskräfte zum Teil eine pflegerische Grundausbildung von sechs Wochen. In der Hausgemeinschaft waren in den Wohnküchen unausgebildete beziehungsweise hauswirtschaftlich ausgebildete Kräfte tätig. Sie besaßen keinerlei pflegerische Ausbildung. Wenn eine Ausbildung in der Altenpflege die Mitarbeiter zu einer angemessenen Interaktion und Kommunikation befähigt, hätte dieses Er- gebnis anders ausfallen müssen. Da dies nicht so ist, lässt das Ergebnis auf Unsi- cherheit und Überforderung der Pflegemitarbeiter im Umgang mit dementiell er- krankten Bewohnern schließen. Eine mögliche Ursache könnte in der nicht ausrei- chenden Qualifizierung in Interaktion und Kommunikation mit dementen Men- schen liegen. Eine weitere Ursache für die festgestellte Überforderung könnte in der engen Personalbesetzung und der Vermischung von pflegerischen und haus- wirtschaftlichen Tätigkeiten, die zeitgleich anfallen, bestehen. Andererseits scheint die Gleichzeitigkeit der Bedürfnisse vieler Bewohner bei gleichzeitiger niedriger Mitarbeiteranzahl zu hohen Belastungen der Mitarbeiter zu führen, die sich in rigideren Umgangsformen niederschlugen. Hinzu kam die Ein- seitigkeit der Kontaktaufnahme. So fanden Kontakte immer nur dann statt, wenn ein konkreter Hilfebedarf der Bewohner vorlag und zu den Mahlzeiten. Diese Be- gegnung wurde dementsprechend überwiegend von Defiziten ausgelöst. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass in der Hausgemeinschaft die Qualität der Interaktion und Kommunikation zwischen Pflegepersonal und Bewohnern hö- her ist und der Anlass zur Begegnung nicht zwangsläufig mit Hilfebedarfen seitens der Bewohner zu tun hat. 7.1.4. Aufrechterhaltung sozialer Bezüge Gibt es Beziehungen zwischen dem Setting und der Aufrechterhaltung bezie- hungsweise dem Aufbau von sozialen Kontakten? Beeinträchtigungen für soziale Beziehungen Als Grundlage für die Einschätzung der Aufrechterhaltung beziehungsweise dem Aufbau von sozialen Kontakten dienen die von Plaisir© ermittelten Beeinträchti- gungsgrade der Bewohner. Hier ist die Frage zu stellen, in wiefern die Bewohner vergleichbar sind und ob es Veränderungen zwischen beiden Erfassungszeiträumen gibt. 129 Tabelle Nr. 22: Verteilung der Bewohner nach Beeinträchtigungsgrad Soziale Beziehungen erste Untersuchung in totalen Zahlen (Plaisir©) 4 4 10 1 1 0 3 7 8 0 2 0 0 5 10 15 20 Nur primäre und sekundäre Kontakte Sekundäre Kontakte sind schwierig nur primäre Kontakte kein Kontakt: kontaktunfähig kein Kontakt von der Aussenwelt isoliert Anzahl A B Tabelle Nr. 23: Verteilung der Bewohner nach Beeinträchtigungsgrad Soziale Beziehungen zweite Untersuchungsphase in totalen Zahlen (Plaisir©) 4 4 8 2 2 0 3 8 5 0 3 1 0 5 10 15 20 nur primäre und sekundäre Kontakte Sekundäre Kontakte sind schwierig nur primäre Kontakte primäre Kontakte sind schwierig kein Kontakt: kontaktunfähig kein Kontakt von der Aussenwelt isoliert Anzahl A B Anhand der Tabellen Nr. 22 und 23 wird deutlich, dass die Bewohner in beiden Einrichtungen sehr ähnliche Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen Bezie- hungen haben. Es ist eine leichte Verschlechterung der Beeinträchtigungen zwi- schen beiden Untersuchungszeiträumen zu verzeichnen. Dies gilt auch für die Hausgemeinschaftseinrichtung. 130 Tabelle Nr. 24: Einschränkungen der sozialen Beziehungen Hausgemein- schaftseinrichtung in der ersten und zweiten Untersuchungsphase in Prozent (Plaisir© N= 20) 20 20 50 5 5 20 20 40 10 10 0 10 20 30 40 50 60 nur primäre und sekundäre Kontakte Sekundäre Kontakte sind schwierig nur primäre Kontakte primäre Kontakte sind schwierig kein Kontakt: kontaktunfähig Anzahl T1 T2 Anhand der Tabellen 22, 23 und 24 werden die vielfältigen Beeinträchtigungen der Bewohner in beiden Einrichtungen im Zusammenhang mit der Fähigkeit, soziale Kontakte aufnehmen zu können beziehungsweise sie aufrechtzuerhalten, sichtbar. Dies bestätigt die Einschätzung, dass dementiell erkrankte Bewohner in der Kon- taktaufnahme Unterstützung und Begleitung benötigen. Eine wichtige Voraussetzung zur Kontaktaufnahme ist der Aufenthalt in öffentli- chen Räumlichkeiten, in denen soziale Begegnung stattfinden kann. Dem gegen- über steht der Aufenthalt im eigenen Zimmer. Ein Beitrag des Settings könnte dar- in bestehen, für Begegnung einen Raum zuschaffen, in dem eine gelungene Kon- taktaufnahme möglich ist. Es ist deshalb die Frage zu stellen, wie viel Zeit die Be- wohner in den unterschiedlichen Settings in den Gemeinschaftsräumen verbringen. Aufenthalt in öffentlichen Räumen Die Zeitabschnitte, die im Rahmen des DCM erfasst werden, geben dazu Auskunft. In ihnen wird abgebildet, wie viel Zeit die Bewohner in den öffentlichen Räumen verbringen. Auffällig ist, dass die Bewohner in den Hausgemeinschaften deutlich mehr Zeit in den öffentlichen Räumen verbringen und die Werte sich von der ers- ten zur zweiten Untersuchung deutlich erhöhen. In Einrichtung A wurden in T1 1556 und in T2 1693 Zeitabschnitte des Aufenthalts in öffentlichen Räumen er- fasst. In der Vergleichseinrichtung B wurden in T1 766 und in T2 834 Zeitab- schnitte erfasst. Da jeder Zeitabschnitt fünf Minuten ausmacht, kann festgehalten werden, dass die Bewohner in der Hausgemeinschaft in T1 7780 Minuten und in T2 8469 Minuten verbrachten, während es in der Vergleichseinrichtung in T1 3830 und in T2 4170 Minuten waren (Tabelle Nr. 25). Die Bewohner hielten sich in der Vergleichseinrichtung doppelt so lange in ihren eigenen Räumlichkeiten auf wie in der Hausgemeinschaft. Die Bewohner der Hausgemeinschaften verbrachten mehr Zeit in der Wohnküche und hatten die Mög- lichkeit zu Interaktion und Kommunikation mit den dort anwesenden Personen. Darüber hinaus hatten sie eher die Möglichkeit zur Beschäftigung und Teilhabe an dem Geschehen. Die Bewohner in der Vergleichseinrichtung nutzten ihre Aufent- haltsbereiche nicht im gleichen Umfang. Dies könnte mit der Weitläufigkeit des 131 Speiseraumes, der mangelnden Anwesenheit des Personals und den nichtvorhande- nen Aktivitäten zusammenhängen. Die Bewohner verließen den Speiseraum unmit- telbar nach Beendigung der Mahlzeiten, gingen auf ihre Zimmer oder begaben sich auf die Suche nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Die gehfähigen demen- tiell Erkrankten suchten nach den Mitarbeitern und beruhigten sich erst, wenn sie in ihrer Nähe bleiben konnten. Das Personal befand sich zu bestimmten Zeitabschnitten in den Aufenthaltsräumen der Vergleichseinrichtung. Diese Zeitabschnitte beschränkten sich auf die Tätigkei- ten rund um die Mahlzeiten und den Transfer der Bewohner zwischen Zimmer und Aufenthaltsraum. Alle weiteren Tätigkeiten fanden hinter verschlossenen Türen in den Bewohnerzimmern oder Pflegearbeitsräumen statt. In den Zeiten zwischen den Mahlzeiten saßen die dementiell erkrankten Bewohner, die auf die Unterstützung durch das Personal beim Verlassen des Raumes angewie- sen waren, im Speisesaal. Dort blieben sie sich weitgehend selbst überlassen. Eine Kommunikation miteinander kam nicht zustande. Einige Bewohner begannen laut zu rufen oder mit Klopfen auf sich aufmerksam zu machen. Daraufhin wurden sie in ihre Zimmer oder in den zweiten Aufenthaltsraum gebracht und der Fernsehap- parat eingeschaltet. Es konnte beobachtet werden, dass dementiell Erkrankte dem Fernsehprogramm nur kurz Aufmerksamkeit schenkten, dann in sich versanken, unruhig oder aggressiv wurden. Dies führte wiederum dazu, dass das Personal auf sie aufmerksam wurde und sie in ihre Zimmer begleitete. Das „auffällige“ Verhal- ten der Bewohner führte zu Aufmerksamkeit durch das Personal. Ihre Reaktionen beschränkten sich auf den Transfer in das Zimmer. 132 Tabelle Nr. 25: Aufenthaltszeiten in öffentlichen Räumen in Minuten in der ersten und zweiten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B (DCM) 7780 8469 3830 4170 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000 T1 T2 Erfassungszeiträume Zeitwerte in Minuten A B Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass in den Hausgemeinschaften erheblich mehr Zeit in den öffentlichen Räumen (Wohnküche) verbracht wird und mehr Möglichkeiten des sozialen Kontaktes sowie der sozialen Teilhabe am täglichen Leben bestehen. Ein besonders wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen ist der Kontakt zu Angehörigen und, soweit vorhanden, Be- kannten und Freunden. Konnte der Kontakt in der Heimsituation aufrechterhalten werden? Besuche von Angehörigen und Bekannten Die Anzahl der Besuche wurden während der DCM-Erfassung beobachtet und in den Feldnotizen festgehalten. In Einrichtung A wurden in beiden Untersu- chungspphasen insgesamt 22 Besuche beobachtet (davon waren vier Besuche von Bekannten, die restlichen von Ehemann, Kindern, Nichten und Schwiegertochter). Im gleichen Zeitraum wurden in der Einrichtung B insgesamt sieben Besuche er- fasst (davon war kein Besuch von Bekannten und Ehepartnern, sondern von Kin- dern und Schwiegertochter). Dies sind deutlich weniger Besuche als in der Haus- gemeinschaftseinrichtung. Einschränkend müssen die Erfassungszeiten berücksich- tigt werden. Die Erfassung vor Ort wurde in der Zeit von 8.00 bis 16.00 Uhr vor- genommen. Alle Besuche die nach 16.00 Uhr stattfanden, wurden nicht erfasst. Es ist davon auszugehen, dass einige berufstätige Angehörige erst später am Tage zu Besuch kamen. Auffällig ist, dass in der Einrichtung A regelmäßig drei Angehörige zu den Mahl- zeiten anwesend waren, während in der Einrichtung B dies in keinem Fall beobach- tet werden konnte. Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zu den Fragen: Hat der Bewohner Kontakt zu anderen Bewohnern aufgenommen? und 133 Konnte der Bewohner den Kontakt zu ihren Angehörigen, Freunden und Bekann- ten aufrechterhalten? Tabelle Nr. 26: Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zu „Kontakt zu anderen Bewohnern“ in der ersten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen 10 2 8 0 11 6 3 0 0 2 4 6 8 10 12 Ja Nein teilweise lässt sich nicht beantworten Anzahl Einrichtung A Einrichtung B Tabelle Nr. 27: Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zu Kontakt zu anderen Bewohnern in der zweiten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen 11 3 4 2 7 5 7 1 0 2 4 6 8 10 12 Ja Nein teilw eise lässt sich nicht beantw orten Anzahl Einrichtung A Einrichtung B Im Gegensatz zu den oben aufgezählten tatsächlich beobachteten Kontakten zu den Angehörigen antworteten in beiden Einrichtungen die Mitarbeiter einheitlich mit einer überwältigenden Zustimmung (A T1 = 19/B T1 = 19/A T2 = 18/B T2 = 18) auf die Frage zur Aufrechterhaltung der Angehörigenkontakte (Tabelle Nr. 26 und 27). Die Kontaktaufnahme zu anderen Bewohnern in der Einrichtung wurde dem- gegenüber verhaltener bejaht. Hier lassen sich Unterschiede zwischen der Hausge- meinschaft und der Vergleichseinrichtung feststellen. Während in der Hausgemein- schaft die Werte leicht ansteigen, fallen sie in der Vergleichseinrichtung. Demnach können Bewohner in den Hausgemeinschaften leichter Kontakt zu ande- ren Bewohnern finden. 7.1.5. Aufrechterhalten der Alltagsgewohnheiten und Alltagsrhythmen In welcher Weise trägt ein an der alltagsnahen Normalität ausgerichtetes Versor- gungssetting zur Kompensation negativer Heimauswirkungen wie zum Beispiel des „unausweichlichen Traumas“ des Heimeinzugs bei? 134 Als Anzeichen für negative Heimauswirkungen könnten Stimmungen wie Rück- zug, Traurigkeit und Angst, sowie eine Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten, herangezogen werden. Probleme der Stimmung und Verhaltensauffälligkeiten Bei der Betrachtung der Daten aus der Hausgemeinschaft fällt auf, dass eine Zu- nahme der Verhaltensauffälligkeiten nicht festgestellt werden konnte. Lediglich ein leichter Anstieg der Traurigkeit bei einem Bewohner, keine Veränderung bei der anhaltenden Angst (bei einem Bewohner) und beim Rückzug (bei zwei Bewoh- nern). Zu verzeichnen ist ein Verschwinden der physischen Aggressionen. Eine Zunahme von Verwirrung und weiterer Verhaltensprobleme von der Einzugsphase bis zur Verweilphase ist nicht zu beobachten, im Gegenteil, es ist in einem Fall das Verschwinden der physischen Aggressionen zu verzeichnen. Sind die Daten zu dieser Problematik sehr dünn, so sind die Aussagen der Mitarbeiter aussagekräftiger. Sie beschreiben in beiden Einrichtungen überwiegend eine positive Entwicklung der Bewohner und ein Nachlassen von Verhaltensauffälligkeiten. In der Vergleichseinrichtung wurde die Verbesserung depressiver Stimmungen bei einer Bewohnerin festgestellt, nachdem sie in ein Einzelzimmer umziehen konnte. Die Doppelzimmersituation scheint eine zusätzliche Belastung für die Bewohner darzustellen und erfordert besonders in der emotional belasteten Integrationsphase eine hohe Anpassungsleistung. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass in den Hausgemeinschaften keine Ver- schlechterung der Verhaltensproblematik im Zusammenhang mit dem Heimeinzug zu verzeichnen ist. 7.1.6. Aktivitäten und Wohlbefinden Inwiefern trägt eine anregungsreiche Gestaltung der Altenpflegeheime dazu bei, Erfolgserlebnisse, sensorische Erfahrungen und soziale Zuwendung zu ermögli- chen und andererseits eine Reduzierung von Aktivitäten zu verhindern? Relatives Wohlbefinden Die Wohlbefindenswerte aus der DCM-Erfassung zeigen, dass die Bewohner in den Hausgemeinschaften sich wohler fühlen und sich dieses Gefühl im weiteren Aufenthalt in der Einrichtung steigert (Tabelle Nr.28). Die Ergebnisse der DCM- Erfassung werden durch die Einschätzungen der Mitarbeiter, der Angehörigenbe- fragung und den Rückmeldungen der Untersucher gestützt. Die Untersucher beo- bachteten in der Hausgemeinschaft ein allgemeines Wohlbefinden bei den Bewoh- nern, den Angehörigen, den Mitarbeitern und bei sich selbst. Dieses Wohlbefinden scheint sich durch die kleine Gruppe wechselseitig zu verstärken. Damit stellt sich die Frage, in wie fern sich die Beobachter dieser Wirkung entzie- hen konnten und ihre ermittelten Werte das tatsächliche Geschehen abbilden kön- nen. Deshalb sollten die Werte mit Einschränkung und im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Befragungen und Beobachtungen betrachtet werden. Eine weitere 135 Einschränkung in der Interpretation der Werte ergibt sich aus zwei möglichen ver- zerrenden Einflüsse (siehe Kapitel 6.3.3). Erstens kann die positive Entwicklung der Werte in der zweiten Erfassung durch Lerneffekte auf Grund der Rückmeldun- gen der PEs und PDCs aus der ersten Erfassung beeinflusst sein. Das würde bedeu- ten, dass sie die Mitarbeiter der Hausgemeinschaften zur Weiterentwicklung ge- nutzt haben. Zweitens kann der Wohlfühlwert durch krankheitsbedingte Ausfälle des Personals beeinflusst werden. Demnach gelingt es in der Hausgemeinschaft eher, die Ausfälle durch verschiedene Maßnahmen aufzufangen. Tabelle Nr. 28: Zusammenfassende Darstellung der Wohlbefindenswerte (DCM) In der folgenden Übersicht Nr. 29 wird die gesamte Datengrundlage in Bezug auf die WIB-Werte dargestellt. Ersichtlich wird, wie sich die Wohlbefindenswerte in beiden Einrichtungen verteilen. WIB-Wert +5 stellt den Wert dar, der das höchste Maß an Wohlbefinden ausdrückt. Die stärkste negative Beeinflussung des Wohlbe- findens wird mit dem WIB-Wert –5 belegt. 1,5 1,9 0,8 0,8 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 1,6 1,8 2 T1 T2 Erfassungszeitpunkte WIB-Werte Einrichtung A Einrichtung B 136 Tabelle Nr. 29: Übersicht der einzelnen WIB-Werte (DCM) (Einrichtung A) T1 T2 1058 1556 1,5 915 1693 1,9 WIB-Gruppenwerte Zeitabschnitte Gruppen WIB Wert 17- 2% 299-28% 662-63% 76- 7% 0- 0% 0- 0% 25- 3% 349-38% 531-58% 10- 1% 0- 0% 0- 0% WIB +5 WIB +3 WIB +1 WIB –1 WIB –3 WIB –5 (Einrichtung B) T1 T2 979 766 0,8 988 834 0,8 WIB-Gruppenwerte Zeitabschnitte Gruppen WIB Wert 17- 0% 85- 9% 724-74% 150-15% 16- 2% 3- 0% 2- 0% 113-11% 708-72% 142-14% 17- 2% 6- 1% WIB +5 WIB +3 WIB +1 WIB –1 WIB –3 WIB –5 Zur besseren Übersichtlichkeit werden die einzelnen WIB-Werte in Form von Bal- kendiagrammen dargestellt. Bei der Betrachtung der Tabellen Nr. 28 und 29 fällt auf, dass der Wohlbefindenswert (1,5) bei Einzug in die Hausgemeinschaft fast doppelt so hoch ist wie in der Vergleichseinrichtung (0,8). Der Wohlbefindenswert steigt mit der Verweildauer in der Hausgemeinschaft auf 1,9 an, während er in der Vergleichseinrichtung auf 0,8 stehen bleibt. Dies ist nicht mit einer Verschlechte- rung des Allgemeinzustandes der Bewohner in der Vergleichseinrichtung zu erklä- ren, da der durchschnittliche Pflegebedarf pro Bewohner pro Tag zwischen dem ersten und dem zweiten Untersuchungszeitraum nicht wesentlich ansteigt und in beiden Einrichtungen vergleichbar hoch ist. Des Weiteren steigen die Wohlbefindenswerte der Bewohner der Hausgemein- schaft in den höheren WIB Werten wie WIB +3 (von 28 auf 38 Prozent) und +5 (von 2 auf 3 Prozent) an (Tabellen Nr. 30, 31, 32 und 33). Diese Kategorien sind mit einem erheblichen Wohlfühlen der Bewohner verbunden. Darüber hinaus nimmt die einzige hier erfasste negative WIB-Wertkategorie –1 von 7 Prozent auf 1 Prozent ab. Werte wie –3 und –5 kommen in den Hausgemeinschaften im Gegen- satz zu der Vergleichseinrichtung nicht vor. In der Vergleichseinrichtung ist eine leichte Zunahme von +3 Werten (von 9 auf 11 Prozent) von T1 zu T2 und das erst- malige Auftreten von –5 Werten (1 Prozent) in T2 zu verzeichnen. 