Kurt Finkensrein • Briefe aus der Haft 1935~ 1943 Nationalsozialismus inNordhessen Schriften zur regionalen Zeitgeschichte Herausgegeben vomFachbereichErziehungswissenschaft! Humanwissenschaften der Universität GesamthochschuleKassel Redaktion: DietfridKrause-Vilmar Band 19 Kurt Finkenstein Briefe aus der Haft 1935-1943 Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Dietfrid Krause-Vilmar Mitarbeit: Susanne Schneider VER LAG WINFRIED JENIOR Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung Köln I. Auflage 2001 © Dietfrid Krause-Vilmar und Verlag Winfried Jenior Lassallestraße 15 0-34119 Kassel Tel.: 0561-7391621 Fax: 0561-774148 e-mail: jenior@aol.com http://www.jenior.de ISBN: 3-934377-78-5 ISSN: 0175-1840 Einbandgestaltung: BarbaraKempf Druck: Druckwerkstatt Bräuning und Rudert, Espenau Printed in Germany Inhalt Einleitung Vorwort Kurt Finkenstein (1893 - 1944) Untersuchungshaft, Anklage und Urteil Zu den Haftbedingungen 7 11 37 50 Kurt Finkenstein: Briefe aus der Haft Als Untersuchungsgefangener im Gerichtsgefängnis Kassel 61 Als Untersuchungsgefangener in der StrafanstaltKassel-Wehlheiden 85 Als Strafgefangener in der Strafanstalt Kassel-Wehlheiden 133 Als Schutzhaftgefangener im Gestapo-Straflager Breitenau 337 Erinnerungen an Kurt Finkenstein 367 Zeittafel 378 Textkritik und Erläuterungen Zur Edition 383 Beschreibung der Briefe 385 Die Korrespondenz im Überblick 396 Titel und Anfänge der Gedichte und Verse 401 BibliographischeNachweise zu den Buchtiteln in den Briefen 7, 49,51 und 53 406 Musikhistorische Nachweise zu den Gedichten im 26. Brief 411 Weitere Gedichteund ein Text von Kurt Finkenstein(Nachweise) 413 Quellen- und Literaturverzeichnis 416 Biogramme 422 Abbildungsnachweise 472 Personenregister 473 Dank 477 Abb. l Kurt Finkenstein (um 1930) 6 Vorwort Kurt Finkenstein war ein ungewöhnlicher Mensch. Er ist im Elsaß, einem Schnittpunkt zwischen deutscher und französischer Kultur, groß geworden. Seine Mutter entstammte einer jüdischen Familie aus Polen, sein Vater war deutscher Offizier. Den Beruf des Zahntechni- kers hat er von Grund auf gelernt und, solange er in Freiheit war, mit Erfolg ausgeübt - zugleich interessierte er sich lebhaft für Literatur und Politik. Im Weltkrieg wurde er Pazifist. Schon früh hat er Ge- dichte verfaßt; einige sind in Franz Pfemferts 'Aktion' abgedruckt. Als knapp Dreißigjähriger hatte er sich einen universellen Bildungs- horizont erschlossen und stand mit Schriftstellern (Rene Schickele, Herbert Lewandowski, Max Herrnann-Neiße und Franz Pfemfert), Schauspielern (Friedrich Domin) Musikern (Ernst Krenek) und politi- schen Intellektuellen (Dr. Theo Neubauer, Dr. Ernst Meyer) in Kon- takt, mit einigen verband ihn Freundschaft. In seiner Wohnung in Kassel, wohin er 1919 gezogen war, veranstaltete er literarisch- künstlerische Abende und Gespräche. Er hatte eine mehrere tausend Bücher umfassende Privatbibliothek und eine umfangreiche Schall- plattensammlung. Bilder von Kar! Schmidt-Rottluff, Ernst Barlach und Oskar Kokoschka hingen in seiner Wohnung. Die Finkenstein kannten, berichten von seiner faszinierenden persönlichen Ausstrah- lung, seiner gewinnenden sympathischen Erscheinung und von seiner sprichwörtlichen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Er war ein politischer Mensch; in der November-Revolution trat er in die USPD ein, später war er zeitweise Mitglied der KPD. Er war ein Teil des in den zwanziger Jahren vielfaltigen kulturellen Lebens der Stadt Kassel, in der das Staatstheater und die Kunstakademie KristalIisationspunkte darstellten. Als freiheitsliebender Intellektueller, Pazifist, Sohn einer jüdischen Mutter und überzeugter Sympathisant des Kommunismus verkörperte er das Feindbild des aufziehenden Nationalsozialismus. Bereits während der ersten Welle nationalsozialistischen Terrors nach der Machtergreifung wurde er in das Konzentrationslager Breitenau (in der Nähe Kassels) gebracht, wo er bis August 1933 gefangen ge- 7 halten wurde. Knapp zwei Jahre später, am 23. Juli 1935, wurde er erneut verhaftet. Von diesem Tage an hat er die Freiheit nicht mehr gesehen. Gerichtsgefängnis. Zuchthaus, Straflager Aschendorfer Moor und Gestapo-Straflager Breitenau waren die weiteren Orte der Ver- folgung. Am Ende stand das KZ Auschwitz-Birkenau, wo er ums Le- ben kam. In der ersten nach dem Krieg in Kassel herausgegebenen literarischen Zeitschrift, dem 'Karussell', erschien eine knappe biographische N0- tiz zu ihm und 'Die Ballade von den Widersprüchen meines Lebens', sein autobiographisches Vermächtnis. Die 'Hessischen Nachrichten' gedachten in den 50er Jahren seiner Lebens- und Leidensgeschichte in Nachrufen. Herbert Lewandowski veröffentlichte 1952 eine ein- drucksvolle Lebensskizze. Die Briefe Kurt Finkensteins aus der Zeit der Haft, die an seine da- malige Verlobte Käte Westhoff gerichtet waren, werden nun zum er- sten Male veröffentlicht. Wir zögerten zunächst, diese persönlichen Briefe in Druck zu geben. Was dieses Zögern überwinden ließ, war nicht nur das erklärte Ein- verständnis seiner Witwe, sondern die Tatsache, daß Finkenstein die öffentlichen Angelegenheiten, die 'res publica', immer im Auge hatte. Er war ein politischer Mensch. Einige Briefe, vermuten wir, könnten zugleich auch mit Blick auf die Nachwelt abgefaßt worden sein. Schließlich war ihm leidvoll bewußt, daß die Zensur seine Briefe stets genau kontrollierte, wirkliche Privatheit also ohnehin nicht vorauszu- setzen war. Finkenstein war aufgrund seiner Bildung und seiner literarischen Nei- gungen in der Lage, dem Geschehen um ihn sprachlichen Ausdruck zu verleihen. In den Briefen finden sich grundsätzliche Gedanken über Freundschaft, Liebe und Tod neben der Sorge um die materiellen Dinge seiner gegenwärtigen und beruflichen Existenz, selbstkritische Rückblicke neben der Erinnerung an lebensfrohe Stunden in der Frei- heit wie gemeinsame Autofahrten über Land, der Schmerz über die dem Abschied nahe kommende Trennung von den Söhnen neben der hoffnungsvollen Zuwendung und Ermutigung seiner Frau. Immer wieder spricht er Käte Westhoff gut zu; ihre Zukunft und ihr Leben nehmen in seinen Briefen mehr Raum ein als die eigene, doch an sich 8 genug Anlaß und Grund zur Klage gebende Lage als Zuchthausgefan- gener. Mit zunehmender Haftzeit nehmen die Gedichte einen immer größe- ren Raum ein; manche Briefe bestehen nur aus Gedichten und einigen wenigen Zeilen. Da er in seiner Zelle im Zuchthaus nichts aufschrei- ben durfte, mußte er die Verse auswendig lernen, um sie dann in der für den Gefangenen-Brief gegebenen Schreibzeit von 60 Minuten nie- derzulegen. Die Gedichte sind daher zugleich neben der Mitteilung immer auch Gedächtnisübungen gewesen; eine Bearbeitung niederge- schriebener Verse war unter diesen Umständen unmöglich. Finken- stein war sich darüber im klaren, daß hier literarische Maßstäbe nur bedingt anzulegen waren. Das Herausragende und Bemerkenswerte seiner Briefe sehe ich darin, daß in ihnen eine souveräne geistige und moralische Haltung zur Sprache kommt, die dem Denk- und Handlungshorizont des Nazis diametral entgegengesetzt ist. Recht und Rechtsstaat, Anstand und Zuverlässigkeit, vor allem aber Frieden und Menschenliebe waren für Finkenstein feste Bezugspunkte seines Denkens und Handeins. Es war vermutlich gerade jene selbstbewußte klare Haltung, die der autoritäre Führerstaat fürchtete und deshalb auszulöschen und zu vernichten trachtete. Daß die Nazis sämtliche Werte und Ordnungen mißachten und zerstören würden, hat er nicht im entferntesten für möglich ge- halten. Daß deutsche Richter offensichtlich Unrecht sprechen könn- ten, war für ihn unvorstellbar. In seinen Briefen lebt eine Hoffnung; sie wehrt sich und bewahrt sich unter den täglichen Bedingungen der Haft und der Schikanen. Dem System des Unrechts setzt Finkenstein Redlichkeit und Wahrhaftigkeit, Recht und Moral entgegen. Es war ein Martyrium, das er durchstanden hat. Er und tausend andere zur selben Zeit. Und in diesem Martyrium legt er zugleich Zeugnis ab von einer anderen, besseren Welt. Kassel, im August 2001 9 Abb.2 Zahntechniker im (Finkcnstein'schen?] Kasseler Labor in den 20er Jahml 10 Kurt Finkenstein Straßburg Kurt Finkenstein* wurde am 27. März 1893 in Straßburg geboren. Seine Murter Auguste Funkenstein war am 13. November 1853 als Tochter des Schneiders und Werkführers Abraham Funkenstein und dessen Ehefrau, Nathalie Funkenstein, geb. Cohn, in Danzig geboren. Die Eltern harten im Jahre 1849 in Danzig geheiratet und waren jüdi- schen Glaubens. Auguste Funkenstein war mit dem Kaufinann Joseph Julius Blumenthai in Berlin verheiratet gewesen. Die Ehe, über die wir nichts Näheres wissen, war am 21. Juni 1889 geschieden worden. Sie hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen und war nach Straß- burg gezogen, wo sie allem Anschein nach in bescheidenen Verhältnis- sen lebte. Vom Vater Kurts wissen wir nur, daß er in jener Zeit in Metz oder in Straßburg deutscher Offizier war ("Meines Vaters Sippe lebte mit dem Schwert"); noch vor der Geburt des Sohnes sei er verstorben oder ver- schollen. Es ist denkbar, aber nicht erwiesen, daß der Vater den Namen Finkenstein getragen hat. * Wichtige Quellen und Literatur für dieses Kapitel: Archiv des Landeswohlfahrts- verbandes Hessen: Landarmen- und Korrektionsanstalt Breitenau 1874-1949 (1976). Bestand 2. Nr. 7631. Einrichtung und Auflösung des KZ Breitenau für politische Häftlinge 1933-1934. - Bundesarchiv Berlin: Reichsjustizministeriurn [Institut f. Marxismus-Leninismus beim ZK der SED] ZC 11910, Band 9. RMdJ. Vernehmung Kurt Finkensteins durch die Gestapo Kassel am 11. und 18.9.1935/NJ 6487, Strafsa- che Kurt Finkenstein. Anklageschrift vom 28.9.1939 und Urteil vom 9. 11. 1937/ NJ 4000, Bde. 1 und 2: Anklageschrift vom 6.4.1937 und Urteil vom 21.5.1937 gegen Käte Westhoff. - Die Aktion. Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst. Herausge- geben von Franz Pfemfert 5 (1915), 486 und 6 (1916), 413. - Gespräche mit Käte Funkenstein in Kassel, 1982, 1983 ff. - Hessisches Staatsarchiv Marburg: 251 Wehl- heiden Nr. 1149. Best. 165/3821. - Lewandowski, Herbert: Kurt Finkenstein. In: Lee van Dovski (Hg.): Eros der Gegenwart. Quasi ein III. Band von 'Genie und Eros'. Genf 1952, 94-108. - Regierungspräsidium Darmstadt: Entschädigungsakte Finken- steinl Funkenstein I 18 - KlO16. 11 Kurt besuchte nach der Volksschule (Thomasschule) die Realschule bei St. Johann in Straßburg, die in seiner Schulzeit gerade zur Ober- realschule ausgebaut wurde. Er war ein guter Schüler und hatte - nicht mangelnder Leistungen wegen, sondern mit Blick auf eine von der Mutter aus Sicherheitsüberlegungen für ihn angestrebten frühen wirt- schaftlichen Selbständigkeit - nur die sechs Realschulklassen besucht. Er war übrigens evangelisch getauft und verließ die Schule mit der Konfirmation. Er blieb noch lange Mitglied der Evangelischen Kirche und trat erst im Jahre 1921 aus ihr aus. Im Anschluß an die Schulzeit begann er eine vierjährige Lehrzeit als Zahntechniker bei Prof. Dr. Ernst Jessen in Straßburg, dem späteren Begründer der Schulzahnpflege in Deutschland. Die rechtliche Verfas- sung des Berufsstandes der Zahntechniker stand zu jener Zeit noch in den Anfangen; es gab keine etwa dem Handwerk vergleichbaren gere- gelten Ausbildungswege mit klar umrissenen Qualifikationsmerkmalen (wie Z.B. Gesellenbrief und Meisterprüfung). Die Lehrzeit kostete "einige hundert Mark". An die drei- bis vierjährige Lehrzeit schloß sich eine mehrjährige handwerklich-operative Gehilfen- und Assisten- tenzeit an, die vergütet wurde. Metz 1911 -1918 Im Jahre 1911 zog Auguste Funkenstein mit ihrem Sohn Kurt nach Metz, das zu jener Zeit Hauptstadt des Regierungsbezirks Lothringen im seit 1871 dem deutschen Kaiserreich eingegliederten "Reichsland Elsaß-Lothringen" war und von Straßburg ca. 150 km entfernt lag - für damalige Verhältnisse eine nicht unerhebliche Entfernung. Das Motiv für den Umzug der beiden nach Metz ist uns unbekannt. Vielleicht spielte die Suche des Sohnes nach Arbeit eine Rolle. Er war inzwi- schen 18 Jahre alt geworden, hatte die Lehrzeit beendet und in Metz eine Anstellung als Zahntechniker bei einem Zahnarzt, Dr. L. Rie- chelmann, gefunden, bei dem er bis zum Kriegsausbruch blieb. Die Mutter und er wohnten in der Danzigerstraße 1; noch im Jahr 1911 zogen sie nach Le Sablon, eine Vorstadtgemeinde, die im Jahr 1914 in die Stadt Metz eingemeindet wurde; dort hatten sie sich in der Herz Nikolasstraße 8 eingemietet. 12 Die Anstellung bei einem Zahnarzt oder einem Dentisten war zu jener .Zeit für Zahntechniker üblich. Selbständige zahntechnische Laborato- rien gab es als Regelfall noch nicht. Kurt Finkenstein war später der erste, der in Kassel ein solches selbständiges Zahntechnisches Labor begründet hat. Kurt Finkenstein oder Curt Funkenstein? Im Straßburger Geburtsregister ist er im Jahre 1893 als "Curt Funken- stein" eingetragen. Wie es dann zu der Namensänderung in Finken- stein kam, konnten wir nicht ermitteln. Handelte es sich vielleicht, wie H. Lewandowski vermutete, um den Namen des Vaters, der als Offi- zier im Elsaß gelebt hat? Unklar ist auch, ab wann er diesen Namen getragen hat, ab der Schulzeit, der Konfirmation oder ab der Lehre? Entsprechende Unterlagen zu Taufe, Konfirmation und Schulzeit konnten nicht erschlossen werden. Die Mutter ist in Metz, zunächst noch unter ihrem Geburtsnamen angemeldet, später als ,Finkenstein' eingetragen. Unter diesem Namen hat sie sich auch 1920 in Kassel angemeldet, wie die Meldeunterlagen der Stadt Metz und der Stadt Kassel ausweisen. Fest steht, daß mit Schreiben vom 17.7.1923 - er war bereits unter dem Namen Finkenstein verheiratet, seine Ehefrau und seine Söhne trugen seinen Namen - bei der Kasseler Meldebehörde auf Anordnung des Amtsgerichts in Reinerzl Schlesien "berichtigend vermerkt wird, daß der Name Finkenstein in Wirklichkeit Funkenstein lautet". Von diesem Zeitpunkt an führten die Kasseler Meldebehörden ihn unter dem Namen Funkenstein, eine Tatsache, die ihn keineswegs zur Ände- rung des Namens veraniaßt hat. Auch die Namen seiner Familienange- hörigen blieben die alten. Ein einziges Mal, als er am 19. März 1925 dem Standesbeamten in Kassel den Tod seiner Mutter schriftlich be- stätigte, unterschrieb er mit 'Kurt Funkenstein '. Kurt Finkenstein ist unter diesem Namen bekannt geworden, hat seine ersten Gedichte unter diesem Namen veröffentlicht, ist unter diesem Namen Soldat gewesen, hat sich unter diesem Namen in Metz und in Kassel polizeilich angemeldet und sich, von einer Ausnahme abgese- hen, nicht anders bezeichnet. Vermutlich wird auch sein Personalaus- 13 weis keinen anderen Namen enthalten haben. Sämtliche Briefe aus der Haft sind mit Kurt Finkenstein unterzeichnet. Aus diesem Grund hal- ten auch wir im folgenden an diesem Namen fest. Im Weltkrieg 1914 -1918 Finkenstein erhielt im Jahr 1913 die Berechtigung zum einjährig- freiwilligen Militärdienst. Diese Berechtigung, die rur ,j unge Leute von Bildung" vorgesehen war, stand ihm von seiner Realschulbildung her nicht zu. Statt der allgemein dreijährigen Wehrpflicht brauchten diese nur ein Jahr zu dienen. Sie mußten sich selbst einkleiden, unter- bringen und verpflegen, konnten die Waffengattung selbst wählen und wurden zu Reserveoffizieren ausgebildet. Die "wissenschaftliche Be- fähigung" wurde in der Regel durch das Abiturzeugnis nachgewiesen. Finkenstein erhielt das Privileg auf Grund des sogenannten Kunstpara- graphen, d.h. es gab für "kunstverständige oder mechanische Arbeiter, die Hervorragendes leisten", die Möglichkeit, sie "vom Nachweis der wissenschaftlichen Befähigung zu entbinden". Tatsächlich bezeichne- ten sich die späteren Zahntechniker noch um 1900 als "Zahnkünstler", für ihre Berufsausbildung war eine "Veranlagung zu feineren künstle- risch-technischen Handfertigkeiten" Voraussetzung. Insofern wird Finkenstein auf diesem Wege den einjährig-freiwilligen Militärdienst erreicht haben. Als der Krieg im August 1914 ausbrach, entschied sich Finkenstein für die Artillerie und meldete sich freiwillig zum 8. Rheinischen Fußartil- lerie-Regiment mit dem Standort in Metz, Er erkrankte während der Ausbildung und wurde deshalb im September 1914 entlassen. Im März 1915 wurde er wieder eingezogen und dem Lazarettdienst zugeteilt, zuerst in Breslau, später in Mazedonien. In jener Breslauer Zeit hat er vermutlich EIfriede Tautz, seine spätere Frau, kennen gelernt. Der Schriftsteller Herbert Lewandowski hat im Jahre 1952 mitgeteilt, wie er und Finkenstein sich im Jahre 1916 in einem Cafe in Monastir (türkischer Name für heute: Bitolj, in Mazedonien gelegen) kennen- lernten: "Und zwischen all den Orientalen sitzen auch ein paar deutsche Sol- daten, dort ein außergewöhnlich kräftiger, hochgewachsener Kanonier 14 und neben ihm ein mittelgroßer, schmächtiger Trainsoldat. [...] Kano- nier Finkenstein zitiert einen Vers von Rene Schickeie: 'Herrscher bleibt das Tier über die Welt,! Bis nicht kampflos Mensch zu Mensch sich stellt'. [...] Zwei bisher unverstandene Pazifisten haben sich hier in Monastir gefunden und gießen die ganze Schale ihres glühenden Zorns und Hasses gegen den Krieg aus, ohne sich durch etliche Eisportionen auch geistig etwas abkühlen zu lassen. Finkenstein berichtet, daß sein Freund Schickeie [...] seine pazifistische Politik jetzt von der Schweiz aus mit der Zeitschrift 'Die weißen Blätter' fortsetzt. 'Pazifistische Zeitschrift?' fragt sein Kamerad erstaunt, 'gibt es denn so etwas?' 'In der Schweiz in Massen. Dort erscheint auch die Zeitschrift Demain. Aber auch in Deutschland haben wir eine solche Zeitschrift, Pfemferts Aktion. Ich bringe Ihnen nächstens ein paar Hefte mit ... Und die bei- den Freunde überlegen, wie man dem abscheulichen Krieg ein Ende machen könnte. 'Man sollte Tolstojs billige Broschüre Besinnet Euch an alle Frontsoldaten schicken', schlägt Finkenstein vor. 'Das würde dem Kriege sofort ein Ende machen.' Sein Gefährte ist trotz seiner zwanzig Jahre etwas skeptisch, aber Finkensteins Worte tönen ihm wie Musik, seine profunde Kenntnis der französischen Literatur setzt ihn in Erstaunen, seine gefestigte Weltanschauung lockt sein anlehnungsbe- dürftiges Gemüt. ,Wir wollen immer Freunde sein, immer treu zusam- menhalten', sagt er und streckt Finkenstein die Hand über den Tisch." Einbürgerung in Deutschland und Eheschließung in Leipzig Nach dem Ende des Krieges verließ Finkenstein seine Heimat und zog nach Deutschland. Diesen Entschluß hat er später beklagt, denn unter bestimmten Voraussetzungen' hätte er sich auch um die französische Staatsbürgerschaft bewerben, in jedem Falle im Elsaß, das nun wieder französisches Gebiet wurde, bleiben können; er ging im Jahre 1918 zunächst nach Breslau, vermutlich seiner späteren Frau wegen, die in Schlesien zu Hause war. Elfriede Tautz entstammte einer katholischen Familie aus Bad Reinerz. Ihr Vater war Inhaber einer Pension. Beide heirateten im Februar 1919 in Bad Reinerz und zogen dann nach Leip- zig, wo Finkenstein bereits seit Dezember 1918 eine Anstellung als Zahntechniker bei einem Dentisten (Müller) gefunden hatte. Dort wurde am 3. August 1919 ihr erstes Kind Renatus Peter Finkenstein geboren. 15 Zahntechnisches Labor, Familie und Politik Am 1. Oktober 1919 zog die Familie, zusammen mit Auguste Funken- stein, nach Kassel, zunächst in die Wilhelmshöher Allee 172 (II. Stock), im Januar 1920 in die Hohenzollemstraße 70 (heute: Friedrich- Ebert-Straße) und im Januar 1922 in die Kleine Rosenstraße 2. Dort eröffnete er "auf Veranlassung des Reichsverbandes der Deutschen Zahnärzte" das erste Zahntechnische Labor in der Stadt. Zu Beginn der 20er Jahre arbeitete das Labor allen Berichten zufolge sehr erfolgreich, so daß die hohen Investitionen für die teuren Großge- räte sich bezahlt machten. Von einigen Zeitgenossen wurde er gerade- zu als 'Großverdiener' angesehen, was jedoch der Wirklichkeit nicht entsprochen haben dürfte. Vielleicht entstand dieser Eindruck dadurch, daß er eine große und teure Wohnung mietete und zeitweise einen Mercedes fuhr. Offenbar setzte er in jener Zeit die guten Einnahmen des Labors für einen aufwendigen Lebensstil sofort um. .Finkenstein galt in seinem Fachgebiet als überdurchschnittlich; von mehreren Zahnärzten wurde besonders seine orthopädische Kunst der Kieferschienung (Kieferregulierungsapparate und Kieferbruchsohle- nen), die damals technisch zu dem Schwierigsten gehörte, was es auf dem Gebiet der Zahntechnik gab, als herausragend hervorgehoben. So wurde er z.B. im Jahre 1932 von dem Zahnarzt Dr. Plüer für den Pati- enten Oswald Freisler, der wie sein später berüchtigter Bruder Roland Freisler ebenfalls in jener Zeit in Kassel als Rechtsanwalt lebte, nach dessen Kieferbruch hinzugezogen. In Kassel wurde am 10. August 1920 als zweites Kind Erich Martin Finkenstein geboren. Im Dunkeln liegt die Geschichte Hans-Sylvester Finkensteins, der als drittes Kind am 10. Januar 1923 in Kassel geboren wurde. "Der dritte Sohn, der geboren wurde, war blind. Finkenstein erwachte wie aus einem furchtbaren Traum" (Herbert Lewandowski). Eine Zeitzeugin sprach davon, daß das Kind nicht blind, sondern geistig behindert ge- boren sei. Fest steht, daß Hans-Sylvester am 16. November 1927, in seinem fünften Lebensjahr, in ein Heim für geistig behinderte Men- schen, das St. Johannesstift in Ershausen (früher: Kreis Heiligenstadt), gegeben wurde und dort am 8. März 1928 an Bronchitis und Herz- 16 schwäche verstarb. Dieses dritte Kind hat Kurt Finkenstein mit keinem Wort mehr in seinen späteren Briefen erwähnt. Bei seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter im Mai 1937 findet sich ein indirekter Bezug im Zusammenhang mit seiner Beziehung zu Hermann Schafft: "Pfarrer Schafft hat mich gelegentlich und zwar aus Anlaß der Erkran- kung meines inzwischen verstorbenen Kindes besucht." Am 18. März 1925 starb im Alter von 71 Jahren seine Mutter in Kas- sel; in einem seiner späten Gedichte aus dem Zuchthaus Wehlheiden gedenkt er ihrer - dankbar und von Herzen zugewandt. Auch in Kassel schloß sich Finkenstein wie zuvor in Leipzig der USPD an, mit deren linkem Flügel er nach dem Hallenser Parteitag im Oktober 1920 in die Kommunistische Partei Deutschlands eintrat. Er hatte diesen Schritt aus einem idealistischen sozialen Gerechtigkeits- empfinden und aus politischem Engagement, besonderes aus seiner Kriegsgegnerschaft heraus, getan; zeit seines Lebens wurde er niemals Parteikommunist im Sinne des bedingungslosen Vollzugs von Ent- scheidungen führender Funktionäre - seine geistige Freiheit und Un- abhängigkeit war ihm viel zu wichtig. So trat er im Jahr 1925 aus der Kommunistischen Partei wieder aus,,,weil er nicht damit einverstan- den war, daß er Thälmann [zum Reichspräsidenten; d. Vf.] hätte wäh- len sollen". Im September 1932 stellte Kurt Finkenstein einen Antrag auf Wiederaufnahme in die KPD, deren Mitglied er wurde. Daß er in diese Partei wieder eintrat, entsprang wohl demselben idealistischen Motiv und der verzweifelten Sicht, der zufolge gegen die drohende nationalsozialistische Machtübernahme nur noch die KPD als ent- schlossene organisierte Gegenmacht angesehen wurde. Eine andere Frage war es, wie die KPD mit solchen Intellektuellen umging. Achtete sie diese idealistischen Weggefährten oder bediente sie sich ihrer als brauchbare Hilfskräfte? Darüber hinaus war er ab 1932 Mitglied in der von Franz Neubauer (KPD, Leiter der Roten Hil- fe in Kassel) und einem Adolf Zucker gegründeten "Gesellschaft zur Organisierung sozialwissenschaftlicher Vorträge" in Kassel, über die sich wenig ermitteln ließ. Finkensteins Gastfreundschaft war weit bekannt. Lewandowski: "Er war von hinreißender Gastlichkeit wie ein alter Tahitaner. Bei ihm war man immer willkommen". Für diese Offenheit, so sah er es im nach- 17 hinein, hat er später bezahlen müssen. In der Anklageschrift aus dem Jahre 1935 wurde ihm vorgehalten, daß er zu Beginn der 20er Jahre ftihrende kommunistische Funktionäre in seiner Wohnung empfangen hatte, unter anderen Dr. Ernst Meyer und Dr. Theo Neubauer. Literatur, Musik und ein großer Freundeskreis Die Wohnung in der Kleinen Rosenstraße 2, wo die Finkensteins bis Anfang der 30er Jahre lebten, war wie erwähnt ein ,offenes Haus', in dem namhafte Künstler und Schriftsteller, nicht nur aus Kassel, oft zu Besuch kamen. Ein Ort des Gesprächs über Kultur, Gesellschaft und Politik, auch der Diskussionen und der Vorträge, an denen gelegentlich auch interessierte Oberstufenschüler teilnahmen. An solchen Abenden bei Finkenstein nahmen neben den bereits erwähnten Freunden auch andere interessierte jüngere Menschen teil, die der politischen Linken nahestanden. "Man konnte bei Finkenstein an einem Abend mehr ler- nen als in einem Vierteljahr in der Schule", teilte Friedrich Nagel mit. Es war für ihn ein Erlebnis, einen Abend als Schüler bei Finkensteins zu verbringen, neben den ausgiebigen und anregenden Diskussionen mit vorwiegend literarisch-künstlerischen Inhalten konnte man dort auch die interessantesten Persönlichkeiten (er erwähnte z.B. Franz Jung, den "letzten Seeräuber Europas") kennenlernen. F. Nagel erinnert sich vor allem der fesselnden Ausstrahlung und Freundlichkeit Finkensteins, an sein vielseitiges Wissen, seine Gewandtheit und die Gabe, Gespräche interessant zu gestalten. An solchen Abenden ließ er die Arbeit liegen und konzentrierte sich ganz auf die Gespräche mit seinen Gästen. Die Wohnung bestand aus etwa acht bis neun Zimmern. Das Labor befand sich in der Wohnung. .Pinkensteln galt wegen seiner vielseiti- gen geistigen und künstlerischen Interessen in Kassel als ein gewisses geistiges Zentrum" (Friedrich Herbordt). Finkensteins Schallplatten- sammlung, seine große Bibliothek, in der alle Gebiete der Geisteswis- senschaft vertreten waren, und seine Kunstwerke wurden von vielen Teilnehmern solcher Abende in seiner Wohnung hervorgehoben. Um nur einige auswärtige Freunde zu nennen, die in den zwanziger Jahren die Verbindung zu ihm nach Kassel hatten bzw. in diesem Zu- sammenhang genannt wurden: Friedrich Domin, Ernst Glaeser, Max 18 sammenhang genannt wurden: Friedrich Domin, Ernst Glaeser, Max Hermann-Neiße, Franz Jung, Eugen Lewin-Dorsch, Hans Reimann, Rene Schickele, Arthur Seehof, Viktor Wendel und Erich Weinert, Reimann und Weinert hatte er in Leipzig kennengelernt, mit Hermann- Neiße verband ihn "enge Freundschaft". Max-Hermann-Neiße, der ihn in Kassel mehrfach besuchte, zählte Finkenstein "zu den ganz wenigen deutschen .Dichtern und Denkern', die am unheilvollen 1. August 1914 nicht in einen Taumel entmenschtenTeutonenturns fielen". In Kassel stand er in freundschaftlicher Verbindung mit Ingolf-Birger Askevold, Traugott Eschke, Friedrich Herbordt, Walter Ladengast, August Riekel, Hermann Schafft, AlfredVocke und anderen. Kurt .Jiebte den Wein, das gute Essen, die Behaglichkeit, die solide Arbeit, die schönen Gedichte" (Alfred Vocke). Eine Frau, die um 1930 als Lehrmädchen in einem Installationsgeschäft gegenüber seinem Labor beschäftigt war, erinnert sich noch an seine Erscheinung: .Finkenstein war ein großer, gutaussehender Mann, ein schwerer Mann. Ich erinnere mich noch an seinen Gang, der war etwas linksge- neigt." Trennung und Scheidung, Käte Westhoff als Lebensgefährtin, rückläufige Geschäfte Im April 1930 kam es zur Trennung der Ehepartner und im Juni 1934 zur gerichtlich festgestellten Scheidung. Elfriede Finkenstein verließ im Jahr 1930 mit den beiden Söhnen Peter und Martin die gemeinsame Wohnung in Kassel und ging zurück zu ihren Eltern nach Oberschrei- berhau in Schlesien. Die Gründe und Anlässe für diese Trennung konnten nicht ermittelt werden. Aus den späteren Briefen Finkensteins geht hervor, daß er sich schwere Selbstvorwürfe machte. In dem Ge- dicht, das er nach der Nachricht vom Tod seiner ersten Frau im Jahre 1939 verfaßte ("An eine Tote. Elegie und Bitte"), schrieb er: "Bist Du unversöhnt davongegangen?/ Oder ob Du meine Schuld verziehen hast?" Und: "Schuldig bin doch nur ich selbst gewesen! Launenhaft verriet ich unser Glück". Vor Gericht wurde die Ehe "aus Schuld des Angeklagten" geschieden. Anwaltlieh hatte er sich durch Dr. Erich Lewinski vertreten lassen, einen politisch engagierten Kasseler Rechts- 19 anwalt, der dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), einer linkssozialdemokratischen Gruppe um den Göttinger Philosophen Leonard Nelson, angehörte. Seine materielle Situation hatte sich - vermutlich seit etwa 1930 - verschlechtert; dies geht aus einigen indirekt mitgeteilten Tatsachen hervor. In einem späteren Brief schreibt er, daß er gegenüber seiner geschiedenen Frau beträchtliche Schulden habe; hierbei kann es sich wohl nur um Verpflichtungen zu Unterhaltszahlungen für Frau und Kinder gehandelt haben. Die allgemeine Wirtschaftskrise ab 1929 und damit verbunden die zunehmende Verarmung vieler Menschen mag die Einnahmen in seiner Branche ebenfalls negativ beeinflußt haben. Anscheinend hatte er seinen Betrieb nicht rechtzeitig auf die verän- derte wirtschaftliche Lage umgestellt; vielleicht haben auch Vorbehalte gegen seine politische Auffassung beim Rückgang der Geschäfte mit- gespielt. Finkenstein wollte bis zuletzt Entlassungen vermeiden. Die Verhältnisse zwangen ihn jedoch im Jahre 1932 zur Verkleinerung des Geschäftsbetriebes. Er konnte nur noch einen Angestellten (W.H.) und Lehrlinge beschäftigen und mußte das Labor in der Kleinen Rosenstra- ße aufgeben. Er richtete in der Seidlerstraße 2 das verkleinerte Labor ein; privat mietete er sich eine erheblich kleinere Wohnung in der Karthäuserstraße 5 1/2 (Hinterhaus, 2. Stock). Diese Wohnung bestand aus fünf Zimmern und Küche, von denen er zwei mit Küche an seinen Angestellten vermietete. Auch ein weiteres Zimmer hatte er vermietet. Er richtete sich selbst ein Zimmer als Küche ein. Seine Großzügigkeit und vielleicht auch Leichtfertigkeit beim Geld ausgeben (insbesondere für Literatur und Schallplatten, für die Bewir- tung der Freunde), von denen viele Zeitzeugen übereinstimmend be- richten, werden seine materielle Situation verschärft haben. Tatsache ist, daß der Betrieb im Jahre 1933 verschuldet war, wenn auch nicht in einer die Existenz bedrohenden Weise. Ab dem Jahre 1930 lebte er mit Käte Westhoff gemeinsam, zunächst in der Kleinen Rosenstraße 2, später dann in der Karthäuserstraße 5 1/2. Er hatte sie im Jahre 1926 kennengelernt, wo und unter welchen Um- ständen, entzieht sich unserer Kenntnis. Als die beiden sich kennen- lernten, war sie Anfang 20 und er Anfang 30. Sie war ausgebildete Stenotypistin und als solche beim Oberlandesgericht Kassel angestellt, 20 bis ihr von dort im Jahre 1932 wegen ihres "Verhältnisses mit dem Juden Kurt Finkenstein fristlos gekündigt" wurde. War die freie Le- bensgemeinschaft, war seine politische Radikalität, seine jüdische Her- kunft oder alles zusammen hier der Stein des Anstoßes? Käte Westhoff arbeitete daraufhin zunächst als Kontoristin im Zahntechnischen Labo- ratorium Finkensteins, später führte sie ihm den Haushalt. Brste Verhaftung, Polizeipräsidium und Konzentrationslager Breitenau Kurt Finkenstein wurde am 26. April 1933 aus politischen Gründen (Schutzhaft) verhaftet; zu diesem frühen Zeitpunkt wurden im Kasseler Raum ganz überwiegend Kommunisten und der KPD oder deren Or- ganisationen nahestehende Personen mit Schutzhaft belegt. Der kon- krete Schutzhaftbefehl gegen Finkenstein war nicht zu ermitteln. Bs ist anzunehmen, daß er als Mitglied der Kommunistischen Partei und als 'Kulturbolschewist' (NS-Jargon) - d.h. als jemand, der im kulturellen Bereich, sei es in Literatur, Theater, Bildender Kunst, durch öffentliche Vorträge o.ä. die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft diskutierte, über geistige Unabhängigkeit verfügte, Pazifist, Atheist oder Sozialist war und mit den Kommunisten sympathisierte - ins Visier der politi- schen Geheimpolizei geraten war. Bin Zeitzeuge erwähnt eine Sitzung der Bezirksleitung der KPD kurz nach dem Reichstagsbrand in der Finkenstein'schen Wohnung. "Der hatte ein Zahntechnisches Labor und war Halbjude und war ein bedeutender Mann und Intellektueller. Und da fand eine BL-Sitzung statt, wir haben es sehr kurz gemacht und waren gerade auseinander, da war die Polizei da!" (Karl Wack). Auch Herbert Lewandowski schrieb, er habe "geflüchtete Kommunisten beherbergt". Die Anklageschrift gegen ihn nennt als Anlaß für die Schutzhaft im KZ Breitenau, er habe "auf Veranlassung des kommuni- stischen Funktionärs [Hans] Siebert" die Frau eines anderen flüchten- den Funktionärs, diesen selbst und den Funktionär Franz Neubauer in seiner Wohnung aufgenommen. Dieser Hinweis ist auch deshalb inter- essant, weil Hans Siebert für einen anderen Intellektuellen, der in jener Zeit in Kassel im Regierungspräsidium als Referendar tätig war, eine wichtige Rolle gespielt hatAdam von Trott zu Solz, der gegen das NS- 21 Abb. 3 Wohnung und Zahntechnisches Labor in der Kanhäusersuaße 5 Y2 (in den 30er Jahren ) 22 Abb . 4 Wohn ung und Zahntechnisches Labor in der Karthäusersrraße 5 Y2 (Aufnahme aus dem Jahr 2000) 23 Regime praktischen Widerstand geleistet hat und deshalb am 23. Au- gust 1944 von diesem Regime ermordet worden ist, hatte sich für den inhaftierten Hans Siebert mehrfach eingesetzt. Mehr als sieben Wochen wurde Finkenstein in Polizeihaft im Polizei- präsidium im Königstor festgehalten, mit hoher Wahrscheinlichkeit dort auch verhört. Wieder fällt die Parallele zu den verhafteten kom- munistischen Funktionsträgem auf, da auch diese bis Mitte Juni - das Konzentrationslager Breitenau wurde erst am 16. Juni 1933 eingerich- tet - in Polizeihaft, zum Teil auch im Gefängnis Kassel-Wehlheiden, festgehalten wurden. Finkenstein gehörte zusammen mit 27 anderen politischen Gegnern des aufziehenden NS-Regimes (26 Kommunisten und zwei Sozialdemokraten) zu den ersten Schutzhaftgefangenen des Konzentrationslager Breitenau in Guxhagen im Landkreis Melsungen. Dieses frühe KZ hatte der Kasseler Polizeipräsident und Gestapochef Fritz von Pfeffer für Schutzhaftgefangene im gesamten Regierungsbezirk Kassel, der damals im Süden über Gelnhausen und Schlüchtern bis nach Stadt und Landkreis Hanau reichte, begründet. Finkenstein wurde im KZ Breitenau bis zum 8. August 1933 gefan- gengehalten. Über seine Zeit in Breitenau, wo damals noch eine SA- Wachmannschaft kommandierte, ist wenig bekannt. Zwei Mitgefange- ne berichteten, daß er "besonders übel behandelt" worden sei: Zum einen habe er - als besondere Schikane - in den Steinbrüchen "statt bergauf bergab zu hauen" gehabt, zum andern sei er bei der Feldarbeit mit dem Knüppel geschlagen worden. Sicher ist, daß er in dieser ersten Schutzhaftzeit regional fuhrende Kommunisten kennengelernt bzw. daß sich der Kontakt zu den ihm schon bekannten Kommunisten verstärkt hat. Zur selben Zeit wie er waren z.B. die Funktionäre Ernst Lohagen, Ernst Schädler, Paul Joerg, Hans Schramm und Karl Vogel im KZ Breitenau. Finkenstein war somit im Jahr 1933 einschließlich der Zeit der Polizei- haft, die unmittelbar vorangegangen war, unrechtmäßig 14 Wochen als Schutzhaftgefangener inhaftiert gewesen. Man kann sich leicht vor- stellen, - um auf einen weniger beachteten Aspekt des frühen NS- Terrors hinzuweisen - welch hohen wirtschaftlichen Ver!ust diese 14 Wochen für einen selbständigen Betriebsinhaber und Geschäftsführer bedeutet haben. Eine Entschädigung dafür gab es nicht. 24 Zwei Jahre in Freiheit Über die Zeit zwischen August 1933, seiner Entlassung aus dem KZ Breitenau, und Juli 1935, seiner erneuten Verhaftung, die zur gerichtli- chen "Verurteilung" und langjährigen Zuchthausstrafe führen sollte, wissen wir wenig. In den Briefen wurden rückblickend nur Streiflichter geworfen. So erinnerte er sich der glücklichen Tage, in denen er mit Käte Reisen und Wanderungen unternommen hatte. "Meine liebste Beschäftigung", schrieb er aus dem Zuchthaus, "ist natürlich das Zu- rückwandern in die Vergangenheit und fast täglich gehe ich einen der vielen Wege wieder, die ich mit Dir in der schönsten Zeit meines Le- bens gehen durfte: Marburg und Heidelberg, Frankfurt und Hannover, dazu die vielen kleinen Nester, in denen wir so frohe unbeschwerte Stunden leben durften, leben vor meinen geistigen Augen auf. Gu- densberg, Münden, KarIshafen, Wildungen und alle anderen ..." Seinen Betrieb, das Zahntechnische Laboratorium in der Seidlerstraße, hat er fortgeführt - und zwar anscheinend nicht erfolglos, schrieb er doch rückblickend, daß er seine nicht unerheblichen Schulden, z.B. gegenüber einer Zahnwaren-Firma, bis auf einen ganz geringen Betrag habe tilgen können. Im Jahre 1934 kam sein alter Freund Herbert Lewandowski nach Kas- sel und wohnte zurückgezogen in Wilhelmshöhe: "Finkenstein kam mit Frau Käte herauf. Ich versuchte, ihn über seine Konzentrationslagerzeit auszufragen, doch sein Mund blieb geschlos- sen. Er sagte nur: ,Geschlagen haben sie mich nicht!' Wieder sprach man vom Auswandern, aber der arme Finkenstein wußte nicht wohin. Er hatte ja zwei Frauen, drei Kinder, mußte helfen. Es gab unbezahlte Schulden. Noch immer war er so leichtsinnig, ab und zu ein schönes Bild, ein kostbares Buch zu kaufen oder irgendeinen armen Künstler einzuladen. Und so lief er - fast sehenden Auges - dem Verhängnis in die Arme." In einer späteren gerichtlichen Vernehmung hat er im Zusammenhang mit dem Vorwurf, ihm sei nach 1918 das Angebot gemacht worden, als Zahnarzt in den französischen Militärdienst einzutreten, sich zu seinen Auswanderungsplänen und den entsprechenden Vorbereitungen kon- kret geäußert: "Es trat für mich, wie ich bereits erörtert habe, ange- 25 sichts der für mich immer schwieriger werdenden Lage in Deutschland natürlich die Frage heran, mich im Auslande nach einer Stellung um- zusehen. Mir lag als geborener Elsässer, der in der Jugend auch viel- fach Frankreich besucht hatte, ein Unterkommen in einem der West- staaten am nächsten. Ich habe zwar auch versucht durch Prof. Kanto- rowicz, der nach der Machtübernahme nach Ankara ging und dort eine große Zahnklinik an der türkischen Universität gründete, in der Türkei ein Unterkommen zu finden. Das zerschlug sich aber, weil Frau Prof. Vocke, frühere Bekannte aus Kassel, die mir persönlich .und künstle- risch nahe gestanden hatte, und die ich um eine Vermittlung bei Kanto- rowicz [gebeten hatte], sich mir verleugnen ließ. [...] Nach Rußland zu gehen, hätte ich erst in letzter Linie in Erwägung gezogen, ich habe zwar eine solche Möglichkeit mit Frl. Westhoff erörtert, jedoch hat sie niemals greifbare Formen angenommen. Jedenfalls habe ich den Schwerpunkt für eine eventuelle Auswanderung auf Westeuropa ge- legt." Es war allerdings auch die Zeit, in der seine Gastfreundschaft von kommunistischen Zirkeln um Ernst Lohagen in einer Weise in An- spruch genommen wurde, die ihn sehr gefährdete. Den politisch erfah- renen und geschulten Parteifunktionären mußte doch klar sein, daß er als einer der wenigen "bürgerlichen" Bündnispartner nach seiner KZ- Haft weiter von der politischen Polizei beobachtet wurde. Ihnen mußte auch auf Grund stattgehabter politischer Prozesse vor den Kasseler Gerichten klar sein, daß Finkenstein ein weltoffener Mensch war, der anderen mit einem Vertrauensvorschuß begegnete und daß sie es hier nicht mit einem routinierten Untergrund- und Widerstandskämpfer zu tun hatten. Gleichwohl haben Ernst Lohagen und andere Kommunisten immer wieder seine Wohnung für Parteiberatungen genutzt und ihn so - ob aus Leichtfertigkeit oder aus Gleichgültigkeit - ganz erheblich gefährdet. Er freilich war seinerseits von einem anscheinend grenzen- losen Vertrauen sowohl gegenüber diesen politischen "Freunden" als auch gegenüber dem Staat, den er noch lange nach seiner Pervertierung durch die Nazis für einen Rechtsstaat hielt, gefangen, so daß er die auf ihn lauernden Gefahren nicht rechtzeitig erkannt hatte. Nicht einmal die Inhaftierung im KZ Breitenau sei ihm Warnung genug gewesen, urteilten später Freunde von ihm. 26 Erneute Verhaftung im Juli 1935, das Ende seiner Freiheit Vermutlich für ihn vollkommen überraschend wurde Kurt Finkenstein, gemeinsam mit 17 anderen Männern und Frauen, darunter die kommu- nistischen Funktionäre Ernst Lohagen, Paula Lohagen und Traugott Eschke, - auch Käte Westhoffbefand sich unter den Festgenommenen - in Kassel am 23. Juli 1935 im Rahmen einer sogenannten "neuen umfassenden Aktion gegen den illegalen Kommunismus" verhaftet. Von diesen 18 Personen behauptete die Gestapo Kassel, daß sie "im dringenden Verdacht stehen, am Neuaufbau der K.P.D. beteiligt zu sein". Der Vorwurf gegen Finkenstein richtete sich gegen die Tatsache, daß er seine Wohnung zu solchen Treffen zurVerfügung gestellt habe. Die anderen Inhaftierten waren Walter Bönning, Walter Buda, Paul Joerg, Justus Krug, Ilse Neese, Anni Oheim, geh. Handwerk, Georg Pretz, Karl Prior, Heinrich Prior, Günther Schmitz, Heinrich Waldeck, Erich Weinert und Eduard Wilhelm. Alle 18 wohnten in Kassel. Die Namen dieser Verhafteten gingen allem Anschein nach auf Geständ- nisse bereits Inhaftierter in einem laufenden Verfahren zurück. Die Gestapo konfiszierte Finkensteins mehrere Tausend Bände umfas- sende Bibliothek. Rechtsanwalt L. Wolf hat gemeinsam mit der Inha- berin einer Kasseler Buchhandlung - beide kannten die Finkens- tein'sche Bibliothek aus eigener Anschauung - durch zeichnerische Rekonstruktion der Regale die Anzahl der Bücher auf "mindestens 5000" berechnet. "Ich kenne die Bibliothek des Herrn Finkenstein aus eigener Anschauung sehr gut. Es handelt es sich um die in meinem Bekanntenkreis größte Privatbibliothek. Rückschauend möchte ich den Bestand auf ca. 4000 bis 5000 Bände schätzen. Die Bibliothek umfaßte sehr wertvolle Erstdrucke und auch andere bibliophile Kostbarkeiten" (Liselotte Römer, geb. Wiegand 1962). Außerdem sind seine große Schallplattensammlung, zahlreiche Kunstmappen, Bilder, Zeichnungen und Plastiken (Werke von Ernst Barlach, August Anhalt, Vincent van Gogh, George Grosz, Karl Schmidt-Rottluff, Oskar Kokoschka, Frans Masereel wurden von Freunden genannt) verschwunden und nie mehr aufgetaucht. Im Rahmen der Verhaftung Finkensteins hatte die Gestapo Ende Juli 1935 bereits 550 Bücher konfisziert. Der Hausei- gentümer der Wohnung in der Karthäuserstraße Albert Steffens hatte 27 sich nach der Verhaftung Finkensteins auf ein Vermieterpfandrecht berufen und wegen ausstehender Mietzahlungen in Höhe von 613,99 RM die in der Wohnung belassenen ca. 2000 Bände einbehalten. Im Februar 1937 ließ die Gestapo auch diese Bücher abholen. Das Pochen auf dem Vermieterpfandrecht bei der Polizei, mit dem Steffens die Herausgabe der Bücher verlangte, blieb erfolglos. Sie sind im Juni 1938 "im Einvernehmen mit dem Untersuchungsrichter, Herrn Ober- landesgerichtsrat Wolff, dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS - Unterabschnitt Kassel - zur Auswertung zur Verfiigung gestellt wor- den. Es handelt sich um etwa 2000 Bücher." Die .Beute' dieser Werke der klassischen Weltliteratur war dann zwischen den SS-Chargen in Berlin und Kassel strittig. Das Geheime Staatspolizeiamt Berlin for- derte den gesamten Bestand an. Soweit man in Berlin an einzelnen Büchern kein Interesse habe, - so teilte man mit - "sei deren bisher vorgesehene Überlassung an den SD-Unterabschnitt Kassel des RFSS auch weiterhin vorgesehen." Friedrich Herbordt, ein Freund Finken- steins, berichtete nach dem Krieg, daß ihm verschiedene Angehörige der Gestapo-Dienststelle (dort hatte er als politischer Schutzhaftgefan- gener nach seiner KZ-Haft ab 1943 Hilfsarbeiten zu verrichten) er- zählten, "persönlich Bücher aus der Bibliothek Finkenstein in ihren Besitz gebracht zu haben". Im Untersuchungsgefängnis .DieElwe" Kurt Finkenstein wurde vermutlich bis zum 20. September 1935, mit- hin etwa acht Wochen lang, im Polizeigefängnis im Polizeipräsidium am Königstor festgehalten, bevor er in die Untersuchungshaftanstalt in der Leipziger Straße 11 überstellt wurde. Die Untersuchungshaft zog sich außergewöhnlich lange hin; sie reichte vom 23. Juli 1935 bis zum 9. November 1937, länger als zweiundeinviertel Jahre. Von dieser Unter- suchungshaftzeit wurden im Gerichtsurteil eineinhalb Jahre auf die Strafzeit angerechnet. Käte Westhoffbefand sich zur selben Zeit im Untersuchungsgefängnis in der Leipziger Straße. Um Weihnachten 1935 konnten beide erstmals Briefe wechseln, von Zelle zu Zelle - offenbar hatte sich diese Mög- lichkeit, die er dankbar aufgriff, über den Untersuchungsrichter erge- 28 ben. Er hat in dieser Zeit auch Briefe von seiner ehemaligen Frau EI- friede Tautz erhalten; auch von einem Weihnachtsbrief der Söhne ist die Rede, die allerdings von seiner Haft noch nichts erfahren hatten. Im Oktober 1935 erhielt er Besuch von Rechtsanwalt Dr. Heermann aus Kassel; wahrscheinlich ging es um geschäftliche Fragen im Zu- sammenhang mit seinem Labor, das von einem seiner Mitarbeiter her- untergewirtschaftet worden war, so daß der Betrieb geschlossen wer- den mußte. Damit war er in kurzer Zeit ein armer Mann geworden, dem nur die Schuldengegenüber Gläubigern und gegenüber seiner von ihm geschiedenen Frau geblieben waren. Als Untersuchungsgefangener im Strafgefängnis Kassel-Wehlheiden Ende Mai 1936 wurde Kurt Finkenstein aus dem Untersuchungsge- fängnis in die Strafanstalt Kassel-Wehlheiden verlegt. Da zugleich ein Schreib- und Besuchsverbot wegen Benutzung eines Morsealphabetes gegen ihn erlassen wurde, nehmen wir an, daß die Verlegung in die Strafanstalt als eine Sanktionsmaßnahme gedacht war. Die Briefsperre, die auch eine Aushändigung der Briefe an ihn betraf, wurde erst im Juli 1937 aufgehoben. Die Verlegung nach Wehlheiden bedeutete zugleich auch die weitere räumliche Trennung von Käte Westhoff, die in der Untersuchungshaft- anstalt bis zu ihrem Urteil und Freispruch im Mai 1937 blieb. Auch sie hatte eine ungewöhnlich lange Untersuchungshaftzeit von fast zwei Jahren durchzustehen, für die eine Entschädigung im Urteil nicht vor- gesehen war. Da sie im Anschluß an den Freispruch noch ein Jahr in den Konzentrationslagern Moringen und Lichtenburg inhaftiert war, kam sie erst am 21. Juni 1938 frei. Und dann dauerte es noch einmal ein Jahr, bis die beiden anläßlich eines Besuchs von ihr in der Strafan- stalt Gelegenheit hatten, sich wiederzusehen - am 3. Juli 1939, nach fast vier Jahren! Käte wünschte während der Haft die Heirat, an die jedoch, wie er ihr schonend nahezubringen suchte, wegen der Nürn- berger Rassengesetze nicht zu denken war. Bei ihm spielte auch die Tatsache eine Rolle, daß er hinsichtlich seiner weiteren Verfolgung unsicher war, ob und unter welchen Umständen er die Zeit überstehen werde. Zunehmend sah er sich als eine Zumutung für Käte an, an die er 29 sie nicht gebunden sehen wollte. Erst im Jahre 1948 wurde die Ehe vom Standesamt Kassel rückwirkend als geschlossen anerkannt. Die extrem lange Untersuchungshaft bedeutete, daß die Ungewißheit über das weitere Verfahren anhielt und sich im Laufe der Wartezeit bis ins Unerträgliche steigerte. Da keine sachlichen Gesichtspunkte für diese lange U-Haft erkennbar waren, und da Finkenstein anscheinend überhaupt keine Informationen hierzu erhielt, ist diese Haft als Schika- ne zu werten. Der freudige Ausbruch, mit dem er nach zwei Jahren die Anklage begrüßte ("Endlich! Endlich! Die Anklageschrift!"), ist nur aus der Situation dieses schier endlosen Wartens zu erklären, die auf eine Entscheidung hin lebte, wie auch immer sie ausgehen werde. Kurz vor der Verhandlung und dem Urteil erhielt er überraschend Be- such von seiner geschiedenen Frau Elfriede Tautz; es war dies der erste und einzige persönliche Besuch während seiner gesamten Untersu- chungshaftzeit, "die erste Vergünstigung nach 27 Monaten". Anlaß für diesen Besuch war eine Nachfrage nach dem Vater Finken- steins, da der Sohn Martin, vermutlich aus rassischen Motiven, keinen Lehrvertrag erhalten konnte. Es stellte sich heraus, daß Kurt Finken- stein über seinen Vater nichts wußte. Das Urteil im November 1937:Siebeneinhalb Jahre Zuchthaus Über das Verfahren und das Urteil gegen Finkenstein wird an anderer Stelle ausführlich berichtet werden. Der Spruch traf ihn wie ein Keu- lenschlag. Er hatte wohl mit einem Freispruch und im Anschluß daran - ähnlich wie es Käte Westhoff ergangen war - mit der vorübergehen- den Einweisung in ein KZ gerechnet. Daß ein deutsches Gericht ihn als einen unbescholtenen Menschen für nichts und wieder nichts sieben- einhalb Jahre lang hinter Gitter sperren würde, hatte er für gänzlich unvorstellbar gehalten. Erst mit diesem Urteil ist eine Welt in ihm zu- sammengebrochen, an die er bis dahin im Tiefsten noch glaubte. Unmittelbar nach der Verurteilung wurde er in "strenge Zellenhaft", und zwar in eine "Sicherheitszelle" gelegt; dies bedeutete Einzelhaft. War die Aussicht auf sechs Zuchthausjahre schon schlimm genug, so kamen nun von Seiten der Gefängnisleitung zahlreiche Schikanen und 30 Arreststrafen hinzu, die ihm die Haft zunehmend unerträglich werden ließen. Mehrere Besuchsanträge von Käte wurden abgelehnt. Unterbrochen wurde die Haft in Wehlheiden durch gute dreieinhalb Monate im Sommer 1939, während derer er in das sogenannte Strafge- fangenenlager II Aschendorfer Moor (Ems)/ Papenburg abkomman- diert worden war. Von dort wurde er jedoch wieder in das Zuchthaus Kassel-Wehlheiden zurückkommandiert, "da Juden bestimmungsge- mäß in den Strafgefangenenlagern nicht untergebracht werden dürfen". Aus der Korrespondenz der beiden Strafanstalten geht hervor, daß Finkenstein sich dagegen wehrte, "als Jude behandelt zu werden". Man hatte im Strafgefangenenlager in Papenburg den Satz aus dem Ge- richtsurteil gegen ihn ("als unehelicher Sohn einer jüdischen Mutter" geboren) zum Anlaß genommen, Finkenstein einfach als "Juden" zu bezeichnen und ihn damit zu stigmatisieren. Mit dem Anstaltspfarrer Adolf Dörmer hat es Gespräche gegeben; ein Gedicht hat Finkenstein ihm gewidmet. Dörmer über Finkenstein nach dem Krieg: "Er ist ein intellektueller Mensch gewesen, der eine gewis- se geistige Höhe besaß, und mit dem man sich über alle möglichen Fragen unterhalten konnte. Er war auch in politischer Hinsicht nicht stur. Er war auf kein Dogma eingeschworen, sondern argumentierte mit mir, wenn er seinen Standpunkt darlegte. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß Finkenstein Zahntechniker war, hätte ich annehmen können, es mit einem akademisch gebildeten Menschen zu tun zu haben". Am Vortag seiner Entlassung wurde er zum Anstaltsdirektor Harder gerufen und dem "Herrn Oberregierungsrat" vorgestellt. Vermutlich wird ihm dort eröffnet worden sein, daß die Gestapo Schutzhaft gegen ihn erlassen hat. Bereits am 18. September 1943 hatte Harder als Vor- steher der Vollzugsanstalt an die GestaposteIle Kassel im geforderten "Kurzen Bericht über die Führung während der Strafhaft, insbesondere Beobachtung über die politische Einstellung" es für nötig gehalten zu schreiben, daß Finkenstein "sich mit den heutigen politischen Verhält- nissen nicht abzufmden vermag. Er will, wenn er frei käme, Deutsch- land verlassen. Geistig sehr lebhaft, künstlerisch veranlagt, Selbstbe- wußtsein wohl übersteigert. [...] Im Ausland wäre von Finkenstein deutschfeindliche Betätigung zu erwarten". Dies war wohl ein unmiß- 31 verständliches Signal an die Gestapo, ihn wieder in Schutzhaft zu nehmen. Über Breitenau in das Lager Auschwitz-Birkenau Finkenstein kam direkt von der Strafanstalt in Polizeihaft, wieder ins Polizeipräsidium am Königstor. Nach vier Tagen wurde er in das Ar- beitserziehungslagerBreitenau gebracht- auch dies zum zweiten Male! Das Konzentrationslager Breitenau, in dem er im Sommer 1933 einge- sperrt gewesen war, wurde 1934 aufgelöst; an dessen Stelle war im Jahre 1940 ein Straf- und Sammellager der GestaposteIle Kassel ge- treten - beschönigend ,Arbeitserziehungslager' genannt. Überwiegend ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in irgend- einer Weise die Arbeit verweigert hatten, wurden dort für unterschied- lich lange Zeit, meist drei bis acht Wochen lang, inhaftiert. Aber auch deutsche Schutzhaftgefangene, über deren weiteres Schicksal die Ber- liner Behörden noch nicht entschieden hatten, wurden im Lager Brei- tenau festgehalten. So auch Kurt Finkenstein. Am 8. Januar 1944 begann dann für ihn von dort aus ein siebentägiger Bahntransport, der am 15. Januar 1944 in Auschwitz endet. Unter der Nummer 172 266 wurde er im "Quarantäne-Bereich" im Lager Au- schwitz-Birkenau aufgenommen. Aufgrund der katastrophalen hygieni- schen und psychischen Bedingungen konnten die Gefangenen den Quarantänebereich im Jahre 1944 nur wenige Wochen überleben. Kurt Finkenstein wurde nach neun Tagen in den Block 12 im "Häftlings-Krankenbau" eingewiesen. Fünf Tage später, am 29. Januar 1944, endete sein Leben in Auschwitz-Birkenau. 32 .H , . , .......... .-...:. ... ", '). f. lur t , ~. . , 1 n .k e n , t 11 i n, - _. .--" - , -, 2e ben'il Q U f W tStrlllgefllllßeneJl ~.n"'''''''''''''' .tlila 111 ... 1. ~.~ , .......... , .... ._. --'".- ....., &. 'da'. 7 Ir' _ .&.. .. - .....'... ..__.._-_. .. _ ...... _ 1) -· L .............. . ....", ................- -,-- . ~ ............ ... ... .... 50 " ......, oe 4 Abb. 5 Lebenslauf Kurt Finkensteins. niedergeschr ieben im Zuchthaus nach seiner Verurteilung, am J. Dezember 1937 l3 IL ..................... ....... tu . rn ................. wo , ............... 11. 1iIM5o ...... lIilIMIfo _ ........ . 5 . 'a' 3ofIIIo ...... ............._. 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I -.p."'...., . • 5 11 T ~1:I.l~ oesehen .. ~ ~ 1....1 - ••1'l11'l'14n. d.n Ji t: " Der ' ontuld d.. lllehUl..... . ..' 7 ..-.-. ......_ .. 36 Untersuchungshaft, Anklage und Urteil * Die Verhaftung Finkensteins hatte eine Vorgeschichte. Im Januar 1935 waren in Kassel vier Personen aus dem Umfeld der illegalen KPD ver- haftet worden (Kar! Krug, August Nadler, Johann Vogel und Fritz Wulf), von denen einer (Nadler) Finkenstein persönlich bekannt war. Diese Verhaftungen gingen auf Untersuchungen zurück, in denen die Geheime Staatspolizei und die Justiz in Kassel engstens zusammenar- beiteten. Nachweisbar im Fall Finkenstein war ein aufwendiges und umfassendes gerichtliches Untersuchungsverfahren, für das Oberlan- desgerichtsrat Friedrich Wolff und Landgerichtsrat Dr. Werner Keuthen verantwortlich waren. Beide waren als Untersuchungsrichter am Strafsenat des Oberlandesgericht (OLG) in Kassel tätig, Wolff war zeitweise zugleich - in Kassel tätiger - Untersuchungsrichter des Volksgerichtshofs in Berlin. Wolff vertrat im Oktober 1935 in einer Denkschrift an das Reichsjustizministerium die Auffassung, "daß das * WichtigeQuellen und Literatur für dieses Kapitel: Bundesarchiv Berlin (Dahlwitz- Hoppegarten): Reichsjustizministerium ZC 11910, Band 1. OLGRat Wolff (Untersuchungsrichter am VolksgerichtshofBerlin): Bericht über den Aufbau und die Tätigkeit der illegalenKPD im Bezirk Kassel (Baustelle22)1 ZC 11910, Band 9. Ver- nehmung Kurt Finkensteins durch die Gestapo Kassel am 1I. und 18.9.19351 ZC 11910,Band 9. Vernehmung Käte Westhoffs durch die Gestapo Kassel am 11.9. I9351 ZC 11910, Band 6. Vernehmung Kurt Finkensteins durch die Gestapo Kassel vom 27.5.19361 ZC 11910, Band 4. Vernehmung Käte Westhoffs durch den Untersu- chungsrichter vom 8. - 18.2.19371 ZC II 910, Band 9. Schlußbericht der Gestapo Kassel vom 20.5.19361 ZC 11910, Band 4. Vernehmung Paula Lohagensl ZC 11910, Band 3. Vernehmungen August Nadlers 1936. 19371 ZC 11910,Band 7. Vernehmun- gen WalterCapitos. 19361 ZC 11910, Band 10. Vernehmung Kurt Finkensteins durch d. Untersuchungsrichter am 26. Und 27.5.19371 NJ 2197. Strafverfahren Traugott Eschke. 1 NJ 4000, Bd. I u. 2. Anklageschrift vom 6.4.1937 und Urteil vom 21.5.1937 gegen Käte Westhoffl NJ 6487, Strafsache Kurt Finkenstein. Anklage- schrift vom 28.9.1939 und Urteil vom 9.11.1937. - Geheimes Staatsarchiv Preuß. Kulturbesitz: 1/90 P. Nr. 66 Heft 4, BI. 259-261. Auszug aus der Denkschrift von Wolff vom 8.10.1935 [Mitteilung J. Kammler]. - Kammler, Jörg: Widerstand und Verfolgung - illegale Arbeiterbewegung, sozialistische Solidargemeinschaft und das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Regime. In: Volksgemeinschaft und Volksfein- de. Kassel 1933 - 1945. Band 2: Studien. Herausgegeben von WiJhelm Frenz. 1. Kammleru. D. Krause-Vilmar. Fuldabrück 1987,325 - 387. 37 ordentliche Gerichtsverfahren auf die Abwehr des Kommunismus im allgemeinen keine Anwendung finden kann und darf. Vielmehr muß grundsätzlich verlangt werden, daß der staatliche Machtkampf gegen den Bolschewismus nach standgerichtliehen Überlegungen und Notwendig- keiten aufzubauen und durchzuführen ist". Für die "schnelle Bekämp- fung" der kommunistischen "Mitläufer" durch "Abschreckung" schlug er die Einrichtung einer Dreierbehörde vor, "bestehend aus einem Mit- glied der Sta[atsanwaltschaft] (vielleicht auch einem Richter), aus ei- nem Mitglied der Stapo und aus einem Mitglied der Bewegung (Gaurechtsamtsleiter, Gaugerichtsvorsitzender oder dergl.)", der die Entscheidung über die "Verbringung und Erziehung in einem Kon- zentrationslager" zu übertragen sei. Für Finkenstein und seine Freunde war entscheidend, daß polizeilich in das Gefängnis eingeschleuste "Vertrauensleute" Informationen über das kommunistische Umfeld ermittelten, die von einem der Verhafte- ten bei seiner Vernehmung "gerichtsverwertbar" bestätigt wurden, so daß darauf gestützt weitere Verhaftungen folgten. Wolff als Untersu- chungsrichter des Volksgerichtshofs teilte am 20. Juli 1935 dem Ober- reichsanwalt in Berlin mit: "Nach wochenlangen Bemühungen zweier von mir im hiesigen Gerichtsgefängnis angesetzter Vertrauensleute ist es gestern gelungen, von dem Angeschuldigten X ein umfassendes Ge- ständnis zu erlangen. Dieses Geständnis hat die Angaben der Vertrau- ensleute restlos bestätigt." Die "sofortige Verhaftung" - im einzelnen genannter Personen - sei "dringendst geboten". Auf diese Mitteilung hin wurden in Kassel am 23. Juli 1935 Kurt Fin- kenstein, Käte Westhoff, Ernst und Paula Lohagen, Traugott Eschke und 13 weitere dem kommunistischen Widerstand bzw. dessen Umfeld zugeordnete Personen festgenommen. Die Vernehmungen 1935 bis 1937 Die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens gegen die Verhafteten zog sich ungewöhnlich lange hin. Der Grund lag in erster Linie in den aufwendigen Vernehmungen, die von Seiten der Gestapo Kassel und der Untersuchungsrichter am OLG Kassel bzw. des Untersuchungs- richters des Volksgerichtshofs geführt worden sind. Wolff hatte bereits 38 am 20. Juli 1935, wenige Tage vor der Verhaftung Finkensteins, dem Oberreichsanwalt in Berlin berichtet, es habe sich .,die Notwendigkeit ergeben, die Verhältnisse in Kassel einer besonderen Prüfung zu un- terwerfen." Obwohl faktisch die KPD und ihre Nebenorganisationen in Kassel aufgerieben waren und kommunistischer Widerstand nicht mehr in Erscheinung trat, .,stieg in mir der Verdacht auf', so berichtete Wolff .,daß die Organisation der Kasseler KPD im großen und ganzen nicht zerschlagen sei, sondern noch so gut wie vollständig bestehen müsse." Diesen Nachweis zu fuhren war das treibende Motiv des OLGR Friedrich Wolff. Die Methode der umfangreichen Vernehmungen glich einem Puzzle, das keinen Abschluß fand: Inhaftierter A wurde zu den Inhaftierten B, C, D, usw. vernommen, und dessen Aussagen bildeten die Grundlage zur Vernehmung von B, C, D usw. Die Absicht ging dahin, Wider- sprüche und Unklarheiten in den gemachten Aussagen aufzudecken und über das Verfolgen dieser 'Widersprüche' neue Informationen zu sammeln. Vor allem sollte der eine Gefangene durch Aussagen des an- deren .,überführt" werden. Die Aussagen von B, C, D. usw. wurden dann wieder A .,vorgehalten", dessen Aussagen wieder B, C, D. usw. Alles wurde genauestens protokolliert. Die Protokolle dieses Verfah- rens wurden von Kassel aus auch an den Reichsminister der Justiz in Berlin versandt; in dessen Akten haben sie sich bis heute erhalten. Die vernehmenden Geheimpolizisten und Richter kannten den Schutz einer persönlichen oder privaten Sphäre nicht, selbst in die entlegen- sten Geschehnisse wurde hinein geleuchtet. In ihren Augen konnte sich hinter einer gemeinsamen Frühlingswanderung oder einer Autofahrt zu einer Mühle, hinter einem gemeinsamen Kaffeetrinken oder einem Skatabend unter Umständen eine geheime Verabredung im hochverrä- terischen Sinne verbergen, d.h. dies konnte in der Absicht unternom- men sein, .,mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern". Unter diesen Umständen sahen sich die Untersuchungsgefangenen gezwun- gen, auch ihrerseits zu im Grunde persönlichen und beiläufigen Ereig- nissen ausführlich Stellung zu nehmen. Die Vernehmungen Finken- steins lesen sich wie ausfuhrliehe Richtigstellungen falscher Behaup- tungen und wie Erläuterungen, die im Detail auf belanglos erscheinen- de Einzelheiten eingehen. 39 Seine Aussagen in den Vernehmungen legen ein beeindruckendes Zeugnis seiner Standfestigkeit und Klarheit, seiner geistigen Unabhän- gigkeit und seiner Solidarität ab. Bereits in der ersten Vernehmung am 11. September 1935 im Kasseler Polizeipräsidium, die durch die bei- den bei der Gestapo Kassel tätigen Kriminalpolizisten Lange und Zink durchgeführt wurde, wies Finkenstein sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe unmißverständlich zurück. Strafbarer Handlungen wisse er sich nicht schuldig, die Idee des Kommunismus habe er immer hoch- gehalten, an der illegalen Organisation des kommunistischen Parteiap- parates habe er keinen Anteil gehabt und Freunde blieben Freunde - dies war die Grundlinie seiner Verteidigung. Die Besuche in seiner Wohnung, die man ihm jetzt vorhalte, seien freundschaftlicher Art gewesen. "Wenn [Ernst] Lohagen und die ande- ren Personen [...] sich in meiner Wohnung eingefunden haben, so wur- de wohl über politische Tagesfragen und [das politische] Geschehen diskutiert. Wohl ist auch beiläufig von illegalem Arbeiten und seiner Nutzlosigkeit gesprochen worden. Auch hier habe ich besonders Loha- gen gegenüber immer den Standpunkt vertreten, daß illegales Arbeiten nutzlos und zwecklos sei. Außerdem über viele Menschen großes Un- heil bringen muß. Wurden Unterhaltungen nicht gepflegt, so haben wir männliche Personen Skat gespielt, während die Frauen sich anderwei- tig beschäftigt haben oder ich sie in das Kino schickte. Ich bestreite ganz entschieden, daß in meiner Wohnung Sitzungen abgehalten wur- den oder Dinge besprochen wurden, die der illegalen KPD dienen oder diese fördern konnten. Also kann ich nur noch einmal betonen, daß alle Zusammenkünfte rein geselliger Art waren." Ernst Lohagen, seine Frau und Finkenstein kannten sich seit 1922 oder 1923. Zwischen Finkenstein und Ernst Lohagen, später auch dessen Frau Paula, Käte Westhoff und Paul Joerg waren freundschaftliche Be- ziehungen entstanden. Als Schutzhaftgefangene waren Joerg und Fin- kenstein im Frühjahr 1933 vier bis fünf Wochen im Kasseler Polizei- präsidium in derselben Zelle eingesperrt gewesen. Sie teilten übrigens die Zelle im Kasseler Polizeigefängnis gemeinsam mit dem regional bekannten Reichsbannerführer Karl-August Quer und dem jungen kommunistischen Lehrer Hans Siebert. Während der gemeinsam Haft- zeit im Konzentrationslager Breitenau freundeten sich beide an, auch 40 dort "lagen wir nebeneinander". Lohagen, der noch länger in Schutz- haft bleiben mußte, hatte Finkenstein gebeten, sich in dieser Zeit um seine Frau zu kümmern. Dieser lud sie daraufhin regelmäßig an Sonn- tagen zum Essen ein, und der freundschaftliche Umgang zwischen ihr, Finkenstein und Käte Westhoff verstärkte sich. Paul Joerg und dessen Ehefrau hatte Finkenstein materiell geholfen; ihr hatte er kostenlos ein Gebiß gefertigt und beide hatte er aufgrund ihrer wirtschaftlichen Notlage wiederholt mit Lebensmitteln unterstützt. Bereits bei dieser ersten Vernehmung mußte Finkenstein sich gegen Behauptungen verwahren, die andere Zeugen oder die sogenannten .,Vertrauensleute" der Staatsanwaltschaft gegen ihn zu Protokoll gege- ben hatten. Ein Zeuge hatte z.B. behauptet, Finkenstein habe ihm Geld gegeben und er habe ihm ein Exemplar der ,Roten Fahne' verkauft. Ein anderer Untersuchungsgefangener mit dem Namen Walter Capito, der mit Fin- kenstein angeblich die Zelle teilte, gab an, daß dieser "gegenüber Nadler und Lohagen den Standpunkt vertreten habe, daß die extensive Parteiarbeit im Rahmen der illegalen kommunistischen Organisation, also im Zusammenhang mit der Parteizentrale nur kompromittierend und damit gefährlich werden könne, daß vielmehr. um diese Gefahren- quellen auszuschalten, die zersetzerische Tätigkeit im familiären Rah- men und bei losen Bindungen vorgenommen werden müsse. Finken- stein führte aus, von diesem Gedankengange ausgehend, habe er mit den in Frage kommenden Leuten als Familienzusammenkünfte ge- tarnte Besprechungen abgehalten [...]". In der Sprache dieses "Zeugen", der angeblich nur berichtet, was er von seinem Zellengenossen Finkenstein gehört habe, erkennt man Formulierungen der Verfolger, z.B. der Geheimen Staatspolizei bzw, der Untersuchungsrichter Wolff und Keuthen. Es erscheint schwer vor- stellbar, daß Finkenstein seine politische Arbeit "zersetzend" genannt haben könnte; ebenso unglaubhaft ist, daß er einem ihm unbekannten Zellennachbarn seine politische Strategie im einzelnen dargelegt hat. Nirgends findet sich ein Hinweis auf Capito oder auf eine Beziehung zu Finkenstein. Es handelt sich hierbei übrigens um die einzige Zeu- genaussage, die nicht namentlich unterzeichnet ist. Am Ende dieser Aussage wird der ,Auftrag' des Zeugen Capito deutlich: Er habe den 41 Eindruck, formuliert er, "daß Finkenstein auf diese Weise [durch Mor- sezeichen] vor mir gewarnt worden ist, denn von dieser Zeit ab hat er mir nichts Nennenswertes mehr mitgeteilt. Ich glaube auch kaum, daß aus Finkenstein noch etwas heraus zu bekommen ist." Tatsächlich wurde Finkenstein unmittelbar nach dieser Zeugenaussage von dem Untersuchungsgefängnis in der Leipziger Straße in die Strafanstalt Kassel-Wehlheiden verlegt. Es fallt auf, daß die weitere politische Verfolgung - besonders die An- klageschrift und das Urteil- dieses Zerrbild von Finkenstein als einem im Hintergrund arbeitenden Intellektuellen übernahm. Entschieden be- stritt Finkenstein, zur Oberleitung der illegalen Bezirksleitung der KPD Hessen-Waldeck sowie zu einer Intellektuellengruppe der Partei gehört zu haben. "Ich bestreite nochmals ganz entschieden, mich in ir- gendeiner Weise durch illegale Arbeit für die verbotene KPD strafbar gemacht zu haben", so seine abschließenden Worte bei dieser ersten Vernehmung. Die Gestapo Kassel stufte ihn in ihrem Schlußbericht am 20. Mai 1936 - bis zur Vernehmung durch den Untersuchungsrichter sollte es noch ein Jahr dauern, bis zu Anklage und Verhandlung eineinhalb Jahre! - als "das geistige Oberhaupt der damaligen illegalen Bezirksleitung" der KPD ein, forderte vom Gericht für ihn "strengste Strafen" und sah KZ-Haft vor: "Da er bereits in Schutzhaft gewesen ist und eine Ver- pflichtungserklärung unterschrieben hat, daß er sich nicht mehr im staatsfeindlichen Sinne betätigen werde, ist [er] erneut rückfällig ge- worden. Aus diesem Grunde erscheinen die strengsten Strafen bei ihm angebracht und nach Strafverbüßung seine Überführung in ein Kon- zentrationslager erforderlich." Erhalten ist auch die 72 Blatt umfassende Niederschrift der Verneh- mung Kurt Finkensteins durch den Untersuchungsrichter Dr. Keuthen am 26. und 27. Mai 1937. Finkenstein verteidigte und schützte in dieser Vernehmung auch noch seinen ehemaligen Freund Dr. August Riekel, der - als sozialdemokra- tischer Hochschullehrer in Braunschweig von der NS-Staatsregierung im Jahre 1931 entlassen - nun in die SS eingetreten war und unter dem Namen Harald Bratt als Drehbuchautor nationalsozialistischer Filme Karriere gemacht hatte. Riekel hatte Finkenstein bei einer Begegnung 42 in Kassel dringend geraten, Deutschland zu verlassen, und ihm auch materielle Hilfe dazu angeboten. In der Vernehmung sagte Finkenstein: "Ich muß auch bestreiten, gegenüber Zellengenossen geäußert zu ha- ben, Riekel hätte mir das Geld zur Flucht und in Kenntnis der illegalen Umtriebe in Kassel und insbesondere in meiner Wohnung angeboten. [...] Wenn ich in der Zelle erzählt habe, eine der Autofahrten sei aus Sicherheitsgründen aus der Stadt Kassel heraus geleitet worden, so er- klärt sich das daraus, daß Riekels Zusammensein mit einem in Kassel bekannten Kommunisten mit Rücksicht auf Riekels SS-Mitgliedschaft nicht bekannt zu werden brauchte. [...] Riekel hat, wie ich nochmals betone, mit mir in politischen Beziehungen nicht gestanden. Er hat jetzt Beziehungen zum Propagandaministerium [...] Aus einer Zei- tungsnotiz habe ich entnommen, daß er mit der Herstellung eines erb- biologischen Filmmanuskriptes beauftragt worden ist." Hier kann es sich um Vorarbeiten zu dem Film "Ich klage an!" (1941) gehandelt ha- ben, in dem die Ermordung geistig behinderter Menschen gerecht- fertigt wurde. In gleicher Weise suchte er Dr. Trau, den er als Theologiestudenten kennengelernt hatte, und Dr. Hans Gerth, einen Redakteur des Berliner Tageblatts, zu schützen. "Ich bestreite, einem Zelleninsassen gegenüber Trau als überzeugten Kommunisten geschildert zu haben. Wohl aber habe ich über ihn ge- äußert, er sei früher kommunistisch interessiert gewesen, aber später in die SA gegangen." "Ich bestreite, einem Zellengenossen gegenüber mich dahin ausgelas- sen zu haben, Dr. Gerth sei überzeugter Kommunist und Mitglied der illegalen KPD gewesen. Ich habe mich vielmehr dahin geäußert, Gerth sei kommunistisch stark interessiert gewesen." Finkenstein hat bei den Vernehmungen deutlich gemacht, daß er an der Idee des Kommunismus festgehalten habe und festhält: "Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich meine kommunistische Gesin- nung nach wie vor aufrechterhalten habe. Ich habe diese Meinung, die ich für gut und richtig befunden habe, auch immer offen zur Schau ge- tragen und sie jedermann gegenüber vertreten. Ich gebe auch zu, daß ich bestrebt war und zwar auch noch nach der Machtübernahme, die kommunistische Idee zu fordern und durch ideologische Beeinflussung 43 weiterzutragen. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend habe ich in mei- ner Wohnung den Verkehr eines Kreises von gleichgesinnten Personen geduldet. Es kam uns darauf an, einen Ort zu schaffen, wo wir uns un- gestört im Rahmen der kommunistischen Idee aussprechen, diese wachhalten und von ihr aus zu den Geschehen in Deutschland und der Umwelt Stellung nehmen konnten." Förderung der kommunistischen Idee im Kreise Gleichgesinnter - ja, illegale Arbeit im Rahmen einer festen Organisation - nein, so lassen sich seine Äußerungen knapp zu- sammenfassen. An "irgendeiner organisatorischen Aufbauarbeit" habe er sich nie beteiligt. Auch sei er nicht "überall als Werber für die kommunistische Idee aufgetreten", wie ihm unterstellt worden sei. Finkenstein hielt seine Verteidigungslinie bis an die Grenze des unter diesen besonderen Umständen noch politisch Vertretbaren bei, wie ein anderer Vorgang bei den Vernehmungen verdeutlicht. Ihm war vorge- halten worden, gegenüber zwei Gästen in seiner Wohnung, von denen der eine das NSDAP-Parteiabzeichen getragen hatte, im kommunisti- schen Sinne agitiert zu haben. Aus seinen Aussagen hierzu wird die Grenzlinie deutlich, die er in Fragen des Antisemitismus und der Ver- folgung kritischer Schriftsteller ausschöpfte, ohne sich im strafrechtli- chen Sinne zu belasten. Allerdings setzte dies eine irgendwie noch in- takte Justiz voraus, die an Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsgebote sich gebunden gesehen hätte. Er führte hierzu folgendes aus: "Ich gebe zu, daß sich auch an diesem Sonntag das Gespräch auf durchaus kom- munistischer Grundlage bewegte. Ich will nicht bestreiten, daß von mir hervorgehoben worden ist, daß auch die Juden erhebliche kulturelle Werte in Deutschland geschaffen hätten. Es ist auch durchaus möglich, daß ich mich für die literarische Bedeutung des Schriftstellers Thomas Mann rühmend eingesetzt habe. [...] Mir ist die Bekundung eines Mit- beteiligten vorgehalten worden, der Inhalt der Unterhaltung sei so ge- wesen, daß er sich gewundert habe, daß man so etwas einem National- sozialisten und Träger des NSDAP-Parteiabzeichens bieten könne. Ich habe Schneider [einer der beiden Gäste] bereits vor seinem Besuch in meiner Wohnung auf der Straße getroffen und bei diesem Gespräch festgestellt, daß seine Weltanschauung von der meinen verschieden war, wobei ich selbstverständlich auch meine Grundausstellung 44 [Grundauffassung] zum Ausdruck gebracht habe. Es ist aber nicht so, daß ich Schneider im kommunistischen Sinne bearbeitet hätte." Als ihm abschließend im Resurne des Untersuchungsrichters vorge- halten wurde, daß er zusammen mit Lohagen in der Oberleitung der Kasseler KPD tätig gewesen sei, in enger Beziehung zu Eschke ge- standen habe und "in der Zusammenwirkung aller drei auch nach Er- fordernis Funktionen im Abwehrdienst der KPD ausgeübt habe", er- klärte er sich noch einmal ganz unmißverständlich: "Ich verbleibe bei meiner bisherigen Darstellung und betone immer wieder, daß ich ir- gendeine organisatorische Bindung zu Lohagen oder Eschke nicht ein- gegangen bin. Mir kam es eben nur auf ideelle Förderung des Kom- munismus an, die im engeren und miteinander in persönlich menschli- cher Fühlung stehenden Kreis vor sich gehen sollte." Die Anklageschrift vom 28. September 1937 Die förmliche Anklageerhebung gegen Finkenstein fand erst am 28. September 1937 statt, mehr als zwei Jahre nach seiner Verhaftung. Der Reichsanwalt beim Volksgerichtshof hatte am 16. August 1937 die Strafverfolgung an die Staatsanwaltschaft beim OLG Kassel abgege- ben. Der Generalstaatsanwalt in Kassel, Dr. Trautmann, unterzeichnete die Anklageschrift, in der Finkenstein - dies war die typische Formu- lierung für den illegalen KPD-Widerstand - beschuldigt wurde, "das hochverräterische Unternehmen, mit Gewalt die Verfassung des Rei- ches zu ändern, [...] vorbereitet zu haben." Dies sei geschehen: - "durch Gründung eines umfangreichen Personenkreises zur Erörte- rung und Verbreitung kommunistischer Gedanken, - durch kommunistische Propagandatätigkeit während der Untersu- chungshaft, - Förderung der auf den Aufbau einer neuen Organisation der illegalen KPD gerichteten Bestrebungen, - Ausleihen von illegalem kommunistischem Schrifttum aus seiner Bücherei, - Ankauf der illegalen kommunistischen Zeitung ,Rote Fahne', - und Zahlung eines Beitrages für die illegale KPD." 45 Die Tat sei darauf gerichtet gewesen, "zur Vorbereitung des Hochver- rats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen und aufrecht- zuerhalten, und durch Verbreitung von Schriften die Massen zu beein- flussen, Verbrechenstrafbar nach §§ 80, 83, 86, 86a, 87,47 StGB n. F." Die 27 Blatt umfassende Anklageschrift besteht aus dem "Ergebnis" der ,,Ermittlungen", für die mehr als zwei Jahre benötigt wurden. Die Anklage suchte nachzuweisen, daß Finkenstein "seit Herbst 1933 ei- nen Kreis von vorwiegend intellektuellen Personen um sich (sammel- te), mit denen er in den Formen eines Debattierklubs kommunistische Fragen erörterte. Dieser Zusammenhalt lief in und neben der sonstigen Organisation der KPD her. Er (Finkenstein) bezweckte damit, die kommunistische Gesinnung der Versammelten wachzuhalten und zu vertiefen." Finkenstein selbst sei "infolge ausgeprägter geistiger Fähig- keiten besonders dazu in der Lage andere zu beeinflussen". Diese Fä- higkeiten habe er genutzt, um "bei jeder Gelegenheit als Werber für die kommunistische Idee aufzutreten". Die Anklage versuchte, Finkenstein deshalb als besonders gefährlich hinzustellen, da er eine "neue Metho- de der illegalen Arbeit" praktiziert und vertreten habe: Diese müsse derzeit "aus Gründen der Sicherheit im familiären Rahmen und bei lo- sen Verbindungen" bleiben und habe jede feste Organisationsform zu vermeiden. In der Anklageschrift behauptete man hierzu, daß Finkenstein "durch die unabhängig voneinander gemachten übereinstimmenden und daher glaubhaften Aussagen" zweier Zeugen "überführt" worden sei. Fin- kenstein wurde als Begründer eines kommunistischen Zirkels hinge- stellt. "Als Träger eines scharfen Intellekts, bei seiner weitschichtigen Belesenheit und geschulten Dialektik besaß er in der gegenseitigen Unterhaltung und Erörterung politischer Fragen anderen gegenüber oft ein großes Übergewicht." Dies habe "seine Tätigkeit besonders ge- fährlich" gemacht. Aus der folgenden Passage in der Anklageschrift, die die Vorbereitung des Hochverrats'zu begründen suchte, wird deut- lich, daß die Staatsanwaltschaft im Grunde keinen einzigen Nachweis einer konkreten strafbaren Handlung vorgelegt hatte: "Um seine Werbetätigkeit für den Kommunismus in Angriff zu neh- men, gründete der Angeschuldigte alsbald nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft einen Intelligenzzirkel. An den Freitagabenden und 46 Sonntagen sammelte sich in der Folgezeit bis zu seiner Verhaftung re- gelmäßig ein größerer Kreis von Personen um ihn. Nach außen waren diese Zusammenkünfte als geselliges Beisammensein, Kaffeekränzchen, Skatabende und Ausflüge getarnt. In Wirklichkeit dienten sie dem Ziel, auch nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus die kommuni- stische Idee wachzuhalten und durch ideologische Beeinflussung wei- terzutragen. Der Angeschuldigte erörterte mit dem um ihn versammel- ten Kreis auf der Grundlage des Lebens und Weltanschauung des Kommunismus das Geschehen in Deutschland und in der Umwelt, in- dem er von den Geschehnissen der Tagespolitik ausging. So wurde Z.B. in der Zeit vor der Saarabstimmung auch diese Frage erörtert und, dem Standpunkt der KPD entsprechend, der Sieg der sogenannten sta- tus-quo-Bewegung gewünscht. Außerdem waren die in Deutschland bestehenden Verhältnisse sowie die führenden Männer Gegenstand ge- hässiger Kritik und Beschimpfung. So wurde von dem Führer und Reichskanzler von dem ,großen Manitou', von Reichsminister Göring als dem .Reichskapaun' gesprochen. Ferner wurde das Greuelmärchen von der Anzündung des Reichstages durch Nationalsozialisten erörtert und für richtig gehalten. Neben der Diskussion bediente der Ange- schuldigte sich auch der Schallplatte als Werbemittel, indem er Platten mit klassenkämpferischem Inhalt zur Vortrag brachte. Ferner trieb er kommunistische Propaganda, indem er aus seiner mit marxistischem und kommunistischem Schrifttum reich durchsetzten Bücherei an die verschiedensten Personen Bücher auslieh." Vorbereitung zum Hochverrat? Daß man auf Seiten der KPD und der politischen Linken 1935 die Saarfrage und den Reichstagsbrand nicht aus nationalsozialistischer Sicht beurteilte, war gewiß nicht sensatio- nell. Es war kein überzeugendes Ermittlungsergebnis herausgekom- men. Übrig geblieben waren vage Meinungen, in privatem Kreis geäu- ßert, zum großen Teil in dieser wiedergegebenen Form von Finken- stein bestritten, die allesamt nicht justiziabel waren. Grotesk erscheint auch der "Nachweis" seiner kommunistischen Werbetätigkeit durch Verdrehung der Aussage: "Wenn er [Finkenstein] sagt, daß er bei Ge- sprächen mit Personen anderer politischer Anschauung selbstverständ- lich seine Ansicht zu begründen versucht habe, so gibt er damit be- schränkt zu, daß er bei jedem politischen Gespräch durch Begründung 47 seiner kommunistischen Überzeugung für den Kommunismus gewor- ben hat." Übrig geblieben war der Anklagepunkt, in seiner Wohnung Funktio- närsbesprechungen ermöglicht zu haben. Finkenstein hatte bestritten, davon Kenntnis gehabt zu haben. Allerdings hatte er hier einen schwe- ren Stand, da mehrere Zeugen zu Protokoll gegeben hatten, daß diese Besprechungen nicht ohne sein Wissen stattgefunden hätten. Die An- klage interpretierte dies als "getarnte Förderung" der illegalen KPD und verdrehte die Überlassung der Wohnung zu den illegalen Bespre- chungen zu einer von Finkenstein ersonnenen strategischen Entschei- dung mit dem Ergebnis "die gesamte geistige Beeinflussung der in Kassel illegal tätigen Kräfte in seine Hand genommen" zu haben. "Damit kommt die besondere Stellung, die der Angeschuldigte in der Kasseler KPD einnahm, der eines leitenden Funktionärs gleich." Die Anklageschrift endet mit einer weiteren persönlichen Diskriminierung: "Finkenstein ist nach alledem ein besonders gefährlicher Staatsfeind, der von Geburt an sich niemals als bejahender Staatsbürger in das Reich einfügen konnte und wollte, das ihm Gastrecht gewährte." Das Urteil vom 9. November 1937 Das Urteil erging im Anschluß an die Gerichtsverhandlung vor dem Strafsenat des OLG Kassel am 9. November 1937, bereits sechs Wo- chen nach Vorliegen der Anklageschrift. Ob ihm bei der Verhandlung ein Anwalt zur Seite gestanden hat, wissen wir nicht, da die Nieder- schrift über die Gerichtsverhandlung nicht zu ermitteln war. Im 28. Brief sprach er von "meinem Verteidiger RA. Kressner". Das Urteil wurde vom Strafsenat des OLG Kassel verkündet; an der Sitzung nah- men OLGR Dr. Osberghaus, OLGR Dr. Faber, OLGR Heynatz, OLGR Dr. Happel und Amtsgerichtsrat Bulang teil. Finkenstein wurde der Vorbereitung des Hochverrats schuldig erklärt und zu sieben Jahren und sechs Monaten Zuchthaus sowie zur Aber- kennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren verurteilt. Seine beschlagnahmten Bücher und Schriften wurden einge- zogen. 48 Das Urteil umfaßt 12 Blatt und weicht vom Tenor der Anklageschrift nur unerheblich ab. Allerdings wird darin noch stärker als in der An- klageschrift von ihm das Zerrbild eines ,Jüdisch-kommunistischen" Intellektuellen gezeichnet, der kühl im Hintergrund seine geistige Zer- setzungsarbeit betrieben habe, auch aus Angst um die eigene Sicherheit ("Feigheit" wird genannt - ausgerechnet bei ihm) andere die gefährli- che Organisationsarbeit habe machen lassen: "Eine derartige mehr im Hintergrund bleibende und durch intellektuelle Beeinflussung zerset- zend wirkende Betätigungsweise entsprach auch durchaus dem politi- schen Verhalten des Angeklagten vor der Machtübernahme und seiner ganzen typisch jüdisch-kommunistischen Einstellung." Oder am Ende der Urteilsschrift: "Der Art seiner Einsatzbereitschaft entsprach es, sich trotz starker politischer Aktivität nicht als Funktionär herauszustellen, sondern durch intellektuelle Beeinflussung im Kreise Gleichgesinnter die kommunistische Zersetzung vorwärts zu treiben. Gesinnungsmäßig ist er als erbitterter Feind des nationalsozialistischen Deutschlands an- zusehen, der rassebedingt nie aufhören wird, für die jüdisch-kom- munistische Weltanschauung einzutreten." Das Gericht konstruierte hieraus eine "besondere Stärke und Gefährlichkeit des vom Angeklag- ten betätigten verbrecherischen Willens." Das Gericht wollte nicht zur Kenntnis nehmen, obgleich Finkenstein es bei den Vernehmungen immer und immer wieder klar dargelegt hatte, daß er an der Organisa- tion der illegalen kommunistischen Arbeit keinen Anteil genommen hatte. Der Zeithistoriker Jörg Kammler nennt die tiefer liegenden Motive der Verfolger Finkensteins: "Als unorthodoxer, vielseitig interessierter und gebildeter Intellektueller, der durch seine Offenheit, Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft die Anerkennung und Zuneigung vieler Linker in Kassel gewann, war er eher das Gegenteil eines vorsichtig agierenden und umsichtig getarnten Illegalen. [...] Was die Verfolgungsbehörden des Regimes zu Recht fürchteten und zu vernichten trachteten, war die mit der Person Finkenstein verbundene Ausstrahlung eines Ortes gei- stiger Freiheit, kritisch-politischer Analyse und solidarischer Mensch- lichkeit." 49 Zu den Haftbedingungen* Kai Naumann, der die Verhältnisse im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden in der NS-Zeit systematisch untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, daß sich ab 1933 die Bedingungen der Gefangenen erheblich ver- schlechtert haben, insbesondere ihre Möglichkeiten, sich bei schlech- ter Behandlung zu beschweren. Zahlreiche Beispiele von Willkür und Schikanen, unter denen besonders bestimmte Kategorien von Gefan- genen zu leiden hatten, sind in seiner Studie ausgewertet. Finkenstein gehörte zu den politischen Gefangenen und wurde als ,,Halbjude" ge- führt. Beides war für die Schikanen, denen er durchgehend ausgesetzt war, entscheidend. Schreibverbot Für jeden Gefangenen stellen die Besuche und Briefe die einzige Verbindung zur Welt außerhalb der Gefängnismauern dar. Das Schreiben eines anspruchsvollen Briefes setzte aufwendige Vorbe- reitung und höchste Konzentration voraus, denn die Gefangenen er- hielten Briefpapier und Schreibgerät erst eine Stunde vor der Abgabe Wichtige Quellen und Literatur für dieses Kapitel: Naumann, Kai: Rechtsstaat- Iichkeit und nationalsozialistischer Strafvollzug - eineFallstudie. Unveröff Magister- Hausarbeit im Fach Mittlere und Neuere Geschichte im Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg 2000. - Dienst- und Voll- zugsordnung für die Gefangenenanstalten der preußischen Justizverwaltung (DVO) und Verordnung über die Durchführung der Untersuchungshaft (VDU) vom 1. Au- gust 1933, [Berlin 1933]. - Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7. Juni 1923, Reichsgesetzblatt H, 263-282. Der vollständige revidierte Text ist abge- druckt in: Blätter fl.ir Gefängniskunde 65 [1934] 1. Sonderheft. Heidelberg 1934. - Vereinheitlichung der Dienst- und Vollzugsvorschriften fl.ir den Strafvollzug im Be- reich der Reichsjustizverwaltung (Strafvollzugsordnung). (Amtliche Sonderveröffent- lichungen der Deutschen Justiz 21), Berlin 1940. - Hessisches Staatsarchiv Marburg: 251 Wehlheiden 1149. - Informationsstelle GhK: Sammlung Finkenstein. Nachge- lassene PapierevonKäte Westhoff. 