Herrschen durch Delegation Reichsgräfliche Herrschaft Ende des 17. und im 18. Jahrhundert am Beispiel der Grafschaft Solms-Rödelheim Inaugural-Dissertation zur Erlangung des philosophischen Doktorgrades im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel vorgelegt von Tobias Busch Kassel, im April 2007 1 Inhalt 1 Einleitung........................................................................................................... 5 1.1 Thema und Forschungsgegenstand.............................................................5 1.1.1 Einleitung und Fragestellung ............................................................. 5 1.1.2 Forschungsgegenstand, räumliche und zeitliche Abgrenzung......... 10 1.2 Forschungsstand, Literatur........................................................................14 1.2.1 Reichsgrafenstand und Reich........................................................... 14 1.2.2 Adelige und reichsständische Ökonomie......................................... 18 1.2.3 Solms und Solms-Rödelheim........................................................... 19 1.3 Quellen......................................................................................................21 1.3.1 Archivalische Überlieferung............................................................ 21 1.3.2 Gedruckte Quellen ........................................................................... 23 2 Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft: Strukturen und Handlungsfelder............................................................................................ 26 2.1 Reichsgräfliche Landesherrschaft – reichsgräfliche Landeshoheit?.........27 2.2 Landesherrschaft ohne „Land“?................................................................35 2.2.1 Die Diversität der Solms-Rödelheimer „Lande“ ............................. 40 2.2.2 Die „Lande“ als Objekt der Landesherrschaft ................................. 46 2.3 Hochadelige Herrschaft über die Grenzen der Landesherrschaft hinaus..51 2.3.1 Die Reichsgrafen als Grund- und Leibherren .................................. 52 2.3.2 Lehnsherrschaft................................................................................ 57 2.4 Ergebnisse.................................................................................................61 3 Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft .......................... 64 3.1 Perspektiven und Administration der Herrschaft......................................64 3.1.1 Ordnungen und Dekrete – der normative Ausdruck der „Guten Policey“…….................................................................................................... 66 3.1.2 Regierung und Ämter – Administrative Strukturen der Landesherrschaft .............................................................................................. 74 2 3.1.3 „...und schien das sich niemand vor keiner obrigkeit fürchte“ – Grenzen landesherrlicher Macht...................................................................... 84 3.2 Struktur und Verwaltung der reichsgräflichen Ökonomie........................95 3.2.1 Kassen, Kellereien und Rechnungen – die Organisation der Wirtschaftsverwaltung ..................................................................................... 96 3.2.2 Einnahmen und Ausgaben der Land- oder Verfassungskasse ....... 103 3.2.3 Kellereieinnahmen und -ausgaben................................................. 110 3.2.4 Steuern, Regalien- und Domäneneinkünfte und ihre Bedeutung für die Solmser Ökonomie ........................................................................................ 118 3.3 Öffentliches Eigentum – Privateigentum?! Die „persönliche Ökonomie“ der Grafen ...........................................................................................................126 3.3.1 Die Herkunft der persönlichen Einnahmen ................................... 126 3.3.2 Die Kapitalisierung der Herrschaft durch Graf Wilhelm Karl Ludwig ……………………………………………………………………135 3.3.3 Die Weitergabe des Allodialvermögens ........................................ 142 3.3.4 Der Prozess Johann Ernst Karls gegen Wilhelm Karl Ludwig und dessen Allodialerben ab 1778 ........................................................................ 145 3.4 Ergebnisse...............................................................................................152 4 Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz158 4.1 Arrondierungen und Erweiterungen .......................................................159 4.1.1 Kauf und Tausch, Schenkungen, Lehen und Erbverträge ............. 160 4.1.2 Heiraten und Erben ........................................................................ 171 4.2 Die Weitergabe von Herrschaft und Besitz ............................................187 4.2.1 Gemeinsame Problemlösungsstrategien Johann Karl Eberhards, Ludwigs und Ludwig Heinrichs 1680-1728 .................................................. 190 4.2.2 Primogenitur oder gemeinschaftliche Regierung? Die Durchsetzung der Landesherrschaft ab 1728 ........................................................................ 196 4.2.3 Leben „in Reserve“: der jüngere Bruder zwischen Auflehnung und Anpassung 1730–1778................................................................................... 205 4.3 Ergebnisse...............................................................................................241 3 5 Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft................................................. 249 5.1 Staatliche Funktionen außerhalb der Grafschaft.....................................249 5.1.1 Haus und Familie als Organisationsprinzip ................................... 250 5.1.2 Ständische Bündnissysteme – Grafenverein, Grafentage und Grafenunion ................................................................................................... 259 5.1.3 Oberrheinischer Reichskreis .......................................................... 270 5.2 Innerterritoriale Mediatgewalten ............................................................278 5.2.1 Die Gemeindeversammlung im Spannungsfeld von Nachbarn und Herrschaft....................................................................................................... 278 5.2.2 Loyalität und Ämterbesetzung....................................................... 284 5.2.3 Solidarität und soziales Programm in den Gemeinden.................. 288 5.2.4 Gemeinsames Vorgehen der Dörfer – solidarisches Handeln ohne „Landschaft“ .................................................................................................. 296 5.3 Ergebnisse...............................................................................................302 6 Herrschen durch Delegation .......................................................................... 306 7 Quellen- und Literaturverzeichnis ................................................................. 314 7.1 Ungedruckte Quellen / Handschriften ....................................................314 7.2 Gedruckte Quellen ..................................................................................314 7.3 Edierte Quellen .......................................................................................317 7.4 Literatur ..................................................................................................318 8 Anhang........................................................................................................... 337 8.1 Abkürzungsverzeichnis...........................................................................337 8.2 Abbildungsverzeichnis............................................................................338 8.3 Quellen....................................................................................................340 8.3.1 Solmser Erb- und Brudereinigung 1578 ........................................ 340 8.3.2 Policeyordnung 1660 ..................................................................... 343 8.3.3 Testament Johann Augusts von Solms-Rödelheim 1676 (Abschrift) ……………………………………………………………………346 8.3.4 Verzicht Graf Johann Karl Eberhards auf die Landesherrschaft 1695 ……………………………………………………………………349 4 8.3.5 Testament Ludwig Heinrichs 1727................................................ 350 8.3.6 Designation aller Solms-Rödelheimischen Regierungsgeschäfte (o.D., vor 1730) ……………………………………………………………………354 8.3.7 Vergleich zwischen Wilhelm Karl Ludwig und Johann Ernst Karl 1745………….. ............................................................................................. 356 8.3.8 Solms-Rödelheimische Armen- und Bettelordnung 1778 ............. 359 8.3.9 Vergleich zwischen Graf Johann Ernst Karl und den anderen Allodialerben 1784 ........................................................................................ 362 8.4 Tabellen ..................................................................................................368 8.4.1 Übersicht über reichsunmittelbare Grafen und Herren nach der Reichsmatrikel von 1521 ............................................................................... 368 8.4.2 Die Entwicklung der Eigentumsverhältnisse an den Grafschaften Rödelheim und Laubach im 17. Jahrhundert ................................................. 372 8.4.3 Entwicklung des gräflichen Grundbesitzes vom 15. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ............................................................................................. 373 8.4.4 Einnahmerechnung des Wetterauer Grafenkollegiums für das erste Quartal 1731, geführt vom Hanauer Regierungsrat Wolfart ......................... 374 Einleitung 5 1 Einleitung 1.1 Thema und Forschungsgegenstand 1.1.1 Einleitung und Fragestellung Die ältere deutschsprachige historische Forschung beurteilte das Alte Reich lange Zeit vor dem Hintergrund der im 19. Jahrhundert entstandenen konstitutionellen Rechts- bzw. Nationalstaaten als dem Höhepunkt der geschichtlichen Entwicklung. Aus bestimmten Gründen konzentrierte sie sich auf Entstehung und Vollendung des „Verstaatlichungsprozesses“.1 Das hatte zwei wichtige Konsequenzen: Zum einen behandelte sie bevorzugt die Fürstentümer, in denen die Staatsbildung verortet wurde, und marginalisierte damit die Teile des Alten Reichs, in denen eine solche nicht stattfand. Das betraf neben den ritterschaftlichen und prälatischen Gebieten in der Regel auch Reichsgrafschaften.2 Diese mögen teilweise sehr klein gewesen sein mögen, gleichwohl waren sie für das Reich insgesamt schon durch ihre schiere Zahl bedeutsam.3 Zum anderen legte sie selbst in den Fällen, in denen sie diese selbstständigen nichtfürstlichen Landesherrschaften thematisierte, die Maßstäbe frühneuzeitlicher Staatlichkeit an und ignorierte, dass diese möglicherweise einer ganz anderen Logik folgten. Das führte selbst profunde Kenner des Grafen- und Herrenstandes vielfach zu der Einschätzung, „daß die Kräfte dieser kleinen Grafschaften nicht ausreichten, um die 1 Vgl. die Überlegungen zum Hintergrund der Konzentration der Geschichtswissenschaften seit ca. 1800 auf den „modernen Staat“ bei STEPHAN SKALWEIT, Der Beginn der Neuzeit: Epochengrenzen und Epochenbegriff (Erträge der Forschung 178), Darmstadt 1982, hier v.a. S. 133-154, zuletzt auch MARKUS MEUMANN und RALF PRÖVE, Die Faszination des Staates und historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Markus Meumann und Ralf Pröve (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11-50. 2 Vgl. KARL OTMAR FREIHERR V. ARETIN, Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745-1806) (Das Alte Reich 1648-1806 Bd. 3), Stuttgart 1997 S. 14, der dazu ausführt, wenn man Droysens Ausführungen zur preußischen Geschichte lese, könne man den Eindruck gewinnen, das Reich sei überhaupt nicht existent gewesen. 3 Ende des 18. Jahrhunderts wurden noch 99 Reichsgrafschaften als Teilhabende an den vier Kuriatstimmen im Reichsfürstenrat des Reichstags geführt, vgl. FRITZ SALOMON, Der deutsche Reichstag in seiner Zusammensetzung im Jahre 1792 (zusammengestellt nach Joh. Chr. Pütter, Institutiones iuris publici, Göttingen 1792 §83-104), in: Karl Zeumer (Hg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Leipzig 1913, S. 553-554. Einleitung 6 Aufgaben, die sie sich setzen mochten, zu erfüllen und mit den größeren Territorien Schritt zu halten“,4 wobei unter „Kräfte“ in einem doppelten Sinn ökonomische wie politische Potenz verstanden wurde. Solche Befunde stehen in auffälligem Gegensatz zu dem Umstand, dass Reichsgrafschaften – auch die kleinsten – nicht nur zur politischen Normalität des Alten Reichs gehörten,5 sondern darüber hinaus in aller Regel gut und beständig funktionierten und trotz aller Schwierigkeiten in großer Zahl bis zum Ende des Alten Reichs überlebten.6 Wo dieser Umstand zur Kenntnis genommen oder gar zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht wurde, führte man zur Erklärung oft in erster Linie ein Interesse am Fortbestand dieser kleinen reichsunmittelbaren Herrschaften sowie entsprechende Bemühungen auf Seiten des Kaisers, des Reichs und der Reichsinstitutionen an.7 Diese Erklärung erscheint einseitig, machte sie doch aus den Reichsgrafen passive Objekte der Protektion Mächtigerer und nahm sie selbst als Akteure nicht ernst. Zwar gab es zweifellos Fälle, in denen die Selbstständigkeit einzelner Grafschaften nur noch durch fremde Hilfe aufrechterhalten werden konnte. Daraus zu schließen, der Grafenstand generell habe einzig deshalb überleben können, weil er durch Kaiser und Reich geschützt wurde, greift jedoch zu kurz. Vielmehr ist im Gegensatz zu bisherigen Forschungen danach zu fragen, ob den Reichsgrafen eigene Strategien zur Verfügung standen, um die Fortexistenz ihrer vielfach gefährdeten Herrschaften zu sichern – und um welche es sich gehandelt 4 FRITZ WOLFF, Grafen und Herren in Hessen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986 S. 333-347, hier S. 343. 5 Vgl. ARETIN, Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745-1806), der annimmt, dass etwa 16 Prozent der Bevölkerung des Reichs in Territorien der Reichsstädte, -ritter und –grafen lebte. 6 Die Reichsmatrikel von 1521 führte 144 Reichsgrafschaften, vgl. Anschlag für die Romzugshülfe in Truppen zu Roß und zu Fuß und für Unterhaltung des Regiments und des Kammergerichts in Geld, 1521, Mai 15 und17, in: Karl Zeumer (Hg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit Bd. 2, Leipzig 1913, S. 313-318. J. S. PÜTTER zählte 1792 noch 99, vgl. SALOMON, Reichstag, S. 553-554. Diese Angaben sind nur ein ungefährer Hinweis auf die Zahl der tatsächlich selbständig existierenden Grafschaften, da hier auch Fürsten enthalten sind, die qua Besitzes einer Grafschaft an der Kuriatstimme beteiligt waren; das gilt jedoch genau so für die Zahlen von 1521, was diesen Messfehler wohl weitgehend neutralisieren dürfte. 7 Vgl. u.a. JÜRGEN ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Eine Studie zu den Finanzproblemen der mindermächtigen Stände im Alten Reich: Das Beispiel der Grafschaft Ysenburg-Büdingen 1687-1806, Marburg 2002 mit einer Darstellung der Rolle kaiserlicher Debitkommissionen für den Fortbestand überschuldeter Grafschaften sowie SIEGRID WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648-1806 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 43), Köln / Weimar / Wien 2002 über die Rolle der Reichsgerichte. Einleitung 7 haben könnte.8 Wie also waren eine Ökonomie und eine Politik beschaffen, die es kleinen Reichsständen ermöglichte, trotz begrenzter Ressourcen und trotz eines offensichtlichen Fehlens „moderner“ Staatlichkeit bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs erfolgreich zu arbeiten? Die Beantwortung dieser Fragestellung erfordert mehrere Schritte. Zunächst müssen die territorialen und rechtlichen Grundlagen genau untersucht werden; so kann angesichts der bunten Vielfalt der Erscheinungsformen von Herrschaft im Alten Reich insgesamt, in der Wetterau als regionalem Bezugsrahmen zumal,9 geklärt werden, welche Art von Rechts- bzw. Herrschaftsbeziehungen die Grafen mit welchen Gebieten oder Personen im Einzelnen verbanden. Damit wird nicht nur das Substrat der Superioritas territorialis, sondern darüber hinaus die Gesamtheit der Besitzungen und Regalien der Reichsgrafen einschließlich der Grund-, Lehns- und Leibherrschaft identifiziert. Ebenfalls zur Grundlagenforschung gehört die Untersuchung der rechtlichen und organisatorischen Ausgestaltung dieser Rechtsbeziehungen in Form von Normsetzungen und einer Administration, getreu der Definition Max Webers, Herrschaft äußere sich und funktioniere primär als Verwaltung.10 Deshalb muss, wer frühneuzeitliche Herrschaft untersucht, zwingend auch nach ihren Normen und Instrumenten sowie ihren Möglichkeiten und Grenzen fragen. Weniger augenfällig ist der Zusammenhang zwischen Landesherrschaft und Ökonomie; im Grundsatz waren der Status bzw. die Stellung von Reichsgrafen i.d.R. unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation. So war die starke Verschuldung der Grafen von Solms-Braunfels am Beginn des 18. Jahrhunderts, die in den 40er Jahren in der Einrichtung einer kaiserlichen Debitverwaltung gipfelte,11 kein Hindernis für die Aufwertung ihrer Landesherrschaft durch die Erhebung in den 8 Vgl. zu den Krisenerscheinungen, mit denen sich der Grafenstand konfrontiert war, BARBARA STOLLBERG-RILINGER, Der Grafenstand in der Reichspublizistik, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit: Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 28), Berlin 2002, S. 29-54, hier v.a. S. 31-34. 9 Vgl. FRIEDRICH UHLHORN, Hessen um 1550, in: Fred Schwind (Hg.), Geschichtlicher Atlas von Hessen. Text- und Erläuterungsband, Marburg 1984, S. 98-115, hier S. 99, mit seiner Forderung, die verwickelten Verhältnisse von Rechts- und Herrschaftsbeziehungen in den kleinräumigen Regionen im Einzelnen zuverlässig aufzuklären. 10 Vgl. MAX WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 51972 S. 545; weiterhin ebd. S. 126: „Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung“. 11 Vgl. u.a. den Bericht des wetterauischen Gesandten am Reichstag, Pistorius, vom 15.2.1756, HStAD F 24 A 318/2. Einleitung 8 Reichsfürstenstand im Jahr 1742.12 Und eine wirtschaftlich oft labile Grafschaft wie Ysenburg13 rangierte auf den Ranglisten des Wetterauer Grafenvereins stets vor den finanziell weitaus besser gestellten Waldeckern.14 Die Ökonomie bzw. das ökonomische Kapital scheint an dieser Stelle also kein entscheidender, vielleicht nicht einmal ein wichtiger Faktor für die Landesherrschaft gewesen zu sein. An anderen Stellen gab es jedoch vermutlich durchaus viele Berührungspunkte, da Administration und Repräsentation finanziert werden mussten. Deshalb sind die Strukturen und Organisationsformen reichsgräflicher Ökonomie – vor allem auf ihre Bedeutung für selbstständige Landesherrschaft hin – zu untersuchen. Im Anschluss daran wird gefragt, wie die Grafen die dargestellten Voraussetzungen zur Sicherung ihrer Herrschaft gestalteten bzw. erweiterten, um den Herausforderungen, mit denen sie sich an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert konfrontiert sahen, zu begegnen. Da diese auch ökonomischer Natur waren, hatten die dagegen entwickelten Strategien z.T. eine starke ökonomische Komponente, auch wenn die Grenzen zu politischen bzw. herrschaftlichen Maßnahmen nicht immer eindeutig markiert werden können. Es waren im Wesentlichen zwei große Programme, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten: zum einen die Arrondierung, wenn möglich auch die Erweiterung der eigenen Basis, und zwar ausdrücklich nicht nur territorial. Zum anderen die Kontrolle der intergenerationellen Weitergabe von Herrschaft und Besitz, also der Versuch zu verhindern, dass alles, was ein Reichsgraf in seiner Regierungszeit an Erweiterungs- bzw. Konsolidierungsarbeit zu leisten im Stande war, durch Erbteilungen wieder obsolet wurde. Die Ambivalenz der Vererbung und der darin einbezogenen Personen ist wegen ihrer Folgen für die Reichsgrafschaft besonders ausführlich zu würdigen. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich nicht auf eine Darstellung dieser Versuche kleinerer Reichsstände, die Administration und die Ökonomie effizient zu gestalten – zu „rationalisieren“ – und ihren Besitz zu erweitern und ungeteilt zu erhalten – ein an die Entstehung des frühmodernen Staates in größeren Territorien angelehntes Vorgehen. Denn über diese traditionellen und für kleinere Reichsstände oft nicht hinreichenden, an vielen Stellen sogar unpassenden Modelle hinaus lautet 12 Vgl. OTTO RENKHOFF, Nassauische Biographie: Kurzbiographien aus 13 Jahrhunderten, Wiesbaden 1992 S. 761. 13 Vgl. ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. 14 Siehe dazu Extrakt eines Kreistagsprotokolls aus dem Jahr 1655 mit einer Auflistung der Praecedenz der gräflichen Mitglieder, HStAD F 24 A Nr. 351/3. Einleitung 9 die zentrale These hier, dass die Reichsgrafen ganz wesentlich deshalb ihre Selbstständigkeit bewahren und erfolgreich regieren konnten, weil ihnen eine weiter reichende Strategie zur aktiven Gestaltung ihrer Herrschaft zur Verfügung stand – die Delegation. Der letzte Teil der Arbeit wird sich deshalb den Grundlagen, Mechanismen und Auswirkungen delegiert organisierter Herrschaft widmen. Wie bereits bei der intergenerationellen Weitergabe war auch bei dieser Strategie der Vorgang des Teilens von zentraler Bedeutung.15 Ging es dort um personales Teilen, handelte es sich hier um funktionales Teilen – nämlich eine Delegation im Sinne der Wahrnehmung der Rechte, Pflichten und Kompetenzen einer Person oder Institution durch eine andere Person oder Institution. Dem entsprechend ist zu fragen, welche Rechte oder Kompetenzen im Einzelnen durch wen auf welche Art und Weise wahrgenommen wurden. Dabei ist diese Fragestellung funktional zu verstehen; Entscheidend für die Beantwortung der Frage, welche Strategien und Organisationsformen kleineren Reichsständen zur Verfügung standen, um ihre Herrschaft trotz sehr begrenzter räumlicher Ausdehnung überlebensfähig zu erhalten oder gar sehr erfolgreich auszuüben, ist nicht, ob sie diese Strategien bewusst oder geplant einsetzten, sondern ob und wie sie sie einsetzten. Spätestens hier sind die einleitend genannten neuen Ansätze zum Verständnis frühneuzeitlicher Herrschaft zu berücksichtigen. Deren wichtigste Erkenntnisse sind u.a., dass Herrschaft anders als bislang angenommen nicht einseitig von oben nach unten, also in der Regel vom Fürsten ausgehend verlief. Sondern sie war akzeptanzorientiert16 bzw. konsensual,17 genossenschaftlich und einungsartig,18 15 Vgl. zum Begriff der Delegation GERHARD BUCHDA, Artikel „Delegation“, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, Sp. 674-677. Im Grundsatz, so Willoweit, gehe es bei der juristischen Delegation um die widerrufliche Übertragung einzelner Rechtssachen durch den Inhaber auf einzele Kommissare, wenn der Inhaber selbst nicht in der Lage oder Willens war, das Recht selbst wahrzunehmen. 16 Vgl. STEFAN BRAKENSIEK, Lokale Amtsträger in Deutschen Territorien der Frühen Neuzeit. Institutionelle Grundlagen, akzeptanzorientierte Herrschaftspraxis und obrigkeitliche Identität, in: Ronald G. Asch und Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 49-67 17 Vgl. BERND SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig, et al. (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 53-87, weiterhin WOLFGANG MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittealterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, München 2004, S. 13-122. 18 Vgl. HORST CARL, Genossenschaft und Herrschaftsverdichtung. Zur politischen Kultur von Adelseinungen im Alten Reich, in: Ronald G. Asch und Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als Einleitung 10 überterritorial19 oder vernetzt20 organisiert. Allen neuen Forschungsansätzen gemeinsam ist, dass sie die Bedeutung derjenigen Personen und Institutionen außerhalb der Figur des Landesherren und seiner Administration herausarbeiten und ihren Beitrag zu einer funktionierenden Herrschaftspraxis würdigen, die bislang dem Absolutismusparadigma21 und der Staatsteleologie untergeordnet wurden. Das macht es möglich, frühneuzeitliche Herrschaft heute sowohl jenseits des „absoluten Fürsten“ als auch seines „werdenden Staats“ zu betrachten und nach anderen – neuen – Begriffen zu suchen. Diese einzelnen Ansätze für die Erforschung kleinerer Reichsstände und für einen anderen Zugang zu ihrer Funktionsweise am Beispiel einer Reichsgrafschaft zu erproben und wenn möglich zu einem übergreifenden Modell frühneuzeitlicher Herrschaft, nämlich dem der „Herrschaft durch Delegation“ zu integrieren, ist eines der wichtigsten Anliegen der vorliegenden Arbeit. 1.1.2 Forschungsgegenstand, räumliche und zeitliche Abgrenzung Es wird der Vielfalt der Erscheinungsformen von Landesherrschaft in der Frühen Neuzeit und damit dem Charakter des Alten Reichs selbst nicht gerecht, die nichtfürstlichen Reichsstände als „Mindermächtige“ zu subsummieren und gewissermaßen über einen Kamm zu scheren. Sind die Stände des „Dritten Ranges“ insgesamt in sich bereits sehr unterschiedlich, so gilt dies für die dazu gehörige Teilmenge des auf den ersten Blick homogen erscheinenden Reichsgrafenstandes erst recht. Zwar waren Reichsgrafen einander prinzipiell - z.B. in Rechtsprechung und Zeremoniell – gleichgestellt, unterschieden sie sich jedoch tatsächlich enorm von einander, beispielsweise in Größe und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ihrer kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 405-427 19 Vgl. WOLFGANG WÜST (Hg.), Reichskreise und Territorium. Die Herrschaft über die Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich süddeutscher Reichskreise (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens Bd. 7), Stuttgart 2000. 20 Vgl. JOHANNES ARNDT, Das niederrheinisch-westfälische Reichsgrafenkollegium und seine Mitglieder: (1653 - 1806) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 133 Abteilung Universalgeschichte), Mainz 1991. 21 In diesen Zusammenhang sei auf die grundsätzliche Kritik des „Absolutismus“- Konzepts hingewiesen, der zu Folge es „absolute“ Herrscher nach herkömmlichem Verständnis nicht gab. Vgl. RONALD G. ASCH und HEINZ DUCHHARDT (Hg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700), Köln 1996, zuletzt MEUMANN und PRÖVE, Faszination, S. 15-16 und S. 23-35. Vgl. auch JOHANNES KUNISCH, Absolutimus: europäische Geschichte vom westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Régime (UTB für Wissenschaft 1426), Göttingen 21999. Einleitung 11 Herrschaftsgebiete, in dynastischen Regelungen oder auch ihrer Herrschaftspraxis. Mit anderen Worten: ebenso wenig, wie es angesichts mindestens ebenso vieler Unterschiede wie Gemeinsamkeiten innerhalb desselben Standes „den Adel“ gab,22 gab es „die“ Reichsgrafschaft im Alten Reich in ihrer typischen Ausprägung. Es gab vielmehr ein breites Spektrum von Erscheinungsformen reichsgräflicher Existenz.23 Trotz dieser Heterogenität ist das in der Historiographie so oft angewandte „exemplarische Vorgehen“ auch in diesem Fall möglich und unumgänglich; angesichts der Zahl frühneuzeitlicher Reichsgrafschaften ist eine umfassende Untersuchung nicht realistisch – was eine Darstellung der Verhältnisse andernorts im Rahmen gelegentlicher Ausblicke nicht ausschließt. Bei aller Verschiedenheit gab es einen Katalog verbindender Elemente, die aus den Reichsgrafen eine von Fürsten oder Reichsrittern unterschiedene und unterscheidbare Gruppe machten, die in wesentlichen Teilen vergleichbar funktionierte.24 An einem Beispiel gewonnene Erkenntnisse lassen deshalb sehr wohl Aussagen über andere Reichsgrafschaften, eventuell sogar über adelige Herrschaft in der Frühen Neuzeit insgesamt zu. Die vorliegende Arbeit arbeitet am Beispiel der Grafschaft Solms-Rödelheim. Nordwestlich bzw. nördlich der Reichsstadt Frankfurt gelegen,25 bestand sie in der Frühen Neuzeit aus durchschnittlich insgesamt 10 eigenen und gemeinschaftlichen Orten,26 wobei Assenheim, über einen Teil dessen die Grafen von Solms-Rödelheim die Landeshoheit besaßen, die einzige Stadt war.27 Der Ort Rödelheim, in dem auch die namengebende Burg lag, befand sich im späten 18. Jahrhundert etwa eine Wegstunde vor den Frankfurter Stadttoren.28 Um einen ersten Größenvergleich zu erhalten, sei hier die niederadelige Herrschaft Boyneburg an der Werra in der Peripherie der Landgrafschaft Hessen als Beispiel angeführt: selbst nicht übermäßig groß in Ansehung anderer hessischer 22 Vgl. CARL, Adelseinungen, S. 407. 23 Vgl. u.a. RUDOLF ENDRES, Adel in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie der Geschichte 18), München 1993 S. 7 mit einer kurzen Übersicht über die Unterschiede hinsichtlich Größe und Verfasstheit von Reichsgrafschaften. 24 Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S. 37. 25 Vgl. z.B. die im Maßstab 1:300.000 erstellte Karte des Gebiets zwischen Heidelberg und Paderborn von FRIEDRICH UHLHORN, Hessen um 1550, (Geschichtlicher Atlas von Hessen Karte 18), Marburg 1975. 26 Die Zahl schwankte durch verschiedene Entwicklungen im Untersuchungszeitraum, aber ein Durchschnitt von zehn Orten ist realistisch. 27 Vgl. zum Assenheimer Stadtrecht RUDOLF LUMMITSCH, Geschichte der Stadt Assenheim. Von der frühen Zeit bis zum 19. Jahrhundert, Niddatal 1977. 28 Vgl. J. KNOCH, Beschreibung der alten Grafschaft Solms (handschr., Signatur MULB 2° Ms. Hass. 283), Detmold 1793 S. 128. Einleitung 12 Adelsherrschaften, umfasste sie insgesamt 20 Orte.29 Die Reichsgrafschaft Sayn- Hachenburg im Westerwald verfügte 1760 über 118 Dörfer und eine Stadt.30 Insofern ist davon auszugehen, dass Solms-Rödelheim flächen- und besitzmäßig einer der kleinsten unter den über 300 Reichsständen der Frühen Neuzeit war, was sofort die Frage aufwirft, wie es um ökonomische und politische Existenzbedingungen, um die Handlungs- und Überlebensfähigkeit einer Herrschaft bestellt war, deren Umfang eben noch unter dem mancher reichsritterschaftlicher Gebiete lag, die allgemein als die kleinsten Einheiten selbständiger Landesherrschaft galten und gelten. Solms-Rödelheim lag in der Wetterau. Dieser Landstrich nördlich von Frankfurt war besonders durch alte, zum Teil äußerst kleinräumige reichsunmittelbare Herrschaften geprägt, die aus der ursprünglichen staufischen terra imperii31 eine häufig auch später noch als „Kernland des Reichs“ bezeichnete ´Brückenlandschaft´32 zwischen den mächtigeren Territorien der Nachbarschaft – das waren hier v.a. Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel sowie Mainz und die Reichsstadt Frankfurt – machten. Angesichts der Verhältnisse in anderen Regionen des Reichs war er zwar nicht ohne Beispiel,33 aber in einer Zeit der sich immer mehr arrondierenden und verdichtenden fürstlichen Territorialherrschaft ein Sonderfall, gewissermaßen auch ein Relikt einer vergangenen Zeit. Der gemeinsame Ursprung sowie geteilte Geschichte und geteilte Interessen der dort vertretenen Lande und ihrer Landesherren hatten die Wetterau und den angrenzenden Vogelsberg zu regelrechten Zentren „reichsständischer bündischer Organisationen [gemacht], man denke etwa an den wetterauischen Grafenverein oder die Union wetterauischer und westerwäldischer Stände unter Graf Georg Friedrich von Waldeck“34. 29 Für entsprechende Hinweise danke ich Herrn Thomas Diehl, der z.Zt. an einer Dissertation über die Boyneburg bei Prof. Troßbach an der Universität Kassel arbeitet. 30 Vgl. MARKUS MÜLLER, Gemeinden und Staat in der Reichsgrafschaft Sayn-Hachenburg (Beiträge zur Geschichte Nassaus und des Landes Hessen Bd. 3), Wiesbaden 2005. 31 WERNER TROßBACH, Bauernbewegungen im Wetterau-Vogelsberg-Gebiet 1648-1806. Fallstudien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 52), Darmstadt / Marburg 1985, S. 27. 32 Zum Begriff „Brückenlandschaft“ vgl. u.a.ERNST SCHUBERT, Die Harzgrafen im ausgehenden Mittelalter, in: Jörg Rogge und Uwe Schirmer (Hg.), Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600), Stuttgart 2003, S. 13-115, hier v.a. S. 15-19. 33 Vgl. ebd. zum Harz sowie ERNST BÖHME, Das fränkische Reichsgrafenkollegium im 16. und 17. Jahrhundert. Untersuchungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der korporativen Politik mindermächtiger Reichsstände, Stuttgart 1989 zu Franken. Vergleichbare Strukturen lassen sich darüber hinaus u.a. auch in Schwaben und im Niederrhein-/Weser-Raum nachweisen. 34 TROßBACH, Bauernbewegungen S. 9. Einleitung 13 Mit dem Ende der Selbständigkeit, das für Solms-Rödelheim mit dem Übergang an das Großherzogtum Hessen mit der Rheinbundakte am 12.7.1806 kam,35 ist gleichsam das Ende einer Untersuchung abgesteckt, in deren Zentrum hochadelige Landesherrschaft in der Frühen Neuzeit steht: die Mediatisierung der meisten kleinen Territorien mit Ausnahme einiger weniger, die den Aufstieg zu Fürstentümer vollzogen hatten, und die anschließende Überführung der Reichsgrafen in den Status von Standesherren markiert unzweideutig den Endpunkt der Entwicklung selbständiger reichsgräflicher Landesherrschaft. Zwar besitzt auch die Frage nach der Kontinuität von Herrschaft über die Mediatisierung hinaus einen nicht geringen Reiz,36 sie würde jedoch zu weit über das dieser Arbeit zugrunde liegende Erkenntnisinteresse hinaus führen, deshalb muss ihre Beantwortung zukünftigen Forschungen vorbehalten bleiben. Als Beginn des Untersuchungszeitraums bietet sich bereits aus zwei eher formalen Gründen die Phase nach der Konsolidierung nach dem auch für die Wetterau sehr folgenschweren Dreißigjährigen Krieg an: Erstens ist die Quellenlage für diese Zeit deutlich besser als für das 16. und frühe 17. Jahrhundert,37 und zweitens erhielt die Reichsgrafschaft Rödelheim 1676 mit dem Begründer der bis heute existierenden Linie Solms-Rödelheim-Assenheim Johann August ihren endgültigen, hier residierenden Regenten; eine Kontinuität der Existenz als autonome Grafschaft scheint daher also erst ab Ende des 17. Jh. gewährleistet, während Rödelheim vorher als Teil der insgesamt recht umfangreichen Besitzungen der 35 Vgl. u.a. Manuskript für einen Artikel über die Grafschaft Solms für das Handbuch der hessischen Geschichte von Jürgen Rainer Wolf, (o.O.u.D., ungedr.), S. 20. Dem Verfasser sei Dank gesagt für die Überlassung des Manuskripts. Vgl. weiterhin ECKHARDT G. FRANZ, Der Staat der Großherzöge von Hessen und bei Rhein 1806-1918, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 481-515, hier S. 482. 36 Explizit dieser Frage widmete sich HARALD STOCKERT, Adel im Übergang: die Fürsten und Grafen von Löwenstein-Wertheim zwischen Landesherrschaft und Standesherrschaft 1780 - 1850 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe B, Forschungen 144), Stuttgart 2000; er konnte eindrucksvoll zeigen, dass die Grafen auch als Standesherren keineswegs ihre politischen Handlungsmöglchkeiten und erst recht nicht ihre wirtschaftlichen Ressourcen verloren, sondern lokal und regional ein wichtiges, evtl. das wichtigste Subjekt von Herrschaft waren. 37 Das hängt u.a. damit zusammen, dass Rödelheim in der Frühzeit nur selten völlig selbständig, sondern meist einer anderen Solmser Herrschaft zugehörig war und die Archivalien dem entsprechend verstreut oder verloren sind. Vgl. auch ECKHARDT G. FRANZ, Grafschaft Solms-Rödelheim. Amtsbücher, Kopiare, Sal- und Lagerbücher, Protokolle, Gerichtsbücher und Rechnungen (F 24 B) (Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt 41), Darmstadt 1998, JÜRGEN RAINER WOLF et al., Repertorium des Archivs Solms-Rödelheim in Schloss Assenheim, Darmstadt 1986 und FRIEDRICH BATTENBERG, Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913 (Bd. 1), Darmstadt 1981 bis Bd. 5, Darmstadt 1986. Einleitung 14 Grafen von Solms in der Wetterau und den östlichen Teilen des Reichs (Baruth, Sonnewald, Pouch) durch Vererbung oder andere Transaktionen mal diesem, mal jenem Teil des weit verzweigten Hauses zugehörte.38 1.2 Forschungsstand, Literatur 1.2.1 Reichsgrafenstand und Reich Reichsgrafschaften haben wie andere kleinere Reichsstände in weiten Teilen der historischen Forschung nach wie vor einen eher geringen Stellenwert, der sich durch eine Marginalisierung oder kompletten Nichterwähnung in Publikationen über das Reich ausdrückt39 und bereits in der geläufigen Bezeichnung „mindermächtiger Reichsstand“ anklingt.40 Dahinter steht ein politikgeschichtliches Konzept, das die Bedeutung eines Territoriums v.a. an politischem Einfluss, militärischer Macht und ökonomischem Potential misst.41 Dieser Ansatz ist ebenso traditions- wie einflussreich: Einer seiner frühesten und wichtigsten Vertreter war G.W.LEIBNIZ, der in seiner Staatsphilosophie die Idee des Reichs als „ständischem Bundesstaat“ mit weitgehend souveränen Fürstentümern begründete, den vielen mindermächtigen Ständen jedoch nur eingeschränkte Obrigkeit zubilligte und die Potenz in militärischen Angelegenheiten und Wirtschaftspolitik als Voraussetzungen für die einem Stand zuzumessende Bedeutung ansah.42 Zwar war diese Sichtweise bereits in 38 Vgl. v.a. RUDOLPH ZU SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, Frankfurt am Main 1865 mit akribischer Nachzeichnung der territorialen Besitzgeschichte. 39 Als aktuellstes Beispiel beschäftigte sich die Ausstellung des DHM Berlin von 2006 ausgiebig mit dem Reichstag und den Kurfürsten, unter dem Schlagwort „gelebtes Reich“ auch intensiv mit den „Fürsten des Reichs“, den „Bürgern im Reich“, der Germania Sacra und sogar den (Reichs-)Freien Herren, Reichsgrafen hingegen werden sowohl im Katalog- als auch im Essayband mit keinem einzigen Wort erwähnt, vgl. HANS OTTOMEYER, JUTTA GÖTZMANN und ANSGAR REIß (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495-1806 Bd. 1: Katalog (Begleitband zur Ausstellung des DHM Berlin 2006), Berlin 2006 S. 277-294 und S. 329- 383. 40 Vgl. schon den Titel der Arbeit von ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. 41 Vgl. ARETIN, Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745-1806) S. 13, v.a. zur Deutungshoheit und –macht der preußischen Historiographie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 42 Vgl. u.a. GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ, Anmerckungen bey einem Teutschen Discurs Notae in Notas, abgedruckt in: Akademie-Ausgabe IV-2, o.O. 1682, S. 386-393, vgl. zu Werk und Einfluss von LEIBNIZ auch HANS-PETER SCHNEIDER, Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Michael Stolleis (Hg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 1995, S. 197-226, hier v.a. S. 205-208. In vergleichbarer Weise spricht sich auch VON SECKENDORFF, obwohl selbst herausragender Vertreter eines Kleinterritoriums, gegen die Reichsunmittelbarkeit kleiner Grafen und Herren aus, denn wo ieder Herr selbständig über seine Dörffer herrscht, wer soll dann die Gute ordnung [...] exerciren?, Einleitung 15 der Staatswissenschaft des 18. Jahrhunderts nicht unumstritten,43 ihr großer Einfluss führte jedoch langfristig dazu, dass den Existenzbedingungen dieser kleinsten Glieder des Reichs bis in die Gegenwart hinein wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Erst in der jüngeren Forschung wurde die Rolle der kleinen reichsunmittelbaren Territorien für das Reich deutlicher, dessen eigentliches Rückgrat sie – bei immer stärker werdenden Unabhängigkeits- und Herauslösungstendenzen größerer Fürsten – bildeten, wie K.O. V. ARETIN gezeigt hat.44 Dort stellten sie, so die Ergebnisse, v.a. im Rahmen ihrer Korporationen ein wichtiges Gegengewicht zu mächtigeren Gliedern des Reichs dar, wie es auch bei Städte- und Ritterbünden zu beobachten war: man versuchte, seine Kräfte zu bündeln, alte Rechte zu konservieren und Übergriffen gemeinsam zu begegnen. Deshalb waren gerade die schwäbischen, fränkischen und niederrheinisch-westfälischen Grafenvereine in jüngerer Zeit immer wieder Gegenstand der Forschung,45 und mit den Arbeiten von G. SCHMIDT und etwas später A. KULENKAMPFF liegen auch für das Gebiet der Wetterau Untersuchungen vor.46 Die Arbeit von H. REIFF über den westfälischen Adel in der Übergangsphase zur Standesherrschaft bleibt v.a. deshalb zentral, weil sie umfassend und detailliert die Existenzbedingungen westfälischer Grafen gegen Ende des Alten ANDRES SIMSON VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Additiones oder: Ingaben und Erinnerungen zum Teutschen Fürsten-Staat (Neuauflage), Jena 1737 S.110. Von Seckendorff gesteht prinzipiell nur den politisch und ökonomisch ausreichend potenten Fürsten das Recht zu, selbständig regieren zu können. 43 MOSER etwa vertritt den Standpunkt, dass es zwar de Facto einen Unterschied zwischen Mächtigen und Mindermächtigen gibt, wobei er sich ausdrücklich auf Leibniz bezieht, dass aber die Reichsverfassung eine solche Unterscheidung nicht kennt und es von daher grundsätzlich keine bedeutenden und weniger bedeutendes Reichsstände für ihn gibt, vgl. JOHANN JACOB MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen, der Reichs-Ritterschafft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs- Glidern. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern, und eigener Erfahrung;[...] (Neues teutsches Staatsrecht 3;1), Frankfurt a.M. 1767 S. 17-18. 44 KARL OTMAR FREIHERR V. ARETIN, Heiliges Römisches Reich 1776 - 1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität (1), Wiesbaden 1967, S. 156; auch: RUDOLF VIERHAUS, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden, 1648-1763 (Propyläen Geschichte Deutschlands 5), Berlin 1984, S. 326. 45 Für das fränkische Kollegium FERDINAND MAGEN, Reichsgräfliche Politik in Franken. Zur Reichspolitik der Grafen von Hohenlohe am Vorabend und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Schwäbisch Hall 1975 und JOHANNES ARNDT, Rezension zu Ernst Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium im 16. und 17. Jahrundert, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 126 (1990), S. 712-713. Zu den westfälischen Grafen vgl. ARNDT, Das niederrheinisch-westfälische Reichsgrafenkollegium und seine Mitglieder (1653 - 1806). 46 GEORG SCHMIDT, Der Wetterauer Grafenverein : Organisation und Politik einer Reichskorporation zwischen Reformation und Westfälischem Frieden (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 52), Marburg 1989 und ANGELA KULENKAMPFF, Kuriatstimme und Kollegialverfassung der Wetterauer Grafen von 1663 - 1806. Ein Beitrag zur Reichsgeschichte aus der Sicht der mindermächtigen Stände, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), S. 485-504 sowie LUTZ HATZFELD, Zur Geschichte des Reichsgrafenstandes, in: Nassauische Annalen 70 (1959), S. 41-54. Einleitung 16 Reichs darstellt, aber durch ihre über das Ende des Alten Reichs hinaus reichende Untersuchungszeit auch in der Lage ist, Brüche und Kontinuität gleichermaßen aufzuzeigen.47 Einen ähnlichen Schwerpunkt setzen J. BRÜCKNER für Stollberg48 und H. STOCKERT für seine Untersuchung der Grafen von Löwenstein-Wertheim;49 während der Erste eine ausgesprochene Langzeitstudie für die Zeit vom Hochmittelalter bis zum Wiener Kongress unternimmt, verfolgt der Letztere die Entwicklung bis zur Revolution 1848/49 und beschreibt, wie es den Wertheimern gelang, nicht nur ihren materiellen Lebensstandard, sondern auch Teile ihrer politischen Handlungsfähigkeit zu erhalten. Unter anderen Gesichtspunkten sind in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten weitere Einzelstudien zu den Reichsgrafen der Frühen Neuzeit entstanden. C. H. HAUPTMEYER fragte, wie, ob und in welchem Umfang ein „Kleinstaat“ wie Schaumburg-Lippe als souverän zu bezeichnen sei und welche Rolle die dortigen Landstände spielten.50 M. MÜLLER untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Landesverwaltung und den dörflichen Gemeinden während des von ihm so bezeichneten „Hochabsolutismus“ in Sayn-Hachenburg.51 Gegenüber diesen beiden Arbeiten, deren Interesse eher der sich in Auseinandersetzung mit Ständen und Gemeinden konstituierenden „Staatlichkeit“ der reichsgräflichen Territorien gilt, werfen zwei Untersuchungen über Ysenburg-Büdingen52 bzw. Waldeck53 – beides Mitglieder des Wetterauer Grafenvereins – die Frage nach dem Haus, seinen Normen und deren Umsetzung auf, messen also dem Dynastiegedanken größere Bedeutung zu.54 47 Vgl. HEINZ REIF, Westfälischer Adel 1770-1860: vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 27), Göttingen 1979. 48 Vgl. JÖRG BRÜCKNER, Zwischen Reichsstandschaft und Standesherrschaft. Die Grafen zu Stolberg und ihr Verhältnis zu den Landgrafen von Thüringen und späteren Herzögen, Kurfürsten bzw. Königen von Sachsen (1210 - 1815), [http://archiv.tu-chemnitz.de/pub/2003/0162/data/diss.pdf] (10.04. 2005). 49 Vgl. STOCKERT, Adel im Übergang: die Fürsten und Grafen von Löwenstein-Wertheim zwischen Landesherrschaft und Standesherrschaft 1780 – 1850. 50 Vgl. CARL-HANS HAUPTMEYER, Souveränität, Partizipation und absolutistischer Kleinstaat. Die Grafschaft Schaumburg (-Lippe) als Beispiel, Hildesheim 1980. 51 MÜLLER, Gemeinden und Staat. 52 THOMAS MUTSCHLER, Haus, Ordnung, Familie. Wetterauer Hochadel im 17. Jahrhundert am Beispiel des Hauses Ysenburg-Büdingen (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte Bd. 141), Darmstadt / Marburg 2004. 53 HELGA ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft. Politischer Wandel in der Grafschaft Waldeck zwischen 1680 und 1730 (Waldeckische Forschungen 13), Bad Arolsen 2004. 54 Die Arbeit von STEPHANIE MARRA, Allianzen des Adels: dynastisches Handeln im Grafenhaus Bentheim im 16. und 17. Jahrhundert, Köln 2006 lag nicht mehr rechtzeitig vor und konnte deshalb nicht berücksichtigt werden, obwohl sie neue Einblicke in dynastische Strategien des reichsunmittelbaren Hochadels erwarten lässt. Einleitung 17 Für das Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg insgesamt bleibt dagegen die bereits weiter oben zitierte Arbeit von V. PRESS zum Verhältnis von Reichsgrafenstand und Reich weiterhin maßgebend; vor allem die durch ihn begonnene Integration der Geschichte der Territorien und Regionen in die Reichsgeschichte kann als wegweisend bezeichnet werden. In seiner Tradition fragte J. ARNDT später in einem Aufsatz nach der strukturellen Bedeutung von Reich und Kaiser im 17. und 18. Jahrhundert für die Grafschaft Lippe,55 darüber hinaus untersuchte unlängst B. STOLLBERG-RILINGER in einem Aufsatz die Rolle der Grafen in der Reichspublizistik, wobei sie die publizistische Tätigkeit als einen zentralen Weg der Grafen wertete, existentiellen Herausforderungen zu begegnen.56 Außerdem hat J. ARNDT eine Studie zur sozialen und politischen Situation der Grafen im Alten Reich vorgelegt,57 in der er ihre verfassungsrechtliche Stellung, Abgrenzung nach unten und Aufstiegsbestrebungen in ihren Auswirkungen auf genossenschaftliche bzw. solidarische Organisiertheit untersucht. Eine ganz andere, in den letzten Jahren immer einflussreicher gewordene Forschungsrichtung, deren zentrales Interesse zwar nicht den Reichsgrafschaften gilt, die aber für das hier zu entwickelnde Konzept der delegierten Herrschaft von großer Bedeutung ist, befasst sich mit lokaler Herrschaft bzw. Gesellschaft in vielen Dimensionen. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Arbeiten von A.HOLENSTEIN, die zwar von den Forschungen P.BLICKLES inspiriert sind, aber insgesamt über seine starke Betonung der Rolle des „Gemeinen Mannes“ hinaus gehen und durch Einbeziehung mehrerer personaler und institutioneller Ebenen ein neues Modell frühneuzeitlicher Herrschaft entwickeln können.58 Aus einer anderen Richtung kommend, aber ähnliche Interessen verfolgend lehnt auch S. BRAKENSIEK ältere Erklärungsansätze wie den Absolutismus nicht kategorisch ab, sondern versucht der 55 Vgl. JOHANNES ARNDT, Die Grafschaft Lippe und die Institutionen des Heiligen Römischen Reiches im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1989), S. 149-176 56 STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand. 57 JOHANNES ARNDT, Zwischen kollegialer Solidarität und persönlichem Aufstiegsstreben. Die Reichsgrafen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch (Hg.), Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (1600-1789), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 105-128. 58 Vgl. u.a. ANDRÉ HOLENSTEIN, "Gute Policey" und lokale Gesellschaft im Staat des Ancien Regime. Das Fallbeispiel der Markgrafschaft Baden (-Durlach) (Frühneuzeit-Forschungen Bd. 9;1),Tübingen 2003. Vgl. zur neuen Policeyforschung weiterhin ACHIM LANDWEHR, Policey vor Ort. Die Implementation von Policeyordnungen in der ländlichen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Karl Härter (Hg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft (Ius commune Sonderheft 129), Frankfurt a.M. 2000, S. 47-70. Einleitung 18 diagnostizierten Multikausalität beobachteter Phänomene durch einen eher integrativen Ansatz gerecht zu werden.59 1.2.2 Adelige und reichsständische Ökonomie Während es heute bereits eine Reihe von Arbeiten zu spezielleren Fragen der adligen Ökonomie gibt, die sich mit Rechnungswesen, Buchführung und anderen wirtschaftshistorischen Aspekten beschäftigen,60 sind auch einzelne adlige Haushalte schon Gegenstand der Forschung gewesen. Allerdings beschäftigen sich diese Untersuchungen entweder lediglich mit dem herrschaftlichen Haushalt im engeren Sinne, also der Einrichtung des Hauses, der Zusammensetzung seiner Bewohnerschaft sowie seinen Einnahmen und Ausgaben,61 und betrachten nicht die gesamte ökonomischen Situation der Herrschaft, oder sie besprechen die Frage im Zusammenhang mit „adligem Alltag“ eher am Rande.62 Eine der wenigen umfassenden Darstellungen adliger Wirtschaftsverhältnisse des deutschsprachigen Raums behandelt den bayerischen Niederadel.63 Eine andere Herangehensweise zeigen die Arbeiten, die sich dem Thema gleichsam von der anderen Seite her nähern, indem sie die Abgaben und Dienste von Bauern untersuchen64 und dabei die Einnahmen der adligen Herrschaften zu großen Teilen aufzeigen können. Dabei ist vor allem der Bereich der Gutsherrschaft mittlerweile recht ausführlich bearbeitet worden, so dass zu den Lebensbedingungen, den rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen von Gutsuntertanen und – herrschaften östlich und westlich der Elbe eine stattliche Anzahl neuerer Darstellungen vorliegt.65 Im Rahmen der Forschung zu Konflikten zwischen Bauern 59 Vgl. BRAKENSIEK, Lokale Amtsträger, hier S. 65-67. 60 Siehe u.a. HARM V. SEGGERN und GERHARD FOUQUET (Hg.), Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit, Ubstadt-Weiher 2000. 61 So z.B. IRMINTRAUT RICHARTZ, Herrschaftliche Haushalte in vorindustrieller Zeit im Weserraum, Berlin 1971. 62 BEATE SPIEGEL, Adliger Alltag auf dem Land : eine Hofmarksherrin, ihre Familie und ihre Untertanen in Tutzing um 1740, Münster 1997. 63 MARGIT KSOLL, Die wirtschaftlichen Verhältnisse des bayerischen Adels 1600-1679. Dargestellt an den Familien Törring-Jettenbach, Törring zum Stain sowie Haslang zu Haslangkreit und Haslang zu Hohenkammer (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 83), München 1986. 64 Vgl. HANS CHRISTIAN STEINBORN, Abgaben und Dienste holsteinischer Bauern im 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins Bd. 79), Neumünster 1982. 65 So JAN KLUSSMANN, Lebenswelten und Identitäten adliger Gutsuntertanen: das Beispiel des östlichen Schleswig-Holstein im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2002, vor allem aber JAN PETERS (Hg.), Gutsherrschaftsgesellschaften im europäischen Vergleich, Berlin 1997 und JAN PETERS (Hg.), Einleitung 19 und Grundherren und bäuerlichem Widerstand nach dem Bauernkrieg66 wird wiederum vorwiegend der niedere Adel zum Gegenstand des Interesses. Eine der wenigen umfassenden Untersuchungen wirtschaftlicher Verhältnisse einer Grafschaft ist für Solms-Rödelheim 1952 durch W. ENGELBACH unternommen worden, der einleitend die Grundlagen – Grundbesitz, Handwerk, Handel, Gemeinden und Verwaltung – darstellt und sich nachfolgend ausführlich den die Einnahmen und Ausgaben betreffenden Rechnungen widmet.67 Seine Auffassung von Wirtschaftsgeschichte ist dabei eine ganz traditionelle, weshalb er auf eine Fragestellung verzichtet und sich auf die statistische Erfassung und Bearbeitung der Kellereirechnungen beschränkt, „um der Forschung einen Beitrag an Grundlagen zu leisten, auf den aufbauend Berufenere zu weiteren Erkenntnissen kommen mögen“.68 Insofern ist auf diesem Gebiet bereits eine recht gute Vorarbeit geleistet worden. Außerdem liegt mit J. ACKERMANNS Studie zur Grafschaft Ysenburg-Büdingen seit Neuestem eine Arbeit zur finanziellen Situation einer Grafschaft – im Wesentlichen im 18. Jahrhundert – vor, die sich vor allem mit der Verschuldung und deren Gründen befasst69. Insgesamt aber sind wirtschafts- und sozialhistorisch die Gebiete des nichtfürstlichen Hochadels auch in der Wetterau bislang kaum erschlossen und laden zu intensiveren Forschungen geradezu ein. 1.2.3 Solms und Solms-Rödelheim In der Literatur taucht Solms-Rödelheim vor allem in drei Zusammenhängen auf: zum einen im Kontext von Arbeiten über die gesamte Wetterau als historische Region, zum zweiten als Teil des ganzen gräflichen Hauses Solms und zuletzt – dies der am wenigsten umfangreiche Teil – in Arbeiten über Rödelheim selbst. Naturgemäß wird unser Untersuchungsraum dort zum Thema, wo man sich mit der Wetterau insgesamt beschäftigt. Hervorzuheben sind dabei die Arbeit von W. Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frühneuzeitlicher Agrargesellschaften (Historische Zeitschrift Beiheft 18), München 1995. 66 V.a. WERNER TROßBACH, Bauern 1648 - 1806 (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 19), München 1993, speziell zu Wetterau und Vogelsberg TROßBACH, Bauernbewegungen. 67 WILHELM ENGELBACH, Studien zur Wirtschaftsgeschichte der Grafschaft Solms-Rödelheim (ms. Diss.), Marburg 1952. 68 ebd. Bd. 1 S. 3. 69 ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Einleitung 20 TROßBACH zu Wetterauer Bauernbewegungen70, von G. MENK zur politischen Kultur in den Wetterauer Grafschaften Ende des 17. / Anfang des 18. Jahrhunderts71 und von F. WOLFF zu Grafen und Herren in Hessen72. Die weitaus meisten Untersuchungen betreffen aber einen wesentlich früheren Zeitraum bis maximal in das 16. Jahrhundert73. Als bislang umfassendste Darstellung der Geschichte des Hauses Solms liegt ein Werk aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Feder eines Angehörigen dieses Hauses vor,74 das alle Zweige der Familie umfasst. Neben einem recht ausführlichen genealogischen Teil nehmen allerdings Wirtschaft und Politik innerhalb des solmsischen Besitzes einen eher kleinen Teil ein, hier kann von einer vollständigen Untersuchung bei weitem keine Rede sein. Vielmehr liegt der Schwerpunkt ganz eindeutig auf „merkwürdigen Begebenheiten“ und dem Versuch, den Glanz des Hauses und seiner mehr oder weniger bedeutenden Angehörigen zu mehren. An vielen Stellen ist die Darstellung voller Fehler und muss deshalb in jedem Einzelfall gesondert überprüft werden.75 Von größerer Bedeutung sind darüber hinaus V. PRESS´ Darstellung des gescheiterten Versuchs aller Grafen von Solms, Anfang des 17. Jahrhunderts sich mit einer gemeinsamen Politik von ihrer Verschuldung zu befreien76 und die etwas weiter zurückliegenden Arbeiten F. UHLHORNS, der sich eingehend mit der Wetterau und einzelnen Territorien beschäftigt hat.77 Mit ausgesprochen bau- und architekturhistorischem Schwerpunkt untersucht darüber hinaus D. LOYAL die 70 TROßBACH, Bauernbewegungen. 71 GERHARD MENK, Die politische Kultur in den Wetterauer Grafschaften am Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Wirkung monarchomachischer Theorie auf den deutschen Territorialstaat, in: Hessisches Jahrbuch zur Landesgeschichte (1984), S. 67-100. 72 WOLFF, Grafen und Herren. 73 Z.B. WOLF-ARNO KROPAT, Reich, Adel und Kirche in der Wetterau von der Karolinger- bis zur Stauferzeit,Friedberg 1962 und REIMER STOBBE, Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters (Geschichte von Wetterau und Vogelsberg Bd. 1), Friedberg 1999. Diese Reihe wartet bislang auf ihre Fortsetzung. 74 SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms. 75 Als ein Beispiel sei der kurze Absatz über Graf Johann Karl Eberhard auf S. 327 angeführt, in dem auf 9 Zeilen gleich drei wesentliche Fehler enthalten sind: der Graf war nicht Generalmajor im Dienst des Herzogs von Savoyen, sondern in königlich spanischen Diensten; er überließ nicht 1696, sondern 1695 seine Landesherrschaft seinen beiden jüngeren Brüdern, und er starb nicht 1691 in Savoyen, sondern 1699 in Rödelheim. 76 VOLKER PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms. Ein ständisches Experiment am Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Hessisches Jahrbuch zur Landesgeschichte 27 (1977), S. 37-106. 77 U.a. FRIEDRICH UHLHORN, Ein patriarchalisches Zeitalter: Kulturbilder aus der Geschichte der Grafen zu Solms, Marburg 1962 und Ders., Grundzüge der Wetterauer Territorialgeschichte, Friedberg 1927. Einleitung 21 Konzeption und Errichtung des Assenheimer Schlosses unter Graf Johann Ernst Karl nach 1780.78 Neben der bereits erwähnten wirtschaftshistorischen Dissertation ENGELBACHS zu Solms-Rödelheim79, die den gesamten Zeitraum von 1461 bis 1806 umfasst, gibt es eine Lebensbeschreibung des Grafen Volrat zu Solms-Rödelheim von W.-K. ZU ISENBURG80, die sich kurz mit Kindheit und Jugend Volrats und etwas ausführlicher mit seiner Tätigkeit als letzter Regent Rödelheims in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschäftigt; aufgrund ihres Material- und Detailreichtums bietet sie einen außerordentlich guten Zugang zu Persönlichkeit, Alltag und Plänen Volrats. Daneben existieren lediglich noch einige ausgesprochen lokalgeschichtliche Arbeiten, die zwar ausgesprochen aufschlussreich für einzelne Orte und ihre Geschichte, z.T. auch ihre Einbindung in die Grafschaft, jedoch naturgemäß wenig bis nichts zur Rolle der Reichsgrafschaft im Reich beitragen können.81 1.3 Quellen 1.3.1 Archivalische Überlieferung Aufgrund der territorial geregelten Zuständigkeit werden die die Landesverwaltung Solms-Rödelheims betreffenden Akten in der Hauptsache im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt gelagert und verwaltet.82 Im Bestand F („Archive ehemals selbständiger Institutionen und Standesherrschaften“) sind unter der Nummer 24 die Akten von Haus, Reich und Landesverwaltung sowie die Amtsbücher der Grafschaft Solms-Rödelheim für einen Zeitraum vom frühen 15. bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts verzeichnet. Aus dem Bestand F 24 sind 78 Vgl. DIERK LOYAL, Die Solmser Residenz in Assenheim. Eine baugeschichtliche Untersuchung, in: Wetterauer Geschichtsblätter 41 (1992), S. 141-293. 79 ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte. 80 WILHELM KARL PRINZ ZU ISENBURG, Um 1800. Aus Zeit und Leben des Grafen Volrat zu Solms- Rödelheim, Leipzig 1927. 81 WALTER BRIEKE (Hg.), 1200 Jahre Rödelheim: 788 - 1988 (Festschrift zur 1200-Jahrfeier von Rödelheim), Frankfurt-Rödelheim 1988 und älter LUDWIG HEINRICH EULER, Dorf und Schloss Rödelheim: Beiträge zu der Geschichte derselben; mit einer Abbildung des Schlosses und 1 Siegeltafel (Neujahrsblatt den Mitgliedern des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M.), Frankfurt a. M. 1859, für Assenheim LUMMITSCH, Geschichte der Stadt Assenheim, für Niederwöllstadt DIETER WOLF und FRITZ RUNGE (Hg.), 1200 Jahre Wöllstadt 790-1990. Aus der Geschichte von Nieder- und Oberwöllstadt, Horb a.N. 1990. 82 Vgl. die Übersicht über die Verwaltungs- und Archivgeschichte in FRANZ, Grafschaft Solms- Rödelheim S. 11 ff. Einleitung 22 insbesondere die Buchstaben A (Akten Haus und Reich) sowie B (Amtsbücher) intensiv herangezogen worden83, während der Buchstabe C (Ortsakten) nur zum Teil und v.a. für die Prüfung von Gegenüberlieferungen und für die Untersuchung der sicherheits- und ordnungspoliceylichen Maßnahmen und ihrer Umsetzung vor Ort benutzt wurde. Die unter Buchstabe D erfassten Bergbauakten setzen erst im frühen 19. Jahrhundert ein und waren dem entsprechend weniger von Interesse. Darüber wurde auch der Bestand B 9 des Staatsarchivs Darmstadt intensiv bearbeitet, in dem sich die Urkunden der Grafschaft Solms-Rödelheim vom 13. bis ins 20. Jahrhundert befinden.84 Wesentliche Teile der Solms-Rödelheimer Überlieferung liegen aufgrund einer Teilung der Bestände in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute auf Schloss Assenheim als dem gegenwärtigen Sitz der Grafen zu Solms-Rödelheim und Assenheim.85 Da es sich um ein Privatarchiv handelt, war die Benutzung nur eingeschränkt und nach Absprache mit der gräflichen Familie und Verwaltung möglich, erwies sich im Nachhinein aber als unkompliziert und sehr ertragreich.86 Insbesondere die Bearbeitung von Korrespondenz, Familienverträgen und persönlichen Aufzeichnungen wäre ohne die Einsicht in die Assenheimer Bestände nicht möglich gewesen. Aufgrund der Erweiterungen von Herrschaft und Besitz der Reichsgrafen im 18. Jahrhundert erweiterte sich auch der Kreis der in Frage kommenden Archive um die baden-württembergischen Staatsarchive Wertheim und Ludwigsburg (hier der Bestand B 114 für die Grafschaft Limpurg-Gaildorf-Solms-Assenheim) und das rheinland-pfälzische Landeshauptarchiv Koblenz (für die Herrschaft Cratz von 83 Vgl. ebd.. 84 Vgl. BATTENBERG, Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913; Ders., Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913 (Bd. 2), Darmstadt 1982; Ders., Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913 (Bd. 3), Darmstadt 1983; Ders., Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913 (Bd. 4),Darmstadt 1984; Ders., Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913 (Bd. 5), Darmstadt 1986. 85 Zur Vorgeschichte und den Gründen dieser Teilung siehe das Vorwort zu WOLF et al., Repertorium des Archivs Solms-Rödelheim in Schloss Assenheim. 86 An dieser Stelle noch einmal ein herzlicher Dank an Graf Philipp und den Kammerdirektor Bücken für die angenehme Kooperation und vielfältige Unterstützung. Einleitung 23 Scharffenstein). Deshalb wurden die Bestände dieser beiden Archive ebenfalls bearbeitet und in die Untersuchung mit aufgenommen. Außerdem sind für die Klärung der Erb- und Vermögensangelegenheiten des Grafen Wilhelm Karl Ludwig von Solms-Rödelheim die Bestände der Adelsarchive in Anholt (Salm-Salm), Erbach (Grafen zu Erbach-Erbach) und im Staatsarchiv Chemnitz (Herrschaft Solms- Wildenfels) überprüft worden.87 Darüber hinaus wurden zur Untersuchung der Aufteilung der Grafschaft Solms-Rödelheim nach dem erbenlosen Tod Graf Friedrichs 1635 Akten des Generallandesarchivs Karlsruhe (für die Überlieferung der Ehefrau Friedrichs, Anna Maria geb. Gräfin von Hohengeroldseck) bearbeitet und mit der „Beschreibung der alten Graffschaft Solms“ des fürstlich-lippischen Archivrats J. Knoch auch eine Landesbeschreibung des späten 18. Jahrhunderts aus den Beständen der Handschriftenabteilung der Murhardschen und Landesbibliothek in Kassel einbezogen, mit deren Hilfe einige bis zuletzt bestehende Lücken im Gesamtbild der Grafschaft Solms-Rödelheim geschlossen werden konnten.88 1.3.2 Gedruckte Quellen Die Grafen und ihre Rechte bzw. Rechtsstreitigkeiten haben vielfältigen Eingang in die Reichspublizistik gefunden. Entsprechend groß ist die Zahl der zu berücksichtigenden Schriften.89 Als eine der Wichtigsten muss sicher der „Thesaurus Iuris“ von JOHANN CHRISTIAN LÜNIG gelten,90 der bereits in der Bibliothek der Grafen im 18. Jahrhundert zu finden war91 und eines der zentralen Kompendien reichsgräflicher Prärogative und damit ein unersetzliches Handbuch für den 87 Den dort tätigen Archivaren sei an dieser Stelle für ihre Unterstützung, sei es in Form von Auskünften oder Hinweisen, gedankt. 88 Das gilt insbesondere für den genauen Umfang der Grafschaft Solms-Rödelheim Ende des 18. Jahrhunderts; angesichts des Fehlens eines genauen Katasters, auf dem auch kleine und kleinste Besitzungen erfasst wären, sind Landesbeschreibungen wertvoll, vgl. KNOCH, Beschreibung. 89 Vgl. dazu v.a. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, .weiterhin JOHANN STEPHAN BURGERMEISTER, Graven- und Rittersaal / Das ist gründliche Vorstellung, welcher gestalt des H. Röm. Reichs Grafen / Herren und die andere Reichritterschafft [...] mit ihren Aembtern / Rechten / Freyheiten und Gewohnheiten gegen- und beyeinander gestanden, Ulm 1715 mit einem umfassenden Überblick über bis dahin publizierte Abhandlungen zu Stand und Praerogativen der Grafen. 90 JOHANN CHRISTIAN LÜNIG, Thesaurus juris derer Grafen und Herren des Heiligen Roemischen Reichs, worinn von deren Ursprung, Wachsthum, Praerogativen und Gerechtsamen gehandelt, Frankfurt a.M. u.a. 1725. Geschrieben wurde es im Auftrag des Kammerrichters Graf Philipp Carl von Hohenlohe; sein wichtigstes Anliegen ist es, die Standeslücke zwischen Fürsten und Grafen zu minimieren und zu zeigen, dass Reichsgrafen ihrem Ursprung nach gleichwertig seien, vgl. ebd. Sp. 6- 88. Lünig argumentiert historisch, so ist ihm ein wichtiges Indiz für die Gleichwertigkeit der Umstand, dass aus den Reihen der Grafen bereits Kaiser erwählt worden sind, vgl. ebd. Sp. 404-405. 91 Vgl. Inventar des Nachlasses Wilhelmine Christines vom 22.5.1758, ASR 509. Einleitung 24 Alltagsgebrauch darstellte. Darüber hinaus war LÜNIG einer der produktivsten Staatsrechtler des 18. Jahrhunderts, der u.a. Korrespondenzen, Reichstagsabschiede und andere juristische und diplomatische Dokumente in großer Zahl sammelte und veröffentlichte,92 die für die Fragestellung herangezogen werden konnten. Darüber hinaus können nicht nur die Publikationen der großen Staats- und Verwaltungspublizisten des 17. und 18. Jahrhunderts SECKENDORFF, PÜTTER und MOSER,93 die wohl in keiner gut sortierten frühneuzeitlichen Handbibliothek eines reichsgräflichen Regenten fehlten, wertvolle Zugänge zur Situation der Reichsgrafen in der (Reichs-) Verfassung einerseits und zu juristischen Grundlagen und Verwaltungspraxis in ihren Territorien andererseits bieten, sondern auch die Werke weniger bekannter oder regional spezialisierterer Autoren, weil sie einen Überblick über die zeitgenössischen Diskurse und Problemfelder reichsgräflicher Existenz vermitteln können.94 Weitere juristische Abhandlungen, die z.T. ganz gezielt für bestimmte Fragen oder Streitigkeiten in Auftrag gegeben und verfasst wurden, sind an den entsprechenden Stellen in die Darstellung eingeflossen.95 Im Zusammenhang mit Heiraten und Erbauseinandersetzungen jeder Form sind sowohl juristische 92 Vgl. ebd., zusätzlich LÜNIG, Thesaurus juris sowie WILHELM LUDWIG WIRTH, Johann Christian Lünigs neueröffnetes Europäisches Staats-Titular-Buch [...] (2 Bde.), Leipzig 1737 sowie viele andere mehr. 93 JOHANN STEPHAN PÜTTER, Beyträge zum teutschen Staats- und Fürsten-Rechte (1), Göttingen 1777, ANDRES SIMSON VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten Staat (Neuauflage), Jena 1737 sowie VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Additiones oder: Ingaben und Erinnerungen zum Teutschen Fürsten-Staat (Neuauflage). Von Moser kommen insbesondere folgende Einzelbände aus dem „Neuen teutschen Staats-Recht“ in Frage: MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1, Von denen teutschen Reichs-Ständen, der Reichs-Ritterschafft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs-Glidern. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs- Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern, und eigener Erfahrung;[...] (Neues teutsches Staatsrecht 3;2), Frankfurt a.M. 1767 sowie beide Teilbände: Von der Landeshoheit im weltlichen, und zwar: 1. in Regierungs-Sachen; 2. in Justiz-Sachen; 3. in Militair-Sachen; 4. in Steuer-Sachen; 5. in Cameral-Sachen; 6. in Policey-Sachen; 7. in Gnaden-Sachen; 8. in Sachen, so der Unterthanen Personen und Vermögen; wie auch 9. in Sachen, welche Erde, Wasser, usw. betreffen (Neues teutsches Staatsrecht 16), Frankfurt a.M. 1772 sowie Ders., Diplomatisches Archiv des XIIX. Jahrhunderts, darinnen viele wichtige / das Heil Röm. Reich und dessen Stände betreffende Urkunden, so vom Jahr 1701 an biß jetzo abgefasset worden und bißhero ungedruckt gewesen, oder doch in keiner Lünigischen Sammlung anzutreffen seynd [...], Frankfurt a.M. 1743. 94 ADOLF FELIX POSSE, Prüfung des Unterschieds zwischen Erbfolgerecht und Erbfolgeordnung, in Hinsicht auf die neuesten reichsständischen Erbfolgestreitigkeiten, Rostock u.a. 1796, FRIEDRICH CHRISTOPH JONATHAN FISCHER, Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Policeyrechte: sowol von Teutschland überhaupt als insbesondere von den Preussischen Staaten (1), Frankfurt a. d. Oder 1785, CHRISTOPH CHRISTIAN VON DABELOW, System des gesammten heutigen Civil-Rechts (2), Halle 1796. 95 JOHANNES WILHELMUS WALDSCHMIEDT und JOHANNES CAROLUS CRANZ, Dissertatio Jvris Pvblici De S.R.G.J. Comitum Austregis, = Von Reichs-Gräfflichen Austrägen, Marburgi Cattorum 1716 sowie REPERT SCHEIDEMANTEL, Repertorium reale pragmaticum iuris publici et feudalis imperii Romano-Germanici oder das Heil. Röm. Reichs Staats- und Lehn-Recht (1), Leipzig 1782, beide zu den reichsgräflichen Austrägen. Einleitung 25 Traktate über die wichtige Frage der Missheiraten96 als auch genealogische Abhandlungen über den Hochadel, die in der Frühen Neuzeit zu genau diesem Zweck in großer Zahl entstanden, für die Untersuchung benutzt worden.97 Von den großen allgemeinen Lexika und Handbüchern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sind vor allem der „Zedler“ als der Standardzugang zu einzelnen Begriffen aus zeitgenössischer Perspektive98 und der „Krünitz“99 als umfangreichste Enzyklopädie sowie die Wörterbücher von Adelung100 und Grimm101 herangezogen worden. 96 Z.B. PÜTTER, Staats- und Fürstenrecht. 97 LUDWIG CHRISTOPH HEINRICH ZEIBICH, Genealogische Tabellen über das Ur-Alte Reichs-Gräfliche Haus zu Solms, Berlin / Wittenberg / Zerbst 1709, JOHANN GOTTFRIED BIEDERMANN, Geschlechts- Register der Reichs Frey unmittelbaren Ritterschafft Landes zu Francken löblichen Orts Ottenwald, Culmbach 1751 sowie DAMIAN HARTARD VON UND ZU HATTSTEIN, Die Hoheit des teutschen Reichs- Adels wordurch derselbe zu Chur- und fürstlichen Dignitäten erhoben wird. Das ist: vollständige Probe der Ahnen unverfälschter adlicher Famillen, ohne welche keiner auff Ertz- Dhomb- hoher Orden- und Ritter-Stiffter gelangen kan oder angenommen wird (1), Fulda 1729. 98 JOHANN HEINRICH ZEDLER, Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Leipzig/Halle 1732-1754 (33 Bde). 99 JOHANN GEORG KRÜNITZ, Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft: in alphabetischer Ordnung, Berlin 1773-1858 (242 Bde). 100 JOHANN CHRISTOPH ADELUNG, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Wien 1811 (4 Bde). 101 JACOB GRIMM, Deutsche Rechtsalterthümer, Darmstadt 1955. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 26 2 Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft: Strukturen und Handlungsfelder Wenn Menschen im 17. und 18. Jahrhundert von dem „regierenden Reichsgrafen von Solms-Rödelheim“ sprachen, meinten sie, abhängig von der Situation und der eigenen Position, zwar eventuell dasselbe Individuum, aber möglicherweise trotzdem etwas völlig Unterschiedliches. Ein Ossenheimer Bauer sprach vielleicht von seinem Grundherrn, dem er zinspflichtig war; der Assenheimer Bürger meinte eventuell den Landesherrn, der die Matrikularbeiträge von ihm einforderte, ein Ackermann aus Hirschfeld den Leibherrn, dem er jährlich ein Huhn zu liefern hatte. Der Reichsgraf von Leiningen könnte den Kollegen im Wetterauer Grafenverein, der Reichsgraf von Solms-Laubach den Großneffen oder den Senior des Hauses und der Schenck zu Schweinsberg seinen Lehnsherren gemeint haben. So sieht sich auch der Historiker mit der Tatsache konfrontiert, dass ein regierender Reichsgraf nicht nur – und dadurch unterscheidet er sich vom Niederadel wie von Fürsten und Monarchen – ein Landesherr aus dem nichtfürstlichen Hochadel, also mit ganz spezifischen Vorrechten und Kompetenzen auf Kreis- und Reichsebene ausgestattet war, sondern gleichzeitig und darüber hinaus auch Leib- und Grundherr, Reichs- und Kreisstand, Angehöriger des reichsgräflichen Hauses und mehr. Unabhängig von der Person war nämlich die Position des regierenden Reichsgrafen definiert durch ein Konglomerat einzelner Kompetenzen und damit einhergehender Erwartungen. Die Gesamtrolle eines „regierenden Reichsgrafen“ setzte sich also aus einer Vielzahl von Einzelrollen zusammen.102 Die Schauplätze, auf denen er seine unterschiedlichen Rollen spielte, waren nicht in allen Fällen geographisch deckungsgleich. Zwar war er häufig in einem Dorf, über das er die Landesherrschaft ausübte, gleichzeitig auch Grundherr und in einigen Fällen Leibherr, in vielen anderen Fällen jedoch gab es weniger oder keine Überschneidung der herrschaftlichen Sphären. 102 Zur soziologischen Fundierung der sog. „Rollentheorie“ vgl. UTA GERHARDT, Rollenanalyse als kritische Soziologie. Ein konzeptueller Rahmen zur empirischen und methodologischen Begründung einer Theorie der Vegesellschaftung (Soziologische Texte 72), Berlin 1971 mit ihrer Weiterentwicklung von RALF DAHRENDORF, Homo sociologicus, Köln/Opladen 1966 für die deutschsprachige Soziologie. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 27 Im folgenden Kapitel sollen diese vielfältigen, sich z.T. überlagernden oder ergänzenden Rollen und Handlungsfelder entwirrt und den jeweiligen Schauplätzen zugeordnet werden; insbesondere wird dabei nach den Rahmenbedingungen der verschiedenen Rollen zu fragen sein, die die Akteure des Spiels vorfanden, innerhalb derer sie die ihnen zufallenden Rollen spielten und die sich ihnen eröffnenden Freiräume auf je eigene Weise nutzten. Zu den Rahmenbedingungen zählt zunächst das „Land“, auf das sich die „Landesherrschaft“ der Reichsgrafen schon rein sprachlich zu beziehen hätte. Ob ein solches – auch unabhängig von der Person des Landesherren – existierte, wird untersucht; dabei wird sich die Landesherrschaft als wichtiges integrierendes Moment der Lande erweisen und dem entsprechend in ihrer spezifisch reichsgräflichen Ausprägung eingehender zu betrachten sein. Den Rahmenbedingungen der weiteren Handlungsfelder und Rollen der Grafen als Grund-, Leib- und Lehnsherren ist der letzte Teil des Kapitels gewidmet. Zunächst jedoch soll die Basis ermittelt werden, auf der die reichsgräfliche Landesherrschaft fußte, und die in ihrer spezifischen Ausprägung in Solms- Rödelheim erfasst werden soll. Denn die verwickelte und völlig uneinheitliche Verfassungswirklichkeit im Alten Reich macht es nötig, so eine alte Forderung Friedrich Uhlhorns, „die unterschiedlichen Verhältnisse im einzelnen zuverlässig aufzuhellen [...]“,103 das heißt in jedem Einzelfall die ganz eigene Dimension von Landesherrschaft zu betrachten. 2.1 Reichsgräfliche Landesherrschaft – reichsgräfliche Landeshoheit? Untrennbar verbunden mit der Vorstellung von frühneuzeitlicher Landesherrschaft sind die Reichsstandschaft und Reichsunmittelbarkeit der Landesherrn. Die Reichsstandschaft hing grundsätzlich nicht von einem Titel ab. Die Grafenwürde konnte auch als bloßer Titel ohne Reichsstandschaft verliehen werden, was die so genannten „Titulargrafen“ hervorbrachte. Zudem gab es auch nicht wenige Grafen, deren Haus zwar den Titel seit dem Mittelalter führte, die aber als Landsässige größerer Fürstentümer zum Mediatadel gehörten.104 Nicht ein Titel also, 103 UHLHORN, Hessen um 1550, hier S. 99. 104 Das galt z.B. für die Solmser Linien Baruth und Pouch, die zwar uneingeschränkt zum reichsgräflichen Haus gehörten und vollkommen gleichberechtigt an Haus- und Familientagen Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 28 sondern allein der Besitz von Gebieten, mit denen ein Sitz und eine Stimme im Reichstag verbunden war, bedeutete die Reichsstandschaft. J.J.Moser formulierte es so: Ein Stand des Teutschen Reichs ist eine Person, oder Commun, welche 1. ein unmittelbares Land oder Gebiet besizet, und 2. in Ansehung desselbigen Siz und Stimme auf allgemeinen Reichs-Versammlungen hat.105 Wie in anderen Fällen – etwa bei der Zugehörigkeit zu einer Korporation wie dem Wetterauer Grafenverein – richtete sich hier der Status des Besitzers also nach dem Status des Landes und nicht umgekehrt.106 Reichsstand war eben nur, wer ein Gebiet besaß, mit dem die Reichsstandschaft verbunden war. Auch die Reichsunmittelbarkeit war eine Qualität des Landes und nicht einer Person oder Familie. Prinzipiell war ein Gebiet, an dem die Reichsstandschaft haftete, reichsunmittelbares Land und wurde als Reichslehen vergeben; umgekehrt war ein Besitzer reichsunmittelbaren Landes in der Regel auch Reichsstand. Es gibt jedoch nicht wenige Beispiele dafür, dass auch die Lehnbarkeit einem Fürsten gegenüber die Reichsstandschaft keineswegs beeinträchtigte, wenn sie zu einem früheren Zeitpunkt bestanden hatte.107 So geriet die Grafschaft Waldeck im 15. Jahrhundert in ein Lehnsverhältnis zu den hessischen Landgrafen, ohne dass die Reichsstandschaft damit geendet hätte oder die Landesherrschaft der Grafen von Waldeck ernsthaft zur Disposition gestanden hätte.108 Ein Reichsgraf im eigentlichen Sinne109 war demnach erstens der Besitzer eines Gebiets, mit dem eine Reichsstandschaft im Sinne einer Partizipation an der Kuriatstimme einer Grafenbank verbunden war, und gehörte zweitens dem teilnahmen, jedoch auf Rittergütern unter wettinischer Landesherrschaft der sassen, vgl. SOLMS- LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms. 105 MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1 S 3; ausführlicher dazu ebd. S. 25 f. 106 Z.B. hing auch die Mitgliedschaft in einem Grafenkollegium allein vom Besitz einer entsprechenden Grafschaft ab; deshalb waren die Landgrafen von Hessen, nachdem sie 1735 die Grafschaft Hanau geerbt hatten, Mitglieder des Wetterauer Grafenvereins, obwohl sie als Landgrafen der Fürstenbank des Reichstags zugehörig waren, vgl. u.a. Kopie des Schreibens von Virmonts an Landgraf Wilhelm von Hessen als Direktor des wetterauischen Grafenkollegiums vom 26.3.1738, HStAD F 24 A Nr. 365. 107 Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1 S. 4-6 sowie S. 26-29. 108 Vgl. ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft S. 4. Im Einzelfall kam man sogar völlig ohne ein Gebiet aus, an dem die Reichsstandschaft hing; die Aufnahme des Hauses Virmont, das erst in der zweiten Generation dem Grafenstand angehörte und lediglich über mediaten Besitz an der Eder und am Niederrhein verfügte, ins westfälische Grafenkollegium wurde 1738 diskutiert, vgl. Korrespondenz Hessen-Kassels mit Solms-Rödelheim über die Aufnahme Virmonts in das westfälische Kollegium 1738, HStAD F 24 A Nr. 365. 109 Vgl. zu den Grundlagen des Reichsgrafenstands im Mittelalter auch M. BENDINER, Die Reichsgrafen. Eine verfassungsgeschichtliche Studie, München 1888 S. 28 ff. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 29 nichtfürstlichen Hochadel, der Gruppe der „Grafen und Herren“ an.110 Im Fall Rödelheims beruhte die Reichsstandschaft auf den Rödelheimer Reichslehen, nämlich dem Schloss und Teilen des Dorfs, die bereits 1442 durch Friedrich III. an Frank von Kronberg verliehen111 und durch Solms zusammen mit anderen Besitzungen von diesem ererbt worden waren. Bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs blieb die Belehnung durch den Kaiser mit Rödelheim die Basis der Solms-Rödelheimer Reichsstandschaft; die letzte entsprechende Urkunde datiert aus dem Jahr 1786 und ist durch Joseph II. ausgestellt,112 und es hat sich wohl um mehr als einen leeren Formalismus gehandelt – Kaiser und Reichsstand legitimierten sich gewissermaßen so gegenseitig.113 Allein des Besitzes dieser Reichslehen wegen konnten die Grafen die Teilhabe an der Stimme der Wetterauer Grafenbank beanspruchen; denn alle Wetterauer Grafen verfügten zusammen nur über eine einzige Stimme auf dem Reichstag.114 Es war also kein Zufall, dass z.B. die reale Übernahme der Herrschaft durch Graf Wilhelm Karl Ludwig im Mai 1728 mit der Inbesitznahme von Schloss und Dorf Rödelheim begann.115 Es lag vielmehr in der Logik reichsgräflichen Selbstverständnisses, sich zuerst die Basis der Herrschaft zu sichern, bevor man sich dann den anderen Teilen zuwandte. Nur wer über diese Basis verfügte, konnte per definitionem „Landesherrschaft“ ausüben. Ihre Wurzeln wurden von der Forschung in den mittelalterlichen Grafenrechten gesucht,116 die neben Gesetzgebungsrecht und Wehrhoheit sowie Befestigungs- und Geleitrecht vor allem die Hochgerichtsbarkeit umfassten, war doch ein Graf ursprünglich ein Richter und Verwalter von Königsgut gewesen.117 Es 110 Ein „Herr“ konnte gleiche Rechte und den identischen Rang im Zeremoniell besitzen wie ein Graf, ohne den Titel zu führen, wie es z.B. bei den Reuß der Fall war. Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;2 S. 807; Ähnliches galt auch für Limpurg und Cratz von Scharffenstein, die Solms beerbte: beide galten als dem Reichsgrafenstand zugehörig, ohne offiziell als Reichsgrafen zu firmieren. 111 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms S. 168. 112 Vgl. Verleihungsurkunde Kaiser Josephs II. vom 19.1.1786, HStAD B 9/1556. 113 Vgl. BARBARA STOLLBERG-RILINGER, Das Reich als Lehnssystem, in: Heinz Schilling et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten Bd. 2: Essays (Begleitband zur Ausstellung des DHM Berlin 2006), Dresden 2006, S. 55-67, hier v.a. S. 59- 60. 114 Vgl. zur Problematik des Grafenvereins und der Kuriatsstimme v.a. SCHMIDT, Grafenverein. 115 Vgl. dazu Kapitel 2.2 weiter unten. 116 Vgl. den Überblick über die Forschung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bei OTTO BRUNNER, Land und Herrschaft, Darmstadt 51965 S. 165-180. 117 Vgl. FRIEDRICH MERZBACHER, Artikel "Landesherr, Landesherrschaft", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, S. 1383-1388. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 30 kommen jedoch auch andere Grundlagen, etwa eine kaiserliche Schenkung oder die Verdichtung von Grundherrschaft als Ausgangspunkt in Frage.118 Sie wurden zur Landesherrschaft ausgebaut, wobei allen gemeinsam die herausragende Rolle der hohen Gerichtsbarkeit ist.119 Im Verlauf der Frühen Neuzeit, verstärkt nach der Zusicherung des ius territoriale für die Reichsstände im Westfälischen Frieden,120 entwickelte sich die Vorstellung von der „Landeshoheit“, die, ursprünglich auf eine mit mehr Regalien und Privilegien ausgestattete, mithin besonders stark ausgeprägte Landesherrschaft bezogen, zunehmend die Bündelung der der Landesherrschaft zur Verfügung stehenden Rechte und die weitgehende Durchsetzung landesherrlicher Autonomie gegenüber dem Reich implizierte.121 Die Landeshoheit begründete also die Landesherrschaft – ein Landesherr konnte als solcher auftreten, weil er die Landeshoheit im Sinne quasisouveräner Gewalt122 besaß, eingeschränkt lediglich durch die lex divina et naturae und einige „gute Gewohnheiten“.123 Schon J. J. Moser, der der weltlichen Landeshoheit neun Teilbände seines „Neuen teutschen Staatsrechts“ widmete,124 sprach sie den Reichsgrafen grundsätzlich ebenso zu wie den Reichsfürsten, schliesslich verdankten sie, so führt er aus, ihren Status wesentlich ihrer Unmittelbarkeit und der damit verbundenen Reichs-Standschafft und Landes-Hoheit über ihre Unterthanen.125 Hinsichtlich ihrer verfassungsmäßigen Grundlagen unterschied sich die Basis reichsgräflicher Landesherrschaft also nach gängiger Meinung nicht von fürstlicher und war insbesondere keine Minder- oder Kümmerform. Vielmehr war sie grundsätzlich gleichrangig,126 wobei diese Frage in 118 Vgl. PÜTTER, Staats- und Fürstenrecht S. 134-139. Siehe dazu auch HANS BOLDT, Deutsche Verfassungsgeschichte Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des älteren deutschen Reichs 1806, München 21984 S. 197-199, der hier vereinfachende Ansätze scharf kritisiert. 119 Vgl. MERZBACHER, Artikel "Landesherr, Landesherrschaft", hier Sp. 1386. 120 Vgl. GEORG SCHMIDT, Der Dreißigjährige Krieg. Ursachen, Abläufe und Wirkungen,München 1995 S. 80-81. 121 Vgl. dazu bereits PÜTTER, Staats- und Fürstenrecht S. 122-129, weiterhin WOLFGANG SELLERT, Artikel "Landeshoheit", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, S. 1388-1394, hier Sp. 1389f. 122 Vgl. WOLFGANG REINHARD, Frühmoderner Staat und deutsches Monstrum. Die Entstehung des modernen Staates und das Alte Reich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29 (2002), S. 339-357, hier S. 353. 123 Vgl. BRUNNER, Land und Herrschaft S. 358-359. 124 Vgl. MOSER, Von der Landeshoheit im weltlichen. 125 Ders., Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1 S. 811 – das sei ein Merkmal aller alten gräflichen Häuser. 126 Vgl. auch ENDRES, Adel in der Frühen Neuzeit S. 7: “Doch waren die Grafen in ihren unterschiedlich großen Herrschaften uneingeschränkt landesherrliche Obrigkeit, wie die Reichsfürsten”, vgl. weiterhin die bei LÜNIG, Thesaurus juris Sp.732 ff. abgedruckte Dissertation Joh. Heinrich Boecklers De Superioritate territoriali Comitum imperii; später wird ein Auszug aus einem Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 31 der Reichspublizistik durchaus kontrovers diskutiert wurde.127 Welcher Seite auch immer man folgt, in jedem Fall wies sie bestimmte Distinktionsmerkmale auf, die sich grob in vier Punkten zusammenfassen lassen und ihre Praxis sehr wohl von der Praxis fürstlicher Landeshoheit abgrenzten. Erstens war die Verbindung zum Kaiser sowohl im gräflichen als auch im kaiserlichen Denken und Handeln noch sehr viel stärker präsent als im Fall der autonomer agierenden Reichsfürstentümer. Für die kleineren Reichsstände blieb die Verpflichtung diesem gegenüber ein wichtiges Motiv ihrer Herrschaft, wie z.B. aus dem Testament Graf Johann Augusts von Solms aus dem Jahr 1676 hervorgeht: darin verfügte er, dass seinem ältesten Sohn und Nachfolger in der Landesregierung angesichts der notwendigen Ausstattung und Versorgung von drei weiteren Söhnen, drei Töchtern und der Ehefrau doch immer so viel verbleiben solle, dass er jederzeit dem Kayser seine Dienste leisten könne.128 Die hier und an anderen Stellen129 deutlich werdende Kontinuität im Selbstverständnis, das die eigene Herrschaft vom Kaiser her definierte und ihm im Gegenzug zu Treue und Diensten verpflichtet war, war für Reichsgrafen typisch und bei Fürsten in dieser Form nicht anzutreffen, die ihren Status weniger vom Kaiser als buchstäblich „von Gottes Gnaden“ herleiteten.130 Deshalb war es für regierende wie zweit- oder drittgeborene Reichsgrafen selbstverständlich, in kaiserlichen Diensten zu stehen, wie zuletzt in der Arbeit von Esteban Mauerer über die Fürstenberg deutlich wurde.131 Auch für die Solmser waren deshalb kaiserliche, aber auch Reichsdienste im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur Karrieremöglichkeit, sondern geradezu Ausdruck ihres reichsgräflichen Selbstverständnisses, sei es, dass sie „wirklicher Kammerherr“ des Traktat über reichsgräfliche Regalien zitiert, wo postuliert wird: Comites ac Barones an idem possint in suis territoriis, quod imperator in imperium – eine klare Parallele zur fürstlichen Landeshoheit. 127 So etwa die fürstenfreundliche Argumentation v. Coccejis, es handele sich bei gräflicher Landesherrschaft originär um eine im Auftrag ausgeübte Amtsgewalt, nicht um souveräne Landeshoheit. Deshalb sei es eindeutig eine Minderform, vgl. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S. 41. 128 Testament Graf Johann Augusts von Solms vom 15.3.1676, HStAD F 24 A 815/2. 129 Im Zusammenhang der Durchsetzung der Primogenitur vor nach 1728 etwa war das wichtigste Argument, dass nur diese die ordentliche Wahrnehmung der gräflichen Aufgaben dem Reich gegenüber gewährleisten könne, vgl. Kopie einer Eingabe des Anwalts Wilhelm Karl Ludwigs an den Reichshofrat (o.J., wahrscheinlich 1728), HStAD F 24 A Nr. 816/1. 130 Die Reichsgrafen führten mit zunehmender Abgrenzung der Fürsten nach 1250 den Zusatz dei gratia nicht mehr, vgl. BENDINER, Reichsgrafen S. 83. 131 Vgl. ESTEBAN MAUERER, Geld, Reputation, Karriere im Haus Fürstenberg. Beobachtungen zu einigen Motiven adeligen Handelns im barocken Reich, in: zeitenblicke 4;2 (2005); weiterhin ESTEBAN MAUERER, Südwestdeutscher Reichsadel im 17. und 18. Jahrhundert. Geld, Reputation, Karriere: Das Haus Fürstenberg (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften 66), Göttingen 2001. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 32 Kaisers wie Johann Ernst Karl von Solms-Rödelheim oder gar Präsident des Reichskammergerichts wie sein Großcousin Friedrich Ernst von Solms-Laubach waren. Allerdings ist das Verhältnis der Reichsgrafen zum Kaiser nicht frei von Ambivalenz, da gerade die protestantischen Wetterauer Grafen der österreichischen Hausmachtpolitik, die im Verlauf der Auseinandersetzungen mit Preußen im 18. Jahrhundert stetig an Dynamik gewann und mit der Schaffung einer katholischen Klientel im Süden und der besonderen Unterstützung der Reichsritter operierte, immer kritischer gegenüber standen.132 Zu einer – nur scheinbar nahe liegenden – Anlehnung an Preußen kam es jedoch nicht; offenbar standen dem Vorbehalte auf beiden Seiten gegenüber, denn die preußischen Könige verhielten sich auswärtigen Grafen gegenüber eher reserviert und rekrutierten ihre Offiziere eher aus den Reihen der eigenen Junker,133 und die Grafen ihrerseits erlebten den Preußen in seinem Expansionsbestreben viel mehr als Konkurrent und unmittelbare Bedrohung denn als Schutzmacht.134 So blieben zweitens der Kaiser und die Reichsinstitutionen, für die die kleineren Reichsstände bei immer stärker werdenden Unabhängigkeits- und Herauslösungstendenzen größerer Fürsten, wie schon v. Aretin gezeigt und die jüngere Forschung bestätigt hat, einen wichtigen Rückhalt „in der Fläche“ bildeten,135 nicht nur ideeller Rückhalt und Perspektive für den eigenen Lebensentwurf, sondern oft genug auch praktisch die Garanten reichsgräflicher Herrschaft: Allein kaiserliche Debitkommissionen konnten oft die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit einer hoffnungslos überschuldeten Reichsgrafschaft erhalten, wie Jürgen Ackermann am Beispiel Ysenburg-Büdingens nachgewiesen hat.136 Das konnte sehr weitreichende Folgen für die Autonomie und Handlungsfähigkeit der betroffenen Grafen haben, wie das Beispiel der vom 132 Vgl. EVA KELL, Die Frankfurter Union (1803-1806). Eine Fürstenassoziation zur "verfassungsmäßigen Selbsterhaltung" der kleineren weltlichen Adelsherrschaften, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 71-97, hier S. 73. 133 Vgl. WOLFGANG REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2000 S. 357-358. 134 Vgl. z.B. die Auseinandersetzungen um das Limpurger Erbe, MOSER, Von denen teutschen Reichs- Ständen 3;1 S. 29-32, vgl. weiterhin auch unten Kapitel 5. Ein anderes Beispiel sind die preußischen Bemühungen, die z.T. Solms-Braunfels gehörende Grafschaft Tecklenburg komplett an sich zu bringen, JOHANNES ARNDT, Hochadel in Nordwestdeutschland. Die Mitglieder des Niederrheinisch- westfälischen Reichsgrafenkollegiums zwischen individuellem Auftsiegsstreben und korporativer Selbstbehauptung, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 126 (1990), S. 185-221, hier S. 192. 135 Vgl. ARETIN, Heiliges Römisches Reich 1776 - 1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität S. 156, später ähnlich VIERHAUS, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden, 1648-1763 S. 326 f. 136 Vgl. ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 33 Reichshofrat an den Erzbischof von Trier vergebenen Debitkommission für das Fürstentum Solms-Braunfels zeigt: die Fremdadministration wurde nicht nur auf das gesamte Debit und Cameral-Wesen besagten Herrn Fürstens, sondern so gar auf eine Berichtigung künftiger Erb-Fälle in sothanem Fürstlichen Hause, mithin zugleich auf die Successions- Einricht- Ordnung darinnen, erstrecket137 und der Fürst damit in seinem eigenen Fürstentum und sogar seinem Testierrecht praktisch handlungsunfähig gemacht – wogegen er sich heftig wehrte.138 Darüber hinaus waren die Reichsgerichte die wichtigste Instanz zur Abwehr der Ansprüche mächtigerer Stände; 1730 nannte eine Beschreibung aller Solms-Rödelheimer Regierungsgeschäfte 14 anhängige Prozesse gegen Reichsstände, wovon vier vor Kammergericht oder Hofrat gegen benachbarte Reichsfürsten geführt wurden.139 Gleichzeitig wurden Reichsgrafen häufig von den Reichsgerichten, die sich angesichts der steigenden Zahl von Prozessen und langwieriger Verhandlungen verstärkt um eine Delegierung und Regionalisierung der Verfahren bemühten, mit Kommissionen betraut.140 Von einer Autonomie der Reichsgrafen dem Reich gegenüber kann also nicht gesprochen werden, eher von „Auf Einander angewiesen sein“ und gegenseitiger Abhängigkeit. Drittens spielte das Reich in Gestalt der höchsten Reichsgerichte und von diesen eingerichteter Kommissionen auch im Verhältnis der Grafen zu den Untertanen eine wichtige Rolle. Ein Grossteil der Prozesse bäuerlicher Untertanen wurde gegen die Grundherren geführt, in Fürstentümern also in der Regel gegen den mediaten Adel, so dass fürstliche Gerichte in erster Instanz und auch im Appellationsfall zuständig waren. Denn das „Ius de non appellando“, das seit der Goldenen Bulle alle Kurfürsten und durch besondere kaiserliche Privilegierung auch die meisten Fürsten besaßen, führte dazu, dass in diesen Fällen keine Berufung vor einem Reichsgericht, sondern nur vor innerterritorialen Appellationsinstanzen möglich war. Allein ein Verfahren gegen Reichsunmittelbare, also gegen Landesherren, war davon 137 Schreiben des Corpus Evangeliorum an den Kaiser vom 18.2.1756, HStAD F 24 A 318/2. 138 Vgl. Schreiben des Reichshofrats an den Kurfürsten von Trier vom 9.12.1755, HStAD F 24 A 318/2. 139 Vgl. Designation Aller deren bey dahiesig hochgr. Solms-Rödelheim. Regierung zu besorgen stehende Geschäffte und Expeditiones, HStAD F 24 A 1263/4, weiterhin CHRISTIAN WIELAND, Reichskammergericht und Adel, Zeitenblicke 3 [www.zeitenblicke\2004\03\wieland.html] (23.12. 2004). 140 Vgl. dazu zuletzt SABINE ULLMANN, Kommissionen, in: Zeitenblicke 3 (2004), ebd.[www.zeitenblicke\2004\03\ullmann.html] (13.12.2004) Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 34 ausgenommen.141 In Grafschaften wie Solms-Rödelheim, wo es einen landsässigen Adel wie gezeigt nicht gab, war der gräfliche Landesherr häufig auch gleichzeitig Grundherr oder nahm zumindest grundherrliche Rechte wahr. Damit richtete sich ein mögliches Verfahren der Bauern gegen ihren Grundherrn automatisch gegen einen Reichsunmittelbaren und fiel ebenso in die erstinstanzliche Zuständigkeit der Reichsgerichtsbarkeit wie sonstige Berufungsverfahren, wenn keine eigene Berufungsinstanz innerhalb der Herrschaft vorhanden war.142 Die Autonomie kleinerer Reichsstände erfuhr eine empfindliche Einschränkung dadurch, dass Untertanen sich direkt an eine übergeordnete Instanz wenden konnten – und dies bis ins späte 18. Jahrhundert hinein regelmäßig taten, wie gerade in der Wetterau durch zahlreiche Bauernprozesse gegen Landesherren belegt ist, die Werner Trossbach untersucht hat.143 Das führte letztlich dazu, dass die Bindung der Untertanen kleinerer Reichsstände an Kaiser und Reich ungleich enger war als in Fürsten- oder Kurfürstentümern, wie zuletzt auch RALF-PETER FUCHS gezeigt hat.144 Viertens existierten neben dem Reich und seinen Institutionen mit den Reichskreisen, dem agnatischen Familienverband – dem „Haus Solms“ – und dem Wetterauer Grafenverein drei weitere übergeordnete Instanzen, auf die die Reichsgrafen wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Landeshoheit ergaben, delegiert hatten. Da sie als geradezu konstitutiv für die reichsgräfliche Existenz bezeichnet werden können, sollen sie weiter unten eingehender untersucht werden. Insgesamt besaßen die Reichsgrafen also die volle und uneingeschränkte Landeshoheit, aber in eigenen reichsgräflichen Dimensionen. Prinzipiell war sie der fürstlichen nicht untergeordnet, ebenso wenig wie Reichgrafen in anderer Hinsicht den Fürsten untergeordnet waren: die gesamt Frühe Neuzeit über pflegten sie das Konnubium mit Fürsten und bildeten mit diesen eigene Heiratskreise, die scharf 141 Vgl. bereits GERHARD BUCHDA, Artikel "Appellation", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, S. 196-200, später JÜRGEN WEITZEL, Artikel "Rechtsmittel", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (4), Berlin 1990, S. 315-322. 142 Vgl. dazu v.a. WERNER TROSSBACH, Bauernbewegungen im Wetterau-Vogelsberg-Gebiet 1648- 1806. Fallstudien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 52), Darmstadt / Marburg 1985, S. 22-28. 143 Vgl. Ders, Bäuerlicher Widerstand in deutschen Kleinterritorien zwischen Bauernkrieg und Französischer Revolution. Einige Bemerkungen zu Formen und Gegenständen, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 35 (1987), S. 1-17 und TROSSBACH, Bauernbewegungen. 144 Vgl. RALF-PETER FUCHS, Kaiser und Reich im Spiegel von Untertanenbefragungen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Anette Baumann et al. (Hg.), Lesebuch Altes Reich, München 2006, S. 48-52, hier v.a. S. 49. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 35 abgegrenzt waren gegen den Niederadel und die (Reichs-)Ritterschaft.145 Und sie waren stets darauf bedacht, die Ebenbürtigkeit auch im Zeremoniell – etwa am Reichstag – umzusetzen, wofür man auch langwierige Auseinandersetzungen in Kauf nahm. Das zeigt z.B. der jahrelange Streit um die Präsentation neuer Reichstagsgesandschaften in Regensburg ab 1787: die reichsgräflichen Gesandten fühlten sich gegenüber den fürstlichen zurück gesetzt, weil ihnen die Legitimation der neuen Gesandten nur durch einen Sekretär zugestellt wurde, wodurch sie in diesem Punkt den Reichsstädten und nicht den Fürsten gleichgestellt waren. Dagegen protestierten sie energisch.146 Hier wird deutlich, dass im Selbstverständnis der Reichsgrafen eine wichtige Grenze zwischen dem Hochadel – der Grafen und Fürsten gleichermaßen einschloss – und dem restlichen Adel verlief.147 „Hingegen gab es keinen Standesunterschied zwischen Fürsten und Reichsgrafen sowohl im Hinblick auf die Qualifikation zu Ämter und Würden im Reiche als auch auf das Connubium“148. Das korrespondiert mit der Beobachtung, dass die Grafen über die vollwertige Landeshoheit verfügten. 2.2 Landesherrschaft ohne „Land“? Am 1. Mai 1728 starb der Reichsgraf von Solms-Rödelheim und Assenheim, Ludwig Heinrich, im Alter von 60 Jahren. Gleich in den Morgenstunden des folgenden Tages machte sich der Frankfurter Notar Johannes Philipp Feuerbach auf den Weg von Frankfurt ins wenige Kilometer entfernte Rödelheim,149 wo er sich mit dem dortigen Rentmeister Heimburg traf. Gemeinsam gingen sie ins Rödelheimer Schloss und schworen die dortige Wachmannschaft und die Dienstboten auf den neuen Landesherrn Wilhelm Karl Ludwig, den ältesten Sohn des verstorbenen Grafen, ein. Danach nahmen sie die Schlüssel an sich, schnitten mit einem Messer einige Späne von den Schlosstoren und allen Türen ab und löschten das Feuer in der 145 Vgl. auch Kapitel 5.2.3 zur Heirat Graf Johann Ernst Karls mit der Baroness von Terzi. 146 Vgl. Bericht des Wetterauer Gesandten 1788, HStAD F 24 A Nr. 351/5, weiterhin auch die Konflikte um das Zeremoniell anläßlich der Kaiserkrönung 1790, Korrsepondenz in HStAD F 24 A 352/2. 147 Dies zu belegen ist auch die wichtigste Absicht des für den Reichsgrafenstand geschriebene Kompendiums von LÜNIG, Thesaurus juris, hier v.a. S. 403-535. 148 WOLFF, Grafen und Herren, hier S. 335. 149 Vgl dazu Bericht des Frankfurter Notars Johannes Philipp Feuerbach vom Mai 1728, HStAD F 24 A Nr. 816/1. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 36 Küche.150 Anschließend gingen sie durch den Ort Rödelheim und verfuhren in gleicher Weise mit der herrschaftlichen Mühle und dem Viehhof gegenüber der Kirche. Mittags riefen sie ein Gericht zu Rödelheim zusammen und nahmen den Anwesenden die Huldigung auf Wilhelm Karl Ludwig ab. Weiter ging es nachmittags im zwei Kilometer entfernten, Solms und Hanau gemeinsam gehörenden Ort Praunheim, wo sie im Haus des gemeinschaftlichen Schultheißen den Tod des alten Grafen verkündeten und ebenfalls die Huldigung des Dorfes für Wilhelm Karl Ludwig entgegennahmen. Vom Haus des Schultheißen gingen sie zur nahe gelegenen Augustusburg, einem gräflichen Gutshof, und danach zu allen weiteren herrschaftlichen Gebäuden im Dorf, wo wiederum Späne von Türen, Toren und Brücken abgeschnitten, Schollen aus der Erde gestochen und die Dienstboten mit einem Eid auf den neuen Grafen verpflichtet wurden. Im Anschluss ritten sie ins benachbarte Niederursel, ein Dorf, das zwischen Solms-Rödelheim und der Reichsstadt Frankfurt geteilt war, und schworen die dortigen Solmser Untertanen in gleicher Weise per „gegebener handtreu“ auf Wilhelm Karl Ludwig ein. Gegen 18 Uhr erreichten sie dann das Solms und Hessen-Darmstadt gemeinsam gehörende Dorf Petterweil und fuhren dort in derselben Weise fort: es wurden Späne von Türen und Toren geschnitzt, Schollen von Äckern und Gärten abgestochen und den Untertanen der Huldigungseid auf die neue Landesherrschaft abgenommen. Als sie damit fertig waren, ritten sie in der hereinbrechenden Dunkelheit zum etwa vier Kilometer entfernten Bainhards-Hof weiter. Unterwegs kamen sie durch den zum Hof gehörigen Wald. Hier unterbrachen sie kurz ihren Ritt, brachen kleine Zweige von den Bäumen ab und feuerten mit einer Pistole in den Wald. Nachdem sie so vom Wald und der Jagd Besitz ergriffen hatten, begaben sie sich weiter zum Bainhardshof, wo sie die gräflichen Pächter auf Wilhelm Karl Ludwig einschworen und den Hof, die Gärten und die Felder auf die gleiche Art in Besitz nahmen wie schon zuvor in den Dörfern. 150 Durch das Abhauen von Spänen aus der Tür wurden Liegenschaftsübertragungen sinnbildlich vollzogen wurden, vgl. Artikel "Span", in: Hanns Bächtold-Stäubli (Hg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (8), Berlin / Leipzig 1936/37, S. 121-122; auf einen bereits in der Antike nachweisbaren Brauch geht das Löschen des Herdfeuers zurück: der Herd und das darin brennende, stets zu bewahrende Feuer versinnbildlichten fast europaweit das Wohlergehen des Hauses und seiner Bewohner, und wer es löschte, der übernahm die Gewalt über das Haus und die Menschen, vgl. Artikel "Herd", in: Hanns Bächtold-Stäubli (Hg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (3), Berlin / Leipzig 1930/31, S. 1758-1776. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 37 Am selben Tag unternahmen der Friedberger Notar Ries und der Rödelheimer Regierungsrat Steffens eine ganz ähnliche Reise.151 Sie ritten zusammen nach Niederwöllstadt, vereidigten den Schultheißen, schnitten Späne von den Türen der herrschaftlichen Gebäude, besetzten die Tore mit Wachen, nahmen den Kirchenschlüssel an sich und vereidigten den Schulmeister auf den Grafen. Weiter ging es über Fauerbach, Assenheim und Bauernheim ins weiter entfernte Einhartshausen, wo sie jeweils ein Gleiches taten. Die zurückgelegte Route ist auf der folgenden Karte in grün (Ries/Steffens) bzw. rot (Feuerbach/Heimburg) eingezeichnet. Einartshausen ist wegen der größeren Entfernung nicht dargestellt. Der Weg dorthin ist vielmehr durch eine gestrichelte Linie Richtung Norden angedeutet (Abbildung 1). 151 Vgl. Bericht des Friedberger Notars Ries vom Mai 1728, HStAD F 24 A 816/1. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 38 Abbildung 1: Der Weg der Notare durch die Wetterau bei Einnahme der Huldigung 1728. Das Abhauen von Spänen, das Ausstechen von Schollen und das Abbrechen von Zweigen sind Bestandteile alter Rechtssymbolik, durch die eine Inbesitznahme von Grund und Boden oder Gebäuden vollzogen wurde. Der Huldigungseid, den sowohl Untertanen als auch Amtsträger und Bediente schwören mussten, ist gleichzeitig Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 39 Ausdruck und Vollzug des Übergangs von Herrschaft über Land und Leute:152 ein Treueid, der dem Landesherrn als Gegenleistung für Schutz und Schirm geleistet werden musste.153 In diesen Szenen, die so anschaulich in den Berichten der beiden Notare überliefert sind, wird also Landesherrschaft durch materielle Übernahme der Güter und die Huldigung der Untertanen neu konstituiert. Der Vorgang, obschon von Symbolik regelrecht durchdrungen, war dabei viel mehr als ein rein symbolischer Akt. Denn Graf Wilhelm Karl Ludwig handelte, wenn er die Landesherrschaft allein an sich zog, gegen das väterliche Testament, das eine gemeinsame Herrschaft aller drei Söhne vorgesehen hatte. Indem er – übrigens auf Anraten der juristischen Fakultät der württembergischen Universität Tübingen, deren Rat er zuvor eingeholt hatte154 – sofort Fakten schuf, verdrängte er von Anfang an die Geschwister. Ihnen blieb danach nur noch der Rechtsweg zur Durchsetzung ihrer Ansprüche.155 Bereits an diesem entschlossenen Vorgehen Wilhelm Karl Ludwigs ist erkennbar, wie groß die Bedeutung der Landesherrschaft für Reichsgrafen war. Es war keineswegs gleichgültig, ob man regierte oder nicht oder ob man die Regentschaft allein oder mit seinen Brüdern besaß, denn die Landesherrschaft bot bis zur Mediatisierung nicht nur einen wichtigen Zugang zu ökonomischen Ressourcen, wie noch zu zeigen sein wird, sondern war ein entscheidender Baustein im Fundament reichsgräflichen Selbstverständnisses. Deshalb ist sie im Folgenden in zwei Schritten genauer zu untersuchen: Zunächst wird die Frage besprochen, ob sich verbindende Elemente für die Rödelheimer Gebiete im Sinne historischer, kultureller und vor allem politischer Zusammengehörigkeit nachweisen lassen. Im Sinne einer möglichst exakten Terminologie wird geklärt, ob es sich bei diesen Gebieten um ein „Land“ oder ein „Territorium“ handele. Anschließend wird der Bereich, auf die sich diese Herrschaft 152 So bereits VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten Staat (Neuauflage), S. 34-35. 153 Vgl. BERNHARD DIESTELKAMP, Artikel "Huldigung", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, S. 262-265, FRIEDRICH KLEIN-BRUCKSCHWAIGER, Artikel "Landeshuldigung", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, S. 1394-1395, viel ausführlicher ANDRÉ HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 36), Stuttgart 1991. 154 Vgl. Kopie eines Gutachtens von Dekan und juristischer Fakultät der württembergischen Universität Tübingen vom 16.9.1727, HStAD F 24 A 816/1, mit der Empfehlung, der Älteste solle sofort nach seines Vaters Tod Besitz ergreifen und hinterher den Rechtsweg beschreiten bzw. sich gegen andere Ansprüche juristisch wehren. 155 Vgl. die umfangreichen Akten zu den Streitigkeiten zwischen Wilhelmine Christine verwitwete Gräfin Solms-Rödelheim, geborene Gräfin von Limpurg-Gaildorf als Vormünderin ihrer unmündigen Söhne mit Wilhelm Karl Ludwig um die Nachfolge der Rödelheimer Regierung 1728 ff., HStAD F 24 A 816/1 u.a.a.O., die in bis 1745 andauernden Prozessen vor Reichshofrat und Kammergericht mündeten. Siehe dazu ausführlicher Kapitel 4.2.2. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 40 erstreckte, umrissen und damit das eigentliche territoriale Substrat der Reichsgrafen untersucht. 