137 Tabelle Nr. 30: Zusammenfassende Darstellung der Wohlbefindenswerte in der ersten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM, N= 20) 2 28 63 7 0 00 9 74 15 2 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 WIB +5 WIB +3 WIB +1 WIB -1 WIB -3 WIB -5 Anzahl A B Tabelle Nr. 31: Zusammenfassende Darstellung der Wohlbefindenswerte in der zweiten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM, N = 20) 3 38 58 1 0 00 11 72 14 2 1 0 10 20 30 40 50 60 70 80 WIB +5 WIB +3 WIB +1 WIB -1 WIB -3 WIB -5 Anzahl A B Tabelle Nr. 32: Darstellung der Wohlbefindenswerte in der ersten und zweiten Untersuchungsphase nur Hausgemeinschaftseinrichtung in Prozent (DCM, N = 20) 2 28 63 7 0 03 38 58 1 0 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 WIB +5 WIB +3 WIB +1 WIB -1 WIB -3 WIB -5 Anzahl T1 T2 138 Tabelle Nr. 33: Darstellung der Wohlbefindenswerte in der ersten und zweiten Untersuchungsphase nur Vergleichseinrichtung in Prozent (DCM, N = 20) 0 9 74 15 2 00 11 72 14 2 1 0 10 20 30 40 50 60 70 80 WIB +5 WIB +3 WIB +1 WIB -1 WIB -3 WIB -5 Anzahl T1 T2 Verhaltenskategorien Anhand der 24 Verhaltenskategorien des DCM können die Aktivitäten der Bewoh- ner über den Erfassungszeitraum erfasst und dargestellt werden (zu den einzelnen Verhaltenskategorien siehe Anhang). Laut Manual Nr. 7 (Bradford Dementia Group, 1997, 29) stellen die Verhaltenskategorien eine Art „Fingerabdruck“ der Pflegeumgebung dar (Tabellen Nr.34 und 35). Die Verhaltenskategorien des DCM werden grob nach dem Grad des personsein- fördernden Potentials unterteilt. Als besonders personseinfördernd (Typ 1) werden die Kategorien A, E, F, G, H, I, J, L, M, O, P, R, S, T, X eingestuft. Bei der Be- trachtung der folgenden beiden Tabellen fällt auf, dass alle Typ 1 Kategorien in der Hausgemeinschaft in ihrem Vorkommen überwiegen. Einzige Ausnahme bietet die Kategorie M, die für „sich mit Medien beschäftigen“ steht. Hier überwiegen die Zahlen in der Vergleichseinrichtung, da die Bewohner in den Fernsehraum ge- bracht wurden. In den Hausgemeinschaften überwiegen die personseinfördernden Verhaltenskate- gorien. 139 Tabelle Nr. 34: Anzahl der Verhaltenskategorien erste Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM, A N= 1058/B N= 979) 0 0 0,8 0,4 0 0,3 0,2 0 8,9 0,5 8,5 2,4 1 12,2 0,2 1 6,1 1,1 28 0,2 0,2 2,3 17,1 8,7 0 0,9 0,1 0,2 0,5 0,6 0 0 6,8 1,5 6,8 3,5 1,5 12,7 1,7 0 0,2 0,9 22,8 0 2,1 6,8 23,3 6,8 0 5 10 15 20 25 30 Zero Option Yourself Halluzination X-cretion Withstanding Unresponded to Timalation Sex Religion Physical Care Own Care Nod, Land of Media Labour Kum&Go Joints Intellectual Handicraft Games Food Expression Distress Cool Borderline Articulation Kategorien Prozent Einrichtung B Einrichtung A 140 Tabelle Nr. 35: Anzahl der Verhaltenskategorien in der zweiten Untersu- chungsphase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM, A N= 979; B N = 988) 0 0,4 0 0,3 0,1 0,3 0 0 5,5 1,2 1,3 1,3 3,9 9,3 0,9 1,2 3,4 3,3 31,3 1,5 0 0,1 23,5 11,1 0 0,3 0 0,5 0,9 0,2 0 0 4,7 0,7 6,9 1,7 0,8 11 0,5 0 0,3 3,1 24,3 0,2 3,7 6,7 26,4 7 0 5 10 15 20 25 30 35 Zero Option Yourself Halluzination X-cretion Withstanding Unresponded To Timalation Sex Religion Physical Care Own Care Nod, Land of Media Labour Kum&Go Joints Intellectual Handicraft Games Food Expression Distress Cool Borderline Articulation Kategorien Prozent Einrichtung B Einrichtung A 141 Erkennbar wird anhand der Tabellen Nr. 34 und 35 die starke Dominanz der Kate- gorien F (food= Essen und Trinken) und B (Borderline= Sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) in beiden Einrichtungen. Weiter wird erkennbar, dass in der Hausgemeinschaftseinrichtung ein breiteres Spektrum an Verhaltenskatego- rien von den Bewohnern wahrgenommen wird und dass dies im weiteren Verlauf des Aufenthaltes in der Einrichtung zunehmend genutzt wird. Im Folgenden wird intensiver auf zwei besonders auffallende Kategorien eingegangen. Dies sind die Kategorien F (Food = Essen und Trinken) und B (Borderline = passives Beobach- ten). Kategorie B Bei der Interpretation der Werte ist eine Besonderheit in der Erfassung zu beach- ten. So beinhaltet die Kategorie B nur Werte, die sich im plus Bereich befinden (+1 und +3). Zum besseren Verständnis der vorgefundenen Werte folgt ein Auszug aus dem Manual Nr. 7 mit dem die Einschätzung in der Kategorie und die Festlegung der Werte durch die Mapper vorgenommen wird. Auszug aus dem Manual Nr. 7 (Bradford Dementia Group, 1997, S. 39) „Kategorie B Auf Passive Weise Sozial Einbezogen Sein +3 starkes Interesse an anderen oder der Umgebung zeigen, ohne selbst beteiligt zu sein, z. B. still dasitzen und aufmerksam beobachten, was geschieht; der Unter- haltung anderer mit großem Interesse folgen; mit offenbarem Vergnügen bei einer Veranstaltung Teil des Publikums sein. +1 ein wenig Interesse an anderen oder der Umgebung zeigen, ohne selbst beteiligt zu sein, z. B. wach sein aber ohne Anzeichen emotionaler, sozia- ler oder intellektueller Anteilnahme; nach Objekten wie der Uhr schauen; gelegentliches Interesse an der Umgebung zeigen.“ In den Hausgemeinschaften sind die +3 Werte in der Kategorie B mit einem erhöh- ten Aufmerksamkeitsfaktor und insgesamt stärker vertreten. Dies ist verständlich, da es in den Wohnküchen durch die verschiedenen Aktivitäten und durch die Her- stellung der Speisen und Getränke, sowie die ständige Anwesenheit einer Präsenz- kraft kontinuierliche Beobachtungsmöglichkeiten gibt. Wie in der Tabelle Nr. 36 dargestellt, sind die WIB Werte in der Kategorie B in der Vergleichseinrichtung eher im unteren Bereich angesiedelt. Diese Ergebnisse unterstützen die offenen Beobachtungen, in denen in der Vergleichseinrichtung lange Phasen der Leere und der Langeweile festgestellt wurden. Es gab dort wenig zu beobachten. Tabelle Nr. 36: Verteilung der WIB-Werte für die Kategorie B in Prozent (DCM) WIB-Werte Einrichtung A T1 Einrichtung B T1 Einrichtung A T2 Einrichtung B T2 B +1 70% 93% 58% 94% B +3 30% 7% 42% 6% Kategorie F Für die Erfassung der F Kategorie kann das gesamte Spektrum von +5 bis –5 ein- gesetzt werden. Die positiven F - Werte sind abhängig von der Kommunikation, das bedeutet, dass immer dann positive F-Werte kodiert werden, wenn im Rahmen 142 des Essens und Trinkens miteinander gesprochen wurde. Auszug aus dem Manual Nr. 7 (Bradford Dementia Group, 1997, 43): „Kategorie F Essen Und Trinken +5 Mit Vergnügen eine Mahlzeit zu sich nehmen mit einem hohen Grad an Geselligkeit und offensichtlichem Geschmack z. B. in Gemeinschaft mit anderen ein sehr wohlschmeckendes Mahl zu sich nehmen; sehr kennt- nisreich, geschickt und einfühlsam das Essen gereicht zu bekommen – wo- bei es offensichtlich gut schmeckt +3 in wohlwollender Gemeinschaft und/oder mit recht viel Genuss eine Mahlzeit zu sich nehmen, z. B. eine wohlschmeckende Kleinigkeit zu sich nehmen während man sich zwischendurch mit einem anderen unter- hält; ohne Kontakt zu anderen ein gutes Essen genießen +1 eine Kleinigkeit zu sich nehmen oder etwas trinken mit einem deutli- chen Anzeichen des Wohlbefindens z. B. die Zwischenmahlzeit entspannt zu sich nehmen; ganz zufrieden aber allein umhergehen und dabei ein But- terbrot zu sich nehmen -1 Essen oder Trinken mit einigen geringfügigen Anzeichen der Unzufriedenheit oder des Unwohlseins, z. B. allein eine Tasse Tee schlürfen und dabei erkennbar unglücklich sein; ein Stück Kuchen essen und sich mit den Krümeln herumärgern -3 die Eigenständigkeit ist beträchtlich eingeschränkt, die erwünschte Gemeinschaft beim Essen wird vermisst oder das Essen/Getränk schmeckt offenbar nicht; eine Kombination solcher Elemente, die be- trächtliches Unwohlsein anzeigt, z. B. ohne das Gebiss unter Schmerzen aber hungrig das Butterbrot essen wollen; zur `Bestrafung` alleine essen müssen; obwohl in der Lage, eigenständig zu essen, wird aus Bequemlich- keit das Essen gereicht -5 Erhebliche Einschränkungen der Eigenständigkeit oder vollständige Unzufriedenheit mit Essen oder Getränk; oder eine Kombination sol- cher Elemente, die sehr erhebliches Unwohlsein anzeigt, z. B. Speisen, die man nicht mag, achtlos in den Mund gestopft zu bekommen; während man auf dem Toilettenstuhl sitzt, zum Essen genötigt werden und sich of- fensichtlich ekeln.“ In beiden Einrichtungen ergeben sich Unterschiede in der Verteilung der Wohlbe- findenswerte (WIB) bei der Kategorie F (siehe Tabelle Nr. 37). In der Hausge- meinschaftseinrichtung sind deutliche höhere WIB – Werte, beim Essen und Trin- ken zu verzeichnen. Dies ist auf die erhöhte Kommunikation beim Speisen zurück- zuführen. Die niedrigeren Werte bestätigen die Beobachtungen in der Ver- gleichseinrichtung. Hier wurde wenig mit den Tischnachbarn oder Mitarbeitern gesprochen. Die Verteilung der Speisen geschah oft unter Zeitdruck, das Essen wurde schweigend eingenommen und die noch gehfähigen Bewohner verließen unmittelbar nach dem Essen den Speiseraum. 143 Tabelle Nr. 37: Verteilung der WIB-Werte für die Kategorie F in Prozent (DCM) WIB- Werte Einrichtung A T1 Einrichtung B T1 Einrichtung A T2 Einrichtung B T2 F -5 F –3 1% 1% F –1 7% 5% 5% F +1 58% 89% 64% 78% F +3 33% 6% 33% 16% F +5 1% 3% Der Abwechslungsfaktor Das DCM lässt die Berechnung eines „Abwechslungsfaktor“ oder auch „Demenz- pflegeindex“ (Bradford Dementia Group, 1997, 88) zu. Er verdeutlicht, in welchem Umfang die Bedürfnisse der Bewohner nach Beschäftigung erfüllt werden und in welcher Bandbreite die verschiedenen Verhaltenskategorien zur Umsetzung kom- men. Der DCI wird berechnet, in dem die Typ 1 Kategorien wie A, E, G, H, I, J, L, M, O, R, S, T (siehe Kapitel Nr. 7), die für mindestens 2 Prozent der Beobachtungszeit mit positiven Werten aus den Datensammelblättern einzeln ermittelt werden. F, P (Physical Care = Pflege erfahren) und X (X-cretion = Ausscheidung) werden dabei nicht berücksichtigt, da sie Teil der Grundversorgung darstellen. Ebenfalls nicht berücksichtigt wird die Kategorie K (Kum&Go = Unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewegen), da diese nicht im Zusammenhang mit der Beschäftigung gese- hen wird. Der DCI wird mit der Formel berechnet: „DCI = Grupen WIB Punktzahl x d x 5 (Die Zahl 5 dient hier einfach dem Zweck, den DCI in einen günstigen Bereich zu bringen.)“ (Bradford Dementia Group, 1997,89) d = Anzahl der über 2 Prozent liegenden Verhaltenskategorien. 144 Für die Hausgemeinschaftseinrichtung (A) ergeben sich in der ersten und zweiten Untersuchung folgende Werte Erste Untersuchung Insgesamt gab es 215 ausgewählte Typ 1 Kategorien, davon waren: A = 92 (92 : 215 x 100) = 42,8% G = 12 (12: 215 x 100) = 5,6 % H = 65 (65 : 215 x100) = 30,2 % M = 25 (25 : 215 x100) = 11,6 % O = 5 (5 : 215 x 100) = 2,3 % Zweite Untersuchung Insgesamt gab es 251 ausgewählte Typ 1 Kategorien, davon waren: A = 102 (102 :251 x 100) = 40,6 % E = 14 (14 : 251 x100) = 5,6 % G = 30 (30 : 251 x 100) = 11,9 % H = 27 (27 : 251 x 100) = 10,8 % I = 11 (11 : 251 x 100) = 4,4 % J = 8 (8 : 251 x 100) = 3,2 % L = 36 (36 : 251 x 100) = 14,3% M = 12 (12 : 251 x 100) = 4,8 % O = 11 (11 : 251 x 100) = 4,4 % Gruppen WIB-Wert 1,5 Gruppen WIB-Wert 1,9 1,5 x 5 x 5 = 37,5 DCI (Abwechslungs- faktor) 1,9 x 9 x 5 = 85,5 DCI (Abwechslungs- faktor) Für die Vergleichseinrichtung (B) ergaben sich folgende Werte Erste Untersuchung Insgesamt ergaben sich 120 ausgewählte Typ 1 Kategorien, davon waren: A = 61 (61 : 120 x 100) = 50,8 % G = 6 (6 : 120 x 100) = 5 % J = 11 (11 : 120 x 100) = 9,2% M = 21 (21 : 120 x 100) = 17,5 % O = 9 (9 : 120 x 100) = 7,5 % Zweite Untersuchung Insgesamt ergaben sich ausgewählte 117 Typ 1 Kategorien, davon waren: A = 60 (60 : 117 x 100) = 51,3 % G = 28 (28: 117 x 100) = 23,9 % J = 5 ( 5: 117 x 100) = 4,3 % L = 5 (5 : 117 x 100) = 4,3 % M = 15 (15 : 117 x 100) = 12,8 % Gruppen WIB-Wert 0,8 Gruppen WIB-Wert 0,8 0,8 x 5 x 5 = 20 DCI (Abwechslungsfaktor) 0,8 x 5 x 5 = 20 DCI (Abwechslungsfaktor) Tabelle Nr. 38: Darstellung der Entwicklung des Abwechslungsfaktors in der ersten und zweiten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B (DCM) 37,5 85,5 20 20 0 20 40 60 80 100 T1 T2 Erfassungszeitpunkte Abwechslungs faktor Einrichtung A Einrichtung B 145 Während der Abwechslungsfaktor in der Vergleichseinrichtung auf 20 blieb, war der Abwechslungsfaktor in der Hausgemeinschaftseinrichtung bereits in der Aus- gangsposition mit 37,5 höher und steigerte sich im weiteren Aufenthalt der Be- wohner in dieser Einrichtung auf 85,5 (Tabelle Nr. 38). Erkennbar wird anhand des Abwechslungsfaktors die breite Nutzung verschiedener Beschäftigungsangebote in der Hausgemeinschaft. Darin bestehen ihre klaren Vorzüge. Damit wird deutlich, dass in der Hausgemeinschaftseinrichtung sehr viel mehr Beschäftigungsmöglichkeiten genutzt werden können. Diese Einschätzung wird durch die Feldnotizen der DCM-Mapper gestützt. Aktivitäten und Mahlzeitensituation Die herausragende Anzahl an F Werten in beiden Einrichtungen macht deutlich, dass eine der wichtigsten Aktivitäten am Tage das Essen und Trinken ist. Im Fol- genden werden Ergebnisse aus den Feldnotizen zu Aktivitäten und der Mahlzeiten- situation wiedergegeben. In ihnen werden die Unterschiede beider Einrichtungen deutlich: in der Hausgemeinschaft ist der Tag durch „Miterleben“ geprägt, in der Vergleichseinrichtung durch Phasen der „Langeweile“. Ergebnisse aus den Feldnotizen zu den Aktivitäten in der Hausgemeinschafts- einrichtung: - Beschäftigung wurde in den Hausgemeinschaften von den Wohnküchenmitarbeiterinnen angeboten, daher eine größere Palette an Verhaltenskategorien, die die Aktivitäten wiedergeben. Angeboten wurden zwischen dem Frühstück und den Vorbereitungen für das Mittagessen zum Beispiel ein kleiner Spaziergang an die nahe Weser, Dauer zirka 30 Minuten; kleine Spiele zum Beispiel mit dem Ball auf dem Flur unmittelbar vor der Wohnküche, nicht beteiligte Bewohner schauten zu, Mithilfe bei der Hausar- beit, Abtrocknen, Spülen, Obst und Gemüse schälen, Kochen, Bügeln, Wäsche falten/zusammenlegen, Tisch eindecken- abräumen. - Die F-Werte waren mit +3 versehen, da sich der Rahmen und das Miterleben, wie das Essen hergestellt wird, mit der Möglichkeit zu probieren, positiv aus- wirkte. - Es roch in den Wohnküchen nach Essen/Kaffee/Kuchen etc. Diese Beobach- tungen schlugen sich nicht in den DCM Werten nieder, da es immer nach Es- sen beziehungsweise Kaffee roch, ohne dass Bewohner dies speziell zum Aus- druck brachten. Im Zusammenhang mit der Ernährungssituation konnten die Untersucher selbst feststellen, dass sich in den Beobachtungssequenzen in den Wohnküchen durch das Beobachten und Wahrnehmen der Essensdüfte allmäh- lich der Hunger regte, während in den klassischen Einrichtungen die Speisen erst kurz vor der Verteilung auf die Station gebracht wurden und dann erst ro- chen beziehungsweise präsent waren. Die Vorfreude auf das Essen blieb hier weitgehend ausgeschlossen. 