50 des Briefes ausgehändigt; sie durften bzw. konnten sich vorher keine Notizen machen. Eine Verweigerung dieses Kontaktes zur Außenwelt, der selbst nach nationalsozialistischem Vollzugsrecht regelmäßig zu gewähren war, bedeutete daher eine schmerzliche Verletzung elementarer Lebensbe- dürfnisse, da die Beziehungen zu dem Lebenspartner, den Eltern, den Kindern, Angehörigen und Freunden abgeschnitten wurden. Für einen Gefangenen wie Finkenstein wirkten diese Verbotsmaßnahmen um so einschneidender, da für ihn als Intellektuellen Literatur und Sprache eine gestaltete Eigenwelt, ja ein Teil seines geistigen Lebens, seiner Identität darstellten. Für Zuchthausgefangene war vorgesehen, daß sie alle acht Wochen einen Brief schreiben und empfangen konnten. Briefe von Angehöri- gen oder Behörden durften auch häufiger entgegengenommen werden. Im Jahre 1940 wurde die Schreibfrist auf sechs Wochen herabgesetzt. Besuche sollten die Zuchthausgefangenen alle zwölf Wochen emp- fangen dürfen. Ein einklagbares Recht auf diese Bestimmungen hatten die Gefangenen jedoch nicht. Gegen Finkenstein wurden sowohl im Untersuchungsgefängnis wie auch im Zuchthaus jeweils lang anhaltende Schreibverbote verhängt. Es hatte in seiner Haftzeit drei Perioden gegeben, in denen ihm von der Gefängnisleitung ein Schreibverbot, oft mit.einem Besuchsverbot verbunden, auferlegt wurde: vom 23. Juli 1935 bis Dezember 1935 (fünfeinhalb Monate), vom Mai (evtl. Februar) 1936 bis zum 21. Mai 1937 (zwölf, evtl. fünfzehn Monate) vom September 1940 bis Ostern 1943 (dreißig Monate). Finkenstein war mithin während seiner 100 Haftmonate das Schreiben von Briefen an Käte Westhoff seiner einzigen und wichtigsten Le- benspartnerin, 47 und einen halben Monat lang, d.h. fast die halbe Zeit, verwehrt. Die erste Periode, in der er nicht schreiben durfte, reichte vom Zeit- punkt seiner Verhaftung am 23. Juli 1935 bis kurz vor Weihnachten desselben Jahres. Für diesen Zeitraum ist zwar kein Schreibverbot nachweisbar; da er jedoch in dieser Zeit keinen Brief geschrieben hat, nehmen wir an, daß er, der schreiben konnte und wollte, hierzu fak- 51 tisch keine Möglichkeit bzw. Genehmigung erhalten hatte. In der Un- tersuchungshaft hatte - wie heute auch - der Untersuchungsrichter die Aufgabe, den Briefwechsel zu kontrollieren. Prinzipiell war der Briefwechsel keiner zeitlichen Beschränkung unterworfen. Sein erster Brief in der Haft wurde am 15. Dezember 1935, offensichtlich mit Blick auf Weihnachten, geschrieben. Finkenstein war sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher, ob dieser BriefKäte Westhoff tatsächlich erreichen werde. "Wenn diese Blätter in Deine Hände kommen, ver- suche doch auf dem gleichen Wege (über das Gericht) mich wissen zu lassen, wie es Dir geht [...]", formulierte er und deutete damit an, daß der Untersuchungsrichter ihm diese Möglichkeit der Mitteilung eröff- net hatte. Die zweite Periode, die vom Mai 1936 bis zum 21. Mai 1937 reichte, war durch ein nachweisbares ausdrückliches Schreib- und Besuchs- verbot gekennzeichnet. Mit der Verlegung Finkensteins von dem Ge- richtsgefängnis in die Strafanstalt Kassel-Wehlheiden am 28. Mai 1936 teilte der Untersuchungsrichter am Oberlandesgericht Kassel, OLGR Dr. Friedrich Wolff, mit, "daß Finkenstein überhaupt keine Besuche jeglicher Art empfangen und keine Briefe schreiben darf." Als Begründung für das Verbot war angegeben: "U.a. ist Finkenstein im Besitz eines Morsealphabets gewesen und hat sich auf diesem We- ge mit Gefangenen verständigt." Konnte diese sehr allgemein gehalte- ne Anschuldigung, die in keiner Weise konkretisiert wurde, nicht auch vorgeschoben sein? In den Gefängnisakten gibt es hierzu keine näheren Hinweise; und so bleibt offen, mit welchen Gefangenen Fin- kenstein sich verständigt haben, was der Zweck dieser Verständigung gewesen sein soll und ob Maßnahmen der Aufsicht veranlaßt wurden. "Ein ganzes Jahr lang - genau vom Mai 1936 bis zu Deiner Ver- handlung [21. Mai 1937] - hatte ich keine Möglichkeit, Dir zu schrei- ben, und in dieser Zeit war das die allerschwerste Qual und Not für mich." Wir nehmen allerdings an, daß das Schreibverbot, vieIleicht auch das Besuchsverbot, erheblich früher, und zwar unmittelbar nach seinem Brief vom 15. Februar 1936, gegen ihn wirksam geworden ist. Bereits ab diesem Datum ließ sich nämlich für lange Zeit kein Brief Finkensteins ermitteln. Offenbar hat es dann im Juli 1937 ein Ge- spräch zwischen dem Untersuchungsrichter und Finkenstein gegeben, 52 von dem er berichtete, "daß jede Postbeschränkung, der ich zeitweise unterworfen war, aufgehoben sei und ich achttägig schreiben könne und auch Briefe an mich ohne Schwierigkeit weitergeleitet würden." Demnach hatte es auch mit der Aushändigung der Briefe an ihn Schwierigkeiten gegeben. Die dritte Periode reichte vom September 1940 bis Ostern 1943. Sie richtete sich gezielt gegen den persönlichen Briefverkehr mit Käte Westhoff. Der Briefwechsel mit ihr war bereits in den Jahren zuvor gelegentlich behindert worden. Im Herbst 1940 schaltete sich die Ge- stapostelle Kassel ein. Auf einem einbehaltenen Brief von ihm an Käte Westhoff vermerkte die Gefängnisleitung: "Beanstandet. Außer- dem ist auf Anordnung der Stapo jeder nicht geschäftliche Brief so- wie Besuch mit Käte Westhoff verboten." Da auf Käte Westhoff Druck ausgeübt wurde, die Beziehung zu Kurt Finkenstein wegen sei- ner jüdischen Herkunft zu lösen, könnte dieses gezielte Schreib- und Besuchsverbot antisemitischen Motiven entsprungen sein. "Ich emp- fehle Ihnen, den Verkehr mit K. Finkenstein einzustellen. Die Mutter des F. war eine Jüdin. Da F. unehelich geboren ist, besteht die Mög- lichkeit, daß auch der unbekannte Vater Jude war. Unter diesen Um- ständen machen Sie sich strafbar, wenn Sie weiterhin mit F. verkeh- ren. Heil Hitler", schrieb ein Reallehrer Engel, der offenbar im Zucht- haus tätig war, am 19.12.1938 an Käte Westhoff. Der folgende Passus im nächsten Brief Finkensteins an Käte W. ist nur vor diesem Hinter- grund zu verstehen: "Wie mir gesagt worden ist, steht einer Briefver- bindung im Rahmen der üblichen Bestimmungen nichts im Wege; teile mir also bitte recht bald mit, von welcher Stelle und mit welcher Begründung Du seinerzeit andere Anweisungen bekommen hast. Auch wäre mir lieb zu wissen, ob überhaupt und welche Versuche Du gemacht hast, solche Entscheidungen, die ja nicht nur unsere persön- lichsten Dinge berühren, sondern mir die Wahrnehmung meiner mate- riellen Interessen verhindern, rückgängig zu machen. Du bist der ein- zige Mensch, den ich auf der weiten Welt habe, zur Erledigung dieser lächerlich verfahrenen Dinge; wie ich ohne persönliche Aussprache das ordnen soll, ist unklar!" Finkenstein konnte also zweieinhalb Jahre lang keinen Brief an Käte Westhoff richten. Als er es im Januar 1941 dennoch versuchte, wurde 53 dieser Brief mit folgender Bemerkung einbehalten: "Hat ohne Erlaub- nis an Geliebte geschrieben. Z.d.A. Harder." Angesichts dieser Situation bemühte sich Finkenstein, zumindest über Briefe an seine Söhne - das Verhältnis der Söhne zu dem Vater war durch Distanz und Abwehr gekennzeichnet, besonders bei dem älteren Peter - auch Käte Westhoff Lebenszeichen zukommen zu lassen. Als Anschrift dieser Briefe an die Söhne findet sich nämlich "Maulbeer- plantage 13" - die Wohnung Käte Westhoffs! Erst Ostern 1943, nachdem auch sein zweiter Sohn Peter im Osten ums Leben gekom- men war, kein Verwandter als Adressat mehr für ihn zur Verfügung stand, wurde ihm offenbar gestattet, wieder an Käte Westhoff zu schreiben, wenn auch scharf zensiert und in verstümmelter Form (Teile waren herausgeschnitten worden). Aus dem Lager Breitenau am Jahresende 1943 durfte er dann wieder an sie schreiben. Von dort stammt auch sein letzter erhaltener Brief. Besuchsverbot Mit dem Schreibverbot war nicht selten das Verbot, Besuch zu emp- fangen, verknüpft. Es fällt auf, daß nur wenige Menschen während der 100 Monate Haftzeit Finkenstein aufsuchten: seine erste Frau einmal (um über die [rassische?] Herkunft seines - auch ihm offenbar unbekannten - Vaters auszusagen, da ein Sohn beruflich einen ent- sprechenden Nachweis benötigte); Frau Schulke wahrscheinlich ein- mal (aus geschäftlichen Gründen), Käte Westhoff, die ja erst im Mai 1938, nach der Entlassung aus den Konzentrationslagern, wieder in Freiheit war, fünfmal, wobei sie einmal sein Sohn Martin begleitete. Insgesamt sieben Besuche in fast achteinhalb Jahren! Wo waren seine zahlreichen Freunde und Weggeführten aus dem Kasseler Geistes- und Kulturleben und auch von außerhalb geblieben? Wo seine Be- kannten, die sein offenes Haus, seine Gastfreundschaft gerne in An- spruch genommen hatten? Briefe von ihnen oder abgelehnte Be- suchsanträge sind nicht überliefert. Auch findet sich nur sehr selten in seinen Briefen eine Danksagung für einen ihm über Käte W. über- mittelten Gruß von Freunden und Bekannten. An seinem Schicksal 54 Anteil nehmende Briefe liegen von Alfred Vocke und Elfriede Fin- kenstein, jeweils an Käte Westhoff gerichtet, vor. Käte Westhoff sah sich neben dem auferlegten Schreibverbot auch ei- nem ausdrücklichen Besuchsverbot ausgesetzt. Von den fünf Besu- chen waren ihr die letzten beiden genehmigt worden - jeweils anläß- lieh des Todes von Peter und Martin Finkenstein, die als Soldaten ums Leben gekommen waren. Zwischen 1940 und 1942 wurden ihr drei Besuchsanträge abgelehnt. Die erste Ablehnung wurde mit den Worten begründet, sie sei "nicht die Braut im gewöhnlichen Sinne, [...] hat früher den Haushalt des F. geführt; war in Schutzhaft". Die Ge- schäftsangelegenheiten könne sie schriftlich erledigen. Anwaltsbesuche hat es gegeben; in den Akten ist ein einziger erwähnt. Briefzensur Für die Überwachung des Schriftverkehrs der Gefangenen war der Vorsteher der Anstalt verantwortlich, in der Strafanstalt Kassel- Wehlheiden in jener Zeit Oberregierungsrat Alfred Harder. Zahlreiche Briefe Finkensteins wurden beanstandet und/oder einbehalten. Auf- fallend erscheint an der Handhabung der Kontrolle der Briefe Finken- steins eine bürokratische Vorschriftentreue, die gegenüber dem krea- tiven, belesenen und weltläufigen Geist Finkensteins hilflos erscheint und eine kleinlich-aggressive, machtbewußte Gehässigkeit. Die in- haltlichen Maßregelungen seiner Korrespondenz häuften sich nach seiner Verurteilung im November 1937. Zehn Briefe von ihm wurden einbehalten, wobei er nur in drei Fällen einen Ersatzbrief schreiben durfte. Aus zwei weiteren Briefen wurden Teile herausgeschnitten und zu den Akten genommen. Noch relativ harmlos war die Begrün- dung für die Einbehaltung des Briefes vom 8. Mai 1938: ,,[F.) kann den Brief sachlich - unter Weglassung aller Angriffe - wiederholen". Der Inhalt der Briefe dürfe nur "wirtschaftliche und persönliche Fra- gen behandeln", hatte die Gestapo moniert. Dieser zunächst einbe- haltene Brief, der dann - als einziger übrigens - später doch freigege- ben wurde, enthielt drei Gedichte, in denen Finkenstein seinen musi- kalischen Phantasien und Erinnerungen der Weimarer Zeit melancho- lisch nachsann. 55 Sein Briefvom Februar 1939 wurde "gemäß § 122 D.V.O. wegen sei- nes feindlichen und beleidigenden Inhalts beanstandet. [...] Sämtliche Sendungen, die den Gefangenen Finkenstein betreffen, sind dem Poli- zeiinspektor gesondert zur Zensur vorzulegen." Einen "feindlichen und beleidigenden Inhalt" hatte die Zensur in folgender Passage ge- funden: "In keinem Fall werde ich freiwillig in einem Land bleiben, das mir so derb gezeigt hat, daß es mich nicht wünscht. Welch ein Glück, daß ich eine Heimat habe, die mir selbstverständliche Rechte nicht schmälern wird - in diesem Sinne bin ich ja viel besser dran als jene armen Unglücklichen, denen man neben so vielem anderen auch diesen letzten, besten Besitz entreißt, indem man sie jeder Gemein- schaft beraubt." Die Zensur notierte hier am Rande das Wort .Juden'. Die Verfügung enthielt noch folgende Bemerkung: "eine große Un- verschämtheit, der Brief sollte nicht abgehen, der Briefverkehr mit W.[Le. Käte Westhoff] müßte unterbunden werden {F. ist Halbjude oder gar Volljude, ein übler Hetzer und Deutschenfeind)." Auf diese hier formulierte Unterbindung des Briefverkehrs mit Käte Westhoff ist bereits eingegangen worden. Seine Trauer über den Tod seines Sohnes Martin, die er am Todestag ein Jahr später in einem Gedicht an den Sohn Peter niederschrieb ("Kommst du wirklich nie und nimmermehr zurück, mein Kind? Warum?"), wurde zensiert - und zu den Akten genommen. Dort findet sich das Motiv: "Solche Ergüsse widersprechen dem Sinn des Brief- verkehrs eines Strafgefangenen - Beanstandet". War es vielleicht der Vers "Und so schweigt mit Dir die unabsehbar lange Front! eines rie- sengroßen namenlosen Totenheeres, die sich weitet bis zum allerfern- sten Horizont! von der Murmanküste bis zum Rand des Schwarzen Meeres", der die Zensur auf den Plan gerufen hatte? Naumann weist darauf hin, daß hier nicht die Gedichtform als solche, sondern nur der Inhalt Gegenstand des Anstoßes gewesen sein kann. Unter anderen Umständen war nämlich Lyrik weniger verpönt. Unter den Verwal- tungsakten fand Naumann ein Heft mit national-mystischen Propa- gandagedichten eines Gefangenen von 1943. Später wurden dann bestimmte Briefe Finkensteins ohne nähere Er- läuterung mit "ungeeignet, zu den Akten" bezeichnet und eingezogen. 56 Strafen Nach dem Urteil am 9. November 1937 wurde Finkenstein in "strenge Zellenhaft" gelegt; er kam in eine "Sicherheitszelle", hatte nachts sei- ne "Kleider heraus[zu]legen" und befand sich ein Einzelhaft. Wegen des erwähnten, vermeintlich "staatsfeindlichen und beleidigenden" Briefes vom Februar 1939 erhielt er sieben Tage Arrest. Es war nicht die einzige Arreststrafe. Im Juli 1941 erhielt er wieder 3 Tage Arrest, weil "mehrere beschriebene Briefbogen und Zettel in der Zelle gefun- den" worden waren. Im Januar 1941 berichtet ein Hilfsaufseher Kraft: Auf mehrfache Er- mahnungen, seine Zelle und Geschirr sauber zu halten, "gab er mir zur Antwort, ich möchte ihn anzeigen, denn er wäre körperlich so schwach, daß er dieses nicht machen könnte." Darauthin - auf die stattgehabte Anzeige des Hilfsaufsehers hin - erhielt Finkenstein "aus Erziehungsgründen 3x kein Mittagessen. Wenn er am Sonntag die Zelle sauber hat, kann der weitere Vollzug unterbleiben (Am Sonntag kein Essen)." Diese Verfügung kam vom Polizeiinspektor Jacoby. Aus einem nicht datierten Eintrag (vermutlich aus dem Jahre 1942) ist zu entnehmen, daß er mehrfach mit Essensentzug bestraft wurde: "Der Gef.[angene] Finkenstein hat während der Arbeitszeit gelesen. F. ist erst kürzlich mit Kostentzug bestraft worden, weil er sein Ar- beitspensum nicht geschafft hat. F. gehört: Ich habe nicht gelesen, sondern gelernt, und zwar Italienisch. Ein italienisches Gedicht habe ich auswendig gelernt. Mein Pensum habe ich geleistet. - Aus Erzie- hungsgründen 3x kein Mittagessen." Auch was nach Schikane aussah, hatte seine Methode: Der Gefangene war nach der preußischen Vor- schrift von 1933 verpflichtet, über sein Pensum hinaus weiter zu ar- beiten. Arbeiten Finkenstein hat die üblichen zumeist stumpfsinnigen Arbeiten inner- halb des Zuchthauses gemeinsam mit Mitgefangenen ausführen müs- sen. Dabei war stets ein bestimmtes Arbeitspensum zu schaffen, an- dernfalls drohten Strafen. Außerdem erhielten die Gefangenen erst ab 57 Erreichen des Pensums zwölf Pfennige am Tag als "Lohn". Er hat Bindfäden aufgezwirnt und an der Herstellung von Peitschen und Kupferringen gearbeitet. Auch für Henschel-Textil war er tätig. Auf- grund seiner starken Gewichtsabnahme ist er vom Anstaltsarzt für die Zeit vom 13. Dezember 1941 bis 13. März 1942 und vom 7. April bis 7. Juli 1942 "auf ein halbes Arbeitspensum gesetzt" worden. Der Ge- wichtsverlust Finkensteins während der Inhaftierung war auffallend und selbst unter Berücksichtigung der allgemein schlechten Ernäh- rungsverhältnisse im Zuchthaus zu jener Zeit ungewöhnlich. Bei sei- ner Einlieferung (28.5.1936) in die Strafanstalt Wehlheiden wog er 89,9 kg, bei der Entlassung (9. November 1943) 70,0 kg; er hatte 22% seines Körpergewichts verloren. Im 37. Brief vom 5. Juli 1939 ver- wies er bereits auf den Gewichtsverlust: "Ich wiege 70 kg. Somit habe ich in der Haft über ~ meines Gewichts verloren." Lektüre Für den belesenen und an Literatur interessierten Finkenstein war die Nutzung der spärlichen Bibliothek der Haftanstalten - in Niveau und Größe mit seiner umfangreichen Privatbibliothek nicht vergleichbar - immerhin doch besser als nichts. So finden sich gelegentlich Hinwei- se auf Titel dieser Gefängnisbücherei, besonders während der Unter- suchungshaft - u.a. las er dort Hans Grimms "Volk ohne Raum". Er hat später Käte Westhoff Bücherlisten mitgeteilt und sie gebeten, ihm für den Tag nach seiner Entlassung aus der Haft bestimmte, von ihm sehr präzis benannte Titel zu beschaffen. Ansonsten blieb er auf Ge- nehmigungen bzw. "Vergünstigungen" der Anstaltsleitung verwiesen. Von der Möglichkeit, am Unterricht in der Anstalt teilzunehmen, be- richtet er mit keinem Wort. Unterricht war auch in der Weimarer Re- publik vor allem den jüngeren Gefangenen unter 30 Jahren zugedacht gewesen. Im überlasteten Vollzugssystem des NS-Staates wurde er massiv vernachlässigt. Finkenstein mußte den Eindruck gewinnen, daß aus der Sicht der An- stalt das Lesen und Lernen als solches der Arbeitspflicht gegenüber als beiläufig wenn nicht störend angesehen wurde. 58 Ein Vorgang ist in den Akten festgehalten, der das Erlernen einer fremden Sprache unter völkischen Gesichtspunkten abzulehnen bzw. einzuschränken suchte: Im März 1938 beantragte Finkenstein die Aushändigung eines französischen Lehrbuches. Dazu vermerkte und entschied die Gefängnisleitung zunächst: "Finkenstein ist staatsfeind- lich eingestellt und will nach seiner Entlassung ins Ausland gehen, wahrscheinlich um gegen Deutschland zu hetzen. Verfügung: Abge- lehnt." Der in der Anstalt tätige Oberlehrer Adam bemerkte einen Tag nach dieser Entscheidung, daß ihm französische Bücher aus der Ge- fängnisbücherei gewährt werden können, "wenn solche verfügbar sind und sie nicht für frühere Entlassungen nötiger gebraucht werden." 59 Abb.6 K äte WeslhofT(1 94S) 60 Kurt Finkenstein: Briefe aus der Haft Kurt Finkenstein wurde nach seiner Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei am 23. Juli 1935 fast zwei Monate in Polizeihaft gehal- ten, wahrscheinlich im Polizeipräsidium Kassel im Konigstor, bevor er am 20. September 1935 in das Gerichts- bzw. Untersuchungsgefängnis Kassel in der Leipziger Straße 11 verlegt wurde. Dort blieb er bis En- de Mai 1937. Dann wurde er aufdirektem Weg dem Gefängnis Kassel- Wehlheiden überstellt. Aus dieser Zeit der Haft im Gefängnis in der Leipziger Straße sindfünf Briefe von ihm erhalten. Der erste erhalteneBriet wahrscheinlich der erste überhaupt, den er an Käte Westhoffrichten durfte, ist am 3. Adventssonntag, dem 15. Dezem- ber 1935, aufgegeben. Fünf Monate lang waren er und Käte Westhoff, die mit ihm verhaftetworden war und in der Frauenabteilung im selben Untersuchungsgefängnis eingesperrt war, schon voneinander getrennt. Dieser Brief, der" über das Gericht'~ gegangen ist, war noch in der Un- gewißheit abgesandt, ob er sie überhaupterreichen werde. Es ist dies der erste einer Reihe von Briefen 'aus einer Zelle in die an- dere Zelle' im Kasseler Untersuchungsgefängnis. I Als Untersuchungsgefangener im Gerichtsgefängnis Kassel (20. September 1935 bis Ende Mai 1936) I. Brief An Käte Westhoff Kassel, am 3. Adventssonntag 1935 Mein liebster, teuerster Herzensschatz, da in wenigen Tagen nicht nur das Weihnachtsfest ist, sondern ja auch Dein Geburtstag, will ich wenigstens versuchen, Dir zu diesem Tag 61 meine herzlichsten, innigsten Glückwünsche zu senden! I Seit vielen Jahren ist es ja dieses Mal das erste und hoffentlich für ein weiteres Leben das letzte Mal, daß wir diesen Tag nicht zusammen verleben dürfen! Du glaubst nicht, wie sehr ich unter dem Gedanken leide, daß ich es bin, der die alleinige Schuld an dieser jetzigen Lage hat! Wenn ich in den langen Nächten schlaflos liege oder am Tag durch trübe Scheiben starrend an die schier unermeßliche Fülle von Glück und Liebe denke, die Du in all der Zeit über mich ausgegossen hast, so kann ich es nicht fassen, daß der Lohn für all das nun eine Gefängnis- zelle ist, in der Du diese schönsten Tage des Jahres verleben mußt! Du wirst vielleicht an die Zeiten denken, in denen es mir möglich war, Dir am Christabend und an Deinem Geburtstag an meiner Seite eine Hei- mat zu schenken, in der Du guten Mutes Dich geborgen fühlen durf- test, und weil ich nicht will, daß angesichts der trostlosen Veränderung zu schwerer Kummer Dein Herz drückt: deshalb schreibe ich heute diese paar armen Seiten, und deshalb hoffe ich, daß sie auch in Deine Hände kommen! Je länger unsere Trennung dauert, desto fester fühle ich, wie stark die Bindung ist, die unser Leben aneinander kettet und wie sehr wir für alle Zeit und Ewigkeit füreinander bestimmt sind! Glaube mir, mein armer Liebling, daß in den trüben Wochen, die hinter mir liegen, nur ein Gedanke mich ganz beherrscht hat: der Gedanke an Dich und unser gemeinsames Leben! Alle anderen Sorgen und Befürchtungen - so laut sie manchmal sich vordrängen mochten - sind hingegen wie Spreu im Winde, mögen sie sich nun um Geschäft und Existenz, um das Schick- sal meiner Kinder oder auch um meine Freiheit und den zu erwarten- den Prozeß drehenf Was immer auch dort oder hier sich zu meinen 1 Käte Westhoffhatte am26.Dezember Geburtstag. Siewurde 32Jahre alt. 2 DieTrennung von seiner Frau Elfriede Flnkenstein, geb. Tautz, mitder er seit dem 24. Februar 1919 verheiratet war. erfolgte 1930: sie selbst war daraufhin mit den Kin- 62 Ungunsten entwickeln möge, wird nicht imstande sein, meine Gemüts- ruhe sehr stark zu erschüttern, solange ich weiß, daß Deine Liebe mir gewiß ist! Und in diesen 150 Tagen, die wir nun getrennt sind, habe ich niemals einen Augenblick nur an dieser Liebe gezweifelt und bin stark und fraglos in dieser Gewißheit geworden! Welch ein Wunder ist dies: Vor vielen Jahren hast Du mein Herz mit Glück und Freude ge- füllt bis zum Rande, daß ich wohl Glaubens war, nichts hätte mehr Raum in dieser Überfülle; und doch durch all die Zeit zu erfahren, täg- lich, stündlich, reicher, gesegneter zu werden! Wie danke ich Dir für dies alles! Wie könnte ich anders denken, als durch die Versicherung, daß ich weiß: Durch alle Liebe, durch alle Hingabe, durch alle Treue, die ich Dir den Rest meines Lebens bewahren werde, kann ich ja nur einen geringsten Teil dessen Dir wiedergeben, was Du bis heute schon mir geschenkt hast und was allein mein Leben froh, glücklich und er- füllt gemacht hat, nachdem ich eine andere, ach so schmerzhafte Erfah- rung habe überwinden müssen, die mir gewiß auch ein gemessenes Teil Herzblut gekostet hat! So sind alle meine Zukunftsgedanken auf ein einziges Ziel gerichtet: auf Dich, nur auf Dich - alles andere ist unwichtig und wird seine Lö- sung oder Auflösung gewiß sinngemäß und notwendig erfahren! Wichtig bist von allen Dingen dieser Welt mir nur noch Du; Dein Glück, Deine Freude, Dein Wohlergehen werden der Inhalt meines Le- bens und meines Bemühens sein! Und meine Gedanken an Dich sind nicht die Gedanken an die Frau, die nun sechs Jahre bald mein Leben als Frau in bösen und hellen Stunden, an beschwerten Tagen und be- schwingten Nächten geteilt hat, sondern sie sind gerichtet auf jenes Wesen, das Du mir alle Zeit gewesen bist: die Geliebte, die täglich sich erneuernd in 10 Jahren für mich nicht einen Tag gealtert ist und in de- dernPeter(geb, am3. August 1919in Leipzig) und Martin (geb, am 10. August 1920in Kassel) in ihre Heimatzu ihrenElternnach Schreiberhau in Oberschlesien gezogen. 63 ren Erwartung ich heute lebe, als sähe ich sie am kommenden Tag der Freiheit zum allerersten Male! Dieses, meine liebste Käte, ist es, was ich Dir heute ungefähr sagen wollte in der Hoffnung, daß einige Worte von mir imstande wären, in die trüben und unguten Festtage, die Dich erwarten, einen kleinen Schein von Licht und Freudigkeit zu tragen! Wollen wir beide hoffen, daß das Lebensjahr, das für Dich mit dem verklingenden Weihnachtsfest beginnt, Dir ein froheres, glücklicheres und schöneres werden wird, als es das nun endende gewesen ist! Und möge ein günstigeres Schicksal es so wenden, daß nun endlich Wahr- heit werden wird, was bisher nicht erfüllt worden ist! Daß Du Deinen nächsten Geburtstag endlich, nach so viel Hindernissen! - als meine angetraute Frau erleben wirst!! Es wäre jetzt vielleicht noch angebracht, Dir mitzuteilen, was das Ge- schäft macht, was ich sonst an Wichtigem oder Wissenswertem erfah- ren habe - aber bei näherem Zusehen ist das alles so unsäglich gleich- gültig: Mir ist um all das nicht bange, in irgendeiner Weise werden wir ja bestimmt mit allem fertig werden, wie schlimm und hoffnungslos auch manches aussehen magf Ich möchte auch gerade heute Dein Herz nicht schwer machen, zu was sollen traurige Hirngespinste tau- gen, mit denen man nur den schweren Tag noch schwerer macht! Des- halb bitte ich Dich: Mache Dir keine Sorgen um Geschäft und Zukunft, um Existenz und Auskommen! Wir werden bestimmt das Notwendige immer haben, denn ich kann ja schließlich mein Handwerk, und wenn W.H. nicht imstande ist, unseren Betrieb zu erhalten, oder, wie mir fast erscheinen will, wenn er uns gegenüber eine Hinterhältigkeit im Sinn hat: Was schadet das schon? In dem Augenblick, der mir die Freiheit 3 Das Zahntechnische Laborund die Wohnung in der Karthäuserstraße mußte Fin- kenstein seinem Angestellten W.H. überlassen, der ihn in dieser Hinsicht bitter ent- täuscht hat. Von ihm fühlte er sich hintergangen und bestohlen. Überhaupt gestaltete sich diese Sorge um Labor und Wohnung äußerst schwierig, da offensichtlich nie- mand sich darum kompetent und verantwortlich kümmerte, 64 wiedergeben wird, werde ich schon Mittel wissen, die geringen Be- dürfnisse zu befriedigen, die wir haben! Ich möchte so sehr gerne wis- sen, daß Du deshalb Dir keine Sorgen machst! Da ich von W.H. seit vielen Wochen nichts höre - und ehrlich gesagt auch nichts hören will - habe ich Frau Schulke gebeten, mir mitzuteilen, was bei uns eigent- lich los ist: Sie hat mir vor ein paar Tagen geantwortet. Aus ihrem Brief sehe ich, daß W.H. ihr gegenüber sehr geklagt hat und scheinbar auch anfangt, den Kopf zu verlieren. Dabei hat er unsere Wohnung vermietet wie sie ist und erhält 75,- M Miete dafür! Trotzdem er also so gut wie mietfrei wohnt, hat er kein Geld, um Dir oder mir zum Ein- kauf etwas zu schicken! Durch Frau Schulke habe ich nun den Schrei- ner G.W. bitten lassen, uns etwas zu schicken, denn ich möchte doch zu gerne wissen, daß Du über die vielen Feiertage wenigstens etwas Butter u.s.w. beschaffen könntest!" Auf frühere Bitten von mir und ei- ne Klagedrohung Dr. Heermanns hat G.W. nicht reagiert (!), nun bin ich begierig, ob er sein Versprechen hält.5 Auch an Helmschmidt habe ich wegen der Krankenkassenverrechnung Arnold geschrieben, meiner Auffassung muß er das Geld schon sehr lange abgerechnet und erhal- ten haben! Meine frühere Frau hat mir zweimal geschrieben: Zuerst, daß Peter schon seit 1. August nicht mehr bei Junkers ist, aus Dir leicht erklärli- chen Gründen (zwei gefallene Brüder der Mutter können dagegen nicht aufkommen!), und daß er nach seiner Heimkehr sehr schwer an Scharlach erkrankt war, weshalb er über sechs Wochen im Kranken- haus war!" Später hörte ich dann, daß glücklicherweise alles gut zu 4 Dankbar griff er auf die Hilfe des Ehepaars Schulke zurück; beide waren ihm, vermutlich aus der Zeit vor 1930 als Vermieter von Käte Westhoffs Zimmer in der Kasseler Moritzstraße, bekannt. 5 Dr. Dr. Kurt Heermann war Rechtsanwalt in Kassel; er vertrat Finkenstein in ge- schäftlichen Angelegenheiten 6 Die Gründe für die Beendigung des Lehrverhältnisses von Peter Finkenstein bei 65 Ende ist, Peter sich um Aufnahme in ein Gymnasium bemüht, um sei- nen ersten Plan, Theologie zu studieren, wieder aufzunehmen! Wie wenig das meinen Wünschen zusagt, kannst Du Dir denken! Im Herbst war die Sippe Vocke in Schreiberhau zu Gastf Es geht nichts über ein dickes Fell! Suse Vocke will nach beendetem Studium an die Stern- warte in Windhuk (ehern. Südwestafrika), während die Kleine - eben aus der Schule gekommen - schon verheiratet ist! Doch genug von an- dem Leuten. - Mir geht es körperlich und geistig sehr gut, ich fühle mich frisch und kräftig, wie ich es vorher niemals in solcher Lage für möglich gehalten hätte. Natürlich vermisse ich körperliche und noch mehr geistige Tä- tigkeit, aber ewig kann dieser Zustand ja nicht dauern! Wenn er nur endlich für Dich ein Ende hätte! Dann wäre mir noch sehr viel freier und froher ums Herz! Sehr viel Sorge - die einzige Sorge, die mich überhaupt ernstlich be- drückt - macht mir die Ungewißheit über Dein Ergehen und Dein Wohlbefinden. Wenn diese Blätter in Deine Hände kommen, versuche doch auf dem gleichen Wege (über das Gericht) mich wissen zu lassen, wie es Dir geht und was Du gesundheitlich und seelisch machst. Wenn Du schreibst, sei aber aufrichtig, es liegt mir nichts an beruhigenden Redensarten, sondern an der Wahrheit! Wenn Du Sorgen oder Kum- mer hast, sollst Du Dich mir anvertrauen, weil Du vielleicht weißt, daß ich auch diese redlich mit Dir teilen will! der Firma Junkers ließen sich nicht ermitteln. Rassische Diskriminierung ist nicht auszuschließen, da Peter Finkenstein nach der antijüdischen Reichsgesetzgebung seit 1933 als "nichtarisch" galt. 7 Die Familie Alfred Vockes, Professor an der Staatlichen Kunstakademie, war mit der Familie Finkenstein befreundet; Vocke selbst unterhielt weiterhin die Beziehung zu Frau Elfriede Finkenstein und nach deren Tod im Oktober 1939 auch zu den bei- den Söhnen Peter und Martin. 66 Ich schließe jetzt in der Hoffnung, Dir eine Freude gemacht zu haben und küsse herzlich Deinen Mund und Deine guten Augen als Dein Dich täglich mehr liebender Kurt PS: Strupp geht es gut und Frau Schulke läßt Dich herzlich grüßen!" 8 Strupp ist der Namedes Hundes. 67 2. Brief An Käte Westhoff Kassel, an Deinem Geburtstag, Weihnachten 1935 Laß des Lebens Stürme wehen: Hoch den Kopf und hoch den Mut! Laß doch, was da will geschehen: Bald ist alles wieder gut! Alles geht vorbei auf Erden - Alles wechselt mit der Zeit - Einmal muß es besser werden, Bald ist es so weit! Meine liebste, einzige Käte, wenn es nicht so sehr töricht klingen würde, müßte ich Dir heute schreiben: Das glücklichste Weihnachtsfest, das ich je erleben durfte, ist das gegenwärtige gewesen! - Und der Grund hierfür: Dein so un- sagbar lieber und einziger Brief, die Worte, die Du aus Deiner Zelle in die meinige geschickt hast und die mir für viele Tage alle Mauem und Beschränkungen hinweggezaubert haben, daß mir zumute ist, als säße ich mit Dir wie früher so manches Mal in einer schönen Landschaft, Deine Hand in die meine gepreßt! Ach, mein liebster Schatz, wie wäre es heute gewesen, wenn wir ein Fest hätten erlebt, wie schon so manches glückliche Mal? Wir hätten ein wenig besser zu essen gehabt, ein kleiner Lichterbaum stünde in dem Zimmer neben dem traulich knisternden Ofen; ein paar Geschen- ke hätten unser Herz erfreut! Vielleicht säßest Du eben in dieser Stun- de neben mir, auf eine neue Platte lauschend, vielleicht auf die neue L. Boyer: L'amour vient et s'en va!, oder wir blätterten zusammen in 68 den Büchern, die ja immer gerade jetzt so reichlich zu kommen pfleg- ten - wir wären gewiß zusammen sehr glücklich und ohne Wunsch! So wie wir es ja gewesen sind in all den Jahren, die wir zusammen leben durften! Aber eines hätte uns, oder richtiger mir, dieses sicher trauliche und wärmende bürgerliche Glück nicht geben können, und das gerade ist es doch, was' mir just dieses Mal als Gottes Geschenk zuteil geworden ist: diese Deine Worte: "Ich bin froh, mit Dir das gleiche Los tragen zu dürfen!" - Wie soll ich diese Worte jemals Dir vergelten? Ach Du liebste, beste Frau, wie leicht ist es doch gewesen, die schönen Tage zu teilen; wie einfach ist es, Freude zu teilen! Aber daß Du ohne Vorwurf und ohne Klage so zu mir stehst, jetzt wo Du doch einzig um meinet- willen in dieser wahrlich traurigen Lage bist, durch meine Schuld nun auch der Freiheit beraubt, nachdem Du schon Stellung und Selbstän- digkeit mit Lachen geopfert hast, daß Du jetzt noch so zu mir sprichst: Hätte ich das jemals erfahren können ohne das Unglück, welches uns betroffen hat? Und kann ich nicht rechtens sagen, ich sei dieses Jahr mit einem wahrhaft glücklichen Fest beschert worden! Denn wie viele Menschen sprechen zueinander "ich lasse nicht im Unglück von dir!", und wie wenig kommen je dazu, das auch zu beweisen im wirklich eintretenden Fall? Begreifst Du nun, weshalb ich auch dieses Erlebnis nicht mehr vermis- sen möchte im Leben? Denn nun haben wir außer dem gemeinsamen Glück auch das gemeinsame Leid, und mehr als jenes wird dieses uns zusammenschmieden, daß wir nie, nie mehr in diesem Leben ausein- ander können bis zu dem hoffentlich fernen Tag, da einer fort muß "die Füße vorneweg" und ich dann hoffentlich zuerst dieser eine bin! Ach liebste Käte, sei nicht darüber ungehalten, wenn ich Dir einen Brief schreibe, den ein ganz junger Mensch vielleicht einem Backfisch 69 schreiben könnte, indessen wir zwei doch längst sooo große und er- wachsene Leute sind. Du hast doch mein Herz jung gemacht, und mit Dir will ich frohen Mutes nach dieser Zeit noch einmal dort anfangen, wo ich vor zwei Jahrzehnten angefangen habe: ganz frisch und neu ein Leben füreinen- der in Liebe und Arbeit! Wie dies alles sich dann gestalten wird, das weiß ich heute noch nicht, aber das weiß ich bestimmt doch heute schon: Wir werden miteinander gehen und deshalb nie mehr unglück- lich sein können! Nun müßte ich eigentlich noch einige recht äußerliche Dinge kurz streifen: Geschäft, Wohnung und dergleichen. Aber das ist doch wahr- lich alles so sehr gleichgültig! Einen bestimmenden Einfluß kann ich zur Zeit hieraufnicht ausüben, daher muß dann das allein seinen guten oder bösen Gang nehmen, wie es das Schicksal will. Ich mache mir da keine schweren Gedanken, und ich bitte Dich sehr, tue auch Du das nicht, [drei unleserlich gemachte Zeilen] was draußen in all der Zeit auch zerstört worden sein mag an Früchten einer fast zwanzigjährigen Arbeit! Da wir unsere ersten Briefe schon so schrieben, daß sie sich kreuzten, fürchte oder hoffe ich, daß es mit diesem ähnlich gehen wird. In die- sem Fall wird es gut sein, wenn ich in jedem Fall Deine Antwort auf dieses Schreiben abwarte. Wir können dann, solange die Untersuchung dauert, in einer gewissen Regelmäßigkeit in Fühlung bleiben und wol- len dieses große Glück nicht leichtfertig aufs Spiel setzen! Mir wird jedenfalls dieser Briefwechsel sehr viel wichtiger sein, als jede Füh- lung mit draußen, wo schließlich außer meinen Kindern nur fremde Menschen sind, die nur immer aufs neue enttäuschen! Ich habe seit ei- nem Vierteljahr zum Beispiel versucht, entweder von W.H. oder dem Schreiner G.W. etwas Geld zum Einkauf auch für Dich zu bekommen, ohne jeden Erfolg, trotzdem doch der letzte uns 90,00 M schuldig ist 70 und W.H. in unserer Wohnung fast umsonst wohnt! Was soll man zu solchem Gesindel nur sagen? Ach liebste Käte, wenn ich über all das und einiges andere nachdenke, dann fürchte ich oft, nichts anderes als grenzenlose Verachtung übrig zu behalten für unsere lieben Mitmen- schen, die so selbstsüchtig, undankbar und armselig sind! Möge aus Deinen guten Augen mir dann ein milderes Licht leuchten, in dessen Wärme solche Gedanken wegschmelzen! Denn man soll sich niemals und durch gar nichts hiezu verleiten lassen! Und ganz zum Schluß die Antwort auf Deine Frage: Ich fühle mich körperlich ganz gesund und frisch und bin geistig trotz der Haft durch- aus rege. Wenn mir einmal der hier gebotene Lesestoff nicht ausreicht, habe ich ja so viel Gelegenheit zum Nachdenken - und immer reisen meine Gedanken am Ende zu einem gleichen Ziel: zu Dir! Ich grüße und küsse Dich herzlich als Dein Kurt 71 3. Brief An Käte Westhoff Kassel, 10. Januar 1936 Mein guter, lieber Schatz, Dein zweiter Brief kam am Dienstag in meine Hände, und ich habe mich sehr darüber gefreut, daß Du auch meine beiden Sendungen rich- tig und sogar so schnell erhalten hast. Eigentlich wollte ich eine Pause von zwei bis drei Wochen innehalten, um nicht durch übermäßige Be- anspruchung eine Einrichtung zu gefährden, die in so glücklicher Art geeignet ist, in unsere Lage etwas Licht und Freude zu bringen! Ist es doch jedesmal, wenn ein Brief von Dir kommt, so als käme mir ein Stück von Dir selbst zu, und wenn mein Blick über die Zeilen - zum wievielten Male nun schon? - gleitet, weiß ich, daß Deine Hand über das Papier gegangen ist und Dein lieber Blick darauf geruht hat, und es ist mir, als ob Du mir körperlich nähergerückt seiest! - Nun habe ich aber einen sachlichen Anlaß, Dir zu schreiben und will mich überhaupt heute bemühen, Dir einige sachliche Dinge mitzutei- len, wenn ich auch viel viel lieber nichts anderes machte, als Dir in 1.000 Variationen zu sagen, wie lieb Du mir bist!! Ich erhielt am 30.12. von Herrn Helmschmidt aus unserer Verrechnung Arnold eine Zahlung von 10,00 M! I Auch Helmschmidt gehört zu den Leuten, deren anständiges und wirklich vornehmes Verhalten einem den Glauben und das Vertrauen wiedergeben! Ich habe ihm geschrie- ben, als ich Deinen zweiten Brief schrieb, und sofort muß er hierher gekommen sein, um mir das Geld und ein paar kurze Zeilen zu Neu- jahr zukommen zu lassen! Dabei bin ich überzeugt, daß ihm der Betrag an der Miete oder sonst wo dringend fehlt! Ich habe natürlich nur da- I Hans Helmschmidt war Dentist in Kassel und mit Finkenstein geschäftlich ver- bunden. 72 mit gerechnet, von ihm für jeden 2 - 3 M zu bekommen! Er will mir über den Stand des Geschäfts genau berichten, dann werde ich ihm ei- nen sehr netten und persönlichen Dankbrief schicken! Ich habe dann beim Herrn Untersuchungsrichter um die Erlaubnis ge- beten, Dir, wie rechtens ist, die Hälfte überschreiben lassen zu dürfen und dann auf der Kasse festgestellt, daß Du von den 6 M, die W.H. Dir im Oktober eingezahlt hat, noch keinen Gebrauch gemacht hast! Wie oft habe ich Dir schon gesagt, Liebste, Du sollst nicht so unglaublich bescheiden sein! Ich habe mich recht innerlich darüber geärgert, daß Du noch nicht einmal an den Feiertagen, an Deinem Geburtstag Dir ein bißehen Butter, ein paar Äpfel oder auch nur einige nötige Dinge zur Körperpflege gegönnt hast! Es schmerzt mich, wenn Du selbst so spar- sam bist und nimmt mir die Sicherheit, für mich über diese gewiß be- scheidenen Beträge so zu verfügen, daß ein kleiner Rest von Freiheit und persönlichem Leben in unsere Abgeschlossenheit dringt! Ich habe mir nur einige Eß- und Rauchwaren bestellt, aber für Dich ist es dies- mal doch zu spät gewesen! Von 6,70 M, die Du noch hast, kannst Du also zum 2. Februar 3,50 M verwenden; ich bitte Dich darum, das auch zu tun! Ich werde zu diesem Termin den Rest meines Guthabens ver- wenden und hoffe sehr, zum 23. Februar (also in ca. sechs Wochen) wieder etwas Geld hier zu haben, von dem Du Dein Teil dann bekom- men sollst! Ich habe nämlich meine frühere Frau darum gebeten, durch Dr. Heermann gegen G.W. einen Zahlungsbefehl zu erwirken, nach- dem dieser Lump zwar Frau Schulke (die ich hingeschickt hatte) ver- sprochen hatte, endlich wenigstens einen Teil seines Gebisses zu be- zahlen, das er aber dann nicht für nötig hielt! Mein letzter Brief nach Schreiberhau kreuzte sich mit einem Paket zu Weihnachten von dort, das an die Wohnung adressiert war und wohl von unserem goldigen Treuhänder W.H. geöffnet und konsumiert worden ist! Die inneliegen- den drei Briefe erhielt ich mit dem Poststempel vom 2.1.1936! aus 73 Kassel durch W.H. zugesandt; es war ihnen eine Neujahrskarte von M. Herrmann beigelegt, von ihm selbst [gemeint ist offensichtlich W.H.] nicht ein einziges Wort!!2 Auch keine Erklärung über den Inhalt des Paketes, was mit diesem geschehen ist und dergleichen! Das scheint mir bisher der Gipfel der Frechheit zu sein! Denn der Inhalt war nach den Worten meiner geschiedenen Frau sicher reichhaltig und meinen heutigen Umständen angemessen; also wahrscheinlich viel Backwerk, Wurst, Rauchware etc.! Dafür hat W.H. hier am 28. De- zember an mich 2 M eingezahlt! Was soll man dazu nur sagen? Wenn ich mich gelegentlich danach sehne, hier hinaus zu kommen, so ist nach meiner Sehnsucht nach Dir in allererster Linie der Wunsch in mir sprechend, diesem Schmarotzer den verdienten Lohn schnellstens zu- kommen zu lassen. Aus den Schreiberhauer Briefen ist ersichtlich, daß meine Söhne immer noch nichts von meinem Schicksal wissen, was mich begreiflicherweise nicht erfreut. Meine Frau meint es gewiß gut, aber hier hast Du ein Beispiel für die zwischen uns eben immer vor- handenen auseinander strebenden Ansichten! Dabei ist überraschen- derweise der Ton von Martins Brief so ausgesprochen fromm im ka- tholisch-kirchlichen Sinn, daß ich in dieser Richtung die ernstesten Be- fürchtungen habe! Wie komme nur ich gleich zu zwei Kindern, deren Seelenleben in so bestimmender Weise durch religiöse Vorstellungen beeinflußt wird? Denn die Echtheit dieser Gefühle wird durch Ton und Form so augenscheinlich, daß man sie nur mit Staunen und Rührung erkennen kann, ohne daß Zweifel daran aufkommen könnten! Welch rätselvolles und unergründliches Leben ist uns doch allen beschieden, und besonders denen, die über "Woher" und "Wohin" sich doch man- ches Mal Gedanken machen! - Das neue Jahr hat dann noch insofern für mich gut, ja sehr gut begonnen, als ich zu Sylvester aus der An- 2 Der bekannte Lyriker, Kritiker und Kriegsgegner Max Herrmann-Neiße war mit Finkenstein gut bekannt und hat ihn in Kassel besucht. 74 staltsbücherei einen Band von Schopenhauer erhielt und nun aus mei- ner Zelle jede Langeweile und Leere gewichen ist, ja ich so erfüllt bin von der überwältigenden Größe dieses Geistes, daß ich oft für lange Stunden meine Umgebung und Lage vollkommen vergesse! Die Ruhe und Muße, die mir draußen leider oft so sehr gefehlt haben, habe ich ja heute, und so hat jede Lebenslage, auch die scheinbar unzuträglichste, ihre guten und nützlichen Seiten! Betreffend Deine Versicherungskarte wirst Du am besten tun, Frau Schulke um ihren Beistand zu bitten, natürlich kannst Du nicht nur über Deine, sondern über unsere Möbel alle einschließlich Bibliothek frei verfügen, das heißt, Du kannst sie eventuell zur Sicherheitsleistung benutzen! Ob Du jemals aus der Versicherung wirst einen Nutzen zie- hen, ist mir nach Lage der Dinge heute zwar zweifelhaft, aber trotzdem ist es doch besser, Du sorgst nach Möglichkeit für die Aufrecht- erhaltung der Rechte. - Daß Du durch Übungen und Waschungen im Rahmen des Möglichen Körperpflege treibst, ist richtig und. gut: Wir wollen doch diese Haft- zeit nicht als gealterte und verbrauchte Menschen verlassen, sondern glauben und hoffen, daß noch viele Jahre gemeinsamer Arbeit und ge- teilten Glückes auf uns warten und daran immer denken! Immer wenn mein Platz zur Neige geht, wird mein Kopf bestürmt von einem Heer von Gedanken und Einfällen, soviel Liebes möchte ich Dir sagen, soviel gute Worte und Gefühle suchen ihren Weg zu Dir und müssen nun doch schweigen und stille sein - aber Du weißt ohne das, wie mein Herz im Gleichtakt mit dem Deinen schlägt, horche auf die- sen Schlag im Dunkel dieser leeren Nächte! Dieser Brief wird etwa am 20. Januar bei Dir sein, warte dann etwa acht Tage, so daß ich um die Monatswende herum ein paar voll Sehn- sucht erwartete Seiten von Dir erhalte. Gern schriebe ich Dir täglich doppelt soviel als heute - es fiele mir gewiß nicht schwer! Aber soviel 75 Glück darf man vorläufig gar nicht verlangen! Ich küsse Dich vielmals, wie ich Dich oft geküßt habe und noch viel öfter küssen will und wer- de als nur Dein Kurt 76 Im Januar 1936 wird Finkenstein die Wohnung in der Kart- hauserstruße gekündigt. Anlaß war die Tatsache, daß sein ehemaliger Angestellter W. H die Miete nicht regelmäßig gezahlt hatte. Aus der Haft heraus suchte Finkenstein dies abzuwenden bzw. für den Fall der Kündigung die Unterstellung der Möbel und Kunstgegenstän- de, der Bücher und Schallplatten sicherzustellen. Es fällt auf daß er sich dabei - zum wiederholten Male - an eine ent- fernte Bekannte von Käte Westhoffgewandt und dabei ausdrücklich an die Vertretung von Kätes Interessen angesichts der drohenden Woh- nungsräumung appelliert hatte. Warum nicht an seine Freunde, Mitstreiter und Gefährten aus seinem weitverzweigten Kasseler Be- kanntenkreis? 4. Brief An Frau Schulke Kassel, 17. Januar 1936 Meine liebe Frau Schulke! Ich muß mich schon wieder mit einem Anliegen an Sie wenden, seien Sie nicht böse deswegen, sondern denken Sie daran, wie verlassen nicht nur ich bin; auch Frl. Westhoffs Interessen stehen in dieser Sache auf dem Spiel. Mein Hauswirt hat mir zum 1.2.[19]36 die Wohnung gekündigt, da Herr W.H. seine Pflichten unzureichend erfüllt. Ich habe nun sowohl meinem Hauswirt - Herrn Steffens in Firma Schneider, Karthäuser Str. 5 ~ - wie meinem Untermieter Herrn Deutesfeld und Herrn W.H. Vorschläge gemacht, die hoffentlich bewirken, daß diesem Schreckschuß nicht auch ein Einschlag nachfolgt, d.h. ich nehme an, daß sich noch alles gut wird lösen lassen. I 1 Herr Steffens warHauseigentümer undder Vermieter der Wohnung Fin- kensteins in der Karthäuserstraße 5 Y2. 77 Mein Anliegen geht nun dahin, daß Sie Ihren Mann bitten, im trotzdem eintretenden Räumungsfall sich um das Abmontieren unserer Sachen zu bemühen und selber sich um das Verpachten zu kümmern. Ich wen- de mich an Sie, weil ich zu W.H. nicht mehr das Vertrauen habe, daß er anständig handelt! Gehen Sie zu unserem Wirt und fragen ihn, ob er einen Unterstellraum hat, da er ein sehr anständiger und vornehm den- kender Mann ist, hoffe ich, daß das geht. Im andern Fall fragen Sie auf der Geh.[eimen] Staatspolizei, am besten Herrn Zink oder Lange, wei- che Behörde für Unterbringung zuständig ist. Mir gehört nur das Wohnzimmer, sämtliche Regale, die fest an die Wand gearbeitet und miteinander verbunden sind, Schreibtisch, Tisch, Liegestuhl und alle Kunstgegenstände, Büsten, Bilder und sämtliche Bücher! Fr!. Westhoff gehören: Schlafzimmer mit Bett, Schrank, zwei Nachttischen, Kom- mode, Spiegel; die ganze Küche, Schrank, Tische, Herd mit Backhau- be und alles Geschirr; aus dem Herrenzimmer noch das Liegesofa und das Grammophon mit Schrank und allen Platten, sowie ein Sessel mit Plüschbezug. Diese Sachen müssen in jedem Fall für Fräulein West- hoff verfügbar sein, da Z.T. von ihrem Verdienst gekauft, z.T. von mir geschenkt! Die Bücher werden am besten in kleinen Kisten (Persil- Kisten) verpackt, da sonst der Transport zu schwierig! Außerdem ge- hört die Schreibmaschine mit Gehäuse und Tisch Frl, Westhoff1 Auf keinen Fall darf sie etwa von Herrn W.H. behalten werden, laut Ver- trag verbleibt alles, was bei meinem Weggang in der Wohnung war, mein respektive unser Eigentum und W.H. wird unter Umständen be- haupten, sie gehöre ins Geschäft! Sollte er sie etwa dorthin verschleppt haben, werde ich ihn zur Anzeige bringen. Leihweise darf er sie wei- terhin in seiner Wohnung benutzen. Ich habe W.H. angewiesen, Ihnen im Falle des Umzugs sämtliche in Verwahrung genommenen Gegen- stände auszuhändigen, hierzu gehört auch eine Wanduhr, die ich ihm vor längerer Zeit geliehen habe. Wie aber schon gesagt, glaube ich ja, 78 daß die ganze Sache sich vermeiden lassen wird, aber Sie tun gut, nach Empfang meines Briefes einmal zu Herrn Deutesfeld zu gehen, um ge- nauen Bericht einzuholen; bei der Gelegenheit können Sie auch einmal nach dem Zustand der Wohnung sehen. Sehr lieb wäre mir, wenn Sie- im Umzugsfall- die großen Gipsplastiken in Ihre Wohnung schaffen könnten, vor allem den Kopf von mir und die Frauenfigur. Auch das Grammophon nehmen Sie mit den Platten dann an sich! Vorhänge etc. in einen der beiden Holzkoffer. Es ist selbstredend, daß ich Sie und Ih- ren Mann in angemessener Weise entschädigen werde. Sollten Sie, wie anzunehmen ist, etwas Geld brauchen, so versuchen Sie von Kätes Freundin, Frau LHeise, das Geld zu borgen, und sagen Sie ihr, ich kä- me dafür auf, würde ihnen im allerschlimmsten Fall durch Bücher oder Bilder oder Platten die Auslagen ersetzen. Sollte Ihnen das alles zu viel Mühe machen, bitte ich Sie, dringend zu versuchen mich zu sprechen, damit ich weiß, wo ich dran bin und ich Ihnen dann mündlich wenig- stens einige Weisungen geben kann, bringen Sie dann Papier und Blei- stift mit; ich habe bisher keinen Besuch gehabt und der Hinweis auf den Anlaß wird Ihnen wohl die Türe öffnen. - Herr G.W. hat sein Versprechen nicht gehalten; wenn Sie wollen, - ohne Ihnen hiermit einen so lästigen Gang zumuten zu wollen - kön- nen Sie ihm in meinem Auftrag mitteilen, daß sein Verhalten eine bo- denlose Lumperei ist und ich mir keine größere Niedertracht denken kann, als es diese Art der Behandlung eines doch ganz Wehrlosen dar- stelltf Ich will von diesem Kerl doch nichts anderes, als die längst überfällige Zahlung für eine gelieferte Ware! Zum nächsten Einkauf (2. Februar) habe ich noch ein paar Mark von einem anderen Einzah- ler, aber zum übernächsten (am 20. Februar spätestens müßte es hier 2 Herr G.W. schuldete Finkenstein für die Anfertigung einesGebisses 90,- RM und verweigerte trotz anwaltlicher Mahnung die Begleichung der Rechnung. 