2.2.1 Die Diversität der Solms-Rödelheimer „Lande“ In den Huldigungsszenen tritt das Subjekt der Herrschaft, der Reichsgraf von Solms-Rödelheim in Person seiner Beauftragten, klar und unzweifelhaft hervor. Insbesondere wegen der geschilderten Notwendigkeit zur Abgrenzung gegen konkurrierende Ansprüche war diese Unzweideutigkeit eines der Hauptmotive bei dem Vorgang. Dem gegenüber bereiten die Objekte der Herrschaft, „Land und Leute“, viel mehr Schwierigkeiten. Denn während die „Leute“ als Akteure der Huldigung zumindest als Gruppe aufgeführt werden, bleibt der zweite Teil des Begriffspaares, das „Land“, merkwürdig diffus. Anzunehmen, dass die Gegend, durch die die Beamten und Notare an diesem 2. Mai geritten waren, „die Grafschaft“ oder „das solms-rödelheimische Land“ gewesen sei, wäre völlig unzutreffend. Das zeigt bereits auf den ersten Blick der Umstand, dass sie auf ihrem Weg durch die dicht besiedelte Wetterau durch viele Orte kamen, in denen sie keine Huldigung entgegennahmen und in keine Türrahmen ritzten. Andererseits ergeben sich auch deshalb ernsthafte Zweifel, weil wir in ihren Berichten von Mitherrschaften in den einzelnen Orten erfahren, von den Grafen von Hanau etwa, die als Mitherren von Praunheim genannt wurden. Offensichtlich scheint es also auch hier Umstände zu geben, die verhindern, dass man einfach von „der Grafschaft“ sprechen kann. Vielmehr scheint es sich um eine heterogene Ansammlung einzelner Orte und Gebiete gehandelt zu haben, die einer genaueren Untersuchung bedarf. Historische Kartenwerke, etwa der „Geschichtliche Atlas von Hessen“, kapitulieren angesichts der kleinräumigen, komplexen Strukturen von Landesherrschaft in der Wetterau und subsummieren diese Region einfach unter der Sammelbezeichnung „sonstige mittlere und kleinere weltliche Herren“.156 Diese Strukturen waren ein Ergebnis des in staufische Zeit zurückreichenden Versuchs, in der Wetterau eine terra imperii zu installieren. Um diese zu sichern, wurde auf engstem Raum neben den beiden Reichsburgen Friedberg und Gelnhausen eine Vielzahl von Reichsgerichten angelegt, die der Ausgangspunkt für die sich später 156 Vgl. UHLHORN, Hessen um 1550. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 41 entwickelnden Landesherrschaften waren.157 Deshalb handelt es sich bei der Wetterau als Ganzes um eine zusammengehörige „historische Region“, wie Werner Trossbach den Landstrich bezeichnet hat;158 alle Versuche, innerhalb dieser Region einzelne „Länder“ etwa aufgrund kultureller, sprachlicher oder gewohnheitsrechtlicher Verschiedenheit voneinander abzugrenzen, schlagen hier völlig fehl. Ernst Schubert, der die Entwicklung des Begriffs „Land“ bis in die Frühe Neuzeit hinein untersucht hat,159 stellt fest, dass für große, ins Hochmittelalter zurückreichenden Stammesherzogtümer – etwa Bayern – solche Massstäbe für eine Abgrenzung des Landes durchaus angebracht sein konnten. Eine solche Kontinuität war im Alten Reich jedoch die große Ausnahme. Und so war auch im Fall Solms- Rödelheims der Bezugsrahmen für die Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis, der sich in Sitten, Tracht oder Mundart ausdrückt, eindeutig sehr viel größer als die Grafschaft; womöglich ist er in der „historischen Region“ Wetterau insgesamt zu suchen. Darauf deutet schon eine Urkunde König Siegmunds aus dem Jahr 1422 hin, der die Wetterau in ihrer Gesamtheit zu den „deutschen landen“ neben Schwaben, Bayern, Franken, Hessen, Thüringen und weiteren zählte.160 Kulturell und historisch also, aber auch sozial ist von einer Eingebundenheit der Orte Solms-Rödelheims vor allem in die Region, in erster Linie die unmittelbare Umgebung, auszugehen. Die Verbindung eines Solms-Rödelheimischen Ortes wie Bauernheim zum wenige Kilometer entfernten hanauischen Dorf Dorheim oder zum reichsritterschaftlichen Beienheim war mindestens genauso stark, wahrscheinlich sogar stärker als zu einem anderen auch zu Solms-Rödelheim gehörigen, jedoch ungleich weiter entfernt liegenden Ort wie Fauerbach oder Praunheim. Entscheidende Bezugsgröße für das soziale Netzwerk der Dorfbewohner, das sich etwa aus Verwandtschafts- oder Bekanntschaftsbeziehungen rekonstruieren lässt, war wohl viel eher die räumliche Nähe, die Nachbarschaft, als die Zugehörigkeit zu einer Grafschaft. Exemplarisch sei hier auf das Einsammeln der „Pfingstheller“ verwiesen: noch 1780 zogen junge Männer aus Baienheim, Dorheim und Bauernheim am Beginn des ersten Pfingsttages durch die Dörfer, um dort die kleinen 157 Vgl. TROSSBACH, Bauernbewegungen S. 10. 158 Vgl. ebd. S. 8-12. 159 ERNST SCHUBERT, Der rätselhafte Begriff "Land" im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Concilium medii aevi 1 (1998), S. 15-27. 160 Vgl. das Zitat Ebd. S. 15-16. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 42 Geldbeträge zu erheben.161 Ganz selbstverständlich überschritten die jungen Männer dabei die Grenzen der verschiedenen Landesherrschaften; solche Grenzen – wenn man den enorm kleinräumigen, vielfach gebrochenen Übergang vom Gebiet eines Landesherrn zu dem eines andern in der Wetterau überhaupt als Grenze bezeichnen kann – waren offensichtlich für die dörfliche Bevölkerung allenfalls von untergeordneter Bedeutung, zumal sie nicht selten bildlich gesprochen mitten durch einen Ort verliefen. Assenheim etwa, immerhin zeitweise Residenz der Reichsgrafen, stand gleichzeitig unter der Landes- und Kirchenherrschaft der lutherischen Grafen von Solms und von Hanau und der reformierten Grafen von Ysenburg. Die dreigeteilte Herrschaft führte dazu, dass in der Assenheimer Kirche im 17. und 18. Jahrhundert an zwei Sonntagen ein lutherischer und am dritten Sonntag durch einen auswärtigen Pfarrer ein reformierter Gottesdienst abgehalten wurde.162 Die Frage nach geteilter Geschichte, kulturellen Gemeinsamkeiten oder sozialer Eingebundenheit hilft also auf der Suche nach dem „Land der Grafen von Solms- Rödelheim“ nicht weiter, weil die dadurch definierten Gebiete in keinem Fall deckungsgleich mit den Gebieten gräflicher Herrschaft sind. Ebenso wenig ist es aber möglich, mit OTTO BRUNNER das „Land“ als vom Landesherrn zu unterscheidende politische Größe zu verstehen, das in Form einer ständischen Korporation diesem gegenüber tritt und mit ihm handelt und verhandelt.163 Das wird schon daran deutlich, dass den Beauftragten des Grafen Wilhelm Karl Ludwig 1728 der Huldigungseid nicht von den Landständen geleistet wurde, sondern sie vielmehr von Ort zu Ort reisten und von den Gemeinden einzeln die Huldigung entgegennahmen. Zwar waren die Grafen von Solms nicht nur Lehnsnehmer, sondern auch Lehnsherrn; die Verleihung erfolgte jedoch in der Regel von gesamter Hand, also durch den agnatischen Familienverband. Das könnte einer der Gründe gewesen sein, dass es einzelnen Häusern wie den Rödelheimer nicht gelang, die Vasallen mit aller Konsequenz in die Landsässigkeit zu zwingen und ständisch zu formieren.164 Fest steht, dass im Gegensatz etwa zu BRUNNERS spätmittelalterlichem habsburgischen und bayrischen Untersuchungsraum in den Gebieten der Grafen von Solms-Rödelheim kein Mediatadel in Gestalt landsässiger Prälaten oder Ritter 161 Vgl. Fortsetzung der Nachricht von einigen in verschiedenen Orten der Grafschaft Hanau und umherliegenden Dorfschaften noch üblichen alten Gebräuchem, in: Hanauisches Magazin 3 (1780), S. 26-32, hier S. 26-27. 162 Vgl. LUMMITSCH, Geschichte der Stadt Assenheim S. 326-327. 163 Vgl. dazu BRUNNER, Land und Herrschaft. 164 Siehe dazu auch Kapitel 2.3.2 über die Lehnsherrschaft. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 43 existierte, der korporativ organisiert gewesen wäre.165 Vielmehr hatten sich die Wetterauer Ritter und Prälaten ihre Reichsunmittelbarkeit gegenüber den benachbarten Grafen und Fürsten bewahren können, auch wenn viele ihrer adeligen Güter zu Lehen gegeben waren.166 Reichsritterschaftliche Gebiete wie z.B. die Burg Friedberg, die Herrschaft Karben, die verschiedenen Ganerbschaften wie Ockstadt oder auch Klosterherrschaften wie Ilbenstadt existierten in der Wetterau bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts selbständig fort. Die Kleinräumigkeit der regionalen Strukturen hatten gemeinsam mit der Bindung an und der Protektion durch den Kaiser in der Wetterau – wie in Franken oder Schwaben – einerseits verhindert, dass Grafen in fürstliche Landsässigkeit gerieten, andererseits aber auch dafür gesorgt, dass Ritter nicht durch Grafen mediatisiert wurden.167 Für die reichsgräflichen Herrschaftsgebiete nach einer politischen Kraft außerhalb der Person des Regenten in Form von Landständen zu suchen, die gemeinsam mit ihm ein „Land“ konstituiert hätten,168 gelingt deshalb nicht. Auch eine Landschaft als Untertanenkorporation unterhalb der landständischen Ebene im Sinne PETER BLICKLES169 hat es in Solms-Rödelheim nicht gegeben. Der Versuch der Grafen von Solms, am Beginn des 17. Jahrhunderts eine gemeinsame Landschaft aller Solmser Gebiete – also der neun zu diesem Zeitpunkt existenten einzelnen Reichsgrafschaften – einzurichten, um ein Instrument zur finanziellen Konsolidierung und Schuldenregulierung zu gewinnen, war letztlich gescheitert, wie VOLKER PRESS gezeigt hat.170 Den Landesherren blieb zur Konsolidierung ihrer Finanzen deshalb oft nur der Weg durch die Hintertür übrig, indem die Ausschreibung zustimmungsunabhängiger Reichs- und Kreissteuern zur Steigerung der eigenen Einnahmen missbraucht wurde: die tatsächliche Höhe der Steuer wurde den Untertanen verschwiegen, man zog mehr ein als nötig und profitierte von der 165 Vgl. im Gegensatz dazu die Landstände in Bayern, Österreich, der Steiermark, Kärnten und Krain nach BRUNNER, Land und Herrschaft S. 405. 166 Zu dem Umstand, dass sich ritterliche Reichsunmittelbarkeit und Vasallität einem Grafen oder Fürsten gegenüber nicht ausschlossen vgl. VOLKER PRESS, Die Reichsritterschaft im Reich der Frühen Neuzeit, in: Franz Brendle und Anton Schindling (Hg.), Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Frühneuzeit-Forschungen Bd. 4), Tübingen 1998, S. 205-232, hier S. 209. 167 Vgl. ebd. S. 207-208. 168 „Landesherr und Landstände zusammen sind das Land im vollen und ursprünglichen Sinn“, BRUNNER, Land und Herrschaft S. 413. 169 PETER BLICKLE, Landschaften im Alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1973. 170 PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 44 Differenz.171 Die Entwicklung eines ständischen Dualismus und der damit verbundene Schritt zum Steuerstaat, die traditionell als wesentliche Faktoren für die Ausbildung vormoderner Staatlichkeit gesehen werden, sind für die Solmser Gebiete damit Mitte des 17. Jahrhunderts endgültig gescheitert. Das einzige verbindende Element für diese Gebiete scheint also, da ein „Land“ als eigenständige kulturelle, historische oder politische Größe offenbar nicht existierte, in der Person der oder des regierenden Grafen bestanden zu haben. Anders gesagt: die Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim war einzig dadurch definiert und konstituiert, dass sie sich unter der Landesherrschaft eines Reichsgrafen befand. Es wird also zunächst nötig sein, gräfliche Landesherrschaft als solche zu untersuchen und von der Landeshoheit zu unterscheiden, die – wie zu zeigen sein wird – wenn überhaupt eher den sich entwickelnden Fürstentümern und der darin zu verortenden Idee der vormodernen Staatlichkeit zuzuordnen ist. Anschließend sollte es möglich sein, die Gebiete, auf die sich diese Herrschaft bezog, abzugrenzen. Welche einzelnen Rechte die Landesherrschaft der Reichsgrafen ausmachten, zeigt am besten der Versuch Graf Wilhelm Karl Ludwigs, der zunehmenden Flut der Regierungsaufgaben durch eine „Ordnung für die Regierungs- und Cammer Bediente“ 1735 Herr zu werden.172 Denn die Regierung – zwei Regierungsräte, ein Regierungssekretär und ein Kammerrat – waren einerseits als dem Grafen unmittelbar nachgeordnete, andererseits als den lokalen Amtsträgern vorgesetzte Instanz praktisch jeden Tag damit befasst, die Landesherrschaft zu administrieren. Deshalb gestattet die Regierungsordnung einen direkten Blick auf die Basis der Herrschaft. Der erste Regierungsrat, der gleichzeitig als Leiter der Administration die Oberaufsicht über alle anderen hatte, war demnach vor allem mit Angelegenheiten befasst, die – vereinfacht gesagt – das Außenverhältnis der Herrschaft betrafen. Das war vor allem die Wahrnehmung von Rechten, die sich aus der Reichs- und Kreisstandschaft ergaben; dazu gehörte das Beschicken von Grafentagen, Kreistagen und Reichstagen und alle auswärtigen Prozesse. Weiter oblagen ihm die Vertretung der Grafschaft im Rahmen von Familientagen des Hauses Solms und die Erledigung aller Lehensangelegenheiten, sowohl Aktiv- als Passivlehen. 171 Vgl. ebd. S. 77-78 und S. 96-97. 172 Ordnung für die Regierungs- und Cammerbedienten Graf Wilhelm Karl Ludwigs vom 20.8.1735, HStAD F 24 A 1263/4. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 45 Gemeinsam mit dem ersten hatte der zweite Regierungsrat vor allem die Pflege der Justiz zu besorgen, und zwar sowohl der Zivil- und Kriminal- als auch der Konsistorialgerichtsbarkeit. Das bedeutete, dass er einerseits die Oberaufsicht über die lokalen Gerichte in den einzelnen Ämtern hatte, andererseits aber auch im Rahmen der hohen Gerichtsbarkeit regelmäßig selbst Recht sprach. Der Kammerrat hatte sich mit allen finanziellen Angelegenheiten zu befassen, und zwar unabhängig davon, ob sie sich aus der landesherrlichen Kompetenz ergaben wie die Einziehung der Reichs- und Kreissteuern, Zölle und Zehnte, ob sie aus der gräflichen Grundherrschaft resultierten wie von den Kellereien erhobene Zinsen und Pachteinnahmen, oder ob sie Ergebnis der Leibherrschaft waren wie das Besthaupt oder die Einnahmen aus der Ablösung der Leibherrschaft. Außerdem war der Kammerrat zuständig für die Aufstellung und Ausrüstung des militärischen Kontingents – einer halben Kompanie –, das Solms-Rödelheim dem oberrheinischen Kreis zu stellen hatte. Gräfliche Resolutionen und Dekrete schließlich, mit denen der Regent direkten Einfluss auf seine Untertanen nahm, sollten vom Sekretär ausgefertigt und weitergeleitet werden. Kurz zusammengefasst: nach außen hin, dem Reich und den Mitständen gegenüber, definierte sich die gräfliche Landesherrschaft vor allem durch Kreisstandschaft, Kreismilitär und die Teilnahme am Reichstag in der ganz besonderen reichsgräflichen Dimension der Kuriatstimme im Fürstenrat. Nach innen, den Untertanen gegenüber, bedeutete sie die grundsätzliche Möglichkeit, durch Erlasse und Verordnungen direkt auf diese einzuwirken – in einem theoretisch durch göttliches Recht und das Herkommen, praktisch auch durch die Beteiligung der Untertanen173 eng festgelegten Rahmen. Weiter bedeutete sie die Wahrnehmung von Aufgaben in kaiserlichem Auftrag, z.B. das Einziehen der Kreis- und Reichssteuern. Vor allem jedoch bedeutete sie die hohe Gerichtsbarkeit und Kirchenherrschaft. Das war gewissermaßen der innere Kern der Landesherrschaft. 173 Vgl. das Kapitel über die Gemeinden weiter unten. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 46 2.2.2 Die „Lande“ als Objekt der Landesherrschaft Damit steht eine tragfähige Definition zur Verfügung: die Reichsgrafschaft, begriffen als Objekt der Landesherrschaft, setzt sich zusammen aus den Gebieten, für die der Landesherr Gesetze erlässt und diese durchsetzt, und zwar administrativ durch Landesregierung und -verwaltung174 und jurisdiktionell durch eine eigene (Hoch-)Gerichtsbarkeit175. Der Bereich, den die „Landesherrschaft“ umfasste, kann also mit dem Geltungsbereich der landesherrlichen Gesetzgebung und hohen Gerichtsbarkeit gleichgesetzt werden;176 die Grenzen der Gerichtsbezirke bezeichnen gleichsam die Grenzen der Landesherrschaft. Auf der folgenden Karte sind die Gemarkungen der Orte im westlichen Teil der Wetterau in den ihrer Zugehörigkeit zu einer Landesherrschaft entsprechenden Farben um 1750 dargestellt, wobei eine gestreifte Füllung eine gemeinsam oder geteilt ausgeübte Landesherrschaft bedeutet (Abbildung 2). 174 Vgl. JOHANN JACOB MOSER, Von der Landes-Hoheit in Regierungssachen überhaupt, besonders auch in Ansehung derer landesherrlichen Raths-Collegien, Beamten, Geseze u.s.w. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern, und eigener Erfahrung [...] (Neues teutsches Staatsrecht 16;1), Frankfurt a.M. 1772. 175 Vgl. ders, Von der Landes-Hoheit in Justiz-Sachen, nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs- Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern und eigener Erfahrung [...] (Neues teutsches Staatsrecht 16;2), Frankfurt a.M. 1773. 176 Ähnlich bereits BRUNNER, Land und Herrschaft S. 231, vgl. auch JÜRGEN SCHLUMBOHM, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23 (1997), S. 647-663, hier S. 647. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 47 Abbildung 2: Der Umfang der Solms-Rödelheimer Landesherrschaft in der Wetterau um 1750. Deutlich erkennbar ist, dass die Grafschaft Solms-Rödelheim sich im Wesentlichen aus zehn Dörfern zusammensetzte, die verstreut in einem Quadrat von etwa 40 km Schenkellänge lagen, das sich von Rödelheim westlich der Reichsstadt Frankfurt im Süden bis Einartshausen im hohen Vogelsberg erstreckte – aus Gründen der Übersichtlichkeit auf der Karte auf einem Ausschnitt dargestellt. Nur in wenigen Fällen, nämlich im Norden um Ossenheim und im Süden um Praunheim, hatten die Gemarkungen der Dörfer gemeinsame Grenzen. Ergänzt wurde dieser Besitz bis zum Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 48 späten 18. Jahrhundert durch drei – auf der Karte nicht darstellbare – Höfe, nämlich jeweils die sog. „Neuherberg“ und die Höfe zu Petterweil und Frankfurt am Main.177 Noch ein zweites fällt auf: die Herrschaft über fünf von zehn Dörfern war geteilt. Hessen-Kassel als Erbe der Grafen von Hanau beanspruchte die Hälfte von Praunheim und Burggräfenrode sowie einen Teil von Assenheim, die Grafen von Ysenburg einen weiteren Teil von Assenheim, Hessen-Darmstadt die Hälfte von Petterweil und die Reichsstadt Frankfurt Teile von Niederursel. Durch die Mitherrschaften reduzieren sich die auf den ersten Blick ohnehin schon kleine Fläche der Gebiete und die Zahl der Untertanen weiter. 1735 stellte die Regierung in Rödelheim einen Antrag an den oberrheinischen Kreis um Ermäßigung der Matrikularanschläge. Darin bezifferte sie die Zahl der insgesamt mit steuerbaren Gütern in der ganzen Grafschaft ansässigen Untertanen auf 411.178 Nimmt man einen Faktor von 5 an, um auf eine ganz grobe Schätzung der Gesamtzahl zu kommen,179 so erhielte man also knapp 2100 Menschen; allerdings, so setzte der Notar Joachim Müller, der den gräflichen Antrag bezeugte, hinzu, sei die tatsächliche Zahl der Untertanen geringfügig höher gewesen, weil Beysassen und unsesshafte Unterthanen, [... deren] Zahl sich bald mehret, bald mindert, in der Rechnung nicht berücksichtigt würden.180 Trotzdem dürften es insgesamt nicht mehr als 3000 Personen gewesen sein, über die sich die Solms-Rödelheimische Landesherrschaft in den Wetterauer Kerngebieten erstreckte. 70 Jahre später waren es dem „Genealogischen Staatshandbuch“ zu Folge etwa doppelt so viele: die Untertanenschaft des Großherzogtums Hessen vermehrte sich durch die Übernahme der ehemaligen Rödelheimer Ämter bei der Mediatisierung 1806 um 6000 Köpfe.181 In diese Zahl ist allerdings die zum ehemaligen Kloster Arnsburg gehörige Kellerei Wickstadt, die Rödelheim nach 1802 als Entschädigung für den Verlust einiger 177 Vgl. KNOCH, Beschreibung, S. 127. 178 Vgl. gedruckten Antrag der Regierung Rödelheim auf Ermässigung der Matrikularbeiträge vom 20.6.1740. 179 Vgl. KARL-OTTO BULL, Die erste "Volkszählung" des deutschen Südwestens. Die Bevölkerung des Hochstifts Speyer um 1530, in: Kurt Andermann und Hermann Ehmer (Hg.), Bevölkerungsstatistik an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Quellen und methodische Probleme im überregionalen Vergleich, Sigmaringen 1990, S. 109-136, hier v.a. S. 113 ff., der für die ländliche Bevölkerung des Hochstifts Speyer Mitte des 16. Jh. eine Haushaltsgrösse von etwa 4,25 Personen annimmt. Dazu auch CHRISTIAN PFISTER, Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500-1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 28), München 1994, S. 71 f., der für einen geringsfügig höheren Faktor plädiert. 180 Vgl. ebd. 181 Vgl. Genealogisches Reichs- und Staatshandbuch II, Frankfurt 1805, S. 475. Für diesen Hinweis und die freundliche Überlassung eines ungedruckten Aufsatzes über die Grafschaft Solms danke ich Jürgen Rainer Wolf, Dresden. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 49 linksrheinischer Besitzungen – auf die später ausführlich eingegangen wird – erhalten hatte,182 samt den dortigen Untertanen mit eingerechnet. Das Nettowachstum der Rödelheimer Dörfer hat also während dieser 70 Jahre deutlich unter 100% gelegen. Die Mitherrschaften bedeuteten für die Landesherrschaft der Grafen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch hinsichtlich der Herrschaftsvermittlung eine empfindliche Einschränkung. Denn Mitherrschaft meint mit Ausnahme Niederursels, das 1714 durch einen Rezess endgültig zwischen der Reichsstadt Frankfurt und Solms-Rödelheim aufgeteilt wurde,183 eine durch die betreffenden Reichsstände gemeinsam ausgeübte Herrschaft. Das führte dazu, dass jeder Schritt mit dem oder den Mitherren abzustimmen und durch eine Blockade durch diese bedroht war. Den Bewohnern der Dörfer wiederum bot sich jederzeit die Möglichkeit, eine Verfügung des einen durch eine Supplikation bei dem jeweils anderen Landesherrn in Frage zu stellen. Hessen Darmstadt weigerte sich 1742 nach Beschwerden der Untertanen, seine Zustimmung für die Erhebung eines Wahlgeschenks für Karl VII. im gemeinsamen Dorf Petterweil zu geben.184 Das sollte sich zwei Jahre später rächen, indem Solms-Rödelheim seinerseits die Zustimmung zur Eintreibung eines Geldgeschenks für einen neuen Darmstädter Landgrafen in Petterweil unter ausdrücklichem Verweis auf die Angelegenheit verweigerte.185 Angesichts der geringen Ausmaße, der geographischen Streuung und der Durchbrechung durch Mitherrschaften ist es unmöglich, in dem Objekt gräflicher Landesherrschaft ein „Land“ zu sehen. Ebenso schwer fällt es aber, darin ein „Territorium“ zu sehen. Es handelt sich dabei um einen Begriff, der nach E. SCHUBERT bereits im Mittelalter zur Bezeichnung von Dorfgemarkungen gebräuchlich war,186 und den die Staats- und Verfassungslehre seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert stetig weiterentwickelte. Seitdem wurde er, so DIETMAR WILLOWEIT 182 Vgl. die entsprechenden Eintragungen in die Rechnung der Generalkasse von 1804-1805 durch den Hofkammerrat und Generalkassierer Adolph Ernst Geyger, HStAD F 24 B 408/26. 183 Vgl. Teilungsurkunde der Brüder Ludwig und Ludwig Heinrich von Solms und des Rats der Stadt Frankfurt vom 7.7.1714, HStAD B 9 Nr. 2441. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts verlief die Grenze zwischen dem Solmser und dem Frankfurter Teil Niederursels durch die Hauptgasse des Dorfers, vgl. Plan der Grenze zwischen der Reichsstadt Frankfurt und der Grafschaft Solms in Niederursel, HStAD P 24 26. 184 Vgl. Schreiben des Landgrafen von Hessen-Darmstadt als Mitherr von Petterweil an den Grafen von Solms-Rödelheim vom 26.5.1742, HStAD F 24 A 960. 185 Vgl. Schreiben der Regierung in Rödelheim an die Regierung in Darmstadt vom 15.4.1744, HStAD F 24 A 960. 186 Vgl. SCHUBERT, Begriff "Land", hier S. 16. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 50 im fünften Band des HRG, verwendet „zur Kennzeichnung staatlicher Einheiten unterhalb der Ebene souveräner Staaten. Üblicherweise werden daher die Staatsgebilde des Heiligen Römischen Reichs als Territorien bezeichnet“.187 Das neuzeitliche Territorium, so der Tenor deutscher Verfassungshistoriker, entwickele sich seit dem Spätmittelalter zunehmend zum Flächenstaat als geschlossenem Herrschaftsbereich188 und zeichne sich durch zunehmende Vereinheitlichung im Bereich Obrigkeit und Gesetzgebung, durch den Übergang vom Domänen- zum Steuerstaat, ständischen Dualismus und weiteres aus.189 Für die Wetterauer Reichsgrafschaften definiert G. SCHMIDT den „Territorialisierungsprozess“ u.a. mit dem Versuch der Schaffung klar umrissener Zuständigkeitsbereiche und der Bereinigung konkurrierender Rechtsansprüche mehrerer Obrigkeiten durch die Grafen im Rahmen des Grafenvereins.190 Dass genau dieser Territorialisierungsprozess letztlich nicht vollkommen erfolgreich war, hat SCHMIDT bereits für das 17. Jahrhundert festgestellt.191 Und auch im 18. Jahrhundert kam der Prozess nicht entscheidend voran, wie die oben durchgeführte kurze Bestandsaufnahme gezeigt hat. All die an moderner Staatlichkeit entwickelten Konnotationen des Terminus „Territorium“ – der ursprünglich einmal lediglich die zu einem Dorf gehörenden Äcker, Wiesen und Wege bezeichnet hatte – verbieten es, die Gebiete, auf die sich die Landesherrschaft der Reichsgrafen von Solms-Rödelheim erstreckte, ein „Territorium“ zu nennen. Das wirft aber angesichts neuer Forschungsergebnisse durchaus auch Fragen hinsichtlich vieler anderer Erscheinungsformen der Landesherrschaft im Alten Reich auf, die bislang als Territorien firmierten. Diese entspricht im Fall Solms-Rödelheims auch exakt der Quellensprache; es kam praktisch nicht vor, dass die Grafen ihr Gebiet selbst als Territorium bezeichnet hätten; und sie nannten es fast nie ein „Land“, schließlich waren sie sich der hier aufgezeigten Problematik bewusst. Sie bevorzugten es, von „Land und Leuten“ zu sprechen. Meinten sie hingegen ihr Herrschaftsgebiet als ganzes, sprachen sie von 187 DIETMAR WILLOWEIT, Artikel "Territorium", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (5), Berlin 1998, S. 149-151, hier S. 149. 188 Diese Terminologie entwickelt z.B. HANS ERICH FEINE, Territorium und Gericht. Studien zur süddeutschen Rechtsgeschichte (eingel. und hg. von Friedrich Merzbacher), Aalen 1978 S. 105 am Beispiel der Habsburger im Spätmittelalter. 189 Vgl. BOLDT, Deutsche Verfassungsgeschichte Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des älteren deutschen Reichs 1806 S. 154-169. 190 So die Definition des Territorialisierungsprozesses in der Wetterau bei SCHMIDT, Grafenverein S. 193. 191 Vgl. ebd. S. 194. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 51 den „Solms-Rödelheimischen Landen“. „Lande“ nun ist ein Begriff, der es im Gegensatz zu „Land“ gerade durch seine Unschärfe ermöglicht, die beschriebene Uneinheitlichkeit und ganz eigene Dimension von Landesherrschaft in der kleinen Reichsgrafschaft mitzudenken. Streubesitz war zwar auch für andere kleine und mittlere ebenso wie große Reichsstände eher die Regel als die Ausnahme, wie ein Blick auf die Landgrafschaft Hessen192 oder Brandenburg-Preußen193 zeigt, jedoch verfügten diese meist zumindest über einen konsistenten territorialen Kern. Es muss jedoch betont werden, dass die besprochenen Unterschiede, die zweifelsohne in Verfasstheit und politischer Praxis zu solchen Fürstentümern bestanden, nicht dazu führen dürfen, eine Landesherrschaft wie Solms-Rödelheim als Sonderfall oder Abnormität einzustufen; die kleine Grafschaft bewegte sich nämlich entschieden im Normalbereich innerhalb des großen Spektrums der Ausprägungen hochadeliger Landesherrschaft im Alten Reich, wie ein Blick in die Wetterau, nach Schwaben, Franken oder in andere kleinräumig organisierte Landstriche zeigt. 2.3 Hochadelige Herrschaft über die Grenzen der Landesherrschaft hinaus Die Verfügung über die Solms-Rödelheimer Lande und die damit verbundene Reichsstandschaft und Landesherrschaft hob die Reichsgrafen aus der Masse der adeligen Zeitgenossen heraus. Der weitaus größte Teil des Adels im Reich war landsässig, und europaweit war die relativ weit reichende landesherrliche Autonomie kleinerer Stände im Reichsverbund ohnehin die Ausnahme, denn insgesamt gelang es den europäischen Monarchen, selbständige adlige Herrschaft zunehmend der auszubauenden Staatsgewalt zu unterwerfen.194 Dem gegenüber stellte die grundherrliche Botmäßigkeit über Grund und Boden und die darauf sitzenden Leute die Basis adeliger Existenz überhaupt, gewissermaßen das universale Grundmuster von Adelsherrschaft in Europa dar.195 192 Vgl. WALTER HEINEMEYER, Das Werden Hessens (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen ; 50), Marburg 1986. 193 Die ersten „Außenposten“ Brandenburg-Preußens, denen noch viele weitere folgen sollten, waren Kleve-Mark und Ostpreußen, vgl. u.a. VIERHAUS, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden, 1648-1763 S. 259-260. 194 Vgl. REINHARD, Staatsgewalt S. 210. 195 ebd. S. 212. Vgl. dazu auch den enzyklopädischen Überblick über weltweite Erscheinungsformen von Grundherrschaften bei MAX WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 52 Hier machten auch die Reichsgrafen von Solms-Rödelheim keine Ausnahme, und so ist die Grundherrschaft ihr zweites wichtiges – in mancher Hinsicht sogar entscheidendes196 – Handlungsfeld. Darüber hinaus waren sie auch Leibherren für eine nicht näher zu bestimmende Zahl von Leibeigenen und Lehnsherren für adelige Vasallen. Diese Handlungsfelder hochadeliger Herrschaft, die juristisch, sozial und geographisch weit über die gezeigten engen Grenzen der Landesherrschaft hinausgingen, werden im Folgenden untersucht. 2.3.1 Die Reichsgrafen als Grund- und Leibherren Während Landesherrschaft nach innen Gesetzgebung und Jurisdiktion und nach außen Vertretung dem Kaiser, dem Reich und seinen Institutionen gegenüber bedeutete und sich grundsätzlich über Bauern, Stadtbürger, Geistliche und landsässige Adelige erstrecken konnte, bezog sich Grundherrschaft in erster Linie auf landwirtschaftlich genutzte Flächen und die auf und von diesen Flächen lebende ländliche Bevölkerung.197 Der Grundherr hatte – weil er damit belehnt wurde oder es allodial besaß – das „Obereigentum“ (dominium directum), die „gewere“ an dem Land. Er konnte es entweder selbst bewirtschaften oder das „Nutzeigentum“ (dominium utile) daran an Bauern weitergeben, wofür diese zu Abgaben und Diensten verpflichtet waren.198 Im Gegensatz zur Landesherrschaft, deren Praxis in weiten Teilen durch „echte“ Herrschaft im Sinne der Botmäßigkeit und richterlichen Gewalt des Herrn gekennzeichnet war, steht bei der Grundherrschaft die wirtschaftliche Nutzung der Ländereien deutlich im Vordergrund. Sie war zwar bis zur Bauernbefreiung prinzipiell ebenfalls „echte“ Herrschaft und nicht bloßes Eigentum, insofern sie auch den Gehorsam des Grundholden einschloss, ihre soziale Praxis bestand aber in den Gebieten westlich der Elbe grundsätzlich im Anspruch auf Abgaben und Dienste,199 die vom Herrn für die Sicherung eines standesgemäßes gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß. Teilband 4: Herrschaft (Max Weber Gesamtausgabe Abt. I Bd. 22-4), Tübingen 2005 S. 371-418. 196 Vgl. dazu auch Kapitel 3.2.4. 197 Nach wie vor grundlegend FRIEDRICH LÜTGE, Geschichte der deutschen Agrarverfassung vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Deutsche Agrargeschichte Bd. 3), Stuttgart 1967, hier v.a. S. 45-56. 198 Vgl. zur Unterscheidung von Ober- und Nutzeigentum bereits KARL BOSL, Artikel "Grundherrschaft", in: Hellmuth Rössler und Günther Franz (Hg.), Sachwörterbuch zur Deutschen Geschichte (1), München 1958, S. 373-375, hier S. 374. 199 Vgl. WERNER TROSSBACH, Bauern 1648 - 1806 (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 19), München 1993 S. 12-13. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 53 Auskommens und die Erfüllung bestimmter Aufgaben benutzt wurden.200 Im untersuchten Raum standen dabei die Abgaben eindeutig im Vordergrund; reichsgräfliche Grundherrschaft bedeutete also in erster Linie die Zinspflicht der auf dem Grund Angessenen und besaß damit eine so große Schnittmenge mit dem Grundeigentum, dass eine Abgrenzung schwierig, in vielen Fällen sogar unmöglich ist. Nach dem Tod des für seine außergewöhnliche Geschäftstüchtigkeit und beinahe sprichwörtlich gewordenen Wohlstands201 bekannten Ritters Frank von Kronberg 1461 fiel das Erbe seiner Tochter Elisabeth Catharina (*unbekannt +1430), die mit Graf Johannes von Solms (*unbekannt +1457) verheiratet gewesen war, an seinen Enkel Kuno von Solms (*unbekannt +3.5.1477). Damit kam auch ein Teil der Kronberger Akten an Solms, mit deren Hilfe sich der Umfang des Erbes und damit die Basis der Grafschaft Solms-Rödelheim recht zuverlässig ermitteln lässt.202 Demnach umfasste die Kellerei Niederwöllstadt, aus der später die Kellerei bzw. das Amt Assenheim hervorging,203 erstens die niedere Gerichtsbarkeit sowie den Heuzehnt in Niederwöllstadt, zweitens 5/12 an der Jurisdiktion in der Stadt Assenheim sowie die halbe Schäferei, einige Wiesen, Gärten und Fischwasser, drittens die niedere Gerichtsbarkeit und ca. 38 Morgen Grundbesitz in Ossenheim und Bauernheim, viertens die Vogtei in Büdesheim mit recht umfangreichem Grundbesitz und fünftens einige Wiesen in Bönstadt, Niederrosbach und einen Hof in Bruchenbrücken. Den Zehnten in Niederwöllstadt, Ossenheim und Bauernheim besaß der Deutschorden. Das Amt Petterweil umfasste Grundbesitz im Petterweiler Tal, andere Teile sowie die halbe Jurisdiktion waren in der Hand Ysenburgs; der Zehnte ging zu gleichen Teilen an Solms, Ysenburg und das Stift Aschaffenburg, 200 Vgl. WEBER, Herrschaft S. 382, der die Renten als den wesentlichen Teil der Grundherrschaft betrachtet, weiterhin HEIDE WUNDER, Die ländliche Gemeinde als Strukturprinzip der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Geschichte Mitteleuropas, in: Peter Blickle (Hg.), Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, München 1991, S. 385-402 und S. 398-400 mit dem Prinzip eines Tauschgeschäfts „Schutz und Schirm gegen Rat und Tat“, mithin herrschaftlichem Zugriff auf die Einkünfte und Dienstleistungen der Holden. 201 Er wurde des öfteren mit dem Beinamen „der Reiche“ belegt, während ihm in Urkunden meist das Kognomen „der Alte“ oder „der Ältere“ zukam, vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms S. 156-167. 202 Vgl. dazu ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte S. 12-16. 203 Die Begriffe „Amt“ und „Kellerei“ wurden, obwohl der erste den Sitz eines für Verwaltung, Jurisdiktion und Policey zuständigen Beamten und der zweite eine Einrichtung der Kameralverwaltung bezeichnete, häufig synonym verwendet (...die Graffschafft Rödelheim bestehet in drey Ämptern oder Kellereyen..., Übersicht über die Einkünfte der Kellerei Rödelheim Ende des 17. Jahrhunderts, ASR 501), weil diese meist identische Zuständigkeitsbezirke besassen und darüber hinaus oft in Personalunion von einem Beamten verwaltet wurde, vgl. Übersicht über die Besoldung der Rödelheimer Beamten Ende des 17. Jahrhunderts, HStAD F 24 A 815/2. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 54 außerdem gehörten zur Kellerei Teile der Schäferei sowie Haus-, Hofreiten- und Grundbesitz und Gefälle in Dortelweil, Rodheim, Leichen, Stirzelheim, Wirtheim, Heuzhofen und auf dem Beinhardshof. Die Kellerei Rödelheim schließlich umfasste erstens in Rödelheim selbst einen Teil des Gerichts, 2/3 des kleinen Zehnten und Anteile an dem Fischwasser auf der Nidda sowie an der Schäferei mit 2 ½ Huben und 6 Hofreiten mit 6 ½ Huben Land, zweitens die Hälfte des Gerichts Niederursel mit Teilen des dortigen großen und kleinen Zehnten sowie die Hälfte der Schäferei und einige Zinsen von Höfen, Gärten und Wiesen, drittens in Praunheim ebenfalls die Hälfte des Gerichts sowie den Zins von 7 Hofreiten; ferner gehörte viertens eine große Zahl auswärtiger Gefälle zum Amt Rödelheim, nämlich in Altenstadt, Altweilnau, Bergen, Bockenheim, Bommersheim, Breidlach, Kronberg, Dorfelden, Dreieichenhain, Düdelsheim, Eichen, Enkheim, Niedererlenbach, Eschbach, Eschborn, Eschersheim, Falkenstein, Frankfurt (hier der ehemalige Cronberger, jetzt Solmser Hof), Groschlag, Harheim, Hausen, Heddernheim, Helbingsheim, Höchst, Hochheim, Oberhöchstadt, Kalbach, Niederhöchstadt, Kalbach, Kirtorf, Kloppenheim, Kriftel, Liederbach, Marxheim, Massenheim, Münster, Nied, Niederhofheim, Niederrad, Okarben, Preungesheim, Schönberg, Schwalbach, Seckbach, Sindlingen, Soden, Sossenheim, Niederstedten, Steinbach, Steinheim, Stierstadt, Sulzbach, Vilbel und Weilbach.204 Ein Blick auf die Karte zeigt die Verteilung der Einkünfte der drei Kellereien. Während sich die Zuständigkeit der Ämter Niederwöllstadt und Petterweil dabei im wesentlichen auf die unmittelbare Umgebung, meist die Nachbardörfer, erstreckte, hatte Rödelheim nicht nur nahe, sondern z.T. auch sehr weit entfernte Besitzungen zu verwalten, wobei die Kirtorfer Gefälle wenige Kilometer westlich von Alsfeld und der Schönberger Dinghof nahe Schwalbach die Extreme darstellten. Insgesamt reichte die auf grundherrliche Rechte und Gefälle bezogene Zuständigkeit der Ämter bereits im 15. Jahrhundert weit über die zuvor erarbeiteten Grenzen der Landesherrschaft hinaus (vgl. Abbildung 3). 204 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte S. 12-16. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 55 Abbildung 3: Geographische Verteilung der Einkünfte der Solms-Rödelheimer Ämter im 15. Jahrhundert. Diese Konstellation mit recht kleinräumiger Landesherrschaft und weit darüber hinaus reichender Grundherrschaft hatte bis ins 19. Jahrhundert hinein Bestand. Das schließt weder Arrondierungs- noch Erweiterungsprozesse aus, die im Verlauf der Frühen Neuzeit durchaus stattfanden und die sich sowohl auf den landesherrlichen als auf den grundherrlichen Bereich bezogen; ihnen ist ein eigenes Kapitel weiter unten gewidmet.205 Trotzdem blieben die Gebiete um Rödelheim und Assenheim der Kern der reichsgräflichen Besitzungen. Der Status und das Selbstverständnis der Reichsgrafen war auf engste mit ihrer Landesherrschaft verbunden; wie diese Landesherrschaft konkret ausgestaltet werden konnte und welche Handlungsspielräume bestanden, war aber angesichts knapper Ressourcen in erster Linie durch die ökonomische Leistungsfähigkeit determiniert, die weniger vom Umfang der Landes- als viel mehr von dem der Grundherrschaft abhing. 205 Vgl. Kapitel 4.1. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 56 Ebenfalls deutlich über das Gebiet eigener Landeshoheit hinaus reichte das Gebiet, in dem die Reichsgrafen von Solms-Rödelheim die Leibherrschaft besaßen. Über die Mehrzahl der Leibeigenen hatten die Grafen gleichzeitig die Landes- oder Grundherrschaft, so etwa in Ossenheim206 und den Anfang des 18. Jahrhunderts neu hinzu gekommenen Herrschaften Limpurg-Gaildorf207 und Cratz von Scharffenstein.208 Die Rechnungen belegen jedoch, dass es durchaus auch in sehr weit entfernt liegenden Orten einzelne Leibeigene gab, wie das Gaildorfer Beispiel zeigt: die 457 in der Leibs Servitut befindlichen Personen verteilten sich auf 102 Orte in der Herrschaft Gaildorf und in einem Kreis mit etwa 50 km Radius darum herum – ein Leibeigener lebte z.B. in Ansbach, einer in Hoheneck bei Ludwigsburg und einer in Baltmannsweiler bei Stuttgart.209 Und auch zur Grafschaft Solms-Rödelheim gehörten Leibeigene in Orten unter der Landeshoheit Dritter, so etwa 1650 in Niedererlenbach, Griesheim, Nidda Eckenheim und Sossenheim.210 Nichts deutet darauf hin, dass die Leibvogtei im 17. und 18. Jahrhundert durch Graf oder Regierung im Sinne „echter Herrschaft“ genutzt wurde. Vielmehr kann das für Limpurg gefällte Urteil auf alle anderen leibherrschaftlichen Beziehungen der Reichsgrafen ausgeweitet werden, dass nämlich die Leibherrschaft im Verlauf der Frühen Neuzeit ihre eigentliche Bedeutung verlor und letztlich zur reinen Personalsteuer wurde, war doch ihre einzige praktische Konsequenz für den Hörigen die Pflicht zur Entrichtung einer jährlichen Abgabe sowie des Besthaupts.211 Schon der seltene Gebrauch, den die Leibeigenen von der Möglichkeit des Loskaufs gegen einen geringen Geldbetrag machten, deutet darauf hin, dass man die Leibvogtei allgemein als nicht sonderlich drückend empfand.212 206 Vgl. Verzeichnis der ausstehenden Rauch- und Leibhühner zu Ossenheim 1719, HStAD F 24 C 298/2. 207 Vgl. Übersicht über die Einnahmen aus Gaildorff 1695-1700, erstellt durch den Gaildorfer Kanzleisekretär Klinger, ASR 469, hier v.a. die Eintragungen zur Leib Vogtey. 208 Vgl. Rechnung der Kellerei Enkirch 1738/39, LHAKo 54 S 2126, hier v.a. die Einnahmerubrik vor abkauff der leibeigenschafft. 209 Leib Vogtey Rechnung der Kanzlei Gaildorf 1719, HStAD F 24 B Nr. 569. 210 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 82. 211 Vgl. WOLFGANG ZIMMERMANN, Vom Personenverband zum Territorialstaat, in: Landesarchiv Baden-Württemberg i.V.m.d. Landkreis Schwäbisch Hall (Hg.), Der Landkreis Schwäbisch-Hall (1), Ostfildern 2005, S. 33-59, hier S. 52. 212 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 80. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 57 2.3.2 Lehnsherrschaft Die Grafen von Solms traten nicht nur dem Kaiser und einigen Reichsfürsten gegenüber als Lehnsnehmer,213 sondern selbst Niederadeligen gegenüber als Lehnsherrn auf. Die Lehen wurden – abgesehen von einzelnen Lehen, die nur eine Linie betrafen214 – in der überwiegenden Zahl der Fälle von gesamter Hand, nämlich durch das „Samthaus“ vergeben. Der Senior als Chef des Hauses war gleichzeitig der Lehen-Director.215 Er verfügte mit dem Lehenpropst über einen Stellvertreter und Vorsteher – in den meisten Fällen handelte es sich um einen gräflichen Rat, dem diese Aufgabe zusätzlich übertragen wurde – und mit dem dazu gehörigen Lehensrat und den Sekretären über eine Verwaltung, die Lehenskanzlei216. Sie verwahrte das Lehnsarchiv, in dem alle Dokumente zu Aktiv- und Passivlehen aufbewahrt wurden, und wickelte sämtlichen die Lehen betreffenden Schriftverkehr ab. Seit 1729 führte sie auch ein eigenes Siegel.217 Es existierte also ein regelrechter Lehnhof, wenn auch mit bescheidenen Ausmaßen. Eine Belehnung hatte mit jeder personellen Veränderung – Tod des Lehnsnehmers oder des Seniors – neu zu erfolgen,218 da sie ein persönliches Rechtsgeschäft zwischen zwei Beteiligten, die jedoch auch durch die anderen Angehörigen des Hauses bevollmächtigt sein konnten, darstellte. Aus diesem Grund war auch ein persönliches Erscheinen am Lehnhof nötig, wenn eine Neu- oder Wiederbelehnung anstand. Allerdings bildete sich auch hier im Lauf der Frühen Neuzeit eine reguläre Stellvertretertätigkeit aus, so dass im 18. Jahrhundert dem Lehenpropst als Beauftragtem des Direktors ein oder mehrere Beauftragte des Lehnsnehmers gegenüber standen, die namens ihrer Auftraggeber den formalen Akt 213 Vgl. u.a. Lehnsrevers des Rats Schreiner namens des Grafen Ludwig Heinrich und der Gräfin Charlotte Sybille gegenüber Abt Nikolaus von St. Maximin über einen Weingarten zu Lörsch vom 3.1.1725, LHAKo 211 Nr. 1681. 214 Das war z.B. bei den Lehen Schelm von Bergen und Buseck gegeben, die allein von der Licher, der sog. „Johannes“-Linie vergeben wurden, vgl. Protokoll der Solmser Hauskonferenz vom 8.6.1719, ASR 1. 215 Vgl. Solmser Erbeinung vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1. 216 Vgl. Protokoll der Aktivlehenverwaltung unter dem Seniorat der Grafen von Solms-Utphe um 1740, ASR Nr. 1, das vom Lehensekretär geführt wurde und die Vorgänge in der Lehenskanzlei wiederspiegelt. 217 In diesem Siegel verläuft um das Solmser Wappen ein Schriftzug folgenden Inhalts: Lehen Cantzley der Graffen zu Solms, Vgl. Schreiben der solmsischen Lehnskanzlei mit anhängendem Siegel vom 23.3.1729, ASR 10. 218 Vgl. z.B. Lehnsbrief Graf Ludwig Heinrichs von Solms-Rödelheim für die Brüder Schenken zu Schweinsberg über Güter und Rechte zu Bönstadt und Assenheim vom 14.5.1721, HStAD B 9 Nr. 1448, den er als neuer Senior nach dem Tod Hermann Adolf Moritz´ von Hohensolms ausstellte. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 58 der Lehensverleihung und Ablegung des Lehnseids vollzogen. Als etwa vom Senior ein Termin für die Erneuerung der solmsischen Lehen – ein so genannter „Lehen- Hof“ – auf den 16. Juni 1739 in Laubach anberaumt wurde, erschienen hier der Geheime Regierungsrat von Schüz in seiner Eigenschaft als Lehenpropst auf der einen und Jacob Ludwig Moyen, hessen-darmstädtischer Rat in Gießen, als Beauftragter der Familie von Buttlar, der Advokat Christian Gottlieb Weller für die Brüder von Buseck genannt Münch sowie der Friedberger Amtverweser Johann Justus Huth namens Philipp Ludwig Wilhelm von Mauchenbergs auf der anderen Seite. Nach Überreichung der Vollmachten wurde der Lehnseid verlesen und nachgesprochen, abschließend nahmen die Beauftragten die bereits auf Pergament verfertigten auch mit Capsuln versehenen Lehens-Reverse entgegen, erstatteten ihren untertänigen Dank und zahlten die Lehen-Tax und Schreibgebühr von zusammen 42 fl.219 Im Falle einer Vererbung oder des geplanten Verkaufs von solmsischen Lehen musste das Einverständnis des Lehnsherrn, also des Seniors des Hauses, eingeholt werden. Johann Ernst von Bellersheim verfasste 1729 eine Supplik an das solmsische Seniorat, in der er wegen häufiger Schulden um die Zustimmung zum Verkauf der ihm von Solms verliehenen 4 ½ Morgen Land in Wölfersheim bat; diese wurde ihm verweigert, weil der Verkauf vor daß hochgr. hauß keines weegs als convenable erachtet wurde.220 Carl Casimir von Merlau, der den in seinem Besitz befindlichen, von Solms verliehenen Zehnten in Oberohm an seine drei Töchter vermachen wollte, suchte ebenfalls vorher um Erlaubnis durch die Lehnsherren nach, die ihm, nachdem sich der Senior der Zustimmung der Agnaten versichert hatte, ein knappes Jahr später – er war bereits verstorben – tatsächlich erteilt wurde.221 Ein Problem nicht nur der Lehens-, sondern der gesamten Hauspolitik wird an diesem Beispiel deutlich: die Weitergabe des von Merlau´schen Zehnten war keineswegs umstritten unter den Agnaten, vielmehr herrschte in diesem Punkt Konsens. Da aber nicht alle dazu gehörigen Fragen auf der Hauskonferenz am 22.5.1739 in Friedberg, auf der das Thema besprochen wurde, persönlich geklärt werden konnten, wurde nachfolgend eine umfangreiche Korrespondenz darüber nötig, die angesichts der großen Entfernung zwischen den Solmser Besitzungen und wegen des oft langsamen 219 Vgl. Eintrag im Protokoll der Aktivlehenverwaltung vom 16.6.1739, ASR 1. 220 Vgl. die entsprechenden Einträge im Protokoll der Aktivlehenverwaltung vom 1729 bis 17.4.1733, ASR 1. 221 Vgl. die Einträge im Protokoll der Aktivlehenverwaltung vom 23.5.1739 bis 27.4.1740, ASR 1. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 59 Geschäftsgangs in den einzelnen Kanzleien beinahe ein ganzes Jahr in Anspruch nahm. War eine Entscheidungsfindung schon in diesem unkritischen Fall langwierig, drohten strittige Fragen, in denen sich einzelne Beteiligte sperrten oder lange Zeit nicht Stellung bezogen, erst recht viele Jahre, teilweise Jahrzehnte ungeklärt zu bleiben, weil die Kommunikation ineffizient war. Die Verleihung der Lehen war dabei nicht nur bloße Formalie. Beispielsweise versuchte der Senior im März 1741, auf den Lehnsmann Reinhard Heinrich von und zu Lehrbach einzuwirken, keinen Vergleich mit der Gemeinde Allendorf einzugehen; er verweigerte seine lehnsherrliche Zustimmung, da er die Rechte des Hauses am Allendorfer Zehnten durch einen solchen Vergleich gefährdet sah, und drohte im Falle einer Zuwiderhandlung nach denen Lehen Rechten ernst und nachtrücklich gegen von Lehrbach vorzugehen.222 Es handelte sich also bei der Lehnsherrschaft bis ins 18. Jahrhundert hinein um „echte“ Herrschaft, insofern sie vom Samthaus dazu benutzt wurde, Einfluss auf die adelichen Vasallen und deren Vorgehen zu nehmen. Die Lehensbeziehungen des Hauses Solms zu einzelnen adeligen Familien reichten bis in das ausgehende Mittelalter zurück. Bereits 1473 hatte etwa Graf Kuno von Solms den Adolph von Nordeck zu Rabenau mit Gefällen zu Oberndorf belehnt,223 und auch 300 Jahre später zählen die Nordeck noch zu den solmsischen Vasallen. Im Jahr 1719 verfügte das Haus Solms über 20 an Adelige verliehene Aktivlehen,224 die zwar Einnahmen aus der Lehen-Tax, aber auch einen nicht zu unterschätzenden Verwaltungsaufwand bedeuteten. Dieser Aufwand wurde jedoch von den Solmsern als Preis für die eigene Rolle als Lehnsgeber akzeptiert, schließlich war es für sie eine zier, lehenleut zu haben.225 Die Bedeutung des Vorgangs für das Selbstverständnis der Reichsgrafen kann also kaum überschätzt werden, vor allem für die als so dringend erachtete Abgrenzung nach unten, gegen die Ritterschaft.226 Denn es war einer der wesentlichen Unterschiede, dass Reichsgrafen über adelige Vasallen verfügten, Ritter aber in der Regel selbst dann 222 Vgl. Eintrag im Protokoll der Aktivlehenverwaltung vom 29.3.1741, ASR 1. 223 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms S. 166. 224 Im einzelnen handelte es sich um die Lehen Bechtoldheim, Bellersheim, Berghöfer, Biedenfeld, Buseck, Buttlar, Carben, Cronenberg, Hattstein, Lehrbach, Lösch von Mühlheim, Loew-Steinfurt, Merlau, Nordeck-Rabenau, Rodenhausen, Rolshausen, Schelm von Bergen, Schenck zu Hermanstein, Schenck zu Schweinsberg und Webel, vgl. Protokoll der Solmser Hauskonferenz vom 8.6.1719, ASR 1. 225 Erklärung der Braunfelser Räte auf einer Hauskonferenz im Kloster Arnsburg 1616, zitiert nach PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms, hier S. 55. 226 Vgl. hierzu u.a. ARNDT, Zwischen kollegialer Solidarität und persönlichem Aufstiegsstreben. Die Reichsgrafen im 17. und 18. Jahrhundert, hier S. 119-121. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 60 nicht, wenn sie vom Kaiser mit dem begehrten Grafentitel begnadigt wurden. Theoretisch befanden sich die Reichsgrafen damit auf Augenhöhe mit anderen hochadeligen, sprich: fürstlichen Häusern, praktisch unterschieden sie sich jedoch dadurch von diesen, dass es ihnen z.B. im Fall Rödelheims und einiger weiterer kleinerer Herrschaften nicht gelungen war, ihre Lehnsherrschaft konsequent auszubauen und die betreffenden Ritter in die Landsässigkeit zu zwingen, wie es z.B. die Landgrafen von Hessen im Verlauf des 16. Jahrhunderts mit der hessischen Ritterschaft bis auf wenige Ausnahmen wie den Riedesel getan hatten.227 Hingegen gelang es zumindest bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, den ritterschaftlichen Adel in so weit in Dienst zu nehmen, als die Amtleute regelmäßig aus dem Kreis der adeligen Vasallen rekrutiert wurden. Unter den in Rödelheim sitzenden Amtleuten dieser Zeit finden sich deshalb die Namen Schenk zu Schweinsberg, von Fauerbach, Löw von Steinfurth und Lösch von Mühlheim, allesamt Lehnsleute des Hauses Solms.228 Das lag nahe, weil die Grafen in ihnen „geborene Funktionäre der Herrschaft [gewannen, die] mit der Mobilität des Pferdes und mit der Gewalt des Schwertes“229 als Stellvertreter vor Ort die Landesherrschaft repräsentieren und durchsetzen konnten, und weil die Ritter ihrerseits als Amtsträger zusätzliche Kompetenzen und Einkünfte erhielten. Ab etwa 1610 verschwanden jedoch die Adeligen aus der Reihe der Amtsträger, die seitdem – der Logik der Entwicklung des Amtmannsberufs weg von der universalen Wahrnehmung aller Herrschaftsrechte hin zum „Amtsrichter“ des 19. Jahrhunderts folgend230 – von bürgerlichen Juristen dominiert wurde. Wahrscheinliche Ursache dafür ist zunächst der Umstand, dass mit dem zunehmenden Ausbau der Regierung und der regelmäßigeren Anwesenheit der regierenden Grafen vor Ort in Rödelheim im 17. Jahrhundert Kompetenzen und Selbständigkeit der Amtleute beschnitten wurden, und dass deren Verdienst nicht besonders üppig bemessen war; eine Aufstellung der Kosten der Rödelheimer Administration von 1728 nennt als Jahresbesoldung des verstorbenen Amtmanns Schreiner in geld 100 fl, an korn 12 achtel, an haffer 4 achtel, an waitzen 1 achtell, an gersten 5 achtell, vor holtz 6 fl, Summa 154 fl 5 227 Vgl. WOLFF, Grafen und Herren, hier S. 336. 228 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1 S. 193-194. 229 PRESS, Ritterschaft, S. 210. 230 Vgl. KARL KROESCHELL, Der Amtmann. Zur Kulturgeschichte eines Juristenberufs, Forum Historiae Iuris [http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/zitat/0201kroeschell.htm] (10.08. 2006) und umfassender mit prosopographischer Methode STEFAN BRAKENSIEK, Fürstendiener - Staatsbeamte - Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1750-1830) (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte Bd. 12), Göttingen 1999. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 61 alb.231 Der Dienst an einem größeren Hof erschien aus dieser Perspektive für Angehörige der Ritterschaft wohl wesentlich attraktiver.232 Außerdem ist unsicher, trotz der zunehmend besseren Ausbildung adeliger Nachkommen, ob die juristischen Qualifikationen zur Wahrnehmung der komplexer werdenden Aufgaben im späten 17. und 18. Jahrhundert ausgereicht hätten. 2.4 Ergebnisse Die personale Komponente, die reichsgräfliche Landesherrschaft wesentlich charakterisierte, kam bereits im Konstituierungsprozess im Zuge der Huldigung der Untertanen zum Ausdruck. Damit konnte Landesherrschaft als allein auf die Person des Landesherrn bezogen verstanden werden; im Gegensatz dazu erwies sich das Land als keine eigenständige Größe. Nicht ein Land, sondern die „Lande“ waren das nur durch ihre Zugehörigkeit zur Landesherrschaft verklammerte Objekt der reichsgräflichen Herrschaft. Insbesondere das Fehlen von Landständen, das zwar innerhalb der vielgestaltigen Verfassungswirklichkeit des Alten Reichs und gerade im Bereich der Reichsgrafschaften nicht ungewöhnlich war, trug zu ihrem personalen und auf den Landesherrn bezogenen Charakter wesentlich bei. Im Anschluss konnten wesentliche Merkmale der ganz eigenen reichsgräflichen Dimension der „Landeshoheit“ herausgearbeitet werden. Sie war charakterisiert durch eine bis zuletzt starke Bezogenheit auf Kaiser und Reich sowie dessen Institutionen in ideeller, aber auch praktisch-politischer Hinsicht, die die Herrschaft prägten und bis in das Verhältnis zu den eigenen Untertanen hinein stets präsent waren. Damit erwiesen sich auch Personen und Institutionen außerhalb der Grafschaft als konstitutiv, die weiter unten als wesentliche Elemente der delegiert organisierten Landesherrschaft eingehend untersucht werden. Das deutet darauf hin, dass die Delegation von Rechten und Kompetenzen und der Charakter der Landeshoheit als Grundlage dieser Rechte in einer engen Wechselwirkung standen und sich gegenseitig beeinflussten. 231 Summarische Designation an denen Kellerey-bestallungen, bau- und schäfferey kosten, zehend- samler und trescherlohn, Saamenfrüchten, frohn- und trescherbrod, wie auch anderen in denen Rödelheimer, Aßenheimer, Petterweiler und Einartshäußer Rechnungnen von ad 1719 biß 1727 befindlicher ohnumbgänglicher, so ständig alß unständiger Geld- und Fruchtabgaben, welche von dem Ertrag der Herrschaft Rödelheim wieder abgezogen (Beilage zu Akten im Primogeniturstreit 1728/29, erstellt von Rat Hipp), HStAD F 24 A Nr. 816/1. 232 Vgl. PRESS, Ritterschaft, S. 210. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 62 Indem die Gebiete, auf die sich die Landesherrschaft bezog, genau untersucht und abgegrenzt wurden, erwies sich ihre außergewöhnliche Kleinräumigkeit und Fragmentiertheit. Bei der Reichsgrafschaft handelte es sich um lediglich zehn über die Wetterau verteilte Orte. Nur selten besaßen sie gemeinsame Außengrenzen, sondern waren vielmehr häufig durch Fremdherrschaften von einander getrennt. Darüber hinaus ist für die Hälfte der Solms-Rödelheimer Orte zudem von einer geteilten, d.h. von zwei oder mehr Reichsständen separat oder auch gemeinsam ausgeübten Landesherrschaft auszugehen, was sich nicht nur ökonomisch, sondern auch auf die Praxis von Regierung und Verwaltung vielfältig auswirkte. Die Grundherrschaft dagegen, als deren wesentlicher Inhalt die Verfügung über den den Boden bewirtschaftenden Bauern und dessen Abgaben herausgearbeitet wurde und die deshalb im Wesentlichen als ökonomisches Moment zu bewerten ist, war demgegenüber schon im 15. und 16. Jahrhundert sehr viel umfassender und wies weit über den Bereich der Landesherrschaft hinaus. Insofern greift jeder Ansatz zu kurz, der eine wenig umfangreiche Landesherrschaft mit einer nicht leistungsfähigen Ökonomie gleichsetzt. Zwar ist eine solche Assoziation nahe liegend und in vielen Fällen auch zutreffend, sie zu verallgemeinern hieße jedoch die landesherrlich- politische Basis mit der ökonomischen Basis zu verwechseln und einem Trugschluss zum Opfer zu fallen. Exemplarisch seien hier die Ausführungen von Fritz Wolff zu „Grafen und Herren in Hessen“ angeführt, der feststellt „eine kleine Grafschaft mit einigen Quadratmeilen Gebietsumfang – Solms-Lich umfasste vier, Laubach drei, Rödelheim zwei, Stolberg-Gedern kaum anderthalb Quadratmeilen – und ein paar tausend Untertanen brachte jährlich vielleicht 30.000 oder 40.000 fl an Einkünften. Das war zu wenig für einen standesgemäßen oder manchmal nur ausreichenden Unterhalt der oft zahlreichen Familie, für die Kosten der Hofhaltung, der Staatsverwaltung und all die Attribute eigenständiger Staatlichkeit, die sich auch das kleinste Territorium zulegte“.233 An diesen Ausführungen, die exemplarisch für eine ganze historiographische Tradition stehen, sind mehrere Anmerkungen notwendig, um das ein wenig schiefe Bild gerade zu rücken. Zunächst verfügten die meisten kleinen selbständigen Landesherrschaften gerade nicht über Attribute „selbständiger Staatlichkeit“, denn es ging ihnen sowohl die „Selbständigkeit“, nämlich wie besprochen die modern verstandene autonome Landeshoheit, als auch die Staatlichkeit vollständig ab. Zwar hat WOLFF Recht, wenn er feststellt, dass Solms- 233 Vgl. WOLFF, Grafen und Herren, S. 342-343. Territoriale und rechtliche Grundlagen reichsgräflicher Herrschaft 63 Rödelheim oder Stolberg-Gedern Extremfälle von Landesherrschaft im Alten Reich im Sinne kleiner und kleinster Dimensionen darstellten, und er hat außerdem Recht, wenn er von kontinuierlichen Finanzproblemen innerhalb des Reichsgrafenstandes ausgeht – aber er sitzt einem Irrtum auf, indem er annimmt, dass das Zweite eine Konsequenz des Ersten sei. Denn nicht die Kleinräumigkeit der Landesherrschaft determinierte den Mangel an finanziellen Ressourcen, sondern ein geringer Umfang der Grundherrschaft. Ein Fall wie der von PRESS beschriebene Aufstieg der Liechtensteiner bis in den Reichsfürstenstand234 wäre nicht möglich gewesen, wenn die Landesherrschaft die Basis der Einkünfte gewesen wäre – schließlich gab es ursprünglich keine Liechtensteiner Landesherrschaft; vielmehr war und blieben Grundherrschaft und Besitz die wichtigsten Bausteine ihres Reichtums, auch dann noch, als nach dem Erwerb von Schellenberg und Vaduz eine reichsunmittelbare Herrschaft und schließlich ein Fürstentum etabliert worden war. Ganz ähnlich, wenn auch in ungleich kleineren Dimensionen, verhielt es sich in Solms-Rödelheim, denn auch hier bildete, wie im folgenden Kapitel noch ausführlich darzustellen sein wird, die Grundherrschaft die Basis der Einnahmen, während die Einnahmen aus der Landesherrschaft in ihrer Bedeutung vergleichsweise gering waren und blieben. Weniger ökonomische als symbolische Bedeutung hatte die Rolle der Rödelheimer Reichsgrafen als Lehnsherren. Die Einnahmen aus der Lehnsherrschaft waren eher gering. Es ist auch kein Fall bekannt, indem diese Herrschaftsbeziehung etwa in eine Kreditbeziehung transformiert worden wäre. Die Frage, ob man über adelige Vasallen verfügte, berührte vielmehr das hochadelige Selbstverständnis im Kern, war sie doch neben der Ebenbürtigkeit mit Fürsten bei Eheschließungen eines der wesentlichen Distinktionskriterien zum übrigen, insbesondere dem ritterschaftlichen und Niederadel. Insofern war es eben eine „Zier“, Lehnsleute zu haben, selbst wenn es nicht gelungen war, sie landsässig zu machen und ständisch zu formieren. 234 Vgl. u.a. VOLKER PRESS, Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein. Ein Aristokrat zwischen Armee, Kaiserhof und Fürstenhaus, in: Franz Brendle und Anton Schindling (Hg.), Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1998, S. 93-112. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 64 3 Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft Wie die im vorigen Kapitel untersuchten Grundlagen der Landes- und Grundherrschaft in praktische Politik und ökonomische Maßnahmen überführt wurden, ist Thema des folgenden Abschnitts. Im Einzelnen wird es darum gehen, welche Ziele der Landesherrschaft sich ausmachen lassen und durch welche Form der Administration sie erreicht werden sollten, und wie die Ökonomie der Reichsgrafen von Solms-Rödelheim – sowohl für die Landesherrschaft insgesamt als speziell im persönlichen Bereich – organisiert und charakterisiert war. Insbesondere soll hier der Frage nachgegangen werden, ob es gelang, erfolgreich zu wirtschaften, und welche Determinanten des Erfolgs sich ausmachen lassen. 3.1 Perspektiven und Administration der Herrschaft Sowohl in der Außensicht als auch im Selbstverständnis der Reichsgrafen war die Aufrechterhaltung oder Herstellung guter Ordnung und Policey im Souveränitätsbereich gleichermaßen Hauptzweck und wichtigste Legitimation der Herrschaft. 1660 hatten die Solmser Grafen Karl Eberhard und Johann August ihre in Form von zwölf Verbeßerungs puncten gegossene Niederwöllstädter Dorfordnung damit begründet, dass vermittelst deren etwan vielen Unheil zeitlichen vorgebieget auch gute Policey und Orthnung unter ihnen gestiftet werden könnte,235 und noch 120 Jahre später begründete die Regierung in Rödelheim ihr Ersuchen um gewissenhaftere Amtsführung der mitherrschaftlichen Beamten in Assenheim damit, dass die daselbst erforderlich höchstnöthige Policey äußerst vernachlässiget werde.236 Im Konflikt um die Einführung der Primogenitur in Rödelheim 1728/29 betonten die einbezogenen Reichsstände wiederholt, dass ein neuer Regent – wie er 235 Niederwöllstädter Policeyordnung vom 26.3.1660, HStAD F 24 C 277/8. 236 Schreiben der Rödelheimer Regierung an die Regierungen zu Hanau und Wächtersbach vom 27.4.1782, HStAD F 24 A 90/12. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 65 auch heißen möge – neben dem Dienst an Kaiser und Reich vor allem für „gute Policey“ in seinen Landen zu sorgen habe.237 Damit ist die Zielrichtung reichsgräflicher Politik238 grob umrissen: mit der Sicherstellung der „guten Policey“ waren die „Beziehungen der Menschen zueinander, zum (Haus-, Grund-, Landes-)Herrn und zu Gott“ zu ordnen.239 Wie dieses ganz allgemeine Ziel ausdefiniert und in konkrete Handlungsanweisungen gegossen wurde und schließlich in (administrativen) Strukturen mündete, ist im Folgenden darzustellen. Es geht dabei vor allem um die normativen Vorgaben der Grafen und darum, wie sie den Teil ihrer Landesherrschaft, den sie wohl am Besten kontrollieren konnten – die Administration – auf- bzw. ausbauten. Um nicht Wirkungsabsichten und tatsächliche Wirkung zu verwechseln, ist hernach zu fragen, in wiefern angesichts der generellen Implementierungsdefizite frühneuzeitlicher Regierungen240 die Bemühungen der Reichsgrafen und ihrer Regierung um eine Umstrukturierung der (Lokal-)verwaltung und Einführung neuer Gesetze oder Verfahren vor Ort um- und durchzusetzen waren; Denn dass die „Gute Policey“ Anlass für vielfältige Kommunikations- und Aushandlungsprozesse und Konflikte zwischen Obrigkeit und lokalen Gesellschaften war, haben jüngere Forschungen deutlich gezeigt.241 Deshalb soll diesen lokalen Gesellschaften – für Solms- Rödelheim bedeutete dies in allererster Linie: den Gemeinden – und ihrer Rolle bei der Umsetzung reichsgräflicher Politik besondere Aufmerksamkeit gelten. Insbesondere wird der Versuch unternommen, die eigenen Interessen der Gemeinden in Abgrenzung von den obrigkeitlichen Vorstellungen zu erfassen und Strategien zu deren Durchsetzung nachzuzeichnen, um beurteilen zu können, wie groß der Gestaltungsspielraum der Regenten war. 237 Vgl. die umfangreiche Korrespondenz Gräfin Wilhelmine Christines mit verschiedenen Reichsständen und dem oberrheinischen Kreis 1728/29, HStAD F 24 A 816/1. 238 Zum „Haupt-Punct der Regierung, welcher bestehet in Aufrichtung guter Ordnung und Gesetze für die Wohlfahrt und gemeinen Nutz“ vgl. schon VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten Staat (Neuauflage), S. 203 ff. 239 HOLENSTEIN, Gute Policey, S. 22. 240 Über die Durchsetzungsschwäche als ein wesentliches Charakteristikum frühneuzeitlicher Staaten „herrscht nun wahrlich Konsens in der Forschung“, FRANK GÖSE, Rezension zu: Meumann, Markus; Pröve, Ralf: Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses. Münster 2004, [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-052] (3.11. 2005), vgl. darüber hinaus SCHLUMBOHM, Gesetze. Insofern stellt Solms-Rödelheim also keinen Sonderfall dar. Es ist vielmehr ein weiteres Beispiel dafür, dass Herrschaft kein eindimensionaler Prozess, sondern Ergebnis von Aushandlungsprozessen und vielfältigen Kompromissen war. 241 Vgl. v.a. HOLENSTEIN, Gute Policey, dort S. 25 ff. eine ausführliche Darstellung und Diskussion des Forschungsstands. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 66 3.1.1 Ordnungen und Dekrete – der normative Ausdruck der „Guten Policey“ Weil die Entwicklung der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim erst Ende des 17. Jahrhunderts in eine unabhängige Landesherrschaft mündete, kann erst ab diesem Zeitpunkt von eigenständiger Policeygesetzgebung gesprochen werden. Das bedeutet nicht, dass es sie vorher nicht gegeben hätte. Vielmehr ist, ganz ähnlich wie in anderen Territorien, auch für die Grafschaft Solms-Laubach, der große Teile der späteren Rödelheimer Herrschaft zugehörten, bereits für das 16. Jahrhundert vom Aufkommen policeylicher Verordnungstätigkeit auszugehen. Insofern sind die nachfolgend erläuterten Phänomene keine Neuerung, sondern eine Fortsetzung der bestehenden Policeygesetzgebung. Dass ihre Untersuchung sich dennoch auf das späte 17. und das 18. Jahrhundert beschränkt, hängt zunächst mit der auf diesen Zeitraum und eine selbständige Solms-Rödelheimer Politik fokussierten Fragestellung zusammen, ist aber auch der Quellenlage geschuldet, die für die Zeit vor der Selbständigkeit für den Bereich der Policey schwierig ist. Eine Unterscheidung von durch den Regenten persönlich getroffenen Entscheidungen und Verordnungen, die von einem Regierungsrat ausgingen, ist nicht möglich. Üblicherweise wurden Erlasse durch einen oder mehrere Regierungsräte abgefasst und gezeichnet, hin und wieder „Nomine regiminis“. Die zahlreichen „placet“-Vermerke der Grafen unter Entwürfen weisen darauf hin, dass letztlich nahezu alle Entscheidungen durch sie persönlich zumindest bestätigt, häufig auch initiiert wurden. Über diese Vermerke und gelegentliche Notizen am Rand eines Entwurfs hinaus ist ein sehr großer Teil der Entscheidungsprozesse überhaupt nicht überliefert, weil durch die sehr kurzen Wege innerhalb der Regierung – sowohl Regent als Regierung arbeiteten bis zum Tod Graf Wilhelm Karl Ludwigs 1778 unter einem Dach in Rödelheim – keine schriftliche Abstimmung notwendig war, sondern vieles mündlich kommuniziert wurde. Deshalb können die Aushandlungsprozesse innerhalb der Regierung und mit den Regenten hier nicht genau untersucht werden. Auch wenn eine frühneuzeitliche Administration wie alle anderen Organisationen von vielfältigen Interaktionen und Zielkonflikten der Akteure geprägt war, sind Graf und Regierung deshalb an dieser Stelle notgedrungen als Einheit zu betrachten. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 67 Auch eine Unterscheidung von „Gesetzen“, „Verordnungen“, „Erlassen“ etc. ist für den Untersuchungsraum nur sehr schwer möglich, denn die Gemeinsamkeiten sind deutlich ausgeprägter als die Unterschiede. Während die Rechtswissenschaften späterer Jahrhunderte die verschiedenen Möglichkeiten einer Regierung zur Einflussnahme auf Untertanen oder Staatsbürger durch Normsetzung formal immer genauer ausdifferenzierte und -definierte, funktionierte in der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim jede Verordnungstätigkeit nach einem sehr ähnlichen Prinzip: Regierung und Regent trafen aus eigenem Antrieb oder als Reaktion auf eine bestimmte Problemlage bzw. Bedürfnisäußerung eines Dritten242 eine Entscheidung, die verschriftlicht und publiziert wurde – in der Regel durch Verlesen; diese beanspruchte, wenn sie nicht ausdrücklich nur für einen einzigen konkreten Anlass getroffen und entsprechend gekennzeichnet wurde, nach dem Präzedenzfallprinzip grundsätzlich sowohl zeitlich als auch räumlich universelle Geltung, indem sich die Menschen andernorts und später darauf berufen konnten. Nach systematischen Gesichtspunkten ist deshalb allenfalls eine Unterscheidung zwischen Dekreten für einen Einzelfall und solchen mit genereller Gültigkeit sowie von Erlassen in „Consistorial-„ und „herrschaftlichen“ bzw. „Kameralsachen“ zu treffen, wobei jedoch auch hier die Grenzen fließend sind. Allen gemeinsam ist, dass sie direkt von der Regierung oder dem Grafen an Gruppen von Untertanen gerichtet sind, die nicht in einem Dienstverhältnis zu diesen standen; damit sind sie klar abzugrenzen von Befehlen an Amtsträger und allen Verordnungen für die Administration. Eine Untersuchung der auf diese Weise abzugrenzenden überlieferten Erlasse und Verordnungen243 lässt einen Einblick in die verschiedenen Bereiche zu, die durch sie geregelt werden sollten. Zunächst und zu allererst sollte ein gottesfürchtiger Lebenswandel der Untertanen sichergestellt werden. Dabei ließ sich die Obrigkeit vor allem die Eindämmung des Alkoholgenusses angelegen sein: Die Niederwöllstädter Policeyordnung von 1660, der früheste in diesem Zusammenhang 242 Zu diesem Aspekt der Gesetzgebung als Ergebnis der Ordnungsbedürftigkeit einer Gesellschaft vgl. ebd. S. 142. 243 Es existiert keine Sammlung für die Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim, die etwa mit der Sammlung Fürstlich-Hessischer Landesordnungen vergleichbar wäre. Darüber hinaus sind sie auch archivalisch nicht nach diesem Gesichtspunkt erfasst, was das Auffinden überaus schwierig und zeitaufwändig macht. Viele Erlasse und (Ver-)Ordnungen, auf die sich andere Quellen beziehen, sind überhaupt nicht mehr auffindbar; deshalb sind einer systematischen Auswertung sehr enge Grenzen gesetzt, der Historiker ist häufig auf Zufallsfunde angewiesen. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 68 erfasste Erlass,244 bestimmte gleich anfangs, es werde mit sonderbahrem hohen Mißfallen, das tägliche Vollsaufen, uf Sonntag u. Feyertagen, sowohl in Gemeinen Wirths, alß andern Gemeinen Privatbier- und Brantwein Häußer, sonderlich aber, weilen wir mit nicht geringer Bestürtzung angehöret, daß man eher durch Gott dem Höchsten mißfälliges ergebliches Vollsauffen die Predigt Göttliches Worts versäumet, ernstlich und bey straff 10 fl verbotten.245 Offenbar hatte dieses Verbot, welches sicher so oder ähnlich für alle Solmser Orte ausgesprochen wurde, nicht oder nur kurzfristig den gewünschten Erfolg, denn 1722 wurde den Niederwöllstädtern erneut per Dekret auch des Tages über das überflüßige Sauffen wordurch deren Haußhaltung geschwächet und die nöthige Arbeit versäumet wird samt dem Spielen verboten.246 Die Gemeindemitglieder Niederwöllstadts tranken jedoch nicht nur während des Gottesdienstes und tagsüber, sondern nutzten jegliche Art von Gemeindeversammlung zum Zechen – so jedenfalls der Vorwurf der Regierung; deshalb ergingen in den Jahren 1753, 1754 und 1774 Erlasse gegen das Zechen von Gericht und Gemeinde Niederwöllstadt bei Annehmung der Hirten und anderen Zusammenkünften.247 Zu einem gottesfürchtigen Lebenswandel der Untertanen, wie er den Reichsgrafen und ihren Räten vorschwebte, gehörte außer dem maßvollen Genuss von Alkohol vor allem die Sparsamkeit: 1764 erging eine Verordnung gegen die übermäßigen Kosten von Begräbnissen, nach der die gebettene Leydleuthe, zu Erspahrung großer Kosten, mit Brod, Butter, Käß, Bier und Brandwein bewirthet werden sollten; dass dies für die Betroffenen zum Problem werden konnte, zeigt die Supplik des Niederwöllstädter Müllers Bausch: weil Käse und Bier zu teuer waren, hatte er bei einer vergangenen Beerdigung Kuchen und Wein reichen lassen. Darauf hin war er in eine Strafe von 15 fl genommen worden. Er supplizierte nun wegen Erlassung der Strafe, weil er 1.) durch Kuchen und Wein sogar Geld gespart habe, 2.) die Strafe viel höher sei als seine kompletten Begräbniskosten 3.) er dadurch also 244 Sie war aber sehr wahrscheinlich nicht die erste Ordnung für Niederwöllstadt, sondern basierte sicher auf früheren Versionen, berücksichtigt man die Gemeindekonstituierung in Dorfordnungen im 15., spätestens jedoch 16. Jahrhundert, vgl. WERNER TROßBACH, Einung, Willkür, Dorfordnung. Anmerkungen zur (Re-)Formierung dörflicher Gemeinden (13. bis 16. Jahrhundert), in: Jens Flemming et al. (Hg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse (Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag), Kassel 2004, S. 597-620. 245 Niederwöllstädter Policeyordnung vom 26.3.1660, HStAD F 24 C 277/8. 246 Dekret an die Gemeinde Niederwöllstadt vom 11.10.1722 zum Trinken und Spielen, HStAD F 24 C 277/9. 247 Vgl. die entsprechenden Unterlassungsbefehle mit Strafandrohung 1753-74 in HStAD F 24 C 277/9. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 69 weit größeren Schaden nähme und 4.) die Verordnung ja eigentlich zum Besten der Untertanen sei, ihn aber in diesem Fall sehr beschwere. Umseitig auf seinem Schreiben notierte Graf Wilhelm Karl Ludwig seine Entscheidung: er beschied den Supplikanten ohne Begründung abschlägig.248 Gottesfurcht vermisste die Obrigkeit aber nicht nur bei den christlichen Untertanen, sondern auch bei den Schutzverwandte[n], u. heimgeseßene[n] Juden, denen in der Policeyordnung 1660 das Kaufen und Verkaufen an Sonntagen während der Predigt verboten und darüber hinaus anbefohlen wurde, sie sollten sich zukünftig alß Juden gebühret, bezeigen und verhalten.249 Die Unterweisung der Untertanen im rechten Glauben von Anfang an war ein weiteres Ziel obrigkeitlicher Verordnungstätigkeit. Zu diesem Zweck wurden 1702 Schulordnungen erlassen, deren Text zwar nicht aufzufinden ist, die jedoch indirekt fassbar werden durch einen zwölf Jahre später erlassenen Befehl an sämtliche Ortsschultheißen: Weil den Schulordnungen fast an keinem Ort der hiesigen Graffschafft in allen stücken nachgelebet worden war, wurden die Schultheißen nachdrücklich aufgefordert, darauf zu achten, dass alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren täglich mindestens zwei Stunden lang die Schule besuchten.250 Ende des 18. Jahrhunderts wurde auf dem Weg der Kirchen- und Schulvisitation eine Qualitätskontrolle durchgeführt. 1782 hatte sich bei dieser Gelegenheit herausgestellt, dass Schulmeister Schneider in Ossenheim der Schlechteste der ganzen Grafschaft war, weshalb er streng ermahnt wurde, sich während des Unterrichts nicht aus der Schule zu entfernen, sich des mürrisch und sauertöpfischen Betragens gegen die Schulkinder zu enthalten, dahingegen eines liebreichen und väterlichen zu befleißigen, besser darauf zu achten, dass alle Schüler das Aufschlagen und Auswendiglernen von Bibel und Katechismus sowie Schreiben und Rechnen angemessen lernten u.v.m.251 Ein anderer wichtiger Bereich der Policeyerlasse zielte auf die Wahrung der „Guten Ordnung“ im Sinne obrigkeitlicher Autorität auf der einen und untertäniger Folgsamkeit und Treue auf der anderen Seite ab, was vor allem die Vermeidung bzw. Unterbindung von Unbotmäßigkeit und Aufsässigkeit der Untertanen bedeutete. Als 248 Supplik des Niederwöllstädter Müllers Bausch vom 20.3.1764, F 24 C 277/9. 249 Policeyordnung Karl Eberhards und Johann Augusts von Solms vom 20.3.1660, HStAD F 24 C 277/8, vollständiger Text im Anhang. 250 Befehl der Regierung an sämtliche Ortsschultheißen vom 11.10.1714, HStAD F 24 C 308/8. 251 Instruktion an den Schulmeister Schneider vom 2.9.1782, HStAD F 24 C 308/8. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 70 Beispiel ist hier ein Regierungsdekret an die Gemeinden zu Fauerbach und Bauernheim von 1775 anzuführen, in denen ihnen anbefohlen wird, sofort von ihrem rebellischen Betragen gegen Amtmann und Regierung abzulassen und zum landeskindlichen Gehorsam zurückzukehren. Solche Dekrete stellten meist die „ultima ratio“ dar; im Normalfall lief die Kommunikation zuerst über die Amtmänner bzw. Ortsschultheißen – so auch hier. Erst als die wiederholten Bemühungen Amtmann Maleys erfolglos blieb, intervenierte die Landesherrschaft und trat direkt mit den Untertanen in Verbindung. Ein weiteres zentrales Themenfeld der Policeyerlasse betraf ganz allgemein die innere Sicherheit in der Grafschaft. Welche Bereiche dies im Einzelnen umfasste, soll exemplarisch an der Policeyordnung von 1660 dargestellt werden, die als Verbesserung der bestehenden Ordnungen jährlich den Gemeinden verlesen werden sollte.252 Hier rangierte, offenbar mehrerer Brände in Niederwöllstadt wegen, an erster Stelle der Feuerschutz, was vor allem Präventivmaßnahmen wie das Verlegen des Branntweinbrennens und Bierbrauens an sichere Orte, das Verbot des Tabakgenusses (hier „Toback-Sauffen“ genannt) und des leichtfertigen Umgangs mit Strohfackeln sowie die Sicherstellung geeigneter Ausrüstung zur Brandbekämpfung wie Feuerleitern oder Ledereimer einschloss. Über die ordnungsgemäße Nutzung der Allmeyen und das korrekte Mehlwiegen hinaus befasst sich die Policeyordnung noch mit einem zweiten Punkt der „inneren Sicherheit“, nämlich den im Land herumb terminierende Leuth, alß faule Bettler, und dergleichen unnützig gesindlein, denen kein Obdach gewährt werden dürfe. Vielmehr seien sie umgehend aus der Gemarkung zu entfernen. Die Frage der fremden und umherziehenden Personen, die als Wurzel vieler Übel galten, beschäftigte die Rödelheimer Regierung auch achtzig Jahre später noch. Den Fall des mit einer ortsfremden Frau durchgebrannten Niederwöllstädters Philipp Henrich Kleemann nahm ein unbekannter Regierungsrat zum Anlass, ein herrschaftliches Verbot vorzuschlagen, nach dem die Untertanen mit Ausnahme der Wirte überhaupt keine Fremden mehr beherbergen sollten.253 Zwar weist das nebenstehende „placet“ Graf Wilhelm Karl Ludwigs darauf hin, dass dieses Verbot tatsächlich erging, es ist jedoch im Original nicht erhalten. Insbesondere die Bekämpfung der „Zigeunerplage“ als Prototyp der Bedrohung durch Nichtsesshafte 252 Vgl. Policeyordnung Karl Eberhards und Johann Augusts von Solms vom 20.3.1660, HStAD F 24 C 277/8, vollständiger Text im Anhang. 253 Vgl. Bericht des Niederwöllstädter Amtsoberschultheissen Wüstenfeld vom 10.10.1740 sowie umseitige Stellungnahme eines anonymen Regierungsrats, HStAD F 24 C 277/9. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 71 und Bettler war stets und immer wieder ein besonderes Anliegen nicht nur der Rödelheimer Regierung, sondern auch Gegenstand gemeinsamer Bemühungen benachbarter Reichsstände.254 1778 erließ Graf Johann Ernst Karl deshalb als eine seiner ersten Amtshandlungen nach Übernahme der Regierung von seinem Bruder die Hochgräflich Solms-Rödelheimische Armen- und Bettelordnung255, ein spätes Beispiel für einen Versuch, der offenbar als bedrohlich empfundenen Situation Herr zu werden; das Verteilen von Almosen an auswärtige Arme wurde verboten, um deren Zuwanderung zu verringern, aber auch um zu verhindern, dass denen wahrhaftig armen Einwohnern die Allmosen entzogen würden, dass also das für eigene Untertanen benötigte Geld abfließe.256 Ein letzter wichtiger Themenbereich landesherrlicher Policey betraf die Land- und Forstwirtschaft. Bereits die Policeyordnung von 1660 hatte auf die korrekte Nutzung und damit Erhaltung der Allmeyen und auf die konsequente Bestrafung von Übeltätern abgehoben.257 Weiter gab es eine Reihe von Regelungen, die nur indirekt durch Rückbezüge in Anzeigen und Straferlassen überliefert sind, die vor allem das dem Landesherrn als Jagdbeute zustehende Wild schützen sollte. So war etwa das Mähen von Wiesen vor dem „alten Johannistag“ wegen der dort brütenden Hühner bei 5 fl Strafe verboten.258 Das stieß nicht immer auf Verständnis der Bauern, die sich beschwerten: Die Waid ist unßer, wer kann uns das wehren, wir müßen dann unßer Kühe in unßern Wießengrund treiben, wir dörfften doch auch da nicht vor altem Johannis Tag mehen, und so treibt man uns nach dem Dorff hinaus!259 Der Divergenz gräflicher und bäuerlicher Interessen entsprang auch das Verbot der Schafhaltung für Ossenheim: der dortigen herrschaftlichen Schäferei sollte keine Konkurrenz erwachsen.260 Der Schutz des Waldes war ein weiteres Motiv. Es war verboten, ohne herrschaftliche Erlaubnis dort Bäume zu fällen, und der Förster war 254 Vgl. Schreiben der hessischen Regierung in Gießen an die Rödelheimer Regierung vom 25.11.1723, Schreiben der hessischen Regierung nach Rödelheim wegen Massnahmen gegen die Zigeunerplage in Solms-Rödelheim vom 5.2.1726, Regierungsdekret an den Beamten zu Niederwöllstadt wegen Vorgehen gegen die Zigeuner vom 12.6.1732 u.v.m, alles HStAD F 24 C 277/8. 255 Solms-Rödelheimer Armen- und Bettelordnung vom 1.12.1778, HStAD F 24 A 1133/1 (vollständiger Text im Anhang). 256 Vgl. ebd. 257 Vgl. Policeyordnung Karl Eberhards und Johann Augusts von Solms vom 20.3.1660, HStAD F 24 C 277/8. 258 Vgl. Anonymer Bericht an den Grafen über verbotenes Mähen vom 12.7.1742, HStAD F 24 C 317/6. 259 Bericht des Försters Asmus zu Ossenheim vom 6.8.1751, HStAD F 24 C 317/6. 260 Vgl. Bericht des Ossenheimer Einnehmers Heereß an die Regierung vom 26.8.1771, HStAD F 24 C 317/6. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 72 angehalten, darüber Aufsicht zu führen.261 Die in der Grafschaft Solms-Rödelheim ohnehin knappe Ressource Holz262 sollte auf diese Weise möglichst geschont werden. Inhalt und Gewichtung der Policeygesetzgebung können damit zusammenfassend als geradezu beispielhaft für die frühneuzeitlichen Territorien des Reichs bezeichnet werden.263 In den meisten Fällen, darauf deuten die Formulierungen hin, wurden landesherrliche Policeyverordnungen anlassbezogen gegeben, also als Reaktion auf eine befürchtete oder wahrgenommene Bedrohung der „guten Ordnung“; damit ist ihre Intention prinzipiell konservativ. Hinter der durch die Policeyverordnungstätigkeit determinierten Politik – der Regierungspraxis also – steht demnach kein erkennbarer proaktiv verfolgter Plan zum Ausbau von „Staatlichkeit“ oder der „Modernisierung“ des Landes. Allerdings weist sie sehr wohl eine Tendenz zur Steigerung der Kontrolle über viele Lebensbereiche der Untertanen auf. Ein Beispiel dafür ist der Fall der beiden Niederwöllstädter Einwohner Pflug und Bausch, die anlässlich einer Kirchweih Freunde in dem (nicht zu Solms-Rödelheim gehörigen) Dorf Okarben besucht und dort auch getrunken und getanzt hatten. Deshalb waren ihnen vom Amtmann jeweils 10 fl Strafe auferlegt worden,264 wogegen sie durch einen Anwalt supplizieren ließen und argumentierten, Tanzen und Fröhlichkeit seien nirgends verboten. Man wisse auch von keinem Verbot, Freunde außerhalb der Grafschaft zu besuchen. Ohne jede Begründung wurde die Supplik abschlägig beschieden und die Strafe bestätigt.265 Die Initiatoren von Policeygesetzen und Verordnungen sind selten zweifelsfrei zu identifizieren; dass es die Untertanen selbst gewesen wären, die nach entsprechenden Regelungen verlangten,266 lässt sich aus den vorliegenden Quellen kaum ableiten. Den einzige Hinweis darauf bietet die Policeyordnung für Niederwöllstadt von 1660, in der es einleitend heißt, dass unß, von unßern lieben getreuen und Unterthanen zu Niederwöllstadt supplicando unterthänig und 261 Vgl. ebd. 262 1699 beklagten die Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich, dass sie im Gegensatz zu den Laubacher Vettern keine Weid, kein Holtz, keine Wildbahn und Mastungen hätten, vgl. Supplik an den Kaiser (o.D., wahrscheinlich Sommer 1699), HStAD F 24 A 815/2. 263 Vgl. ausführlich HOLENSTEIN, Gute Policey. 264 Vgl. Strafmandat vom 16.1.1762, HStAD F 24 C 277/9. 265 Vgl. Supplikdes Anwalts der beiden Untertanen Pflug und Bausch vom 1.3.1764, HStAD F 24 C 277/9. 266 Vgl. HOLENSTEIN, Gute Policey, hier v.a. S. 142. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 73 besorglich [...] eine und andere puncten, vermittelst deren etwan vielen Unheil zeitlichen vorgebieget auch gute Policey und Orthnung unter ihnen gestiftet werden könnte, gehorsambst vorgehalten267 worden sei, dass es also die Untertanen selbst gewesen seien, die nach einer Ordnung verlangt hätten. Ob es sich um einen bloßen Topos handelte, ist nicht sicher zu beurteilen; selbst wenn dies aber nicht der Fall wäre, würde es sich um ein eher ungewöhnliches Beispiel handeln, da häufig die Initiative für ein Gesetz oder einen Erlass nicht von den Untertanen, sondern von der Regierung nach vorherigem Bericht der lokalen Amtsträger ausgegangen zu sein scheint. So erfolgte ein Dekret von 1722 gegen das Trinken und Spielen268 erst nach mehrmaligen entsprechenden Berichten des Niederwöllstädter Schultheißen269, und das Verbot an die Juden Niederwöllstadts, ihr Vieh – um die Schlachtakzise zu hinterziehen – im benachbarten Oberwöllstadt zu schlachten, erging ebenfalls auf Betreiben der Regierungsräte als Reaktion auf einen Bericht eines nicht näher genannten Amtsträgers, möglicherweise des örtlichen Fleischschätzers.270 Oft ist überhaupt nicht zu ermitteln, auf wessen Betreiben ein Gesetz oder Erlass entstand; allerdings kann man annehmen, dass es sowohl zu den Erwartungen der Untertanen an ihre Obrigkeit als auch zum Selbstverständnis des Regenten und seiner Regierungsräte gehörte, dass Regelungen geschaffen wurden. Der Müller Bausch beispielsweise, der wegen zu aufwändiger Bewirtung von Trauergästen bestraft worden war, betonte in seiner darauf hin verfassten Supplik ausdrücklich, dass die entsprechende Verordnung zum Besten der Untertanen erlassen worden sei.271 Er räumte trotz allen Widerspruchs im konkreten Fall grundsätzlich ein, dass es das Recht und die Aufgabe der Regierung sei, ein solches Verbot zu erlassen. Das oben erwähnte Dekret gegen das Trinken und Spielen der Niederwöllstädter wurde ausdrücklich deshalb erlassen, weil deren Haußhaltung geschwächet und die nöthige Arbeit versäumet wird;272 die Fürsorgepflicht für die Untertanen, die unbedingt zum Selbstbild der Obrigkeit gehörte, wurde also als Anlass genannt, aus dem Graf und Regierung gesetzgeberisch tätig wurden. 267 Niederwöllstädter Policeyordnung vom 26.3.1660, HStAD F 24 C 277/8. 268 Vgl. Dekret der Regierung an alle Wirte und Haushaltsvorstände über das Verbot des Trinkens und Spielens nach 21:00 Uhr vom 11.10.1722, HStAD F 24 C 277/9. 269 Vgl. u.a. Bericht des Niederwöllstädter Schultheißen Gerlach an die Regierung Assenheim über Verfehlungen der Einwohner vom 2.1.1715, HStAD F 24 C 277/9. 270 Wie wir haben erfahren müßen [...], Erlass der Regierung an Amtskeller Schäfer in Niederwöllstadt vom 5.8.1750, HStAD F 24 C 583/4. 271 Vgl. Supplik des Niederwöllstädter Müllers Bausch vom 20.3.1764, HStAD F 24 C 227/1. 272 Dekret der Regierung an alle Wirte und Haushaltsvorstände über das Verbot des Trinkens und Spielens nach 21:00 Uhr vom 11.10.1722, HStAD F 24 C 277/9. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 74 Nicht nur durch die Untertanen und die Regierung selbst wurde jedoch erwartet, dass die „Gute Policey“ durch Gesetze und Erlasse gefördert werde: auch andere Reichsstände erwarteten dies. Als etwa der hessen-darmstädtische Rat Meyfahrt eine „Zigeunerplage“ in der Wetterau beobachtet hatte, forderte er die Regierung Rödelheim umgehend schriftlich auf, hinlängliche Verordnung zu stellen, damit das räuberische Volck nicht mehr in denen gräfflichen Orthen seinen Auffenthalt finden [...] möge.273 1780 verbot die Reichsstadt Frankfurt das „verderbliche Lottospielen“ auf ihrem Gebiet274 und bat Graf Johann Ernst Karl und seine Räte, eine entsprechende Verordnung auch für die Reichsgrafschaft zu erlassen.275 Umgekehrt erwartete auch Solms-Rödelheim von anderen Regierungen bzw. Regenten – insbesondere denjenigen der Mitherrschaften in gemeinschaftlichen Orten –, dass sie den legislatorischen Rahmen für ein Gute Policey schufen.276 Eine Regierung legitimierte sich also, unabhängig von ihrer Größe oder dem Grad ihrer Ausdifferenziertheit, dadurch, dass sie policeylich tätig wurde. 3.1.2 Regierung und Ämter – Administrative Strukturen der Landesherrschaft Der Erwerb umfangreicher Besitzungen in der Wetterau erst im 15. Jahrhundert bildete den Ausgangspunkt für die Ausbildung der Solmser Reichsgrafschaften in der Frühen Neuzeit. Mit dem Anfall des Erbes des Ritters Frank von Cronberg 1461 konnte sein Enkel Kuno von Solms-Lich Teile von dessen reichem Besitz übernehmen.277 Damit fielen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts diejenigen Ämter und Orte an die Linie Solms-Lich,278 die seither den Kern der Grafschaft Solms-Rödelheim bildeten: Das Amt Niederwöllstadt (es wurde später zum Amt Assenheim) mit einem Teil des Städtchens Assenheim sowie den Orten Niederwöllstadt, Ossenheim, Bauernheim und Fauerbach; das Amt Petterweil mit der Hälfte von Schloss und Tal Petterweil sowie das Amt Rödelheim mit Anteilen an den 273 Schreiben der hessischen Regierung Gießen nach Rödelheim wegen Massnahmen gegen die Zigeunerplage in Solms-Rödelheim vom 5.2.1726, HStAD F 24 C 277/8. 274 Vgl. Verordnung der Reichsstadt Frankfurt gegen das Lottospiel vom 11.12.1780, HStAD F 24 C 70/4. 275 Vgl. Schreiben der Reichsstadt Frankfurt an den Grafen von Rödelheim vom 23.12.1780, HStAD F 24 C 70/4. 276 Vgl. Schreiben der Regierung Rödelheim an die Regierungen Hessen-Hanau und Ysenburg- Wächtersbach vom 27.4.1782, HStAD F 24 A 90/12. 277 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 9. 278 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms S. 157. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 75 Orten Rödelheim, Praunheim und Niederursel sowie dem später so genannten Solmser Hof in Frankfurt. Während in anderen Fällen ein im Mittelalter wurzelnder territorialer Kern einer Grafschaft eine große Kontinuität gewährleistete,279 muss im Fall der einzelnen späteren Solms-Rödelheimer Orte von häufigem Besitzwechsel, ständig neuen Landesherren, Kauf, Verkauf, Vererbung, Teilung und Wiederzusammenführung vor allem im Spätmittelalter, zum Teil aber auch bis ins 18. Jahrhundert hinein ausgegangen werden. Allein die Zugehörigkeit zu einem Amt erweist sich deshalb im Einzelfall als relativ konstante Größe, weil die Zuständigkeitsbereiche der Ämter insgesamt kaum verändert wurden.280 Kam ein neuer Ort hinzu, wie Burggräfenrode Mitte des 18. Jahrhunderts, so wurde er in der Regel nicht einem bestehenden Amt inkorporiert, sondern behielt seine eigene Verwaltungsinfrastruktur; Burggräfenrode blieb deshalb eigenständiger Amtssitz,281 im kleineren Einartshausen war zuvor eine „Verwalterei“ installiert worden, als der Ort von Laubach an Rödelheim kam.282 Zu den Rödelheimer Kernbesitzungen kamen zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Besitzungen aus dem Cratz-von-Scharffensteinischen Erbe und um die Jahrhundertmitte das Limpurg-Gaildorfer Erbe Gräfin Wilhelmine Christines hinzu.283 Während die überschaubaren Besitzungen an der Mosel und auf dem Hunsrück, die zudem noch zwischen Solms-Rödelheim, Leiningen und Wartenberg geteilt waren, keine aufwändige Administration erforderten,284 sondern ihre Abgaben direkt an den Grafen bzw. die Kellerei Rödelheim lieferten,285 war das Limpurger Erbe weit umfangreicher und bestand aus einem Teil von Stadt und Amt Gaildorf, dem Amt Oberroth und Teilen der Ämter Viechberg und Gschwendt,286 deren 279 Der Göttinger Staatsrechtler J. S. Pütter, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Verfassungsgeschichte des Reichs und seiner Länder schrieb, vermutet z.B. in der Grafschaft Bentheim ein solches Gebiet, dessen Bestand seit dem Mittelalter im Wesentlichen unverändert geblieben war, PÜTTER, Staats- und Fürstenrecht S. 167. 280 Lediglich das Amt Assenheim wurde von ca. 1690 bis um 1780 in zwei „untere Verwaltungsbezirke“ aufgeteilt, die gemeinsam das Amt bildeten; die Kellerei blieb zentral in Assenheim, vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1 S. 132. 281 Vgl. Gutachten über die Teilungsverhandlungen zwischen Hessen-Hanau, Solms-Rödelheim und Eltz durch Regierungsrat Hirth vom 2.10.1743, HStAD F 24 C 96/1. 282 Vgl. u.a. Konzept für ein Schreiben Graf Ludwigs an Graf Cratz vom 12.7.1704, HStAD F 24 A 52/2. 283 Vgl. dazu ausführlich Kapitel ??? 284 Wesentliche hoheitliche Rechte standen ohnehin der mittelrheinischen Reichsritterschaft zu, vgl. Aktennotiz des Rödelheimer Assessors und späteren Justizrats Hofmann vom 23.6.1772, HStAD F 24 A 1133/15. 285 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 55. 286 Vgl. Übersicht über die Solms-Rödelheimischen Orte und Bedienten in Limpurg-Gaildorf 1719, HStAD F 24 B 567/2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 76 Verwaltung einen weit höheren Aufwand erforderte. Deshalb existierten hier neben einem Kanzleirat bei der gemeinschaftlichen Regierung der Erbinnen in Gaildorf und einem Amtmann in Oberroth mehrere weitere Verweser bzw. Verwalter oder Vögte.287 Die Verwaltung Limpurg-Gaildorfs erfolgte, anders als die schematische Darstellung weiter unten suggerieren mag, nicht stringent unter der Oberaufsicht der Rödelheimer „Zentralregierung“, sondern oft parallel und recht eigenständig, was schon die entfernte Lage erforderte, die eine enge Zusammenarbeit nur begrenzt zuließ. Die Ämter waren die Mittelinstanzen der Landesadministration. Den dort tätigen Amtmännern oblag die Umsetzung bzw. Wahrnehmung aller „hoheitlichen“ Aufgaben, die sich aus der Landesherrschaft ergaben, vor Ort,288 oder – um MAX WEBERS Definition von Verwaltung zu benutzen – der „Herrschaft im Alltag“.289 Sie hatten im Zusammenspiel mit den Schultheißen die Publikation und Einhaltung von Regierungserlassen in den zugehörigen Orten sicherzustellen und zu überwachen,290 sie erteilten herrschaftliche Erlaubnisse und erließen Verbote 291 und sie sprachen auf den regelmäßig zu haltenden Amtstagen292 und von Zeit zu Zeit als Vorsitzende lokaler Gerichte293 Recht und vollstreckten die Urteile294. Außerdem 287 Vgl. ebd. 288 Vgl. dazu allgemein KROESCHELL, Amtmann, speziell zu Hessen v.a. auch BRAKENSIEK, Ortsbeamte, BRAKENSIEK, Lokale Amtsträger, weiterhin THOMAS KLINGEBIEL, Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel, Hannover 2002. 289 Vgl. dazu WOLFGANG REINHARD, Zusammenfassung: Staatsbildung durch Aushandeln?, in: Ronald G. Asch und Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 429-438, hier S. 430, überblicksartig zu Amtmännern auch STEFAN BRAKENSIEK, Artikel "Amtmann", in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit (1), Stuttgart / Weimar 2005, S. 330-332. 290 Vgl. u.a. Erlass der Regierung Rödelheim an Amtmann Maley vom 8.6.1773, HStAD F 24 A 161/2 und Befehl der Regierung Rödelheim an sämtliche Rödelheimer Amtmänner vom 20.10.1772, HStAD F 24 A 1133/15. 291 Vgl. Bericht des Niederwöllstädter Amtmanns Keller über die Erteilung einer Tanzerlaubnis vom 21.3.1804, HStAD F 24 C 70/4. 292 Vgl. Gutachten über die Burggräfenroder Teilungsverhandlungen zwischen Hessen-Hanau, Solms- Rödelheim und Eltz durch Regierungsrat Hirth vom 2.10.1743, HStAD F 24 C 96/1, weiterhin Bericht des Amtmanns Wüstenfeld über die Untersuchung von Gewaltverbrechen vor dem Amt vom 7.7.1775, HStAD F 24 C 100/2. 293 Siehe dazu das folgende Kapitel mit den Ausführungen zu Dorf- und Rügegerichten. 294 Vgl. u.a. Bericht der Fauerbacher Feldschützen Wagner und Holler vom 11.5.1775, HStAD F 24 A 161/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 77 nahmen sie auch ordnungspolizeiliche bzw. militärische Führungsaufgaben wahr, wenn es z.B. zu Streifungen durch die Amtsbezirke kam.295 Analog zu den Ämtern gab es als Institutionen der Ökonomieverwaltung die Kellereien, deren Sitz ebenfalls die Amtsorte waren. Ende des 17. Jahrhunderts war die Ausdifferenzierung der Administration noch wenig fortgeschritten, so dass es eine eindeutige Unterscheidung noch nicht gab und beide Begriffe synonym verwendet wurden: Die Graffschafft Rödelheim bestehet in drey Ämptern oder Kellereyen, stellte eine Übersicht über die Einkünfte der Kellerei Rödelheim aus dem 17. Jahrhundert fest.296 Im 18. Jahrhundert wurden beide Institutionen zunehmend zumindest funktional unterschieden, personal kam es jedoch nach wie vor regelmäßig zu Überschneidungen kam, indem z.B. ein „Amtskeller“ beide Kompetenzen in seiner Person vereinigte.297 Von Anfang an intendiert war diese Überschneidung in Einartshausen: wohl wegen der geringen Größe des Orts lohnte sich die Einrichtung eines eigenen Amts und einer Kellerei nicht. Wegen der Abgelegenheit ließ sich jedoch das Dorf auch nicht einem bestehenden Amtsbezirk zuschlagen. Deshalb wurde hier eine „Verwalterei“ etabliert, wobei der eingesetzte Verwalter beide Aufgaben wahrnahm und 1728 sogar noch zusätzlich als Jäger fungierte.298 Im Fall der anderen Ämter und Kellereien sowie der Regierung war eine Trennung der Ämter zwar vorgesehen, es gab jedoch auch hier ebenfalls häufig Überschneidungen von Aufgaben und Zuständigkeiten, die sich vor allem personell bemerkbar machten. Die Grafschaft und damit die anfallenden Aufgaben waren nicht umfangreich genug, um jedes einzelne Amt auch mit einer einzelnen Person zu besetzen. Das führte dazu, dass Amtsträger oft gleichzeitig in mehreren Funktionen tätig wurden. Zudem verfügen die verschiedenen Amtsbezeichnungen über wenig Trennschärfe, zu inkonsistent ist ihre Verwendung und ihr Inhalt; mit ähnlichen und z.T. deckungsgleichen Aufgaben tauchen Amtmänner, Amtskeller, Keller, (Amts-, Kammer- und Regierungs-)Räte, Verwalter, Vögte, Verweser und Amtsoberschultheißen in den Quellen auf. Auf eine entsprechend aufwändige 295 Vgl. Bericht des Amtmanna Dietzsch vom 30.10.1789, HStAD F 24 C 277/8; er berichtet, er habe mit 10 ordentlichen Soldaten und 12 Mann Miliz eine Streifung gegen Räuber- und Diebsgesindel in der Gegend um Assenheim vorgenommen. 296 Vgl. tabellarische Übersicht über die Einkünfte der Kellerei Rödelheim (o.D., wahrscheinlich Mitte des 17. Jh.), ASR 501. 297 Vgl. u.a. Befehl der Regierung Rödelheim an Amtskeller Schäffer vom 16.12.1747, HStAD F 24 C 309/2. 298 Vgl. tabellarische Übersicht über die Rödelheimer Besoldungen 1728, HStAD F 24 A 816/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 78 Untersuchung und Abgrenzung soll hier verzichtet werden; einen Eindruck von der Vielfalt der Amtsbezeichnungen und der Ämter, die eine Person nach einander, aber auch gleichzeitig innehaben konnte, vermittelt die folgende Aufstellung, die einige Beispiele für die Zeit von Ende des 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts aufführt (Abbildung 4). Figure 4. Beispiele für die Mehrfachbelastung der Amtsträger auf Ämter- und Regierungsebene. Als eine Art „Universalverwalter“ war z.B. Johann Gottfried Sartorius vor 1700 gleichzeitig Keller und Rentmeister in Rödelheim und Amtmann in Assenheim gewesen; aber auch 100 Jahre später gab es diese Art der Amtsträger noch, wie die Karrieren von Johann Philipp Wüstenfeld und Ludwig Karl Christian Buff exemplarisch zeigen. Einen Gesamtüberblick über die Struktur der Rödelheimer Verwaltung gibt die folgende Abbildung, in der unter Regierung und Hof, die als zentrale Institutionen ganz oben stehen, auf der linken Seite die Ämter und Kellereien mit Sitz und Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 79 maßgeblichem Personal sowie auf der rechten Seite die jeweils zugehörigen Orte schematisch dargestellt sind (Abbildung 5).299 Abbildung 5. Verwaltungsstruktur der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim im 18. Jahrhundert. 299 Dabei ist zu beachten, dass durch personelle Veränderungen oder kleinere Umstrukturierungen die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall sehr von der vereinfachenden Darstellung abweichen konnten. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 80 Die Ämter bzw. Kellereien arbeiteten bis ins späte 17. Jahrhundert noch sehr selbständig und kommunizierten direkt mit dem Regenten, eine eigenständige „Regierung“ ist allenfalls in Ansätzen erkennbar. So wurden etwa die Kellereirechnungen direkt vom regierenden Reichsgrafen abgehört.300 Erst 1682 ist die Kanzlei, auf die v.a. Aufgaben der Justiz und Gesetzgebung delegiert wurden, mit einem Rat bzw. Kanzleidirektor an der Spitze und dem Amtssitz im Rödelheimer Schloss gegründet worden.301 Als sich 1695 die Brüder Ludwig und Ludwig Heinrich über eine gemeinschaftliche Landesverwaltung einigten,302 vereinbarten sie gleichzeitig einen Ausbau der Regierung durch die zusätzliche Bestellung eines Rats und eines Sekretärs für Archiv, Registratur, Protokoll und Kriegskasse.303 Seitdem existierte das Amt des Landkassierers für die Führung der „Land-“, „Kriegs-“ oder „Verfassungskasse“, in der u.a. Römermonate und Kammerzieler verrechnet wurden.304 In diese Zeit fällt auch die Einrichtung der Rentkammer. Bis dahin war ein Rentmeister für das Abhören der Rechnungen und die Verbuchung der Kellereieinnahmen und sonstigen Einkünfte und Ausgaben – sowohl an Geld wie an Früchten – zuständig gewesen, wobei „Rentmeister“ kein besonderes Amt, sondern eine zusätzliche Funktion des Rödelheimer Kellers bezeichnete.305 Die Rödelheimer Kellerei hatte von jeher Aufgaben der Zentral- und Hofverwaltung übernommen, weil sie die weitaus größte war und am Residenzort lag. Erst mit der Einrichtung der Rentkammer am Ende des 17. Jahrhunderts erhielten die Kellereien eine gesonderte, übergeordnete Instanz, die hundert Jahre später die Kellereien zentral verwalteten, so dass in den Amtsorten keine Keller, sondern nur noch Schreiber eingesetzt wurden.306 300 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 27. 301 Vgl. Vermerke über die Bekanntgabe des Gründungspatents für die Kanzlei Rödelheim von 1682, HStAD F 24 B 385. 302 Vgl. Brudervergleich vom 28.9.1695, HStAD B 9 4361. 303 Vgl. Vertrag zwischen Ludwig und Ludwig Heinrich über eine gemeinsame Regierung vom 30.9.1695, HStAD B 9 1361. 304 Alle drei Bezeichnungen sind in Rödelheim gebräuchlich. 305 Vgl. Bestallungstabelle Regierung Rödelheim, HStAD F 24 A 815/2 (Beilage zum Streit Rödelheim-Laubach ca. 1690). 306 ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1 S. 129 ff. datiert die Einrichtung der Rentkammer auf ca. 1670, weist jedoch darauf hin, dass damit keine eigenständige Behörde gemeint war: die Rentkammer gab es bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts nur dem Namen nach. Erst danach wurden eigene Kammerbeamte eingestellt. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 81 Das Konsistorium war, auch wenn es die Quellen nahe legen, keine eigenständige Behörde, sondern setzte sich aus Räten der Regierung zusammen.307 Ein nicht namentlich benannter Rat, der anlässlich des Beginns der Regentschaft Graf Wilhelm Karl Ludwigs in den Jahren um 1730 eine Designation Aller deren bey dahiesig hochgr. Solms-Rödelheim. Regierung zu besorgen stehende Geschäffte und Expeditiones verfasste, definierte die Consistorialia wie folgt: Ehe verspruchs und deren Scheidungs sache, dahin gehörige berichte derer H. Geist. in Kirchen und Schul-sachen, und darauff zu expedirende resolutiones.308 Das Gremium war also zuständig für die Sicherstellung der Kirchenzucht – insbesondere in Ehefragen – und für die „oberste Schulaufsicht“,309 seine Informanten und Kooperationspartner vor Ort waren die Pfarrer.310 Nach und nach wurden also die obersten Behörden der Reichsgrafschaft Solms- Rödelheim ausgebaut, die Regierung erhielt die typische dreizügige Struktur, die dem bereits länger existierenden Rats- und Kollegialsystem anderer Territorialadministrationen vergleichbar und von VON SECKENDORFF als dem einflussreichen publizistisch tätigen Verwaltungspraktiker des 17. Jahrhunderts bereits in seinem „Fürsten-Staat“ beschrieben worden war.311 In eine „Ministerialbürokratie“ als Prototyp frühmoderner Staatsverwaltung wurde sie jedoch nie überführt.312 Bis zur Mediatisierung blieben Kanzlei, Rentkammer, Konsistorium und Hof die maßgeblichen Institutionen, jeweils mit ein bis zwei Räten an der Spitze und unterstützt durch einige Scribenten, Sekretäre oder Registratoren. Für den Fall außergewöhnlicher Problemlagen und Herausforderungen, etwa besonders schwieriger Rechtsfragen, die einen deutlich über das Tagesgeschäft hinausgehenden Aufwand bedeuteten, konnte angesichts der begrenzten Verhältnisse und finanziellen Mittel der kleinen Reichsgrafschaft nicht ständig hoch qualifiziertes 307 Vgl. u.a. den Fall des Niederwöllstädters Philipp Henrich Kleemann 1742: auf den Berichten des Schultheißen und des Pfarrers notierten Kanzlei- bzw. Regierungsräte ihre Vorschläge und leiteten alles an Graf Wilhelm Karl Ludwig weiter, der eine Entscheidung traf. 308 Designation aller Rödelheimer Regierungsgeschäfte (o.D., um 1730), HStAD F 24 A 1263/4. 309 Die unmittelbare Aufsicht über die Lehrer oblag dem örtlichen Pfarrer, vgl. auch Instruktion an den Fauerbacher Schulmeister vom 2.9.1782, HStAD F 24 C 308/8. 310 Pfarrer Johann Michael Rumpf aus Niederwöllstadt beispielsweise berichtete mehrfach an das Konsistorium über Fälle von Unzucht oder Sittenlosigkeit im Ort und wurde im Gegenzug mit der Ergreifung geeigneter Maßnahmen beauftragt, vgl. u.a. Befehl des Konsistoriums an Rumpf vom 13.3.1742, HStAD F 24 C 277/9. Er wurde in den Quellen auch als „Consistorialis“ bezeichnet, war also offenbar durch diesen zusätzlichen Titel ausgezeichnet worden. 311 Vgl. VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten Staat (Neuauflage), S. 87 ff. (Kanzlei), S. 301 ff. (Consistorium) und S. 517 ff. (fürstliche Cammer). 312 Vgl. REINHARD, Staatsgewalt S. 141 ff. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 82 Personal vorgehalten werden. Deshalb wurde mit dem „Rath von Hauß auß“ Ende des 17. Jahrhunderts eine Institution geschaffen, die nur im Bedarfsfall aktiviert wurde und dementsprechend nicht dauerhaft Personalkosten verursachte. 1695 vereinbarten die Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich die Bestellung eines externen Juristen und externalisierten auf diese Weise besondere Projekte313 – eine während des ganzen 18. Jahrhundert praktizierte Vorgehensweise, die heute in Gestalt der „Consultants“ wieder auflebt, die Wirtschaftsunternehmen in schwierigen Fragen beraten und unangenehme Aufgaben übernehmen. Trotz dieser Bemühungen, die Administration nicht über das notwendige Maß hinaus wachsen zu lassen, nahm ihr Umfang im 18. Jahrhundert deutlich zu; vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit der aufwändigen und teuren Verwaltung der beiden Teilgrafschaften Rödelheim und Assenheim 1715-1722 hatte Graf Ludwig in seinem Testament seinen Nachfolgern aufgegeben, dass in jedem Fall in der Kanzlei inskünftige nur ein Regierungs-Rath, ein Secretarius und ein Schreiber gehalten werden solle.314 Tatsächlich bestand seine Regierung vor 1728 aus einem Regierungs-, einem Kammer- und einem Kanzleirat, zwei Sekretären, zwei Skribenten und zwei Kanzleidienern bzw. -boten.315 Damit war sie jedoch bereits deutlich größer als vierzig Jahre zuvor,316 und weitere 26 Jahre später kamen noch ein Regierungssekretär und ein zweiter Regierungsrat hinzu. Graf Wilhelm Karl Ludwig versuchte in den Jahren 1734, 1749 und 1754 durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften die Kompetenzen und Verfahren der so angewachsenen Zentralverwaltung zu ordnen. Aus ihnen geht hervor, dass der zweite Regierungsrat die Erledigung aller Prozesssachen mit auswärtigen Ständen oder Personen, alle Vorfälle in den gemeinschaftlichen Ämtern, die Marksachen und die Ahndung von Feldfreveln zu besorgen hatte. Aus dem ersten Regierungsrat war ein „Kanzleidirektor“ mit Aufsichtsfunktion über alle anderen Bereiche, auch die Cameral- und Finanzsachen, geworden. Außerdem oblagen ihm sämtliche Kreis-, Reichs- und Grafentagssachen, die Haus- und Familiensachen, alle Lehensangelegenheiten sowie die Judicial- und Cantzley-Sachen [und] Kanzleitage. 