146 Feldnotizen zu den Aktivitäten in der Vergleichseinrichtung: - Beobachtet wurden lange Phasen des Rückzugs der Bewohner in ihr Zimmer. - Positive Intervention häufig nur durch andere Bewohner, da Pflegepersonal beziehungsweise Hauswirtschaftsmitarbeiter selten in den öffentlichen Räumen anwesend waren. Sie sind vor allem vormittags zwischen 9.00 und zirka 11.30 Uhr und nachmittags zwischen 15.00 und 17.30 Uhr in den Bewohnerzimmern beziehungsweise Dienstzimmern unterwegs. Dies sind die Zeiten, in denen die Bewohner in den Gemeinschaftsräumen sich selbst überlassen sind. - Einige Bewohner werden nach dem Frühstück und der pflegerischen Versor- gung direkt in den Fernsehraum geschoben. Dort blieben sie bis zum Mittages- sen sich selbst überlassen oder einem zum Teil unangenehmen Fernsehpro- gramm. Zu beobachten war, dass in der Zeit, in der die Bewohner von den Pflegekräften in den Fernsehraum gebracht wurden, die Pflegekräfte auf ein angemessenes Programm achteten. In der Zwischenzeit, bis zu den Mahlzeiten, wechselten allerdings die Sendungen, so dass die Bewohner mit Sendungen mit Kriegszenen oder mit Liebeszenen konfrontiert wurden. Die meisten Bewohner waren nicht in der Lage, das Programm beziehungsweise den Raum zu wech- seln und mussten über längere Zeit gezwungenermaßen zuschauen. Zu beo- bachten war in diesen Situationen eine zunehmende Unruhe der Bewohner, zum Teil wirkten sie auch verängstigt und aggressiv. Ihre Abhängigkeit von der Hilfestellung durch das Personal wurde in solchen Situationen besonders deutlich. - Die Geräuschkulisse: im Gemeinschaftsbereich Stille, im Hintergrund schreien Bewohner in ihren Zimmern oder machen durch andere Geräusche auf sich aufmerksam. - Es riecht oft nach Urin und Ausscheidungen, vor allem in den Zeiten nach den Mahlzeiten. Die Mitarbeiter scheinen den Geruch nicht mehr wahrzunehmen oder zu ignorieren. - Gruppenangebote fallen wegen Krankheit der Sozialdienstmitarbeiterin kom- plett aus (im beobachteten Zeitraum mehrere Wochen am Stück). Dadurch gähnende Langeweile in den Zeiten zwischen den Mahlzeiten. - Das Essen wurde schnell eingenommen (nur kurze Frequenzen mit F), davor langes Warten im Gemeinschaftsraum, danach rasches Verschwinden in den Zimmern. Einige Bewohner (in der Regel sind es dementiell erkrankte Bewoh- ner) wurden nach dem Toilettengang wieder in den Gemeinschaftsraum bezie- hungsweise den Fernsehraum geschoben. Dort verblieben sie, bis wiederum die Mahlzeiten verteilt wurden. Sie saßen dort und schauten vor sich hin oder schliefen ein, es herrschte Stille. - Manchmal lief das Radioprogramm im Hintergrund, manchmal war es sehr laut und die Musik wurde nicht auf die Bewohner abgestimmt. Die oben geschilderten Beobachtungen verdeutlichen noch einmal die Unterschie- de beider Settings. In den Hausgemeinschaften ist der Tag durch verschiedene Ak- tivitäten und Möglichkeiten des „Miterlebens“ gefüllt. Das Leben in der Ver- gleichseinrichtung ist geprägt von Zeiten der Langeweile. 147 7.1.7. Einschätzungen von Laien und Professionellen Gibt es Unterschiede in der Einschätzung und im Umgang mit Selbsthilfefähigkei- ten, Wohlfühlen, der Interaktion und Kommunikation mit dementiell erkrankten Bewohnern zwischen qualifizierten Pflegekräften, Angehörigen und weniger quali- fizierten Mitarbeitern? Zur Einschätzung der Hilfe- und Unterstützungsbedarfe, des Wohlfühlens und der sozialen Kontakte wurden Pflegekräfte, Angehörige und Hauswirtschaftskräfte gesondert mit der gleichen Fragestellung konfrontiert. Die Ergebnisse zeigen eine unterschiedliche Wahrnehmung der gleichen Personen. Die Unterschiede ergeben sich insbesondere bei der Einschätzung der Selbsthilfefähigkeiten. Der größere Unterstützungsbedarf wird von den Pflegekräften angegeben. Ergebnisse aus der Angehörigenbefragung In der Angehörigenbefragung wurde eine offene Frage gestellt: „Haben Sie bei ihrem/ihrer Angehörigen nach Einzug in die Einrichtung Veränderungen festge- stellt? Wenn ja, positiv oder negativ? Bitte geben sie uns eine kurze Beschreibung in Stichworten.“ Einige Angehörige nutzten die Befragung, um sich über verschiedene Aspekte zu beschweren. Rücklauf der Fragebögen: von jeweils 20 Angehörigen schickten in der Einrichtung A 14 Angehörige den Fragebogen ausgefüllt zurück. In der Ver- gleichseinrichtung waren es 12. Keiner der Angehörigen hat von der Antwortkate- gorie „lässt sich nicht beantworten“ Gebrauch gemacht, während die Pflegekräfte und Hauswirtschaftskräfte in beiden Einrichtungen darauf zurückgegriffen haben. Antworten der Angehörigen aus der Vergleichseinrichtung zur offenen Frage- stellung (wörtliche Wiedergabe): - Merkfähigkeit hat sich verschlechtert, Vergesslichkeit ist schlimmer geworden. - Lässt sich schlecht beantworten, mal ist sie zufrieden, dann wieder nicht, bei- des hängt von der Tagestimmung bzw. von dem eigenen Befinden ab. - Bei der Abholung der Schmutzwäsche gibt es Störungen, die zu Engpässen führen, wenn nicht geliefert wird. Toilettenpapier ist nicht immer ausreichend da, dadurch ergeben sich große Probleme. Bei der Wahl der Kleidung sollte das Personal behilflich sein, beziehungsweise kontrollieren. - Keine Veränderung. - Meine Mutter kann nicht alleine essen und gefüttert wird sie kaum, deshalb klagt sie über Hunger, auch richtig gewaschen wird selten, die Mitbewohner sollen nicht helfen und das Personal hat zu wenig Zeit, so bleibt alles beim Al- ten und das für das viele Geld. - Negativ: Fragen I-IV- stark personengebunden, Angehörige werden so einem Wechselbad unterzogen- je nach Schicht; positiv: Anregungen werden zum Beispiel aufgegriffen 148 - Lässt sich nicht beschreiben, da der Krankheitsverlauf zunimmt! Grundver- pflegung erscheint mir verbesserungswürdig. - Ich habe keine Veränderungen festgestellt, weder positiv noch negativ. - Der Aufenthalt im Pflegeheim macht ihr Mühe, weil sie ihre Selbständigkeit aufgeben musste. - Weniger Interesse am Alltagsleben; zu wenig Aufforderungen, an Veranstal- tungen etc. teilzunehmen. Antworten der Angehörigen aus der Hausgemeinschaftseinrichtung zur offe- nen Fragestellung (wörtliche Wiedergabe): - Etwas leichtere Kost, nicht so viele angedickte weiße Soßen und Käse, kennen die älteren Herrschaften nicht, lieber deutsche Hausmannskost! Nettes Perso- nal, gute Pflege, eigentlich positiv. - Mein Mann kapselt sich ab, will seine Ruhe haben. Hobby, Politik/Deutsche Geschichte, daher kaum Ansprechpartner im Heim, da überwiegend Frauen – Angebotene Freizeitgestaltung kein Interessen. Ein Heim wie Rablinghausen kann noch so gut geführt sein, es erreicht den Bewohner nicht, wenn der sich sperrt. Wünsche, wie Essen - Trinken – Körperpflege werden nach Möglichkeit erfüllt. Mein Mann ist kriegsbeschädigt: Einbeinig. - Ist kontaktfreudiger als vorher zu Hause, der Ehrgeiz gesundheitlich fitter zu werden, ist gestiegen, da dadurch der Glaube entsteht, wieder ins eigene Heim zurück zu kommen. - Hat verständlicherweise Schwierigkeiten, sich auf ein Leben in einem Heim einzustellen; zu I.: liegt nicht an der Einrichtung sondern an der Umstellung von einem selbstbestimmten Tagesablauf auf ein Leben als Heimbewohnerin allgemein. Zu IV: meine Mutter hat allgemein eine Schwierigkeit zu anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. - Der Allgemeinzustand hat sich leicht verbessert. - Positiv, seine räumlichen Bewegungsmöglichkeiten sind erheblich größer, er hat mehr zu beobachten, erhält mehr Zuwendung und Zuspruch, kann Zunei- gungen entwickeln. Vor allem: er ist wieder fröhlicher geworden, auch wenn er es in Worten nicht mehr ausdrücken kann. - Ja, sie kann wieder mit ihrem Rollator alleine fahren. Ebenso teilweise ihr Brot/Brötchen selber schmieren, Hilfsarbeiten in der Küche. - Positiv: nach unserem Wissenstand keine oder kaum noch Urin- bzw. Stuhlinkontinenz. Gehen mit dem Rollator, An- und Ausziehen, Toilette gehen (auch nachts). Negativ: zu wenig Trinken, genügend Essen? In letzter Zeit stärkeres Kopfschütteln und ab und an Gereiztheit/Starrsinn?... Gerade bei Alters-Demenz ist eine Betreuung und Kontrolle in der Pflege trotz jeglicher Selbsthilfetätigkeiten unerlässlich. Wir denken zum Beispiel an das Putzen der Zähne beziehungsweise des Gebisses, Hörgerät, Fuß- und Fingernägel, Ordnung im Kleiderschrank, oder auch tagsüber der Blick auf die Kleidung, ob 149 Kleiderschrank, oder auch tagsüber der Blick auf die Kleidung, ob Hemd / Bluse / Rock / Hose richtig angezogen wurden, Flüssigkeitsaufnahme. Bei die- ser Gelegenheit möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass auch wir uns bei un- seren Besuchen wohlfühlen und unter Einschränkung auch guten Kontakt zu der Leitung und zum jeweiligen Schichtpersonal haben. Die Angehörigen in der Hausgemeinschaftseinrichtung nutzten die Gelegenheit der Befragung, um sich überwiegend positiv über die Entwicklungen ihrer Angehöri- gen in der Einrichtung zu äußern. Die letzte Antwort macht aber auch deutlich, dass die Erwartungen der Angehörigen an das Pflegepersonal in Richtung eines stärkeren Eingreifens gehen. Eine weitere Frage, die den Angehörigen gestellt wurde, war, inwiefern ihnen sei- tens der Institution Möglichkeiten eingeräumt wurde, sich in das Alltagsgeschehen in der Einrichtung einbringen zu können. In beiden Einrichtungen wurde diese Frage überwiegend positiv beantwortet. Mit „nein“ und „teilweise“ antworteten jeweils drei Angehörige. Dieses Ergebnis ist in der Vergleichseinrichtung nicht erwartet worden. Hier hätten die negativen Einschätzungen überwiegen müssen. Es kann vermutet werden, dass die Fragestellung zu ungenau ist und für unterschiedli- che Interpretationen Spielraum lässt. Ergebnisse der zweiten Mitarbeiterbefragung zur Pflegeverlaufseinschätzung aus der Vergleichseinrichtung (wörtliche Wiedergabe): - am Anfang war sie enttäuscht, da erst Kurzzeitpflege von den Kindern ver- sprochen wurde, dann aber Langzeitpflege wurde; jetzt fast selbständig (nur noch Hilfe beim Duschen und Medikamente geben notwendig); hat sich einge- lebt. - zu II mal mehr –mal weniger von der Tagesform abhängig; zu III Angebote macht sie mit - kein Kontakt aufgrund der Sprachschwierigkeiten; Briefwech- sel rege; Besuch häufig; positiv: sie traut sich jetzt was zu sagen, auch ihre Wünsche zu äußern. - legt viel Wert auf gepflegtes Aussehen, schicke Kleidung; Heimaufenthalt: sie akzeptiert das Hier sein, aber nicht als endgültig - ihre Wohnung hat sie behal- ten; am Anfang wollte sie nur im Zimmer bleiben - jetzt kommt sie gerne und freiwillig in den Aufenthaltsbereich; freundliche ruhige Bewohnerin. - kann sich nicht mehr selbst versorgen; waschen; anziehen. - häufige Stürze; Rückzug ins Zimmer; ist dort viel alleine; positiv: Unzufrie- denheitsäußerungen haben nachgelassen; fühlt sich mehr wohl als am Anfang. - Positiv: Inkontinenz ließ nach; Grundpflege führt sie selbstständig durch; äu- ßert ganz klar: fühlt sich sehr unwohl, da es nicht das zu Hause ist, laut eigener Aussage. - Am Anfang eine sehr positive Entwicklung zum Beispiel selbständig Rolli fahren; seit Dez. 03 sehr körperlicher Abbauprozess, selbständiges Rollifahren, Essen, Stehen nicht mehr möglich. 150 - Nachts Kotschmieren, kann den Toilettenstuhl nicht mehr selbständig benut- zen, allgemeiner Abbau, Gesichtsausdruck verändert sich. - Eher schlechter wegen Rheuma; Motivation hat nachgelassen; sie ist passiver geworden, ungeduldiger geworden. - Gewichtsabnahme; gepflegtes Äußeres, tägliches Mobilisieren im Rolli; Ta- gesstruktur. - Herr ... ist sehr zurückgezogen; bzw. auf seine Lebensgefährtin fixiert; rapider Abbau seines AZ (Allgemeinzustandes, Anmerkung der Autorin), körperlich + kognitiv. - Bringt sich in den Alltag gerne mit ein z. B. Tischauf/abdecken, Küchentätig- keiten, wird grummelig wenn sie nichts zu tun hat, will dann nach Hause. - Tagesstruktur des täglichen Aufenthalt im Dementenbereich gegeben, fühlt sich dort scheinbar „wohl“. - Seit dem Frau ... ein Einzelzimmer hat, weniger depressive Verstimmungen. - Kommunikation mit Mitarbeiter (verbal, nonverbal). Auffällig ist, dass die Mitarbeiter eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und des Pflegebedarfes der Bewohner beschreiben, die sich aber anhand der not- wenigen Pflegeminuten nicht nachvollziehen lassen. Die notwendigen Pflegeminu- ten hätten dementsprechend stark ansteigen müssen, tatsächlich sind sie jedoch insgesamt nur um zirka sechs Minuten angestiegen. Ergebnisse der zweiten Mitarbeiterbefragung Einrichtung (A) Pflegemitarbei- ter und Wohnküchenmitarbeiter (in der Darstellung mit HWS gekennzeich- net) zur Pflegeverlaufseinschätzung bei den gleichen Bewohnern (wörtliche Wiedergabe): - Zunahme der Passivität, muss motiviert werden, die Zusammenhänge sind incl. Zeit auch bei einfachen Tätigkeiten nicht mehr nachvollziehbar. - HWS: keine Weglauftendenzen mehr, wirkt ruhiger, beim Essen braucht er mehr Unterstützung, redet mehr. - Ja, geht alleine zur Toilette; zieht sich zum Teil selbständig an und aus; kommt alleine zu den Mahlzeiten; legt sich zum Mittagessen selbst hin zur Mittagsru- he; ist sehr redefreudig. - Merkt ihre Vergesslichkeit, hat guten Kontakt zu anderen Bewohnern; hilft anderen Bewohnern, faltet gerne Servietten, stellt das Geschirr zusammen. - Allgemeinzustand ist gleichbleibend geblieben Fr.... ist nicht mehr so ängst- lich. - Zustand ist unverändert. Nimmt an regelmäßigen Veranstaltungen die im Hau- se stattfinden teil. - HWS: nicht mehr zurückgezogen sowie an Anfang, sehr hilfsbereit. 151 - Fr.... unterhält sich sehr mit anderen Bewohnern, ist sehr aufgeschlossen. - HWS: sitzt nicht mehr oft im Zimmer, geht sehr oft nach draußen, Kontakt zu anderen Bewohnern. - Positive Veränderung = Hr. ... wirkt geistig klarer! - Hat Angst vor den anderen Bewohnern, möchte nicht in der WK (Wohnküche Anmerkung der Autorin) sein, mag auch im Zimmer nicht allein sein, braucht Ansprache. - HWS: negativ: sie ist sehr ängstlich und unsicher geworden. - Hr. ...Allgemeinzustand hat sich sehr verschlechtert. Er möchte am liebsten gar nicht aufstehen + hat kaum Appetit. Er wird im Rollstuhl gefahren, da er jetzt nur noch ein paar Schritte laufen kann! - HWS: positiv: bleibt länger in der Küche, führt Gespräche mit uns, da er jetzt sein Hörgerät hat; negativ: er ist kein guter Esser –braucht sehr viel Zuspruch beim Essen - Deutlich selbstbestimmter, fühlt sich aber im Quartier Pusdorf unwohl. - Fr.... hat ausgeprägtes Heimweh nach ihrem Geburtsort und den dort in den 50er Jahren lebenden Menschen, spricht fast nur Platt, was nicht alle im Hause verstehen. - HWS: äußert ständig den Wunsch nach Hause zu gehen, hat ihr Appartement nicht als „zu Hause“ akzeptiert, hilft ab und zu bei Hausarbeiten mit, wenn man sie darum bittet. - HWS: Fr. ... ist aufgeschlossener als am Anfang, beschäftigt sich regelmäßig in der Wohnküche, gerne auch Beschäftigungsangebote. - HWS: Fr.... fühlt sich wohl in der Einrichtung, möchte jedoch bald nach Haus, wenn sie ihre Knieoperation im Dez. hatte. Sie vermisst ihre häusliche Umge- bung. - Ist allgemein etwas ruhiger geworden. Nimmt an keinen Aktivitäten teil. - HWS: lässt sich leider von uns nicht beantworten. Insgesamt werden von beiden Mitarbeitergruppen überwiegend positive Entwick- lungen der Bewohner beschrieben. In dieser Einrichtung stimmen die Einschätzun- gen mit dem ermittelten Pflegebedarf überein. Die Betonung von positiven Ent- wicklungen weist darauf hin, dass die Sichtweise der Mitarbeiter in den Hausge- meinschaften nicht von der permanenten Unterstellung des Hilfebedarfes geprägt ist. 7.2. Zusammenfassung Die vorliegenden Ergebnisse müssen im Zusammenhang mit der kleinen unter- suchten Gruppe der Bewohner kritisch betrachtet werden. Es konnte unter weitge- hendem Ausschluss verzerrender Einflüsse nur eine kleine Gruppe von jeweils 20 Personen untersucht werden. Es handelt sich um einen Pretest, der für eine spätere größere Untersuchung Merkmale ermitteln soll. Die offenen Beobachtungen und 152 Aussagen der Beteiligten unterstützen die quantitativen Daten aus Plaisir© und DCM. Die ermittelten Ergebnisse sind kritisch zu betrachten, da sie nur eine Momentauf- nahme im Heimleben der Betroffenen darstellen. Wie in den vorhergehenden Kapi- teln dargestellt, ist Wohlbefinden abhängig von einer wechselseitigen Wirkung verschiedener Faktoren und unterliegt einer individuellen Bewertung. Die indivi- duelle Bewertung wurde nicht durch Befragung der Betroffenen ermittelt, sondern durch deren Beobachtung. Eine Beeinflussung der Ergebnisse durch die Beobach- ter und deren „Wohlfühlen“ in den unterschiedlichen Settings kann nicht ausge- schlossen werden. Diese Erkenntnisse sollten in die Diskussion der Ergebnisse einfließen. Unter Beachtung der obengenannten Einschränkungen kann resümierend festgehalten werden: In der untersuchten Gruppe blieb die geistige Leistungsfähigkeit weitgehend kon- stant; es traten keine wesentlichen Veränderungen auf, wie sie im Verlauf der De- menzerkrankung vorkommen können. Die Anzahl typischer Alterskrankheiten und damit verbundener Pflege- und Betreuungsbedarfe veränderte sich nicht wesent- lich. Anhand der Beobachtungen und der Ergebnisse lassen sich Unterschiede in beiden untersuchten Settings feststellen. Positive Ergebnisse in den Hausgemeinschaften sind im Vergleich zur klassi- schen Einrichtung: Die Sichtweise der Mitarbeiter scheint nicht so stark von der perma- nenten Unterstellung des Hilfebedarfes geprägt zu sein. Es wurden weniger personseinschädigende und dafür mehr personsein- fördernde Umgangsweisen zwischen Personal und Bewohnern beo- bachtet. Der Tag ist durch verschiedene Aktivitäten und Möglichkeiten des „Miterlebens“ gefüllt. Es ergibt sich ein abwechslungsreicherer Tages- verlauf mit mehr positiven Erlebnissen für die Bewohner. Phasen der „Leere“ und der „Langeweile“ treten weitgehend in den Hintergrund. Die höheren Aktivitäts- und Beschäftigungsmöglichkeiten gehen ein- her mit einem beobachteten höheren Wohlfühlen der Bewohner. Die Mahlzeitensituation ist deutlich entspannter und mit Vorfreude auf das Essen verbunden. Es wurden weniger Freiheitsentziehende Maßnahmen (vor allem Psy- chopharmaka) und Personseinschädigende Umgangsformen beobach- tet. Die Bewohner sind länger und häufiger in der Wohnküche anwesend. Dadurch haben sie mehr und intensivere Gelegenheit zu Interaktion und Kommunikation und zur sozialen Teilhabe am täglichen Leben. 