79 sein!) wäre mir eine kleine Zahlung sehr recht, da ich mir hier in Er- mangelung eines Besseren das Rauchen angewöhnt habe.' Ihre Grüße an Käte habe ich schließlich weitergegeben, da wir seit kurzem uns Briefe schreiben dürfen, und ich bin sehr glücklich dar- über, zu wissen, daß es ihr gut geht und sie körperlich und seelisch auf der Höhe ist. Sie werden wohl auch von ihr einen Brief mit einem An- liegen bekommen, es handelt sich um ihre Versicherungskarte, und ge- nauere Angaben gibt Ihnen hierüber Käte selbst. So geht es, wenn man sich einen schlechten Ruf als "allzeit Hilfsbe- reiter" und "uneigennütziger" Mensch schafft: man kann sich vor Zu- mutungen nicht schützen, die oft bis an die Grenze des Zulässigen ge- hen! Aber trösten Sie sich mit mir, es ging mir nie besser, und wenn ich heute mich an Sie wende in der Hoffnung auf Beistand, so kann ich es tun im Hinblick auf eine ausgleichende Gerechtigkeit; denn ich selbst habe so oft meine Hilfe an andere gewandt, daß ich, in so schlimme Lage geraten, getrost glaube, mich einmal an andre wenden zu dürfen! Ihnen, Ihrem Mann, Ihrem Sohn beste Grüße Ihr K. Finkenstein 3 Die Untersuchungsgefangenen durften nur alle drei Wochen Waren imGefängnis einkaufen. 80 5. Brief An Käte Westhoff Kassel, 15. Februar 1936 Liebste Käte, alle Briefe, außer den Deinen, sind im neuen Jahre für mich unerfreu- lich! I Wie sehr danke ich Dir deshalb immer wieder für Deine lieben Zeilen. Alles andere ist ja eben jetzt doch so gleichgültig! Wenn ich weiß, daß Du zu mir stehst, ist wirklich das Leben hell, auch wenn es so scheinen kann, als ob nur dichtes Dunkel rundum herrscht. Mit W.B. habe ich wieder - seit langem zum ersten Male - einen Brief- wechsel gehabt, der von seiner Seite so von dummdreister Frechheit strotzt, daß ich mich heute schon auf den Tag freue, an dem ich dieses Subjekt werde zur Rede stellen können. Dich mit Einzelheiten zu beschweren, halte ich für sinnlos; frag auch nicht danach, der Raum wäre ohnehin zu knapp, um eine genaue Dar- stellung der Situation zu geben. Ich habe Frau Schulke gebeten, ab und zu nach dem Rechten zu sehen. Das ist im Moment alles, was ich erreichen kann. Geht trotzdem alles schief, können wir nur mit Ruhe und gutem Humor darüber hinwegzukommen versuchen. Von Schrei- berhau höre ich auch nur recht gleichgültige Dinge: Meine Kinder wissen immer noch nichts von meinem Schicksal, und ich habe jetzt meinet früheren Frau geschrieben, sie soll machen, was sie will! Im Fall G.W., wegen dem sie mit Dr. Heermann Fühlung nehmen sollte, scheint sie sich so mißverständlich ausgedrückt zu haben, daß I Die .unerfreulichen' Briefe betrafen die Räumung seiner Wohnung in der Karthäuserstraße, das Zahntechnische Labor in der Seidlerstraße, seine säumigen Schuldnerund die Nachrichten aus Schreiberhau. 81 Dr. Heermann vorerst abgelehnt hat, etwas weiter zu unternehmen. So wird es also mit den Geburtstags[?] nichts werden! Ich will aber dem- nächst noch einmal selber an ihn schreiben, denn dieser Zahlungs- befehl muß jetzt ausgestellt werden, ich habe mich über G.W. zu sehr geärgert! Von Herrn Helmschmidt habe ich in all den Wochen auch nichts gehört, vor allem warte ich täglich auf einen Bericht über den Zustand des Labors. - Zu uns selbst: Es freut mich, daß Du etwas Beschäftigung hast und auch einige Zeitungen lesen kannst; leider ist mir ein Antrag abge- lehnt worden, eine solche halten zu dürfen. Dafür habe ich mit Lektü- re viel Glück: Ich habe seit Wochen fast nur gute Bücher bekommen; einige ganz neue (nat.[ional]-soz.[ialistische]) Bücher habe ich mit großem Interesse gelesen. Vor allem hat mich der große Roman von Hans Grimm "Volk ohne Raum" außerordentlich gefesselt, ich habe ihn mehrere Wochen behalten und sehr sorgfältig mehrere Male gele- sen? Er hat die Bücherei-Nr. J 66, und vielleicht kannst Du ihn be- kommen, wenn Du Dich darum bemühst. Da er zum Teil in der Um- gegend von Kassel spielt, hat er zu seinen künstlerischen und politi- schen Werten auch noch lokales Interesse, und ich habe mir schon fest vorgenommen, später mit Dir in die geschilderte Landschaft eine längere Wanderung zu machen. Augenblicklich habe ich unter ande- rem sämtliche Gedichte von Mörike hier und erfreue mich täglich daran. Gesundheitlich fühle ich mich ganz frisch, und da ich - zu Deinem Kummer - ja immer mehr ein Zimmer- als ein Luftmensch war, hat 2 Dieses positive Urteil Finkensteins über Hans Grimms "Volk ohne Raum" - be- sonders die Hervorhebung der "politischen Werte" des Romans - ist angesichts seines weltoffenen Selbstverständnisses und seines kommunistischen Engagements überra- schend. Andererseits wäre die Annahme eines bei ihm systematisch geschlossenen Weltbildes unzutreffend. .Volk' und .Nation' z.B. werden in seinen Briefen nicht ausdrücklich in Frage gestellt. 82 mir gewiß bis jetzt die Haft nicht geschadet und kann mir weiterhin nur wenig schaden. Wenn nur Du mir gesund und kräftig bleibst, dann Liebste, ist alles gut! Schließlich werden wir ja doch eines Tages ver- eint sein, und kein anderer Gedanke soll Gewalt über mich haben, als Dein Glück und Dein Wohlergehen! Neuerdings habe ich einen Schachpartner hier, und mit einem improvisierten Spiel - aus Ziga- rettenkartons! - geht uns manchmal die Zeit beinahe zu schnell da- von! Zum Schluß: Auch ich hätte gern ein Bild von Dir, weiß aber von keiner einzigen guten Aufnahme von Dir und bitte Dich, darüber nachzudenken, ob und wie ich mir eine solche verschaffen könnte. Wer hat Bilder von Dir? Sicher ist, daß Dein Bild in meinem Herzen beschlossen ist für alle meine Lebenstage und dort niemals verblassen wird. So bin ich mit vielen Küssen und herzlichsten Grüßen heute wie alle Zeit nur Dein Kurt Schreib bald! 83 Die dichte Folge der erstenfünf Brieft reißt Anfang des neuen Jahres 1936 ab. Im Mai 1936 wurde Finkenstein aus dem Untersuchungsge- fängnis in der Leipziger Straße in die Strafanstalt Kassel-Weh/heiden verlegt. "Ein ganzes Jahr lang - genau vom Mai 1936 bis zu Deiner Verhandlung [21. Mai 1937] - hatte ich keine Möglichkeit, Dir zu schreiben, und in dieser Zeit war das die allerschwerste Qual und Not für mich. " Der Untersuchungsrichter hatte als Begründung für das Schreibverbot angegeben, daß Finkenstein im Besitz eines Morseal- phabets gewesen sei und sich auf diesem Wege mit Gefangenen ver- ständigt habe. In der Zeit zwischen seinem letzten Briefund dem folgenden wurde die Wohnung Kurt Finkensteins geräumt, seine umfassende Privatbiblio- thek, die von Zeitgenossen auf5000 Bücher und mehr geschätzt wur- de, konfisziert, es verschwanden die z.T. wertvollen Kunstwerke und Plastiken (wie, weiß man nicht), und kostbare zahnmedizinische Ge- räte und Instrumente seines großen Labors wurden unter Wert ver- scherbelt oder aufandere Weise weggebracht. Da von Einnahmen aus dem Labor nirgends die Rede war, nehmen wir an, daß im Labor selbst bereits nicht mehr gearbeitet wurde. Mit Wirkung vom 21.10.1935 hatte es sein ehemaliger Angestellter WH allein aufsei- nen Namen umschreiben lassen. Die Umstände dieser Umschreibung sind unklar; es kann sich um eine Eigenmächtigkeit des WH gehan- delt haben. Es kann auch von Finkenstein veranlaßt worden sein, um der drohenden Gefahr der Schließung oder 'Übernahme' eines 'nichtarischen' Betriebes auszuweichen. Am 27.10.1936 wurde der Betrieb abgemeldet. Was vom Labor noch übrig geblieben war, über- nahm Albert Schlegelmilch im Jahre 1938 und führte es bis in die Nachkriegszeit weiter. In wenigen Monaten war ein tätiger, angesehener und engagierter Mensch, der sich und andere durch seine eigene Arbeit ernährt hatte, in tiefe Armut gestürzt worden. 84 II Als Untersuchungsgefangener in der Strafanstalt Kassel-Wehlheiden (Mai 1936 - November 1937) 6. Brief An Käte Westhoff Kassel, 15. Dezember 1936 1 Liebste Käte, Es ist nicht meine Schuld, wenn Du fast ein ganzes Jahr nichts von mir gehört hast. Ich erhielt Deine Briefe vom 30. Juli, 18. August und 18. Oktober und danke Dir von ganzem Herzen für alle Liebe und Güte, die aus jedem Deiner Worte spricht. Ich versuche nun wie Du als letzten Weg diesen - über den Herrn Untersuchungsrichter -, um Dir wenigstens zu Deinem Geburtstag mitteilen zu können, daß es mir ge- sundheitlich gut geht und ich mich in der ganzen langen Zeit nicht einmal habe krank melden brauchen. Du kannst also ganz ohne Sorge sein, auch seelisch und geistig fühle ich mich frisch, und was einzig und allein mich entsetzlich quält und foltert, ist der Gedanke an Dein Los, an die entsetzliche Lage, in die ich Dich gebracht habe! Nie, nie werde ich diese Schuld an Dir gutmachen können, alle Liebe und Zu- neigung eines ganzen Lebens reicht ja nicht hin, die Schmach zu lö- schen, die Du um meinetwillen jetzt so lange erdulden mußt. Wie soll ich Dir in diesen paar armen Zeilen sagen können, was ich heute mehr als jemals früher für Dich empfinde? Du bist das Licht, das meine Zelle erhellt, und nur der Gedanke an Dich macht es mir möglich, an 1 Während des Schreibverbots versuchte Finkenstein zweimal über den Untersu- chungsrichter, einen Brief an Käte Westhoff zu senden. Diese Briefe werden im fol- genden wiedergegeben. Dieser erste Brief ist, wie wir einer Randnotiz von Käte Westhoff entnehmen, bei ihr angekommen. Der Untersuchungsrichter hatte, so ver- muten wir, hier - vielleicht mit Blick auf Weihnachten - eine Ausnahme zugelassen. 85 eine Zukunft zu denken, in der ich nun ein viertes Mal versuchen wer- de müssen, mir eine Heimat zu gründen! Drei Mißerfolge habe ich hinter mir: Zuerst mein Metzer Heim, das der Krieg vernichtete, dann meine Heimat, die so traurig zu Ende ging, und zuletzt unsere Gemein- samkeit, die so glücklich, schön und harmonisch war und fürs erste in so viel Leid und Not erstickt ist.' Denn wie das über uns hängende Schicksal auch letztlich entscheiden wird: eines ist sicher! Sowohl meine Existenz ist vollkommen ruiniert wie unsere Wohnung ist ge- räumt und vorhandene Reste von Mobiliar überschuldet und uns vor- erst entrückt! Was kann ich Dir also zu Weihnachten schenken und zu Deinem Geburtstage, den ich voriges Jahr noch hoffte, diesmal unter anderen Umständen mit Dir zu verbringen? Nur etwas, was Dir schon lange gehört und solange gehören wird wie Leben in ihm schlägt: das Herz eines Bettlers! Ich habe nichts Besseres, ja ich habe heute über- haupt nichts anderes und so bitte ich Dich: Nimm es hin, wenn Du es noch willst! Und hieran, Liebste, habe ich niemals einen Pulsschlag lang gezweifelt! Immer, immer werde ich an Dich glauben und den Tag segnen, der Dich auf meinen Weg geführt hat! Wenn Du nur auch so denken könntest! Viele Grüße und Küsse Dein Kurt 2 Nach Abschluß der Lehre alsZahntechniker bei Prof: D. Jessen in Straßburg (1907- 1911) ging Finkenstein als Angestellter zu Zahnarzt Dr, Ricchelmann in Metz (April 1911 bis Juli 1914). Metz war zu jener Zeit Hauptstadt des Regierungsbezirks Loth- ringen im 'Reichsland Elsaß-Lothringen'. 86 7. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, 8. März 1937 Meine liebste, beste Käte, Deinen Brief vom 13.2. erhielt ich vorgestern, und da ich erschreckt bin über den Ton von Pessimismus und Mutlosigkeit, der aus jedem Wort spricht, versuche ich gleich heute, Dir auf dem gleichen Weg wie zu Weihnachten Antwort zukommen zu lassen.' Deine Ansicht, ich könne alle acht Wochen schreiben, ist falsch. Ich will das Wichtigste vorwegnehmen und dann punktweise alles kurz erörtern. Dein Wunsch, uns trauen zu lassen, ist mir sehr verständlich, aber un- ter den obwaltenden Umständen sind hier wahrscheinlich größere Hin- dernisse zu beseitigen als Du glaubst.' Ich will versuchen, Herrn Pfar- rer Fritsch zu veranlassen, Dich zu besuchen, mit dem Du alles bespre- chen kannst; nach dieser Unterredung teile mir mit, wie Du die Sachla- ge siehst. Ich glaube von mir aus, daß zu einem solchen Schritte keine Veranlassung vorliegt, bevor in unserem Verfahren ein Urteil gefällt ist; Du wirst dann alles hoffentlich viel ruhiger ansehen! Und nun, Liebste, zu den anderen Punkten Deines Briefes. ad I) Verzeihe mir, daß ich Dir seinerzeit meine Verlegung, die schon im Mai 1936 stattfand, nicht mitgeteilt habe; ich wollte Dir das nicht gerade zu Weihnachten und zum Geburtstag schreiben! Du solltest dem aber nicht zu viel Gewicht beilegen; von "Verschlossenheit" zu reden, ist doch zu weitgehend! Sei versichert, meine Liebste, es ist das das einzige, was ich jemals vor Dir verschwiegen habe, und es wird in aller Zukunft das einzige bleiben! Du kennst nicht nur jede meiner Handlungen und Schritte, sondern auch jeden meiner Gedanken und I Der Weg bedeutete, den Untersuchungsrichter einzuschalten. 2 Die Nürnberger Rassengesetze waren seit September 1935 in Kraft. 87 jede Falte meines Herzens! Ich hätte es damals nicht übers Herz ge- bracht, Dir das zu schreiben; wußte auch nicht, ob es damals zulässig war! ad 2) Die Enttäuschungen der letzten Monate waren vorauszusehen: Daß W.H. nicht fähig war, den Betrieb zu erhalten, war mir von allem Anfang an klar; daß auch die Wohnung geräumt werden mußte, wobei sicher manches zu Bruch ging, ließ sich eben auch nicht vermeiden! Selbst wenn hier manches verloren ging, auch von Büchern etc., so ist das schließlich vielleicht schmerzlich, aber doch im Grunde Plunder, der zu ersetzen ist. Deswegen werde ich gewiß nicht mutlos werden; weine auch Du nicht hierüber! ad 3) Frau Schulke schrieb mir vor ca. einem Jahr: "Fräulein Westhoff ist mir ja keine Fremde, sondern lieb wie eine Schwester"; warum sollte das anders geworden sein? Wenn es ihre ja an sich engen und kleinen Umstände zulassen, werden sie gewiß Dich oder uns vorüber- gehend aufnehmen. ad 4) Unsere Schulden an Steffens (laut Zahlungsbefehl) betragen 236,30 M; hinzu kommen Kosten, evtl. Schönheitsreparaturen; Spedi- tionskosten und Lagergeld; bei der Anständigkeit des Herrn Steffens wird mit ihm leicht zu verhandeln sein; wenn Du, wie Du anzunehmen scheinst und was der Himmel geben möge! vor Abschluß des Verfah- rens entlassen wirst, wird sich vielleicht jemand finden, eier gegen Pfandrecht oder so den ganzen Betrag leiht, so daß an Neuanschaffun- gen in keinem Fall zu denken ist; eher dann eben Stück für Stück ein- lösen. Aber das ist ja noch nicht spruchreif, evtl. genügt es schon, wenn meine Bücher, die ja allein ein vielfaches selbst nach einigen Be- schlagnahmen noch wert sind, als Pfand bleiben. Vielleicht wäre es aber immerhin gut, wenn Du bald einmal an Steffens schreiben wür- dest, damit er nicht auf den Einfall kommt, sich durch Versteigerung schadlos zu halten; die Sachen stehen ihm ja unter Umständen auch im 88 Wege! Eine Pflicht, irgendetwas herauszugeben, wie Du annimmst, besteht wohl kaum, aber ich rechne hier auf mehr: auf Anständigkeit! ad 5) Meine Unterkunft hier ist in jedem Betracht besser, als im Ge- richtsgefängnis: Zelle heller und sauberer; Essen schmackhafter und ab- wechselnder, Bücherei unvergleichlich besser. Ich habe allwöchentlich zwei bis drei Bücher nach eigenem Wunsch und ausnahmslos nur beste und gediegene Literatur (zum Beispiel eben jetzt: Shaw: Heilige Jo- hanna, Winnig: Vom Proletariat zum Arbeitertum, Konrad Ferdinand Meyer: Gedichte [!], hinzu französisches Übungsmaterial in Fülle). Zum Schluß das Schlimmste, was mir zugestoßen ist: Nachricht meiner ehemaligen Frau, daß Martin zu Ostern die Schule verläßt, weil der Augenarzt eine Verschlechterung der Sehkraft festgestellt hat! Das, Liebste, sind Nachrichten, die einen umwerfen können; alles andere ist hiergegen gering! Mir selbst geht es gesundheitlich, geistig, seelisch so gut, wie es unter diesen Umständen nur gehen kann! Der Gedanke an Dich verschönt mir auch diese trüben Tage, sei auch Du mutig, hoffnungsfroh und zu- versichtlich! Mit vielen Grüßen und Küssen Dein Kurt 89 Das Gerichtsverfahren gegen Käte Westhoffwegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens "durch Teilnahme an Besprechun- gen der illegalen KPD, und zwar indem die Tat daraufgerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusam- menhalt aufrechtzuerhalten" endete am 21. Mai 1937 vor dem Ober- landesgericht Kassel mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen. Das Gericht hielt die Bewirtung der kommunistischen Gäste in der Finkenstein 'sehen Wohnung nicht für hinreichend im Sinne einer Ver- urteilung. Gleichwohl kam Käte Westhoff nicht frei; sie wurde unmit- telbar nach dem Freispruch von der Geheimen Staatspolizei in Schutz- haft genommen und in das KZ Moringen - zu jener Zeit ein Frauen- und Jugend-KZ - abgeführt. Später kam sie von dort in das KZ Lieh- tenburg. Hiervon wußte Finkenstein jedoch in der Zeit nach ihrem Freispruch nichts. Mehr als sechs Wochen blieb er im Ungewissen, was mit Käte Westhoff nach dem 21. Mai 1937 geschehen war. Sie selbst kam erst nach einem Jahr KZ-Haft am 21. Mai 1938frei. 8. Brief An Käte Westhoff, Kassel-Wehlheiden, den 13. Juni 1937 Liebste, beste Käte, nun sind seit dem Verhandlungstag fast vier Wochen vergangen, ohne daß ich etwas über Dein Schicksal erfahren habe, außer dem Urteil, das mir der H[er]r. U[ntersuchungs]. Richter nach meiner Vernehmung mitgeteilt hat. Du kannst Dir denken, wie groß und ehrlich ich Freude und Befriedigung über diesen Ausgang gefühlt habe! Wenn ich auch keinen Augenblick eine andere Möglichkeit erwogen habe - es ist mir doch eine große Last von der Seele gefallen, und die schweren Selbst- vorwürfe, die ich mir nur Deinetwillen in all den langen Monaten ge- macht habe, sind der Genugtuung darüber gewichen, daß in Deinem 90 Falle - wie in vielen mir bekannten anderen - meine Meinung über die deutschen Richter sich als richtig bewiesen hat! Ich kann auch weiter- hin nichts tun als zu hoffen, daß die Wahrheit auch in meinem eigenen Fall sich allmählich durchsetzt, dann wird schon alles noch sich zum Guten wenden. Ich will aber einen gewiß merkwürdigen Umstand Dir nicht verschweigen: Niemals bin ich über Dein persönliches Ergehen und Wohlbefinden so sehr beunruhigt gewesen wie seit zwei Wochen, und wenn ich Dir sa- ge, daß diese Unruhe täglich in erschreckender Weise anwächst, so ist das nur allzu wahr! Nie habe ich mit so schmerzlicher Unruhe auf eine Nachricht von Dir gewartet wie jetzt, und nie habe ich die Trennung von Dir mit so brennendem Schmerz empfunden wie seit dem Tage Deines Freispruchs, von dem an Du fur mich in das Dunkel der Unge- wißheit verschwunden bist, in dem Dich meine Sehnsucht nirgends finden kann! Es ist wirklich im Leben oft häßlich lind sinnlos: Wenn man den Wein hat, fehlt uns der Becher - und umgekehrt! Ein ganzes Jahr lang - genau vom Mai 1936 bis zu Deiner Verhandlung - hatte ich keine Möglichkeit, Dir zu schreiben, und in dieser Zeit war das die allerschwerste Qual und Not für mich; wie gern hätte ich Dir oft ein liebes Wort gesagt, einen Trost zugesprochen und Deine Hoffnung belebt; ach Liebste, Du weißt nicht, wie schwer dieser Verzicht oft auf meiner Seele gelastet hat! Nun endlich ist dieser Druck von mir genommen, ich habe die aus- drückliche Erlaubnis, jede Woche einen Brief zu schreiben - und seit drei Wochen weiß ich nicht, wohin ich ihn adressieren soll! Vor allem weiß ich nicht, in welchen Umständen und an welchem Ort er Dich er- reichen wird, und so mag denn dieser Brief mit unbestimmtem Ziel auf eine unsichere Fahrt gehen: Letztes Ziel ist Dein Herz, und dort wer- denja alle meine Worte schließlich den gesuchten Ruhepunkt finden! Die Schreibmöglichkeit habe ich inzwischen dazu benutzt, meine ge- 91 schiedene Frau nach dem Ergehen der Kinder zu befragen: Ich habe ja in den Jahren 1936 bis 1937 von dort nur einen einzigen Brief erhal- ten. Außerdem habe ich sie um etwas Geld gebeten, was mir weiß Gott nicht leicht gefallen ist! Hat sie doch seit dem Tag unserer Festnahme schon fast einen Anspruch von 2.000 M an mich! Aber ich habe kürz- lich durch Unachtsamkeit einen Krug zerschlagen und fürchte, daß die letzte Mark meines Kontos, die ja für Porti etc. reserviert war, hierfür draufgegangen ist! Somit könnte ich unter Umständen in die geradezu lächerliche Lage kommen, jetzt nicht durch Verbot oder dergleichen, sondern durch Geldmangel (!) am Briefverkehr gehindert zu werden! Dabei sind mir drei Goldfüllungen aus den Zähnen gebrochen, deren Wert natürlich für 60 - 80 Briefporti reichen würde, wenn ich sie nur verkaufen könnte. Meine Zähne sind überhaupt ganz außerordentlich schadhaft geworden, besonders die seitlichen; an mir selbst werde ich dereinst zuerst erproben können, was ich von meiner beruflichen Fä- higkeit hier eingebüßt habe! Im übrigen ist mein Gesundheitszustand so wie es zu erwarten ist: Kräftiger wird man durch das Leben hier nicht, und in letzter Zeit bin ich manchmal von so erstaunlicher Schwäche, daß der geringste Kraftverbrauch, Z.B. zum Auskehren etc. mir den kalten Schweiß aus allen Poren treibt; zudem macht sich die Ohrengeschichte, wegen der ich ja schon bei Dr. von Behrn und 01'. Orten früher in Behandlung war, neuerdings wieder bemerkbar; mir graut schon davor, deswegen hier den Arzt zu beanspruchen, aber ich werde wohl nicht darum herum kommen. Im übrigen bin ich voll- kommen in Ordnung, und es wird ja auch der Tag kommen, an dem frische Luft und Bewegung das ihre dazutun werden, hier verlorene Lebenskräfte zu ersetzen. Über Dinge unseres Haushaltens etc, schreibe ich heute nichts, da ich erst Genaues über Deinen Verbleib etc. wissen muß; dann werde ich Dir demnächst einen ganz nüchtern sachlichen Brief schreiben, aus 92 dem Du das wenige wirst ersehen können, das hierüber zu sagen und dazu evtl. zu veranlassen ist. Den kurzen Rest des Raumes möchte ich dazu benutzen, Dir immer wieder zu sagen, wie teuer Du mir bist, und wie mein ganzes Leben immer mehr und mehr nur den einen einzigen Inhalt bekommt, der ja schon so viele Jahre sein bestes Teil gewesen ist: meine unerschütter- liche Liebe zu Dir und die tiefe Sehnsucht, Dir noch einmal vergelten zu können, was Du seit nun zwei Jahren schon an Leid, Entbehrung, Kummer und Schmerzen um meinetwillen hast erdulden müssen! Trag's mir nicht nach, Liebste, Du weißt von allen Menschen am be- sten, wie wenig in allen diesen Dingen von wirklicher "Schuld" geredet werden darf! Ich bin mehr wie je in Treue und Liebe Dein Kurt 93 9. Brief An Käte Westhoff, Kassel-Wehlheiden, den 4. Juli 1937 Liebste Käte, nun sind schon über sechs Wochen seit dem Verhandlungstag vergan- gen, ohne daß ich von Dir ein Lebenszeichen erhalten hätte! In den ganzen zwei Jahren dieser wirklich nicht sehr schönen Untersuchungs- haft sind mir dies sicher die schwersten Wochen gewesen! Ich kann mir nicht erklären, weshalb ich jetzt nichts von Dir höre; nicht weiß, was man sich eigentlich von diesem unerwarteten und überraschenden Ausgang Deines Verfahrens denken soll! Wobei natürlich überra- schend nicht etwa der Freispruch ist - ich habe niemals in all der Zeit etwas anderes erwartet! -, sondern Deine sogenannte "Schutzhaft"; seit dem Moment, an dem ich diese Tatsache durch den Herrn Untersu- chungsrichter erfuhr, habe ich mir überlegt, wer hier eigentlich vor wem geschützt werden soll! Es wurde mir aber bei gleicher Gelegen- heit in sehr sachlicher und höflicher Form gesagt, daß jede Postbe- schränkung, der ich zeitweise unterworfen war, aufgehoben sei und ich achttägig schreiben könne und auch Briefe an mich ohne Schwierigkeit weitergeleitet würden! Und nun dieses unerklärliche Schweigen! Wenn man nichts erwarten darf, weil gewisse Umstände - die an sich noch so unerfreulich sein mögen - das mit sich bringen, ist es nicht allzu schwer, sich zu bescheiden. Vollends unerträglich wird aber die Lage, wenn diese Umstände fortfallen und dann alles beim alten bleibt, ja so- gar schlimmer wird, denn bis dahin hatte ich doch wenigstens gele- gentlich von Dir eine Nachricht, die mir dann immer fiir Wochen Trost und Freude bereitet hat! - Aber ich spreche zu viel von mir selbst, ver- zeihe das, aber ich bin wirklich erst jetzt mißlaunig und verdrossen geworden! 94 Da ich auch von anderer Seite keinerlei Nachricht über irgendwelche Dinge, die unser bißchen Eigentum angehen, erhalte, fängt auch diese Sache jetzt doch an, mich zu beunruhigen. Ich hatte immer gehofft, daß Du nun endlich in die Lage kämest, hier zum Rechten zu sehen und nach Deinen Kräften den ganzen verfahrenen Karren, so gut es eben gehen will, aus dem Dreck zu ziehen, das heißt mit der Fa. Schmidt und Dr. Schlegel einmal ein paar Worte deutsch zu sprechen und zu sehen, wie sich unsere Sache mit Herrn Steffens ins reine brin- gen läßt. I Von der ersten habe ich eine Abrechnung nicht erhalten, bei dem anderen wird ja für Lagerung etc. unsere, das heißt meine Schuld jeden Monat größer! Es ist nur gut, daß ich nicht so sehr an diesen Dingen hänge, denn eine Möglichkeit, hier jemals die Summe zu ver- dienen, die wir zur Auslösung brauchen, scheint mir nicht gegeben zu sein, und die Wahrscheinlichkeit, von irgendeiner Seite einen größeren Betrag zu leihen, den wir dann später zurückzahlen könnten, ist heute geringer als je. Eine bestimmte diesbezügliche Hoffnung ist mir hier zuschanden geworden in einer Weise, die ich früher niemals für mög- lich gehalten hätte. Ich kann mich hierüber hier nicht weiter auslassen, aber ich glaube nicht, daß ich meine Sachen je wiedersehen werde, wenn ich nicht mit Herrn Steffens in einer Weise auseinander komme, die bei ihm eine Großzügigkeit und ein Vertrauen voraussetzt, auf die man nicht rechnen soll, wenn es sich ums liebe Geld handelt! In die- sem Punkt pflegen alle Unterschiede zwischen den Menschen zu fal- len; es ist wirklich gleichgültig, ob man einem Christen oder Juden oder sonst wem Geld schuldig ist: Die Kontoziffern sind entscheidend und kümmern sich nicht um Gefühle etc. Dabei tut es mir um einige Dinge, bestimmte Bücher und Kunstgegen- stände, auch etliche wenige Erinnerungsstücke und so fort doch leid, I Die FirmaSchmidtund Dr. Schlegel war eine Zahnwaren-Großhandlung, mit der Finkenstein geschäftliche Beziehungen unterhalten hatte. 95 zum Beispiel die Vocke'sche Büste von mir, eine Anzahl von Autoren geschenkter Bücher, Bilder, Photos und dergleichen Dinge, die sogar für Dritte vollkommen wertlos sind. Aber Schwamm drüber, der Teufel soll es holen! Dies, und manches andere mit ... Das ist heute nun absolut kein richtiger Brief geworden, sondern ein getreues Spiegelbild meines etwas zerrütteten Zustandes, der sofort ins Gleichgewicht kommen wird, wenn ich erfahren werde, was mit Dir geschieht, und ich hierüber keine dummen und quälenden Sorgen mehr zu haben brauche. Dann wirst Du von mir wieder solche Briefe be- kommen, wie Du sie gewohnt bist, und zwar vorerst monatlich minde- stens zweimal. Heute vor drei Wochen habe ich Dir auch schon einmal geschrieben, gib mir Bescheid, ob Du jenen Brief richtig erhalten hast. Ich hoffe nun, recht bald aus meiner Ungewißheit erlöst zu werden und zu erfahren, wo Du bist und welche Aussichten für Deine Freilassung bestehen. Mit vielen Grüßen und Küssen bin ich stets Dein getreuer Kurt 96 10. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 18. Juli 1937 Liebster Schatz, da ich seit Deinem ersten Brief aus M.[oringen] nichts erhalten habe, will ich heute die Gelegenheit benutzen, Dir einen ungefähren Umriß unserer geschäftlichen Umstände zu geben, wie er mir durch vorlie- gende Dokumente und aus der Erinnerung sich darstellt. Das letztere ist leider dadurch bedingt, daß mir seinerzeit (Mai 36) vor meiner Umquar- tierung nach hier meine sämtlichen Postsachen etc. abgenommen worden sind; Zahlen aus der Zeit sind also nur ganz ungefähr gültig! I) Firma Seitz & Haag hat wegen einer angeblichen Restforderung von 611.-- seinerzeit W.H. große Schwierigkeiten gemacht. Meines Wis- sens kann aber diese Summe nur durch rücksichtslose Aufrechnung von Kosten und Zinsen entstanden sein, vermutlich sogar unter Nicht- berücksichtigung laufender Zessionen (Dr. Wegener!); denn [im] März vor unserer Festnahme habe ich einmal ungefähr festgestellt, daß mei- ne Schuld an Seitz & Haag noch ca. 300,-- M, also knapp die Hälfte, betrug. Um W.H. damals das Weiterbestehen zu ermöglichen, hat die Firma Wölm (Schmidt und Dr. Schlegel) durch Zahlung des genannten Betrages sich in den Vertrag mit Seitz & Haag eingesetzt! Daher ruht das Recht der WÖlm-AG. auf Betrieb und Bücher! Seitz & Haag sind also vollkommen befriedigt; meine Schuld an diese betrug bei meiner Entlassung aus der Schutzhaft ca. 5.000,-- M!! Zu denken, daß Haag, den ich seit 1912 ! kenne, und der sehr große Umsätze mit mir gemacht hat, wegen dieses Restes meine schöne Bibliothek an Schmidt und Schlegel ausgeliefert hat, ist recht schmerzlich! Ich hätte sie lieber in seiner Hand gewußt! 2.) Der Firma Schmidt und Dr. Schlegel habe ich seinerzeit noch im Polizeipräsidium für bestehende Forderungen von ca. 1.500,-- bis 97 1.700,-- M (?) Zessionen von ca. 1.100,-- M gemacht. Auch hier betrug demnach meine Schuld nur noch wenige 100,-- M, also zwei bis drei Monatsumsätze nach ca. 12 bis 14jähriger Geschäftsverbindung. Am 14. August 1936 teilt mir genannte Firma mit, daß sie einen Nachlaß von 450,-- M eingeräumt habe, (den ich gar nicht verlange!), aber für O.g. Zahlung an Seitz & Haag ihr Recht an Geschäft etc. geltend ma- che. Die überstürzte Geschäftsauflösung hat es sogar unmöglich ge- macht, das Mobiliar im ganzen zu verkaufen, was ganz sicher ein Mehrfaches des genannten Betrages hätte einbringen müssen, so daß wenigstens meine gesamten Schulden (kleine Reste an Behörden etc.) hätten bezahlt werden können und uns ein Rest von einigen 100,-- M verblieben wäre! Wäre seinerzeit ein Mensch da gewesen, der mit et- was Interesse diese Sache betrieben hätte, hätte diese wahrhaft scham- lose Angelegenheit doch einen anderen Verlauf genommen! So sind meine ganzen Apparate (zwei Kessel, sechs elektrische Motoren!, Kro- nenziehpresse, ganz neuer Degussa-Ofen, die große Presse und vieles andere mehr) von Schmidt und Schlegel übernommen worden, die na- türlich damit auch nichts anfangen können, denn ihre Behauptung, daß sie nur insgesamt an Ort und Stelle einen Wert darstellten, stimmt na- türlich! Neuanschaffung würde etwa 3.000,-- M für die Gegenstände beanspruchen, die ein Verzeichnis, das ich habe, enthält! Dabei fehlen die großen Arbeitstische! Anschaffungswert ca. 1.000,-- M (Goldmark!), außerdem natürlich sehr viel kleine Gegenstände, die wohl W.H. "verwahrt" hat. Wo die Tische geblieben sind, weiß der Teufel; ich furchte, daß sie von W.H. für Mietreste Seidlerstraße verschleudert worden sind, weiß aber nichts genaues. Auch meine seinerzeitige Bitte, nach Verkauf der Gegenstände mir Abrechnung zu geben, ist bis heute von Schmidt und Schlegel ignoriert worden! Ob sie wirklich die eiser- ne Stirn gehabt haben, sich auch noch meiner Bücher und Möbel zu bemächtigen, weiß ich nicht; glaube es aber nicht recht, denn im ge- nannten Brief vom 14.8.1936 bestreitet Dr. Schlegel das ganz aus- 98 drücklich, da Herr Steffens auch sein Pfandrecht geltend machte. Hier- aus geht allerdings hervor, daß der Versuch gemacht worden ist!! Im übrigen scheint sich aber die Wölm-AG verhältnismäßig anständig be- nommen zu haben; leider muß ich fürchten, daß W.H. das in ihn ge- setzte Vertrauen nicht verdient hat, zum wenigsten gegen Schluß voll- kommen den Kopf und jede Umsicht verloren hat. 3.) Mietrest Steffens laut genauer Abrechnung: 236,30 M; dazu kom- men allerdings Kosten für Zahlungsbefehle, die durch den Spediteur entstandenen Kosten und der Preis des UnterstelIens, was ja Steffens nicht umsonst machen kann. Eine große Schweinerei, wenn man über- legt, daß W.H. monatlich 75,-- M ! an Miete einnahm, also nur 13,-- M hätte aufbringen müssen. 4.) Firma Wieland-Pforzheim bekommt laut Zahlungsbefehl ca, 1.000,-- M nebst Kosten und Zinsen! Diese Sache ist mir deshalb am schmerz- lichsten, weil gerade diese Firma sehr anständig und langmütig war, sie sollte sofort nach Seitz & Haag befriedigt werden; das hat meine Fest- nahme unterbunden. Allerdings sind es auch nur Kosten und Wech- selspesen und dergleichen mehr, die im Umgang mit der Firma Brüder Fischer-Kassel im Lauf von 10 Jahren bei über 100.000,-- M Ge- schäftsumsätzen hängengeblieben sind. Trotzdem hätte ich das natür- lich inzwischen geregelt, wenn - ja wenn!! Alles in allem: ein trauriges Bild. Wir hätten das natürlich viel viel bil- liger haben können, hätte ich bloß nicht diese lächerliche Gewissen- haftigkeit soweit getrieben, unser beider Gli.ick und Freiheit leichtfertig aufs Spiel zu setzen, um mich für die Befriedigung von Gläubigern ab- zurackern, die mir das ja doch niemals anerkennen oder gar danken werden! Nächstes mal (in 8 oder 14 Tagen) schreibe ich Dir ausfuhr- lieh über mein Leben, Beschäftigung, etc., wonach Du mich so oft ge- fragt hast! Bis dahin in ungeminderter Liebe und Treue Dein Kurt 99 11. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 1. August 1937 Liebste, geliebte Käte, nun sind wir also tatsächlich schon im dritten Jahr getrennt - wer hätte das jemals in den allerschlimmsten Befürchtungen vermuten können?! Daß mein ganzes Denken fast nur noch aus Selbstvorwürfen besteht darüber, daß ich aus den tatsächlichen Umständen nicht die Konse- quenz gezogen habe, sondern allen Warnungen Einsichtigerer zum Trotz eine Stellung zu halten suchte, die unter keinen Umständen zu halten war, macht meine Lage nicht angenehmer! Könnte ich doch we- nigstens für Dich in absehbarer Zeit eine Änderung und Besserung er- warten! Meine eigene Sache "schwebt", und ich habe das unbehagliche Gefühl, daß sie so noch recht lange "schweben" wird; alle gewohnten Maßstäbe reichen ja nicht hin, einen Zustand zu beurteilen, der so weit abweicht von aller und jeder Gewohnheit und all dem, was uns früher als selbstverständlich galt! Ich schrieb Dir vor zwei Wochen; damals fast nur über Geschäftliches; da ich seither immer noch keine Nachricht von Dir habe, will ich heute endlich einmal von meinem augenblicklichen Dasein erzählen: Die Zu- stände im Gerichtsgefängnis kennst Du ja aus trauriger Erfahrung selbst, also fange ich gleich hier an. Ende Mai 1936 kam ich unerwar- tet hierher, hatte zuerst ein sehr unbehagliches Gefühl, konnte dann aber tatsächlich feststellen, das alles hier weit besser ist als dort: Die Zelle ist weit heller, geräumiger und sauberer, das Essen wirklich bes- ser, abwechslungsreicher und schmackhafter; ich glaubte zeitweise mich zu täuschen, konnte aber bei einem mehrtägigen Aufenthalt im Gerichtsgefängnis (eben in den Tagen vor und nach Deinem Termin) feststellen, daß ich mich nicht irre. Die Bücherei ist unvergleichlich 100 besser und reichhaltiger; viele Monate habe ich damit zugebracht eine französische Grammatik sehr sorgfaltig zu.repetieren und dito Lektüre zu betreiben, so daß ich mich eines Tagesdaran machte und durch ein raffiniert ausgeklügeltes System ..., später werde ich Dir genaueres er- zählen! - feststellen konnte, daß mir ohne Lexikon weit über 5.000 Worte und Begriffeder französischen Sprache wieder geläufig worden waren. Dann fing ich an, mich etwas mit den einfachsten Elementen der Mathematik zu beschäftigen, was mir viel Genuß und Freude schuf. Ich habeja zeitlebens bedauert, daß ich leiderauf der Schulbank in diese Dinge kaum hineingerochen habe. Ein paar entsprechende Lehrbücher haben mir aber manche Anregung und Wissensbereiche- rung geschenkt. Seit einiger Zeit bin ich aber mit richtiger "Sträflingsarbeit" beschäftigt: dem Aufzwirnen alter Schnüre etc.! Lei- der wird diese an sich geisttötende und höchst unerfreuliche Tätigkeit auch bei Untersuchungsgefangenen nur bei Leistung des vorgeschrie- benen Pensums bezahlt; ich kann noch nicht die Hälfte leisten, muß es also vorerst als "Zeitvertreib" ansehen und sehe mit Schrecken dem Tag entgegen, an dem mein kleines Guthaben vollkommen erschöpft sein wird und ich meine Briefe an Dich nicht mehr frankieren werde können! Bei Leistung des Pensums wären täglich 12 Pfennige zu "verdienen" - wie lächerlich und erbärmlich das doch alles ist -. Unse- re Fenster haben keine Blenden und Blindscheiben, sondern erlauben je nach Lage der Zelle einen gewissen Ausblick: Ich sehe z.B. den Rücken des Habichtswaldes rechts des Herkules, auch diesen selbst kann ich eben noch sehen. Vor dem Fenster dehnt sich sonst der Hof mit einer runden Rasenfläche und ein paar Rübenäckern. hier sind oft Vögel aller Art - Spatzen, Tauben, Stareete. - zu beobachten, was mir besonders Freude gemacht hat, als die junge Brut eben flügge gewor- den war. 101 Meine liebste Beschäftigung ist natürlich das Zurückwandern in die Vergangenheit und fast täglich gehe ich einen der vielen Wegewieder, die ich mit Dir in der schönsten Zeit meines Lebens gehen durfte: Marburg und Heidelberg, Frankfurt und Hannover, dazu die vielen kleinen Nester, in denen wir so frohe unbeschwerte Stunden leben durften, leben vor meinen geistigen Augen auf. Gudensberg, Münden, Karlshafen, Wildungen und alle anderen - wer hätte damalsuns solche Sommerprophezeit, wie wir sie nun schon zum wiederholten Male er- leben müssen! Ich will Dir aber hoffentlich noch viel schönere, reiche- re und glücklichere Teile der Welt zeigen, wenn wir wieder einmal vereint sein werden, vor allem freue ich mich darauf, Dich durch die schönen Gärten und Täler meinerHeimatzu führen - hätte ich es doch schon vor fünf Jahren getan, dann wäre uns der bittere Verlust eines Jugendteiles erspart geblieben. "Wie der Kuckuck stets aufs Neue sei- nen Ruf erschallen läßt, nur zwei Silben, drin der Scheue seine ganze Seele preßt - so, verborgen allen Blicken, ruf ich in dem düstern Haus - meineSehnsucht zu ersticken - DeinenteurenNamenaus _t1 Liebste, Geliebteste. mögen wir unter freieren Sternen rechtbald wiedervereint und glücklichseinwie ehemalsl In unwandelbarer Liebe Dein Kurt 102 12. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 8. August 1937 Liebste Käte, Donnerstag dieser Woche erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 11. und 18. Juli zusammen und hoffe, daß Du inzwischen die meinen auch bekommen hast. Außerdem hatte ich im Laufe der Woche eine polizeiliche Vernehmung in diversen Lappaliensachen - welche ande- ren gibt es überhaupt in diesem ganzen Verfahren? - und erhielt von dem sehr höflichen und sachlichen Beamten auf meine Frage die Aus- kunft, daß Deine Schutzhaft in längstens drei bis vier Wochenaufge- hoben würde, da die Staats-Polizei kein weiteres Interesse oder sonst Anlaß zur Verlängerung habe! Wenn ja nun derartige Auskünfte bisher auch manche Enttäuschungen im Gefolge hatten, so wurde doch dies- mal von dem betreffenden Herrn, den ich um Offenheit bat, um über Dein Schicksal ein klares Bild zu bekommen, obige Auskunft mit sol- cher Bestimmtheit gegeben, daß ich zu hoffen wage, daß tatsächlich - wenn auch mit etlicher Verzögerung - mit Deiner demnächstigen Ent- lassung zu rechnen ist. Wie froh bin ich doch hierüber, Liebste! Es warten ja einige Schwierigkeiten und unangenehme Wege Deiner - leider kann ich Dir sie nicht abnehmen und ich hoffe, daß doch alles sich noch zur Zufriedenheit löst. Da ist zuerst der so leidige Fall Stef- fens, Um Dich genau ins Bild zu setzen, lege ich Dir heute einen Brief des Herrn Steffens vom 21.7.36 und die kurz nachher mit Zahlungsbe- fehl übermittelte Abrechnung bei. Wie jetzt statt 240,-- M (4,-- M Ko- sten!) 600,-- M herauskommen sollen, ist vollkommen unbegreiflich. An Schönheitsreparaturen kommt in Frage: 1.) Streichendes Ganges, 2.) Tapezieren des Wohnzimmers. Mehr kei- nesfalls, weiterhin Kosten für den Umzug und für die Unterstellung ab 103 1.8.36, also jetzt genau für ein Jahr. Für das letztere kann Steffens na- türlich keinen willkürlichen Preis ansetzen; für das andere muß Rech- nung gelegt werden. Du schriebst mir vor Wochen, daß er für Verpak- kung etc. 100,-- M ausgelegt habe - das ist doch ganz ungeheuerlich, denn unser ganzer Umzug aus der Rosenstraße hat seinerzeit viel we- niger gekostet! Wie dem aber auch sei, sieh zu, in Güte und Ruhe mit Steffens auszukommen! Aus der Korrespondenz ist ersichtlich, daß der Lump W.H. das ganze Jahr - bis 1.8.1936 - so gut wie umsonst ge- wohnt hat und wahrscheinlich sogar keine Schwierigkeiten hatte, seine Möbel etc. fortzuschaffen, während unsere Sachen jetzt als Pfand für diese unerhörte Gemeinheit dienen müssen. Denn Zahlungsbefehl ist nicht gegen ihn, sondern gegen mich!!! ergangen! Die Abrechnung he- be sehr sorgsam auf Weiterhin lege ich Dir bei ein Schreiben der Ge- fangenen-Fürsorge aus August 1936. Hieraus geht hervor, daß die von Dir notierten Gegenstände damals noch da waren, wie jetzt plötzlich ein großer Holzkoffer fehlen kann, ist unverständlich! Hole Dir dort Rat und evtl. Hilfe gegen W.H.; falls dieser Dir verdächtig erscheint, etwas in böser Absicht zur Seite ge- schafft zu haben, gehe mit aller Schärfe gegen ihn vor! Er verdient es nicht besser, denn ich glaube bestimmt, annehmen zu dürfen, daß der Zusammenbruch des Betriebes hätte vermieden werden können, zu- mindest der ganze Komplex insgesamt bei etwas gutem Willen so ver- käuflich gewesen wäre, daß keine Schulden übrig geblieben wären! Dringe auf Herausgabe aller Geschäftsbücher und nimm Dir die Mühe, festzustellen, welche Beträge er für sich verbraucht hat und um wei- chen Betrag die Schulden gesunken sind; evtl. versuche, bei dem Un- tersuchungsrichter die geschäftlichen Briefschaften (Dr. Heermann Vertrag! W.H. und ein sehr merkwürdiger "Buchprüfer"-Bericht!) her- auszubekommen, die mir am 27.05.1936 beschlagnahmt und für meine Strafsache vollkommen unwichtig sind! Du wirst Dich dann über den 104 frechen Ton dieses W.H. amüsieren, aber auf keinen Fall etwa ärgern können! - Nicht ganz klar ist es mir, warum eigentlich Schulkes sich die Mühe und Kosten gemacht haben, einen Teil der Sachen sich auf- zuhalsen; kannst Du denn dort ein leeres Zimmer bekommen, oder wie ist das alles gemeint? Richte Dich auf keinen Fall zu fest ein - evtl. mit ganzer Wohnung oder so -, sondern denke daran, daß ich, wann immer auch meine Befreiungsstunde schlagen wird - später oder früher - ich keinesfalls daran denke, in diesem Land zu bleiben, das mir in fast zwei Jahrzehnten nur Enttäuschungen, Not, Arbeit und jetzt diese Prü- fung für Dich und mich gegeben hat! Gott sei Dank habe ich eine an- dere Heimat, und hätte mir das Schicksal nicht in Dir das endliche Glück meines Lebens geschenkt, würde ich heute die Stunde und den Entschluß verfluchen, die mich 1918 verleiteten, nicht nach dieser in jeder Beziehung schöneren, besseren und glücklicheren Heimat zu- rückzukehren! Dazu ist es aber nie zu spät! Und wie sollte ich denn hierzulande leben können? Nach 15 Jahren arbeits- und ehrenvoller Selbständigkeit etwa als "Gefolgschaftsmann" von irgendwem? Wie lächerlich!! - . Schreiberhau schweigt! Halte mich bitte auf dem laufenden über alles und versuche dringend nach Deiner Entlassung mich zu sprechen, da einiges Geschäftliche gar nicht so ausführlich geschrieben werden kann, wie es nötig wäre! In Liebe und Treue immer Dein Kurt Anbei: 3 Anlagen! 105 13. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 15. August 1937 Meine liebste beste Käte, Jetzt, da ich Dir allwöchentlich schreiben kann, merke ich erst, wie schnell eigentlich die Zeit verfliegt' : Die Wochen jagen dahin, Monate vergehen im Fluge, und nie sind mir zwei Jahre so kurz im Leben er- schienen wie die letzten beiden! Denke ich an andere Jahre, so häufen sich die Erinnerungen, gute und weniger gute, auch richtig schlechte und grausame sind dazwischen, aber, ob schön oder häßlich: Es ist doch die Erinnerung an gelebtes Leben, an Liebe oder Haß, Erfolge und leider so manche Mißerfolge, an Freude, Sehnsucht, Kampf, Nie- derlagen und Siege, an Freunde und Gegner, Wohlwollen und Miß- gunst, kurz: an die manchen größeren und kleineren Ereignisse und Menschen, die die mechanisch abrollende Zeit ja erst richtig zum "Leben" machen! Wie anders ist das hier - denke ich den zwei letzten Jahren nach, so finde ich so gut wie nichts, woran sich die Erinnerung haftet - merkwürdigerweise sogar nicht einmal wesentlich Schlimmes oder Scheußliches! Es ist alles nur grau in grau - ein leerer Fleck auf einem bunten Bild und die einzige große Sorge nur die: Wird die Leere noch so lange wachsen, daß das ganze andere Bild auch grau, leer und armselig wird?! Da ich in meiner Sache so gar nichts höre, bin ich manchmal doch recht mißmutig; niemals hätte ich in meinen aller- schlimmsten Befürchtungen auch nur im Traum an die Möglichkeit 1 Die "Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen und von Maßregeln der Sicherung und Besserung die mit Freiheitsentziehung verbunden sind" vom 14. Mai 1934 bestimmte in allgemeiner Form im § 118: "Ein Gefangener darf in bestimmten Zeitabständen Briefe absenden." Die näheren Festlegungen, besonders im Einzelfall, konnte der Vorsteher der Anstalt treffen. Offenbar hatte man Finkenstein nach dem einjährigen Schreibverbot nunbessere Rechte eingeräumt. 