313 Vgl. Vergleich Ludwig-Ludwig Heinrich über gemeinschaftliche Regierung 1695, HStAD F 24 A 28/3. 314 Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239. 315 Vgl. Übersicht über die Besoldungen aus der Kellerei Rödelheim 1728, ASR 469. 316 Die Bestallungstabelle der Regierung Rödelheim, HStAD F 24 A 815/2 (Beilage zum Streit Rödelheim-Laubach, ca. 1690) führte lediglich einen Regierungsrat, einen Rentmeister und zwei Sekretäre auf. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 83 317 Der Kammerrat hatte alle Cameral-Angelegenheiten (Renthey- und Kellerei- Rechnungen) und die Kirchen- und Bürgermeisterrechnungen zu führen bzw. abzuhören, Leihkontrakte auszustellen, in Zusammenarbeit mit dem Kriegskassierer alle militärischen Sachen (Unterhaltung des Kreiskontingents, Marschwesen etc.) und die Verwaltung des gemeinschaftlichen Amts Praunheim mit Besuch der Amtstage und zugehöriger Korrespondenz zu besorgen. Der Regierungs-Sekretarius schließlich sollte das Kanzleiprotokoll, das allgemeine Expedientenbuch und ein gesondertes Expeditionsprotokoll für direkt an den Grafen gerichtete Schreiben führen, die Korrespondenz inklusive der gräflichen Privatkorrespondenz annehmen und weiterleiten und jeden Freitag das Archiv ordnen.318 Trotz des langsamen Anwachsens des Bürokratieapparats und des Versuchs der Abgrenzung unterschiedlicher Ressorts blieb der regierende Reichsgraf auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Zentrum der Regierung. Ihm hatte der Sekretär mittwochs und sonnabends die wichtigsten Schreiben vorzulegen, ihm musste der erste Rat montags und donnerstags über alle Angelegenheiten referieren. Aus zahlreichen eigenhändigen Aktenvermerken der Grafen und aus der Tatsache, dass sie mangels auswärtiger Verpflichtungen häufig im Landes präsent waren, erwächst der Eindruck, dass die Praxis der Vorgabe weitgehend entsprach: die Rödelheimer Regenten von Ludwig Heinrich bis Volrat nahmen ihre Aufgabe ernst und überließen auch das Alltagsgeschäft nicht ihren Amtsträgern, sondern trafen auch Detailentscheidungen selbst. Insofern übernahm – in einem bescheidenen, den Verhältnissen entsprechenden Rahmen – der Rödelheimer Reichsgraf nicht weniger „die Rolle des Chef- Koordinators von Politik und Bürokratie, der seine Tage mit Aktenstudium und Beratungen statt mit Repräsentation und Jagd verbrachte“319 als Friedrich II. von Preußen. Das persönliche Regiment blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das grundlegende Funktionsprinzip von Regierung und Verwaltung, begünstigt durch die Präsenz der Grafen und den im Vergleich zu größeren Territorien bescheidenen Umfang der Geschäfte.320 317 Vgl. Ordnung für sämtliche Regierungsbedienten Graf Wilhelm Karl Ludwigs vom 10.10.1754, HStAD F 24 A 1263/4. 318 Vgl. ebd. 319 REINHARD, Staatsgewalt S. 170. 320 Zum älteren persönlichen Regiment in Fürstentümern vgl. GERHARD OESTREICH, Das persönliche Regiment der deutschen Fürsten am Beginn der Neuzeit, in: Gerhard Oestreich (Hg.), Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 201-234. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 84 3.1.3 „...und schien das sich niemand vor keiner obrigkeit fürchte“321 – Grenzen landesherrlicher Macht Ungeachtet der zentralen Rolle des Regenten war Landesherrschaft auch in der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim keineswegs ein Prozess, der von oben nach unten verlief. Vielmehr hatten die Objekte dieser Herrschaft, die Untertanen, dezidierte eigene Vorstellungen von der Art und Weise, wie sie beherrscht werden wollten, und sie besaßen oder schufen sich Mittel und Wege, diese Vorstellungen untereinander abzustimmen, zu formulieren und durchzusetzen.322 Der bis zum Ende des 18. Jahrhunderts große Spielraum für Resistenz und vor allem die beachtlichen Erfolge des Widerstands sind ohne eine Landesobrigkeit, die diesen Spielraum zuließ oder zumindest nicht einschränken konnte, nicht denkbar. Dabei fehlte es nicht an Versuchen der Ausweitung obrigkeitlicher Kontrolle und der Beendigung des Widerstands durch die Reichsgrafen und ihre Regierung. Die Wirksamkeit dieser Bemühungen war jedoch begrenzt, was auf eine ausgesprochene Durchsetzungsschwäche reichsgräflicher Landesherrschaft den Untertanen gegenüber hinweist, deren Ursachen nachfolgend untersucht werden. Grundsätzlich stand der Regierung eine Abfolge verschiedener Möglichkeiten zur Verfügung, gegen unbotmäßige Untertanen vorzugehen, die im Normalfall nacheinander durchgegangen wurde: Zunächst wurde der Betreffende streng ermahnt und weitere Maßnahmen angedroht.323 Dann wurde die angedrohte Strafe, die in fast allen untersuchten Fällen eine Geldstrafe war,324 durch die Regierungskanzlei verhängt, in den meisten Fällen auf eine persönliche Entscheidung des regierenden Grafen hin, und der entsprechende Erlass an den zuständigen Amtmann zur Vollstreckung weitergeleitet.325 In manchen Fällen wurden die Betreffenden auch nach Rödelheim vor die Regierung geladen, wo sie verhört und ihnen die Strafe 321 Protokoll der Aussage des Einnehmers Basler zu Fauerbach durch Regierungssekretär Birkel vom 22.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 322 Siehe dazu auch Kapitel 5.2. 323 Vgl. Schreiben der Regierung Rödelheim an den Fauerbacher Schultheiß Philippi vom 27.5.1775, HStAD F 24 A 161/1. 324 Vgl. Gräfliches Dekret vom 11.10.1722, Supplik der beiden Untertanen Pflug und Bausch vom 1.3.1764, Supplik des Untertanen Philipp Pflug vom 20.6.1764, Supplik des Müllers Bausch vom 20.3.1764, alles HStAD F 24 C 277/9 u.v.m. 325 Vgl. u.a. Schreiben der Regierung Rödelheim an Amtmann Maley in Assenheim vom 27.5.1775, HStAD F 24 161/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 85 persönlich verkündet wurde.326 Für den Fall, dass die Maßnahmen von Amtmann oder Regierung ohne Wirkung blieben, wurde als ultima ratio eine Exekution entsandt, die zumeist aus einem oder mehreren Soldaten – abhängig von der Zahl der Widerständigen und der Schwere des zu erwartenden Widerstands – bestand. Dabei kam es in der Regel nicht zur Gewaltanwendung. Die Exekutanten blieben lediglich vor oder in dem Haus der Betroffenen sitzen, bis die Schuld beglichen oder die Strafe angetreten wurde.327 Ihre Wirksamkeit beruhte wahrscheinlich weniger auf ihrer unmittelbaren Bedrohlichkeit als vielmehr darauf, dass sie allein durch ihre permanente Anwesenheit Druck ausübten, immer höhere Exekutionskosten verursachten und die Gegenseite irgendwann nachgab. Die Strategie der betroffenen Untertanen bestand nur in den seltensten Fällen in offenem Widerstand, der potentiell zu einer Eskalation des Konflikts führte; vielmehr waren sie grundsätzlich darauf bedacht, das Verfahren möglichst zu unterlaufen oder zu verschleppen. Dazu standen ihnen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Gängige Praxis war es, die Anschuldigungen oder Ansprüche zunächst unter Hinweis auf das Herkommen zurückzuweisen, was die Regierung zur genaueren Recherche und Erstellung ausführlicher Gutachten nötigte und meist nicht wenig Zeit kostete.328 Eine andere Taktik, die besonders dann zur Anwendung kam, wenn mehrere Personen bestraft werden sollte, bestand darin, dass die Betreffenden sich gegenseitig deckten. Ein Beispiel dafür ist die Ladung der beiden ohne obrigkeitlichen Konsens gewählten Feldschützen Brückmann und Rudolph in Fauerbach, die zusammen vorgeladen wurden, jedoch ein Erscheinen in Rödelheim mit dem Hinweis verweigerten, es müsse schließlich zumindest einer von ihnen im Feld bleiben, um Frevel zu verhindern.329 Ein weiteres Beispiel sind die beiden Fauerbacher Bürgermeister von 1770, Thomas und Linsenmeyer, die anlässlich ihrer getrennt vorgenommenen Vernehmung bei jeder Anschuldigung grundsätzlich auf den jeweils 326 Vgl. Regierungserlaß an den Schultheiß Philippi in Fauerbach über die Ladung zweier renitenter Untertanen vom 8.5.1775, HStAD F 24 A 161/1. 327 Vgl. Schreiben der Regierung an den herrschaftlichen Einnehmer Basler in Fauerbach vom 12.2.1772 sowie Bericht Amtsoberschultheiß Kellers nach Rödelheim vom 13.3.1772, beides HStAD F 24 A 161/2. 328 Vgl. Gutachten des Regierungssekretärs Birkel über die Kompetenz der Regierung zur Besetzung der Feldschützenstelle vom 7.1.1775, HStAD F 24 A 161/2. 329 Vgl. Bericht von Schultheiß Johannes Philippi über die Ladung der beiden Untertanen Johannes Sang und Bernhard Bott vom 19.5.1775, HStAD F 24 A 161/2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 86 anderen verwiesen und so eine eindeutige Klärung der Schuldfrage sowie Disziplinarmaßnahmen unmöglich machten.330 Generell wirkte es sich deutlich zu Gunsten der Untertanen aus, dass bei Konflikten in der Regel eine Gruppe aus mehreren Personen oder sogar die Gemeinde als Kollektiv betroffen war, so dass eine individuelle Strafzumessung nur sehr schwer möglich war. Das galt insbesondere, wenn die Gemeindemitglieder passiven Widerstand leisteten. Weil die Bemühungen der Ossenheimer um eine gemeindeinterne Versteigerung des Gemeinen Heus nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Regierung nicht länger aufrechterhalten werden konnten, stimmte die Gemeinde einer durch einen gräflichen Amtsträger geleiteten Auktion zu und erschien, boykottierte jedoch die Veranstaltung gänzlich, indem niemand ein Gebot abgab und kein Käufer gefunden werden konnte.331 Auf eine solche gemeinschaftliche Verweigerung gab es im Maßnahmenrepertoire der Landesherrschaft keine Antwort, so dass letztlich niemand zur Rechenschaft gezogen werden konnte und die Intention der Obrigkeit undurchsetzbar blieb. Wurde aber doch einmal eine Kollektivstrafe verhängt, wie etwa im Streit um die Besetzung der Feldschützenstelle in Fauerbach 1775, so war es in der Regel eine Geldstrafe. Der Gemeinde Fauerbach sollte in diesem Fall eine Strafe von immerhin 100 fl auferlegt werden. Der Bürgermeister Hildebrand Brückmann jedoch zeigte sich völlig unbeindruckt und entgegnete Amtmann Maley, wan uns dausig gülten angesezt werd so thun wir es doch nicht.332 Offenbar waren gerade Geldstrafen, deren Eintreibung angesichts der ohnehin hoch verschuldeten Gemeinden333 eher unwahrscheinlich war, kaum dazu angetan, die Untertanen zur Räson zu bringen. Wenn Geldstrafen ohne Wirkung blieben, was nach den vorliegenden Quellen nicht selten war, konnten Freiheits- bzw. Arbeitsstrafen oder auch Leibstrafen verhängt werden. Welche Probleme jedoch damit verbunden waren, zeigt ein Gutachten, das im November 1772 auf Befehl des regierenden Grafen Wilhelm Karl 330 Vgl. Protokoll der Vernehmung Baßlers durch Regierungssekretär Birkel am 31.3.1772, HStAD F 24 A 161/2. 331 Vgl. Bericht des Ossenheimer Schultheißen Stumpf vom 29.6.1773, HStAD F 24 C 309/8. 332 Bericht der Feldschützen Wagner und Holler nach Rödelheim vom 11.5.1775, HStAD F 24 A 161/1. 333 Vgl. Bericht Amtsoberschultheiß Kellers vom 19.6.1772, HStAD F 24 A 161/2, in dem er den Schuldenstand der Gemeinde Fauerbach auf 1108 fl bezifferte. Zwei Jahre zuvor beliefen sich die Schulden Fauerbachs auf 1398 fl 19 ¾ xr, Ossenheims auf 534 fl 43 xr und Bauernheims auf 212 fl 14 xr, jeweils zuzüglich einiger Fruchtrestanten, vgl. Specifikation der Restanten durch Amtsoberschultheiß Keller vom 24.11.1770, HStAD F 24 C 309/5. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 87 Ludwig wegen widerständiger Untertanen in Ossenheim334 durch den Regierungssekretär Birkel angefertigt wurde. Dieser schrieb, die Ossenheimer hätten durch ihren fortgesetzten Ungehorsam der Regierung gegenüber ihre beschwohrene Unterthanentreue verletzt und sich deshalb des Meineids schuldig gemacht. Die Strafe für Meineid müsse grundsätzlich im Verlust der zum Schwören benutzten Finger bestehen, zumal der vorherige Arrest und die Schanzarbeit bei den betreffenden Untertanen nichts bewirkt hätten. Da aber darunter vor allem deren Familie leiden müsse und zudem noch ein Reichshofratsprozess mit ungewissem Ausgang anhängig sei, auf den sich eine derart harte Bestrafung negativ auswirken könnte, riet er zu erneutem schwehrem Arrest und Schanzarbeit.335 Das Dilemma obrigkeitlicher Strafmaßnahmen wird an diesem Beispiel sehr deutlich: Eine Freiheitsstrafe, verbunden mit Zwangsarbeit, war bereits gegen die Ossenheimer Untertanen verhängt worden, hatte jedoch keinerlei Erfolg gehabt. Eine darüber hinaus gehende schwere Leibstrafe war zwar möglich und hätte eventuell die Widerspenstigkeit der Ossenheimer reduzieren können, verbot sich aber deshalb, weil damit nicht nur die Zielpersonen, sondern deren ganzer Haushalt schwer getroffen würde. So würden durch den Wegfall von Steuern und Abgaben nicht nur die finanziellen Grundlagen der Gemeinde, sondern auch die herrschaftlichen Einnahmen geschmälert. Zudem wüchse die Zahl der Bedürftigen in Ossenheim stark an, was zusätzliche Belastungen für Gemeinde und Regierung bedeuten könnte. Dies, so zeigt das Gutachten Birkels, war keineswegs im Interesse der gräflichen Regierung. Aus ökonomischen Gründen wurde kein Exempel statuiert, die wirtschaftlichen Interessen überwogen eindeutig die ordnungspolitischen. Darüber hinaus man konnte nicht sicher sein, dass ein solcher Eingriff in die Sicherung des Familieneinkommens nicht einen noch größeren Aufruhr bei den Untertanen, die den Nahrungserwerb als ihr fundamentales Recht betrachteten,336 provoziert hätte; auch deshalb erschienen solch harte Maßnahmen nicht angebracht. Da die Bestrafung von Widerspenstigen sich derart schwierig gestaltete, verlegten sich Regent und Regierung auf den Versuch, Situationen, in denen es erfahrungsgemäß zu Unruhen kam, zu kontrollieren und Widerstand von Anfang an 334 Vgl. Schreiben Graf Wilhelm Karl Ludwigs an seine Regierung vom 2.11.1772, HStAD F 24 C 309/8. 335 Gutachten des Regierungssekretärs Birkel vom 21.11.1772, HStAD F 24 C 309/8. 336 Vgl. WINFRIED SCHULZE, Herrschaft und Widerstand in der Sicht des "gemeinen Mannes" im 16./17. Jahrhundert, in: Hans Mommsen und Winfried Schulze (Hg.), Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 182-198, v.a. S. 190 ff. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 88 zu verhindern. 1775 erging folgendes Schreiben der Regierung an den Justizrat von Wolmershausen in Friedberg, der als externer Berater („Rath von Hauß auß“337) häufig in Rödelheimer Diensten in der Wetterau unterwegs war: Es hat die Erfahrung bißhero belehret, wie wenig die renitirende Gemeinden derer Wetterauischen Ortschafften, denen herrschaftl. Schultheißen die schuldige Folge leisten, noch denen Anweiß- und Vorstellungen Gehör geben, dahero es dann gekommen, daß da nicht jedes mahlen bey denen Gerichtshegungen, Bürgermeister und Vorsteher Wahlen auch Schützenbestellungen, ein herrschaftl. Deputatus oder beamte beygewohnet, die Renitenten dadurch Gelegenheit zu mehrern Aussschweifungen, factischen Unternehmen und Ausübung freventlicher Beeinträchtigung genommen; um nun diesem künftig vorzubeugen, haben Cels. Reg. hochgr. Erlaucht uns gnädigst aufzutragen geruhen wollen, unßerm p. zu erkennen zu geben, wie höchstdieselben gerne sehen, wann von denselben die Amtsverrichtungen in der Wetterau auf solche Zeiten da die Gerichtshegungen, Bürgermeister und Vorsteher Wahlen, Schützen und andern dergleichen dienstbestellungen gemeiniglich zu geschehen pflegen, eingerichtet und eingeleitet, auch zu solchem Ende sich von denen Ortsschultheißen die Zeit wann dergleichen vorgenommen worden und zwar 3 biß 4 wochen vorher anzeigen laßen würde, um somit dardurch die nöthige Maasregeln nehmen zu können. Wir haben also Äußerung diese hochherrsch. gnädigste Willens Meynung hierdurch ohnverhalten sollen, und verharren übrigens ohnausgesetzt. Rödelheim, den 6ten May 1775 [...].338 Von Wolmershausen sollte also an Gerichts- und Wahlversammlungen der Gemeinden als gräflicher Beauftragter teilnehmen, um durch seine Anwesenheit zu verhindern, dass die Untertanen die Gelegenheit zur Aufruhr nutzten. Auf ähnliche Weise hatte man ja auch versucht, durch die Entsendung des Amtmanns Maley die Kontrolle über die Versteigerung des Gemeinen Heus in den Dörfern zu gewinnen, was letztlich gescheitert war. Ob der Auftrag an Wolmershausen genau so erfolglos blieb, ist nicht überliefert. Insgesamt jedoch erscheint der Versuch recht hilflos, 337 Zu den externen juristischen Beratern s.o. 338 Schreiben der Regierung Rödelheim an Justizrat v. Wolmershausen in Friedberg vom 8.5.1775, HStAD F 24 A 161/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 89 zumal es nur ein Teil des Problems war, dass die Gemeinden den Schultheißen nicht die schuldige Folge leisteten; es war vielmehr so, dass wie oben gezeigt sowohl Schultheiß als Bürgermeister durch die Interessenkollision durch ihren Status als landesherrlicher Amtsträger einerseits und als Gemeindemitglied andererseits tendenziell auch nicht rückhaltlos auf Seiten der Obrigkeit standen. Es darf bezweifelt werden, ob dieses strukturelle Defizit reichsgräflicher Landesherrschaft339 durch gelegentliche Besuche eines Beauftragten bei Gemeindeversammlungen zu lösen war. Diese Probleme wurden dadurch noch verschärft, dass die Stellen einiger gräflicher Amtsträger mit eindeutig sicherheits- und ordnungspoliceylichen Aufgaben während vieler Jahrzehnte unbesetzt blieben. Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts waren in einer Rödelheimer Besoldungsübersicht noch zwei Landreuther aufgeführt.340 Dabei handelte es sich um Amtsträger, die die Aufsicht über Ordnung und Sicherheit in einem ihnen zugewiesenen Bezirk341 hatten, dem Landhauptmann oder –major assistierten342 und auch mit Botengängen und sonstigen Ritten in landesherrlichen Angelegenheiten beauftragt wurden.343 In anderen Territorien wie z.B. Preußen existierten Landreuter-Ordnungen,344 die die Zuständigkeit genau regelten; daraus geht hervor, dass sie im Land Streife zu reiten, verdächtiges Gesindel aufzugreifen und Exekutionen durchzuführen hatten,345 also als „eine Gattung polizeydiener“346 betrachtet werden können, die genau so die Grenze zwischen der älteren „Policey“ und der sich entwickelnden neuzeitlichen „Polizei“ markieren wie die Hatschiere Süddeutschlands.347 Eine solche Ordnung 339 Vgl. zu ähnlichen Problemen in den Territorien anderer Reichsstände u.a. URSULA LÖFFLER, Herrschaft als soziale Praxis zwischen Dorf und Obrigkeit, in: Markus Meumann und Ralf Pröve (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 97-119. 340 Vgl. Bestallungstabelle Regierung Rödelheim, HStAD F 24 A 815/2 (Beilage zum Streit Rödelheim-Laubach ca. 1690). 341 Vgl. Artikel "Bereuter", in: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste (3), Leipzig/Halle 1732, S. 1227, in dem z.B. Forst- und Zoll(be)reuter genannt sind. In der Grafschaft Solms-Rödelheim gab es einen Landreuter in Rödelheim, der für die südlichen Dörfer zuständig war, und einen in Niederwöllstadt, der die nördlichen Gemarkungen beaufsichtigte, vgl. Rechnung der Rödelheimer Landkasse 1714/15, HStAD F 24 B 401/1. 342 Vgl. Rechnung der Assenheimer Landkasse 1715/16, HStAD F 24 B 403/1. 343 Vgl. Rechnung der Rödelheimer Landkasse 1715/16, HStAD F 24 B 401/3. 344 Für die Mark Brandenburg siehe Corpus constitutionum Marchiarum oder Königl.-Preußis. und Churfürstl.-Brandenburgische in der Chur- und Marck Brandenburg auch incorporierten Landen publicirte und ergangene Ordnungen (6.1), Berlin 1736 S. 230. 345 Vgl. ebd. S. 102. 346 FISCHER, Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Policeyrechte S. 233. 347 Vgl. zur Professionalisierung der Sicherheitsorganisation u.a. ANDRÉ HOLENSTEIN, Zwischen Policey und Polizei. Die badischen Hatschiere und die Professionalisierung staatlicher Exekutivkräfte Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 90 oder andere Überlieferungen zu ihrem Tätigkeitsfeld fehlen für die Landreuther des Untersuchungsraums. Fest steht jedoch, dass sie – ähnlich wie die Solmser Truppen für die Kreisarmee – aus der Landkasse besoldet wurden348 und damit eindeutig dem Bereich der landesobrigkeitlichen onera publica349 zuzuordnen sind. Zwischen 1732 und 1776 wurden zwar durch die Landkasse jedes Jahr 158 fl für die Besoldung der Landreuther und der beiden Wachtmeister, die an den Toren der Schlösser postiert waren,350 erhoben und abgeführt; jedoch gab es zumindest während dieser 44 Jahre, sehr wahrscheinlich auch darüber hinaus, weder Wachtmeister noch Landreuther.351 Als Grund gab der 1780 amtierende Landkassierer Jäger im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den durch den verstorbenen Regenten Graf Wilhelm Karl Ludwig verursachten Schaden an Land und Leuten an, daß Cels[issi]mus functus Regens die Wachtmeister und Landreuthers Gage eingestecket habe,352 also die überschüssigen Einnahmen in die eigene Schatulle umgeleitet hatte. Anders ausgedrückt wurde auch hier der Ausbau der Landeshoheit, für den andernorts obrigkeitliche Kontrollmechanismen auch personell ausgebaut wurden,353 den ökonomischen Interessen geopfert. Die Folge war, dass es in der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim zu keiner Professionalisierung der Ordnungskräfte kam, sondern Wachdienste an den gräflichen Schlössern354 und die Überwachung der inneren Sicherheit in der im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: André Holenstein et al. (Hg.), Policey im lokalen Raum. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert (Studien zur Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a.M. 2002, S. 289- 316. 348 Vgl. die Rechnungsführung der Landkasse in HStAD F 24 B 401-404. 349 Übersicht über Einnahmen und Ausgaben der Kellereien und der Landkasse 1719-27 durch Kammerrat Hipp, HStAD F 24 A 816/1. Anders Artikel "Land-Reuter", in: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste (16), Leipzig/Halle 1737, S. 445; hier wird der Begriff mit „Bannwart“ gleichgesetzt, den HOLENSTEIN, Gute Policey S. 775-776 zu den „Wächterfunktionen“ in der Gemeinde zählt. Da die Landreuter in Solms-Rödelheim aber in den Besoldungslisten zusammen mit Regierungssekretären aufgeführt und aus der Landkasse bezahlt wurden, kann es sich nicht um ein Gemeindeamt gehandelt haben. 350 Vgl. Rechnung der Rödelheimer Landkasse 1714/15, HStAD F 24 B 401/1, in der Wachtmeister Best für das Schloss Assenheim und Wachtmeister Rose für das Rödelheimer Schloss aufgeführt sind. 351 Vgl. Bericht des Rödelheimer Justizrats Hoffmann vom 24.6.1793, HStAD F 24 A 1402/2. 352 Bericht des Landkassierers Jäger vom 7.1.1780, HStAD F 24 A 1402/2. 353 Vgl. zur „expandierenden Policeyverwaltung“ imdeutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert ANDRÉ HOLENSTEIN et al., Der Arm des Gesetzes. Ordnungskräfte und gesellschaftliche Ordnung in der Vormoderne als Forschungsfeld, in: André Holenstein et al. (Hg.), Policey im lokalen Raum. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert (Studien zur Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a.M. 2002, S. 1-54, hier v.a. S. 4 f.. 354 Vgl. u.a. Regierungsdekret an den Beamten zu Niederwöllstadt wegen Vorgehen gegen die Zigeuner vom 12.6.1732, HStAD F 24 C 277/8 sowie Akten zum Wachdienst ab 1696, HStAD F 24 A 219/12. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 91 Grafschaft allein durch die Untertanen durchgeführt werden mussten. Organisatorisches Instrument dafür war die Landmiliz oder „Landwehr“,355 für die grundsätzlich alle jungen und ledigen Männer neben ihrem normalen Erwerb356 zur Verfügung zu stehen hatten. Sie waren in mehrere „Rotten“ mit jeweils einem Korporal an der Spitze eingeteilt und hatten Streifungen durch das Land und vor allem die Wälder vorzunehmen sowie im Bedarfsfall auch bei der Feuerbekämpfung zu helfen.357 Insbesondere die durch die verschiedenen Reichsstände ständig beklagte und bekämpfte Anwesenheit von Raub- und Diebs-banden358 und der Zigeuner und andern herrnloßen Gesindels359 in der Wetterau, für deren Bekämpfung der oberrheinische Kreis eigens eine Creyß-Poenal-Compagnie eingerichtet hatte,360 oblag vor Ort zunächst der Landmiliz oder aber in Einzelfällen gesondert gebildeten „Ausschüssen“, die sich aus einem noch größeren Personenkreis rekrutierten und nur kurzfristig und zweckgebunden zum Einsatz kamen.361 In einer Auseinandersetzung mit Gemeinden ließen sich diese „nebenamtlichen“ Wachmannschaften und Landmilizen nicht als Disziplinierungsinstrument durch die Obrigkeit nutzen; zunächst waren sie generell wenig effizient, weil die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an Aktionen der Miliz und am Wachdienst bei den mit ihrem Haupterwerb oft mehr als ausgelasteten Untertanen sehr gering362 und im Ernstfall oft überhaupt nicht vorhanden war: an einer Streifung gegen Räuberbanden Ende 1777 hatten viele Fauerbacher Milizionäre – den Aufwand und das Risiko scheuend – nicht teilgenommen, sondern offenbar lieber den Tag im Wirtshaus verbracht.363 Auch in anderen Fällen wurde eine äußerst nachlässige Dienstauffassung beklagt, wie 1773 in Niederwöllstadt, wo ein Häftling entkommen konnte, obwohl vier 355 Vgl. Regierungsdekret an Schultheiß Bausch zu Niederwöllstadt vom 25.6.1731, HStAD F 24 C 277/8. 356 Der Führer einer Niederwöllstädter Rotte beispielsweise war Johann Adam Cost, seye von Niederwöllstadt, 29 Jahr alt und seiner Profession ein Leinweber, dabei aber Corporal unter der Landmiliz, vgl. Vernehmungsprotokoll vom 4.3.1773, HStAD F 24 C 277/8. 357 Vgl. ebd. 358 Schreiben der hessischen Regierung in Gießen an die Rödelheimer Regierung vom 25.11.1723, HStAD F 24 C 277/8. 359 Schreiben der hessischen Regierung nach Rödelheim wegen Massnahmen gegen die Zigeunerplage in Solms-Rödelheim vom 5.2.1726, HStAD F 24 C 277/8. 360 Vgl. Schreiben Daniel Steffens´ aus Niederwöllstadt vom 10.2. und 7.7.1731, HStAD F 24 C 277/8. 361 Vgl. Bericht des Regierungsrats Hoffmann nach Rödelheim vom 6.6.1771, HStAD F 24 A 1133/15 sowie Regierungsdekret an Schultheiß Bausch zu Niederwöllstadt vom 25.6.1731, HStAD F 24 C 277/8.. 362 Vgl. verschiedene Gesuche um Entlassung von Untertanen aus der Landmiliz ab ca. 1700, HStAD F 24 A 219/12. 363 Vgl. Bericht des Lieutenants Bausch vom 26.11.1777, HStAD F 24 A 1133/15. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 92 Rotten Landmiliz zu seiner Bewachung eingeteilt worden waren.364 Es handelte sich bei der Mannschaft eben um Bauern und Handwerker, nicht um professionelle Soldaten. Zudem war nicht davon auszugehen, dass man die Angehörigen der Miliz würde dazu bewegen können, Maßnahmen gegen die eigenen Nachbarn vorzunehmen. Viel zu sehr waren sie, wie oben auch am Beispiel der Schultheißen gezeigt, in den Dörfern verwurzelt und verstanden sich in erster Linie als Gemeindemitglieder, Nachbarn und Verwandte, nicht aber als verlängerter Arm der Regierung oder des Grafen. Diesem blieb nur der Einsatz von Soldaten, um bei Konflikten Druck auf die Gemeinden auszuüben und im Lande für Ordnung zu sorgen. Sie konnten, sofern sie mit ihrer Einheit nicht anderweitig eingesetzt waren,365 auch innerhalb der Grafschaft eingesetzt werden, um Exekutionen durchzuführen366 oder verdächtige Subjekte zu suchen und aufzugreifen.367 1715 entsandte die Grafschaft Solms-Rödelheim 19368 und 1781 26 Männer369 zu der mit Solms-Laubach gemeinsam zu stellenden Kompanie beim Nassau-Weilburgischen Infanterie-Regiment der oberrheinischen Kreistruppen. Es handelte sich also insgesamt um eine sehr geringe Anzahl Soldaten, deren Bedrohungspotential dem Individuum gegenüber zwar durchaus vorhanden, einem ganzen Dorf gegenüber jedoch nicht sehr groß gewesen sein dürfte, war doch die Zahl der Einwohner jedes Orts in der Grafschaft um ein Vielfaches höher: selbst das bevölkerungsärmste Dorf Ossenheim hatte 1735 mehr steuerpflichtige Haushaltsvorstände – hinzu kommen noch die anderen Haushaltsmitglieder und die nicht steuerbaren Haushalte – als es Rödelheimer Soldaten gab.370 Erforderte die Situation die Entsendung größerer Kontingente, so setzte dies die Zustimmung des Kreises oder der anderen Reichsstände voraus, unter deren Befehl die Kontingente 364 Vgl. Vernehmungsprotokoll des Landmilizkorporals Kost vom 4.3.1773, HStAD F 24 C 277/8. 365 Im österreichischen Erbfolgekrieg beispielsweise griff das Regiment zwar nicht aktiv in Kampfhandlungen ein, wurde aber mehrfach verlegt, vor allem entlang des Rheins, vgl. Erlass Graf Christian Augusts von Solms-Laubach an seine Soldaten vom 14. November 1747, HStAD F 24 A 219/3. 366 Vgl. u.a. Schreiben der Regierung an den herrschaftlichen Einnehmer Baasler in Fauerbach vom 12.2.1772, HStAD F 24 A 161/2. 367 Vgl. Bericht des Assenheimer Amtmanns Dietzsch nach Rödelheim vom 30.10.1789, HStAD F 24 C 277/8; Dietzsch berichtet, er habe mit 10 ordentlichen Soldaten und 12 Mann Miliz eine Streifung gegen Räuber- und Diebsgesindel in der Gegend um Assenheim vorgenommen. 368 Vgl. Belege zur Rechnung der Rödelheimer Kriegs- oder Verfassungskasse 1715, HStAD F 24 B 402/4. 369 Vgl. Musterungsliste des Nassau-Weilburgischen oberrheinischen Kreis-Infanterie-Regiments vom Oktober 1781, HStAD F 24 A 220/1. 370 Vgl. Species Facti betreffs des Gesuchs Wilhelm Karl Ludwigs an den oberrheinischen Reichskreis und den Reichstag um Verminderung der Kreis- und Reichsabgaben 1735-1740 20.6.1740 Tabelle 2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 93 standen. Diese Zustimmung aber war oft an ein rechtskräftiges Urteil eines Reichsgerichts gebunden,371 immer jedoch erforderte sie, dass man anderen einen Einblick in die eigenen Angelegenheiten gewährte und sie um Hilfe bat.372 Deshalb kam es nur in Extremsituationen, die für Solms-Rödelheim nicht überliefert sind, zu solchen Aktionen. Insgesamt schied damit auch die militärische Option für die Durchsetzung reichsgräflicher Politik und Landeshoheit den Untertanen gegenüber weitgehend aus; eigene Ordnungskräfte im Sinne einer „Polizei“-truppe waren eingespart bzw. gar nicht erst aufgebaut worden, die Landwehr war zu unzuverlässig und ließ sich kaum gegen die eigenen Verwandten und Nachbarn verwenden, die Zahl der eigenen Kreissoldaten war zu gering für große Exekutionen und die Unterstützung durch andere Truppen an zu viele Voraussetzungen und Rücksichten gebunden.373 Zudem war stets zu befürchten, dass die Untertanen eine Klage bei einer dritten Instanz – zumeist der Reichsgerichtsbarkeit – einreichten, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlten. Schon von daher war der Handlungsspielraum der Reichsgrafen und ihrer Regierung begrenzt, und das war auch den Untertanen sehr bewusst. Im Streit um die Besetzung der Feldschützenstelle in Fauerbach war auch umstritten, wer den „Fasselochsen“, der normalerweise von den beiden Feldschützen gekauft und zu der Gemeindeherde auf die Weide getrieben wurde,374 anschaffen sollte: die von der Obrigkeit bestimmten oder die durch die Gemeinde gewählten Schützen. In diesen Zusammenhang gehört der Ausspruch des Fauerbacher Deputierten Johannes Lang, der auf dem Rathhaus zu Friedberg [...] öffentlich in die Worte ausgefallen: „Er wolle sehen, ob der Reichshofrath zu Wien oder der Graf zu Rödelheim den Faßelochsen unter die Härde treiben würde“.375 Er zeigte sich also zuversichtlich, dass sich die Gemeinde mit einem gegen ihren Landesherrn geführten Prozess durchsetzen könne. Ganz bewusst, sogar provozierend, führte Lang hier die Reichsgerichtsbarkeit als weit über dem Landesherrn stehende Instanz an; dass dies in der Reichsstadt Friedberg geschah, verleiht dem Vorgang noch zusätzliche Würze, 371 Zu einem vergleichbaren Fall im Solms-Braunfelser Amt Hungen 1715, in den Hanau durch die Entsendung von Bewaffneten eingriff, siehe TROßBACH, Bauernbewegungen S. 89-91. 372 Zur grossen isenburg-büdingischen Exekution gegen die Dörfer des Gerichts Mockstadt 1727 vgl. ebd. S. 225 ff.; Isenburg-Büdingen war gezwungen gewesen, Laubach und Hanau um Hilfe zu bitten, um genug Soldaten aufbieten zu können. 373 Vgl. auch GEORG SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495 - 1806, München 1999 S. 243. 374 Vgl. Akten zur Rebellion der Fauerbacher 1775, HStAD F 24 A 161/1. 375 Protokoll der Aussage der Fauerbacher Feldschützen Wagner und Holler vom 21.1.1775, HStAD F 24 A 161/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 94 zeigten sich doch die Untertanen hier gewissermaßen „reichsöffentlich“ furchtlos und unbeugsam. Allerdings trug ihre Auflehnung, anders als bei aufständischen Bauern anderer Territorien im späten 18. Jahrhundert, deren Widerstand teilweise extreme und letztlich blutige Formen annahm,376 keine vergleichbaren revolutionären und umstürzlerischen Züge, sondern zielte vornehmlich auf die Erhaltung „alter“ Rechte und Freiheiten gegenüber der Vereinnahmung durch die Landesherrschaft ab und konzentrierte sich auf längst nicht alle Bereiche der Policeygesetzgebung, sondern nur auf die von den Untertanen als besonders sensibel empfundenen Punkte.377 Gegenüber diesen selbstbewussten und oft belehrungsresistenten Untertanen oder – wie es der herrschaftliche Einnehmer Basler in Fauerbach ausdrückte – unruhige, widerspenstige Köpf378 musste sich eine Landesherrschaft umso vorsichtiger verhalten, je mehr sie die Kosten für die Intensivierung von Herrschaft und Durchsetzung „guter policey“ scheute oder gar vorhandene Stellen einsparte, statt systematisch die Verwaltung auch auf der untersten Ebene durch die Einsetzung loyaler, gut besoldeter Amtsträger auszubauen. Diese Vorsicht wurde den Reichsgrafen oft als Schwäche ausgelegt und veranlasste bereits den Einnehmer Basler zu der Einschätzung, in Dorf und Gemarkung Fauerbach herrsche große Unordnung, ein jeder thäte bald nur was ihm gelüstet, es werde kein frevler angezeigt, und schien das sich niemand vor keiner obrigkeit fürchte.379 Dass im Erlassen von immer mehr Gesetzen und Ordnungen bei gleichzeitiger Nichtdurchsetzung bzw. auch Nichtdurchsetzbarkeit aber nicht unbedingt ein unüberwindlicher Widerspruch, vielleicht noch nicht einmal ein als solches wahrgenommenes Defizit von Landesherrschaft bestanden haben muss, darauf hat J. SCHLUMBOHM hingewiesen: Landesherrschaft – gerade wenn sie in ihrer Existenz bedroht oder wenig durchsetzungsfähig war – konstituierte sich als solche bereits durch den Vorgang des Erlassens und Publizierens an sich, unabhängig von der 376 Vgl. SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches S. 332-335 mit den Beispielen der kursächsischen und Osnabrücker Aufstände um 1790. 377 Vgl. auch LANDWEHR, Policey vor Ort, hier v.a. S. 67-70. Er geht von Bereichen mit weitreichenden Interessenkongruenzen von Untertanen und Obrigkeiten aus, z.B. beim Feuerschutz; Ähnlich stellt sich die Situation in Solms-Rödelheim dar. 378 Protokoll der Aussage des Einnehmers Basler zu Fauerbach durch Regierungssekretär Birkel vom 22.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 379 Protokoll der Aussage des Einnehmers Basler zu Fauerbach durch Regierungssekretär Birkel vom 22.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 95 Überführung der Gesetze und Verordnungen in irgendeine Form der Praxis.380 Die Abfassung und Verkündigung von neuen oder verschärften Gesetzen und auch ihre überaus harte Durchsetzung in einigen wenigen Einzelfällen wäre dann als ein in erster Linie symbolischer Akt zu verstehen, dessen Wirksamkeit keineswegs dadurch beeinträchtigt wurde, dass sie in aller Regel nicht beachtet wurden: gegenüber den eigenen Untertanen und anderen Reichsständen erwies sich die Obrigkeit allein dadurch als (gute) Obrigkeit, dass sie den normativen Rahmen für „Gute Policey“ schuf. Das meist gut funktionierende System lokaler (Gewohnheits-)Rechte und Bräuche, der gemeinsam mit den Gemeinden ausgeübten Herrschaft konnte in der Praxis gleichzeitig unangetastet gelassen und der große Aufwand harter Auseinandersetzungen vermieden werden.381 3.2 Struktur und Verwaltung der reichsgräflichen Ökonomie Als eine der wesentlichen Aufgaben, vor die sich die Reichsgrafen am Ende des 17. Jahrhunderts gestellt sahen, hatte sich die finanzielle Konsolidierung herausgestellt. Die Aufwendungen, die für die so genannten onera publica, für die Landesadministration und für den Unterhalt der gräflichen Familie nötig waren, überstiegen tendenziell die Einkünfte des kleinen Territoriums und hatten bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zu einer beachtlichen Schuldenlast geführt; Solms- Rödelheim befand sich dabei durchaus in guter Gesellschaft, hatten doch auch andere – selbst wirtschaftlich wesentlich leistungsstärkere – Territorien mit Verschuldungsproblemen zu kämpfen, die selbst an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert, also ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, entweder noch in den Verheerungen des Dreißigjährigen Kriegs ihre Wurzeln hatten382 oder in der als notwendig erachteten Versorgung einer zahlreichen Nachkommenschaft und standesgemäßen Repräsentation gräflicher Existenz begründet waren.383 380 Vgl. SCHLUMBOHM, Gesetze, S. 661-663. 381 Vgl. dazu auch das folgende Kapitel zur „gemeinsam ausgeübten Herrschaft“ und der Rolle der Gemeinden in diesem System. 382 Vgl. dazu z.B. VOLKER SELLIN, Die Finanzpolitik Karl Ludwigs von der Pfalz. Staatswirtschaft im Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg, Stuttgart 1978. 383 Vgl. MAUERER, Südwestdeutscher Reichsadel S. 145-173. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 96 Wenn aber diese so oft postulierte Voraussetzung für den Aufbau des frühmodernen (Finanz-)Staates nach dem Vorbild größerer Territorien384 als Perspektive reichsgräflicher Politik ausschied, was war dann die Perspektive? War es möglicherweise etwas fundamental anderes als die „Staatsbildung“, die in der teleologischen Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts in den Territorien des 18. Jahrhunderts hätte vollzogen oder zumindest vorbereitet werden müssen? Im ersten Schritt soll, um diese Frage beantworten zu können, die Wirtschaftsverwaltung der Grafschaft systematisch untersucht und ihre Organisation und Entwicklung dargestellt werden, wobei der Art und der Höhe der verschiedenen Einnahmen und Ausgaben besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Im zweiten Schritt rückt dann die „Wirtschafts-“ Politik der Reichsgrafen in den Blickpunkt und damit ihre Bemühungen, angesichts der beschränkten Verhältnisse die eigenen Finanzen zu konsolidieren. 3.2.1 Kassen, Kellereien und Rechnungen – die Organisation der Wirtschaftsverwaltung Die Kellereien bildeten in der Theorie das Rückgrat der reichsgräflichen Wirtschaftsverwaltung. In der Praxis waren sie oft keine völlig eigenständigen Institutionen, sondern meist einem Amt zugeordnet. Häufig wurden sie vom Amtmann – manchmal als „Amtskeller“ bezeichnet – oder von einem Oberamtsschultheißen mit verwaltet. Eine überpersonale Struktur der Verwaltung existierte noch nicht, Kompetenzen wurden abhängig von der Person immer wieder neu auf die jeweiligen Amtsinhaber verteilt,385 und die wirtschaftliche und 384 Überblicksartig dazu REINHARD, Staatsgewalt S. 15 ff.; Für eine kleine Reichsgrafschaft hat zuletzt MÜLLER, Gemeinden und Staat das Attribut der „Staatlichkeit“ in Anspruch genommen (vgl. hier v.a. S. 16 ff.), wobei dessen Berechtigung angesichts der Verhältnisse in der untersuchten Reichsgrafschaft Sayn-Hachenburg allerdings fraglich erscheint. 385 Vgl. z.B. Bestallungsurkunde für den Keller Niclas Balthasar Maley vom 19.6.1701, HStAD F 24 A 1262/13, mit detaillierter Aufgabenbeschreibung, sowie die entsprechenden Ausführungen zur Ämterorganisation in Kapitel 3.1.2. Vgl. zur Verflechtung von Amt und Person in frühneuzeitlichen Verwaltungen weiterhin MICHAEL ROTHMANN, Damit wir aber besser hinder die sach kommen - Zentrum und Peripherie. Das Rechnungswesen der Landgrafen von Hessen und der Grafen von Ysenburg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Harm von Seggern und Gerhard Fouquet (Hg.), Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Ubstadt- Weiher 2000, S. 43-78, hier S. 46. Diese Strukturen sind für Rothmann keineswegs per se Ausdruck von Rückständigkeit, sondern oft im Gegenteil ein Ergebnis rationaler Erwägungen. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 97 allgemeine Administration waren nicht getrennt, sondern personell und funktional vielfältig verwoben.386 Durch den Keller und seine(n) Mitarbeiter, etwa Geld- oder Fruchtschreiber, wurden mit Ausnahme der zur Landkasse gehörigen Posten (s.u.) grundsätzlich alle Einnahmen und Ausgaben verrechnet, die sich aus der Landes-, Grund- und Leibherrschaft der Reichsgrafen ergaben. Die Einnahmen, gleichgültig ob es sich um Geld oder Naturalien handelte, wurden durch die Keller eingezogen, aufbewahrt und entweder für Besoldungen wieder ausgegeben, als Rezess mit in das nächste Rechnungsjahr übertragen oder an Angehörige der gräflichen Familie oder auch andere Institutionen (z.B. eine Hofhaltung) ausgeworfen. Der Kellerei Rödelheim kam im Gefüge der Wirtschaftsadministration lange Zeit nicht nur wegen ihrer überaus günstigen Lage zum Finanz- und Handelsplatz Frankfurt eine besondere Rolle zu, sondern auch deshalb, weil einerseits erst nach dem Tod Graf Wilhelm Karl Ludwigs eine Generalkasse eingeführt wurde,387 andererseits Rödelheim bis zu dieser Zeit Residenz war; die Rödelheimer Keller übernahmen deshalb bis 1778 sowohl bestimmte Aufgaben einer Zentralkasse, an die kleinere Kassen einen Teil ihrer Überschüsse transferierten,388 als auch die wirtschaftliche Verwaltung großer Teile der Rödelheimer Hofhaltung und der privaten Einnahmen und Ausgaben der Grafen. Die Buchführung erfolgte wie bei allen Kellereien in Form der Kellereirechnungen, die damit ein umfassendes Dokument für die Wirtschaft der Reichsgrafschaft darstellen. Auch wenn die Rechnungen überwiegend sehr sorgfältig geführt wurden, bringt ihre Auswertung doch schwere Probleme mit sich, die hier kurz benannt werden sollen, um die Grenzen ihrer Aussagekraft deutlich zu machen. Die Überlieferung der getrennt geführten Geld- und Fruchtrechnungen ist vergleichsweise dicht für den Zeitraum des Bestehens der Kellereien, d.h. von 1461 für die Kellereien Assenheim, Rödelheim und Petterweil und vom Anfang des 18. Jahrhunderts für Einartshausen und Burggräfenrode.389 Schwerwiegender als die verlorenen Jahrgänge ist für die Auswertung für längere Zeitspannen und damit das 386 Vgl. dazu auch Abb. 4 S. 78. 387 Die erste Rechnung der Generalkasse der Grafschaft Solms-Rödelheim vom 27.8.1778 bis 22.2.1780 in HStAD F 24 B 408. 388 Die entsprechende Sparte in der Kellereirechnung heisst „Aus anderen Ämtern“ oder „von anderen Kellereien“ und existiert für Rödelheim seit 1461. 389 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 1-2. Er hat errechnet, dass von insgesamt 1219 Kellereijahresrechnungen 355, also etwas mehr als ein Viertel, verlorengegangen sind. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 98 Aufzeigen von Entwicklungen und Tendenzen, auf das es hier ankommen wird, dass die Rubriken im Lauf der Zeit immer weiter ausdifferenziert wurden und damit die Zuordnung vieler Posten zu einer Rubrik – also die Bedeutung einer Rubrik – veränderlich war. Ein gutes Beispiel dafür sind die Erbzinsen, also die Abgaben für in Erbleihe verliehene Güter: wurden sie zunächst unter der Rubrik „Insgemein“ geführt, kamen sie später zusammen mit den Temporalbestandgeldern in die Kategorie „Bestandzinsen“, bevor sie separat aufgeführt und noch später in einzelne Posten aufgeteilt wurden.390 Auf der anderen Seite tauchten einige nahezu identische Posten oft an ganz verschiedenen Positionen auf, wie die Wiesenzinsen, die unter „Bestandzinse von verliehenen Wiesen“, „unständige Wiesenzinse“ oder „Ständige“ bzw. „Unständige Zinsen“ subsumiert werden konnten, oft noch unterschiedlich bei den einzelnen Kellereien. Für eine summarische Auswertung der Rechnungen, um beispielsweise der Frage nach der Bedeutung von Pachteinnahmen für die Gesamtbilanz nachzugehen, müssen also die einzelnen Rubriken für die zu bearbeitenden Jahrgänge zuerst ausdifferenziert und dann nach passenden Kriterien neu zusammengefasst werden. Deshalb weichen die nachfolgend benutzten Kategorien an manchen Stellen von den Rubriken in den Rechnungen ab bzw. fassen mehrere Rubriken zusammen, um einerseits die beschriebenen Defizite aufzufangen und andererseits die Aussagekraft der Zahlen durch Akzentsetzungen zu erhöhen. Dabei bilden die Geldrechnungen den Schwerpunkt; die Fruchtrechnungen spielen für die hier anzustellende Untersuchung der Ökonomie insofern eine Rolle, als die Naturalabgaben der Untertanen bzw. auswärtigen Zinspflichtigen und die Einnahmen der eigenen Wirtschaftshöfe in Form von verkauften Überschüssen als Einnahmen in den Geldrechnungen wieder erscheinen und dort erfasst werden. Ansonsten wurden die Früchte zur Versorgung von Amtsträgern und der verschiedenen gräflichen Hofhaltungen verwendet und stellten deshalb eine Art „Grundversorgung“ mit lebenswichtigen Gütern dar, die nicht zugekauft werden mussten und sich deshalb mittelbar auf die reichsgräflichen Finanzen auswirkten. Auch wenn die Kellereien als gewichtigstes Element unbestritten im Zentrum der Rödelheimer Wirtschaftsverwaltung stehen, gab es noch weitere Kassen bzw. Kammern in der Reichsgrafschaft, die für die Ökonomie der Reichsgrafschaft wie der Grafen Bedeutung hatten. 390 Das waren „Erbleihgüter“, „Erbleihmühlen“, „Erbleihwirtschaften“ und „Erbleihgerechtsame“, vgl. ebd. S. 115. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 99 Zunächst war dies die Landkasse, die auch als „Landschafts-“, „Kriegs-“ oder „Verfassungskasse“ bezeichnet wurde. Zuvor als Teil der Kellereirechnungen geführt, wurde sie spätestens Ende des 17. Jahrhunderts davon abgetrennt und separat geführt391 und verrechnete Posten, die zu den „öffentlichen Aufgaben“ (onera publica392) im engeren Sinne gehörten. Dementsprechend handelte es sich um Summen, die der Verfügung durch die Landesherren weitgehend entzogen waren, weil sie einer engen Zweckbindung unterlagen. Weiterhin gehörte dazu die Rentkammer, die zur gleichen Zeit als Kontroll- und Oberinstanz der Kellereien eingerichtet wurde und zunächst zögernd, unter Graf Wilhelm Karl Ludwig ab Mitte des 18. Jahrhunderts dann immer stärker das Abhören der Kellereirechnungen und die Korrespondenz in Kameralsachen zentral regelte und die Kompetenzen der zuvor noch recht autonom agierenden Keller in den einzelnen Amtsorten so stark beschnitt, dass dort zuletzt oft nur noch einfache Schreiber anstatt der Keller eingesetzt wurden.393 Eine eigene Kasse besaß die Rentkammer lange Zeit nicht, sondern wickelte ihren Zahlungsverkehr wie oben beschrieben über die Kellerei Rödelheim ab; Dementsprechend war der Rödelheimer Keller im 17. und 18. Jahrhundert oft gleichzeitig Kammerrat.394 Erst mit dem Beginn der Regierungszeit Graf Johann Ernst Karls 1778 wurde mit der „Generalkasse“ eine Kammerkasse geschaffen, die sämtliche Einnahmen und Ausgaben der Grafschaft zentral erfasste und verbuchte.395 Die Entwicklung einer separaten zentralen wirtschaftlichen Verwaltungseinheit fand damit in Rödelheim sehr spät statt, wesentlich später als in vergleichbaren Territorien wie den Ysenburger Grafschaften, wo bereits ab Beginn des 16. Jahrhunderts Kammerrechnungen geführt wurden.396 Die Gründe dafür sind unklar. Die persönlichen Einnahmen und Ausgaben der Regenten und anderen Angehörigen der gräflichen Familie wurden wie geschildert z.T. über die Kellerei 391 Vgl. die Vereinbarung über Bestellung eines eigenen Rats und Sekretärs im Vertrag der Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich über eine gemeinsame Regierung vom 30.9.1695, HStAD B 9 1361. 392 Zu diesem Ausdruck vgl. u.a. die Summarische Designation an denen Kellerey-bestallungen, bau- und schäfferey kosten, zehend-samler und trescherlohn, Saamenfrüchten, frohn- und trescherbrod, wie auch anderen in denen Rödelheimer, Aßenheimer, Petterweiler und Einartshäußer Rechnungnen von ad 1719 biß 1727 befindlicher ohnumbgänglicher, so ständig alß unständiger Geld- und Fruchtabgaben, welche von dem Ertrag der Herrschaft Rödelheim wieder abgezogen (Beilage zu Akten im Primogeniturstreit 1728/29, erstellt von Rat Hipp), HStAD F 24 A Nr. 816/1. 393 Vgl. Instruktion für einen Fruchtschreiber von 1765, HStAD F 24 A 1262/11, weiter auch ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1 S. 150 ff. 394 Beispiele dafür sind die Kammerräte Sartorius, Schott und Buff, vgl. die Ausführungen zur Entwicklung der Ämter sowie Abb. 4 S. 78. 395 Vgl. die erste Rechnung der Generalkasse der Grafschaft Solms-Rödelheim vom 27.8.1778 bis 22.2.1780, HStAD F 24 B 408. 396 Vgl. ROTHMANN, Rechnungswesen, S. 50. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 100 Rödelheim, darüber hinaus über die diversen Hofrechnungen397 und immer Verlauf des 18. Jahrhunderts immer stärker auch über ihre „private“ Kasse, die sog. Schatulle, abgewickelt,398 an die die Kellereien und später die Generalkasse regelmäßig Gelder abführten.399 Die Überlieferung zur Rechnungsführung der Schatulle ist sehr dünn; außer zwei wahrscheinlich eher zufällig erhaltenen Privatrechnungen der Grafen Johann August von 1656 und Johann Ernst Karl von 1761-64 liegen für die Zeit vor 1780 überhaupt keine Belege vor, erst danach wird die Quellenlage etwas besser: für die Regierungszeit der Grafen Johann Ernst Karl und Volrat zwischen 1780 und 1800 existieren Schatullrechnungen der Regenten für insgesamt zwölf Jahre.400 Insbesondere für Graf Wilhelm Karl Ludwig, der seinen persönlichen Finanzen sehr viel Aufmerksamkeit und Energie widmete, darf man davon ausgehen, dass er seine Rechnung nicht nur selbst führte, sondern sie auch über seinen Tod hinaus vor unbefugtem Zugriff zu schützen wusste und sie deshalb heute nicht auffindbar sind; die Rechnungen seines Vaters und Onkels hingegen sind wohl in der Auseinandersetzung mit seinem Bruder benutzt und in diesem Zusammenhang aus dem Archiv entfernt worden. Eine Untersuchung der persönlichen Ökonomie der Rödelheimer Regenten kann sich also nur auf eine sehr dünne Materialbasis stützen und ist ansonsten darauf angewiesen, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse aus anderen Rechnungen und Quellen abzuleiten. Die Struktur der Rödelheimer Wirtschaftsverwaltung besaß einen wesentlich geringeren Komplexitäts- bzw. Ausdifferenzierungsgrad als in größeren Territorien wie z.B. Bayern, wo bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts ein dreistufiges System aus Ämtern, Rentmeistern und Hofkammer sowie dem Hofzahlamt als Kontrollbehörde sehr effizient arbeitete.401 Der vergleichsweise geringe Aufwand 397 U.a. die Küchenrechnung, vgl. Küchen- und Brotrechnung der gräflichen Hofhaltung in Rödelheim 1736-46, HStAD F 24 B 671, aber auch Gesamtrechungen wie die Quartalsrechnung der Hofhaltung auf Schloss Assenheim 1760, HStAD F 24 B 428. 398 Vgl. den Hinweis auf die in unßerer Chatoulle vereinnahmten Gelder im Extract aus dem Testament Wilhelm Karl Ludwigs vom 22.8.1769, HStAD F 24 A 28/3. 399 Eine eigene landesherrliche Kammer oder einen Kammermeister gab es nicht; hingegen waren grössere Territorien bereits im 16. Jahrhundert dazu übergegangen, die persönlichen Ausgaben der Regenten und ihrer Familien über die „fürstliche Kammer“ abzuwickeln, vgl. z.B. zu Sachsen UWE SCHIRMER, Die Finanzen im Kurfürstentum Sachsen (1553-1586), in: Friedrich Edelmayer und Maximilian Lanzinner (Hg.), Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert (Das Heilige Römische Reich und Europa Bd. 1), Wien / München 2003, S. 143-185. 400 Vgl. zu Volrat Schatullrechnungen der Jahre 1791-1798 in HStAD F 24 B 446 und zu Johann Ernst Karl Schatullrechnungen der Jahre 1780-82 und 1786 in HStAD F 24 B 441. 401 MICHAEL CRAMER-FÜRTIG, Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfung im Herzogtum Bayern: Zur Normierung der amtlichen Buchführung in der Frühen Neuzeit, in: Friedrich Edelmayer und Maximilian Lanzinner (Hg.), Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 101 angesichts des Umfangs der Solms-Rödelheimer Lande und Besitzungen und der Zwang bzw. Wille der Regenten zu äußerster Sparsamkeit auch im Bereich der Administration402 gestatteten keinen aufwändigen personellen Ausbau, so dass insbesondere eine Kontrollinstanz bis zuletzt nicht existierte und die Kammer- oder Regierungsräte weitgehend selbstverantwortlich agieren konnten. Dass bei mangelnder Kontrolle und gleichzeitiger Sparsamkeit in der Besoldung „Unterschleif“ nicht immer zu vermeiden war, zeigt der Bericht des Capitains Hermann, der 1777 im Auftrag des Fürsten Friedrich von Waldeck in der Gegend um Frankfurt eine Rekrutenwerbung durchführte,403 jedoch die Genehmigung durch die Rödelheimer Regierung nicht sofort erhielt. Als Schwachstelle der Rödelheimer Verwaltung machte er rasch aus, dass dieser Herr Graf seinen bedienten kaum 1/3 zu ihrer Lebsucht darzureichen pfleget; dem entsprechend versprach er sich umgehenden Erfolg, wenn ich 2 Louis d´Or anwenden wollte.404 Dieser Erfolg stellte sich tatsächlich ein: nachdem er zwei Wochen später dem Rödelheimer Rat Hofmann die 2 Louis d´Or zugesteckt hatte, erhielt er sofort die gewünschte Erlaubnis zur Werbung in dem gantzen Rödelheimischen – für ihn ein beständiger beweiß, was das liebe Geldt vor Würckung aller arten und Endten zu thun vermag.405 Allerdings sollten solche gelegentlichen Vorkommnisse nicht überbewertet werden angesichts der Tatsache, dass Geschenke an Amtsträger in der Frühen Neuzeit nicht nur in den Territorien des Reichs, sondern europaweit gängige Praxis waren und geradezu zu deren Amtsführung dazugehörten.406 Selbst unter den Reichstagsgesandtschaften in Regensburg war es ein Allgemeinplatz, dass man nirgends in der Welt etwas umsonst erlangen kann und deshalb Geschenke an einflussreiche Stellen zur rechten Zeit mehr als angeraten seien.407 Nichts deutet darauf hin, dass in Solms-Rödelheim den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert, Wien / München 2003, S. 270-290. 402 Vgl. z.B. Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239, mit der Auflage, nur einen Rat und einen Sekretär bei der Kanzlei zu beschäftigen, um die Personalkosten einzusparen. 403 Vgl. Schreiben Waldecks an Rödelheim vom 21.10.1777, HStAM 118a/1014. 404 Schreiben des Capitains Hermann an die Regierung Waldeck vom 9.11.1777, HStAM 118a/1014. 405 Schreiben des Capitains Hermann an die Regierung Waldeck vom 27.11.1777, HStAM 118a/1014. 406 Zu einem Beispiel aus Ostungarn und einem kurzen Überblick über die Neubewertung von Korruption in der Forschung in den letzten Jahren vgl. JUDIT PÁL, Der Preis der Freiheit. Die Durchsetzungsmöglichkeiten der Ratsinteressen einer freien königlichen Stadt am Anfang des 18. Jahrhunderts, in: Stefan Brakensiek und Heide Wunder (Hg.), Ergeben Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 123-144, hier v.a. S. 133-134. Siehe weiterhin KLINGEBIEL, Amtsträger S. 294-297, der Geschenke an lokale und zentrale Amtsträger grundsätzlich als Leistung im Rahmen einer Patron-Klient-Beziehung bewertet, deren symbolischer Wert den materiellen Wert meist übertraf. 407 Vgl. Kopie des Berichts des Reichstagsgesandten v. Fischer an den Direktor des fränkischen Kollegiums vom 14.5.1789, HStAD F 24 A Nr. 351/5; es ging um eine Frage des Zeremoniells, und Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 102 die Korruption408 unter lokalen Amtsträgern oder Regierungsbeamten größer gewesen wäre als andernorts.409 Die Amtmänner und Räte versahen im Durchschnitt ihre Ämter wohl genauso sehr oder wenig gewissenhaft wie ihre Kollegen in Mainz oder einem sächsischen Herzogtum. Das belegen z.B. die Rechnungen, die in der Regel sorgfältig geführt wurden. Die Buchführung bewegt sich – wie alle anderen Verwaltungstätigkeiten – formal auf Augenhöhe mit anderen frühneuzeitlichen Administrationen wie Hessen oder auch Ysenburg.410 Dazu haben zwei Faktoren beigetragen: zum einen gab es eine stetige Fluktuation des Verwaltungspersonals sowohl der mittleren als auch der oberen Ebene zwischen den Territorien der Region – den Wetterauer Reichsgrafschaften, der beiden Hessen und den Territorien des weiteren Rhein-Main- Gebiets –, die durch den personellen Austausch auch einen Austausch von Know- how mit sich brachte.411 Zum anderen waren auch die Ausbildungen der Amtsträger ähnlich, die unabhängig von ihrer geographischen Herkunft oder späteren Wirkungsstätte im 18. Jahrhundert in der Regel ein (meist juristisches) Studium absolviert hatten.412 Für die Wetterau besaß die Universität Gießen eine besonders große Bedeutung, weil hier ein großer Teil der späteren Amtsträger des Einzugsbereichs studierte.413 Die vergleichbare Ausbildung führte zu ganz ähnlichen Verwaltungspraktiken. Insgesamt besaß die Wirtschaftsverwaltung genau wie die allgemeine Landesverwaltung, die personell und organisatorisch vielfach eng verflochten waren, bis zur Mediatisierung einen bescheidenen Umfang, der dem geringen Umfang der reichsgräflichen Lande und der Sparsamkeit der Regenten geschuldet war. Trotzdem präsentierte sie sich keineswegs als durchgängig ineffektiv oder rückständig – die Gesandtschaften der Grafenkollegien versuchten ihre Direktorien davon zu überzeugen, für die Lösung des Problems 200 fl als remuneration aufzubringen. 408 Vgl. auch ANONYMUS, Artikel "Adel", in: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste (1), Leipzig / Halle 1732, S. 467-474. 409 Vgl. WALTER SCHOMBURG, Lexikon der deutschen Steuer- und Zollgeschichte,München 1992 S. 389-391 mit zahlreichen Beispielen für Versuche der Landesherrschaften, Korruption und Unterschleif zu minimieren. 410 Vgl. dazu ROTHMANN, Rechnungswesen, S. 55. 411 Vgl. verschiedene Bewerbungsschreiben um Aufnahme in gräfliche Dienste aus dem 18. Jahrhundert, HStAD F 24 A 1262/13, mit Hinweisen auf vorherige Tätigkeiten der Bewerber. 412 Allgemein zur Ausbildung von Amtleuten vgl. KROESCHELL, Amtmann, v.a. S. 12 ff. Zur Situation der Regierungsräte in Hessen-Kassel siehe STEFAN BRAKENSIEK, Die Staatsdiener. Das Beispiel der gelehrten Räte an der Regierung Kassel, in: Heide Wunder, et al. (Hg.), Kassel im 18. Jahrhundert. Residenz und Stadt, Kassel 2000, S. 350-374, hier S. 352 ff. 413 Vgl. PETER MORAW, Kleine Geschichte der Universität Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart, Gießen 1990, v.a. S. 71-90. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 103 administrative Praktiken und Verwaltungswissen befanden sich auch in kleinen und kleinsten Territorien wie Solms-Rödelheim durchaus auf der Höhe der Zeit.414 3.2.2 Einnahmen und Ausgaben der Land- oder Verfassungskasse Spätestens mit der Einführung des Amts des „Kriegskassierers“ nach der Etablierung der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim als selbständige, von Solms- Laubach unabhängige Herrschaft entstand die Institution der Land-, Kriegs- oder Verfassungskasse, die bis zur Mediatisierung 1806 bestehen blieb. Wie die gesamte Buchführung waren auch die Landkassenrechnungen in zwei Hauptkategorien, die Einnahmen und die Ausgaben, aufgeteilt. Die Seite der Einnahmen wiederum war untergliedert in die Orte, in denen die Reichsgrafen die Reichssteuern erhoben. 1715 gab es also zehn Rubriken: Rödelheim, Praunheim, Niederursel, Petterweil, Niederwöllstadt, Ossenheim, Bauernheim, Fauerbach, Assenheim und Einartshausen. Für jeden dieser Orte waren lediglich zwei Beträge aufgeführt, nämlich die Wacht- und die Monatsgelder, zu denen im Fall Rödelheims noch Schanzgeld hinzukam.415 In diesen beiden Posten waren alle einzelnen Abgaben der Gemeinde zusammengefasst, wobei die Wachtgelder für Aufwendungen für die „innere Sicherheit“ der Grafschaft und die Monatsgelder für alle Reichs- und Kreisabgaben standen. Wofür diese Gelder genau verwendet wurden, wird erst deutlich, wenn man die Ausgabenseite der Rechnungen näher betrachtet. Die folgende Übersicht stellt die Rubriken am Beispiel der Landkassenrechnung von 1715 dar (Abbildung 6): 414 Vgl. Menk, politische Kultur. 415 Vgl. Rechnung der Rödelheimer Landkasse vom 1.5.1714 bis 30.04.1716, HStAD F 24 B 401. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 104 Abbildung 6. Ausgaberubriken der Landkassenrechnungen. Während nur zwei bzw. drei Einzelposten auf der Einnahmeseite verzeichnet waren, gliederten sich die Ausgaben also in 19 einzelne Rubriken; zusammenfassen lassen sie sich in Ausgaben • für die Führung der Landkasse und die Verrichtung der zugehörigen Aufgaben selbst (Reit-, Boten- und Frachtkosten, Zehrungsgelder, Besoldung des Kriegskassierers und Schreibmaterialien), • für das Reich und seine Institutionen (Kammergerichtszieler, Kosten für den Grafenverein zur Verwaltung der Kuriatstimme und Interessenvertretung), • für den Oberrheinischen Reichskreis (Römermonate, Sold, Ausrüstung, Zehrung und Handgeld für den Hauptmann und die Soldaten des Rödelheimer Kreiskontingents) sowie • für „allgemeine landesherrliche Sicherheitsaufgaben“ wie Wachtmeister am Schloss und Landreuther. Die Beträge für das Reich und den Kreis machten dabei den größten Teil der Ausgaben aus: Allein die Monatsgelder und die Unterhaltung des Rödelheimer Kreiskontingents betrugen 1715 knapp 4850 fl und waren damit zu fast 54% an den Gesamtausgaben der Landkasse beteiligt, während die Aufwendungen für die Administration der Kasse und die „landesherrlichen Sicherheitsaufgaben“ zusammen Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 105 gerade einmal knapp 750 fl und damit noch nicht einmal 10% ausmachten.416 Um 1728 gab der Assenheimer Rat Hipp in einer Gesamtübersicht über die Ökonomie der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim folgende Beiträge an, die von den Untertanen über die Landkasse zu erbringen waren: Das hochgr. Hauß Solms-Rödelheim muß zum Unterhalt des kayserl. und Reichs-Cammer Gerichts vor ein erhöhet Ziel 18 Rthlr 53 xr entrichten. Vor einen einfachen Römer Monath, nach deßen Matricular anlage 37 fl. Vor ein Simplum zur wetterauischen Graffen Cassa 14 fl 15 alb Zu deren bestreittung nun, besold- und remontirung der Solms-Rödelheim. Crayß-Mannschafft (Welche in einem Capitain, 1 Sergeant, 1 Corporal, 1 feldscherer, 1 Tambour, 2 biß 3 gefreyten und 18 Gemeinen besteht) beschickung der Crayß- Graffen- und Solms. Hauß-Conferenzien, Unterhaltung des alten und anschaffung neuen gewehrs, bezahlung der Quartier-Gelder vor ernante Mannschafft, Salarirungen des Land-Majors, Cassierers, Landreuther, und Schloß- Mousquetiers, bestreittung der Mark- und anderer dem Land zukommenden reyß- kosten, Schreibmaterialien, Decopiations-gebühren, Postgeldern, Reith- und bottenlöhne, auch anderer mit einschlagender außgaben, sind seither ad. 1720 jährlich 75 Römermonathe à 37 fl im Land außgeschlagen und erhoben worden. Und da diejenige Rechnungs-bediente so dergleichen onera publica von dem Land erheben, auch annoch ein- und andere vertheiler davon zu ziehen haben, so können dergl. Leuthe (deren salaria in der Tabelle bereits decourtirt worden) sondern großen kosten unterhalten werden.417 Der Großteil der Gelder wurde durch den Landkassierer von den Bürgermeistern eingezogen und nach Wien bzw. an den kreisausschreibenden Fürsten oder nach Frankfurt zur Kasse des Wetterauer Grafenvereins weitergeleitet. Es handelte sich rein buchhalterisch betrachtet also lediglich um durchlaufende Posten, die nahezu vollständig zweckgebunden waren – und zwar für Zwecke, die – mit Ausnahme der kleinen Summen für Verwaltung und „innere Sicherheit“ – der Verfügung der Reichsgrafen entzogen waren. Deshalb bereitet es Schwierigkeiten, diese Steuern 416 Vgl. Rechnung der Rödelheimer Landkasse 1714/15, HStAD F 24 B 401. 417 Summarische Designation an denen Kellerey-bestallungen, bau- und schäfferey kosten, zehend- samler und trescherlohn, Saamenfrüchten, frohn- und trescherbrod, wie auch anderen in denen Rödelheimer, Aßenheimer, Petterweiler und Einartshäußer Rechnungen von ad 1719 biß 1727 befindlicher ohnumbgänglicher, so ständig alß unständiger Geld- und Fruchtabgaben, welche von dem Ertrag der Herrschaft Rödelheim wieder abgezogen (Beilage zu Akten im Primogeniturstreit 1728/29, erstellt von Rat Hipp), HStAD F 24 A Nr. 816/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 106 insgesamt als Einnahmen der Landesherrschaft zu betrachten. In der überwiegenden Mehrzahl waren es Einnahmen, die der Finanzierung des Reichs mit seinen Institutionen und Aufgaben dienten. In diesem Zusammenhang liegt der Schluss nahe, dass die in der Literatur so regelmäßig postulierte Zunahme der Bedeutung der Steuern für den Aufbau des frühmodernen Staates im Alten Reich generell bei weitem nicht so groß gewesen sein dürfte. Denn auch wenn die Steuereinnahmen insgesamt anstiegen, handelte es sich doch um zweck-, d.h. i.d.R. an Verteidigungsaufgaben gebundene Summen, die von den Landständen oder Landschaften für militärische Bedürfnisse genehmigt wurden; die Versorgung von Hof und Landesverwaltung – der eigentliche „Staatsapparat“ – hingegen dürfte nach wie vor sehr viel stärker aus den Domanialeinkünften der Landesherren bestritten worden sein als bislang angenommen – in Solms-Rödelheim wie andernorts.418 Die Theorie von der Entstehung des Steuerstaats bedarf demnach u.U. einer gründlichen Revision. Auch wenn die Reichsgrafen an den beträchtlichen Einnahmen der Landkasse nicht direkt partizipierten, war deren Bedeutung für ihre Herrschaft enorm. Denn das Besteuerungsrecht war eines der wesentlichsten Merkmale für die tatsächliche Ausübung der Landesherrschaft.419 Die Sicherstellung der Steuerhoheit samt Einrichtung der zugehörigen Administration stellte einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Durchsetzung der Landeshoheit gegenüber rivalisierenden Kräften und den Untertanen dar.420 Diese Ansätze zur Ausbildung von Staatlichkeit beziehen sich jedoch auch in diesem Zusammenhang nicht auf einen geschlossenen Raum im Sinne eines „Landes“ samt allen seinen Bewohnern, sondern sind angesichts der kleinräumigen Struktur der Herrschaft punktuell zu verstehen, als Ergebnis sehr verschieden verteilter Rechte an Land und Leuten. Einen Eindruck davon kann der 418 Vgl. zum Beispiel der Landgrafschaft Hessen jüngst den Vortrag von Jochen Ebert auf der Tagung „Hofwirtschaft. Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit“ der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 23. bis 26.09.2006 auf Schloss Gottorf, vgl. auch den Abstract JOCHEN EBERT, Die Versorgung des Hofs aus den Domänen - am Beispiel der Landgrafschaft Hessen in der Frühen Neuzeit, [http://resikom.adw- goettingen.gwdg.de/gottorf/abstracts/Abstract_Ebert.pdf] (24.10. 2006), vgl. auch RESIDENZEN- KOMMISSION ARBEITSSTELLE KIEL (Hg.), Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (16) 2006 Nr. 2, S. 16. 419 Vgl. THOMAS HEILER (Hg.), Das Türkensteuerregister der Fürstabtei Fulda von 1605, Fulda 2004 S. 17. 420 „The power to tax is the most familiar manifestation of the government´s ability to coerce”, RICHARD BONNEY, Introduction, in: Richard Bonney (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200-1815, New York 1999, S. 1-18, hier S. 5. Vgl. dazu für Hessen KERSTEN KRÜGER, Finanzstaat Hessen 1500-1567,Marburg a.d.L. 1981. Einen Überblick über euopäische (Parallel-)Entwicklungen gibt REINHARD, Staatsgewalt S. 309-312. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 107 Fall der Besteuerung der freiadeligen ritterschaftlichen Güter in Ossenheim und Bauernheim Ende des 17. Jahrhunderts vermitteln. Diese waren grundsätzlich der in Friedberg ansässigen mittelrheinischen Reichsritterschaft inkorporiert und hatten dementsprechend dorthin ihre Steuern zu zahlen, was jedoch viele Jahre hindurch nicht geschehen war, wie die Friedberger beklagten. Deshalb ersuchte man in Rödelheim um einen Arrest auf Geld und Früchte der dort wirtschaftenden Pächter, die wiederum Rödelheimer Untertanen waren.421 Anders ausgedrückt: in den Rödelheimer Orten lagen Rittergüter, über die die Reichsgrafen weder die Landes- noch die Lehnsherrschaft hatten, sondern die einem völlig anderen Rechtsverband mit ansatzweise staatlichen Funktionen zugehörten. Bewirtschaftet wurden sie aber von Hofleuten, die Solms-Rödelheimer Untertanen waren und damit diesen Steuern und Gehorsam schuldeten. Von Steuerhoheit kann also noch nicht einmal für Rödelheimer „privative“ Ortschaften wie Bauernheim gesprochen werden, um so weniger für geteilte Orte wie Niederursel oder Assenheim. Das Besteuerungsrecht hatte also bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine territoriale Komponente, sondern hing von der Art der rechtlichen Beziehung zwischen Personen ab. Trotz dieser Einschränkungen aber darf die Bedeutung des Rechts, Reichsabgaben einzuziehen, nicht unterschätzt werden. Die Grafen sahen Steuern und Abgaben für Kaiser und Reich als eine ihrer vornehmsten Aufgaben und wichtigsten Legitimationen an.422 Gleichzeitig boten sie ihnen die Möglichkeit, sich den Untertanen gegenüber als fürsorgliche Landesväter zu präsentieren, indem sie sich wiederholt beim Kreis für eine Senkung der Matrikularanschläge der Rödelheimer Dörfer einsetzten.423 Die Steuerlast für die Menschen sank in diesem Fall, ohne dass die eigenen Kassen darunter zu leiden gehabt hätten. Gleichzeitig war aber die Versuchung, die zur Landkasse zu entrichtenden Steuern trotz ihrer theoretisch engen Zweckgebundenheit an Kaiser und Reich oder im weiteren Sinne „hoheitliche Aufgaben“ auch anderweitig zu nutzen, für die Landesherrschaft groß, wie das Beispiel der Römermonate zeigt. Nachdem sie von 421 Vgl. Schreiben der Mittelrheinischen Reichsritterschaft an den Grafen von Solms-Rödelheim vom 6.7.1692, HStAD F 24 C 298/1. 422 Vgl. zur Bedeutung des Dienstes an Kaiser und Reich für das Selbstverständnis auch Kapitel 4.2.3. 423 Vgl. Species Facti betreffs des Gesuchs Wilhelm Karl Ludwigs an den oberrheinischen Reichskreis und den Reichstag um Verminderung der Kreis- und Reichsabgaben 1735-1740; vgl. auch die Aufstellung der Matrikularanschläge für das Samthaus Solms, dem zufolge von den 264 fl insgesamt 37 fl durch Rödelheim zu erbringen waren, JOHANN JACOB MOSER, Von denen Teutschen Reichs- Tags-Geschäfften, nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen [...] (Neues Teutsches Staatsrecht 4), Frankfurt a.M. 1768. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 108 den Reichsständen im Reichstag bewilligt worden waren, wurde den Gemeinden durch die Landesobrigkeit die Höhe des auf sie entfallenden Anteils und der Zahlungstermin mitgeteilt. Es ist kein Fall überliefert, in dem dies auf Widerspruch gestoßen wäre, auch wenn die Abgaben im Kriegs- oder Krisenfall stark erhöht und dadurch zu einer schweren Belastung für die Steuerpflichtigen wurden. So beschwerte sich die Gemeinde Petterweil 1745 zwar, dass sie jährl. so viele contributions-Gelder, neml. monath. 106 fl zahlen müßen, derg. Summe kein eintziger, uns gleich seyender ja noch weit übertreffender Orth, in der Nähe und weiter, entrichtet,424 forderte jedoch deshalb keineswegs eine Minderung ihrer bestehenden Steuerlast, sondern lediglich mehr Rücksichtnahme bei zukünftigen Veranschlagungen. Darüber, dass für Sicherheit und Verwaltung des Reichs – etwa im Fall der Kammerzieler als Abgabe für das Reichskammergericht – von jedem Einzelnen ein Beitrag zu leisten sei, schien bei den Untertanen Konsens zu herrschen. Das mag nicht zuletzt mit den zahlreichen Durchmärschen durch die Wetterau und den dadurch enstandenen Schäden zusammenhängen, die die Bewohner für die Belange der Verteidigung und Entschädigung sensibilisierten. Diese grundsätzliche Bereitwilligkeit konnte die Landesherrschaft dazu verleiten, eine Erhöhung im Bedarfsfall zwar unmittelbar anzuordnen, die anschließende Senkung auf die normale Beitragshöhe jedoch zu verschleppen, wie ein Beispiel vom Anfang des 18. Jahrhunderts zeigt. In einer Phase der äußeren Bedrohung im Vorfeld des Türkenkriegs waren vom Reichstag nicht nur 1712 eine Million Gulden und 1713 noch einmal vier Millionen Reichstaler außerordentliche Beiträge zur Operations-Cassa des Reichs bewilligt, sondern auch die Zahl der durch die Reichsstände zu stellenden Truppen erhöht worden.425 Zur Finanzierung der zusätzlichen Soldaten erhöhten die Reichsgrafen deshalb 1713 die Monatsgelder der Gemeinden um ein Drittel, und zwar mit der gnädigsten Zusage, daß wann der Allarm sich legen, wie auch (Gott sey Dank darfür gesagt) geschehen, der auffsatz im herbst wiederumb abgethan werden solte.426 Die zugesagte Minderung im gleichen Jahr erfolgte jedoch nicht, vielmehr wurde die hohe Steuerlast in den folgenden Jahren beibehalten. Deshalb waren die Gemeinden der zu diesem Zeitpunkt selbstständigen Teilgrafschaft Assenheim gezwungen, sich drei Jahre 424 Vgl. Schreiben der Gemeinde Petterweil an Graf Wilhelm Karl Ludwig vom 16.1.1745, HStAD F 24 A 960. 425 Vgl. Erlasse der Regierung Rödelheim vom 2.5. und 2.8.1713, HStAD F 24 A 219/9. 426 Schreiben von von vier Assenheim Gemeinden an Graf Ludwig Heinrich (o.D., wahrscheinlich 1716), HStAD F 24 C 298/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 109 später mit einer Supplik an den Regenten zu wenden, auf ihre unzumutbare Belastung hinzuweisen und um eine Senkung der Steuern zu ersuchen.427 Tatsächlich korrespondierten die nach wie vor eingezogenen hohen Summen nicht mit den tatsächlich aus der Landkasse bezahlten Beträgen für Römermonate und das Kreiskontingent, die im folgenden Diagramm für die Rechnungsjahre von 1714/15 bis 1718/19 dargestellt sind (Abbildung 7). Abbildung 7. Ausgaben der Assenheimer Landkasse für Römermonate und die Kreistruppen 1714-1719.428 Die Gesamtausgaben fielen nach einer deutlichen Spitze von beinahe 2500 fl im Jahr 1714 bereits im darauf folgenden Rechnungsjahr um etwa zwei Drittel auf deutlich unter 1000 fl, um sich in der darauf folgenden Jahren bei Werten um 1000 fl einzupendeln. Die Stärke des Solms-Rödelheimer und Solms-Assenheimer Teils der Kompanie beim oberrheinischen Kreis sank im entsprechenden Zeitraum (Frühjahr 1714 bis Mai 1715) von 42 auf 18 Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade,429 was sich in der Gesamtbilanz in einem niedrigeren Aufwand für Besoldung, Verpflegung und Montur und Gewehre niederschlug. Die Forderungen der Gemeinden nach geringeren Abgaben scheinen angesichts der deutlich gesunkenen 427 Vgl. ebd. 428 Diagramm erstellt nach den Werten aus der zugehörigen Rödelheimer Landkassenrechnung, HStAD F 24 B 401/1, und der Assenheimer Landkassenrechnung, HStAD F 24 B 403 1-4. Bei der Übernahme der Werte aus der Rödelheimer Rechnung von 1714/15 wurde bereits berücksichtigt, dass – da es sich noch um eine gemeinsame Rödelheimer und Assenheimer Rechnung handelt – Assenheim hier nur zu 50% beteiligt war. 429 Vgl. Belege zur Rödelheimer Kriegsrechnung 1714 und 1715, HStAD F 24 B 402 3-4. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 110 Kosten berechtigt: Die Landesherrschaft verschleppte die Senkung der Landkassenbeiträge jahrelang. Dies ist v.a. vor dem Hintergrund der Nähe reichsgräflicher Untertanen zum Reich und ihre daraus resultierende vergleichsweise große Opferbereitschaft zu verstehen. Sie wurde durch die Grafen genutzt, um die Schwierigkeiten, die mit der Erhöhung eigener Steuern verbunden sein konnten, zu umgehen und die Einnahmen zu steigern.430 Denn die Überschüsse, die die Landkasse nach Abzug aller Ausgaben für Reich, Kreis, Grafenverein, Haus und für die Verwaltung der Landkasse selbst – Besoldung des Landkassierers, des Schreibers, Reit- und Botenlöhne, Schreibmaterial, Porto u.ä. – am Ende eines Rechnungsjahrs erbrachte, blieben zwar prinzipiell als Rezess erhalten, wurden also als Guthaben an die erste Stelle der folgenden Rechnung eingetragen. Man fand jedoch im Lauf der Jahre immer wieder Mittel und Wege, sie zur Deckung anderer Ausgaben zu verwenden oder direkt in die gräfliche Schatulle umzuleiten.431 Gelang es also, die Einnahmen der Landkasse zu erhöhen oder ihre Ausgaben zu reduzieren, konnten die Landesherren von den Überschüssen profitieren und auf diese Weise ihre eigenen Einkünfte relativ einfach und ohne langwierige Auseinandersetzungen mit den Untertanen steigern. 3.2.3 Kellereieinnahmen und -ausgaben Als weitaus wichtigstes Element der Solms-Rödelheimer Wirtschaftsverwaltung wickelten die Kellereien nahezu den gesamten Zahlungsverkehr ab, der sich aus der Landes-, Grund- und Leibherrschaft der Reichsgrafen ergab. Landesherrliche Einnahmen waren u.a. die Bede, der Zehnte Pfennig, Ein- und Abzugsgelder, die Abgaben von Juden sowie verschiedene Verbrauchssteuern. Die grundherrlichen Einkünfte bestanden v.a. aus Dienstgeldern und verliehenen und zinspflichtigen Besitzungen. In der Gesamtsumme weniger bedeutend waren die Abgaben der Leibeigenen, die in erster Linie aus geringen jährlichen Lieferungen wie z.B. dem 430 Vgl. dazu schon PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms, hier S. 77-78 und S. 96-97. Dieses System wurde durch Graf Wilhelm Karl Ludwig ab ca. 1735 so konsequent und folgenreich angewandt, dass ihm weiter unten eine gesonderte Untersuchung zuteil werden soll. 431 Vgl. dazu das Kapitel über die Kapitalisierung der Herrschaft durch Graf Wilhelm Karl Ludwig, weiterhin die Rechnungen der Rödelheimer Generalkasse ab 1778, HStAD F 24 B 408. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 111 Hühnergeld oder einmaligen Zahlungen zum Loskauf aus der Leibeigenschaft bestanden.432 Die Gesamteinnahmen der Kellereien stiegen im 17. und 18. Jahrhundert sehr stark an, wie das folgende Diagramm mit der Entwicklung aller Solms-Rödelheimer Kellereieinnahmen von 1650 bis 1800 zeigt (Abbildung 8). Abbildung 8. Gesamtentwicklung der Rödelheimer Kellereieinnahmen 1650-1800.433 Die Einnahmen der Kellereien konnten in den 150 Jahren zwischen 1650 und 1800 also mehr als verzehnfacht werden. Allerdings muss die Entwicklung der Kaufkraft mit berücksichtigt werden, um keine falschen Schlüsse aus dem exponentiellen Wachstum zu ziehen. Zwar ist es nahezu unmöglich, den Münzwert über einen solch langen Zeitraum exakt zu beziffern,434 für den für Rödelheim maßgeblichen Frankfurter Markt liegt aber zumindest für die Zeit zwischen 1500 und dem Anfang des 18. Jahrhunderts eine zuverlässige Untersuchung des Preisindex vor, der – abhängig von der Münzsorte – einen z.T. erheblichen Anstieg der 432 Vgl. zu den einzelnen Posten auch Abbildung 10 weiter unten. 433 Es handelt sich hierbei um in den Kellereirechnungen verbuchte Geldeinnahmen ohne Rezesse. Die als Gesamteinnahmen verbuchten Summen waren v.a. am Ende des 18. Jahrhunderts durch die Berücksichtigung der Überschüsse aus dem Vorjahr sehr viel höher, vgl. auch unten Abb. ? S. ? 434 Vgl. RAINER METZ, Geldwert (Kaufkraft des Geldes), in: Michael North (Hg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 133-135, mit einer kurzen Einführung in die Problematik und Methoden der Kaufkraftmessung: „Bereitet schon die Darstellung vergleichbarer Preisindizes für das 20. Jh. große Schwierigkeiten, so gilt dies umso mehr für die vorstatistische Zeit“ (S. 134 f.). Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 112 Getreidepreise ab 1650 zeigt.435 Es ist also anzunehmen, dass der Anstieg der Einnahmen teilweise durch Kaufkraftverluste wieder ausgeglichen wurde. Dieser Effekt lässt sich nicht genau berechnen, da zu viele Faktoren eine Rolle spielten,436 wird aber auch durch die gelegentlich in den Kellereirechnungen wiedergegebenen Preise für durch Solms-Rödelheim verkauftes Getreide bestätigt (Abbildung 9):437 Abbildung 9. Entwicklung der Preise für durch Solms-Rödelheim verkauftes Getreide von 1650- 1800. Der Preistrend, insbesondere im Fall der wichtigen Sorten Korn und Weizen, zeigt auffallende Parallelen mit der Entwicklung der Einnahmen, wobei zwei konträre Umstände zu berücksichtigen sind: zum einen führte ein Ansteigen der Preise zwar zu einer Abwertung der Einnahmen, indem Kaufkraft verloren ging, gleichzeitig jedoch auch zu einer Steigerung der Einkünfte, weil einer der wichtigsten Posten hier der Fruchtverkauf war. Allerdings hat der zweite Effekt sicher nie ausgereicht, um den ersten zu kompensieren, denn der Getreideverkauf machte nie über 20% der Gesamtbilanz aus (s.u.). 435 Vgl. BERND SPRENGER, Preisindizes unter Berücksichtigung verschiedener Münzsorten als Bezugsgrößen für das 16. und 17. Jahrhundert - dargestellt anhand von Getreidepreisen in Frankfurt / Main, in: Scripta Mercaturae 1 (1977), S. 57-72, v.a. S. 65. 436 In erster Linie waren dies Sorte und Qualität der verwendeten Münzen: die Inflation fiel bei Pfennigstücken sehr viel höher aus als bei Goldmünzen, vgl. ebd. S. 67. Aber auch Lohnentwicklung, Ernteertrag u.v.m. waren wichtige Einflussgrößen; darüber hinaus ist fraglich, ob die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse ein adäquater Maßstab für alle anderen Kosten sind. 437 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 131-133. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 113 In der Summe stiegen also die Einnahmen aus den Kellereien auch unter Berücksichtigung von Kaufkraftverlusten insgesamt zwischen 1650 und 1800 an. Allerdings gilt das nicht für alle Einzelposten gleichermaßen, wie die folgende Darstellung der Entwicklung in absoluten Zahlen zeigt (Abbildung 10): Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 114 Abbildung 10. Entwicklung der Kellereieinnahmen der Kellereien Rödelheim, Assenheim und Petterweil 1650-1800. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 115 Besonders stark nahmen die Einnahmen aus ständigen und unständigen Zinsen, Fruchtverkäufen und Diensten zu, während etwa diejenigen aus der Bede, dem Braugeld oder den Abgaben der Leibeigenen kaum gesteigert werden konnten. Die „Ständigen“ und die „Unständigen“ Zinsen verteilten sich auf eine Vielzahl einzelner Posten wie Wiesen-, Haus-, Weingarten-, Fischwasser- oder Hofreitenzinsen und ergaben sich aus der Tatsache, dass die Rödelheimer Reichsgrafen innerhalb, aber auch außerhalb des Gebiets ihrer Landesherrschaft Grundherren waren, die den Grund bewirtschaftenden Bauern deshalb zinspflichtig waren.438 Weil die Grafen ihren Grundbesitz systematisch ausbauten (vgl. Kapitel 4.1, S. 160), stiegen die Einnahmen daraus entsprechend an. Ebenfalls prinzipiell aus der Grundherrschaft – auch wenn Landesfrohnden nicht unbekannt waren – resultierten die Dienstgelder, durch die ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Dienste vieler Untertanen abgelöst wurden,439 wobei die Ablösung auch mit Schwierigkeiten verbunden sein konnte und von den Untertanen teilweise ausdrücklich nicht erwünscht war. Die verkauften Früchte stammten ebenfalls zum Teil aus den Naturalabgaben der Untertanen. Zum anderen Teil waren sie Produkte der gräflichen Eigenwirtschaft, denn die Reichsgrafen besaßen mehrere Domänen – herrschaftliche Höfe genannt – u.a. in Assenheim, Petterweil, Praunheim (Augustusburg), Niederursel und Rödelheim.440 Von diesen fünf Höfen war unter Graf Ludwig Heinrich vor 1727 keiner auf einem Temporal weniger Erbbestand vergeben gewesen, sondern solche samtlich entweder durch eigenes herrschafftliche Vieh oder frohnden sind gebauet worden.441 Sein Nachfolger Wilhelm Karl Ludwig ging immer mehr dazu über, auch die größeren, innerhalb der Grafschaft gelegenen Höfe für eine Zeit von 3, 6, 9 oder auch 12 Jahren zu verpachten, was den Vorteil mit sich brachte, dass der Aufwand für die selbstständige Bewirtschaftung sank und man regelmäßige Einnahmen erzielte.442 Dementsprechend stiegen die Einkünfte aus 438 Vgl. dazu PAUL MÜNCH, Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Frankfurt a. M. / Berlin 21996, S. 88. 439 Vgl. zu den Dienstgeldern und der Ablösung der Naturalfrohnden, die von 1460 an unregelmäßig, unter Graf Ludwig Heinrich ab 1716 dann planmäßig betrieben wurde, ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte S. 62. 440 Vgl. Übersicht über die gräflichen Domänen als Beilage einer Akte zum Allodialerbenprozess 1778, HStAD F 24 A Nr. 34/1. 441 Ebd. 442 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1 S. 43-44, weiterhin zu den Gepflogenheiten der Verpachtung landesherrlichen Domaniums im 18. Jahrhunderts zuletzt JOCHEN EBERT, Soziale Räume. Das Kabinettgut Frankenhausen im lokalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialgefüge Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 116 Verpachtungen, in den Kellereirechnungen üblicherweise unter „Temporalbestandszinsen“ verbucht, im Laufe des 18. Jahrhunderts kontinuierlich an.443 Anders als die aus Grundherrschaft und Domänenwirtschaft resultierenden Summen stellen die Einnahmen aus dem Zehnten Pfennig und die meisten der unter „Sonstige“ zusammengefassten Posten sowie die Weg- und Judengelder, Brau- und Schankkonzessionen, Rügen und Strafen, die Bede und alle Verbrauchssteuern wie z.B. die Schlachtakzise Posten dar, die den Reichsgrafen in ihrer Eigenschaft als Landesherren zukamen. Auch sie stiegen an, wenn auch ihre Bedeutung im Vergleich geringer war. Vergleichsweise am geringsten war das Gewicht der Einnahmen aus der Leibherrschaft, die sich im Verlauf der Frühen Neuzeit immer mehr zu einer „Personalsteuer“ gewandelt hatte.444 Die Leibeigenen hatten in der Regel lediglich einmal jährlich ein sog. „Leibhuhn“ und bei Besitzwechsel das Besthaupt zu entrichten, darüber hinaus hatten sie die Möglichkeit, sich gegen Zahlung eines mäßig hohen Geldbetrags aus der Leibeigenschaft loszukaufen.445 Die geringen Einnahmen der Kellereien aus der Leibherrschaft der Grafen lassen das Urteil ZIMMERMANNS gerechtfertigt erscheinen, der Ertrag habe kaum den recht hohen Aufwand der Einziehung und Verwaltung dieser z.T. aus abgelegenen Orten einkommenden Beträge gedeckt.446 Die Ausgaben der Kellereien lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Gelieferte Beträge (an die Grafen transferierte Summen, zusätzlich Deputate und Wittümer) • Bestallungen und Löhne für Amtsträger in Ämtern, der Regierung und den Kellereien inklusive Kleidergeld447 (18. Jahrhundert), in: Jochen Ebert, et al. (Hg.), Landwirtschaftliche Großbetriebe und Landschaft im Wandel. Die hessische Domäne Frankenhausen im regionalen Vergleich, Bielefeld 2006, S. 19-49, v.a. S. 23 f. 443 Vgl. Hofgutsrechnungen im HADIS 444 Vgl. ZIMMERMANN, Vom Personenverband zum Territorialstaat, S. 52. 445 Je nach Vermögen des oder der Betreffenden schwankten die geforderten Beträge im 18. Jahrhundert zwischen 12 und 30 fl, vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 80-81. 446 Vgl. ZIMMERMANN, Vom Personenverband zum Territorialstaat, S. 53. 447 Insbesondere die bei der Kellerei selbst beschäftigten Personen wurden direkt aus der Kellerei besoldet; 1728 gehörten z.B. der Kellerei Rödelheim 6 Amtsträger bzw. Bediente an: der Jäger, der Schäfer, der Rat (und Keller) Schreiner, der Gärtner und zwei Scheurenknechte, vgl. Übersicht über die Besoldungen aus der Kellerei Rödelheim 1728, ASR 469. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 117 • Aus Kreditgeschäften resultierende Ausgaben (verliehene Aktivkapitalien, Zinsen, Rückzahlung von Passivkapitalien) • Lehen- und Prozesskosten • Ausgaben für die Hofhaltung (in bar oder Naturalien) • Baukosten (für herrschaftliche Gebäude, Wege und Straßen) • Kosten für Land- und Forstwirtschaft (u.a. Schäferei, eigene Höfe, Waldnutzung, Herbst- und Erntekosten, Speicherzins etc.) • Dienstgelder für die Fröhner, Ausgaben für Tagelöhner, Fuhr- und Botenlöhne • Sonstiges, kleinere Sparten und „Insgemein“448 Noch weiter zusammengefasst handelt es sich also um Ausgaben für erstens die „allgemeine Landesverwaltung“, zweitens die Grundherrschaft und Eigenwirtschaft und drittens die gräfliche Familie im weiteren Sinne. Dabei sind die Grenzen wie in allen vergleichbaren Fällen fließend und eine eindeutige Zuordnung nicht in jedem Fall möglich. So sind beispielsweise Kredite von den Kellereien teilweise für persönliche Ausgaben der Grafen, in anderen Fällen aber auch zur Deckung von Ausgaben der Kellereien oder allgemeine Baukosten aufgenommen worden. Besonders wichtig ist der hier deutlich werdende Umstand, dass die Kellereien keineswegs ein reines Einnahmeinstrument war, das lediglich die eingezogenen Gelder und Früchte in eine Zentralkasse weiterleitete, aus der dann die Aufwendungen für die Verwaltung getragen wurden. Vielmehr wurde der weit überwiegende Teil der Kosten für die Landes- und Grundherrschaftsadministration direkt von den Kellereien übernommen. Eine Zentralkasse gab es wie geschildert bis ins späte 18. Jahrhundert nicht. Einen Gesamtüberblick über die Einnahmen und Ausgaben der Kellereien im frühen 18. Jahrhundert bietet die vom Assenheimer Rat Hipp im Zusammenhang mit dem Streit um die Primogenitur zwischen den Brüdern Wilhelm Karl Ludwig und Johann Ernst Karl ab 1728 erstellte Übersicht über alle Ausgaben der Rödelheimer Kellereien und der Regierung der Jahre 1719-27, die er den Einnahmen gegenüberstellte. Ziel war es, zur Berechnung der Ansprüche aus dem Erbe Graf Ludwig Heinrichs den Ertrag der Herrschaft Rödelheim, also ihren Wert 448 Angaben nach ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 172-231. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 118 festzustellen.449 Hipp zog zunächst alle direkt aus den Kellereien regelmäßig zu erbringenden Ausgaben von den hier anfallenden Einnahmen ab und kam so zu einem Ertrag von 16.454 fl 27 alb 7 ½ d; dabei muss es sich, ohne dass es ausdrücklich so bezeichnet wurde, um Durchschnittswerte für die dargestellten Jahre gehandelt haben, weil alle nachfolgenden Kalkulationen sich ebenfalls auf Jahreswerte beziehen. Die Kosten für die Regierung gab er mit 832 fl 20 alb p.a. an, und kam so auf einen Gesamtertrag der Herrschaft von etwa 15.600 fl p.a., wobei er die Erträge der Herrschaft Cratz von Scharffenstein und die Weingefälle nicht berücksichtigen konnte.450 3.2.4 Steuern, Regalien- und Domäneneinkünfte und ihre Bedeutung für die Solmser Ökonomie In der Forschung werden die Einkünfte eines frühneuzeitlichen Territoriums häufig nicht wie oben geschehen nach der Kasse geordnet, durch die sie eingenommen wurden, sondern nach ihrer Herkunft und ihrem Charakter dreigeteilt in erstens direkte Steuern, zweitens indirekte Steuern und Zölle und drittens Domänen- und Regalieneinkünfte.451 Wendet man dieses System auf die zu untersuchende Ökonomie Solms-Rödelheims an, ergibt sich folgendes Bild: Man kannte zwei wichtige direkte von allen Untertanen regelmäßig aufzubringende Steuern, nämlich zum einen die Bede und zum andern die „Schatzungsgelder“, die sich zwar wiederum in Kontribution, „Römermonate“ etc. untergliedern ließen, jedoch gewöhnlich zusammen vereinnahmt und verrechnet wurden452 und deshalb hier als Einheit behandelt werden.453 Beide wurden prinzipiell auf den Besitz der Untertanen erhoben, wobei die Größe der bebauten Ländereien als Maßstab für das 449 Summarische Designation an denen Kellerey-bestallungen, bau- und schäfferey kosten, zehend- samler und trescherlohn, Saamenfrüchten, frohn- und trescherbrod, wie auch anderen in denen Rödelheimer, Aßenheimer, Petterweiler und Einartshäußer Rechnungnen von ad 1719 biß 1727 befindlicher ohnumbgänglicher, so ständig alß unständiger Geld- und Fruchtabgaben, welche von dem Ertrag der Herrschaft Rödelheim wieder abgezogen (Beilage zu Akten im Primogeniturstreit 1728/29, erstellt von Rat Hipp), HStAD F 24 A 816/1. 450 Vgl. ebd.; Hipp gibt an, die dafür notwendigen Unterlagen nicht zur Verfügung gehabt zu haben. 451 So PETER C. HARTMANN, Staatsfinanzen (Frühe Neuzeit), in: Michael North (Hg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 373-376, hier S. 374. 452 Vgl. u.a. Rechnung der Rödelheimer Landkasse vom 1.5.1714 bis 30.04.1716, HStAD F 24 B 401. 453 Vgl. auch Artikel "Schatzung", in: Johann Georg Krünitz (Hg.), Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft: in alphabetischer Ordnung (Bd. 140), Berlin 1825, S. 540-541, in dem die Schatzung als Oberbegriff für alle durch die Untertanen zu leistenden Steuern für „öffentliche Belange“ definiert wird. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 119 Vermögen diente.454 Die Gesamthöhe von Bede und Schatzung war für eine ganze Gemeinde festgelegt und wurde daraufhin nach einem durch die Gemeindeversammlung entworfenen Hebregister unter der Gemeind repartiret,455 es handelte sich also um Repartitionssteuern;456 eine Einzelveranlagung oder Steuerschätzung gab es nicht. Die Bede war in regelmäßigen Abständen und in gleichmäßiger Höhe zu entrichten. Das Gleiche galt prinzipiell auch für die Kontributionen, deren Steuerfuß durch den „Römermonat“ festgelegt war.457 Allerdings konnten die regulären Summen im Bedarfsfall durch zusätzliche Römermonate ergänzt werden.458 Große und kleine Zehnte auf die Ernteerträge – die hier wegen ihres steuerähnlichen Charakters trotz des völlig anderen, in den kirchlichen Patronatsrechten der Landesherrn liegenden Ursprungs gemeinsam mit den Steuern behandelt werden – spielten für die Geldrechnungen zunächst nur mittelbar durch die Einnahmen aus dem Verkauf der Früchte eine Rolle. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts gingen die Grafen dazu über, sie in größerem Maßstab gegen Geldbeträge zu verleihen oder zu versteigern, die dann in einer eigenen Rubrik in den Geldrechnungen der Kellereien erfasst werden konnten.459 Darüber hinaus existierte mit dem „Zehnten Pfennig“ eine weitere direkte, jedoch nicht regelmäßige, sondern fallweise zu entrichtende Steuer in Höhe von 10%. War er bei seiner Einführung um die Mitte des 16. Jahrhunderts eine Besitzwechselabgabe bei größeren Verkäufen oder Erbgängen gewesen, wurde er schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf alle Dienstleistungen auswärtiger Handwerker erhoben, bevor er unter den Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich auch auf das Vermögen abziehender Untertanen erweitert wurde: die transferierten Vermögenswerte wurden geschätzt und mit einer Abgabe von 10% belegt.460 Der 454 Die Kontribution bzw. Schatzung wurde auf das Land erhoben, 1734 lag der Steuerfuß z.B. bei 3-5 Pfennig pro Morgen, vgl. Protokoll der Vernehmung einiger Gemeindevertreter Niederursels durch die Räte Seyfried und Schott vom 1.6.1734, HStAD F 24 C 384/6. Die Bede wurde ebenfalls auf die Grundstücker geleget, Protokoll über die Vernehmung des Gerichtsschöffen und Interimsschultheißen Stumpf vom 22.12.1770, HStAD F 24 C 298/2. 455 Ebd. 456 PETER C. HARTMANN, Artikel "Steuern", in: Michael North (Hg.), Von Aktie bis Zoll: ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 381-383, hier S: 382. 457 Vgl. zum System der (Türken-)steuer überblicksartig HEILER (Hg.), Türkensteuerregister, S. 14-15. 458 Vgl. z.B. Erlass der Regierung Rödelheim zur Repartition der ausserordentlichen Römermonate zum Wiederaufbau von Philippsburg und Kehl 1727, HStAD F 24 A 219/9. 459 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2, S. 125-126. 460 Beim Auszug sollte der Amtmann bzw. Amtskeller den Wert festlegen und darauf den „zehnten Pfennig“ erheben, vgl. Abzugsgesuch eines Untertanen aus Burggräfenrode mit beiliegender herrschaftlicher Resolution von 1757, HStAD F 24 C 100/2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 120 zehnte Pfennig war das bei weitem erfolgreichste fiskalische Instrument, das die Reichsgrafschaft kannte.461 Durch seine Erhebung auch auf Dienstleistungen – und damit auf den „Verbrauch“ – berührt der Zehnte Pfennig bereits die Grenze zu den indirekten Steuern und Zöllen, die in der Reichsgrafschaft ebenfalls erhoben wurden. Vollständig in diese Kategorie gehören die Malzakzise, die in den Rechnungen zusammen mit den Brau- und Branntweingeldern erfasst und auf die Menge der vermälzten Gerste und damit indirekt des produzierten Biers erhoben wurde,462 sowie die Schlachtakzise auf sämtliches im Lande geschlachtetes Vieh vom Ochsen bis zum Lamm.463 Gerade diese Letzte weist aber auf ein strukturelles Problem indirekter Steuern: es war in einer kleinen, aber unübersichtlichen versehenen Grafschaft wie Solms-Rödelheim zwar recht einfach, solche zu erlassen – aber schwer, sie einzuziehen bzw. die korrekte Abführung zu überwachen. Denn wenn die Untertanen nicht ganz einfach eine Schlachtung verschwiegen, um die Akzise zu sparen,464 führten sie das noch lebende Vieh häufig in einen nicht zur Grafschaft gehörenden Nachbarort und schlachteten und verkauften es dort.465 Wäre die Umstellung auf Steuerfinanzierung die Perspektive der Grafen gewesen wäre, hätte dies wesentlich mehr erfordert als die Einführung neuer Abgaben, nämlich eine leistungsfähige Steuerverwaltung, die selbst in größeren Territorien im 16. Jahrhundert nur im Zusammenspiel mit den Ständen und später nur unter enormem administrativen Aufwand aufzubauen war.466 In Rödelheim war das gar nicht zu leisten bzw. ist es nicht versucht worden. Die Zölle unterscheiden sich – ähnlich den Zehnten – zwar grundsätzlich von den indirekten Steuern, sind jedoch funktional nur schwer davon zu trennen, da sie ebenfalls auf Getränke, Lebensmittel und Luxusgüter erhoben wurden.467 In den 461 Vgl. oben Abb. 10. 462 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2, S. 106. 463 Vgl. Akten zur Erhebung der Fleischakzise im 18. Jh., HStAD F 24 C 583/4, hier insbesondere die renovierte Ordnung für Fleischschätzer vom 25.3.1802. 464 Vgl. Bericht der Regierung Rödelheim an den Regenten vom 15.3.1753, HStAD F 24 C 583/4. 465 Vgl. Erlass der Regierung Rödelheim an Amtskeller Schäfer bezüglich des Verbots, Vieh ausser Landes zu bringen, vom 5.8.1750, HStAD F 24 C 583/4. 466 Vgl. KERSTEN KRÜGER, Gerhard Oestreich und der Finanzstaat. Entstehung und Deutung eines Epochenbegriffs der frühneuzeitlichen Verfassungs- und Sozialgeschichte, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 33 (1983), S. 333-346, hier S. 335-337. 467 Vgl. HARTMANN, Artikel "Steuern", hier S. 382-383, weiterhin zum Vergleich die Übersicht über die Einnahmen des Amts Hohensolms 1713, wo z.B. ein „Woll-Zoll“ üblich war, Akten der kaiserlichen Kommission unter Leitung des Fürsten von Nassau-Idstein zur Schuldentilgung des Hauses Solms-Hohensolms 1720, HStAD F 24 A 380/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 121 Rödelheimer Kellereirechnungen sind sie im Posten „Weggeld und Judenzoll“ zusammengefasst und wurden im Wesentlichen in Rödelheim selbst an der Straße nach Frankfurt erhoben.468 Ihre Bedeutung war vergleichsweise gering.469 Größeren Umfang hatten Zölle in den Rechnungen der Gaildorfer Kammerkasse, die ja im 18. Jahrhundert ebenfalls Teil der Solms-Rödelheimer Ökonomie wurde. Aufgrund der Lage an der Straße nach Hall und am Kocher mit seinem Schiffsverkehr kamen hier wesentlich höhere Beträge ein.470 Alle anderen Einkünfte sind gemäß der zugrunde liegenden Klassifikation den Regalien oder Domänen zuzuordnen, seien es die Einnahmen aus der eigenen Bewirtschaftung bzw. Verpachtung der Güter, die Zinsen und Dienstgelder aus der Grundherrschaft, die Beträge, die die Reichsgrafen aufgrund ihrer Stellung als Landesherrn, v.a. durch kaiserliche Belehnung erheben konnten wie Judenschutz-, oder Zunftgelder, sowie Einnahmen aus der Gerichtsherrschaft (z.B. Rügegelder). Fasst man die drei Kategorien in einer Grafik zusammen, lässt sich daraus die Bedeutung und deren Verschiebung für die Ökonomie der Grafschaft ablesen (Abbildung 11): Abbildung 11. Anteil der Einnahmearten an den Gesamteinnahmen 1650-1800. 468 Vgl. Übersicht über die Einkünfte der Kellerei Rödelheim (Ende 17. Jh.), ASR 501. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Strassen im frühneuzeitlichen Hessen zeigt, dass Rödelheim an der sog. „Hohen Strasse“ lag, die von Frankfurt Richtung Nordwesten mit Endpunkt Antwerpen führte und ganz besonders zu den Frankfurter Messen sehr verkehrsreich war, vgl. KURT FINKE, Hessen. Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt a.M. 1970, S. 57-60. 469 In anderen Territorien konnten Zölle bis über 50% der Kammereinnahmen ausmachen wie z.B. in der Pfalz Ende des 17. Jahrhunderts, vgl. SELLIN, Finanzpolitik, S. 133-157. 470 Vgl. Rechnung der Gaildorfer Kammerkasse 1760, HStAD F 24 B 572/3. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 122 Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass die Einkünfte aus den Domänen und Regalien471 über den gesamten Untersuchungszeitraum recht gleichmäßig zwischen 75% und 85% und damit den weit überwiegenden Teil der Kellereieinnahmen ausmachten. Während die Bedeutung der direkten Steuern von 1650 bis 1750 leicht zurückging, nahm sie bis 1800 deutlich zu; die indirekten Steuern hingegen verloren über den Untersuchungszeitraum insgesamt deutlich an Gewicht, wobei ihr absoluter Ertrag unter Berücksichtigung des Anstiegs aller Einnahmen trotzdem am Ende höher war. Das Verhältnis von direkten zu indirekten Steuern entspricht damit insgesamt dem anderer frühneuzeitlicher europäischer Territorien,472 wobei dort in der Regel die relative Bedeutung indirekter Steuern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eher zu- als abnahm.473 Die Relation zwischen Steuern und den Einnahmen aus Regalien und Domänen hingegen stellt innerhalb des breiten Spektrums im Alten Reich ein Extrem dar, da im 18. Jahrhundert der Anteil der Steuern an den Einnahmen der Territorien meist bereits 50% oder mehr betrug.474 Diese allgemeine Tendenz fand eine Parallele in der Diskussion in den Staats- und Kameralwissenschaften des 18. Jahrhunderts, die immer mehr die Steuern und nicht länger die Domanialeinkünfte des Fürsten als Grundlage aller öffentlichen Finanzen ansahen475 und damit die vollständige Entwicklung des steuerfinanzierten Staats im 19. Jahrhundert vorwegnahm. Im Gegensatz dazu machten in Rödelheim die den Landesherren zukommenden Steuern auch im 18. Jahrhundert noch nicht mehr als 30% aller Einnahmen aus. Die Beträge, die die Landkasse einnahm – die „Schatzungsgelder“ – sind hier nicht eingerechnet; zwar handelte es sich um Steuern, die von den Rödelheimer Untertanen aufzubringen und von den Reichsgrafen als Landesherrn einzuziehen waren, und sie dienten auch 471 Dazu gehören neben den bereits angesprochenen Rubriken u.a. auch das Bürgergeld zu Assenheim, Dispensationen, Konzessionen, Erb- und Bestandzinse, Mühlenpachten, Verliehene Jagden und Vogelfang, Wasenmeisterei, Holzverkäufe, Mastgelder, Verkauftes Federvieh, Mehlwaggelder, Sporteln und die unter „Insgemein“ zusammengefassten kleineren sonstigen Einkünfte. 472 Vgl. z.B. ANNA FILIPCZAK-KOCUR, Poland-Lithuania before Partition, in: Richard Bonney (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200-1815, New York 1999, S. 443-480, die ein nahezu identisches Verhältnis feststellt, weiter zu Kastilien JUAN GELABERT, Castile 1504-1808, in: Richard Bonney (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200-1815, New York 1999, S. 201-241. 473 Vgl. HANS-PETER ULLMANN, Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005, S. 20. Zu den Ursachen dafür in verschiedenen Territorien vgl. auch JÜRGEN RAINER WOLF, "...zu Einführung einer Gott wohlgefälligen Gleichheit auf ewig": Steuerreformen im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, in: Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an: eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, S. 162-173. 474 Vgl. ULLMANN, Steuerstaat, S. 19. 475 Vgl. ANDREAS SCHWENNICKE, "Ohne Steuer kein Staat". Zur Entwicklung und politischen Funktion des Steuerrechts in den Territorien des Heiligen Römischen Reichs (1500-1800) (Ius Commune Sonderheft 90), Frankfurt a. M. 1996, S. 220-222. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 123 der Finanzierung staatlicher Aufgaben wie Verteidigung oder Rechtsprechung – aber diese Aufgaben wurden im Sinne delegiert organisierter Herrschaft (s.u.) von Institutionen außerhalb der Grafschaft wie Reich, Kreis oder Grafenverein wahrgenommen, kamen also nicht den Landesherren zu. Insofern müssen diese Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn es um die Untersuchung der Ökonomie eines Territoriums geht. Lediglich die aus der Landkasse in andere Rechnungen und Kassen überführten Beträge, die oben angesprochen wurden und nachfolgend noch eine Rolle spielen werden, sind davon ausgenommen.476 Eine Rolle bei der anhaltend geringen relativen Bedeutung landesherrlicher Steuereinnahmen mag der Umstand gespielt haben, dass eine Erhöhung oder auch nur Änderung bestehender landesherrlicher Steuern und Abgaben zum Aufbau einer regelrechten „Staatsfinanz“477 für den Bereich der Gemeinden wie im vorhergehenden Kapitel geschildert in vielen Fällen schwierig bis unmöglich war – hier zeigten sich besonders deutlich die Probleme, die mit dem Fehlen von Landständen bzw. einer Landschaft als integrierendem Moment, das das „Land“ vertreten und finanzielle Verbindlichkeiten dafür übernommen hätte, verbunden waren. Zwar zeigten sich die Untertanen in den einzelnen Gemeinden auch in Phasen heftiger Konfrontation stets willig zur Entrichtung der von ihnen herkömmlicherweise zu erbringenden Abgaben,478 wehrten sich aber nachdrücklich gegen jede Erhöhung. Die Bede beispielsweise, im 15. und 16. Jahrhundert eine der Haupteinnahmequellen der gräflichen Kellereien,479 konnte über 300 Jahre lang nicht erhöht werden, sondern blieb von 1470 bis 1800 in der Summe praktisch konstant und trug deshalb um 1800 nur noch 1-3% zu den Gesamteinnahmen bei.480 Auch anderen Umstrukturierungsmaßnahmen der Landesherren mit dem Ziel 476 Alle Untersuchungen, die auf Grundlage des gesamten Steuereinkommens eines Territoriums ohne Unterscheidung der Steuerarten zu dem Ergebnis kommen, es hätte bereits in der Frühen Neuzeit regelrechte „Steuerstaaten“ gegeben, müssen m.E. kritisch daraufhin überprüft werden, ob sie nicht unzulässigerweise die Finanzierung von Verteidigungsaufgaben der Territorien, v.a. aber des Reichs und der Kreise mit der Finanzierung des „Territorialstaats“ gleichsetzen. 477 Dieser Vorgang war in anderen Territorien geradezu die Voraussetzung für die Entstehung des (Stände-)staats gewesen, folgt man der Literatur. Vgl. z.B. zur Landgrafschaft Hessen KRÜGER, Finanzstaat. 478 Vgl. z.B. Bericht des Schultheissen Holler aus Fauerbach an die Regierung vom 27.4.1772, HStAD F 24 A 161/2: die Fauerbacher Gemeindeversammlung erkannte an, dass sie die Bede schuldig seien – aber nur im herkömmlichen Rahmen. 479 1470 machte die Bede 18% der Gesamteinnahmen der Kellerei Assenheim aus, 1500 24% und 1550 22%, vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2, S. 50. Vgl. weiterhin Vernehmung des Gerichtsschöffen (und Interimsschultheißen) Stumpf zu Ossenheim vom 22.12.1770, HStAD F 24 C 298/2. 480 Vgl. ebd. S. 51. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 124 ökonomischer Verbesserungen standen häufig die spezifischen Verhältnisse in der kleinen Reichsgrafschaft, so etwa die Kondominate, entgegen. Beispielsweise war der Versuch, die aufgrund der abgelegenen Lage des Orts selten erbrachten und eingeforderten Naturaldienste der Petterweiler Untertanen per Dekret durch ein regelmäßiges Dienstgeld abzulösen, am heftigen Widerstand der Petterweiler und an der Blockadehaltung der hanauischen Mitherrschaft gescheitert.481 Das bedeutet nicht, dass es keine Einführung neuer oder Erhöhung bzw. Erweiterung bestehender Steuern und Abgaben in der Reichsgrafschaft gegeben hat, das hat bereits die Untersuchung der Kellereieinnahmen ergeben. Allerdings wurden solche Vorhaben bevorzugt dort umgesetzt, wo es zu keiner Konfrontation mit den starken Gemeinden kommen konnte, wo also die Betroffenen über keine so gewichtige Interessenvertretung verfügten. Das war z.B. bei den Einzugsgeldern, beim Zehnten Pfennig von auswärtigen Handwerkern, bei Abzugsgeldern und Nachsteuer und z.T. bei Akzise und Zöllen der Fall, die alle im späten 17. und im 18. Jahrhundert neu eingeführt oder nachhaltig erhöht wurden.482 Besonders aber betraf es die zahlreichen Abgaben der Juden. In der Grafschaft ist eine aktive Ansiedlungspolitik für Juden zu beobachten: weilen nun dardurch die revenuen vermehrt werden konnten,483 wie es Rentmeister Heimburg 1727 an den Regenten schrieb, schien die Aufnahme neuer Schutzjuden, die als Untertanen dauerhaft ansässig wurden, besonders ratsam. Deshalb zahlten Juden z.B. weniger Einzugsgeld als andere Menschen, die sich in Rödelheim niederlassen wollten.484 Der Judenschutz war primär landesherrliches Recht, es gab hier weder Mediatherrschaften oder andere konkurrierende Kräfte noch solch starke Gewohnheitsrechte und Interessenvertretungen wie bei den christlichen Gemeinden. Deshalb wurde das Schutzgeld in Literatur485 und politischer Praxis486 der Frühen Neuzeit als Möglichkeit für kleine Territorialherren gesehen, ihre Einnahmen zu steigern. Im Ergebnis stieg der Anteil der jüdischen Bevölkerung – die wohl insbesondere die 481 Vgl. ebd. S. 66. Zu den Dienstgeldern siehe weiterhin unten. 482 Vgl. ebd. 483 Schreiben des Rentmeisters Heimburg an den regierenden Grafen vom 14.8.1727, HStAD F 24 B 404/3 (Beilage). 484 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd.2, S. 91-92. 485 Vgl. FISCHER, Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Policeyrechte: sowol von Teutschland überhaupt als insbesondere von den Preussischen Staaten, S. 331. 486 „[…] Minuscule territories […] tried to attract jews in order to populate their ministates”, OTTO ULBRICHT, Criminality and Punishment of the Jews in the Early Modern Period, in: Hartmut Lehmann und R. Po-Chia Hsia (Hg.), In and out of the Ghetto: Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany, Washington/Cambrigde 1995, S. 49-70, hier S. 64. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 125 Nähe zu Frankfurt zu schätzen wusste487 – in den Solms-Rödelheimer Dörfern am Ende des 17. und im Verlauf des 18. Jahrhunderts stark an, in Rödelheim selbst von 7 Familien 1650 auf 73 Familien um 1800,488 und auch „the small village of Fauerbach had [...] a high number of jews carrying letters of protection“ 489. Dieser Teil der Untertanen war mit einer Vielzahl von Steuern und Abgaben belastet, u.a. dem Judenschutzgeld i.H.v. 15 fl p.a. pro Erwachsenem, dem Judenein- und Abzugsgeld, dem Schul- und Messgeld, dem Begräbnisgeld, dem Kopulations- und Beschneidungsgeld und dem koscheren Weinzapf.490 Über diese Vermehrungsbestrebungen, die die jüdische Bevölkerung betraf, hinaus scheint es allgemein eine regelrechte Peuplierungspolitik gegeben zu haben, für die aber nur gelegentliche Hinweise vorliegen. So berichtete 1715 der Niederwöllstädter Schultheiß Gerlach, dass ein neuer Untertan im Ort ansässig geworden sei, der jedoch keinen guten Leumund habe; Gerlach vermutet, dass dieser – wie so viele andere – lediglich das Freiheitsjahr ausnutzen wolle und dann wieder verschwände, weshalb er darum bittet, ihm so schnell als möglich den Untertaneneid abzunehmen.491 Die Freiheit bezieht sich, so ist zu vermuten, auf eine Befreiung neu zugezogener Untertanen von persönlichen Abgaben während des ersten Jahres und würde damit im Zusammenhang einer aktiven Ansiedelungspolitik stehen.492 Zwar konnten auf diesen verschiedenen Wegen die Einnahmen, auch diejenigen aus Steuern, gesteigert werden. Eine gleichmäßige Besteuerung aller Untertanen über den durch das Herkommen vorgegebenen Rahmen hinaus und der Umbau zum Steuerstaat, der in anderen Territorien in vollem Gange war, wurde in Solms- Rödelheim aber noch nicht einmal ansatzweise vollzogen. Das mag auch damit zusammen gehangen haben, dass die Zahl der den Grafen steuerpflichtigen Personen klein war – im Gegensatz zu den im Rahmen der Grundherrschaft Zinspflichtigen, die wesentlich zahlreicher waren. Die Effektivität steuerlicher Maßnahmen war 487 Vgl. Schreiben des Rentmeisters Heimburg an den regierenden Grafen vom 14.8.1727, HStAD F 24 B 404/3 (Beilage): Moses Schnäpper, der sich um Aufnahme bewarb, Stammte z.B. aus Frankfurt. 488 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 89. 489 ULBRICHT, Jews, S. 64. 490 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2 S. 89-94. 491 Vgl. Bericht des Niederwöllstädter Schultheißen Gerlach an die Regierung Assenheim vom 2.1.1715, HStAD F 24 C 277/9. 492 Vgl. auch HANS PHILIPPI, Hessen vom Barock zum Klassizismus. 1648-1806, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 349-387, hier S. 357, mit einer Bemerkung zur Rolle der Grafen von Solms bei der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert; er gibt keinerlei weiterführende Hinweise. Zumindest für Solms- Rödelheim ist nach Quellenlage kaum von einer religiös motivierten Zuwanderung in größerem Stil auszugehen. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 126 deshalb von vorn herein begrenzt. Die Ökonomie der Reichsgrafschaft präsentiert sich vielmehr bis zur Mediatisierung als in erster Linie auf dem Domanium und den Regalien des Landesherrn gestützt. Deshalb waren die dargestellten Erweiterungsbemühungen gerade im Bereich von Grundherrschaft bzw. Eigenwirtschaft ein nahe liegender und letztlich erfolgreicher Weg zu wirtschaftlicher Konsolidierung, gerade angesichts der Tatsache, dass auch den Versuchen zur Belebung des gewerblichen Sektors nie ein nachhaltiger Erfolg beschieden war.493 Jede Erklärung nach traditionellem Muster, die die Leistungsfähigkeit eines Territoriums mit der Größe der Landesherrschaft verknüpft, muss fehlschlagen. WOLFF etwa, der zunächst die Größe einiger Wetterauer Grafschaften in Quadratmeilen angibt, behauptet dann zusammenfassend: „das war zu wenig für all die Attribute selbständiger Staatlichkeit, die sich auch die kleinste Herrschaft zulegte“. Diese Argumentation verkennt, dass der zentrale Bezugspunkt für Grafschaften eben nicht die Staatlichkeit, sondern die (Hochadels-)Herrschaft war. Dementsprechend ist die wirtschaftliche Grundlage auch nicht das „Staats- “Gebiet, sondern der Besitz des Hauses bzw. des Regenten.494 Selbst Reichsgrafen mit flächen- und personenmäßig kleiner Landesherrschaft konnten also durchaus wohlhabend sein, wenn sie über ein großes Domanium verfügten und erfolgreich wirtschafteten. Das zeigt das Beispiel der Rödelheimer Regenten, insbesondere Graf Wilhelm Karl Ludwigs, das nun untersucht wird. 3.3 Öffentliches Eigentum – Privateigentum?! Die „persönliche Ökonomie“ der Grafen 3.3.1 Die Herkunft der persönlichen Einnahmen Die Finanzierung der landesherrlichen Administration und der onera publica erfolgte wie gezeigt aus den Frucht- bzw. Geldbeständen der Kellereien und der Landkasse. Die Kellereien bildeten aber auch für die persönliche Ökonomie der Regenten und der gräflichen Familie die Basis und werden zunächst auf ihren Beitrag dazu untersucht; außerdem spielten aber auch andere Kassen bzw. Einnahmen eine Rolle. Wenn auch die Quellenlage für die persönlichen Einnahmen 493 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1, S. 105. 494 Vgl. WOLFF, Grafen und Herren, S. 343 passim. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 127 und Ausgaben über die durch die Kellereien gelieferten und verbuchten Summen hinaus mehr als dürftig ist, sollen sie dennoch im zweiten Schritt zumindest ansatzweise dargestellt werden, um den Blick zu schärfen für eine gräfliche Ökonomie, die über die unmittelbar zur Grafschaft gehörenden Kellereien und anderen Kassen hinaus reichte. Nahezu alle durch die Kellereien an den Grafen und seine Familie abgeführten Beträge, bei denen es sich stets um Geld handelte, wurden in den Rechnungen unter „Geliefert“ oder „auf gndgsten Befehl“ verbucht. Es handelte sich dabei weder um einen festen jährlichen Betrag noch um einen stets gleichen Teil der Gesamteinnahmen der Kellereien. Vielmehr variierten sowohl die Höhe als auch der Anteil von Jahr zu Jahr, wie die folgenden Grafiken zeigen (Abbildungen 12 und 13): Abbildung 12. Höhe der "Geliefert"-Gelder aus den Kellereien 1650-1805. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 128 Abbildung 13. Anteil der Geliefert-Gelder an den Gesamtausgaben der Kellereien 1650-1805. Der Anteil der „Geliefert“-Gelder an den Gesamtausgaben war bei den kleinen Kellereien Petterweil, Einartshausen und Burggräfenrode sehr viel höher als bei den beiden größeren. Das hing damit zusammen, dass sie viel weniger sonstige Ausgaben hatten; außer den Kosten für Kellerei bzw. das Amt selbst, die hier wie überall direkt verrechnet wurden, handelte es sich i.d.R. höchstens noch um einige Dienstgelder. Alle übrigen Beträge waren frei und konnten nach Rödelheim abgeführt werden, wenn sie nicht im Rezess verblieben. Assenheim und v.a. Rödelheim als Hauptkellerei mit Zentralfunktionen hatten sehr viel mehr Verbindlichkeiten wie z.B. die Finanzierung der kompletten Regierung, großer Teile der Hofhaltung oder der Prozesse. Deshalb lag der Anteil der gelieferten Summen an den Gesamtausgaben hier selten höher als 70%, meist deutlich darunter. Sowohl bei der absoluten Höhe als auch beim Anteil der „Geliefert“-Beträge an den Gesamtausgaben ist bei den meisten Kellereien ein Absinken vor dem Ende der Regentschaft eines Grafen zu beobachten. Nach dem Regierungsantritt des Nachfolgers gehen die Kurven wieder nach oben. Das gilt schon für den Wechsel von Graf Johann August zu Graf Johann Karl Eberhard 1680 und setzt sich über den Wechsel von Graf Johann Ernst Karl, der 1778 seinem Bruder folgte, bis zur Regierungsübernahme seines Sohns Volrat 1790 fort. Ein solcher Umbruch, der üblicherweise mit dem Tod des Vorgängers verbunden war, war mit vielfältigen Aufwendungen verbunden. Zunächst war dem Verstorbenen ein standesgemäßes Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 129 Begräbnis auszurichten und die üblichen durch ihn testamentarisch verfügten Stiftungen und Schenkungen zu bezahlen.495 Dann war die Übernahme der Regierung zu organisieren und zu bezahlen, z.B. die Notare, die die Huldigung der Untertanen einnahmen,496 oder Amtsträger in leitender Funktion, die entlassen und ausbezahlt wurden. Weiterhin musste die Hofhaltung den neuen Bedürfnissen angepasst werden. So wurden meist die Innenausstattung des Schlosses erneuert, alte Bediente ausbezahlt und Neue angeworben. Außerdem führte ein solcher Wechsel in der Regel zu vielfältigen Prozessen vor Reichsgerichten zur Abwehr konkurrierender Ansprüche, die aufwändig und teuer waren.497 Und auch zur Abfindung von Miterben oder zur Apanagierung von Geschwistern entstanden z.T. erhebliche Kosten, die aus den Kellereien bezahlt wurden. Diese Beispiele machen ein grundlegendes Prinzip des Geld- und Gütertransfers aus den Kellereien an die Grafen deutlich: sie erfolgten in erster Linie bedarfsorientiert und orientierten sich erst in zweiter Linie an der wirtschaftlichen Lage der Kellereien; bestand also auf Seiten der Reichsgrafen – vor allem den jeweiligen Regenten, die Zugriff auf die Kellereieinnahmen hatten – ein erhöhter Geldbedarf, so wurde der notwendige Betrag aus den Kellereien angewiesen, selbst wenn dadurch ein Fehlbetrag in der Endabrechnung entstand. Das gilt vor allem für die Zeit bis zum Tod Graf Ludwig Heinrichs 1728, wie die folgende Gegenüberstellung von Kellereieinnahmen, „Geliefert“-Geldern und Rezessen zeigt (Abbildung 14).498 495 Vgl. z.B. Akten zum Übergang der Landesherrschaft nach dem Tod von Johann Ernst Carl 1790 an Volrat Friedrich Carl Ludwig, HStAD F 24 A Nr. 1391. Es ist schwierig, die Gesamtkosten dieser Trauerzeit inkusive Schenkungen und Stiftungen zu beziffern, sie dürften jedoch 5000 fl nicht wesentlich unterschritten haben; es handelte sich dabei keineswegs um einen besonders aufwändig begangenen Trauerfall, so wurde z.B. keine förmliche Landestrauer verfügt, die weitere Kosten u.a. für schwarze Kleidung für alle Bedienten und Amtsträger verursacht hätte, vgl. Schreiben Volrats an alle Kollegien in Rödelheim vom 22.1.1790, HStAD F 24 A Nr. 1391. 496 Siehe dazu ausführlicher u.a. Kapitel 2.2. 497 Vgl. u.a. Prozess Graf Ludwig Heinrich gegen seine Schwägerin Charlotte Sybille nach dem Tod Lothar Wilhelm Ernsts 1722, HStAD F 24 A 53/1, oder den Vergleich zwischen Johann Ernst Karl und den Allodialerben seines Bruders vom 5.3.1784, HStAD F 24 A 39/4, durch den ein sieben Jahre dauernder Prozess vor dem Reichskammergericht beendet wurde. Vgl. weiter WIELAND, Reichskammergericht und Adel, S. 3 mit einem Hinweis auf den hohen Anteil innerfamiliärer Konflikte und Besitzstreitigkeiten am Prozessaufkommen am Reichskammergericht. 498 Datengrundlage ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 130 Abbildung 14. Einnahmen, Geliefert-Gelder und Rezesse der Rödelheimer Kellereien 1650- 1805.499 Prinzipiell waren die Rezesse Überschüsse bzw. Fehlbeträge aus dem vorangegangenen Rechnungsjahr. Überstiegen also die Einnahmen die Ausgaben wesentlich, blieb ein Betrag in der jeweiligen Kasse zurück, der als Einnahmen in die folgende Rechnung übertragen wurde. Selten stand einem rechnerischen Rezess jedoch auch ein realer Geldbetrag in der gleichen Höhe gegenüber, da z.B. auch Einnahmen verbucht wurden, die aus irgendwelchen Gründen nicht tatsächlich einkamen, oder die Gelder transferiert worden waren, ohne sie aus der Rechnung zu nehmen.500 Trotz dieser buchhalterischen Ungenauigkeit zeigt ein hoher Positivrezess aber an, dass die Einnahmen die Ausgaben stark überstiegen. War das in mehreren aufeinander folgenden Jahren der Fall, ohne dass die Gelder transferiert oder anders verbucht wurden, stieg der Rezess entsprechend an; denn zu den Überschüssen des vergangenen Jahres kamen die Überschüsse des aktuellen Jahres hinzu. Dem hohen Anteil der Geliefert-Gelder an den Gesamtausgaben entsprechend richtete sich die Höhe des Rezesses vor allem nach der Höhe der an die Grafen gelieferten Beträge, wie Abb. 9 für die Jahre 1728 ff. zeigt: die Einnahmen stiegen 499 Hier sind die in den Rechnungen verbuchten Gesamteinnahmen inklusive der Vorjahresrezesse dargestellt, die aufgeführten Rezesse stellen also eine Teilmenge der Einnahmen dar, wenn es sich um positive Rezesse handelte. Waren sie negativ, wurden sie als Ausgabe verbucht. 500 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2, S. 229. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 131 sehr stark an, während die Ausgaben an die Grafen zurückgingen und später nur langsam zunahmen. Deshalb wuchsen die Rezesse von 287 fl im Jahr 1725 auf knapp 24.000 fl 1765 an. Weil nach 1770 die Einnahmen stark zurückgingen, die gelieferten Summen jedoch nur unwesentlich geringer wurden, gingen die Positivrezesse stark zurück, das „Guthaben“ wurde also in der Zeit um den Tod des Grafen Wilhelm Karl Ludwig herum aufgebraucht. Ein wesentliches Merkmal der reichsgräflichen Ökonomie ist, dass „Etats“ für die einzelnen Ausgaberubriken im Sinne einer Finanzplanung weitgehend unbekannt waren. Zwar wurden bei Wittümern oder Apanagen im Normalfall sowohl die Höhe der Zuwendungen als auch die Herkunft – die Kellerei oder Kasse, die die Leistung zu erbringen hatte – festgelegt.501 Alle anderen Ausgaben für persönliche Erfordernisse, Anschaffungen oder auch Baumassnahmen wurden jedoch in aller Regel nicht im Rahmen von Budgets, sondern bedarfs- und z.T. liquiditätsorientiert getätigt. So gab es z.B. kein einheitliches Budget für die gräfliche Hofhaltung. Vielmehr wurden einzelne Anschaffungen und Baumaßnahmen sowie die Küchenkasse direkt aus der Rödelheimer Kellerei finanziert,502 andere Aufwendungen über die „Geliefert“-Gelder und die Schatulle verrechnet. Ein Grund für die fehlende Vorausplanung ist sicher gewesen, dass wie gezeigt die Einnahmen bis ins 19. Jahrhundert hinein ganz überwiegend auf der Landwirtschaft basierten und damit stark von Qualität und Quantität der Ernte abhingen. Das erschwerte eine mittel- bis langfristige Finanzplanung erheblich. Darüber hinaus handelte es sich aber auch um eine Frage des Verständnisses von Regenten und Amtsträgern von der Ökonomie der Grafschaft: es handelte sich um eine „personale Ökonomie“, keine überpersonale und staatliche. Deshalb waren die regierenden Grafen nicht geneigt, ihre Handlungsfreiheit durch Budgets und Planungen einzuschränken, sondern verfügten nach Belieben darüber. In den Rechnungen der Administration schlug sich das in den häufig wiederkehrenden Formulierungen „auf gndgsten Befehl gezahlt“ o.ä. nieder, und zwar unabhängig davon, um welche Rechnung es sich handelte:503 Die Entscheidung über die 501 Im Ehevertrag zwischen Ludwig von Solms-Rödelheim und Charlotta Sybilla von Ahlefeldt wurde z.B. ein Wittum von 900 fl Geld jährlich nebst 150 Hühnern, 12 Gänsen, 20 Wagen Heu und 30 Fudern Stroh aus der Kellerei Rödelheim vereinbart; 502 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 2, S. 180-183. 503 Z.B. auf absonderlichen gnädigsten befehl gezahlt, Rechnung der Generalkasse 1790/91, HStAD F 24 B 408/12, auf hohen [...] herrschafftln befehl seind verkaufft worden, Enkircher Kellereirechnung Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 132 Verwendung jeglicher Ressourcen lag allein beim regierenden Reichsgrafen. Diese bestimmende personale Komponente hatte es zu Beginn der Frühen Neuzeit auch in anderen kleineren und mittleren Territorien wie Hessen oder Ysenburg noch gegeben,504 war jedoch durch den Ausbau der Verwaltungen in der Praxis mehr und mehr in den Hintergrund getreten und hatte vielerorts durch die Kameralwissenschaften und ihre praktische Umsetzung in Fürstentümern und Grafschaften endgültig an Bedeutung verloren. Dass die Rödelheimer Praxis auch in kleineren Territorien bei weitem nicht mehr der Standard des Regierungs- und Verwaltungshandelns im 18. Jahrhundert war, zeigt z.B. ein Blick nach Weimar. In dem nicht unbedingt zu den Speerspitzen der Verwaltungsmodernisierung zählenden Herzogtum war spätestens um 1750 nicht nur der Etat des Hofes, sondern auch alle anderen Staatsausgaben genau festgelegt waren.505 Aufstellungen über andere, nicht aus den Kellereien stammende Einkünfte der regierenden Reichsgrafen sind nicht überliefert. Eventuell sind diese Privatrechnungen entweder kurz vor oder nach dem Tod des betreffenden Regenten vernichtet, in jedem Fall aber nicht zusammen mit anderen Rechnungen archiviert worden. Wohl eher zufällig erhalten ist ein Ausgabenmanual des Grafen Johann August von 1656, das aber über seine Einnahmen keinen Aufschluss gibt.506 Von Graf Johann Ernst Karl existiert eine Privatrechnung aus dem Jahr 1761, wobei er zur dieser Zeit noch apanagierter Sekundogenitus war und sich deshalb hieraus die Einnahmen eines Regenten auch nicht ableiten lassen. Wegen dieser schlechten Überlieferungssituation müssen deshalb Hinweise aus anderen Quellen gesammelt und ausgewertet werden. Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert spielten auswärtige Dienste und die dafür bezogenen Besoldungen bzw. anderen Vergünstigungen wie Schenkungen oder Belehnungen bei den Regenten des 18. Jahrhunderts keine Rolle mehr für die Aufbesserung ihrer persönlichen Einnahmen. Die regierenden Grafen Johann Karl Eberhard und später sein Bruder Ludwig hatten militärische Karrieren gemacht, die sie bis zum Rang eines Generalmajors in Württemberg bzw. Preußen geführt und 1741/42, LHAKo 54 S 2129, auff gnd. Befehl zahlt, Rechnung der Landkasse 1715/16, HStAD F 24 B 401/2. 504 Vgl. ROTHMANN, Rechnungswesen, S. 54-55. 505 Vgl. MARCUS VENTZKE, Hofökonomie und Mäzenatentum. Der Hof im Geflecht der weimarischen Staatsfinanzen zur Zeit der Regierungsübernahme Herzog Carl Augusts, in: Harm v. Seggern und Gerhard Fouquet (Hg.),Adel und Zahl, S. 19-52, hier S. 28. 506 Vgl. Privatrechnung Graf Johann Augusts 1656, ASR 501. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 133 ihnen die damit verbundenen Bezüge eingebracht hatten.507 Spätestens seit dem Tod Ludwigs 1716 jedoch zeigten die jeweiligen Regenten keine solchen Ambitionen mehr, sondern beschränkten sich auf ihr Handlungsfeld als Landesherren. Im Gegensatz dazu waren die Zugewinne, die Solms-Rödelheim wie dargestellt v.a. außerhalb der Kerngebiete Ende des 17. und im 18. Jahrhundert hatte machen können, von größter Bedeutung für die persönlichen Einkünfte der regierenden Grafen. Erst in den Rechnungen der Generalkasse nach dem Tod Johann Ernst Karls wurden die Einnahmen aus der Kellerei Enkirch und der Gaildorfer Kammerkasse zusammen mit den Beträgen aus den anderen Rödelheimer Kellereien und Kassen eingenommen und verbucht.508 Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Beträge direkt an die Grafen persönlich geliefert worden.509 Zwar verfügten sowohl die cratzischen Besitzungen auf dem Hunsrück und an der Mosel als auch die Solms-Rödelheim zugefallenen Landesteile Limpurgs über recht umfangreiche Administrationen, die aus den Einkünften zunächst bezahlt werden mussten,510 jedoch konnten trotzdem meist größere Summen nach Rödelheim transferiert werden. Diese Einnahmen, zusammen mit den „Geliefert“-Geldern der Kellereien, wurden durch die Grafen zur Bestreitung ihrer persönlichen Ausgaben benutzt. Die Hofhaltung wurde wie gezeigt zum überwiegenden Teil von der Kellerei Rödelheim getragen. Die Lebensführung der gräflichen Familie scheint nicht besonders aufwändig gewesen zu sein. Deshalb überstiegen die Einnahmen im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend die Ausgaben, und es war ausreichend freies Kapital vorhanden, mit dem sich Geschäfte machen ließ. Einen ersten Anhaltspunkt dafür gibt die Übersicht über die Allodialverlassenschaft des Grafen Ludwig Heinrich von 1728/29, die v.a. des Streits um sein Erbe wegen präzise aufgestellt und aufbewahrt worden ist. In ihr findet sich nicht nur ein komplettes Inventar des „eigenthümblichen“ Besitzes Ludwig Heinrichs, sondern auch eine Übersicht über sein Kapitalvermögen. Sie weist 72.723 fl Passivis und 38.010 fl an Activ-Schulden und ausstehenden Capitalien aus und zeigt, dass die Grafen außerhalb der Kellereien auf eigene Rechnung umfangreiche Kreditgeschäfte tätigten. Allein die Bedienung 507 Vgl. Kapitel 4.2.1. 508 Vgl. Rechnung der Rödelheimer Generalkasse 1790/91, HStAD F 24 B Nr. 408/12. 509 Vgl. u.a. Rechnung der Gaildorfer Kammerkasse 1759, HStAD F 24 B 572/2 und Enkircher Kellereirechnung 1741/42, LHAKo 54 S 2129. 510 Die 1719 erstellte Übersicht über die Solms-Rödelheimische Orte und Bedienten in Limpurg- Gaildorf, HStAD F 24 B Nr. 567/2, weist insgesamt 22 Bediente und Amtsträger vom Kanzleirat über Pfarrer bis hin zum Amtsknecht aus, die zur Gaildorfer Regierung gehörten und aus der Kammerkasse bzw. den vorgelagerten Amtsrechnungen zu entlohnen waren. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 134 der Passivkredite Ludwig Heinrichs kostete 1729, als über das Erbe noch nicht abschließend entschieden war, 3.555 fl Zinszahlungen.511 Die Grafen führten selbst über ihre Geldgeschäfte Buch, wie ebenfalls das Beispiel Ludwig Heinrichs demonstriert, von dem ein eigenhändig geschriebenes Kapitalausleihe- und Zinsbuch aus dem Jahr 1723 erhalten ist. Insgesamt sind 133 Einzelposten darin vermerkt; er hatte Verbindlichkeiten bei anderen Familienmitgliedern, Mitständen, einzelnen Dörfern innerhalb und außerhalb der Grafschaft, Amtsträgern, Bürgern und Handwerkern, deren Höhe sich zwischen wenigen Gulden und 10.000 fl belief und die etwa 2.400 fl Zinszahlungen p.a. erforderten.512 Diese umfangreichen eigenen Kapitalgeschäfte bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts sind in den darauf folgenden Jahrzehnten v.a. durch den Sohn und Nachfolger Wilhelm Karl Ludwig noch deutlich intensiviert worden. Laut dem Konzept einer Schenkungsurkunde von 1777 beliefen sich allein die Kredite, die er den Ehemännern seiner Enkelinnen gegeben hatte, auf zusammen über 320.000 fl.513 Hinzu kamen nach Angaben seines Bruders Johann Ernst Karl um 1778 noch 120.000 fl bei der usingischen Gemeinde Schierstein, 60.000 bei Graf Giech zu Thurnau, 120.000 bei den Leiningen- Heidenheimischen Allodialerben, 60.000 fl bei Solms-Laubach, 150.000 beim fürstlich Nassau-Saarbrückischen Haus und noch mehrere kleinere Posten.514 Nimmt man den üblichen Zinssatz von 5% p.a. an, hätte Wilhelm Karl Ludwig allein aus diesen 830.000 fl betragenden Verbindlichkeiten theoretisch 41.500 fl Zinseinnahmen pro Jahr erzielen können, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass erstens Kredite v.a. innerhalb der Familie manchmal zinslos vergeben wurden und zweitens auch Wilhelm Karl Ludwig selbst einige Schulden und dem entsprechend Zinsen zu zahlen gehabt haben dürfte, was diese rechnerischen Zinserlöse minderte. Trotzdem konnten sowohl er als auch sein Vater bzw. später sein Bruder wohl umfangreiche Einnahmen aus diesen persönlichen Finanzgeschäften erzielen und traten somit geradezu als Finanzunternehmer in Erscheinung. 511 Vgl. Akten zum Allodialnachlass Ludwig Heinrich ab 1728, ASR 469. 512 Kapitalausleihe- und Zinsbuch Graf Ludwig Heinrichs 1723, ASR 238 513 Vgl. Akten zu den Schenkungen Wilhelm Carl Ludwigs an Seine Frau und seine Enkelinnen 1777, ASR 242. 514 Vgl. Klage Johann Ernst Karlsvor dem Reichskammergericht gegen die Allodialerben seines Bruders vom 9.1.1779, HStAD F 24 A 34/3. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 135 3.3.2 Die Kapitalisierung der Herrschaft durch Graf Wilhelm Karl Ludwig Wie sich bereits oben angedeutet hat, erwies sich v.a. Graf Wilhelm Karl Ludwig als äußerst geschäftstüchtig. Nachdem sein Vater Ludwig Heinrich zu Solms- Assenheim nach dem Tod seines Neffen Lothar Wilhelm Ernst 1722 dessen Teilgrafschaft Rödelheim wieder an sich hatte bringen können,515 war er bis zu seinem Tod 1728 vor allem damit beschäftigt, die während der Teilung entstandene Schuldenlast abzubauen, die durch die Auszahlung der Witwe seines Bruders Ludwig und dessen Töchter noch erheblich vergrößert worden war.516 Die entsprechenden Formulierungen in seinem Testament, wo er wiederholt die große Schuldenlast und seine Anstrengungen zu ihrer Minderung und Sparsamkeit betont,517 sind gerade angesichts seiner peniblen Buchführung über Aktiva und Passiva518 sicher mehr als bloße Rhetorik. In sofern war seinem Nachfolger Wilhelm Karl Ludwig die Stoßrichtung seiner zukünftigen Politik von Anfang an vorgegeben; bereits lange vor seinem Regierungsantritt war er von seinem Vater zu äußerster Sparsamkeit erzogen worden.519 Durch die andernorts dargestellte jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Primogenitur nach dem Tod Graf Ludwig Heinrichs, die mit einem Vergleich zwischen den Brüdern endete,520 und durch das Ausbleiben eines männlichen Erben und Nachfolgers in der Landesregierung für Graf Wilhelm Karl Ludwig änderte sich aber der Zweck der Sparsamkeit. War es den Regenten bislang darum gegangen, die Solms-Rödelheimer Landesherrschaft durch den Erhalt oder den Ausbau der ökonomischen Maneuvrierfähigkeit nicht nur für die eigene, sondern auch die nachfolgende Generation zu sichern,521 musste es im Interesse Wilhelm Karl Ludwigs liegen, seine Landesherrschaft zu kapitalisieren, also die 515 Vgl. Vergleich über das Erbe Lothar Wilhelm Ernsts 1722, ASR 499. 516 Die laufenden Belastungen durch Deputate, Wittum und Rückzahlungen der Heiratsgelder an Charlotte Sybille beliefen sich auf mindestens 5500 fl p.a., vgl. Vergleich über das Erbe Lothar Wilhelm Ernsts 1722, ASR 499. 517 Vgl. Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239. 518 Das Kapitalausleihe- und Zinsbuch Ludwig Heinrichs von 1723, ASR 238, enthält insgesamt 133 Einträge über Aussenstände und ihre Begleichung. 519 Als sich beispielsweise während eines auswärtigen Studienaufenthalts Wilhelm Karl Ludwigs ein familiärer Trauerfall ereignete, forderte der Vater den Sohn auf, aus Kostengründen lediglich die benötigten Maße nach Rödelheim zu schicken, um die Trauerkleidung dort preisgünstig fertigen zu lassen, statt sie vor Ort teuer zu kaufen, vgl. Brief Ludwig Heinrich an Wilhelm Karl Ludwig vom 6.11.1716, HStAD F 24 A 220/2 . 520 Vgl. Kapitel 5. 521 Vgl. u.a. Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239: der Zweck seiner bisherigen und für die Zukunft verordneten Sparsamkeit sei angesichts der drückenden Schuldenlast, daß der Vormundschafft und denen Söhnen die Last nicht zu schwehr falle. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 136 Bemühungen seiner Vorgänger um eine Steigerung der Einnahmen und Reduzierung der Kosten voranzutreiben, und zu Gunsten seiner Privatschatulle eine Wertabschöpfung zu betreiben.522 Denn es war abzusehen, dass der ungeliebte Bruder und latente Rivale im Ringen um die Herrschaft, Graf Johann Ernst Karl, langfristig doch an die Regierung gelangen würde. Die persönliche Ökonomie des Regenten und die „öffentliche“ Ökonomie der Reichsgrafschaft, die im Normalfall identisch waren, wurden dadurch entkoppelt. Die Trennung verlief exakt entlang der Grenze zwischen individuellem und gebundenem Handeln des Regenten. Der Nachlass eines regierenden Landesherrn war unter dem Einfluss fränkischen Rechts erbrechtlich in zwei Teile, nämlich zum einen das „Allodial-“ (individuell verfügbare) und zum andern das „Feudalerbe“ (gebunden) aufgeteilt (Abbildung 15).523 Abbildung 15. Verschiedene Eigentumsformen im Erbrecht. Während es sich beim Feudalerbe nicht um Eigentum i.e.S., sondern eben um geliehene Güter oder Rechte handelte, bestand das Allodialerbe nach Ansicht der Rechtswissenschaft des späten 18. Jahrhunderts aus der gesamten restlichen Verlassenschaft des oder der Verstorbenen mit Ausnahme der Lehen.524 Es konnte sich aus Mobiliarbesitz – Geld, Wertgegenstände usw. – und aus Immobilien zusammensetzen525 und zerfiel wiederum in Stamm- und Eigengüter. Definiert man 522 Vgl. die Darstellung der Auseinandersetzung um das Allodialerbe Graf Wilhelm Karl Ludwigs in Kapitel 4.2.2. 523 WERNER GOEZ, Artikel "Allod", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, S. 120-121. 524 Vgl. DABELOW, System des gesammten heutigen Civil-Rechts. 525 Sobald erworbene Immobilien einmal vererbt wurden, durfte nach deutschem Erbrecht prinzipiell solches in den Erbgang gekommenes Gut zum Nachteil der Familie nicht auf Fremde gebracht werden, wurde also Teil der Stammgüter, vgl. POSSE, Prüfung des Unterschieds, S. 31-32. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 137 „Eigentum“ im engeren Sinne als den Teil des Besitzes, über den dem Individuum die volle und uneingeschränkte Verfügungsgewalt zustand, dann sind nur die Eigengüter tatsächlich als „Eigentum“ anzusehen. Im Gegensatz dazu waren die Stammgüter, wozu neben den eigentlichen (hoch-)adeligen Familienstammgütern, die unter keinen Umständen außerhalb des agnatischen Familienverbands weitergegeben werden durften, auch die Erbgüter und die Fideikommissgüter gehörten,526 nicht das Eigentum einer Person, sondern der Gesamtheit der adeligen Familie.527 Dem entsprechend konnten sie weder frei verkauft noch vererbt werden, sondern ihre Weitergabe war durch Observanz oder, wo vorhanden, durch Hausgesetze und andere Familienverträge genau geregelt. Im Fall der Solmser Familienstammgüter bestimmte die 1578 errichtete Erb- und Brüdereinigung, dass unsere Graff- und Herrschafften, gegenwärtige undt zukünftige, sambt deren undt andern ererbten Landen, Leuthe, Liegenden Güthern, Renthen, Gefällen, Nuzungen, Gerechtigkeiten, wie die nahmen haben mögen, deren nichts ausgenohmmen, desto mehr unveräußert, undt zu unßer undt unserer Erben der Graffen zu Solms unterhaltung beyeinander bleiben möge.528 Im Gegensatz zu diesem juristischen Sprachgebrauch, in dem der Begriff „Allodialvermögen“ im Gegensatz zu „verliehenem Vermögen“ benutzt wurde, verwendeten ihn die Grafen von Solms im 18. Jahrhundert immer dann, wenn sie von „in vollem Eigentum“ des Individuums befindlichem Gut, also der obigen Definition zufolge vom Eigengut des Grafen sprachen, und unterschieden es auf diese Weise sprachlich von der Landesherrschaft und allen anderen damit zusammenhängenden Sachen und Rechten.529 Ungeachtet der resultierenden leichten Ungenauigkeit soll der Begriff auch hier in dem Sinne verwendet werde, um eine unterschiedliche Konnotation in Quellen und Darstellung zu vermeiden. Da es für Wilhelm Karl Ludwig altersbedingt – zum Zeitpunkt seiner zweiten Heirat im August 1763 war er immerhin bereits 64 Jahre alt – zunehmend unwahrscheinlich wurde, dass er nach seinem Tod die Landesherrschaft an einen 526 Die Bindung der Erbgüter an die Agnaten war nicht ganz so strikt wie bei den Familienstammgütern, der Verbleib der Fideikommissgüter in der Familie hingegen war nicht generell, sondern durch besondere rechtsgeschäftliche Disposition – eine Art Stiftung – festgelegt, vgl. ADALBERT ERLER, Artikel "Familienstammgüter", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, S. 1073-1074, hier S. 1073. 527 Vgl. ebd., S. 1073. 528 Vgl. Solmser Erbeinung vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1. 529 Vgl. z.B. Vergleich Johann Ernst Karls mit den Allodialerben vom 20.2.1784, HStAD F 24 A 39/4. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 138 überlebenden Sohn würde weitergeben können,530 und gemäß dem Vergleich von 1745 und den Hausgesetzen in diesem Fall die Nachfolge unzweifelhaft seinem Bruder Johann Ernst Karl zukam,531 schien ein Verlust des Feudalerbes und der Stammgüter für die eigene, die Rödelheimer Linie des Hauses Solms-Rödelheim unvermeidlich. Deshalb konzentrierte er seine Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten seines Lebens darauf, zumindest das Allodialerbe an seine Frau und seine Enkelinnen übergeben und dem Assenheimer Bruder vorenthalten zu können. Das kommt bereits im angesprochenen Vergleich von 1745 sehr klar zum Ausdruck, in dem Johann Ernst Karl im Gegenzug für die Zusicherung der Nachfolge im Fall eines erbenlosen Todes seines älteren Bruders bis dahin auf alle bislang erhobenen Ansprüche an der Regierung verzichtete, Wilhelm Karl Ludwig als alleinigen Regenten anerkannte und ihm zugestand, daß der regierende Herr Graf über dero erspartes Vermögen, es sey an Gold, Silber, Juwelen und andere Pretioses, an baarschafften aus gelehnten Gelder, vorräthigen früchten, Weinen, und anderen Mobilibus und Moventibus, wie die Nahmen haben mögen, gültig und ohne von ihrer Seiten einen Widerspruch zu besorgen, testiren können und mögen.532 Es war also der Fall eingetreten, dass das Land und das Eigengut nicht an den oder dieselben Erben gehen, sondern getrennt weitergegeben werden sollten. Ganz anders als z.B. bei dem Vater Graf Ludwig Heinrich533 lag es aufgrund dieser besonderen Konstellation nicht im Interesse des regierenden Grafen, das Land möglichst schuldenfrei und in gutem Zustand an seinen Nachfolger in der Regierung weiterzugeben. Vielmehr musste er darauf bedacht sein, dass das Kapital frei transferierbar blieb, also in bar oder in Form von Schuldscheinen oder Wechseln zur Verfügung stand, und nicht in Immobilien oder Grund und Boden gebunden war. 530 Der einzige Sohn Wilhelm Heinrich war bereits 1728 im Alter von 3 Jahren gestorben, vgl. ZEIBICH, Genealogische Tabellen über das Ur-Alte Reichs-Gräfliche Haus zu Solms. 531 Der Sohn seiner Tochter Emich Karl von Leiningen-Hardenburg (*27.9.1763 +4.7.1814) war nicht nur viel zu jung, um nachfolgen zu können, sondern kam schon deshalb nicht in Frage, weil einer Vererbung von Feudalgütern über die weibliche Linie die Hausgesetze so lange entgegenstanden, wie männliche Verwandte vorhanden waren, vgl. Solmser Erbeinung vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1. Zum Prinzip, dass in den Solmser Grafschaften beim erbenlosen Tod von Kindern die Eltern bzw. Geschwister erben, vgl. auch Gericht- und Landt Ordenunge deren Graffschafft Solms / vnndt Herrschafft Mintzenberg (Neufassung der usprünglichen Version von 1571), Lich 1599, S. 117. 532 Vergleich zwischen Wilhelm Karl Ludwig und Johann Ernst Karl vom 27.1.1745, ASR 239. 533 Graf Ludwig Heinrich hatte in seinem Testament nicht ohne Stolz vermerkt, er habe die Herrschafft Rödelheim fast drey mahl erkaufft, Gaildorff aus Schulden gesetzet, vier adeliche Güther erkaufft und seinen Erben damit ein wertvolles Land hinterlassen, Testament Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 139 Denn seine Absicht war es ja, seinen Besitz nach eigenem Gutdünken weiter zu geben. Deshalb kam es in der Folge nicht zum Ankauf von Immobilien oder Land wie bei seinen Vorgängern, die in der Regel versucht hatten, Geld in die Erweiterung des Grundbesitzes zu investieren, sondern zu Maßnahmen des Regenten, die noch über die dargestellten eigenen Kreditgeschäfte und umfangreichen Entnahmen aus den Kellereien, die es auch unter anderen Regenten gab, hinaus gingen und es gerechtfertigt erscheinen lassen, von einer regelrechten Kapitalisierung der Herrschaft zu sprechen. Zunächst wurden die der der Land- oder Kriegskasse zukommenden Steuern zweckentfremdet. Da sie durch den Landkassierer eingezogen wurden, der direkt unter der Kontrolle der Regierung in Rödelheim stand oder sogar in Personalunion ein Regierungssekretär oder -rat war,534 hatten die Untertanen keinerlei Kontrolle über die Verwendung. Zwar gibt es keine Hinweise darauf, dass die Reichs- und Kreisabgaben, die sog. „Römermonate“, daraus nicht abgeführt worden wären, und auch das Rödelheimer Kreiskontingent und die Kammergerichtszieler wurde während des 18. Jahrhunderts korrekt aus dieser Kasse finanziert. Die Beiträge für andere „öffentliche“ Ausgaben jedoch wurden von den Gemeinden eingetrieben, aber nie bestimmungsgemäß verwendet. Neben den erwähnten Landreuthern und Wachtmeistern waren dies v.a. die Beiträge zum Wetterauer Grafenverein. Von 1743 bis zu seinem Tod 1778 hatte Graf Wilhelm Karl Ludwig die Teilnahme an Versammlungen und die Zahlung von Beiträgen verweigert und somit allein bei der wetterauischen Collegial-Caße einen Rückstand von knapp 4200 fl angehäuft.535 Die entstehenden Überschüsse wurden entweder direkt dem gräflichen Privatvermögen zugeführt536 oder zur Bestreitung von (Personal-)Ausgaben verwendet, die aus anderen Mitteln hätten beglichen werden müssen.537 Noch effektiver war das Vorgehen bei den Matrikulargeldern, also den von den Reichsständen zu erhebenden Reichs- und Kreissteuern:538 während Graf Wilhelm Karl Ludwig bereits ab 1735 534 Vgl. Regierungs- und Cammerordnung Graf Wilhelm Karl Ludwigs vom 20.8.1735, HStAD F 24 A 1263/4. 535 Schreiben Fürst Wolfgang Ernsts zu Ysenburg als Direktor des Grafenvereins an Graf Johann Ernst Karl vom 10.12.1778, HStAD F 24 A 1402/2. 536 Vgl. Bericht des Landkassierers Jäger vom 15.4.1779, HStAD F 24 A 1402/2: Der verstorbene Regent habe das Surplus der Landcasse diverso modo in Ihren Privat Nuzen genommen. 537 Vgl. Bericht des Landkassierers Jäger vom 7.1.1780, HStAD F 24 A 1402/2: nicht nur seien circa ¼ sämtlicher Einkünffte zu Salarirung der hgr. Dienerschaft (wovon der H. Landcassier noch besonders aus der Landcasse bezahlet worden), sondern auch noch nebenher die zeitl. Secretaire mit der Fourir-Gage bezahlet worden. 538 Zum Begriff der Matrikularbeiträge vgl. u.a. HEILER (Hg.), Türkensteuerregister, S. 13-15. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 140 beim zuständigen Direktorium des oberrheinischen Kreises erfolgreich um eine Verringerung des Rödelheimer Beitrags ersuchte,539 erhöhte er – so wurde ihm von seinem Bruder und den Gemeinden gleichermaßen vorgeworfen – gleichzeitig den Steuerfuß für die Untertanen um etwa 25%.540 Die Differenz summierte sich über drei Jahrzehnte auf eine beachtliche Summe, die L.A.Lange als Anwalt Graf Johann Ernst Karls auf circa 90000 fl bezifferte.541 Damit beging der Reichsgraf einen Betrug an seinen Untertanen zu Gunsten seines persönlichen Vermögens. Eine weitere Strategie zur eigenen Bereicherung war die Verschleppung von Investitionen. Als Erbe und Nachfolger seines Vaters hatte Graf Wilhelm Karl Ludwig nicht nur die Landesherrschaft, sondern auch die Verantwortung für den Erhalt und möglichst die Verbesserung der damit verbundenen Liegenschaften und Rechte übernommen.542 Da es aber in Folge der besonderen dynastischen Situation wie besprochen gerade nicht in seinem Interesse lag, die Grafschaft in einem guten Zustand zu übergeben, scheint er dringend notwendige Erhaltungs- und Verbesserungsmaßnahmen nicht durchgeführt zu haben, so lautet zumindest der Vorwurf seines Bruders und Nachfolgers. Die zur Klärung der Erbfrage nach seinem Tod eingesetzte Subadjunktenkommission bezifferte die Schäden an herrschaftlichen Gebäuden auf 294.380 fl, die Schäden am Wald auf 111.100 fl, den durch die unrechtmäßige Veräußerung von Hausgütern entstandenen Schaden auf 21.225 fl und die Schäden durch den Verfall der höfischen Gerichte und Gefälle auf 9508 fl. Zusammen mit den sonstigen Schäden und Forderungen i.H.v. 13.972 fl kam die Kommission so auf eine Gesamtsumme von 450.185 fl.543 Dieser Eindruck wird gestützt durch die Außensicht auf die Zustände in der Reichsgrafschaft: 1788 beschwerte sich z.B. das Kasseler Oberpostamt über den schlechten Zustand der Landstraßen im Solms-Rödelheimer Territorium, die v.a. im Winter ein Befahren 539 Vgl. Species Facti betreffs des Gesuchs Wilhelm Karl Ludwigs an den oberrheinischen Reichskreis und den Reichstag um Verminderung der Kreis- und Reichsabgaben 1735-1740 . 540 Vgl. Reichskammergerichtsklage Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Testamentsvollstrecker v. Savigny vom 28.08.1778, HStAD F 24 A Nr. 34/2 sowie Mandat der Gemeinden Niederwöllstadt, Fauerbach, Ossenheim und Bauernheim an den Reichshofratsagenten Johann Georg Schumann vom 6.1.1775, HStAD F 24 C 309/8. 541 Reichskammergerichtsklage Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Testamentsvollstrecker v. Savigny vom 28.08.1778, HStAD F 24 A Nr. 34/2. 542 Zu dem Prinzip, dass alles, was ein Landesherr selbst ererbt hat, zu Land und Landesherrschaft gehört, alles selbst erkaufte jedoch in die Gemeine Erbschafft, also zum „Privatvermögen“, gezählt wurde, vgl. u.a. Testament Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239, sowie Testament Graf Johann Augusts vom 15.3.1676 (Abschrift), HStAD F 24 A 815/2. 543 Vgl. Bericht der Subadjunkten-Kommission zum Rechtsstreit zwischen Johann Ernst Karl und Wilhelm Karl Ludwigs Allodialerben ab 1778, HStAD F 24 A Nr. 34/1. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 141 unmöglich zulasse.544 Die Regierung in Rödelheim gab die vorgeworfene Vernachlässigung der Infrastruktur in einem Antwortschreiben unumwunden zu und wies auf ihre Bemühungen hin, die Defizite der Vergangenheit nach und nach zu bewältigen.545 Eine weitere Strategie, um dero eigenthümliches vermögen546 mit allen Mitteln zu vergrößern, war es, die Aktiva der Privatschatulle zuzuführen, alle Schulden hingegen auf dem Land stehen zu lassen und möglichst nicht aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Als Beispiel für dieses Prinzip seien die 1500 fl angeführt, die der Ältere seinem Bruder zu einer Verehrung zur Einrichtung eines eigenen Hausstands zugesagt hatte.547 Dieses „donum gratuitum“ wurde durch den Kreisgesandten und Hofrat Riese in Frankfurt vorgeschossen, die Verzinsung und Rückzahlung sollte besage der von Wilhelm Karl Ludwig darüber ausgestellten Obligation aus der Rödelheimer Kriegs- und Landkasse erfolgen.548 Der Zweck der Landkasse aber war die Einnahme und Weiterleitung der Beiträge der Untertanen für überwiegend militärische Angelegenheiten des Reichs und des Kreises sowie Aufgaben der öffentlichen Sicherheit in der Grafschaft,549 nicht jedoch die Finanzierung eines durch den Regenten zugesagten Geldgeschenks an seinen Bruder. Auf diese Weise wurde das Land als Ganzes belastet, das eigene Vermögen hingegen blieb unangetastet. Dieses Prinzip der Vergrößerung des Eigenguts zu Lasten des Landes war also durch den Regenten während der letzten dreißig Jahre vor seinem Tod rigoros befolgt worden. Bereits lange vor dem Regierungswechsel hatte die Gegenseite dies erkannt und argumentativ verwendet: im Konflikt um Johann Ernst Karls erste Ehe führten dessen juristischer Berater zur Begründung dafür, dass Henriette das Einbringen ihres Heiratsgutes in die Grafschaft nicht zuzumuten sei, an, der regierende Graf „sauge das Land aus“, indem er Schulden darauf stehen lasse, die Einnahmen aber dem Allodialvermögen zuschlage.550 Vor dem Verkauf oder der Verpfändung von Gütern oder ganzen Ämtern im großen Stil jedoch schreckte auch 544 Vgl. Bericht des Kasseler Oberpostamts an die Regierung in Kassel vom 10.3.1788, HStAM 17 II 2019. 545 Brief der Regierung Rödelheim an Hessen-Kassel vom 3.6.1788, HStAM 17 II 1072. 546 Entwurf für das Revers Christiane Wilhelmine Louises von Leiningen, ASR 241. 547 Vergleich zwischen Wilhelm Karl Ludwig und Johann Ernst Karl vom 27.1.1745, ASR 239. 548 Obligation Wilhelm Karl Ludwigs (Entwurf mit „placet“-Vermerk) von 1745, ASR 239. 549 U.a. finden sich in den Rechnungen der Land- und Kriegskasse Ausgaben für Ausstattung und Besoldung des Kreismilitärs, die Kammergerichtszieler, die Römermonate und die Wachtmeister in den Städten, vgl. Rechnung der Rödelheimer Landkasse vom 1.5.1714 bis 30.4.1715, HStAD F 24 B 401/1. 550 Vgl. Gutachten zur Eheschließung von Johann Ernst Carl und Henriette Charlotte Albertine von Terzi, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 142 Graf Wilhelm Karl Ludwig zurück. Dem standen die Hausgesetze zu eindeutig entgegen, und es war damit zu rechnen, dass alle entsprechenden Transaktionen im Nachhinein noch angefochten und rückgängig gemacht werden würden. Bei aller Zwielichtigkeit seiner Geschäfte achtete er doch stets darauf, dass deren Regelwidrigkeit nicht zu offensichtlich war. 3.3.3 Die Weitergabe des Allodialvermögens Auf diesen Wegen hatte also Graf Wilhelm Karl Ludwig große Geldmengen angehäuft und diese durch seine Geldgeschäfte noch vermehren können, gleichzeitig stets darauf bedacht, dieses Kapital seiner persönlichen Verfügungsmasse zuzuschlagen und frei transferierbar zu halten, z.B. in Form von Wechseln, Schuldscheinen oder auch Bargeld. Diese Strategie blieb seinem Bruder und Hauptwidersacher Johann Ernst Karl, der ja Jahrzehnte lang in direkter Nachbarschaft lebte, nicht verborgen. Im Vergleich von 1745 hatte er sich dazu verpflichtet, nicht nur selbst keinerlei Ansprüche auf das Allodialerbe des Bruders zu erheben, sondern die rechtmäßigen Erben sogar mit aller Macht zu schützen. Als er jedoch erkannte, dass er auf diese Weise Gefahr lief, ein hoch verschuldetes und vernachlässigtes Land zu übernehmen, tat Johann Ernst Karl das Gegenteil und war nach Kräften bemüht zu verhindern, daß er alle meine sachen aus dem hauß führen und sich ein lehres nest laßen würde,551 wie Wilhelm Karl Ludwig schrieb. Dieses Bestreben zeigte sich besonders deutlich im Frühjahr 1750, als der Regent sich auf einer Reise nach Dürkheim befand und sich plötzlich die Nachricht verbreitete, er sei lebensgefährlich erkrankt. Sofort schickte der Jüngere seinen Kammerdiener Koch nach Rödelheim, um durch Befehle und Drohungen gegenüber den Beamten zu verhindern, dass Geld, Wertgegenstände oder Papiere in dieser Krisensituation außer Landes geschafft und ihm nurmehr ein „leeres Nest“ verbleiben würde.552 Auch wenn seine Sorge in dieser Situation unbegründet war, weil sein Bruder wenige Wochen später gesund nach Rödelheim zurückkehrte, blieb 551 Brief Graf Wilhelm Karl Ludwigs an einen unbekannten Grafen (1750), ASR 664. 552 Vgl. Erlaß Wilhelm Carl Ludwigs an die Beamten der Regierung Rödelheim vom 3.6.1750, über die Ereignisse in seiner Abwesenheit Bericht zu erstatten, ASR 288. Tatsächlich wurden in den fraglichen Tagen 20000 fl in bar von Rödelheim nach Frankfurt gebracht, die jedoch von Wilhelm Karl Ludwig in seiner Eigenschaft als Administrator der Leiningen´schen Debitverwaltung transferiert wurden, vgl. Bericht des Kammerrats Schott an Graf Wilhelm Karl Ludwig vom 6.6.1750, ASR 228. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 143 er doch die folgenden Jahrzehnte über ständig auf der Hut vor Übervorteilung. Anlässlich der Heirat Wilhelm Karl Ludwigs mit Sophie Henriette von Solms- Wildenfels am 29.8.1763 etwa gratulierte er und versicherte, dass er ihm gerade angesichts von Dr. Liebden bißherigen Einsamkeit und hohen Alter einen vertraut- und liebreichen Umgang von hertzen gönne, gleichzeitig aber verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, das D. Lbd. bey dießer ohnvermutheten Entschliessung nicht die absicht haben, mich hierdurch von denen mir zustehenden Rechten weiter zu entfernen,553 dass also auch bei einer erneuten Verheiratung des Regenten seine eigenen Ansprüche ungeschmälert erhalten bleiben sollten. Wilhelm Karl Ludwig wurde aufgrund des Verhaltens und der Äußerungen seines Bruders immer klarer, dass dieser ungeachtet seiner Zusage im Vergleich alles tun würde, um einen möglichst großen Teil auch des Bargelds, der Obligationen und Wertsachen an sich zu bringen. Deshalb begann er lange vor seinem Tod, Teile seines Besitzes auf dem Weg einer „Schenkung zu Lebzeiten“ zu verteilen. Seiner Ehefrau Sophie Henriette schenkte er im Oktober 1777 Schuldverschreibungen in nicht genau spezifizierter Höhe. Der Gesamtbetrag lässt sich nicht mehr ermitteln, muss jedoch sehr hoch gewesen sein, denn mit Annahme der Schenkung musste Sophie Henriette ihren Verzicht auf die in den Ehepakten vereinbarten Zuwendungen erklären. Es ist also anzunehmen, dass das Kapital aus den Schuldverschreibungen diese Zuwendungen weit überstieg.554 Einen ähnlichen Weg beschritt er im Fall der drei Enkelinnen Elisabeth Christiane Wild- und Rheingräfin, Charlotte Louise Gräfin von Erbach und Caroline Sophie von Solms-Wildenfels, alle geborene Gräfinnen von Leiningen-Dachsburg-Hardenburg, Töchter seiner Tochter Christiane Wilhelmine. Seit 1771 hatte er deren Ehemännern immer wieder größere Summen geliehen, nun schenkte er seinen Enkelinnen die zugehörigen Obligationen in Höhe von insgesamt über 320.000 fl und zusätzlich einen Kasten voller Bargeld im Wert von 40.200 fl.555 Das Verhältnis zu seiner Tochter indessen war getrübt. In einem Brief vom April 1776, mit dem er versuchte, mit ihr wegen der Regelung seiner Erbangelegenheiten Kontakt aufzunehmen, beklagte er, dass er nun seit 7 jahren keinen brief von dir 553 Schreiben Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 20.9.1763, HStAD F 24 A Nr. 812/1. 554 Vgl. Schenkungsurkunde Wilhelm Karl Ludwigs vom 20.10.1777, ASR 242. 555 Vgl. Konzept der Schenkungsurkunde Wilhelm Karl Ludwigs vom 8.8.1777 und seine eigenhändig aufgezeichnete „Summarische specification über dasjenige Gold, welches in diesem kleinen Eysernen Kästgen von mihr geleget und mein 3 comtessen Enckeln under gewißen bedingungen geschencket worden ist“, beides ASR 242. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 144 noch weniger eine antwort auf die meiniche erhalten habe.556 Christiane Wilhelmine Louise lebte getrennt von ihrem Ehemann Karl Friedrich Wilhelm Graf von Leiningen557 in sehr bescheidenen Verhältnissen in Paris.558 Aufgrund des gespannten Verhältnisses zu seiner Tochter, das im vorliegenden Schriftwechsel immer wieder zum Ausdruck kommt,559 plante der Vater an ihrer Stelle, die in seinem ursprünglichen Testament vom 22.8.1769 noch als Haupterbin vorgesehen war,560 ihre Töchter – seine Enkelinnen – zu begünstigen. Um diese Änderung vorzubereiten, bat er sie um ein Treffen, bei dem sie zwei von Regierungsbeamten und dem Berater Wilhelm Karl Ludwigs, dem Frankfurter Juristen Karl Ludwig von Savigny, entworfene Dokumente561 unterzeichnen sollte: eine Vollmacht, die ihre Stiefmutter Sophie Henriette und ihren Schwiegersohn Karl Ludwig Rheingraf zu Grumbach ermächtigte, im Falle des Todes des Vaters in ihrem Namen hochdeßen mit seinem regierenden Lande nichts gemein habende in der vieljährigen regierung erspartes eigenthümliches vermögen562 in Beschlag zu nehmen, und ein Revers, in dem sie zusichern sollte, den letzten Willen des Vaters in jedem Fall zu akzeptieren und nicht anzufechten.563 Zu dem Treffen reisten Vater und Tochter im August 1777 nach Saarlouis und verhandelten mehrere Tage lang über die beiden Dokumente. Schließlich unterschrieb Christiane Wilhelmine Louise die Vollmacht, weigerte sich jedoch standhaft, das Revers zu unterzeichnen, weil sie befürchtete, dadurch alle 556 Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Christiane Wilhelmine Louises vom 3.4.1777, ASR 241. 557 Wilhelm Karl Ludwig hatte ihn anlässlich der Heirat seiner Enkelin Charlotte Louise Polixene mit dem Grafen von Erbach im Frühjahr 1777 in Worms getroffen und mit ihm über Christiane Wilhelmine Louise gesprochen. Dieser zeigte sich jedoch nicht versöhnlich, ohne dass auf die Gründe des Zerwürfnisses eingegangen wird, vgl. Entwurf eines Schreibens Wilhelm Karl Ludwigs an seine Tochter vom 29.5.1777, ASR 241. Christiane Wilhelmine Louise schrieb dazu, ich habe einiges ohnrecht, wenigstens sein die vorurtheile gegen mich und die gesätze sein denen männern günstig, ging jedoch ebenfalls nicht auf die Hintergünde ein, Brief Christiane Wilhelmine Louises an Wilhelm Karl Ludwig vom 2.6.1777, ASR 241 (aus dem französischen übersetzt durch den Grumbacher Hofrat Böhmer). 558 Vgl. Brief Christiane Wilhelmine Louises an Wilhelm Karl Ludwig vom 2.6.1777, ASR 241 (aus dem französischen übersetzt durch den Grumbacher Hofrat Böhmer). 559 Zuerst antwortete die Tochter nur widerstrebend auf die Briefe ihres Vaters unter dem Vorwand, sie könne die deutsche Sprache kaum noch verstehen, Entwurf eines Schreibens Wilhelm Karl Ludwigs an seine Tochter vom 29.5.1777, ASR 241. Später sagte sie dem rheingräflich- grumbachischen Hofrat Böhmer gegenüber, daß Sie bey jedem Vortrag Ihres Gnädigen Herrn Vatters, eine besondere Angst empfände, und dahero sehr genirt wären, Promemoria des rheingräflich- Grumbacher Hofrats Böhmer vom 24.8.1777, ASR 241. 560 Vgl. Auszug aus dem Testament Graf Wilhelm Karl Ludwigs vom 22.8.1769, HStAD F 24 A 28/3. 561 Vgl. Gutachten Karl Ludwig von Savignys, Frankfurt den 31.7.1777, ASR 241. 562 Entwurf für die Vollmacht Christiane Wilhelmine Louises, ASR 241. In derselben Akte: Reinschriften der Vollmacht auf Deutsch und Französisch, o.O.u.D. 563 Entwurf für das Revers Christiane Wilhelmine Louises, ASR 241. In derselben Akte: Reinschriften der Vollmacht auf Deutsch und Französisch, o.O.u.D. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 145 Ansprüche auf das väterliche Erbe aufzugeben.564 Dass diese Befürchtungen berechtigt waren, belegt das wenige Wochen nach diesem Treffen verfasste Codicill, mit dem der Vater ihr Erbe auf den Pflichtteil beschränkte und stattdessen die drei Enkelinnen als Haupterbinnen einsetzte.565 Die Teile der Allodialerbschaft, die Wilhelm Karl Ludwig nicht schon vor dem Tod an verschiedene Verwandte vergeben hatte, vertraute er Karl Ludwig von Savigny an, der nicht nur juristischer Berater, sondern auch sein Testamentsvollstrecker und wichtigster Verbündeter in den Auseinandersetzungen mit dem Bruder in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts war.566 Außer einem ansehnlichen quanto an baarschaffts, benebst verschiedenen Pretiosis waren vor allem die Capitalien Brieffe über einige hundert tausend Gulden567 zu Savigny gebracht worden, um sie dem Zugriff Johann Ernst Karls zu entziehen. Im Spätsommer des Jahres 1777, also etwa ein Jahr vor seinem Tod, hatte der regierende Graf von Solms-Rödelheim damit einen Teil des während seiner fünfzigjährigen Regierung angesammelten Vermögens bereits verschenkt und zudem größtmögliche Sorge dafür getragen, dass die restlichen Teile nach seinem Ableben von Personen seines Vertrauens in seinem Sinne verwaltet würden. Damit stand das von langer Hand vorbereitete Projekt der getrennten Weitergabe von Allodial- und Feudalbesitz kurz vor der Vollendung. 3.3.4 Der Prozess Johann Ernst Karls gegen Wilhelm Karl Ludwig und dessen Allodialerben ab 1778 Alle Versuche des jüngeren Grafen, durch Proteste und Interventionen bei seinem älteren Bruder und dessen Bedienten zu verhindern, dass Bargeld und Wertsachen 564 Vgl. Promemoria des rheingräflich-Grumbacher Hofrats Böhmer vom 24.8.1777, ASR 241. 565 Vgl. Codicill Graf Wilhelm Karl Ludwigs zu seinem Testament vom 3.11.1777, HStAD F 24 A 28/3. Interessanter weise wurde Christiane Wilhelmine Louises Ehemann Carl Friedrich Wilhelm Graf von Leiningen-Dachsburg-Hardenburg eineinhalb Jahre später – ein knappes Jahr nach dem Tod Wilhelm Karl Ludwigs – in den Reichsfürstenstand erhoben, vgl. THOMAS KLEIN, Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand 1550-1806, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Vom Reichsfürstenstande, Köln / Ulm 1987, S. 185. An dieser Stelle ist nicht zu klären, ob beide Ereignisse in irgendeinem Zusammenhang stehen, ob etwa das Erbe Wilhelm Karl Ludwigs zu diesem Zweck investiert wurde. 566 Der in Frankfurt lebende fürstlich nassau-usinigsche Geheime Rat Karl Ludwig von Savigny (*1726, +1791) war ein vor allem im Rhein-Main-Gebiet und der Wetterau einflussreicher Jurist und der Vater Friedrich Karl von Savignys (*1779, +1861), vgl. INGEBORG KOZA, Savigny, Friedrich Carl von, in: Traugott Bautz (Hg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (8), Herzberg 1994, S. 1447-1453. 567 Reichskammergerichtsklage Graf Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Geheimen Rat von Savigny vom 28.8.1778, HStAD F 24 A 34/2. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 146 auf dem Weg der Schenkung oder auf andere Weise außer Landes gebracht und ihm vorenthalten würden, waren stets erfolglos geblieben. Deshalb knüpfte er kurz vor dem Tod Wilhelm Karl Ludwigs an sein altes Vorgehen an und klagte am 4.4.1778 vor einem Reichsgericht, in diesem Fall dem Reichskammergericht, gegen den Regenten, um ihm untersagen zu lassen, weiterhin Teile des Allodialerbes verschwinden zu lassen.568 Mit der Entscheidung des RKG vom 9.4.1778 wurde die Klage jedoch abschlägig beschieden, Wilhelm Karl Ludwig behielt bis zum Schluss die volle Verfügungsgewalt über das ganze Vermögen.569 Nach diesem Rückschlag verlegten Johann Ernst Karl und die für ihn tätigen Juristen – der renommierte Gießener Professor Gatzert570 und der Advokat beim Reichskammergericht in Wetzlar Dietz – ihre Bemühungen auf die Zeit nach dem Ableben des regierenden Grafen. Als die Nachricht von dessen Tod am Vormittag des 27.8.1778 Gatzert in Gießen erreichte, drängte dieser zu größter Eile,571 um zu verhindern, dass der rest in Roedelheim noch mehr ausgeleeret572 werde. Dem entsprechend wurde bereits einen Tag später die schon längst vorbereitete Eingabe dem Wetzlarer Gericht durch Dietz vorgelegt. Man ersuchte um eine einstweilige Verfügung gegen die Allodialerben und den Testamentsvollstrecker, mit der erstens Savigny bei Strafe verboten werden sollte, das in seinem Besitz befindliche solms- rödelheimische Vermögen in andere Hände weiterzugeben, zweitens Johann Ernst Karl die Kontrolle über alle in Rödelheim verbliebenen Stücke übertragen und drittens den Schuldnern Wilhelm Karl Ludwigs befohlen werden sollte, weder die 568 Klage vor dem Reichskammergericht durch Johann Ernst Karl gegen Wilhelm Karl Ludwig vom 4.4.1778, HStAD F 24 A 33/1. 569 Mandat des Reichskammergerichts vom 9.4.1778, HStAD F 24 A 33/1. 570 Christian Hartmann Samuel Gatzert (*1739, +1807), Hochschullehrer für Rechtswissenschaften und Hessen-Darmstädtischer Geheimer Regierungsrat in Gießen, stand für 750 fl jährliche Besoldung in Diensten Graf Johann Ernst Karls, vgl. Rechnung der Generalkasse der Grafschaft Solms- Rödelheim vom 27.8.1778 bis 22.2.1780, HStAD F 24 B Nr. 408/1, und sollte im Bedarfsfall auch als Vormundschaftsassistent für Graf Volrat fungieren, vgl. Testament Johann Ernst Karls vom 12.8.1778, ASR 489. Gatzert gilt als „Krönung der Reihe der großen Gießener Juristen des 18. Jahrhunderts“, MORAW, Universität Gießen S. 87, mithin verfügte der Graf über einen mindestens ebenso angesehenen und kompetenten juristischen Beistand wie sein Bruder. 571 In einer Notiz für Dietz heisst es: Den Augenblick kommet die Nachricht, daß Herr Graf von Rödelheim endlich einmahl gestorben ist, und nun versäumen Sie keinen Augenblick, den arrest zu bewörken. Gott gebe seinen Seegen dazu, Erstes Schreiben Rat Gatzerts an Hofrat und Kammergerichts-Advocat Dietz zu Wetzlar vom 27.8.1778, ASR 239. 572 Zweites Schreiben Rat Gatzerts an Hofrat und Kammergerichts-Advocat Dietz zu Wetzlar vom 27.8.1778, ASR 239. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 147 Zinsen noch den Abtrag ihrer Schuld von zusammen 477.000 fl an irgend jemand zu zahlen.573 Besonders aufschlussreich ist die Begründung der Klage. Da das Recht Wilhelm Karl Ludwigs, über sein eigenes Vermögen frei zu verfügen, nicht zuletzt nach dem Vergleich von 1745 nicht mehr anzufechten war, verlegten sich die Berater Johann Ernst Karls auf eine andere Taktik, indem sie zum einen anzweifelten, dass es sich tatsächlich um „eigenes Vermögen“ handele und zum anderen argumentierten, die Summe sei zum großen Teil unrechtmäßig erworben. Ein Regent und Landesvater könne zwar, so die grundlegende Annahme, aus dem Land gezogene Einkünfte seinem Eigentum zuschlagen. Dies könne jedoch nur für den Betrag gelten, der die zur Erhaltung und möglichst sogar Verbesserung des Landes und vor allem der Stammgüter notwendigen Aufwendungen übersteige.574 Wilhelm Karl Ludwig jedoch habe durch geflißentlich seine gantze Regierung hindurch in frandem successoris zum alleinigen Nutzen seines Privat vermögens, unterlassen, nöthige bau Reparaturen der gesamten herrschaftlichen Gebäude, selbige dergestalt deterioriret, und anneben durch forstwidrige, gewinnsüchtige Behandlung der Waldungen bey solchen eine sehr totale Devastation verursacht, daß erstere mit den vieljährigen Einkünfften des Landes kaum herzustellen seyn werden, in Ansehung der letzten aber Aldts Hr. Prpal und dessen hohes Stammeshauß, wo nicht einem gantz unersetzlichen, so doch wenigstens erst nach Jahrhunderten zu repariren möglichen Schaden exponiret sind, wie es in der Klageschrift heißt.575 Es folgt eine Aufzählung der Schäden an über 20 herrschaftlichen Gebäuden und fünf Waldungen, wobei aufgrund der gebotenen Eile und mangelnden Einblicks in die Details auf eine genaue Bezifferung der Schäden verzichtet wird. Außerdem habe der Regent, um Kosten zu Gunsten seiner eigenen Schatulle einzusparen, mehrere von benachbarten Reichsständten, auch particuliers, 573 Reichskammergerichtsklage Graf Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Geheimen Rat von Savigny vom 28.8.1778, HStAD F 24 A 34/2. 574 Hier stützt sich die Argumentation auf ein durch Johann Ernst Karl lange vor dem Tod seines Bruders eingeholtes Gutachten J.A. Hofmanns, Professer der Rechtswissenschaften in Marburg: Der Landesnachfolger sei sehr wohl berechtigt, das Allodialerbe einzubehalten, um den Schaden aus „Landesverschlimmerung“ und Verkauf von Stammgütern auszugleich, vgl. Juristisches Gutachten Johann Andreas Hofmanns vom 4.10.1773, HStAD F 24 A 28/3. 575 Ebd. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 148 in Anspruch genommene Gerechtsame des Haußes576 nicht gerichtlich durchgesetzt und dadurch ebenfalls dem Land und dem Haus erheblichen Schaden zugefügt und Summen zu seinem Eigentum erklärt, die keinesfalls dazu gehörten. Außerdem habe er acht Familiengüter ohne die erforderliche agnatische Zustimmung verkauft und den Erlös daraus genau so einbehalten wie verschiedene Gelder aus dem Erbe des Vaters und des jüngsten Bruders. Zudem habe er die Untertanen nicht nur durch zu hohe Geldstrafen und Abgaben, sondern auch durch unrechtmäßige Einbehaltung von 90.000 fl an Beiträgen zur Kriegs- und Landkasse geschädigt.577 Einleitend stellten die Verfasser des Klaglibells fest, Wilhelm Karl Ludwig hätte es auf unrechtmäßige Weise in den fünfzig Jahren seiner Regierung fertig gebracht, ein allodial-Vermögen von mehr als zwey und zwanzig tonnen Goldes zusammen zu scharren.578 Eine Tonne Gold meinte im Sprachgebrauch eine Summe von 100000 Thalern oder Gulden, nachdem nach einer oder der andern Münzsorte gerechnet wird.579 Mithin wurde hier die gesamte Verlassenschaft auf 2,2 Mio. fl beziffert. Ungenaue oder fehlende Angaben, lückenhafte Überlieferung und vor allem das nachdrücklich verfolgte Bestreben Graf Wilhelm Karl Ludwigs, die genaue Höhe und den Verbleib seines Vermögens möglichst zu verbergen, verhindern den Versuch, diese Zahl zu verifizieren und eine genaue Rekonstruktion der Zusammensetzung und des Umfangs seines Erbes vorzunehmen. Eine überschlägige Berechnung der bekannten Posten aus den Klaglibellen Johann Ernst Karls der Jahre 1778 und 1779 – unterschlagenes väterliches Erbe, Betrug an der Landkasse, verkaufte Stammgüter und verschleppte Investitionen zur Erhaltung des Landes – ergibt einen Wilhelm Karl Ludwig zur Last gelegten Gesamtschaden von knapp 1 Million Gulden zuzüglich des einbehaltenen, nicht bezifferten Erbes des jüngsten Bruders und zuzüglich der ebenso wenig zahlenmäßig erfassten Landes- 576 Ebd. 577 Vgl. Ebd. Die Summe ergibt sich aus der Tatsache, dass Wilhelm Karl Ludwig zwar zwei Mal eine Ermässigung der Reichs- und Kreisbeiträge der Grafschaft Solms-Rödelheim erreichte, diese jedoch nicht an die Untertanen weitergab, sondern deren Abgaben sogar erhöhte und die Differenz einbehielt, vgl. auch Species Facti betreffs des Gesuchs Wilhelm Karl Ludwigs an den oberrheinischen Reichskreis und den Reichstag um Verminderung der Kreis- und Reichsabgaben 1735-1740 . 578 Reichskammergerichtsklage Graf Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Geheimen Rat von Savigny vom 28.8.1778, HStAD F 24 A 34/2. 579 Artikel "Tonne", in: Johann Christoph Adelung (Hg.), Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart [...] (4), Wien 1811, S. 626-627, hier Sp. 626. Vgl. auch WOLFGANG TRAPP, Kleines Handbuch der Münzkunde und des Geldwesens in Deutschland: mit 60 Tabellen, Stuttgart 1999. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 149 Verschlimmerungen durch nicht geführte Prozesse.580 Dieser die Summe von 1 Million Gulden damit deutlich übersteigende Schaden an Rödelheimer Land und Leuten dient als Grundlage für die Forderung nach Kompensation durch Sperrung des Allodialvermögens, die Inhalt der Klage und Gegenstand des folgenden Prozesses sind. Durch eine ebenso grobe Addition der bekannten Schenkungen und testamentarischen Verfügungen erhält man einen Gesamtumfang des Erbes von über 1,3 Millionen Gulden mit einer nicht zu unterschätzenden Dunkelziffer, da hier die Schenkung an seine Frau und die testamentarischen Legate zu Gunsten der Tochter und der Enkelinnen noch nicht enthalten sind, weil deren Höhe nicht bekannt ist.581 Berücksichtigt man dies, so erscheinen 2,2 Millionen Gulden als Wert der gesamten gräflichen Allodialerbes zumindest nicht völlig unrealistisch. Zum Vergleich: der Gesamtumfang des Erbes des Vaters Ludwig Heinrichs an Bargeld und Schuldverschreibungen hatte 1727 etwa 40.000 fl betragen;582 die gesamten Passiva der wegen Überschuldung unter einer Reichsdebitverwaltung stehenden Ysenburger Grafschaften beliefen sich im Falle Wächtersbachs 1768 auf 471.990 fl, bei Meerholz 1760 auf etwa 400.000 fl und bei Büdingen im Jahr 1767 auf 683.024 fl.583 Das Allodialvermögen Wilhelm Karl Ludwigs hätte also ausgereicht, die Schulden dieser drei benachbarten Grafschaften auf einmal abzuzahlen, was die enorme Höhe des Erbes deutlich werden lässt. Dass der neue Regent sich einen Anteil an diesem Reichtum sichern wollte, ist verständlich. Der oben angeführten Klage vor dem Reichskammergericht vom August 1778 und seinen weiteren Eingaben vom November 1778 und Januar 1779, mit denen er eine vorläufige Beschlagnahmung des übrig gebliebenen Vermögens erreichen wollte und Anspruch auf das gesamte Erbe mit Ausnahme des Bargelds erhob,584 war indes zunächst nur ein Teilerfolg beschieden, indem zwar ein Arrest 580 Reichskammergerichtsklage Graf Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Geheimen Rat von Savigny vom 28.8.1778, HStAD F 24 A 34/2. Vgl. dazu weiterhin die Klage vor dem Reichskammergericht durch Johann Ernst Karl gegen Wilhelm Karl Ludwig vom 4.4.1778, HStAD F 24 A 33/1. 581 So heisst es etwa in der Schenkungsurkunde für seine Ehefrau, er übergebe ihr die in einem eißernen kästgen in einem versiegelten umschlag befindlichen von mir als unserer frau Gemahlin geschenckt aufgeschriebene Schuldverschreibung und somit das darinnen enthaltene Capital, ohne dass auf die Höhe des Kapitals eingegangen wird, Schenkungsurkunde Graf Wilhelm Karl Ludwigs vom 20.8.1777, ASR 242. 582 Vgl. Testament Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239 und Reichskammergerichtsklage Graf Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Geheimen Rat von Savigny vom 28.8.1778, HStAD F 24 A 34/2. 583 Vgl. dazu ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung, S. 160; 169;181. 584 Siehe Reichskammergerichtsklage Graf Johann Ernst Karls gegen die Allodialerben Wilhelm Karl Ludwigs und den Geheimen Rat von Savigny vom 28.8.1778, HStAD F 24 A 34/2 sowie Klageschrift Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 150 über einen Teil der Aktiva ausgesprochen, jedoch nach einer Gegenklage seiner Nichte Christiane Wilhelmine Louise von Leiningen585 Johann Ernst Karl am 9.2.1779 angewiesen wurde, die Inventarisierung der Allodialerbschaft nicht weiter zu behindern, sondern durch die Herausgabe von Rechnungen zu unterstützen.586 Weiterhin wurde entschieden, dass – damit nicht ein benachbarter Reichsstand mit dieser Aufgabe belästigt werden müsse – eine aus Beamten aller Parteien bestehende Subadjunktenkommission zur Erfassung des gesamten Barvermögens, aller Weine, Früchte, Briefschaften etc. und zur Vorbereitung eines Vergleichs gebildet werden solle. Diese Kommission nahm umgehend ihre Arbeit auf. Sie bestand aus dem Solms-Rödelheimer Regierungsrat Johann Hartmann Walther als Abgesandten Johann Ernst Karls,587 dem Leiningen-Dachsburgischen Hofrat Philipp Gottlieb Knorr als Gesandten von Wihelm Karl Ludwigs Tochter und dem Erbach- erbachischen Kanzleidirektor Johann Friedrich Haakh als gemeinsamen Vertreter der Enkelinnen des Erblassers, zum Vermittler war der Löwenstein-Wertheimische Hofrat588 und bürgerliche Konsulent (Rechtsberater) der Reichsstadt Frankfurt Georg Adolph Huth bestellt worden.589 In akribischer Feinarbeit erfasste diese Kommission in den folgenden Jahren die vorhandenen Vermögenswerte, die Außenstände und die Schäden am Feudal- und Fideikommissgut590 und erarbeitete eine Kompromisslösung, die in dem Vergleich von 1784 erst von den Gesandten, einige Tage später auch von dem regierenden Grafen von Solms-Rödelheim und seinem Sohn Volrat sowie Franz und Louise Graf und Gräfin zu Erbach namens der anderen Allodialerben ratifiziert wurde.591 Johann Ernst Karls für das Reichskammergericht vom 23.11.1778 und Eingabe vom 9.1.1778, beides HStAD F 24 A 34/3. 585 Sie forderte, dass das Erbe nicht mit Arrest belegt, sondern gemäss Testament aufgeteilt werde, vgl. Klage Christiane Wilhelmine Louises von Leinigen gegen Johann Ernst Karl vom 14.12.1778, HStAD F 24 A 34/3. 586 Vgl. Dekret des Reichskammergerichts vom 9.2.1779, HStAD F 24 A 34/3. 587 Walther war auch der Erzieher des Erbgrafen Volrat, des Sohnes Johann Ernst Karls und Amoena Charlottes, gewesen, vgl. ISENBURG, Um 1800, S.13. 588 Löwenstein-Wertheim war auf zweifache Weise eng mit Solms-Rödelheim verbunden, indem Johann Ernst Karl in zweiter Ehe 1761 Amoena Charlotte Eleonore von Löwenstein-Wertheim (*1743 +1800) geheiratet hatte, die Nichte Friedrich Ludwigs von Löwenstein-Wertheim (*1706 +1796), des Ehemanns seiner viertjüngsten Schwester Sophie Louise Christiane (*1709 +1773). 589 Vgl. Vergleich zwischen Graf Johann Ernst Karl und den Allodialerben vom 20.2.1784, HStAD F 24 A 39/4. 590 Insgesamt haben die im Staatsarchiv Darmstadt und dem gräflichen Archiv Assenheim befindlichen Akten zum Prozess und der Subadjunktenkommission einen Umfang von mehreren tausend Seiten. 591 Siehe Vergleich zwischen Graf Johann Ernst Karl und den Allodialerben vom 20.2.1784, HStAD F 24 A 39/4. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 151 In diesem Vergleich wurde im Einzelnen Folgendes vereinbart:592 • Johann Ernst Karls Schulden bei den Allodialerben in Höhe von insgesamt 54.225 fl, die im wesentlichen aus einem 15 Jahre alten Kredit Wilhelm Karl Ludwigs i.H.v. 20.000 fl nebst Zinsen sowie diversen durch ihn einbehaltenen Weinen und Früchten aus den Jahren 1777 und 1778 bestanden, wurden vollständig erlassen, die Originalobligationen sollten ihm ausgehändigt werden • er sollte eine Zahlung von 20.000 fl in bar bis spätestens zur nächsten Frankfurter Ostermesse vom Haus Erbach erhalten • die zu den durch Ludwig Heinrich per Fideikommiss den legitimen männlichen Nachkommen verschriebenen Kapitalien von knapp über 25.000 fl gehörigen Dokumente, die sich bislang im Besitz der andern Erben befunden hatten, sollten vollständig übergeben werden, alle durch die Allodialerben daran erhobenen Ansprüche wurden aufgegeben • alle zum Allodialvermögen gehörigen Güter und Gebäude, die in der Grafschaft Solms-Rödelheim lagen, wurden auf ewig an den regierenden Grafen abgetreten • im Gegenzug versprach Johann Ernst Karl, alle über diese Vereinbarung hinaus vorhandenen Vermögenswerte als vollständig zum Allodialerbe gehörig anzuerkennen, seine Ansprüche daran aufzugeben und darauf hinzuwirken, dass der Arrest aufgehoben und der Prozess vor dem Reichskammergericht beendet werde • außerdem erkannte er das brüderliche Testament in allen Punkten an und verpflichtete sich, die auf dem Land und dem väterlichen Fideikommiss liegenden Passiva vollständig zu übernehmen. Insgesamt waren Johann Ernst Karl also in diesem Vergleich knapp 100.000 fl zuzüglich der Immobilien zugesprochen worden, aller weiteren Ansprüche hatte er sich jedoch begeben. Auch wenn die Klärung einzelner Fragen noch mehrere Jahre in 592 Zu allen folgenden Punkten siehe Vergleich zwischen Graf Johann Ernst Karl und den Allodialerben vom 20.2.1784, HStAD F 24 A 39/4. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 152 Anspruch nehmen sollte,593 war damit die Auseinandersetzung um das Erbe Graf Wilhelm Karl Ludwigs weitgehend beendet. Zugleich kann der Vergleich von 1784 als Schlusspunkt der beinahe 60 Jahre währenden Auseinandersetzung um die Weitergabe von Herrschaft und Besitz gelten, die die Grafschaft Solms-Rödelheim im 18. Jahrhundert so maßgeblich geprägt hatte. 3.4 Ergebnisse Der obrigkeitliche Druck auf die Untertanen, der sich in Verordnungen, Verboten und Strafen ausdrückte, nahm im späten 17. und im 18. Jahrhundert zu; die „Gute Policey“, die damit sichergestellt werden sollte, wurde von Regierung und Regent definiert als christliche, d.h. vor allem sparsame und in jeder Hinsicht maßvolle Lebensführung, Gehorsam allen Instanzen der Landesherrschaft gegenüber, Schutz der Grafschaft vor allen Arten von Bedrohungen wie umherziehende Personen, Räuber und Feuer sowie Kontrolle der bäuerlichen Nutzung von Wiesen, Wäldern und Allmeyen „zum gemeinen Besten“, vor allem aber zur Wahrung der gräflichen Interessen. Während die Zahl der Normsetzungen stieg, war ihr Inhalt – analog zur „klassischen“ Policeygesetzgebung anderer frühneuzeitlicher Territorien – eher konservativ und statisch; Fürstenspiegel, u.a. die Werke Veit Ludwig von Seckendorffs, gehörten wie selbstverständlich zur Bibliothek der Regenten.594 Sie beschreiben eine Tradition des protestantischen patriarchalischen Kleinterritoriums, die in Solms-Rödelheim bis zur Mediatisierung fortlebte: die Erhaltung überlieferter Rechte und der „Gute Ordnung“ waren die Perspektive obrigkeitlichen Handelns, nicht der Versuch, mit allen Mitteln zu „absoluter“ Macht zu gelangen.595 Dazu konnte es u.U. bereits genügen, entsprechende Verordnungen und Gesetze zu erlassen und ihre Umsetzung lediglich exemplarisch und von Zeit zu Zeit zu 593 Im wesentlichen ging es bei den juristischen Konflikten der folgenden Jahre um die Frage, ob Ansprüche, die Dritte gegenüber Graf Wilhelm Karl Ludwig gehabt hatten, durch den Nachfolger in der Landesherrschaft oder durch die Allodialerben zu befriedigen seien, vgl. Forderung der Erben des Barthel Heyd aus einer Schuldverschreibung Ludwigs und Ludwig Heinrichs von 1715 (1784-85), HStAD F 24 A 41/3 und Forderung des Georg Ludwig Pflug zu Niederwöllstadt über Erbleihe (1780- 85), HStAD F 24 A 42/4 u.v.m. 594 Vgl. Beilage zum Testament Wilhelm Karl Ludwigs vom 22.8.1769, HStAD F 24 A 28/3, und Inventar über das Erbe Gräfin Wilhelmine Christines ab 1760, ASR 509. 595 Vgl. zu Werk und Wirkung v. Seckendorffs MICHAEL STOLLEIS, Veit Ludwig von Seckendorff, in: Michael Stolleis (Hg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 1995, S. 148-171, v.a. S. 152 ff. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 153 überwachen, ohne eine strikte und konsequente Durchsetzung in allen Fällen erzwingen zu wollen. Das hätte den Konsens mit den Untertanen gefährdet und einen hohen administrativen, personellen und damit auch finanziellen Aufwand bedeutet, war jedoch einem Konzept SCHLUMBOHMS zu Folge möglicherweise gar nicht unbedingt nötig: die Obrigkeit erwies sich bereits dadurch als gute Obrigkeit, dass sie Gesetze erließ, und konnte auf deren praktische Anwendung oft verzichten. Parallel zu der Intensivierung der gesetzgeberischen Tätigkeit verlief der Ausbau der Zentralverwaltung am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im Aufbau den Administrationen anderer kleinerer reichsunmittelbarer Territorien sehr ähnlich,596 aber zeitlich deutlich nach hinten versetzt, entstand eine dreizügige hierarchisch geordnete Verwaltung mit Kanzlei, Rentkammer und Konsistorium als Überbau für die bereits lange existierenden Ämter. Erst in den Jahren um 1750 sind Versuche nachzuweisen, deren Arbeit systematisch durch eine Geschäftsordnung zu strukturieren; möglicherweise hatte der Arbeitsaufwand und die überschaubare Zahl der Amtsträger vorher eine solche Maßnahme nicht erfordert. Denn auch personell wuchs die Regierung in Rödelheim an, so dass Graf Volrat um 1800 über mindestens drei Mal mehr Räte, Sekretäre und Assessoren verfügte als sein Großvater Ludwig Heinrich einhundert Jahre zuvor. Zunehmend hatten die Räte Aufgaben übernommen, die ursprünglich den Amtmännern und Kellern zugefallen waren, so dass von einer gewissen Zentralisierung auszugehen ist. Es drängt sich vielfach der Eindruck auf, dass die Zahl der Amtsträger und die gesteigerte Verordnungs- und Kontrolltätigkeit, durch die sich die Untertanen oft gegängelt fühlten, sich gegenseitig bedingten: ein größerer Apparat produzierte mehr Erlasse, deren zunehmende Zahl wiederum einen größeren Apparat erforderte u.s.f.. Dieser Ausbau der Verwaltung stand stets unter dem Vorzeichen und in Diensten des Persönlichen Regiments, das ein zentrales Strukturprinzip der Reichsgrafschaft im 18. Jahrhundert darstellte. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hatten Solmser Grafen regelmäßig in auswärtigen Diensten gestanden und ihre Grafschaft z.T. nur sehr selten betreten. Zudem war Rödelheim oft nur ein Teil einer anderen Herrschaft und damit eher an der Peripherie als im Zentrum gewesen. Das änderte sich, als unter Johann August ab ca. 1650 Solms-Rödelheim wieder eine selbständig verwaltete Reichsgrafschaft wurde und mit den Brüdern Ludwig und Ludwig Heinrich ab 1695 zwei Regenten wieder dauerhaft in Rödelheim bzw. 596 Vgl. u.a. MÜLLER, Gemeinden und Staat, S. 89 ff. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 154 Assenheim residierten, die mehr Zeit und Interesse für die Administration als für eine auswärtige Militärlaufbahn aufbrachten. Die persönliche Anwesenheit dieser Grafen und ihrer Nachfolger sowie ihre Beteiligung am Alltagsgeschäft bis hin zur unbedeutendsten Kirchenstrafe bedeutete gegenüber der dauerhaften Absenz ihrer Vorfahren im vorhergehenden Jahrhundert eine erhebliche Intensivierung von Herrschaft und Kontrolle. Die in der kleinen Grafschaft ohnehin kurzen Wege wurden damit noch kürzer. Das hieß auch, dass hier keine Entwicklung zu überpersonaler „Staatlichkeit“ stattfand, sondern Ziele und Wege der Politik unmittelbar vom Regenten abhingen. Deren Spielräume waren erheblich, so lange sie bestimmte Grenzen zumindest formell respektierten. Insofern ist dem Urteil RUDOLF VIERHAUS´ zuzustimmen, dass „gerade im Kleinstaat, in dem es keine mächtigen Landstände, vor allem keinen einflussreichen, unabhängigen, eingesessenen Adel gab, günstige Voraussetzungen“ für die regierenden Patriarchen bestanden, die „kirchlichen und rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse“597 zu verbessern. Ob und in wie weit diese Voraussetzungen tatsächlich genutzt werden konnten, hing von der Interessenlage des Regenten ab – und von seiner Fähigkeit, mit seinen Untertanen zu interagieren. Die Perspektive reichsgräflicher Landesherrschaft im 18. Jahrhundert war, die „gute Ordnung und Policey“ sicherzustellen und finanzielle Probleme in den Griff zu bekommen bzw. die Herrschaft ökonomisch zu nutzen. Dazu war man einerseits gezwungen, angesichts eigener Durchsetzungsschwäche den Grundkonsens mit den Untertanen nicht zu gefährden, andererseits musste vielfach der Ausbau der Landeshoheit der Gewinnmaximierung geopfert werden, wie sich bereits gezeigt hat. Dem persönlichen Regiment im Bereich der Herrschaft entsprach eine Ökonomie mit starker personaler, das bedeutet in erster Linie: domanialer Komponente im Bereich der Finanzen und der Wirtschaft. Es gab zwar in der Theorie durch die Etablierung einer an anderen Territorien orientierten Administration mit festgelegten und immer weiter ausdifferenzierten Kompetenzen eine überpersonale Struktur, die die Praxis aber nicht immer widerspiegelte. Das zeigt sich z.B. an der Verfügungsgewalt über Gelder durch die Regenten – Graf und Grafschaft waren eins, es gab keine Rechnungsführung außerhalb der gräflichen, keine „Landschafts- oder „Ständekasse“, die der Kontrolle und dem Zugriff des Landesherren entzogen gewesen wäre. Lediglich die Gemeinden verfügten über 597 VIERHAUS, Staaten und Stände, S. 26. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 155 eigene Rechnungen und Kassen, ansonsten waren die Ökonomie der Landesherrschaft und diejenige des Regenten strukturell auf das Engste verwoben. Eine ansatzweise Trennung existierte zwar seit der Einführung der Landkasse, aber trotzdem erfolgte die Finanzierung vieler „öffentlicher“ Ausgaben aus der Schatulle, andererseits gab es stets Entnahmen zugunsten der Schatulle oder für persönliche Ausgaben aus allen Kassen einschließlich der Landkasse. Die Ökonomie der Reichsgrafschaft war also bis ins späte 18. Jahrhundert hinein von der der Reichsgrafen nicht zu trennen. Spricht man für den Bereich der Herrschaft vom „persönlichen Regiment“ der Grafen, erscheint es angemessen, analog dazu von „persönlicher Ökonomie“ im wirtschaftlichen Bereich zu sprechen. Persönlich darf in diesem Zusammenhang aber nicht mit Privat verwechselt werden, da ein Graf praktisch nie privat war.598 Insofern waren alle seine Ausgaben gleichzeitig grundsätzlich öffentliche Ausgaben. Lediglich das Haus- und Familienrecht kannte eine Unterscheidung in Form der Abgrenzung von Feudal- und Hausgut zu Allodialgut. Diese Unterscheidung gewann durch die Entkoppelung von Herrschaft und gräflicher Ökonomie bei dem „Sonderfall“ des Grafen Wilhelm Karl Ludwig eine besondere Bedeutung und führte dazu, dass die reichsgräfliche Ökonomie eine sehr speziellen Einschlag erhielt und zunehmend auf die Vergrößerung des Allodial- zu Ungunsten des Feudal- und Hausguts ausgerichtet war. So gelang es dem Regenten, den Teil seines Erbes, über den er testamentarisch verfügen konnte, sehr zu vergrößern. Dass sein Allodialbesitz so stark anstieg, war v.a. deshalb möglich, weil er auf eine teure „Staatsbildung“ und auf notwendige Investitionen nicht nur in eine Modernisierung, sondern sogar in die Erhaltung der Infrastruktur im weitesten Sinne verzichtete. Möglich war die Ansammlung eines größeren Vermögens auch, weil die Einnahmen des Grafen im Verlauf des 18. Jahrhunderts signifikant anstiegen. Daran waren Steuern unterdurchschnittlich stark beteiligt. In der modernen Finanzgeschichte ist es Konsens, dass die Steuersysteme sich schrittweise entwickelt haben und der „Steuerstaat“ an unterschiedlichen Orten ganz unterschiedlich weit entwickelt war.599 Wenn man das annimmt, war Solms-Rödelheim sicher eines der 598 Vgl. bereits die Abgrenzungsschwierigkeiten bei SECKENDORFF nach VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff, S. 359-362. 599 BONNEY, Introduction, S. 3. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 156 Territorien in Europa, das ganz am Anfang der Entwicklung stand.600 Generell ist die von der Finanzgeschichte so stark betonte Bedeutungszunahme der Steuern für die Finanzierung frühneuzeitlicher Territorien m.E. kritisch zu hinterfragen,601 für Solms-Rödelheim ist sie beinahe gänzlich zu verneinen. Steuern sind hier im wesentlichen durchlaufende Posten zur Finanzierung von Kreis, Reich und dem Militär; für die Landesherrschaft insgesamt waren sie bis zuletzt zweit- oder sogar drittrangig, vielmehr blieb es hier bei der „Domänen“finanzierung, also der zentralen Bedeutung von Grundherrschaft und –besitz. In diesem Sinne könnte man der durch die Finanzgeschichte erarbeiteten Typologie, die als die zwei Extreme frühneuzeitlicher Finanzverwaltung a) ständisch-patrimonialer Finanzverfassung in mittleren und kleinen Territorien, wo die Stände große Mitspracherechte behielten, und b) absolutistische Finanzverfassung ohne ständische Mitsprache annimmt,602 also einen dritten Extremtypus hinzufügen, nämlich die c) patrimoniale Finanzverfassung ohne Stände, mit großer Bedeutung des Domaniums und kleinem Steueraufkommen. Vor diesem Hintergrund ist auch der in Forschung und Publizistik seit dem 18. Jahrhundert verbreitete Vorwurf gegenüber kleineren Reichsständen zu bewerten, ihr Zwergterritorium habe nicht ausgereicht, den aufwändigen Regierungs- und Repräsentationsstil der Landesherrn zu finanzieren. Hier sei zum einen noch einmal darauf hingewiesen, dass der Umfang der Landesherrschaft wenig aussagt über die Einnahmen, die wie gezeigt v.a. auf dem Domanium basierten. Zum zweiten ist stets kritisch zu hinterfragen, ob die finanzielle Lage größerer Territorien per se besser war. Vergleichsweise sei kurz die Situation nach der Mediatisierung erwähnt. Graf Volrat antwortete im Jahr 1813 seinem Kammerdirektor Buff, der sich erleichtert geäußert hatte, dass die finanziellen Lasten der zu dieser Zeit vielfältig vorgenommenen Einquartierungen in Rödelheim durch einen größeren Staat – Hessen-Darmstadt – getragen würden: wenn dieser größere Stat zu unsern Schulden konkurrirt – wenn (??) – müssen wir denn nicht auch zu den Seinigen konkurriren? Wenigstens wir konkurriren zu seinem (car l´etat – c´est moi – sagte einst ein 600 Vgl. ULLMANN, Steuerstaat, S. 15. 601 Vgl. zum Beispiel der Landgrafschaft Hessen jüngst den Vortrag von Jochen Ebert auf der Tagung „Hofwirtschaft. Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit“ der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 23. bis 26.09.2006 auf Schloss Gottorf, vgl. auch den Abstract EBERT, Hofversorgung. Ebert weist nach, dass – geradezu im Widerspruch zu den Ergebnissen von KRÜGER, Finanzstaat – die Domänenwirtschaft ein wichtiges Instrument für die Kasseler Landgrafen bis ins 18. Jahrhundert hinein blieb. 602 ULLMANN, Steuerstaat, S. 16. Struktur und Administration von Ökonomie und Herrschaft 157 glänzender Despot) auch jezt (wo Könige sich beschränken) nicht eingeschränkten, nein vermehrten Luxus.603 Auch wenn man annehmen darf, dass der mediatisierte Reichsgraf sich hier einer gewissen Polemik nicht enthalten hat, zeigen seine Überlegungen doch auch auf, dass ein größeres Territorium per se weder rationaler noch erfolgreicher gewirtschaftet hat, sondern oft zwar größere Einnahmen, aber auch ungleich größere Ausgaben und deshalb nicht automatisch mehr Erfolg als eine sparsam verwaltete, auf das Domanium des Landesherrn gestützte Grafschaft hatte. 603 Schreiben Graf Volrats an Kammerdirektor Buff vom 31.12.1813, zitiert nach ISENBURG, Um 1800, S. 307. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 158 4 Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz Während der Verlust von Hausgut an andere Stände schon frühzeitig durch die Solmser Erbeinung weitgehend verhindert werden konnte,604 bestand ein anderes, mindestens ebenso drängendes Problem bis ins späte 17. Jahrhundert fort: die Teilung der Grafschaften unter alle erbberechtigten Nachkommen, die im Fall von Solms zur Entstehung von zeitweise mehr als zehn einzelnen Linien geführt hatte. Diese Teilungen bezogen sich sowohl auf die Gebiete der Landesherrschaft als auch auf das Domanium und bedeuteten potentiell einen immer kleineren Besitz. Damit entstand vor allem in ökonomischer Hinsicht oft eine schwierige Situation, da die Ressourcen zunehmend knapper wurden.605 Mit Graf Johann August musste ab 1653 schon der Begründer der neuen Rödelheimer Linie des Hauses Solms die Erfahrung äußerster Geldnot machen. Er hatte sich die in kleinen Teilen in vielen unterschiedlichen Händen befindliche Grafschaft Rödelheim zusammenkaufen müssen und befand sich in Folge dessen praktisch ständig am Rand der Zahlungsunfähigkeit.606 Eine der wesentlichen Herausforderungen, denen sich die Erben und Nachfolger Johann Augusts zu stellen hatte, war angesichts der Diversität und Marginalität der Solms-Rödelheimer Lande und der knappen ökonomischen Basis die Arrondierung und Erweiterung des reichsgräflichen Besitzes.607 Dieses Ziel kam deutlich zum Ausdruck beispielsweise im Testament Graf Wilhelm Karl Ludwigs von 1727, der seinen Erben empfahl, darauf hinzuarbeiten daß sie mehrers Land bekämen.608 Das bedeutete zunächst die Verdrängung von Mitherrschaften und den Versuch, aus den vielfach durchbrochenen Rödelheimer Gebieten ein möglichst geschlossenes 604 Vgl. Kapitel 4 sowie Erb-und BrüderEinigung der samtlichen Graffen zu Solms vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1, vollständiger Text im Anhang. 605 Vgl. WOLFF, Grafen und Herren, S. 342. 606 Vgl. die ausführliche Darstellung der Korrespondenz Johann Augusts mit seinen Brüdern in Sachsen, deren zentrales Thema immer wieder die Bitte um Geld war, bei SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 315-323. 607 Zu diesen Bestrebungen vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1, S. 16 ff. 608 Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 159 Ganzes zu machen. Es bedeutete aber vor allem auch die Vergrößerung der eigenen Ökonomie und Herrschaft. Das bezog sich sowohl auf die Landes- wie auf die Grundherrschaft der Grafen. Die wichtigsten Strategien dazu, die sich angesichts der geschilderten Bedrohungen als regelrechte Überlebensstrategien erweisen, sollen deshalb eingangs dargestellt und daraufhin untersucht werden, ob und wie sehr sie erfolgreich waren. Darüber hinaus mussten die Grafen sicherstellen, dass die so erzielten Zugewinne nicht anlässlich des nächsten Erbfalls wiederum in so viele Teile zerfielen, wie erbberechtigte Kinder vorhanden waren. Für die Lösung dieses Problems der intergenerationellen Weitergabe von Herrschaft und Besitz existierten im Haus Solms mehrere Modelle, die sämtlich innerhalb von zwei Generationen zur Anwendung kamen. Sie sind als Versuch zu werten, den Herausforderungen zu begegnen, und sollen dem entsprechend im zweiten Teil des Kapitels ausführlich dargestellt werden. Letztendlich, so wird sich erweisen, wurde die Primogenitur auch in Solms-Rödelheim eingeführt, womit natürlich der Primogenitus als Alleinerbe der Herrschaft und der wesentlichen Teile des Besitzes ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Aber auch die Rolle des Sekundogenitus wurde dadurch verändert, was bislang durch die Forschung wenig gewürdigt worden ist, was jedoch einige Konsequenzen sowohl für den Betroffenen selbst als auch für den Regenten hatte, die abschließend exkursartig dargestellt werden. 4.1 Arrondierungen und Erweiterungen Militärische Eroberungen mit diesem Ziel waren in der Frühen Neuzeit zwar nicht unüblich, stellten für die kleineren und kleinsten Reichsstände aufgrund sehr begrenzter militärischer Macht – Solms-Rödelheim stellte im Regelfall gerade eine halbe Kompanie,609 die fest in die Strukturen der oberrheinischen Kreistruppen eingebunden war und deshalb kaum selbstständig handlungsfähig war – aber keine ernst zu nehmende Option dar. Aus dem gesamten 18. Jahrhundert ist nur ein einziges Beispiel bekannt, bei dem das Rödelheimer Militär eine aktive Rolle für die reichsgräfliche Politik spielte: während eines Besitzstreits um Anteile an Laubach befand sich Ludwig Heinrich von Solms-Rödelheim gleichzeitig mit Graf Friedrich 609 1715 waren es ausser dem Kapitän 18 Personen, vgl. Zahlungs-acta über das hochgr. Solms Rödelheimische Contingent vom Mai 1715, HStAD F 24 B Nr. 402/4. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 160 Ernst von Solms-Laubach im Januar 1700 in Laubach. In seiner Begleitung befanden sich auch 10 Rödelheimer Soldaten, und es ging das Gerücht in der Stadt, dass noch mehr kämen. Friedrich Ernst fühlte sich dadurch bedroht und stellte Ludwig Heinrich zur Rede, worauf dieser antwortete, die Soldaten seien ausschließlich zu seiner Verteidigung, das stehe ihm als Mitregent zu. Es kam in der Folge zu keiner weiteren Auseinandersetzung, der Streit konnte durch einen Vergleich beigelegt werden. 610 Sieht man von dieser militärischen Drohgebärde, um die es sich bei der Aktion handelte, ab, waren es im wesentlichen fünf Wege, auf denen sich die Arrondierung oder auch Vergrößerung des eigenen Besitzes erreichen ließ: Zukauf, Tausch, Neubelehnungen/Schenkungen, Heimfall oder Einzug von Aktivlehen und Erbschaften durch Heiratsverbindungen. 4.1.1 Kauf und Tausch, Schenkungen, Lehen und Erbverträge Ein Weg zur Arrondierung und Vergrößerung der Besitzungen war der Kauf, durch den sowohl Güter als auch Rechte und Gefälle erworben werden konnten. Durch den Ankauf von Ländereien und Gärten erwarben die Solmser Grafen in der Regel nicht große Gebiete, sondern vor allem kleine und kleinste Stücke wie den Baumgarten in Rödelheim, den 1617 Graf Friedrich für 70 fl vom dortigen Pfarrer Erasmus Siedelmann kaufte.611 Ein Ankauf fand dabei bevorzugt in den eigenen und gemeinschaftlichen Orten oder zumindest in deren unmittelbarer Nähe statt, während abseits gelegene Besitzungen und Rechte eher verkauft wurden. Als besonders auf den Erwerb von Land und Gütern bedacht erwies sich Graf Ludwig Heinrich, der bis zu seinem Tod 1728 allein vier freiadelige Güter, mehrere Äcker und Wiesen, einen Weinberg, zwei Teiche, ein Waldstück und ein Brauhaus für insgesamt 12453 fl612 und zusammen mit seinem Bruder Ludwig das ehemalige v. Diedesche Gut in Ossenheim kaufte.613 Zwar verteilte er testamentarisch einen Teil davon an seine Töchter, bestimmte jedoch gleichzeitig, dass dasjenige, was Ich im Land erkaufft, 610 Vgl. Bericht des Notars Ranck über den Konflikt (ohne Tag und Monat, nur Jahresangabe 1700), HStAD F 24 A 815-1. 611 Vgl. Quittung über die Kaufsumme vom 20.1.1617, HStAD B 9 1217. 612 Vgl. Eigenhändig verfasste Übersicht über gekaufte Güter und ausgeliehen Kapitalien Ludwig Heinrichs (o.D., um 1727), ASR 469 sowie Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239. 613 Vgl. Kaufurkunde zwischen den Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich sowie Georg Ludwig Diese zum Fürstenstein vom 30.4.1715, HStAD B 9 1417 sowie Entwurf für den Kaufvertrag HStAD F 24 C 295/3. Die Kaufsumme betrug 8000 fl. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 161 nehml. Häußer, brauhäußer, Item bey dem Wirth Melosch, und was noch mehr seyn mag, denen drey Söhnen bey dem Land verbleiben solle. So konnte er den Besitz Solms-Rödelheims effektiv vergrößern. Im Gegensatz zu Grund und Boden und Immobilien wurden hoheitliche Rechte und daraus resultierende Einkünfte, wenn sie nicht allodial waren, meist als Lehen durch Reichsfürsten oder den Kaiser vergeben; deshalb stand den jeweiligen Eigentümern keine beliebige Disposition darüber zu.614 Trotzdem konnten sie mit Zustimmung des Lehnsherrn und, wenn es sich nicht um Eigengüter eines Grafen, sondern um Hausgüter einer adeligen Familie handelte,615 der Agnaten verkauft werden. Auf diese Weise war bereits der große und kleine Zehnt zu Okarben 1615 für eine Summe von 1000 fl an Graf Friedrich von Solms616 gekommen. 1741 kaufte Graf Wilhelm Karl Ludwig das Bauernheimer Hubengericht für 700 fl von Volprecht Friedrich Freiherr Riedesel zu Eisenbach.617 Einfacher als ein Ankauf von Besitzungen anderer Stände war das Verfahren bei einem Kauf innerhalb des Hauses, da in diesem Fall weder eine Neubelehnung – es wurde ohnehin in den meisten Fällen nicht ein Individuum, sondern das ganze gräfliche Haus damit belehnt – noch der agnatische Konsens erforderlich war, da ja keine „Veräußerung“ im Sinne der Eigentumsübertragung an Personen außerhalb des Hauses stattfand. Der Kauf war deshalb das Mittel der Wahl, wenn innerhalb der Familie verstreuter Besitz arrondiert werden sollte. Bereits die Entstehung der neuen Rödelheimer und Laubacher Linien war das Ergebnis verschiedener Käufe innerhalb des Hauses: Nach dem erbenlosen Tod Graf Friedrichs von Solms-Rödelheim (*30.11.1574 +5.9.1635),618 spätestens aber nach dem Ableben seiner Ehefrau Anna 614 Vgl. dazu Kapitel 2.3.2 zu den „Lehnsbeziehungen“. 615 Das „Hausgut“ war Eigentum, das nach den Bestimmungen der Hausgesetze oder einem separat darüber errichteten Fideikommiss nicht dem Besitzer persönlich, sondern der Gesamtheit des hochadeligen Familienverbands zustand und deshalb nicht ohne dessen Zustimmung veräussert werden durfte, vgl. dazu auch das entsprechende Kapitel unten. 616 Vgl. Quittung über eine Abschlagszahlung von 100 fl für den Verkauf des Okarber Zehnten und eines Hauses zu Assenheim durch Philipp Wilhelm und Johann Eustachius Specht von Bubenheim an Friedrich von Solms vom 2./12.1.1615, HStAD B 9 1202. 617 Vgl. Urkunde über den Erbkauf zwischen Graf Wilhelm Karl Ludwig von Solms und Volprecht Friedrich Freiherr Riedesel zu Eisenbach auf Ludwigseck und Trunsbach vom 17.4.1741, HStAD B 9 1484. Die Kaufsumme betrug 700 fl. 618 SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 259 gibt als Todesjahr fälschlicherweise 1649 an; es war dies aber das Jahr des Todes seiner Ehefrau. Möglicherweise hat der Umstand, dass Friedrichs Besitz erst nach dem Tod seiner Frau, also nach 1649, an seine Erben gelangte, zu diesem Missverständnis geführt. Insgesamt erweist sich Solms-Laubachs Darstellung der Territorial- und Besitzgeschichte Rödelheims in diesem und den folgenden Abschnitten als äusserst unzuverlässig, in weiten Teilen auch völlig unzutreffend. Das Jahr 1635 als Todeszeitpunkt Friedrichs geht aus der weiteren Literatur hervor, vgl. EMIL HARTMANN und PAUL SCHUBERT, Alt-Rödelheim. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 162 Maria von Solms geb. von Hohengeroldseck (*28.10.1593 +25.5.1649) war die Grafschaft Rödelheim an seine sechs Neffen in Sonnewalde, Baruth und Laubach gefallen.619 In der Folgezeit brachte der älteste Sohn der Baruther Linie Johann August (*21.6.1623 +28.11.1680) durch einen Vergleich mit seinen Brüdern 1652 gegen einen Verzicht auf Baruth und Wildenfels und ein jährliches Deputat von 400 Rtlr deren drei Anteile,620 nach einem erneuten Vergleich 1653 mit seinem Cousin Georg Friedrich von Solms-Sonnewalde (*26.9.1625 +26.7.1688) im Ausgleich für Schuldforderungen i.H.v. etwa 20.000 Rtlr auch dessen Teil der Ämter Rödelheim, Petterweil und Assenheim in seinen Besitz.621 Seit dieser Zeit regierte und wohnte er in Rödelheim, das nun zu 5/6 ihm gehörte.622 1676 starb der Besitzer des letzten verbliebenen Sechstels,623 Karl Otto von Solms-Laubach (*22.8.1633 +6.8.1676), ohne erbberechtigte Nachkommen. Sein Versuch, das Erbe testamentarisch an seinen Schwiegersohn Heinrich von Solms-Braunfels weiterzugeben, scheiterte am Widerstand seiner nächsten männlichen Verwandten,624 und die Verlassenschaft fiel nach einem durch den Erzbischof von Mainz als kaiserlichen Beauftragten gestifteten Vergleich für eine Ausgleichszahlung von 8.000 Rtlr.625 vollständig an seine Cousins; außer Johann August waren dies Johann Friedrich (*19.2.1625 +10.12.1696), Friedrich Siegmund (auch: Sigismund, *28.6.1627 +7.1.1696) und Ein Heimatbuch, Frankfurt 1983, S. 68. Es kann anhand der vorliegenden Quellen nur indirekt über die Tatsache verfifiziert werden, dass nach1635 Dokumente nicht mehr von ihm, sondern durch Anna Maria unterzeichnet und gesiegelt wurden, vgl. u.a. Deduktionsschrift der Gräfin Anna Maria von Solms geb. von Hohengeroldseck an die vorderösterreichische Regierung 1636, GLAK 111/3. 619 Jakob, der letzte Herr von Geroldseck, hatte sich von 1603 bis 1633 bemüht, seine Reichslehen auf seine Tochter Anna Maria übertragen zu lassen, vgl. Bemühungen Jakob von Hohengeroldsecks um Übertragung der Reichslehen an seine Tochter, GLAK 111/49. Daran anschliessend versuchte diese, ihre Ansprüche gegen den Lehnsherrn Österreich durchzusetzen, die die Herrschaft nach 1634 an die Grafen von Kronberg verliehen hatten, vgl. dazu u.a. GÜNTHER HASELIER, Die Oberrheinlande, in: Georg Wilhelm Sante (Hg.), Geschichte der deutschen Länder: "Territorien-Ploetz", Bd. 1 (Die Territorien bis zum Ende des Altens Reichs), Würzburg 1964, S. 267-290, hier S. 283 und MAX MILLER (Hg.), Handbuch der historischen Stätten Deutschlands Bd. 6 (Baden-Württemberg), Stuttgart 1980, S. 252. Zur Klärung der Ansprüche wurde 1640 eine Kommission eingesetzt, vgl. Unterlagen der Kommission zur Klärung der Ansprüche Anna Marias von Hohengeroldeck auf Hohengeroldseck 1640-48, GLAK 111/73. 620 Vgl dazu Vergleichsurkunde Anna Marias von Solms geb. von Erbach und ihrer vier Söhne vom 5.4.1652, HStAD B 9 1280. 621 Vgl. Vergleich Johann Augusts und Georg Friedrichs von Solms vom 25.8.1653, HStAD B 9 1284. 622 In den folgenden Jahren bemühte sich Johann August, seinen Besitz vertraglich abzusichern, und vereinbarte deshalb mit seinen Brüdern 1665, dass er selbst Rödelheim behalten, die anderen Wildenfels und Baruth bekommen sollten, siehe dazu Urkunde über den brüderlichen Vergleich vom 30.10.1665, HStAD F 24 B 3/16. 623 Siehe zur Entwicklung der Besitzverhältnisse an Rödelheim und Laubach im 17. Jahrhundert u.a. die Tabelle im Anhang 2, sowie die Deszendententabelle Johann Georgs von Solms-Laubach ebd. 624 Johann August war in dieser Auseinandersetzung mit Heinrich von Solms-Braunfels der Bevollmächtigte seiner Brüder und seines Cousins Georg Friedrich, vgl. Vollmacht für Graf Johann August von Solms vom 18.2.1677, HStAD B 9 1799. 625 Siehe dazu Vergleichsurkunde Erzbischof Damian Hartrads von Mainz, Heinrichs von Solms- Braunfels sowie Johann Augusts von Solms Rödelheim vom 7.6.1678, HStAD B 9 1323. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 163 Johann Georg (30.4.1630 +18.8.1696), die Söhne Johann Georgs II. zu Baruth (*19.11.1591 +4.2.1632), sowie Georg Friedrich von Sonnewalde (*1625 +26.6.1688). So wurde nicht nur ganz Laubach, sondern auch das Sechstel von Rödelheim, das im Besitz Karl Ottos gewesen war, in fünf Teile geteilt. Johann Friedrich kaufte in den folgenden Jahren zu seinem eigenen noch die drei anderen Anteile an dieser Erbschaft von seinen beiden jüngeren Brüdern und seinem Sonnewalder Cousins hinzu und hinterließ so bei seinem Tod seinem Sohn Friedrich Ernst, dem ersten in Laubach residierenden Grafen der „neuen“ Linie, 4/5 von Laubach und 4/30 von Rödelheim. Johann August hingegen besaß seit 1678 26/30 von Rödelheim und 1/5 von Laubach. Auf diese Weise war durch Kaufgeschäfte innerhalb des Hauses Solms nicht nur die Grundlage für die das gesamte 18. Jahrhundert hindurch bestehende territoriale Struktur der Solmser Grafschaften Laubach und Rödelheim und für die bis heute existierenden Häuser Solms-Laubach und Solms-Rödelheim (Assenheim) gelegt, sondern auch durch die über Kreuz verflochtenen Besitzverhältnisse die Basis für den ein Vierteljahrhundert währenden Konflikt zwischen den beiden Grafschaften um Aufteilung und Ausübung von Herrschaft geschaffen worden. Ein weiteres Beispiel für solche innerfamiliären Transaktionen war die Augustusburg, ein Gutshof in der Nähe von Praunheim. Graf Johann August (*21.6.1623 +28.11.1680) hatte ihn 1676 von Johann Erasmus Seyffart von Klettenberg erworben und samt Rechten und Diensten allen seinen Kindern gemeinsam vererbt.626 Ludwig Heinrich kaufte seiner Schwester Eleonora Magdalena (*1.9.1663 +1703) ihren Anteil im Oktober 1695 für 300 fl ab;627 den der zweiten Schwester Anna Maria (*22.5.1660 +8.4.1713) hatte er bereits Ende 1694 für 40 Dukaten und eine diamantbesetzte Schlange gekauft,628 und in den nächsten Jahren gelang es ihm, auch die Anteile der anderen Geschwister zu erwerben,629 so dass es schließlich vollständig in sein Eigentum übergegangen war. 626 Vgl. Urkunde über den Kaufvertrag zwischen Graf Johann August und Johann Erasmus Seyffart von Klettenberg vom 17.3.1676, HStAD B9 1317 und das Testament Graf Johann Augusts 15.3.1676, HStAD F 24 A 815/2, in dem es unter der Bezeichnung „der Klettenberg“ allen Geschwistern gleichermassen zugedacht wird. 627 Vgl. Urkunde über den Kaufvertrag zwischen Ludwig Heinrich und Eleonora Magdalena vom 30.10.1695, HStAD B 9 1363. 628 Vgl. Kaufurkunde zwischen Gräfin Anna Maria und Graf Ludwig Heinrich vom 10.12.1694, HStAD B 9 1354. 