153 Neben den positiven Ergebnissen konnten Tendenzen in den Hausgemein- schaften beobachtet werden: Die Angehörigenkontakte sind häufiger und scheinen durch eine ge- meinsame Tätigkeit, wie gemeinsame Hausarbeit, zu „natürlicheren“, weniger fremd erscheinenden Besuchsituationen zu führen. Die Bewohner scheinen sich eher ohne eine Zunahme von Verwirrung oder anderen Einschränkungen in den Heimalltag integrieren zu kön- nen. Die Bewohner halten sich dort auf, wo sie Kontakt zum Personal ha- ben. Die Belastungen in der Pflege und Betreuung dementiell erkrankter Bewohner scheinen für das Personal nicht so ausgeprägt zu sein. Sie können mit ihnen „gelassener“ umgehen. Hauswirtschaftskräfte und in der Pflege nichtausgebildete Mitarbeiter scheinen eher einen „gleichwertigen“ Umgang mit dementiell erkrank- ten Bewohnern zu haben als Pflegefachkräfte. Nicht beobachtet werden konnte der Einfluss des Settings auf: Die Höhe des Pflegebedarfes. Die Ausprägung von Verhaltensauffälligkeiten. 8. Diskussion der Ergebnisse Im Folgenden werden die vorliegenden Ergebnisse nach verschiedenen Gesichts- punkten analysiert und diskutiert. Dies sind zunächst eine Interpretation der Ergeb- nisse und deren Einordnung in den Stand der Forschung. Daraus lassen sich prakti- sche Konsequenzen mit Empfehlungen für die Gestaltung künftiger Settings in der stationären Altenhilfe sowie Perspektiven für weitere Forschungen ableiten. Das Verhalten und der Gemütszustand alter Menschen mit Demenz unterliegen Tagesschwankungen (Wojnar, 1997). Aus diesem Grund können die ermittelten Erkenntnisse und Daten nur als eine Momentaufnahme betrachtet werden und soll- ten in einer späteren größeren Untersuchung überprüft werden. 8. 1.Der Beitrag des Settings Im folgenden werden die Ergebnisse anhand der Fragestellungen aus Kapitel 5 diskutiert. 8.1.1.Wohlbefinden Gefragt wurde nach dem Gewicht der ökologischen, organisationsspezifischen und individuellen Faktoren auf das Wohlbefinden der Heimbewohner. Inwieweit beste- hen Wechselwirkungen zwischen diesen Determinanten? Nach Becker (1991) wird das habituelle Wohlbefinden als Ausdruck für eine ge- lungene Bewältigung externer und interner Lebensanforderungen angesehen. In der 154 Hausgemeinschaft scheint es zu gelingen, negative Zustände wie zum Beispiel Hilflosigkeit durch nicht bewältigbare Aufgaben und Anforderungen der Umge- bung, positiv beeinflussen zu können. Die einer normalen Wohnung nachempfun- dene Gestaltung der Räumlichkeiten, die vertrauten täglichen Verrichtungen, die gewohnten Gerüche und Geräusche sowie die kleine Bewohnergruppe erleichtern das Einleben im Heim und wecken Erinnerungen. Die Bewohner können sich am Alltagsgeschehen beteiligen, da es gewohnte, in jedem normalen Haushalt anfal- lende Tätigkeiten sind. Offenbar können die Bewohner sich an diese Tätigkeiten erinnern und sind eher bereit sich zu beteiligen. Die Anforderungen sind so gestal- tet, dass auch Bewohner mit fortgeschrittener Demenz ihren Fähigkeiten entspre- chend Aufgaben übernehmen können. Das Geschehen in den Hausgemeinschaften animiert zum Mitmachen. Im Gegensatz dazu erscheinen die räumliche Gestaltung und die Abläufe in der herkömmlichen Einrichtung fremd und wenig vertraut. In dieser Umgebung wird eine Anpassung für Menschen mit kognitive Einschränkun- gen wie zum Beispiel Gedächtnisstörungen und räumliche Orientierungsstörungen, zu einer fast nicht zu bewältigenden Aufgabe (Wojnar, 1997). Alltägliche haus- wirtschaftliche Tätigkeiten werden den Bewohnern abgenommen und finden über- wiegend von ihnen räumlich getrennt statt. Im Gegenzug werden zu bestimmten Zeiten Beschäftigung wie Morgenrunden oder Gedächtnistraining für Bewohner- gruppen angeboten. Beobachtet wurde, dass diese Angebote die dementiell er- krankten Bewohner überfordern. Ihre Aufmerksamkeit ließ bereits nach kurzer Zeit nach und sie waren nicht in der Lage dem Geschehen zu folgen. Dies wurde eben- falls beim Fernsehschauen beobachtet. Gleichzeitig wurde in den Beschäftigungs- gruppen ein Erwartungsdruck - etwas tun zu müssen – aufgebaut, der zu Streß bei den Demenzkranken führte. Die Beschäftigung, die in den Hausgemeinschaften in den täglichen gewohnten Ablauf eingebettet war, erschien hier künstlich erzeugt und nicht für diesen Personenkreis angemessen. Positive Erfolgserlebnisse wie sensorische Erfahrungen bei der gemeinsamen Zu- bereitung des Essens, die Bewältigung von Aufgaben im Tagesgeschehen sowie die Nähe zu den Mitarbeitern werden in der Hausgemeinschaft ermöglicht. Insbe- sondere die Nähe und der beständige Sichtkontakt zu den Mitarbeitern scheint eine wichtige stabilisierende Funktion für Bewohner mit Demenz zu haben. Im Rahmen der Voruntersuchung konnte mehrfach beobachtet werden, wie die Bewohner den Kontakt zu den Mitarbeitern suchten und sich gerne in ihrer Nähe aufhielten. Wie Lind bereits 2000 beschrieben hat, wirkt der beständige Blickkontakt beruhigend und stabilisierend. Diese Nähe konnte in der Vergleichseinrichtung nur gelegent- lich hergestellt werden, da, bedingt durch die Pflegeorganisation, die Mitarbeiter überwiegend in den Bewohnerzimmern, den Dienstzimmern oder anderen Arbeits- räumen tätig waren und deshalb nicht „sichtbar“ präsent waren. Wenn die Bewoh- ner in ihren Zimmern allein gelassen wurden, konnte das von Lind (2000) be- schriebene „Schreiverhalten“ beobachtet werden. Dieses Verhalten wurde erst durch die direkte Ansprache durch eine Pflegeperson verändert. Die ständige Anwesenheit einer Person in der Nähe der Bewohner trägt demnach entscheidend zum Wohlbefinden bei. Dies ist allerdings nicht zwingend mit dem Setting der Hausgemeinschaften verbunden, sondern könnte durch die Bereitstel- lung von zusätzlichem Personal auch in anderen Pflege- und Betreuungsformen gewährleistet werden. Die strukturellen Bedingungen in einer Hausgemeinschaft ohne Zentralversorgungseinheiten und der Konzentration aller Arbeitsabläufe in das unmittelbare Lebensumfeld der Bewohner ermöglichen den ständigen Blick- kontakt zwischen Mitarbeitern und Bewohnern ohne zusätzlichem Personalauf- wand. Dies ist eindeutig die Stärke der Hausgemeinschaften. 155 Anhand der Betrachtung der Wohlbefindenswerte aus der DCM-Erfassung wird deutlich, dass die Bewohner in den Hausgemeinschaften sich wohler fühlen und sich dieses Gefühl im weiteren Aufenthalt in der Einrichtung steigert. Die Werte in der Vergleichseinrichtung blieben im gleichen Zeitraum auf einem niedrigeren Niveau. Die Ergebnisse der DCM-Erfassung stützen die Beobachtungen der Mitar- beiter, Angehörigen und der Untersucher. Auch sie fühlten sich in der Hausge- meinschaft wohler. Zu berücksichtigen ist, dass die Erfassung der Wohlbefindens- werte mangels verbaler Ausdrucksmöglichkeiten der Betroffenen nur durch die Beobachtungen der Mapper und durch Einschätzung des Personals bzw. der Ange- hörigen ermittelt wurde. Es fällt auf, dass die Wohlbefindenswerte keinen Zusammenhang mit der Pflege- bedürftigkeit aufweisen. Sie stiegen im Verlauf der Untersuchung in der Hausge- meinschaftseinrichtung stärker an als in der Vergleichseinrichtung. Dem gegenüber waren die körperliche Einschränkungen und kognitiven Beeinträchtigungen bei beiden untersuchten Personengruppen gleich. Die Ergebnisse bestätigen For- schungserkenntnisse (Zank/Baltes, 1998), nach denen trotz objektiver Gesund- heitseinschränkungen das subjektive Empfinden der Lebensqualität nicht zwingend negativ beeinträchtigt sein muss. Es weist vielmehr auf eine mögliche Wirkung von organisatorischen und personellen Faktoren in beiden Settings hin. Obwohl in den vorliegenden Ergebnissen in den Hausgemeinschaften kein wesent- licher Rückgang der Verhaltensauffälligkeiten verzeichnet werden konnte, sind die Unterschiede zwischen den Settings in der Wahrnehmung der Mitarbeiter und An- gehörigen deutlich. Sie konstatierten eine positive Entwicklung in den Wohngrup- pen. Damit wären durch die Hausgemeinschaften zentrale Anforderungen an die Bedin- gungen für habituelles Wohlbefinden erfüllt, wie sie von Becker (1991) aufgestellt wurden. Darüber hinausgehend scheinen die Ergebnisse auf ein „krankheitsange- messenes“ Milieu hinzudeuten, wie es von Heeg (1994 und 1996) gefordert wird. 8.1.2. Autonomie der Heimbewohner Die Frage lautete: Beeinflusst der Totalitätsgrad der Heime die Voraussetzungen für die Lebenszufriedenheit der Heimbewohner mit Demenz in höherem Maße als individuelle Faktoren? Die Ergebnisse belegen eine Reduzierung von freiheitsentziehenden Maßnahmen, vor allem der Psychopharmakagaben in den Hausgemeinschaften. Damit werden Ergebnisse von Reggentin/Dettbarn-Reggentin (2003 und 2005) bestätigt. In ihrer Untersuchung stellten sie in Wohngruppen für Menschen mit Demenz einen nied- rigeren Psychopharmakaeinsatz fest. Die häufigsten Verschreibungsgründe für Psychopharmaka sind „störende“ Verhal- tensauffälligkeiten, die eingedämmt werden sollen. Wie bereits Klie/Lörcher (1994) in ihrer Mannheimer Untersuchung feststellten, wurden vor allem ruhigstel- lende Psychopharmaka verabreicht, vor allem Tranquilizer (aus der Gruppe der Benzodiazepine). Dies sind Medikamente, die bei Unruhe-, Angst- und Span- nungszuständen aller Art verabreicht werden (Spiegel, 1988, 29). Sie wirken dämp- fend auf das zentrale Nervensystem. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Müdig- 156 keit, Koordinationsstörungen und Verwirrungszustände. Daneben treten gelegent- lich bei älteren Menschen Ataxie, Reizbarkeit und gesteigerte Aktivität auf (Spie- gel, 1988, 32). Betrachtet man den dämpfenden Einfluss und die Nebenwirkungen der Psycho- pharmaka, so ist die Reduzierung der Medikamente mit großer Wahrscheinlichkeit ein Gewinn für die Betroffenen. Auffällig ist das Ergebnis, dass trotz der Reduzie- rung der Psychopharmaka keine Erhöhung der kognitiven Einschränkungen und der Verhaltensbeeinträchtigungen eintrat. Diese Entwicklung lässt sich durch die Wirkungen des Settings erklären. Es ist zu vermuten, dass verschieden Faktoren mit dazu beitragen, Unruhe, Angst und Spannungszustände abzubauen. Mögliche Faktoren sind die kleine Bewohnergruppe, die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der gewohnten alltäglichen Tätigkeiten, eine an die eigene Häuslichkeit erinnernde vertraute Umgebung, die ständige Anwesenheit einer Ansprechperson und das Beobachten und Teilnehmen können am Alltagsgeschehen. Ebenfalls scheint innerhalb dieser besonderen Wohnform eine höhere Toleranz gegenüber den Beeinträchtigungen der dementiell Erkrankten möglich zu sein. Angst und Unruhe einzelner Bewohner können in der kleinen Gemeinschaft eher aufgefangen werden als in der großen Bewohnergruppe in der klassischen Einrich- tung. In der großen Gruppe fühlen sich mehr Bewohner durch auffälliges Verhalten dementiell Erkrankter gestört. Durch die geringere Mitarbeiteranzahl können Be- wohner nicht oder nur selten individuell betreut werden. Des Weiteren tragen die unpersönlichen und alltagsfremden Strukturen eher zu einer Verstärkung von Angst-, Unruhe- und Spannungszuständen bei. In dieser Konstellation wird das Ruhigstellen der Bewohner mit „auffälligem“ Verhalten durch Psychopharmaka zur klassischen pflegerischen Intervention. Zwei weitere Gründe tragen zu dieser Vermutung bei: als Erstes besteht der von Koch-Straube (1997) beschriebene institutionelle Widerspruch von „Schutz und Zwang“ in der Heimversorgung. Im Mittelpunkt stehen der Schutz beziehungswei- se das Vermeiden von Risiken. Jedes Risiko verweigern würde bedeuten, eine „to- tale Institution“ zu schaffen. Dies impliziert, dementiell Erkrankte vor sich selbst und die anderen vor ihnen zu schützen zum Beispiel durch freiheitsentziehende Maßnahmen. In den Hausgemeinschaften werden mit der Orientierung am Alltag und an der gemeinsamen Bewältigung alltäglicher Aufgaben Risiken des täglichen Lebens erhalten. Es besteht die Gefahr, sich beim Kartoffelschälen am Küchen- messer zu verletzen. Mit der bewussten Entscheidung, Risiken zu vermeiden, wird eine Vielfältigkeit des Lebens möglich, die in einer Versorgungsinstitution nicht vorhanden ist. Hansen (2005b, 23) schreibt in seinem Aufsatz zum Blick der Gesellschaft auf Risiken: „Risikovermeidung ist aus dieser Perspektive ein Weg, als Persönlichkeit zu ver- kümmern und ein sinnentleertes Leben zu führen, das letztlich nur noch aus Routi- neabläufen besteht.“ Die zwangsläufig aus dieser Risikovermeidungsperspektive entstehende Leere und Langeweile im Heimalltag konnte in der Vergleichseinrichtung mehrfach beobach- tet werden. Der Tausch der Risikovermeidung zu Gunsten eines risikoreicheren Lebens führt in den Hausgemeinschaften zu einer beobachtbaren höheren Zufrie- denheit der Bewohner. Dieses Ergebnis wird durch Untersuchungen von Jenull- 157 Schiefer und Janig (2004, 399-400) gestützt. Sie stellten fest, dass die Förderung der Eigeninitiative und Fortführung kleiner gewohnter Tätigkeiten des Alltagsle- bens zu einer Steigerung des Autonomiegefühls der Bewohner führte. Die Mög- lichkeit, persönliche Kontrolle über den Alltag auszuüben, beeinflusste ihr Wohl- befinden positiv. Die in den Hausgemeinschaften andere Form der Betreuung, in der der Bewohner sich einbringen kann und soll, befreit den Einzelnen von Überbehütung. Ein for- derndes Milieu wie das in den Hausgemeinschaften, heißt auch, fördern und erhal- ten der Selbständigkeit – setzt aber einen neuen Professionalisierungszugang vor- aus. Nicht immer sind Pflegekräfte in diesem Setting die wichtigste Berufsgruppe. Dies weist auf den zweiten Grund für die geringere Anzahl an freiheitsentziehen- den Maßnahmen in den Hausgemeinschaften hin: die mehrfach beobachteten Be- lastungen der ausgebildeten Pflegekräfte in der Vergleichsinstitution im Umgang mit dementiell Erkrankten. Wie bereits Whall et al. (1992) und Lind (2000) festhal- ten, wurde auch hier beobachtet, dass ausgebildete Pflegefachkräfte insbesondere das akustisch störende Verhalten der Bewohner wie Schreien, Schimpfen, Stöhnen und ständige Wiederholungen besonders belastend empfinden. Hinzu kommt das Gefühl der Überlastung und das schlechte Gewissen, nicht auf alle Bewohner so eingehen zu können, wie es notwendig erscheint. Hinzu kommen Rahmenbedin- gungen, die geprägt sind durch knappe personelle Besetzungen auf den Stationen und eine in Bezug auf den Umgang mit dementiellen Erkrankungen unzureichende Qualifizierung. Vor diesem Hintergrund entstehen die von Amrhein (2005) festge- stellten Konflikte des Personals zwischen den Normen der Humanität der Instituti- on einerseits und der Anforderung der organisatorischen Effizienz andererseits. Diese Konflikte scheinen das ausgebildete Personal in der klassischen Einrichtung zu belasten. Hier werden dementiell Erkrankte als „störend“ empfunden, da sie sich nicht oder nur teilweise in die institutionellen Abläufe einpassen lassen. Zu erwar- ten ist, dass Hilflosigkeit und Überlastung zu den festgestellten subtilen und nie- derschwelligen Formen von Gewalt führen. Das bedeutet, dass Bewohner in den Hausgemeinschaften seltener den subtilen und niederschwelligen Formen von Gewalt (in Form von freiheitsentziehenden Maß- nahmen) ausgesetzt sind. 8.1.3. Soziale Kontakte, Interaktion und Kommunikation Es wurde die Frage gestellt, ob es Beziehungen gibt zwischen dem Setting und der Aufrechterhaltung bzw. dem Aufbau von sozialen Kontakten sowie der Qualität der Kommunikation und Interaktion zwischen Bewohnern und Personal. Der Alltag in der klassischen Pflegeeinrichtung ist stark von Stille und Isolation geprägt. Ihr Tagesablauf wird durch die pflegerische Intervention und durch das Warten auf die Mahlzeiten strukturiert. Diese Beobachtungen bestätigen die von Koch-Straube (1997, 11) ermittelten Erkenntnisse, nach der das Pflegeheim „.. ein Ort der verkürzten Sprache oder des Verstummens“ ist. Es konnte ebenfalls beobachtet werden, dass trotz der hohen Anzahl von anwe- senden Personen über längere Zeit in den Aufenthaltsbereichen Stille herrschte. Da 158 die Bewohner untereinander nicht in der Lage sind, ohne Unterstützung Kontakte herzustellen, wurde die Stille durch gelegentlich stattfindende Beschäftigungsan- gebote, Pflegemaßnahmen, die Mahlzeitenverteilung und durch das Radio oder Fernsehprogramm unterbrochen. Diese Beobachtungen belegen den von Schick (1978) festgestellten Zusammenhang zwischen Reglementierungsgrad der tägli- chen Lebensvollzüge und der Anzahl von Kontakten. Ein starker Reglementie- rungsgrad scheint zu verhindern beziehungsweise zu erschweren, dass Bewohner Freundschaften schließen. Die Beziehung zum Personal wird ebenfalls vom Reglementierungsgrad mit beein- flusst. Es konnten nur wenige Kontakte zwischen Pflegekräften und Bewohnern beobachtet werden. Die Kontakte fanden im Zusammenhang mit den Mahlzeiten, mit direkten Pflegehandlungen und aufgrund von „auffälligen“ Verhaltensweisen der Bewohner statt. Sie waren weitgehend die einzigen Berührungspunkte zwi- schen beiden Personenkreisen und einseitig defizitorientiert. Die Bewohner benö- tigten Hilfe und dies war der überwiegende Anlass für Interaktion und Kommuni- kation. Dem entsprechend stand die auszuführende Tätigkeit und nicht die Bezie- hung im Vordergrund der pflegerischen Tätigkeit. Diese Kommunikation und Interaktion begünstigt eine abwertende Haltung der Pflegekräfte gegenüber den dementiell erkrankten Bewohnern. Belege für diese These sind die hohe Anzahl an beobachteten personseinschädigenden Verhalten- weisen nach Kitwood (in Bradford Dementia Group, 1997, 63). Beispiele sind: „Vorenthalten“, „Betrügen“, „Ignorieren, „Entmächtigen“, „Zwingen“, „Ankla- gen“, „Herabsetzen und verächtlich machen“, „Infantilisieren“ und „Unterbre- chen“. In den Verhaltensweisen wird die abwertende Haltung der Pflegekräfte deutlich, die wiederum Auswirkungen auf den beschriebenen Einsatz von freiheits- entziehenden Maßnahmen hat. Die personseinschädigenden Verhaltensweisen tra- ten auf, obwohl in der Betreuung ein deutlich höherer Anteil an ausgebildeten Fachkräften tätig war. Demnach gleicht eine Ausbildung in der Altenpflege die durch das Setting verursachte defizitorientierte Pflegehaltung nicht aus. Im Gegensatz zur klassischen Einrichtung zeigt sich in den Hausgemeinschaften eine geringere Anzahl und schwächer ausgeprägte personseinschädigende Verhal- tensweisen, obwohl eine große Anzahl nichtausgebildete hauswirtschaftliche Mit- arbeiter in der direkten Betreuung und im täglichen Umgang mit den Bewohnern beschäftigt sind. Offensichtlich erleben sie die Bewohner nicht ausschließlich defi- zitorientiert, sondern auch in Situationen, die sie meistern können und in denen sie einen Beitrag zum Wohl der Bewohnergemeinschaft bringen können. Das gemein- same Erleben des Alltags bietet eine Fülle von Begegnungsmöglichkeiten, die den Menschen mit Demenz in das Zentrum des Geschehens rücken lässt. Die Interakti- onsformen der positiven Personenarbeit nach Kitwood (2000, 134-137) sind in den Hausgemeinschaften täglich anzutreffen und stellen keine Ausnahmesituation dar. Besonders hervorzuheben sind die Interaktionsformen der positiven Personenarbeit wie „zusammenarbeiten“, „anerkennen“, „verhandeln“, „Timalation“, „feiern“ und „entspannen“. Damit besteht die Möglichkeit des Kontaktes auf einer eher gleich- wertigen Ebene und in positiven Situationen, die nicht vom Krankheitsgeschehen dominiert werden. Es wurde beobachtet, dass im Rahmen der gemeinsamen Haus- haltsarbeit Gespräche geführt wurden, in denen Bewohner und Betreuungspersonen sich persönlich austauschten. Es ist zu vermuten, dass die dabei entstehende ver- traute Atmosphäre unterstützend und fördernd auf die Bewohner wirkt und zum beobachteten Wohlfühlen beiträgt. In den Hausgemeinschaften scheint die Bezie- hung im Zentrum der Interaktion zu stehen. Die Ergebnisse legen den Schluss na- 159 he, dass in der Hausgemeinschaft die Qualität der Interaktion und Kommunikation zwischen Pflegepersonal und Bewohnern höher ist. Damit bestätigt sich die Erkenntnis von, Jenull-Schiefer und Janig (2004), nach der in Einrichtungen mit geringem Reglementierungsgrad das Personal weniger nega- tive Vorurteile gegenüber alten Menschen hat und Restriktionen und sozialen Rückzug als adäquate Verhaltensweisen im Alter ablehnt. Die Wahrnehmung posi- tiver und gesunder Anteile dementiell Erkrankter führt zu einer veränderten Sicht- weise und Kommunikation der Mitarbeiter mit den alten Menschen. Ergebnisse der Studie von Schick (1978), zum Einfluss der Institution Heim auf den Umfang und die Qualität der sozialen Beziehungen, belegen ebenfalls diesen Zusammenhang. Sie stellte fest, dass immer dann, wenn der Reglementierungsgrad hoch, das Stimu- lationsangebot gering und die Einstellung des Personals den alten Menschen ge- genüber autonomieunterbindend und vorurteilsbelastet ist, die Institutionalisierung negativer erlebt wird. Mehrere Ergebnisse sprechen für eine hohe Qualität der Interaktion und Kommu- nikation in den Hausgemeinschaften. Zum einen verbringen Bewohner in den Hausgemeinschaften erheblich mehr Zeit in den Gemeinschaftsräumen und haben damit mehr Möglichkeiten des sozialen Kontaktes sowie der sozialen Teilhabe am täglichen Leben. Die kleine überschaubare Bewohnergruppe, die Aktivitäten und die an eine Wohnung erinnernde Gestaltung der Räumlichkeiten laden eher zum Verweilen ein. Damit wird dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und nach sozialen Kontakten der Betroffenen nachgekommen. Nach einer Untersuchung von Niebuhr (2004) scheint dieses Bedürfnis das wichtigste für dementiell Erkrankte zu sein. Sie möchten dazu gehören und suchen die Nähe zu anderen Menschen. Des Weiteren halten sich die Bewohner dort auf, wo sie Kontakt zu den Mitarbei- tern aufnehmen können. Diese Beobachtung bestätigt die Ergebnisse der MIDE- MAS Studie (Heeg, 2005). Es wurde festgestellt, dass in den Einrichtungen, in denen die Bewohner die Wahl zwischen einem attraktiv gestalteten Raum und ei- nem Raum mit Kontaktmöglichkeiten zum Personal hatten, der Ort mit den Kon- taktmöglichkeiten gewählt wurde. Es reicht demnach nicht aus, die Räumlichkeiten ansprechender zu gestalten, wenn nicht gleichzeitig die Anwesenheit des Personals in der unmittelbaren Nähe der Bewohner erhöht wird. In den Hausgemeinschaft spielt die Mahlzeitensituation im Zusammenhang mit Interaktion und Kommunikation eine wichtige Rolle. Auffällig ist, dass in den Hausgemeinschaften nicht nur das Essen selbst, sondern bereits die Zubereitung Gelegenheit zur Kommunikation darstellt und von allen genutzt wird. Eine wichti- ge Vermittlungsrolle nimmt das Personal ein. Es konnte beobachtet werden, dass es den dementiell Erkrankten erst durch ihre Hilfe gelingt, Kontakt untereinander aufzunehmen. Neben der Nähe zu Mitbewohnern und Personal spielt der Kontakt zu den Angehö- rigen für die Bewohner eine wesentliche Rolle. Die Hausgemeinschaften scheinen von den Angehörigen eher akzeptiert zu werden. Es wurden mehrere Angehörige beobachtet, die regelmäßig zu den Mahlzeiten anwesend und auch in die Zuberei- tung einbezogen waren. Das familienähnliche Wohnmilieu spricht Angehörige eher an als eine nur auf Pflegeversorgung ausgerichtete Einrichtung, wie Reggentin (2005) in ihrer Studie ebenfalls festgestellt hat. In den Wohnküchen kann eine pas- sive Besuchssituation eher vermieden werden. Angehörige können mit ihren Ver- wandten gemeinsam den Alltag gestalten, wie sie es zum Teil durch die jahrelange 160 vorhergehende Betreuung und Pflege in ihrem Haushalt gewöhnt waren. Damit ließen sich die Belastungen der Angehörigen nach dem Heimeintritt ihrer Ver- wandten reduzieren, die nach Reggentin (2005) auch noch Jahre weiter bestehen können. Von den Belastungen sind besonders ältere weibliche Angehörige betrof- fen, die nicht berufstätig sind. Sie leiden besonders unter der Trennung von ihren Angehörigen. In den Hausgemeinschaften können sie einen aktiven Part überneh- men, in dem sie sich an der Hausarbeit beteiligen und damit etwas sinnvolles für die Gemeinschaft und ihren Angehörigen tun. Darüber hinaus sind sie die Exper- ten, die die Alltagsgewohnheiten, die Vorlieben und die Biographie ihrer Verwand- ten kennen. Sie können sich in den Alltag einbringen, das Personal entlasten und wertvolle Informationen für die Pflege und Betreuung liefern. Dadurch kann eher eine wechselseitige Akzeptanz zwischen Personal und Angehörigen hergestellt werden, was wiederum zu höheren Besuchsfrequenzen und zu einer Erhöhung des Wohlbefindens beitragen kann. Allerdings setzt dies voraus, dass sie das Konzept der Hausgemeinschaften mittragen. Die Interaktion und Kommunikation besitzt in den Hausgemeinschaften eine hohe Qualität. Es wird dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und sozialer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der Betroffenen nachgekommen. 8.1.4. Selbständigkeit Es wurde gefragt, welchen Beitrag leistet die Aufrechterhaltung der alltäglichen Gewohnheiten, Rituale und Abläufe an der Erhaltung einer weitgehenden Selb- ständigkeit und Lebenszufriedenheit dementiell erkrankter alter Menschen leisten. In der Untersuchung konnte im Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit in der Hausgemeinschaft keine Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit festgestellt werden. Auch wenn diese Ergebnisse keinen positiven Zusammenhang zwischen Pflegebe- darf und einer fordernden Umgebung erkennen lassen, so ist doch davon auszuge- hen, dass das alltagsnahe Milieu zur Lebenszufriedenheit beiträgt. Wie in einer Studie von Bosch (1998) zur Lebenswelt dementierender alter Men- schen festgestellt wurde, leiden besonders Frauen unter der Fremdheit des Alltags im Heim. Auch wenn sie schon Jahre in der Einrichtung sind, bleibt das Gefühl, nach Hause zu wollen. Die Beweggründe sind zum Beispiel, sich verantwortlich zu fühlen und die Sorge für andere. Durch die Sorge für die Familie erhält das tägliche Leben einen Inhalt und damit eine im Zusammenhang stehende sinnhafte Struktur. Die Vertrautheitserfahrungen dementiell Erkrankter sind überwiegend mit ihren früheren Lebenssituationen in der Familie verbunden. Demnach ist davon auszuge- hen, dass die Tätigkeiten, die in der Vergangenheit als sinnvoll und wichtig erfah- ren wurden sowie die routinemäßigen Handlungen und Gewohnheiten, auch in der Heimsituation eine wichtige Rolle spielen. Die Haushaltsführung betreffende Tä- tigkeiten können in den Hausgemeinschaften aufrechterhalten werden. Demzufolge wäre das Setting der Hausgemeinschaft für den Personenkreis, der von hauswirt- schaftlichen Tätigkeiten und Handlungen angesprochen wird, die richtige Einrich- tung. Zur Einschätzung der Hilfe- und Unterstützungsbedarfe, des Wohlfühlens und der sozialen Kontakte wurden im Rahmen der schriftlichen Befragung Pflegekräfte, Hauswirtschaftskräfte und Angehörige gesondert mit der gleichen Fragestellung 161 konfrontiert. Die Ergebnisse zeigen eine unterschiedliche Wahrnehmung der glei- chen Personen. Die Unterschiede ergeben sich insbesondere bei der Einschätzung der Selbsthilfefähigkeiten. Der größere Unterstützungsbedarf wird in beiden Set- tings von den Pflegekräften angegeben, während positivere Entwicklungen von den Wohnküchenmitarbeiterinnen angegeben werden. Offensichtlich ist die Haltung der Pflegekräfte von der Unterstellung des permanenten Hilfebedarfes (Saake, 1998) der Bewohner geprägt. Diese Erkenntnis ist für die Hausgemeinschaftsein- richtung interessant, da in der untersuchten Einrichtung die Pflegekräfte aus der ambulanten Versorgung kommen. Sie müssten nach Saake (1998) eine sehr viel differenziertere Haltung zum Hilfebedarf der Bewohner haben. Es ist zu vermuten, dass ihre pflegerische Haltung in ihrer Ausbildung geprägt wird. Die bereits oben erwähnte Defizitorientierung und die Unterstellung der permanenten und umfas- senden Pflegebedürftigkeit scheinen eine wesentliche Rolle zu spielen. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Erkenntnis ergeben, sind eine Mischung der Mitarbeiterteams mit ganz unterschiedlich qualifizierten Kräften. Erst diese Mi- schung ermöglicht eine umfassendere Wahrnehmung der tatsächlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten der dementiell Erkrankten. Wie im Rahmen der DCM-Mappings zu beobachten war, haben die Präsenzkräfte in den Wohnküchen eine leichtere und „natürlichere“ Umgangsform mit den Bewohnern. Diese Beobachtungen decken sich mit denen von Bär et al. (2003). Sie haben festgestellt, dass nichtausgebildete Mitarbeiter und Hilfskräfte im Gegensatz zu ausgebildeten Kräften eine sichere Deutung von Emotionen haben. Der Umgang der Wohnküchenmitarbeiter mit den Bewohnern war von großer Nä- he geprägt. So wurden Bewohner öfters in den Arm genommen oder gestreichelt. Die Mitarbeiter waren die zentralen Ansprechpartner für alle Belange der Bewoh- ner und deren Angehörige, spielten eine wichtige Vermittlerrolle für Pflegekräfte oder andere Bewohner und hatten gleichzeitig einen „Haushalt“ für zehn Personen zu managen. Beachtlich sind in diesem Zusammenhang die geringe Anzahl von personseinschädigenden Verhaltensweisen der nicht oder nur gering ausgebildeten Mitarbeiter. Die Gefahr besteht, dass durch die große Nähe zu den Bewohnern Abgrenzungsprobleme entstehen und die unreflektierte Hilfsbereitschaft in Über- versorgung münden kann. In der familienähnlichen Lebensumfeldgestaltung kann eine enge familiäre Beziehung zu den Bewohnern entstehen. Von einigen Prakti- kern wird berichtet, dass Wohnküchenmitarbeiter nach ein bis zwei Jahren Tätig- keit „ausgebrannt“ sind und an einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden müssen. Das bedeutet, dass diese Mitarbeiter ebenfalls eine Aus- und Fortbildung sowie Reflexionsmöglichkeiten ihrer Arbeit benötigen. Festgestellt wurde ebenfalls, dass für den Umgang mit dementiell erkrankten Men- schen weitere Qualifikationen gefragt sind als zur Zeit in der Ausbildung zur Al- tenpflegefachkraft vermittelt werden. Die Ausbildungsinhalte müssten dringend den veränderten Bedarfen angepasst werden. Daraus ergibt sich ein weiterer For- schungsbedarf: Welche Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen sind in der Pflege- und Betreuung dementiell erkrankter Menschen erforderlich? Wie müssten Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepte geschnitten sein, um der Defizitorientie- rung von Mitarbeitern wirkungsvoll entgegenzuwirken? Die Sichtweise der Pflegekräfte wird durch die Unterstellung eines permanenten und umfassenden Hilfe- und Pflegebedarfes beeinflusst, dies muss bei der Auswer- tung der Studien berücksichtigt werden, die sich auf Einschätzungen und Aussagen von Pflegekräften beziehen (Weyerer et al., 2005). Die Ergebnisse lassen sich 162 demnach nicht verallgemeinern und bedürfen einer Ergänzung durch die Betroffe- nen oder andere Externe. 