106 geglaubt, daß eine deutsche Behörde über zwei Jahre dazu brauchen könnte, einem "Beschuldigten" klipp und klar zu sagen, was denn nun eigentlich sein "Verbrechen" ist! Daß es das nun eben doch gibt, ist die einzige Erkenntnis, die ich in zwei ganzen Lebensjahren gewonnen habe, und der Preis dafür erscheint mir nun doch langsam etwas ZU teuer! Und an Dich und Deine Erlebnisse der Zeit darf ich dabei schon gar nicht denken - das ist ja alles noch tausendmal unsinniger, widerli- cher und alberner - und je abstoßender und ekelhafter mir alles er- scheint, desto dümmer und törichter komme ich mir selber vor!! Aber genug dieser Töne - gut ist es eben doch, daß wenigstens die Zeit so verfliegt und Woche nach Woche entschwindet - schließlich muß ja doch einmal eine Wendung und Lösung dieser ganzen Widerwärtig- keiten kommen!- Ich denke nun täglich daran, von Dir einen Brief zu bekommen, und wie ich mich darauf freue, weißt Du, wenn Du weißt, wie sehr mein Herz sich nach Dir in Sehnsucht und Trauer verzehrt! Schreibe mir doch einmal Genaueres über Deinen jetzigen Aufenthalt, was tust, liest, arbeitest Du, welche Gesellschaft hast Du und vor allem: Bist Du wirklich ganz gesund und wohlauf, oder haben die unverschuldeten langen Haftjahre Dir doch ihren harten Stempel aufgedrückt? Schone Dich nur in jeder Weise, und auch wenn nun - wie ich Dir ja vor acht Tagen schrieb - sich hoffentlich diese letzte häßliche Prüfung ihrem Ende zuneigt, so stürze Dich nachher keinesfalls zu hastig und schnell auf irgendeine neue Tätigkeit, sondern versuche, Dich erst einmal or- dentlich zu erholen; ist es erst soweit, werde ich Dir mitteilen, wie ich mir das etwa gedacht habe. Vorigen Sonntag schrieb ich Dir genaues über den Stand der Dinge Steffens und W.H.s, legte Dir auch drei Anlagen bei, die Dir soweit möglich die Lage übersichtlich machen sollten. Aus eben dem gleichen Anlaß habe ich mich entschlossen, Dir heute die zwei Briefe der Firma 107 Wölm-AG mitzusenden, die ich seinerzeit um die Zeit der Ge- schäftsauflösung erhielt. Du ersiehst daraus alles Notwendige; versu- che sowohl von dieser Firma wie vor allem von Seitz und Haag genaue Abrechnung zu bekommen; es ist eigentlich ganz unerhört, wie diese Dinge über meinen Kopf hinweg so erledigt worden sind, als sei ich schon ein toter Mann! Soweit sind wir Gott sei Dank noch lange nicht. Grüße bitte auch, wenn Du schreibst, Schulkes herzlich von mir, und sage ihnen, daß wir ganz gewiß die Mühe und sogar Kosten, die sie uns Freunden geopfert haben, ihnen nicht vergessen werden und daß ich ganz gewiß mich bemühen werde, sie für alles so reichlich wie möglich zu entschädigen! Lebe für heute recht recht wohl, Liebste, und denke, daß jede Woche, die so vergeht, uns ja der endlichen Vereinigung näher bringt, und daß dann nichts und niemand uns je wieder trennen soll bis an das Ende unseres Lebens, das hoffentlich noch so fern ist, daß ich Dir viele Mal die häßliche Gegenwart vergelten kann. In Liehe allezeit Dein Kurt 2 Anlagen 108 14. Brief An Käte Westhoff. Kassel-Wehlheiden, den 22. August 1937 Liebe, gute Käte, Dein lieber Brief vom 8. dieses Monats kam vor einigen Tagen in mei- ne Hände; inzwischen wirst Du wohl den meinen vom gleichen Tage mit den Anlagen, evtl. auch den vom vorigen Sonntag erhalten haben. Ich denke, daß Du jetzt, soweit es möglich ist, über alle unsere Ver- hältnisse und Verpflichtungen soweit im reinen bist, daß Du, sollte sich das Versprechen Deiner baldigen endlichen Entlassung bewähren, die paar Schritte wirst unternehmen können, die zur Entwirrung dieses Knäuels notwendigerweise getan werden müssen. - Ich freue mich sehr, aus Deinen Briefen zu ersehen, daß Du Dich we- nigstens einigermaßen wohl fühlst, Durch Radio und wohl auch Zei- tungen seid Ihr dort wenigstens in loser Verbindung mit der Außen- welt, so daß dieses scheußliche Gefühl der vollkommenen Abge- schlossenheit nicht vorherrscht, das mir hier das Schlimmste von allem ist. Meine einzige - überhaupt die einzige außer der Anstaltszeitung "Der Leuchtturm" - Quelle für Nachrichten ist das Sonntagsblatt, das natürlich - seinem besonderen Charakter gemäß - nur in ganz unge- fähren Umrissen von den Ereignissen in der Welt berichtet. I Du kennst es ja wohl auch aus dem Gerichtsgefängnis in Kassel? Wenn ich mir heute vorstelle, daß ich früher oft drei bis vier Zeitungen täglich, dazu alle möglichen Wochen- und Monatsschriften der verschiedensten po- litischen, religiösen und weltanschaulichen Tendenz lesen mußte, um 1 Das bei Thiele und Schwarz (Kassel) im Jahre 1937 im 59. Jahrgang erscheinende "Kasseler Sonntagsblatt" hatte in der Tat einen "besonderen Charakter": [...]. - "Der Leuchtturm. Nachrichten aus aller Welt" warzunächst schlesische undseit 1926 "Zeitung fürdasGefangenenwesen inPreußen", z.B.: 13(1937). 109 mich zu informieren, so muß ich oft darüber lächeln, mit welchem un- wichtigen und oft geradezu blöden Ballast man sein armes Hirn zer- quält hat - um alles schnellstens wieder zu vergessen! Und doch fehlt mir das natürlich sehr; auch die gewohnte Beschäftigung mit Büchern, Musik, kulturellen Dingen überhaupt, die Aussprache mit gleich- gestimmten Freunden, das Zusammenkommen mit klugen, überlege- nen und anständigen Menschen, fange ich nun doch an, aufs Schmerz- lichste zu vermissen. Von Dir in diesem Zusammenhang zu reden, er- übrigt sich. Du kannst Dir denken, wie sehr ich Deine Güte und Liebe vermisse, wie sehr ich mich nach unserem Zuhause, nach den schönen Stunden sehne, die wir in so ungetrübter Gemeinsamkeit leider nur so wenige frohe Jahre verleben durften. Weshalb und warum mußte das eigentlich so kommen? Was Du mir von Frau Irma H. schreibst, wundert mich nicht weiter. Du solltest aber nicht so schnell den Stab brechen über den einzigen Menschen, der Dir eine Brücke zu Deiner eigenen Vergangenheit be- deutet. Schließlich genügt es, wenn ich selbst aus Ekel und Verdruß die Beziehung zu Leuten abbreche oder gebrochen habe, die ich für feige und erbärmlich halten muß, wenn sie ihre eigene Vergangenheit verleugnen und beschmutzen! Das ist doch bei Deiner Freundin Irrna nicht der Fall. Ich habe da niemals etwas anderes vorausgesetzt, als die zielsicherste und unbedenklichste Selbstsucht, und wenn sie heute in dem von Dir angedeuteten Sinn reagiert, bleibt sie ihrem innersten Charakter treu. Warum also sich darüber weiter verwundern? In dieser Beziehung bin ich nicht mehr zu enttäuschen: Wenn ich mich über et- was wundere, ist es höchstens der Anblick so unerwarteter und ganz ungewöhnlicher Anständigkeit, wie sie aus dem Verhalten Schulkes zu sprechen scheint und die so sehr absticht von allem anderen, das man seit Jahr und Tag erlebt! Was soll ich z.B, dazu sagen, daß ich aus Schreiberhau nach drei Briefen noch nicht einmal Antwort bekomme, 110 viel weniger das kleine Darlehen, um das ich bat? So schlecht kann es doch dort nicht gehen, und wenn es doch so sein sollte, hätte ich viel- leicht wenigstens ein Recht darauf, von meinen Kinderndas Selbstver- ständliche zu erfahren! Aber nicht einmal das wird für nötig gehalten- wieso also von einer Fremden verlangen, sich soweit "bloßzustellen", Dir ein paar Mark zu borgen oder gar zu schenken? Früher hätte ich so etwas ja auch mit unbefangenerem Blick betrachtet, heute bin ich so- weit zu wissen, daß die Vorsicht gar nicht weit genug getrieben werden kann! Und wieviel Leid und Enttäuschung wären uns erspart geblie- ben, wenn ich jemals hätte so handeln können! Laß sie also ruhig und wenn Du ihr je begegnen solltest, behandele sie nicht anders als bisher: höflich und freundschaftlich. Daß ich Dir von jeder Änderung meiner Lage Bescheid geben werde, ist ja selbstverständlich, vorerst ist alles unverändert beim alten. Mor- gen fängt schon wieder ein neuer Monat an - der 26. -, und wieviel werden noch beginnen, ehe wenigstens Klarheit darüber zu bekommen ist, wie und wann das alles einmal enden soll! Und wird man sich dann endlich auf etwas Feststehendes verlassen können? Jedenfalls heißt es trotz allem den Kopf hochhalten und zu hoffen, daß, wenn auch spät, so doch überhaupt, das Recht siegen wird! Mit tausend Grüßen und Küssen Dein Dich liebender Kurt 111 15. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 29. August 1937 Liebe, liebe Käte, Nun ist schon zum dritten Mal seit unserer Trennung der Monat Au- gust zu Ende gegangen; da fiel es mir heute früh plötzlich ein, daß es am letzten Augustsonntag im Jahre 1919 war, als ich oben in Wil- helmshöhe mit meiner lieben Mutter im "Pensionshaus" wohnte und während des Frühstücks nach der Stadt hinuntersah, in der ich wohnen sollte, falls meine geschäftlichen Verhandlungen zum guten Abschluß kämen! Ich frug den aufwartenden Kellner, was das für ein auffallender Gebäudekomplex sei, "da unten halbrechts"?! Das Zuchthaus Wehlhei- den! erhielten wir zur Antwort und kümmerten uns nicht weiter darum. Auf den lächerlichen und absurden Einfall, ich könnte dort einmal un- tergebracht werden, kam ja keiner von uns beiden; nun ist schon der Jahrestag dieses Vorganges zweimal von mir in eben diesem Haus er- lebt worden, ohne daß ich wüßte, was die Zukunft in ihrem unsichtigen Schoße hält! Soll man darüber nun froh oder traurig sein? Fast meine ich, es ist besser, nichts zu wissen, denn wie könnte man sonst weiter- leben? Wie gut, daß damals alles schön und eben vor unseren Blicken zu liegen schien; wie hätte man es ertragen können, alles das zu wis- sen, was ein ungnädiges Schicksal in dieser Stadt, in die ich wirklich zur falschen Stunde geraten bin, für mich in Bereitschaft hatte! Schließlich wollte ich nichts anderes, als wie unzählige andere be- scheiden leben, arbeiten, ein "zu Hause" haben und keinem Menschen Unrecht tun - gewiß kein überschwengliches Programm, aber. nach vier Kriegsjahren, nach dem Verlust der Heimat, stand mein Sinn si- cher nicht nach großen Aufregungen. Und wie hat mir das Schicksal diese gewiß bescheidenen Wünsche zerfetzt! Ein Glück, daß meine 112 Mutter nichts von alledem gesehen hat: Bruch und Ende meiner Ehe, Ausgang meines Geschäftes und schließlich diese ganze .scheußliche ekelhafte erbärmliche Geschichte, an der wir zwei nun schon im dritten Jahre zu kauen haben! Als sie in dem düsteren Hofzimmer in der Ro- senstraße - in dem später das Kautschuklabor untergebracht war - in meinem Arm die Augen schloß, schien alles für mein Leben in bester Ordnung zu sein, und ich bin glücklich darüber, daß sie in dieser Täu- schung in die Ewigkeit hinübergeschlummert ist. Hoffentlich ist der Weg dahin so weit, daß alles inzwischen Gekommene sie nicht mehr stören kann. - - - Du, Liebste, Geliebte, Du hättest ihr gewiß gefallen, denn Du hattest und hast so viel von dem, was ihr heller und klarer Blick doch an mei- ner Frau vermißt hat! Aber alles andere? - -- Verzeih, daß ich Dir heute von so abseitigen Dingen spreche, aber die Erinnerung an meine Mutter, und eben gerade an diesen heutigen Tag vor 18 Jahren, hat sich in mir etwas vorgedrängt! Was soll ich Dir auch sonst aus meinem so fast schmerzlich unbeweg- ten Leben der Gegenwart erzählen? Es geschieht ja absolut nichts, die Tage rinnen - Gott sei Dank recht schnell! - gleichmäßig und leer, und selbst die Erwartung oder Neugier ist recht still geworden; was kann noch viel Überraschendes kommen? Das nächste von mir sehnsüchtig erwartete Ereignis ist jetzt Deine Entlassung und Rückkehr ins bürger- liche Alltagsleben - möge doch der Tag endlich, endlich kommen! Ich selber weiß nachgerade fast überhaupt nicht mehr, was ich für mich und mein Schicksal erwarten soll und kann. Jede sowohl gute wie schlimme Möglichkeit ist ja gegeben, es ist ja absolut nichts von uns selber mehr abhängig. Damit muß man sich ja abfinden, schließlich bin ich ja an der Entwicklung der Sache leider nicht ganz schuldlos: alles, was wir nach August 1933 getan haben, war gewiß verkehrt; richtig wäre einzig und allein gewesen, schnellstens und ohne jede Rücksicht 113 auf den Anspruch anderer an mich die Konsequenz aus meinem Schutzhafterlebnis zu ziehen und mit Dir nach meiner Heimat zurück- zukehren.' Warum, warum habe ich nur das damals nicht getan! Ich hoffe, kommende Woche wieder von Dir etwas zu hören; ich denke immer, immer an Dich und ich wünsche so von Herzen sehr, Dir ein- mal diesen ganzen häßlichen und furchtbaren Alptraum durch verviel- fältigte Liebe entgelten zu können! Mit vielen Küssen Dein stets getreuer Dich liebender Kurt I Am 8. August 1933 wurde Finkenstein aus dem Konzentrationslager Breitenau entlassen. 114 16. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 12. September 1937 Liebster bester Schatz, - schon wieder eine Woche vorüber: Soll man sich eigentlich darüber freuen oder traurig sein, daß die Zeit so rasend dahineilt, um uns mit jedem wechselnden Mond einen Schritt - einen mit wachsenden Jah- ren sich ständig vergrößernden Schritt! - näher zum Ende zu bringen? Wie viele Schritte haben wir noch, und wie viele davon wird ein ge- meines Schicksal uns nötigen, durch diese Wüste zu gehen?- Aber ich habe mir ja heute vorgenommen, mit Dir ohne Bitterkeit oder Wehmut zu plaudern, denn ich habe meines letzten Briefes wegen ein paar leichte Gewissensbisse, weil ich fürchte, einer galligen oder sonst schlechten Laune zu sehr nachgegeben zu haben, was vielleicht am Ton zu merken war. I Es war aber so, daß ich wirklich seit Tagen scheußliche Ohrenschmerzen und deshalb mehrere Nächte kaum ge- schlafen hatte. Ich habe mir aber nun beide: Ohren spülen lassen, und alles ist hier wieder in bester Ordnung. Vielleicht war es auch gar nicht so sehr schlimm, aber eine Krankheit oder nur ein solches krankhaftes Unbe- hagen läßt einen hier ja erst recht zur Besinnung darüber kommen, wo man eigentlich ist und was man an seiner Häuslichkeit, an ein bißchen Wärme und persönlicher Anteilnahme vermissen muß! In normalen Zeiten - nach augenblicklichen Maßen gemessen! - unterdrücke ich derartige Gedanken durchaus, und es gelingt mir auch meistens. Ich habe ja eine angeborene Neigung dazu, immer unter mich zu sehen, dort wirksame Not und Kummer zu fühlen wie den eigenen und mit 1 Dieser "letzte Brief" vermutlich am5. September 1937 geschrieben, ist nicht er- halten. 115 meinem Los zufrieden zu sein. Nun kann man ja in Hinsicht auf das rein Körperliche schlecht noch tiefer gedrückt und vergewaltigt wer- den, als es uns seit zwei Jahren zustößt - trotzdem fiihle ich mich gei- stig und seelisch so frei und unbeschwert, als wäre ich in voller Frei- heit; ja ich weiß, daß gar nichts und niemand mir diese Freiheit neh- men kann; und das andere, nun, das ist ja ungezählten anderen, oft bes- seren, auch zugestoßen, seit allen erdenklichen Zeiten. Das kann jedem Menschen zustoßen, der einen eigenen, festen Standpunkt hat und nicht dem schwankenden Rohr im Winde gleicht - ganz gleichgültig, auf welcher Seite immer das Schicksal ihn hinstellt! Es ist natürlich Pech, wenn man in diesem Karussell eben gerade auf der falschen - der momentan falschen - Seite sitzt - aber blickt man auf die unabrei- ßende Kette von Unglück und Schuld, in die die Menschen seit drei Jahrzehnten verwickelt sind, so erscheint das persönliche Wohl oder Wehe doch nur sehr klein und beiläufig? Denke auch Du, meine lieb- ste und teuerste Freundin, immer daran, dann wirst Du leichter die Kraft und den Mut finden, Prüfungen zu ertragen, die manchmal allzu schwer zu tragen sind! - Ich habe es mir dieses Mal recht überlegt, ob ich Dir schreiben soll, da Du wohl für den Brief Strafporto zahlen mußt - aber ich nehme an, daß Du Dir bei einer Deiner Schicksalsgenossinnen die paar Pfennige wirst leihen können, und Dir ein paar Zeilen von mir doch allwöchent- lich eine kleine Freude machen können. Das Rennen nach Erledigung des "Pensums" habe ich vorerst ganz aufgegeben, es ist diese "Arbeit" so sinnlos und unfruchtbar, daß ich sie eben vorerst wirklich nur als "Beschäftigung" ansehen kann und sehr hoffe, sie auch in Zukunft nicht anders ansehen zu müssen. An die kleinen Erleichterungen, die 2 Da Finkensteins Zeitangaben in der Regel auf Tag und Monat genau sind. ergibt sich das Jahr 1907 als Bezugspunkt; es ist uns nicht klar, an welches Ereignis er ge- dacht hat. 116 durch verdientes Geld zu bekommen sind, denke ich kaum mehr, und wenn auch eine bescheidene Abwechslung der langsam doch sehr ein- tönigen Anstaltskost in Form von etwas Margarine, Fett, Honig oder dergleichen recht angenehm wäre, so habe ich mich doch seit 15 Monaten daran gewöhnt, darauf zu verzichten. Unangenehmer ver- misse ich, wie ich Dir schon einmal schrieb, die zugelassene Zeitung (Leuchtturm) wegen der wenigstens andeutungsweisen Chronik der Zeitereignisse. Man lebt ja hier wie auf einem fremden - allerdings keineswegs schöneren - Stern! Ich schrieb auch hierüber vor ca. drei Monaten nach Schreiberhau: umso weniger begreife ich das vollkom- mene Schweigen von dort. Nun - damit habe ich mich längst abgefun- den. Vielmehr ärgert es mich, daß ich durch gar kein Mittel - sogar Frau Schulke habe ich ja seinerzeit mehrmals hingeschickt - von dem armseligen G.W. das Geld für die ihm gemachten Prothesen bekommen kann - da brauchte ich ein Vierteljahrhundert keine Sorge um - Brief- marken oder "Leuchtturm" zu haben. Es ist alles so lächerlich und er- bärmlich. - Nun freue ich mich aber recht recht sehr auf Deinen nächsten lieben Brief! Mit vielen leider nur schriftlichen Küssen Dein Kurt 117 17. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 19. September 1937 Liebe teure Käte, es ist heute ein herrlicher Frühherbstsonntag draußen, einer jener Sep- tembertage, die für mich immer zu den schönsten des Jahres zählten! Du weißt ja, daß mir der Herbst die liebste, glücklichste Jahreszeit war und ich so sehr die Glut der bunten Wälder liebte, bevor der Winter, die Kälte und der Tod kommen. Und nun geht uns dieses Glück zum dritten Male verloren - nachdem ich schon einmal fünf Herbste hinter- einander habe verlieren müssen - in den häßlichsten Jahren 19I4 bis 1918, in denen ja viele Millionen leidender und unseliger Mitmen- schen noch sehr viel mehr haben hergeben müssen als ihre Tage und Jahreszeiten! Überdenke ich das in der allzu großen Ruhe meiner trau- rigen Gegenwart, wird mir das Herz krank, und ich zweifle an allem Leben und vor allen Dingen an den Menschen, die ja durch eigene un- begreifliche Schuld aus dieser schönen Erde eine Hölle machen. - Dein lieber Brief vom 5. September kam am 15. in meinen Besitz, und ich sehe daraus, daß nicht nur die Menschen selber, sondern darüber hinaus ein ebenso boshaftes und schändliches Schicksal sein Spiel mit uns treibt! Warum muß nun gerade diese Frau Schulke schon wieder im Krankenhaus sein? Warum gerade ein so selbstloser, grundanstän- diger, herzensguter Mensch dem Kreis von Pflicht und Hingabe entzo- gen werden, dem er so notwendig wäre? Ist nicht alles wie sinnlos und ohne jede Vernunft und auch ohne jede Güte? Mir tut der arme Herr Schulke wirklich von Herzen leid, der nun die Sorge für das arme ver- krüppelte Kind hat und sicher in der ungewohnten neuen Umgebung sich sehr verlassen und fremd fühlen wird! Wenn Du an Schulkes schreibst, versäume ja nicht, sie beide von mir recht von Herzen zu 118 grüßen und Frau Schulke meine ehrlichsten und besten Wünsche für Ihre Gesundung mitzuteilen! - Irgendwelche Einlagen an Dich kommen ja nun nicht mehr in Frage, so daß Überporto in Zukunft nicht zu erwarten wäre, aber schon die Beschaffung der geringen Mittel rur die notwendigen Marken ist ja ein Problem geworden! Dabei ist es wahrlich lächerlich zu denken, daß in einer Sparkasse (!) in unserer Wohnung sicherlich mehrere Silberstük- ke liegen, die ich seinerzeit halb scherzhafter Weise hineingeworfen habe und die wohl inzwischen sogar außer Kurs geraten sind! Und un- serem "Freund" W.H. habe ich nach meiner Verhaftung einen Fünfzig- Mark-Schein gegeben, damit der Arme keine Schwierigkeiten in den ersten Tagen haben sollte! Wann werde ich wieder in die Lage kom- men, durch ehrliche und mühselige Arbeit das Geld für unser eigenes Leben erringen zu können? Wenn dieser Zustand noch lange währt, wird ja auch meine fachliche Brauchbarkeit immer geringer, denn wo Übung und dauernde Bewährung fehlen, müssen ja Können und Kenntnis lahm und stumpf werden. Was Du mir über Deinen Vater schreibst, ist mir nicht ganz klar geworden; aber auf keinen Fall geht es doch an, daß Du auch nur im allergeringsten Maße irgendwelchen Menschen zu erlauben brauchst, Dich auch nur krumm anzusehen, weil Du "im Gefängnis gesessen" hast! Und wenn es Dein Herr Vater wäre, von dem ich ja bei meinem gescheiterten Vermittlungsversuch seinerzeit am Telefon einen recht sonderbaren Eindruck bekam! Denn, Liebste, vergiß bitte niemals, daß das, was uns seit zwei Jahren zu- stößt, nur ausschließlich leibliche und materielle Mißhelligkeiten sind und mit irgendwelchen Dingen der Moral oder Ehre nichts zu tun ha- ben! Ehre verlieren kann man niemals, und unter gar keinen Umstän- den durch irgendwelche gewaltsamen Einwirkungen von außen! Eben- sowenig, wie man "Ehre" gewinnen kann dadurch, daß man sie durch solche Wirkungen sucht! Denn Ehre hat man oder verliert man ganz 119 einzig und allein durch sein eigenes Verhalten - weshalb mir selbst ja zeitlebens nichts so fremd, lächerlich und hohl erschienen ist, als jede denkbare Art von "Ehrgeiz" in militärischer, politischer, bürgerlicher oder sonstiger Form, Und wenn ich Dir immer wieder schrieb, wie sehr es mich schmerzt, der Anlaß für Deine gegenwärtigen Leiden zu sein, so habe ich doch niemals an etwas anderes dabei denken können, als eben das rein Materielle, die Entbehrung der Freiheit usw.; denn der Gedanke, daß Dir, Liebste, oder auch mir selber jemals etwas an Ehre genommen werden könnte, ist doch absurd und lächerlich! Unsere Eh- re ist nur allein ein Produkt unseres eigenen Lebens!! In Liebe und Treue bleibe ich immer Dein Kurt 120 18. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 26. September 1937 Liebste Käte, ich habe diese Woche zuerst daran gedacht, das Schreiben zu unterlas- sen, aber schließlich doch den Briefbestellt, weil ich annehme, daß Dir ein paar Worte von mir eine Freude machen werden, auch wenn wieder Strafporto fällig sein wird! Ich habe auch hin und her überlegt, wem der vielen Leute, mit denen mich doch manche gute Kameradschaft verband und denen ich so manches Mal gern und ohne Vorbehalte ge- fällig gewesen bin, ich die Bitte um ein paar Mark für Porto etc. vor- tragen könnte - aber unsere gemeinsamen Erfahrungen schrecken mich ab! Du mit Irma H., ich mit meinet ehemaligen Frau ("Wir wollen trotz allem gute Freunde bleiben und uns gegenseitig die Achtung bewah- ren"! I). Diese zwei Lehren sind ja schmerzlich und nicht zu übersehen. Und eine sprechende Illustration der schönen Weisheit: Wohltun bringt Zinsen! Uns beiden hat ja meine Neigung, nicht nur mit großem Maul, sondern ebenso mit offener Hand, Anteil an fremdem Schicksal zu nehmen, wahrhaftig eine Art von Zinsen eingetragen, die bemerkens- wert ist. Das vollkommen Unbegreifliche und sicher Sonderbare ist aber die Gewißheit darüber, auch in kommenden Zeiten (wann werden sie kommen?) aus alldem nichts gelernt zu haben, sondern mein Leben, Denken und Handeln wahrscheinlich genauso einrichten zu müssen, wie ich es seither gehalten habe, das heißt einern tief innen ruhenden Kompaß zu folgen, den man je nach Laune benennen kann: Gewissen oder Überzeugung oder vielleicht auch bloß Lust und Freude an eben diesen Handlungen und Verhaltungen. Es ist ja überhaupt seltsam, wie wenig wandlungsfähig ein Menschenherz ist - ich habe oft darüber nachgedacht, was ich wohl falsch gemacht und anders hätte tun oder 121 empfmden müssen, und immer mehr komme ich zu der Einsicht, daß gar nichts hätte anders kommen können oder dürfen, wenn ich nicht mir selber und meinem tiefsten inneren GefUhl hätte schuldhaft untreu werden wollen. In diesem Sinne muß Du begreifen, wenn ich Dir sage, daß ich mit Heiterkeit und Zuversicht - trotz allem und allem! - auf mein, auf unser gemeinsames Schicksal sehe und gar nichts imstande ist, das Gleichgewicht meiner Seele zu beirren. Das gilt natürlich nur für die große Linie und die wesentlichen Entscheidungen, denn daß Lagen wie die unserige es notwendigerweise mit sich bringen, daß ein- zelnes scheußlich und fast unerträglich ist, daß Nadelstiche und wi- derwärtige menschliche Quengeleien einen oft schrecklich quälen - das ist ja wohl unvermeidbar. Aber ich lasse solche Dinge nur bis an die Haut - an mein inneres Wesen können sie nicht rühren, und eines Tages hoffe ich, Dir dieses Wesen im Kern unverwandelt wieder zu- führen zu können, äußerlich etwas zerknittert - ein paar Zähne weniger und weiße Haare mehr - und mit derselben tiefen Liebe und Dankbar- keit durchtränkt dafür, daß Du diese letzten durchlebten gemeinsamen Jahre mir zu einem einzigen tiefen und wohltuenden Glück gestaltet hast. Was ich nach den scheußlichen, erbärmlichen Kriegsjahren in meiner ersten Ehe gesucht und leider nicht habe finden können (leider sage ich darum, weil dann alle Betroffenen wahrscheinlich einen weniger schweren Weg gegangen wären -), habe ich aus Deinen guten treuen Händen im Übermaß geerntet: Das Glück, das aus der Sicherheit der Liebe kommt. Immer, immer danke ich Dir, Du Liebe, hierfür, und solange noch ein Hauch Atem in meiner Brust, ein Funken Leben in meinem Leibe sein werden, will ich nicht aufhören, Dich als den Stern und das Ziel meines Lebens zu sehen. Ich hoffe, daß es mir vergönnt sein wird, einmal Dir all das Leid der Gegenwart zu vergelten durch 122 verdoppelte, verzehnfachte Liebe, die ich aus nicht ermüdenden Hän- den über Dich ausstreuen will. Ich lebe überhaupt nur noch Deinetwegen und werde immer nur Dei- netwegen weiterleben, solange dieser Weg uns durch Prüfungen, Irr- tümer und Leid oder wieder durch Glück, Heiterkeit und Sonnenschein führen wird. Lebe in dieser Zuversicht, ich küsse Dich viel Mal in treuem Gedenken Dein Kurt 123 19. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 10. Oktober 1937 Liebste, beste Käte, trotzdem Dein Brief vom 19. September schon im Lauf der vorvergan- genen Woche in meinen Besitz kam, habe ich Dir am letzten Sonntag- zum ersten Mal seit vielen Wochen - nicht gleich geantwortet. Ich hatte nämlich zu gleicher Zeit einen Brief aus Schreiberhau mit wahrhaft verblüffender Erklärung für das rätselhafte monatelange "Schweigen", das aber gar kein Schweigen war, sondern die Folge eines Vorganges, der zu den vielen Unbegreiflichkeiten gehört, an die man sich immer erst wieder von neuem gewöhnen muß. I Um Platz zu gewinnen und Dir auch einen Blick auf Leben und Entwicklung meiner Kinder zu ge- ben, lege ich Dir einfach den Brief bei. Ich hielt es natürlich für wich- tig, dorthin sofort zu antworten; da meine geschiedene Frau, falls Mar- tin tatsächlich ins Hirschberger Gymnasium aufgenommen ist, die Ko- sten für zwei auswärtige Schulbesuche aufzubringen hat, kann ich kei- nesfalls auch noch irgendwie laufende Zuschüsse erwarten. Ich habe das ja auch niemals getan, sondern eben nur die Summe erbeten, die etwa drei bis vier Monate mir Porto und Zeitungsbezug gesichert hätte. Nun habe ich zwei mir ausgebrochene Goldfüllungen mitgeschickt und gebeten, den Erlös in etwa gleichen Teilen an Dich und mich zu schik- ken, um dieser schon lächerlichen Schwierigkeit abzuhelfen. Das wird uns über den Rest des Kalenderjahres erst einmal reichen; weiterhin habe ich ihr eine Zession über meine Forderung an G.W. beigelegt und hoffe, daß jetzt diese geradezu unglaubliche Geschichte ins Rollen J Zur Erinnerung: Nach Schreiberhau war im Jahre 1930 seine von ihm 1934 ge- schiedene Frau Elfriede (im folgenden von ihm auch .Fride" genannt) mit den Söh- nen Peter und Martin gezogen. 124 kommt. Wie Du weißt, hat mir seinerzeit G.W. von 140,-- M, die ich ihm berechnete, 50,-- M bezahlt, die ich fast ganz dem W.H. für Ex- traktionen etc. außer seinen laufenden Bezügen gegeben habe..Die restlichen 90,-- M wollte er mir "baldigst" ins Labor bringen. Zwei bis drei Monate nach unserer Festnahme schickte ich ihm Mahnung mit Rechnung; Antwort kam keine! Dann ließ ich ihn durch Dr. Heermann mahnen und mit Klage drohen, dann schickte ich Frau Schulke zu ihm, dann die Frau eines Zelleninsassen, der als Schreiner mit G.W. zu- sammengearbeitethatte - alles das mit dem Erfolg, daß einmal- 5,-- M bezahlt wurden! Dann bat ich etwa im März 1936 meine Frau, dem Dr. Heermann einen Vorschuß für Zahlungsbefehl vorzulegen und dieser- lehnte aus mir vollkommen unfaßbarem Anlaß eine Klageerhebungab!! Alle derartigen Dinge sind ja nicht mit den gewohnten Maßstäben zu messen, aber ich habe mir ganz abgewöhnt, diese anzulegen; auch was unsere Zukunft und Schicksal anlangt, müssen wir beide damit rech- nen, nur das Unerwartete und Überraschende zu erleben und das kei- neswegs im freundlichen Sinn. Wenn ich noch Anfang des Jahres die Zuversicht hatte, daß schließlich die Wahrheit siegen müsse, so hat mich Dein gegenwärtiges Geschick davon überzeugt, daß es hieraufja gar nicht ankommt. Du weißt, mit welch törichten, überlegenem Spott ich alle Warnungen in den Wind schlug, mich nur auf mein gutes Ge- wissen verlassend, das mir zwar meine Lage erträglich machen hilft, aber eben doch diese Lage nicht verhindern konnte. Und da dies mög- lich war, ist alles andere auch möglich. Ich bin jedenfalls nur noch nach der guten Seite hin zu überraschen; Verschlimmerungen, Er- schwerungen etc. meiner Situation gehören eben zu den Selbstver- ständlichkeiten eines Zustandes, den ich mit beharrlicher Blindheit nicht erkennen wollte! Jene "höhere Ordnung", von der meine ehemalige Frau schreibt und die sie noch in unserem Fall für wirksam hält, ist leider ein sozusagen 125 "liberalistisches Vorurteil", dem hierzulande das Heimatrecht entzogen ist - , traurige, leider zu späte Erkenntnis! Weiterhin habe ich Fride gebeten, sich mit einer Beschwerde wegen der verweigerten Briefe an den Untersuchungsrichter zu wenden; die- ser hat Dir ja schon im Februar/März dieses Jahres von der Aufhebung meiner Postbeschränkung gesprochen und sechs Wochen, nachdem er mir das auch selbst gesagt hat, hatte ich hier in der Anstalt noch einmal Behinderungen und Schwierigkeiten dieserhalb! Man stelle sich aber vor, daß so einfach verweigerte Briefe etwa eine Unglücks-, gar To- desnachricht enthalten! Diese Sache ist natürlich anders zu beurteilen, als wenn etwa irgend jemand durch dauerndes Schreiben die zensie- renden Beamten belästigt! Ich werde Dir s.z. sofort Bescheid geben. - Ein Bild Peters, auf dem er eine fast unheimliche Ähnlichkeit mit mei- nem gefallenen Vetter Kurt Hogg [Hopp?] hat, ist in Kassel bei Photo- haus Becker gemacht; leider reichte mein Platz nicht mehr zu der Fra- ge, ob er wieder einmal hier gewesen ist. Du siehst auch aus dem Brief, daß die Schreiberin sehr behutsam um meine wichtigste Sorge sich herumdrückt; Stellung der Kinder zu mir und meiner Lage! Das Ganze ist eine tragische Sache. Kommt dazu noch die Schwierigkeit mit Mar- tins sprödem Charakter und sein offensichtliches Pech (Peter z.B. hat durch einmalige Klassenzusammenziehung wieder ein Jahr gewon- nen!), so wirst Du leicht begreifen, daß all das auch noch schwer auf meinem Herzen liegt. - Es ist der Gedanke an Dich, Du Beste, der mich am Leben und aufrechterhält; alles andere lastet schwer auf mei- ner Seele; tiefe Bitterkeit und eine grenzenlose, weltweite Verachtung gegen alles, was um mich vorgeht, frißt sich wie eine ätzende Säure in mein Herz. Aber Du, Liebste, bist und bleibst mein "Stern aus dem Morgenland". In inniger Dankbarkeit und Treue Dein Kurt Anbei: 1 Anlage 126 20. Brief An Käte Westhoff Kassel- Wehlheiden, den 17. Oktober 1937 Liebste Käte, Endlich, endlich, endlich! Die Anklageschrift! 1 Hoffentlich kommt nun auch der Termin bald, dem ich mit der aller- größten Ruhe entgegensehe. Ich denke, daß meine Gastrolle zwischen Zuhältern und Einbrechern damit zu Ende sein wird. Ich habe mich in der Umgebung auch recht ungemütlich gefiihlt. Schließlich ist solch ein Ort als Ziel eines Lebens, das fast nur Arbeit, Mühe und Sorge ge- wesen ist, ja auch dem nicht ganz angemessen. Wie aber auch die Wür- fel fallen mögen: Die lähmende, langsam tötende Ungewißheit wird aufhören! Das heißt, - natürlich muß ich mit langer Schutzhaft rech- nen, aber auch das wird ja ein Ende nehmen müssen. Und fiir Dich ha- be ich eine besonders frohe Nachricht: Herr Lange von der Stapo hat mir die Versicherung gegeben, daß Du sehr schnell nach meinem Ter- min entlassen werden wirst. Ich glaube, diesmal kann man sich auf die- se Meldung verlassen, also wirst wenigstens Du nicht ein drittes Mal das Weihnachtsfest in der Gefangenschaft erleben müssen.' Schon hierüber bin ich so froh, ich möchte laut singen und pfeifen - was ich natürlich nicht darf und ja auch gar nicht kann! Leider ist Dein angesagter Brief vom 3. Oktober noch nicht hier ein- gelaufen; auch aus Schreiberhau habe ich nichts wieder gehört; ich 1 DieAnklageschrift wurde am28. September 1937 niedergeschrieben. 2 Bereits zum zweiten Male wurde Finkenstein über eine bevorstehenden Entlas- sung Käte Westhoffs aus dem Konzentrationslager benachrichtigt - auch diese Zusage bewahrheitete sich nicht. 127 warte vor allem hier dringend auf Geld, da auch dieser Brief wieder unfrankiert fortgehen muß. Ich hätte auch gerade heute nicht geschrie- ben, wenn eben die große Meldung nicht fällig gewesen wäre! Aber ich denke doch, daß man eine Freude nie aufschieben soll und hoffe, daß Du auch so froh sein wirst wie ich selber! Hoffentlich sind die beiden Goldfüllungen richtig in Schreiberhau ein- getroffen, ich hatte sie sehr sorgfältig verpackt; eigentlich müßte die Antwort hier sein, denn der Brief, den ich Dir vor acht Tagen mitge- schickt habe, hat seinerzeit nur vier Tage gebraucht; vielleicht war das aber ein besonders günstiger Zufall. Ich hatte gestern bis hierher geschrieben in der Hoffuung, doch noch Deinen Brief zu bekommen, was aber vergeblich war. IGh bin jetzt sehr neugierig zu hören, was Du von Schulke oder sonstwo hörst; die Sache mit den Möbeln, dem Betrieb, die Frage nach unserer Zukunft über- haupt, hat mich fast die ganze Nacht beschäftigt. Es wird wohl eine sehr harte Zeit für uns kommen; ich zergrüble mir den Kopf darüber, wie ich wieder zu einer, wenn auch kleinen, Selbständigkeit komme. Mit zunehmenden Jahren läßt ja auch die körperliche Spannkraft nach, vor allem, wenn man durch jahrelange Nachtarbeit, durch hunderte durchgearbeitete Sonntage usw. so gegen sich gewütet hat, wie ich es getan habe. Irgendetwas muß an diesem Übermaß von Arbeit doch falsch gewesen sein, sonst hätte wohl doch ein etwas größerer Segen darauf ruhen müssen. In diesem Tempo werde ich niemals wieder ar- beiten! Eigentlich habe ich seit Kriegsbeginn keine ruhige Zeit mehr gehabt, nur das Jahr in Leipzig und die kurze Zeit unserer Gemeinschaft bis zum Tohuwabohu, das 1933 über uns kam, waren Pausen der Aus- spannung. Und was kommt nun, nach Lösung und Auflösung der häß- lichsten Gegenwart? Um zum Schlafen zu kommen und mich abzulen- ken, versuchte ich heute Nacht die Verse wiederzufinden - von rnei- 128 nem Freund Y. Goll-, die ich Dir wohl schon früher einmal gesagt ha- be und die zu meinen Lieblingsgedichten gehören - plötzlich standen sie wie eine Schrift vor meinem inneren Auge: Wie Wolfsgeheule dröhnt des Windes Klage laut in die Nacht hinaus. Der Wald rumort. Das Sternenbild der Waage hält über unserm Haus. Am fahlen Himmel strahlen seine Schalen, beide gleich hoch, gleich schwer. Bald ist es Mitternacht! Dann wird sich zeigen, welche sich neigen wird und welche steigen- und ob sie voll des Glücks ist - oder leer/3 Möge die Schale Deines, unseres gemeinsamen Lebens für den Rest der Zeit, die uns gegeben wird, wenigstens so viel des Glückes fassen, daß die Erinnerung an das Fegefeuer dieser bitteren Jahre davon über- strahlt und vernichtet werde! Ich bin immer, immer Dein Kurt 3 Diese Verse ließen sich im Werk Yvan Golls nicht nachweisen. Es könnte sich nach Auffassung von Frau Glauert-Hesse gleichwohl um ein frühes Gedicht von ihm handeln, das nicht veröffentlicht worden ist. 129 21. Brief An Käte Westhoff Kassel-Wehlheiden, den 24. Oktober 1937 Liebste Käte, nach vielen Monaten der Ruhe überstürzen sich jetzt die Ereignisse: Nach Empfang der Anklage (16. dieses Monats) erhielt ich am 18. die- ses Monats Besuch!!! und 10,-- M!!! und dann wie zum Hohn am ~9.­ Milch- und Butterzulage, wozu noch zufällig auch gerade Einkaufstag war!! Und am 20. dann Deine Briefe vom 4.10. und 11.10. zusammen; also ein bißehen viel auf einmal!! Also: Mir wurde Besuch der "Frau" angesagt, ich dachte, endlich Dich wiederzusehen oder glaubte an ei- nen Irrtum, aber herein kam - wirklich meine geschiedene Frau. Selten im Leben war ich so verblüfft. Sie hatte mir schon 10,-- Meinbezahlt, was mir gleich leid tat, da ich natürlich lieber das Geld mit Dir geteilt hätte; sie wollte aber nichts zurückholen, sondern versprach, Dir we- nigstens für Porto einiges zu schicken. Trotzdem zankten wir uns nach fünf Minuten derartig, daß ich mich vor dem Beamten in Grund und Boden schämte!! Anlaß dazu war meine vielleicht etwas taktlose Be- merkung, sie möge glücklich darüber sein, nicht mehr meine Frau zu sein, da sie sonst wohl Dein Schicksal hätte dulden müssen! Anlaß des Besuchs waren Nachfragen nach meinem Vater, da Martin, der seine Prüfung nicht bestanden hat, keinerlei Lehrvertrag bekommen kann; wobei auch der Umstand, daß die Mutter zwei einzige Brüder im Feld gelassen hat, nichts bessern kann!1 Ich konnte ihr nicht mehr sagen, als sie schon wußte. Sie kam aber nicht etwa deswegen allein, sondern war 1 Diese "Nachfragen" nach dem Vater Finkensteins waren vermutlich der Auflage eines "rassischen" Nachweises fllr den Sohn Martin geschuldet. Das Lehrverhältnis des älteren Bruders Peter wurde bereits 1935 auf Grund der antijüdischen Ras- sengesetzgebung gekündigt. 130 auf der Durchreise und hatte meine Antwort auf ihren Brief (den Du hast) nicht bekommen, wollte also sehen, was ich hier mache! In der verblüfften Aufregung habe ich leider vergessen, Sie zu meinem An- walt Dr. Kressner zu schicken, der so hätte für mich interessiert werden können. - Tatsächlich ist Peter vor einigen Monaten mit Schulkamera- den hier durchgewandert und hat auf ihren Wunsch (!) nicht versucht, mich zu besuchen!!! in der Wohnung natürlich!! Das ist eine hübsche Leistung, aber auf meine Frage nach der Stellung der Kinder zu mir erhielt ich die Antwort, Martin führe seit einiger Zeit ihre Bücher und sehe ja, unter wie schweren Verhältnissen sie (die Mutter) für die Kinder sorgen müsse, ohne von mir einen Zuschuß (!!!) zu bekommen, und da dürfte ich mich nicht wundern, wenn die Kinder zu ihr hielten! Ihr Anwalt habe ja gar nichts erreicht!! Und in der Art noch manches! Ich habe mich in derselben Stimmung von dieser un- glücklichen, verbitterten Frau getrennt, die sie im Jahr 1934 wohl ver- anlaßte, mir jenes Telegramm nachzuschicken, das mich damals nicht erreicht hat. Es ist eine Tragödie! Sie tut mir von Herzen leid, denn wie tief unselig muß ein Mensch sein, der sicher von besten Absichten be- seelt einen Mann in meiner Lage besucht, um ihm dann in einer knap- pen Viertelstunde mehr zuzusetzen, als es der Polizei und dem Unter- suchungsrichter in tagelangen Verhören gelungen ist!? Der Gipfel: Wenn sie den Jungens meine Geburtstagswünsche (drei Jahre!!!) nicht gegeben habe, um sie über mein Schicksal nicht zu beunruhigen (l), könne sie das damit verantworten, daß ich ja auch früher in so langen Abständen nicht geschrieben hätte!! (33 Schutzhaft in den Tagen!!). Da kann man nur schweigen und Mitleid haben; aber nie seit unserer Trennung hast Du mir so gefehlt wie nach diesem Besuch, der ersten "Vergünstigung" nach 27 Monaten!! Mit wie gemischtem Gefühl ich das Geld annehme, kannst Du Dir denken, aber ich brauche es, um mir etwas Zulage zu gönnen; ich hätte mir aber vielleicht noch nicht einmal 131 das bißehen Wurst, Käse, Butter und Honig gekauft (3.-- M monatlich sind Grenze), wenn ich nur einen Tag früher erfahren hätte, daß ich durch ärztliche Bestimmung längere Zeit Milch und Butter täglich er- halte (35 Pfund Gewichtsabnahme). Auch die Bitte, Dir etwas zu schicken, kam mich sehr sauer an, hoffentlich erhält sie wenigstens doch noch die zwei Goldfiillungen. Hast Du etwas erhalten? - Weitere traurigste Meldung (wenn auch uns persönlich nicht betref- fend): Franz Baumann, aus der Rosenstraße 2, ist tot! Nach der gesun- den Tochter der gesunde Sohn, während die im Rollstuhl lebende Lola lebt! Laß uns, Liebste, an solche Dinge denken, um unser eigenes Ge- schick leichter und freudiger zu ertragen! Auch die arme Frau Schulke behellige unter diesen Umständen nicht weiter, es ist ein Wunder, daß diese Leute überhaupt so lange für uns sich Mühe, Laufereien und so- gar Kosten gemacht haben. Ich habe Beispiele von solcher Gesin- nungslumperei erlebt, daß ich doppelt erstaunt bin über jede andere Er- fahrung. Gesuche irgendwelcher Art halte ich für ziemlich sinnlos, wenn Du aber anderer Meinung bist, handle nach Deinem Gutdünken. Du bist in meinem Prozeß als Zeuge geladen und wirst wohl dann nicht mehr nach Moringen zurückgeschickt werden. Ich bin in betreff meiner Angelegenheiten sehr zuversichtlich; ich denke, daß meine aller Welt gegenüber geäußerte Ansicht, ein deutsches Gericht werde nicht nach Gefühlen und Wünschen pp. urteilen, sondern nur einzig und al- lein nach Recht und Gewissen, mich nicht getäuscht haben wird. Auf jeden Fall werden wir kein drittes Weihnachtsfest in Ungewißheit le- ben; Du wirst sicher bei Schulkes sein und der kranken Frau Schulke durch Tat und Hilfe zeigen können, daß sie ihre Sorge und Mühe nicht an Unwürdige verschwendet hat. In dieser freudigen Zuversicht mit Gruß und Kuß Dein Kurt 132 Am 9. November 1937 wurde Kurt Finkenstein im Anschluß an die Ge- richtsverhandlung vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts Kassel wegen Vorbereitung des Hochverrats zu sieben Jahren und sechs Mo- naten Zuchthaus sowie zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Briefan Käte Westhoffvom 21. November 1937, den er auf der folgenden Postkarte erwähnt, ist nicht erhalten. Dieser Brief enthielt" die doch weiß Gott wichtige Nachricht über den Ausgang des Prozesses ", wie er später schrieb (23. Brief). HI Als Strafgefangener im Zuchthaus Kassel- Wehlheiden (November 1937 - November 1943) 22. Brief An Käte Westhoff Moringen Kassel- Wehlheiden [Postkarte] 19. Dezember 1937 Liebste, beste Käte, In allem Pech war es noch ein Glück, daß Deine liebe Karte vom 16. schon gestern in meine Hände kam, so daß ich wenigstens Deinen Aufenthaltsort während der Festtage kenne. Hast Du meinen Briefvom 21.11. erhalten, den ich aus Moringen zurückbekam und nach dem Po- lizei-Präsidium geschickt habe? - Ein so "furchtbarer Schicksals- schlag" ist das alles für mich schließlich nicht, denn wenn man alles genau überdenkt, ist alles ganz folgerichtig und ich ohne jede Beschö- nigung an unser beider Unglück selbst schuld, denn ich habe ganz grob und fahrlässig gegen meine tiefste und wohlüberdachte Überzeugung gehandelt, indem ich ein vollkommen unbegründetes und törichtes Vertrauen gehabt habe an einem Ort, wo alles andere eher angebracht gewesen wäre! Es war meine Pflicht gegen uns beide, allerspätestens im Herbst 1933 - besser noch vor meiner Schutzhaft - dorthin zurück- 133 zugehen, von wo ich ganz törichter und lächerlicher Weise 1918 ge- kommen bin!1 Was hat jetzt meine Gewissenhaftigkeit gegen die Leu- te, denen ich Geld schuldete, uns eingebracht? Das, was ich - auch oh- ne Knox und Riekel - unter anderem mir an den Rockknöpfen hätte abzählen können! Denn wenn es nicht so gekommen wäre, hätte ich und andere ja in unserer Ansicht über die Dinge Unrecht gehabt!! Ge- nug hiervon! - Ich werde mein Schicksal so tragen, wie es einem Mann von Überzeugung zukommt: unbeirrt und fest! Dabei unterstützt von dem guten Humor, der immer der beste Tröster sein wird, der mir schon über so manches im Leben weg geholfen hat. - Dein Geschick, Du Liebste, Beste, bedrückt mich nach wie vor viel mehr als das eige- ne Unglück - denn was kannst in Gottes Namen Du eigentlich für das traurige Los, das Dir schon bald drei Jahre bereitet wird?! Und immer wieder kann ich Dich nur bitten: Verzeihe mir das alles!! Hoffentlich hast Du wenigstens über das Fest - und Deinen Geburtstag erträgliche Gesellschaft. Ich kann zu allem nur sagen: Behalte den Kopf hoch, verliere den Mut nicht und denke immer daran, daß auch uns die Son- ne wieder einmal hell und leuchtend aufgehen wird! Möge diese schö- ne Hoffnung Dein neues Lebensjahr wärmen und trösten, daß ich im- mer nur an Dich denke und Dir alles mögliche Glück, Gute und Schö- ne wünsche - muß ich das erst sagen? Also: heute und immerdar Dein Kurt 1 Mit "Schutzhaft" ist die Haftzeit im Polizeipräsidium Kassel und im Konzentrati- onslager Breitenau gemeint (April bisAugust1933) 134 ~; .... , ....1. iIn - - ~: .. ' IJ.J.z••b.r19J? · , O.J.. 20,117. _I' pr ' .._ u:... t . 