629 Insgesamt sind sechs Urkunden erhalten, die die Transaktion der Geschwister belegen. Obwohl es sich um Kaufgeschäfte handelte, scheint – der finanziellen Situation Ludwig Heinrichs entsprechend – sehr wenig Bargeld, wahrscheinlich nicht mehr als 1000 fl, geflossen zu sein; vielmehr handelte es Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 164 Das Prinzip des Tauschs beruhte auf dem Umstand, dass nicht nur Solms- Rödelheim, sondern auch andere Reichsstände über Streubesitz in der näheren und weiter entfernten Umgebung verfügten. Hatte ein Graf, ein Fürst oder eine Reichsstadt einzelne Rechte und Gefälle, die geographisch oder administrativ630 einem zweiten Reichsstand näher lagen und andersherum, so war bei annähernder Gleichwertigkeit der Ansprüche ein Tausch, ggf. mit Wertausgleich, in beiderseitigem Interesse. Beispielsweise wurden schon 1569 aus diesem Grund alle Ansprüche der Reichsstadt Frankfurt an Rödelheim gegen den Solmser Anteil an Niederrad getauscht und Rödelheim nach dem vorher erfolgten Ankauf der verbliebenen Teile der Herren von Kronberg und Praunheim damit zu einem „privativen“, d.h. von Mitherrschaften freien gräflich solmsischen Ort gemacht.631 Wegen Petterweil verhandelten die Rödelheimer Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich zwischen 1703 und 1729 mit dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt; es war geplant, einen Solms-Braunfelser Anteil am hessischen Ort Butzbach gegen die hessische Hälfte von Petterweil einzutauschen. Allerdings endeten die Verhandlungen, möglicherweise wegen Unstimmigkeiten über zu leistenden Wertausgleich, ohne Ergebnis kurz nach dem Tod Graf Ludwig Heinrichs.632 Ein für Solms besonders wichtiger Tausch regulierte die geschilderte Verflechtung der Besitzverhältnisse an Rödelheim und Laubach; Ende des 17. Jahrhunderts besaßen die Reichsgrafen von Solms-Wildenfels, die sich seit Friedrich Ernst „von Laubach“ nannten, 4/5 von Laubach und 4/30 von Rödelheim, die Solms- Rödelheimer hingegen 26/30 von Rödelheim und 1/5 von Laubach. Nach einem Reskript einer kaiserlichen Kommission von 1693 sollte Laubach gemeinsam von den Linien Wildenfels und Rödelheim administriert, alle Abgaben und Einnahme sich in der Mehrzahl der Fälle um einen Austausch wechselseitiger Forderungen, vgl. die Urkunden HStAD B 9 1352, 1353, 1354, 1358, 1362 und 1363. Den Gesamtwert dessen, was er aufwenden musste, bezifferte er selbst in einer Beilage zu seinem Testament auf 4757 fl, vgl. Übersicht über die Allodialverlassenschaft Ludwig Heinrichs (o.D., um 1727), ASR 469 630 Mit „administrativ naheliegend“ ist hier der Fall gemeint, dass ein Reichstand nur ein einzelnes Recht, z.B. den vierten Teil des Zehnts, in einem abgelegenen Ort besaß, in dem ein anderer Stand über weit mehr Rechte und eine gut ausgebaute Administration, etwa einen Amtmann oder eine Kellerei verfügte. Der Aufwand für die Realisierung dieses Rechts konnte dann für den einen den Ertrag daraus bei weitem übersteigen, während er für den anderen aufrgund der ohnehin vorhandenen Infrastruktur sehr viel geringer wäre. 631 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1, S. 17. 632 Vgl. Kauf- und Tauschverhandlungen wegen Petterweil 1703-1717, HStAD F 24 A 181/3 sowie Schriftwechsel zu den Verhandlungen 1717-1729, HStAD F 24 A 181/1. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 165 aufgeteilt werden.633 Diese gemeinsame Verwaltung funktionierte jedoch offenbar nicht so, wie es vorgesehen war. Friedrich Ernst sei ständig bemüht, das warfen ihm die Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich vor, die Rödelheim um 1700 gemeinsam regierten, ihre Rechte in Laubach zu schmälern: er stelle ihnen nur ein einziges Zimmer im Laubacher Schloss zu Verfügung, keine Küche, keinen Keller und keinen Stall. Er verhindere, dass Rödelheimer Schäfer ihre Schafe auf gemeinschaftlichen Weiden hüten könnten, bebaue die besten Äcker allein, während die gemeinschaftlichen Felder stets die schlechtesten seien, und enthalte den Pferden der Rödelheimer Grafen sogar das Stroh vor.634 Außerdem ziehe er gemeinsame Gefälle allein ein und halte gemeinschaftliche Soldaten zur Befehlsverweigerung gegenüber Rödelheim an.635 Ludwig und Ludwig Heinrich unterbanden ihrerseits, dass Friedrich Ernst die Huldigung der Untertanen für seinen Anteil an der Rödelheimer Herrschaft einnahm. Aufschlussreich war die Begründung dafür: man argumentierte, dass unß die wir bereits 2 Familien constituiren und in der Herrschafft Rödelheim mehr nicht als ohngefehr auf 220 und zwahr mit unsern Hh. Vettern sowohl alß Hessen Darmstadt, Hanau, Isenburg, und Stadt Franckfurth noch gemeinschaft. habende Unterthanen (also von einem kaum 100 Mann zu kähmen) hingegen keine Weid, kein Holtz, keine Wildbahn und Mastungen hätten, da im Gegentheil unser Vetter [...] nebst seiner Herrschaft Wildenfels, bey 700 Unterthanen im Laubachischen und dabeneben die herrliche Viehzucht und Weide, Holtz und Wildbahn, wie auch Bergwerck bekähme. Angesichts dieser Ungleichheit sehe man sich außerstande, weiter die Pflichten gegen Kaiser und Reich zu erfüllen, weshalb man zu eigenmächtigem Vorgehen geradezu gezwungen sei.636 Mit anderen Worten: weil die Ansprüche Friedrich Ernsts juristisch kaum anfechtbar waren, verlegten sich die Rödelheimer Vettern auf ein moralisches Argument, indem zwischen „Recht“ und „Gerechtigkeit“ unterschieden wurde – ohne Erfolg bei Kaiser und Reichshofrat, denn diese konnten 633 Vgl. Supplik Ludwigs und Ludwig Heinrichs an den Kaiser (o.D., ca. 1699), HStAD F 24 A 815/2, in der das Reskript zitiert wird; das Original ist wahrscheinlich nicht erhalten. 634 Darstellung des Rödelheimer Amtsträger J.H.Krug (o.D., um 1700), HStAD F 24 A 52/5. 635 Vgl. Supplik Ludwigs und Ludwig Heinrichs an den Kaiser (o.D., ca. 1699), HStAD F 24 A 815/2. 636 Vgl. ebd. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 166 einer solchen Argumentation schwerlich folgen, hätte dies doch schwerwiegende Probleme für die Rechtsprechung insgesamt bedeutet. Deshalb änderte man die Taktik und warnte in einer erneuten Supplik an den Kaiser vom August 1699 insbesondere vor den religieusen Schwermern, die Laubach auf Einladung Friedrich Ernsts heimsuchten, große Unruhe verursachten und befürchten ließen, dass bald das ganze Land inficiret sei. Gegen dies und andere Missstände solle der Kaiser möglichst bald einschreiten.637 Das bezog sich auf den Pietismus, dem bereits Johann Friedrich verbunden gewesen war. Sein Sohn Friedrich Ernst und dessen Mutter Benigna von Promnitz, die Witwe Johann Friedrichs, standen in engem brieflichen und persönlichen Kontakt zu Spener, zeigten sich äußerst tolerant gegenüber verschiedenen, auch extremen religiösen Überzeugungen in Laubach und boten Glaubensflüchtlingen Schutz.638 Damit boten sie den Rödelheimer Konkurrenten nicht nur einen Anlass zu persönlicher Intervention vor Ort durch Einführung eines strengen Kirchenregiments und einer Policeyordnung,639 sondern auch einen Ansatz für eine neuerliche Anrufung des Kaisers mit der Bitte um Wiederherstellung der Ordnung.640 Der Konflikt um den rechten Glauben in Laubach war, das legen die Ereignisse nahe, zumindest in Teilen ein Mittel zum Zweck der Durchsetzung der Rödelheimer Interessen, die vor allem auf den Zugriff auf Herrschaft und ökonomische Ressourcen gerichtet waren. Aber auch diese Taktik führte nicht zum Erfolg, im Gegenteil: der Reichshofrat gab der Gegenklage Friedrich Ernsts statt und forderte die Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich auf, ihn nicht weiter an der Einnahme der Huldigung in Rödelheim zu hindern. 1701 wurde wegen ihrer fortgesetzten Weigerung sogar der oberrheinische Kreis mit einer Exekutionskommission gegen sie beauftragt.641 Erst angesichts dieser militärischen Bedrohung gaben die Brüder nach, weil Wir solchem Vorhaben zu wiederstehen nicht vermögen; alß müßen wir gezwungen alles, was man nur gegen unß verfügen will, geschehen lassen.642 637 Supplik Ludwigs und Ludwig Heinrichs an den Kaiser vom 24.8. 1699, HStAD F 24 A 815/2. 638 Vgl. BARBARA HOFFMANN, Radikalpietismus um 1700: Der Streit um das Recht auf eine neue Gesellschaft (Geschichte und Geschlecht Bd. 15), Frankfurt a.M. / New York 1996 S. 58-59. 639 Vgl. ebd., S. 72-81. 640 Ausdrücklich bezog man sich dabei auf die Reichsgesetze gegen die Täufer, u.a. den Augsburger Reichsabschied von 1551, vgl. ebd., S. 76. 641 Erlass Kaiser Leopolds an die kreisausschreibenden Fürsten des oberrheinischen Kreises vom 30.6.1701 (Kopie), HStAD F 24 A 52/2. 642 Erklärung Ludwigs und Ludwig Heinrichs an die Exekutionskommission vom 16.11.1701, HStAD F 24 A 52/2. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 167 Eine Exekution war damit zwar abgewendet, jedoch sprechen aus diesen Worten nach wie vor kaum Einsicht und Bereitschaft zum Nachgeben – die Atmosphäre zwischen Laubach und Rödelheim war nachhaltig vergiftet, an eine gemeinsame Verwaltung beider Herrschaften war für die Zukunft nicht zu denken. Das Bestreben der Beteiligten war nun folgerichtig vor allem darauf gerichtet, eine Teilung der Grafschaften zu erreichen, um auf diese Weise beyderseitige Herren Controvertanten auß der Communion setzen zu können.643 Deshalb wurde in gegenseitigem Einvernehmen der Graf von Löwenstein-Wertheim zum Vermittler bestimmt und beginnend mit dem 26.11.1701 Vergleichsverhandlungen geführt; zunächst begann man, einzelne Teile Laubachs und Rödelheims aus dem Komplex der jeweilige Landesherrschaft herauszulösen und wechselseitige Forderungen gegen einander zu verrechnen.644 An Schwung gewannen die Verhandlungen jedoch erst zweieinhalb Jahre später, als im Frühjahr 1704 der bisherige Compromissarius Graf zu Löwenstein-Wertheim für längere Zeit ausfiel und sich die Parteien auf den Grafen Carl August von Isenburg-Marienborn als Nachfolger einigten.645 Unter seiner Vermittlung kam innerhalb kurzer Zeit ein persönliches Treffen aller Beteiligten und im Sommer 1704 ein Vergleich zustande, der auf einen Austausch der Ansprüche hinauslief. Friedrich Ernst verzichtete völlig auf seine 4/30 von Rödelheim, Ludwig und Ludwig Heinrich hingegen auf ihr Fünftel an Laubach. Als Wertausgleich trat der Laubacher Reichsgraf ihnen zusätzlich das Dorff Einartshausen nebst zugehörigen schöner waldung als auch aller hohen und niederen sowohl geist- als weltl. jurisdiction auf Ewigen ab, wodurch wir [...] in die endl. Ruhe undt Einigkeit gesezt worden, wie Ludwig mit deutlich zufriedenem Unterton an den Taufpaten seines Sohnes schrieb.646 Durch einen Tausch war damit nicht nur ein zehnjähriger heftiger Konflikt beendet worden, der zwei Mal an der Schwelle zur bewaffneten Auseinandersetzung gestanden und damit den Frieden innerhalb des Hauses Solms bedroht hatte, sondern Ludwig und Ludwig Heinrich hatten gleichzeitig den Laubacher Konkurrenten aus 643 Remonstration des Rödelheimer Notars Cretzschmar an Laubach vom 6.10.1701, HStAD F 24 A 52/2. 644 Vgl. Protokoll der Schiedsverhandlungen durch Löwenstein vom 26.11.1701, HStAD F 24 A 16/9. Die Rödelheimer Forderungen betrugen 1702 insgesamt 130.795 fl, vgl. Beilage zu den Schiedsverhandlungen durch Löwenstein, HStAD F 24 A 16/9. 645 Vgl. Schreiben Friedrich Ernsts von Laubach an Ludwig und Ludwig Heinrich von Rödelheim vom 2.5.1704, HStAD F 24 A 52/2. 646 Schreiben Graf Ludwigs von Solms-Rödelheim an Hugo Ernst Graf Cratz von Scharfenstein vom 12.7.1704, HStAD F 24 A 52/2. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 168 Rödelheim entfernen und zusätzlich sogar das Dorf Einartshausen im Vogelsberg für ihre Herrschaft hinzu gewinnen können, während Friedrich Ernst die Bemühungen seines Vaters um Konstituierung einer eigenständigen Laubacher Grafschaft komplettieren konnte. Letztlich leistete der ausgehandelte Kompromiss das, was ein guter Kompromiss leisten sollte: alle Beteiligten profitierten davon. Die Vorteile eines gut vorbereiteten Tauschs gegenseitiger Ansprüche werden hier besonders deutlich. Während solche groß angelegten Geschäften eher selten zu beobachten sind, gehörten Tauschhändel in kleinerer Dimension mit eigenen und fremden Untertanen fast zum Alltag gräflicher Verwaltungspraxis. Denn nicht nur Landesherrschaft war vielfältig miteinander verflochten, sondern auch der Besitz von Land und Immobilien vor Ort. Deshalb tauschten die Grafen immer wieder einzelne Grundstücke und Ländereien aus, wobei auch hier im Idealfall alle gleichermaßen davon profitierten.647 Eine Möglichkeit, wie sich der Besitz eines Grafen beträchtlich vergrößern konnte, bestand darin, dass er von einem Fürsten mit einem Gut, einem Amt oder bestimmten Rechten belehnt oder beschenkt wurde. Dieser Weg war insofern für Rödelheim nicht unmittelbar relevant, als es dadurch im 17. und 18. Jahrhundert keine Zugewinne erzielen konnte. Allerdings profitierte das Haus Solms insgesamt erheblich davon. Dass Adelige, auch Hochadelige in einer Dienstbeziehung zu einem Fürsten, König oder Kaiser standen, war ein europaweit zu beobachtendes Phänomen der Frühen Neuzeit,648 welches im Reich nicht nur für Angehörige mediater Geschlechter, sondern auch Mitglieder regierender Dynastien galt; es war daher eher die Regel als die Ausnahme, dass Reichsgrafen im Militär, am Hof und in der Verwaltung eines Fürstentums oder des Reichs tätig waren.649 Im Idealfall gelang es, eine solche Dienst- in eine Patronagebeziehung zu überführen, also eine interpersonelle Verbindung zwischen zwei Personen ungleichen Standes mit gemeinsamen Interessen herzustellen, die auf einem Tausch basierte. Vereinfacht 647 Vgl. u.a. Tauschurkunde zwischen Johann Friedrich und seiner Ehefrau Helena Bauer und Graf Ludwig Heinrich über Ländereien in Praunheim vom 24.8.1707, HStAD B 9 1402 oder Tauschvertrag zwischen der Solms-Rödelheimer Rentkammer und der Gemeinde Niederwöllstadt über mehrere Grundstücke vom 1.10.1792, HStAD B 9 1588. 648 Einen Überblick über diese Hinwendung zu Fürsten, Kaisern und Königen und deren Höfen bietet RONALD G. ASCH, Zwischen defensiver Legitimation und kultureller Hegemonie: Strategien adliger Selbstbehauptung in der frühen Neuzeit, in: Zeitenblicke 4 (2005). 649 Speziell zu den Karrierewegen der schwäbischen Grafen von Fürstenberg MAUERER, Südwestdeutscher Reichsadel. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 169 gesagt wurden Dienste und Treue des Klienten gegen eine Förderung durch den Patron getauscht.650 Diese Förderung bestand häufig auch in materiellen Zuwendungen an die Klienten, und so konnte Solms auf diesem Weg vor allem im 16. und 17. Jahrhundert bedeutende Zugewinne an Rechten, Land und Leuten erzielen. Graf Friedrich Magnus von Solms-Laubach (*1521 +13.1.1561), schon vor dem schmalkaldischen Krieg in Diensten der albertinischen Wettiner tätig, erhielt 1544 so von Herzog Moritz von Sachsen das nach dem Aussterben der Herren von Abendorf heimgefallene, ca. 25 km nördlich von Leipzig bei Bitterfeld gelegene Rittergut Pouch,651 das bis 1945 solmsischer Besitz blieb. Kein Land, jedoch Zugewinne an symbolischem und ökonomischen Kapital brachten die Dienste Graf Friedrich von Solms-Rödelheims (30.11.1574 +5.9.1635), mit dem die ältere Rödelheimer Linie endete. Seine Karriere hatte in den Niederlanden begonnen, später war er Administrator des Markgrafen von Ansbach sowie kaiserlicher Kriegsrat und Obrist geworden.652 Für seine Verdienste wurde er durch vielfältige Schenkungen und Lehen belohnt.653 Da Rödelheimer Grafen im Verlauf des 18. Jahrhunderts weder in Reichs- noch in fürstlichen Diensten standen, schied diese Option für den Untersuchungsraum jedoch vollständig aus.654 Eine viel günstigere und für das 18. Jahrhundert ungleich bedeutendere Gelegenheit zur Vergrößerung des Herrschaftsbereichs als neu erhaltene Passivlehen bot der Einzug bzw. Heimfall von Aktivlehen. Die Grafen von Solms-Rödelheim traten anderen Adeligen gegenüber als Lehnsherren auf und hatten deshalb die Möglichkeit, die vergebenen Lehen unter bestimmten Umständen, vor allem beim Aussterben einer Familie, wieder einzuziehen. Auf diese Weise kam 1712 nach dem Aussterben der Herren von Bünau Teile des Dorfes Fauerbach, in dem Solms schon seit dem 15. Jahrhundert die die Landesherrschaft besessen hatte, an die Grafen 650 Zum Begriff der Patronage vgl. HEIKO DROSTE, Patronage in der Frühen Neuzeit. Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), S. 555-590, hier S. 573; Ebd. S. 555- 573 ein Überblick zum gegenwärtigen Stand der Patronageforschung. 651 Siehe dazu SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 241; 245. 652 Vgl. ebd., S. 258-259. 653 Z.B. erhielt er 1615 von Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm eine jährliche Gülte von 1000 fl zu einem Mannlehen, vgl. Lehnsurkunde Pfalzgraf Wolfgang Wilhelms vom 1.9.1615, HStAD B 9 1205. Für seine Reichsdienste wurde ihm 1614 von Kaiser Matthias das Prädikat „Wohlgeboren“ verliehen, vgl. Verleihungsurkunde Kaiser Matthias´ vom 24.3.1614, HStAD B 9 1199. 654 Insofern ist auch dem pauschalen Urteil Fritz Wolfs zu widersprechen, „im Dienste des Kaisers, des Reichs der eines Fürsten hat der Grafenstand im 18. Jahrhundert eine höhere Aufgabe gefunden“, WOLFF, Grafen und Herren, hier S. 342. Vielmehr ist es im Fall Solms-Rödelheims so, dass im 18. Jahrhundert die Grafen gerade nicht in auswärtigen Diensten standen, sondern dauerhaft in ihren Landen lebten und regierten. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 170 zurück.655 Nach dem Tod des letzten Herren von Karben Franz Emmerich Lothar am 10.6.1729 fielen deren Lehen Burggräfenrode, Besitzungen in Groß- und Kleinkarben und Niederwöllstadt sowie die Vogtei zu Niederrosbach an die Lehnsherren Mainz, Solms und Hanau zurück. Rödelheim erhielt dabei den größten Teil des Solmser Drittels,656 insbesondere das Dorf Burggräfenrode zusammen mit Hanau (wenig später Hessen) und Mainz sowie 240 mg Grundbesitz in Niederwöllstadt657, nachdem es sich mit Mainz über die Aufteilung verständigt hatte658 und vor Gericht Ansprüche Hessens abwehren konnte.659 Diese Zugewinne waren besonders attraktiv, weil sie meist nicht in weiter Entfernung, sondern in unmittelbarer Umgebung der anderen Besitzungen befanden und deshalb vergleichsweise einfach administriert werden konnten. Und selbst in den Fällen, in denen heimgefallene Lehen nicht in Eigengüter überführt werden konnten, brachten sie ökonomische Vorteile: als Anfang des 18. Jahrhunderts Nikolaus von Kronberg verstarb, verzichteten Ludwig und Ludwig Heinrich von Solms-Rödelheim auf die ihnen daraus zufallenden Ländereien, Zehnte, Schäferei und Waldungen in Eschborn und Kronberg zu Gunsten des Mainzer Erzbischofs. Im Gegenzug erhielten sie jedoch eine jährliche Gülte von 170 Achtel Korn in die Kellerei Rödelheim.660 Eine weitere auf einen Zugewinn an Rechten, Gefällen, Immobilien- und Grundbesitz zielende Strategie war, sich die Anwartschaft auf ein entsprechendes Erbe zu sichern. Dazu bestand grundsätzlich die Möglichkeit, mit anderen Häusern Erbverträge zu schließen. Mit solchen Vereinbarungen zwischen zwei Dynasten, mit denen für den Fall, dass der Eine ohne Nachfolger in der Landesherrschaft sterben sollte, der jeweils Andere zum Nachfolger bestimmt wurde,661 ließen sich gleich 655 Vgl. u.a. Urkunde Friedrich Wilhelms von Solms-Hohensolms vom 8.5.1740, HStAD B 9 1483, in der er der Übertragung der ehemaligen von Bünauischen Lehen zu Fauerbach an Wilhelm Karl Ludwig von Solms-Rödelheim nachträglich zustimmte. 656 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1, S. 22. 657 Vgl. DIETER WOLF, Nieder-Wöllstadt - Eine Übersicht durch die Jahrhunderte, in: Dieter Wolf und Fritz Runge (Hg.), 1200 Jahre Wöllstadt 790-1990. Aus der Geschichte von Nieder- und Oberwöllstadt, Horb a.N. 1990, S. 54-80, hier S. 66. 658 Vgl. Bestätigungsurkunde Erzbischof Philipp Karls von Mainz für Graf Wilhelm Karl Ludwig vom 26.7.1732, HStAD B 9 1477. 659 Vgl. Designation Aller deren bey dahiesig hochgr. Solms-Rödelheim. Regierung zu besorgen stehende Geschäffte und Expeditiones (o.D., um 1730), HStAD F 24 A 1263/4. 660 Vgl. Urkunde über den Vergleich über die heimgefallenen Lehen des Nikolaus von Kronberg zwischen Erzbischof Lothar Franz von Mainz und den Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich von Solms vom 24.11.1706, HStAD B 9 1399. 661 Solche Erbverbrüderungen waren im Hochadel bereits im Mittelalter üblich, vgl. JÖRG ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 49), Stuttgart 2002 S. 93-98. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 171 mehrere Ziele gleichzeitig erreichen, die zum Kern reichsgräflicher Interessen in der Frühen Neuzeit zählten. Wenn es gelang, eine Übereinkunft mit einem anderen gräflichen Haus zu schließen, ließ sich dadurch vermeiden, dass bei unsicherer Nachfolge ein Fürst die heimgefallenen Lehen einzog bzw. gräfliche Gebiete auf andere Weise vereinnahmte.662 Die Beteiligten konnten sich auf diese Weise gut im auf wechselseitiger Verpflichtung und gegenseitigem Vertrauen basierenden Netzwerk der Mitstände positionieren.663 Nicht zuletzt bedeutete ein solcher Vertrag aber die Aussicht auf lohnende Zugewinne. Die Grafen von Solms-Rödelheim nutzten jedoch im zu behandelnden Zeitraum diese Möglichkeit nicht, es sind keine entsprechenden Verträge überliefert;664 Der Grund dafür ist in der „Erb- und Brudereinung“ von 1578 zu suchen, dem grundlegenden solmsischen Haus- und Familienvertrag, der von jedem regierenden Grafen beschworen werden musste und der eindeutig festlegte, dass das Familien- und Erbgut niemand anderem als den Agnaten vererbt werden dürfe.665 Ein Erbvertrag mit einem anderen Stand und eine entsprechende testamentarische Verfügung waren also kategorisch ausgeschlossen. 4.1.2 Heiraten und Erben Während also Erbverbrüderungen als Möglichkeit der Besitzerweiterung nicht in Frage kamen, wurde die Option, sich durch Heirat die Aussicht auf das Erbe der Ehefrau zu sichern, durch Solms-Rödelheim im 17. und 18. Jahrhundert regelmäßig genutzt. Zwar gingen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht nur Fürsten, sondern auch kleinere Reichsstände und Adelige Häuser dazu über, Familienpakte (auch: 662 Die Abwendung des Verlustes von Rechten und Besitz an mächtigere Reichsstände war ein durchgängiges Motiv gräflicher Politik; das kommt schon in einem der wichtigsten Solmser Familienverträge, der Erb- und Brüdereinung von 1578 zum Ausdruck, wo es heisst, daß solche keinem höheren Stands verkauft und man sie nimmermehr nicht zu Lehen machen, noch aufftragen werde, vgl. Solmser Erbeinung vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1 (vollständiger Text im Anhang); noch Mitte des 18. Jahrhunderts bestimmte Gräfin Wilhelmine Christine in ihrem Testament bezüglich ihrer Anteile an der Herrschaft Limpurg-Gaildorf, dass nichts davon veräußert werden dürfe, schon gar nicht an Mächtigere, vgl. Testament Wilhelmine Christines vom 25.5.1756, HStAD F 24 A 28/3. 663 In manchen Fällen konnten Fürsten jedoch das Instrument des Erbvertrags auch zu ihren Gunsten nutzen, indem sie erreichten, dass sie von den betreffenden Grafen einseitig zum Nachfolger bestimmt wurden; die in der Wetterau-Vogelsberger Region sehr offensiv agierenden hessischen Landgrafen taten dies sowohl im Fall Hanaus als auch Ysenburg-Büdingens, vgl. KARL DIELMANN, Wie der Kreis Büdingen entstanden ist, in: Geschichtsverein Büdingen (Hg.), Kreis Büdingen - Wesen und Werden, Büdingen 1956, S. 11-26, hier S. 12. 664 Auch der Anfall grosser Teile der Herrschaft Cratz von Scharffenstein auf dem Hunsrück nach dem Tod des letzten Scharffensteiners Hugo Ernst (* unbekannt +1718) ist keine Konsequenz einer Erbverbrüderung, sondern durch verwandschaftliche Beziehungen zustande gekommen, vgl. a.a.O. 665 Vgl. Solmser Erbeinung vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1 (vollständiger Text im Anhang). Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 172 „Hausverträge“ oder „Erbeinungen“) zu errichten,666 in deren Zentrum meist die Bestimmung stand, dass das Familienerbgut ausschließlich an männliche Nachkommen weitergegeben werden dürfe, um dessen Verlust für das eigene Haus zu verhindern – die weibliche Deszendenz blieb dabei von der Verlassenschaft an Land und Leuten ausgeschlossen, wenn diese zum Besitz der ganzen Familie, mithin zum Erbgut und nicht zum eigenen Vermögen eines Familienmitglieds zu zählen waren.667 Jedoch existierten solche Bestimmungen bis ins 18. Jahrhundert hinein noch längst nicht in allen Familien. Vor allem kleinere unmittelbare und mediate Häuser verfügten häufig nicht über entsprechende Regelungen,668 so dass eine nach diesem Aspekt klug geplante Heirat die Aussicht auf ein reiches Erbe bedeuten konnte. Zudem war auch das völlige dynastische Ende einer Familie durch das Fehlen männlicher Nachkommen ein keineswegs ungewöhnlicher Vorgang. In diesem Fall fielen die entsprechende Herrschaft und der Besitz an die Töchter und damit in der Regel an die Dynastie, in die diese eingeheiratet hatten. Die spektakulären Zugewinne in Mittelhessen, die Solms bis zum Ende des 15. Jahrhunderts durch Erbschaften in weiblicher Linie zu verzeichnen hatte – die Münzenberger, Falkensteiner und letztlich die Kronberger Erbschaft – hatten nicht nur die Stellung des Hauses in der Region maßgeblich begründet und befestigt, sondern auch einen Weg gewiesen, auf dem sich die Basis von Herrschaft und Ökonomie auch in Zukunft erweitern ließ. Auf diese Weise fielen zwei der wichtigsten Neuerwerbungen des 17. und 18. Jahrhunderts an Solms-Rödelheim, nämlich Teile der Herrschaften Limpurg-Gaildorf und Cratz von Scharffenstein. 666 Solms hatte mit der „Erb- und Brüder Einung“ von 1578 (siehe Abdruck des vollständigen Texts im Anhang) dabei eine Vorbildfunktion für andere gräfliche Häuser, vgl. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, , hier S. 47. Vgl. zu den Erbeinungen und Familienpakten anderer Reichsstände v.a. LÜNIG, Thesaurus juris, S. 731 ff. 667 Von den Töchtern des Hauses Solms wurde deswegen gefordert, dass sie vor dem ehelichen Beilager einen entsprechenden Verzicht mit einem Eid leisteten, vgl. Solmser Erbeinung vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1 (vollständiger Text im Anhang). 668 Vgl. zu den Erbeinungen und Familienpakten anderer Reichsstände v.a. LÜNIG, Thesaurus juris, S. 731 ff. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 173 In der Herrschaft der Schenken und Semperfreyen von Limpurg am Kocher669 hatte sich bereits mit dem plötzlichen, kinderlosen Tod des Schenken Philipp Albrecht von Limpurg-Gaildorf 1682 eine dynastische Krise angedeutet. Sein Bruder Wilhelm Heinrich, ursprünglich Inhaber der Schmiedelfelder Sekundogenitur der Gaildorfer Hauptlinie des Hauses,670 konnte sich gegen seinen zur Sontheimer Linie gehörenden Schwager Vollrat zwar zunächst durchsetzen, starb aber acht Jahre später selbst ohne männliche Erben. Obwohl Wilhelm Heinrich seine Herrschaft testamentarisch seinen Töchtern vermacht hatte,671 gelang es Vollrat, sich 1690 in den Besitz Gaildorfs zu bringen, indem er die Ansprüche der Erbinnen unter Berufung auf die Limpurger Haus- und Familienverträge einfach negierte und die Landesherrschaft an sich zog; 1705 erbte er zudem die Besitzungen der Speckfelder Linie und vereinte damit den gesamten Limpurger Besitz in seiner Hand.672 Letztlich starb aber auch Schenk Vollrat ohne männliche Erben, was dazu führte, dass die komplette Herrschaft Limpurg 1713 an insgesamt zehn Erbtöchter ging – drei Gräfinnen erbten Limpurg-Speckfeld, fünf erbten Limpurg-Sontheim und zwei Limpurg-Gaildorf (vgl. Abbildung 16). So kam es nach zahlreichen erneuten Teilungen unter die Kinder der Erbinnen in den folgenden Generationen teilweise zu extremen Aufsplitterungen bis hin zu 11/504 Anteilen,673 was aus Limpurg für die spätere Literatur „das groteskeste Beispiel einer Aufteilung“ einer Herrschaft machte.674 669 Bei der Herrschaft Limpurg handelte es sich nicht um eine Grafschaft; vielmehr führten die Herren von Limpurg ihrem Ursprung aus einem staufischen Ministerialengeschlecht entsprechend den Titel „Erbschenken“, vgl. GERD WUNDER, MAX SCHEFOLD und HERTA BEUTTER, Die Schenken von Limpurg und ihr Land. Mit Abbildungen alter Ansichten, Sigmaringen 1982 S. 14-16, zusätzlich bezeichneten sie sich als „semperfrei“, vgl. ebd. S. 36. Allerdings stand eine Ebenbürtigkeit mit den Reichsgrafen in Titulatur, Zeremoniell und Konnubium während der Frühen Neuzeit ausser Frage, so dass das Attribut „Reichsgrafschaft“ häufig für Limpurg verwendet wurde, vgl. u.a. ebd. S. 47, Vergleich zwischen Graf Johann Ernst Karl und den Rödelheimer Allodialerben vom 5.3.1784, HStAD F 24 A 39/4 sowie ERNST HEINRICH KNESCHKE, Deutsche Grafen-Häuser der Gegenwart. In heraldischer, historischer und genealogischer Beziehung (2), Leipzig 1853 S. 479. 670 Vgl. ERNST HEINRICH KNESCHKE (Hg.), Neues allgemeines deutsches Adels-Lexikon (5), Leipzig 1864, S. 545. 671 Vgl. Testament Schenk Wilhelm Heinrichs von Limpurg-Gaildorf (Abschrift vom 12.5.1690), ASR 512, in dem er seine vier Töchter Juliana Dorothea, Wilhelmina Christina, Juliana Charlotta und Sophia Elisabetha zu Universalerben einsetzt, was insbesondere auch für die Ämter Gaildorf und Oberroth und die daraus erzielten Einkünfte gelten solle. 672 Vgl. MEINRAD SCHAAB, Grundzüge und Besonderheiten der südwestdeutschen Territorialentwicklung, in: Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg (Hg.), Bausteine zur geschichtlichen Landeskunde von Baden-Württemberg, Stuttgart 1979, S. 129- 156, hier S. 146. 673 Vgl. WUNDER, SCHEFOLD und BEUTTER, Schenken von Limpurg, S. 54. 674 SCHAAB, Südwestdeutsche Territorialentwicklung, S. 146. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 174 Abbildung 16. Die Vererbung der Herrschaft Limpurg-Gaildorf. Spätestens seit Bekanntwerden ihrer testamentarischen Ansprüche waren die Gaildorfer, später auch die Sontheimer und Speckfelder Erbtöchter begehrte Heiratskandidatinnen geworden, wie die Limpurger Historiographie berichtet: die Bewerber gaben sich buchstäblich die Klinke in die Hand.675 Einer von ihnen war Ludwig Heinrich von Solms (*25.8.1667 +1.5.1728). Er war der jüngste lebende Sohn des Grafen Johann August von Solms und hatte angesichts der Tatsache, dass sein ältester Bruder Johann Karl Eberhardt (*4.7.1657 +5.2.1699) alleiniger Regent in Rödelheim war und er selbst lediglich ein schmales Deputat bezog,676 noch unter der Vormundschaft seines Onkels Johann Friedrich von Wildenfels eine Karriere im Militär begonnen677 und war 1687 als Nachfolger seines ältesten Bruders hessen- kasselischer Rittmeister geworden.678 Als nahezu mittelloser Drittgeborener ohne realistische Aussichten auf einen rentablen Anteil an den Solmser Landen konnte er 675 Vgl. HANSMARTIN DECKER-HAUFF, Der Schwäbische Wald - Limpurg, in: Merian. Das Monatsheft der Städte und Landschaften 6/XVIII (1965), S. 62-74, hier S. 68. 676 Der Vater Johann August hatte dazu in seinem Testament verfügt: Die Deputata der Kind undt Heuraths Gelder kann nicht ordnen, sindern den Herrn Vormündern, der vernünfftigem Nachdenken befehlen, waß die Zeit leydet, undt die Einkünffte ertragen können, damit auch der Älteste seinen Stand führen kann, Testament Graf Johann Augusts vom 15.3.1676, HStAD F 24 A 815/2. Bereits daraus geht hervor, dass die wirtschaftliche Situation Rödelheims Ende des 17. Jahrhunderts sehr unstabil war, da die Deputate normalerweise im Testament festgelegt wurden, wenn es die Einkünfte und die Verschuldung zuliessen; dem entsprechend dürften die Deputate hier sehr klein gewesen sein. Ihre genaue Höhe kann auch den überlieferten Rechnungen nicht entnommen werden. 677 Vgl. Ersuchen an den Kaiser um Beendigung der Curatel über die Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich 1687, HStAD F 24 A 815/2, mit dem Hinweis auf die militärische Karriere der beiden jungen Grafen. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 328 berichtet weiterhin von einer Laufbahn in niederländischen und englischen Diensten. 678 Vgl. Leichenpredigt Johann Karl Eberhard 1699, ASR 649. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 175 zunächst nicht als besonders chancenreicher Kandidat für eine Heirat mit der begehrten Erbtochter gelten. Weil ihm das nur zu bewusst war, versuchte er auf zweifache Weise, seine Situation zu verbessern. Erstens begann er nach dem Ende seiner militärischen Laufbahn 1694, seinen Geschwistern ihre Anteile an dem bei Praunheim gelegenen Rittergut Augustusburg, das sein Vater 1676 von Johann Erasmus Seyffart von Klettenberg gekauft und allen seinen Kindern gemeinsam vererbt hatte,679 nach und nach abzuhandeln.680 Offenbar wollte er, der sich bis zu diesem Zeitpunkt außer Landes aufgehalten und ansonsten bei seinem ältesten Bruder gewohnt hatte, nun dort seinen eigenen Haushalt gründen. Zum zweiten ging er den Regenten gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig unnachläßig um eine Erhöhung des Deputats an, da sie nun beide volljährig seien und in den Ehestand zu treten gedächten.681 Eine signifikante Erhöhung der Deputate jedoch ließ die wirtschaftliche Situation des hoch verschuldeten Solms-Rödelheim682 nicht zu, und eine angedachte gemeinsame Regierung aller drei Brüder erwies sich als undurchführbar.683 Johann Karl Eberhard war selbst gesundheitlich angegriffen,684 außerdem war er weder verheiratet noch plante er, jemals eine eheliche Verbindung einzugehen und Kinder zu zeugen.685 Seine Brüder wollten zwar gern heiraten und für Nachkommen sorgen, konnten dies jedoch wegen ihrer schwierigen ökonomischen Lage nicht. 679 Vgl. Urkunde über den Kaufvertrag zwischen Graf Johann August und Johann Erasmus Seyffart von Klettenberg vom 17.3.1676, HStAD B9 1317. 680 Vgl. die Urkunden HStAD B 9 1352,1353,1354,1358,1362 und 1363, weiterhin vgl. Übersicht über die Allodialverlassenschaft Ludwig Heinrichs (o.D., um 1727), ASR 469. 681 Vergleich über die Überlassung der Herrschaft an Ludwig und Ludwig Heinrich vom 28.2.1795, HStAD F 24 A 28/3. 682 Graf Johann August hatte 1649 lediglich 1/6 Rödelheims geerbt und enorme Summen aufbringen müssen, um seinen Besitz auszubauen. Zudem verursachte auch der Anfall Laubachs an ihn und seine vier Cousins enorme Kosten, da Ansprüche der Braunfelser Linie mit Geld abgelöst werden mussten. Vgl. dazu die Briefe Johann Augusts 1676-1679 an seine Brüder und Vettern, in denen er seine grossen Schulden beklagt und immer wieder um Geld für die Begleichung neuer, aber auch alter Schulden bittet, bei SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 315-322. Allein die Forderungen Baden-Durlachs als Erbe des letzten Gräfin von Rödelheim der älteren Linie, die 1649 gestorben war, beliefen sich 1685 auf über 52.000 fl, vgl. ebd. S. 323-324. 683 Johann Karl Eberhard hatte seinen Brüdern, um unsere brüderl. Affection zu bezeigen [...] angetragen, die Herrschafft mit aller Hoheit und Gerechtigkeit, Land und Leuthen, Renthen und Gefällen zu gleichen Theilen mit ihnen gleich auffzutheilen, oder aber in Gemeinschafft auff Gewinn und Verlust zu regieren, aber es erwies sich bald, dass die drei Teile viel zu gering wären, um allen ein Auskommen zu sichern, Vergleich über die Überlassung der Herrschaft an Ludwig und Ludwig Heinrich vom 28.2.1795, HStAD F 24 A 28/3. 684 Die Leichenpredigt Johann Karl Eberhards berichtet nicht nur von einer herausragenden militärischen Karriere, deren Höhepunkt die Ernennung zum kaiserlich königlich spanischen Generalmajor war, sondern auch von ständig wiederkehrenden gesundheitlichen Problemen, vgl. Leichenpredigt Johann Karl Eberhard 1699, ASR 649. 685 Siehe dazu Vergleich über die Überlassung der Herrschaft an Ludwig und Ludwig Heinrich vom 28.2.1795, HStAD F 24 A 28/3. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 176 Deshalb verzichtete Johann Karl Eberhard am 28.2.1695 zu Gunsten seiner beiden Brüder auf die Herrschaft; als Gegenleistung forderte er lediglich die Zusicherung eines lebenslangen Wohnrechts im Rödelheimer Schloss und Subsistenzzahlungen bis zu seinem Tod in Höhe von 1200 fl Bargeld, 10/8 Weizen, 200/8 Korn, 30/8 Gerste, 225/8 Hafer, 2/8 Erbsen und Linsen, 12 gute Wagen Heu, 12 Wagen Holz, 12 Wagen Stroh und 4 Wagen Grummet.686 Dies war ein bemerkenswerter Akt dynastischer Räson: der Regent übergab die Herrschaft einvernehmlich und freiwillig an seine jüngeren Brüder, um deren Chancen auf eine vorteilhafte Heirat zu erhöhen und so den Fortbestand des Hauses nicht nur in generativer, sondern durch einträgliche Eheverbindungen auch in ökonomischer Hinsicht zu sichern. Wegen der nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Situation Rödelheims war es Ludwig und Ludwig Heinrich zwar nicht möglich, sofort eine Teilung vorzunehmen; vielmehr vereinbarten sie im Spätsommer 1695, daß wir in beyden Herrschafften Rödelheim und Laubach, so viel unß darvon zukommet, oder durch ferner erwehnten Process annoch zuwachsen möchte, biß zu recht. und sogleich nach hinweg geräumten Vorerwehnten Verhinderungen ohne aufschub vorzunehmender Vertheilung alle Hoheit, Recht und Gerechtigkeiten, Regalia und Bittmäßigkeiten, alle Ämbder, Statt und Dörffer, Schlößer so viel unß deren abgetretten seynd, Höffe Unterthanen, Renthen und Gefälle, sie mögen in- oder außerhalb der Herrschafft gelegen, eigen oder Lehen seyn, nichts davon ausgeschieden, desgleichen Fischerey- und Jagden, allen Nutzen und onera, wie die jezo seynd, und stante hac communione seyn werden, in gemein haben, besizen, Nutzen und brauchen, regieren und führen, auch da einer von unß beyden etwas erfinden und ersinnen würde, wodurch sowohl die herrschafft selbsten oder derselben intraden gebeßert oder beßer genutzt werden könnte, und dem andern davon zeitige nachricht, wie ohne dem in gemeinschafften erfordert wird, davon geben thäte, einer dem andern nicht zu wider, sondern in allen thun. dingen vielmehr beförderl. seyn; wo wir unß aber nicht vergleichen können, solches dem arbitrio unsers Herrn Bruders Graff Joh. Carl Eberhard Lbd. oder anderer guten Freunde heimgeben wollen.687 686 Vgl. ebd. 687 Vergleich Ludwig-Ludwig Heinrich über gemeinschaftliche Regierung 1695, HStAD F 24 A 28/3. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 177 Auch wenn eine wirklich selbständige Existenz also noch in weiter Ferne lag, hatte sich die Perspektive der beiden jungen Grafen doch grundlegend geändert, indem aus zwei relativ mittellosen Nachgeborenen regierende Reichsgrafen geworden waren. Das wirkte sich unmittelbar auf ihre Möglichkeiten zur Eheschließung aus; Ludwig konnte im Januar 1696 Charlotte Sybille Gräfin von Ahlefeld heiraten, die einen stattlichen Brautschatz von 30.000 Talern in die Ehe einbrachte.688 Noch vorher, Ende Juni 1695, kam die Heirat zwischen Ludwig Heinrich und Wilhelmine Christine zustande.689 Wilhelmine Christine und ihre Schwester Juliane Dorothea konnten ihr Recht auf ihren durch das väterliche Testament erworbenen Teil an der Limpurg-Gaildorfer Landesherrschaft nicht sofort nach dem Tod ihres Vaters vollständig durchsetzen. Erstens wurde es zunächst durch den letzten Schenken Vollrat eingeschränkt. Und zweitens machte auch der preußische König, den der Bruder Vollrats 1705 zu seinem Erben eingesetzt hatte,690 einen umfassenden Anspruch auf Limpurg geltend, der juristisch durch Prozesse vor dem Reichshofrat und nach dem Tod Vollrats kurzzeitig auch militärisch durch Besetzung Gaildorfs durchgesetzt werden sollte. Dass der preußische König rechtmäßiger Nachfolger in den Limpurger Reichslehen,691 die Erbtöchter aber die rechtmäßigen Erben aller anderen Lehen, Lande, Güter und Gerechtigkeiten waren, war dabei völlig unumstritten.692 Die für Juristen des 18. Jahrhunderts fameuse Strittigkeit693, die auch von Johann Jacob Moser im „Neuen teutschen Staats-Recht“ ausführlich behandelt wurde,694 entzündete sich vielmehr an der Frage, ob Sitz und Stimme auf Reichs- und Kreistagen sowie Reichsstandschaft und Landesherrschaft den Allodialerbinnen oder Preußen als Nachfolger in den Reichslehen zustünden. Denn die Erbtöchter 688 Vgl. Eheberedung zwischen Ludwig von Solms-Rödelheim und Charlotta Sybilla vom 11.1.1696, ASR Nr. 239. 689 Vgl. Urkunde über den Ehevertrag zwischen Ludwig Heinrich und Wilhelmine Christine vom 27.6.1695, HStAD F 24 B 11/22, in dem u.a. ein Wittum von 7000 fl und eine Morgengabe von 1000 fl vereinbart wurden. Welche negativen Folgen es umgekehrt haben konnte, wenn der Bräutigam kein Regent mit den entsprechenden Zukunftsperspektiven und der vollen Verfügungsgewalt über die ökonomischen Ressourcen war, dazu vgl. die gescheiterte Heirat Graf Johann Ernst Karls mit Henriette von Reuß 1745, siehe Kapitel 5.2.3. 690 Der in preussische Generalmajor Schenk Georg Eberhard von Limpurg hatte 1705 testamentarisch sein ganzes Erbe dem König in Preussen hinterlassen, vgl. WUNDER, SCHEFOLD und BEUTTER, Schenken von Limpurg, S. 51. 691 Vgl. MOSER, Diplomatisches Archiv, S. 29 f. 692 Vgl. auch LÜNIG, Thesaurus juris, S. 669. 693 Rechtsgutachten über die Frage, ob die Gräfin Johann Ernst Karl wegen unstandesgemäßer Heirat enterben könne (o.D., um 1750), ASR 612. 694 Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1, S. 29-32. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 178 begnügten sich nicht damit, die ihnen zufallenden Teile der Herrschaft zu verwalten und ökonomischen Nutzen daraus zu ziehen, sondern sie verstanden sich von Anfang an als „regierende Reichsgräfinnen“ Limpurgs mit allen daran haftenden Rechten,695 was selbstverständlich die Beschickung der Versammlungen von Reich und fränkischem Reichskreis einschloss. Das bestritt Preußen energisch und erwirkte eine Suspendierung des limpurgischen Stimmrechts beim Kreis, wogegen die Erbinnen nicht nur beim Kreis, sondern auch beim Kaiser protestierten. Die Auseinandersetzung endete nach 1721 mit einem Vergleich, der den Gräfinnen Sitz und Stimme auf Kreis- und Reichsversammlungen zusicherte.696 Der Gynäkokratiediskurs697 fand in diesem Streit keine argumentative Verwendung. Das Recht der Erbtöchter auf die Landesherrschaft wurde einzig deshalb bestritten, weil sie nur über das Allodialerbe und nicht über die limpurgischen Reichslehen verfügten, nicht aber deshalb, weil ihnen unter Rückgriff auf verbreitete Staatskunst- und Tugendlehren als Frauen die Regierungsfähigkeit abgesprochen worden wäre.698 Eigenständige Landesherrschaft hochadeliger Frauen als Oberhaupt geistlicher Einrichtungen, als Vormünderinnen unmündiger Kinder, aber auch als Erbinnen und Lehnsnachfolgerinnen war ohnehin eher die Regel als die Ausnahme,699 wie bereits Moser wusste und aktuelle Forschungen immer mehr bekräftigen.700 Während das Argument mangelnder Fähigkeit der Erbtöchter zur Landesregierung in der Auseinandersetzung mit Preußen keine Rolle spielte und sich die Limpurgische Partei dagegen mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt hätte, wurde es 695 Vgl. Urkunde über die Zession der Rechte an Limpurg-Gaildorf von Wilhelmine Christine an ihren Ehemann Ludwig Heinrich vom 3.9.1700, ASR 197, in der Limpurg als eygenes Patrimonium der Gräfin bezeichnet wird, mit dem sie schalten und walthen könne, wie es ihr beliebt. Auch ihre Nichte und Schwiegertochter Mariana Margaretha Leopoldine wurde als gebohrne Gräfin von Wurmbrand regierende Gräfin zu Limpurg-Gaildorf bezeichnet, vgl. Inventar Gräfin Mariana Margaretha Leopoldines vom 20.12.1756, ASR 514. 696 Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1, S. 32. 697 Überblicksartig dazu HEIDE WUNDER, Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung: Geschlechter und Geschlecht, in: Dies. (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit : Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 28), Berlin 2002, S. 9-27, hier v.a. S. 13-14. 698 Vgl. auch Dies., Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Ute Gerhardt (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 27-54, hier v.a. S. 32-33. 699 Vgl. u.a. die Auseinandersetzungen um die Erb- und Regierungsfolge in Sayn-Wittgenstein um die Mitte des 17. Jahrhunderts bei LÜNIG, Thesaurus juris, S. 673-675. 700 Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1, S. 16; zur vormundschaftlichen Regentschaft von Fürstinnen PAULINE PUPPEL, Die Regentin. Vormundschaftliche Regentschaft in Hessen 1500-1700 (Geschichte und Geschlecht Bd. 43), Frankfurt a. M. 2004, hier v.a. S. 16 f.; zu Äbtissinnen vgl. UTE KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschichte (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 28), Berlin 2002, S. 221-238. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 179 innerfamiliär sehr wohl verwendet. Im September 1700 übertrug Wilhelmine Christine ihre Gaildorfer Lande und Leute samt aller Rechte und Gerechtigkeit an ihren Ehemann Ludwig Heinrich. Als Begründung führte sie in der Urkunde an, dass sie nun schon länger mit Ludwig Heinrich verheiratet sei, sie bereits Kinder zusammen hätten und in ehelicher Lieb einander zugetan seien, ihr auch wegen vieler mütterlicher onera die Regierung Gaildorfs sehr beschwerlich falle und ohnehin durch Persohnen ihres Geschlechts nicht wohl mit Nachtruck fortgeführet werden kann.701 Was auf der Ebene der juristischen Auseinandersetzung mit einem mächtigeren Reichsstand, der die Reichsgräfliche Landesherrschaft und damit die Basis des Selbstverständnisses einer regierenden Dynastie zu unterminieren drohte, keine Geltung hatte, ließ man auf der Ebene des Ehepaares ganz selbstverständlich gelten, hier kamen ganz offensichtlich völlig unterschiedliche Maßstäbe zur Anwendung. Allerdings erfolgte die Übertragung Limpurg-Gaildorfs an Ludwig Heinrich, der sich seit 1700 „Graf zu Solms-Assenheim und Limpurg-Gaildorf“ nannte, nicht bedingungslos, sondern war mit wohlüberlegten Modalitäten verknüpft. Erstens handelte Wilhelmine Christine eine Erhöhung des ihr zugesagten Wittums um sämtliche Einkünfte des Guts Augustusburg aus, was eine wesentliche Verbesserung ihrer Stellung als Witwe erwarten ließ. Und zweitens übertrug sie Gaildorf nicht vollständig und endgültig, sondern mit dem Vorbehalt, dass es mit Ludwig Heinrichs Tod an sie zurückfallen solle,702 dass der Besitz also ausdrücklich nicht im Haus Solms weitervererbt werden solle. Damit umging sie die „Erb- und Brüder Einigung“ des Hauses, den wichtigsten Familienvertrag, dem zu Folge jeder Angehörige des Hauses nichts, was er von seinem Vatter undt Mutter, oder sonsten hero ererbt hat, oder hinkünfftig ererben würde, (ausserhalb der Herrschafft) nichts erblich veräußern dürfe.703 Auf diese Weise kam Wilhelmine Christine nach dem Tod Ludwig Heinrichs 1728 erneut in den Besitz der Herrschaft704 und blieb es nicht nur bis zu ihrem eigenen Tod 1757, sondern konnte darüber hinaus noch Einfluss auf die Verteilung 701 Urkunde über die Zession der Rechte an Limpurg-Gaildorff durch Wilhelmine Christine vom 3.9.1700, ASR 197. 702 Vgl. Urkunde über die Zession der Rechte an Limpurg-Gaildorff durch Wilhelmine Christine vom 3.9.1700, ASR 197. 703 Erb-und Brüdereinigung der samtlichen Grafen zu Solms, 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1. 704 Das bestätigte auch Ludwig Heinrichs Testament noch einmal ausdrücklich, vgl. Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 180 nehmen. Wäre Gaildorf 1728 an ihren ältesten Sohn Wilhelm Karl Ludwig als regierenden Reichsgrafen gekommen, wäre es in diesem Moment zu einem Hausgut geworden und den erbrechtlichen Beschränkungen der Haus- und Familiengesetze unterworfen gewesen, also den Töchtern mit Sicherheit und den jüngeren Söhnen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu Gute gekommen. So aber konnte die Gräfin seit 1728 selbständig regieren705 und in ihrem Testament ihr gesamtes Erbe an ihre sämbdliche kinder beyderlei Geschlechts weitergeben, was insbesondere Gaildorf einschloss, das unzerteilt bleiben und von allen gemeinschaftlich regiert werden sollte.706 Wie Wilhelmine Christine regierte auch ihre Schwester Juliane Dorothea (*1677 +1734), die mit dem Präsidenten des Reichshofrats Johann Wilhelm von Wurmbrand verheiratet war, ihren Anteil an Gaildorf707 und hinterließ ihn nach ihrem Tod ihren beiden Töchtern Juliane Dorothea (*1694 +1734) und Mariana Margaretha Leopoldine (*2.7.1702 +14.12.1756).708 Während die Ältere Heinrich I. von Reuß zu Schleiz (*10.3.1695 +6.12.1744) heiratete, kam am 3.10.1722 die Heirat der Jüngeren mit ihrem Cousin Wilhelm Karl Ludwig von Solms-Assenheim zustande (vgl. auch Abb. 4). Dadurch fiel 1734 der Gaildorfer Anteil Marianas an Wilhelm Karl Ludwig.709 Zusätzlich erbte er – wie seine Geschwister – nach dem Tod seiner Mutter noch ein Fünftel von deren Hälfte, so dass es Mitte der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts gelungen war, einen beachtlichen Teil der Limpurg-Gaildorfer Herrschaft in der Hand der regierenden Reichsgrafen von Solms-Rödelheim zu vereinen, der Rest war im Besitz seines Bruders Johann Ernst Karl und seiner drei Schwestern, den Gräfinnen von Waldeck, Ysenburg-Meerholz und Löwenstein- Wertheim sowie der Reuß als Erben Juliane Dorotheas. Ein Zuwachs erfolgte dann 1778 noch einmal, als Johann Ernst Karl Nachfolger seines Bruders in der 705 Zur regen Regierungstätigkeit Wilhelmine Christines, die sich in mehreren Landes- und Verwaltungsordnungen sowie in Vereinbarungen mit den Mitherrschaften ausdrückte, vgl. SOLMS- LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 329-330. 706 Testament Wilhelmine Christines vom 25.5.1756, HStAD F 24 A 28/3. 707 1713 war zwischen den Schwestern eine Teilung Gaildorfs vereinbart worden, deshalb gab es seitdem zwei eigenständige Herrschaften, die allerdings die Residenzstadt und einige Institutionen gemeinsam besassen, vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 330. 708 Vgl. Testament Wilhelm Heinrichs von Limpurg vom 12.5.1690, ASR 512, und WUNDER, SCHEFOLD und BEUTTER, Schenken von Limpurg, S. 52. 709 Vgl. Hessisches Archiv-Dokumenttations- und Informationssystem Staatsarchiv Darmstadt Abt. Amtsbücher Solms-Rödelheim (F24 B) - Herrschaft Limpurg-Gaildorf, [http://www.hadis.hessen.de/scripts/HADIS.DLL/home?SID=40BO-2254032-BD31F&PID=1DC5] (19.01. 2006) und Konzept zur Ehevereinbarung zwischen Graf Wilhelm Karl Ludwig und Mariana Margaretha Leopoldine 1722, ASR 695. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 181 Landesregierung wurde und damit seinen eigenen Anteil an Limpurg mit dem Wilhelm Karl Ludwigs vereinen konnte. Das Ende der Solms-Rödelheimer Herrschaft in Gaildorf war 1802 der Verkauf an den Fürsten von Lynar-Drehna für 130.000 fl durch den Sohn Johann Ernst Karls, Volrat Friedrich Karl Ludwig.710 Die folgende Abbildung zeigt die Ämterstruktur und die Aufteilung der ehemaligen Grafschaften Limpurg-Gaildorf und Limpurg-Sontheim um die Mitte des 18. Jahrhunderts (Abbildung 17), die im Wesentlichen bis 1802 Bestand hatte. Abbildung 17. Die Grafschaft Limpurg um die Mitte des 18. Jahrhunderts.711 Der zweite wichtige, letztlich durch Heirat ermöglichte Zugewinn waren Teile der Cratz´schen Herrschaft auf dem Hunsrück. Eleonora Barbara Maria (*2.11.1623 +26.1.1680), die Tochter Johann Philipp Cratz von Scharffensteins, der für seine Verdienste als kaiserlicher General vom Kaiser in den Reichgrafenstand erhoben worden war, hatte 1654 Graf Johann August von Solms (*21.6.1623 +28.11.1680) geheiratet.712 So konstituierte sich eine recht enge familiäre Verbindung (vgl. Abbildung 18), die zunächst darin zum Ausdruck kam, dass der Bischof von Worms 710 Dazu ein Hinweis in einem ungedruckten Artikel über die „Grafschaft Solms“ für das Handbuch der hessischen Geschichte, der dem Verfasser vorliegt. Für die Überlassung des Artikels herzlichen Dank an Dr. Jürgen Rainer Wolf, Dresden. 711 Grafik aus ZIMMERMANN, Vom Personenverband zum Territorialstaat, hier S. 53. 712 Vgl. die Stammtafeln bei VON UND ZU HATTSTEIN, Hoheit des Reichsadels, S. 109-114. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 182 Hugo Eberhard von Cratz 1657 Taufpate des ältesten Sohns aus dieser Ehe, seines Großneffen Johann Karl Eberhard von Solms wurde, der später regierender Rödelheimer Reichsgraf war.713 Später fungierte der kurtrierische Geheime Rat und Amtmann zu Boppard Hugo Ernst von Cratz Graf zu Scharffenstein (*unbekannt +1718) nicht nur als Pate des Sohnes seines Großcousins Ludwig von Solms- Rödelheim (*28.9.1664 +5.12.1716), Lothar Wilhelm Ernst (*3.11.1703 +13.4.1722), sondern machte diesen in seinem Testament wenige Tage vor seinem Tod – er starb 1718714 unverheiratet und damit ohne erbberechtigte Nachkommen als letzter männlicher Angehöriger des Hauses Cratz – zum Universalerben.715 Besonders positiv für Solms wirkte sich aus, dass die Grafen und Herren von Cratz häufig eine Karriere im katholischen Klerus machten. Der daraus erwachsende Mangel an legitimen Nachkommen führte zu wiederkehrenden generativen Engpässen, da der Fortbestand des Hauses meist von dem einzigen Nichtkleriker und dessen Kindern abhing.716 Insofern erwies sich die Solms-Rödelheimer Strategie, durch Eleonora Barbara Maria eine verwandtschaftliche Beziehung zu Cratz von Scharffenstein zu begründen und in der Folge durch Patenschaften und ständige Kontaktpflege – z.B. auf dem Weg der schriftlichen Korrespondenz – aufrechtzuerhalten,717 als besonders glücklich. Denn ein Aussterben des Hauses schien kurz- bis mittelfristig zumindest möglich, wenn nicht wahrscheinlich. 713 Vgl. Leichenpredigt für Graf Johann Karl Eberhard 1699, ASR 649. 714 An dieser Stelle falsche Angabe bei VON UND ZU HATTSTEIN, Hoheit des Reichsadels, S. 112, der 1721 als Todesjahr Hugo Ernsts angibt. 715 Vgl. Testament Hugo Ernst Graf Cratz von Scharffensteins von 1717, HStAD F 24 A 53/1. 716 Vgl. auch die detaillierten Stammtafeln bei BIEDERMANN, Geschlechts-Register, hier Tafeln 348- 350. 717 Vgl. u.a. Schreiben Graf Ludwigs von Solms-Rödelheim an Graf Cratz vom 12.7.1704, HStAD F 24 A 52/2, in dem er seinen Cousin über die neuesten Entwicklungen in Rödelheim unterrichtet und beklagt, dass er lange Zeit von dero Zustand die geringste Nachricht nicht erhalten habe; ihm war offensichtlich daran gelegen, den Kontakt zu Cratz zu pflegen. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 183 Abbildung 18. Erbgang der Grafschaft Cratz von Scharffenstein.718 Auf diese Weise war – mit Ausnahme einiger kleinerer Stücke, die im Testament anderweitig vererbt wurden719 – der gesamte Besitz Hugo Ernsts an Lothar Wilhelm Ernst von Solms-Rödelheim gefallen, der insbesondere die beyde keinem andern Reichsstand unterworfene Dörffer Hirschfeld und Hottenbach720 umfasste. Als reichsunmittelbare ritterschaftliche Orte war Hirschfeld der Niederrheinischen Reichsritterschaft inkorporiert und blieb es auch, nachdem es in Solmser Besitz übergegangen war. Insofern hatte es, obwohl grundsätzlich reichsunmittelbar wie andere Solms-Rödelheimische Orte auch, einen abweichenden (verfassungs- )rechtlichen Status.721 Wichtige Bestandteile der Landeshoheit wie die Erhebung von Reichssteuern oder militärische Kompetenzen waren dem Ritterkanton übertragen, deshalb war die Landesherrschaft hier stark eingeschränkt;722 im Fall Hottenbachs war es vermutlich ähnlich. Außer den beiden Dörfern gehörte die Kellerei Enkirch mit Rechten und Gefällen in 19 Orten723 auf dem Hunsrück und an der Mosel zu dem 718 Der gestrichelte Pfeil gibt den Erbgang der Herrschaft an. 719 Seine “Base”, die geborene Gräfin von Berg, erhielt einige Häuser und Wertgegenstände, Graf Ludwig Heinrich von Solms-Rödelheim ein Pferd, vgl. Testament Hugo Ernst Graf Cratz von Scharffensteins von 1717, HStAD F 24 A 53/1. 720 Mandat Kaiser Karls VI. gegen Graf Ludwig Heinrich und Gräfin Sophie Elisabeth wg. Lothar Wilhelm Ernsts cratzischer Erbschaft vom 28.9.1718, HStAD F 24 A 53/1. 721 Vgl. Aktennotiz des Rödelheimer Assessors und späteren Justizrats Hofmann vom 23.6.1772, HStAD F 24 A 1133/15. 722 Vgl. dazu FISCHER, Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Policeyrechte: sowol von Teutschland überhaupt als insbesondere von den Preussischen Staaten S. 467-470: das Direktorium eines Ritterkantons mit dem Hauptmann an der Spitze ist ritterschaftliches Gericht und legen die Besteuerung aller zugehörigen Güter und Orte fest. 723 Die Kellereirechnungen weisen Einnahmen in Asbach, Dickenschied, Dill, Enkirch, Hanenbach, Hellertshausen, Hirschfeld, Horbruch, Hottenbach, Lötzbeuern, Mürich, Oberkyrn, Pfaffenau, Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 184 Erbe, außerdem das Gut Kiedrich im Rheingau bei Eltville und der Zehnte zu Gladenbach bei Langenschwalbach. Offensichtlich war der Anspruch des jungen, zum Zeitpunkt der Erbschaft im Jahr 1718 erst 15 Jahre alten Rödelheimer Erbgrafen innerhalb und außerhalb des Hauses Solms nicht unumstritten. Zum einen machten Karl Wild- und Rheingraf von Dhaun (*21.9.1675 +26.3.1733), dessen Großtante Anna Maria die erste Frau von Johann Anton Cratz von Scharffenstein gewesen war, eigene Ansprüche daran geltend, weswegen am 1.9.1718 ein Mandatum de non via factis, sed juris procedendo et [...] non turbando in possesione [...] durch das Reichskammergericht gegen ihn erging.724 Das hinderte ihn und seine Nachkommen jedoch nicht daran, auch in den folgenden Jahren einen Teil der in der Herrschaft Cratz von Scharffenstein anfallenden Gefälle gewaltsam einzuziehen, wie in den Rechnungen der zuständigen Kellerei Enkirch von 1722 bis 1742 durchgehend beklagt wird.725 Erst ein Vergleich scheint um 1741 dieses Problem beseitigt zu haben.726 Darüber hinaus machte zwischen 1722 und 1742 auch Kurtrier den Reichsgrafen von Solms- Rödelheim einen Teil der Herrschaft und vor allem der daraus erwachsenden Revenuen streitig, wie die Kellereirechnungen weiterhin belegen,727 so dass die Einkünfte aus der Kellerei Enkirch dadurch empfindlich geschmälert wurden. Und auch in der Familie war der Besitz Cratz von Scharffensteins keineswegs unumstritten. Bereits im Sommer 1718 sahen sich Wilhelm Moritz von Solms- Braunfels und die Witwe Graf Ludwigs, Gräfin Charlotte Sybille, als Vormünder Lothar Wilhelm Ernsts728 genötigt, vor dem Reichskammergericht eine Klage Mandati manutenentiae in Possessione vel quasi bonarum hereditariorum, vi Testamenti scripti nullo vitio visibili laborantis, apprehensorum, ut et de desistendo ab occupatione illegitime ec nulliter facta, nec amplius inquietando, aut turbando, sed restituendo cum omni causa, dammo et interesse S.C. gegen dessen Onkel Rohrbach, Stirpshausen, Weitersbach, Weiden, Wommert und Würrich aus, vgl. Enkircher Kellereirechnung 1722, LHAKo 54 S 2120. 724 Vgl. den entsprechenden Verweis in der Klage Wilhelm Karl Ludwigs von Solms gegen die Gräfin von Wartenberg und die Gräfin von Leiningen-Heidesheim durch Dr. Besserer, Anwalt des Grafen, vom 29.3.1754, HStADF 24 A 61/5. 725 Vgl. die Enkircher Kellereirechnungen 1722-1742, LHAKo Best. 54 S Nr. 2120-2129. 726 Hinweise darauf in der Jahresrechnung der Kellerei Enkirch 1740/41, LHA KO Best. 54 S Nr. 2128, weitere Belege nicht vorhanden. 727 Vgl. die Enkircher Kellereirechnungen 1722-1742, LHAKo Best. 54 S Nr. 2120-2129. 728 Vgl. Anordnung Ludwigs über die Vormundschaft für Lothar Wilhelm Ernst vom 13.7.1716, ASR 645. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 185 Ludwig Heinrich zu erwirken,729 da dieser das Testament Hugo Ernsts nicht anerkannte und an Stelle seines unmündigen Neffen selbst Besitz von der Verlassenschaft ergriffen hatte. Dies wurde ihm zwar umgehend durch ein kaiserliches Mandat einstweilig untersagt,730 es folgte jedoch ein vierjähriger Prozess, der erst mit dem Unfalltod Lothar Wilhelm Ernsts 1722 endete.731 Da der junge Graf zum Zeitpunkt seines Todes noch keine Kinder hatte, fiel sein zum solmsischen Fideikommiss gehörender Besitz qua Agnatum et heredem Stomaticum proximum, ex parto et providentia Majorum des defuncti relicta bona feudalia et fideicommisso familiae affecta an seinen Onkel Ludwig Heinrich. Das erkannte Charlotte Sybille in einem Vergleich mit Ludwig Heinrich, den sie 1722 für sich und ihre beiden unter ihrer Vormundschaft stehenden Töchter unterzeichnete, ohne weiteres an; sie gestand sogar weiterhin zu, dass das Testament Hugo Ernst von Cratz´ ungültig und Lothar Wilhelm Ernst deshalb nicht als Alleinerbe anzusehen sei. Allerdings kamen Ludwig Heinrich diese Zugeständnisse in mehrfacher Weise teuer zu stehen. Denn in dem Vergleich wurde nicht nur vereinbart, dass er die beträchtlichen Schulden seines verstorbenen Bruders und seines Neffen übernehmen, sondern dass er weiterhin das durch Charlotte Sybille in die Grafschaft investierte Kapital i.H.v. 48.000 fl zurückzahlen und ihr Wittum sowie das Deputat und die zukünftigen Heiratsgelder ihrer Töchter komplett übernehmen solle. Vor allem aber konnte sie durchsetzen, dass die Cratzische Erbschaft in dem Vergleich als nicht zum solmsischen Fideikommiss gehörig betrachtet und deshalb komplett zwischen ihr und ihren Töchtern einerseits und Graf Ludwig Heinrich andererseits geteilt wurde.732 So war die Kellerei Enkirch, die die cratzischen Gefälle einzog und weiterleitete, ab 1722 eine gemeinschaftliche Einrichtung. Die Rechnungen wurden jeweils durch einen Rat des Reichsgrafen von Rödelheim und durch einen gemeinsamen Beauftragten der Gräfinnen von Leiningen und Wartenberg, der Töchter Charlotte Sybilles, abgehört, und auch die Abführung der Überschüsse erfolgte an alle Beteiligten gleichermaßen. 729 Reichskammergerichtsklage durch Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels und Gräfin Charlotte Sybille gegen Graf Ludwig Heinrich wg. Lothar Wilhelm Ernsts cratzischer Erbschaft vom Sommer 1718, HStAD F 24 A 53/1. 730 Mandat Kaiser Karls VI. gegen Graf Ludwig Heinrich wg. Lothar Wilhelm Ernsts cratzischer Erbschaft vom 28.9.1718, HStAD F 24 A 53/1. 731 Prozessakten dazu in HStAD F 24 A 53/1. 732 Vgl. Vergleich zwischen Gräfin Charlotte Sybille von Solms-Rödelheim und Graf Ludwig Heinrich von Solms-Rödelheim und Assenheim über das Erbe Lothar Wilhelm Ernsts 1722, ASR 499. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 186 Zu spät wurde Ludwig Heinrich klar, wie nachteilig dieser erste Vergleich für ihn und seine Nachfolger tatsächlich war. Seine Versuche, schon bald nach Unterzeichnung einige Punkte neu zu verhandeln, waren indes nur teilweise erfolgreich. Zwar verzichtete Charlotte Sybille in einem zweiten Vergleich am 9.10.1725 auf alle anderen Ansprüche, zeigte sich jedoch in der Frage der Cratzischen Verlassenschaft unnachgiebig und beharrte auf einer Teilung der Gefälle.733 Deshalb konnte der regierende Rödelheimer Reichsgraf, nach dem Tod Ludwig Heinrichs folgte ihm sein Sohn Wilhelm Karl Ludwig, nur über die halben Einkünfte auf dem Hunsrück verfügen. Weitere Verhandlungen scheiterten offenbar am Widerstand Charlotte Sybilles. Deshalb verlegte sich Graf Wilhelm Karl Ludwig auf die Hoffnung, es würden nach erfolgten Absterben der hochgr. frau Wittib zu Solms- Rödelheim, dero hinterlaßene beyde Gräf. Töchter, frau Maria Sophia Eleonora Wilhelmina vermählte Gräfin zu Wartenberg und frau Catharina Polyxena vermählte Gräfin zu Leiningen-Heydesheim als hinterlassene Erbinnen, und dermahlige besitzer der Helffte der gräf. cratzischen zum solmischen Fideicommiss gehörigen Immobiliar-Verlaßenschaft, sich ohne processirliche Weitläufigkeiten u. Kösten, zu Abtrettung der bis anhero nullo plane jure besessenen u. benutzten besagten helffte der cratzischen Verlassenschaft una cum fructibus indebite perceptis, von selbsten in der Güte bequemen.734 Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht, und auch eine Klage des Regenten gegen seine Cousinen 1754735 hatte keinen unmittelbaren Erfolg. Vielmehr dauerten diese und mehrere sich daraus ergebende Prozesse736 vor dem Reichskammergericht weitere dreißig Jahre an und konnten erst nach dem Tod Wilhelm Karl Ludwigs durch seinen Nachfolger in der Landesregierung und die Allodialerben der Gräfinnen von Wartenberg und Leiningen mit einem Vergleich beigelegt werden.737 In diesem 733 Vgl. Akten zum Kammergerichtsprozess Graf Wilhelm Karl Ludwigs von Solms gegen die Gräfinnen Sophie Eleonore von Leiningen-Heidesheim und Katharina Polixena von Wartenberg, beide geborene Gräfinnen von Solms-Rödelheim, um 1754, HStAD F 24 A 61/5. 734 Ebd. 735 Vgl. ebd. 736 Vgl. Protocollum Judiciale über die am Reichskammergericht anhängigen Prozesse über die Erbschaft der Grafen Cratz von Scharffenstein 1754-1781, HStAD F 24 A 61/5. 737 Vgl. Vergleichsurkunde vom 23.10.1784 über das Ende des Reichskammergerichtsprozesse durch Johann Ernst Karl und die Allodialerben Sophie Eleonore von Leiningen-Heidesheims und Katharina Polixena von Wartenbergs, beide geb. von Solms-Rödelheim, HStAD B 9 Nr. 2209, und Vergleich zwischen Johann Ernst Karl von Solms-Rödelheim und den Allodialerbinnen Marie Louise Albertine Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 187 wurde der Verkauf der strittigen Güter an Rödelheim rückwirkend ab 1722 gegen eine Geldzahlung i.H.v. 24.000 fl vereinbart.738 Bereits vorher hatte die Kellerei Rödelheim nicht unerhebliche jährliche Einnahmen aus den „cratzischen Gefällen“ verbuchen können, die zur finanziellen Konsolidierung der Reichsgrafschaft beitrugen.739 Erst seit dieser Zeit verfügten die Reichsgrafen über das ganze cratzische Erbe – allerdings nur für wenige Jahre. Denn bereits Mitte der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts tauchen als Folge des 1. Koalitionskriegs keine Einnahmen aus der Kellerei Enkirch mehr in der Rechnung der Rödelheimer Generalkasse auf, vielmehr findet sich in der Rechnung von 1796 der lapidare Hinweis, die Hunsrücker Besitzungen seien mittlerweile seit mehreren Jahren frantzösisch besetzt.740 Mit dem Frieden von Lunéville und den darauf folgenden weiteren Vereinbarungen zwischen Frankreich und einzelnen Reichsfürsten wurde die faktisch seit längerem bestehende französische Herrschaft über die linksrheinischen Gebiete 1801 auch vertraglich fixiert.741 Für die damit einhergehenden Verluste „gewährte der Reichsdeputations- Hauptschluss von 1803 den Fürsten und Grafen von Solms die Abteien Arnsburg und Altenburg“,742 was für Solms-Rödelheim den Anfall der ehemals zum Kloster Arnsburg gehörigen Kellerei Wickstadt bedeutete.743 4.2 Die Weitergabe von Herrschaft und Besitz Auf verschiedenen, eben beschriebenen Wegen war es den Reichsgrafen also gelungen, der mit den vielfältigen Erbteilungen und der damit verbundenen Zersplitterung verbundenen Probleme im frühen 18. Jahrhundert Herr zu werden. Ob von Hessen-Darmstadt, Polyxene Wilhelmine Friederike Eleonore von Leiningen-Dachsburg, Karoline Felicitas von Nassau-Usingen, Sophie Charlotte Franziska von Leinigen-Heidesheim- Dachsburg und Christiane Alexandrine Katharina von Leiningen-Heidesheim-Dachsburg 1782-1789, ASR 209. 738 Vgl. Vereinbarung zwischen den Häusern Solms-Rödelheim und Leiningen-Heidesheim über die Bezahlung rückständiger Summen aus dem Verkauf der Cratzischen Güter 1784-1787, ASR 429. 739 Vgl. ENGELBACH, Wirtschaftsgeschichte Bd. 1, S. 55 ff.; exemplarisch sei das Jahr 1775 genannt, in dem auf diese Weise 379 fl direkt in die Schatulle des Regenten flossen, die über die Rödelheimer Kellereirechnung verbucht wurden. 740 Rechnung der Generalkasse Rödelheim vom 22.2.1796 bis 21.2.1797, HStAD F 24 B Nr. 408/18. 741 Vgl. HEINZ DUCHHARDT, Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648-1806 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 4), München 1990 S. 49-50. 742 KNESCHKE, Grafenhäuser, S. 479. 743 Vgl. u.a. die entsprechenden Einträge der Rechnung der Rödelheimer Generalkasse 1804-1805 durch Hofkammerrat Adolph Ernst Geiger, HStAD F 24 B 408/26, in denen die Ereignisse dargestellt werden. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 188 es gelang, diese Erfolge langfristig zu sichern, hing u.a. wesentlich davon ab, wie die Weitergabe von Herrschaft und Besitz durch Vererbung und damit der Zugriff auf Landesherrschaft und ökonomische Ressourcen geregelt wurde. Waren beim Tod eines regierenden Grafen zwei oder mehr erbberechtigte Söhne vorhanden, gab es grundsätzlich drei Möglichkeiten der Weitergabe der Landesherrschaft: erstens die Primogenitur, bei der der älteste Sohn die Regierung allein übernahm und seine jüngeren Brüder apanagiert wurden, zweitens eine gemeinschaftliche Regierung der Brüder und drittens eine Teilung der Grafschaft, wobei jeder Sohn einen Teil selbständig regierte.744 Im Gegensatz zu Kurfürstentümern, in denen die Primogenitur durch Reichsrecht festgeschrieben war, stand es anderen Reichsständen grundsätzlich freigestellt, eigene Regelungen zu treffen.745 Es lassen sich zwar einzelne Beispiele für eine Primogenitur oder eine gemeinschaftliche Regierung im 16. und 17. Jahrhundert finden, grundsätzlich aber waren Land und Leute im Haus Solms – beginnend mit der Teilung unter die beiden Söhne Graf Ottos, Bernhard (* unbekannt, + 6.8.1459) und Johannes (* unbekannt, + 1457), durch die die beiden Hauptlinien Solms-Braunfels und Solms-Lich begründet worden waren – immer wieder unter den erbberechtigten Söhnen aufgeteilt worden.746 Daraus resultierte eine außerordentlich weite Verzweigung des Hauses und die Entstehung immer kleinerer (Teil-)Grafschaften, die durch ihr geringeres ökonomisches Potential und kleinere selbständige politischen Handlungsfähigkeit oft eher in ihrer Existenz bedroht waren, als dies bei größeren Grafschaften und Fürstentümern der Fall war.747 Auch wenn eine solche Aufteilung der Landesherrschaft durchaus Vorteile für die Eigenständigkeit einer Grafschaft haben konnte, wie unlängst am Beispiel Waldecks 744 LÜNIG, Thesaurus juris, S. 445 ff. zeigt noch eine dritte Möglichkeit – eine Art Mischlösung – auf: die Herrschaft wird in die einzelnen Ämter aufgeteilt; die wichtigsten dieser Ämter werden zur Regierung verordnet, die übrigen zu Erb-Aemtern erklärt. Die Erbämter werden gleichmäßig unter allen Erbberechtigten aufgeteilt, die Regierungsämter nacheinander in der Reihenfolge des Alters regiert. Diese Lösung kam jedoch offensichtlich nur für die größten Grafschaften in Frage. 745 Vgl. dazu bereits VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff, S. 50 ff. 746 Vgl. zu den Landesteilungen und der Solmser Genealogie bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert v.a. ZEIBICH, Genealogische Tabellen. 747 Zur Problematik der Verschuldung kleinerer Reichsgrafschaften am Beispiel Ysenburgs, insbesondere den Ursachen und den durch kaiserliche Kommissionen durchgeführten Massnahmen der Finanz- und Schuldenverwaltung vgl. ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Ackermann weist nach, dass gerade die wiederholten Landesteilungen eine wesentliche Ursache der Überschuldung darstellten. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 189 gezeigt wurde,748 stellte sich mehr und mehr heraus, dass die Einführung einer klar definierten und vor allem vertraglich fixierten Primogeniturregelung eine der zentralen Modernisierungsaufgaben war, vor die sich der Adel im 17. und 18. Jahrhundert gestellt sah. Das galt für einfache adelige Geschlechter, weil dadurch eine Zersplitterung ihres Besitzes verhindert und „eine wichtige Verschuldungsursache, wenn auch nicht beseitigt, so doch reduziert wurde“.749 Das galt aber insbesondere für alle Inhaber von reichsunmittelbaren Territorien, weil sie zusätzlich zur Sicherung der standesgemäßen Nahrung die Erhaltung einer handlungsfähigen Landesregierung zu gewährleisten hatten. Deshalb war die Primogenitur in vielen Grafschaften bereits Ende des 17. Jahrhunderts eingeführt750 und zuletzt 1722 von einem Grafentag des Wetterauer Kollegiums in Frankfurt für alle Mitglieder noch einmal dringend angemahnt worden. Von dieser Versammlung wurde für eine zur conservation der Reichs-gräfl. Häuser höchst nöthig und erspriessliche Sache angesehen, die primogenituren, wo noch keine vorhanden, und es anders thunlich ist, bald möglich ein zu führen, in zwischen jedoch seynd die allzu weit gehende Abtheilungen unserer Herrschafften und Güther, wodurch die Häuser und Familien, nicht weniger als durch oberwehnte Verbeßerungen geschwächt und mit Schuld beladen werden, quoris modo zu verhüten.751 Im Haus Solms existierte auch im 18. Jahrhundert kein in den Haus- und Familienpakten festgeschriebenes ius primogeniturae. Die Erbfolge konnte vielmehr im Einzelfall testamentarisch festgelegt oder durch einen Erbvergleich ausgehandelt 748 Die Grafen von Waldeck aus den verschiedenen Linien des Hauses betrieben eine jeweils eigene Bündnispolitik und konnten durch diese Diversifikationstaktik auf mehrere Verbündete im Kampf gegen die Mediatisierungsversuche der hessischen Landgrafen zurückgreifen. Vgl. ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft, hier v.a. S. 41-46. 749 KSOLL, Die wirtschaftlichen Verhältnisse des bayerischen Adels 1600-1679. Dargestellt an den Familien Törring-Jettenbach, Törring zum Stain sowie Haslang zu Haslangkreit und Haslang zu Hohenkammer, S. 90. In Kurbayern war bereits am 20.4.1672 ein Generalmandat erlassen worden, dem zufolge der älteste Sohn edelmannfreier Adelsfamilien im Lande Haupterbe sein sollte, siehe ebd., S. 89 f. 750 Vgl. z.B. die ausführliche Untersuchung zum 1685 geschlossenen „Pactum Primogeniturae“ in der wie Solms zum Wetterauer Grafenverein gehörenden Grafschaft Waldeck bei ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft, S. 53-66, sowie den Überblick über bis 1725 einführte Primogeniturregelungen in anderen gräflichen Häusern bei LÜNIG, Thesaurus juris, der jedoch nur Hanau, Hohenlohe, Lippe, Ostfriesland, Rantzau, Königseck und Isenburg als Beispiele anführt – eine geringe Zahl angesichts der Vielzahl der Reichsgrafschaften. 751 Extract einer Grafen-Notul aus Frankfurt 1722 wegen der Primogenitur für alle vier reichsgräflichen Collegien, HStAD F 24 A Nr. 816/1. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 190 werden.752 Dem entsprechend sind in unterschiedlichen Generationen der Grafen von Solms-Rödelheim verschiedene Varianten der Vererbung praktiziert worden, die nun chronologisch dargestellt werden, wobei die letztendlich gefundene Primogeniturregelung gewissermaßen den Endpunkt der Entwicklung darstellte. Gleichsam nebenbei sollen auch die wichtigsten biographischen Details der handelnden Personen dargestellt werden, um einen zusätzlichen Zugang zu ihren Motiven und Handlungen zu gewinnen. Insbesondere dem Sekundogenitus in seiner eigentümlichen Mittelstellung zwischen dynastischer Bedeutung und praktischer Bedeutungslosigkeit sowie den sich daraus ergebenden ganz eigenen Schwierigkeiten wird abschließend ein kurzer Exkurs gewidmet, weil hier m.E. ein Desiderat der historischen Forschung besteht. 4.2.1 Gemeinsame Problemlösungsstrategien Johann Karl Eberhards, Ludwigs und Ludwig Heinrichs 1680-1728 In seinem Testament vom 15.3.1676 verfügte Graf Johann August, dass wie bey unserm Hause Herkommens753 sein Ältester Sohn nicht nur die Herrschaft und Regierung übernehmen, sondern auch das Schloss samt Möbeln sowie ein Silberkästlein754 erhalten solle. Die jüngeren Söhne hingegen sollten neben einem angemessenen Deputat und dem in Rödelheimer Besitz befindlichen Fünftel an Laubach755 auch etwa 4000 Rtlr. Bargeld zum Studiren und Reysen erhalten, damit 752 Ein Beispiel dafür ist der durch Gräfin Anna Maria von Solms, geb. Gräfin von Erbach (*1602 +1663) am 5.4.1652 für ihre vier Söhne errichteten Erbvergleich, in dem es heisst, es sei bei dem ganzen Geschlecht jeder Zeit also unverrückt erhalten worden, Wie solches die Gräf. Solmsischen Erbverträge [...] clärlich bezeugen, und außweisen, daß der elteste Bruder die wichtigste und fürnehmste Herrschaft, Aemter und Guter alleine bekommen, dem Andern und nechsten nach Ihm, auch ein Stück wann es vorhanden gewesen, und vor den Jüngeren gleich wie den eltern vor Ihm ein ansehnlicher und starker vortheil zu mehrerm respect und auffnehmen der Gräf. familien gelassen werde, vgl. die Transkription dieses Vergleichs im Anhang von SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 550. 753 Unter anderem auf diese Formulierung stützte später der Enkel Wilhelm Karl Ludwig seine Argumentation, die Primogenitur sei im Haus Solms bereits seit langem eingeführt, vgl. das Kapitel zum Konflikt um das Erbe Ludwig Heinrichs weiter unten. 754 Dieses von der Mutter geerbte silberne Kästchen scheint für Johann August einen besonderen (ideellen) Wert gehabt zu haben, denn es nimmt nicht nur in seinem Testament, sondern auch in der Korrespondenz mit seinen Brüdern eine exponierte Stellung ein, vgl. die Transkriptionen der Briefe Graf Johann Augusts vom 8.5., 11.6. und 26.8.1677 bei SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 316-320. 755 Graf Johann August hatte offenbar die über den Inhalt seines Testaments hinaus gehende Verfügung getroffen, dass der Anteil an Laubach nicht wie Rödelheim an den Ältesten, sondern an die übrigen Söhne gehen sollte. Ein solches Codicill ist sich zwar in keinem Archiv vorhanden, muss aber existiert haben, da Johann Karl Eberhard in einem späteren Schreiben an den Kaiser ausdrücklich Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 191 sie keine Haußtauben bleiben dann der Älteste mit der Alimentation doch genug wirdt zu thun haben,756 und den Töchtern wurden die üblichen Heiratsgelder zugesagt. Darüber hinaus errichtete der Testator über den durch ihn selbst erworbenen, nicht geerbten Besitz an Bargeld, Immobilien und Gefällen einen Fideikommiss, durch den alle seine Kinder gleichermaßen daran teilhaben sollten, damit jedem waß zu gut kommen, undt eine beyhülffe der alimentation sey. Zu Vormündern seiner noch unmündigen Kinder bestellte er Ludwig Christoph von Stollberg-Ortenburg und seinen Bruder Johann Friedrich, da seine Frau Eleonora Barbara Maria geb. Cratz von Scharffenstein (*2.11.1629 +26.1.1680) in Ihrigem jezigen Zustandt nicht anders, alß ein kindt zu achten,757 nämlich seit mehreren Jahren geisteskrank war und deshalb für dieses Amt, das ihr eigentlich zugekommen wäre, nicht zur Verfügung stand.758 Als Graf Johann August im November 1680 starb, waren von den 13 Kindern, die er mit Eleonora Barbara Maria hatte, bereits sechs gestorben, und auch seine Ehefrau war nicht mehr am Leben. Der älteste Sohn Johann Karl Eberhard übernahm nun, wie im väterlichen Testament vorgesehen, die Regierung in Rödelheim. Anfang des Jahres 1681 nahm Johann Karl Eberhard die Huldigung in der Grafschaft Rödelheim ein. Gleichzeitig pachtete er von seinen noch unmündigen Brüdern deren Fünftel der Grafschaft Laubach und übernahm die darauf haftenden Verpflichtungen gegenüber Reich und Kreis.759 Bereits vorher hatte er eine Militärlaufbahn begonnen und befand sich nicht in Rödelheim. Dass ein Graf sich nicht im Land aufhielt, sondern außerhalb in Diensten stand, war – nicht nur im Haus Solms – im 16. und 17. Jahrhundert keineswegs ungewöhnlich. Seit Reinhard von Solms-Lich (*12.10.1491 +23.9.1562) kaiserlicher Feldmarschall und Festungsbaumeister gewesen und 1547 mit einer kaiserlichen Exekutionskommission darauf Bezug nimmt, vgl. Gesuch um kaiserliche Bestätigung des brüderlichen Vergleichs von 1695, HStAD F 24 A 815/2. 756 Testament Graf Johann Augusts vom 15.3.1676, HStAD F 24 A 815/2. 757 Ebd. 758 Eine Mutter hatte generell einen Anspruch auf Vormundschaft ihrer Kinder, eine hochadelige Witwe auch auf die Regentschaft des Landes, vgl. PUPPEL, Die Regentin, S. 88. Dies war auch im Haus Solms üblich; der Sohn Johann Augusts, Ludwig Heinrich, machte in seinem Testament 1727 seine Gemahlin zur Vormünderin, die Grafen von Ysenburg-Büdingen und von Stollberg-Gedern zu Mitvormündern, vgl. Testament Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239. Dessen Sohn Johann Ernst Karl verfügte 1778 sogar ausdrücklich, dass seine Ehefrau Amoena Charlotte allein die Vormundschaft und die Regentschaft führen solle, vgl. Testament Johann Ernst Karls vom 12.8.1778, ASR 489. 759 Vgl. Gesuch um kaiserliche Bestätigung des brüderlichen Vergleichs von 1695, HStAD F 24 A 815/2. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 192 gegen Landgraf Philipp von Hessen beauftragt worden war,760 machten des Öfteren Reichsgrafen Karriere im Militär anderer Reichsstände. Johann Albrecht von Solms- Braunfels (*5.3.1563 +4.5.1623) war General-Feldzeugmeister der Vereinigten Provinzen der Niederlande, Obrist und Kommandant in Maastricht gewesen,761 und noch der Großvater Johann Karl Eberhards, Graf Johann Georg II., in dessen Besitz sich seit 1615 die Herrschaft Baruth befand, war in kaiserlichen, später kursächsischen Diensten bis zum General und Kommandanten von Prag aufgestiegen, wo er 1632 starb.762 Die Gründe, aus denen die Betreffenden auswärtige Dienste annahmen, waren vielfältig. Der „Dienst am Gemeinwesen, [...] nach adliger Überzeugung eine standesgemäße Pflicht und Berufung“,763 war eines der Hauptmotive der Grafen, wobei mit Gemeinwesen sowohl der Kaiser und das Reich mit seinen Institutionen als auch die Reichsfürsten gemeint waren. Graf Friedrich Ludwig Christian von Solms-Laubach (*29.8.1769 +24.2.1822) etwa, der sich nach einigen Monaten am Reichskammergericht nach dem Tod Kaiser Josephs II. um eine Reichshofratsstelle bewarb, brachte durch seinen Wunsch, daß ich dem Vaterlande nach allen Kräften dienen könne,764 eben diesen Beweggrund zum Ausdruck. Die Aussicht, im Reichs-, Militär- oder Hofdienst Karriere zu machen, Ruhm und Ehre zu gewinnen und am kaiserlichen oder fürstlichen Glanz zu partizipieren,765 trug dazu bei, dass nicht nur Niederadelige und Ritter, sondern auch Angehörige reichsständischer Familien – und damit auch Reichsgrafen – diesen Weg gingen, anstatt sich ausschließlich mit Verwaltung und Regierung ihrer Güter und Länder zu befassen. 760 Vgl. SASCHA WINTER, Die Residenz und Festung Kassel um 1547. Ein Beitrag zur Stadtbildgeschichte, in: Heide Wunder, et al. (Hg.), Landgraf Philipp von Hessen und seine Residenz Kassel. Ergebnisse des interdisziplinären Symposiums der Universität Kassel zum 500. Geburtstag des Landgrafen Philipp von Hessen (17. bis 18. Juni 2004) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 24;8), Marburg 2004, S. 109-135, hier S. 121-125, sowie speziell zu Reinhard OLIVER KARNAU, Reinhard Graf zu Solms, in: Hubertus Günther (Hg.), Deutsche Architekturtheorie zwischen Gotik und Renaissance, Darmstadt 1988, S. 194-205 und FRIEDRICH UHLHORN, Reinhard Graf zu Solms, Herr zu Münzenberg 1491-1562, Marburg 1952, bes. S. 90-101. 761 Vgl. dazu Lehnsurkunde des Fürstabts zu Fulda für Solms-Braunfels 1596, LHAKo Best. 5 Nr. 106. 762 Vgl. ZEIBICH, Genealogische Tabellen, S. 29 und SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 311-313. 763 ARNDT, Hochadel, hier S. 205. 764 Brief Friedrich Ludwig Christian von Solms-Laubachs an seine Mutter vom 25.4.1790, zitiert nach HELMUT PRÖSSLER, Friedrich Ludwig Christian Graf zu Solms-Laubach 1769 bis 1822 : sein Lebensweg von 1769 bis 1806 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 18), Darmstadt 1957, S. 18. 765 Vgl. MÜNCH, Lebensformen, S. 79-86. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 193 Für Graf Johann Karl Eberhard bedeutete der Militärdienst jedoch nicht nur, dass er dauerhaft abwesend war und nur in seltenen Ausnahmefällen persönlich regieren konnte, sondern auch eine schwere gesundheitliche Belastung,766 die ihn zunächst zwangen, die Landesherrschaft mit seinen Brüdern zu teilen,767 später ganz darauf zu verzichten768 und den Brüder Ludwig und Ludwig Heinrich gegen ein jährliches Deputat i.H.v. 1200 fl Geld, 10/8 Weizen, 200/8 Korn, 30/8 Gerste, 225/8 Hafer, 2/8 Erbsen und Linsen, 12 gute Wagen Heu, 12 Wagen Holz, 12 Wagen Stroh und 4 Wagen Grummet zu überlassen.769 Er starb wenige Jahre später.770 Seine beiden jüngeren Brüder hatte bereits mit dem Antritt ihrer Herrschaft obwohlen das beste Mittel gewesen wäre, allen irrungen und mißhelligkeiten, so auß gemeinschafften zu entstehen pflegen, vorzukommen, daß nach disposition anleithung und exempel unserer in Gott ruhenden Voreltern einem jeden sein Antheil von beyden Herrschafften sogleich zugetheilet werde bis auf weiteres die gemeinschafftliche beyeinanderstehung wehlen müssen,771 also eine Vereinbarung geschlossen, die Grafschaft gemeinsam zu regieren; allerdings betonten sie, dass es sich dabei nicht um die bevorzugte Variante handele, sondern die begrenzten Ressourcen sie zu dieser Maßnahme zwängen.772 Tatsächlich nutzten sie die nächsten 20 Jahre, um den anhängigen Konflikt mit Laubach um gegenseitige Ansprüche zu beenden773 und ihre persönliche finanzielle Situation – und damit diejenige ihrer Herrschaft – durch einträgliche Heiraten entscheidend zu verbessern,774 weshalb sie sich 1715 in der Lage fühlten, die gewünschte Teilung der Grafschaft vorzunehmen.775 Während der ältere Graf 766 Vgl. zur Laufbahn und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen Leichenpredigt für Graf Johann Karl Eberhard 1699, ASR 649. 767 Vgl. Regierungsvollmacht Johann Karl Eberhards für Ludwig vom 29.4.1692, HStAD F 24 A 815/2. 768 Vgl. Gesuch um kaiserliche Bestätigung des brüderlichen Vergleichs von 1695, HStAD F 24 A 815/2. 769 Vgl. Vergleich über die Überlassung der Herrschaft an Ludwig und Ludwig Heinrich vom 28.2.1795, HStAD F 24 A 28/3. 770 Notifikation über den Tod des Grafen Johann Karl Eberhard an alle Solms-Rödelheimer Amtsträger vom 5.2.1699, ASR 501. 771 Vergleich zwischen den Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich über gemeinschaftliche Regierung vom 30.09.1695, HStAD F 24 A 28/3. 772 Vgl. auch die zugehörige Urkunde vom 28.9.1695 in HStAD B 9 4361. 773 Vgl. Supplik der Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich von Solms-Rödelheim contra Solms- Wildenfels (o.D., Sommer 1699), HStAD F 24 A 815/2, sowie Konzept für ein Schreiben Ludwigs an Graf Cratz von Scharffenstein vom 12.7.1704, HStAD F 24 A 52/2, mit Details zu dem Vergleich. 774 Vgl. oben Kapitel „Arrondierungen und Erweiterungen“. 775 Eine Teilungsurkunde existiert nicht; deshalb muss der Zeitpunkt der Teilung aus anderen Anhaltspunkten abgeleitet werden; z.B. existierte 1714 noch eine gemeinsame Kreistruppe der Grafschaft Solms-Rödelheim, 1715 aber war sie in ein Rödelheimer und ein Assenheimer Kontingent Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 194 Ludwig weiterhin in Rödelheim residierte, nahm der jüngere Ludwig Heinrich seinen Sitz in Assenheim, das bis dahin als Witwensitz fungiert hatte.776 Damit war die Grafschaft Solms-Rödelheim wiederum geteilt. Bereits am 5.12.1716 verstarb jedoch der Rödelheimer Regent Graf Ludwig, und dessen Sohn Lothar Wilhelm Ernst (* 3.11.1703, + 13.4.1722) übernahm, gerade 13 Jahre alt geworden, die Landesherrschaft in Rödelheim. Seine Mutter Charlotte Sybilla wurde, wie schon in der Eheberedung zwischen ihr und Graf Ludwig 1696 vereinbart worden war, vormundschaftliche Regentin.777 Bereits kurz nach seinem 18. Geburtstag ertrank Lothar Wilhelm jedoch am 13.4.1722 bei einem Unfall in der Nidda, und der Rödelheimer Landesteil fiel an Ludwig Heinrich. Rödelheim und Assenheim waren und blieben von diesem Zeitpunkt an wieder in einer Hand vereint. Damit war aus den beiden kleineren Teilgrafschaften mit ihren sehr begrenzten materiellen Grundlagen778 eine größere Einheit geworden, die zudem um die Einkünfte der seit 1718 angetretenen Cratz-von Scharffenstein´schen Erbschaft auf dem Hunsrück sowie die Einnahmen aus der Grafschaft Limpurg-Gaildorf, wo Ludwig Heinrichs Ehefrau Wilhelmine Christine Mitregentin war, ergänzt wurde. Die Teilung Rödelheims war also eine nur sieben Jahre währende Episode geblieben,779 hatte aber ungeachtet der Kürze der Zeit offenbar viel Geld verschlungen: Ludwig Heinrich bezifferte 1723 die aus Rödelheim übernommene Schuldenlast auf 28.000 fl und stellte im Zuge der Auseinandersetzungen um das Erbe seines Neffen Lothar Wilhelm Ernst fest, dass man zu Rödelheim die Schulden in etlich und 20. Jahren nicht abtragen können,780 und beklagte noch in seinem Testament, dass er, da wir Land und leuthe getheilet gehabt, erfahren haben, was die aufgeteilt – ein deutliches Zeichen für eine Teilung ab 1715, vgl. die Belege zur Rechnung der Solms- Rödelheimer (und Assenheimer) Kriegskasse 1714-1715, HStAD F 24 B 402. Der gräfliche Erlass wegen der Schulpflicht in Fauerbach 1714 wurde noch von der gemeinschaftlichen Regierung in Rödelheim abgefasst, während später die Regierung in Assenheim zuständig war, vgl. Schreiben der Regierung Rödelheim an die Gemeinde Fauerbach vom 11.10.1714, HStAD F 24 C 308/8. Die anlässlich des Todes Graf Ludwigs gesammelten Personalien sagen nichts über den Zeitpunkt der Teilung aus, vgl. Personalien Graf Ludwigs als Vorlage für eine Leichenpredigt, ASR 645. Vgl. weiterhin FRANZ, Grafschaft Solms-Rödelheim. Amtsbücher, Kopiare, Sal- und Lagerbücher, Protokolle, Gerichtsbücher und Rechnungen (F 24 B), S. 9, der ebenfalls 1715 als Zeitpunkt der Teilung angibt. 776 Vgl. z.B. Ehevertrag zwischen Graf Ludwig und Gräfin Charlotta Sybilla von Ahlefeldt vom 11.1.1696, ASR 645. 777 Eheberedung zwischen Ludwig von Solms und Charlotte Sybilla von Ahlefeld vom 11.1.1696, ASR 239, sowie Anordnung Ludwigs für die Vormundschaft vom 13.7.1716, ASR 645. 778 Vgl. das entsprechende Kapitel 2.2. 779 Vgl. den Vergleich über das Erbe Lothar Wilhelm Ernsts zwischen Ludwig Heinrich und Gräfinwitwe Charlotta Sybilla in Vormundschaft ihrer Kinder von 1722, ASR 499. 780 Vgl. Eingabe des Anwalts des Grafen von Solms-Assenheim an das Reichskammergericht von 1723, ASR 239. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 195 theilung nach sich ziehe, indeme wir vor uns auf unser theil keine schulden gemacht, sondern die Schulden fast doppelt gefunden, und die helfft von Rödelheim wohl drey mahl haben einlößen müßen.781 Offenbar war ungeachtet der Tatsache, dass die beiden Brüder keineswegs vorschnell, sondern sehr überlegt und geplant geteilt hatten, und trotz einer bescheidenen Lebensführung ohne aufwändige Bauprojekte oder hohe Ausgaben für Repräsentationszwecke782 eine weitere Teilung wirtschaftlich nicht darstellbar. Ludwig Heinrich hatte 1722 fast nichts als Arbeit, und viele Schulden aller Orthen gefunden, und doch durch Gottes Segen in Gedult die Herrschafft Rödelheim fast drey mahl erkaufft, Gaildorff aus Schulden gesetzet, vier adeliche Güther erkaufft, und noch darzu [...] Capitalien erspahret,783 sich also unter ungünstigen Voraussetzungen als gut wirtschaftender Regent und verantwortungsvoller Vater des Landes, insbesondere aber der erbberechtigten Nachkommen erwiesen. So hinterließ er trotz der finanziellen Probleme, zu denen die Teilung geführt hatte, bei seinem Tod am 1.5.1728 ein beachtliches Erbe, das er auf einen finanziellen Konsolidierungskurs gebracht hatte. Insgesamt können die Alternativstrategien zur Primogenitur, die durch die Brüder Ludwig und Ludwig Heinrich zwischen 1695 und 1716 erprobt bzw. durchgeführt worden sind, als gescheitert bezeichnet werden. Vor allem in ökonomischer Hinsicht hatte sich weder eine gemeinschaftliche Regierung wie zwischen 1695 und 1715 noch eine Aufteilung von Landesherrschaft und Besitz wie zwischen 1715 und 1722 als praktikabel erwiesen. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso unverständlicher, dass Ludwig Heinrich, der kurz zuvor noch mit den Resultaten einer gemeinschaftlichen bzw. geteilten Regierung zu kämpfen hatte, in seinem Testament vom 27.10.1727 ausdrücklich festlegte, dass wir unsere 3. Söhne, nahmentlich Wilhelm Karl Ludwig, Johann Ernst Karl und Christian Ernst Karl zu unsern rechtmäßigen Erben, unserer land und leuthen, wie sie ohnedem sind, hiermit eingesetzet haben,784 dass also alle drei Söhne gleichberechtigt erben und vor allem regieren sollten, die beiden jüngeren für die Dauer ihrer Unmündigkeit unter der Vormundschaft ihrer Mutter und der Grafen von Stollberg-Gedern und Ysenburg- Büdingen und unterstützt durch den Friedberger Syndicus Schwalb als 781 Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239. 782 Vgl. die entsprechenden Wendungen in der Vorlage für eine Leichenpredigt für Graf Ludwig von 1716, ASR 645. 783 Testament Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR 239. 784 Testament Ludwig Heinrichs von Solms-Assenheim vom 27.10.1727, ASR 239. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 196 Vormundschaftsrat. Damit legte er den Grundstein für einen Jahrzehnte währenden Konflikt um sein Erbe. 4.2.2 Primogenitur oder gemeinschaftliche Regierung? Die Durchsetzung der Landesherrschaft ab 1728 Aus der Ehe des Grafen Ludwig Heinrichs mit Wilhelmine Christine, der geborenen und regierenden Gräfin785 von Limpurg-Gaildorf, waren insgesamt 14 Kinder hervorgegangen. Davon erreichten die vier Töchter Dorothea Sophia Wilhelmine, Eleonore Friederike Juliane, Sophia Louise Christiane und Charlotte Christiane Friederike sowie die drei Söhne Karl Christian Heinrich, Johann Ernst Karl und Wilhelm Karl Ludwig das Erwachsenenalter. Prägend für die Grafschaft Solms-Rödelheim im 18. Jahrhundert war vor allem das Verhältnis zwischen Wilhelm Karl Ludwig von Solms-Rödelheim (*3.2.1699, +27.8.1778) und seinen Geschwistern, vor allem seinem Bruder Johann Ernst Karl von Solms-Assenheim (*8.5.1714, +15.1.1790), das – ungeachtet einiger Wendungen – durch das väterliche Erbe äußerst konfliktträchtig war und bis zum Tod des älteren Bruders blieb. Über Kindheit und Jugend Wilhelm Karl Ludwigs ist den Quellen wenig zu entnehmen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass das Verhältnis zu seinen Brüdern von Beginn an kein sonderlich enges war. Da er bei der Geburt Johann Ernst Karls bereits 15 und bei der Geburt Karl Christian Heinrichs (*6.8.1716, +26.4.1745) 17 Jahre alt war, legt schon der Altersunterschied und die sich daraus ergebende Differenz der Lebens- und Erfahrungshorizonte diesen Schluss nahe. Zudem nahmen den ältesten Bruder die Herausforderungen, die er als junger Graf, namentlich als Erbgraf von Assenheim, zu bewältigen hatte, zeitlich sehr in Anspruch, so dass er in dieser Phase wenig Kontakt zu den Jüngeren gehabt haben dürfte. Nach dem Tod seines Cousins Friedrich August Karl, des ältesten Sohns Graf Ludwigs von Solms- Rödelheim, im Oktober 1716 wurde er, wie aus einem an ihn gerichteten Schreiben seines Vaters vom November des Jahres hervorgeht, als dessen Nachfolger zum 785 Ursprünglich lautete der korrekte Titel „Semperfreie und Erbschenken des heiligen römischen Reichs“. Bereits im 16. Jahrhundert aber galten die Schenken „den Grafen ebenbürtig [...und wurden] auch zu den fränkischen Grafentagen eingeladen“, WUNDER, SCHEFOLD und BEUTTER, Schenken von Limpurg, S. 43. Die Ebenbürtigkeit kommt auch im regelmäßigen Konnubium mit reichsgräflichen Familien zum Ausdruck und führte dazu, dass spätestens Ende des 17. Jahrhunderts die Bezeichnung „Reichsgrafen von Limpurg“ etabliert war. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 197 Hauptmann der Solmser Kompanie bei den oberrheinischen Kreistruppen ernannt786. Das brachte, da man die würckliche verwaltung der obgemeldten Compagnie dem jetztmahligen Lieutenant Herrn Johannes Caroli gnädigst anvertraut787 hatte, mithin eine ständige Präsenz des Hauptmanns bei den Truppen nicht erforderlich war, einstweilen noch keine zeitintensiven Verpflichtungen, jedoch eine jährliche Besoldung von 240 fl mit sich,788 die zusätzlich zu der vom Vater gewährten finanziellen Unterstützung den Unterhalt und die Ausbildung des jungen Grafen außerhalb der Grafschaft sichern half. Wilhelm Karl Ludwig hielt sich seit mindestens Ende 1716 nicht mehr in Assenheim auf, sondern unternahm auswärtige studien und reyssen.789 Er besuchte ab 1717 in Begleitung eines Hofmeisters die Universität Gießen,790 ab dem 12. 10. 1720 war er in den Adelsmatrikeln der Universität Strassburg eingeschrieben.791 Damit wurde ihm eine Erziehung und Ausbildung zuteil, die sich mit den beiden wesentlichen Stationen „Besuch wichtiger Fürstenhöfe“ und „(juristisches) Studium“ im üblichen Rahmen junger Angehöriger sowohl landsässiger als auch reichsunmittelbarer adeliger Familien des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts bewegte.792 Die Quellenlage lässt eine detailliertere Untersuchung insbesondere der Reisen nicht zu, so dass die wichtige Frage, welche Ziele angesteuert und welche persönlichen Bekanntschaften und familiären oder politischen Beziehungen dabei hergestellt oder gepflegt wurden, hier unbeantwortet bleiben muss. Sicher ist jedoch, dass auch dieser Abschnitt des Lebens eines Reichsgrafen von Solms dem Postulat der Sparsamkeit unterworfen war, wie aus dem erwähnten Brief Ludwig Heinrichs hervorgeht: anlässlich eines Todesfalls in der Familie hatte Wilhelm Karl Ludwig drei Monate lang Trauer zu tragen. Der Vater verlangte deshalb von seinem Sohn Auskunft darüber, was die nötige schwarze Kleidung an dessen derzeitigem 786 Brief Ludwig Heinrich an Wilhelm Karl Ludwig vom 6.11.1716, HStAD F 24 A 220/2. 787 Erlaß Ludwig Heinrichs über die Verwaltung der Kreiskompanie und Aufteilung der Besoldung vom 12.2.1717, HStAD F 24 A 220/1. 788 Vgl. die Jahresrechnungen der Assenheimer Landkasse der Jahre 1716-1718, HStAD F 24 B 401. 789 Brief Ludwig Heinrich an Wilhelm Karl Ludwig vom 6.11.1716, HStAD F 24 A 220/2 . 790 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 331. 791 Vgl. GUSTAV C. KNOB, Die Alten Matrikel der Universität Strassburg 1621 bis 1793 (Urkunden und Akten der Stadt Strassburg 1), Strassburg 1897, S. 17. Die Universität Strassburg als eine der wichtigsten protestantische Universitäten der oberrheinischen Region wurde von Angehörigen der Wetterauer Grafenhäuser stark frequentiert und war auch von den drei Laubacher Brüdern Friedrich Ernst, Karl Otto und Heinrich Wilhelm ab 1687 besucht worden, vgl. Ebd. S. 9. 792 Vgl. dazu u.a. die Untersuchung von Erziehung und Ausbildung der Grafen von Fürstenberg bei MAUERER, Südwestdeutscher Reichsadel, hier v.a. S. 70-75, und die umfassende Darstellung solcher Reisen und Studien bei MATHIS LEIBETSEDER, Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert (Beihefte zu Archiv für Kulturgeschichte 56), Köln/Weimar/Wien 2004. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 198 Aufenthaltsort kosten werde, und bat ihn, wenn es dorten gar zu teuer wer, so schicke mir nuhr die Maß vom Cammisol und Hosen hierher,793 um die Sachen ggf. in Assenheim preisgünstiger herstellen zu lassen. Bei allem Repräsentationsbedürfnis war die Notwendigkeit, die Kosten in einem vertretbaren Rahmen zu halten und „gut zu wirtschaften“ am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts so groß, dass sich der regierende Graf in geradezu hausväterlicher Weise mit ein paar schwarzen Hosen beschäftigte. Wilhelm Karl Ludwig, zum Zeitpunkt der Errichtung des väterlichen Testaments bereits 28 Jahre alt und – wie auch in späteren Phasen seiner Regentschaft – überaus ambitioniert, machte von Anfang an und bereits vor dem Tod seines Vaters, deutlich, dass er keine Form der Teilung der Landesherrschaft zu akzeptieren gedachte. Vor dem oben erwähnten Testament Ludwig Heinrichs vom Oktober 1727 muss es schon eine letzte Willensbekundung ähnlichen Inhalts gegeben haben, die Wilhelm Karl Ludwig bekannt war. Mitte des Jahres 1727 beauftragte er nämlich die juristische Fakultät der Universität Tübingen mit einer Untersuchung der Frage, ob das Testament insgesamt und speziell der Teil gültig sei, der eine gemeinschaftliche Regentschaft vorsehe. Die Rechtswissenschaftler konnten zwar in ihrem auf den 16.9.1727 datierten Gutachten794 eine Ungültigkeit nicht schlüssig darlegen, sie entwickelten jedoch mit ihrem Ratschlag, sofort nach des Vaters Tod Besitz von der Grafschaft zu ergreifen und erst danach den Rechtsweg zu beschreiten und sich gegen die Ansprüche der aus seinen jüngeren Brüdern und deren Vormundschaft bestehenden Gegenpartei juristisch zu wehren, eine Strategie, die Wilhelm Karl Ludwig konsequent umsetzte und die letztlich zum Erfolg führte. Die im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzungen der folgenden Jahre verfassten Berichte über die Ereignisse nach dem Tod des alten Grafen Anfang Mai 1728 bieten einen guten Einblick in das Verfahren der Besitzergreifung einer Reichsgrafschaft und die sich ergebenden Konflikte, deshalb sollen sie hier noch einmal kurz einbezogen werden.795 793 Brief Ludwig Heinrich an Wilhelm Karl Ludwig vom 6.11.1716, HStAD F 24 A 220/2 . 794 Kopie eines Gutachtens von Dekan und juristischer Fakultät der württembergischen Universität Tübingen vom 16.9.1727, HStAD F 24 A Nr. 816/1. 795 Die nachfolgende Darstellung basiert auf den Berichten der Notare Feuerbach und Ries, die als Beilage zu einer Supplik durch den Anwalt Wilhelm Karl Ludwigs an den Kaiser vom 24.5.1728 erhalten sind, vgl. die Akte zum Primogeniturstreit HStAD F 24 A Nr. 816/1. Vgl. dazu auch die Darstellung in Kapitel 2.1. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 199 Der Rödelheimer Rentmeister Heimburg und der Frankfurter Notar Johannes Philipp Feuerbach nahmen gleich am auf den Tod des alten Grafen folgenden Morgen namens des Grafen Wilhelm Karl Ludwig zuerst Schloss und Ort Rödelheim in Besitz und den Untertanen die Huldigung ab. In ähnlicher Weise verfuhren sie nachfolgend in den Orten Praunheim, den die Grafen von Solms mit Hanau gemeinsam besaßen, wo sie im Haus des Schultheißen den Tod des alten Grafen verkündeten und die Huldigung des Dorfes für Wilhelm Karl Ludwig entgegennahmen – in der Hoffnung, das Dorf werde ihn als einzige Herrschaft anerkennen. Der aus Assenheim im Auftrag der Gräfinwitwe angereiste Regierungsrat Schwalb kam gerade noch rechtzeitig, um Protest dagegen einzulegen, was sie nicht daran hinderte, mit Niederursel, Petterweil, dem dazwischen liegenden Wald und schließlich dem Bainhards-Hof fortzufahren, wobei sie neben den Orten insbesondere auch die darin liegenden herrschaftlichen Gebäude berücksichtigten. Der Rödelheimer Regierungsrat Steffens und der Friedberger Notar Ries nahmen zur gleichen Zeit Niederwöllstadt für Wilhelm Karl Ludwig in Besitz, nahmen u.a. den Kirchenschlüssel an sich, öffneten und schlossen die Tür und versuchten, den Pfarrer sowohl ratione juris Episcopatus, alß auch Patronatus auf den Grafen zu vereidigen. Allerdings weigerte sich dieser mit dem Hinweis, von ihm dürfe ein solcher Eid nur auf dem Konsistorium verlangt werden. In Fauerbach, Assenheim, Bauernheim und Einartshausen setzten sie die Besitzergreifung fort. Dort verkündete man ebenfalls den Todesfall des alten Grafen und die Regierungsübernahme durch Wilhelm Karl Ludwig. Am nächsten Tag fuhren sie dann in Frankfurt mit dem gräflich solmsischen Hof und der so genannten „Neue Herberge“ vor Frankfurt fort. Bald jedoch stießen die Beauftragten Wilhelm Karl Ludwigs erneut auf Widerstand durch Gräfin Wilhelmine Christine. Selbstständig hatte diese Befehle an die Pfarrer wegen des Läutens der Glocken anlässlich des Todes des regierenden Grafen ergehen lassen796 und angekündigt, nicht nur das Testament ihres Ehemannes eröffnen, sondern auch eigene Huldigungen der Rödelheimer und Assenheimer Ortschaften einholen zu lassen. Als man deswegen den Regierungsrat Schwalb in Assenheim aufsuchen und zur Rede stellen wollte, ließ sich dieser von seiner Familie verleugnen und hielt sich versteckt. Deshalb ging man zur Kanzlei weiter und verlangte die Herausgabe der Akten, die Schließung der Kanzlei, die Rücknahme des 796 Siehe dazu die Kopie des „Kirchenläutbefehls“ vom 1.5.1728, HStAD F 24 A 816/1. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 200 Kirchenläutbefehls und anderer Anordnungen sowie der Drohung der Testamentsöffnung, erreichte aber keine sofortige Umsetzung des Verlangten. Damit war aus der latenten Rivalität der Brüder um die Regierung der Grafschaft Rödelheim ein offener Konflikt geworden. Die durch die Beauftragten Wilhelm Karl Ludwigs in aller Eile vollzogenen symbolischen – Löschen des Herdfeuers, Abschneiden von Spänen von Türen und Toren usw. – Akte der Besitzergreifung und insbesondere die Erbhuldigung der Untertanen797 hatten ihren Zweck erfüllt: es waren Fakten geschaffen und Wilhelmine Christine in Vormundschaft ihrer jüngeren Söhne in die schwierige Situation gebracht worden, dass, wo auch immer sie versuchte, ihre Ansprüche geltend zu machen, Wilhelm Karl Ludwig oder seine Gesandten bereits da gewesen waren. Als sie ihrerseits den Regierungsrat Schwalb – Vormundschaftsrat ihrer Söhne und ihr wichtigster Verbündeter in dieser Zeit – nach Rödelheim entsandte, um für sie die Possession zu ergreifen, gelang es diesem nicht, die bereits auf den ältesten Bruder eingeschworenen Schlosswachen und anderen Bedienten auf seine Seite zu ziehen: Seine Position war zu schwach, und er kam zu spät. Die potentiellen Verbündeten der Gräfin agierten in dieser Situation sehr zurückhaltend. Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, den Graf Ludwig Heinrich zum Vollstrecker seines Testaments bestimmt hatte,798 sowie der Graf von Stollberg-Gedern als Mitvormund der beiden unmündigen Grafen Johann Ernst Karl und Karl Christian Heinrich zeigten genauso wenig Interesse daran, sich entschieden für die Durchsetzung einer gemeinschaftlichen Regierung stark zu machen wie die anderen Instanzen, an die Wilhelmine Christine sich um Unterstützung wandte – die Mitherrschaften der gemeinschaftlichen Orte Ysenburg-Wächtersbach und Hanau, den Wetterauer Grafenverein oder das Gesamthaus Solms.799 Sie alle versicherten die Gräfin ihres grundsätzlichen Wohlwollens in dieser schwierigen Angelegenheit, weigerten sich aber angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit, Partei zu 797 Die Erbhuldigung, also die Erneuerung des Eids der Untertanen auf den neuen Landesherren beim Übergang der Herrschaft im Todesfall, war das wichtigste Instrument zur Konstituierung eines Vertragsverhältnisses zwischen Territorialherr und Untertan – vereinbart wurden Schutz der Menschen und Achtung ihrer Rechte gegen Gehorsam und Treue, vgl. dazu v.a. DIESTELKAMP, Artikel "Huldigung". Ein Eid auf zwei konkurrierende Herren war demnach nicht denkbar, so dass es entscheidend war, als Erster die Huldigung einzunehmen. 798 Vgl. Testament Ludwig Heinrichs von Solms-Assenheim vom 27.10.1727, ASR 239. 799 Vgl. den in HStAD F 24 A 816/1 enthaltenen Schriftverkehr zwischen Wilhelmine Christine bzw. dem Rat Schwalb mit den verschiedenen Reichsständen und Institutionen. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 201 ergreifen.800 Tatsächlich klingt in der hier zugrunde liegenden Korrespondenz nicht so sehr das Bestreben der involvierten Reichsstände und Institutionen nach einer Durchsetzung der testamentarischen Verfügungen des verstorbenen Regenten oder der Wahrung der Rechte der Erben an, als vielmehr das Interesse • an einer Verhinderung der Aufsplitterung der Grafschaft, da diese sonst nicht mehr in der Lage sein könnte, ihre Pflichten gegen das Reich – insbesondere die Zahlung der Abgaben – zu erfüllen und für gute Policey in ihrem Landen zu sorgen, • daran, dass es bei einem Sitz und einer Stimme Solms-Rödelheims im Grafenverein bleiben möge, dass man nicht mit noch mehr Regierungen korrespondieren müsse und der Schriftverkehr und Verwaltungsaufwand ins uferlose wachse, und • an der Abwendung von Konflikten und einer noch stärkeren Belastung der Untertanen in gemeinschaftlichen Städten und Dörfern.801 Da also Wilhelmine Christine von dieser Seite keine Unterstützung erwarten konnte, blieb ihr nur der Rechtsweg zur Durchsetzung ihrer Ansprüche. Deshalb wandte sie sich Anfang Mai an das Reichskammergericht und konnte auch sehr bald ein Mandatum poenale erwirken, in dem ihr ältester Sohn bei Strafe von zehn Mark löthigen Goldes aufgefordert wurde, seine eigenmächtige Besitzergreifung rückgängig zu machen und zur Klärung des Falles vor dem Gericht zu erscheinen.802 Ob es zu einer solchen Verhandlung tatsächlich kam, lässt sich aufgrund fehlender Überlieferung nicht beurteilen. Es erscheint jedoch eher unwahrscheinlich, denn Wilhelm Karl Ludwigs Strategie war eine andere als die der Verteidigung vor dem Kammergericht und zielte darauf ab, die rivalisierende Konkurrenz zwischen den beiden höchsten Gerichten803 auszunutzen: Er wandte sich 800 So u.a. Landgraf Ernst Ludwig von Hessen in einem Schreiben an Wilhelmine Christine vom 26.5.1728, HStAD F 24 A 816/1. 