8.1.5. Erfolgserlebnisse und sensorische Erfahrungen Inwiefern trägt eine anregungsreiche Gestaltung der Altenpflegeheime dazu bei, Erfolgserlebnisse, sensorische Erfahrungen und soziale Zuwendung zu ermögli- chen und gleichzeitig eine Reduzierung von Aktivitäten zu verhindern? Der Abwechslungsfaktor verdeutlicht die Unterschiede zwischen der weitgehenden „Leere“ in der klassischen Einrichtung zu der erlebnisreicheren Welt der Hausge- meinschaften. Der Faktor verdeutlicht, in welchem Umfang die Bedürfnisse der Bewohner nach Beschäftigung erfüllt und in welcher Bandbreite die verschiedenen Verhaltenskategorien umgesetzt werden. Mit ihm werden ausschließlich person- seinfördernden Kategorien ermittelt. Während der Wert in der klassischen Einrich- tung gleich blieb, lag er in der Hausgemeinschaft fast doppelt so hoch und stieg im weiteren Verlauf auf das vierfache an. Auf Grund der Ergebnisse wird deutlich, dass in den Hausgemeinschaften sehr viel mehr Anregungen, Beschäftigungsmög- lichkeiten und sensorische Erfahrungen für die Bewohnern vorhanden sind. Beson- ders auffällig ist die sinnlichen Erfahrung der Mahlzeitenzubereitung mit allen Geräuschen und Gerüchen, die damit verbunden sind. Dieser stimulierenden Wir- kung konnten sich auch die Mapperinnen nicht entziehen. Die lange Anwesenheitszeit in den Gemeinschaftsräumen ermöglicht die Teilnah- me am sozialen Leben, im Gegensatz zum Rückzug in das eigene Zimmer in der klassischen Einrichtung. Die Erkenntnisse aus verschiedenen Tageslaufstudien (Saup, 1993), nach denen in Altenheimen 60 Prozent der Aktivitäten in den eige- nen Zimmern stattfinden, deuten darauf hin, dass in den öffentlichen Räumen we- nig Anreiz zum Aufenthalt besteht. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnte ebenfalls beobachtet werden, dass die öffentlichen Räume in der Ver- gleichseinrichtung im Gegensatz zu der Wohnküche seltener zu Kommunikation und Interaktion genutzt werden. Auffällig ist die Beobachtung, dass dementiell Erkrankte den Kontakt zu anderen Menschen suchen. In diesem Zusammenhang ist die Wohnküche als zentraler Anlaufpunkt besonders wichtig, dort finden sie einen Ansprechpartner. Im Gegensatz dazu befanden sich in den Aufenthaltsräumen der Vergleichseinrichtung selten Mitarbeiter. Laute Musik oder Fernsehprogramm erschwerten zusätzlich eine Kontaktaufnahme. Wie Saup (1986) beschreibt, beklagen sich viele Altenheimbewohner über Lange- weile und mangelnde Anregung im herkömmlichen Heim. Als mögliche Reaktio- nen auf die Leere können die von Saup (1986) am häufigsten vorgefundenen Ver- haltensweisen wie „Vor-sich-hin-schauen“ und „Schlafen“ gedeutet werden. Dem- gegenüber stehen die Wohnküchen mit ihrem hohen Aufforderungscharakter: Wird das Geschirr in ihrem Beisein abgetrocknet, greifen sie eher zu und helfen im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit. Ebenfalls auffällig war die Reaktion der Bewoh- ner mit Demenz auf Geräusche und Gerüche, die aus der Wohnküche drangen. Sie zogen die Bewohner magnetisch an. Dort war ebenfalls beständig Personal anwe- send. Die vorgefundene lange Aufenthaltszeit in den öffentlichen Räumen kann mit der ständigen Präsenz einer Mitarbeiterin und der Geräusch- und Geruchskulisse in den Wohnküchen erklärt werden. 163 Wie bereits beschrieben scheinen die klassischen Beschäftigungsangebote wie zum Beispiel Gedächtnistraining für dementiell Erkrankte nicht geeignet zu sein. Es wurde beobachtet, dass sie sich nur kurze Zeit konzentrieren können und bereits nach wenigen Minuten in sich zusammensinken. Wird ihnen in diesem Moment eine Frage gestellt oder der Ball mit einer Aufgabe verbunden zugeworfen, reagie- ren sie erschreckt und hilflos. Sie wissen nicht, was sie antworten oder tun sollen. Diese Form der Beschäftigung führt zu einer Konfrontation der Betroffenen mit ihren Defiziten und sind mit einem hohen Erwartungsdruck durch die Gruppe ver- bunden, der zu Stress führen kann. Forschungsbedarf ergibt sich aus Beobachtungen im Verlauf der Untersuchung: Es konnte beobachtet werden, dass Bewohner der Hausgemeinschaften vor ihrem Tod eine kurze Phase der Bettlägerigkeit und des Siechtums hatten. Die Sterbephase dauerte nur einige Tage. Diese Beobachtung wurde durch die Aussagen der Lei- tungskräfte und Mitarbeiter unterstützt. Im Gegensatz dazu stehen Beobachtungen und Schilderungen von Mitarbeitern in der Vergleichseinrichtung, in der sich die Siechtumsphase über vier bis sechs Wochen und länger hinziehen kann. Besteht hierin eine Wirkung des fordernden Milieus, die den alten Menschen bis zuletzt in der Gemeinschaft hält und damit eine höhere Lebensqualität bis zum Lebensende ermöglicht? Eine weitere Forschungsfrage ergibt sich im Zusammenhang mit der Mahlzeitensi- tuation: Auslöser ist die öffentliche Diskussion über die Ernährungssituation der Heimbewohner. In den Medien wurde mehrfach darüber berichtet, dass Heimbe- wohner Mangelernährt sind und dadurch schwerste Gesundheitsschäden erleiden. In der vorliegenden Untersuchung wurde festgestellt, dass in den Hausgemein- schaften das Essen eine wesentliche Rolle spielt und viel Zeit mit der Herstellung und dem Speisen verbracht wird. In der klassischen Einrichtung konnte dagegen beobachtet werden, wie schwierig sich die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme dementiell Erkrankter gestaltet. Hierzu konnten einige Gründe beobachtet werden: Erstens die Speisen kamen fertig hergestellt aus der Zentralküche. Die mit der Speisenherstellung verbundenen Gerüche und Geräusche, die den Körper auf die folgende Nahrungsaufnahme vorbereiten und Hunger auslösen können, fehlten. Da dementiell Erkrankte über Gefühle ansprechbar sind, scheint die sinnliche Wahr- nehmung der Speisenherstellung für ihren Appetit wesentlich zu sein. Zweitens fiel auf, dass in der klassischen Einrichtung dementiell Erkrankte lange Zeiten des Leerlaufes haben und lange Zeit auf die Mahlzeiten warten. In diesen Situationen versanken die Bewohner, schliefen ein oder wurden aggressiv. Wurde dann das Essen verteilt, waren die Bewohner nur schwer zum Essen zu bewegen und die verspeisten Portionen waren dementsprechend klein. Demnach müsste der Ernäh- rungszustand der Hausgemeinschaftsbewohner deutlich besser sein als in der klas- sischen Vergleichseinrichtung. Eine Forschungsfrage wäre, ob der Ernährungszu- stand der Hausgemeinschaftsbewohner besser ist als in der klassischen Einrichtung. 8.1.6. Begleitsymptome und Verwirrtheitszustände Welche Beitrag hat die Gestaltung der Lebenswelt im Heim auf die Ausprägung von Begleitsymptomen und Verwirrtheitszuständen? Bei der Betrachtung der Ergebnisse fällt auf, dass zunächst kein Unterschied in der Art und der Ausprägung der Begleitsymptome und der Beeinträchtigungen besteht. 164 Es ist zu vermuten, dass der schleichende kognitive Abbauprozess aufgrund der dementiellen Erkrankung nicht aufzuhalten ist, sondern voranschreitet. Dafür spricht auch die Feststellung eines leicht steigenden Pflegebedarfes der Bewohner in beiden Einrichtungen. Dieser Krankheitsprozess scheint vom Setting unabhängig zu verlaufen. Folgt man der Argumentation (Kitwood, 2000), die davon ausgeht, dass die Beein- trächtigungen und Verhaltensstörungen nicht nur vom degenerativen Abbauprozess im Gehirn, sondern mit den Reaktionen der sozialen Umwelt auf die Erkrankung und den noch vorhandenen Wahrnehmungs- und Reaktionsmöglichkeiten beein- flusst werden, bekommt das Setting wieder eine Bedeutung. Der Unterschied zwischen beiden Settings besteht in der subjektiven Wahrneh- mung. Diese ist nach Saup (1993) abhängig von der subjektiv erlebten Umwelt. Zur Überprüfung der Wirkung sind demnach die Fragen zu stellen, wie auf die Begleitsymptome seitens der Mitarbeiter und Angehörigen reagiert wird und inwie- fern die Begleitsymptome für den Einzelnen zu massiven Einschränkungen seines alltäglichen Lebens führen. „... Sind die Anforderungen der neuen Umwelt Heim in einem sehr breit verstan- denen Sinne zu hoch oder zu niedrig, so geht dies wahrscheinlich zu Lasten von Lebenszufriedenheit und von effektivem Handeln im Alltag.“ (Kruse/Wahl, 1994, 28) Wie von verschiedenen Autoren (Maciejewski et al., 2001 / Kitwood, 2000 / Grond 1991) und von Praktikern immer wieder erlebt und beobachtet wurde, scheint die Gefühlswelt über einen längeren Zeitraum der Erkrankung erhalten zu bleiben. Sie stellt die wichtigste Zugangsmöglichkeit zu den Erkrankten dar. In diesem Zu- sammenhang ist das Gefühl, akzeptiert zu werden trotz der fortschreitenden Krankheit und das Gefühl Umweltanforderungen bewältigen zu können, zu nen- nen. Die allgemeinen Lebensumstände und die individuellen Fähigkeiten und Bedürf- nisse der Bewohner scheinen in den Hausgemeinschaften weitgehend übereinzu- stimmen. 8.1.7. Heimeinzug Auf welche Weise unterstützt ein an der alltagsnahen Normalität ausgerichtetes Versorgungssetting die Kompensation negativer Auswirkungen des Heimeinzugs? Die näheren Umstände im Vorfeld der Heimaufnahme waren nicht Gegenstand dieser Studie und wurden nicht ermittelt. Die Beobachtungen und Erfassung der Daten begannen am fünften bis zehnten Tag nach der Heimaufnahme und nach vier bis sechs Monaten Heimaufenthalt. Nach Saup (1990), Lehr (2000) und Wahl / Reichert (1994) ist der freiwillige Um- zug ein wesentlicher Faktor für eine gute Anpassung an die neue Situation. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund der dementiellen Erkrankung eine Heimübersied- lung in der Regel nicht freiwillig geschieht. Die Entscheidung und die Auswahl der Einrichtung werden von Angehörigen oder Betreuern vorgenommen. Entsprechend 165 belastet ist die Übergangssituation für die Betroffenen: sie fühlen sich gezwungen, aus für sie nicht nachvollziehbaren Gründen einen Wohnortwechsel vorzunehmen, sich in einer gänzlich fremden Welt neu orientieren zu müssen und sich mit frem- den Personen auseinander zu setzen. Dies sind ungünstige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Heimintegration. Nach Wahl / Reichert (1994, 26) ist der Heimeinzug ein „nicht-normatives Ereig- nis“, verbunden mit einer hohen Entwicklungsaufgabe. Sie bedeutet für die Betrof- fenen sowohl die Möglichkeit von Entwicklungsgewinnen als auch von Verlusten. Eine Bewertung in Gewinne und Verluste geschieht vor dem Hintergrund der bis- herigen Erfahrungen im Leben, des kognitiven Leistungsvermögens und des Ge- sundheitszustands. Nach Wahl/Reichert (1994) entsteht hieraus der klassische Kon- flikt zwischen der standardisierten Umwelt Heim und den individuellen Bedürfnis- sen der Bewohner. Von verschiedenen Autoren werden unterschiedliche Entwick- lungsverluste in der Phase des Heimeinzugs beschrieben (Mollenkopf et al., 2004/Saup, 1984). Sie stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit stark regle- mentierenden, einengenden Umgebungsbedingungen und führen zu einer Zunahme der Begleitsymptome (Düx, 1997). Wenn das Setting der Hausgemeinschaften tatsächlich ein geringeres Maß an Autonomieeinschränkungen aufweist, dann müssten die Bewohner unter weniger Begleitsymptomen leiden. Dies konnte in beiden Settings nicht beobachtet werden. Andererseits konnte eine Zunahme der Pflegebedürftigkeit in dem Umfang, wie sie auf Grund des Heimeinzugs zu erwar- ten wäre, nicht beobachtet werden. Auch eine dauerhafte Ablehnung der Institution Pflegeheim konnte in den Befragungen in beiden Einrichtungen nicht bestätigt werden. Einige Ergebnisse deuten auf eine positivere Integration der Bewohner in den Hausgemeinschaften hin: Dies sind die Wohlbefindenswerte aus der DCM- Erfassung, in denen bei Einzug ein deutlich höherer Wert als in der Vergleichsein- richtung ermittelt wurde. Im Verlauf des weiteren Aufenthalts wurde im Gegensatz zu den gleichbleibend niedrigen Werten der Vergleichseinrichtung, ein Anstieg der Wohlbefindenswerte verzeichnet. Die Ergebnisse der DCM-Erfassung stützen die Beobachtungen und Aussagen der Mitarbeiter und Angehörigen. Nach den Ergebnissen von Düx (1997) ist ebenfalls davon auszugehen, dass das Trauma des Heimeinzugs zum Rückzug in das eigenen Zimmer führt. Dieser Trend ist aufgrund der Beobachtungen nicht nachzuvollziehen. In den Hausgemeinschaf- ten ist ein eher gegenläufiger Trend zu verzeichnen. Festzustellen war ein Anstei- gen der Aufenthaltszeiten in öffentlichen Räumen von 7780 auf 8469 Minuten im Gegensatz zu 3830 auf 4170 Minuten in der Vergleichseinrichtung (Tabelle Nr. 25). Das würde bedeuten, dass die Hausgemeinschaftsbewohner ihre Rückzugs- möglichkeiten nicht in dem Umfange nutzen, obwohl sie (im Gegensatz zur Ver- gleichseinrichtung) alle in einem Einzelzimmer leben. Einschränkend berücksich- tigt werden muss, dass die meisten untersuchten Bewohner beim Verlassen ihres Zimmers teilweise beziehungsweise ganz auf die Hilfestellung durch das Personal angewiesen sind. Die Aufenthaltsmöglichkeiten der Bewohner sind deshalb durch das Personal mitbeeinflusst. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass in den Hausgemeinschaften keine Ver- schlechterung des Verhaltens im Zusammenhang mit dem Heimeinzug zu ver- zeichnen ist. 166 Konnten Entwicklungsgewinne verzeichnet werden? Zur Einschätzung der Entwicklungsgewinne können die Wohlfühlwerte, die Möglichkeiten der Interaktion und Kommunikation, sowie die Erhaltung sozialer Kontakte herangezogen werden. Wie bereits beschrieben, deuten die Beobachtungen auf eine positivere Gewinnbilanz für dementiell erkrankte Heimbewohner in den Hausgemeinschaften hin. Damit wäre eine Integration in eine stationäre Einrichtung unter den Bedingungen einer Hausgemeinschaft für die Betroffenen ohne das „Trauma des Heimeinzugs“ eher möglich. 167 8.2. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse Im Folgenden werden die vermuteten Wirkungen der untersuchten Settings zu- sammenfassend tabellarisch dargestellt. Tabelle Nr. 39: Zusammenfassung der vermuteten Wirkungen unterschiedli- cher Settings Klassische Pflege- und Versorgungsform Hausgemeinschaften Bewohnerbezogen: Status der Bewohner Objekte Fremdbestimmt durch die Organisation Tagesablauf an institutionel- len Vorgaben orientiert Fürsorge überwiegt in Form der Schaffung einer sicheren Umgebung, Befriedigung von Grundbedürfnissen und einer somatisch ausgerichte- ten Pflege Subjekte Weitgehende selbständige und selbstbestimmte Lebensführung durch individuelle Stützung Tagesablauf am Bewohner orien- tiert Personsein überwiegt in Form der Aufrechterhaltung von gewohnten Alltagsbezügen, Alltagstätigkeiten und Alltagsrhythmen, und einer lebensweltorientierten Pflege Soziale Einbindung Vereinsamung Beziehungslosigkeit trotz großer Anzahl von Mitbe- wohnern und Personal lange Zeiten der „Leere“ im Tagesverlauf Gemeinschaft Beziehungsmöglichkeiten durch kleine Bezugsgruppe sowie räumli- che und persönliche Nähe zu Be- zugspersonen aktive bzw. passiv-beobachtende Teilnahme am Alltagsgeschehen im unmittelbaren Lebensbereich Selbsthilfefähigkeiten Defizit Unterstellung von umfas- sender Hilfebedürftigkeit Erlebnisse des Versagens durch Übernahme der All- tagsaktivitäten durch das Personal Tagesverlauf und Aktivitä- ten werden geprägt vom Hilfe- und Unterstützungs- bedarf Kompetenz Unterstellung von weitgehender Selbständigkeit Motivation über die Bewältigung von Aufgaben Tagesverlauf orientiert sich am normalen Geschehen in einem Haushalt 168 Mitarbeiterbezogen: Berufliches Verständnis Pflegedominanz/Professionalität Pflegehaltung ist geprägt vom Defizit- modell der Demenz als verheerende Krankheiten des Zentralnervensystems, in deren Verlauf Persönlichkeit und Identität nach und nach zerstört werden. Die begleitenden Verhaltenauffälligkei- ten stören im Arbeitsablauf. Alltagsbegleitung/Laien Sichtweise von der Demenz als Form der Behinderung. Die Intensität der Betroffenheit hängt von der Art der Betreu- ung, der Gestaltung der Umge- bung und der Aktivitäten des täglichen Lebens ab Verhältnis zu den Angehö- rigen Konkurrenten Künstliche Besuchssituation Fremdheit; hohe Erwartungshaltung an Pflege und Versorgung Partner Aktive Beteiligung am Gesche- hen in der Wohnküche Unterstützung und Entlastung des Personals Arbeitszu- friedenheit Ausbrennen/Frustration Entpersönlichte, funktional ausgerichte- te Pflegeorganisation Hilflosigkeit im Umgang mit Beein- trächtigungen und auffälligen Verhal- tensweisen Verhaltensweisen der Bewohner werden als störend im Arbeitsablauf erlebt Überforderung durch das Gefühl, für alle und alles zuständig zu sein und doch nicht das „richtige“ zu tun Zufriedenheit Persönliche Alltagsbegleitung und Stützung der Bewohner Psychische Belastung durch eine zu große Nähe zu den Bewoh- nern möglich Positive und gesunde Anteile sowie Fähigkeiten und Möglich- keiten der Bewohner werden erlebt Abgrenzung der eigenen Aufga- ben durch Einbeziehung der Bewohner, Angehörigen, u.a. Angehörigenbezogen: Angehörige in Bezug zu den Mitarbei- tern Laienrolle Laien treten „Fachleuten“ gegenüber Fremdheit der organisatorischen Erfor- dernisse und Tätigkeiten, vor allem der Pflegekräfte keine Beteiligung erwünscht bzw. mög- lich Experte Kompetenter Partner mit bio- graphische Kenntnissen