1T~ .'. 11 u, , ,.,.. ..~' VI 'ut , C • .t ~ a, •. r:"'~ .... F ' ~"""I'C"" . ... i .111.,.. • , ....u .... 'rteaJ ."...' Abb . 7 Das Urteil des OLG Kassel gegen Finkenstein vom 9. November 1937 135 -: Mt: '1"1' 8t:rah__t: ... DNrlJaad....:r1ellU 1a I: 1 ••• J- 1a '1:1' 11*-... T,. ,.•~ 19"'. _ .1' "11«- ..... ONr' ..• .... r1cDt:a..:t D:r. 0."'1'''- e.u 'onU..Il4I:r. O"erlaM....r1okt_t: h. hMi., laer1&lllloapri_t:_at: l'J'IIII.t:•• OM:r~..en~u..t: DI'. EQpe1 • .&at... l'1elltQ'&t: lIl1aIlI lll10 Mutt:..... l:1oM.1', _rn... au..~, ..~ alJo :a-t_1' .....".,t.ea.a-1,.....n, ..t ...~ .1.0»0 . . &U bbm40"Ma'ter .... a..ebll"uat.l1o. , - ••••• J. •• b. ... • rlt.llll' " ' ";l .' ".,:.~ 1 -j -, • -1 ., I I 1lOr .A.Il,IeUa,rt:. lot: 6oJ' , 01'''....UIUll . 1D" booaT'rrlttrl- .oh•• 'D'Ilt U Il ooblLlU.. u.4 wlrd d'..-.J.~ 111 '1aI1' I 11 CI a , - ua-t:1"It. Toa ".. J .. Il r '"0 •• 0 .... -::aq-ilJ,t o. cm I. ,.j:'i_t: \trPrUolaIll JU.1lrMIn1 ....t dU l/Ia.ur .oa . 1 • 1I. J.), l' J'IlI't.Ut..- ,.. J • b l' OI'ltn_ th1hn~.b&tt:wird 1. mUI. 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Unlöschbar brennt Dein letzter bittrer Kuß aufmeinem Munde, undämpfbar weint das Echo Deines Vorwurfs mir im Ohr: Daß ich frivol gefrevelt an geweih'tem Bunde, daß ich das Wort verhöhnte, das ich Dir beschwor! Seitdem mahnt unablässig quälend mich die bange Frage: Ob Du wohl unversöhnt, im Groll auf mich, davongegangen; ob Dein beleidigt Herz Du legst anklagend auf die Waage des Tribunals, vor das zum Schluß wir alle einst gelangen; oder ob ich noch hoffen darf, an meinem Urteilstage aus Deiner Hand den unverdienten Freispruch zu empfangen? Unter den vielen Gedanken, die mir so einfallen - ich könnte ohne Schwierigkeit in einem Zuge die 12 Briefe füllen, die ich noch vor mir habe! - habe ich lange herumgesucht, was ich Euch wohl zu Weih- nachten davon schicken soll und mich schließlich entschlossen, Euch vor allem einmal erst um Verzeihung zu bitten wegen des ewigen Reimgeklingels mit der folgenden: 276 Ballade von meinem Leierkasten (oder: Bitte um Nachsicht) 1) Habt Geduld mit meinen schlechten Gassenhauern! Wollt mir, bitte, meine lästige Musik verzeih'n! Denkt doch: sieben Jahr' leb' ich schon hinter Mauem, sieben Jahre bin ich nun schon ganz allein mit Dämonen, die beständig darauf lauem meine Kraft zu brechen, meinen Geist der Nachtzuweih'n, Glaubt, Ihr müßtet als verloren mich betrauern, müßt' ich ohne dies Betäubungsmittel sein! 2) Seit die Sterne meines Firmaments verblaßten, war mir Licht im Dunkel, Freund im Mißgeschick fast nur mein verstimmter, alter Leierkasten. Ärgert er Euch manchmal einen Augenblick, weil er, mangels ein paar Klappen, ein paar Tasten, produziert zu disharmonische Musik oder Text und Weise Euch vielleicht nicht paßten: Mäßigt dennoch, bitte, Euere Kritik! 3) Allzu viel dürft Ihr ja billig nicht verlangen von dem armen, invaliden Instrument, das sich redlich müht, in Töne einzufangen vieles Leid, das heiß mir auf dem Herzen brennt, viele Sehnsucht, die des schonungslos Verbannten Seele oft mit wildem Ungestüm berennt! Toleriert darum des Bänkelmusikanten unzulängliches, bescheidenes Talent! 4) Habt Geduld mit meinen schlecht gereimten Worten! Scheltet nicht, daß das nureitel Humbug sei! Denkt doch, zwischen welch Gesellen und Konsorten mir viel 1000 Tage hier gehIn leer vorbei! Vor der Zeit bin ich hier alt und steif geworden, meine Spannkraft lähmte bleiern Einerlei! Drum beschwöre ich in stümpernden Akkorden melancholische Erinnerung an Lenz und Mai. 277 5) Viel Geschäfte, die einst Geltung für mich hatten, hörten auf, mir wesentlich und wert zu sein. - Wollt mit Nachsicht lieber mir dafür gestatten mich am Singsang meiner Spieluhr zuerfreu'n! Repetier' ich stets aufs neu derselben Platten altbekannte, abgedrosch'ne Litanei'n ist es ja doch nur, um meinem nimmersatten Durst nach reinen Klängen Ausdruck zuverleih'nl 6) Wenn ich so unschuldigem Genusse fröne, tauch für kurze Zeit ich aus der Schlucht empor, wo so viele gellende und schrille Töne peinigen mein melodieverwöhntes Ohr- ist doch das Vulgäre, Rohe und Obszöne dominierendes Motiv im Lagerchor! Und mit welcher Inbrunst liebte ich das Schöne, das samt Glück und Menschenwürde ich verlor! - 7) Jetzt ist ein Verlies mein ganzer Haushalt: Stube, Schlafraum, Werkstatt, Speisekammer und Abort. Jonas Walfischschlund wie Daniels Löwengrube war kaum unbehaglicher als solch ein Ort! Eine Höllensinfonie von Dissonanzen übertönt hier jedesselt'ne, gute Wort, muß nach hartem, wesensfremdem Takt man tanzen. Istjajeder Paukenschlag ein Mißakkord! 8) Jeder Wasserschluck riecht dann nach sumpf'ger Quelle, jede Mahlzeit schmeckt nach einem Henkersmahl, jeder Fiedelstrich der düsteren Kapelle schafft den überreizten Nerven neue Qual! Ihr Nocturno dämpft im kalten Fronkastelle jede Freude, Heiterkeit und Lebenslust; dunkle Enge meiner moderdumpfen Zelle spannt sich wie ein Eisenring um meine Brust! 278 9) Wen und was ich liebe, muß ich hier entbehren! Weiß auch nicht, ob ich es jemals wiederseh! Wollt mir darum nicht verargen noch verwehren, daß ich ab und zu mein heiser Werkel dreh! Um Melancholie und Trübsinn zu beschwören, schenkte es mir gütig eine milde Fee- hilft sein dünner Klang mir doch zu überhören leise schmeichelnd vieles laute Trennungsweh! 10) Während andre feiern, muß ich einsam fasten. Nächte ohne Sterne, Tage ohne Sonnenschein; ungezählte schwere Stunden auf mir lasten - sieben Jahre bin ich nun schon ganz allein! Gönnt mir darum, bitte, meinen alten Orgelkasten, wenn auch seine Pfeifen manchmal schnarr'n und schrei'n, weil ihr fehlen ein paar Klappen, ein paar Tasten - wollt mir gnädig meine lästige Musik verzeih'n!! Und zum Schluß - anläßlich des heutigen Tages! - (2 Jahre =730 Tage - 30 Tage!): Heute sind es ganz genau noch 700 Tage!! Ganz genau einhundert Wochen! Dann ist schließlichdoch vorbei dieser schweren Prüfung bittre Pein und böse Plage; dann wird meiner Fessel Schloß gebrochen - bin ich wieder frei! Was ich nun schon 75 Monate ertrage wird ja auch noch für den letzten Rest ertragbar sein! Hoffnung, Euch dann zu umarmen, hilft mir, daß ich nicht verzage, und die Aussicht, daß die Neige meiner Lebenstage dann auch endlich wirklich wieder mein!!! (Manchmal quält mich allerdings die zeitgemäße Frage: Wird es vielleicht nur ein andrer Käfig sein??) Behaltet mich lieb, auch wenn ich fern von Euch bin! Dein Dir alles Gute wünschender, sich sehr nach Euch allen sehnender Vater 279 56. Brief An Martin Finkenstein Kassel-Wehlheiden, den 1. Februar 1942 Mein lieber Junge! Trotz Deines gegenteiligen Wunsches hat mir Fräulein Westhoff Dei- nen Brief vom 23.11. mitgeteilt und sehr recht damit getan! Bei den mehr als sparsamen Lebenszeichen von Euch, die ich bekomme, hat es mir wenigstens zu Weihnachten wohl getan, wenigstens das wenige zu hören, das er enthielt. Ich wäre allerdings froh gewesen, auch selbst von Dir nach sehr langer Zeit ein direktes Lebenszeichen zu erhalten und wundere mich etwas darüber, daß Du in der Ruhe des Lazaretts nicht die wenigen Minuten übrig hattest, die ein solcher kleiner Lie- besbeweis für mich gefordert hätte. Das Leben, das ich fuhren muß, ist so freudeleer, daß jede Nachricht, jedes Wort, das mich erreicht, ein Zehrpfennig für viele Wochen sein muß. Im übrigen ist ja mein Leben im Augenblick leichter, ruhiger und gesicherter als das Eure, und der Gedanke, unter welchen Umständen Ihr leben müßt, ist mir schreckli- cher als die Trauer um die verlorenen Jahre, die ich hier verlebe. Den- ke ich der Millionen Menschen aller Völker und Nationen, die in die- sen schauerlichen Jahren Leben, Gesundheit, Jugend und Glück einbü- ßen, verläßt mich der Mut, über mein eigen Schicksal ein Wort der Klage zu äußern! Nicht wenig betrübt hat mich die Nachricht, daß seit fast fünf Monaten keine der vielen Sendungen, die Fräulein Westhoff mit soviel Sorgfalt und Liebe für Dich aufgegeben hat, in Deine Hände gekommen ist. Dies umso mehr, als ich aus ihren Briefen an mich herausfühle, wie sehr sie bemüht ist, Dir zu ersetzen, was durch allzu frühen Tod Deiner Mutter Dir verloren gegangen ist, soweit sich derlei überhaupt ersetzen 280 läßt, und es ist nicht ganz recht von Dir, daß Du in so kühler Weise da- für dankst! Ich möchte Dir bei dieser Gelegenheit sagen - was Du schon wissen kannst! -, daß im Falle Gott uns allen gut über diese Jah- re hilft, diese Frau die einzige ist, mit deren Hilfe und Beistand ich noch einmal versuchen würde, mir selbst und damit auch Euch einen neuen häuslichen Herd zu gründen, daß sie die einzige ist, mit der es mir lohnend erscheint, den Rest meines Lebens zu verbringen, und daß ich fest entschlossen bin, jeden Widerstand dagegen und jede Schwie- rigkeit zu überwinden, von welcher Seite immer sie kommen mögen. Versuche also, Vertrauen, und wenn es Dir möglich ist, etwas Zunei- gung oder Liebe zu ihr zu gewinnen, und glaube mir, mein teurer, lie- ber Junge, daß Du solche Ge:fühle nicht an eine falsche oder undankba- re Empfangerin verschwenden würdest!! - Die traurige Tragödie einer Liebesverwirrung zwischen drei Menschen, die allen Beteiligten soviel Gram und Not eingetragen hat, hat ja mit dem Tode eines derselben ihre natürliche und endgültige Lösung gefunden - nun bleibt nichts, als unter das Gewesene einen Strich zu ziehen, um eine bessere Zukunft zu ermöglichen! Möge auch Dein Bruder Peter doch möglichst bald begreifen und ein- sehen, daß er nicht zum Richter seines Vaters bestellt worden ist, und daß seine Haltung nicht nur mich, sondern doch ebenso sehr ihn selbst arm und elend macht; wie sehr ich unter dieser meiner Schuld leide, ist aus den Versen zu sehen, mit denen ich meinen Brief vom 7.12. be- gonnen habe.' Irgendeinen anderen Zweck hatten sie ganz bestimmt nicht, aber es wird der letzte Versuch gewesen sein, auf ihn einwirken zu wollen. Grüße ihn von mir und rate ihm dringend, sich selbst noch einmal zu überprüfen - ehe es vielleicht für immer zu spät ist. - In meinem eigenen Leben ist insofern eine Änderung eingetreten, als ich seit drei Wochen tagsüber in Gemeinschaft (mit zwei Mann) bin, was Es handelt sich um den 55. BriefFinkensteins. 281 teils erwünschte, teils unerfreuliche Folgen für mich hat: zu den ersten gehört, daß ich etwas von meiner großen Menschenscheu verloren ha- be, die die langen Haftjahre in mir gepflanzt hatte; zum anderen, daß die intensive und unablässige Beschäftigung mit gewissen Gedanken und geistigen Dingen, die mir so sehr über so viel geholfen hat, natür- lich eine Unterbrechung erlitten hat! Meine Reimereien werden nun wohl aufhören, das Lernen von Sprachen wird viel langsamer möglich sein, denn wenn ich natürlich meine Arbeit hier wie dort erledigen muß, so gab doch die Ruhe der Einzelhaft meinen Gedanken freie und unbehinderte Bahn, während jetzt der Tag mit dem öden Zellenge- schwätz dahingeht, das eben hier die Regel ist! Und daß sich dieses zum großen Teil ums Essen dreht, macht es nicht interessanter.- Das nächste Mal (es fällt fast auf meinen Geburtstag) werde ich Dir wieder ein paar Verse aus der Selbstdarstellung heraussuchen, von der ich Euch schon einige Proben schrieb. Um heute nicht ganz von dieser lieb gewordenen Gewohnheit zu lassen, folgt hier noch eine Probe aus einer längeren Ballade, die im ganzen seinerzeit nicht durchgelassen wurde; dieser eine Vers ist hoffentlich ohne solchen Tadel 2: 5) Schneller gehn an jedem andern Ort der Welt die Uhren als in dieser grämlichen, morosen Elendkolonie, traurigem Asyl von blassen Schatten, taumelnden Lemuren, die das Leben hilflos und verlassen auf dies dürre Eiland spie. Schwacher Trost sind diesem Sprachlektionen, jenem Schachfiguren, mancher krankt an einer monotonen, zehrenden Melancholie. Allen brennt dieselbe Wunde: Sehnsucht nach geliebten Kreaturen, ich verträume jede Feierstunde auf den unverwischten Spuren einer langverklung'nen, leisen süßen Sphärenmelodie: Jahrejugendtrunk'nen Glücks und Freiheit!! Wer vergäße sie?! 2 Aus der "Ballade von meinem Teufelskarussell" im 46. Brief. 282 Ich bin am Ende meines knappen Raumes angelangt und kann zum Schluß nur die immer gleichen Worte wiederholen: Möge ein gnädiges Schicksal Euch alle gesund und wohlbehalten durch diese harten Jahre führen! Ich grüße und küsse Dich herzlich und bin immer Dein Dich herzlich liebender Vater Liebe Käte; ich danke Dir für die große Sorgfalt und Mühe, mit der Du versuchst, meinem Jungen Wohlwollen und Liebe zu erweisen; könnte ich alles doch noch einmal Dir selber zurückgeben!! Daß mein letzter Brief an Martin Dich so sehr betrübt, ja verletzt hat, hat einen Scharten auf meine Weihnachtstage geworfen - verzeih meine Worte und glaube, daß Du sie doch mißverstanden hast! Denn ich bin trotz aller Gewis- sensnot doch immer unverändert Dein Kurt 283 57. Brief An Martin Finkenstein Kassel-Wehlheiden, den 29. März 1942 Mein lieber, guter Junge! Statt der letzthin angesagten Bruchstücke eines längeren Ganzen will ich Dir heute lieber ein paar kleinere abgeschlossene Reime senden; nimm sie auf, wie sie gemeint sind, andere, bessere Liebesgaben habe ich leider für Euch nicht! Also: 1. Resignierende Erkenntnis: 1) Aufwelch Altären immer unsre Opferfeuer brennen, wir knien vor unzulänglichem Idol und Götzenbild! Was mir Elohim, Christus, Buddha und Gottvater nennen, ist für das Unbekannte nur Symbol und Namensschild. In Ewigkeit bleibt unser Geist zu klein, um zu erkennen, was unsern blöden Blicken undurchdringlich sich verhüllt. Wir können uns ja doch nie von dem Staub der Erde trennen - die Sehnsucht nach den Sternen bleibt uns ewig unerfüllt. . 2) In ungezählten Heiligtümern, Tempeln, Kathedralen forschen durch die Magie des Worts und büßenden Verzichts die Einfältig-Betörten wie die Weisen und Genialen nach den Geheimnissen eines verschleierten Gesichts. Die strengsten Puritaner und die roh'sten Kannibalen beten nur aufverschiedne Art zum gleichen Herrn des Lichts! Zwar wärmen all ohn' Unterschied sich an denselben Strahlen - doch von dem Urquell dieser Wärme wissen alle null und nichts! II. Wandlung und Zuversicht: 1) Als jung und stark des Lebens Ozean wir frei durchfuhren in ferner, traumhaft schnell verblühter Lenz- und Maienzeit, 284 erregten Krücken, Medizinen und Arzneimixturen nur unsrer Jugend Spottlust, Ironie und Heiterkeit. Doch ach! Schon nahtauchunsderTagderDann-undBlasenkuren! DerHerbstwind pfeift. NocheinpaarWochen, undDusiehst, es schneit! Danndeckteinweißes Leintuch sachtdiesturmverwehten Spuren der unvergeß'nen, unvergeßlichen Vergangenheit! 2) Horch! Plötzlich hörtauch mancher schaudernd Stund' umStunde schlagen, der bislang sorglos nie an Uhr und Zeigerganggedacht. Schon senkt zum HorizontePhöbus seinen Sonnenwagen; zwarnochist's Tag- dochfröstelnd spürst Du schon: BaldwirdesNacht! Trotzdem: WennauchderMärchenglanz aushellern Kindheitstagen der Liebe Glut, manch Haß sogar ermattet und erstarrt, will ich doch trachten, unversehrtmein heiter Herz zu tragen durch eine fluchbelad'ne gnadenloseGegenwart. 3) Am Grenzmalmeines Wegs leg ich's zurück in Gottes Hände! Hat er's geprüft, weiß bald ich, was die Zukunft für mich will: Ob Paradieseswonnenoder Fegefeuerbrände? Hat der Olymp mir eine Heimstatt? Wird der Hades mein Exil? Ich furcht mich nicht! Neigt auch meinLebenstag sich seinemEnde, das Leben selbst; die Erde und die Zeit steh'n drum nicht still! Des stärksten Winters Kraft besiegt die Frühlingssonnenwende, sein weißes Leichenlakensprenkeltbunt ein neuer, blühenderApril! Und als Nr. 3, auf andern Ton gestimmt: Ballade von lästigemZellengeschwätz: Ein raunendes Gemunkel zwitscherttagein-tagaus durch das gedämpfteDunkel unseres sichern Baus. 285 Welch intressante Themen mögen denn das wohl sein? Von welch Kulturproblemen schwatzt man tagaus-tagein? Ach, es ist ja zum Lachen, welch Garn man hier so spinnt, welch fade Nebensachen jetzt Wichtigkeiten sind! Wohl spricht man vom Theater, Film, Reisen, Sport, Musik; von Ahn' und Urgroßvater, vom Krieg und Politik; Man klatscht von Anverwandten, lobt, lästert, rühmt und schilt und Bräuten, Bälgern, Tanten manch Ach! und Seufzen gilt. Verstaubte Anekdoten von unserm alten Fritz saugt man sich aus den Pfoten nebst manch vergreistem Witz. Doch all dergleichen Dinge geh'n nur so nebenher als ob es der geringe Abfall von Wicht'germ wär! Die einzigen Interessen, die man hier wirklich hat: Was gibt's denn heut zu Essen? Wird man davon auch satt? 286 Was künden die Gerüche, das uns gekocht der Koch? Wie oft gibt's kalte Küche in dieser Woche noch? Gibt's Sonntag Pellkartoffeln oder Eintopfgericht? Wollt Gott, esgäb die guten Steckrüben heute nicht! Zwar schmeckt dem Hans recht lecker, Worüber Hinz arg tobt- so sind halt die Geschmäcker: Der mäkelt - jener lobt! Wer faßt vom Brot die Kanten? Wer zeigt das Nachschlagsschild, welchem der Arrestanten der Napf wird nachgefüllt? Wie ist doch zu beneiden der wahrhaft reiche Mann, der heut sich auf die beiden Portionen freuen kann! Blüht uns in ein paar Tagen dies märchenhafte Glück, kann hoffentlich man sagen: Heut ist's schön gut und dick! Weißt Du nicht einen Gimpel, der Brot für Priem verschiebt, und wieviel so ein Simpel für einen Einsatz gibt? 287 Soll man sich vielleicht schämen, wenn wer gern Kauki raucht, ihm dafür abzunehmen, was sonst zum Kau'n er braucht?! So raunt's durch Arbeitsräume, durch Hallen, Flur und Hof; machen denn solche Träume Euch nicht ganz dumm und doof? Gibt's denn nichts Interessantres als Käse, Speck und Wurst? Fühlt Ihr denn gar nichts andres als Hunger oder Durst? Mir hängen solch' Gespräche nachgrad zum Hals heraus!! Trotz Magerkeit und Schwäche leb ich in Saus und Braus: Ist die Ration mal kleiner, so sage ich mir halt: Ich bin ja hier in keiner Kur- oder Mastanstalt. Die harten Krusten stipp' ich mir eben einfach ein - zu anspruchsvoll und üppig darf man ja hier nicht sein! Ob Grieß, ob Graupensuppe, ob Rüben oder Kraut - das ist mir gänzlich schnuppe! - wie's kommt, so wird's verdaut! 288 Zwar freu ich mich ja selber, wird mir was Guts gebracht, werden auch Schwein und Kälber heut kaum für mich geschlacht'! Doch daß in Schlaf und Wachen man nur vom Fressen spricht und von verwandten Sachen - das lohnt sich mir doch nicht! Solch Vor- und Nachdinieren bei jedem Schritt und Tritt, dies kannibalisch Gieren lähmt mir den Appetit. Auch ich bin lang gefangen, auch ich entbehr' hier viel- doch mein Wunsch und Verlangen sucht sich ein ander Ziel! Weit schwerer zu ertragen scheint mir der Seele Not; seit vielen leeren Tagen lechz' ich nach geist'gem Brot! Hab für Verdauungsklagen teils Mitleid und teils Spott- mein Herz schlägt nicht in Magen! Mein Darm ist nicht mein Gott!! Solch schwatzend Zeitvergaffen verwirrt mir den Verstand - dann lieber noch begaffen schweigend die nackte Wand! 289 Was hab ich bloß zu schaffen mit solch verfressner Band!? Leb ich denn bei Schlaraffen hier im Schlaraffenland?! - Na, - hoffentlich hat's Euch ein wenig Spaß gemacht - Dann ist der Zweck erfülltll Und zum Schluß: Inschrift auf einem imaginären Osterei I) Du opferwillige, geliebte treue Seele! Käme nach zuviel Leid Dir endlich doch ein Erntetag! Mich würgt die Scham, daß ich um Glück und Leben Dich bestehle, daß so bescheiden und gering, was ich zum Dank zu tun vermag! 2) Ich weiß, es ist nur eine unscheinbare Gabe, ein wertlos Ding fast, das ein armer Bettler Dir heut schenkt- doch kann ich ja nicht mehr verschenken als ich habe: Sieh her: Ich hab für Dich ein Herz, das ewig liebend Deiner denkt! 3) Wie könnt' ich Schwacher je genügend Dir vergelten, was Du seit soviel dunkeln Jahren selbstlos für mich tust!! Ich kann nur beten zu dem starken Herrn der Welten: Daß Du in seinem Schutz geborgen immer sanft und sicher ruhst! Und dieses tut täglich für Euch alle. Euer Euch herzlich liebender Freund und Vater Kurt Finkenstein 290 Martin ist am 17. März 1942 als Soldat bei Charkov ums Leben ge- kommen. Der letzte Briefan ihn (vom 29. März) hat ihn nicht mehr er- reichen können. Von diesem Zeitpunkt an richten sich nun seine Briefe an den Sohn Peter. Erst nach dessen Tod wird ihm wieder der Brief- verkehr mit Käte Westhoffgestattet. 58. Brief[von der Zensur beschlagnahmt]! An Peter Finkenstein Kassel-Wehlheiden, den 19. Juli 1942' Mein lieber Peter! Als ich vor 1/4 Jahrhundert, aus einem andern Krieg heimkehrend, ein neues Leben auf Ruinen und Trümmern zu errichten begann, habe ich mir alles, die persönliche und die allgemeine Entwicklung ganz, ganz anders gedacht!! Nun ist nicht nur wieder Krieg und Deine Mutter so lang schon tot, sondern auch unser liebes, armes Spätzchen hat ein all- zu frühes Ende in der Hölle von Charkow gefunden; auf das Grab, das sich über seinem jungen, unerfüllten Leben geschlossen hat, können wir keine Blume legen, aber seinem Andenken widme ich ein paar Verse, die, vor längerer Zeit hier entstanden, eine neue, für uns uner- wartete, schreckliche, aktuelle Bedeutung bekommen haben! Mögen sie auch Dir das Bild und die Gestalt Deines Dir so fern gerückten Vaters etwas näher bringen! Es ist ein Bruchstück aus der 1 "Nicht zugelassen! Zu den Akten. Ersatz zum letzten Mal genehmigt; [an Fin- kenstein]. ausgehändigt am 25.7.1942" - so war es auf dem oberen Rand des Briefes vermerkt. 291 Ballade von den Widersprüchen meines Lebens. - - - Daß ich mich von Euch getrennt, war mein Verbrechen - Meine Sühne, daß ich Euch zum Fremden ward! Weil Ihr meinen Weg nicht kennt, will ich jetzt sprechen von ein paar Stationen meiner Lebensfahrt: Alte Walstatt eifersüchtiger Kulturen, deren tragisches Duell kein Ende nimmt, Grenzland, über das zu oft zerschmetternd fuhren Kriegsgewitter, ward zur Heimat mir bestimmt. Wo verborgen unter lachend hellen Fluren dunkles Wissen um viel Leid durch Zwietracht glimmt, und ein langer Weg voll Brand- und Opferspuren erst in ferner, grauer Drudenzeit verschwimmt. Herrlich Elsaß! Wieviel Ernten Dir verdorben, weil ein Blitz versengend aufDich niederfuhr! Ungezählter Schläge schlecht verharschte Narben formen Deines Antlitz' Umriß und Kontur. Wann die ewigen Rivalen Dich umwarben, immer lockten sie den Tod auf ihre Spur! Wenn heut Deutsche, gestern Welsche um Dich starben, mahnte dröhnend über Dir die Münsteruhr: "Bannt den Hader! Bahnt der Eintracht ein Gasse! Habt den Elsaßgarten dazu Ihr geerbt, daß Ihr rastlos wütend, blind im Bruderhasse Gott's Geschenk durch Euer schändlich Tun verderbt? Ob ihr deutscher oder welscher Mütter Söhne, wollt Ihr nie begreifen, daß Ihr sinnlos starbt? Nie erkennen, wie Ihr frevelt, wenn dies schöne Land Ihr purpurn mit dem Blut des Nachbars färbt? 292 Wißt, daß nicht sich fordernd himmelwärts darf wenden, wer verstockt auf Rache und Gericht besteht; sündhaft hoffend, eigner Sippe Schmerz zu enden dadurch, daß um fremder Untergang er fleht! Es genügt nicht, Weihrauchkerzen zu verschwenden: Ungehört verhallen Messe und Gebet, wenn mit haßerfüllten Herzen, blut'gen Händen unversöhnlich Ihr zu Kelch und Hostie geht!" Solches schien mir schon in fernen Kindheitstagen als ich glücklich noch im Münsterschatten schlief, feierlich sein ernster Glockenton zu sagen, der das Volk zu Sakrament und Andacht rief. Wieviel Jahre stürmisch auch seitdem vergangen- ganz verstummten solche Klänge für mich nie! Wenn durch meinen Traum Geläut und Glocken klangen, summten tröstend sie so süße Friedensmelodie! Denn als Jüngling haben mich die Weltkriegsschlachten schonungslos und eindrucksvoll darob belehrt: Was Genie und Fleiß vereint langsam vollbrachten, wird im Augenblick zertrümmert und verzehrt. Durch den Brand, den Leichtsinn, Mißgunst, Neid entfachten, durch den Stahl, der zischend aus der Scheide fährt! Da lernt' ich den Moloch hassen und verachten, der seit Urzeit sich von Menschenopfern nährt! Damals hab ich auch mein Gottvertrau'n verloren, sah ich doch das unbegreifliche Gescheh'nl Wollte ER denn wirklich Bestien oder Toren als er uns aus Nacht und Chaos ließ ersteh'n? Zwischen Kathedral' und Synagog' geboren bin ich beiden gleich entfremdet und entfloh'n - Lippendienst und starren Dogmen hab' ich abgeschworen: Wenn GOTT lebt, bin ich auch ohne sie SEIN Sohn! 293 Denn nicht leerer Pomp sakramentaler Riten, nicht Kasteiung oder Büßerlitanei macht die Welt, solang sie neidisch und umstritten, von dem Fluch der Blutschuld und der Rache frei! Muß sie wirklich ewig zittern unter Kriegerschritten? Geht der Ahnen bittrer Kelch am Enkel nie vorbei? Sind tatsächlich all unsre Kultur und glatten Sitten weiter nichts als hauchdünn übertünchte Barbarei?! Ist der Dienst des Todes wahre Pflicht und Tugend? Die Zerstörung Endziel all unsrer Philosophie? Ward uns dazu nur Vernunft und Mut und Kraft der Jugend? Welch gedanken- und gewissenlose Blasphemie!! Solche Wirklichkeit mit Leidenschaft verfluchend träumt' ich mich ins Märchenland der Phantasie: Überall und immer nur den Schutz des Friedens suchend fand ich ihn doch nimmer, nirgendwo und nie! Anden Grenzen, wo als Mann ich wachsam lebte hab' ich allzuvieles allzu nah gesehn, sah viel Fäden, die des Zufalls Spule webte ohne seinen Sinn und Auftrag zu verstehn; sah, wie Fremdes schier beherzt zusammenstrebte, und Verwandtes trotzend auseinander gehen; sah, als schon der Geier über ihnen schwebte, noch viel Narren ahnungslos im Tanz sich dreh'n! Sah viel Kötereifersucht um ein paar mag're Knochen - welch Gekläff und Lärm um nichts hat oft mein Herz zerfetzt! - sah, wie treu- und ehrlos häufig Wort und Pakt gebrochen, wer am prahlendsten von Ehre, Treu und Recht geschwätzt! Sah manch Schuft am Weltbrand sich sein Süppchen kochen, nachdem er sie selbst mit Fehde, Zank und Streit gehetzt; manchen, der sich schließlich still im Mauseloch verkrochen dem die Sintflut anfangs eine Badelust ersetzt! 294 Sah erschreckt im Wechsel Nehmens oder Gebens, daß [dort] Vorsicht meist mehr als Vertrauen galt; daß Betrüger selbst im Sturm des Weltenlebens jene schlau mit falschgemünzter Mark bezahlt, die trotz Fleiß, Geduld und redlichen Bestrebens Sklaven blieben in der Armut Allgewalt! Doch ich sah vor allem, daß der Strom des Lebens niemals macht vor irgendeinem Grenzpfahl halt! Diesseits Menschen, Jenseits Menschen! All' vom gleichen Wirbelwind des Schicksals auf- und abbewegt, das ohn Unterschied den Armen wie den Reichen launisch durch der Jahre Wechselfälle fegt; keinen schonend vor Verlust und Rutenstreichen, die es, unberührt durch Wunsch und Hoffuung, schlägt: Überall muß gutes Recht der Willkür weichen, und der Schwächste meistens schwerste Last und Bürde trägt! Dort wie hier: Manch würd'ger Mann in dürft'gem Kittel! Mancher Lüderjahn in Frack- und Ehrenkleid! Manchen hat der Henker heut schon am Schlafittel, der noch gestern prunkt' in Pracht und Üppigkeit; nirgends fand ich auch ein wirklich wirksam Mittel wider Dummheit, Undank, Niedertracht und Neid; weder Religion und Künste, Amt noch Titel schützen vor Enttäuschung oder Herzeleid! ----------- usw. Ach, mein lieberJunge, daß Du mir doch erhalten bliebst und daß ich Dir noch einmal alles, alles selbst sagen könnte, was solche Reime und andre so unvollkommen nur ausdrücken können! Mag Gott seine Hand wachsamer über Dir halten als über Deinen armen Bruder!! Beßr'es kann Dir ja nicht wünschen Dein durch zuviel Leid geprüfter Vater 295 59. Brief" An Peter Finkenstein Kassel-Wehlheiden, den 26. Juli 1942 Mein lieber Junge! Dieser Brief erreicht Euch, wie so manche seiner Vorgänger, wieder mit achttägiger Verzögerung; das heißt, mein Schreiben von vorigem Sonntag ist zurückbehalten worden. Es ist fast auf den Tag ein Jahr her, daß mir das gleiche zustieß, mit einem an unser armes Spätzchen gerichteten Brief; dieses Mal enthielt er - wieder in gedrängter Form- einige schmerzliche Betrachtungen über die Sinnlosigkeit eines ge- waltsamen Todes, die ich nicht begreifen kann. Daß auch diesmal, ge- nau wie damals, meine Ausdrücke das Maß des Zulässigen kaum über- schritten, scheint mir durch die Gewährung eines Ersatzbogens genü- gend bestätigt - aber was nützt mir das, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, persönlichste, privateste Gefühle, Empfindungen, Gedanken und Betrachtungen in der Weise auszudrücken, die meinem Wesen und Temperament entsprechend ist? Soll ich anläßlich eines so schmerzli- chen Ereignisses wie Martins allzu frühem Tod mich auf jene allge- meinen Redensarten beschränken, die viel zu farblos sind, um nur ei- nen Bruchteil dessen zu sagen, was ich seit dem Tage in schlaflosen Nächten durchmache, an dem mir diese schlimme Botschaft: gebracht worden ist? Schließlich ist doch alles, was ich bisher an Verlust und Enttäuschung erlebt habe, verschwindend gegen dieses - und der Ge- danke, daß sich so etwas noch einmal wiederholen könnte, treibt mich in die tiefste Entmutigung. Wenn doch ein gütiges Schicksal es zulie- ße, daß Du mir bliebst und so viel Leid, Mißverständnis und Ent- fremdung, die mir meine Lage erst richtig schwer machen, mit den ErsatzbrieffUr den eingezogenen (58.) Brief. 296 Wassern der Sintflut, die wir alle zu überstehen haben, hinweg ge- schwemmt würden, um einem helleren, besseren Morgen Platz zu ma- chen! Ich hätte Dir so gerne etwas besseres zu Deinem Geburtstag ge- schenkt - so kann ich nichts tun, als zu hoffen, daß Deine eigenen Wünsche soweit wie möglich in Erfiillung gehen. Daß Du in Vocke einen väterlichen Freund und Mentor gefunden hast, ist mir in allem Leid ein sehr tröstlicher Gedanke; Du wirst es nie zu bereuen haben, wenn Du seinen Ratschlägen folgen wirst. - Lebten wir in normalen Verhältnissen, könnte ich selbst, da nun ja sieben volle Jahre meiner Haft verstrichen sind, mit Gelassenheit auch dem einen letzten entge- gensehen, das mich vom Tag meiner Entlassung noch trennt; aber muß ich nicht mit Sicherheit damit rechnen, daß dieser Tag mir statt der Freiheit eine neue quälende Ungewißheit bringen wird? Und das, mei- ne Lieben, macht mich sehr, sehr müde, seelisch und moralisch mehr krank, als ich es auch schon körperlich schließlich geworden bin (zur Zeit lebe ich für zwei Monate von "Diät-Kost" [trocken Brot und dün- ne Suppen], das heißt ohne Fett, Gemüse, Kartoffeln, Margarine, Marmelade, Käse etc.; bin seit langem auf halbes Arbeitspensum ge- setzt und habe drei Medizinflaschen im Spind stehen -). Pessimismus, Welt- und Menschenverachtung wachsen mir täglich mehr zu, und schließlich habe ich oft nichts anderes mehr, als Sehnsucht nach dem Ende! 1) Nachdem ich suchend jahrelang umhergeirrt, wünsch' ich nichts mehr als Rast undFeierabendruh', daß Kriegsgeschrei und Waffenlärm endlich verklirrt, und uns die Sterne wieder tröstend lächeln zu! Wenn alles friedlich, still und einsam um mich wird, denk ich gelassen furchtlos an das Rendezvous, das mir gewährt der Seele bester Arzt und Hirt: Ich stell mich langsam mit dem Tod auf Du und Du! 297 2) Nachdem ich irrend jahrelang umher gestreift, kam ich am Ziel der Einsicht und Erkenntnis an: Wer viel erlebt, erlitten und verlor, begreift, daß er nichts vor der Sichel Schnitt bewahren kann. Der Sang des Wetzsteins, der die Sense sirrend schleift, verkündet triumphierend, daß die Mahd begann; bald übers Stoppelfeld sein Lied der Herbstwind pfeift: Die Zeit ist unser unerbittlichster Tyrann! 3) Nachdem ich fast am Ziel der Reise angelangt, seh ich umschauend auf den Wanderweg zurück: Hier hab ich mich verirrt, unschlüssig dort geschwankt, manch steilen Pfad zwang ich nur mühsam Stück um Stück; bei jenem Krater flucht' ich meinem Mißgeschick, weil unter meinem Fuß plötzlich der Grund gewankt. Auf dieser Bank verschnauft ich einen Augenblick, nachdem ich mich mit Raubrittern herumgezankt. 4) Hat es sich wirklich denn gelohnt, daß ich so sehr bewundert und geliebt, verachtet und gehaßt? Ich weiß es nicht! - Heut wünsche ich mir gar nichts mehr als Glück der Stille, Feierabendruh und Rast, bis schließlich mir sein leises Abschiedssignal pfeift der Fährmann, der zu sicherm Port mich lotsen wird, nachdem ich irrend jahrelang umhergestreift - nachdem ich suchend manchen dunkeln Wald durchirrt! Aber vielleicht wird alles doch noch einmal für eine Weile besser - Laß uns darauf hoffen in dem Bewußtsein, daß vieles oft schneIler vorübergeht, als man noch zu hoffen wagte! Denke wenigstens manchmal an Deinen Dich von Herzen liebenden Vater - der täglich, ja stündlich an Dich denkt!! 298 . Liebe Käte, schreibe diesen unzusammenhängenden, schlecht gelungenen Brief mit den Änderungen ab, die Du für richtig hältst und schicke ihm über Vocke an Peter weiter (Geburtstag 3.8.). Jenen grüße herzlich von mir, wie auch alle anderen Bekannten, die meiner noch gedenken (Gibt es solche denn noch?). Meine Klingen gehen zu Ende, schicke mir falls erhältlich ca. 30 Stück "Cosmeta-Hohlschliff-Klingen" (teuer, aber ausgezeichnet), sonst Rotbart Standard, Pavi o.ä. Namen auf Um- schlagsklappen schreiben, um Verwechslungen zu verhindern! Die gewünschten Lehr- und Wörterbücher (französisch, englisch, spanisch, italienisch) versuche durch Vermittlung eines Lehrers (Hoffinann, Quer, Professor Askevold, Pfarrer Schafft) zu bekommen, da ich sie später allerdringendst benötige! Hast Du seinerzeit Vockes Brief zu- rückerhalten? Beantrage beizeiten Besuchserlaubnis und informiere mich dann früh genug! Martins Tod hat ja so sehr viel geändert - welch eine Lücke ist in mein Leben gerissen worden!!! Daß Du Dir ei- nen neuen Stropp angeschafft hast, hat mich gefreut - die Gesellschaft eines treuen Tieres ist oft soviel besser als die eines egoistischen Men- schen - auch mir hängt meine "Gesellschaft" hier längst mehr als zum Halse heraus! Für alle Deine Mühe und Last, Deine Schererei und Lau- ferei heute wie immer nur meinen armseligen, ohnmächtigen Dank! Allzeit Dein Kurt 299 60. Brief An Peter Finkenstein Kassel-Wehlheiden, den 13.9.1942 Als schwer ein Nachtmahr auf der Brust mir lag, der unbarmherzig würgend mich geschreckt, hat nächtigen Regens dunkler Trommelschlag aus dunkeim Alptraum gnädig mich geweckt. Da raunt' der großen Tropfen schwerer Fall in monotonem Takt mir plätschernd zu: Brennt flammend Leid nicht überall? Was wünschst Du Dir denn noch? Und worauf wartest Du? Hast Du noch immer nicht von dem Geschrei und Lärm des Marktes, feilschendem Betrug, stumpfsinnig leerem Alltagseinerlei, genarrter Sehnsucht, Mißgeschick genug? Bist Du noch immer nicht genug belehrt? Noch nicht genug verunglimpft und beraubt? Vom Augenschein gewitzigt und bekehrt, trotzdem solang vergebens Du geglaubt, daß ahn' des Schöpfers weise Korrektur nicht Unrecht, Willkür noch Gewalt geschieht; daß nach dem Gang der Weltenuhr Er unbestechlich wachsam sieht? Daß ohne seinen Auftrag und Befehl keiner der unzählbaren Tropfen fällt; daß über jedermann und jeder Seel' Er schützend seinen Schirm und Fittich hält? Welch sturer Eigensinn und Unverstand: Zermarterst grübelnd Dir Dein Herz, Dein Hirn; versuchst mit schwacher, menschlich plumper Hand, Was Dir doch unentwirrbar, zu entwirr'n! Wieviele taube Plackerei und Müh - wieviel Vergeudung von Gefühl und Geist - kommt Dir denn wirklich die Erkenntnis nie, 300 daß Du am End' die Wahrheit doch nie weißt! des Lebens flutend Hin und Her, sein Auf und Ab von Lust und Leid, von Lieb und Haß; viel bittrer Tränen salzig Meer; Schmerz der Geburt, schmerzlicher Tod - für wen? Für was? Einlullend raunt der Regen durch die Nacht: Warum darf straflos Schändlichstes gescheh'n? Soviel Triumph der Niedertracht - Wird das so ewig sein? Für was? Für wen? Der schweren Tropfen monotoner Takt gespenstisch durch die nächt'ge Stille rauscht. Beklommen, wehr- und wiIlenlos gepackt hab ich so lang dem düstern Lied gelauscht, bis es mich sanft zurück in Schlaf gewiegt, Das abgehetzte Herz gebracht zu Ruh - Wie selig man im Arm wunschlosen Schlummers liegt! Was hoffst Du Dir - noch Bessres? Aufwelches Wunder wartestDu? - Mein lieber Peter, vielleicht wundert es Euch, daß ich meinen Brief mit solchen schlecht geleierten Reimen beginne - aber was soll ich wohl viel anderes nie- derschreiben! Ich teilte Dir ja schon mit, daß die Worte, die ich zu dem Heldentod unseres armen lieben Spätzchens vor acht Wochen an Dich schrieb, in den Maschen der Zensur hängengeblieben sind - was soll ich nun zu diesem schrecklichen Ereignis sagen, da ich wirklich nicht weiß, wo selbst in solchem Fall die Grenzen des Zulässigen sind? Zu allem Gram und täglich wachsender Trauer kommt nun noch, daß nach Martins Tod (! I), dem einzigen Menschen, der in der Lage wäre, mir ein paar gute Worte des Trostes und der so lang entbehrten Liebe zu sagen, ohne Angaben von Gründen selbst der an sich schon zu karg bemess'ne Zutritt zu mir verweigert wird - ich spreche von der Frau, die Dir - wenn wir alle gut über diese dunklen Jahre kommen, einmal die Mutter ersetzen soll, - Du kannst Dir denken, wie mir da zumute 301 ist!I - Aber das Allerschlimmste ist natürlich Angst und Sorge um Dich!! Die Ungewißheit, die tägliche Erwartung einer heut nur zu wahrscheinlichen schlimmen Nachricht, alles das läßt die scheußliche Lage, in der ich bin, täglich noch unerträglicher erscheinen - und dabei ist ja gar kein Ende abzusehen! Kann es da Wunder nehmen, daß mir hauptsächlich pessimistische und dunkle Gedanken kommen? Stand doch auch früher schon das Wort Schopenhauers von dem "verbre- cherischen Optimismus" immer eindringlich vor den Augen meiner Seele - und wieviel mehr eben noch in diesen abscheulichen Tagen! Körperlich geht es mir gut; macht Euch da keine Sorge! Ich bin zwar etwas zusammengeschnurrt, worauf diese Verse zielen: "Spiegelspuk" Wenn ich an einem Spiegel zufällig vorübergehe, bleckt mich ein Totenkopf aus seinem Rahmen grinsend an. Was ist das für ein grausliches Gespenst, das ich dort sehe? Warum verhöhnt mich dieser schauerliche Knochenmann? Darf ich an ein Phantom, an magische Verzauberung hier denken - an Täuschung Trug und Gaukelei - an eines Spuks Fotografie? Doch nein! Ich muß dem glatten Glas leider Vertrauen schenken! Dies ist mein heutig Konterfei! Nüchterne Spiegel lügen nie! - Ich habe bedauert, so spät von der Verstümmelung von Vockes Brief gehört zu haben, jetzt kann ich die Reime - damals schnell hinge- schrieben, nicht mehr zusammenbringen! (Ich habe an 2000 andere Zeilen im Kopf -) Auch manchen, der nicht allzu düster klingt - aber alle Versuche, derartiges an Euch zu schicken, sind ja bis jetzt ge- 1 Am 13. August 1942 und am 26. August 1942 wurden die Besuchsanträge von Käte Westhoffabgelehnt. Der letzte Besuch von ihr hatte am 3. Mai 1942 stattgefun- den. - Erst der Antragvom 24. März 1943. unmittelbar nach dem Tod Peter Finken- steins, wurdegenehmigt. 302 scheitert - man hält hier viel für Ironie, was es keinesfalls ist! Dieser Brief soll Dich bestimmt erreichen, daher will ich ihn mit Zeilen schließen, in denen man derartiges wohl nicht suchen oder finden kann: "Mahnung." Wenn im Erfolg ein Schwarm von feilen, schmeichelnden Trabanten Dir manchen unverdienten, billigen Triumph bereitet; ob manche Dir angeblich Gleichgesinnte, Geist-Verwandten, an heitren Tagen Dich zu Schmaus und Lustbarkeit geleitet, wieviele üble Schwätzer auch Dich Freund und Bruder nannten - alle verleugnen Dich, wenn Dir das Glück treulos entgleitet! Wie oft berauscht sich heut im Kreise lärmenderBacchanten, wer morgen schon verlassen und allein den Weg ins leere Dunkel schreitet! Wie ängstlich Du Dich immer gegen die Ernücht'rung wehrst: Wenn Du das letzte Brot geteilt, die letzte Neige Wein mit müder Hand ins Glas der Spiel- und Zechgenossen leerst, verstummen augenblicklich Violinen und Schalmein. -- Wenn Du am meisten Zuspruch, Freundschaft,Trost und Rat begehrst, wirst Du am meisten einsam und verlassen sein ... Wieviel Du je wirklich geliebt, wieviel Du neidlos ehrst: Die letzte Reise machst Du dereinst dennoch ganz allein. - Um aber mit einem zuversichtlichen Ton zu schließen: Heut noch eingefangen, schweb' ich morgen vielleicht schon im Grenzenlosen. Wieviel Möglichkeiten schlummern nachbarlich im selben Ding! Denk doch nur an andere Metamorphosen: Erst nur ekler Wurm, hernach verpuppte Raupe, schließlich bunter Schmetterling! 303 Das ist nun kein ordentlicher Brief geworden - hoffentlich verdrießt er Dich nicht! Die Karte nach der Sturmnacht war mir eine rechte Her- zenslabe - habe Dank dafür. Antworte bald! Für das Päckchen auch herzlichen Dank! In einigen Monaten brauche ich ein paar Klingen, evtl. Napfund kleine Medizinflasche mit Tropfenzähler! Mag ein gutes Schicksal uns vor weiterem Verlust bewahren! Hoff auf ein baldig Wiederseh'n! Dein Vater 304 .................. • 1 ' _ . 1 lIw U • • • • • 110_1. .. 26.1oc-t LW ..d ..1'1'lMIt.... lJ t s leb N d.lle ...d:I , ur are•••1.1IDetod.. -..cIloa l d _ 1llI . ....s . ..u.,," aI.. _ ...1• • Sl. " eilt; "'"- llc.ll _ 41 .... .......,.t._b 111 ..U ••• • IletIM -t.......lk au" _1'IU 1... ei. tolp~I'II '. 91. [hDeQ .... oe• .litt , h'. o.t1llo:l " d oll PllII'''''.U J e1;.t. 1.a , I.",. to lIatt.. I .. bn 1. 1I1..,aZ' "'U a lebt. llId' ..1... 12-"t. \Iftd .. illen H. II.....n. ~.1"I l a O!rt;ober I'" allCb ..111. t " Prall, Ml 11. 1' '1' ...... 86l\r>a 1.a ,..t.. r 0011.., naat rl..... . ...h all 41_11 Ilart.•• SodIloual_Il1~" ,. l eb 1_ 1. 1...1 ' .1• ...11 te. "'ldeatad ..1M _ 'iIatJ_ So..... 1• • 'Jaa l Y6 1:Iband.t.t. la. n ••1' lal. t. 1Ia.rt. Sellle t ••hsellt .., .... Pleltell... lll ""c1"I lfUo"'Nal.. b"onMra 1\ar. ""er'of t .. lIrId ..1.11<1 a..UI'Iltlwlt. • • la ~ lI&ell . U d.1I ..~.. 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Sein politisches Hauptziel habe darin bestanden, "daß es den kleinen Leuten besser gehen soll." Über seine Tätigkeit als Zahntech- niker sagte Frau Funkenstein: "Kurt hat manche Nacht [im Zahntech- nischen Labor] gesessen, wenn die anderen schon weg waren. Er hat nichts halb gemacht." Über die Zeit in [dem Konzentrationslager] Breitenau [im Jahre 1933] hat er mit mir nicht gesprochen. Bei der Gerichtsverhandlung [im November 1937] wurde ihm vorge- halten, er wolle den Staat stürzen. "Ich den Staat stürzen? Der stürzt von selbst," habe er geantwortet. Nach dem Tod des Sohnes Peter 1943 in Rußland rief die Gauleitung der NSDAP bei Käte Westhoff an, um zu kondolieren. Es war üblich, daß bei einem gefallenen Offizier der Gauleiter persönlich vorsprach. Als er jedoch die Anschrift ,Graßweg' hörte [Zuchthaus Wehlheiden], meldete er sich nicht mehr. Kurt Finkenstein und Käte Westhoff wollten heiraten, waren jedoch durch die Nürnberger Gesetze daran gehindert. "Wir konnten wegen der Ariergesetze nicht früher heiraten." Erst nach dem Krieg wurde die Ehe rückwirkend standesamtlich geschlossen. Aus den Notizen eines Gespräches Herrn Dr. W. Wienbecks und des Herausgebers mit Käte Funkenstein am 1. Februar 1982 in Kassel Martha Schlegelmilch: "Er war ein großer und kräftiger Mann. Er war äußerst großzügig. Auf den ersten Blick wirkte er vielleicht streng, aber er war ein liebenswür- diger Mensch. Wenn irgendwo einer in Not war, dann war der Finken- stein gewiß einer, der ihm geholfen hat. Er war [was Geld betrifft] nie flüssig. Eng mit ihm viel zusammen war der Schauspieler Domin, den er auch unterstützt hat. Der war viel bei ihm. Das, was in der Zeit da- mals mit Finkenstein gemacht wurde, war zutiefst ungerecht." Frau Schlegelmilch im Gespräch mit dem Herausgeber im April 2001 367 Frau Marie-Luise Bode: Zu Kurt Finkensteins Person sagte Frau Bode, daß er ein Mensch ge- wesen sei, der sehr gerne andere Menschen um sich hatte, und von daher auch gerne Besuch empfmg. Sie sagte, er sei in der Beziehung so gewesen, wie es in großbürgerlichen Kreisen üblich war. Wenn er ih- nen in Kassel zufällig begegnete, rief er ihnen schon von weitem zu, begrüßte sie sehr herzlich und lud sie sofort zu sich für den kommen- den Abend ein, wozu dann viele Freunde und Bekannte ebenfalls ein- geladen wurden. Frau Bode beschreibt Herrn Finkenstein als einen extrovertierten, sehr belesenen Menschen. "Es mußte alles aus ihm heraus, er konnte nichts für sich behalten." Auf die Frage, ob sie ihn für einen politischen Menschen gehalten habe, antwortete sie sinngemäß, sie habe ihn durchaus für politisch gehalten, aber nicht für "so politisch". Politisch sei er insofern gewe- sen, als er der ,Linken' zuzurechnen war und auch mit vielen anderen der gleichen Einstellung verkehrt hat. Frau Bode berichtete uns weiter- hin, daß sie ihn für zu unvorsichtig gehalten habe. So schimpfte er z.