801 Vgl. Schreiben von Johann Reinhard Graf zu Hanau an Gräfin Wilhelmine Christine vom 4.6.1728, Schreiben Graf Ferdinand Maximilians zu Ysenburg-Wächtersbach an Wilhelmine Christine vom 11.6.1728, Schreiben Graf Johann Reinhards von Hanau an die Vormünder (Gräfin Solms und Graf Stollberg-Gedern) vom 13.9.1728 und die Beilagen zum Diarium Johann Ernst Karls den Primogeniturstreit betreffend, alles HStAD F 24 A 816/1. 802 Mandatum poenale des Reichskammergerichts vom 13.5.1728, HStAD F 24 A 816/1. 803 Vgl. dazu u.a. WOLFGANG SELLERT, Der Reichshofrat: Begriff, Quellen und Erschließung, Forschung, institutionelle Rahmenbedingungen und die wichtigste Literatur, in: Zeitenblicke 3 (2004) [www.zeitenblicke\2004\03\sellert.html] (13.12.2004), Abs. 13. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 202 seinerseits Ende Mai 1728 mit einer Supplik an den Reichshofrat,804 indem er anführte, dass es im gesamten Haus Solms, insbesondere aber der Laubacher Linie, üblich sei, die Landesregierung und den Hauptteil des Landes an den ältesten Sohn weiterzugeben, die nachgeborenen Söhne aber mit geringeren Landesteilen oder einem jährlichen Geld-Deputat abzufinden, wogegen diese auch nie Einwände gehabt hätten. Nun aber habe die Vormundschaft der beiden minderjährigen Grafen Notare und Zeugen im Lande herumgeschickt und z.T. gewaltsam – etwa in Assenheim – versucht, die Huldigung einzunehmen. Besonders der Assenheimer Regierungsrat Johann Friedrich Schwalb habe sich dabei hervorgetan, die Bevollmächtigten Wilhelm Karl Ludwigs zu behindern und Akten zu verstecken. Deshalb wurden Kaiser und Reichshofrat um ein Mandat ersucht, das diese ohnjustificirliche turbation und ohnentschuldbahre vergewaltigung des Landes unterbinden sollte. Dieser ersten Supplik folgten in kurzem Abstand weitere,805 wobei das grundlegende Argumentationsmuster stets das Gleiche war: das ordentliche Funktionieren der Grafschaft sei bei weiterer Teilung nicht mehr sichergestellt. Dadurch könne die zuverlässige Wahrnehmung der Reichsaufgaben, die ordentliche Regierung und gräflichen Haushaltung, die Teilnahme an Reichs- und Grafenversammlungen und die Versorgung aller Angehöriger der Familie nicht länger gewährleistet werden und eine – im Haus Solms ohnehin schon lange gebräuchliche – Primogenitur sei deshalb unumgänglich.806 Die Taktik der Verlagerung des Verfahrens weg vom Reichkammergericht hin zum Reichshofrat hing damit zusammen, dass „die Reichshofräte weniger auf die Einhaltung von Verfahrensregeln, sondern mehr "auf den gemeinen Nutzen und die Förderung der heilsamen Justiz"“807 achteten und das Gericht durch seine Nähe zum Kaiserlichen Hof ein größeres politisches Gewicht als das Reichskammergericht besaß.808 Hofräte, die an politischen Rücksichten ausgerichtete Urteile sprachen, würden auch dann geneigt sein, den Regenten zu bestätigen, wenn seine Ansprüche nach den Buchstaben des Gesetzes nicht unanfechtbar wären – das war das Kalkül 804 Kopie der Supplik durch den Anwalt Wilhelm Karl Ludwigs an den Kaiser vom 24.5.1728, HStAD F 24 A 816/1. 805 Z.B. die Beschwerde Wilhelm Karl Ludwigs an den Kaiser vom 25.8.1728, die Herausgabe von allen zur regierung wichtigen Akten und Dokumte durch die Gräfin betreffend, HStAD F 24 A 816/1. 806 Kopie einer Eingabe Wilhelm Karl Ludwigs an den Reichshofrat Mitte des Jahres 1728 (genaues Datum unbekannt) HStAD F 24 A 816/1. 807 SELLERT, Der Reichshofrat: Begriff, Quellen und Erschließung, Forschung, institutionelle Rahmenbedingungen und die wichtigste Literatur, in: Zeitenblicke 3 (2004), [www.zeitenblicke\2004\03\sellert.html] (13.12.2004) Abs. 4. 808 Vgl. ebd. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 203 Wilhelm Karl Ludwigs, und sein Bruder Johann Ernst Karl musste schon früh feststellen, dass es aufgehen würde. In seinen persönlichen Aufzeichnungen vermerkte er resignierend, der Kammerrichter Graf Hohenlohe-Bartenstein habe seinem Regierungsrat Schwalb ins Gesicht gesagt, dass der Klärung des Falls die Differenzen der beiden hohen Gerichte entgegenstünden, dass die Sache wahrscheinlich komplett vor den RHR gezogen würde und deshalb kein positiver Ausgang zu erwarten sei.809 Dass diese Einschätzung zutreffend war, zeigte sich, als im Juni 1728 Kaiser Karl VI. den Grafen von Hanau mit einer Kommission beauftragte, die eine gütliche Einigung zwischen den streitenden Parteien erzielen sollte und ihm binnen zwei Monaten zu berichten hatte810; hier griff Karl VI. auf ein in vergleichbaren Fällen vielfach bewährtes Instrument zurück, indem er Mitstände zu Mediatoren berief. Schon Ferdinand II. hatte im Streit um die hessische Primogenitur eine Kommission eingesetzt.811 Die klare Vorgabe an Hanau war in diesem Fall, dass weilen nun [...] zu ersehen, was maßen Sie Zergliederung der sehr geringen Rödelheimischen Land- und Reichslehen nicht allein zum völligen Verfall dieser alten gräflichen Familie gereichen, sondern auch dem Publico vor höchst nachtheilig aus den beigefügten Ursachen wegen Abführung der Reichs- und Kreispraestandorum und anderer besonderer Inconvenientien erkennen, und daher zu Abkehrung sothanen mancherlei praejuditz mit Eröffnung ihres rätlichen Ermessens damit die Zergliederung dieser immediaten Reichs Graf- und Herrschaft, nicht so schlechterdings bewerket, sondern so viel thunlich unter einem Haupt beisammen gelassen, mithin dem ältesten Brudern die Regierung, auch Regalien und Juris-Dictions-Uebung allein gelassen, hingegen denen jüngeren Brüdern eine proportionirliche rata von den Gefällen ausgefolget werden mögte.812 809 Vgl. Johann Ernst Karls Diarium über den Primogeniturstreit für den Zeitraum von 1727-1732, HStAD F 24 A 816/1. 810 Vgl. das kaiserliche Mandat zur Errichtung einer Vermittlungskommission unter dem Grafen von Hanau vom 22.6.1728, HStAD F 24 A 816/1. 811 Vgl. PAULA SUTTER-FICHTNER, Protestantism and Primogeniture, S. 67 und allgemeiner zum Instrument der kaiserlichen Kommissionen als „semizentrale Ebene an, die zwischen dem Reich und den reichsständischen Gliedern anzusetzen ist“ und mit deren Hilfe Konflikte auf lokaler Ebene verhandelt wurden SABINE ULLMANN, Kommissionen, in: Zeitenblicke 3 (2004), [www.zeitenblicke\2004\03\ullmann.html] (13.12. 2004). 812 Schreiben des Reichshofrats Graf von Schönborn im Namen Karls VI. an den Grafen von Hanau vom 10.1.1729, zitiert nach SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 331-332. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 204 Um dieses Ziel der alleinigen Regentschaft des ältesten Bruders und der Apanagierung der Jüngeren zu erreichen, setzte Hanau vor allem auf gemeinsame Verhandlungen und Gespräche mit den Parteien und beraumte für den 16.11.1728 zu Frankfurt einen Schlichtungstermin an. Hier kam man jedoch über das bloße Darstellen der jeweiligen Position nicht hinaus, so dass ein neuer Termin für den 30.1.1729 angesetzt werden musste.813 Auch beim zweiten Mal blieben die Vergleichsverhandlungen ohne das gewünschte Ergebnis – zu unterschiedlich waren die Positionen, zu sehr hielten die Parteien an ihren Ansprüchen fest. Deshalb sah sich der Reichshofrat gezwungen, per Dekret vom 26. 9. 1729 festzulegen, daß dieselbe [...] in der bereits ergriffenen possession der Reg. der Herrschafft Rödelheim und besorgung derer publiquen sowol, als derer das gräfflich Solmische Sambt-Hauß angehende Geschäfften gelaßen, jedoch [...] so viel die geschäffte des gräffl. Haußes betrifft, mit dem beysatz, daß derselbe der vormundschafft derer jüngern brüdern von allen dem was von zeit zu zeit desfalls zum besten der familie berathschlaget und beschloßen wird, vollständige communication zur nachricht unverweigerlich thun, auch damit bey beiden gebrüdern continuiren solle, wie ein juristisches Gutachten den Inhalt des Dekrets zusammenfasste.814 Damit war eine Entscheidung gefallen: Wilhelm Karl Ludwig blieb der alleinige Regent – mit der Auflage, seine Brüder bzw. deren Vormundschaft über das Vorgehen in der solmsischen Hauspolitik zu informieren. Den Jüngeren hingegen wurde ein jährlicher Betrag von 750 fl für ihren Unterhalt zugesprochen.815 Seitens der Vormundschaft gedachte man gegen diesen Spruch Rechtsmittel einzulegen und holte diesbezüglich sofort nach dessen Bekanntgabe juristischen Rat ein.816 Trotz dieser Infragestellung war und blieb das Dekret jedoch das Fundament, auf dem die solms-rödelheimische Landesherrschaft und die Beziehung zwischen den Brüdern in den folgenden knapp 813 Vgl. Johann Ernst Karls Diarium über den Primogeniturstreit für den Zeitraum von 1727-1732, HStAD F 24 A 816/1. 814 Gutachten der juristischen Fakultät der fürstlich hessischen Ludwigs-Universität Gießen über die Rödelheimischen Succession vom Herbst 1729 (genaues Datum unbekannt), HStAD F 24 A 816/1. 815 Vgl. auch Johann Ernst Karls Diarium über den Primogeniturstreit für den Zeitraum von 1727- 1732, HStAD F 24 A 816/1. 816 U.a. das bereits zitierte Gutachten der juristischen Fakultät der fürstlich hessischen Ludwigs- Universität Gießen über die Rödelheimischen Succession vom Herbst 1729 (genaues Datum unbekannt), HStAD F 24 A 816/1, in dem den jüngeren Grafen bzw. deren Vormundschaft geraten wurde, die Entscheidung des Reichshofrats vorläufig zu akzeptieren, im Gegenzug jedoch Klage dagegen zu erheben und Wilhelm Karl Ludwig den Beweis der Rechtmäßigkeit der Primogenitur aufzuladen. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 205 50 Jahren ruhen sollten; es war Wilhelm Karl Ludwig gelungen, die Primogenitur durchzusetzen und damit nicht nur den Zugriff auf die Herrschaft, sondern vor allem auch auf die ökonomischen Ressourcen zu monopolisieren. Dadurch hatte er verhindern können, dass die kleine Grafschaft neuerlich in zwei Teile zerfiel oder ihre Handlungsfähigkeit durch eine gemeinschaftliche Regierung eingeschränkt wurde. Nur so war es ihm möglich gewesen, die im Zuge der Arrondierungen bzw. Erweiterungen Anfang des 18. Jahrhunderts erzielten Erfolge zur langfristigen Sicherung der Existenzfähigkeit selbständiger Landesherrschaft zu nutzen. 4.2.3 Leben „in Reserve“: der jüngere Bruder zwischen Auflehnung und Anpassung 1730–1778 Auch wenn durch die Intervention des Reichshofrats eine tragfähige Basis geschaffen worden war, bedeutete das keineswegs das Ende der Konflikte innerhalb der Familie. Die Versorgung und der noch nicht hinreichend geklärte Status der jüngeren Brüder des Regenten bereitete nach wie vor große Probleme, wie sich in den folgenden Jahrzehnten zeigen sollte. Dabei war es weniger die Auseinandersetzung mit dem jüngsten Bruder Karl Christian Heinrich (* 6.8.1716, + 26.4.1745), die im Vordergrund stand. Dieser schlug schon früh eine auswärtige militärische Karriere ein, nachdem er zusammen mit seinem Bruder Johann Ernst Karl für einige Jahre die Universität Gießen besucht hatte. Mit 18 Jahren trat er der Armee Karls VI. als Lieutenant bei und diente später in den Niederlanden im Range eines Hauptmanns. Als er im Verlauf des Österreichischen Erbfolgekriegs 1745 nach Holland reisen wollte, um seinen Dienst anzutreten, wurde er bei einem Streit erstochen und starb am 26. April in Berleburg.817 Durch seine häufige Abwesenheit und die Tatsache, dass er als lediger Offizier durch seinen Sold zusammen mit der ihm zugesprochenen Apanage recht gut versorgt war, rückte er vom Zentrum des innerfamiliären Konflikts, in dem er anfangs noch gestanden hatte, mehr und mehr in dessen Peripherie und spielte lange vor seinem frühen Tod keine bedeutende Rolle mehr. Dem entspricht die Quellenlage: von weiteren Ansprüchen oder einem irgendwie gearteten Engagement 817 SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 335. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 206 seinerseits ist nichts überliefert.818 Völlig anders war die Situation bei dem mittleren Bruder, dessen Ausbildung und Karriere nun kurz dargestellt werden sollen, um die Konfliktlage und –linien zwischen den beiden Brüdern beurteilen zu können. Von Anfang an war Johann Ernst Karl, als dereinstiger Regent und Landesvater [...] in allen zu der hohen Standes Erziehung eines gräflichen jungen Herrn erforderlichen Kenntnißen unterrichtet819 worden. Zu diesem Zweck waren ihm zwei Beamte als Erzieher und Hofmeister an die Hand gegeben worden, die ihm sein Leben lang in den verschiedensten Funktionen immer wieder begegneten. Es handelte sich dabei zum einen um Eberhard Heinrich von Fischer, der 1750/51 als Reichshofratsagent im Auftrag des Hauses Solms in Wien820 und in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts als Gesandter des Fränkischen Grafenkollegiums am Reichstag zu Regensburg821 Solms-Rödelheim verbunden blieb, und zum zweiten um den Ysenburger Regierungsdirektor J. C. Franck (genauer Vorname unbekannt), der spätestens seit den 30er Jahren ein enger Vertrauter Johann Ernst Karls und seiner Mutter war, Rat in Assenheim wurde.822 Seit 1760 fungierte er als Bevollmächtigter und Testamentsvollstrecker Wilhelmine Christines823 und bekam aus ihrem Erbe 1000 fl für treue Dienste zugesprochen.824 Hier wird deutlich, welche herausragende Bedeutung einzelne Beamte für einen Grafen gewinnen konnten, indem sie ihm von Kindesbeinen an als Berater und Mentor dienten, diese Vertrauensposition behielten und ausbauen konnten und dadurch eine Position erlangten, die – in kleinerem Maßstab – der des „zweiten Mannes“ in einem Reichsfürstentum durchaus entsprechen konnte,825 welcher ja ebenfalls wegen besonderer Fähigkeiten und 818 Ausser einer Akte über seinen Nachlass (ASR 468) enthalten die Archive in Darmstadt und Assenheim keine Hinweise auf Karl Christian Heinrich, insbesondere auch keine Korrespondenz oder Gerichtsakten, die auf weitergehende Ansprüche seinerseits hindeuten würden. 819 Ebd. 820 Vgl. ASR 239. 821 Siehe dazu u.a. den 930. Bericht des Gesandten des wetterauischen Grafenkollegiums an das Direktorium vom 30.10.1788, HStAD F 24 A 351/5. 822 Vgl. neben vielen anderen Beispielen v.a. die Akten des Erbschaftsstreits zwischen Johann Ernst Karl und Wilhelmine Christine einerseits und Wilhelm Karl Ludwig andererseits, ASR 514, in denen Franck sehr häufig zeichnete oder Adressat eines Briefes oder einer Anweisung war. 823 Vgl. die Akten zu Tod und Nachlass Wilhelmine Christines ab 1760, ASR 512. 824 Vgl. den Nachlass Wilhelmine Christines, ASR 510. 825 Zum Phänomen des leitenden Amtsträgers bzw. des Favoriten von Reichsfürsten vgl. zuletzt MICHAEL KAISER und ANDREAS PECAR, Reichsfürsten und ihre Favoriten. Die Ausprägung eines europäischen Strukturphänomens unter den politischen Bedingungen des Alten Reiches, in: Michael Kaiser und Andreas Pecar (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 32), Berlin 2003, S. 9-30. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 207 persönlicher Beziehungen zum Fürsten zu einem entscheidenden Faktor der Politik dieses Territoriums avancierte.826 Unter Aufsicht dieser beiden Erzieher hatte Johann Ernst Karl bereits ab 1727, im Alter von 13 Jahren und noch zu Lebzeiten seines Vaters, seine Ausbildung begonnen, über deren frühen Verlauf wenig überliefert ist. Ebenso wie bei seinem Großvater, seinem Vater, seinen Brüdern und später seinem Sohn wurde sie ab 1732 auf der Universität Gießen fortgesetzt.827 An der dortigen juristischen Fakultät, die streng am kaiserlichen und Reichsrecht orientiert war, während sich die Ludoviciana ingesamt im 18. Jahrhundert immer mehr zur hessen-darmstädtischen Landesuniversität wandelte,828 konnte er praxisnahe Vorlesungen in Reichsrecht, Reichslehenrecht, Kirchenrecht, Natur- und Völkerrecht, hessischem Recht sowie Straf- und Prozessrecht hören829 und Kontakte zu Personen knüpfen, die aus bedeutenden Beamten- und Adelsfamilien Hessen-Darmstadts, der Wetterau und Frankfurts stammten und später z.T. einflussreiche Positionen einnahmen. Zudem wurden „die Kavaliersfächer Fechten, Tanzen, Reiten und moderne Sprachen (Französisch, Italienisch, Spanisch) als "Zusatzprogramm" durch eigens dafür angestellte Lehrer an der Universität angeboten“,830 so daß sich der junge Graf in denen höheren Wissenschafften wie auch Ritterlichen Leibes Exercitien unterweißen laßen831 konnte. Auch wenn es in Gießen weder eine eigene Ritterakademie noch ein adeliges Paedagogium wie andernorts gab, war also eine Vorbereitung auf das Leben eines Reichsgrafen und potentiellen Regenten in angemessenem, wenn auch bescheidenem Rahmen möglich. 826 Beispiele dafür sind die Juristen Eck, Schmid und Jocher, die im 17. Jh. in Bayern über Jahrzehnte „die Schaltstelle der Politik“ bildeten. Vgl. MAXIMILIAN LANZINNER, IUD Wilhelm Jocher 1665- 1636. Geheimer Rat und "Kronjurist" Kurfürst Maximilians I. von Bayern, in: Michael Kaiser und Andreas Pecar (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 32), S. 177-196, hier v.a. S. 179. 827 Vgl. zu den Daten den Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. Die Darstellung von SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms S. 335 steht bei der Schilderung der Daten, Namen und Ereignisse in derart starkem Widerspruch zu den Angaben in den archivalischen Quellen, dass sie hier unberücksichtigt bleiben muss. 828 Vgl. MORAW, Universität Gießen, S. 74. 829 Vgl. ebd., S. 84. 830 ebd., S. 69. 831 Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 208 Nach dem Ende der Studien und einem ebenso kurzen wie wenig nachhaltigen Zwischenspiel beim hessen-kasselischen Militär832 wurde Johann Ernst Karl von seinem Bruder Wilhelm Karl Ludwig per Patent vom 10.3.1735 zum Capitain der durch Solms-Laubach und Rödelheim gemeinsamen gestellten Kompanie bei den oberrheinischen Kreistruppen ernannt.833 Diese Stelle, deren Besetzung dem regierenden Grafen von Rödelheim oblag, war schon vorher – etwa wie beschrieben im Fall Friedrich August Karls oder danach bei Wilhelm Karl Ludwig selbst – an Söhne oder jüngere Brüdern vergeben worden, und so diente auch in diesem Fall der Sold834 gemeinsam mit der Apanage, die in einem Vergleich von 1734 von 750 fl jährlich für jeden Bruder auf 2300 fl jährlich für die beiden Brüder zusammen angehoben wurde,835 zur Sicherung von Johann Ernst Karls standesgemäßer Versorgung. Mit knapp über 1600 fl pro Jahr verfügte er damit über eine finanzielle Ausstattung, die im Vergleich nicht übermäßig hoch war – bei Einführung der Primogenitur in der Grafschaft Stolberg-Stolberg 1737 etwa erhielten die nicht regierenden Brüder 2300 fl jährliche Apanage zugesprochen.836 Davon musste er keinen eigenen Haushalt finanzieren; er wohnte nach seiner Rückkehr aus Gießen in Schloß Assenheim bei seiner Mutter und konnte sich sowohl der Cost bey meiner frau mutter gnad. alß sonsten genossener vortheil erfreuen, wie sein Bruder Wilhelm Karl Ludwig einige Jahre später in einem Brief leicht spöttisch bemerkte.837 Aber er hatte davon Ausgaben zu bestreiten, die sich zum einen aus dem weiteren Bildungsweg eines jungen Reichsgrafen ergaben, wobei insbesondere die später noch näher zu besprechenden Reisen teuer und aufwändig waren, und die zum anderen Investitionen in die angestrebte Karriere darstellten. 832 Im Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391 heisst es dazu etwas lapidar: Und da Sr. hochgräflichen Erlaucht hochseeligen Gedächtnißes nach der vollendeten Laufbahn Ihrer Studien eine besondere Neigung zu dem Militair Stand in sich geführet; so tratten hochdieselbe zuerst in die Fürst. Hessen-Casselischen Dienste [...], ohne dass deren Verlauf oder Dauer näher erläutert werden. 833 Capitainspatent für Graf Johann Ernst Karl von Solms-Rödelheim vom 10.3.1735, HStAD F 24 A 220/1. 834 Über die Höhe seit 1735 lassen sich keine zuverlässigen Angaben machen. Neun Jahre zuvor, 1726, hatte der Sold noch 40 fl pro Monat, also 480 fl jährlich betragen, vgl. die Akten zur Aufteilung des Laubacher und Rödelheimer Anteils am Kreismilitär 1726, HStAD F 24 A 219/9. 835 Vgl. Johann Ernst Karls Diarium über den Primogeniturstreit für den Zeitraum von 1727-1734, HStAD F 24 A 816/1. 836 Vgl. BRÜCKNER, Stolberg, S. 183. 837 Entwurf des Briefs von Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 6.7.1743, HStAD F 24 A 218/4. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 209 Offensichtlich – und hier deutet sich ein Problem an, das in den folgenden Jahren die Beziehung zwischen den Brüdern immer mehr belasten sollte – fühlte sich Johann Ernst Karl, wie er etwas später schrieb, nicht ausgelastet und unzufrieden, weil hier [bei seiner Mutter auf Schloß Assenheim, T.B.] immer sizen zu bleiben mir auch nicht verträglich ist, indeme meine beste Jahre dafür gehen, ohne im dienst etwas versuchen und zu nehmen zu können.838 Das zurückgezogene und von Verpflichtungen freie Leben in Assenheim, das er nach dem Ende seines Studiums praktisch führte – die Position als Capitain der kleinen Solmser Kompanie war ja vor allem in Friedenszeiten eine Sinekure – füllte den 29-Jährigen nicht aus, und er musste angesichts der Tatsache, dass keine realistische Aussicht bestand, doch noch neben Wilhelm Karl Ludwig die Regentschaft in Solms-Rödelheim antreten zu können, eine neue Lebensperspektive für sich entwerfen, die zudem geeignet sein sollte, die eigene Ehre und das Ansehen des gräflichen Hauses zu mehren. Einem evangelischen Reichsgrafen blieb dabei in Ermangelung der Option auf eine kirchliche Laufbahn, wie sie der katholische Adel besaß,839 neben dem Hof- oder Verwaltungsdienst bei einem Fürsten, dem Kaiser oder dem Reich nur der Militärdienst als möglicher Karriereweg. Der österreichische Erbfolgekrieg (1740-48) war in den Augen Johann Ernst Karls eine gute Gelegenheit, die eigene militärische Karriere voranzubringen. Der oberrheinische Kreis war zu Beginn der Auseinandersetzungen militärisch wenig aktiv, so dass es unwahrscheinlich erschien, dass das nassauischen Regiment unter dem Kommando des Fürsten von Nassau-Weilburg, zu dem die von Johann Ernst Karl seit 1735 befehligte Kompanie gehörte, ausrücken und an den Kampfhandlungen beteiligt sein würde.840 Da der Graf jedoch die gelegenheit von dem gegenwärtigen Kriege zu profitiren, nicht gern vorbey gehn laßen841 wollte, gedachte er sich 1743 als Volontair bei den aliierten trouppen – der ´pragmatischen Armee´ unter österreichisch-englischer Führung842 – zu engagieren. Zu seinem Entschluss mag auch beigetragen haben, dass 1742 und 1743 große Teile dieser 838 Brief Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 3.8.1743, HStAD F 24 A 281/4. 839 Für den katholischen landsässigen und reichsunmittelbaren Adel war eine kirchliche Laufbahn ein wichtiges Standbein für die finanzielle Absicherung der nichterbenden Kinder und den Aufbau von Netzwerken, wie unlängst MAUERER, Südwestdeutscher Reichsadel, gezeigt hat. Eine Karriere in evangelischen Stiftern ist für Angehörige des Wetterauer Hochadels sehr ungewöhnlich, im Haus Solms ist kein entsprechendes Beispiel bekannt. 840 Vgl. Brief Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 3.7.1743, HStAD F 24 A 281/4, in dem er feststellt, dass es kein ansehen darzu hat, daß die Crayß-trouppen ausrücken werden. 841 Brief Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 3.7.1743, HStAD F 24 A 281/4. 842 Vgl. DUCHHARDT, Altes Reich, S. 34 f.. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 210 Armee nach und nach durch die Wetterau zogen und Rödelheim beinahe ständig Einquartierungen der verschiedenen Regimenter zu ertragen hatte.843 Er verfügte weder über die nötigen Beziehungen noch über hinreichende Erfahrung, um sich in den komplizierten, häufig wechselnden Konstellationen der europäischen Mächte gut positionieren zu können, und musste deshalb seinen Bruder um Rat fragen, wo es für mich dienlich seyn kan, und bey welchem derer H. Generals, ein oder anderen corps ich ein solches engagement möge haben können, welches meinen umbständen und Geld-Mangel zu statten kommen möge.844 Gerade der Geldmangel war ein nicht zu unterschätzendes Problem, denn die standesgemäße Ausstattung und das Leben eines adeligen Offiziers – Unterbringung, Speisen und Getränke, Spielen usw. – erforderten beachtliche Aufwendungen.845 Deshalb sah sich Johann Ernst Karl genötigt, den regierenden Grafen, weilen ich mich aber darzu nicht equippieren noch die nöthige subsistenz schaffen kann, wenn D. lbd. mir darunter nicht succuriren wollte,846 um finanzielle Unterstützung zu bitten, die ihm in Form eines Vorschusses von 1000 fl auch gewährt wurde.847 Während dieses Problem geklärt werden konnte, blieb die Frage, bei welchem General es ratsam sei, vorstellig zu werden. Wilhelm Karl Ludwig waren zwei Generäle der Hannoverschen Armee persönlich bekannt, er hielt sie jedoch für ausnehmend gute Oeconomi848 und bezweifelte deshalb, dass der Dienst dort sich lohne. Ebenso schätzte er die Führung der hessischen Truppen ein, und für eine Laufbahn in der englischen Armee hielt er die sprachlichen Fähigkeiten seines jüngeren Bruders für nicht ausreichend. Deshalb favorisierte er den Fürsten Karl August Friedrich von Waldeck-Pyrmont (*24.9.1704, +29.8.1763), der als General Teile der pragmatischen Armee inklusive eines eigenen waldeckischen Regiments 843 Vgl. HARTMANN und SCHUBERT, Alt-Rödelheim, S. 76-81 mit einer detaillierten Schilderung der durchziehenden und einquartierten Truppen. 844 Brief Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 9.7.1743, HStAD F 24 A 281/4. 845 Vgl. dazu u.a. die Lebenserinnerungen Christoph zu Dohnas, der seine lange Laufbahn in preussischen Diensten in den 80er Jahren des 17. Jh. als Offizier begann und später beklagte, daß diese Verwendung mich zu beträchtlichen Ausgaben nötigte und er des öfteren wegen seiner alten und abgenutzten Ausrüstung verspottet wurde, RUDOLF GRIESER (Hg.), Die Denkwürdigkeiten des Burggrafen und Grafen Christoph zu Dohna (1665-1733) (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 33), Göttingen 1974, hier v.a. S. 36 f.. 846 Brief Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 3.7.1743, HStAD F 24 A 281/4. 847 Der regierende Graf versprach, er werde D. Lbd. vorhaben zur anschaffung einer feld equipage mit 1000 fl oder Thl. zu secundiren ohnermangeln, vgl. Brief Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 16.8.1743, HStAD F 24 A 218/4. 848 In dem vorliegenden Entwurf des Briefs lautet die ursprüngliche Formulierung daß sie [...] mehr auff ihre besondere oeconomie als ein generahel wesen sehen (Streichung im Original), vgl. Entwurf des Briefs von Wilhelm Karl Ludwig an Johann Ernst Karl vom 11.7.1743, HStAD F 24 A 281/4. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 211 befehligte und ein guter freund von denen Graffen und von unserem Hause ein besonderer ahnverwandter849 sei – die älteste Schwester Dorothea Sophia Wilhelmine (* 6.1698, + 2.1774) war seit dem 27.1.1725 mit Graf Josias von Waldeck-Bergheim (*20.8.1696, +2.2.1763) verheiratet. Zu einem Treffen zwischen dem Bewerber und dem General von Waldeck kam es jedoch nicht, denn dieser war, nachdem er zuvor mit der übrigen österreichischen Armee in Rödelheim gelegen hatte,850 Anfang August über Heidelberg nach Österreich abgereist und stand deshalb für ein Vorstellungsgespräch nicht mehr zur Verfügung.851 Ob dies der Grund war, warum Johann Ernst Karl schließlich seine Pläne nicht verwirklichen konnte, muss offen bleiben – jedenfalls gelang es ihm trotz finanzieller und beratender Unterstützung durch seinen Bruder nicht, eine geeignete Position zu finden, und er blieb Hauptmann im nassauischen Regiment der Kreistruppen. Dort war an eine weitere Beförderung vorerst nicht zu denken, wie sich bald zeigte: Der oberrheinische Kreis besetzte eine freigewordene Majorstelle im Regimentsstab lieber mit einem altgedienten Hauptmann als mit dem jungen und unerfahrenen Grafen Johann Ernst Karl,852 trotz des grundsätzlichen Anrechts der Angehörigen der Kreisstände auf bevorzugte Beförderung, welches das Haus Solms – in diesem Fall die im oberrheinischen Kreis engagierten Rödelheimer und Laubacher Grafen – geltend machte.853 In jeder Hinsicht war die militärische Karriere also in eine Sackgasse geraten, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Folgerichtig verbrachte der Graf in den folgenden Jahren zwar noch einige Zeit mit seiner Kompanie in Mainz in Garnison, quittierte jedoch die Kriegsdienste, bevor die Kreistruppen – die bis zum Kriegsende 1748 nicht mobilisiert werden sollten854 – 1745 auf Postierung an den Rhein verlegt wurden.855 Ein positiver Aspekt dieser für ihn selbst unbefriedigenden Entwicklung war die damit verbundene Vermeidung der Risiken für Leib und Leben, die eine 849 Entwurf des Briefs von Wilhelm Karl Ludwig an Johann Ernst Karl vom 11.7.1743, HStAD F 24 A 281/4. 850 Vgl. HARTMANN und SCHUBERT, Alt-Rödelheim, S. 78. 851 Entwurf des Briefs von Wilhelm Karl Ludwig an Johann Ernst Karl vom 16.8.1743, HStAD F 24 A 281/4. 852 Vgl. Abschrift des Briefs Graf Christian Augusts von Solms-Laubach an Johann Ernst Karl von Solms-Rödelheim vom 15.6.1743, HStAD F 24 A 218/4. 853 Sowohl der laubachische als auch der rödelheimische Kreisgesandte wurde instruiert, bei nächster Gelegenheit entsprechend zu intervenieren. 854 Vgl. SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 269. 855 Vgl. den Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 212 Kriegsteilnahme mit sich brachte. Jedem Sekundogenitus kamen wichtige dynastische Funktionen zu, weil er im Falle des erbenlosen Todes des Regenten die Kontinuität von Herrschaft und Erbfolge garantierte. Dieser Fall trat für Johann Ernst Karl Jahrzehnte später tatsächlich ein, deshalb war es retrospektiv von großer Bedeutung, dass er nicht auf einem europäischen Schlachtfeld gefallen war. Parallel zu den Bemühungen um eine erfolgreiche militärische Laufbahn entwickelte Graf Johann Ernst Karl eine Reisetätigkeit, die er nach dem Verlassen des Dienstes 1745 intensivierte. Die Quellen lassen nicht den Schluss zu, dass es sich dabei um eine „klassische“ adelige Bildungsreise gehandelt hätte, die nach den 1720er Jahren unter dem Einfluss bürgerlicher Kritik und aufgeklärten Denkens ohnehin ihre ursprüngliche Form verbreitet eingebüßt hatte.856 Vielmehr unternahm der Graf mehrere einzelne Reisen, die ihn mit für das Haus und das Reich wichtigen Ereignissen, Orten und Personen in Kontakt brachten. Ende des Jahres 1741 und Anfang 1742 war er bei der Wahl und Krönung Karl Albrechts von Bayern in Frankfurt857 anwesend. Dass er der Rödelheimer Delegation angehörte, ist umso unwahrscheinlicher, als der regierende Graf Wilhelm Karl Ludwig nicht nur als Regent Rödelheims, sondern auch als Adjunkt des Wetterauer Grafenvereins und als Bevollmächtigter Leiningen-Hardenburgs selbst stark bei den Verhandlungen und Zeremonien engagiert war858 und es kaum anzunehmen ist, dass er seinen jüngeren Bruder, dessen Ansprüche abzuwehren er bislang und später stets bemüht war, nun plötzlich mit einer „offiziellen“ Mission für die Grafschaft betraut hätte. Johann Ernst Carl wohnte den Vorgängen wohl eher in eigener Sache bei – um alte Kontakte zu pflegen, neue zu knüpfen und seine persönlichen Interessen zu vertreten. Dabei hatte er nicht unerhebliche Ausgaben zu bestreiten, um 856 Die neueren Forschungen zu Adeligen (Bildungs-)Reisen, v.a. JOACHIM REES, WINFRIED SIEBERS und HILMAR TILGNER (Hg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung, kommunikative Praxis, Kultur- und Wissenstransfer, Berlin 2002 und LEIBETSEDER, Die Kavalierstour, ergeben, dass die Kavalierstour einem „inhärenten Wandel“ unterworfen war, in dem sie sich vom ursprünglichen Ziel der Übernahme des adeligen Habitus durch den Aufenthalt an Akademien und Höfen zunehmend entfernte und immer mehr dem praktischen Zweck des Erlernens von (Verwaltungs-) Fertigkeiten und des Aufbaus von Netzwerken diente (JOACHIM REES, Einleitung: Als der König den Gänsen das Reisen verbot oder von der Kunst, "mit gutem Endzweck und Nutzen andere Länder zu sehen", in: Joachim Rees, et al. (Hg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung, kommunikative Praxis, Kultur- und Wissenstransfer, Berlin 2002, S. XI-XXVIII, hier S. XVI ff.). 857 Zu dem „denkwürdigen Vorgang“, bei dem erstmals seit 300 Jahren wieder ein nicht dem Haus Habsburg angehörender Fürst Kaiser wurde, vgl. u.a. SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 266- 268. 858 Siehe dazu Bericht der Rödelheimer Regierung an Graf Volrat über die Verrichtungen der Reichsgrafen bei einer Kaiserwahl und –krönung vom 1.7.1790, HStAD F 24 A 352/2 sowie a.a.O. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 213 standesgemäß auftreten und leben zu können, wie er später seinem Bruder in einem Brief mitteilte, in dem er beklagte, dass ihn die bey der Kayser-Wahl und Crönung gemachte Schulden bisher und noch drücken.859 Dass sich dieser hohe Aufwand zur Teilnahme an einem solchen Großereignis auszahlen konnte, stellte er schon dreieinhalb Jahre später nach dem Tod Karls VII. und der Wahl Franz Stephans von Lothringen zum Kaiser fest, zu der er ebenfalls persönlich nach Frankfurt reiste: 1745 wurde er von dem frisch gekrönten Kaiser Franz I. aus sonderbarer kayserlichen Huld zum würcklichen Cammer Herrn860 ernannt. Bei dem Amt des Wirklichen Kammerherrn handelte es sich um „eine vornehme adeliche Charge“,861 die an großen Fürstenhöfen, insbesondere aber am Kaiserhof an Fürsten, Grafen und Freiherrn verliehen wurde. Sie war – dem Rang nach direkt unter den Oberhofämtern angesiedelt – ursprünglich mit bestimmten Aufgaben für den Träger verbunden, wozu etwa das Aufwarten beim Herrscher oder auch die Übernahme von Gesandtschaften in dessen Namen gehörten. Seit dem späten 17. Jahrhundert wurde der Titel aber immer freizügiger vergeben, „so hatte z.B. Kaiser Leopold, in seinem letzten Lebensjahre, 426 Kammer-Herren fürstlichen und gräflichen Standes, und Carl VI. machte im J. [sic!] 1736, auf einmahl 158“, wie Krünitz´ Enzyklopädie von 1785 angibt.862 Dieser beinahe inflationäre Gebrauch führte dazu, dass „es aber nachgehends ein blosses ehren-zeichen geworden ist, [...] gleich andern tituln [...], welche durch die Menge derer, so derselben teilhafftig worden, ihr erstes ansehen mercklich verlohren haben“, wie Moser 1761 feststellte.863 Die Kammerherrenwürde war für Johann Ernst Karl dem entsprechend weder mit einem dauerhaften Aufenthalt bei Hofe und einem stattlichen Einkommen noch mit arbeitsintensiven Aufgaben verbunden. Sie brachte ihm jedoch einen Zugewinn an Ehre und Prestige, der schon darin zum Ausdruck kommt, dass nicht nur in der Leichenpredigt 45 Jahre später ausdrücklich auf den Titel Bezug 859 Schreiben Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 3.8.1743, HStAD F 24 A 218/4. 860 Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. 861 Artikel "Cammer-Herr", in: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste (5), Leipzig / Halle 1733, S. 435. 862 Vgl. Artikel "Kammer-Herr", in: Johann Georg Krünitz (Hg.), Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft: in alphabetischer Ordnung (33), Berlin 1785, S. 383-386, hier S. 384 f. 863 FRIEDRICH CARL VON MOSER, Teutsches Hof-Recht in 12 Büchern (2, enhaltend eine systematische Abhandlung... nebst vielen ungedruckten Hofordnungen und Ceremonial-Nachrichten), Frankfurt / Leipzig 1761 S.177. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 214 genommen wurde,864 sondern auch noch in der über 100 Jahre später geschriebenen „Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms“.865 Dass in den vorliegenden, zu seinen Lebzeiten entstandenen Dokumenten der Titel hingegen weder vom Grafen selbst noch von einer anderen Person verwandt wurde, weist allerdings darauf hin, dass seine Bedeutung im alltäglichen Leben, auch seine Instrumentalisierbarkeit im Konfliktfall, nicht sonderlich groß gewesen sein kann. Aus der Perspektive des Kaisers diente die Ernennung eines Reichsgrafen zum Kammerherrn nicht nur dazu, den „hohen Herrschafften bey ihrer Hoffstadt mehrern splendeur zu machen“, also das Ansehen des Hofs durch eine möglichst große Zahl hochadeliger Würdenträger zu vermehren. Sondern sie muss auch im Kontext der habsburgischen Bemühungen gesehen werden, nach dem kurzen, aber folgenreichen Zwischenspiel der Wittelsbacher auf dem Kaiserthron die Reichsstände, insbesondere die kleineren Territorien des Südens und Südwestens, wieder stärker an sich zu binden und so die Klientelbeziehungen der „neuen“ habsburgischen Dynastie im Sinne einer dezidierten Hausmachtpolitik zu festigen, in der sich der preußisch- österreichische Antagonismus der späten 50er Jahre schon andeutete.866 Insofern konnte der Graf von Solms hier von einer Entwicklung reichsweiten, wenn nicht gar europaweiten Ausmaßes profitieren, und die Erlangung des Titels kann weniger als sein persönlicher Erfolg verbucht als vielmehr der Bedeutung zugeschrieben werden, die man in Wien 1745 einer kleinen Reichsgrafschaft der Wetterau beimaß. Eine dritte Reise führte Johann Ernst Karl im selben Jahr über Gaildorf nach Dreßden zu einem Kurfürstlichen Lehens-Empfängniß.867 Nachdem durch das Testament des letzten Grafen von Limpurg-Gaildorf, den ohne lebende männliche Nachkommen verstorbenen Wilhelm Heinrich (*unbekannt, +1692) die zu der Grafschaft gehörigen Ämter Oberroth und Gaildorf samt Einkünften und Gerechtsamen zu gleichen Teilen an seine vier Töchter vererbt worden waren,868 partizipierte Solms-Rödelheim aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen zu zwei dieser Töchter an Limpurg: zum einen durch Wilhelmine Christine verh. Gräfin von Solms-Rödelheim, die Mutter Wilhelm Karl Ludwigs und Johann Ernst Karls, und 864 Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. 865 SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 335. 866 Vgl. DUCHHARDT, Altes Reich, v.a. S. 35-37. 867 Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. 868 Vgl. Testament Wilhelm Heinrichs Graf und Herr von Limpurg vom 12.5.1690, ASR 512. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 215 zum zweiten durch Juliana Dorothea verh. Gräfin von Wurmbrandt, die die Mutter Mariana Margaretha Leopoldinas (*1702, +1756) war, der ersten Frau Wilhelm Karl Ludwigs (Abbildung 19). Abbildung 19. Nachkommen von Johann Wilhelm Graf von Limpurg und Maria Juliana geb. Gräfin von Hohenlohe-Neuenstein Langenburg Durch diesen zweifachen Anteil an der Hinterlassenschaft der Limpurger Grafen konnte Solms-Rödelheim bedeutende Einnahmen aus Gaildorf erzielen, und sowohl Wilhelmine Christine als auch Maria Margareta wurden häufig als „regierende Gräfinnen von Gaildorf“ bezeichnet,869 waren also nicht nur Empfängerinnen von Revenuen, sondern übten Herrschaft aus. Deshalb ist verständlich, dass Johann Ernst Karl auf seiner Reise nach Dresden einen nicht unerheblichen Umweg in Kauf nahm – schließlich liegt Gaildorf etwa 60 km nordöstlich von Stuttgart genau zwischen Schwäbisch Hall und Schwäbisch Gmünd – um an diesem wichtigen Ort Station machen, die Solmser Besitzungen persönlich in Augenschein nehmen und mit den lokalen Beamten reden zu können, denn als Erbe der Mutter war er ein Anwärter auf die Limpurger Mitherrschaft. Während er nach Gaildorf in der Rolle des Rödelheimer Sekundogenitus und potentiellen Regenten reiste, war seine Rolle auf der zweiten Station, in Dresden, eine andere. Da es sich um einen Lehensempfang handelte, war nicht Rödelheim, sondern das Haus Solms insgesamt betroffen – Lehen wurden selten einer Person, sondern in der Regel dem Senior des Samthauses stellvertretend für die Agnaten 869 Vgl. u.a. Juristisches Gutachten über das Erbe Wilhelmine Christines, um 1750, ASR 612 und Nachlass Gräfin Mariana Margarethas von 1756, ASR Nr. 514 und SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 329, der berichtet, dass Gräfin Wilhelmine Christine 50 Jahre lang „ihren Landesteil ausschließlich besaß und regierte“. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 216 verliehen.870 Spätestens seit Graf Otto von Solms-Laubach, der Begründer der Alt- Sonnewalder Linie des Hauses, an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert die umfassenden Solmser Besitzungen in Sachsen871 in seiner Hand hatte vereinen und durch den Kauf von Baruth noch erweitern können,872 war Sachsen wirtschaftlich und politisch einer der entscheidenden Bezugspunkte für die Grafen von Solms geworden. Denn zum einen besaßen die Kurfürsten die Lehnshoheit über die östlich gelegenen Herrschaften,873 es handelte sich nämlich im Unterschied zu den Wetterauer Besitzungen nicht um reichsunmittelbare Territorien. Zum anderen traten seitdem regelmäßig Angehörige des Laubacher Zweigs der Familie, zu dem neben den Häusern Laubach, Sonnewalde, Wildenfels und Baruth auch Rödelheim gehörte,874 in verschiedenen Funktionen in sächsische Dienste.875 Die Reise nach Dresden galt demnach weniger einem Hof und einem Fürsten, der für Rödelheim oder Johann Ernst Karl unmittelbar von Bedeutung gewesen wäre, als vielmehr einem wichtigen Faktor für die solmsische Hauspolitik insgesamt, und war damit eine förmliche Vorstellung des Sekundogenitus und eine diplomatische Mission für das Gesamthaus gleichermaßen. Der ihm gewährte Zuschuss von 1000 fl für Reisekosten und höhere Aufwendungen unterwegs876 unterstreicht das Interesse an dieser Reise, das auch auf Seiten des Regenten bestand, und damit deren Bedeutung für Solms-Rödelheim insgesamt. Nachdem durch das Reichshofratsdekret 1729 der Anspruch Wilhelm Karl Ludwigs auf die alleinige Regentschaft bestätigt und Johann Ernst Karl vom potentiellen Mitregenten zum Sekundogenitus gemacht worden war, erfuhr er die standesspezifische Erziehung und Ausbildung eines jungen Grafen bei Hof und – unter der Aufsicht eines Hofmeisters – an der Universität, bevor er, ohne letztlich eine bemerkenswerte Karriere machen zu können, in den Militärdienst eintrat und eine Phase der Reisen zu Personen, Orten und Ereignissen erlebte, die direkt oder 870 Siehe dazu Ausschreiben des Seniors Friedrich Wilhelm von Solms-Hohensolms zu einer Hauskonferenz 1743 und den Entwurf einer Instruktion Wilhelm Karl Ludwig für seinen Abgesandten Gemeinhard, HStAD F 24 A Nr. 365. 871 Im Einzelnen handelte es sich um die Herrschaften Wildenfels, Sonnewalde und Pouch. 872 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 266 ff. 873 ebd., S. 283 heisst es dazu, dass Wildenfels ein sächsisches und „nun gar Sonnenwalde ein böhmisches Lehen war“. 874 Der Urgroßvater Wilhelm Karl Ludwigs und Johann Ernst Karls war ein Bruder der Begründer der Wildenfelser und der Baruther Linie. Vgl. dazu den Stammbaum des Hauses Solms im Anhang. 875 Z.B. Graf Friedrich Eberhard von Solms-Sonnewalde (*17.5.1691 +3.5.1752), der kursächsischer Gemeiner Rat war und 1729 zum Katholizismus konvertierte. 876 Vgl. Handschriftliche Anweisungen Graf Johann Ernst Karls an seinen Kammerdiener Koch vom 23.9.1745, HStAD F 24 A 812 / 5. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 217 mittelbar für die Grafen von Solms von Bedeutung waren und ihm neue Kontakte und den Titel eines kaiserlichen Kammerherrn einbrachten. Als Sekundogenitus, dessen dynastische Bedeutung in einer Art Stellvertreter- bzw. „Reserve“-Funktion im Falle des erbenlosen Todes des regierenden Erstgeborenen lag, unterschied sich sein Lebensweg in den ersten Jahrzehnten nicht fundamental von dem eines Regenten – mit zwei Ausnahmen: Erstens fehlt die Regierungspraxis, auch eine anders geartete Tätigkeit in der Landesverwaltung ist nicht nachzuweisen. Der regierende Graf hielt seinen jüngeren Bruder konsequent von jeder Form der Ausübung von Landesherrschaft fern, was vor dem Hintergrund der langwierigen Auseinandersetzung um das väterliche Testament und die Primogenitur zu verstehen ist. Und zweitens standen die Ausbildung, aber auch die Reisen sowie die Versuche, im Militär Karriere zu machen, unter dem Zeichen geringer finanzieller Ressourcen, die den Aktionsradius eines mit einer knappen Apanage ausgestatteten Nachgeborenen eng begrenzten. Von diesen Abweichungen abgesehen wurde Johann Ernst Karl als dereinstiger Regent und Landesvater877 erzogen, ohne aber auf kurze bis mittlere Sicht eine realistische Möglichkeit zu haben, die Regentschaft tatsächlich antreten zu können. So teilte er mit den Zweitgeborenen anderer reichsunmittelbarer Territorien die Erfahrung der „Diskrepanz zwischen den vermittelten Lebenserwartungen und ihren späteren Realisierungschancen“.878 Zusammen mit der weitgehenden Erfolglosigkeit des Versuchs, außerhalb des eigenen Landes Karriere zu machen und auf diese Weise selbstständig Herrschaft ausüben zu können, hatte sie eine Unzufriedenheit zur Folge, die den ohnehin andauernden Konflikt mit dem älteren Bruder um die Primogenitur und die Apanagierung weiter verschärfte und ihm eine sehr persönliche Note verlieh, die bis zu offener Aggression gehen konnte. Ursache dieser für Solms-Rödelheim um die Mitte des 18. Jahrhunderts konstitutiven Auseinandersetzung waren also nicht persönliche Antipathien oder ein „schwieriger Charakter“ eines Beteiligten, sondern strukturelle Probleme im Zusammenhang mit der Weitergabe und Sicherung von Herrschaft in einem reichsunmittelbaren Territorium. Aus seiner eigenen Perspektive hatte Johann Ernst Karl nicht nur auf Grund des väterlichen Testaments und der lange geübten Praxis 877 Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. 878 ANTJE STANNEK, Telemachs Brüder. Die höfische Bildungsreise des 17. Jahrhunderts (Geschichte und Geschlechter 33), Frankfurt / New York 2001 S. 249. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 218 der Erbteilung, sondern auch durch seine Erziehung und Ausbildung einen Anspruch auf die Mitregentschaft oder die Herrschaft über zumindest einen Teil Solms- Rödelheims. Aus dynastischer Perspektive aber war die Primogenitur die einzig sinnvolle Lösung angesichts der Notwendigkeit, das Land ungeteilt und somit ungeschwächt zu erhalten. Gleichzeitig konnte man aber auf den Sekundogenitus als Alternative bei Ausfall des Erstgeborenen nicht verzichten, wie sich ja später in Rödelheim tatsächlich erweisen sollte – ohne ihm jedoch für die Zeit des Wartens mehr als einen Wohnsitz und eine Apanage, ohne ihm mehr als die subjektiv „als sehr einschränkend empfundene Lebensperspektive“ nachgeborener Söhne und Töchter879 anbieten zu können. In einem ersten Vergleich zwischen Wilhelm Karl Ludwig und seinen Brüdern war 1734 zwar die Aufteilung der Landesrevenuen und –schulden geregelt, jedoch die Frage der Primogenitur offen gelassen worden war, indem den Parteien die Fortführung der Prozesse vor den Reichsgerichten zur juristischen Klärung der Frage vorbehalten blieb. 1745 kam es zu einem zweiten Vergleich zwischen den beiden älteren Brüdern, in welchem, obwohl noch kein Gerichtsurteil vorlag, die Regentschaft des Erstgeborenen im aktuellen Fall und für die Zukunft ausdrücklich anerkannt wurde.880 Damit wurde die bereits über 15 Jahre währende juristische Auseinandersetzung hinfällig, man einigte sich darauf, das schwebende Verfahren zu beenden. Im Gegenzug bekam Johann Ernst Karl ein um 750 fl Frankfurter Währung erhöhtes Deputat von insgesamt 1900 fl jährlichen Geldes nebst Naturalien in Form von achtzig Maltern Hafer und einer Lieferung Holz zugesprochen. Außerdem wurde seine Nachfolge in der Landesregierung im Falle eines erbenlosen Todes Wilhelm Karl Ludwigs nun ausdrücklich bekräftigt und ihm das Schloss Assenheim für die Zeit nach dem Tod der dort lebenden Mutter als Wohnsitz zugewiesen.881 Auch wenn in der Einleitung dieses Vergleichs die brüderliche Eintracht beschworen und das Ende anderer dahin eingeschlagener Irrungen zwischen den Brüdern verkündet wurde, bildete er keineswegs den Schlusspunkt des Konflikts, sondern war lediglich der „Normativität des Faktischen“ geschuldet. Johann Ernst Karls Unzufriedenheit und die Explosivität einer Situation, in der er in weitgehender 879 WUNDER, Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung, hier S. 19. 880 Vergleich zwischen Wilhelm Carl Ludwig und Johann Ernst Carl vom 27.1.1745, ASR 239. Ein weiterer Vergleich mit dem jüngsten Bruder war zwar in einem „Neben-Recess“ bereits an dieser Stelle angedacht, aber durch dessen Tod wenige Monate später obsolet geworden. 881 Vgl. ebd. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 219 Untätigkeit und Fremdbestimmtheit, abhängig von der Apanagierung und ohne eigenen Herrschaftsbereich, wenige Kilometer von seinem regierenden Bruder entfernt lebte – in der Lesart der 1790 entstandenen Sammlung biographischer Notizen heißt das, er habe sich auf seinem Wohnsitz in Assenheim, später in Praunheim und Fauerbach gröstentheils einem stillen privat Leben gewidmet882 - blieben bestehen und brachen immer wieder in Form offener Auseinandersetzungen aus. So etwa zwei Jahre nach Abschluss des Vergleichs, als Johann Ernst Karl nach einen Spazierritt mit Freunden abschließend noch mit diesen in einem Wirtshaus eingekehrt war, wo es offenbar zu Beschädigungen des Mobiliars und Auseinandersetzungen mit anderen Gästen kam, an denen die Freunde beteiligt waren. Nachdem der ältere Bruder dem jüngeren einen mahnenden Brief geschrieben hatte, antwortete dieser – ebenso trotzig wie unlogisch – er wisse nicht, was diese allda unrecht gethan haben solten, auch bey ihren gehabten rausch ich ihnen es nicht Wehren können, ohne selbsten in Verdrus mit ihnen zu kommen, und er darüber hinaus aber vor mich wohl wißen werde, was ich zu thun habe, und allen honetten leuthen mein conduite beßer bekand ist.883 Auch die persönliche Begegnung der Brüder barg die Gefahr der Eskalation, wie eine weitere Situation zeigt: Johann Ernst Karl war zu Gast im Rödelheimer Schloss und brach während eines Billardspiels mit seinem älteren Bruder einen mit bittern herben wortten, beständigem fluchen und anmaßlichem drohen vermischten unnöthigen zanck vom Zaun, so dass dieser vor ihm fliehen musste. Später sah er sich genötigt, seinen Regierungsrat v. Barckhausen zu schicken, der ihn des Hauses verweisen und sich fernere Besuche verbitten sollte.884 Dazu war Johann Ernst Karl nicht bereit, sondern äußerte sich im Gegenteil zuversichtlich, dass er mit dem alten Tausend Sacrament – seinem Bruder – schnell fertig werde, sobald er ihn nur an einem gewissen Ort oder im Hof allein treffe. Diese bis an die Grenze zur körperlichen Gewalt gesteigerte Aggressivität zeigt, dass die Brüder, wie Wilhelm Karl Ludwig es in einem Brief ausdrückte, nicht in der Lage waren, zwar der Sache nicht aber der Person feind [zu] sein,885 also trotz ihrer 882 Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391. „Privat“ ist hier genau im Sinne Jürgen Habermas´ gedacht, der es als „den Ausschluß von der Sphäre des Staatsapparats“ definiert, durch den man nicht wie die Obrigkeit dem gemeinen Wohl, sondern nur mehr dem privaten Nutzen diene und um den Preis geringer Mitwirkungsmöglichkeiten eine relative Autonomie geniesse. Vgl. JÜRGEN HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Neuauflage), Frankfurt a. M. 1990 S. 66-67. 883 Brief Johann Ernst Carls an seinen Bruder vom 23.3.1747, ASR 485. 884 Brief Wilhelm Carl Ludwigs an Johann Ernst Carl, o.D. (ca. 1745), ASR 646 885 Vgl. ebd. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 220 Kontroverse im Umgang miteinander die Contenance zu wahren und sich auf eine Art zu benehmen, wie es unter unsers Gleichen üblich, also der Familien- und reichsgräflichen Standesehre angemessen sei.886 In diesen Auseinandersetzungen waren nicht nur die direkt Betroffenen selbst, sondern auch Verwandte, vor allem die Mutter Wilhelmine Christine, und die „Öffentlichkeit“ des gräflichen Hofs, also wie geschildert Beamte, Bediente und Lakaien, mehr oder minder einbezogen. Von großer Bedeutung dafür, dass sich die Situation nach dem Abschluss des brüderlichen Vergleichs von 1745 nicht nachhaltig verbesserte, war die Tatsache, dass er zu Lebzeiten des jüngsten Bruders Karl Christian Heinrich geschlossen worden war, dieser aber bald darauf überraschend starb. Der wichtigste Grund, aus dem Johann Ernst Karl seinen älteren Bruder als alleinigen Regenten anerkannt hatte, war, dass dieser ihm im Gegenzug zusicherte, dass die ungeteilte Landesherrschaft nach seinem Tod an ihn – und nicht an den jüngsten Bruder – übergehen werde.887 Wenige Monate später, als der einzige Konkurrent auf die Nachfolge plötzlich gestorben war, war diese Vereinbarung gegenstandslos. Johann Ernst Karl hatte sich seines Anspruchs auf Mitregentschaft im Nachhinein betrachtet völlig unnötig begeben, oder, wie es ein Berater ausdrückte, es erhellet zwahr, dass hierunter dero jüngern seel. verstorbenen Hrn bruder eine Grube hat gegraben werden sollen, bejammernswürdig aber ist es, daß Ew. hochgr. Gnad. nunmehro selbst darein gefallen sind.888 Nun war der Vergleich jedoch rechtskräftig und ließ sich nicht mehr anfechten, im Gegenteil gelang es Wilhelm Karl Ludwig 1751 sogar, eine kaiserliche Bestätigung des Vertrags zu erwirken.889 Einmal mehr befand sich also der jüngere 886 Wilhelm Karl Ludwig ging zwar die Aggressivität seines Bruders ab, er zeichnete sich jedoch nach Ansicht des Assenheimer Rats Heinrich Julius Taubert durch äußerste Hart- und Eigensinnigkeit aus, Brief H.J.Tauberts an Graf Johann Ernst Karl vom 1.12.1745, HStAD F 24 A 812-5. Insofern ist also davon auszugehen, dass über die strukturellen Gründe für die Konflikte hinaus mit den Brüdern zwei sehr gegensätzliche Charaktere aufeinander prallten, was die Situation wohl zusätzlich verschärft haben dürfte. 887 Vgl. Vergleich zwischen Wilhelm Karl Ludwig und Johann Ernst Karl vom 27.1.1745 und Nebenrecess gleichen Datums, ASR 239. 888 Brief des Geraer Hofrats Raschau an Graf Johann Ernst Karl vom 6.11.1745, HStAD F 24 A 812 / 1. Nach Gera, Sitz der Grafen Reuß Jüngere Linie, bestanden familiäre Verbindungen, seit der Begründer der Linie Heinrich I. eine Gräfin von Solms-Laubach geheiratet hatte. Johann Ernst Karl plante 1745 eine Heirat mit Henriette Gräfin Reuß zu Gera (*13.6.1723, +27.8.1789), vgl. Anweisungen Johann Ernst Karls an seinen Kammerdiener Koch vom 23.9.1745, HStAD F 24 A 812/5. 889 Vgl. Brief des Reichshofrats-Agenten von Vischer an Wilhelm Karl Ludwig 1751, ASR 228. Wilhelm Karl Ludwig hatte für die kaiserliche Konfirmation beachtliche 2000 fl an das kaiserliche Taxamt zu entrichten, daran lässt sich ablesen, wie gross sein Interesse an einer Bestätigung und Umsetzung war: Ich gedenke daß Vergleich punctuell zu erfüllen und verspreche mihr von D.L. ein gleiches, wie er an seinen Bruder schrieb (Brief Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 23.2.1745, HStAD F 24 A 812/1). Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 221 Graf in der misslichen Lage, zu einem Verhalten gezwungen zu sein, das nicht nur seinem Gerechtigkeitsempfinden, sondern auch seinen Interessen entgegen lief. Ein entscheidender Punkt war, dass die Apanage für Johann Ernst Karl – unter Berücksichtigung der Existenz eines dritten, ebenfalls zu unterstützenden Bruders kalkuliert – ein für allemal fixiert und auch nach dem Tod des Jüngsten kaum noch zu verhandeln war. Das erwies sich als großes Hindernis für dessen weitere Pläne, insbesondere für den Versuch, eine eigene Haushaltung zu gründen und standesgemäß zu heiraten. Zwar war mit Henriette von Reuss zu Gera (*13.6.1723 +27.8.1789), der Tochter Graf Heinrich XXV. Reuss zu Geras (*27.8.1681 +13.3.1748) und Pfalzgräfin Sofie Marie von Birkenfeld-Gelnhausens (*5.4.1702 +13.11.1761) 1745 eine geeignete Kandidatin gefunden worden, die nicht nur eine standesgemäße, sondern auch eine einträgliche Verbindung versprach.890 Eltern und Tochter hatten jedoch offenbar genaue Vorstellungen davon, über welches jährliche Budget ein Bräutigam verfügen sollte, und die deckten sich nicht mit der finanziellen Ausstattung Johann Ernst Karls. Deshalb war er gezwungen, sich mit der Bitte um Erhöhung seines Deputats erneut an seinen Bruder zu wenden; dieser lehnte in einem in deutlichen Worten gehaltenen Antwortschreiben eine weitere Erhöhung unter Hinweis auf die knappen Ressourcen ab.891 Offenbar schlug er aber einen Trick vor, um die Einkünfte des Bruders zumindest auf dem Papier zu verbessern: er erklärte sich bereit, ein Revers über zusätzliche 500 fl p.a. auszustellen, so dass insgesamt knapp über 4.000 fl jährlich zusammen kämen – worauf sich Johann Ernst Karl nicht einließ, weil ich hernach doch nicht im stand währe, meine Haußhaltung so zu führen und zu bestreiten, wie Sie denken, daß es mit 4000 fl geschehen könne, was mir allerhand verdruß geben könnt, bey dem alten H. [d.i. Graf Heinrich Reuss zu Gera, zu diesem Zeitpunkt bereits 64 Jahre alt, TB] und bey Ihro 890 Bei den Verhandlungen über eine Erhöhung der Apanage wies Wilhelm Karl Ludwig seinen Bruder darauf hin, dass sich Dr. Lbd. Umstände auch, zumahlen bey dem Zuschuß von Deinem Herrn Schwieger Vatter, sich auch künftighin, durch das jedoch Gott gebe späth erfolgende Absterben unserer Frau Mutter Gnd. allerdings verbeßern, dass also von Heinrich Graf Reuß als zukünftigem Schwiegervater nicht unerhebliche Summen zu erwarten seine, Brief Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 18.8.1745, HStAD F 24 A 812/1. 891 Ebd.,wo sich Wilhelm Karl Ludwig zuletzt dafür entschuldigt, daß in vorstehendem meine Meinung deutl. und aufrichtig geschrieben. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 222 durchl. der Fürstin [d.i. Pfalzgräfin Sofie, TB] und bey meiner zukünftigen Gemahlin.892 Ehrlich gerechnet kam der jüngere Bruder kaum über 3.500 fl jährliche Einkünfte, selbst wenn er die ihm zustehenden Naturallieferungen in Geld umrechnete.893 Das war zu wenig, die viel versprechende Ehe kam nicht zu Stande und Henriette heiratete am 21.11.1746 Graf Friedrich Botho von Stollberg-Rossla, was die Lage zwischen den beiden Brüdern verschärfte: Johann Ernst Karl beschuldigte seinen Bruder, ihn mit dem Vergleich übervorteilt und seiner Zukunftsaussichten beraubt zu haben, der Ältere warf seinerseits dem Jüngeren vor, ihn mit ungerechtfertigten Forderungen zu belästigen, zu bedrohen und den geschlossenen Vergleich zu unterminieren.894 Zu einer weiteren Eskalation kam es 1749/50 im Zusammenhang mit den Plänen Johann Ernst Karls, sich mit der Baronesse Henriette Charlotte Albertine Terzi von Cronenthal (*1717 +31.7.1760), „die er auf seinen Reisen kennen gelernt“895 hatte. zu vermählen. Mit diesem Vorhaben stieß Johann Ernst Karl von Anfang an auf erbitterten Widerstand vor allem seiner Mutter und des älteren Bruders,896 die immer wieder argumentierten, es handele sich nicht um eine standesgemäße Verbindung, sondern um eine Missheirat. Formaljuristisch war die Ebenbürtigkeit umstritten.897 Mehrere in Auftrag gegebene Rechtsgutachten898 entkräfteten jedoch die Vorwürfe: Die Terzi entstammten dem ursprünglich ungarischen, seit dem Spätmittelalter in Italien ansässigen Geschlecht der Longofredi und waren, nachdem Michael Angele von Terzi im Gefolge des Markgrafen von Baden Karriere gemacht hatte und bis zum Oberstallmeister aufgestiegen war, 1685 von Kaiser Leopold in den erblichen 892 Schreiben Johann Ernst Karls an seinen Kammerdiener Koch vom 23.9.1745, HStAD F 24 A Nr. 812/5. 893 Vgl. ebd. 894 Brief Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 13.5.1746, HStAD F 24 A 812/1. 895 ISENBURG, Um 1800, S. 11, leider ohne genaue Nennung einer Quelle. 896 Bemerkenswert ist, dass die schon zwanzig Jahre währende Koalition zwischen Wilhelmine Christine und ihrem Sohn Johann Ernst Karl, die spätestens mit der Vormundschaft angefangen hatte, nun aufgelöst wurde und ein neues (Zweck-) Bündnis zwischen Wilhelm Karl Ludwig und seiner Mutter entstand. Es wird deutlich, dass auch innerhalb der Familie weniger emotional als vielmehr sehr häufig strategisch gedacht und gehandelt wurde. 897 LÜNIG, Thesaurus juris, Sp. 566-568 urteilt in dieser Frage, dass nur eine Ehe mit einer einfachen Adeligen eine Mißheirat sei; darunter würde eine Verbindung mit einem reichsfreiherrlichen Haus wie den Terzi jedoch nicht fallen, vgl. auch PÜTTER, Staats- und Fürstenrecht, S. 81 ff., S. 139 ff. und S. 216 ff. mit zahlreichen Beispielen. 898 Vgl. dazu die Sammlung juristischer Gutachten zu Stand und Dignität der Baronesse von Terzi in ASR 612. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 223 Reichsfreiherrenstand erhoben worden.899 Als Reichsfreiherren aber waren sie, auch wenn sie weder über Sitz und Stimme in comitiis noch über reichsunmittelbare Ländereien verfügten, im Prinzip dem hohen Adel zuzurechnen und damit ebenbürtig.900 Es lassen sich sowohl in fürstlichen und gräflichen Häusern – auch im Haus Solms – genug voll gültige Ehen zwischen einem Grafen oder einer Gräfin und Freifrauen bzw. Freiherren als Positivbeispiele anführen.901 Auch wenn den rechtlichen Bedenken damit begegnet war und es sicher schien, dass sowohl die Baronesse als auch eventuelle Söhne und Töchter aus dieser Verbindung durch die Heirat vollwertige Reichgräfinnen und Reichsgrafen mit allen Rechten und Ansprüchen werden würden, gaben Wilhelm Karl Ludwig und Wilhelmine Christine ihren Widerstand keineswegs auf. In Reichsgrafschaften der Frühen Neuzeit waren „die Familienverbindungen [...] zu einer Art Organisationsprinzip“ erhoben worden,902 denn aufgrund ihrer geringeren militärischen und wirtschaftlichen Potenz und der ständigen Existenzbedrohung durch Teilungen und Bankrott oder das Aussterben einer Linie waren sie noch viel stärker als Fürstentümer darauf angewiesen, familiäre Beziehungen zu pflegen und ständig zu erneuern. Dem Konnubium kam dabei eine wichtige Rolle zu,903 indem durch Verbindungen zum Haus Solms selbst und zu anderen Reichsgrafschaften immer neue Familienbeziehungen innerhalb dieses Kreises konstituiert wurden und das Netzwerk damit zunehmend engere Maschen bekam. Allenfalls eine Verschiebung „nach oben“, also eine Heirat in ein fürstliches Haus mit dem entsprechenden Zugewinn an Ehre, konnte ein Abweichen von diesem Prinzip begründen – nicht jedoch eine Ehe mit der Tochter einer im Reich recht 899 Vgl. Freiherrndiplom für Michael Angele von Terzi durch Kaiser Leopold 1685, ASR 612. 900 Vgl. Rechtliches Bedencken, die hochgräffliche Vermählung betreffend (1750), ASR 612. Zwar war diese Zugehörigkeit zum Hochadel im juristischen Diskurs des 18. Jahrhunderts nicht unumstritten, es darf aber als sicher gelten, dass der Status von Reichsfreiherren deutlich oberhalb der Reichsritterschaft anzusiedeln war. Zum Problem der Ebenbürtigkeit und des völlig uneinheitlichen juristischen Diskurses des 17. und 18. Jahrhunderts darüber vgl. auch STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, hier S. 47-50. 901 Z.B. die Ehe Gräfin Ludovica Walburgas von Solms-Braunfels (*1639 +8.5.1687) mit Moritz Freiherr von In- und Kniphausen, die Ehe Graf Johann Georgs von Solms zu Pouch (*8.11.1704 +29.1.1769), der seit dem 26.12.1728 mit Friederike Christiane Wilhelmine Freiin von Dankelmann verheiratet war, oder die Heirat Graf Friedrich Eberhards von Solms-Sonnewalde (*17.5.1691 +3.5.1752) mit Maximiliane Charlotte Aloysia von Scherfenberg. 902 VOLKER PRESS, Reichsgrafenstand und Reich. Zur Sozialgeschichte des deutschen Hochadels in der Frühen Neuzeit, in: Jürgen Heideking (Hg.), Wege in die Zeitgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Gerhard Schulz, Berlin 1989, S. 3-29, hier S. 9. 903 Zum Stellenwert hochadeliger Heiratspolitik innerhalb der Kategorien „Dynastie“ und „Geschlecht“ siehe u.a. WUNDER, Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung, hier S. 15-17, wo deutlich wird, dass die „politische Heirat“ nicht das einzige, aber ein wichtiges Instrument der Sicherung von Dynastie und Herrschaft darstellte. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 224 unbedeutenden, eben erst in den Freiherrenstand erhobenen Familie, wie die Terzi es waren.904 Den Abgrenzungsbemühungen des Reichsgrafenstandes nach unten mit dem Zweck der Konservierung eigener Vorrechte im 18. Jahrhundert905 jedenfalls lief eine solche Verbindung diametral entgegen. Das hinderte Johann Ernst Karl jedoch nicht daran, Henriette trotzdem zu heiraten. Die Gründe für seine Entscheidung gehen aus den vorliegenden Quellen nicht hervor, sicher ist jedoch, dass es gewichtige finanzielle Argumente gab, denn Henriette brachte mit der Summe von 5500 fl – ihrem gesamten Erbteil – eine beachtliche Summe in die Ehe ein. Die tatsächliche Auszahlung dieser Summe warf zwar anfangs einige Probleme auf, da Freiherr Christian von Fürstenwärther,906 der mit Henriettes älterer Schwester Wilhelmine verheiratet war und ihren Erbteil auszahlen sollte, die Summe nicht sofort verfügbar machen konnte.907 Mittelfristig ermöglichte das Geld Johann Ernst Karl jedoch zumindest die Abtragung seiner oben erwähnten Schulden,908 wenn es auch bei weitem nicht ausreichte, ihm für die Zukunft ein seinen Ansprüchen entsprechendes Leben zu ermöglichen.909 Weil der Konsens der Mutter und des regierenden Bruders zu der geplanten Heirat aus den genannten Gründen nicht zu erwarten war, wurde sie schließlich ohne deren Zustimmung vollzogen, zudem auch ohne Ehepakt, ohne irgendeine Vereinbarung zum Heiratsgut und ohne Wittumsverschreibung.910 Dieses Vorgehen war formal ebenfalls nicht zu beanstanden, so besagt das darüber von Johann Ernst Karl in Auftrag gegebenen Gutachten; schließlich war der Graf schon lange volljährig, uneingeschränkt rechtsmündig und die Ehe korrekt vollzogen worden, eine formelle Zustimmung war mithin nicht erforderlich und alle weiteren 904 Henriettes Großvater väterlicherseits war der erste Reichsfreiherr von Terzi, Michael Angele, ihre Großeltern auf der mütterlichen Seite waren Graf Johann Ludwig von Ysenburg-Büdingen und seine unebenbürtige dritte Frau Maria Juliana Bilgen, die sich mit kaiserlicher Erlaubnis seit 1672 „von Eisenberg“ nennen durfte, vgl. auch ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung, S. 30 Anm. 135. 905 Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S. 50-51, weiterhin PÜTTER, Staats- und Fürstenrecht, S. 191 ff. mit einem Überblick über Hausgesetze von Fürsten und Grafen, in denen diese Frage eine wichtige Rolle spielt. 906 Christian Freiherr von Fürstenwärther war ein Enkel der morganatischen Ehe zwischen Pfalzgraf Friedrich Ludwig von Pfalz-Zweibrücken (*1619 +1681) und seiner dritten Frau Anna Maria Elisabeth Hepp (*1635 +1721). 907 Vgl. Schriftwechsel Johann Ernst Karls mit den Brüdern von Fürstenwärther, ASR 612, hier v.a. das Schreiben vom 30.3.1751, in dem der Freiherr verspricht, baldmöglich zu zahlen. 908 Vgl. Gutachten zur Eheschließung von Johann Ernst Carl und Henriette Charlotte Albertine von Terzi, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 909 Deshalb forderte er ständig mehr Geld von seinem Bruder und versuchte auch auf anderen Wegen seine Einnahmen zu steigern, vgl. dazu auch das folgende Kapitel. 910 Vgl. Gutachten zur Eheschließung von Johann Ernst Carl und Henriette Charlotte Albertine von Terzi, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 225 Vereinbarungen wären zwar zu begrüßen, nicht jedoch zwingend notwendig gewesen.911 Nicht gegen allgemein gültige Rechtsnormen hatte Johann Ernst Karl also verstoßen, sondern ein weiteres Mal – wie schon bei der Auswahl seiner zukünftigen Frau – gegen die lange geübten und in den Haus- und Familienverträgen immer wieder bekräftigten Gepflogenheiten des Hauses Solms, gegen ein Herkommen, das wie gezeigt auf einer wohlüberlegten Heiratspolitik und auf einem einheitlichen, dem agnatischen Konsens verpflichteten Vorgehen bei solchen wichtigen Entscheidungen basierte.912 Die Konsequenzen aus diesem Schritt waren folgenschwer. In vergleichbaren Fällen wurden die Betreffenden als Folge des Verstoßes gegen die dynastische Räson „aus dem "Geschlecht" ausgeschlossen, was einem sozialen Tod gleichkam“913 – ähnliches widerfuhr Johann Ernst Karl. Besonders dramatisch war für ihn sicher der Verlust einer der wenigen Verbündeten, die ihm während der Auseinandersetzungen um die Regentschaft stets bei Seite gestanden hatte, nämlich seiner Mutter. Sie stellte sich jetzt offen gegen ihn, wie ein Protokoll über die Vernehmung des Niederwöllstädter Pfarrers Rumpf belegt. Rumpf war Wilhelmine Christines Beichtvater und Vertrauter; bereits ein Jahr zuvor hatte sie ihn erfolglos zu Johann Ernst Karl geschickt, um ihn von der geplanten Heirat abzubringen. Am 12.11.1750 war er nun von Johann Ernst Karl gebeten worden, an einer Unterredung zwischen ihm und seiner Mutter teilzunehmen, in der Hoffnung, seine Anwesenheit würde Ihro hochgr. Excel. gdgste Frau Gräfin besänftigen [...] helffen,914 wenn der Graf seine Mutter nachträglich um ihre Zustimmung zu der Ehe bat. Das Gespräch begann damit, dass Wilhelmine Christine auf die Frage, warum sie bislang – nach fast einem Jahr! – noch nicht zu Besuch bei dem frisch vermählten Ehepaar gewesen sei, mit einem Zornesausbruch reagierte und als Grund angab, daß er sich hätte mit obiger Frau von Tertzy wieder ihren Willen und ohne dero Consens trauen laßen, und dass sie außerdem dieselbe nimmermehr vor seine (ihres Herrn Sohns) Frau halten, nicht 911 Vgl. Juristisches Gutachten über die Frage, ob die Gräfin Johann Ernst Carl wegen unstandesgemäßer Heirat enterben könne, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 912 Siehe dazu auch PRESS, Reichsgrafenstand und Reich, S. 9 und v.a. PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms, in dem er den letztlich erfolglosen Versuch der Solmser Grafen untersucht, ausgehend von diesem auf agnatischem Konsens und familiär abgestimmten Vorgehen basierenden Herrschaftsverständnis eine gemeinsame Fiskalpolitik zu etablieren. 913 WUNDER, Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung, S. 19. 914 Protokoll der Aussage des Pfarrers Johann Michael Rumpf vom 11.12.1750, ASR 228. Rumpf war von nicht näher genannten Beamten der Rödelheimer Regierung im Auftrag Wilhelm Karl Ludwigs zu den Vorgängen vernommen worden und hatte das vorliegende Protokoll selbst beeidet und unterschrieben. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 226 eine Mutter von 71 Jahren dem Solmischen Haus und deßen Anverwandten noch dero seel. Ehe-Herrn diesen Schandfleck anhängen laßen würden. Ingleichen Ihr Consens wäre nicht da, und der würde biß in ihren Tod nicht erfolgen. Darüber hinaus bezeichnete sie Johann Ernst Karls Frau als dieses garstige Mensch und berichtete, dass sie ihr bereits Geld dafür geboten habe, dass sie sich nicht unterstehen solte, das Kind915 ein Solmisch Kind zu heissen, [und dafür, dass sie] aus der Gegend zu gehen und auf alle weiteren Ansprüche zu verzichten bereit wäre.916 Doch nicht nur soziale Isolation und Versuche, seine Frau zu einer Trennung zu bewegen, drohten dem Grafen – Wilhelmine Christine ging noch weiter, indem sie versuchte, ihren Sohn zu enterben und ihn und alle eventuellen Nachkommen damit nicht nur von der Teilhabe an ihrer materiellen Hinterlassenschaft, sondern insbesondere auch von der Herrschaft in Limpurg-Gaildorf auszuschließen. Eine ungewöhnliche Gemengelage aus Feudal-, Fideikommiss- und Allodialerbe, Reichslehen und persönlichen Herrschaftsrechten917 ermöglichte der Gräfin grundsätzlich die freie Disposition über einen Teil des Erbes: Sie hatte nur eine bestimmte Summe Geld in die Ehe eingebracht, der damit unter die in denen Solmischen Stamms-Verträgen vest gesetzte Inalienabilitaet918 fiel, also nicht willkürlich vererbt werden konnte. Der Rest ihres Vermögens blieb bis zu ihrem Tod ihr Eigentum, so dass er ihrem persönlichen Erbe zuzurechnen war und zu ihrer Disposition stand, zumal es keinerlei Regelungen in den Solmsischen Hausverträgen über deren in das Gräff. Hauß Solms heurathenden Gemahlinnen Eigenthum919 gab. Von diesem Teil des Nachlasses hätte sie ihrem Sohn testamentarisch tatsächlich ausschließen können,920 im Gegensatz zu ihrem Anteil an Limpurg-Gaildorf, denn in denen Limpurgischen Pactis Familiae [...] wird diese Graff- und Herrschafft in 915 Offensichtlich war aus der Verbindung zwischen Johann Ernst Karl und Henriette Charlotte Albertine ein Kind hervorgegangen. Es wird weder in anderen Quellen noch in irgendeiner genealogischen Übersicht erwähnt, so dass kein Name, kein Geburts- und kein Sterbedatum zu ermitteln ist. Es ist anzunehmen, dass es relativ jung starb und deshalb keine weiteren Informationen überliefert sind. In dem Konzept zur Leichenpredigt des Grafen heisst es lapidar, dass diese Gemahlin ohne Descendenz den Schauplatz dießer Welt verließ (Entwurf der Regierung Rödelheim vom 31.1.1790 für eine Vorlage für die Leichenpredigten der Pfarrer im Lande anlässlich des Todes des Grafen Johann Ernst Karl, HStAD F 24 A 1391). 916 Zu alledem vgl. ebenfalls das Protokoll der Aussage des Pfarrers Johann Michael Rumpf vom 11.12.1750, ASR 228. 917 Siehe dazu das Kapitel über die Herrschaft Wilhelmine Christines. 918 Juristisches Gutachten über die Frage, ob die Gräfin Johann Ernst Carl wegen unstandesgemäßer Heirat enterben könne, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 919 Ebd. 920 Dass dies letztlich doch nicht geschah, geht u.a. aus den Protokollen der Beauftragten der Erben Wilhelmine Christines vom12.8. bis 2.9.1758 in ASR 513 hervor; die Hinterlassenschaft wurde gleichmässig auf alle Nachkommen aufgeteilt. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 227 ihrem complexu als ein Stamm- und Familien-Guth angesehen,921 war insofern dem Fideicommissgut zuzurechnen und durfte deshalb einem legitimen Sohn nicht vorenthalten werden. In die gleiche Richtung wie seine Mutter arbeitete der regierende Graf Wilhelm Karl Ludwig, indem er versuchte, die Bewittumung Henriettas zu unterlaufen. Laut dem 1745 geschlossenen „Brüderlichen Vergleich“ war er verpflichtet, die Witwe seines jüngeren Bruders angemessen zu versorgen, wann dieselbe das herkömmliche heyraths guth werden inseriret haben,922 also wenn dieses Heiratsgut zur Ablösung von auf dem Land lastenden Schulden, zur Vergrößerung oder zur Verbesserung des Landes investiert wurde. Da es jedoch keine Ehevereinbarung gab und Henriettas eingebrachtes Geld zur Begleichung der persönlichen Außenstände ihres Ehemannes verwendet werden sollten, weigerte sich der Regent, im Falle eines Ablebens seines Bruders für das Wittum zu sorgen.923 Die Schwierigkeiten, mit denen sich Johann Ernst Karl nun konfrontiert sah, lassen erahnen, in welch missliche Lage er sich durch seine Heirat manövriert hatte. Deshalb beklagte er sich seiner Mutter gegenüber, er fühle sich von allen hohen Anverwandten verlaßen.924 Gerade an der unversöhnlichen Haltung der Mutter, an ihren ungewöhnlich drastischen Äußerungen und an den Versuchen, ihren Sohn und alle seine Nachkommen auf dem Weg der Enterbung von der Teilhabe an Besitz und Herrschaft und damit gleichsam aus der Dynastie auszuschließen, lässt sich die eminente Bedeutung ablesen, die die dynastische Räson, insbesondere in Fragen der Ehe, für die Grafen besaß. Nicht die harsche Reaktion des alten Rivalen Wilhelm Karl Ludwig, der wiederholt äußerte, sein Bruder wolle seine hure [...] zur gräffin machen,925 sondern vor allem das Zerbrechen der Jahrzehnte alten Allianz zwischen Wilhelmine Christine und Johann Ernst Karl macht überdeutlich, dass dieser wissentlich oder unwissentlich an einem Grundpfeiler reichsgräflicher Existenz gerüttelt hatte, worauf Regent und Gräfinwitwe als die herausragenden Vertreter der Dynastie in scharfer Form reagieren mussten.926 921 Juristisches Gutachten über die Frage, ob die Gräfin Johann Ernst Carl wegen unstandesgemäßer Heirat enterben könne, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 922 Vergleich zwischen Wilhelm Carl Ludwig und Johann Ernst Carl vom 27.1.1745, ASR 239. 923 Vgl. dazu Gutachten zur Eheschließung von Johann Ernst Carl und Henriette Charlotte Albertine von Terzi, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 924 Protokoll der Aussage des Pfarrers Johann Michael Rumpf vom 11.12.1750, ASR 228. 925 Vgl. u.a. Brief Graf Wilhelm Karl Ludwigs an einen unbekannten Grafen (1750), ASR 664. 926 Vgl. auch WOLFF, Grafen und Herren, hier S. 335, der zu dem Schluss kommt: “Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bestand eine scharfe Abgrenzung zwischen den Grafen einerseits und den Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 228 Parallel zu den Auseinandersetzungen um die erste Heirat mit Henriette und davon ausgehend entwickelten sich weitere Konfliktlagen um die Person des Sekundogenitus, die nun ebenfalls dargestellt werden sollen. Vor allem wird es dabei um die Frage gehen, ob die Probleme tatsächlich daher rührten, dass den Bruder ein ohnbeständig und feindseeliges gemüth927 auszeichne, wie der Regent Wilhelm Karl Ludwig behauptete, oder sie näheren Aufschluss über die ganz eigenen Probleme und spezifischen Gefährdungen von kleinen Reichsgrafschaften geben können. Kern des Problems war Johann Ernst Karls Gefühl, er sei (auch in dem von ihm unterzeichneten Vergleich) gegenüber seinem älteren Bruder benachteiligt worden, deshalb hatte er sich auch im Gespräch seiner Mutter gegenüber auf dero regierenden Herrn Bruders hochgr. Excellenz sich bezogen, und gesagt: Sie hätten ihm alles genommen.928 Gleichzeitig lebte er – nicht ganz zu Unrecht, wie sich später erweisen sollte – in der beständigen Angst, beim Tod des Regenten übervorteilt und seines rechtmäßigen Anteils an dessen Vermögen enthoben zu werden. Außerdem war für ihn die Situation, in Praunheim zur Miete zu wohnen929 und keinerlei Herrschaft außerhalb des eigenen Hauses ausüben zu können, nach wie vor unbefriedigend. Deshalb hatte er bereits kurz nach der Heirat am 22.5.1750 für eine Summe von 40.000 fl gemeinsam mit seiner Frau Henriette das ehemalige von Rauische freiadelige Rittergut in Fauerbach gekauft,930 einem Dorf im Solms- Rödelheimer Amt Assenheim unmittelbar neben der Reichsstadt Friedberg, zu desto besser- und honorableren unserer Geburt, Würden und Stande gemäßer unterkunfft, mithin zu selbst eigener reputation und ehren des hochgräfl. Solmischen Haußes, deßen Landen und Leuthen,931 wie er selbst später den Kauf den Untertanen gegenüber begründete. Da die geringe zu unserer alimentation bißher bezogene Deputat-Gelder932 für die beachtliche Kaufsumme nicht ausreichten, sah er sich gezwungen, von den Orten des Amts Assenheim im nachhinein die Übernahme einer Bürgschaft von 5000-6000 fl schriftlich und etwas später von den Bürgermeistern, Reichsrittern […] andererseits; für eine reichsgräfliche Familie galt die Eheverbindungmit Angehörigen der Ritterschaft als Mesalliance.” 927 Brief Graf Wilhelm Karl Ludwigs an einen unbekannten Grafen (um 1750), ASR 664. 928 Protokoll der Aussage des Pfarrers Johann Michael Rumpf vom 11.12.1750, ASR 228. 929 Ebd. heisst es dazu, er hätte auf bißher, zu dero größten Verdruß in einem Zins-Haus wohnen müßen. Nach dem Verlassen der Kriegsdienste 1745 war er von Assenheim, wo er bei seiner Mutter im Schloss gewohnt hatte, nach Praunheim umgezogen. 930 Vgl. Urkunde über den Kaufvertrag vom 22.5.1750 zwischen Anna Amalia Dorothea Rau von Holzhausen und Graf Johann Ernst Karl, HStAD B 9 1492. 931 Konzept eines Erlaßes Johann Ernst Karls an die Dörfer des Amts Assenheim vom 28.11.1750, ASR 228. 932 Ebd. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 229 Schultheißen und Beamten auch persönlich zu verlangen. Die waren jedoch nicht dazu bereit, und der Fauerbacher Amtskeller Schäfer schrieb deswegen einen Brief an Wilhelm Karl Ludwig, in dem er die Situation schilderte.933 Dieser reagierte unverzüglich mit einem Erlass, ihn genauer über die Vorgänge zu informieren und keinerlei Schritte ohne seine vorherige Zustimmung zu unternehmen.934 Dabei richtete sich sein Widerstand nicht gegen den Plan, die Untertanen in den Schuldendienst mit einzubeziehen; es war ein eng mit dem Verständnis von Grund- und Landesherrschaft verknüpftes und in nahezu allen Fällen auch seitens der Untertanen unwidersprochenes935 Prinzip, dass die Schulden der gräflichen Familie Landesschulden, sprich: auch der darin lebenden Leute waren und deshalb von diesen mit getragen werden mussten. Andersherum gesagt: der Kredit des Landesherrn basierte zu großen Teilen auf dem Kredit der Untertanen.936 Das Einschreiten des Regenten war also deshalb nicht in erster Linie gegen das Vorhaben an sich gerichtet, sondern gegen die erhebliche Kompetenzüberschreitung seines Bruders und die Tatsache, dass er von ihm nicht über die Pläne informiert und um seine Zustimmung ersucht, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden war. Das fragliche Gut, ein kurpfälzisches und mainzisches Lehen, war in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts von der Familie Rau v. Holzhausen, die es bislang besessen hatte, an den Ritter Köth von Wanscheid verpfändet worden.937 Weil er durch die Übernahme einer kaiserlichen Kommission in dieser strittigen 933 Schreiben des Fauerbacher Amtskeller Schäfer an Graf Wilhelm Karl Ludwig vom 1.12.1750, ASR 228. 934 Erlass Graf Wilhelm Karl Ludwigs an die Gemeinden im Amt Assenheim vom 2.12.1750, ASR 228. 935 Vgl. dazu v.a. die Beispiele in TROSSBACH, Bauernbewegungen, an denen deutlich wird, dass die Untertanen – hier die im Zentrum stehenden Bauern – sich gegen die Höhe der Steuern, Abgaben und Fronen zur Wehr setzten oder argumentierten, sie seien von der fraglichen Belastung befreit, aber in keinem Fall ihre grundsätzliche Zuständigkeit für die Bezahlung von Ausgaben oder Schulden in Frage stellten, die sich aus dem Repräsentationsbedürfnis oder der Finanzierung der „standesgemässen Lebensführung“ ihres Grund- oder Landesherren ergab. 936 Vgl. hierzu den bemerkenswerten Versuch der Regenten aller Solmser Grafschaften, am Beginn des 17. Jahrhunderts zur Begleichung ihrer Schulden sich die Unterstützung der Untertanen durch die Einberufung sog. „Landschaften“ zu sichern; PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms, S. 50 weist darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt die gräflichen Schulden noch grundsätzlich auf dem gräflichen Kammergut lasteten, es aber bereits Tendenzen gab, den Kredit dadurch zu steigern, dass „die Untertanen [...] die Bürgschaft mitübernahmen“. Mit den sich danach entwickelnden „Finanzierungsmethoden, [...] die deutlich absolutistische Züge trugen“ (ebd. S. 105), schwanden die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Untertanen, die in dem Modell der „Landschaft“ noch vorhanden gewesen waren, dann zusehends, so dass es im 18. Jahrhundert nur mehr der Landesherr war, der über die Aufnahme eines Kredites auf Land und Leute entschied. 937 Vgl. Konzept der Reichshofratsklage gegen Graf Johann Ernst Karl vom Dezember 1750 (Expeditionsvermerk 23.12.1750), ASR 288. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 230 Debitsache938 einen genauen Einblick in den Vorgang hatte,939 warnte Wilhelm Karl Ludwig seinen Bruder wiederholt vor der Gefahr, dass Köth den Kauf im Nachhinein anfechten oder weiteres Geld verlangen könnte. Das Geschäft beruhe also vor allem auf der Hoffnung, niemand aber wird sich auf eine ungewisse Rettung in gewisse Gefahr begeben.940 Deshalb weigerte sich der Regent standhaft, sich selbst daran zu beteiligen oder eine Verwicklung der Untertanen zuzulassen, und warnte Johann Ernst Karl immer wieder davor, den Kauf tatsächlich zu vollziehen. Dieser zog jedoch trotz dieser Bedenken und der Finanzierungslücke dort ein und überschritt in der Folge erneut deutlich seine Kompetenzen: Er forderte von den Bauern des Amts Assenheim Hand- und Spanndienste für den Umzug seines Haushalts von Praunheim nach Fauerbach, er befahl dem Amtskeller Schäffer die Verlegung der Landstraße nach Frankfurt, die direkt am Gutshaus vorbeiführte und durch die er sich gestört fühlte, und er versuchte, die auf dem Gut sitzenden Pächter, die über einen rechtmäßigen Vertrag verfügten und ihre Pacht ordentlich bezahlt hatten, per „gräflichem Befehl“ zu entfernen,941 und schuf Fakten, indem er einige Scheunen samt Inhalt in Besitz nahm. In diesem Beispiel für seinen Umgang mit Untertanen wird die Diskrepanz von „Stand“ und „Stellung“ des jüngeren Grafen besonders deutlich. Sein (Geburts-) „Stand“ als Reichsgraf und seine Erziehung und Ausbildung als potentieller Regent berechtigten ihn durchaus dazu, den Bauern des Landes Befehle zu erteilen und Gehorsam sowie Dienste von ihnen zu verlangen. Seine „Stellung“ in Rödelheim lag jedoch außerhalb des Systems „Regierung“, mittels dessen Herrschaft im Lande ausgeübt wurde, mithin war er von der Herrschaftsausübung ausgeschlossen.942 Von 938 Die Generalin Rau in Friedberg beklagte in einem Schreiben an Wilhelm Karl Ludwig, dass sie sich durch die Ansprüche Köths an der Einlösung der Pfandschaft ungerecht behandelt fühle, vgl. Brief der Frau von Rau an Wilhelm Karl Ludwig vom 18.2.1751, ASR 228. Siehe dazu weiter auch Konzeptschreiben für die kaiserliche Kommission des Grafen von Solms-Rödelheim in Sachen Geschwister von Lersner ./. Rau von Holzhausen (nach 1754), HStAD E 12 247/20. 939 Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 9.12.1750, ASR 228. Vgl. auch Konzept d. kaiserlichen Kommission für Graf Wilhelm Karl Ludwig in Sachen Rau von Holzhausen (nach 1754), HStAD E 12 247/20 940 Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 9.12.1750, ASR 228. 941 Am 21.12.1750 sandte der Amtskeller Schäfer zu Fauerbach einen kurzen Bericht über das Vorgehen Johann Ernst Karls ein und legte die Kopie einer schriftlichen Weisung Johann Ernst Karls an den Gärtner Matern bei, sofort sein Haus auf dem ehemals v. Rauischen Gut zu räumen, damit solches repariret werden kann, auch da Wir mit einem ledigen Gärtner schon versehen sind, so kann der Matern sich zugleich nach andern Diensten bewerben, [...] wornach Gärtner Matern sich zu achten hat. Praunheim d. 28ten Aug. 1750 JEC G.z. Solms, ASR 228. 942 Dieser Umstand war den Angehörigen der Rödelheimer Administration sehr wohl bewusst, und sie begegneten anmassenden Forderungen Johann Ernst Karls ungeachtet seines hohen Standes durchaus selbstbewusst, wie der Rat Georg Samuel Gemeinhard, der in einem Konflikt äusserte, Johann Ernst Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 231 welch enormer Tragweite diese Diskrepanz für Johann Ernst Karl war, lässt sich am Besten mit Hilfe eines kurzen Rückgriffs auf Pierre Bourdieus Kapitalbegriff und – verständnis klären. Der Erwerb von symbolischem Kapital ist für Bourdieu Ziel jeglichen sozialen Verhaltens, und in der Frühen Neuzeit stellte „Ehre“ die wesentliche Erscheinungsform symbolischen Kapitals dar.943 Weil symbolisches Kapital auch als Ausdruck der Position des Individuums innerhalb des eigenen sozialen Feldes definiert werden kann,944 also in dem „Anspruch des Individuums an die Mitglieder eines Standes bzw. einer Gruppe [besteht], entsprechend der eigenen Position eingeschätzt bzw. geachtet zu werden“,945 muss der oder die Einzelne immer wieder die Anerkennung seiner – ihm subjektiv legitim erscheinenden – Stellung durch die anderen Angehörigen der Gruppe durchsetzen, um nicht durch den Verlust der Position symbolisches Kapital einzubüßen und dadurch wiederum die Position weiter zu gefährden usf. Da Johann Ernst Karl seine eigene Stellung wie gezeigt sehr stark über das Attribut „Ausüben von Herrschaft“ definierte, diese Definition jedoch von den Angehörigen des eigenen Feldes keineswegs geteilt wurde946 und auch nicht den gültigen Spielregeln947 entsprach, misslang die Durchsetzung der Anerkennung mit der Konsequenz eines Verlustes von Ehre: Wilhelm Karl Ludwig, sofort von den Untertanen informiert, untersagte ihnen jeglichen Gehorsam den Forderungen seines Karl habe ihm gar nichts zu befehlen, solange der regierende Graf lebe, und sich auch nicht durch die Drohung beeindrucken ließ, jener würde doch einmahl über lang oder kurz an die Regierung kommen, und alsdann recours darauf zu nehmen wißen; Bericht Rat Gemeinhards an den Regenten über die Vorgänge während Wilhelm Karl Luwdigs Abwesenheit vom 6.6.1750, ASR 228. 943 Vgl. HEIKO DROSTE, Habitus und Sprache. Eine Kritik Pierre Bourdieus, in: Zeitschrift für Historische Forschung (2001), S. 95-120, hier S. 101; vgl. auch die zahlreichen in den letzten Jahren entstandenen Studien, die sich mit „Ehre“ als einem der wichtigsten Begriffe im Spätmittelalter und Früher Neuzeit befassen, z.B. ANDREAS PECAR, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740) (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2003; speziell zu Ehrkonzepten von Herrschaftseliten siehe WOLFGANG WEBER, Fama, Honor, Gloria. Wahrnehmungen und Funktionszuschreibungen der Ehre in der Herrschaftslehre des 17. Jahrhunderts, in: Sibylle Backmann, et al. (Hg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, Berlin 1998, S. 70-98. 944 Siehe dazu PIERRE BOURDIEU, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1993, v.a. das Kapitel „Symbolisches Kapital“ S. 205-221. 945 DROSTE, Habitus und Sprache, S. 102. 946 Vgl. den Brief des Fauerbacher Amtskeller Schäffer an Graf Wilhem Karl Ludwig vom 1.12.1750, ASR 228, in dem berichtet wird, dass sich die Untertanen des Amts in der grossen Mehrzahl weigerten, den Anweisungen Johann Ernst Karls Folge zu leisten. 947 Bourdieu verwendet die Begriffe „Kampf“ und „Spiel“ synonym und meint damit das Bestreben des Menschen, Kapital anzuhäufen, vgl. PIERRE BOURDIEU und LOÏC J. D. WACQUANT, Reflexive Anthropologie, Frankfurt a. M. 1996 S. 118 u.a.a.O. Dem Begriff „Spiel“ wird an dieser Stelle der Vorzug gegeben, weil er der Vorstellung eines an Regeln ausgerichteten Handelns der Akteure eher entspricht als „Kampf“, wobei die Regeln ein Teil von Bourdieus umfassendem „Habitus“-Konzept sind, das den Modus des Agierens der Individuen im Feld beschreibt. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 232 Bruders gegenüber und strengte eine Klage vor dem Reichshofrat an,948 die wenige Monate später in einem Mandat gegen den Jüngeren mündete.949 Es wird deutlich, dass nicht die Vorgehensweise des Akteurs aus sich selbst heraus, sondern nur die Handlung in Relation zur Position im Feld zu diesen Konsequenzen führte: hätte Johann Ernst Karl in der Stellung eines regierenden Grafen die Verlegung der Landstrasse befohlen und die Bauern zu Diensten herangezogen, hätte er kaum mit solch harschen Reaktionen rechnen müssen. Erst das offensichtliche Missverhältnis zwischen subjektiv wahrgenommener und ihm objektiv, d.h. durch die anderen Angehörigen des Feldes zugeschriebener Position und der dazugehörigen Kompetenzen – anders gesagt: von Aktion und (tatsächlicher) Position führte letztlich zu einer weiteren Niederlage gegen seinen Bruder, zu Ansehens- und Autoritätsverlust bei den Untertanen und der Strafandrohung durch ein Reichsgericht. Zwei Optionen standen ihm offen, um diese Divergenz zu beseitigen: die Anpassung der eigenen Handlungsweise an die (objektive) Stellung oder die Veränderung der Stellung mit dem Ziel, die ihm vermeintlich zukommenden Kompetenzen tatsächlich zu erlangen. Von Beginn der Auseinandersetzung um die Primogenitur und das Erbe Graf Ludwig Heinrichs war die Strategie Johann Ernst Karls in Richtung der zweiten Möglichkeit verlaufen, hatte er versucht, seine Position zu verändern und zum Regenten zu werden. Einen Höhepunkt erreichten diese Bemühungen Ende 1750, als er mit einem benachbarten Reichsfürsten paktierte, nämlich mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel, um dieses Ziel doch noch zu erreichen. Seit dem Spätmittelalter hatte Hessen durch aggressive Territorialisierungsbemühungen, vor allem in Form kluger Heiratspolitik mit radikaler Durchsetzung der resultierenden Erbansprüchen und durch den Versuch, die Lehnshoheit über Andere zu gewinnen und zur Vergrößerung des eigenen Landes zu nutzen, die Reichsstände in seinem Einflussbereich immer wieder in ihrer 948 Entwurf der RHR-Klage gegen Graf Johann Ernst Karl von Dezember 1750 (Expeditionsvermerk: 23.Dec.1750), ASR 228. 949 „Mandatum de non contraveniendo pactis conventis, et non via facti, sed juris procedendo, nec immiscendo potentiorem S.C. sub poena decem Marcarum auri et citatione Solita, sub termino suorum mensium“ des Reichshofrats gegen Graf Johann Ernst Karl vom 16.6.1751, vgl. dazu auch das Begleitschreiben des Reichshofratsagenten v. Fischer an Graf Wilhelm Karl Ludwig vom 19.6.1751, beides ASR 228. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 233 Existenz bedroht.950 In vielen Fällen hatte es damit Erfolg gehabt,951 wobei es für die Wetterau besonders schwerwiegend war, dass 1479 mit Katzenelnbogen die bedeutendste Grafschaft der Region – der Graf von Katzenelnbogen war bis dahin der unbestrittene Führer der Grafeneinung gewesen – hessisch wurde.952 Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es dem Kasseler Landgrafen Friedrich gelungen, eine weitere wichtige Wetterauer Grafschaft zu vereinnahmen, indem er 1735 die ihm zufallende Erbschaft Hanau-Münzenberg seinem Bruder Wilhelm – dem späteren Landgrafen Wilhelm VIII. – als Statthalter übergab und nach dem Tod des letzten Grafen Johann Reinhard auch die Hanau-Lichtenberger Herrschaft Babenhausen und weitere Landesteile in seinen Besitz brachte.953 Damit war für einige Jahre sogar das Amt des Direktors des Grafenvereins, das bis dahin Graf Johann Reinhard von Hanau als ´ranghöchstes´ Mitglied des Kollegiums954 bekleidete, an Hessen qua Grafen von Hanau übergegangen, bevor Landgraf Wilhelm 1743 nicht nur das Directorium niedergeleget, sondern sich auch gäntzlich von dem Collegii separiret955 hatte. Damit war zwar der unmittelbare Einfluss Hessens auf dieses Gremium gräflicher Interessenpolitik beendet, die unumstrittene Hegemonie der Landgrafen in der Region durch den Besitz der beiden wichtigsten Grafschaften Katzenelnbogen und Hanau blieb jedoch bestehen. Die latente Bedrohung durch Hessen-Kassel, die zwar ohne unmittelbare militärische Komponente war, sich jedoch wie gezeigt immer wieder in einer Erweiterung des hessischen Territoriums in der Wetterauer Region und zunehmender politischer und wirtschaftlicher Dominanz der Landgrafen manifestierte, stellte dem entsprechend ein Problem dar, mit dem sich die Rödelheimer Regenten regelmäßig 950 Vgl. dazu schon KARL ERNST DEMANDT, Geschichte des Landes Hessen, Kassel 21972, S. 475- 477, der u.a. den Antagonismus zwischen Hessen und den Wetterauer Grafeneinungen als Interessenvertretungen der kleineren Reichsstände im 15. und 16. Jahrhundert untersucht. 951 1450 konnte es gegen waldeckische und hohenlohische Ansprüche das Erbe der Grafen von Ziegenhain antreten, 1504 durch die „Geltendmachung lehnsherrlicher Rechte“ Homburg v.d.H. an sich bringen, vgl. WOLFF, Grafen und Herren, hier S. 334. Die Grafen von Waldeck, die unter hessischer Lehnshoheit standen, hatten nur durch geschicktes Taktieren in der konfessionellen Gemengelage des Reichs und mit kaiserlicher Unterstützung ihre territoriale Integrität bewahren können, vgl. ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft, S. 36-43. 952 DEMANDT, Geschichte des Landes Hessen, S. 476. 953 ebd., S. 298-299. 954 Zu den langwierigen und mit grosser Hartnäckigkeit betriebenen Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern des Grafenvereins um die Präzedenz und die angemessene Verteilung von Ehre vgl. v.a. das entsprechende Kapitel 5.1.2; die Führungsposition Hanaus nach dem Ausfall Katzenelnbogens als Führer des Grafenvereins nach dem Ende seiner Selbständigkeit war jedoch weitgehend unumstritten. 955 Beschlussvorlagen für den regierenden Grafen und die Räte von Rödelheim zum Grafentag 1743, HStAD F 24 A 365. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 234 auseinandersetzen mussten, sei es in Form von Prozessen956 oder außergerichtlicher Regelung von Angelegenheiten in mit Hessen-Kassel gemeinschaftlichen Orten wie Praunheim oder der Residenz Assenheim.957 Dass sich Johann Ernst Karl auf der Suche nach Unterstützung nun ausgerechnet an den Landgrafen von Hessen-Hanau wandte, war ebenso nahe liegend wie effektiv, denn Wilhelm hatte nicht nur handfeste Interessen in Bezug auf die Solmser Besitzungen, sondern auch genug Einfluss, diese durchzusetzen.958 In einem Brief, den er Ende November 1750 an seinen Bruder wegen des Kaufs des ehemals von Rauischen Ritterguts in Fauerbach schrieb, drohte er jedenfalls, dass er im Konfliktfall die mir von hohen Orten her suppeditirt, Ew. Lbd. aber vielleicht sehr mißfällige Mittel nothgedrungener weyse zu ergreifen mich bemüssiget sehen werde.959 Gegenüber der Mutter wurde er konkreter, wie diese dem regierenden Grafen wenig später schriftlich mitteilte: Auch hochgebohrner Graf, vielgeliebter Sohn! Ohnverhalte zur Nachricht, daß d.L. bruder bey seinem letztern Hierseyn sich besonders auf Sr. Durchl. des Herrn Landgrafen zu Heßen-Hanau vor Ihn hegende sehr gnädige sentiments bezogen und sonsten in seinen zerstreuten Reden sich dahin geäußert, wie es ihme ganz leicht sey, von hoher Hand kräfftigst unterstützet zu werden, wofür Er lieber zu seiner Zeit ein Dorff weniger haben, als bis dahin einigen Mangel leiden wolle. Wann Er gegen dr. Lbd. losbreche, so werde es mit solchem Nachdruck geschehen, als Ihro in Ansehung der Vergleichsumstände nicht lieb sein möge. Wegen seiner Hefftigkeit und zweiffels ohne Ihn darzu mehrers veranlaßenden widrigen Anfangs, habe ich bey so naher Nachbarschafft besonders ursach, mich allerl. widerwärtigkeiten zu besorgen u. dafür mit denen Meinigen in Acht zu nehmen. Ich verharre übrigens ut in lit. 956 Z.B. die parallel verlaufenden Prozesse um das Dorf Burggräfenrode, vgl. die Designation Aller deren bey dahiesig hochgr. Solms-Rödelheim. Regierung zu besorgen stehende Geschäffte und Expeditiones, HStAD F 24 A 1263/4. 957 Vgl. zu den gemeinschaftlichen Ortschaften und Ämtern die Verwaltungsordnungen Wilhelm Karl Ludwigs 1735-54, HStAD F 24 A 1263/4, in denen die Zuständigkeit der Regierungsräte geregelt wurde. 958 Graf Wilhelm Karl Ludwig selbst drückte dies in einer schriftlichen Bitte um Unterstützung an einen (leider unbekannten) Standesgenossen so aus, dass er wiße, das der printz wilhelm schon lange auff einige meiner orthe sein absehen habe und seine gewaldetigkeit bekant wehre. Brief Wilhelm Karl Ludwigs an einen nicht näher benannten Grafen vom Dezember 1750, ASR 228. 959 Brief Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 28.11.1750, ASR 228. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 235 Aßenheim, den 2t Dec. 1750 Wilhelmine Christine Gräffin zu Solms geborne Gräffin zu Limbourg Wittwe960 Als Gegenleistung für eine Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit seinem Bruder um ihm angemessen erscheinende Versorgung und Teilhabe an der Landesherrschaft war Johann Ernst Karl also bereit, dem Landgrafen ein Solms- Rödelheimisches Dorf zu überlassen. Aus anderen Fällen, in denen im 18. Jahrhundert Teile einer Reichsgrafschaft an einen anderen Reichsstand veräußert werden sollten, ist bekannt, dass dem Regenten keine unbeschränkte Verfügungsgewalt über Fideikommissgüter zustand, sondern nur alle Agnaten gemeinsam eine solche Maßnahme beschließen konnten; so hatten die Pläne des hoch verschuldeten Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels, Teile der Grafschaft Tecklenburg an Preußen zu verkaufen, zu scharfem Protest der anderen Solmser Linien und gemeinsamen Interventionen bei den Lehnsherren und dem Reichshofrat geführt.961 Die Übertragung einer Rödelheimer Ortschaft auf Hessen wäre wohl auf mindestens den gleichen Widerstand innerhalb des Familienverbands gestoßen und – auch juristisch – schwerlich durchsetzbar gewesen. Darüber hinaus geht aus den Quellen nicht hervor, ob eine entsprechende Vereinbarung zwischen Johann Ernst Karl und Landgraf Wilhelm überhaupt existiert hat. Dies mag auf den ersten Blick den Schluss nahe legen, es habe sich bei der Angelegenheit um völlig realitätsferne Drohungen des jüngeren Grafen gehandelt, mit denen er sich Gehör verschaffen wollte und die ernst zu nehmen sich nicht lohne; eine Betrachtung der Reaktionen seines Umfelds jedoch zeigt, dass die Lage so eindeutig nicht war. Das geht aus dem oben zitierten Brief Wilhelmine Christines und insbesondere aus der umfangreichen Korrespondenz hervor, die Graf Wilhelm Karl Ludwig in den folgenden Wochen führte: er entwarf eine Eingabe an den Reichshofrat962 und schrieb an den Reichsvizekanzler Graf Colloredo963 sowie den Vizepräsidenten des Reichshofrats Graf von Hartig964 und den Präsidenten Graf von Harrach,965 wobei er jeweils 960 Brief Gräfin Wilhelmine Christines an Graf Wilhelm Karl Ludwig vom 2.12.1750, ASR 228. 961 Schreiben der Grafen Hermann Adolph Moritz von Solms-Lich, Friedrich Ernst von Solms- Wildenfels, Ludwig von Solms-Hohensolms und Ludwig Heinrich von Solms-Assenheim auch im Namen ihrer Brüder an Adalbert, Abt des Stifts Fulda als solmsischen Lehnherrn vom 22.06.1707 und Abschrift des Dekrets Kaiser Josephs gegen Braunfels vom 16.8.1707, beides LHAKo 54 / 107. 962 Vgl. Entwurf einer Supplik Wilhelm Karl Ludwigs an den Reichshofrat vom 7.12.1750, ASR 228. 963 Vgl. Entwurf eines Schreibens Wilhelm Karl Ludwigs an den Reichsvizekanzler Graf Colloredo vom 31.12.1750, ASR 228. 964 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an den Vizepräsidenten des Reichshofrats Graf von Hartig am 2.1.1751, ASR 228. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 236 beklagte, sein Bruder sei gewillt, seine Forderungen sogar mit gewaltsamen Mitteln durchzusezen, und in Ermangelung eigener Kräfften, benachbarte mächtigere Stände966 hinzuzuziehen. Insbesondere aber schrieb er an Landgraf Wilhelm von Hessen-Hanau und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass erstens hinter den Drohungen nichts stecke als die Absicht seines Bruders, seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, und zweitens der Landgraf angesichts des so offensichtlichen Unrechts keineswegs bereit sei, ihn auf diese Weise tatsächlich zu unterstützen.967 An dieser entschlossenen Reaktion lässt sich ablesen, dass Johann Ernst Karls Äußerungen keineswegs als bloße Prahlerei oder leere Drohungen eines Unzufriedenen abgetan, sondern durchaus ernst genommen wurden, weil sie exakt auf eine der wesentlichen Achillesfersen der gräflichen Herrschaft in der Frühen Neuzeit abzielten: die vergleichsweise schwache Position der Reichsgrafen innerhalb des labilen Gleichgewichts des Reichsverbundes und die Gefährdung durch die erwähnten benachbarten mächtigeren Stände, die sich durch die gemeinsame Vertretung gräflicher Interessen in Grafenverein und Reichstag, durch ein dichtes Netz von sozialen und familiären Beziehungen968 und die Protektion durch Kaiser und Reichsgerichte969 zwar minimieren ließ, jedoch während der gesamten Frühen Neuzeit präsent und im Bewusstsein der Regenten tief verankert blieb. Dass der jüngere Graf diese Faktoren nicht zu seinen Gunsten nutzen konnte, lag wohl einerseits am rechtzeitigen und energischen Einschreiten seines Bruders, andererseits möglicherweise daran, dass keiner der Beteiligten die Angelegenheit ernsthaft und mit letzter Konsequenz verfolgte. Nachdem dieser Versuch, die eigene Stellung nachhaltig zu verändern, wiederum gescheitert war, wählte Johann Ernst Karl schließlich die zweite der oben erwähnten 965 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an den Präsidenten des Reichshofrats Graf von Harrach vom 9.1.1751, ASR 228. 966 Entwurf der RHR-Klage gegen Johann Ernst Karl vom Dezember 1750 (Expeditionsvermerk: 23.Dec.1750), ASR 228. 967 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an den Landgrafen zu Hessen-Hanau vom 29.12.1750, ASR 228. 968 Zur Bedeutung des Netzwerks zwischen den reichsgräflichen Häusern vgl. den Brief Wilhelm Karl Ludwigs an einen nicht näher benannten Grafen vom Dezember 1750, ASR 228, in dem er diesen um Beförderung der Angelegenheit beim Reichshofrat ersucht. 969 Dazu siehe v.a. das Mandatum de non contraveniendo pactis conventis, et non via facti, sed juris procedendo, nec immiscendo potentiorem S.C. sub poena decem Marcarum auri et citatione Solita, sub termino suorum mensium des Reichshofrats vom 16.6.1751, durch das Wilhelm Karl Ludwigs Position nachhaltig gestärkt wurde, und das begleitende Schreiben des Solmser Agenten beim Reichshofrat von Fischer vom 19.6.1751, beides ASR 228. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 237 Optionen und passte von nun an die eigenen Aktivitäten an die so offensichtlich aus eigener Kraft nicht zu verändernde Stellung an. Dem entsprechend sind für die folgenden Jahrzehnte Konflikte zwischen den Mitgliedern des Hauses Solms- Rödelheim bei weitem nicht in dem Unfang überliefert, wie in den zwanzig Jahren zuvor. Das Grundproblem der Konkurrenz zwischen Erst- und Zweitgeborenem blieb bis zum Tod des Älteren und sogar darüber hinaus bestehen, manifestierte sich jedoch ab diesem Zeitpunkt bis kurz vor dem Tod Wilhelm Karl Ludwigs nicht mehr so häufig und insgesamt weniger stark.970 Über die konkreten Lebensumstände des mit einem Gelddeputat abgefundenen Zweitgeborenen bis zur Übernahme der Herrschaft geben einige autobiographische Aufzeichnungen seine Sohnes und Nachfolgers Volrat an seine Kindheit Auskunft, der sich an die 60er Jahre des 18. Jahrhunderts erinnert: Mein Vater noch apanagirt, also eingeschränkter Vermögensumstände. Der Ort [Assenheim, T.B.] ein kleines Landstädtgen... keine Liaison mit Höfen, oder sonstiger guter Gesellschaft.971 Nach dem Ende seiner Auflehnung führte Johann Ernst Karl also offenbar ein sehr bescheidenes, ruhiges und zurückgezogenes Leben in Assenheim. Anlässlich des Todes der Mutter Wilhelmine Christine 1757 wurde die Einigkeit nicht nur der beiden Brüder, sondern aller Geschwister gleichermaßen auf die Probe gestellt. Die Gräfin hatte ihre früheren Überlegungen, ihr Erbe ungleich unter ihre Kinder zu verteilen, letztlich in die Tat umgesetzt; im Zusammenhang mit Johann Ernst Karls erster Ehe 1750 hatte sie wie oben besprochen über dessen Enterbung nachgedacht, dies jedoch wieder verworfen. Darüber hinaus sei, so schrieb ein nicht namentlich bekannter Jurist in einem Gutachten, bekannt, daß solche hochbesagte frau Mutter, dero Verlaßenschafft kaum einem von denen übrigen Kindern, auß notorischen Ursachen gönnen.972 Es war also durchaus logisch, die einzelnen Töchter und Söhne in unterschiedlichem Maße testamentarisch zu berücksichtigen. An dem Wilhelmine Christine gehörenden Anteil der Grafschaft Limpurg-Gaildorf partizipierten jedoch zunächst alle fünf lebenden Nachkommen zu gleichen Teilen.973 970 Vgl. z.B. den Brief Graf Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 13.9.1759 sowie den darauf folgenden Schriftwechsel, HStAD F 24 A 812-1, in dem Unregelmäßigkeiten bei der Berechnung des dem letzteren zustehenden Deputats aufgrund der Unterschiede von Friedberger und Frankfurter Maß vergleichsweise sachlich besprochen wurden und schnell beglichen werden konnten. 971 Zitiert nach ISENBURG, Um 1800, S. 12, der leider einmal mehr keine Quellenangaben macht. 972 Juristisches Gutachten über die Frage, ob die Gräfin Johann Ernst Carl wegen unstandesgemäßer Heirat enterben könne, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 973 Vgl. das Testament Wilhelmine Christines vom 25.5./1.9.1756 sowie den Vermächtniszettel vom 13.11.1757, StAL B 114 Bü 6492. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 238 Inwiefern der Erblasserin, da die limpurgischen Güter zwar der Besitzerin persönlich zustanden und damit ihr Allodialerbe, gleichzeitig jedoch mit einem Fideikommiss der Familie der Schenken zu Limpurg belegt waren, überhaupt eine freie Disposition darüber zustand und sie einen legitimen Nachkommen davon hätte ausschließen können, war bereits um 1750 Gegenstand ausführlicher und komplizierter juristischer Debatten gewesen.974 Sie entzog sich der Rechtsunsicherheit in dieser Frage und der deshalb drohenden Anfechtbarkeit ihres Testaments dadurch, dass sie allen fünf Kindern einen gleichberechtigten Anteil an der Landesherrschaft975 und den Einnahmen976 vermachte, und es kam in der Folge darüber tatsächlich nicht zu Auseinandersetzungen. Ungleich berücksichtigt wurden die zwei Söhne und fünf Töchter hingegen bei der materiellen Verlassenschaft. Deren Umfang und Zusammensetzung resultierten nicht nur aus dem hohen Stand der Erblasserin, sondern auch aus ihrem Status als regierender Landesherrin Limpurgs. Denn neben Hausrat, Schmuck und Wertgegenständen, die in ihrem Wohnsitz Schloss Assenheim vorhanden und von Art und Umfang dem Erbe anderer Gräfinnen durchaus vergleichbar waren,977 gehörten auch ein viersitziger Staats-Wagen und eine kleine Bibliothek mit über 100 Bänden dazu, die weit über die christlich-pietistische Bibliothek der Gräfin Mariana Margaretha von Solms hinaus978 auch Bücher enthielt, die die Themenfelder „klassische Bildung“ lateinischer Provenienz, neuere Geschichtsschreibung und 974 Vgl. Juristisches Gutachten über die Frage, ob die Gräfin Johann Ernst Carl wegen unstandesgemäßer Heirat enterben könne, o.O.u.D. (um 1750), ASR 612. 975 In ihrem Testament heisst es: sollen meine sämbtlichen gräflichen Kinder beyderlei Geschlechts [...] so wohl in meiner Gesambten Verlaßenschaft überhaupt [...] alß auch in meinen Limpurg- Gaildorfischen Landes Antheilzu meinen wahren Erben werden, Testament Wilhelmina Christinas vom 25.5.1756, HStAD F 24 A 28/3. Insofern ist die Darstellung Ziegers falsch, der behauptet, „nach 1757 gab es für Oberrot zunächst vier Landesherren“, denn es waren fünf einschliesslich Löwenstein Wertheim, das von Zieger nicht berücksichtigt wird; ANDREAS ZIEGER, Von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Gerhard Fritz, et al. (Hg.), 1200 Jahre Oberrot. Aus der Geschichte der Rottalgemeinden Hausen und Oberrot, Stuttgart 1987, S. 63-112, hier S. 70. Vgl. dazu auch die Korrespondenz zur Wiederbesetzung einer Pfarrerstelle in Limpurg-Gaildorf vom Frühjahr 1763 zwischen den fünf gemeinschaftlichen Regenten, HStAD F 24 A Nr. 324/3. 976 Die etwa 6300 fl jährlicher Einkünfte aus Gaildorf, die 1757 noch an Wilhelmine Christine geliefert worden waren, flossen in den darauf folgenden Jahren zu gleichen Teilen an Waldeck, Ysenburg, Löwenstein sowie nach Rödelheim und Assenheim, vgl. Rechnung der Gaildorfer Kammerkasse 1758, HStAD F 24 B Nr. 572/1 und Rechnung der Gaildorfer Kammerkasse 1761, HStAD F 24 B Nr. 572/4. 977 Vgl. dazu z.B. das Verzeichnis über den Nachlass Gräfin Mariana Margarethas durch Registrator Gerlach und Sekretär Schaller vom 21.12.1756, ASR Nr. 514. 978 Etwa ein Drittel der Bücher Mariana Margarethas entstammte der Feder Philipp Jacob Speners und August Hermann Franckes, Vgl. ebd. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 239 Staatswissenschaften abdeckten.979 Insofern spiegelte der Nachlass Ausstattung und Wissen einer Landesregentin wieder. Wilhelm Karl Ludwig erhielt davon nichts, Johann Ernst Karl bekam immerhin einen Anteil am Hausrat zugesprochen,980 die „Pretiosen“ aber gingen vollständig an die Töchter, wobei es sich sehr nachteilig auswirkte, dass die mütterlichen Verfügungen nicht sehr detailliert waren, was die Aufteilung unter den Erben z.T. enorm erschwerte981 und zu ausgedehntem Feilschen auch um kleinere Posten, bei unteilbaren Stücken zum Losentscheid führte.982 Die beträchtlichen Aktiva von über 10000 fl, die die Aufstellung des Erbes auswies und die insbesondere in Forderungen an die Schwestern Wilhelmine Christines als andere Limpurger Erbinnen und deren Nachfolger Limpurg-Speckfeld und -Sontheim bestanden,983 wurden zwar prinzipiell gleichmäßig geteilt, es war aber wegen des Alters der Ansprüche von z.T. 60 Jahren und mehr sehr ungewiss, ob und wann sie überhaupt zu realisieren sein würden und wie sie dem entsprechend aufzuteilen wären. Dieser Punkt erforderte deshalb ebenso Verhandlungen über eine gerechte Lösung wie die Bezahlung der verschiedenen Begünstigten zugesprochenen Legate der Verstorbenen in Höhe von zusammen 2237 fl.984 Dass die Aufteilung des mütterlichen Erbes zwar insgesamt mehrere Jahre in Anspruch nahm, jedoch im Gegensatz zum dargestellten Vorgang nach dem Tod ihres Ehemanns Graf Ludwig Heinrich letztlich ohne langwierige juristische Auseinandersetzung verlaufen konnte, war einerseits das Verdienst des klug eingerichteten mütterlichen Testaments, das genau auf die Ansprüche der einzelnen Töchter und Söhne zugeschnitten war,985 die ihrerseits nur an sehr wenigen Stellen 979 U.a. gehörten dazu Tacitus: Historiae, Livius: Ab urbe condita, Anonymus: L´histoire des faits et de la vie de Henri le grand (1613), J.C.Lünig: Thesaurus juris Comitum, Anonymus: Das württembergische Landrecht in 12 Bänden, vgl. Inventar des Nachlasses Wilhelmine Christines vom 22.5.1758, ASR 509. 980 Er konnte dabei u.a. 8 Damasttischtücher, 14 Servietten, ca. 40 Stück Zinngeschirr, 13 fl an unverschnittenem wilch, 10 normale Tischtücher, 63 Bücher, etliche Glassachen, 219 Ellen grobes Leintuch, 14 Vorhänge, Portraits und andere Gemälde, mehrere Matratzen, Federbetten, 24 Bettücher, 21 Kissen, einige Stücke der Garderobe erzielen, vgl. Protokoll des Treffens der Räte der Erben vom 12.8. bis 2.9.1758, ASR 513. 981 Eine Diskussion entstand z.B. aus der Frage, ob etwa eine goldene Wanduhr zu „Pretiosa“ und deshalb zum alleinigen Erbe der Töchter, oder zum „Hausrath“ und damit auch Johann Ernst Carl gehörte, vgl. das Verhandlungsprotokoll der beauftragten Räte der Erben 1757/58, ASR 510. 982 Vgl. dazu Protokoll des Treffens der Räte der Erben vom 12.8. bis 2.9.1758, ASR 513. 983 Vgl. dazu Extract aus dem Inventar Gräfin Wilhelmine Christines, Assenheim 1758, S. 360ff., ASR 513. 984 Die Gesamtsumme verteilte sich auf evangelische Missionswerke, Arme in Solms und Limpurg sowie Bediente der Gräfin; der größte Einzelbetrag kam Wilhelmine Christines langjährigem Hofrat und Vertrauten Franck zu Gute, siehe Aufstellung der Legata vom 26.8.1758, ASR 510. 985 Vgl. Testament Wilhelmine Christines vom 25.5.1756, HStAD F 24 A 28/3. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 240 kollidierten.986 Weiterhin aber war es auch Ausdruck des veränderten, konsensorientierten Umgangs der Geschwister miteinander, insbesondere Wilhelm Karl Ludwigs und Johann Ernst Karls, der durch die Änderung von Verhalten und Wahrnehmung des Jüngeren sechs Jahre zuvor ermöglicht wurde. Das veränderte, zurückhaltendere Verhalten Johann Ernst Karls gipfelte schließlich in einem Briefwechsel zwischen den Brüdern aus dem Jahr 1774. Initiiert wurde er vom jüngeren Grafen, der aus einem innern und aufrichtigen Besorgniß Grund meines Herzens seinem Wunsch Ausdruck verlieh, in einer brüderlichen Eintracht und wahrhafftigen aussehnung unser beiden Herzen [...] die Reiche der Tage unsers Lebens [...] zu endigen.987 Eingebettet in eine theologische Argumentation, die er um mehrere Bibelzitate zu brüderlicher Vergebung und Bruderliebe herum aufbaute, hatte er seinem Gegenüber hierdurch Gelegenheit geben wollen, wann etwa auf irgend eine Art dieselben sollte beleidiget haben, mir zu vergeben,988 wobei – wie er betonte – weder der Eigennutz noch eine vorübergehende Laune ihn motivierten, sondern das Bedürfnis, den langen und heftigen Konflikt im hohen Alter endlich beizulegen. Die Reaktion seines Bruders ließ auf sich warten; erst knapp fünf Monate später, nämlich Ende August 1774, antwortete dieser, was er durch eigene Abwesenheit, starke Arbeitsbelastung und verspätete Zustellung des Briefs entschuldigte.989 Er schrieb an meinen Bruder – unter Umgehung der unter Standesgenossen üblichen aufwändigen Titulatur bei schriftlicher Kommunikation990 –, er sei von Haß, feindschafft und dergleichen, wie gegen jedermann, so auch gegen Dich, meinen so lieben Bruder gäntzlich frei, und dem hertzl. ersuchen, alles vorherige brüderl. zu vergeben991 stand er zustimmend 986 Wilhelm Karl Ludwigs Interesse bestand in erster Linie darin, alle zu seiner Herrschaft Solms- Rödelheim gehörigen Akten aus Assenheim zu erhalten, vgl. Brief an Johann Ernst Karl vom 5.9.1758, HStAD F 24 A 812/1. Seinem Bruder hingegen war vor allem daran gelegen, das Schloss samt möglichst umfangreichem Inventar gemäß dem Vergleich von 1745 als Wohnsitz nutzen zu können, und die Schwestern waren hauptsächlich an dem materiellen Nachlass interessiert, der ohne grossen Aufwand zu ihnen transportiert werden konnte, vgl. Brief der Regierung Rödelheim an den Amtsverweser Maley in Assenheim vom 15.7.1760, ASR 512. Alle diese Ansprüche waren im Testament entsprechend berücksichtigt worden. 987 Schreiben Johann Ernst Karls an Wilhelm Karl Ludwig vom 24.3.1744, ASR 232. 988 Ebd. 989 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 17.8.1744, ASR 232. 990 Die offizielle Formulierung hätte Hochgebohrner Graf, freundlich vielgeliebt und hochgeehrter Herr Bruder und Gevatter oder ähnlich gelautet, wobei die Bezeichnung „Gevatter“ keineswegs Verwandschaft ausdrückte, sondern (in einem Brief) zur Anrede reichsgräflicher Standesgenossen benutzt wurde; vgl. u.a.EL ZBIETA KUCHARSKA, Anreden des Adels in der deutschen und der polnischen Briefkultur : vom 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts; eine vergleichende sprachwissenschaftliche Untersuchung mit einer Auswahlbibliographie, Neustadt an der Aisch 2000. 991 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 17.8.1744, ASR 232. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 241 gegenüber. Zu einem Besuch bei Johann Ernst Karl, der mit seiner Familie nach dem Tod der Mutter 1758 von Fauerbach in das Schloss nach Assenheim umgezogen war,992 kam es jedoch nicht, obwohl ein persönliches Treffen nach dem Bekunden des Schreibers schon viele Jahre her und eine Visite deshalb nun überfällig war, weil der regierende Graf und die Gräfin im Begriff waren, eine längere Reise nach Wertheim anzutreten.993 Bei aller versöhnlichen Stimmung zeugen die Formulierungen Wilhelm Karl Ludwigs auch von Zurückhaltung, und es kann von plötzlicher Herzlichkeit oder gar neuem Vertrauen zwischen den Brüdern keine Rede sein. Der regierende Graf zog offensichtlich die hoffnung, einander vor dem Thron Gottes in balden zu sehen einer erneuten persönlichen Konfrontation im Diesseits vor und konnte sein jahrzehntelang gehegtes Misstrauen, das sich in einigen Fällen als berechtigt erwiesen hatte, nun nicht ohne weiteres ablegen. Insofern lässt sich das Verhältnis der beiden Brüder nach 1774 bis zum Tod des Älteren als „zurückhaltend neutral“ bezeichnen. 4.3 Ergebnisse Der Lösung der ökonomischen Probleme dienten im Wesentlichen zwei Strategien der Solmser Reichsgrafen: zum einen die Arrondierung und – wo möglich – Erweiterung der eigenen Landesherrschaft bzw. des eigenen Besitzes und dessen kontrollierte intergenerationelle Weitergabe. Im weitesten Sinne zur Konsolidierung der eigenen Herrschaft dienten die Tauschgeschäfte, die die Reichsgrafen seit dem späten 17. und im 18. Jahrhundert innerhalb des eigenen Hauses und mit anderen Reichsständen vornahmen. Eine mit anderen Ständen geteilte oder mit diesen gemeinsam ausgeübte Herrschaft bedeutete ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential und eine andauernde mögliche Unterminierung der eigenen Stellung und Herrschaftsvermittlung; langwierige und teure Prozesse und die jahrelange faktische Nichtdurchsetzbarkeit von Herrschaft konnten die Folgen sein. Dabei war es offensichtlich nicht von Bedeutung, ob die Mitherrschaft dem eigenen Haus entstammte oder ein anderer Reichsstand war – Familienverbindungen waren, auch wenn einschlägige Schriften es oft anders 992 Vgl. dazu u.a. Brief Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 7.2.1758, HStAD F 24 A 812/1. 993 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Johann Ernst Karl vom 17.8.1744, ASR 232. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 242 suggerieren,994 offenbar kein Garant für einmütiges Handeln, wie der erbitterte und mit beinahe allen Mitteln geführte Konflikt mit Solms-Laubach um wechselseitige Ansprüche belegt. Biologische oder soziale Verwandtschaft bedeutete nicht automatisch geringere Konfliktbereitschaft; ihre einigende Wirkung endete häufig da, wo eigene ökonomische oder politische Interessen begannen. Es war deshalb notwendig, die Verflechtungen, die die historische Gewordenheit der Reichsgrafschaft mit sich gebracht hatte, soweit wie möglich aufzulösen, ob sie nun innerhalb der eigenen Familie bestanden wie bei Laubach oder mit einem Dritten wie der Reichsstadt Frankfurt im Fall Niederursels. Erst ein solcher Schritt war geeignet, lang andauernde Auseinandersetzungen zu minimieren. Neubelehnungen und Schenkungen durch Fürsten spielten für die Erweiterungen von Herrschaft und Besitz der Reichsgrafen von Solms-Rödelheim Ende des 17. und im 18. Jahrhundert keine Rolle mehr. Ein denkbarer Grund dafür ist, dass die Aktivitäten der Grafen in kaiserlichen, fürstlichen oder Reichsdiensten in diesem Zeitraum stark zurückgingen. Im 16. und 17. Jahrhundert hatten die Solmser Grafen regelmäßig sehr erfolgreiche Karrieren vor allem im Militär gemacht; die letzten, die vergleichbare Laufbahnen absolvierten, waren die Brüder Ludwig Heinrich, Johann Karl Eberhard und Ludwig. Nach dem Ende ihrer Karrieren zwischen 1694 und ca. 1705995 traten die Rödelheimer Reichsgrafen weder im Militär noch in der Administration oder Politik des Kaisers, des Reiches oder eines Fürsten hervor. Die Versuche von Ludwig Heinrichs zweitältestem Sohn Johann Ernst Karl, sich hier zu profilieren, scheiterten;996 wie bereits sein Bruder Wilhelm Karl Ludwig kam er nicht 994 Vgl. bereits Erb-und Brüdereinigung der samtlichen Grafen zu Solms, 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1, in der vorgesehen war, dass alle von Uns und dem Stamm undt Nahmen Solms erbohren worden, einander brüderlich, vetterlich, freundlich undt treulich meinen, Unß in einander mit Ungebühr, weder zu unfreundlichen Worten oder Werken, nicht anregen noch verhetzen lassen, im fall aber sich zwischen unß oder unsern Kindern einige Mißverstände undt Irrungen erregen undt zutragen würden, sollen undt wollen Wir undt Unsere Erben mit unfreundlichen Schrifften, Worten oder Wercken einander nicht angreiffen, sondern einer den andern seines habenden Rechtens oder gefasster Meinung schrifftlich in der güthe berichten, der aber eine oder andere theil damit nicht gesättiget noch zufrieden wäre, auff daß dem durch weitläuffige rechtfertigung ferner uneinigkeit undt unfreundschafft nicht zu nehmen und im Zweifelsfall ein Schiedsverfahren eingeleitet werde. 995 Johann Karl Eberhard nahm seinen Abschied nach einer bemerkenswerten Laufbahn als kaiserlich- königlich spanischer Generalmajor 1696, vgl. Leichenpredigt für Johann Karl Eberhard 1699, ASR 649. Ludwig Heinrich resignierte 1694 als englischer Oberst, vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 328. Der genaue Zeitpunkt des Endes von Ludwigs Karriere ist nicht zu ermitteln, dürfte aber um 1706 gelegen haben: am 13.1.1705 wurde er zum preussischen Generalmajor ernannt, kurz danach dankte er ab, vgl. Nachrichten über Graf Ludwig zu Solms Rödelheim aus dem königl. Preussischen Kriegsministerium, mitgetheilt 1890 vom geheimen Kriegsrath Gustav Lehmann und dem Commandanten Generallieutenant Graf Theodor von Schlieffen, ASR 645. 996 Dazu s.u. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 243 über die Position eines Hauptmanns des Rödelheimer Kontingents im nassauischen Regiment der Kreistruppen hinaus. Diese mangelnde Präsenz an politischen und gesellschaftlichen Brennpunkten, die nur für Rödelheim, nicht aber für andere Teile des Hauses wie etwa Laubach zu beobachten ist,997 dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass es nicht zu neuen Belehnungen oder Schenkungen kam, die die Herrschaft hätten erweitern können. Möglich ist weiterhin – ohne dass diese These hier genauer untersucht werden könnte – dass Reichsfürsten und Kaiser mit dem Instrument der Neubelehnung, mit dem sie in den Jahrhunderten zuvor öfter ihre Anerkennung für geleistete Dienste gezeigt und ihre Klientel vergrößert hatte, im 18. Jahrhundert sparsamer umgingen. Eventuell war es für sie attraktiver, Aperturen selbst zu besetzen statt als Lehen zu vergeben – ein Hinweis auf die abnehmende Bedeutung der Vasallität am Ende des Alten Reichs!? Ungleich wichtiger für die Vergrößerung von Herrschaft und Besitz war der Kauf. Angesichts der latent leeren Kassen und der hohen Schulden, die der Begründer der neuen Rödelheimer Linie Graf Johann August zur Begründung und Konsolidierung seiner Herrschaft machen musste und seinen Nachfolgern Ende des 17. Jahrhunderts hinterlassen hatte und die später durch Gaildorfer Schulden noch vermehrt wurde,998 war der finanzielle Spielraum für Erweiterungen durch Zukauf zunächst zwar sehr begrenzt; es gelang jedoch immer wieder, durch den Kauf vor allem kleinerer Besitzungen wie Äcker, Wiesen und Wälder und einzelner Rittergüter im Nahbereich, den Besitz abzurunden, während Ländereien, Rechte und Gefälle in weiter entfernt liegenden Gebieten, deren Administration oft einen dem geringen Ertrag kaum angemessenen Aufwand erforderte, verkauft wurden. Nach einer Phase der finanziellen Erholung zu Beginn des 18. Jahrhunderts konnten dann die Kaufaktivitäten ausgeweitet werden. 997 Friedrich Ernst von Solms-Laubach wurde im April 1693 in den Reichshofrat berufen und erhielt 1699 vom Kaiser die evangelische Kammergerichtspräsidentenstelle; sein Enkel Georg August Wilhelm (*9.8.1743 +1772) wurde nach 1763 herzoglich-braunschweigischer Generaladjutant und Oberst der Garde, vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 347- 349 sowie S. 375. Dessen Sohn Friedrich Ludwig Christian (*29.8.1769 +1822) begann wiederum eine juristische Karriere im Reich, in der er nach dem Studium und einer kurzen Tätigkeit am Reichskammergericht 1791 zum jüngsten Reichshofrat wurde, vgl. PRÖSSLER, Friedrich Ludwig Christian Graf zu Solms-Laubach. 998 Ludwig Heinrich verweist in seinem Testament wiederholt darauf, dass er fast nichts als Arbeit, und viele Schulden aller Orthen gefunden, und doch durch Gottes Segen in Gedult die Herrschafft Rödelheim fast drey mahl erkaufft, [und] Gaildorff aus Schulden gesetzet habe. Die häufige Wiederholung dieser – in anderen Testamenten nicht vorhandene - Formulierung zeigt, dass es sich um mehr als eine rhetorische Figur handelt, vgl. Testament Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239. Allein für Gaildorf habe er Schulden abbezahlt, die sich über dreißig tausend Reichsthaler und wohl mehrers belauffen. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 244 Ebenfalls auf eine Vergrößerung des Besitzes und der Einkünfte zielte der Einzug heimgefallener Aktivlehen ab; in der unmittelbaren Umgebung der Herrschaft angesiedelt, waren sie oft eine willkommene Erweiterung. In vielen Fällen handelte es sich um Rittergüter, die zunächst durch die Grafen selbst bewirtschaftet,999 im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts jedoch zumeist verpachtet wurden1000 und auf diese Weise nicht unerhebliche Einnahmen gebracht haben dürften. Auf diesen ganz unterschiedlichen Wegen waren die Reichsgrafen von Solms- Rödelheim in ihren Herrschaftsgebieten schließlich die wichtigsten Grundbesitzer geworden (Abbildung 20).1001 Abbildung 20. Die Entwicklung des Grundbesitzes der Reichsgrafen von Solms-Rödelheim im 18. Jahrhundert. Einmal mehr erweist es sich als äußerst schwierig, den genauen Besitzstand der Reichsgrafen zu einem bestimmten Zeitpunkt exakt zu ermitteln. Denn als Quellen stehen neben einzelnen Urkunden lediglich wenige Salbücher und drei 999 In einer Beilage zum Prozess um Graf Wilhelm Karl Ludwigs Erbe ab 1778 heißt es, dass von den Gütern seines Vaters Ludwig Heinrich keiner auf einem Temporal weniger Erbbestand vergeben gewesen, sondern solche samtlich entweder durch eigenes herrschafftliche Vieh oder frohnden sind gebauet worden, Aktenbeilage zum Erbschaftsprozess 1778, HStAD F 24 A 34/1. 1000 Die Augustusburg war Mitte des 18. Jahrhunderts an Friedrich Junghenn verpachtet, vgl. Akten zur Nutzung und Verpachtung des Hofguts Augustusburg 1728-1758, HStAD F 24 C 475/1, das Hofgut Eschborn um 1770 an Johann Philipp Müller, vgl. Leihe und Reversbriefe über das Eschborner Hofgut ab 1767, HStAD F 24 C 445/4. Die 1729 von den v. Karben eingezogenen Lehen in Burggräfenrode waren ab Mitte des Jahrhunderts ebenfalls verpachtet, vgl. Pachtverträge über samtherrschaftliche Gebäude und Hubengüter, HStAD F 24 C 108/1-4. 1001 Vgl. auch die zugehörige Tabelle im Anhang. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 245 Kellereiberichte – und auch diese immer nur für einzelne Orte, Ämter oder Güter zu ganz verschiedenen Zeiten – zur Verfügung. Zudem wurde oft nicht hinreichend genau, vor allem aber nicht stringent zwischen selbst bewirtschafteten, verliehenem oder verpachtetem Land getrennt. Eine zuverlässigere Bestandsaufnahme fand erst im 19. Jahrhundert im Zusammenhang des Übergangs der Rödelheimer Landesherrschaft an Hessen statt.1002 Trotzdem genügt das zu Grunde liegende Material, um eine Tendenz aufzuzeigen: während der Grundbesitz der Reichsgrafen im 18. Jahrhundert in Niederursel erheblich und in Bauernheim leicht abnahm,1003 stieg er in allen anderen Orten z.T. stark an. Die weitaus umfangreichsten Erweiterungen sowohl der Grund- als auch der Landesherrschaft verdankten sich jedoch nicht einem Kauf oder dem Lehnseinzug, sondern resultierten aus Heiratsverbindungen der Reichsgrafen zu anderen gräflichen Häusern, die im Mannesstamm bereits ausgestorben waren wie im Fall Limpurg- Gaildorfs oder deren Aussterben sich abzeichnete wie bei Cratz von Scharffenstein. Obwohl Rödelheim Ende des 17. Jahrhunderts an einem eklatanten Mangel an wirtschaftlichem Kapital litt – das Geld war knapp, die Schulden groß, die Grafschaft klein und die Söhne zahlreich –, stand doch durch die Zugehörigkeit zu einer einflussreichen, weit verzweigten, uralten hochadeligen Familie und verwandtschaftlicher, oft sogar freundschaftlicher Einbindung in das Netzwerk der Mitstände im Reich genug soziales Kapital für eine solche Verbindung zur Verfügung. Allerdings konnten, das zeigt das Beispiel der Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich, trotzdem vorher weitere Investitionen notwendig werden, um die Heirat tatsächlich zu ermöglichen: eine hinreichende materielle Ausstattung samt der Garantie einer angemessenen Witwenversorgung, ein eigener Haushalt und die Aussicht auf selbständige Landesherrschaft gehörten zu den Grundvoraussetzungen für eine gute Partie, denn es mangelte zumeist nicht an Mitbewerbern. Waren diese Investitionen getätigt und die Heirat zustande gekommen, konnte dies, obwohl bei Aussterben eines Reichsstandes und Weitergabe seiner Herrschaft 1002 Die ersten Einträge einer Zusammenstellung von Flurbuchauszügen aus den 37 wichtigsten Orten sind zwar von 1799, in der Hauptsache jedoch Stammen sie aus der Zeit zwischen 1808 und 1838, vgl. Flurbuchauszüge der Solms-Rödelheimischen Besitzungen, HStAD F 24 B 212, eine tabellarische Übersicht über alle Häuser, Güter und Waldungen in der Wetterau datiert auf 1817, vgl. Tabellarische Übersicht, HStAD F 24 B 220. 1003 Die Mühle in Niederursel samt zugehörigen Ländereien waren von Graf Ludwig gekauft und nach dem Tod seines Sohnes Lothar Wilhelm Ernst als Eigengüter an Gräfinwitwe Charlotta Sybilla und ihre beiden Töchter vererbt worden, vgl. Vergleich über das Erbe Lothar Wilhelm Ernsts vom April 1722, ASR 499. Wahrscheinlich liegt hierin zumindest ein Teil der Verluste zwischen 1720 und 1790 begründet; Gründe für weitere Verluste, auch in Bauernheim, sind den Quellen nicht zu entnehmen. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 246 und Besitzungen über die weibliche Linie stets mehrere partizipierten und Rödelheim in keinem der untersuchten Fälle allein in den Genuss des Erbes kam, einen erheblichen Gewinn bedeuten. Wie groß dieser Gewinn und vor allem von welcher Dauer er war, hing dabei entscheidend davon ab, ob es gelang, diesen Besitz zu einem Hausgut zu machen und so dem Fideikommiss zuzuführen. Denn in der Regel blieb das Erbe der Ehefrau in ihrem Besitz; es fiel zwar zu Lebzeiten des Ehemanns unter dessen Herrschaft, nach seinem Tod jedoch sofort an seine Witwe zurück und konnte von ihr vergleichsweise frei weitervererbt werden, was Wilhelmine Christine und Charlotte Sybille dazu nutzten, jeweils alle Kinder in gleichem Maße zu bedenken. Ähnlich verhielt es sich mit der Weitergabe gekauften Besitzes. Die Solmser Erbeinigung als wichtigstes Hausgesetz, das die grundlegenden Fideikommissbestimmungen regelte, bezog sich ausdrücklich auf alle ererbten Landen, Leuthe, Liegenden Güthern, Renthen, Gefällen, Nuzungen, Gerechtigkeiten, wie die nahmen haben mögen.1004 Das bedeutete, dass über nicht ererbte, z.B. gekaufte Rechte und Güter testamentarisch ungehindert disponiert werden konnte, was eine schwere Hypothek für den Nachfolger bedeuten konnte. Das Beispiel der Augustusburg – sie wurde von Graf Johann August gekauft, testamentarisch unter seine Kinder verteilt, von seinem Sohn Ludwig Heinrich wieder zusammengekauft u.s.w. – zeigt, dass dies zu einem regelrechten Kreislauf aus geteiltem Erbe, erneutem Kauf, evtl. dazu notwendiger Verschuldung und wiederum geteilter Vererbung führen konnte, der die finanzielle Belastung der Herrschaft weiter verschärfen konnte. Gerade die durch Erbschaften erzielten Zugewinne machen deutlich: eine der größten Gefahren für eine einzelne Reichsgrafschaft konnte dem Reichsgrafenstand insgesamt von allergrößtem Nutzen sein. Vergleichbar der Situation anderer Reichsstände war das Fehlen eines legitimen Erben in der Frühen Neuzeit nämlich zwar auch für die einzelne reichsgräfliche Landesherrschaft eine stete Bedrohung, die zum Verlust der Reichsstandschaft und zum Aufgehen in einem anderen Territorium führen konnte; andererseits konnte es aber auch eine selbstständige reichsgräfliche Fortexistenz sichern und eine Mediatisierung abwenden helfen, wenn es nämlich einem anderen Grafen gelang, von der Erbmasse zu profitieren und seinen eigenen Besitz damit entscheidend zu erweitern. Die geschilderten Zugewinne der im 1004 Erb- und BrüderEinigung der samtlichen Graffen zu Solms vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 247 späten 17. Jahrhundert mikroskopisch kleinen und verschuldeten Reichsgrafschaft Rödelheim, die sich vor allem den Erbfällen verdankten, zeigen das: ohne sie wäre eine ökonomische Stabilisierung nur sehr viel schwerer, vielleicht überhaupt nicht erreichbar gewesen. Ob es aber gelang, die Bedrohung für den Einzelnen zur Existenzsicherung für Alle zu nutzen, hing für die Reichsgrafen entscheidend davon ab, durch das Stiften verwandtschaftlicher Beziehungen und durch wechselseitige Verträge und Testamente zu verhindern, dass andere Stände – Fürsten oder gar Ritter – in den Besitz frei gewordener Grafschaften gelangten. Deutlich wird dieses Bestreben z.B. im Testament der letzten regierenden Gräfin von Limpurg-Gaildorf, Wilhelmine Christine von Solms-Rödelheim, die ausdrücklich verfügt hatte, in Zukunft solle Limpurg nur an legitime Nachkommen aus einer Verbindung im Hochadel, keines Weegs aber aus einer mit Niedern Adel oder bürgerlichen Standes Persohnen contrahirten Ehe weitervererbt und an niemand veräußert oder verpfändet werden, schon gar nicht an Mächtigere.1005 Nicht zuletzt ihr eigener Kampf um die Herrschaft in Gaildorf hatte sie gelehrt, dass nur die strikte Exklusion gegen andere Stände das Überleben der Reichsgrafen sichern konnte. Insgesamt kam es also nicht nur darauf an, Arrondierungen und Erweiterungen zu machen, sondern diese dauerhaft für den regierenden Reichsgrafen nutzbar zu machen, um den ökonomischen Herausforderungen, denen die kleine Grafschaft ausgesetzt war, beizukommen. Für den Erben der Landesherrschaft hing deshalb vieles davon ab, die Herrschaft ungeteilt übernehmen und Zugriff auf einen möglichst großen Teil der Ressourcen der vorigen Generation zu erhalten.1006 Alle Versuche mit gemeinschaftlicher bzw. geteilter Landesherrschaft waren spätestens 1722 mit dem Tod Lothar Wilhelm Ernsts als dem letzten Regenten der Rödelheimer Teilgrafschaft gescheitert; Während Ludwig Heinrich jedoch nicht in der Lage war, aus den gewonnenen Einsichten Konsequenzen für sein Testament zu ziehen, war es sein Sohn Wilhelm Karl Ludwig sehr wohl, der gegen die Ansprüche seiner jüngeren Brüder und gegen die entschiedenen Interventionen seiner Mutter die Primogenitur durchsetzte. Dass er dabei auf wenig Widerstände bei Mitständen, dem eigenen Haus und den Reichsgerichten stieß, sondern eher Unterstützung erfuhr – und zwar obwohl er direkt und unverblümt gegen das väterliche Testament handelte – zeigt, dass er sich auf einem allgemein akzeptierten und für richtig erachteten Weg befand. So 1005 Testament Wilhelmine Christines vom 25.5.1756, HStAD F 24 A 28/3. 1006 Zur Unteilbarkeit als Voraussetzung für die Entwicklung des überpersonalen Territorialstaats vgl. REINHARD, Staatsgewalt, S. 56. Arrondierungen, Erweiterungen und Weitergabe von Herrschaft und Besitz 248 gelang es ihm letztlich, die wirtschaftlichen Ressourcen für sich zu nutzen und die Grafschaft zumindest potentiell politisch und ökonomisch handlungsfähig zu erhalten. Dass die Primogenitur dabei kein Allheilmittel für alle reichsgräflichen Krankheiten war, demonstriert die problematische Stellung des Sekundogenitus, die am Beispiel Johann Ernst Karls aufgezeigt werden konnte. Dynastisch durch seine Stellvertreterfunktion von außerordentlicher Wichtigkeit, und zwar in diesem speziellen Fall nicht nur theoretisch, sondern ab 1778 auch tatsächlich, gleichzeitig aber zu Lebzeiten des älteren Bruders politisch völlig bedeutungslos, richtete er einen Großteil seiner Bemühungen auf eine insgesamt recht aussichtslose Verbesserung seiner Stellung und zeigte an vielen Stellen sogar regelrechte Trotzreaktionen. Seine ambivalente Stellung, bisher in der Forschung noch nicht eingehend betrachtet, lassen eingehendere Untersuchungen zur Situation und Rolle des Zweitgeborenen in Zukunft erforderlich erscheinen. Trotz der Arrondierungen und Erweiterungen der Landesherrschaft und des (Grund-)Besitzes und trotz der Durchsetzung der Primogenitur und der damit einhergehenden Sicherung territorialer Kontinuität kann von einem systematisch vorangetrieben „Territorialisierungsprozess“ im Sinne werdender Staatlichkeit kaum gesprochen werden; die Herrschaft in den einzelnen Orten war und blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein stark fragmentiert, die Grafschaft insgesamt durchsetzt mit fremden Rechten, die intergenerationelle Weitergabe mit zu vielen Fragezeichen und Unwägbarkeiten versehen. Staatlichkeit, das erweist sich einmal mehr, ist auch hier eindeutig nicht die Perspektive reichsgräflicher Existenz, sondern der Bezugsrahmen ist eine (Hoch-)Adelsherrschaft, die nach ganz anderen Prinzipien funktionierte. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 249 5 Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft Während die ältere Forschung zu frühneuzeitlicher Herrschaft in Anlehnung an Bodins Souveränitätsgedanken davon ausging, „daß der innere Zusammenhalt eines politischen Verbandes nur dann gewährleistet sei, wenn der Kernbereich der politischen Gewalt in einer einzigen Hand liegt“,1007 nimmt der vorliegende Ansatz analog zur neueren Absolutismusforschung an, dass aus diesem Grundsatz keineswegs folgte, dass sämtliche Bestandteile dieser summa potestas tatsächlich zentral ausgeübt wurden. Mit dem Haus, dem Grafenverein und dem Reichskreis rücken nämlich nun besondere Organisationsmerkmale reichsunmittelbarer gräflicher Herrschaft in den Blick, die wesentliche Funktionen und Aufgaben wahrnahmen, die einem Landesherren aufgrund dieser Hoheit zukamen; das ist gemeint, wenn hier vom System der „Herrschaft durch Delegation“ der Reichsgrafschaften die Rede ist. Es wird als ein zentraler Teil der Unterschiede zwischen den Landen der Reichsgrafen und dem werdenden Staat der größten Territorialfürsten verstanden und herausgearbeitet. Doch sie ist nicht nur geeignet, das Außenverhältnis zu beschreiben, sondern charakterisiert auch die Beziehung zwischen reichsgräflichen Landesherren und Untertanen, deren Untersuchung den zweiten Teil des Kapitels bilden wird. Inwiefern sich also im Zusammenspiel aller dieser Ebenen Landesherrschaft realisierte und manifestierte, ist die hauptsächliche Frage, die der folgende Teil der Arbeit zu beantworten hat. 5.1 Staatliche Funktionen außerhalb der Grafschaft Eine Reichsgrafschaft, wiewohl prinzipiell ein autonomes Territorium, war keineswegs aus sich heraus überlebensfähig; kein Regent war in der Lage, unabhängige Landesherrschaft auszuüben, vielmehr war er eingebunden in ein Netzwerk aus Institutionen und Personen, die ihn – gewissermaßen in konzentrischen Kreisen – umgaben und auf die wesentliche Kompetenzen übertragen waren, die in 1007 MAGER, Politische Ordnung, S. 14. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 250 Summe alle zur Landesherrschaft unbedingt notwendigen Funktionen ausmachten.1008 das waren neben dem Reich und seinen Institutionen als äußerer Hülle – vor allem in Gestalt der bereits angesprochenen Reichsgerichte und den Kommissionen – die Familie bzw. das reichsgräfliche Haus als innerer, der Grafenverein als nächst größerer und der Reichskreis als wiederum größerer Kreis. 5.1.1 Haus und Familie als Organisationsprinzip Das Kapitel über die reichsgräfliche Landesherrschaft und der Abschnitt über die Rolle der Grafen als Lehnsherren haben bereits erste Hinweise auf ein Phänomen gegeben, das VOLKER PRESS schon für die Grafen des 16. Jahrhunderts festgestellt hat: „Die Familienverbindungen [...wurden] zu einer Art Organisationsprinzip erhoben“.1009 Wie sich das auf die Reichsgrafen von Solms auswirkte und ob eine Kontinuität oder gar Steigerung dieses Prinzips von der Untersuchungszeit von PRESS bis in das späte 17. und im 18. Jahrhundert festzustellen ist, wird nun noch einmal eingehender untersucht werden. Die „Familie“ steht in diesem Zusammenhang nicht für bloße biologische Verwandtschaft, sondern vielmehr für einen Verbund, der sich zwar auf der Grundlage von Abstammung und Verwandtschaft konstituierte,1010 jedoch eine weit darüber hinaus reichende Bedeutung besaß, indem er gleichermaßen ein System sozialer Normen und Beziehungen, ökonomischer, rechtlicher und politischer Verflechtungen, Traditionen, ideeller Werte und Interessen umfasste.1011 All das wurde auch mitgedacht, wenn in der Frühen Neuzeit vom „reichsgräflichen Haus Solms“ die Rede war. „Haus“, „Familie“ oder andere Synonyme1012 erhalten also in diesem Zusammenhang eine ähnliche Bedeutung und müssen „als komplexes Beziehungsgeflecht und Handlungsfeld der jeweils gleichzeitig lebenden Agnaten 1008 Auch wenn der beinahe allumfassenden Definition GEORG SCHMIDTS nur sehr bedingt zu folgen ist, jegliche Entwicklung seit der dynastischen Konzentration von Landesherrschaft im hohen Mittelalter sei „Staatlichkeit“, erweist sich sein funktionaler Ansatz – der Staat als Summe der notwendigen Funktionen für Friedenswahrung, Schutz und Sicherheit u.a. – hier als viel versprechend, vgl. SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 43-44. 1009 PRESS, Reichsgrafenstand und Reich, hier S. 9. 1010 Vgl. dazu unlängst ANDREAS PECAR, Genealogie als Instrument fürstlicher Selbstdarstellung. Möglichkeiten genealogischer Repräsentation am Beispiel Herzog Ulrichs von Mecklenburg, in: zeitenblicke 4/2 (2005). 1011 Vgl. MUTSCHLER, Ysenburg-Büdingen, S. 9-12. 1012 Z.B. „Geschlecht“. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 251 und der Kognaten, insbesondere der eingeheirateten Gemahlin des Primogenitus“1013 verstanden werden. Wer gemeint war, wenn in den Quellen vom „reichsgräflichen Haus Solms“ die Rede ist, ist dem entsprechend sehr unterschiedlich und kontextabhängig. Es konnte sich auf Ehefrau und Kinder eines Regenten – gewissermaßen auf die „regierende Kernfamilie“ – beziehen,1014 auf alle Angehörigen einer Solmser Linie1015 oder auf sämtliche Grafen von Solms,1016 je nachdem, welcher Zweck verfolgt oder welcher Personenkreis jeweils in- oder exkludiert werden sollte. Weil hier die politische Funktion des Hauses untersucht werden soll und diese im Wesentlichen durch alle Agnaten – das sog. „Samthaus Solms“ – wahrgenommen wurde, ist hier, wenn nicht ausdrücklich anders gesagt, vornehmlich dieses gemeint. Es umfasste Anfang des 18. Jahrhunderts neben den zu dieser Zeit eigenständigen Linien Rödelheim und Assenheim die neun separaten Grafschaften bzw. Herrschaften Lich, Hohensolms, Baruth, Sonnewalde, Braunfels, Pouch, Wildenfels, Lorentzberg, Schkoena, Sachsenfeld und Laubach,1017 die zwischen der Lahn und der Niederlausitz/dem Erzgebirge lagen; während die im Westen liegenden Hohensolms, Lich, Braunfels, Laubach und Rödelheim/Assenheim reichsunmittelbare Grafschaften waren, handelte es sich bei den östlichen Herrschaften um niederadelige Herrschaften und Rittergüter ohne Landesherrschaft. Haus und Familie dienten zunächst als legitimatorische Grundlage für die Interaktion mit anderen Angehörigen des Hochadels.1018 Wenn ein Regent oder eine Regentin einem anderen Familienmitglied, einem anderen Reichsstand oder dem Kaiser gegenüber in irgendeiner Form tätig wurde, tat er das in aller Regel 1013 WUNDER, Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung, S. 18. 1014 So wurde der Begriff z.B. im Streit um die Herrschaft Cratz von Scharffenstein zwischen Gräfin Charlotte Sybille als Vormünderin ihrer Kinder und ihrem Schwager Graf Ludwig Heinrich ab 1718 verwendet, vgl. die Prozessakten in HStAD F 24 A 53/1; die vorhergehende Phase mit Aufteilung Solms-Rödelheims in die Teile Rödelheim und Assenheim ist aus dieser Perspektive besonders interessant, weil dadurch aus einem „Haus Solms-Rödelheim“ für kurze Zeit zwei entstanden waren; hier wird besonders deutlich, dass es sich nicht um eine statische, sondern z.T. sehr dynamische Kategorie handelte. 1015 In diesem Sinne verwandte es etwa Wilhelm Karl Ludwig in seinem Testament, in dem er auf die Gepflogenheiten der Linie Rödelheim bezug nahm, vgl. Extrakt aus dem Testament Wilhelm Karl Ludwigs vom 22.8.1769, HStAD F 24 A 28/3. 1016 So etwa im Schreiben Graf Karl Ottos von Solms-Utphe wegen Besetzung der wetterauischen Adjunktur vom 16.2.1732, HStAD F 24 A 365. 1017 Vgl. Übersicht über die Vollmachten der Agnaten zum Empfang der Reichslehen Anfang des 18. Jahrhunderts (Beilage zu den Senioratsakten / Lehensakten 1765), ASR 1. 1018 Im Gegensatz dazu fand in der Interaktion mit den Untertanen nicht das Beste des reichsgräflichen Hauses, sondern vielmehr das Wohl der Untertanen, die „gute Policey“ und die „landesvätterliche Pflicht“ argumentative Verwendung. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 252 ausdrücklich nicht im eigenen Interesse und Namen, sondern in dem des ganzen reichsgräflichen Hauses Solms. Deshalb musste sich auch jeder der Betreffenden, der sich dem entgegen stellte, darüber im Klaren sein, dass er sich damit nicht nur zu einer Einzelperson und auch nicht zu einer einzelnen Grafschaft, sondern möglicherweise zum kompletten Haus in Opposition befand. Das zeigen exemplarisch die Bemühungen Graf Wilhelm Karl Ludwigs um den ersten Adjunktensitz des Wetterauer Grafenvereins ab 1742: Ysenburg-Büdingen machte ihm die vakante Position nicht nur auf Grafentagen streitig, sondern hatte sich sogar angemaßt, Einladungen zu einem Grafentag Ende Januar 1744 zu versenden und damit faktisch die Kompetenzen eines ersten Adjunkten usurpiert.1019 Es gehe Ysenburg dabei, so argumentierte der sich übergangen fühlende Reichsgraf, zwar auch um ihn persönlich, mindestens genauso sehr jedoch um die Befriedigung eines Eyfers gegen das Haus Solms,1020 deshalb diente es ihm als Legitimation für seine Anstrengungen, meines haußes praejudice zu vermeiden.1021 Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen: die Errichtung von Testamenten,1022 das Führen von Gerichtsverfahren,1023 der Abschluss von Vergleichen,1024 die Errichtung von Hausgesetzen1025 oder Eheverträgen1026 oder auch der Kauf eines Guts1027 erfolgten selten ohne den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass es dabei vordringlich um Wahrung oder Vermehrung von reputation und ehren des hochgräfl. Solmischen Haußes1028 oder die Beachtung der herkömmlichen Gepflogenheiten und Traditionen im Haus Solms gehe. Der jeweilige Verfasser konnte sich dabei auf den Konsens der 1019 Vgl. Einladung Graf Friedrich Wilhelms von Solms-Hohensolms zu einer Hauskonferenz vom 10.12.1743, HStAD F 24 A 365. 1020 Antwortschreiben Wilhelm Karl Ludwigs an Laubach, Braunfels und Hohensolms vom 21.12.1743, HStAD F 24 A 365. 1021 Entwurf für das Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an die Mitglieder des wetterauischen Grafenkollegiums (o.D., Ende Dezember 1743), HStAD F 24 A 365. 1022 Vgl. Extract aus dem Testament Wilhelm Karl Ludwigs vom 22.8.1769, HStAD F 24 A 28/3. 1023 Vgl. Entwurf der Klage Wilhelm Karl Ludwigs vor dem Reichshofrat gegen Johann Ernst Karl von Dezember 1750, ASR 228, oder die Klage Wilhelm Karl Ludwigs vor dem Reichskammergericht gegen die Gräfinnen von Wartenberg und Leiningen-Heidesheim durch Dr. Besserer, Anwalt des Grafen, vom 29.3.1754, HStAD F 24 A 61/5, die zur conservation der Illustren Familien beitragen sollte. 1024 Vgl. Extract aus dem Testament Wilhelm Karl Ludwigs vom 22.8.1769, HStAD F 24 A 28/3, mit dem Hinweis auf die zu unsers gräflichen Haußes und der Unterthanen besten eingeführte [...] brüderliche Vergleichung von 1745. 1025 Vgl. Erb- und Brüdereinigung der Grafen von Solms vom 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1, aufgerichtet zu Unserer samtlichen und Unserer Erben kundtlichem Nutzen. 1026 Vgl. Eheabrede zwischen Ludwig von Solms-Rödelheim und Charlotta Sybilla von Ahlefeldt vom 11.1.1696, ASR Nr. 239. 1027 Vgl. Entwurf eines Erlasses Graf Johann Ernst Karls an die Dörfer des Amts Assenheim vom 28.11.1750, ASR 228. 1028 ebd. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 253 Rezipienten stützen, denn dass der „splendor familiae“ einen der höchsten Werte für den Hochadel darstellte, war offensichtlich weitgehend unumstritten,1029 zumal im Gegensatz zu niederadeligen Häusern hier in aller Regel1030 mit der Landesherrschaft ein Faktor hinzukam, der die „Familie“ zur „Dynastie“, also zur regierenden Familie, machte1031 und durch den mit dem Erhalt der Ehre und des Ansehens auch der Erhalt der Herrschaft verknüpft war. Diese Notwendigkeit – der „Kampf um das Oben-Bleiben“ – führte bereits früh zu einer Kodifikation grundlegender Normen in Form von Hausgesetzen oder Familienverträgen. Grundsätzlich konnte zwar jede schriftliche Vereinbarung, aber auch jede Gewohnheit zum „Hausgesetz“ werden, auf das sich spätere Generationen nach dem Präzedenzfallprinzip berufen konnten; 1578 wurde aber die Erb- und Brüdereinigung sämtlicher Grafen von Solms beschlossen, in der die wichtigsten dieser Bestimmungen zusammengefasst und noch einmal bekräftigt wurden.1032 Sie war das weitaus bedeutendste Hausgesetz, musste von den Grafen beim Regierungsantritt, von den Gräfinnen vor der Heirat beschworen werden und sollte neben einer allgemeinen Solidarität innerhalb der Familie vor allem sicherstellen, dass sämtliche Erbgüter unter allen Umständen beim Haus verblieben – unter Ausschließung weiblicher Erbfolge. Das beschnitt den Handlungsspielraum der einzelnen Landesherrn in mehrfacher Weise: Es nahm ihnen die Möglichkeit, sich durch Erbverbrüderungen mit anderen Häusern innerhalb des Netzwerks der Mitstände zu positionieren, und es schränkte ihre ökonomische Autonomie ein, weil es dem Verkauf und der Verpfändung von Erbgütern sehr enge Grenzen setzte, mithin negative Auswirkungen auf den Kredit hatte. Was das bedeuten konnte, erfuhr z.B. Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels: um sich aus seiner erdrückenden Verschuldung zu lösen, plante er 1707 den Verkauf eines Teils der Grafschaft Tecklenburg an Preußen. Das jedoch versuchten alle anderen Solmser Regenten gemeinsam zu verhindern und wandten sich deswegen am 22.7. und 16.11. an den Abt von Fulda als ihren Lehnsherrn unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass es 1029 Vgl. dazu u.a. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S 29 f., MUTSCHLER, Ysenburg-Büdingen, hier v.a. S. 90 f, und MAUERER, Fürstenberg, der die „Ehre“ hier als „Reputation“ bezeichnet. 1030 Es gibt selbstverständlich hochadelige Familien, die landsässig waren, aber das war eher die Ausnahme als der Normalfall. 1031 Vgl. zum Dynastiebegriff überblicksartig WUNDER, Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung, mit einem besonderen Fokus auf einer geschlechtergeschichtlichen Neuorientierung. 1032 Vgl. Erb-und Brüdereinigung der samtlichen Grafen zu Solms, 21.5.1578, HStAD F 24 A 53/1, vollständiger Text im Anhang. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 254 sich um ererbte Hausgüter handele, die nur mit Zustimmung der Agnaten veräußert werden dürften.1033 Ob der hausinterne, letztlich erfolglose1034 Widerstand gegen die Liquiditätssicherung durch den Verkauf mit dazu beigetragen hat, dass Braunfels wenig später unter kaiserliche Schuldenverwaltung gestellt wurde,1035 ist nicht unwahrscheinlich, hier jedoch nicht abschließend zu klären. Abgestimmt wurden solche weit reichenden hausinternen Entscheidungen in hausinterner Korrespondenz und bei den zweimal jährlich1036 reihum in den Residenzen der Agnaten1037 abgehaltenen Familientagen, die im 18. Jahrhundert in der Regel durch abgesandte Räte der einzelnen Häuser abgehalten wurden.1038 Der jeweils älteste regierende Graf von Solms war der Senior und damit das Oberhaupt des Hauses; ihm oblag die Korrespondenz in Familiensachen sowie die Einberufung der Familientage; der „offizielle“ Weg der Kommunikation in Hausangelegenheiten verlief über den Senior im Zentrum des Familiennetzwerks, wenn auch selbstverständlich Abstimmungen zwischen einzelnen Linien in aller Regel direkt erfolgten. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über das Seniorat des Samthauses und die Rolle der Grafen von Solms-Rödelheim im 18. Jahrhundert, die mit Ludwig Heinrich und seinen beiden Söhnen innerhalb von zwei Generationen gleich drei Senioren stellten (Abbildung 21): Abbildung 21. Das Seniorat im Samthaus Solms im 18. Jahrhundert. 1033 Vgl. die zugehörige Korrespondenz in LHAKo Best. 54 / 107. 1034 Vgl. ARNDT, Hochadel, hier S. 192 mit dem Hinweis darauf, dass der preußische König ab spätestens 1732 im Besitz der ganzen Grafschaft Tecklenburg war. 1035 Vgl. u.a. den Bericht des wetterauischen Gesandten am Reichstag, Pistorius, vom 15.2.1756, HStAD F 24 A 318/2. 1036 Vgl. Ausschreiben des Grafen Friedrich Wilhelm von Solms-Hohensolms zu einer Hauskonferenz im Oktober 1743, HStAD F 24 A 365, auf dessen Tagesordnung anlässlich des Wechsels im Seniorat auch die Frage stand, ob man wie bisher zweimal jährlich Hauskonferenzen einberufen solle. 1037 Vgl. Schreiben Graf Wilhelm Karl Ludwigs an Lich, Laubach, Braunfels und Hohensolms vom 21.12.1743, HStAD F 24 A 365. 1038 Die solmsischen Hauß-Sachen und beywohnung derer conferentien oblag um 1750 dem ersten Rödelheimer Regierungsrat, vgl. Graf Wilhelm Karl Ludwigs Geschäftsordnung für die Regierung vom 20.8.1735, HStAD F 24 A 1263/4. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 255 Die Familientage waren, wie am Braunfelser Beispiel deutlich wurde, ein effektives Mittel zur Kontrolle und Disziplinierung des einzelnen Reichsgrafen. Das konnte im Extremfall bis zur Absetzung eines missliebigen Regenten führen. 1688 etwa versuchten die Agnaten unter Führung des Laubacher Seniorats, den Grafen Ludwig von Solms-Hohensolms, dem vorgeworfen wurde, sich für einen regierenden Reichsgrafen unangemessen zu verhalten, unter Vormundschaft zu stellen und der Regierung zu entheben.1039 Vor allem jedoch war die familieninterne Beratung, sei es auf Hauskonferenzen oder auf dem Weg der brieflichen Korrespondenz, ein Instrument des Interessenausgleichs, auch der Verhandlung und Umsetzung der in der „Erb- und Brüdereinung“ vereinbarten gegenseitigen Solidarität und Unterstützung und der Erhaltung bzw. Förderung der Familienehre. Ein gutes Beispiel dafür ist die Diskussion über die Wiederbesetzung des Kommandos über ein Infanterie-Regiment der oberrheinischen Kreistruppen 1788. Das Kommando über das Regiment, das bislang der Fürst von Nassau-Weilburg innegehabt hatte, wurde vakant, und Prinz Friedrich von Solms-Braunfels zeigte Interesse an der Position. Weil aber neben anderen Fürsten auch weitere Solmser eine Bewerbung erwogen, kam ein Kommunikationsprozess in Gang, in dessen Zentrum qua Seniorat Graf Johann Ernst Karl in Assenheim mit seiner Regierung in Rödelheim und damit der Regierungsrat Binzer stand. Binzers Plan sah vor, zunächst alle Angehörigen des Hauses auf eine Linie und hinter Prinz Friedrich zu bringen, um dann dem externen Konkurrenten gemeinschaftlich und umso effektiver begegnen zu können; dabei ging es weniger um finanzielle Aspekte, denn von Seiten des Gewinnes ists so viel nicht. 900 fl wirds regiment eintragen. Vielmehr biethet sich unß vom hauß eine neue Gelegenheit dar zu zeigen, daß es, ohn alle Rücksichten nach Grundsäzen handle, außer dem Lustre des ganzen Grafenstandes, das ihres Samthauses hauptsächl. vor Augen habe, und zeigen wolle, was verbunden Eintracht vermöge.1040 Weiter argumentiert er, daß wir alle Solms sind, daß es uns schmeichelhafft seye, auch einmal beym Krayß ein Regiment dieses Nahmens zu haben.1041 Seine Strategie ging – zumindest was den hausinternen Teil betraf – auf, denn zwei Monate später berichtete er dem Rödelheimer Erbgrafen Volrat über einen Handel zwischen den Häusern Solms und 1039 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, S. 222-227. 1040 Auszug aus dem Schreiben des Rödelheimer Regierungsrats Binzer an Regierungsdirektor Usener in Lich vom 22.12.1788, HStAD F 24 A 350/13. 1041 Ebd. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 256 Nassau in der Angelegenheit.1042 Offensichtlich war es ihm also gelungen, die Solmser Agnaten zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen. Der Fall macht deutlich, wie im Idealfall die Interessen eines einzelnen – in diesem Fall das Kommando eines Prinzen über ein angesehenes Regiment – mit den Interessen aller – der Vermehrung der Standes- und Familienehre durch den Gewinn einer derart angesehenen Position – in Einklang gebracht werden konnten und wie das Gewicht des Hauses dann eingesetzt wurde, um sie gegen andere durchzusetzen. Der Braunfelser Einfluss allein wäre wohl zu schwach gewesen, den Kandidaten Friedrich gut zu positionieren; erst das Samthaus konnte mit einem anderen fürstlichen Haus paktieren und durch das Sammeln von Stimmen in der für die Stellenvergabe zuständigen Kreisversammlung seine Erfolgsaussichten erhöhen. Für die Führung der Hausangelegenheiten scheinen in Rödelheim auch während eines Seniorats keine besonderen personellen Kapazitäten geschaffen worden zu sein, sondern die Hochgr. Solms. Hauß-Conferenzien und die von Seniorats wegen zu besorgende Activ- und Passiv-Lehens auch darob zu führen nöthig. process angelegenheiten waren durch den ersten Regierungsrat mit zu verwalten.1043 Es gab allerdings darüber hinaus durchaus Amtsträger, die ausdrücklich für das Samthaus tätig waren und nicht für eine Linie. Das waren neben dem Lehensrat und den Lehenssekretären, also der oben erwähnten beim Seniorat angesiedelten Lehenskanzlei1044 v.a. der Gesandte am kaiserlichen Hof und am Reichshofrat. Denn während am Reichskammergericht wegen der räumlichen Nähe Wetzlars zu den Solmser Territorien kein ständiger Gesandter des Hauses notwendig war, sondern bei Bedarf ein Amtsträger oder ein beauftragter Anwalt oder Notar entsendet wurde,1045 musste das Samthaus in Wien einen ständigen Agenten unterhalten, der die Solmser Interessen vor Ort vertrat; Reichshofratsagenten Johann Ludwig v. Alt war beispielsweise in Sachen laudemial-praestationen aktiv gewesen, d.h. wegen der 1042 Vgl. Schreiben des Regierungsrats Binzer an Erbgraf Volrat vom 23.2.1789, HStAD F 24 A 350/13. 1043 Vgl. die Designation Aller deren bey dahiesig hochgr. Solms-Rödelheim. Regierung zu besorgen stehende Geschäffte und Expeditiones (o.D., vor 1730), HStAD F 24 A 1263/4. 1044 Vgl. Protokoll der Aktivlehenverwaltung unter dem Seniorat der Grafen von Solms-Utphe um 1740, ASR Nr. 1, das vom Lehensekretär geführt wurde und die Vorgänge in der Lehenskanzlei wiederspiegelt, vgl. dazu auch die Hinweise auf den Lehensempfang vom Kaiser bei LÜNIG, Thesaurus juris, Sp. 658-659. 1045 Vgl. u.a. Klage Wilhelm Karl Ludwigs gegen die Gräfin von Wartenberg und die Gräfin von Leiningen-Heidesheim durch Dr. Besserer, Anwalt des Grafen, vom 29.3.1754, HStAD F 24 A 61/5, und das zugehörige „Protocollum Judiciale“ des Reichskammergerichts, aus dem hervorgeht, dass der Prozess bis zum 19.2.1781 durch die Anwälte der Prozessgegner geführt wurde. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 257 Befreiung der Grafen und Fürsten von Solms von der Lehentaxe für Reichslehen gegen eine einmalige Geldzahlung.1046 Die notwendigen Ausgaben zur Unterhaltung des Agenten waren – wie andere finanzielle Aufwendungen auch – ein neuralgischer Punkt der Familienpolitik. Zwar war keine vollständige Gesandtschaft zu bezahlen, die laufende Kosten verursacht hätte, weil der Agent neben Solms auch für Andere tätig war und deshalb lediglich von Fall zu Fall und nach Aufwand Kosten anfielen. Für das komplette Jahr 1776-77 etwa berechnete von Alt eine durch das Samthaus aufzubringende Summe von 66 fl 8x, wovon 50 fl auf sein Honorar entfielen und der Rest auf Porto- bzw. Kopierkosten.1047 Braunfels jedoch verweigerte trotz der geringen Summe seinen Beitrag mit dem Hinweis, man habe selbst dem Agenten kein Mandat gegeben und könne sich nicht erinnern, dass er etwas für das Samthaus geleistet habe.1048 Darauf hin zahlte zunächst auch keines der anderen Solmser Häuser, weshalb von Alt über drei Jahre lang warten und mit einer Klage vor dem Reichshofrat drohen1049 musste, bis die erste Abschlagszahlung – noch keineswegs der Gesamtbetrag! – bei ihm einging.1050 Der Vorgang und die dahinter stehende Braunfelser Argumentation, von Alt sei zwar für eine Linie, nicht aber für das Haus Solms insgesamt tätig gewesen,1051 weisen auf ein grundlegendes Dilemma jeglicher Haus- und Standespolitik hin, das auch im Zusammenhang mit Grafenverein und –union weiter unten noch eine Rolle spielen wird: sobald Geld gezahlt werden sollte, ließen Engagement und Gewissenhaftigkeit der beteiligten der Reichsgrafen stark nach. Anders ausgedrückt: die Solidarität innerhalb der Familie wie unter den gräflichen Standesgenossen endete dort, wo man sich finanziell beteiligen musste, und das umso eher, wenn man den Verdacht schöpfte, dass man mehr als andere bezahlen sollte. Diese Erfahrung musste schon Graf Johann August machen, als er in der 1046 Vgl. Schreiben des Grafen von Solms-Rödelheim an Laubach, Braunfels und Hohensolms 10.10.1777, HStAD F 24 A 355/1. 1047 Vgl. Deserviten-Rechnung des Reichshofratsagenten Johann Ludwig v. Alt zu Wien vom April 1777, HStAD F 24 A 355/1. 1048 Vgl. Schreiben der Regierungs Braunfels an das Rödelheimer Seniorat vom 28.10.1777, HStAD F 24 A 355/1. 1049 Vgl. Schreiben v. Alts an das Rödelheimer Seniorat vom 8.8.1780, HStAD F 24 A 355/1. 1050 Vgl. Schreiben von v. Alt an das Rödelheimer Seniorat vom 29.9.1780, HStAD F 24 A 355/1. 1051 Die Rechnung des Reichshofratsagenten resultierte v.a. aus seinen Bemühungen um den erwähnten Abkauf der Laudemialgefälle. Braunfels und später auch Laubach argumentierten, das sei eine Angelegenheit der Linie, die die betreffenden Reichslehen tatsächlich in Besitz habe, wohingegen Rödelheim – Besitzer der fraglichen Lehen – den nachvollziehbaren Standpunkt vertrat, Reichslehen seien eine Angelegenheit des Samthauses, vgl. u.a. Schreiben von Christian August zu Solms- Laubach vom 17.10.1780, HStAD F 24 A 355/1. Tatsächlich wurden Reichslehen i.d.R. vom Senior des Samthauses entgegen genommen, vgl. dazu auch weiter oben. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 258 zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus Sachsen an die Nidda kam und eine überschuldete und zerrissene Grafschaft Solms-Rödelheim übernahm: ebenso flehentlich wie erfolglos bat er seine Brüder um Geld, diese hatten jedoch kaum mehr als gute Ratschläge für ihn übrig.1052 Beim Geld endete häufig der oft beschworene Haußpatriotismus1053 der Solmser. Dort, wo Kerninteressen einzelner Regenten kollidierten, musste ein auf Konsens und Interessenausgleich basierendes System wie das des „Hauses Solms“ endgültig an seine Grenzen stoßen. Einer Situation wie etwa dem Konflikt zwischen Graf Friedrich Ernst von Solms-Laubach und Graf Ludwig Heinrich von Solms- Rödelheim im Jahr 1700 um Rechte des Letzteren in Laubach, der bis an die Schwelle einer bewaffneten Auseinandersetzung führte,1054 war das Samthaus – schon wegen der z.T. großen Entfernung zwischen den Angehörigen und fehlender Instrumente zum raschen Eingreifen – nicht gewachsen. Auch in der heftigen und langwierigen Auseinandersetzung zwischen Graf Wilhelm Karl Ludwig und seiner Mutter Wilhelmine Christine in Vormundschaft ihrer beiden unmündigen Söhne um die Nachfolge Graf Ludwig Heinrichs ab 1728, einer Erb- und damit eigentlich originäre Hausangelegenheit, hielten sich Senior und Familientag sehr zurück und nahmen weder für die eine noch für die andere Seite Partei.1055 Bezeichnenderweise wurde dann auch kein Angehöriger des Hauses, sondern Graf Johann Reinhard von Hanau vom Reichshofrat mit einer Vermittlungskommission beauftragt.1056 Ein Grund ist möglicherweise, dass es sowohl für die Primogenitur als auch für die Erbteilung genügend Präzedenzfälle im Haus Solms gab und kein Angehöriger deshalb vorschnell für die eine oder andere Seite optieren wollte. Zwar war mit der Einführung der „Landschaft aller Grafen zu Solms“, die ein gemeinsames Kreditwerk aller Grafschaften in der Wetterau-Vogelsberger Region bedeutet und die Kooperation der Grafen untereinander enorm befördert hätte, am 1052 Vgl. SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms. 1053 Extrakt des Schreibens des Solms-Rödelheimer Regierungsrats Binzer an den Solms-Licher Regierungsdirektor Usener vom 22.12.1788, HStAD F 24 A Nr. 350/13. 1054 Vgl. Bericht des Notars Ranck (ohne Tag und Monat, nur Jahresangabe 1700), HStAD F 24 A 815/1, über das Erscheinen Ludwig Heinrichs in Laubach in Begleitung von 10 Soldaten. 1055 Vgl. Graf Johann Ernst Karls Diarium über den Primogeniturstreit ab 1728 nebst Beilagen, HStAD F 24 A 816/1; er beschwert sich darin, sein Bruder Wilhelm Karl Ludwig habe sich auf einer Hauskonferenz im September 1728 anmaßend verhalten können, ohne dass er auf Widerstand gestossen sei, und auch im Übrigen halte sich das Gesamthaus Solms in Person des Seniors zurück – man beziehe keine Stellung, sondern wolle lediglich über alles informiert werden. 1056 Vgl. Auftrag zur Errichtung einer Vermittlungskommission für den Grafen von Hanau vom 22.6.1728, HStAD F 24 A 816/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 259 Anfang des 17. Jahrhunderts eines der großen gemeinsamen Projekte des Hauses gescheitert,1057 aber mit der „Solmser Gerichts- und Landordnung“, die ebenfalls in diesen Grafschaften galt, existierte seit 1571 eine gemeinsame Rechtsordnung, die als beispielhaft gelten konnte und durch ihren Vorbildcharakter weit über die Grenzen der Solmser Herrschaften hinaus wirkte.1058 In ihr kommen die delegierte und z.T. auch durch die Agnaten gemeinsam ausgeübte Landesherrschaft und die Bedeutung des Hauses für den einzelnen Grafen zum Ausdruck, die bis zum Ende selbständiger Landesherrschaft fortexistierte. Um es mit Mosers Worten zu sagen, der die Solmser reichsunmittelbaren Besitzungen in der Wetterau besprach, machen alle zusammen ein ansehnliches Land aus.1059 Das darf durchaus nicht nur auf die Größe des Besitzes, sondern auch auf Herrschaft und Verwaltung bezogen werden. Damit unterschieden sich die Grafschaften deutlich von den werdenden deutschen und europäischen Staaten des 18. Jahrhunderts: blieb die Dynastie hier eine der wesentlichen Klammern und ein Existenzgarant der einzelnen gräflichen Herrschaftsgebiete, kam es dort immer mehr zu einem „Prozess der Versachlichung von Herrschaft[; dabei] löste sich der feste Bezug zwischen dem Territorium und der Dynastie“1060. 5.1.2 Ständische Bündnissysteme – Grafenverein, Grafentage und Grafenunion Es ist im Zusammenhang der Landeshoheit bereits erwähnt worden, dass den Reichsgrafen als hochadeligen Landesherren Sitz und Stimme im Fürstenrat des Reichstags zustanden, und zwar nicht wie im Fall der Fürsten eine Viril-, also Einzelstimme, sondern für die nach Regionen zusammengefassten gräflichen Häuser jeweils eine Sammel- bzw. Kuriatstimme.1061 Damit war der tatsächliche Einfluss des einzelnen Hauses auf Entscheidungen im Reichstag rein rechnerisch verschwindend 1057 Vgl. PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms. 1058 Vgl. A LAUFS und KLAUS-PETER SCHROEDER, Artikel "Landrecht", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, S. 1527-1535 sowie BERNHARD DIESTELKAMP, Artikel "Solmser Landrecht", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (5), Berlin 1998, 1059 MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;2, S. 885. 1060 JOHANNES ARNDT, Deutsche Territorien im europäischen Mächtesystem, in: Heinz Schilling et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 942 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Ausstellungskatalog Essayband), Dresden 2006, S. 135-144, hier S. 137. 1061 Vgl. die weiter unten zitierten zahlreichen Publikationen zu den Grafenvereinen Westfalens, Frankens und Schwabens. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 260 gering: man war nur eine von vielen Grafschaften, die an der einen Stimme partizipierten, diese Stimme war nur eine von vielen im Fürstenrat, und der wiederum war nur eines von drei Kollegien im Reichstag neben den Kurfürsten und dem Städten. Jedoch waren bereits das Recht auf die Teilnahme und dessen Ausübung an sich ein wichtiges Moment für die Reichsgrafen, oder mit den Worten des Laubacher Grafen Christian August von 1743 ausgedrückt: sie waren der Kern, worinnen das eigentliche wahre wesen unseres Reichs-Grafen-Standes und Reichsstandschafft bestehet.1062 Weil also mehrere Grafen zusammen lediglich über eine gemeinsame Gesandtschaft am Reichstag verfügten, waren sie gezwungen, ihre Entscheidungen untereinander abzustimmen und eine Administration dafür einzurichten. Das geschah in Form der Grafenvereine, die in Franken,1063 Schwaben und der Wetterau,1064 später auch am Niederrhein und in Westfalen1065 entstanden und die in der Tradition der Adelseinungen als genossenschaftliche Organisationen standen.1066 Zwar liegen für den Wetterauer Grafenverein sowohl für seine frühe als auch seine späte Phase bereits Arbeiten vor.1067 Insofern kann hier auf eine ausführliche Darstellung seiner Struktur zugunsten einer knappen Darstellung zum Kreis der Beteiligten und der Organisation mit einem Schwerpunkt auf dem 18. Jahrhundert verzichtet werden. Jedoch findet sich nach wie vor die von F.WOLFF formulierte Auffassung, „auch der Grafenverein, dessen Fortexistenz schließlich im 18. Jahrhundert nur noch als verfassungsrechtliche Formalität erschien, konnte keinen Rückhalt mehr bieten,“1068 wobei der Bedeutungsverlust hier viel zu hoch eingeschätzt wird; selbst wenn man annimmt, dass Adelseinungen im 18. Jahrhundert insgesamt weniger wichtig gewesen seien als zu Beginn der Frühen Neuzeit – wofür nicht vieles spricht –,1069 war der Grafenverein für die Grafen von Solms-Rödelheim doch nach wie vor mehr als eine Formalie. Vielmehr nahm er vor allem im Sinne delegierter Kompetenzen vielfach ganz praktische Funktionen wahr, die nachfolgend untersucht werden sollen. 1062 Vgl. Schreiben Christian Augusts von Solms-Laubach an Wilhelm Karl Ludwig von Solms- Rödelheim vom 27.12.1743, HStAD F 24 A 365. 1063 Vgl. BÖHME, Das fränkische Reichsgrafenkollegium. 1064 Vgl. überblicksartig zur Wetterau WOLFF, Grafen und Herren, hier S. 341-343. 1065 ARNDT, Das niederrheinisch-westfälische Reichsgrafenkollegium. 1066 Vgl. CARL, Adelseinungen, 1067 V.a. SCHMIDT, Grafenverein, KULENKAMPFF, Kuriatstimme, sowie HATZFELD, Reichsgrafenstand. 1068 WOLFF, Grafen und Herren, S. 344. 1069 Vgl. dazu CARL, Adelseinungen. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 261 Die Organisation spiegelt sich deutlich in der Rechnung der Grafenkasse wieder: so entstanden im Jahr 1731 Ausgaben für den Gesandten und den Gesandtschaftssekretär zu Regensburg, das Personal des Direktoriums – einen Direktorialrat und mehrere Schreiber –, Reise- und Prozesskosten, bezahlte Schulden und Pensionen und Kosten des Archivs.1070 Das Grafenkollegium war also an zwei Orten institutionell vertreten, mit der Reichstagsgesandtschaft in Regensburg und mit dem Direktorium in der Residenz bzw. am Regierungssitz des Direktors, dem die Führung der Korrespondenz sowie die Erstellung von Tagesordnung und Einladungen für die Grafentage oblagen.1071 Dem Direktorium, bis 1738 der Graf von Hanau und danach für eine Übergangszeit bis 1745 der Landgraf von Hessen- Kassel als Nachfolger Hanaus, standen zwei Adjunkten zur Seite, die nicht gewählt, sondern nach „Präzedenz“ – also nach Rangfolge der Häuser, resultierend aus informellen Kriterien wie Alter, Ansehen, Ehre – bestimmt wurden1072 und bei der Führung der Geschäfte beratend und unterstützend wirkten. Diesen Adjunkten kam, weil Hessen Anfang der vierziger Jahre nicht nur das Directorium niedergeleget, sondern sich auch gäntzlich von dem Collegii separiret, eine besondere Bedeutung zu, da sie während der Vakanz den Direktor vertraten und damit nicht nur wie zu allen anderen Zeiten in die Kommunikation des Direktoriums eingebunden waren, sondern zentrale Entscheidungen selbst treffen konnten; so wird auch die Entrüstung Graf Wilhelm Karl Ludwigs verständlich, als ihm ab 1738 Ysenburg-Büdingen den ihm zustehenden ersten Adjunktensitz streitig machte. Er sah eine Möglichkeit gefährdet, seinen geringen Einfluss auf den Grafenverein und damit auch auf die Reichspolitik entscheidend zu vergrößern, und wehrte sich deshalb über mehrere Jahre lang erbittert unter Einbeziehung der Mitstände, des Kreises, des Kaisers und des Hauses Solms.1073 1070 Vgl. Rechnung der wetterauischen Grafenkasse für das erste Quartal 1731, HStAD F 24 A 365. 1071 Vgl. z.B. Schreiben Graf Johann Heinrichs zu Hanau als Direktor des Wetterauer Grafenkollegiums an Wilhelmine Christine verwitwete Gräfin Solms-Rödelheim als Vormünderin ihrer beiden unmündigen Söhne vom 13.9.1728, HStAD F 24 A Nr. 816/1 sowie Deliberanda zum Grafentag 1732, HStAD F 24 A 365. 1072 Vgl. u.a. Extrakt aus dem Kreistagsprotokoll von 1655, HStAD F 24 A 351/3; die Reihenfolge der Wetterauer Häuser wurde hier wie folgt festgelegt: Hanau, Solms-Laubach, Solms-Braunfels, Solms- Lich, Stolberg, Ysenburg, Wild- und Rheingrafen, Leiningen, Wittgenstein und Waldeck. Welche Kriterien für die Präzedenz im Einzelnen herangezogen wurden, ist an dieser Stelle nicht zu klären und bedarf noch eingehenderer Untersuchungen. 1073 Vgl. Entwurf für das Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an die Mitglieder des wetterauischen Grafenkollegiums (o.D., Ende 1743), HStAD F 24 A 365. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 262 Über die Mitgliederstruktur des Wetterauer Grafenvereins gibt die Beitragsübersicht aus dem Jahr 1731 Aufschluss. Sie weist folgende Beitragszahler aus: Hanau-Münzenberg, Hanau-Lichtenberg, Nassau-Ottweiler und Saarbrücken modo Nassau-Usingen, Nassau-Weilburg, Solms-Braunfels, Solms-Assenheim und Rödelheim, Solms-Laubach, Solms-Lich, Solms-Hohensolms, Isenburg-Birstein- Offenbach, Isenburg-Marienborn, Isenburg-Büdingen, Isenburg-Wächtersbach, Isenburg-Meerholz, Stolberg-Ortenburg, Stolberg-Gedern, Stolberg-Stolberg, Waldeck, Wittgenstein-Wittgenstein, Wittgenstein-Berlenburg, Wittgenstein- Homburg, das rheingräfliche Hauß, Leinigen-Heidesheim-Gundersblum, Leinigen- Hartenburg, Leiningen-Westerburg, Obersachsen (Schwartzburg-Arnstatt, Schwarzburg-Rudolstadt und Schönburg), Alt-Ortenburg und Wartenberg.1074 Insgesamt gehörten 1731 also 31 Häuser dem Grafenverein an, von denen jedoch einige bereits seit einiger Zeit gefürstet waren, jedoch den Schritt zur Virilstimme im Fürstenrat nicht hatten vollziehen können und deshalb noch an der Kuriatstimme des Grafenvereins partizipierten.1075 Ganz allgemein betrieb das Kollegium – neben der Beratung der Instruktionen für die Reichstagsgesandtschaft zum Abstimmungsverhalten im Fürstenrat und neben der gelegentlichen Teilnahme an Friedensverhandlungen des Reichs1076 – reichsgräfliche „Standes“-Politik. Praktisch die ganze Frühe Neuzeit hindurch waren die Reichsgrafen als Stand wie als Einzelne existenziellen Bedrohungen ausgesetzt, von denen die wichtigsten „mangelnde Konkurrenzfähigkeit [...] im Territorialisierungsprozess“ und daraus resultierend die stete Gefahr der Mediatisierung oder zumindest des Verlusts wichtiger Rechte an Nachbarfürsten, die Verschuldung und der Verlust des Ansehens und Einflusses durch steigende Bedeutung des Amtsstatus gegenüber dem Geburtsstatus waren.1077 Die Grafenvereine waren neben der Familie das wichtigste Forum für die beteiligten Reichsgrafen, diesen Bedrohungen zu begegnen. Deshalb lief ihre korporative Politik – grob zusammengefasst – darauf hinaus, erstens zu gewährleisten, dass Grafen auch 1074 Angaben nach Rechnung der wetterauischen Grafenkasse für das erste Quartal 1731, HStAD F 24 A 365; Schreibweise beibehalten. Vgl. dazu auch die Tabelle im Anhang. 1075 Das traf z.B. auf Waldeck zu, seit 1712 gefürstet, vgl. KLEIN, Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand, S. 160. Solms-Braunfels wurde 1742 gefürstet und verblieb auch noch einige Zeit im Grafenverein, Solms-Lich erst 1792, vgl. RENKHOFF, Nassauische Biographie, S. 761. 1076 Vgl. LÜNIG, Thesaurus juris, Sp. 880-881, wo das Recht zum Entsenden einer Delegation zu Friedensverhandlungen als das höchste Recht neben Sitz und Stimme im Reichstag bezeichnet wird. 1077 Vgl. dazu und zum Folgenden STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S. 32-33. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 263 weiterhin wichtige Ämter in Reichsinstitutionen besetzen konnten,1078 zweitens alle Übergriffe von Fürsten abzuwehren, sei es auf reichsgräfliche Rechte1079 oder im Zeremoniell1080, drittens den korporativen Zusammenhalt des Standes durch die Aufsicht über die gräflichen Prärogative1081 und durch Kooperation der vier Grafenvereine untereinander zu erhalten bzw. zu befördern, und viertens durch Hebung der desolaten Zahlungsmoral der Mitglieder die Handlungsfähigkeit des Kollegiums und seiner Administration sicherzustellen.1082 Besonders wichtig für die hier zu untersuchende Frage nach der Funktion des Grafenvereins für das System delegiert organisierter Herrschaft ist dabei v.a. der Plan des Kollegiums, auf der Grundlage bereits länger existierender Pläne1083 gemeinsam mit den anderen drei Grafenvereinen ab 1722 mit kaiserlicher Privilegierung eine „Grafenunion“ zu errichten.1084 Sie sollte auf einer sog. „Grafennotul“ als einer schriftlich formulierten Verfassung des ganzen Reichsgrafenstandes basieren.1085 1078 Vgl. Erlass Kaiser Karls VII. vom 27.8.1743, HStAD F 24 A 365: Auf die Ansuchen des gesambten reichs-graffen-standes werden die (kur-) fürstlichen gesandten aufgefordert, die gräflichen Gesandten im Zeremoniell nicht länger zurückzusetzen. Eine Beteiligung an der bevorstehenden Reichs-Deputation wird genauso zugesichert wie die bevorzugte Berücksichtigung von Fürsten, Grafen und Freiherrn mit Sitz und Stimme im Reich bei der Besetzung von Reichs-Chargen (Kammerrichter, Präsidenten...) und bei der Vergabe von Kommissionen und Ehrenämtern (Huldigungsdelegationen etc.). Die Vergabe des Prädikats „Hoch- und Wohlgeboren“, das den Reichsgrafen zusteht, soll in Zukunft sparsamer verwendet werden, allerdings das noch höhere Prädikat „Hochgebohren“ keineswegs auf den gesamten Reichsgrafenstand ausgeweitet werden. 1079 Vgl. Deliberanda zum Wetterauer Grafentag 1732, HStAD F 24 A 365; einer der Tagesordnungspunkte war z.B. die Beratung in Sachen Stollberg contra Hessen-darmbstatt, wegen strittiger reciprocirlicher jagdfolge und die Abwehr der Darmstädter Ansprüche hierbei. 1080 Ab 1788 entbrannte z.B. ein lagwieriger Streit um das Verfahren, mit dem sich ein neuer Gesandter in Regensburg präsentierte; die fürstlichen Gesandten schickten an die gräflichen wie an die reichsstädtischen lediglich einen Kanzlisten zu Fuß, während sie untereinander einen Legationssekretär en carrosse schickten. Dadurch fühlten sich die Gesandten der Grafen zurückgesetzt, vgl. Bericht des Gaildorfer Regierungsrats Höck an Graf Johann Ernst Karl von Solms vom 30.10.1788, HStAD F 24 A 351/5, sowie Kopie des Schreibens der fränkiscen Direktorialkanzlei vom 11.10.1788, HStAD F 24 A 351/5 und Erlass Karls VII. an die fürstlichen und kurfürstlichen Gesandten vom 27.8.1743, HStAD F 24 A 351/5. 1081 Vgl. z.B. Korrespondenz des Landgrafen von Hessen-Kassel als Direktor des Wetterauer Grafenvereins mit Solms-Rödelheim über die Aufnahme Virmonts in das westfälische Kollegium 1738, HStAD F 24 A 365, weiterhin zu den Bemühungen um eine Verhinderung einer reichsritterschaftlichen Vormundschaft über die minderjährigen Grafen von Erbach das Schreiben Wilhelm Carl Ludwigs an den Kammergerichtsassessor von Ludolf in Wetzlar vom 14.5.1738, HStAD F 24 A 365. 1082 Laut den Deliberanda für den Grafentag 1743, HStAD F 24 A 365, wird ein ernsthaffter schluß zu faßen seyn, was vor hinlängliche und geschwinde mittel und weege einzuschlagen, damit die alte und neue cassa-restanten und die noch rückständige beytrags-geldter beygebracht und die collegial-cassa in stand gesetzet werde, das nöthige zu bestreiten. 1083 Vgl. LÜNIG, Thesaurus juris, Sp. 907-909. 1084 Vgl. Schreiben Graf Johann Heinrichs zu Hanau als Direktor des Wetterauer Grafenkollegiums an Wilhelmine Christine verwitwete Gräfin Solms-Rödelheim als Vormünderin ihrer beiden unmündigen Söhne vom 13.9.1728, HStAD F 24 A Nr. 816/1 mit Bezug auf das in anno 1722 bey einem gemeinsamen Graffen Convent concertirte Project Unionis. 1085 Vgl. ARNDT, Hochadel, S. 201-204. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 264 Nahe liegend war ein solcher Plan schon von daher, als es bereits vorher eine enge Kooperation gab, die sich z.B. darin ausdrückte, dass es für vier Grafenvereine nur zwei Gesandte in Regensburg gab.1086 Um diese Kooperation zu intensivieren, fanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sog. „allgemeine Grafentage“1087 unter Beteiligung von Abgesandten der Wetterauer, schwäbischen, fränkischen und niederrheinisch-westfälischen Grafen statt, auf denen der Inhalt und die Finanzierung dieser Notul beraten wurden.1088 Es handelte sich um den Versuch, die jedes Mal anlässlich der Krönung dem Kaiser abzunehmende Bestätigung der gräflichen Rechte und Prärogative1089 in eine dauerhafte Form zu bringen. Das Zentrum der Notul war dabei die Austragialgerichtsbarkeit, also das Recht der Reichsunmittelbaren auf ein ständisches Schiedsgericht an Stelle der Reichsgerichtsbarkeit für bestimmte Fälle.1090 Die Verhandlungen der Grafen untereinander und mit dem Kaiser und den Reichsinstitutionen dauerten bis 1738 an,1091 erst dann zeigte sich der Kaiser bereit, die Grafenunion und ihre „Verfassung“ zu bestätigen. Bevor das jedoch gelang, starb Kaiser Karl VI.,1092 so dass die Bestätigung mit seinem Nachfolger Karl VII. erneut verhandelt werden musste, was nicht billig,1093 aber letztlich erfolgreich war, wie ein entsprechender Entwurf zeigt: Wir Carl der VII. bekennen, [...daß der Reichsgrafenstand...] zu mehrerer auffrechterhaltung des reichs-graffen stands, so fort zum besten dessen inner. verfassung, eine nähere vereinigung und verbindung sub dato franckfurth am mayn den 30. 7br 1738 verfasset, geschlossen, gefertigt, und deren Nachachtung mit begenehmigung derer sämbt. pacis cirenden mithglieder unter sich vorgestellet hatten, welche erneuerte grafen-union uns dieselbe in glawbhaffter form unterthst vorbringen laßen, welche nach altem Muster und 1086 Vgl. LÜNIG, Thesaurus juris, Sp. 883: der eine führte die schwäbische und westfälische, der andere die wetterauische und fränkische Kuriatstimme. 1087 Vgl. u.a. den Tagesordnungspunkt ob nicht ein allgemeiner engerer convent derer vier reichs- gräfflichen collegiorum zu veranlaßen, Deliberanda für den Grafentag 1743, HStAD F 24 A 365. 1088 Vgl. Deliberanda des Direktoriums zum Wetterauer Grafentag 1732, HStAD F 24 A 365. 1089 Vgl. u.a. das Schreiben Graf Volrats von Solms-Rödelheim vom 7.7.1790, HStAD F 24 A 352/2, mit dem Vorschlag, diese „Kapitulation“ schon bei der Wahl und nicht erst bei der Krönung auszuhandeln. 1090 Vgl. SCHEIDEMANTEL, Repertorium reale pragmaticum, S. 281-292. Z.B. wurde in der Auseinandersetzung zwischen Ysenburg / Stolberg und Solms-Rödelheim um die Adjunktur um 1740 diskutiert, ob der Streit ad austregas qualificiret seye, Schreiben des Anwalts Graf Wilhelm Karl Ludwig an Kaiser Karl VII. (o.D., ca. 1743), HStAD F 24 A Nr. 350/1. Vgl. weiterhin WALDSCHMIEDT und CRANZ, Dissertatio Jvris Pvblici De S.R.G.J. Comitum Austregis, = Von Reichs- Gräfflichen Austrägen. 1091 Vgl. ARNDT, Hochadel, S. 202. 1092 Vgl. ebd.in: S. 202-203. 1093 So hatten die Grafenvereine dem Kaiser ein Regiment geschenkt, um ihre Sache zu befördern, vgl. Aufstellung der bei Wahl und Krönung Karls VII. entstandenen Kosten für Solms-Rödelheim vom 24.4.1742, HStAD F 24 A 960; hier wurde festgelegt, in welcher Höhe die einzelnen Orte beteiligt waren. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 265 „herkommen unßeres werthen teutschen vatterlands“ errichtet sei und vor allem dem Zweck diene, den gesamten Grafenstand noch tauglicher für den Dienst an Kaiser und Reich zu machen.1094 Die Bestätigung umfasste ausdrücklich auch die Austräge, jedoch unter der Auflage, diese nicht zu missbrauchen und die Reichsgerichtsbarkeit nicht einzuschränken.1095 Weil diese ständische Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur für Grafen untereinander, sondern auch für Untertanenprozesse gelten sollte, kam Freiherr v. Gudenus, der in kaiserlichem Auftrag die Gebühr für die Konfirmation von Grafenunion und –notul festlegte, zu dem Schluss, dass dieses Privilegium schnurstracks gegen die kay. Authorität laufet, folg. dem Privilegio illimitato de non appellando gleich zu taxiren sei. Insgesamt, so seine Einschätzung, sei der Unions- Tractat [...] dahin gerichtet, daß sie all und jedes gleich einer Republique, in ihrig eigenen Territoriis, nach beschaffenheit derer Privilegien, so schalten und walten könnten.1096 Die Zuständigkeit der Reichsgerichtsbarkeit für Untertanenprozesse, eine der wesentlichen Einschränkungen reichsgräflicher Landeshoheit, wäre dadurch aufgehoben worden. Die Grafenunion und die Notul als ihre Verfassung stellten also den Versuch dar, durch die Bündelung der reichsgräflichen Bemühungen und Kräfte die Hoheit der einzelnen Mitglieder über die eigenen Herrschaftsgebiete entscheidend auszubauen; was den Fürsten in der Regel aus eigenen Kräften gelungen war, versuchten die Grafen durch Kooperation und solidarisches Handeln zu erreichen.1097 Von einem Bedeutungsverlust institutionalisierter reichsgräflicher Solidarität kann hier wahrlich nicht gesprochen werden, eher von intensiven Versuchen engagierter Mitglieder, den alten Einungsidee zu reformieren und leistungsfähig zu erhalten. Die Grenze der Solidarität war jedoch stets durch die finanzielle Belastbarkeit der Mitglieder determiniert; v. Gudenus, der allein das Austragialrecht auf 15.000 Rtlr taxiert hatte, veranschlagte für jedes Kollegium eine Taxe von 25.258 Rtlr, also 106.034 Rtlr insgesamt, für die Bestätigung der Grafenunion samt aller Rechte,1098 1094 Vgl. Beilage 4 zu den Deliberanda für den Grafentag 1743: Entwurf für die Bestätigung von Grafenunion und -notul, HStAD F 24 A 365. 1095 Vgl. ebd. 1096 Entwurf einer Tax-Ordnung für die confirmation der Grafenunion durch Baron v. Gudenus, 1743, HStAD F 24 A 365. 1097 Vgl. zu noch weitergehenden Inhalten der Union MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;2, S. 988-996; u.a. war geplant, bei Gebietsverkäufen eines Mitglieds den anderen gräflichen Häusern ein Vorkaufsrecht einzuräumen, um Substanzverluste für den Grafenstand zu vermeiden. 1098 Vgl. ebd. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 266 was nicht nur zu entsetzten Reaktionen bei den Reichsgrafen,1099 sondern letztlich zum Scheitern der Unionspläne führte. Denn eine solche Summe war von den Mitgliedern nicht ohne weiteres aufzubringen, und bevor die Aufteilung auch nur ansatzweise hatte erfolgen können, starb auch Karl VII.; damit war das ambitionierte Projekt praktisch beendet.1100 Nicht nur in diesem Fall, sondern grundsätzlich limitierte die Finanzierungsfrage die Handlungsfähigkeit reichsgräflicher Korporationen. Besonders die Sicherstellung der wirtschaftlichen Basis des Grafenvereins erwies sich im 18. Jahrhundert als nahezu aussichtslos, da viele Reichsgrafen nicht bereit waren, für ihre Teilhabe an der Kuriatstimme und die „Lobbyarbeit“ des Grafenvereins regelmäßig Geld zu investieren; sie befanden sich z.T. in einem Zwiespalt zwischen der „alten“ Standessolidarität im Kollegium und persönlichen Ambitionen, die – etwa mit Hilfe des Dienstes an einem großen Hof oder bei Kaiser oder dem Reich – weit außerhalb der Sphäre des Grafenvereins stattfanden. Viele arbeiteten auf die Fürstung hin und hatten schon von daher kein Interesse mehr an gräflicher Standespolitik,1101 andere – wie auch Graf Wilhelm Karl Ludwig in Folge des Streits um die Adjunktur1102 – fühlten sich ungenügend vertreten und zahlten deshalb nicht, oft ist auch der Grund nicht zu ermitteln. Sicher ist, dass die Außenstände der Grafenkasse in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts bedrohliche Ausmaße annahmen: eine Rechnung von 1731 weist einen restierenden Gesamtbetrag von 37.673 fl aus. Unter den 31 Mitgliedern gab es kein einziges Haus, das nicht Schulden bei der Grafenkasse gehabt hätte, wobei der geringste Betrag von Isenburg-Marienborn i.H.v. 8 fl und der höchste vom Fürstentum Waldeck i.H.v. 9131 fl ausstand.1103 Die Schulden von 9678 fl, die das Kollegium seinerseits gegenüber Dritten hatte, nehmen sich damit verglichen fast schon bescheiden aus,1104 waren jedoch keineswegs geeignet, die 1099 Weilen nun diese sache von böser folge: so wird ein gemeinsahmes deliberandum zu machen und ein standhaffter schluss zu nehmen seyn, wie man dieser ohnbesonnenen anforderung begegnen, selbige an das offene licht stellen, und abwenden wolle, Anregungen Ysenburg-Büdingens zum Wetterauer Grafentag 1743, HStAD F 24 A 365. 1100 ARNDT, Hochadel, S. 203. 1101 Vgl. dazu ausführlich ders, Zwischen kollegialer Solidarität und persönlichem Aufstiegsstreben. Die Reichsgrafen im 17. und 18. Jahrhundert, . 1102 Fürst Wolfgang Ernst zu Ysenburg etwa berichtete an Graf Johann Ernst Karl als Nachfolger seines Bruders darüber, wie sich gedachte Sn. Lbd. [Graf Wilhelm Karl Ludwig] um einiger vormaligen sehr geringfügigen, längst abgethanen und bloß personellen Adjunctur-Präcedenz- Irrungen willen denen collegialischen Verbind- und Berathschlagungen so unions- als Reichsverfaßungswiedrig zu entziehen vermeinet, Schreiben Fürst Wolfgang Ernsts zu Ysenburg an Johann Ernst Karl vom 10.12.1778, HStAD F 24 A 1402/2. 1103 Rechnung der wetterauischen Grafenkasse für das erste Quartal 1731, HStAD F 24 A 365. 1104 Vgl. ebd. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 267 Handlungsfähigkeit und das Ansehen zu steigern. Mit zwei Strategien versuchten die Wetterauer Grafen dieser Probleme Herr zu werden: zum Einen versuchten sie bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts aktiv neue Mitglieder anzuwerben, was jedoch angesichts der Aufnahmekriterien nicht leicht zum Erfolg führte,1105 zum Anderen erhöhte man den Druck auf säumige Zahler, plante die Einrichtung einer ständigen Exekutionskommission1106 und drohte mit dem Ausschluss aus dem Kollegium. Das war jedoch teilweise kontraproduktiv, wenn man gleichzeitig den Kreis der Beteiligten eigentlich vergrößern wollte und die mächtigeren Mitglieder durch solche Drohungen schwerlich zu beeindrucken waren; deshalb ist aus dem 18. Jahrhundert nur ein einziger Fall bekannt, bei dem ein Mitglied ausgeschlossen wurde, und es handelte sich dabei nicht etwa um Waldeck als größten Schuldner, sondern um die kleine Grafschaft Wartenberg.1107 Weil dies der einzige nachzuweisende Fall war und andere Grafen nicht ausgeschlossen wurden – darunter Rödelheim1108 – ist dieses Vorgehen als einmaliges Exempel und nicht als konsequent befolgte Strategie zu werten, mit der sich das Kollegium letztlich wohl seiner von Handlungsfähigkeit und ständischen Solidarität beraubt hätte. Die finanziellen Schwierigkeiten können als Ausdruck dafür gewertet werden, dass der Wetterauer Grafenverein auch in politischen Fragen im Verlauf des 18. Jahrhundert zunehmend mit mangelnder Beteiligung und mangelndem Interesse zu kämpfen hatte. Eine seiner Aufgaben war es z.B., die Verrichtungen bei einer Kaiserkrönung zu koordinieren; insbesondere oblag den Grafen die Reichsfunction des solennen Mitaufzuges und tragens derer Speißen auf die kaiserliche Krönungs tafel.1109 Es war jedoch anlässlich der Krönung Leopolds II. 1790 praktisch unmöglich, genügend Reichsgrafen zu persönlichem Erscheinen zu bewegen1110 – 1105 Vgl. die entsprechenden Ausführungen bei MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;2, S. 904, der die Anwerbungsaktionen des Wetterauer Grafenvereins kurz erwähnt. 1106 Vgl. Kopie eines Schreibens des Wetterauischen Grafenkollegiums an den Kaiser (o.D., um 1732), HStAD F 24 A 365. 1107 Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;2, S. 930 berichtet, dass 1738 anlässlich eines Grafenkonvents Wartenberg ausgeschlossen worden sei, weil es seine Praestanda nicht entrichtet habe; folgerichtig taucht Wartenberg auf der Rechnung der Grafenkasse von 1741 nicht mehr auf, vgl. Übersicht über die Rückstände zur Grafenkasse 1741, HStAD F 24 A 140/2. Damit hatte es Sitz und Stimme im Grafenverein und damit im Reichstag verloren. 1108 Vgl. Übersicht über sämtliche Rückstände Solms-Rödelheims bei der Wetterauer Grafenkasse seit 1741 vom 10.12.1778, HStAD F 24 A 1402/2, mit der Bemerkung für das Jahr 1743: Nota: von diesem Jahre an hat das hochgräfl. Hauß Solms-Rödelheim zu zahlen gänzlich aufgehöret. Rödelheim war also 35 Jahre lang die Beiträge schuldig geblieben, ohne ausgeschlossen zu werden. 1109 Anfrage des Direktors des Wetterauer Grafenvereins Fürst Wolfgang Ernst zu Ysenburg an die Mitglieder vom 3.6.1790, HStAD F 24 A 352/2. 1110 Vgl. erneute Anfrage des Direktors des Wetterauer Grafenvereins an die Mitglieder vom 1.9.1790, HStAD F 24 A 352/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 268 auch der an sich in der Standespolitik sehr engagierte junge Rödelheimer Regent Volrat verweigerte eine persönliche Teilnahme mit Hinweis auf dringendere Pflichten.1111 Hier zeigt sich, was bereits lange vorher begonnen hatte, nämlich die geringer werdende Integrationskraft der Grafenvereine durch vermehrte kaiserliche Nobilitierungen:1112 Durch die „Zuwanderung“ von ehemaligen Rittern in den Grafenstand verlief zunehmend ein Riss durch diesen, der an der Grenze zwischen alten und neuen Reichsgrafen verlief.1113 Zudem waren viele der neu gefürsteten altgräfliche Häuser aus dem Gremium abgewandert, was eine zusätzliche Schwächung bedeutete.1114 Ob auch eine gewisse Ernüchterung über die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf Reichsebene daran beteiligt war,1115 lässt sich am vorliegenden Material nicht sicher beurteilen. Jedenfalls war es nach Ansicht des Laubacher Regenten Christian August schon Mitte des 18. Jahrhunderts dringend geboten, das Kollegium aus der biß anherigen Schlafsucht zu retten, und nicht (wie es das leidige ansehen gewinnen dürffte) endlich gar versincken zu lassen,1116 und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich diese Situation in den darauf folgenden 50 Jahren verbesserte. Trotz dieser Grenzen war und blieb der Grafenverein ein wichtiges Standbein reichsgräflicher „Außenpolitik“ und die zentrale Möglichkeit, über die Reichspolitik informiert zu werden und an ihr teilzunehmen, das zeigen einzelne Beispiele.1117 1111 Votum Volrats für den Grafenverein vom 25.9.1790, HStAD F 24 A 352/2. 1112 Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S. 32-33 1113 Vgl. die Kopie des Berichts des fränkischen Gesandten v. Fischer vom 3.10.1788, HStAD F 24 A 351/5. Fischer beklagt darin, dass der alte hohe Reichsgrafen stand durch die überhäuften erhebungen in den Grafenstand, auch sogar solcher personen, die auf keine art dazu qualificirt sind, von der seiner geburt anklebenden reichsständischen würde verdrungen und unter den niederen Adel versteckt werden will. 1114 Vgl. KLEIN, Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand. 1115 Oft beschränkte sich die politische Tätigkeit der gräflichen Gesandten auf Fragen des Zeremoniells, z.B. entsprang ab 1787 ein jahrelanger, ebenso aufwändiger wie fruchtloser Streit über Details des Verfahrens der Gesandtschaftslegitimation am Reichstag, vgl. die Akten in HStAD F 24 A 351/5, der das Direktorium des fränkischen Grafenvereins schliesslich zu dem entnervten Stossseufzer brachte, es bleibe zu hoffen, daß bey unseren aufgeklärten zeiten das ohnehin unnüze und nur lästige Cerremoniel, so wie es auf dem fränckischen Craißtag schon geschehen ist, sich auf dem Reichstag nach und nach völlig verlieren möchte, Schreiben der fränkischen Direktorialkanzlei Ingelfingen an den Wetterauer Grafenverein vom 28.2.1789, HStAD F 24 A 351/5. 1116 Schreiben Christian Augusts von Solms-Laubach an Wilhelm Carl Ludwig von Solms-Rödelheim vom 27.12.1743, HStAD F 24 A 365. 1117 Insbesondere die Teilhabe einzelner Fürsten an der Kuriatstimme führte öfter dazu, dass die Kollegien eng mit deren Politik befasst waren; das traf für die Wetterau auf Hessen, für das niedersächsisch-westfälische Kollegium auf Preußen zu; deshalb fanden sich die Grafen z.T. an der Frontlinie zwischen Preußen und Österreich wieder, die im Reichstag entlang der Grenze zwischen Corpus Evangeliorum und den katholischen Ständen verlief, vgl. z.B. die Kopie des königlich preußischen Schreibens an den niederrheinisch-westfälischen Grafenverein vom 12.11.1755, HStAD F 24 A Nr. 318/2, in dem sich Preußen als Schutzmacht der evangelischen Grafen gebärdet. Zum Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 269 Darüber hinaus blieb er auch ein wichtiges Forum zum Aufbau eines Netzwerks der Reichsgrafen untereinander und ein Kommunikationsraum. Schon von daher war er bis zuletzt viel mehr als eine verfassungsrechtliche Formalität.1118 Als beispielsweise die Auseinandersetzung zwischen Graf Wilhelm Karl Ludwig und seinem Bruder Johann Ernst Karl kurz nach 1750 einen Höhepunkt erreicht, wandte sich der Regent mit der Bitte um Unterstützung an seine Standeskollegen mit Reichsämtern, unter anderem an den Reichsvizekanzler Graf Colloredo,1119 den Präsidenten des Reichshofrats Graf von Harrach1120 und dessen Vizepräsidenten Graf von Hartig.1121 In allen Fällen konnte er auf eine Bekanntschaft im Rahmen der Tätigkeit des Grafenvereins verweisen, und das zahlte sich aus: Von Harrach schrieb zurück, dass er sich gern an die in Frankfurt gemachte Bekanntschaft mit Wilhelm Karl Ludwig erinnere und alles tun werde, um die anhängige Sache zu befördern.1122 Die verbindende, Zusammenhalt stiftende Wirkung des Grafenvereins fand nicht zuletzt in den Heiratskreisen ihren Ausdruck, wie die folgende Abbildung zeigt (Abbildung 22). Abbildung 22. Herkunft der Ehepartner Solms-Rödelheimer Gräfinnen und Grafen im 18. Jahrhundert nach Grafenvereinen. Es wird deutlich, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen, bei denen die Männer bzw. Frauen aus dem fränkischen Grafenverein bzw. aus dem Haus Solms stammten – die Ehepartnerinnen und -partner in aller Regel aus dem Kreis der protestantischen reichsgräflichen Häuser stammten, die am Wetterauer Grafenverein preußisch-österreichischen Gegensatz vgl. ausführlicher VIERHAUS, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden, 1648-1763 S. 285-308. 1118 WOLFF, Grafen und Herren, S. 344 vertritt diesen Standpunkt, dem aber aus den genannten Gründen vehement zu widersprechen ist. 1119 Vgl. Entwurf eines Schreibens Wilhelm Karl Ludwigs an den Reichsvizekanzler Graf Colloredo vom 31.12.1750, ASR 228. 1120 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an den Grafen von Harrach vom 9.1.1751, ASR 228. 1121 Vgl. Schreiben Wilhelm Karl Ludwigs an den Grafen von Hartig vom 2.1.1751, ASR 228. 1122 Vgl. Antwort des Grafen von Harrach an Wilhelm Karl Ludwig vom 14.2.1751, ASR 228. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 270 beteiligt waren. Der soziale Zusammenhalt der Mitglieder war also trotz des Bedeutungsverlusts des Kollegiums im politischen Bereich nach wie vor groß.1123 Das zeigt sich auch in Patenschaften: von den 14 Patinnen und Paten der Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich waren zwei – der Landgraf von Hessen-Darmstadt und seine Ehefrau, eine Herzogin von Holstein – fürstlich, sieben entstammten dem Haus Solms; die restlichen fünf kamen sämtlich aus dem Kreis des Wetterauer Grafenvereins.1124 Nicht zuletzt dieser soziale Zusammenhalt dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass die Idee einer politischen Vereinigung der Grafen bis zuletzt fortlebte und die Tradition des adeligen Assoziationswesens über die Umbruchzeit nach dem Reichsdeputationshauptschluss weiter existierte. Die Frankfurter Union ab 1803 – unter maßgeblicher Beteiligung der Wetterauer Grafen von Solms1125 – stellte den letzten Versuch mehrerer kleiner Reichsstände dar, nicht nur sich selbst, sondern auch Strukturen des Alten Reichs zu retten; zwar war sie nicht erfolgreich und scheiterte gerade auch an mangelnder Standessolidarität und der Verfolgung eigener Interessen durch manche Protagonisten,1126 doch sie zeigt, dass das Prinzip der Übertragung eigener Souveränitätsrechte auf ein ständisches Gremium – die „komplementäre Landesherrschaft“ – selbst dann noch aktuell schien, als mit dem Reich die zugehörigen Rahmenbedingungen aufhörten zu existieren. 5.1.3 Oberrheinischer Reichskreis Die Stände, die die Kreisstandschaft besaßen, waren Mitglied in einem der Reichskreise, die vor allem militärischen Zwecken dienten, die Aufsicht über das Münzwesen hatten und durch Exekutionskommissionen die Umsetzung von Maßnahmen der Reichsgerichte sicherstellten.1127 Seit Verabschiedung der Türkenhilfe 1664 und der Reichsdefensionsverfassung von 1681 durch den Reichstag fiel den Kreisen im Rahmen der Reichsexekution die Aufgabe zu, die Verteidigung 1123 Vgl. ARNDT, Lippe, hier S. 173: „wichtiger als die förmlichen Mitwirkungsrechte an der Politik des Reichstags waren die informellen Kontakte der Grafen untereinander zwecks Aufrechterhaltung ihrer sozialen Stellung“. 1124 Vgl. Leichenpredigt Johann Augusts 1680, ASR 501. 1125 Vgl. PRÖSSLER, Friedrich Ludwig Christian Graf zu Solms-Laubach, zum Anteil der Regenten von Laubach und Rödelheim. 1126 Vgl. KELL, Frankfurter Union, v.a. S. 96-97. 1127 Vgl. zu Reichskreisen überblicksartig WINFRIED DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise (1383- 1806). Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 271 des Reichs durch ein stehendes Heer von 40.000 Mann sicherzustellen.1128 Da sowohl die Struktur der Reichskreise insgesamt1129 als auch ihr „supraterritorialer“ Charakter samt den dazu gehörigen Funktionen bereits recht gut erforscht sind,1130 wird sich die folgende Darstellung im Wesentlichen auf die Bedeutung der Kreisstandschaft für die Landesherrschaft der Grafschaft Solms-Rödelheim beschränken können. Für Solms-Rödelheim brachte die Kreisstandschaft im oberrheinischen Reichskreis zunächst vor allem zwei Pflichten mit sich: zunächst mussten Gelder für Aufgaben des Kreises und des Reichs von den Untertanen eingezogen und zur oberrheinischen Kreiskasse, die zugleich als Einnehmerin für die Reichsabgaben der Kreisstände fungierte,1131 abgeführt werden. So wurden 1712 und 1713 eine bzw. vier Millionen Gulden vom Reichstag zur operations-cassa [...] zu fortführung deß, wieder den Reichß-feind annoch wehrenden schwehren krieges beschlossen,1132 die von den Untertanen der beteiligten Reichsstände anteilig zu bezahlen waren. Über diese unregelmäßigen, von Fall zu Fall durch den Reichstag bewilligten Sondersteuern hinaus war ein regelmäßiges Matricular-Quantum abzuführen, dessen Fuß durch die Kreisversammlung nach Zahl und Vermögen der Untertanen bestimmt wurde und für die Solms-Rödelheimer Ortschaften auf 37 fl, nach 1735 auf 24 fl festgesetzt war.1133 Diese Beträge wurden zusammen mit anderen in der „Kriegskasse“ vereinnahmt und verrechnet.1134 Die zweite Pflicht, die die Kreisstandschaft für die Grafschaft mit sich brachte, war, dass Solms-Rödelheim gemeinsam mit Solms-Laubach ständig eine Kompanie für das der oberrheinischen Kreisarmee zugehörige Nassau-Weilburgische Infanterie- 1128 Vgl. SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 197. 1129 Vgl. PETER C. HARTMANN (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit. Reichskreise im deutschen Raum, Provinzen in Frankreich, Regionen unter polnischer Oberhoheit. Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung (Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 17), Berlin 1994. 1130 Vgl. WÜST (Hg.), Reichskreise und Territorium. 1131 Vgl. WINFRIED DOTZAUER, Der Oberrheinische Kreis, in: Peter C. Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit. Reichskreise im deutschen Raum, Provinzen in Frankreich, Regionen unter polnischer Oberhoheit. Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung, Berlin 1994, S. 97-125, hier v.a. S. 102. 1132 Erlass des Grafen von Solms-Rödelheim über die Erhebung der Matrikularanschläge in der Grafschaft 1713, HStAD F 24 A 219/9. 1133 Vgl. Species Facti betreffs des Gesuchs Wilhelm Karl Ludwigs an den oberrheinischen Reichskreis und den Reichstag um Verminderung der Kreis- und Reichsabgaben 1735-1740 . 1134 Vgl. dazu Kapitel 3. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 272 Regiment in einer Sollstärke zwischen 45 und 60 Mann einsatzbereit zu halten.1135 Die Mannschaften für das Kreismilitär konnten – wie für die Landmiliz und den Wachdienst auch – aus den jungen, ledigen Männern der eigenen wie der gemeinschaftlichen Orte der Grafschaft rekrutiert werden,1136 wobei es für diese auch Möglichkeiten gab, sich von der Dienstpflicht befreien zu lassen.1137 Sie stellten die Gemeynen, die Gefreyten, den Tambour und die Corporals – also die Unteroffiziere – der Kompanie; als Unteroffiziere mit Portepee, Feldscher und Offiziere1138 wurden auch „Externe“ angeworben.1139 Unter dem Oberbefehl des Regimentsinhabers, bis 1788 des namengebenden Fürsten von Nassau-Weilburg,1140 nahm diese Kompanie zusammen mit den anderen, durch benachbarte Kreisstände zu stellende Regimentsteile1141 an den Kampagnen der oberrheinischen Kreistruppen teil.1142 Schwierigkeiten entstanden dabei durch die gemeinschaftliche Stellung der Kompanie, denn z.T. wirkten sich die beinahe schon konstitutiv zu nennenden Auseinandersetzungen zwischen Rödelheim und Laubach während des späten 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis auf die Ebene der Gemeinen aus: 1699 wurden Soldaten als Strafe für Gehorsam gegenüber Anordnungen aus Rödelheim durch die Laubacher Herrschaft mit Prügel und Spießrutenlaufen bestraft,1143 und um die Mitte des 18. Jahrhunderts kam es wiederholt zu Handgreiflichkeiten unter den Rödelheimer und Laubacher Gemeinen und Gefreiten, die sogar zu Verletzten 1135 Die Sollstärke schwankte je nach Beschluss des Reichstags und konnte 66 Mann betragen, vgl. Aufstellung des Licher, Laubacher und Rödelheimer Anteils an der Kreiskompanie 1722, HStAD F 24 A 219/9, aber auch nur 48, vgl. Aufteilung des Laubacher und Rödelheimer Anteils am Kreismilitär 1726, HStAD F 24 A 219/9. 1136 Vgl. Schreiben der Rödelheimer Regierung an den Amtskeller Schäffer zu Fauerbach vom 2.6.1745, HStAD F 24 A 218/3 sowie Musterungsliste mit Aufstellungen der dienstfähigen Untertanen in alle Städten und Dörfern der Grafschaft (auch: allen Untertanen in den gemeinschaftlichen Orten) von 1696, HStAD F 24 A 219/12. 1137 Z.B. war das möglich, wenn sie bereits in Diensten standen (ein Fall: der Knecht des Forstmeisters), wenn Sie nachweisen konnten, dass der Verlust ihrer Arbeitskraft für die Familie katastrophal wäre oder wenn sie die Lehrzeit noch nicht beendet hatten. Auch die Zahlung von Geld zum Abkauf der Dienstpflicht war möglich, vgl. zu allen genannten Punkten die Akten über den Dienst der Rödelheimer Untertanen ab 1745 in HStAD F 24 A 218/3. 1138 Vgl. Akten über die Vakanz und mögliche Wiederbesetzung der Lieutenants-Stelle im Solmsischen Kontingent im Jahr 1758-1760, HStAD F 24 A 219/11. 1139 Vgl. z.B. Belege zur Rechnung der Rödelheimer Kriegskasse 1714, HStAD F 24 B 402/3. 1140 Vgl. Extrakt des Schreibens des Solms-Rödelheimer Regierungsrats Binzer an den Solms-Licher Regierungsdirektor Usener vom 22.12.1788, HStAD F 24 A Nr. 350/13. 1141 Vgl. Musterungsliste des Nassau-Weilburgischen oberrheinischen Kreis-Infanterie-Regiments im Oktober 1781, HStAD F 24 A 220/1; ausser den weiteren Solmser Kompanien – Braunfels entsandte eine, Lich und Hohensolms gemeinsame eine weitere – gehörten Kontingente der Nassauer, Leininger, Wartenberger und rheingräflichen Grafschaften bzw. Fürstentümer dazu sowie Truppen der Reichsstädte Frankfurt und Worms, insgesamt knapp über 800 Köpfe. 1142 Vgl. Erlass Graf Wilhem Karl Ludwigs vom 2.4.1748, HStAD F 24 A 219/3, in dem berichtet wird, dass die Kompanie derzeit am Rhein auf Postirung stehe. 1143 Vgl. Supplik der Rödelheimer Grafen Ludwig und Ludwig Heinrich an den Reichshofrat von 1699, HStAD F 24 A 815-2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 273 führten.1144 1788 erließ Solms-Rödelheim eigene „Kriegsartikel“ für seine Kreistruppen, die sich eng an den Kriegsartikel des Kreises von 1698 orientierten;1145 aus ihnen geht deutlich die Bedeutung der Kreistruppen für das Selbstverständnis der Reichsgrafen hervor, die sich geradezu als „armierter Stand“ begriffen. Der oberrheinische Reichskreis verfügte seit dem 16. Jahrhundert über ein Direktorium, dem die kreisausschreibenden Fürsten – der Bischof von Worms und der Pfälzer Kurfürst – vorstanden.1146 Es berief die Kreisversammlung ein, die am Sitz des Direktoriums in Frankfurt stattfanden und in die vier Bänke der Geistlichen und weltlichen Fürsten, der Grafen und Herren und der Städte aufgeteilt war; hier wurden nicht nur militärische Angelegenheiten entschieden, sondern im Verlauf der Frühen Neuzeit auch zunehmend regionale Krisen und Streitigkeiten behoben1147 und sogar eigenständige politische Ambitionen entwickelten, die deutlich über die durch den Reichstag definierten Betätigungsfelder hinaus gingen.1148 Insgesamt erwies sich gerade der oberrheinische Kreis angesichts des Fehlens eines alles überragenden Fürsten in seinen Reihen als recht gutes Forum für die Artikulation der Interessen und nicht zuletzt auch für die zur Schau Stellung „ihres Pflichtgefühls für die Gemeinschaft des Reichs“ der teilnehmenden mittleren und kleineren Stände. Das wird bereits daran deutlich, dass diese zu Zeiten der Inaktivität des Kreises andere Bündnisse untereinander als Alternativen schlossen.1149 Im Kreis hatten die Stände des dritten Rangs durchaus ein ernst zu nehmendes Gewicht – anders als im Reich, wo sie wenig Bedeutung besaßen: Graf Philipp Reinhard von Hanau stellte 1710 als Direktor des Wetterauer Grafenvereins fest, dass die Mitglieder dieses Reichs-Gräff. collegii den stärckesten Theil bey der Ober-Rhein. Craiß-Verfassung ausmachen.1150 Rödelheim unterhielt einen Gesandten in Frankfurt, der jedoch – um Geld zu sparen – nicht exklusiv für dieses eine gräfliche Haus, sondern gleichzeitig auch für andere tätig war. Das konnte zu heiklen Situationen führen wie im Fall der Bemühungen des Samthauses Solms um das Kommando über das Infanterie- 1144 Vgl. Erlass Graf Christian Augusts von Solms-Laubach an sein Kontingent vom 14.11.1747, HStAD F 24 A 219/3. 1145 Vgl. Kriegsartikel der Grafschaft Solms-Rödelheim vom 17.1.1788, HStAD F 24 A Nr. 219/7. 1146 Vgl. DOTZAUER, Der Oberrheinische Kreis, hier S. 108. 1147 ebd., S. 117-119. 1148 Eine solche in Eigenregie entwickelte Aktivität des oberrheinischen Kreises war z.B. der Wiederaufbau der Festung Philippsburg, vgl. Repartition der Rödelheimer Beiträge zum Wiederaufbau von Philippsburg und Kehl 1727, HStAD F 24 A 219/9. 1149 Z.B. die Frankfurter Union der Wetterauer, Westerwälder und Eifelgrafen 1679, vgl. DOTZAUER, Der Oberrheinische Kreis, S. 116 und S. 119. 1150 Abgedruckt bei LÜNIG, Thesaurus juris, Sp. 792. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 274 Regiment für Braunfels 1788. Der mit der Angelegenheit befasste Rödelheimer Rat Binzer gab zu bedenken: unßere solmsche Gesandte bey dem Krayß sind, die laubachische ausgenommen, aber auch alle zugleich Nassauische. Es wird also wenigsten Vorsicht nöthig seyn.1151 Die Beteiligung der Grafen an den Kreisangelegenheiten krankte also, ähnlich wie im Fall des Grafenvereins auch, öfter an ihrer erzwungenen oder gewollten Sparsamkeit und an so simplen Problemen wie einem Gesandten, der gleichzeitig zwei Ständen mit entgegengesetzten Interessen diente. Vor allem durch die ihm zufallenden Exekutivkompetenzen erlangte der Kreis für die Reichsgrafen von Solms-Rödelheim öfter ganz praktische Bedeutung, und zwar in mehreren Dimensionen, abhängig davon, ob sich die Exekution gegen sie selbst, Mitstände, die Untertanen oder „durchziehendes Gesindel“ richtete. Als z.B. der Wetterauer Grafenverein 1732 den Einsatz militärischer Mittel gegen zahlungsunwillige Mitglieder in Erwägung zog, bat man darum, dass der jeweilige Direktor da er die Execution nicht wohl selbsten verrichten kann [...] die hohen Creyß-ausschreibenden fürsten eines jeden Creyßes worin das zu exequiren stehende commembrum gelegen zulängliche Creyß-hülffe geziemend ersuchen zu dürffe.1152 Bereits 30 Jahre vorher hatten die Rödelheimer Regenten Ludwig und Ludwig Heinrich Erfahrungen mit einer gegen sie gerichteten Kreisexekution gemacht. Als sie ihrem Laubacher Vetter die diesem zustehende Huldigung in ihrer Grafschaft verweigerten, beauftragte Kaiser Leopold den kreisausschreibenden Fürsten damit, die Huldigung nach einer erneuten Frist notfalls gewaltsam durchzusetzen;1153 wie effektiv diese Maßnahme zumindest im Fall der kleinen Grafschaft Solms- Rödelheim war, zeigt die nur wenig später erfolgte Erklärung der beiden Grafen, demnach der beschehenen Remonstration ohngeachtet, dennoch mit der Execution fortfahren werden will, und Wir solchem Vorhaben zu wiederstehen nicht vermögen; alß müßen wir gezwungen alles, was man nur gegen unß verfügen will, geschehen lassen. Declariren unß diesemnächst, nicht die geringste Opposition vorzunehmen.1154 Offenbar zeigte der Druck durch den Kreis unmittelbar Wirkung. 