und z.T. Pflegeerfahrung Tätigkeiten der Alltagsgestal- tung sind aus dem eigenen Haushalt bekannt Mithilfe ist Voraussetzung zur Aufnahme Angehörige in Bezug zu den Bewoh- nern Besucher künstliche Gestaltung der Besuchssitua- tion Besuchssituation wird als belastend und anstrengend empfunden Besuche unterbleiben Bezugsperson Beteiligung am Alltag des An- gehörigen Gemeinsame Bewältigung von Aufgaben Bestehende Beziehung kann aufrechterhalten werden 169 8.3. Empfehlungen für die Gestaltung künftiger Settings in der statio- nären Altenhilfe Aufgrund der kleinen untersuchten Bewohnergruppe von jeweils 20 Personen kön- nen keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Es lassen sich allerdings Trends erkennen und Anregungen für weitere Forschungsvorhaben ableiten: Es sind weitere Studien erforderlich, in denen eine größere Anzahl von Pflegesettings unterschiedlicher Qualität in bezug auf das Wohlbefinden dementiell Erkrankter einbezogen werden. Ferner sollte eingehender betrachtet werden, ob der Sterbepro- zess der Bewohner tatsächlich vom Setting beeinflusst wird, welchen Einfluss die Mahlzeitensituation auf den Ernährungszustand der Bewohner hat und wie eine Defizitorientierung des Personals verhindert beziehungsweise verändert werden kann. Die Ergebnisse der Vorstudie unterstützen die Forderungen nach einer kon- sequenten Umgestaltung klassischer stationärer Pflegeeinrichtungen: weg von der großräumigen Massenversorgung hin zu kleinräumigen, überschaubaren Wohngruppen. Aus den Erkenntnissen lassen sich zehn wesentliche Anforderungen an eine Um- gestaltung ableiten. Dies sind: Vermittlung von Sicherheit und Geborgenheit durch die Gestaltung einer überschaubaren und angstfreien Umwelt, sowie durch die ständige Nähe eines Menschen (Präsenzkraft). Unterstützung der Orientierung durch die vertraute wohnungsähnliche Gestaltung der räumlichen Umwelt und die Aufrechterhaltung eines ge- wohnten Alltags mit seinen Abläufen und Tätigkeiten. Unterstützung der Funktionsfähigkeit und Kompetenzerhaltung durch För- derung von Beschäftigungsmöglichkeiten in einer anregungsreichen Um- welt, die sich an der vertrauten Häuslichkeit orientiert. Stimulation und Anregung durch ein fachlich reflektiert gestaltetes Milieu, das die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Umweltadaptati- on berücksichtigt. Ermöglichung von Umweltkontrolle durch Förderung der Mitwirkung am Heimgeschehen und der Übernahme sinnvoller Aufgaben im Rahmen der Alltagsgestaltung. Einbindung der Angehörigen und Ehrenamtlichen als Partner (nicht als Konkurrenten) in die Pflege und Betreuung. Kontinuität und Bezug zum bisherigen Lebenszusammenhang durch die Aufrechterhaltung von Hobbys, Gewohnheiten und Alltagsrhythmen. Anpassung an Veränderungen durch die intensive psychosoziale Beglei- tung in der Einzugs- und Eingewöhnungsphase. Mitwirkung unterschiedlich qualifizierter Mitarbeiter mit unterschiedlichen Zugängen zum Bewohner. Qualifizierung des gesamten Heimpersonals in fachlichen und kommuni- kativen Kompetenzen. 170 Den Hausgemeinschaften liegt das Konzept der „Normalität“ zugrunde. Dieser Begriff ist in den 70er Jahren aus der Arbeit mit geistig Behinderten entstanden und bezog sich dementsprechend auf die Normalität in der damaligen Zeit. Es ist die Frage zu stellen, ob diese Normalität auch weiterhin Gültigkeit besitzt. Eine Weiterentwicklung des Hausgemeinschaftskonzeptes erscheint im Rahmen der heute eher unterschiedlichen Lebensentwürfe notwendig. Es sollte verhindert wer- den, dass aus der definierten „Normalität“ eine „Norm“ wird, die keine Befreiung sondern neue Zwänge für die Bewohner bedeuten würden. So scheint die Hausge- meinschaft mit ihrer Ausrichtung auf das hauswirtschaftliche Geschehen in einer Wohnküche bereits jetzt schon nicht für alle alten Menschen geeignet zu sein. An- dere Konzepte wie zum Beispiel die life-style-groups in den Niederlanden (Notter et al., 2004) gehen stärker auf individuelle kulturelle Lebensweisen ein. In diesem Konzept werden, ausgehend von unterschiedlichen Lebensstilen verschiedene Wohngruppen gebildet, in denen entsprechende Angebote und Betreuungsformen umgesetzt werden. Grundlage des Konzeptes sind soziologische Studien, die von sieben unterschiedlichen Lebensstilgruppen ausgehen. Das Konzept wirft die Frage auf, was unter heutigen Verhältnissen als „Normalisierung“ zu begreifen ist. „Each individual is separately assessed and then placed within the lifestylegroup that matches as nearly as possible their pre-admission life. Emphoses is placed on establishing the type of work they did, their religious beliefs, their social class, their cultural patterns and practices, their hobbys and interests, and on finding ways to facilitate activities which help to keep them anchored in reality.” (Notter, et al., 2004, 450) Es ist demnach ein differenziertes Konzept, das die individuelle Erfahrungsnorma- lität unterschiedlicher Lebensstile berücksichtigt. Mit einer Weiterentwicklung der Hausgemeinschaften in diesem Sinne, könnte das Wohlbefinden und die Lebens- qualität dementiell erkrankter alter Menschen auch in Zukunft gesteigert werden. 171 9. Schlussbetrachtung – Macht das Setting den Unterschied? In den vorangehende Abschnitten wurden Belege ausgewertet und erörtert, die für einen Zusammenhang zwischen dem Setting und der subjektiven und objektiven Lebensqualität dementiell erkrankter alter Menschen in der stationären Altenpflege sprechen. Anhand der Ergebnisse hat sich gezeigt, dass kleine Hausgemeinschaften eine positive Wirkung auf das Wohlbefinden dementiell Erkrankter haben: Sie erhielten weniger Freiheitsentziehende Maßnahmen (Psychopharmaka), konnten an einem anregungsreichen Geschehen teilnehmen und erfuhren eine individuelle Förderung ihres Personseins durch das Personal. Die Ergebnisse dieser Vorstudie bestätigen Evaluationsbefunde nationaler und internationaler Forschungen. Damit scheinen die Hausgemeinschaften ein Ort des Wohnens zu sein, an dem alte Men- schen zufrieden und mit ihrer dementiellen Erkrankung akzeptiert leben können. Den positiven Wirkungen des Settings steht die fachöffentliche Kritik gegenüber: Sie bezieht sich auf ökonomische Aspekte des Personaleinsatzes. Das Konzept würde für Einsparungen im Personalbereich genutzt und damit den Abbau von Sozialleistungen vorantreiben. Dieser Kritik kann auf grund der Untersuchungser- gebnisse entschieden begegnet werden: Die Bereitstellung einer beständig in der Wohnküche anwesenden Person als Ansprechpartner für die Bewohner erfordert einen höheren Personaleinsatz und in der Folge höhere Kosten. Die Einrichtung von Hausgemeinschaften bedeuten keinen Sozialabbau: Das for- dernde Konzept, die Mitarbeit der Angehörigen und der verstärkte Einsatz von hauswirtschaftlichen Mitarbeitern beinhaltet keine schlechtere Betreuung, sondern eine Befreiung des Einzelnen von der bisher üblichen „Rundumversorgung“. Die Befreiung kann mit Risiken (zum Beispiel Verletzungen) verbunden sein. Diese Risiken müssen toleriert werden. Jedes Risiko verweigern, hieße eine „totale Insti- tution“ zu schaffen, wie sie von Goffman beschrieben wurde. Fordern bedeutet auch fördern und erhalten der Selbständigkeit. In diesem Kontext haben Pflegekräfte auf gleicher Höhe mit Angehörigen, Ehrenamtlichen und nicht ausgebildeten Mitarbeitern eine wichtige stützende Funktion. In dem Selbstän- digkeit fördernden Milieu kann auch das Personal eine andere Kommunikationskultur entwickeln, die nicht von Krankheiten und Beeinträchtigungen dominiert wird. Die Hausgemeinschaften können als eine konkrete Form der Rückverlagerung von Risikoverantwortung und der Befreiung der dementiell Erkrankten vor Überbehü- tung - wie sie in klassischen Pflegeinstitutionen nach wie vor üblich sind - betrach- tet werden. Es ist zu hoffen, dass diese Form eine weitere Verbreitung und die notwendige staatliche Unterstützung erfährt. Die Bewohner, ihre Angehörigen und die Mitarbeiter der Vergleichseinrichtung konnten bereits von den Erfahrungen der Untersuchung profitieren. Auf grund der Untersuchungsergebnisse wurde in 2005 damit begonnen, die klassischen Pflege- bereiche zu Hausgemeinschaften umzugestalten. 172 Literaturliste Abels, H. (2001): Einführung in die Soziologie, Band 1: Der Blick auf die Gesell- schaft. Wiesbaden: Westdeutscher Albrecht, P.-G. (1997): Leben im Altenheim: zur Zufriedenheit Magdeburger Heimbewohnerinnen mit ihrer Lebenssituation. Frankfurt a. M.: Lang Amrhein, L. 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Köln: Kuratorium Deutsche Altershilfe 189 Tabellenverzeichnis Nummer Inhalt Seitenzahl 1 Darstellung der verschiedenen Generationen des Alten- heimbaus 25 2 Tabellarische Synopse der verschiedenen Modelle 26 3 Zusammenfassende Darstellung der Forschungsergeb- nisse zu den Hausgemeinschaften 37 4 Determinanten des Wohlbefindens dementiell erkrank- ter alter Menschen 82 5 Heimeinzug und Anpassung an den Heimalltag 84 6 Heimeinzug und Anpassung an den Heimalltag im institutionellen Vergleich 84 7 Übersicht über die zum Einsatz kommenden Instru- mente zur Erfassung der Wirkungsaspekte 90 8 Untersuchungsverlauf 105 9 Durchschnittliches Alter und Geschlecht der Bewohner (Plaisir©) 111 10 Verteilung auf die Geschlechter in Prozent (Plaisir©) 111 11 Durchschnittlicher Pflegebedarf in Minuten pro Tag in der ersten und zweiten Untersuchungsphase (Plaisir©) 113 12 Verteilung der Bewohner nach Einschränkungen Ein- richtung in der ersten Untersuchungsphase in Einrich- tung A und B in Prozent (Plaisir©) 113-114 13 Verteilung der Bewohner nach Einschränkungen Ein- richtung A und B in der zweiten Untersuchungsphase in Prozent (Plaisir©) 115-116 14 Verteilung der Bewohner in A und B nach dem Grad der kognitiven Defizite und der psychiatrischen Prob- leme in der ersten Untersuchungsphase in totalen Zah- len (Plaisir©) 117 15 Verteilung der Bewohner in A und B nach dem Grad der kognitiven Defizite und der psychiatrischen Prob- leme in der zweiten Untersuchungsphase in totalen Zahlen (Plaisir©) 117 16 Prävalenz bestimmter Verhaltensprobleme in der ersten Untersuchungsphase Einrichtung A und B in totalen Zahlen (Plaisir©) 118 17 Prävalenz bestimmter Verhaltensprobleme in der zwei- ten Untersuchungsphase Einrichtung A und B in totalen Zahlen (Plaisir©) 118 18 Freiheitsentziehende Maßnahmen in der ersten Unter- suchungsphase Einrichtung A und B in Prozent (Plai- sir©) 119 19 Freiheitsentziehende Maßnahmen in der zweiten Unter- suchungsphase Einrichtung A und B in Prozent (Plai- sir©) 119 20 Dauer des Frühstücks in der ersten und zweiten Unter- suchungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zah- len (DCM) 124 190 21 Dauer des Mittagessens in der ersten und zweiten Un- tersuchungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen (DCM) 124 22 Verteilung der Bewohner nach Beeinträchtigungsgrad Soziale Beziehungen erste Untersuchung in totalen Zahlen (Plaisir©) 129 23 Verteilung der Bewohner nach Beeinträchtigungsgrad Soziale Beziehungen zweite Untersuchungsphase in totalen Zahlen (Plaisir©) 129 24 Einschränkungen der sozialen Beziehungen in der Hausgemeinschaftseinrichtung in der ersten und zwei- ten Untersuchungsphase in Prozent (Plaisir©) 130 25 Aufenthaltszeiten in öffentlichen Räumen in Minuten in der ersten und zweiten Untersuchungsphase in Ein- richtung A und B (DCM) 132 26 Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zu „Kontakt zu anderen Bewohnern“ in der ersten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen 133 27 Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zu „Kontakt zu anderen Bewohnern“ in der zweiten Untersuchungs- phase in Einrichtung A und B in totalen Zahlen 133 28 Zusammenfassende Darstellung der Wohlbefindens- werte (DCM) 135 29 Übersicht über einzelne WIB-Werte (DCM) 136 30 Zusammenfassende Darstellung der Wohlbefindens- werte in der ersten Untersuchungsphase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM) 137 31 Zusammenfassende Darstellung der Wohlbefindens- werte in der zweiten Untersuchungsphase in Einrich- tung A und B in Prozent (DCM) 137 32 Darstellung der Wohlbefindenswerte in der ersten und zweiten Untersuchungsphase nur Hausgemeinschafts- einrichtung in Prozent (DCM) 137 33 Darstellung der Wohlbefindenswerte in der ersten und zweiten Untersuchungsphase nur Vergleichseinrichtung in Prozent (DCM) 138 34 Anzahl der Verhaltenskategorien erste Untersuchungs- phase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM) 139 35 Anzahl der Verhaltenskategorien zweite Untersu- chungsphase in Einrichtung A und B in Prozent (DCM) 140 36 Verteilung der WIB-Werte für die Kategorie B in Pro- zent (DCM) 141 37 Verteilung der WIB-Werte für die Kategorie F in Pro- zent (DCM) 143 38 Darstellung der Entwicklung des Abwechslungsfaktors in der ersten und zweiten Untersuchungsphase in Ein- richtung A und B (DCM) 144 39 Zusammenfassung der vermuteten Wirkungen unter- schiedlicher Settings 167-168 191 Anhang Beschreibung der Verhaltenskategorien (aus Bradford Dementia Group, 1997, 30) Kode Stichwort Allgemeine Beschreibung der Katego- rie A Artikulation Verbal oder nonverbal mit anderen inter- agieren ohne offensichtliche andere Ak- tivität B Borderline Sozial einbezogen sein, aber auf passive Weise C Cool/Kalt Sozial nicht einbezogen sein, in sich gekehrt D Distress Stress ohne Begleitung E Expression/Selbstausdruck Mit einer kreativen Tätigkeit beschäftigt sein F Food/Essen Essen und Trinken G Games/Spiele An einem Spiel teilnehmen H Handicraft/Werken An einer handwerklichen Tätigkeit teil- nehmen I Intellectual Aktivität, die sich auf intellek. Fähigkei- ten konzentriert J Joints/Gelenk An einer sportlichen oder gymnastischen Übung teilnehmen K Kum & Go/Kommen & Gehen Unabhängiges Gehen, Stehen oder Fort- bewegen L Labour/Arbeit Arbeit oder Pseudo-Arbeit M Media/Medien Sich mit Medien beschäftigen N Nod, Land of/Schläfchen Schlafen oder Dösen O Own Care/Selbstpflege Sich unabhängig selber pflegen P Physical Care/Körperpflege Praktische, physische oder personale Pflege erfahren R Religion An einer religiösen Aktivität teilnehmen S Sex Tätigkeit mit explizit sexuellem Selbst- ausdruck T Timalation/Basale Stimulation Beschäftigung mit sinnl. Wahrnehmung U Unresponded to/ohne Antwort Kommunizieren ohne Antwort W Withstanding/Aushalten Repetitive Selbststimulation X X-cretion/Ausscheidung Y Yourself/Halluzination Mit sich selbst oder einer imaginierten Person sprechen Z Zero Option/Nulloption Verhalten, das in keine der Kategorien passt 192 Die 12 Interaktionsformen der positiven Personenarbeit (entnommen aus Kitwood, 2000, 134-137) „1. Anerkennen (recognition). Hierbei wird ein Mann oder eine Frau mit Demenz als Person anerkannt, ist namentlich bekannt und wird in seiner bzw. ihrer Einzig- artigkeit bestätigt. Anerkennen lässt sich durch einen einfachen Akt des Grüßens oder durch achtsames Zuhören über einen längeren Zeitraum, in dem jemand viel- leicht eine Teil seines früheren Lebens beschreibt, erreichen. Anerkennen ist je- doch niemals rein verbal und kann auch völlig wortlos erfolgen. Einer der grundle- genden Akte des Anerkennens ist einfach der direkte Blickkontakt. 2. Verhandeln (negotiation). Das charakteristische Merkmal dieser Art von Interak- tion besteht darin, dass Menschen mit Demenz nach ihren Vorlieben, Wünschen und Bedürfnissen gefragt werden, statt den Vermutungen anderer angepasst zu werden. Viel mehr verhandelt über einfache Angelegenheiten des Alltags, etwa ob sich jemand in der Lage sieht, aufzustehen, eine Mahlzeit einzunehmen oder nach draußen zu gehen. Geschicktes Verhandeln berücksichtigt die Ängste und Unsi- cherheiten von Menschen mit Demenz sowie das langsamere Tempo, in dem sie mit Informationen umgehen. Verhandeln gibt selbst hochgradig abhängigen Men- schen ein gewisses Maß an Kontrolle über die Pflege, die sie erhalten, und gibt ihnen Macht zurück.