~. auf offener Straße (als er und Arnold Bode sich trafen) über die NazIS oder ließ bei Treffen in seiner Wohnung in der Karthäuser Straße seh~ laut Brecht'sche Lieder (auf dem Plattenspieler) laufen. Finkenstem ~el aber nicht so politisch gewesen wie Z.B. der Brecht-Kreis in BerIIn, dem sie angehört hatten. Notiz von Monika Nentwig über ein Gespräch mit Frau Bode am 1. November 1983 in Kassel Frau Liselotte Römer: Finkenstein war ein sehr gastfreundlicher Mensch. Er hatte gerne sehr viele Personen um sich versammelt. Er war musisch-künstlerisch ve;- anlagt. Musik, Kunst und Literatur schätzte er über alles. Finkenstem war sehr großzügig. So gab er z.B. für die zahlreichen Treffen in seiner Wohnung viel Geld aus, da er seine Gäste immer gut und reichli~h bewirtete. "Wenn es Wein zu trinken gab, war das nicht irgend.ell1 Wein, sondern guter!" Auch für Bücher und Schallplatten hatte er Im- mer Geld. Geld selbst spielte. für Finkenstein keine wichtige Rolle. Er verdiente damals sehr gut, aber er sparte nicht, sondern verlebte es lieber. Oft steckte er auch Freunden/Bekannten etwas zu, denen es 368 finanziell nicht so gut ging. Durch seine Freigebigkeit kam er dann selber ab und zu in finanzielle Schwierigkeiten, so daß er sich von Freunden und Bekannten etwas leihen mußte. "Gedankt hat ihm seine Großzügigkeit keiner." Finkenstein war ein sehr offener, temperament- voller Mensch mit viel Humor. Er war sehr belesen und sprach gern über Literatur. Frau Römer meint, daß er die Schriften von Karl Marx niemals gelesen habe. Frau Römer beschreibt ihn auch als einen sehr anständigen und konsequenten Mann. Konsequent insofern, als er 1932 wieder in die KPD eintrat, da er meinte, es wäre an der Zeit, sich politisch zu bekennen. Anständig, da er sich Z.B. während seiner Haft- zeit in Breitenau [1933] schützend vor andere stellte, wenn es darum ging, wer etwas Verbotenes getan hatte. Da er dies so oft tat, hätten "die Aufpasser" schon gesagt: "Finkenstein, tritt zurück, Du kannst es ja nicht immer gewesen sein." Frau Römer weiß dies von anderen Per- sonen, die zu dieser Zeit auch in Breitenau einsaßen. Finkensteins Labor lief gut. Er arbeitete viel und verrichtete seine Ar- beit sehr sorgfältig und gut. Finkenstein war ein politischer Mensch. Nicht umsonst las er bestimmte Literatur (Tucholsky, Tolstoj u.a.) und diskutierte darüber. Er versammelte bei den Treffen Leute um sich, die ausnahmslos der Linken zuzurechnen waren. In diesen fanden ja auch häufig genug politische Gespräche statt, in denen er eindeutig zu aktu- ellen politischen Geschehnissen Stellung bezogen hat. Weiterhin nahm er von Zeit zu Zeit politisch Verfolgte in seiner Wohnung auf, die durch Teilnehmer an den Treffen an ihn vermittelt wurden. Funktionärsposten hat er jedoch nicht angenommen und Flugblätter weder verfaßt noch verteilt. Auf die Frage, ob Finkenstein unvorsichtig gewesen sei: "Vorsichtig war er nicht, aber unvorsichtig ist er auch nicht gewesen." Notiz von Monika Nentwig über ein Gespräch mit Frau Römer am 10. November 1983 in Kassel Arno Siebert: "Ich war damals neun Jahre alt, die Druckerei meines Vaters befand sich in der Karthäuserstraße 5 1/2. Finkenstein faszinierte mich, weil er ein freundlicher Mann war; auch das Schild 'Dentallabor' vor dem Haus imponierte mir." Arno Siebert im Gespräch mit dem Herausgeber im März 1999. 369 Frau Teitge: "Ich erinnere mich noch an Finkenstein, da ich damals im Haus gegen- über in der Lehre war. Das war in der Kleinen Rosenstraße. Finken- stein war ein großer, gutaussehender Mann, ein schwerer Mann. Ich erinnere mich noch an seinen Gang, der war etwas nach links geneigt." Telefonische Mitteilung im März 1999. Friedrich Nagel: Herr Nagel lernte Finkenstein durch zwei Freunde, Friedrich Herbordt und Herbert Strauß, Mitte der zwanziger Jahre kennen. Er besuchte Finkenstein sehr gerne, weil er als Schüler bei ihm eine Menge lernen konnte. "Man konnte bei Finkenstein an einem Abend mehr lernen als in einem Vierteljahr in der Schule." Es war für Herrn Nagel immer ein Erlebnis, einen Abend bei Finkensteins zu verbringen, neben den aus- giebigen und anregenden Diskussionen mit vorwiegend literarisch- künstlerischen Inhalten konnte man dort die interessantesten Personen (zum Teil Berühmheiten wie Franz Jung, den 'letzten Seeräuber Eur~­ pas') aus kulturellen Kreisen treffen. Eindrucksvoll ist Herrn Nagel bis heute die fesselnde Ausstrahlung und Freundlichkeit von Finkenstein in Erinnerung geblieben, ebenfalls sein vielfältiges Wissen, seine Ge- wandtheit und seine Gabe, interessante Gespräche zu gestalten. A? solchen Abenden ließ er seine Arbeit liegen (er konnte Arbeit Arbeit sein lassen) und konzentrierte sich ganz auf den Austausch mit anderen Menschen. Notiz von Monika Nentwig über ein Gespräch mit Herrn Nagel am 29. November 1983 in Kassel Frau Franz: Er hatte immer viel Besuch, den er sehr großzügig bewirtete. Finken- steins Leben war durch seine Arbeit und seine kulturellen Interessen ausgefüllt, Aus diesem Grunde wurde das Familienleben vernachläs- sigt und die Erziehung der Kinder seiner Frau übertragen. Finkensteins erste Frau soll intelligent, tüchtig und ehrgeizig gewesen sein. Sie hat es nach ihrer Scheidung geschafft, sich und den Kindern eine neu.e Existenz in Schreiberhau aufzubauen, in dem sie eine Pension für Skl- sportler eröffnete (im Hause ihres Vaters). In der Ehe hatte sich Frau 370 Finkenstein um Haushalt und Kinder gekümmert und die Büroarbeiten erledigt. Äußerungen von Frau Finkenstein lassen darauf schließen, daß sie sich in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter von ihrem Mann allein gelassen fiihlte. Er ging seinen. Interessen nach, was ihr oft aus zeitlichen Gründen nicht möglich war. Frau Franz sagt, daß Frau Fin- kenstein aufgrund ihrer Intelligenz, ihrer Selbständigkeit, ihres Ehrgei- zes und ihrer Willensstärke eine schwierige Frau gewesen sei. Sie sei auch nicht immer mit Finkensteins Umgang mit dem Geld einverstan- den gewesen. Notiz von Monika Nentwig über ein Gespräch mit Frau Franz am 6. Dezember 1983 in Kassel Herbert Lewandowski: Sommer 1916. Ein Cafe in Monastir in der Hauptstraße, die damals, wenn ich nicht irre, "Ulitza Prinz Boris" hieß. Den ganzen Tag hat die Sonne mit furchtbarer Glut auf die weißen Häuser in der Talmulde gebrannt. Überall waren die Fensterläden geschlossen, niemand wagte sich auf die Straße hinaus, der nicht unbedingt draußen zu tun hatte. Nun nähert sich die Stunde der Abendkühle. Der Stundenruf des Mu- ezzins schallt vom Minarett einer nahen Moschee herüber. In der Stra- ße wird es lebendig. Aus allen Häusern kommen die Menschen hervor. Fette, wabblige Matronen fuhren ihre weißgekleideten Töchter spazie- ren. Zwischen den mehr oder minder ehrsamen Bürgern bahnen sich kleine Kokotten in auffallend bunten Kleidern den Weg. Verschleierte Mohammedanerinnen wandern hinter kecken Griechinnen, schlanken Jugoslawinnen, breitgebauten Bulgarinnen einher. Die Männer präsen- tieren sich meist in Kaki-Anzügen, auf dem Kopf tragen sie Tropen- helme wie in Kairo oder Kalkutta. Und welch ein buntes Bild bietet das Cafe? Da sitzen die griechischen Händler und schachern miteinander, ihre Äuglein funkeln schlau. Hier sind es nicht die Juden, die als die gerrissensten Kaufleute gelten, son- dern die Griechen und vielleicht noch die Armenier. Manche Männer haben Turbane auf dem Kopf, andere tragen den türkischen Fez. Und zwischen all den Orientalen sitzen auch ein paar deutsche Soldaten, dort ein außergewöhnlich kräftiger, hochgewachsener Kanonier und neben ihm ein mittelgroßer, schmächtiger Trainsoldat. Beide haben 371 grüne Drillich-Anzüge an, jene etwas primitive Uniform, welche die deutsche Militärverwaltung den Truppen in der suptropischen Zone geliefert hat. Nur durch blinkende Knöpfe unterscheidet sich dieses Kostüm von der Stallkleidung, welche die Mannschaften in Friedens- zeiten in den Ställen tragen. Auf dem Kopfe haben sie die üblichen runden Schirmmützen, an denen hinten ein grüner Lappen befestigt ist, um die Nacken gegen die Glut der Sonnenstrahlen zu schützen. Kanonier Finkenstein zitiert einen Vers von Rene Schickele: "Herrscher bleibt das Tier über die Welt, Bis nicht kampflos Mensch zu Mensch sich stellt." "Wunderschön und sehr treffend", urteilt sein Kamerad Lee van Dovski, damals Führer eines Trainkommandos beim Feldlazarett in Monastir und in den Listen als "Gefreiter Lewandowski", geführt. Zwei bisher unverstandene Pazifisten haben sich hier in Monastir ge- funden und gießen die ganze Schale ihres glühenden Zorns und Hasses gegen den Krieg aus, ohne sich durch etliche Eisportionen auch geistig etwas abkühlen zu lassen. Finkensein berichtet, daß sein Freund Schickeie, Autor der Gedicht- bände 'Weiß und Rot', 'Elsässischer Sommer' und 'Mein Herz, mein Land' sowie des Prosabandes 'Schreie auf dem Boulevard' seine pazi- fistische Politik jetzt von der Schweiz aus mit der Zeitschrift 'Die wei- ßen Blätter' fortsetzt. "Pazifistische Zeitschrift?" fragt sein Kamerad erstaunt, "gibt es denn so etwas?" "In der Schweiz in Massen. Dort erscheint auch die Zeitschrif! 'Demain'. Aber auch in Deutschland haben wir eine solche Zeitschrift, Pfemferts 'Aktion', Ich bringe Ihnen nächstens ein paar Hefte mit "'~' Und die beiden Freunde überlegen, wie man dem abscheulichen Krie- ge ein Ende machen könnte. "Man sollte Tolstojs billige Broschüre 'Besinnet euch' an alle Front- soldaten schicken!" schlägt Finkenstein vor. "Das würde dem Kriege sofort ein Ende machen." Sein Gefährte ist trotz seiner nur zwanzig Jahre etwas skeptisch, aber Finkensteins Worte tönen ihm wie Musik, seine profunde Kenntnis der französischen Literatur setzt ihn in Erstaunen, seine gefestigte Weltan- schauung lockt sein anlehnungsbedürftiges Gemüt. 372 "Wir wollen immer Freunde sein, immer treu zusammenhalten", sagt er und streckt Finkenstein die Hand über den Tisch. Im Cafe entsteht ohrenbetäubender Lärm. Auf einem kleinen Podium tanzt ein schwarzhaariges Mädchen den Bauchtanz, während zwei Musikanten ihren sonderbaren Instrumenten schauerliche Töne entlok- ken. Ganz plötzlich brechen die Instrumente ab, die Tänzerin springt mit einem kecken Satz vom Podium herunter, schlängelt sich gewandt durch den überfüllten Saal und erweist den deutschen Soldaten die Ehre, daß sie ihre Einsammlung bei ihnen beginnt. Mit ihren schwar- zen Augen funkelt sie die Fremden ein wenig an und entblößt ihre weißen Zähne. Finkenstein greift, während ein etwas spöttisches Lä- cheln auf seine Lippen tritt, in die Tasche und wirft einen Lewa auf den Teller. Dabei kommandiert er: .Lewan, geben Sie auch einen Le- wa. So ein armes Kind kann's brauchen!" Und der Trainsoldat kratzt schnell in seinem Portemonnaie seine Münzen zusammen, um sie auf einen ganzen Lewa abzurunden ... [ ...] * Der Monastirer Sommer ist vorübergegangen. Der Trainsoldat ist schließlich krank geworden: Malaria, Leberschwellung, Furunkel. Er hat einsam in einer armseligen Lehmhütte auf dem Strohlager gelegen, aber jeden Abend ist treulich und zuverlässig Kamerad Finkenstein gekommen und hat ihn geistig und materiell gelabt wie weiland Walt Whitman die Kranken und Verwundeten des Sezessionskrieges. Dann ist der "Führer des Trainkommandos" abgesetzt und nach Nordbulga- rien verschickt worden. Nun muß eine fleißige Korrespondenz den Kontakt zwischen den Freunden aufrecht erhalten. Finkenstein hat inzwischen tüchtig den Pegasus geritten und drei Zyklen verfaßt, die er 'Tanz um Gott', 'Tanz um die Liebe', 'Tanz um die Freiheit' betitelt. Alle drei Zyklen sind unter dem Titel 'Die Qual der Tänze' zusam- mengefaßt. Dem Kameraden Lewan hat er Kostproben geschickt und sich dabei wegen seines stumpfen Bleistiftes, seiner kindlichen Hand- schrift und wegen seines "abgeleierten Briefstils" entschuldigt. * Von der umfangreichen Korrespondenz zwischen Finkenstein und mir ist leider nur das zitierte Gedicht von meiner lieben Mutter gerettet 373 worden, ferner ist ein einziger Brief Finkensteins in eine Handschrif- tensammlung geraten, die mein Bruder Hans sich anlegte und die ich nach dem zweiten Weltkrieg während einer Hollandreise auf einem Dachboden wiederfand. Auch dieses andere, auf so abenteuerliche Weise der Vernichtung entgangene Dokument möchte ich hier zitieren: Metz, 8. Mai 1917 Mai, lieber L., Mai, Blüten, Sonne und flimmerndes Licht, prangende bunte Wiesen und duftende Sträucher, springende Fontänen, Früh- lingsmädchen in hellen Kleidern und leichten Hüten, Liebe, Leben und Glückseligkeit. - Mai, mein Lieber, und die geliebte, die schöne Heimat, die Freunde und lieben kleinen Mädchen, die alten winkligen Ateliers, die heimli- chen, unbekannten Gassen, die grüne duftende Mosel und am Hang aller Hügel den blühenden Wein- und doch Krieg, Verwüstung, Haß uno Not, Gasbomben, Handgrana- ten und Tankwagen - doch Blindgeschossene - Krüppel - Leichen - Leichen! Lewandowsky, Lieber, Guter, was soll ich Ihnen wohl sagen? Ich habe Sie nicht vergessen und denke gerne manchesmal an Sie! Tun Sie des- gleichen! Ihr Kurt Finkenstein * Kurt Finkenstein hatte seinen jüdisch klingenden Namen seltsamerw~i­ se von seinem arischen Vater geerbt, der in Metz als deutscher OffiZier lebte. Vielleicht war es verarmter Adel der sich ursprünglich nach, . seiner Burg benannt, aber schließlich das 'von' abgelegt hatte. Seme Mutter allerdings war Jüdin. Obwohl Finkenstein seine Heimat, das Elsaß, sehr liebte, entschloß ~r sich doch nach dem ersten Weltkrieg, in Deutschland zu bleiben - ern Entschluß, der für sein Leben die furchtbarste Auswirkung haben soll- te. Nichts ist so illusorisch wie der Dank des Vaterlandes, das viel eher wie Mörikes Bauern 'Stank statt Dank' gibt. Und daß dies ganz beson- ders für Deutschland gilt, kann man bei Goethe und Hölderlin nachle- sen - von Heine zu schweigen. Die Verbindung mit den Kreisen um Schickeie und Pfemfert, die nach dem Kriege in Deutschland Mor- 374 genluft witterten, war wohl mit ausschlaggebend für diese Entschei- dung Finkensteins. Nur wenige - wie Albert Schweitzer, der weise Magier und Menschenfreund, und auch Yvan Go11- entschieden sich von Anfang an für Frankreich. [...] Ich sah ihn regelmäßig, wenn ich von der Fremde bei den Eltern in Kassel wieder einkehrte. Bei einem Spaziergange in der Aue beklagte er aufs Bitterste seinen sträflichen Leichtsinn und maß sich die Schuld an der Erblindung des dritten Kindes zu. Aber noch immer war es bezaubernd für mich, in Finkensteins Heim zu kommen. Er war von hinreißender Gastlichkeit wie ein alter Tahita- ner. Bei ihm war man immer willkommen. Und wie herrlich war seine große Sammlung expressionistischer Gemälde von Kokoschka, Schmidt- Rottluff und vielen andern. Auch in den schönen Holzschnitten von Masereel oder in seiner Bibliothek stöberte ich gern herum. Als die Hitlerzeit heraufdämmerte, fand ich eine andere Frau an seiner Seite. Er war wohl geschieden, seine erste Frau war mit den drei Söh- nen nach Schreiberhau zurückgegangen. Wir sprachen viel von Aus- wandern. Aber Finkenstein war seltsam unentschlossen. Das Wort Frankreich fiel seltsamer Weise gar nicht. Wir sprachen von Holland, von Nordamerika. Finkenstein glich jenem Emigranten, der in einem Reisebüro lange an einem Globus herumdreht und schließlich den Angestellten fragt: "Haben Sie nichts anderes?" Gerade zur Zeit der Machtergreifung war ich wieder einmal bei Fin- kenstein und Frau Käte. Ich lernte ein Ehepaar kennen, das sich, von Finkensteins sprichwörtlicher Gastlichkeit profitierend, bei ihm einge- nistet hatte. Wir spielten die Platten aus der "Dreigroschenoper". Mei- ne Frau machte mir damals Vorwürfe wegen meines Leichtsinns. Ja- Finkenstein wurde wenige Tage später ins Konzentrationslager Bir- kenau [Breitenau; d. Vf.] geschleppt, weil er geflüchtete Kommunisten beherbergt hatte - und ich konnte meinem Schöpfer danken, daß ich wieder heil über der Grenze war. [...] * 375 Im Jahre 1935 wurde Finkenstein neuerlich von der Gestapo verhaftet. Der 'Kulturbolschewist' mußte unschädlich gemacht werden. Und seine kostbaren Sammlungen konnte man natürlich am einfachsten stehlen, indem man im Zuge einer Haussuchung seine Kunstwerke, Holzschnitte und Bücher als 'staatsgefährlich' beschlagnahmte. Im Jahre 1937 verurteilte man diesen unpolitischen Menschen, der allzu weltfremd war, um die ganze Bosheit der Nazis zu durchschauen, zu 7 1/2 Jahren Zuchthaus wegen "Vorbereitung zum Hochverrat". (Das Gleiche hatte man einst Dostojewski vorgeworfen.) [...] Wie dem armen Kar! Stauffer im Gefängnis zu Florenz oder im Irren- haus von San Bonifazio strömten auch Kurt Finkenstein in seiner Zuchthauszelle die Reime zu. In ergreifenden Selbstanalysen zog er die Summe seines Lebens, wobei er sich in erster Linie an seine Söhne wandte. Er beklagte, daß ihn das Schicksal von seinen Kindern ge- trennt hatte, daß ihr Vater ein Fremder für sie blieb. Er stellte sich wohl vor, daß einer von seinen Söhnen von ihm sprechen könne wie Pola Gauguin über seinen Vater: .Paul Gauguin - cet etranger." Als sein einziges Verbrechen sah er sein Mitleid mit den Armen und Ent- erbten an. Die Einflüsse von Vaters und Mutters Seite wurden ihm in den einsamen Zuchthausnächten deutlich: hartes heroisches Germa- nentum und leidgeprüftes Judentum hinterließen ihm eine Erbschaft, die in seinem Leben zu Widersprüchen führen mußte. Daß er zwischen zwei Frauen geraten, quälte ihn bitter. Und doch empfand er sein Irren und Geprüftwerden als allgemeines Menschenlos. [...] Lewandowski, Herbert: Kurt Finkenstein. In: Lee van Dovski: Eros der Gegenwart. Quasi ein III Band von "Genie und Eros". Genf 1952, 94jf. (Auszug) 376 ·f· Abb. 20 Das Polizeipräsidium am Königstor 377 Zeittafel 27.3.1893 Curt Finkenstein,als einziges Kind der Auguste Funkenstein, geschiedeneBlumenthaI in Straßburg unehelichgeboren. Der Vater ist unbekannt Thomasschule, dann OberrealschuleS1. Johann, beide in Straßburg, bis zur 0 III [Obertertia;das entspräche heute der 10. Klasse] 1907 Konfirmation in der St-Peter-Kirche in Straßburg 1907-1911 Zahntechniker-Lehre bei Prof. Dr. Ernst Jessen, Straßburg 1.4.1911-1914 Angestellterbei ZahnarztDr. L. Riechelmann in Metz 1914-1918 Soldat im Weltkrieg 1.12.1918 Angestellterbei Dentist Müller in Leipzig (bis 1.1 0.1919). Dort Sympathien mit dem Spartakusbund und Mitglied in der dortigenUSPD 24.2.1919 Heiratmit ElfriedeTautz in Bad Reinerz (Schlesien) 3.8.1919 SohnPeter Finkenstein in Leipzig geboren 1.10.1919 Umzugnach Kassel in die Wilhelmshöher Allee 172. EröffnungeinesZahntechnisches Labors.Eintritt in die dortigeUSPD 15.1.1920 Umzug in Kassel in die HohenzollernstraBe 70 10.8.1920 Sohn MartinFinkenstein in Kasselgeboren 1920 Nach dem Haller Parteitagder USPD Eintritt in die KPD 1921 Austritt aus der Evangelischen Kirche 2.1.1922 Umzug (Wohnung und Labor) in Kassel in die Kleine Rosenstraße 2 10.1.1923 SohnHans-Sylvester Finkenstein in Kassel geboren 18.3.1925 Tod der MutterAugusteFinkenstein in Kassel 378 1925 16.4.1930 1932 1.9.1932 9/1932 Austritt aus der KPD Elfriede Finkenstein trennt sich von ihm und zieht mit den Kindern nach Oberschreiberhaul Schlesien Mitarbeit bzw. Initiative in der "Gesellschaft zur Organi- sierung sozialwissenschaftlicher Vorträge" in Kassel Umzug des Zahntechnischen Labors von der Kleinen Rosenstraße in die Seidlerstraße 2. Privatwohnung in der Karthäuserstraße 5 1/2 Wiedereintritt in die KPD 26.4.-16.6.1933 Schutzhaftgefangener im Kasseler Polizeipräsidium 16.6.-8.8.1933 Schutzhaftgefangener im Konzentrationslager Breitenau 25.7.1934 Die Ehe mit Elfriede Finkenstein vor dem Amtsgericht Kassel geschieden 23.7.1935 Polizeiliche Verhaftung, gemeinsam mit Käte Westhoff und anderen. Haft im Polizeipräsidium Kassel (Königstor) 20.9.1935 Einlieferung in das Untersuchungsgefängnis Kassel (Leipziger Straße 11) 28.5.1936 Verlegung in das Strafgefängnis Kassel-Wehlheiden 21.5.1937 Freispruch Käte Westhoffs. Unmittelbar nach dem Freispruch Schutzhaft im KZ Moringen, später im KZ Lichtenburg 9.11.1937 Urteil des Oberlandesgerichts Kassel gegen ihn: 7 Yz Jahre Zuchthaus. Einzelhaft 18.I.I938 Als Zeuge vor dem 1. Senat des Volksgerichtshofes in der Strafsache gegen Ernst Lohagen u.a. in Kassel 21.5.1938 Käte Westhoff aus dem KZ Lichtenburg entlassen 3.7.1939 Erster Besuch von Käte Westhoff im Zuchthaus Wehlheiden 5.7.1939 Einlieferung vom Zuchthaus Kassel-Wehlheiden in das Straf- gefangenenlager I1 Aschendorfer Moor (Ems)/Papenburg 379 23.10.1939 Tod von Elfriede Tautz 27./31.10.1939 Rücküberführung vom Strafgefangenenlager II Aschendorfer Moor in das Zuchthaus Kassel- Wehlheiden 19.11.1939 17.3.1940 9/1940 15.12.1941 17.3.1942 2.4.1942 3.5.1942 14.2.1943 24.3.1943 9.11.1943 13.11.1943 11/1943 8.1.1944 15.1.1944 24.1.1944 29.1.1944 Besuch von Käte Westhoff im Zuchthaus Wehlheiden Besuch von Käte Westhoff im Zuchthaus Wehlheiden Besuch von Martin Finkenstein und Käte Westhoff im Zuchthaus Wehlheiden Vom Anstaltsarzt wegen starker Gewichtsabnahme 1/4 Jahr auf ein halbes Arbeits-Pensum gesetzt Tod Martin Finkensteins Vom Anstaltsarzt wegen starker Gewichtsabnahme 1/4 Jahr auf ein halbes Arbeits-Pensum gesetzt Besuch von Käte Westhoff im Zuchthaus Wehlheiden Tod Peter Finkensteins Letzter Besuch von Käte Westhoff im Zuchthaus Wehlheiden Entlassung aus der Strafanstalt Wehlheiden. Überführung in das Polizeigefängnis Kassel Schutzhaft im Arbeitserziehungslager Breitenau Besuch von Käte Westhoff im Lager Breitenau Beginn eines siebentägigen Bahn-"Transports" in das KZ Auschwitz-Birkenau Unter der Nummer 172.266 Aufnahme im sogenannten Quarantäne-Bereich im Lager Auschwitz-Birkenau Einweisung in das [Häftlings-Kranken-Bau] - Lager B Il a, Block 12 Tod Kurt Finkensteins in Auschwitz-Birkenau 380 Quellen und Literatur Briefe Kurt Finkensteins Nr. 21, 25, 27, 37, 41, 47, 50,62,67. Nachgelassene Papierevon Käte Westhoff: Schreiben der "Verwaltung Konzentrationslager Auschwitz" an Käte Westhoffvom7. April 1944. Schreibendes Staatlichen Museums Auschwitzan Vf. vom 26.3. 1984. Bundesarchiv Berlin:ZC 11910,Band 9. Vernehmung von Kurt Finkenstein am 11.9.1935/NI 6487 Anklageschrift und Urteildes OLGin Kassel vom9.1 1.1937. HessischesStaatsarchiv Marburg: 251 Wehlheiden Nr. 1149,BI. 13ff. (Lebenslaufvom 1.12.1937). Archiv des LWVHessen: Landarmen- und Korrektionsanstalt Breitenau 1874-1949 (1976). Bestand2. Nr. 7633.Aufuahmebuch Breitenaufür Schutzhäftlinge, Altersheiminsassen, Korrigenden, Häuslingeu.a. 1895-1945. Stadtarchiv Kassel: Meldekarte AugusteFunkenstein, Hans Sylvester Funkenstein, ElfriedeTautz. StandesamtSchreiberhau [heute: UrzadStanuCywilnego): Sterbeurkunde Elfriede Finkenstein vom 25.10.1939. Lee van Dovski [Herbert Lewandowski): Kurt Finkenstein. In: Eros der Gegenwart. Quasi ein 111. Band von "Genieund Eros". Neuer Pfeil-Verlag. Genf 1952, S. 94 - 108. 381 Abb.21 Mappe mit den Briefen Kun Finkensteins. die Kate Funkenslcin lebenslang bewahrt hat ]82 Zur Edition Die Briefe Kurt Finkensteins stammen aus dem Nachlaß seiner späteren Ehefrau Käte Funkenstein, geb. Westhoff. Einige der von der Zensur einbehaltenen Briefe wurden ihr von Seiten der Gefängnisleitung nach dem Krieg übergeben. Seit 1981 standen Studierende der Universität Gesamthochschule Kassel und ich als damaliger Leiter der Gedenkstätte Breitenau mit Frau Funken- stein in Verbindung. Bei unseren Forschungen zur Geschichte des Kon- zentrationslagers Breitenau waren wir auf Kurt Finkenstein gestoßen; mehrere Mitinhaftierte von ihm, mit denen wir sprachen, hatten seinen Namen erwähnt. Frau Funkenstein hatte die Briefe ihres Mannes bis zu ihrem Lebensende in einer besonderen Schatulle bewahrt. Diese hatte neben den beiden gerahmten Fotos von Kurt Finkenstein in ihrer kleinen Kasseler Wohnung in der Holländischen Straße stets einen besonderen Ehrenplatz. Sie ließ uns Einblick in die Briefe nehmen. Monika Nentwig und Ellen Gruska, zwei Studentinnen unserer Hochschule, verfaßten 1984 eine Staatsexamensarbeit unter dem Titel "Kurt Finkenstein (1893-1944) - ein Leben für die Befreiung der Menschheit". Dabei handelt es sich um eine eingehende Studie zu seinem Leben, an deren Ergebnisse ich bei meinen Forschungen anknüpfen konnte. Im Jahre 1992 gestaltete der Künstler Stephan von Borstel im Rahmen seiner neuen Ausstellung in der Gedenkstätte Breitenau in Guxhagen/Schwalm-Eder-Kreis zehn Briefe Kurt Finkensteins und legte sie in einem aus Stahl gefertigten Buchdeckel auf einem Lesepult dort aus. Besucher der Gedenkstätte Breitenau kön- nen so einen ersten Eindruck von diesen Briefen gewinnen. Der Nachlaßverwalter Frau Funkensteins hat die Briefe nach dem Tod von Frau Käte Funkenstein mir zu treuen Händen übergeben. Heute be- finden sie sich im Archiv der Gedenkstätte Breitenau. Beim Abdruck der Briefe wurden die Abkürzungen bis auf die üblichen (etwa etc., z.B., ca.) aufgelöst. Orthographie und Interpunktion wurden dem seit 1901 geltenden amtlichen Regelwerk angepaßt, grammatikalische Ver- sehen und geringfligige Verschreibungen wurden dabei stillschweigend korrigiert. Alle im Einleitungstext und den Briefen erwähnten Namen wer- den im Anhang (unter: Biogramme) erläutert. 383 Abb. 22 Das Unrersucbungsgefängnis in der Leipziger Straße. im Vord er- grund d ie Unterneustädter Kirche. im Hintergrund die Grundschule 384 Beschreibung der Briefe Die Briefe Kurt Finkensteins sind von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (Bleistift) mit Federhalter und Tinte in klarer und gut geformter deutscher Schrift geschrieben. Schwierigkeiten der Transkription der Briefe ergaben sich dort, wo das Papier beschädigt, ein sprachlich älterer Ausdruck vorlag und bei einigen der zahlreichen Abkürzungen, die er verwandte, da ihm wenig Raum und Zeit zur Verfügung standen. Der Briefbogen im Format 21,2 x 30,2 cm wurde gefaltet und quer beschrie- ben. Er enthielt den Aufdruck: "Absender:", "Empfänger:". "Kassel-Wehlhei- den, Aufdem Graß 12, den ..." und die Vorschriften: "In Briefe an Gefangene darf nichts eingelegt werden, da sonst Rücksendung auf Kosten des Absen- ders erfolgt. Ebenso darf bei Besuchen nichts mitgebracht werden" sowie (im Querformat am Rand:) "Es ist verboten, zwischen den Linien und über den Rand zu schreiben." Ab Ende 1939 enthielt der Briefbogen die Rubriken "Gef.=Buch Nr...."/ "Vor- und Zuname ..." und folgende veränderte Vor- schriften: "1. Besuche Angehöriger alle 3 Monate zugelassen; schriftliche Genehmigung zu erholen mit Freiumschlag! Kinder von 4-15 Jahren nicht zu- gelassen. - 2. Die Gefangenen dürfen alle 2 Monate 1 Brief schreiben und empfangen. Ausnahmen zulässig. Keine gefütterten Umschläge. Nichts einle- gen! Briefe, die zu klein oder undeutlich, oder mit Blei geschrieben, oder zu lang sind, werden nicht ausgehändigt. Pakete werden nur nach vorhergehen- der Genehmigung angenommen, doch Lebens- und Genußmittel, Tabak ver- boten. - NB. Die Angehörigen werden dringend vor Besuchen entlassener Gefangener gewarnt! Meist Betrüger! - Der Vorstand." Der Bogen enthielt 86 Zeilen, jeweils 13 cm breit, d.h. bei einer mittleren Schriftgröße konnten etwa 5000 Zeichen notiert werden. Wenn im folgenden nichts anderes vermerkt ist (wie bei den ersten sieben Briefen aus dem Ge- richtsgefiingnis), sind die Briefe auf diesem Bogen geschrieben. Die Bemer- kungen und Paraphen, die sich zumeist am oberen Rand der ersten Seite eines Briefes finden, stammen von Käte Westhoff (nur während ihrer Haftzeit ver- merkte sie die Daten), der Anstaltskontrolle (in der Regel vom Vorsteher Harder) und Aufsehern der Strafanstalten und Konzentrationslager; letztere waren nicht entschlüsselbar. In den ersten fünf Jahren seiner Haft (Briefe 1 - 45) war Käte Westhoff die Empfängerin der Briefe. Einzig der vierte - organisatorische Fragen der Wohnung betreffende - Brief ging an die Vermieterin von Käte Westhoff, da sie zu diesem Zeitpunkt selbst in Untersuchungshaft gehalten wurde. Der 385 Briefverkehr mit Käte Westhoff, der bereits zuvor behindert wurde, war ab Sommer 1940 aufAnordnung der Gestapo faktisch verboten worden. 1 Kurt Finkenstein (K.F.) an Käte Westhoff(KW.) 3. Adventssonntag [15 . Dezember] 1935 Der Brief besteht aus zwei Blättern (29,8 x 20,9; 14,9 x 20,9) bzw. sechs Seiten auf vergilbtem Papier; Prägedruck "Staat Preußen" kaum lesbar; in Iat. Schrift o.r, (= oben rechts): "Kassel, am 3. Adventssonntag"; 0.1. (= oben links) mit Bleistift (vermutl. von KW.:) "1." (erster Brief). Der Falz wurde später (vermutl. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restau- rierung entfernt wurde. 2 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff Weihnachten 1935 Der Brief besteht aus einem in der Mitte gefalteten Bogen (29,8 x 20,9) bzw. vier Seiten auf vergilbtem Papier; Prägedruck "Staat Preußen" sehr gut lesbar. 0.1. mit Bleistift (vermutl. von KW.) "1I." Die zweieinhalb unleserlichen Zeilen sind mit Tinte kräftig durchgestrichen worden. Der Falz wurde (vermutL von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 3 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 10. Januar 1936 Der Brief besteht aus einem in der Mitte gefalteten Bogen (29,8 x 20,9) bzw. vier Seiten auf vergilbtem Papier; Prägedruck "Staat Preußen" gut lesbar; o.r. : "3.". Der Falz wurde (vermutL von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zu- ge der Restaurierung entfernt wurde. 4 Kurt Finkenstein an Frau Schulke 17. Januar 1936 Der Brief besteht aus einem in der Mitte gefalteten Bogen (29,8 x 20,9) bzw. vier Seiten auf vergilbtem Papier. 5 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 15. Februar 1936 Der Brief besteht aus einem in der Mitte gefalteten Bogen (29,8 x 20,9) bzw. zwei Seiten auf vergilbtem Papier; im DIN A 4-Format beschrieben und nur 1 1/6 Seiten in Anspruch nehmend; 0.1.: "4" (ergab sich daraus, daß der vierte Brief nicht an K.W., sondern an Frau Schulke ging). Der Falz wurde später (vermutl. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 6 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 15. Dezember 1936 Der Briefbesteht aus einem linierten Formblatt (21 x 19,8), von dem der obe- re Teil (ca. 9,5 cm) - vor der Niederschrift des Briefes - abgetrennt wurde; am linken Rand steht im Querformat gedruckt "Eingaben, in denen über den 386 Rand und zwischen die Linien geschrieben wird, werden zurückbehalte[nJ"; 0.1. mit Bleistift: "5." Auf der Rücks. am Rand (Querformat) von KW.: "13. II. an Kurt und Schulkes geschrieben". Der Falz wurde später (vermutl. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 7 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 8. März 1937 Liniertes Formblatt A 4 (das gleiche wie in Brief 6, aber im ganzen erhalten); o.r.: "6."; 0.1.: (von K.F.) "AnFr!' Käte Westhoff, z.Zt. Leipziger Straße 11". 8 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 13. Juni 1937 Ab diesem Brief ist der eingangs beschriebene Gefängnis-Briefbogen die Re- gel. Als "Empfänger" ist "Verlobte" angegeben. K.W. notierte 0.1. "beant- wortet am 27.6.37" und o.r. "erhalten am 25.6. in Moringen" sowie "7"[ter Briet]. Der Falz wurde später (vermutl. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 9 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 4. Juli 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r. von KW.: "erhalten am 9.7.37, beantwortet am 11.7.37,2. Brief18.7.37" sowie "8"[ter Briet]. 10 KurtFinkensteinanKäteWesthoff 18. Juli 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r. :"9.; erhalten am 6.8.37, beant- wortet am 8.8.37". 11 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff . den 1. August 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "10.; erhalten am 6.8.37, be- antwortet am 8.8.37". 12 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 8. August 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "11.; erhalten am 19.8.37, beant- wortet am 24.8.37". Am Rand S. 4: "Anbei: 3 Anlagen." Die Anlagen sind nicht erhalten. Der im Brief unterstrichene Satz ("Auskunft, daß Deine Schutzhaft in längstens drei bis vier Wochen aufgehoben würde, da die Sta.-Po kein weiteres Interesse oder sonst Anlaß zur Verlängerung habe!") ist mit rotem Bleistift markiert. 13 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 15. August 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "12.; erhalten am 27.8., beant- wortet am 5.9." Am Rand auf S. 4: "2 Anlagen", Die Anlagen sind nicht er- halten. 387 14 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 22. August 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "13.; erhalten am 27.8., beant- wortet am 5.9.; Irma." 15 Kurt Finkensteinan Käte Westhoff 29. August 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "14.; erhalten am 2.9.37, be- antwortetam 5.9.37." (mit anderer Schrift, von Seiten der Zensur im KZ Mo- ringen:) "ges[ehen] 1.9." 16 Kurt Finkensteinan Käte Westhoff 12. September 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "15.; erhalten am 15.9.37, be- antwortet am 19.9.37"; (mit anderer Schrift, von Seiten der Zensur im KZ Moringen:) ges[ehen] 14.9."; Über dem 'Absender' steht (noch aus Wehlhei- den vermutl.) "3 A Il." 17 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 19."September 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "16.; erhalten am 30.9.37, be- antwortetam 4.10.37." 18 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 26. September 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r. "17.; erhalten am 30.9.37, be- antwortetam 4.10.37; 2. Briefam 11.10.37." 19 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 10. Oktober 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: "18.; erhalten am 12.10.37, be- antwortet am 18.10.37; (mit anderer Schrift, von Seiten der Zensur im KZ Moringen:) ges[ehen] 11.10."; am Rand: "Anbei eine Anlage." Die Anlage ist nicht erhalten. 20 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 17. Oktober 1937 o.r.: "19.; erhaltenam 22.10.37, beantwortet am 24.10.37." 21 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 24. Oktober 1937 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; o.r.: 20.; erhalten am 28.10.37, beant- wortet am 1.11.37. (mit anderer Schrift, von Seiten der Zensur im KZ Morin- gen:) "ges[ehen] 25.10." 22 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 19. Dezember 1937 Postkarte, beidseitigbeschrieben; o.r.: "D m.13.; erhalten 1.1.38." 388 23 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 16. Januar 1938 Als "Empfänger" ist "Westhoff" angegeben; Kein Vermerk von Käte W. über Erhalt des Briefes oder Beantwortung; o.r.: mit Blaustift "16" und mit Grün- stift ein X; Paraphe und "17"[.10.] - Außerdem befmdet sich eine maschi- nenschr. Transkription des Briefes ("Abschrift") anbei. Es handelt sich um einen zensierten Brief, den K.W. erst nach Kriegsende aus den Akten der Strafanstalt erhalten hat. Der Falz wurde später (vermutl. von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 24 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 16. Januar 1938 Als "Empfänger" ist "Käte Westhoff" angegeben; o.r.: "erhalten am 22.1.l938, beantwortet am 28.1., 13.2., 1.3. und 13.3.1938"; Paraphe und "20"[1.]; 0.1.: "84/36"; und "1.)" (K.W. begann wieder neu zu zählen!). 25 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 12. März 1938 Als "Empfänger" ist "Westhoff" angegeben; o.r.: "erhalten 16.3.38 in Morin- gen, beantwortet 22.3. aus Lichtenburg, 13.4. aus Lichtenburg, 27.4. aus Lichtenburg, 13.5. aus Lichtenburg"; Paraphe und "14"[.4.] ; 0.1.: "2.)". 26 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 8. Mai 1938 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben; Paraphe und "9."[5.] Zunächst einbe- haltener, später freigegebener Brief (s. Brief27). 27 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 20. Mai 1938 Postkarte mit kleinem Farbbild von der Heuernte ("Mehr Gras, mehr Heu die Wiese bringt, wenn sie mit Kali gut gedüngt") und Stempel "Postzensurstelle F.K.L. Lichtenburg"; Paraphe und "21"[.5.] . - o.r.: "3.)"; erhalten am 24.5.38, beantwortet am 27.5.38." - Adresse: "Frl. K.W., Nr. 511, Station 6, Prettinl Kr. Torgau, Frauen-Konzentrations-Lager Lichtenburg" . Die Brief- marke ist nicht mehr vorhanden. 28 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 2. Juli 1938 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben. Paraphe und "4"[.7.]. 29 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 28. Juli 1938 Als "Empfanger" ist "Braut" angegeben; (Abweichendes) DIN A 4-Formular, von dem vor dem Niederschreiben des Briefes die unteren 5,7 cm abgetrennt worden waren. Aufdruck: "Zuchthaus Kassel-Wehlheiden"; Abt. D 1II.Paraphe. 30 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 28. August 1938 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben. Paraphe und "29"[.8.]. 389 31 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 23. Oktober 1938 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben. Paraphe und "24"[.10.]. 32 KurtFinkenstein an Käte Westhoff 4. Advent 1938 [18. Dezember] Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben. K.F. schrieb mehrfach über den Rand und unter die Zeilen, ohne daß dies moniert wurde. 33 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff Weihnachten 1938 Weihnachts-Postkarte (Verschneite Tannenbäume und Berghütte mit dem Text "Ein frohes Weihnachtsfest"). Mit blauer Tinte: "Finkenstein, Kurt" und "34/36". 34 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 12. Februar 1939 Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben. K.F. schrieb mehrfach über den Rand und unter die Zeilen. Einbehaltener Brief. (HStA Mbg 251 Wehlheiden. Personalakte K. Finkenstein, BI. 9:) "gemäß § 122 V.O. wegen seines staats- feindlichen und beleidigenden Inhalts beanstandet. Erhält keinen Ersatzbrief." Mehrere Passagen wurden von der Zensur mit rotem, grünem und blauem Farbstift, auch mit Fragezeichen versehen, markiert; eine maschinenschriftli- che Abschrift, vermutlich zeitgleich von der Anstaltsleitung oder der Gestapo gefertigt, liegt bei. Der Falz wurde später (vermutl. von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 35 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff Ostern 1939 [9. April] Als "Empfänger" ist "Braut" angegeben. "1 Anlage betr. Geschäftsfragen" . Die Anlage ist nicht erhalten. Paraphe. 36 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff Sonntag nach Pfmgsten 1939 [4. Juni] 0.1.: "D IIl." Paraphe. Als Empfänger ist "Verlobte" angegeben. 37 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 5. Juli 1939 1 liniertes DlN A 5 - Formblatt A 38; beidseitig mit Tinte beschrieben. Unter dem Namen: "417/39." Stempel o.r.: "Zuchthausgefangene dürfen alle 8 Wo- chen Briefe schreiben und empfangen. Das Einlegen von Gegenständen in Briefen ist untersagt. Besuche sind bei der Lagerleitung [gemeint: Aschendor- fer Moor] schriftlich zu beantragen." Paraphe mit Bleistift: "6/7-39.R." 390 5. Mai 1940 38 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 6. August 1939 1 liniertes DIN A 4 - Formblatt A 38 mittig gefaltet (Stempel wie in Brief 37). Zusatz: Baracke 10, Nr. 417/39. Paraphe 0.1.: "8/8-39. R" 39 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 27. August 1939 1 liniertes DIN A 4 - Formblatt A 38 mittig gefaltet (Stempel wie in Brief 37). Paraphe mit Rotstift o.r.: "28/8 39". 40 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 22. Oktober 1939 1 liniertes DIN A 4 - Formblatt A 38 mittig gefaltet (Stempel wie in Brief 37). Paraphe 0.1.: "Ges.[ehen] G. 23.10.39". 41 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 19. November 1939 Das eingangs erwähnte veränderte Briefformular wird ab diesem Zeitpunkt - K.F. ist in die Strafanstalt Wehlheiden zurückgebracht worden - die Rege\. Auf den Text mit roter Stempelfarbe Aufdruck: "Briefe an Gefangene nur 1 mal im Monat. Besuchskarte schriftlich erholen!" In der Vorschrift Nr. 2 ist der Satz "Ausnahmen zulässig" (vermutlich von KF.) unterstrichen. - Dieser Brief liegt nur zur Hälfte vor, die für KW. bestimmt war; die andere Hälfte, für die Söhne bestimmt, ist nicht erhalten. 42 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 14. Januar 1940 "Gef=Buch Nr. 286/39"; Paraphe mit Rotstift: "15/1"; Stempel wie in Brief 41. "1 Anlage!"; sie ist nicht erhalten. 43 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 10. März 1940 "Gef=Buch Nr. 286/39"; Paraphe mit Rotstift: "10/3 S."[?]. KF. schrieb mehrfach über den Rand und unter die Zeilen, ohne daß dies moniert worden ist. 44 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff "Gef=Buch Nr, 317/39"; Paraphe mit lila Stift "H"[?]. 45 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 21. Juli 1940 "Gef=Buch Nr. 417/39"; Paraphe mit Bleistift K.F. schrieb mehrfach über den Rand, unter und über die Zeilen. ohne daß dies moniert worden ist. Der Falz wurde (vermut\. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Re- staurierung entfernt wurde. 391 46 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff(mit Nachricht an die Söhne) 15. September 1940 "Gef=Buch Nr. 417/39"; o.r. mit Tinte: "1. Beanstandet, außerdem ist auf Anordnung der Stapo jeder nicht geschäftliche Brief sowie Besuch mit Käthe Westhof [richtig: Käte WesthoffJ verboten. 2. Z. d. Akten. Sauerbruch[?]." - Der Falz wurde (vermutl. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. - Mit Rotstift "29" und auf Rücks. "30" (Pagi- nierung innerhalb der Personalakte K.F., wo dieser Brief abgelegt wurde). 47 Kurt Finkenstein an Martin Finkenstein 10. November 1940 "Gef=Buch Nr. 417/39"; Paraphe mit lila Stift und "11/11 "; KF. schrieb über den Rand und unter die Zeilen, ohne daß dies moniert worden ist. 48 Kurt Finkenstein an Pfarrer Dörmer 15. Dezember 1940 7 linierte DIN A 6 - Zettel, mit Bleistift beschrieben; das Gedicht (6 Zettel) ist mit Bindfaden zusammengebunden. Mit Rotstift am Rand markiert sind folgenden Verse: "Andere verehren das, was ich verdamme" - "Meine Mutter kam aus leidgeprüftem Stamme" - "Wird im Handumdrehn zertrümmert durch das Schwert;! und weil alle nur an Raub und Beute dachten! wandelt sich die Welt zum Pest- und Seuchenherdl/ Da lernt ich den Krieg verab- scheu'n und verachten,! der die Menschheit häßlich brandmarkt und entehrt!" - "Und erwürgten darob [die Bürger] kurzerhand mein Glück!" - "Ein inqui- sitorisches Verhör begann -." 49 Kurt Finkenstein an Käte Westhoffund an Martin Finkenstein 5. Januar 1941 3 Blätter: der Gefängnisbogen (an KW.), eine maschinenschr. Abschrift und der kurze Brief Martins, auf deren unbeschriebenen Seiten KF. ihm antwor- tete. Auf dem Gefängnisbogen: "Gef=Buch Nr. 417/39" und mit roter Tinte o.r.: "Hat ohne Erlaubnis an Geliebte geschrieben. Z.d.A. Harder. 13.1.41." Dies belegt das faktische Schreibverbot an Käte Westhoff! - Maschinenschr. Abschrift auf Vorders. Durchschlag, auf Rücks, Original. - Mit Rotstift "35", auf Rücks. "36" und auf dem Brief von/an Martin "37" (Paginierung inner- halb der Personalakte KF.) sowie "317 Finkenstein [nicht lesbare Worte]". Der Falz wurde später (vermutl. von KW.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 50 Kurt Finkenstein an Martin Finkenstein 27. April 1941 "Gef.=Buch Nr. 417/39"; Auf den Text mit den Bestimmungen mit roter Stempelfrage Aufdruck: "Briefe an Gefangene nur I mal im Monat. Besuchs- 392 karte schriftlich erholen!" Die Falz war später (vermutl. von K.W.) mit Tesa- film überklebt, der im Zuge der Restaurierung entferntwurde. 51 Kurt Finkenstein an Martin Finkenstein 22. Juni 194I "Gef=Buch Nr. 417/39"; mit Rotstift Paraphe und "/26 [Juni]"; in der Be- stimmung unter 2. ist mit Rotstift eingefügt bzw. unterstrichen "2x empfan- gen", d.h. er durfte alle 2 Monate zwei statt einen Brief erhalten.Diese Ände- rung findet sich auch in folgenden Briefen. - Im Brief mit Rotstift unterstri- chen: "eine traurige Wahrheit, die ich selbst auch leider zu spät begriffenha- be!" Der Falz wurde später (vermutl. von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierungentfernt wurde. 52 Kurt Finkenstein an Gefreiten (Martin)Finkenstein 17. August 1941 "Gef=Buch Nr. 417/39"; Kassel, Maulbeerplantage 13, III; o.r. mit roter Tinte: "1. ungeeignet - z.d.A.; II. Ersatzbrief gen.[ehmigt] 21.8.41." Mit schwarzer Tinte: "Eröffnet. Ersatzbrief ausgehändigt. 21.8.41". Mehrere Pa- raphen.- Mit Rotstift auf Vorders. "41 ", und auf Rücks. "42" (Paginierung innerhalb der PersonalakteK.F.). Der Falz wurde später (vermut1. von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entferntwurde. 53 Kurt Finkenstein an Martin Finkenstein 24. August 194I "Gef=Buch Nr. 286/39"; o.m.: "B II"; "25/8" u. Paraphe. Der einzige Brief, in dem K.F. jede zweiteZeile unbeschrieben ließ. 54 Kurt Finkensteinan Martin Finkenstein 12. Oktober 1941 Paraphe und "13" [.Oktober]. 55 Kurt Finkensteinan Martin Finkenstein 7. Dezember 1941 "Gef=BuchNr. 417/39"; Paraphe und "9" [. Dezember]. 56 Kurt Finkenstein an Martin Finkenstein 1. Februar 1942 "Gef=Buch Nr. 417/39"; Paraphe und "2" [. Februar]. Folgende Passage ist mit Bleistiftstrichen am Rand markiert: "und es ist nicht ganz recht von Dir, daß Du in so kühler Weise dafür dankst! Ich möchte Dir bei dieser Gelegen- heit sagen - was Du schon wissen kannst! - daß im.Falle Gott uns allen gut über diese Jahre hilft, diese Frau die einzige ist, mit deren Hilfe u. Beistand ich noch einmal versuchen würde, mir selbst und damit auch Euch einen neu- en häuslichen Herd zu gründen, daß sie die einzige ist, mit der es mir lohnend erscheint, den Rest meines Lebens zu verbringen (und daß ich fest entschlos- sen bin, jeden Widerstand dagegen und jede Schwierigkeit zu überwinden, von welcher Seite immersie kommenmögen.)" 