“ (Kitwood, 2000, 134) 3. Zusammenarbeiten (collaboration). Hier betrachten wir kurz zwei oder mehr Menschen bei einer gemeinsamen Aufgabe mit einem bestimmten Ziel in Sicht. Zusammenarbeit kann bisweilen sogar im wörtlichen Sinne stattfinden, etwa bei gemeinsamen Arbeiten im Haushalt. Weniger offensichtlich kann sie im Zusam- menhang mit der persönlichen Pflege, etwa beim Anziehen, Baden oder beim Gang zur Toilette werden. Das Kennzeichen des Zusammenarbeitens besteht darin, dass Pflege nicht etwas ist, das einer Person <> wird, die ihrerseits in eine passive Rolle gezwängt wird; es ist ein Prozess, an dem ihre eigene Initiative und ihre eigenen Fähigkeiten beteiligt sind. 4. Spielen (play). Während Arbeit auf ein Ziel gerichtet ist, hat Spielen in seiner reinsten Form kein außerhalb der Aktivität selbst liegendes Ziel. Es ist einfach nur eine Übung in Spontanität und Selbstausdruck, eine Erfahrung, die ihren Wert in sich selbst hat. Durch den schieren Überlebensdruck und die Arbeitsdisziplin ver- fügen viele Erwachsene auf diesem Gebiet nur über schlecht entwickelte Fähigkei- ten. Ein gutes Pflegeumfeld ist eines, das diesen Fähigkeiten erlaubt zu wachsen. 5. Timalation (timalation). Dieser Begriff bezieht sich auf Formen der Interaktion, bei denen die primäre Zugangsweise sensorisch oder sinnenbezogen ist, ohne dass Begriffe und intellektuelles Verstehen eine Rolle spielen, z. B. bei einer Aromathe- rapie und Massage. Das Wort Timalation ist ein Neologismus, abgeleitet aus dem Griechischen Wort timao (ich halte in Ehren, ich würdige – und demnach verletze ich keine persönlichen oder moralischen Grenzen) und aus Stimulation (mit ihren Bedeutungen der sensorischen Anregung). Die Bedeutung dieser Art von Interakti- on liegt darin, dass sie Kontakt, Sicherheit und Vergnügen bieten kann, während sie nur sehr wenig erfordert. Sie ist daher bei schwerer kognitiver Beeinträchtigung besonders wertvoll. 193 6. Feiern (celebration). Die Stimmung dabei ist aufgeschlossen und gesellig. Es ist nicht einfach eine Sache besonderer Gelegenheiten, sondern eines jeden Augen- blicks, in dem das Leben als zutiefst freudvoll erlebt wird. Viele Menschen mit Demenz behalten trotz ihres Leidens die Fähigkeit zu feiern, vielleicht nimmt sie sogar zu, wo die Last der Verantwortung schwindet. Feiern ist die Form von Inter- aktion, bei der die Trennung zwischen Betreuendem und Betreutem einem voll- ständigen Verschwinden am nächsten kommt; alle werden von einer ähnlichen Stimmung erfasst. Die gewöhnlichen Grenzen des Ich sind verschwommen gewor- den, und das Selbst hat sich ausgeweitet. In manchen mystischen Traditionen ist dies die Bedeutung von Spiritualität. 7. Entspannen (relaxation). Von allen Formen der Interaktion ist sie diejenige mit dem niedrigsten Intensitätsgrad und vielleicht auch mit dem geringsten Tempo. Natürlich ist es möglich, allein zu entspannen, aber viele Menschen mit Demenz mit ihren ausgeprägten sozialen Bedürfnissen vermögen nur zu entspannen, wenn andere in der Nähe sind oder wenn unmittelbarer Köperkontakt hergestellt wird.“ Psychotherapeutisch ausgerichtete Arten der positiven Interaktion: „. 1. Validation (validation). (...) Die wörtliche Bedeutung ist: stark oder robust (widerstandsfähig) machen. Die Erfahrung eines anderen Menschen zu würdigen, zu validieren bedeutet, die Realität und Macht dieser Erfahrung und damit ihre <> zu akzeptieren. Der Kern der Dinge liegt im Aner- kennen der Emotionen und Gefühle einer Person und im Antworten auf der Ge- fühlsebene. Validieren umfasst ein hohes Maß an Empathie in dem Versuch, den gesamten Bezugsrahmen einer Person zu verstehen, selbst wenn er chaotisch, para- noid oder halluzinär ist. Wird unser Leben validiert, fühlen wir uns lebendiger, verbundener, wirklicher; es gibt allen Grund zu der Annahme, dass dies auch bei Demenz so ist. 2. Halten (holding). (...) Im psychologischen Sinne zu halten bedeutet, eine siche- ren pschologischen Raum, ein <> (<>) zu bieten; hier kön- nen ein verborgenes Trauma oder ein Konflikt nach außen gebracht und Bereiche extremer Verwundbarkeit gezeigt werden. Ist das Halten sicher, kann eine Person im Erleben wissen, dass verheerende Emotionen, wie abgrundtiefer Schrecken oder überwältigende Trauer, vorübergehen und nicht zur Desintegration der Seele füh- ren. Selbst heftiger Zorn und zerstörerische Wut, die sich für eine Weile gegen die haltende Person richten, werden letztere nicht verjagen. Wie im Falle der Kinder- pflege kann das psychologische Halten in jedem Zusammenhang auch das körper- liche Halten umfassen. 3. Erleichtern (facilitation). In seiner einfachsten Bedeutung besagt es, eine Person in die Lage zu versetzen, etwas zu tun, das sie ansonsten nicht tun könnte, indem diejenigen – und nur diese – Teile der Handlung übernommen werden, die fehlen. Erleichtern dieser Art verschmilzt mit dem, was ich Zusammenarbeiten genannt habe. Die psychotherapeutische Arbeit im eigentlichen Sinne setzt ein, wenn der Handlungsinn einer Person ernsthaft erschöpft wurde oder wenn eine Person nicht mehr weiß, was sie tun soll und wie sie es tun soll. Vielleicht besteht alles noch Verbliebene in einer zögernden Bewegung in Richtung auf eine Handlung oder in einer elementaren Geste. Die Aufgabe des Erleichterns besteht nun darin, die Inter- aktion in Gang zu bringen, zu verstärken und der Person schrittweise zu helfen, sie mit Bedeutung zu füllen. Wenn dies gut vorgenommen wird, so besteht eine hohe 194 Sensibilität gegenüber den möglichen Bedeutungen in den Bewegungen einer Per- son, und die Interaktion schreitet in einer Geschwindigkeit voran, die langsam ge- nug ist, um der Bedeutung die Entwicklung zu ermöglichen.“ Positive Interaktionen in denen die Person mit Demenz die Führungsrolle über- nimmt: „1. Schöpferisch sein (creation). Dabei bietet eine Person mit Demenz dem sozia- len Setting spontan etwas aus ihrem Vorrat an Fähigkeiten oder sozialen Fertigkei- ten an. Zwei häufige Beispiele sind, dass die Betreffenden zu singen oder zu tanzen beginnen und andere auffordern, mitzumachen. 2. Geben (giving). Dies ist eine Form der Interaktion, die sich dem Ich-Du-Modus annähert. Die Person mit Demenz bringt Besorgnis, Zuneigung oder Dankbarkeit zum Ausdruck, bietet Hilfe an oder macht ein Geschenk.“ 195 Die 17 Formen der personalen Detraktionen im Rahmen der malignen Sozialpsychologie (entnommen aus Kitwood, 2000, 75-76) 8. Betrug (treachery) – Einsatz von Formen der Täuschung, um eine Person abzulenken, zu manipulieren oder zur Mitwirkung zu zwingen. 9. Zur Machtlosigkeit verurteilen (disempowerment) – jemandem nicht ges- tatten, vorhandene Fähigkeiten zu nutzen; die Unterstützung beim Abschluß begonnener Handlungen versagen. 10. Infantilisieren (infantilization) – jemanden sehr väterlich bzw. mütterlich autoritär behandeln, etwa wie ein unsensibler Elternteil dies mit einem sehr kleinen Kind tun würde. 11. Einschüchtern (intimidation) – durch Drohungen oder körperliche Gewalt bei jemandem Furcht hervorrufen. 12. Etikettieren (labelling) – Einsatz einer Kategorie wie Demenz oder <> als Hauptgrundlage der Inter- aktion mit der Person und zur Erklärung ihres Verhaltens. 13. Stigmatisieren (stigmatization) – jemanden behandeln, als sei er ein ver- seuchtes Objekt, ein Alien oder Ausgestoßener. 14. Überholen (outpacing) – Informationen liefern, Alternativen zur Wahl stel- len etc. jedoch für die betreffende Person zu schnell, um zu verstehen; der Betroffene gerät damit unter Druck, Dinge rascher zu tun, als er ertragen kann. 15. Entwerten (invalidation) – die subjektive Realität des Erlebens und vor al- lem die Gefühle einer Person nicht anerkennen. 16. Verbannen (banishment) – jemanden fortschicken oder körperlich bzw. seelisch ausschließen. 17. Zum Objekt erklären (objectification) – jemanden behandeln, als sei er ein Klumpen toter Materie, der gestoßen, angehoben, gefüllt, aufgepumpt oder abgelassen werden kann, ohne wirklich auf die Tatsache Bezug zu nehmen, dass es sich um ein fühlendes Wesen handelt. 18. Ignorieren (ignoring) – in jemandes Anwesenheit einfach in einer Unter- haltung oder Handlung fortfahren, als sei der bzw. die Betreffende nicht vorhanden. 19. Zwang (imposition) – jemanden zu einer Handlung zwingen und dabei die Wünsche der betroffenen Person beiseiteschieben bzw. ihr Wahlmöglich- keiten verweigern. 20. Vorenthalten (withholding) –jemanden eine erbetene Information oder die Befriedigung eines erkennbaren Bedürfnisses verweigern. 21. Anklagen (accusation) – jemandem Handlungen oder deren Unterlassen, die sich aus einer fehlenden Fähigkeit oder einer Fehlinterpretieren der Si- tuation ergeben, zum Vorwurf machen. 22. Unterbrechen (disruption) – plötzlich oder in störender Weise in die Hand- lung oder Überlegung von jemandem einbrechen; ein rohes Aufbrechen des Bezugsrahmens einer Person. 23. Lästern (mockery) – sich über die <> Handlungen oder Bemerkungen einer Person lustig machen; hänseln, erniedrigen, Witze auf Kosten einer anderen Person machen. 24. Herabwürdigen (disparagement) – jemandem sagen, er sei inkompetent, nutzlos, wertlos etc.; Botschaften vermitteln, die der Selbstachtung einer Person schaden. 196 Bereiche die mit Plaisir© erfasst werden (entnommen aus KDA GmbH, 2003, 17-18): A: Identifikation (Personalien, Beobachtungszeitraum etc.) B: Rehabilitationstherapie (erhaltene Physio-/Ergotherapie, Logopädie) C: Erhaltene pflegerische Rehabilitationsmaßnahmen (z. B. Kontinenz- bzw. Anziehtraining) D: Erhaltene spezielle Behandlungen (z. B. Dialyse, Bestehen von Ulzera oder Dekubiti) E: Arztvisiten (Anzahl pro Monat) F: Diagnosen G: Bewegungsfähigkeit (Gesamteinschätzung) H: Faktoren, die Verringerung oder Verlust der Bewegungsfähigkeit bedingen I: Verringerung oder Verlust der Funktionsfähigkeit von Extremitäten (Be- nennung der betroffenen Extremitäten, inkl. Abfrage zum Vorliegen von Sturzgefahr und zur Pflege bei Amputation) J: Technische Hilfsmittel (tatsächlich genutzte Hilfsmittel wie Gehwagen, Rollstuhl, Lifter etc.) K: Unabhängigkeit in den Basis-/instrumentalisierten Aktivitäten (Gesamtein- schätzung) L: Sich beschäftigen können (Gesamteinschätzung zur Beschäftigungsfähig- keit des Bewohners) M: Freiheitseinschränkende/-entziehende Maßnahmen und Schutzmaßnahmen, inkl. Abfrage zur Anwendung von Psychopharmaka N: Kontakte zur Außenwelt (geschätzte Anzahl Besuche, Telefonate, Briefe pro Jahr) O: Soziale Beziehungen und Bereiche sichern und gestalten können (Gesam- teinschätzungzu den entsprechenden Möglichkeiten des Bewohners) P: Psychische und sensorische Fähigkeiten (16 verschiedene Items) Q: Psychische Probleme (z. B. Vorhandensein von Aggressivität, Umherirren, Rückzug) R: Fähigkeit zur Interaktion mit der Umgebung (Gesamteinschätzung) 197 Angehörigenbefragung Bitte kreuzen Sie jeweils nur ein Antwortkästchen an. Sie können den ausgefüllten Bogen per Post zurücksenden oder in der Einrichtung im verschlossenen Umschlag abgeben. Bitte nutzen Sie in jedem Fall den beschrifteten Rückumschlag. Ihre Angaben werden selbstverständlich streng vertraulich behandelt! I. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Angehörige/Ihr Angehöriger sich in der Einrichtung wohlfühlt? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  II. Haben Sie seit Einzug Ihres/Ihrer Angehörigen eine Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten, z. B. sich selbst anzuziehen oder die Nahrung zu sich zunehmen, beobachtet? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  III. Konnte Ihre Angehörige/Ihr Angehöriger Alltagsgewohnheiten (wie z. B. Aufsteh- und Zubettgehzeiten, Essenszeiten, Freizeitgewohn- heiten usw.) beibehalten? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  IV. Konnte Ihre Angehörige/Ihr Angehöriger leicht Kontakt mit ande- ren Bewohnern in der Einrichtung aufnehmen? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  V. Konnte Ihre Angehörige/Ihr Angehöriger den Kontakt zu Verwand- ten, Freunden und Bekannten aufrechterhalten? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  VI. Haben Sie, weitere Verwandte, Freunde und Bekannte die Mög- lichkeit sich in das Alltagsleben Ihres Angehörigen im Heim mit einzu- bringen? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  Haben Sie bei Ihrem/Ihrer Angehörigen nach Einzug in die Einrichtung Veränderungen festgestellt? Wenn ja, positiv oder negativ? Bitte geben Sie eine kurze Beschreibung in Stichworten: .......................................................................................................................... ......................................................................................................................... .......................................................................................................................... 198 Erste MitarbeiterInnenbefragung I. Wohlfühlen Haben Sie den Eindruck, dass der Bewohner/die Bewohnerin sich in der Einrichtung wohlfühlt? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  II. Selbsthilfefähigkeiten Konnte seit Einzug des Bewohners/der Bewohnerin eine Verbesserung der Selbsthilfefähigkeiten beobachtet werden? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  III. Zeitsouveränität Konnte der Bewohner/die Bewohnerin seine/ihre Alltagsgewohnheiten (wie z. B. Aufsteh- und Zubettgehzeiten, Essenszeiten, Freizeitgestaltung usw.) beibehalten? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  IV. Interaktion und Kommunikation Hat der Bewohner/die Bewohnerin Kontakt zu anderen Bewohnern aufge- nommen? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  V. Soziale Bezüge Konnte der Bewohner/die Bewohnerin den Kontakt zu Angehörigen, Freun- den und Bekannten aufrechterhalten? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  VI. Beteiligungsmöglichkeiten von Externen Hatten die Angehörigen, Freunde und Bekannten die Möglichkeit, sich in die Alltagsgestaltung des Bewohners/der Bewohnerin einzubringen? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  199 Zweite MitarbeiterInnenbefragung I. Wohlfühlen Haben Sie den Eindruck, dass der Bewohner/die Bewohnerin sich in der Einrichtung wohlfühlt? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  II. Selbsthilfefähigkeiten Konnte seit Einzug des Bewohners/der Bewohnerin eine Verbesserung der Selbsthilfefähigkeiten beobachtet werden? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  III. Zeitsouveränität Konnte der Bewohner/die Bewohnerin seine/ihre Alltagsgewohnheiten (wie z. B. Aufsteh- und Zubettgehzeiten, Essenszeiten, Freizeitgestaltung usw.) beibehalten? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  IV. Interaktion und Kommunikation Hat der Bewohner/die Bewohnerin Kontakt zu anderen Bewohnern aufge- nommen? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  V. Soziale Bezüge Konnte der Bewohner/die Bewohnerin den Kontakt zu Angehörigen, Freun- den und Bekannten aufrechterhalten? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  VI. Beteiligungsmöglichkeiten von Externen Hatten die Angehörigen, Freunde und Bekannten die Möglichkeit, sich in die Alltagsgestaltung des Bewohners/der Bewohnerin einzubringen? Ja  nein  teilweise  lässt sich nicht beantworten  200 Haben Sie bei dem Bewohner/der Bewohnerin nach Einzug in die Einrich- tung Veränderungen festgestellt? Wenn ja, positiv oder negativ? Bitte geben Sie eine kurze Beschreibung in Stichworten: .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... 201 Informationsblatt für Angehörige und Bewohner Sehr geehrte Damen und Herren, das Wohlergehen und die in unserem Rahmen mögliche indivi- duelle Betreuung unserer Bewohner liegt uns sehr am Herzen. Aus diesem Grund möchten wir die Frage: Wie wohl fühlen sich unsere Bewohner? mit Hilfe unserer Bewohner und ihrer Angehörigen beantworten und ggf. Verbesserungsmöglichkeiten ermitteln. Auf der Grund- lage von Fragebögen und gezielten Beobachtungen führen Mitar- beiterinnen der Bremer Heimstiftung eine Untersuchung zum Thema „Wohlfühlen“ bei insgesamt 60 Bewohnern im Stif- tungsdorf Kattenesch und im Stiftungsdorf Rablinghausen durch. In der Untersuchung werden u. a. sowohl die Gestaltung des Tagesablaufes, Selbst-hilfefähigkeiten, Interaktion und Kommunikation als auch der Pflege- und Betreuungsbedarf der Bewohner erfasst und beobachtet. Dies geschieht in der Phase nach dem Einzug und nach 4 bis 6 Monaten Aufenthalt in der Einrichtung. Im Rahmen dieser Untersuchung werden auch Fra- gen an Angehörige und Mitarbeiter gestellt. Hierbei sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen! Bitte tragen Sie durch die Beantwortung der Fragen mit dazu bei, wertvolle Informationen für notwendige Veränderungen in der Altenhilfe zu erhalten! Selbstverständlich werden alle Daten und Antworten ver- traulich behandelt. Vielen herzlichen Dank! Mit freundlichen Grüssen Angela Dühring Leiterin der Untersuchung Für Fragen stehe ich Ihnen gerne unter der Telefon-Nr.: 0421-24 34 400 zur Verfügung.