393 57 Kurt Finkenstein an Martin Finkenstein 29. März 1942 "Gef=Buch Nr. 417/39"; o.r.: "30" [März] und 2 Paraphen. K.F. schrieb mehr- fach über den Rand und unter die Zeilen, ohne daß dies moniert worden ist. 58 Kurt Finkenstein an Peter Finkenstein 15. Juli 1942 Es handelt sich um einen einbehaltenen Brief. "I Nicht zugelassen! Z. d. A.; 11. Ersatz zum letzten Mal genehmigt. Das Original befmdet sich im Hessi- sehen Staatsarchiv Marburg (Gefangenenpersonalakte K.F.). Mit Rotstift auf Vorders. "46", und auf Rücks, "47" (Paginierung innerhalb der Personalakte K.F.)."Ausgehändigt [7] 20.7.42", Paraphe. Der Falz wurde später (vermutl. von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 59 Kurt Finkenstein an Peter Finkenstein 26. Juli 1942 Paraphe. K.F. schrieb über den Rand und unter die Zeilen, ohne daß dies mo- niert worden ist. 60 Kurt Finkenstein an Peter Finkenstein 13. September 1942 Abweichendes Briefformular (A 98.8. 42. 5000 K 0548), in dem nur der Na- me des Absenders anzugeben war; Stempel in lila: "Zu Besuchen und zur Zu- sendung von Paketen ist vorherige Genehmigung mit Freiumschlag zu erho- len" und in rot: "Briefe an Gefangene nur 1 mal im Monat! Besuchskarte schriftlich erholen!" Der Falz wurde später (vermutl, von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 61 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 31.12.1942 "Gef=Buch Nr. 417/39"; o.r. mit roter Tinte: "Ungeeignet, beanstandet, z.d.A. 6.1.43. H[arder]" und mit Blaustift: "(ohne Ersatzbrief)". Mit schwar- zer Tinte: "Eröffnet 7(?). 1.43." Paraphe. - Mit Rotstift auf Vorders. "50", und auf Rücks. "51" (Paginierung innerhalb der Personalakte K.F.). - Mit roter Tinte im Brief unterstrichen: "Ballade von Zellenklaps u. Haftneurose". Der Falz wurde (vermutl. von K.W.) mit Tesafilm überklebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 62 Kurt Finkenstein an Peter Finkenstein 28. Februar 1943 "Gef=Buch Nr. 417/39"; Paraphe und "4.3." - Stempel in lila Farbe: "Brie~e an Gefangene nur 1 mal im Monat! Besuchskarte schriftlich erholen!" - Mit Rotstift auf Vorders. "51", und auf Rücks. "52" (Paginierung innerhalb der Personalakte K.F.). Dies bedeutet, daß auch dieser Brief gleich zu den Akt~n genommen wurde, obgleich sich kein entsprechender Hinweis auf dem Brief 394 selbst befindet. - Der Falz wurde (vermutI. von KW.) mit Tesafilm über- klebt, der im Zuge der Restaurierung entfernt wurde. 63 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff Ostersonntag [27. April 1943] "Gef=Buch Nr. 417/39"; o.r.: "27.4.43" und Paraphe. Mit Rotstift "H" [oder "A"]. Zwei Teile (einmal 5 Zeilen, einmal 2 Zeilen) sind jeweils am unteren Rand des Briefes abgeschnitten; die Schnipsel wurden in der Gefangenen- Personalakte KF. im HStA Mbg gefunden. 64 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 20. Juni 1943 "Gef=Buch Nr. 417/39"; o.r.: "21" [Juni] und Paraphe; Stempel in lila Farbe: "Briefe anGefangene nur 1 mal im Monat! Besuchskarte schriftlich erholen!" Der Briefwurde restauriert. 65 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 14. August 1943 "Gef=Buch Nr. 417/39"; ein Absatz ist (jeweils Vorder- und Rückseite be- schrieben) herausgeschnitten. - Rot durchgestrichen sind die Zeilen: "kurzer, allzu kurzer Traum gewesen. Ich hoffe nun, daß Du alles richtig erhältst; an dem Inhalt der Beilagen ist wohl nichts auszusetzen und im übrigen meine ich, die Umstände erlaubten es, für einmal 5 gerade sein zu lassen." Der Brief wurde restauriert. 66 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 9. Oktober 1943 "Gef=Buch Nr. 417/39"; Paraphe. KF. schrieb über den Rand und unter die Zeilen, ohne daß dies moniert worden ist. Der Brief wurde restauriert. 67 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff Breitenau 28.November 1943 I linierter DlN A 4 - Bogen, beidseitig mit Tintenstift geschrieben. 0.1.: "2/12/43 Hackmann". Der Brief wurde restauriert. 68 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 19. 12. 1943 1 unliniertes DlN A 5 - Blatt, beidseitig mit lila Kopierstift beschrieben; 0.1.: "22.12.43/ Di." Der Brief wurde restauriert. 69 Kurt Finkenstein an Käte Westhoff 23. Dezember 1943 19 linierte DIN A 5 - Blätter, beidseitig mit Tintenstift beschrieben. 395 Die Korrespondenz im Überblick Die Briefe Finkensteins enthalten viele Hinweise auf bei ihm angekommene Briefe, vor allem von Käte Westhoff. Die folgende Rekonstruktion ergibt eine ausgeglichene Korrespondenz. Leider hat sich kein einziger Brief von Käte Westhoff an ihn erhalten. Bei den Gesprächen mit ihr spielte sie den Rang ihrer Briefe an ihn herunter. Dagegen spricht allerdings, daß er wiederholt und nachdrücklich die existenzielle Bedeutung ihrer Briefe für ihn hervorhob. Im folgenden sind die erhaltenen Briefe Kurt Finkensteins mit einer Ziffer versehen (l - 69); die [vorwiegend von Käte Westhoff geschriebenen] nicht erhaltenen Briefe, soweit deren Existenz aus Hinweisen erschlossen werden konnte, werden ohne Ziffer aufgeführt, Die Ziffern in Klammern in der rech- ten Spalte weisen jeweils auf den Brief bzw. die Briefe hin, in denen sich ein Hinweis auf die Existenz des (nicht mehr erhaltenen Briefes) findet; das * hinter der Ziffer bedeutet, daß der Hinweis mit Datum auf dem (eingegangenen) Brief (meist oben rechts von K.W.) vermerkt wurde (z.B. 'beantwortet am ......'). Aus dem Untersuchungsgefängnis in Kassel, Leipziger Straße 11 Elfriede Tautzan K.F. ZweiBriefe Frau Schulkean K.F. Kurt Finkenstein an K.W. Käthe Westhoffan K.F. 2 KurtFinkenstein an K.W. KätheWesthoffanK.F. 3 KurtFinkenstein an K.W. 4 Kurt Finkenstein an Frau Schulke 5 KurtFinkenstein an K.W. 1935(1) AnfangDezember 1935 (I) 3. Adventssonntag 1935 Dezember 1935 (2) Weihnachten 1935 Januar 1936(3) 10.Januar 1936 17. Januar 1936 15.Februar 1936 Aus dem Zuchthaus Kassel-Wehlheiden, Auf dem Graß 12 KätheWesthoffan K.F. Käthe WesthoffanKF. KätheWesthoffanKF. 6 KurtFinkenstein an K.W. KätheWesthoffan K.F. Elfriede Tautzan KF. 7 Kurt Finkenstein an K.W. 396 30. Juli 1936(6) 18. August 1936(6) 18.Oktober1936(6) 15. Dezember 1936 13.Februar 1937(7) (1) 8. März 1937 Postkarte einbehalten Ersatzbrief Kurt Finkenstein an E1friedeTautz 8 Kurt Finkenstein an K.W. Käthe Westhoff an KF. 9 Kurt Finkenstein an KW. Käthe Westhoff an KF. 10 Kurt Finkenstein an K W. Käthe Westhoff an KF. 11 Kurt Finkenstein an K W. Käthe Westhoff an KF. 12 Kurt Finkenstein an KW. Käthe Westhoff an KF. 13 Kurt Finkenstein an K W. 14 Kurt Finkenstein an K W. 15 Kurt Finkenstein an K W. Käthe Westhoff an KF. 16 Kurt Finkenstein an KW. [KF. an Elfriede Tautz Käthe Westhoff an KF. 17 Kurt Finkenstein an K.W. 18 Kurt Finkenstein an KW. Käthe Westhoff an KF. 19 Kurt Finkenstein an K W. Käthe Westhoff an KF. 20 Kurt Finkenstein an KW. Käthe Westhoff an K.F. 21 Kurt Finkenstein an KW. Käthe Westhoff an KF. Käthe Westhoff an KF. [Kurt Finkenstein an K.W. Käte Westhoffan K.F. 22 Kurt Finkenstein an K.W. Käthe Westhoff an KF. 23 Kurt Finkenstein an KW. 24 Kurt Finkenstein an KW. Käte Westhoff an K.F. Käte Westhoff an K.F. Käte Westhoff an K.F. 25 Kurt Finkenstein an K.W. Käte Westhoff an K.F. 397 Juni 1937 (16) 13. Juni 1937 27. Juni 1937 (8*) 4. Juli 1937 11. Juli 1937 (12) 18. Juli 1937 18. Juli 1937 (12) 1. August 1937 8. August 1937 (14) 8. August 1937 24. August 1937 (12*) 15.August 1937 22. August 1937 29. August 1937 5. September 1937 (17) 12. September 1937 3. Oktober 1937J (19) 19. September 1937 (19) 19. September 1937 26. September 1937 4. Oktober 1937 (21) 10. Oktober 1937 11. Oktober 1937 (21) 17. Oktober 1937 18. Oktober 1937 (19*) 24. Oktober 1937 24. Oktober 1937 (20*) 1. November 1937 (21*) 21.November 1937] (23,24) 16. Dezember 1937 (23) 19. Dezember 1937 30.Dezember J937 (23) 16. Januar 1938 16. Januar 1938 28. Januar 1938 (24*, 25) 13. Februar 1938 (24*, 25) I. März 1938 (24*, 25) 12. März 1938 13. März 1938 (24*) Käte Westhoff an K.F. Käte Westhoff an K.F. Käte Westhoff an K.F. 26 Kurt Finkenstein an K.W. 27 KurtFinkenstein an K.W. 28 KurtFinkenstein an K.W. 29 KurtFinkenstein an K.W. 30 KurtFinkenstein an K.W. 31 KurtFinkenstein an K.W. 32 KurtFinkenstein an K.W. 33 Kurt Finkenstein an K.W. 34 KurtFinkenstein an K.W. 35 KurtFinkenstein an K.W. 36 KurtFinkenstein an K.W. zunächsteinbehalten Postkarte Postkarte einbehalten 22. März 1938(25*) 13.April 1938 (25*) 27. April 1938(25*) 8. Mai 1938 20. Mai 1938 2. Juli 1938 28. Juli 1938 28. August1938 23. Oktober1938 4. Advent1938 Weihnachten 1938 12.Februar 1939 Ostern1939 Sonntag nach Pfingsten 1939 Ausdem Strafgefangenen-Lager Aschendorfer Moor 37 KurtFinkenstein an K.W. KäteWesthoff an K.F. 38 KurtFinkenstein an K.W. 39 KurtFinkenstein an K.W. KäteWesthoff an K.F. 40 KurtFinkenstein an K.W. 5. Juli 1939 Anfang August 1939(38) 6. August1939 27. August 1939 Oktober 1939(40) 22. Oktober 1939 AusdemZuchthaus Kassel-Wehlheiden, Auf demGraß 12 41 KurtFinkenstein an K.W. KäteWesthoff an K.F. 42 KurtFinkenstein an K.W. Käte Westhoff an K.F. KäteWesthoff anK.F. 43 KurtFinkenstein an K.W. KäteWesthoff an K.F. KäteWesthoff an K.F. 44 KurtFinkenstein an K.W. 45 KurtFinkenstein an K.W. undan die Söhne KäteWesthoff anK.F. 46 KurtFinkenstein an die Söhne einbehalten 398 19.November 1939 28. Dezember 1939(42) 14. Januar 1940 29. Januar 1940(43) 6. März 1940(43) 10. März 1940 März 1940[?] (44) April 1940[?] (44) 5. Mai 1940 21. Juli 1940 11. August1940(47) 15.September 1940 47 Kurt Finkenstein an Martin 48 Kurt Finkenstein an Gefängnispfarrer Dörmer Martin Finkenstein an K.F. 49 Kurt Finkenstein an Martin und anK.W. [Turnusbrief] 50 Kurt Finkenstein an Martin Martin Finkenstein an K.F. 51 Kurt Finkenstein an Martin 52 Kurt Finkenstein an Martin 53 Kurt Finkenstein an Martin 54 Kurt Finkenstein an Martin 55 Kurt Finkenstein an Martin Martin Finkenstein an K.W. 56 Kurt Finkenstein an Martin 57 Kurt Finkenstein an Martin 58 Kurt Finkenstein an Peter 59 Kurt Finkenstein an Peter Peter Finkenstein an K.F. 60 Kurt Finkenstein an Peter 61 Kurt Finkenstein an K.W. 62 Kurt Finkenstein an Peter Käte Westhoff an K.F. 63 Kurt Finkenstein an K.W. Käte Westhoff an K.F. Käte Westhoff an K.F. 64 Kurt Finkenstein an K.W. 65 Kurt Finkenstein an K.W. Käte Westhoff an K.F. 66 Kurt Finkenstein an K.W. einbehalten nicht bewilligt einbehalten Ersatzbrief einbehalten Ersatzbrief Postkarte einbehalten vermut!. einbehalten zensiert zensiert 10.November 1940 15. Dezember 1940 Weihnachten1940 (49) 5. Januar 1941 (50) 2. März 1941 (50) 27. April 1941 (Mai/Juni] (S1) 22. Juni 1941 17. August 1941 24. August 1941 12. Oktober 1941 7. Dezember 1941 23. November 1941 (56) 1. Februar 1942 29. März 1942 19. Juli 1942 26. Juli 1942 [vor September 1942J (60) 13. September 1942 31. Dezember1942 28. Februar 1943 21. April 1943 (63) Ostern 1943 Mai 1943 [7] (64) Juni 1943[7] (64) 20. Juni 1943 14. August 1943 Oktober 1943 (66) 9. Oktober 1943 Aus dem Gestapostraflager Breitenau 67 Kurt Finkenstein an K.W. 68 Kurt Finkenstein an K.W. Käte Westhoffan K.F. 69 Kurt Finkenstein an K.W. 399 28. November 1943 19.Dezember 1943 [vor Weihnachten] (69) 23. Dezember 1943 Abb. 23 Konzentrationslager und Gestapo-Straflager Breiterrau 400 Titel und Anfänge der Gedichte und Verse Nach drei Jahren Haft begann Finkenstein, Gedichte in seine Briefe einzufü- gen - zunächst noch verstreut. Dann aber nahmen die Verse mehr und mehr Raum ein, so daß sich der Briefcharakter veränderte: Einige der späteren Briefe bestehen ausschließlich aus Gedichten. Acht Balladen (Die Ballade eines verirrten Elsässers, Von verlorenen Illusio- nen, Von dem Teufelskarussell, Von den lästigen Bagatellen, Von den Wi- dersprüchen meines Lebens, Von meinem Leierkasten, Von lästigem Zellen- geschwätz, Von Zellenklaps und Haftneurose), mehrere Sonette und zahlrei- che andere Reime, Parabeln, Epigramme und Gedichte kennzeichnen zuneh- mend sein Briefwerk - insgesamt 53 Gedichte, in denen er von seinen Ge- danken und Empfindungen in der Haft berichtet, zurückblickt, seinen Le- bensweg kritisch überprüft, verzweifelt das Gespräch mit seinen Söhnen sucht und immer wiederkehrend sich selbst Schuld und Leichtsinn zuschreibt. Es hängt mit der Zensur und Konfiszierung einiger Briefe zusammen, daß von manchen Gedichten mehrere Fassungen erhalten sind. Finkenstein durfte sich in seiner Zelle keine Notizen anfertigen; Zettel, bei ihm gefunden, wurden sofort eingezogen. Insofern war er allein auf sein Gedächtnis angewiesen, wenn er einen "einbehaltenen" Brief innerhalb einer Frist von einer halben Stunde - und unter Umständen erst 8 Wochen später - neu schrieb. Die Ge- dichte mit demselben Thema bzw. Titel weisen daher in unterschiedlichem Grade Abweichungen auf. Charakteristisch für diese Schwierigkeiten, die ihm bereitet wurden, ist die Geschichte seines an die Söhne gerichteten Lebensberichts, seines opus magnum, der "Ballade von den Widersprüchen meines Lebens": Eine erste Fassung schrieb er im Dezember 1940 (BriefNr. 48) an den Gefängnispfarrer Dörmer mit der Bitte um Rat, ob der Text in dieser Form die Zensur passieren könne - kurz zuvor war von ihm ein Brief einbehalten worden; die Antwort Dörmers kennen wir nicht. Dann nahm er die Ballade in seinem Brief an einen seiner Söhne im August 1941 auf(BriefNr. 52); dieser Brief wurde als "ungeeignet" beanstandet und zu den Akten genommen. Im genehmigten Ersatzbrief(BriefNr. 53) ist das Gedicht überhaupt nicht aufgenommen - aus Gründen, die sich denken lassen. Im nächsten Brief vom Oktober 1941 (Brief Nr. 54) ist eine stark (besonders um die Verse 4 - 13) gekürzte Auswahl - "das Mitgeteilte also nur Fragment" (K. Finkenstein) - niedergeschrieben, die die Zensur passierte. Im Brief vom Juli 1942 nahm er eine etwas erweiterte Fassung des Gedichts auf, die wiederum "nicht zugelassen" wurde. Erst in seinem letzten Brief aus dem Lager Breitenau vom 23. Dezember 1943 (Brief 401 Nr. 69) konnte er das Gedicht in seinem Sinne in voller Länge niederschrei- ben - seine beiden Söhne, dene~ er diesen Lebensbericht zukommen lassen wollte, lebten nicht mehr. Erst von Breitenau aus hat er nicht nur diese Ballade, sondern auch andere, von der Zensur zuvor beschnittene Gedichte (z.B. auch die Ballade von dem Teufelskarussell) erstmals und letztmals so niedergeschrieben, wie er sie verfaßt hatte - als Zeugnis und Vermächtnis? Titel (chronologisch) (* ohne Titel; erste Zeile des Gedichtes) 1938 Vom Reichtum, den wir einst besaßen! Sooo möcht' ich es Dir einmal sagen können * Reue Hoffnung Böser Traum Guter Traum Mein Spielzeug Mein Talisman Mein sprechendes Bild Letzte armselige Gabe in Brief 26 31 31 31 31 31 32 32 32 32 1939 Welcher Sterbliche kann mir verbieten, Dich zu lieben? Solang unsre Torenhoffnung an der dumpfen Erde klebt * Die Ballade eines verirrten Elsässers Sonett von dem, was ich als letztes nicht verlieren möchte! Die Parabel vom Regenwurm 34 35 36 36 38 43 43 44 45 46, (69) 46, (47) 47 47, (46) 47 48, (52), (54), (58), (69) 1940 An eine Tote (Elegie und Bitte) Verdüsterung Die Ballade von verlorenen Illusionen Brief eines politischen Gefangenen an seinen Sohn im Kriege Die Ballade von dem Teufelskarussell Zwei Spiegel-Sonette Heute sind es noch drei Jahre! Noch drei lange, lange Jahre! [Zwei] Spiegel-Sonette Letzte Reise Selbstportrait 402 1941 Hofft, daß Ungemach und Widrigkeiten * 49 Die Ballade von den lästigen Bagatellen 49 Sei doch mit den langweiligen Serenaden * 49 Ballade von den Widersprüchen meines Lebens 52, (48),(54), (58), (69) Bruchstücke aus einem längerem Gedicht 53 Seit 12 Jahren hab' ich Euch kaum je gesehen 54, (48), (52), (58), (69) Wie unbeständig schwankten unser's Schicksals Schalen * 54 Weißt Du noch, wie ich so herzhaft lachen konnte * 54 Seitdem Du ruhst in allzu frühen Grabes kaltem Grunde * 55 Ballade von meinem Leierkasten (oder: Bitte um Nachsicht) 55 Ganz genau einhundert Wochen! Dann ist schließlich doch vorbei * 55 1942 Schneller gehn an jedem anderen Ort der Welt die Uhren* 56, (46) Resignierende Erkenntnis 57 Wandlung und Zuversicht 57 Ballade von lästigem Zellengeschwätz 57 Inschrift auf einem imaginären Osterei 57 Ballade von den Widersprüchen meines Lebens 58, (48), (52), (54), (69) Nachdem ich suchend jahrelang umhergeirrt * 59 Als schwer ein Nachtmahr auf der Brust mir lag * 60 Spiegelspuk 60, (Notiz nach SI) Mahnung 60 Ballade von Zellenklaps und Haftneurose 61, (69) Welchen Pfeil hat die Enttäuschung jetzt wohl noch in ihrem Köcher? * 61, (62), (69) 1943 Zum Todestag meines Sohnes (17.3.) 62 Sonett anläßlich der allerbittersten Enttäuschung meines Lebens 62, (61), (69) Mein Gefängnis 62, (69) Blick auf den Herkules 62, (69) Dörrt nicht vergeblich Harren dir Herz und Hirn längst aus? * 62 Zum Thema "Tod" 62, (69) Mein Gefängnis 69, (62) Blick auf den Herkules 69, (62) Geblendet geht in hellen Jahren * 69, (62) Ich spreche manchmal eine kräftige und rauhe Sprache * 69 Der Kaiser feiert Feste (Nachdichtung nach Victor Hugo) 69 403 69 69, (61) 69, (46) 69 69, (61), (62) 69, (48), (52), (54), (58) Zum Abschied (Übers. eines Gedichtes von A. eh. Swinburne) Ballade von Zellenklaps und Haftneurose Ballade vom Teufelskarussell Epistel an einen Gelegenheitsdichter Sonett, anläßlich der traurigsten Enttäuschung Die Ballade von den Widersprüchen meines Lebens Der Bau, den wir bewohnen Dörrt nicht vergeblich Harren dir Herz und Hirn längst aus? Du opferwillige, geliebte treue Seele! Du schriebst mir jüngst, daß der befragte Spiegel ungalant Ein kleines Bild hat mir viel neuen Mut geschenkt Ein raunendes Gemunkel Einem frischen, allzu frühen Grabe Einen Pfennig, den ich einmal auf der Gasse fand Faul raunzt im Halbschlaf Stropp, das treue Hundetier Für einen Tag, eine Nacht hat die Liebe beglückt uns Ganz genau einhundert Wochen! Dann ist schließlich doch vorbei Geblendet geht in hellen Jahren Habt Geduld mit meinen schlechten Gassenhauern! Heute sind es noch drei Jahre! Noch drei lange, lange Jahre! Hofft, daß Ungemach und Widrigkeiten Ich habe der Meduse starren Blick gesehn Ich spreche manchmal eine kräftige und rauhe Sprache Ich war in einen Traum geflohn: aus grauer Ich weiß, wenn ich heut wieder ein paar schwache Reime wage Kommst Du wirklich nie und nimmermehr zurück, mein Kind? Warum? Lieber Sohn! Daß ein feindliches Gericht Manch einer der Empörer und RebelIen Versanfänge (alphabetisch): in Brief Achtlos bin ich heut auf einen Regenwurm getreten 38 Alles geht vorbei! Nichts kann bestehn und bleiben 53 Als jung und stark des Lebens Ozean wir frei durchfuhren 57 Als schwer ein Nachtmahr auf der Brust mir lag 60 Auf die Grenze zwischen Völker, zwischen Rassen 48, (52), (54), (58), (69) Aufwelch Altären immer unsre Opferfeuer brennen 57 Daß ich mich von Euch getrennt, war mein Verbrechen 58, (48), (52), (54), (69) 61,(69) 62 57 46, (47) 32 57 43 32 26 69 55 62, (69) 55 47 49 31 69 31 32 62 45 69 404 Mein teurer Freund, glaub mir auf's Wort: 69 Melancholisch zählte ich die magern Garben meiner Ernte 36 Mich reut der Tag, der Dir kein neues Glück gebracht 31 Moderdunst umfängt uns immer muffig dumpf 62, (69) Nachdem ich suchend jahrelang umhergeirrt 59 Nichts wird mich je dazu bringen, Dich nicht mehr zu lieben 36 Schneller gehn an jedem andern Ort der Welt die Uhren 56, (46) Schweifender Blick über die Lagermauer 62, (69) Sei doch mit den langweiligen Serenaden 49 Seit 12 Jahren hab' ich Euch ja kaum gesehen 52, (54), (48), (58), (69) Seitdem Du ruhst in allzu frühen Grabes kaltem Grunde 55 So dunkel werden meine letzten Lebensjahre sein 43 So voll mein Herz, so leer sind meine ausgeraubten Hände 32 Solang unsre Torenhoffuung an der dumpfen Erde klebt 35 Sooo möchte' ich es Dir einmal sagen können 31 Täglich fahr ich ein paar Runden aufdem Teufelskarusselle 46, (69) Tragikomisch ist der manche kleine Plagen 49 Um zu erkunden, was er heut von meinem Bild wohl spricht 46, (47) Viele Jahre habe ich Euch schon nicht mehr gesehen 69, (48), (52), (54), (58) Weißt Du noch, wie ich so herzhaft lachen konnte 54 Welchen Pfeil hat die Enttäuschung jetzt wohl noch in ihrem Köcher? 61, (62), (69) Welcher Sterbliche kann mir verbieten, Dich zu lieben? 34 Wenn aus dem gewohnten Geleise uns nötigt dereinstens einmal 47 Wenn ich an einem Spiegel zufällig vorübergehe 60, (Notiz nach 51) Wenn im Erfolg ein Schwarm von feilen, schmeichelnden Trabanten 60 Wie darf ich hoffen, je Dir abzubitten 31 Wie unbeständig schwankten unseres Schicksals Schalen 54 Wohin man kommt, aufwas man blickt, aufwen man hört 44 405 Bibliographische Nachweise zu den Buchtiteln in den Briefen Nr. 7,49,51 und 53 Wir versuchten, die Titel bzw. Ausgaben nachzuweisen, die Kurt Finkenstein aufgelistet hat. Bei allgemeinen Angaben wie "Alles" oder "Sämtliche Ge- dichte und Werke" haben wir eine Auswahl getroffen. im 7. Brief Shaw, George Bemard: Die Heilige Johanna, 1924 (dt. 1924) Winnig, August: Vom Proletariat zum Arbeitertum, Hamburg 1930 im 49. Brief Benn, Gottfried: Gesammelte Gedichte, Berlin 1927 Borchardt, Rudolf: Ewiger Vorrat deutscher Poesie, München 1926 Brand, Guido Karl: Werden und Wandlung. Eine Geschichte der deutschen Literatur von 1880 bis heute, Berlin 1933 Bry, Carl Christian: Verkappte Religionen, Gotha 1924 Burckhardt, Jacob: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, Basel 1860 Döblin, Alfred: Wallenstein, 2 Bde., Berlin 1920 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch: Sämtliche Werke hg. v. (Arthur) Möller van den Bruck, München 1907-1921 Engel, Eduard: Deutsche Stilkunst, Wien 1911 Fontane, Theodor: Der Stechlin, Berlin 1899 France, Anatole: Die Romane der Gegenwart. Ein Zyklus von 4 Romanen, 4 Bde.: Die Ulme am Wall, Die Probierpuppe, Der Amethystring, Professor Bergeret in Paris, München 1920-1921; Das Leben der heiligen Johanna, Berlin 1926 FriedelI, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, 3 Bde., München 1927-1931 George, Stefan: Hängende Gärten. Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge, Berlin 1895; Das Jahr der Seele, Berlin 1897; Die Fi- bel. Auswahl erster Verse, Berlin 1901; Der siebente Ring, Berlin 1907; Der 406 Stern des Bundes, Berlin 1914; Der Krieg. Dichtung, Berlin 1917; Das neue Reich, Berlin 1928 Goethe, Johann Wolfgang von: Werke für Jugend und Volk. Eine Auswahl in zwei Bänden, mit einer Einfiihrung von Gerhart Hauptmann, Berlin 1931 Hamsun, Knut: Das letzte Kapitel. 2 Tle., Leipzig 1924-1925; Hunger, Pots- dam 1921; Gedämpftes Saitenspiel,München 1910; Die letzteFreude, Mün- chen 1914, Landstreicher, München 1928; Der Ring schließt sich, München 1936 Hauptmann, Gerhart: Der Narr in ChristoEmanuel Quint, Berlin 1910 Herrmann-Neiße,Max: Ein kleines Leben, Straßburg 1906;Das Buch Fran- ziskus, Berlin 1911; Porträt eines Provinztheaters, Berlin 1913; Cajetan Schaltermann, München 1920; Hilflose Augen. Prosadichtungen, Wien u. Prag u. Leipzig 1920; Der Flüchtling,Potsdam 1921; Die Begegnung. 4 Er- zählungen, Berlin 1924; Dichter für das revolutionäreProletariat, 1. Emile Zola, in : Die Aktion (I925); Abschied,Berlin 1928; Um uns die Fremde,Zü- rich 1936 Hesse, Hermann: Steppenwolf, Berlin 1927;Narziß und Goldmund, Berlin 1930; Trost der Nacht, Berlin 1929 Heym, Georg: Versuch einer neuen Religion,1909; Der ewigeTag (Gedichte), Leipzig 1911;Der Dieb. Ein Novellenbuch,Leipzig 1913;Dich- tungen. Besorgt von Kurt Trinkhaus und Ernst Stadler, München 1922 Hofmannsthal,Hugo von: Alkestis. Ein Trauerspielnach Euripides, Leipzig 1911; Die Gedichte und kleinen Dramen, Leipzig 1911 ; Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, Erneuert,Berlin 1911-1914; Der Abenteurer oder die Geschenkedes Lebens. Ein Gedicht in 2 Aufzügen, Ber- lin 1913; Wege und Begegnungen, Leipzig 1931;Das Bergwerkzu Falun, Wien 1933 Huch, Ricarda: Der große Krieg in Deutschland. 3 Bde.: Das Vorspiel 1585- 1620, Der Ausbruch des Feuers 1620 - 1632,Der Zusammenbruch 1633- 1650, Leipzig 1912-1914 Klabund (Alfred Henschke): Gesammelte Werke in Einzelausgaben, 6 Bde., Bd. 2: GesammelteGedichte, Bd. 3: Gesammelte Nachdichtungen. China, Japan, Persien, Wien 1930 Kraus, Karl: Weltgericht,2 Bde., Leipzigu. München 1919;Sittlichkeitund Kriminalität, Wien u. Leipzig 1908; Die chinesischeMauer, München 1910; Die demolierte Literatur, Wien 1897; Die Fackel, Jg. 1-37(I 899-1936); Sprüche und Widersprüche, München 1909;Ausgewählte Gedichte, Leipzig 407 u. München 1920;Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel u. Epilog, Wien u. Leipzig 1922; Literatur und Lüge, Leipzig 1929 Liegler, Leopold: Karl Kraus und sein Werk, Wien 1920 Ludwig, Emil: Goethe - Geschichteeines Menschen, 1923; Napoleon, Berlin 1925; Geschenkedes Lebens.Ein Rückblick, Berlin 1931 Mann, Thomas: Buddenbrooks,Berlin 1901; Der Zauberberg, Berlin 1924 Meyer, ConradFerdinand: Sämtliche Werke. Taschenausgabe, 8 Bde., Bd. 3: Gedichte, Leipzig 1924 Morgenstern, Christian: Galgenlieder, Berlin 1905 Nietzsche, Friedrich: Werke. Taschenausgabe XI. Band (Schluß). Aus dem Nachlaß 1883-1888: Der Fall Wagner, Nietzsche contra Wagner, Ecce homo, Leipzig 1913 Rilke, Rainer Maria: Erste Gedichte, Leipzig 1921; Späte Gedichte, Leipzig 1934; Das Stundenbuch, Leipzig 1931 Schickele, Rene: Das Erbe am Rhein, 3 Bde.: Maria Capponi, Blick auf die Vogesen, Der Wolf in der Hürde, München 1925-1931 Shakespeare, William: Werke. Englisch und deutsch hg. v. Levin Ludwig Schücking, Berlin 1927-1928 Sieburg, Friedrich: Gott in Frankreich, Frankfurt am Main 1929; Robespierre, Frankfurt am Main 1935 Stehr, Hermann: Der Heiligenhof, 2 Bde., Berlin 1918 Strindberg, August: Werke. Deutsche Gesamtausgabe unter Mitwirkung von Emil Seheringals Übersetzervom Dichter selbst veranst., IV. Abteilung Le- bensgeschichte,5 Bde.: Der Sohn einer Magd, 6. Aufl, 1912, Die Entwick- lung der Seele, 5. Aufl. 1913,Die Beichte eines Toren, 6. Aufl, 1913, Infer- no. Legenden, 5. Auf!. 1914, Entzweit. Einsam, 3. Aufl. 1913 Tolstoj, Leo Nikolajewitsch: GesammelteWerke. H. Serie (Schriftenzur Re- ligion, Pädagogik und Kunst),vom Verfasser genehmigte Ausgabevon Ra- phael Löwenfeld, 14 Bde., Bd. 10 u. 11: Religiös-Ethische Flugschriften, Jena 1911 Trakl, Georg: Die Dichtungen. Erste Gesamtausgabe besorgt durch Kar! Röck, Leipzig 1918 Vesper, Will: Die Ernte aus acht Jahrhundertendeutscher Lyrik,2 Bde., Ebenhausen 1906; Aus Tausend Jahren. Deutsche Balladen und Kriegslieder, Ebenhausen 1912; Deutsche Lyrik von heute. TI. 1: Ernte der Gegenwart, Ebenhausen 1940;Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des 408 scharfsinnigen Ritters Don Quixote in der anonymen Übertr. von 1837, hg. von Will Vesper, München 1912 Villon, Francois: Balladen. Ins Deutsche übertragen und mit einem Nachwort versehen von K. L. Ammer (=Karl Klammer), Berlin 1930 ViIlon, Francois: Balladen und lasterhafte Lieder des Herrn Franccis Villon in deutscher Nachdichtung von Paul Zech, Weimar Liechtenstein 1931 Wassermann, Jakob: Das Gänsemännchen, Berlin 1915 (Erstdruck in: Der Neue Merkur, Sonderausg. 1930-1933) Wendel, Hermann: Danton, Berlin 1930; August Bebel. Ein Lebensbild für deutsche Arbeiter, Berlin 1913; Heinrich Heine. Ein Lebens- und Zeitbild, Dresden 1916; Aus drei Kulturen, Berlin 1922; Kreuz und quer durch den slawischen Süden, Frankfurt am Main 1922; Kämpfer und Künder, Berlin 1928; Jugenderinnerungen eines Metzer, Straßburg 1934; Die Marseillaise. Biographie einer Hymne, Zürich 1936 Werfel, Franz: Der Weltfreund, Berlin 1911; Wir sind, Leipzig 1913; Der Gerichtstag, München 1919; Spiegelmensch, Leipzig 1921; Verdi. Roman der Oper, Berlin u, Wien u. Leipzig 1924; Barbara oder die Frömmigkeit, Berlin u. Wien u. Leipzig 1929; Die vierzig Tage des Musa Dagh, Berlin u. Wien u. Leipzig 1933 Wilde, Oscar: Werke. In 2 Bdn. Hrsg. u. eingel. von Arnold Zweig, Berlin 1930 Zweig, Arnold: Caliban oder Politik und Leidenschaft, Potsdam 1927 Zweig, Stefan: Drei Meister. Balzac, Dickens, Dostojewski, Leipzig 1920; Der Kampf mit dem Dämon. Hoelderlin, Kleist, Nietzsehe, Leipzig 1925; Drei Dichter ihres Lebens, Leipzig 1928; Joseph Fouche, Bildnis eines politi- schen Menschen, Leipzig 1930; Marie-Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters, Leipzig 1932 im 51. Brief Chesterton, Gilbert Keith: Robert Browning, 1903; Der Held von Notting HiIl, Bremen 1927; Der Mann, der zuviel wußte, München 1925; Das Ge- heimnis des Pater Brown, München 1929; Skandal um Pater Brown, Leipzig 1927 Kierkegaard, Sören: Entweder-Oder. Ein Lebensfragment, 2 Tle., Jena 1911 409 Liliencron, Detlev von: Gesammelte Werke hg. v. Richard Dehmel, 8 Bde., Bd. 1: Poggfred, 1911, Bd. 2 u. 3: Gedichte, 1911, Berlin 1911-1912 Polgar, Alfred: Der Quell des Übels und andere Geschichten, München 1908; Hiob. Ein Novellenband, München 1912; Gestern und heute, Dresden u. Ber- lin 1922; An den Rand geschrieben, Berlin 1926; Ich bin Zeuge, Berlin 1927; Bei dieser Gelegenheit. Erzählungen, Berlin 1930; Die Defraudanten, Berlin 1931; Ansichten, Berlin 1933; In der Zwischenzeit, Amsterdam 1935 Zu den Werken von Eduard Engel. Egon Friede!!, Karl Kraus, Leopold Liegler, Conrad Ferdinand Meyer, Friedrich Sieburg, Leo Nikolajewitsch Tolstoi, Francais Villon, Oscar Wilde, Arnold Zweig und Stefan Zweig s. die Nachweise zum 49. Brief im 53. Brief Brandes, Georg: Franccis de Voltaire, 2 Bde., Berlin 1916-1917 Cooper, Alfred Duff: Talleyrand, Leipzig 1935 Curtius, Ernst Robert: Balzac, Bonn 1923; Maurice Barres und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus, Bonn 1921 Klassischer Journalismus. Die Meisterwerke d. Zeitung. Gesammelt u. hg. v. Egon Erwin Kisch, Berlin 1923 Meier-Graefe, Julius: Dostojewskij, der Dichter, Berlin 1926 Zu den Werken von Theodor Fontane, Anatol France, Knut Hamsun, Max Herrmann-Neiße, Georg Heym, Klabund, Emil Ludwig, Christian Morgen- stern, Friedrich Nietzsche, William Shakespeare, Friedrich Sieburg, Her- mann Stehr, Georg Trakl, Hermann Wendel, Franz Werfel und Stefan Zweig s. die Nachweise zum 49. Brief 410 Musikhistorische Nachweise zu den Gedichten im 26. Brief Arie des Cavaradossi: Aus Puccinis Oper 'Tosca' (Rom 1900). Im 3. Akt singt der Maler Mario Cavaradossi die Arie 'Und es blitzten die Sterne, und es dampft die Erde' . Baumann: Anton, bekannter Baßsänger. Carmen: Oper des französischen Komponisten Georges Bizet (25.10.1838/ Paris - 3.6.1875/Bougival bei Paris). Caruso: Enrico, italienischer Opernsänger, galt als bester Tenor seiner Zeit. Cho-Cho-San: Genannt Butterfly, Protagonistin in Puccinis gleichnamiger Oper 'Madame Butterfly' (Mailand 1904). Dort werden die dramatischen Ereignisse um die Japanerin Cho-Cho-San und den ihr untreuen amerika- nischen Leutnant Linkerton geschildert. Chopin: Frederic, komponierte den Walzer,Valse triste'. Claire Waldoff: Diseuse, sang u.a. die Titel 'Hermann heeßt er; Mein Maxe; Warum haste mir denn bloß geheiratet?'. Don Juan: Der Stoff wurde auf musikalischem Gebiet mehrfach bearbeitet; Mozart verarbeitete ihn zu der Oper 'Don Giovanni' (Prag 1787). Donkosakenchöre: Wurden 1920 aus ehemaligen Mitgliedern der russischen 'Weißen Armee' von dem Dirigenten Serge Jaroff (I.04.1896/Gouv. Ko- stroma - 5.10.1985/Lakewood, N.J.) gegründet, Repertoire: Kirchen- und Volkslieder, Virtuosenstücke. Dreigroschenoper: Text Bertolt Brecht (10.2.l898/Augsburg - 14.8.1956/ Berlin). Basiert auf der 'Bettleroper' (1828) von Peter Gay, die Brecht bearbeitete und aktualisierte. Musik, bestehend aus Songs, Balladen und Moritaten, Kurt Weill (2.3.l900IDessau - 3.4.1950INew York). Fledermaus-Adele: 'Die Fledermaus' (1874 Wien), Operette von Johann Strauß (25.10.1825/- 3.6.1899/Wien), handelt von der Rache des Dr. Fal- ke (Fledermaus) an seinem Freund Eisenstein, der ihn einst zum Gespött machte. In Falkes Racheplan ist Adele, der Zofe von Eisensteins Frau eine Rolle zugewiesen, sie singt das Lied 'Mein Herr Marquis'. Hänschen Reimann: [Hans] Kabarettist, sang den Titel 'Das Fischerkind von Norderney', aus dem die erwähnte Zeile stammt. Heinrich Schlusnus: Mitglied der Berliner Staatsoper, einer der bedeutendsten Interpreten deutschen Liedgutes. Karl Valentin: Komiker. 'Die Uhr von Löwe' ist eine Parodie auf die Ballade 'Die Uhr' des Komponisten Carl Löwe(30.11.1796/Löbejün - 20.4.1869/Kiel). Kreneks Jonny: Ernst Krenek komponierte die Oper ,Jonny spielt auf (Leipzig 1927). 411 Lucienne Boyer: Französische Chansonsängerin, die 1930 mit dem hier er- wähnten Chanson .Parlez-moi d'amour' berühmt wurde. Mignon: Oper (Paris 1866) des französischen Komponisten Ambroise Tho- mas (5.8.1811-12.2.1896). Textliche Grundlage war Johann Wolfgang von Goethes Roman 'Wilhelm Meisters Lehrjahre' (1796), mit dem die Oper letztlich nur noch wenig Ähnlichkeit hat. Mond von Alabama-Song: Aus der Oper ,Aufstieg und Fall der Stadt Maha- gonny'. Text Bertolt Brecht, Musik Kurt Weill. Mozart: Hymne 'An die Freude' aus Wolfgang Amadeus Mozarts Oper 'Don Giovanni' , wird hier von den Wiener Sängerknaben gesungen. Puccini: Giacomo, Komponist der Opern 'Madame Butterfly' (Mailand 1904); 'La Boheme' (Turin 1896); 'Tosca' (Rom 1900). Revellers: Amerikanisches Vokalquartett, entstand Mitte der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts. Mitglieder: Franklyn Baur (1. Tenor), Wilfred Glenn (Baß), Lewis James (2. Tenor) und Elliott Shaw (Bariton). Durch Rund- funk und Konzertreisen in der ganzen Welt sehr bekannt, Vorbild für die Comedian Harmonists. Rosenkavalier: Komödie für Musik (Dresden 1911), Text Hugo von Hof- mannsthai (1.2.1874 - 15.7.1929), Musik Richard Strauss (1.6.18641 München - 8.9.1949/Garmisch). Schmidtchen: Joseph Schmidt, einer der wichtigsten lyrischen Tenöre seiner Zeit, konnte wegen seiner geringen Körpergröße keine eigentliche Opern- karriere machen. Singing Babies: Über diese Gruppe konnte nichts ermittelt werden. Siezak: Leo, österreichischer Tenor, seit 1901 Mitglied der Wiener Hofoper. Stenka Rasin's Schar: Die Sinfonische Dichtung 'Stenka Rasin' ist eines der wichtigsten Werke des russischen Komponisten Aleksandr Konstantino- witsch Glasunow (10.8.18651 St. Petersburg - 21.3.1936/Neuiily-sur- Seine). Sie erzählt die Geschichte des Donkosaken Hetmans Stenka Rasin, der 1670 den ersten großen Bauernaufstand in Rußland anführte. Verdi: Giuseppe, Komponist u.a. der Opern 'La Traviata' (Venedig 1853); 'Rigoletto' (Venedig 1851); 'Troubadour' (Rom 1852). Was weißt denn Du?: (1908) komponiert von dem Musiklehrer Otto Hugo Friedrich Böhme (20.05.1874-*) aus Chemnitz, erfreute sich großer Be- liebtheit. Webers Freischützjungfernkranz: Romantische Oper 'Der Freischütz' (Berlin 1821) von Carl Maria von Weber. Zu weit im Leben...: Zitat aus dem Gedicht 'Sommerbild' von Friedrich Heb- bel (18.3.1813/Wesselburen - 13.12.1863/Wien). 412 Weitere Gedichte und ein Text von Kurt Finkenstein Kurt Finkenstein hat neben den hier veröffentlichten Briefen aus der Zeit seiner Inhaftierung Gedichte geschrieben und Korrespondenzen geführt, von denen nur wenige ermittelt werden konnten. Im folgenden ist festgehalten. was sich nachweisen ließ. Aus den Jahren 1915-1920 Nie aber ..•! Gedicht. In: Die Aktion. Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst. Her- ausgegeben von Franz Pfemfert. Nr. 39/40. Berlin 1915, 486. Schicksal Gedicht. In: Die Aktion. 1916, 413. Altes Haus am Abend Gedicht. In: Das Aktionsbuch. Herausgeber Franz Pfemfert. Berlin 1917, 223. "Die Qual der Tänze" (enthält die drei Gedicht-Zyklen "Tanz um Gott", "Tanz um die Liebe" und "Tanz um die Freiheit") [1916/1917; nicht ermittelt]. Erwähnt bei: Lewandowski, Herbert: Kurt Finkenstein. In: Lee van Dovski: Eros der Gegenwart. Quasi ein III Band von" Genie und Eros". Genf1952, 96f Der erkrankte Lewandowski antwortete aus dem Militärlazarett mit einem Gedicht aufdiesen Zyklus; hier ein Auszug: Ach, wie gern möchte' ich zu Ihnen Nur für wen'ge Stunden fliegen Und mit Ihnen plaudern über Rene SchickeIe und Pfemfert, Über Deutschtum und Mauldeutschtum Über unser schönes, reines Vaterland, zu dem der Weg ist ,Weiter als die Erde weit ist'. 413 Aber leider muß ich tanzen Nach der Pfeife des Herrn Chefarzt, Tanzen einen mühevollen Tanz aus Ihrer ,Qual der Tänze'. Doch noch hoff' ich, und ich hoffe, Daß ich auch mit Ihnen hoffe: Wieder kommt der Tag, wo wieder Wir nach unsrer Pfeife tanzen. Und dann, lieber Finkenstein, Woll'n wir einen Zyklus tanzen, Einen ganzen neuen Zyklus, Woll'n die ,Lust der Tänze' tanzen. Ahasver Schwere Stunde 2 Gedichte. In: Die Kugel 1 (1919/20), Nr. 2, 15. Hinweis auf einen europäischen Dichter [Max Herrmann-Neiße] In: Der Mitmensch. Hefte für sozialistische Literatur. Herausgeber: Artur Seehof 1 (1919/20). Heft 3. Berlin, 54f. Aus den Jahren 1939 - 1943 Friedensbrecher - Kriegsverbrecher! Menschheitsschlächter - Gottverächter!" Gedicht ca. 1941. Informationsstelle Nationalsozialismus in Nordhessen: Sammlung Finken- stein. Nachgelassene Papiere von Käte Westhoff. - Dieses Gedichtfindet sich mit Entwürfen anderer Gedichte, die aus den Briefen bekannt sind (z.B. der .Ballade von meinem Leierkasten') , aufeinem mit einer Krippezeichnung ausgeschmückten Weihnachsbriefaus dem Jahre 1940 eines Dr. Otto Born- hak (?) aus Celle an "meinen lieben Freund", Aufdiese mit Tinte geschrie- benen Blätter (offenbar ein Reihenbrief), in denen anscheinend ohne nähere persönliche Kenntnis des Gefangenen die christliche Botschaft in der Spra- che Kanaans verkündet wurde, hat Finkenstein mit Bleistift zwischen die Zeilen Gedichte geschrieben. 414 Die Ballade von den Widersprüchen meines Lebens In: Das Karussell. Literarische Monatsschrift. Kassel 1 (1946),28-33. Es handelt sich um den auszugsweisen Abdruck von Finkensteins mehrfach neu ansetzenden Versuchen, seinen Söhnen seinen Lebensweg mitzuteilen. Die Fassung im 69. Briefhat eindeutig als Vorlagefür den Abdruck, der zugleich eine Erstveröffentlichung darstellte, gedient. Der Abdruck bildet allerdings nur eine Auswahl (20 Verse) der vollständigen Fassung der Ballade (54 Verse). Mein Gefängnis Gedicht. In: Hessische Nachrichten Nr. 8 vom 26. I.l946 (erneut in den Hes- sischen Nachrichten im Jahre 1955 abgedruckt). Dieses Gedicht findet sich vollständig in den Briefen Nr. 62 und Nr. 69; die Fassung im 69. Briefhat eindeutig als Vorlage für den Abdruck, bei dem zwei Verse weggelassen wurden, gedient. Der Abdruck im Jahre 1946 war die erste Veröffentlichung des Gedichtes. Trinkspruch und Abschied ("Füllt mir noch einmal die Schale" ...) Abgedruckt bei Lewandowski, Herbert: Kurt Finkenstein. In: Lee van Dovski: Eros der Gegenwart. Quasi ein III. Bandvon"GenieundEros". Genf1952, 108. 415 Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Berlin.AUßenstelle Dahlwitz-Hoppegarten. Bestand Reichsjustizministerium: ZC 11910. Band 1. OLGRat Wolff(Untersuchungsrichter am Volks gerichts- hofBerlin): Bericht über den Aufbau und die Tätigkeit der illegalen KPD im Bezirk Kassel (Baustelle 22). ZC 11910. Band 9. Vernehmung Kurt Finkensteins durch die Gestapo Kassel am 11. und 18.9.1935. ZC 11910. Band 9. Vernehmung Käte Westhoffs durch die Gestapo Kassel am 11.9.1935. ZC 11910. Band 6. Vernehmung Kurt Finkensteins durch die Gestapo Kassel vom 27.5.1936. ZC 11910. Band 4. Vernehmung Käte Westhoffs durch den Untersuchungs- richter am 8. - 18.2.1937. ZC 11910. Band 9. Schlußbericht der Gestapo Kassel vom 20.5.1936. ZC 11910. Band 4. Vernehmung Paula Lohagens. ZC 11910. Band 3. Vernehmungen August Nadlers 1936,1937. ZC 11910. Band 7. Vernehmungen Walter Capitos. 1936. ZC 11910. Band 10. Vernehmung Kurt Finkensteins durch d. Untersuchungs- richter am 26.127.5.1937. NJ 2197. Strafverfahren Traugott Eschke. NJ 4000. Bd, 1 u. 2. Anklageschrift vom 6.4.1937 und Urteil vom 21.5.1937 gegen Käte Westhoff. NJ 6487. Strafsache Kurt Finkenstein. Anklageschrift vom 28.9.1939 und Urteil vom 9.11.1937. Hesslsches Staatsarchiv Murburg Best. 251. Wehlheiden Nr. 1149. Best. 165/3965. Tagesbericht der Staatspolizeistelle Kassel vom 23. Juli 1935. Best. 165/3821. Einziehung staatsfeindlichen Vermögens im Kreis Kassel- Stadt 1938-1941. Hessisches Hauptsstaatsarcitiv Wiesbaden Dokumentation zu Widerstand und Verfolgung in Hessen. Hessisches Justizministerium Wiesbaden Regierungspräsidium Darmstadt. Entschädigungsakte FinkensteinlFunkenstein I 18-K 1016. 416 Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen Bestand 2. Nr. 7630. Aufnahmebuchfür HäftlingewährendBestehens des Konzentrationslagers 1933-1934. Bestand 2. Nr. 7631. Einrichtungund Auflösungdes KZ Breitenaufür politi- sche Häftlinge 1933-1934. Landarmen- und KorrektionsanstaltBreitenau 1874-1949(1976). Bestand2. Nr. 7633. AufnahmebuchBreitenau für Schutzhäftlinge, Altersheiminsassen, Korrigenden, Häuslinge u.a. 1895-1945. Stadtarchiv Kassel Antrag Käte Funkenstein auf Wiedergutmachung. Meldekarten (Einwohnermeldeämter). Hausstandsbücher. Amtsgericht Kassel Standesamtsberichtigungsakte über die Ehescheidung Finkenstein/ Funken- stein geb. Tautz 1 III 149/49. JVA Kasset]-Wehlheiden] Tagesbericht des Polizeigefängnisses in Kassel vom 30.3. - 16.6.1933. Akte Schutzhaftgefangene. Erinnerungen des ehemaligen Anstaltspfarrers Adolf'Dörmer (Aufzeichnungen). Universität Gesamthochschule Kassel: Informationsstelle Nationalsozia- lismus in Nordhessen (ZU.: Informationsstelle GhK) Gespräch mit Kar! Wack (Bestand Prof. Dr. Jörg Kammler). Gespräche mit Käte Funkenstein in Kassel, 1982, 1983ff. Sammlung Finkenstein: Briefe KurtFinkensteins ausder Haft. Kassel 1935-1943. SammlungFinkenstein: Nachgelassene Papiere von Käte Westhoff: Schreiben der "VerwaltungKonzentrationslager Auschwitz" an Käte Westhoffvom 7. April 1944. Schreiben von A. Döring (Ev. Jugend- und Wohlfahrtsdienst Kassel) an Kurt Finkenstein vom 20. Juni 1938. Briefvon Elfriede Finkenstein an Käte Westhoffvom 21.7.1938. Briefvon Prof. Alfred Vocke an Käte Westhoffvom 11.4.1943. Briefe von Pfarrer A. Dörmeran Käte Westhoff(1946). ReallehrerEngel an Fr!. Käte Westhoffvom 19.12.1938. Briefe und Karten von Herbert Lewandowski an Käte Westhoff (1980, 1985, 1986). Schriftliche Mitteilungen Archives municipalesStrasbourgl Frankreich (1984, 1999) Archives municipales Metz/ Frankreich (1984, 1999) 417 Staatliches MuseumAuschwitz-Oswieciml Polen (1984) Urzad Stanu Cywilnego, SzklarskaPorebaI Polen (2000) ArchivumArchidiecezjalneWroclawlPolen (2000) Urzad Stanu Cywilnego GdansklPolen (2000) Tom LewinskiEssex/ Großbritannien(2000) Albert Weber Bad Hersfeld (1999) Deutsche Dienststelle(WASt) Berlin (1984) St. Johannesstift, ErshausenlGeismar(1999) Verwaltungsgemeinschaft Ershausenl Geismar(Meldebehörde) (2000) Institut für Stadtgeschichte Frankfurta.M. (2000) Handwerkskammer Kassel (1984) Regierungspräsidium Kassel (1983) (1984) Standesamtder Stadt Kassel (1984, 1999) HermannBriIl FlorianopolislBrasilien Charlotte Delsing Kassel (1999) Dr. Volker EichlerHessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (1999) Prof. Dr. J.-U. Fechner Bochum(1999) RD Heinz Fromm, Leiter JVA Kassel I (1999) Barbara Glauert-HesseBielefeld (1999) Frau HagemüllerSchwalmstadt (1999) Prof. Dr. Jörg KammlerOsnabrück (1999) Wolfgang Pilz Kassel (1999) Heinrich Rappe (2000) Frau Teitge Kassel (1999) Dr. Wemer WienbeckKassel (1997) Mündliche Mitteilungen: Käte Funkenstein geb. Westhoff(1983-1990) HeinrichRappe (2000) Martha Schlegelmilch Kassel (1999, 2001) Amo Siebert Kassel (1999) 11. Gedruckte Quellen und amtliche Dokumente Einwohner-und Adreßbuchder Stadt Kassel 1934 ff. Klein, Thomas (Hg.): Die Lageberichteder GeheimenStaatspolizei über die Provinz Hessen-Nassau 1933-1936. Mit ergänzenden Materialien herausge- geben, eingeleitetund erläutert von Thomas Klein. (=Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Band 22/1 und22/II) Köln - Wien 1986. Handbuchfür den PreußischenLandtag. Ausgabefür die 4. Wahlperiode (von 1932 an). 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E.: Jahresbericht überdas Schuljahr 1907-1908. Straßburg 1908. Williger, C. (Il, Vorsitzenderder Zahnkünstler-Innung in Hamburg): Die Berufswahl des Zahnkünstlers. In: Hamburger Nachrichten vom 28.1.1907. IV. Literatur nach 1945 (Auswahl) Belz, WilIi: Die Standhaften. Über den Widerstand in Kassel 1933-1945. Ludwigsburg 1960.2. Auflage Kassel 1978. Geschichtedes deutschen Zahnärzte-Standes. VonKurt Maretzky und Robert Venter. Köln 1974. Hermsdorff, Wolfgang. Finkenstein - ein deutsches Schicksal. In: Hessische Nachrichten Nr. 66 vom 18.3.1972 (BlickzurückNr. 483). Kammler, Jörg: Widerstand und Verfolgung - illegaleArbeiterbewegung, sozialistische Solidargemeinschaft und das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Regime. In: Volksgemeinschaft undVolksfeinde, Band 2, a.a.O., 325-387. Klein, Thomas(Hg): Leitende Beamteder allgemeinen Verwaltung in der preußischen Provinz Hessen-Nassau und in Waldeck 1867-1945 (=Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte. 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