1151 Auszug aus dem Schreiben des Rödelheimer Regierungsrats Binzer an Regierungsdirektor Usener in Lich vom 22.12.1788, HStAD F 24 A 350/13. 1152 Schreiben des Wetterauischen Grafenkollegiums an den Kaiser (o.D., ca. 1732), HStAD F 24 A 365. 1153 Vgl. Erlass Kaiser Leopolds an die Kreisausschreibenden des oberrheinischen Kreises vom 30.6.1701 (Kopie), HStAD F 24 A 52/2. 1154 Erklärung Ludwigs und Ludwig Heinrichs an die Exekutionskommission des oberrheinischen Kreises vom 16.11.1701, HStAD F 24 A 52/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 275 Zu allem Überfluss waren später auch noch die Kosten der Exekution i.H.v. 550 fl von beiden Kontrahenten zu begleichen.1155 Ein Fall, in dem durch die Rödelheimer Grafen eine Kreisexekution gegen widerständige eigene Untertanen eingesetzt worden wäre, wie dies in anderen Territorien durchaus geschah,1156 ist nicht bekannt. Hier bestanden Exekutionsausschüsse gegen Individuen oder Gemeinden i.d.R. aus wenigen eigenen Soldaten.1157 Hingegen war der Kreis für andere Aufgaben der inneren Sicherheit die wichtigste komplementäre Institution für die reichsgräfliche Landesherrschaft. Die fragmentierte und äußerst kleinräumige territoriale Struktur der Wetterau machte eine Zusammenarbeit der beteiligten Stände bei der Bekämpfung von Kriminalität und „fahrendem Volk“ praktisch unumgänglich, und der Kreis war das Gremium, das diese Zusammenarbeit koordinierte. Bei ihrer Verhaftung gab z.B. die Zigeunerin Ernstina Christina Weis zu Protokoll, es sei ihr verboten worden, das Gebiet des oberrheinischen Kreises zu betreten; da sie es dennoch getan habe, sei sie festgenommen und zu denen eben alhier gewesenen Creyß Tragonern geführet worden.1158 Die Dragoner des Kreises nahmen hier also sicherheits- bzw. ordnungspolizeiliche Aufgaben wahr; noch bemerkenswerter allerdings ist die Tatsache, dass Ernestina Christina nicht etwa das Betreten einer Grafschaft, sondern des oberrheinischen Kreisgebiets untersagt worden war. Hier wird sehr deutlich, dass der Kreis als Bezugsrahmen für Ordnung und Sicherheit offenbar eine große alltägliche Bedeutung besaß und mit der Aufsicht über die sich aufhaltenden Personen Aufgaben übernahm, die zunächst einmal eindeutig der Landeshoheit zugeordnet scheinen. Dafür war mit der Creyß-Poenal-Compagnie sogar ein eigenes Exekutivorgan eingerichtet worden, das durch die lokalen Obrigkeiten über für die innere Sicherheit relevante Entwicklungen zu unterrichten war und bei Bedarf eingeschaltet werden konnte.1159 Zusätzlich dazu wurden von Zeit zu Zeit durch die Kreisversammlung sog. „Generalstreifungen“ als konzertierte Aktionen gegen 1155 Vgl. Protokoll über die Schiedsverhandlungen zwischen Laubach und Rödelheim durch Löwenstein vom 26.11.1701, HStAD F 24 A 16/9. 1156 Zu einem Beispiel dafür im Solms-Braunfelser Amt Hungen 1715, wo Hanau durch die Entsendung von Bewaffneten eingriff, siehe TROßBACH, Bauernbewegungen, S. 89-91. 1157 Vgl. dazu Kapitel 3. 1158 Protokoll über die Vernehmung zweier Zigeunerinnen vor dem Amt Niederwöllstadt durch Amtmann Steffens vom 7.7.1731, HStAD F 24 C 277/8. 1159 Vgl. Schreiben des Amtmanns Daniel Steffens aus Niederwöllstadt an die Regierung Rödelheim vom 10.2. und 7.7.1731, HStAD F 24 C 277/8, sowie Gräfliches Dekret vom 25.6.1731 an Schultheiß Bausch zu Niederwöllstadt, HStAD F 24 C 277/8, mit der Anweisung, Zigeuner dem Craiß Lieutenant anzuzeigen und diesen bei seiner Arbeit zu unterstützen. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 276 Räuber und Diebsbanden beschlossen, so z.B. 1777 auf Antrag von Isenburg- Meerholz,1160 an denen sich außer der regulären Poenal-Kompanie auch Kreismilitär und Landmilizen der betroffenen Territorien zu beteiligen hatten, und zwar ausdrücklich ohne Rücksicht auf die Grenzen1161. Folgerichtig waren die Kreise und nicht etwa die reichsgräflichen Landesherren Ansprechpartner für den Kaiser in Sicherheitsfragen. Als Joseph II. 1772, weil uns und gesamtem Reich hingegen sowohl, als auch einem jeden Stand des Reichs, insbesondere an Sicherheit der Strassen, Posten, und des unentbehrlichen Brief- Wechsels äußerst gelegen ist, den Ständen eine bessere Aufsicht über die Verkehrswege befahl,1162 zeigte sich die Rödelheimer Regierung überzeugt, dass wann die sache bey hlöb. oberrhein. Creyß vorkommet, sich ein jeder hohe Mitstand daraus zu richten wissen wird.1163 Und tatsächlich fasste der Kreis offenbar kurz darauf den Beschluss, daß zu Erhaltung offent. Sicherheit, die bereits im Jahr 1748 emanirte poenal-sanction zusamt dem Straf-Edict de 9ten Mart. 1769 in aller hohen Ständen Landen, wieder auf das neue publiciret werden sollen.1164 Diese Publikation wurde darauf hin durch die Regierung den Amtsträgern in den Rödelheimer Gemeinden aufgetragen.1165 Insgesamt übernahm der Kreis also für die Reichsgrafen vor allem zentrale Funktionen in der inneren und äußeren Sicherheit. Er war gleichermaßen Ausdruck einer Tendenz im Reich, die Friedens- und Rechtswahrung durch die Stärkung semizentraler Ebenen zu regionalisieren,1166 und der Notwendigkeit für die Reichsstände, angesichts einer Region mit derart heterogenen Herrschaftsstrukturen und einer so großen territorialen Fragmentierung wie in der Wetterau in bestimmten Angelegenheiten eng zu kooperieren. Eine Strafexpedition eines einzelnen Landesherren beispielsweise wäre hier vollkommen sinnlos gewesen, da jedes 1160 Vgl. „Geheimbericht“ der Regierung Isenburg-Meerholz an Rödelheim vom 30.10.1777, HStAD F 24 A 1133/15. 1161 Schreiben der Regierung Rödelheim an Amtmann Dietzsch in Friedberg vom 4.11.1777, HStAD F 24 A 1133/15. 1162 Erlaß Kaiser Josephs II. durch Fürst Colloredo vom 13.3.1772, HStAD F 24 A 1133/15. 1163 Stellungnahme eines ungenannten Amtsträgers der Regierung Rödelheim vom 17.6.1772, HStAD F 24 A 1133/15. 1164 Erlass der Regierung Rödelheim an sämtliche Amtmänner vom 20.10.1772, HStAD F 24 A 1133/15. 1165 Vgl. ebd. 1166 Neben den Reichskreisen können z.B. auch kaiserliche Kommissionen dazu gezählt werden, vgl. ULLMANN, Kommissionen, in: Zeitenblicke 3 (2004). Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 277 „verdächtige Subjekt“ ein paar hundert Meter weiter auf dem Gebiet eines anderen Landesherren sicher gewesen wäre. Der oberrheinische Reichskreis war für die Rödelheimer Grafen aber noch mehr als das, denn er bot Ihnen persönlich die Möglichkeit, sich als militärische Führer zu erweisen und ihre Einkünfte aufzubessern. Zwar ging es selten um einen so angesehenen Posten wie das Kommando über ein ganzes Regiment,1167 aber zumindest die Hauptmannsstelle der Solms-Laubacher und Rödelheimer Kompanie war regelmäßig zu besetzen, die nach 1715 immerhin 60 fl pro Monat einbrachte.1168 Sie konnte ggf. sogar zum Ausgangspunkt einer weiteren militärischen Karriere werden, wie die Bemühungen Graf Johann Ernst Karls zeigen,1169 und wurde genutzt, um das Image des siegreichen Kriegers zu pflegen – selbst dann, wenn die militärischen Erfolge nur in homöopathischen Dosen nachweisbar waren.1170 Die Ende des 17. Jahrhunderts projektierte Kreisassoziation zum Aufbau einer wirklich leistungsfähigen Militärorganisation und als Gegengewicht zu den mächtigen armierten Ständen war letztlich kein durchschlagender Erfolg gewesen.1171 Zudem handelte es sich hier nicht wie im Fall des Hauses oder des Grafenvereins um mehr oder minder freiwillige, sondern um durch die Reichsverfassung vorgegebene Delegierung zentraler Aufgaben und Kompetenzen. Trotzdem aber erweist sich der oberrheinische Reichskreis funktional als wichtige Komponente innerhalb des auf der Delegation von Funktionen basierenden Systems reichsgräflicher Landesherrschaft. Denn er bot ihr regionalen Rückhalt, militärischen Schutz und eine politische Perspektive über den fernen Reichstag hinaus.1172 MOSERs zum Zweck der Kreisverfassung getroffene Feststellung, daß die allerwenigsten Stände des Reichs (selbst Chur- und Fürsten nicht ausgenommen) im Stande seyen, sich und ihre Lande auch nur gegen eine kaum mittelmäßige inner- und äußerliche Gewalt mit eigenen Kräften zu schützen,1173 und zwar militärisch wie politisch, galt zwar grundsätzlich für alle Reichs- bzw. Kreisstände. In ganz besonderem Maße aber 1167 Zur Bewerbung von Solms-Braunfels s.o. 1168 Vgl. Zahlungsbelege für das Solms-Rödelheimische Kreiskontingent für September 1715, HStAD F 24 B 402/4. 1169 Vgl. Schreiben Graf Christian Augusts von Solms-Laubach an Graf Johann Ernst Karl von Solms- Rödelheim vom 17.6.1743, HStAD F 24 A 218/4. 1170 Vgl. Personalia des verstorbenen Grafen Johann Ernst Karl von Solms-Rödelheim vom 31.1.1790 (Vorlage für die Leichenpredigt der Pfarrer), HStAD F 24 A 1391. 1171 Vgl. SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 226-227. 1172 Vgl. zur Bedeutung der Reichskreise für Grafschaften insgesamt auch PRESS, Reichsgrafenstand und Reich, S. 8. 1173 MOSER, Von der Landes-Hoheit in Justiz-Sachen, S. 15. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 278 galt sie für die Kleinsten, die noch viel stärker auf eine Kooperation angewiesen waren. 5.2 Innerterritoriale Mediatgewalten Während bisher mit Haus, Grafenverein und Kreis die Komplementärinstitutionen reichsgräflicher Landesherrschaft außerhalb der Grafschaft untersucht worden sind, ist nachfolgend zu fragen, inwiefern auch innerterritorial Ebenen existierten, die an der Praxis von Landesherrschaft beteiligt waren. Angesichts des Fehlens von landsässigem Adel, Landständen oder einer Landschaft,1174 die nach hergebrachter Auffassung gemeinsam mit dem Landesherren Herrschaft ausübten, ist die Ebene innerterritorialer Mediatgewalten bei den korporativ organisierten Untertanen, d.h. bei der Gemeinde als politisch handlungsfähigem und –willigen Verband, zu suchen. Nach einer Untersuchung der Gemeindeversammlung als zentralem Gremium und der wichtigsten Ämter im Dorf jeweils auf ihre besondere Stellung im Spannungsverhältnis zwischen Loyalität und Gehorsamspflicht dem Landesherrn gegenüber und Autonomie bzw. eigenen Interessen des „Gemeinen Mannes“ soll dann gefragt werden, in welchen Bereichen die Gemeinden vor allem politisch oder sozial tätig wurden, wie sie also komplementär zur Landesherrschaft wirkten, und welche Strategien sie dabei entwickelten, sich gegenüber der Obrigkeit durchzusetzen. 5.2.1 Die Gemeindeversammlung im Spannungsfeld von Nachbarn und Herrschaft Die Gemeindeversammlung war das zentrale Gremium, in dem die Gemeindemitglieder ihre Interessen abglichen und formulierten sowie die wichtigsten Entscheidungen berieten und abstimmten. Grundsätzlich versammelten sich hier die „»Nachbarn« als exklusiver Verband der Haushaltsvorstände“,1175 1174 Vgl. Kapitel 2. 1175 HEIDE WUNDER, Artikel "Bauern", in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit (1), Stuttgart / Weimar 2005, S. 1028-1044, hier S. 1042. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 279 womit grundsätzlich neben Männern auch Frauen eingeschlossen waren, sofern die männlichen Vorstände verhindert waren oder sie z.B. als Witwen oder auch Erbinnen selbst einen Haushalt führten.1176 Ihre Zusammenkunft fand wie andere Versammlungen auch1177 auf einen Aufruf der Bürgermeister hin üblicherweise im Wirtshaus statt, wahrscheinlich schon deshalb, weil dort mit der Schankstube ein ausreichend großer Raum zur Verfügung stand.1178 In Fauerbach etwa versammelte man sich z.B. vorzugsweise in des Wirth. Rudolph Ernsten Hauß.1179 In diesem Gremium wurden die wichtigsten Fragen des Gemeindelebens diskutiert und, wenn Entscheidungen zu treffen waren, abgestimmt. So wurde etwa die personelle Organisation des Brandschutzes, die eine gemeindliche Angelegenheit war, durch die Gemeindeversammlung geregelt; in Fauerbach wurden anlässlich einer Versammlung 1775 vier neue Rotten aus je 13 Christen und drei Juden bestimmt, die jeweils durch einen Rottmeister geführt wurden und in Feuers Gefahr im Dorf und den Nachbarorten die Brandbekämpfung übernahmen.1180 Bei Wahlentscheidungen galt in der Regel das Mehrheitswahlrecht: Feldschützen beispielsweise, die die Aufgaben der Feldpolizei in der Dorfgemarkung wahrnahmen, wurden üblicherweise von der Gemeind durch die meisten Stimmen angenommen1181 und erst danach in Rödelheim durch einen Vertreter der Regierung vereidigt. Die Formulierung „Von der Gemeind ... angenommen“ zeigt, dass die Gemeindeversammlung also nicht die Gemeinde repräsentierte, sondern die Gemeinde war; beide Bezeichnungen wurden synonym verwendet. Die dort gefassten Beschlüsse waren im Normalfall sowohl für die Gemeindemitglieder als auch für die Regierung bindend. Da legitime Gemeindebeschlüsse prinzipiell nicht diskutabel waren, weil dies zu offenen und heftigen Konflikten mit den Gemeindemitgliedern führen musste, setzte sich die gräfliche Regierung nur in Ausnahmefällen darüber hinweg. Die übliche 1176 Auf dem in einer Gemeindeversammlung Fauerbachs 1772 angelegten Hebzettel für Römermonatsgelder, das einen Großteil der Teilnehmer repräsentierte, ist neben zwei ausdrücklich als Witwen bezeichneten Frauen mit Anna Sybilla Rudolph auch eine Frau zu finden, über deren Status keine weiteren Informationen erhalten sind, vgl. Eigenes Römermonatsregister Fauerbachs 1772, HStAD F 24 A 161/2. 1177 Z.B. die Versteigerung des Gemeinen Heus. 1178 Vgl. u.a. Protokoll der Aussage des Einnehmers Basler zu Fauerbach durch Regierungssekretär. Birkel vom 22.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1179 Bericht des Fauerbacher Schultheissen Johannes Philippi an die Regierung Rödelheim vom 3.1.1775, HStAD F 24 A 161/1. 1180 Vgl. Bericht des Schultheißen Philippi vom 3.1.1775, HStAD F 24 A 161/1. 1181 Bericht Amtmann Maleys an die Regierung Rödelheim über die Vernehmung der Bürgermeister und Vorsteher Fauerbachs und Ossenheims vom 25.1.1776, HStAD F 24 A 161/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 280 Strategie bestand vielmehr darin, die Legitimität anzuzweifeln. Wann eine Versammlung von Dorfbewohnern eine Gemeindeversammlung war und wann sie beanspruchen konnte, die ganze Gemeinde zu repräsentieren, war deshalb heftig umstritten. In Folge der Auseinandersetzung zwischen der gräflichen Regierung in Rödelheim und der Gemeinde Fauerbach um die Eintreibung der Monatsgelder wurden die 1770 amtierenden Bürgermeistern Johann Georg Linsenmeyer und Reinhard Thomas durch Regierungssekretär Birkel im März 1772 zu den ihnen vorgeworfenen Verfehlungen verhört. Weil in den Protokollen dieses Verhörs nicht nur das obrigkeitliche Verständnis von Gemeinde zum Ausdruck kommt, sondern sie auch einen seltenen Blick auf das gemeindliche Selbstverständnis eröffnen, weil die Aussagen der Beschuldigten wörtlich protokolliert und anschließend von ihnen unterschrieben wurden, sollen sie hier auszugsweise wiedergegeben werden: Nachdem sich Constitut [Reinhard Thomas, T.B.] in den Verhör bey denen meisten fragen auf die Gemeinde bezogen, so wurde derselbe Constituiret, wem er durch die Gemeinde verstehe; so erwiderte derselbe, daß er die gantze Gemeinde darunter verstehe. Wie er so impertinent u. frech einen Beamten in das Angesicht lügen könnte, zur Zeit die mann gewiß versichert, daß wenigstens 10 der ersten dasigen Unterthanen, weder bey denen zusammenkünfften sich einfänden, noch in dergleichen rebellischen Absichten coivirten? Er verstünde unter denenjenige, die bey dieser Zusammenkunft gewesen, die gantze Gemeinde. Wo die anmaßliche Gemeinde beysammen gewesen? Bei dem Rudolph Ernst [dem Fauerbacher Wirt, T.B.].1182 Für Birkel als Vertreter der gräflichen Regierung war die „ganze Gemeinde“ die Gesamtheit aller in Fauerbach ansässigen stimmberechtigten Untertanen. Deshalb hatte es sich in seinen Augen bei der Zusammenkunft bei Rudolph Ernst lediglich um eine beliebige Versammlung gehandelt, nicht aber um eine reguläre Gemeindeversammlung; diese „anmaßliche Gemeinde“ besaß in seinen Augen keinerlei Legitimität. Dem gegenüber hatte Reinhard Thomas eine ganz andere Definition: für ihn wie für seinen Kollegen Linsenmeyer1183 wurde die Gemeinde konstituiert durch die in der Versammlung anwesenden Personen, also durch den 1182 Vernehmungsprotokoll der ehemaligen Bürgermeister Fauerbachs durch Regierungssekretär Birkel ab dem 31.3.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1183 Vgl. ebd., Vernehmungsprotokoll Johann Georg Linsenmeyers vom10.4.1772. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 281 Teil der stimmberechtigten Dorfbewohner, der von seinem Stimmrecht tatsächlich Gebrauch machte. Dass offenbar zehn der ersten, also der begütertsten Einwohner nicht teilnahmen, war für ihn ohne Belang, denn die Legitimität und Beschlussfähigkeit der Gemeindeversammlung war für Thomas nicht von der Vollzähligkeit1184 und erst recht nicht vom materiellen Besitz oder Status der Versammelten abhängig, sondern einzig davon, ob die Versammlung sich selbst als „die Gemeinde“ begriff und durch Beratung und Abstimmung politisch handelte. Noch einen Schritt weiter gingen die Fauerbacher „Rebellen“ im Streit um die Versteigerung des Gemeinen Heus 1774, bei der sich ein Bürgermeister über die ausdrücklichen Anordnungen der Rödelheimer Regierung hinweggesetzt hatte. Einige Fauerbacher aber waren mit dieser offenkundigen Widersetzlichkeit nicht einverstanden und äußerten Protest. Daraufhin hatte die Versammlung einen gemeinen Schluß gemacht und schrifftlich auf gezeiget, wer ein getreuer Gemeinds Mann will sein in der Gemeinde, der soll sein nahmen untter schreiben so wollen sie das gemeine Graß untter sich vertheilen und ein Erntten, das diejenige die sich nicht unter schreiben wolten sollten kein theil haben, als an dem gemeinen Weiden Holz auch.1185 Wer eine andere Meinung vertrat als die Mehrheit der Versammelten und nicht unterschrieb, der sollte den Status des „getreuen Gemeindsmannes“ verlieren und nicht länger am Gemeindeeigentum partizipieren. Mit dem schärfsten Mittel, das ihr neben körperlicher Gewalt zur Verfügung stand, nämlich mit der Exklusion der Abweichler aus dem dörflichen Wirtschafts- und Sozialverband, versuchte die Mehrheit ein geschlossenes Vorgehen zu erreichen. Denn einmütiges Vorgehen war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Widerstand gegen die Landesherrschaft überhaupt Aussicht auf Erfolg besaß, jedes Ausbrechen aus dem Verband konnte der Obrigkeit einen Ansatzpunkt bieten, ihren Einfluss im Dorf zu vergrößern. Dem entsprechend harsch reagierte die Mehrheit auf einzelne Abweichler: weil sie mit der Amtsführung ihrer beiden Feldschützen Gerhard Wagner und Gerhard Holler nicht einverstanden waren, bestimmten die Fauerbacher 1775 in einer ursprünglich zum Hirtendingen, also der Bestellung der 1184 Anders TROßBACH, Bauern 1648 – 1806, S. 22, der die Anwesenheitspficht als wichtigste Pflicht der Gemeindemitglieder bei Gemeindeversammlungen bezeichnet und weiter ausführt, sie sei „streng kontrolliert“ worden. 1185 Vgl. Bericht des Einnehmers Basler über die Vorgänge an die Regierung Rödelheim vom 16.6.1774, HStAD F 24 A 161/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 282 Viehhirten,1186 vorgesehenen Gemeindeversammlung kurzerhand durch Los zwei neue Feldschützen.1187 Die bisherigen Funktionsträger waren jedoch nicht bereit, ihren mit einer attraktiven Besoldung verbundenen Dienst1188 ohne weiteres aufzugeben, sondern suchten Rat und Unterstützung bei der Regierung in Rödelheim1189 und befolgten darüber hinaus weiterhin genau deren Befehle,1190 statt sich dem Willen der Gemeindeversammlung zu beugen. Damit stellten sie sich gegen die Mehrheit der Nachbarn, was für sie schwerwiegende Konsequenzen hatte: zunächst kam eine Abordnung der Gemeinde in ihr Haus und verbot ihnen, weiterhin auf die Felder zu gehen.1191 Wenige Tage später gaben Wagner und Holler zu Protokoll, dass sie durch eine Gruppe von 12 mit Stöcken bewaffneten Dorfbewohnern gewaltsam vom Feld vertrieben worden seien. Sie betonten die Unmöglichkeit, unter diesen Umständen weiter Dienst zu tun, und baten um Unterstützung aus Rödelheim. Holler überlegte sogar, den Dienst zu quittieren, da er und seine Familie einschließlich seiner Kinder im Dorf großem Druck ausgesetzt seien.1192 Aus Rödelheim kam jedoch keine Hilfe außer dem Befehl an Amtmann Maley in Assenheim, der renitenten Gemeinde 100 fl und den beiden Vorstehern Bernhard Bott und Johannes Sang 30 bzw. 20 fl Strafe aufzuerlegen,1193 wovon sich die Betroffenen weitgehend unbeeindruckt zeigten.1194 Im Jahr darauf berichtete dann Amtmann Maley aus Assenheim nach Rödelheim, dass Wagner und Holler zu der Gemeind, da sie von solcher abgegangen, nicht mehr gehörten und die neuen 1186 Vgl. Artikel "Dingen", in: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Kuenste (7), Leipzig / Halle 1734, S. 952: „Dingen heist einen um Lohn bestellen und zu seinem Dienst annehmen“. 1187 Vgl. Bericht des Fauerbacher Schultheissen Johannes Philippi an die Regierung Rödelheim vom 3.1.1775, HStAD F 24 A 161/1. 1188 In einer Anzeige der Feldschützen Soltz (Bauernheim) und Wagner/Holler (Fauerbach) vom 8.10.1775 über den ihnen entstandenen Schaden an Besoldungsfrucht, HStAD F 24 A 161/1, beziffern die beiden Fauerbacher die ihnen entgangene Besoldung für zehn Monate auf über 3 Fuder Korn, 30 Garben Gerste, 2 ½ Fuder Hafer und 10 fl. 1189 Vgl. einen kleinen Zettel in HStAD F 24 A 161/1: under dänige knechte bite ihro gnädige landes Vatter sie möchden doch sogut sein wie wier uns zu verhalden haben mit unserm fassel ochsen und mit dem hinaus gehen ins felt und anden schuldeis einen befehl er gehen lassen wie wir sich zu verhalten haben. Fauerbach den 16. feber 1775 wagner 1190 Vgl. gräfliches Dekret an die Feldschützen Holler und Wagner vom 8.5.1775, HStAD F 24 A 161/1, in der sie aufgefordert werden, weiterhin ihren Dienst wie gewohnt zu verrichten. 1191 Vgl. Protokoll der Aussage der Fauerbacher Feldschützen Wagner und Rudolph vom 10.1.1775, HStAD F 24 A 161/1. 1192 Vgl. Protokoll der Aussage der Fauerbacher Feldschützen Wagner und Rudolph vom 21.1.1775, HStAD F 24 A 161/1. 1193 Vgl. Gräfliches Dekret an Amtmann Maley vom 19.6.1775, HStAD F 24 A 161/1. 1194 Vgl. Bericht der Feldschützen Wagner und Holler nach Rödelheim vom 11.5.1775, HStAD F 24 A 161/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 283 Feldschützen nach wie vor ihren Dienst verrichteten.1195 Wahrscheinlich hatten sich Wagner und Holler also dem Druck gebeugt und mit ihren Familien das Dorf verlassen, während den Quellen für die Folgezeit über den weiteren Feldschützendienst in Fauerbach oder den Ausgang des Konflikts nichts zu entnehmen ist. Offenbar war jedoch das ursprüngliche Ziel der renitierenden Gemeindemitglieder, nämlich die Entfernung der beiden bisherigen Amtsinhaber aus dem Amt, trotz ihres eigenen Widerstands und trotz Unterstützung aus Rödelheim nicht nur erreicht, sondern durch ihren Wegzug sogar noch übertroffen worden. Die Beispiele zeigen, wie die Legitimität der Gemeindeversammlung unterschiedlich definiert wurde, immer abhängig von der Perspektive des Betrachters, und wie Mehrheiten versuchten, die Gemeinde zur Durchsetzung ihrer Interessen zu instrumentalisieren, wobei sie – wo vorhanden – die interne Opposition ausschalteten, um die Position der Gemeindeversammlung zu stärken. Denn nur wo es der Landesherrschaft gelang, Gemeindemitglieder an sich zu binden und aus der Interessengemeinschaft herauszulösen, wie es z.B. durch die Vergabe attraktiver Ämter geschah, da besaß sie einen Zugriff auf die Gemeindeversammlung. Alle Versuche, auf anderem Weg Einfluss zu gewinnen, konnten letztlich nicht erfolgreich sein. Ein Beispiel dafür ist das Dekret der Regierung, dem zufolge eine Versteigerung des gemeinen Heus in den Gemeinden Fauerbach, Ossenheim und Bauernheim nur noch durchgeführt werden dürften, wenn sie offiziell angekündigt worden und ein gräflicher Amtsträger anwesend sei.1196 Dieser Versuch, Gemeindeangelegenheiten obrigkeitlicher Kontrolle zu unterwerfen, scheiterte grandios: zunächst beriefen in den folgenden Jahren die Bürgermeister von Fauerbach und Ossenheim die Versammlungen heimlich ein und versteigerten das Heu unter sich;1197 erst nachdem gegen die renitierenden Gemeindeleute mit Geldstrafen, aber auch Arrest und Schanzarbeit vorgegangen worden war,1198 konnte in Ossenheim eine „offizielle“ Versteigerung in Anwesenheit des Amtmanns Maley stattfinden, bei der zwar Gemeindemitglieder zugegen waren, sich aber trotz aller Bemühungen kein Käufer für das Heu finden ließ – die Anwesenden boykottierten 1195 Bericht des Amtmans Maley an die Regierung Rödelheim vom 25.1.1776, HStAD F 24 A 161/1. 1196 Vgl. Erlaß der Regierung Rödelheim an die Schultheißen zu Ossenheim, Fauerbach und Bauernheim vom 8.6.1773, der sich auf ein älteres Dekret bezieht. 1197 Vgl. Bericht des Fauerbacher Schultheißen Hollers vom 17.6.1773, Bericht des Fauerbacher Einnehmers Basler vom 16.6.1774, alles HStAD F 24 A 161/2, sowie Bericht des Amtsoberschultheißen Keller zu Ossenheim vom 17.8.1772, HStAD F 24 C 309/8. 1198 Vgl. Regierungsdekret gegen vier Untertanen zu Ossenheim vom 5.1.1773, HStAD F 24 C 309/8. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 284 die Versteigerung.1199 Wohl weil sie die Sinnlosigkeit ihres Tuns erkannte, gab die Regierung alle weiteren Versuche auf; das Heu wurde in den folgenden Jahren wieder selbstständig durch die Bürgermeister versteigert. Herrschaft funktionierte in der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim eben nicht ohne den Konsens und die aktive Mitarbeit der Beherrschten. Diese wiederum verfügten mit dem „Herkommen“ über ein Kriterium, mit der sich missliebigen Veränderungen und allzu weit reichenden Ambitionen der Regierung argumentativ begegnen ließ. 5.2.2 Loyalität und Ämterbesetzung Deshalb war die Besetzung der Ämter im Dorf ein Politikum und immer wieder heftig umstritten – es ging eben um mehr als einen einfachen administrativen Akt, sondern es ging um Fragen der Macht und Herrschaft, um Kompetenz und Loyalitäten. Gerade bei Ämtern, deren Besetzung im Zusammenwirken von Gemeinde und Landesobrigkeit erfolgte, war es im Konfliktfall keineswegs sicher, wem die Loyalität der Amtsträger tatsächlich galt, wie das Beispiel der oben erwähnten ehemaligen Fauerbacher Bürgermeister Thomas und Linsenmeyer zeigt. Als Bürgermeister hatten sie ein durch die Gemeinde besetztes Amt inne, mussten aber nach ihrer Wahl in Rödelheim einen Eid auf den Reichsgrafen ablegen und sich zu Gehorsam der Regierung gegenüber verpflichten.1200 Dem Vernehmungsprotokoll zu Folge, in dem ihre Aussagen zur Eintreibung der aus ihrer Amtszeit im Jahr 1770 rückständigen Monatsgelder im Jahr 1772 festgehalten wurde, hatte die Gemeinde sie beauftragt, diese Gelder zu erheben; Kammerassessor Hemmerich und Regierungssekretär Birkel jedoch hatten ihnen im persönlichen Gespräch jedoch ausdrücklich verboten, bei schwerer hochherrsch. Strafe, mit keiner weitern Geld Einnahm sich zu vermengen.1201 Da sie es dennoch taten und die Beträge selbst erhoben, lief es für den vernehmenden Regierungssekretär auf die einfache Frage hinaus, ob sie denn also gegen den geschworenen Bürgermeister Eyd lieber offenbahr handeln, u. die herrsch. Befehle verachten, als dasjenige zu vollziehen, was ihnen von der Gemeinde, an welche sie weder verpflichtet noch verbunden sind, 1199 Vgl. Bericht des Ossenheimer Schultheißen Stumpf vom 29.6.1773, HStAD F24 C 309/8. 1200 Vgl. Vernehmungsprotokoll der ehemaligen Bürgermeister Fauerbachs durch Regierungssekretär Birkel ab dem 31.3.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1201 Ebd. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 285 auffgegeben wird?1202 Linsenmeyer konnte diese Frage unzweideutig beantworten: Was die Gemeinde abschliesse, das müssten sie vollbringen, weilen sie Bürgermeister sind.1203 Seine ungeteilte Loyalität als Bürgermeister galt also ungeachtet eines Eides auf die Obrigkeit der Gemeinde, und zwar auch noch Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit, wenn der fragliche Vorgang sich auf diese Zeit bezog. Eine zusätzlichen Hinweis gab sein Kollege Thomas, der auf die gleiche Frage antwortete: Er wäre ein Schmied seiner profession, u. müste sich mit der Gemeinde halten.1204 Denn über die rein rechtliche Frage der Weisungsbefugnis hinaus war ein Bürgermeister wie ein Schultheiß auch sozial und wirtschaftlich in die Gemeinde eingebunden und war schon von daher einem gewissen Druck ausgesetzt, wie die Repressionen gegen die Feldschützen bereits gezeigt haben. Weil es aber völlig undenkbar gewesen wäre, einen relativ unabhängigen Auswärtigen mit einem Gemeindeamt zu betrauen, stieß die Landesherrschaft an dieser Stelle immer wieder an die Grenzen ihrer Durchsetzungsfähigkeit: die Loyalität der lokalen Amtsträger, die für die Umsetzung bestimmter Maßnahmen vor Ort unbedingt erforderlich war, galt oft mehr den Nachbarn als der Obrigkeit. Deshalb blieb dieser nur der Versuch, zumindest die Besetzung der Ämter so weit wie möglich selbst vorzunehmen, um die Bindung der Amtsträger an Graf und Regierung auf diese Weise zu verstärken und von Anfang an die Wahl von Unruhestiftern zu verhindern. Weil man das in Rödelheim bereits früh erkannt hatte und dem entsprechend agierte, die Gemeinden aber nicht bereit waren, diese Versuche zuzulassen, sondern im Gegenteil stets bestrebt waren, die Stellen soweit möglich selbst zu vergeben, ziehen sich heftige Auseinandersetzungen um die Ämterbesetzung wie ein roter Faden durch die Geschichte der Reichsgrafschaft im 18. Jahrhundert. Als Beispiel sollen erneut die Dörfer im Amt Assenheim dienen. 1747 war die Stelle eines Feldgeschworenen oder „Landschieders“ in Ossenheim und Bauernheim, die sich ein Feldgericht teilten, durch einen Todesfall vakant geworden. Das Feldgericht wählte nun mit Johann Paul Braun einen Nachfolger und ersuchte durch Amtskeller Schäfer nach bißheriger Observanz um eine Vereidigung auf dem Amt.1205 Die Regierung jedoch befahl, Schäfer solle mehrere taugliche Männer benennen, aus denen dann einer in Rödelheim ausgesucht und verpflichtet werden 1202 Ebd. 1203 Ebd. 1204 Ebd. 1205 Vgl. Bericht des Amtskellers Schäfer an die Regierung Rödelheim vom 19.5.1747, HStAD F 24 C 309/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 286 solle,1206 und ließ sich auch durch die Bemühungen des Bauernheimer Schultheißen Keller nicht umstimmen, der zunächst nach Rödelheim schrieb, es sei schon immer üblich gewesen, dass das Feldgericht den neuen Geschworenen auswähle,1207 und dann den ausgewählten Braun zur Vereidigung dorthin schickte; man beharrte darauf, drei Kandidaten genannt zu bekommen,1208 was der Amtskeller Schäfer dann auch tat, jedoch nicht ohne zu betonen, dass Schultheiß und Feldgericht auf der Observanz beharrten und Braun durch das Feldgericht bereits in Handgelöbnis genommen worden sei und die Feldgerichts-Heimlichkeiten schon mitgeteilt habe.1209 Wegen dieser Widersetzlichkeit wurde zwar eine Strafe von sechs Gulden verhängt, letztlich aber ein Kompromiss geschlossen, indem der bereits durch das Feldgericht gewählte Braun auch durch die Regierung ausgewählt und im März 1748 in Rödelheim vereidigt wurde.1210 An dieser Stelle zeigt sich deutlich, wie die Herrschaftspraxis der Reichsgrafen und ihrer Administration auf lokaler Ebene eben nicht durch eine „absolutistische“ Regierung, sondern durch kommunikative Aushandlungsprozesse und – bei allem gegenseitigen Misstrauen – durch ständige wechselseitige Zugeständnisse bestimmt war. Einen Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen um die Besetzung von Gemeindestellen im Amt Assenheim nach 1770; dort bestritten wie oben geschildert die Gemeinden das Recht der Landesherren auf Bestellung der Feldschützen, denen die Feld- und Wegepolicey oblag.1211 Zur Begründung gaben sie ihre Unzufriedenheit mit der Arbeit der Amtsinhaber in den durch Fouragierungen und Zerstörungen durch französische Soldaten schwer beschädigten Feldern an – ein Vorwurf, der offenbar auch schon in der Vergangenheit erhoben worden war.1212 Die richtige Auswahl geeigneter Leute trauten sie, denen alle potentiellen Kandidaten persönlich bekannt waren, sich selbst sehr viel eher zu als der Obrigkeit. 1206 Vgl. Schreiben der Regierung Rödelheim an Amtskeller Schäfer vom 11.7.1747, HStAD F 24 C 309/2. 1207 Vgl. Schreiben Philipp Kellers, Schultheiß zu Bauernheim im Namen des ganzen Feldgerichts vom 30.10.1747, HStAD F 24 C 309/2. 1208 Vgl. Schreiben der Regierung Rödelheim an Amtskeller Schäfer vom 13.11.1747, HStAD F 24 C 309/2. 1209 Schreiben des Amtskellers Schäfer an die Regierung Rödelheim vom 30.11.1747, HStAD F 24 C 309/2. 1210 Vgl. Protokoll über die Vereidigung Brauns durch Regierungsrat Gemeinhard vom 7.3.1748, HStAD F 24 C 309/2. 1211 Was dazugehörte, zählt FISCHER, Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Policeyrechte, S. 699 ff. auf: Kontrolle von Weide- und Hüteordnung, Erhaltung und Besserung der Wege und Straßen, Aufstellen von Wegweisern, Aufsicht über Gräben, Raine und Hecken usw. 1212 Vgl. Bericht Amtskeller Schäfers an die Regierung Rödelheim vom 8.3.1760, HStAD F 24 A 161/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 287 Im Zentrum des heftigen Konflikts standen in dieser wie in vielen anderen Situationen die Bürgermeister, die einerseits den Willen ihrer Gemeinden in der Regel loyal umsetzten wie im Fall der Einziehung der rückständigen Monatsgelder, andererseits als exponierte Akteure in der Gemeindeversammlung und im dörflichen Leben an der Bildung dieses Willens maßgeblich beteiligt waren. Der Versuch der Landesherrschaft lag also nahe, auch die Auswahl der Bürgermeister an sich zu ziehen. In Fauerbach hatte die Gemeinde im Sommer 1772 zwei neue Bürgermeister gewählt, diese aber hatten sich nicht nur der üblichen Vereidigung in Rödelheim entzogen, sondern amtierten sogar gegen den ausdrücklichen Befehl der Regierung, die den gewählten Anthon Rudolph und seinen Kollegen zu den „Rebellen“ rechnete.1213 Der Fauerbacher Einnehmer Basler erhielt daraufhin den Befehl, zwei ehrliche Leuthe zu benennen, die man mit dem Amt betrauen könne. Er nannte Andreas Günther und Anton Büllasch, die daraufhin durch die Regierung zu Bürgermeistern bestellt wurden. Für diesen bemerkenswerten Vorgang, bei dem die Front zwischen renitierenden Gemeindemitgliedern und Landesherrschaft quer durch die Fauerbacher Einwohnerschaft lief und zwei konkurrierende Bürgermeisterpaare amtierten, fehlt beinahe jede weitere Überlieferung. Es existiert lediglich ein Bericht Birkels vom Februar 1773 derer Renitenten zu Fauerbach Ungehorsam gegen die daselbst recipirten Bürgermeister betr[effend], in dem er sich auf Beschwerden des „gräflichen“ Bürgermeisters Andreas Günther über fortgesetzten Ungehorsam eines großen Teils der Gemeindemitglieder bezieht. Birkel schlug vor, den Schultheißen Holler, der bislang trotz anders lautender Instruktionen nicht in den Konflikt eingegriffen hatte, ernsthaft zur sofortigen Erfüllung seiner Pflichten zu ermahnen. Offensichtlich also gelang der Regierung die Durchsetzung ihrer Vorstellungen auch mittels der herrschaftlich eingesetzten Bürgermeister nicht. Wenige Monate später wurde mit Hildebrand Brückmann eine der Hauptpersonen des Widerstands zum neuen Bürgermeister gewählt,1214 eine erneute obrigkeitliche Bestellung erfolgte nicht. Die Versuche Graf Wilhelm Karl Ludwigs und seiner Regierung, sich durch die Besetzung gemeindlicher Ämter die Loyalität der Inhaber zu sichern und mehr Unterstützung für die eigene Politik vor Ort zu gewinnen, scheiterte letztlich an der strikten Weigerung des größeren Teils der Gemeinde, den Befehlen dieser als 1213 Vgl. Bericht des Einnehmers Basler an Regierungssekretär Birkel vom 24.7.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1214 Bericht Schultheiß Hollers an die Regierung Rödelheim vom 17.6.1773, HStAD F 24 A 161/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 288 oktroyiert empfundenen Amtsträger Folge zu leisten, und auch an der Tatsache, dass der Schultheiß wegen seiner eigenen Eingebundenheit im Dorf und seiner verwandtschaftlichen Beziehungen als Korrektiv ausfiel. 5.2.3 Solidarität und soziales Programm in den Gemeinden Die Frage stellt sich, ob sich hinter der Politik und Widerständigkeit der Gemeinden ein wiederkehrendes Muster, ein auf einen Nenner zu bringendes und über das allgemein erkennbare Motiv der Abwehr zu großen obrigkeitlichen Einflusses und Wahrung größtmöglicher gemeindlicher Autonomie hinausgehendes Ziel erkennen lässt. Betrachtet man den weiteren Verlauf der oben geschilderten Auseinandersetzung um die Besetzung der Feldschützenstellen in Fauerbach und die vorgebrachten Argumente, dann wird das Interesse die Gemeinde dahinter deutlich: die Vertreter der Gemeinde führten an, dass sie noch mehr arme Leuthe in der Gemeinde hätten, denen auch ein Stück Brodt zu gönnen wäre1215 - deshalb solle ihnen, die ihre Nachbarn am Besten kannten, die Auswahl der neuen Schützen obliegen, damit Menschen aus dem Dorf diese einträgliche Stelle erhielten, die darauf angewiesen waren. Das anfangs verwendete rein tätigkeitsbezogene – somit „sachliche“ – Argument nachlässiger Amtsführung der bisherigen Stelleninhaber wurde also durch eine sozial begründeten Argumentation ergänzt, mit der nicht etwa die Wahrung der Observanz, sondern eine komplette Neuordnung des hergebrachten Besetzungsmodus begründet werden sollte: bis dahin hatte die gräfliche Regierung aus mehreren durch den Amtskeller vorgeschlagenen Untertanen nach ihren eigenen Kriterien, zu denen vor allem die persönliche Eignung gehörte,1216 den in ihren Augen Geeignetsten ausgewählt.1217 Nun aber, so wollte es die Gemeinde, sollten diese Tätigkeiten von ihr selbst nach dezidiert sozialen Kriterien vergeben werden. Das kann vor dem Hintergrund des desolaten Zustands der Solms-Rödelheimer 1215 Vgl. Bericht Amtmann Maleys an die Regierung Rödelheim vom 25.1.1776, HStAD F 24 A 161/1. 1216 Vgl. Bericht des Kammerrats Schott über die Eignung der Kandidaten vom 17.3.1749, HStAD F 24 A 161/1: Dem äußerlichen Ansehen nach aber scheinet mir der erstere Bernhard Wagener etwas einfältig zu seyn, der letztere Leonhard Holler aber, schon etwas muntrer und schlauer darzu zu seyn [...]. 1217 Vgl. Bericht Amtskeller Schäfers an die Regierung Rödelheim vom 16.3.1749, HStAD F 24 A 161/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 289 Dörfer nach dem Siebenjährigen Krieg,1218 von dem sie sich auch zehn Jahre nach seinem Ende noch nicht vollständig erholt hatten, als Teil eines sozialen Programms der Nachbarn verstanden werden, das in seiner Konsequenz nicht nur wie bisher auf Wahrung des Besitzstandes oder der von „uralten Zeiten“ herrührenden Bräuche und Vorrechte, sondern auf eine proaktive Umgestaltung der Kompetenzverteilung zwischen Landesherrschaft und Gemeinde hinauslief. In die gleiche Richtung weist das Interesse der Gemeinden hinsichtlich des erwähnten Verkaufs des Gemeinen Heus, das dem der Landesobrigkeit diametral entgegenstand und zu langwierigen und harten Auseinandersetzungen führte: während diese darauf bedacht waren, die Versteigerung exklusiv für Gemeindemitglieder durchzuführen, selbst wenn das geringere Einnahmen bedeutete, wollte jene zur Entlastung der leeren Gemeindekassen das Heu an den Meistbietenden ungeachtet seiner Herkunft verkauft sehen.1219 Dass das Recht zur Nutzung des Gemeindeeigentums exklusiv den Nachbarn im Dorf belassen werden solle, deutet ebenfalls darauf hin, dass Sicherung und Überwachung der „Nahrung“ der Untertanen von diesen selbst vor allem als Aufgabe der Gemeinde und weniger als die der Landesherrschaft verstanden wurde und dass die Gemeinde auch den Weg des Konflikts mit der Obrigkeit nicht scheute, um dieses Ziel zu verfolgen. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für das Funktionieren der Gemeinde als Solidargemeinschaft ist die Eintreibung der Steuern. Es hatte ursprünglich zu den Aufgaben der Gemeinden gehört, die Steuern nicht nur zu erheben und zur gräflichen Land- oder „Verfassungskasse“ zu liefern, sondern auch auf die Steuerpflichtigen zu verteilen: 1715 etwa klagte der Ossenheimer Nachbar Christof Stumpf, dass sein Beitrag falsch berechnet worden sei, als die Gemeinde, wegen Berechnung der Monathzettel und anderer Dingen mehr, in deß Wirths Lacken Hauß beysammen gewesen.1220 Die Kammerbeamten in Rödelheim legten den Gesamtbetrag fest, den die Grafschaft an Römermonaten, Kammergerichtszielern, Beiträgen zur 1218 1762 schreibt Graf Wilhelm Karl Ludwig, dass der dermahlige Schaden welche meine arme Unterthanen und ich gelitten, nicht viel weniger als 100000 fl betrage, Schreiben an seinen Bruder vom 18.9.1762, HStAD F 24 A 812/1. Vgl. weiterhin HARTMANN und SCHUBERT, Alt-Rödelheim. Ein Heimatbuch, S. 82 mit einer kurzen Schilderung der vielfältigen Belastungen und Schäden durch Einquartierungen und Fouragierungen, weiterhin Bericht des Amtoberschultheißen Keller zu Ossenheim vom 5.10.1762, HStAD F 24 C 317/6, aus dem hervorgeht, es gebe nur noch 13 Pferde in der Gemeinde, von denen zwei wegen außgestandener Strapatzen und Mangel der Fütterung marode sind und bald sterben würden. 1219 Vgl. Erlass der Regierung Rödelheim an die Schultheißen zu Ossenheim, Fauerbach und Bauernheim über Versteigerung des gemeinen Heus vom 8.6.1773, HStAD F 24 A 161/2. 1220 Klage Christof Stumpfs gegen Bürgermeister Jakob Winter vom 17.1.1715, HStAD F 24 C 298/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 290 wetterauischen Grafenkasse, Unterhaltung des Solmser Kontingents bei den Oberrheinischen Kreistruppen, Besoldung der Landreuther und Wachtmeister und Entlohnung der damit befassten Amtsträger aufzubringen hatte;1221 der Gesamtbetrag nebst bestimmten einmalig anfallenden Summen wie z.B. durch das Wetterauer Grafenkollegium zugesagte Wahlgeschenke anlässlich einer Kaiserwahl wurde nach einem eigenen Austheiler, also einem Schlüssel, der die Größe und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Ortes berücksichtigte, auf die einzelnen Orte verteilt. Es handelte sich also wie bei den meisten direkten Steuern in der Frühen Neuzeit um eine Repartitions-, nicht um eine Quotitätssteuer.1222 Die Aufteilung des Wahlgeschenks der Grafen für Kaiser Karl VII. und weiterer extraordinairer Beyträge zur Wetterauer Grafentags-Kasse, die die burgermeister [...] binnen zeit von 4. wochen bey sonst ohnausbleiblicher Execution, zusammen zu verschaffen, und an den H. Amtmann Hirth sofort ohngesäumbt zur Land-Casse zu bezahlen hatten,1223 ist beispielhaft in folgendem Diagramm dargestellt (Abbildung 23): Abbildung 23. Aufteilung der Steuern auf die Solms-Rödelheimer Orte 1742. Die Aufteilung dieser obrigkeitlich vorgegebenen Gesamtsummen auf das einzelne Gemeindemitglied war die Aufgabe der Gemeinde. Ab 1770 jedoch versuchten Graf und Regierung, den Gemeinden diese Kompetenz zu entziehen, damit endlich selbige aus ihren Schulden gerißen, und die Rechnungen hinkünfftig 1221 Vgl. u.a. Rechnung der Solms-Rödelheimer Land- oder Kriegskasse für 1.5.1714 bis 30.4.1715, HStAD F 24 B 401. 1222 Vgl. dazu HARTMANN, Artikel "Steuern", hier S. 382. 1223 Rödelheimer Regierungserlass zur Finanzierung des Wahlgeschenks der Grafenkollegien vom 24.4.1742, HStAD F 24 A 960. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 291 richtig und ordentlich geführet werden,1224 weil man also mit der Effizienz des gemeindlichen Rechnungswesens nicht einverstanden war. Ausdrücklich war vorgesehen, dass die Beträge nicht länger von der ganzen Gemeinde, sondern von den einzelnen Debenten bezahlt werden sollten. Damit versuchte die Landesherrschaft, einen direkten Zugriff auf das Eigentum der Untertanen zu erreichen; solange der Zugriff mittelbar über die Gemeinden erfolgte, konnten die Steuern in besonderen Härtefällen, die die Mitglieder der Gemeindeversammlung aufgrund ihrer detaillierten Kenntnisse der lokalen Verhältnisse sehr gut beurteilen konnten, entweder gestundet, nicht eingezogen oder auch durch wohlhabendere Nachbarn übernommen werden. Nun aber sollte jeder, der aus Armut nicht zahlen konnte, eine Supplik an den Regenten verfassen, der daraufhin eine Entscheidung traf.1225 Das lief auf eine Überführung des über weite Strecken bestehenden Mediatverhältnisses zwischen Untertan und Landesherrn für den Bereich der zur Landkasse zu zahlenden Steuern in ein immediates hinaus. Gegen diesen Versuch, die Landeshoheit zu Lasten gemeindlicher Kompetenzen auszubauen und damit die Gemeinde als Solidargemeinschaft zu schwächen, wehrten sich die Betroffenen heftig, wie das folgende Beispiel zeigt: Am 12.2.1772 hatte die Regierung zwei Musketiere als Exekutanten nach Fauerbach geschickt. Sie sollten die aus der Bürgermeisterrechnung des Jahres 1770 rückständigen Monatsgelder in Höhe von 182 fl bei den Schuldnern einzeln eintreiben und auch die Exekutionskosten von 2 Kreuzern pro Mann und Tag erheben.1226 Als Grundlage der Eintreibung sollte eine von Kammerrat Hemmerich angefertigte Restanten Designation mit Benennung der einzelnen Schuldner dienen. In Fauerbach angekommen, so sagten sie später aus,1227 habe sie der für das Jahr 1770 gewählte Bürgermeister Johann Georg Linsenmeyer empfangen, ihnen einen Branntwein im Wirtshaus ausgegeben und sie überredet, ihm den Exekutionszettel auszuhändigen. Während nun die Exekutanten im Wirtshaus saßen, so sagte Linsenmeyer aus, sei er mit dem Reinhard Thomas von der Gemeinde bestellet worden, von Hauß zu Hauß herum zu gehen, u. freiwillig von jedem zu begehren, was er zahlen wollte, wie 1224 Regierungsdekret zur Rechnungsführung in Ossenheim vom 10.12.1770, HStAD F 24 A 161/2. 1225 Vgl. Regierungsdekret zur Rechnungsführung in Ossenheim vom 10.12.1770, HStAD F 24 A 161/2. 1226 Vgl. Schreiben der Regierung noi. Regiminis an den herrschaftlichen Einnehmer Baaßler in Fauerbach vom 12.2.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1227 Vgl. Protokoll der Vernehmungen durch Regierungssekretär Birkel vom 31.3. bis 10.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 292 sie dann den gesamten Rechnungs Rezess des Reinhard Thomas bis auf 135 fl zusammen gebracht, welche letztere Summa derselbe der Gemeinde vorgeschossen.1228 Nicht die beauftragten Musketiere, sondern die Gemeindebürgermeister hatten also die ausstehenden Gelder eingetrieben – und zwar ausdrücklich nicht nach dem durch den gräflichen Kammerbeamten angefertigten Register, sondern auf der Grundlage freiwilliger Beiträge und individueller Leistungsfähigkeit. Und auch die Kosten der Exekution wurden nicht von den säumigen Untertanen erbracht, die letztlich für die Exekution verantwortlich waren, sondern von Hauß zu Hauß durch die Bürgermeister eingesammelt. Das alles geschah auf Beschluss der Gemeinde, die auf diese Weise effektiv die finanziell Schwächeren Mitglieder vor der großen Belastung durch die rückständigen Steuern zu schützen wusste. Die Solidarität in der Gemeinde ging so weit, dass Reinhard Thomas als verantwortlicher Bürgermeister des Jahres 1770 die Differenz zwischen den auf freiwilliger Basis erhobenen Nachzahlungen und der Gesamtforderung nicht etwa in einer zweiten Sammelaktion einsammelte, sondern der Gemeinde aus seinem eigenen Vermögen vorstreckte, und zwar ohne einen Schuldschein dafür zu erhalten.1229 Die finanziell potenteren Gemeindemitglieder waren also in hohem Maße bereit, über ihre eigene Steuerleistung hinaus Beiträge zu leisten, um die Belastungen der ganzen Gemeinde sozial abzufedern.1230 Um diese Möglichkeit nicht zu verlieren, wehrte man sich auch in der Folgezeit strikt gegen die ab 1770 geplante Anlage obrigkeitlicher Steuerregister. Im Verlauf der Auseinandersetzung Anfang 1772 hatte der gräfliche Einnehmer zu Fauerbach, Basler, die Gemeinde zusammengerufen, um ihr ein Regierungsdekret zu verkünden. Danach sollten ähnlich wie in Ossenheim1231 die Monatsgelder, also die Reichs- und Kreissteuern, künftig zum Ersten jedes Monats durch den Einnehmer und nicht wie bisher durch den Bürgermeister eingezogen werden. Aus der Gemeinde seien aber zu dieser Verkündigung nur einige Ertz Rebellen erschienen. Einer davon, Bernhard 1228 Protokoll der Vernehmungen durch Regierungssekretär Birkel vom 31.3. bis 10.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. Vgl. eigenes Römermonatsregister Fauerbachs vom 12.2.1772, HStAD F 24 A 161/2. Handschriftlich ist der Name jedes Mitglieds der Gemeindeversammlung nebst der Summe, die es zahlen wollte, eingetragen. 1229 Protokoll der Vernehmungen durch Regierungssekretär Birkel vom 31.3. bis 10.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1230 Vgl. REINHARD, Staatsgewalt, S. 238. 1231 Vgl. Regierungsdekret zur Rechnungsführung in Ossenheim vom 10.12.1770, HStAD F 24 A 161/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 293 Bott, habe die Rede geführt und gesagt, der Bürgermeister solle die Listen bekommen und die Gelder einziehen, anders aber geschehe es nicht. Er habe dann das Haus verlassen, aber vor dem Fenster gehört, dass Rudolph Ernst gesagt habe, wir brauchen kein Register, wir wollen einen Zettel machen, solchen dem Bürgermeister zustellen, das Geld erheben lassen, und solches nach Rödelheim schicken, woselbst es ganz einerley, wenn sie nur Geld [bekommen], ob solches der Wentzel oder Peter hat gehoben.1232 Hier äußerte sich nicht nur das Misstrauen gegenüber dem Einnehmer und dem Versuch der Landesobrigkeit, eine bis dahin der Gemeinde zufallende Kompetenz zu usurpieren; vielmehr wehrte man sich vor allem gegen den Versuch, die Steuern nach einem oktroyierten Register zu erheben – man wollte selbst einen Zettel machen und das Geld durch den Bürgermeister eintreiben lassen. Symptomatisch ist, dass die Steuerpflicht als solche grundsätzlich völlig unbestritten blieb. Das war auch in vergleichbaren Fällen so: die Rückstände an Bede und Grundzinsen hatten ebenfalls durch den Einnehmer Basler nach einem durch die Regierung eingerichteten Register eingezogen werden sollen, wogegen sich die Gemeinde wehrte: die Mitglieder erklärten, daß sie zwar die beed und die grundzinsen schuldig und auch bezahlen wolten, doch aber solte dieses Geld von dem Bürgermeister eingefordert werden wie sonsten auch geschehen.1233 Nicht die Abschaffung der Abgaben an die Landesherrschaft war das Ziel – man wollte lediglich den Modus operandi so beeinflussen, dass man die Kontrolle über die Erhebung und Weiterleitung behielt. Der Widerstand gegen die obrigkeitlichen Maßnahmen zur Reformierung der Steuereinnahmen äußerte sich nicht nur in andauerndem Ungehorsam und passivem Widerstand, sondern schließlich auch in einem Prozess, den mehrere Gemeinden gegen den Grafen und seine Regierung ab 1774 vor dem Reichshofrat führten und in dem es neben anderen benommenen Freyheiten auch um diesen herrschaftlichen Eingriff ging.1234 Zunächst brachte er wenig Bewegung in die Angelegenheit; erst der Nachfolger Graf Wilhelm Karl Ludwigs, Johann Ernst Karl, zeigte sich 1232 Protokoll der Aussage des Einnehmers Basler zu Fauerbach durch Reg.-Sekr. Birkel vom 22.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1233 Bericht des Schultheissen Holler aus Fauerbach an die Regierung vom 27.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1234 Vgl. Mandat der Gemeinden Niederwöllstadt, Fauerbach, Ossenheim und Bauernheim an den Reichshofratsagenten Johann Georg Schumann vom 6.1.1775, HStAD F 24 C 309/8. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 294 kompromissbereit.1235 Wahrscheinlich war es der Landesobrigkeit, die unter Johann Ernst Karl deutlich zurückhaltender agierte als in den letzten Regierungsjahren Wilhelm Karl Ludwigs, letztlich nicht gelungen, die Neuordnung vollständig durchzusetzen; die renitenten Gemeinden behielten also wohl zumindest einige der umstrittenen Kompetenzen bis zum Ende der Selbständigkeit der Reichsgrafschaft und bis zu ihrer Integration in die Hessen-Darmstädtischen Verwaltungsstrukturen nach 1806. In dem Bemühen, die Vergabe einträglicher lokaler Ämter und die Nutzung der Allmenden auf die Mitglieder der Gemeinde zu beschränken und die Steuererhebung vor Ort der Gemeindeversammlung und dem Bürgermeister zu belassen, zeigt sich ein dezidiertes soziales Programm der Gemeinden, das auf die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz – der „Nahrung“ – der Einwohner und auf die Abfederung sozialer Härten für das einzelne Gemeindemitglied durch die Solidargemeinschaft abzielte. Dieses soziale Programm spiegelt sich auch wider bei der Versorgung der Ortsarmen. Der Pfarrer war Ansprechpartner für Regierung und Konsistorium, wenn es um die Armen vor Ort ging, wie sich an den sporadisch erfolgten gräflichen Zuwendungen an Bedürftige erkennen lässt. 1771 etwa beschloss Graf Wilhelm Karl Ludwig, die Bauernheimer Armen mit je einem halben Taler zu unterstützen. Daraufhin forderte das Konsistorium bei Pfarrer Knorr eine Aufstellung in Frage kommender Personen an und ließ ihm dann den entsprechenden Betrag zur Verteilung zukommen.1236 Außer solchen einmaligen Almosen und Legaten aus gräflichen Testamenten1237 gab es noch Legate für die Armen, die als Stiftungskapital in den örtlichen Kirchenbaurechnungen vereinnahmt und deren Zinsen jährlich durch die Pfarrer verteilt wurden;1238 insgesamt erfolgten die Zuwendungen durch die Landesherren jedoch zu unregelmäßig, als dass sie als geregelte Armenfürsorge bezeichnet werden könnten. Es gab in der Grafschaft Solms-Rödelheim bis zur Mediatisierung keine geregelte obrigkeitliche 1235 Vgl. eigenhändiges Konzept Johann Ernst Karls zum Prozess vom 1.8.1781 sowie Regierungsbericht über den Stand des Prozesses (anonym) vom 4.8.1781, beides HStAD F 24 C 309/8. Die Überlieferung zum Prozess endet 1785, ohne über ein Endergebnis Aufschluss zu geben. 1236 Vgl. Schreiben des Pfarrers Knorr zu Bauernheim an das Konsistorium in Rödelheim vom 12.5.1771, in dem er sechs Hausarme namentlich aufführt, von denen jedoch nur die Witwe Herden und ihre beiden Kindern wirklich arm seien, sowie Schreiben des Konsistoriums an Knorr vom 12.5.1771, beides HStAD F 24 C 70/1. 1237 Vgl. u.a. Extrakt aus dem Testament Wilhelm Karl Ludwigs 1769, HStAD F 24 A 28/3, Testament Gräfin Wilhelmine Christines vom 25.5.1756, HStAD F 24 A 28/3, und Testament Graf Ludwig Heinrichs vom 27.10.1727, ASR Nr. 239. 1238 Vgl. Empfangsquittung der Kirchenbaumeister Joh. Henrich Walther und Joh. Henrich Weiser zu Bauernheim vom 4.12.1783, HStAD F 24 C 70/1. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 295 Armenfürsorge, im Gegenteil: die Gemeinden blieben zuständig. In der 1778 erlassenen Armen- und Bettelordnung trug der eben erst zur Regierung gelangte Graf Johann Ernst Karl diesem Umstand Rechnung und bestätigte den Grundsatz, daß ein jeder Ort seine eigene Armen ernähre.1239 Dazu wurde die Bevölkerung zum freigebigen Verteilen von Almosen ermuntert, das Betteln der ansässigen Armen in den Dörfern ausdrücklich erlaubt und Dienstag und Freitag zu offentlichen Betteltägen erklärt.1240 Die Nachbarn, in diesem Fall in erster Linie die Kirchengemeinden, blieben also auch in diesem Bereich für die Sicherstellung der Nahrung zuständig, wobei Nahrung auch direkt im Sinne von Essen zu verstehen ist: in Niederwöllstadt lieferten 1771 gutthätige Leute aus der Gemeinde regelmäßig Brot in der Kirche ab, das dort an die Hausarmen weiterverteilt wurde.1241 Die Gemeinschaft der Nachbarn übernahm in der kleinen Reichsgrafschaft Ende des 18. Jahrhunderts das, was anderswo zum Gegenstand obrigkeitlicher oder „staatlicher“ Fürsorge wurde, wie sie in den Ordnungs- und Policeyvorschriften oder in der Gründung von Armenhäusern „klassischer“ frühmoderner Territorien des „aufgeklärten Absolutismus“ zum Ausdruck kommt.1242 Es gelang den Reichsgrafen und ihrer Regierung damit nicht, den „gemeinen Nutzen“ zu okkupieren; er blieb trotz vielfältiger Bemühungen der Landesherren, die das „gemeine Beste“ zur Begründung praktisch aller geplanter Maßnahmen heranzogen, weitestgehend Angelegenheit der Gemeinden. Das erkannte – trotz gelegentlicher Versuche, in diese Kompetenzverteilung einzugreifen – in letzter Konsequenz schließlich auch die Obrigkeit an, weil es sich als funktionell erwiesen hatte; die zitierte Armen- und Bettelordnung mit ihrer ausdrücklichen Bestätigung der gemeindlichen Zuständigkeiten ist nur ein Beleg dafür. Dass die Obrigkeit eben gerade nicht immer mehr Aufgaben von den Institutionen lokaler Herrschaft und (Selbst-) Verwaltung übernahm, ist kein Ausdruck für Rückständigkeit, sondern im Gegenteil für ein bewährtes und zweckmäßiges System delegiert organisierter Herrschaft, das bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Bestand hatte. 1239 Solms-Rödelheimer Armen- und Bettelordnung vom 1.12.1778, HStAD F 24 A 1133/1; vollständiger Text im Anhang. 1240 Vgl. ebd. 1241 Bericht des Niederwöllstädter Amtmanns Wüstenfeld vom 6.5.1771, HStAD F 24 C 277/1. 1242 Beispielhaft für diese Auffassung das Kapitel „Wirtschaftss- und Sozialgeschichte“ in ANETTE VÖLKER-RASOR (Hg.), Oldenbourg Geschichte Lehrbuch: Frühe Neuzeit, München 2000, S. 147-166, wo als ein wichtiger Teil der „neue Rolle des Staates“ die Übernahme der gemeindlichen Kompetenzen in der Armenfürsorge angegeben wird. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 296 5.2.4 Gemeinsames Vorgehen der Dörfer – solidarisches Handeln ohne „Landschaft“ In Solms-Rödelheim gab es keine Landschaft als institutionalisierte Untertanenkorporation unterhalb der landständischen Ebene im Sinne Peter Blickles.1243 Der Versuch der Grafen von Solms, am Beginn des 17. Jahrhunderts eine gemeinsame Landschaft aller Solmser Gebiete – also der neun zu diesem Zeitpunkt existenten einzelnen Reichsgrafschaften – einzurichten, um ein Instrument zur finanziellen Konsolidierung und Schuldenregulierung zu gewinnen, war letztlich gescheitert, wie VOLKER PRESS gezeigt hat.1244 Der Grund dafür waren offenbar die Bedenken der Untertanen. Sie schätzten die Möglichkeit politischer Einflussnahme, die mit der Einrichtung einer Landschaft verbunden gewesen wären, geringer ein als die ihnen drohende finanzielle Mehrbelastung, und beteiligten sich deshalb nur sehr zurückhaltend und letztlich überhaupt nicht mehr an dem Projekt. Das Fehlen landständischer oder landschaftlicher Verfasstheit bedeutet dabei keineswegs eine Schwächung der Position der Untertanen und eine Entscheidungsfreiheit der Landesherren in absolutistischem Sinne durch fehlende Mitsprachemöglichkeiten, wie sie z.B. GEORG SCHMIDT jüngst für die „patriotischen Despoten“ der kleinen mitteldeutschen Fürstentümer mit ihrer „faktischen Alleinherrschaft“ angenommen hat.1245 Dass dies für die Reichsgrafschaft Solms- Rödelheim trotz einiger Parallelen nicht in vergleichbarer Form galt, wurde an den vorangegangenen Beispielen deutlich – im Gegenteil. Die Gemeinde blieb das Organ, in der die Interessen der ländlichen Untertanen abgeglichen und vertreten wurden. Durch die bäuerliche Interessenvertretung in Gestalt der einzelnen Gemeinden war z.B. die Durchsetzung von Neuerungen und die Erhebung von Steuern und Abgaben, erst recht ihre Erhöhung, für die Reichsgrafen schwieriger als bei Vorhandensein einer Instanz, die die Gesamtheit der Untertanen vertreten hätte. Denn sie musste jeweils separat verhandelt werden und konnte von den Gemeinden jederzeit unter Berufung auf das Herkommen oder mit Hinweis auf die eigene Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen blockiert werden. Die Nichtexistenz 1243 BLICKLE, Landschaften. 1244 Vgl. PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms. 1245 Vgl. JAN BRADEMANN, Tagungsbericht "Politik-Kultur-Kommunikation. Neue Forschungen zur Biographie und Lebenswelt des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) in europäischer Perspektive", [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1330] (25.10. 2006). Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 297 einer Landschaft und die bis zuletzt weit reichenden Kompetenzen der Einzelgemeinden bedeuteten jedoch auch nicht, dass diese jeweils nur für sich, losgelöst von ihrer Umgebung, agiert hätten. Ähnliche Problemlagen in den einzelnen Dörfern und eine meist alle Untertanen betreffende Politik der Landesherrschaft legte es nahe, dass die Gemeinden ihr Vorgehen untereinander abstimmten. Als Niederwöllstatt, Ossenheim, Bauernheim und Fauerbach um 1715 um Herabsetzung der einige Jahre zuvor wegen Kriegsbelastungen um ein Drittel erhöhten Monatsgelder ersuchten, taten sie dies keineswegs für sich, sondern verfassten eine gemeinsame Supplik an den Reichsgrafen.1246 Eine Schlüsselposition bei solchen gemeinsamen Aktionen mehrerer Gemeinden nahmen die „Deputierten“ ein, die es in den einzelnen Dörfern gab; in Fauerbach etwa waren dies Johannes Sang und Bernhard Bott.1247 Die Zusammenhänge, in denen sie genannt werden, legen nahe, dass sie als gewählte Sprecher und Vertreter der Gemeinde nach außen hin fungierten: bereits 1772 hatte Bernhard Bott im Namen der Gemeinde gegenüber Einnehmer Basler die Rede geführt,1248 und am 21.1.1775 traf der Bauernheimer Alexander Sulz auf dem Friedberger Rathaus den Fauerbacher Deputirte[n] Johannes Sang, der im Auftrag der Gemeinde Gelder abholen sollte.1249 Zwar wurden sie durch Vertreter der Regierung in keinem bekannten Fall als „Deputierte“ angesprochen, mithin ist davon auszugehen, dass es sich um eine Aufgabe handelte, die ihnen allein durch die Gemeinde ohne jede Beteiligung oder Anerkennung durch die Obrigkeit verliehen wurde; jedoch war ihre Position durch die damit verbundenen Aufgaben derart exponiert, dass die Regierung sie zur Kenntnis nehmen und vorladen musste – wenn auch nur als „Untertanen“, nicht als „Deputierte“.1250 Anlässlich einer solchen Ladung nach Rödelheim gaben sie dem Schultheiß Philippi zur Antwort: es hetten die Deputirten aus hiesigem gantzen Ambt lezthin namens denen Gemeinden Ihre Vernehmlaßung auf hochgräfl. Regierung sämbt. gethan, wann eine Resolution solte publiciret werden, müsten auch von denen übrigen diesseitigen Orthschafften Deputirte citiret werden. Durch eingezogene Kundschaft wären aber 1246 Vgl. Supplik der Vertreter der vier Assenheimer Gemeinden an Graf Ludwig Heinrich (o.D., um 1715), HStAD F 24 C 298/1. 1247 Vgl. u.a. Regierungsdekret vom 19.6.1775, HStAD F 24 A 161/2. 1248 Protokoll der Aussage des Einnehmers Basler zu Fauerbach durch Reg.-Sekr. Birkel vom 22.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1249 Protokoll der Aussage der Fauerbacher Feldschützen Wagner und Holler vor der Regierung Rödelheim vom 21.1.1775, HStAD F 24 A 161-1. 1250 Gräfliches Reskript an Schultheiß Philippi in Fauerbach vom 8.5.1775, HStAD F 24 A 161/2. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 298 keine Deputirte weiter citirt als sie beyde, wobey Sie anstand nahmen, und dieser wegen nicht erscheinen würden.1251 An dieser Antwort sind zunächst die Begleitumstände bemerkenswert: die Deputierten bezogen sich auf eine „Vernehmlaßung“, also einen Beschluss, den sie im Namen der Gemeinden abgefasst hatten, und teilten ihn der Regierung mit – und zwar alle Deputierten aus dem Amt Assenheim gemeinsam. Noch bemerkenswerter jedoch ist der Inhalt dieses Beschlusses: Die Gemeinden versuchten der Regierung vorzuschreiben, dass in Zukunft nicht mehr einzelne Deputierte, sondern nur noch alle gemeinsam vorgeladen werden sollten. Die Zielsetzung ist klar: alle Gemeinden eines Amts gemeinsam, in Amt Assenheim waren dies Fauerbach, Bauernheim, Ossenheim und Niederwöllstadt, besaßen der Regierung gegenüber ein ungleich höheres Gewicht als Einzelpersonen oder auch einzelne Gemeinden. Während sich Individuen relativ problemlos mit Geldstrafen, Exekutionen oder auch Freiheitsstrafen belegen ließen,1252 war mehreren verbündeten Gemeinden nur sehr schwer und mit großem Aufwand beizukommen – diese Erfahrung hatten Landesherren in der Wetterau immer wieder machen müssen, die z.T. zu großen militärischen Strafmassnahmen gezwungen waren, um aufrührerische Dörfer zu unterwerfen.1253 Dessen eingedenk trafen sich die Abgesandten der vier Dörfer des Amts Assenheim, um ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Nur für diese vier ist eine solche Taktik zu beobachten; für den abseits liegenden Ort Einartshausen, der zudem als Neuerwerbung nicht zu einem historisch zusammengewachsenen Amtsbezirk gehörte, sondern getrennt verwaltet wurde, sowie für Assenheim als einziger Stadt fiel dieser Weg aus, für die südlichen Orte Rödelheim und Praunheim ist weder ein so heftiger Konflikt mit der Landesobrigkeit noch ein konzertiertes Vorgehen der Gemeinden überliefert. Burggräfenrode, Niederursel und Petterweil nahmen als gemeinherrschaftliche Orte ohnehin eine Sonderstellung ein: Viele Befehle und 1251 Bericht von Schultheiß Johannes Philippi über die Ladung der beiden Untertanen vom 19.5.1775, HStAD F 24 A 161/2. 1252 Vgl. Regierungsdekret gegen vier Ossenheimer Untertanen vom 5.1.1773, HStAD F 24 C 309/8, mit dem diese wegen fortgesetzter Widersetzlichkeit mit Arrest und Schanzarbeit belegt wurden. Ob die Strafe tatsächlich vollstreckt wurde, ist allerdings unbekannt. 1253 Vgl. z.B. die gross angelegte isenburgischen Exekution gegen die Dörfer des Gerichts Mockstadt 1727 bei TROßBACH, Bauernbewegungen, S. 217-225. Erst die Hilfe hanauischer Kompanien hatte die Aktion nach anfänglichen herben Niederlagen zu einem erfolgreichen Abschluss bringen können. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 299 Erlasse bezogen sich nur auf sog. privative Dörfer,1254 so dass in gemeinschaftlichen Orten in der Regel von vorn herein weniger Konfliktanlässe existierten und stets die Mitherrschaft als Korrektiv und Appellationsinstanz im Falle unzumutbarer Forderungen im Hintergrund stand. Die einherrigen Gemeinden kannten einen solchen Rückhalt nicht und waren deshalb gezwungen, sich durch gemeinsames und solidarisches Vorgehen gegenseitig abzusichern. Das war besonders wichtig, wenn die Durchsetzung der eigenen Interessen einen Aufwand erforderte, der von einem einzelnen Dorf kaum oder überhaupt nicht zu leisten war. Ein gutes Beispiel dafür ist der angesprochene Rechtsstreit der Orte des Amts Assenheim mit der Regierung, der enorme Summen verschlang. Schon lange vor dem Beginn des eigentlichen Prozesses waren die Gemeinden dazu übergegangen, sich durch einen Rechtsbeistand ihrer Landesobrigkeit gegenüber vertreten zu lassen und kaum einen Schritt ohne vorherige Konsultation des Anwalts zu unternehmen - Die Gemeinde Fauerbach scheinet lediglich von den Befehlen und Anweisungen des Advocaten Knorr abzuhangen, weil sie nicht das geringste ohne ebendenselben unternimmt, wie sich Amtsoberschultheiß Keller 1771 beklagte.1255 Bereits diese anwaltliche Beratungstätigkeit stellte eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung für die Gemeinde dar, die z.B. aus den Einnahmen aus Verpachtung der Allmende bestritten wurde – 1770 hatte Bürgermeister Linsenmeyer das Pachtgeld i.H.v. 104 fl auf Beschluss der Gemeinde zwar vom Pächter Ernst eingenommen, jedoch nicht in der Bürgermeisterrechnung verzeichnet und im Gemeinen Kasten verwahrt, sondern direkt dem Advokaten Knorr ausbezahlt.1256 Noch teurer wurde es, nachdem der Prozess gegen den Landesherren ab Ende 1774 begonnen hatte; bis 1781 hatte das Verfahren nach Angaben von Gemeindevertretern bereits 8000 fl gekostet,1257 die v.a. durch die Bezahlung der Advokaten und des Reichshofratsagenten zusammenkamen. 1254 Vgl. u.a. Erlass der Regierung Rödelheim wegen Publikation einer „Poenal-Sanction“ vom 20.10.1772, HStAD F 24 A 1133/15, weiterhin Musterungsjournal über wehrfähige Männer der Grafschaft von 1745, HStAD F 24 A Nr. 218/2. 1255 Bericht des Amtsoberschultheißen Keller an die Regierung Rödelheim vom 31.7.1771, HStAD F 24 A 161/2. 1256 Vgl. Protokoll der Vernehmung des Bürgermeisters Linsenmeyer durch Regierungsekretär Birkel vom 10.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1257 Vgl. Bericht des Amtmanns Maley über einen Besuch der Gemeindevertreter vom 22.7.1781, HStAD F 24 C 309/8. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 300 Eine solche Summe war nicht von einer einzelnen Gemeinde aufzubringen. Deshalb hatten die Deputierten der Dörfer vereinbart, gemeinsam einen Agenten mit ihrer Vertretung vor dem Reichshofrat zu beauftragen; dieser Auftrag wurde im Frühjahr nacheinander von Niederwöllstadt, Fauerbach, Ossenheim und Bauernheim erteilt, indem in Anwesenheit des Notars Johannes Andreas Merck als Zeugen jeweils die Gemeindeversammlung zusammentrat, aus den eigenen Reihen so genannte „Syndici“ als Prozessbevollmächtigte wählte und den Reichshofratsagenten Johann Georg Schumann zu ihrem Vertreter vor Gericht bestimmte.1258 Der Prozess verlief aus unbekannten Gründen jahrelang nur sehr schleppend, dem entsprechend stiegen die Kosten ins Uferlose, weil ständig neue Konsultationen der Advokaten erforderlich waren, die von den Bürgermeistern zu bezahlen waren.1259 Zudem hatte sich nach 1778 die Situation durch den Tod des eigentlichen Prozessgegners Graf Wilhelm Karl Ludwig grundlegend geändert. Deshalb weichte die 1775 noch geschlossene Front innerhalb der Gemeinden auf: 1781 unterbreiteten zwei Schultheißen und zwei Schöffen dem Assenheimer Amtmann Maley ein Friedensangebot und baten ihn, sich beim neuen Regenten Graf Johann Ernst Karl für eine Beendigung des fruchtlosen und teuren Prozesses einzusetzen, der den Gemeinden bislang mehr Schaden als Nutzen gebracht habe.1260 Dieser griff die sich ihm bietende Möglichkeit gern auf und plante, mit den Gemeinden ins Gespräch zu kommen und den Prozess durch einen Vergleich schnellstmöglich beizulegen.1261 Sofort wurden daraufhin die Gemeindevertreter, die sich durch ihr Erscheinen vor Amtmann Maley kompromissbereit gezeigt hatten, mit einem Eid darauf eingeschworen, alles in ihrer Macht Stehende zur Beilegung des Prozesses zu tun,1262 was einmal mehr darauf verweist, dass der bestimmende Einfluss exponierter bäuerlicher Repräsentanten in der Gemeinde ungebrochen und Herrschaft gegen sie kaum möglich war, weshalb der Landesherr Einfluss durch sie zu gewinnen suchte.1263 1258 Protokoll des Notars Johannes Andreas Merck über die Gemeindeversammlungen vom 27.2.1775, HStAD F 24 C 309/8. 1259 Vgl. Bericht des Amtmanns Maley über einen Besuch der Vertreter der Gemeinden vom 22.7.1781, HStAD F 24 C 309/8. 1260 Vgl. ebd. 1261 Vgl. Konzept Graf Johann Ernst Karls vom 1.8.1781, HStAD F 24 C 309/8. 1262 Vgl. Bericht über den Stand des Prozesses (anonym) vom 4.8.1781, HStAD F 24 C 309/8. 1263 Vgl. auch HEIDE WUNDER, Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1483), Göttingen 1986 S. 95. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 301 Die weitere Entwicklung ist nicht überliefert, so dass der Ausgang des Prozesses im Dunkeln bleibt. Es wurde wohl ein Kompromiss gefunden, mit dem beide Seiten leben konnten. Es gelang den Gemeinden also zumindest teilweise, die Eingriffe der Landesherrschaft abzuwehren – und zwar deshalb, weil sie gemeinsam agiert und dadurch ein derart aufwändiges Verfahren wie eine Klage vor dem Reichshofrat überhaupt erst ermöglicht hatten. Wie die Nachbarn in der Gemeinde sich als Solidargemeinschaft verstanden, die die Interessen der einzelnen Mitglieder vor Übergriffen und unzumutbaren Belastungen schützte, so agierten auch die Nachbargemeinden auf der Ebene des Amtsbezirks solidarisch; stimmten hier die Mitglieder der Gemeindeversammlung ihre Interessen und das weitere Vorgehen ab, waren es dort deren Bevollmächtigte in Person der Deputierten und Syndici, die auf Amtsebene miteinander berieten und eine gemeinsame Taktik entwickelten. Auf beiden Ebenen spielten im 18. Jahrhundert professionelle Juristen als Berater und Vertreter der ländlichen Gemeinden eine wichtige Rolle, die aus den Gemeinen Geldern bezahlt werden mussten;1264 dadurch gewannen die Bürgermeister als Hüter der Gemeindefinanzen und deren Unabhängigkeit von obrigkeitlicher Aufsicht wiederum an Bedeutung. Der landesherrliche Zugriff auf die Untertanen, wiewohl in der Theorie durch die uneingeschränkte Landeshoheit der Reichsgrafen durchaus angelegt, war also in der Praxis nicht direkt und bedingungslos möglich, sondern wurde durch die Gemeinde oder auch mehrere Gemeinden gemeinsam vermittelt und abgefedert und war latent durch Widerstand verschiedenster Gestalt bedroht. Dieses Mediatverhältnis der Menschen zur Landesherrschaft beschränkte in empfindlicher Weise den obrigkeitlichen Handlungsspielraum bei der Einführung von Neuerungen aller Art, seien es Policeyordnungen oder auch die Erhöhung von Steuern. Im Ergebnis zeigt sich, dass Landesherrschaft auch in der Reichsgrafschaft Solms- Rödelheim keineswegs ein Prozess war, der von oben nach unten verlief; vielmehr hatten die Objekte dieser Herrschaft, die Untertanen, dezidierte eigene Vorstellungen von der Art und Weise, wie sie beherrscht werden wollten, und sie besaßen oder schufen sich Mittel und Wege, diese Vorstellungen untereinander abzustimmen, zu formulieren und durchzusetzen. Dadurch waren sie mittelbar auch Instanzen delegiert organisierter Landesherrschaft. 1264 Vgl. auch Gutachten des Regierungssekretärs Birkel vom 21.11.1772, HStAD F 24 C 309/8. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 302 5.3 Ergebnisse Das politische System der Reichsgrafschaft ist ein komplementäres, und zwar nicht im herkömmlichen Sinne einer innerterritorialen, sich gegenseitig ergänzenden Einheit aus landesherrlicher und ständischer Gewalt, wie OESTREICH und andere den Fürstenstaat begriffen.1265 Die Komplementarität ergab sich vielmehr daraus, dass die grundlegenden Elemente von Herrschaft sich nicht in der Hand einer einzelnen Person oder Institution befanden, sondern auf mehrere verteilt waren. Im Gegensatz zu SCHMIDT, der damit das aufeinander bezogene Konstrukt aus Reichs- und Territorialherrschaft zu beschreiben und dadurch eine Art bipolaren frühneuzeitlichen Nationalstaat zu konstruieren versucht, hat man für die Reichsgrafschaften aber neben diesem Paar noch weitere beteiligte Kräfte zu berücksichtigen; Träger wesentlicher delegierter Herrschaftsrechte waren neben den Grafen selbst mit ihren oben im Begriff „Landesherrschaft“ zusammengefassten Kompetenzen einerseits und dem Reich mit seiner Höchstgerichstbarkeit und seinem durch Kommissionen vermittelten Eingreifen in die innenpolitischen, auch die innerfamiliären Verhältnisse der Reichsgrafen andererseits vor allem drei weitere Institutionen: Zum Ersten das Samthaus, das vor allem die Weitergabe des Besitzes und der Herrschaft sowie die „Außenvertretung“ der Familie regelte, zum Zweiten die Mitstände, vor allem in Gestalt des Grafenvereins, der die Beteiligung an der Reichspolitik sicher stellte und ganz allgemein Standespolitik – auch „Lobbyarbeit“ – betrieb und zum Dritten der Reichskreis, der für das Reich und die beteiligten Stände gleichermaßen die Verteidigungs- und Sicherheitsaufgaben organisierte wie die Münzaufsicht und damit die Hoheit in Fragen des Zahlungsverkehrs hatte; darüber hinaus bot er den Reichsgrafen die Möglichkeit, nicht nur im eigenen Namen – mit der „Solms-Rödelheimer Kompanie“ – an militärischen Aktionen von überregionaler, z.T. europäischer Tragweite teilzunehmen und sich damit als wahre „Patrioten“ zu präsentieren, sondern auch die persönlichen Ehre durch ein erfolgreiches Kommando zu vermehren. In der Theorie beruhte die Delegierung von Rechten auf ganz unterschiedlichen Grundlagen, so etwa der Reichs- oder Kreisverfassung, den Familienverträgen und 1265 Vgl. KRÜGER, Gerhard Oestreich und der Finanzstaat, hier S. 334, weiterhin zum Beispiel Württemberg und seiner stark dualistischen Verfassung INA ULRIKE PAUL, Integration durch Reform - Württembergs Weg aus dem Alten Reich zum modernen Staat, in: Heinz Schilling et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 942 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Ausstellungskatalog Essayband), Dresden 2006, S. 343-356, hier v.a. S. 346. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 303 Hausgesetzen oder auch den freiwilligen Beschlüssen gleichberechtigter Teilnehmer an Wetterauer Grafentagen. In der Praxis aber, bezüglich ihrer Bedeutung für reichsgräfliche Herrschaft, einte sie alle ein Grundprinzip: wichtige, für die Landesherrschaft zentrale Rechte konnten die Grafen erst dadurch effektiv wahrnehmen, dass sie sie nicht unmittelbar selbst ausübten, sondern delegierten. Dass sich die Regenten selbst darüber sehr bewusst waren, belegt eine von Graf Volrat an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert projektierte – jedoch nie fertig ausgeführte – Schrift über „Die Grafschaft Solms-Rödelheim“, die direkt nach der einleitenden Beschreibung der geographischen und topographischen Verhältnisse erstens die Äußere Verfassung, nämlich den Reichs- und Kreisnexus, den Matrikular- Anschlag sowie den Lehns- und Fideikomissnexus, und zweitens die Innere Verfassung, nämlich das Solmser Landrecht und die Magistraturen beschreibt.1266 Volrats Analyse der politischen Verhältnisse in der Grafschaft entspricht damit exakt dem erarbeiteten Schema delegierter Herrschaft, denn der Reichsnexus bezieht sich auf den Grafenverein, Kreisnexus und Matrikularanschlag betreffen den Reichskreis, Lehns- und Fideikomissnexus sind Angelegenheit des Hauses und mit den Magistraturen sind neben den Ämtern v.a. die Gemeinden gemeint. Während aus dem Kreis der daran beteiligten Institutionen die Grafenvereine und Reichskreise bereits als recht gut erforscht gelten können, trifft das nicht in gleicher Weise auf die gräflichen Häuser zu. Bis heute fehlt eine umfassende Untersuchung ihrer Funktion und Arbeitsweise; PRESS, der die Bedeutung der Haus- und Familienpolitik als „praktizierter Verwandtschaft“ für Reichsgrafen kannte, konnte seine angekündigte ausführliche Studie zu dem Thema nicht realisieren.1267 Insofern stellt eine solche Untersuchung nach wie vor ein wichtiges Desiderat der historischen Forschung zum frühneuzeitlichen Reich insgesamt und zum Phänomen Adelsherrschaft im Besonderen dar.1268 Doch nicht nur im Außenverhältnis, sondern auch nach innen – den eigenen Untertanen gegenüber – waren die reichsgräflichen Landesherren eingebunden in ein 1266 Zitiert nach ISENBURG, Um 1800, S. 168-169. 1267 “Die Institution der Familientage – ich möchte sie in einer anderen Studie ausführlicher behandeln – war jedoch ohne Frage eine wichtige Einrichtung gräflicher Solidarität“, PRESS, Reichsgrafenstand und Reich, S. 10. 1268 Auch MUTSCHLER, Ysenburg-Büdingen, der verdienstvoller weise ausdrücklich nach der Rolle der Familie fragt, tut dies vor allem auf Grundlage der Hausnormen und –verträge, also der normativen Ebene; die familieninterne Kommunikation und die Familientage bezieht er nicht oder nur am Rande ein. MARRA, Allianzen des Adels, lag nicht mehr rechtzeitig vor, um noch mit einbezogen zu werden. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 304 ganzes System gegenseitiger Abhängigkeiten und delegierter Rechte. Denn dem Regenten und seiner langsam wachsenden Landesadministration standen die Gemeinden gegenüber, die sich in der Untersuchung als eigenständige politische Größe mit eigenen Interessen und Möglichkeiten zu deren Durchsetzung herausstellten. Zwar hatten sie eine ausgeprägte Binnendifferenzierung und handelten keineswegs immer im Konsens, aber der Landesherrschaft traten sie in der Regel als Ganzes gegenüber; Nur selten gelang es der Obrigkeit, die gemeindeinternen Interessengegensätze in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. In so fern trifft H. BRUNNERS am mittelalterlichen Österreich entwickelte Satz, dass die Sphären der Landesherrschaft und der Landschaft in Gestalt der Landgemeinden komplementär seien,1269 für das Untersuchungsgebiet nicht weniger zu. Es gab nach wie vor kein einheitliches, durchstrukturiertes Staatsgebilde und keinen einheitlichen, zur Landesherrschaft immediaten Untertanenverband. Vielmehr vermittelte die Gemeinde den Kontakt zwischen Untertan und Obrigkeit in beide Richtungen und behielt bis zum Ende des Alten Reichs viele Kompetenzen. Deshalb ist dem gängigen Postulat, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts „Bauern und Stadtbürger [...] ihre Autonome Selbstverwaltung und ihre Mitwirkungsrechte“ verloren,1270 zu widersprechen. Über die Organisation des alltäglichen Lebens und Wirtschaftens hinaus behielten die Gemeinden insbesondere in dem zentralen Bereich der Sicherstellung der Nahrung der Mitglieder und Ortsarmen weit reichende Kompetenzen. Zwar gab es Angriffe auf die Autonomie, doch waren sie diesen keineswegs schutzlos ausgeliefert. Sie verteidigten vielmehr entschlossen ihre hergebrachten Rechte und verfügten von kleinen Tricks bis zu groß angelegten Prozessen über viele Möglichkeiten effektiven Widerstands. Dieser Widerstand im Einzelfall schloss einen grundsätzlich bestehenden Konsens zwischen Gemeinden und Obrigkeit jedoch keineswegs aus.1271 Innerhalb der bestehenden Verhältnisse herrschte durchaus Einigkeit über die Rechte und Pflichten der Beteiligten. Die Fauerbacher beispielsweise, deren „Rebellion“ nach 1770 auf dem Höhepunkt angelangt war, gaben 1772 ganz selbstverständlich zu, daß sie zwar die beed und die grundzinsen schuldig und auch bezahlen wolten, und 1269 Vgl. BRUNNER, Land und Herrschaft, S. 413. 1270 SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, S. 110. 1271 Vgl. dazu URSULA LÖFFLER, Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit. Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert, Münster/Hamburg/Berlin/London 2005, v.a. S. 138 f. Subjekte und Objekte delegierter Herrschaft 305 widersprachen lediglich dem Modus der Erhebung.1272 Sowohl den Zielen der Obrigkeit als denjenigen der Untertanen eignete nämlich bei aller Heftigkeit der Auseinandersetzungen nichts Umstürzlerisches oder revolutionäres, sondern es ging maximal um partielle Verbesserungen oder Umstrukturierungen. Im Kern wurde das konsensorientierte System delegierter Herrschaft auf lokaler Ebene, das den beiderseitigen Interessen gleichermaßen Rechnung trug und sich insgesamt bewährt hatte, nicht angetastet oder in Frage gestellt. Bis zuletzt blieben die Gemeinden für die delegiert organisierte Landesherrschaft unentbehrlich, weil sie zentrale Aufgaben wie die Erhebung von Steuern und Abgaben oder die „Sozialpolitik“ vor Ort übernahmen. Das galt bei weitem nicht nur für Solms-Rödelheim, sondern für viele kleinere Herrschaften des Alten Reichs. In der Reichsgrafschaft Sayn-Hachenburg etwa wurde um 1750 im Zuge eines Regentenwechsels die innerterritoriale Delegation weitgehend ausgeschaltet. Das rief in den folgenden Jahrzehnten derart schwere Krisen hervor, dass die Grafschaft nahezu unregierbar und mehrfach an den Rand von Aufständen gebracht wurde. Eine Stabilisierung gelang erst, als nach 1770 ein neuer Regent den Landesvorstand als Träger delegierter Herrschaft reaktivierte.1273 1272 Vgl. Bericht des Schultheissen Holler aus Fauerbach vom 27.4.1772, HStAD F 24 A 161/2. 1273 Vgl. MÜLLER, Gemeinden und Staat, S. 357-359 sowie S. 376-377. Herrschen durch Delegation 306 6 Herrschen durch Delegation Trotz der Kleinräumigkeit der Herrschaft und der Krisen, mit denen sich die selbstständige reichsgräfliche Landesherrschaft im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert konfrontiert sah – v.a. der finanzielle Mangel, die Bedrohung des territorialen Bestands durch Mächtigere und die Erbteilungen, die potentiell zu immer weiteren Aufteilungen führten – konnten die Reichsgrafen von Solms- Rödelheim ihre Selbstständigkeit bis 1806 bewahren. Mehr noch, über das bloße Bewahren des Status hinaus waren sie in einigen Bereichen recht erfolgreich. Vor allem im Bereich der „persönlichen Ökonomie“ gelangen ihnen beachtliche Leistungen, indem sie den Zugriff auf ihre Herrschaftsrechte im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend zur Vergrößerung ihres Allodialbesitzes nutzen konnten. Die politischen Erfolge waren zwar um die Jahrhundertmitte weniger ausgeprägt, weil das Interesse des langjährigen Regenten Graf Wilhelm Karl Ludwig eher der Steigerung der Einnahmen galt; dessen Neffe, der letzte regierende Graf Volrat, spielte jedoch wieder eine wichtige Rolle bei den Aktivitäten der Wetterauer Reichsstände im Rahmen der Frankfurter Union und betrieb damit noch einmal Politik auf hohem und höchstem Niveau – und zwar als selbstständiger Landesherr, nicht als Minister oder Gesandter eines Fürsten.1274 Überleben und Erfolg, das hat die Untersuchung gezeigt, basierten für Solms- Rödelheim auf vier Faktoren, nämlich erstens einer Ökonomie, die nicht auf der kleinräumigen Landes-, sondern auf der wesentlich umfangreicheren Grundherrschaft basierte, zweitens der Erweiterung dieser Grundherrschaft und der Arrondierung der Landesherrschaft, drittens der Monopolisierung des Zugriffs auf Herrschaft und Besitz durch Durchsetzung der Primogenitur, nachdem in vorhergehenden Generationen andere Modelle erfolglos angewendet worden waren, und viertens auf der Organisation der Landesherrschaft als „delegierte Herrschaft“. Durch das im Lauf der vorliegenden Arbeit entfaltete Konzept der „Herrschaft durch Delegation“ konnte die Bedeutung bislang separat untersuchter 1274 Vgl. ISENBURG, Um 1800, S. 238 ff. Herrschen durch Delegation 307 Institutionen1275 für die Herrschaft eines der kleinen Reichsstände im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation aufgezeigt werden. Das Konzept beschreibt, wie Grafenverein, Reichskreis, Dynastie und Gemeinden jeweils bestimmte landesherrliche Rechte für den regierenden Reichsgrafen wahrnahmen und damit zusammen mit ihm und seiner Administration eine funktionierende und effiziente Landesherrschaft sicherstellten,1276 und ergänzt damit die gegenwärtige Diskussion um frühneuzeitliche Herrschaft.1277 Die großen und rückblickend mit dem Prädikat „Modernisierung“ geadelten Reformprojekte, die auf eine Ausschaltung innerterritorialer Mediatgewalten wie Stände und Gemeinden und auf immer größere Autonomie nach außen hinausliefen, blieben im 18. Jahrhundert Österreich und Preußen und manchem mittleren Territorium vorbehalten; Wenn man einen Prozess wie „Staatsbildung“ sucht, dann dort.1278 Im Falle der Reichsgrafen von Solms- Rödelheim waren zentrale Kompetenzen und Pflichten nicht territorial gebündelt, sondern waren und blieben für die ganze Epoche selbstständiger Landesherrschaft aufgeteilt auf eine Vielzahl von Institutionen und Personen außerhalb, aber auch innerhalb der Grafschaft. SCHMIDTS für den Wetterauer Grafenverein getroffenes Urteil, die dort stattfindende Kooperation habe die Kleinräumigkeit der Grafschaften substituiert und es ermöglicht, den Territorialstaaten vergleichbare Regelungen für die eigenen Lande zu schaffen,1279 ist zutreffend. Es muss jedoch noch deutlich erweitert werden: eine den Territorialstaaten vergleichbar erfolgreiche Landesherrschaft der Reichsgrafen konnte in Rödelheim nicht allein durch den Rückhalt im Grafenverein realisiert werden, sondern bedurfte darüber hinaus des Zusammenwirkens von Haus, Kaiser und Reich sowie den eigenen Gemeinden, Untertanen und Amtsträgern. Reichsstandschaft und Landeshoheit verblieben dessen ungeachtet einzig und allein bei den Regenten. Eine Abtretung oder Übertragung obrigkeitlicher Rechte 1275 Vgl. insbesondere CARL, Adelseinungen, SCHMIDT, Grafenverein, ARNDT, Das niederrheinisch- westfälische Reichsgrafenkollegium, WÜST (Hg.), Reichskreise und Territorium, PRESS, Reichsgrafenstand und Reich, TROßBACH, Bauern 1648 – 1806 und WUNDER, Die bäuerliche Gemeinde. 1276 Diese Institutionen können demnach als die „Kommissare“ der Delegation begriffen werden, vgl. BUCHDA, Artikel „Delegation“. 1277 L. Schorn-Schütte beispielsweise, die ebenfalls die Praxis frühneuzeitlicher Herrschaft untersucht hat, spricht von „begrenzter“ Herrschaft, die deshalb „verteilte“ Herrschaft gewesen sei, vgl. LUISE SCHORN-SCHÜTTE, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, München 2004, S. 1-12, hier S. 8. Trotz der begrifflichen Ähnlichkeit ist damit jedoch keineswegs „delegierte Herrschaft“ gemeint. 1278 Vgl. überblicksartig VIERHAUS, Staaten und Stände, S. 277-326. 1279 Vgl. SCHMIDT, Grafenverein, S. 194. Herrschen durch Delegation 308 durch die Grafen fand nämlich keineswegs statt. So wurden etwa Beschlüsse des Kreises, des Grafenvereins oder der Gemeinden für den Bereich einer Landesherrschaft in der Regel erst dann wirksam, wenn sie vom Regenten ratifiziert oder kraft seiner Hoheit verkündet wurden.1280 Sitz und Stimme der einzelnen Grafen auf Reichstagen wurden zwar durch den Grafenverein geführt und von dessen Gesandten wahrgenommen, trotzdem stand jedem einzelnen reichsgräflichen Mitglied grundsätzlich die persönliche Anwesenheit in der Fürstenkurie zu1281 – eine Reminiszenz an das Prinzip der delegiert organisierten, eben nicht an eine Institution abgetretenen Herrschaft. Das stellte einen zentralen Unterschied zur frühneuzeitlichen Reichsritterschaft dar mit ihren „Föderativherrschaften, in denen obrigkeitliche Rechte zwischen Kanton und den einzelnen Mitgliedern geteilt waren“.1282 Hier handelten der Kanton oder der zuständige Hauptmann für die Mitglieder; im Fall der Grafen waren Rechte nicht aufgeteilt, sondern wurden lediglich in ihrem Auftrag von einer anderen Institution wahrgenommen. Das Direktorium handelte also nicht für die anderen, sondern lediglich in deren Namen – ein entscheidender Unterschied. Die Delegation hoheitlicher Rechte und Pflichten tat weder der „Hoheit“ noch der Ehre der Grafen in der Eigen- oder Fremdwahrnehmung einen Abbruch, sondern sie bedeutete im Gegenteil ungeachtet beschränkter eigener finanzieller und personeller Ressourcen die Möglichkeit, an politischen und militärischen Aktionen in größeren Maßstab beteiligt zu werden und eine funktionierende Verwaltung auch dort zu gewährleisten, wo keine zentralisierte Bürokratie existierte oder geplant war. Mit anderen Worten: delegiert organisierte (Landes-)herrschaft ermöglichte effektives Regieren mit begrenzten Mitteln und kann damit als ein wichtiger Baustein für die Fortexistenz der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim bis zum Ende des Alten Reichs gelten. Sie ermöglichte die Verdichtung von Herrschaft der Reichsgrafen eben nicht auf der Ebene des eigenen Territoriums, sondern je nach Zusammenhang in der eigenen Grafschaft, allen reichsunmittelbaren Herrschaften des Hauses zusammen, im Grafenverein oder dem Kreis. 1280 Vgl. z.B. die Erhebung der Kreissteuern, deren Repartition durch die gräfliche Administration durchgeführt wurde, oder die durch die Gemeinde gewählten Bürgermeister, die durch den Regenten bestätigt werden mussten. 1281 Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand, S. 38. 1282 ENDRES, Adel in der Frühen Neuzeit, S. 11. Herrschen durch Delegation 309 Allerdings waren bei weitem nicht alle der 144 im Jahr 1521 existierenden selbstständigen Reichsgrafschaften1283 so erfolgreich. Viele schieden bis 1806 aus den Grafenkollegien aus. Nimmt man dem Ergebnis dieser Arbeit folgend an, dass delegiert organisierte Herrschaft ein entscheidender Faktor für Erfolg und Existenzsicherung der Reichsgrafschaften war, müsste sich das Konzept an den Fällen, in denen Grafen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ihre Selbstständigkeit einbüßten, überprüfen lassen. Ihr Ende könnte nämlich dann (auch) auf ein Versagen des Systems der Delegation zurück zu führen sein. Zwar kann diese Frage hier nicht ausführlich und in jedem Einzelfall beantwortet werden. Die von G.OESTREICH und E.HOLZER erstellte Übersicht gibt jedoch ausreichend Hinweise auf das Schicksal eines Teils der in der Matrikel von 1521 verzeichneten Reichsstände, um einen Überblick über die Entwicklung zu gewinnen.1284 Im Wesentlichen wird dort als Grund für ein Scheitern1285 angeführt, dass das betreffende Haus durch ein Fürstentum mediatisiert oder „eximiert“ worden oder nach dem „Erlöschen“, also dem Aussterben in männlicher Deszendenz, bzw. durch Verkauf/Verpfändung in den Besitz eines Fürsten oder anderen Grafen gekommen sei. Das Erlöschen einer Linie konnte durch die delegierte Organisation reichsgräflicher Herrschaft naturgemäß nicht verhindert werden, da die Ursache – die Kinderlosigkeit – außerhalb ihres Einflussbereichs lag; aber – das ergab die Untersuchung der Vernetzung Solms-Rödelheims – es standen normalerweise Instrumente zur Verfügung, mit denen sicher gestellt werden konnte, dass die betroffene Herrschaft nicht für das Haus oder den Grafenstand insgesamt verloren ging. Ein Haus als handlungsfähige Einheit delegierter Herrschaft und Hausgesetze sowie Erbverbrüderungen als Garanten der Vererbung innerhalb der Familie bzw. des Grafenstandes existierten jedoch längst nicht überall. So kam etwa die Grafschaft Sponheim nach dem Aussterben des männlichen Stammes in weiblicher Erbfolge an 1283 Vgl. Anschlag für die Romzugshülfe in Truppen zu Roß und zu Fuß und für Unterhaltung des Regiments und des Kammergerichts in Geld, 1521, Mai 15 und 17, in: Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit Bd. 2, hg. v. K. Zeumer, Leipzig 1913, S. 313-318. 1284 Vgl. auch Anhang Kapitel 8.2.1. 1285 Die Gruppe der vor 1806 gefürsteten und damit „nach oben“ aus dem Grafenstand ausgeschiedenen Häuser, zu denen neben Waldeck und den Solmser Linien Braunfels und Hohensolms auch Fürstenberg, Schwarzenberg, Zollern u.a. gehörten, bleiben hier unberücksichtigt, weil bei ihnen schwerlich von einem Scheitern, sondern im Gegenteil von überaus großem Erfolg gepsrochen werden kann. Herrschen durch Delegation 310 Baden und Pfalz-Simmern.1286 Und weil in der Grafschaft Kleve solche Institutionen ebenfalls fehlten, konnte Brandenburg nach dem Aussterben des Hauses 1609 seine Ansprüche durchsetzen und Kleve seiner Herrschaft einverleiben.1287 Auch einer Mediatisierung als Resultat eines fürstlichen Übergriffs oder gräflicher Überschuldung hätte durch die Einbindung in das Samthaus, den Grafenverein und den Reichskreis gesteuert werden können.1288 War diese Einbindung jedoch mangelhaft, konnte es Fürsten gelingen, durch das ungehinderte Ausspielen ihrer Macht eine Grafschaft unter ihre Hoheit zu zwingen. Das war etwa bei Stolberg-Stolberg der Fall, das in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts starkem militärischem Druck Sachsens ausgesetzt war. Die Regenten der anderen Stolberger Linien verfolgten jedoch eigene Interessen und wollten sich aus verschiedenen Gründen nicht in die Angelegenheit einmischen, ebenso wenig wie der Kaiser und der Mainzer Kurfürst, den der bedrängte Graf als seinen Lehnsherrn anrief.1289 Der Wetterauer Grafenverein schließlich, zu dessen Mitgliedern die Stolberger Grafen gehörten, scheint in dieser Angelegenheit weder angerufen noch von sich aus aktiv geworden zu sein. Wegen des vollständigen Ausfalls der Institutionen delegierter Herrschaft war der Stolberger Graf schließlich 1738 zur Abgabe einer Submissionserklärung und zum bedingungslosen Anerkennen der sächsischen Oberhoheit gezwungen.1290 Eine andere Entwicklung mit ähnlichem Ergebnis spielte sich wenige Jahre später in der Grafschaft Bentheim ab; der völlig verschuldete gräfliche Regent überließ gegen Übernahme der Schulden und eine jährliche Leibrente seine gesamte Landesherrschaft dem Kurfürsten von Hannover.1291 Auch hier sprangen weder Agnaten noch Mitstände oder Untertanen ein, um den Kredit zu heben und die Mediatisierung zu verhindern. Insofern zeigen also die Fälle des Verlusts einer Grafschaft an Fürsten – Bayern, Österreich, Braunschweig und 1286 Vgl. MOSER, Von denen teutschen Reichs-Ständen 3;1, S. 276. 1287 Vgl. VOLKER SERESSE, Politische Normen in Kleve-Mark während des 17. Jahrhunderts : argumentationsgeschichtliche und herrschaftstheoretische Zugänge zur politischen Kultur der frühen Neuzeit, Epfendorf/Neckar 2005, S. 34-36. 1288 Vgl. z.B. die Bemühungen des Grafen von Bentheim, nach der Verpfändung der Grafschaft wieder eine selbstständige Landesherrschaft zu etablieren. U.a. versuchte er dabei, beim Haus und beim niederrheinisch-westfälischen Reichskreis Unterstützung zu finden, PETER VEDDER, Die Ablösung der Verpfändung der Reichsgrafschaft Bentheim im Jahre 1804 – Der vergebliche Versuch einer Wahrung der politischen Eigenständigkeit, in: Osnabrücker Mitteilungen 54 (2006) S. 171-211, hier v.a. S. 176-178. 1289 Vgl. BRÜCKNER, Stolberg, S. 195-198. 1290 Vgl. ebd. S. 199-203. 1291 Vgl. ALWIN HANSCHMIDT, Das 18. Jahrhundert, in: Wilhelm Kohl (Hg.), Von den Anfängen bis zum Ende des alten Reiches (Westfälische Geschichte Bd. 1), Düsseldorf 1983, S. 605-685, hier S. 608. Herrschen durch Delegation 311 Brandenburg-Preußen scheinen besonders auf Kosten der Reichsgrafen ihre Territorien erweitert haben – durchaus die Grenzen des Systems der delegiert organisierten Herrschaft. Einer „Übermächtigung“ durch aggressiv agierende Fürsten hatte es oft wenig entgegen zu setzen. Der Teil der erloschenen oder verkauften Grafschaften, der den Besitzer innerhalb des Reichsgrafenstands wechselte, kann hingegen als Beleg für die Bedeutung der Binnenvernetzung der Grafen für die Existenzsicherung ihres Standes insgesamt gewertet werden. Diese Fälle ergeben nämlich letztlich eine ausgeglichene Bilanz für den Gesamtstand, bedeutete doch das Ende des einen hier gleichsam die Stärkung eines anderen Reichsgrafen; das galt u.a. für Tecklenburg und Wildenfels, die an Solms gingen, und für Pyrmont, Steinfurt, Wertheim oder Geroldseck, die ebenfalls in anderen Reichsgrafen ihre neuen Landesherren fanden. Inwiefern aber hob sich das System delegierter Herrschaft der Reichsgrafen von anderen Organisationsformen von Landesherrschaft im Alten Reich ab? Schließlich galt für alle Reichsstände der Frühen Neuzeit einschließlich der Fürsten, dass ihre Superioritas territorialis nicht in erster Linie Ungebundenheit, sondern Eingebundenheit in das Reich und andere politische und soziale Gefüge bedeutete.1292 Schon anhand weniger Beispiele mittlerer und größerer Fürstentümer lassen sich hier gravierende Unterschiede ausmachen: so kannte etwa die Landgrafschaft Hessen, mit dem Testament Philipps des Großmütigen 1567/68 geteilt,1293 die Institution des Samthauses nicht.1294 Man verzichtete angesichts eigener Stärke und selbstständiger Pläne auf den Rückhalt beim Haus und im Wesentlichen auch auf gemeinsame Einrichtungen,1295 insbesondere auf regelmäßige Familientage und Hauskonferenzen. Und auch seine Mitgliedschaft im oberrheinischen Kreis bedeutete für Hessen etwas völlig anderes; zwar entsandten die Landgrafen im späten 17. Jahrhundert noch Soldaten für die Türkenkriege des 1292 Vgl. GERHARD MENK, Der deutsche Territorialstaat in Veit Ludwig von Seckendorffs Werk und Wirken, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2002, S. 55-92 S. 77. 1293 Vgl. HEIDE WUNDER, Einleitung, in: Heide Wunder, et al. (Hg.), (unter Mitarbeit von Tobias Busch), Landgraf Philipp von Hessen und seine Residenz Kassel. Ergebnisse des interdisziplinären Symposiums der Universität Kassel zum 500. Geburtstag des Landgrafen Philipp von Hessen (17. bis 18. Juni 2004), Marburg 2004, S. 1-2, hier S. 1. 1294 Vgl. zur Organisiation des Hauses Hessen sowie zu der erbitterten Konkurrenz Kassels und Darmstadts u.a. FRANK-LOTHAR KROLL, Geschichte Hessens, München 2006, S. 30-31. 1295 Mit Ausnahme der durch Philipp den Großmütigen Mitte der 16. Jahrhunderts eingerichteten Hohen Hospitäler, des Samtarchivs und zweier Gerichte, vgl. DEMANDT, Geschichte des Landes Hessen, S. 564. Herrschen durch Delegation 312 Reichs, hatten jedoch bereits lange vorher eigene militärische Ambitionen entwickelt, die über den engen Rahmen des Kreises weit hinaus reichten.1296 Auch Brandenburg-Preußen agierte im Verlauf der Frühen Neuzeit nicht nur militärisch und politisch mehr und mehr über den Reichsverbund hinaus,1297 sondern es war eine weit reichende „dynastische Verselbständigung“ der Mark eingetreten. Während im 15. und 16. Jahrhundert das Samthaus Hohenzollern noch eine wichtige Rolle gespielt hatte,1298 entwickelten sich seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die nördlichen und östlichen Gebiete der Hohenzollern unabhängig fort.1299 So war der jeweilige Kurfürst weder durch andere Mitglieder des Hausverbands noch durch einen Reichskreis wesentlich in seiner Handlungsfähigkeit beschränkt.1300 Delegation fand in frühneuzeitlichen mittleren und großen Fürstentümern zwar ebenfalls statt – aber es handelte sich um vertikale, im Wesentlichen innerterritoriale Delegation, also um die Wahrnehmung von Kompetenzen und Rechten der fürstlichen Landeshoheit durch Amtsträger. Im Gegensatz dazu waren Haus, Kreis und Grafenverein für die Grafen ein wichtiges Handlungsfeld der horizontalen und über den begrenzten Bereich des eigenen Territoriums hinaus reichenden Delegation zentraler Elemente ihrer Herrschaft, gewissermaßen der Ausübung hoheitlicher Rechte durch prinzipiell Gleichrangige; vertikale Delegation kam ebenfalls vor, war jedoch in vielen Fällen wesentlich auf die Gemeinden beschränkt. Weil die Delegation ein wirksames Instrument zur Sicherung der Existenz und Handlungsfähigkeit war, versuchten die Reichsgrafen angesichts der bedrohlichen Entwicklung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, diese bewährte Strategie in aktualisierter Form fortzusetzen. Organisatorischer Rahmen dafür war die zwischen 1803 und 1806 geplante Frankfurter Union, zu deren führenden Kräften neben Solms-Laubach und Leiningen auch Solms-Rödelheim gehörte. Auch hier handelte nicht das einzelne Mitglied, sondern einige wenige Beauftragte im Namen aller. Der führende Akteur Graf Friedrich von Laubach schrieb 1806 an den Fürsten von 1296 Vgl. PHILIPPI, Hessen, hier S. 351-353. 1297 Vgl. WOFGANG NEUGEBAUER, Geschichte Preußens, Hildesheim 2004, S. 44-46. 1298 Vgl. ebd., S. 27-29. 1299 Vgl. WOLFGANG NEUGEBAUER, Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (Die Hohenzollern Bd. 1), Stuttgart 1996, S. 70-72 und S. 102-126. 1300 Eine wichtige Ausnahme im Kreis der großen Fürstentümer bildete Habsburg; hier bildete das Haus eine Klammer, die die weitläufigen habsburgischen Gebiete mehr oder minder lose verband und stellenweise in der Lage war, eine dynastische Politik zu koordinieren. Allerdings waren die Dimensionen und auch die Mechanismen angesichts einer Dynastie europäischen Ausmaßes vollkommen andere als im Haus Solms. Vgl. dazu MICHAEL ERBE, Die Habsburger 1493 - 1918: eine Dynastie im Reich und in Europa, Stuttgart 2000, v.a. S. 264-273. Herrschen durch Delegation 313 Isenburg: Soll die Union eine bleibende Dauer erhalten und Alles, was jetzt zu Grunde geht, Kreisverfassung und Kollegialverbindung, ersetzen [...].1301 Graf Friedrich war sich der Funktionsweise und der Vorteile des Systems sehr wohl bewusst und wollte es fortsetzen, um die Existenzsicherung der kleinen Wetterauer Grafschaften weiter zu sichern. Die auf dem Prinzip der Delegation basierende Union sollte die bisher auf der Grundlage der Reichsverfassung praktizierte delegierte Organisiertheit der Landesherrschaft ablösen. Die Pläne machen deutlich, dass die beteiligten Grafen von der Zukunftsfähigkeit dieses Systems überzeugt waren. Dabei unterschätzten sie jedoch die sich dem geplanten Verbund entgegen stellenden Hindernisse, die auch schon die Probleme der alten Bünde gewesen waren.1302 Die Mediatisierung war deshalb für die meisten Reichsgrafen – so auch für Solms-Rödelheim – nicht aufzuhalten. Sie wurden zu Standesherren, verloren also ihre Landeshoheit und Selbstständigkeit, behielten aber einen Teil ihrer Herrschaftsrechte und den Großteil ihres Besitzes.1303 1301 Schreiben Graf Friedrichs von Laubach an Fürst von Isenburg vom 6.1.1806, zitiert nach ISENBURG, Um 1800, S. 244. 1302 Vgl. KELL, Frankfurter Union S. 97, die Prestigeneid, unterschiedliche Zukunftsentwürfe, fiskalische und administrative Probleme, Territorialstreitigkeiten und v.a. das rücksichtslose Verfolgen eigener Interessen durch exponierte Vertreter der Union auf Kosten der anderen Mitglieder als wichtigste Gründe für das Scheitern anführt. So konnte Isenburg-Birstein als einziges Mitglied der Mediatisierung entgehen, weil es die Union als Plattform für eigene Verhandlungen mit Napoleon nutzte. Viele dieser Faktoren waren schon für die Samthäuser, die Grafenvereine und die Kreise problematisch gewesen. 1303 Darüber hinaus blieben sie ihrerseits Träger delegierter Herrschaft eines anderen Systems, wie sie es im Dienst von Kaiser und Reich oder von Fürsten schon vorher oft gewesen waren.Beispielsweise war der letzte regierende Graf von Solms-Laubach Friedrich Ludwig Christian zunächst enger Mitarbeiter des Freiherrn von Stein, nach 1815 dann erster Oberpräsident der preußischen Rheinprovinz (Jülich-Kleve-Berg), vgl. KLAUS SCHWABE (Hg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945 (Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 15), Boppard 1985, S. 292. Quellen- und Literaturverzeichnis 314 7 Quellen- und Literaturverzeichnis 7.1 Ungedruckte Quellen / Handschriften Baden-Württembergisches Staatsarchiv Ludwigsburg Bestand B 114. Baden-Württembergisches Staatsarchiv Wertheim, F-Rep. 180. Familienarchiv der Grafen von Solms-Rödelheim und Assenheim auf Schloss Assenheim. Generallandesarchiv Karlsruhe Bestand 111. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Bestände B9, E12, F24 und P24. Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestände 17 II und 118a. J. KNOCH, Beschreibung der alten Grafschaft Solms (handschr., Signatur MULB 2° Ms. Hass. 283), Detmold 1793. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestände 5, 54 und 211. 7.2 Gedruckte Quellen Corpus Constitutionum Marchicarum, Oder Königl. Preußis. und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marck Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta [et]c. : Von Zeiten Friedrichs I. Churfürstens zu Brandenburg, [et]c. biß ietzo unter der Regierung Friderich Wilhelms, Königs in Preußen [et]c. ad annum 1736. inclusivè / ... colligiret und ans Licht gegeben von Christian Otto Mylius, Berlin und Halle 1737- 1755. Fortsetzung der Nachricht von einigen in verschiedenen Orten der Grafschaft Hanau und umherliegenden Dorfschaften noch üblichen alten Gebräuchem, in: Hanauisches Magazin 3 (1780), S. 26-32. Gericht- und Landt Ordenunge deren Graffschafft Solms / vnndt Herrschafft Mintzenberg (Neufassung der usprünglichen Version von 1571), Lich 1599. Genealogisches Reichs- und Staatshandbuch II, Frankfurt 1805. Species Facti betreffs des Gesuchs Wilhelm Karl Ludwigs an den oberrheinischen Reichskreis und den Reichstag um Verminderung der Kreis- und Reichsabgaben 1735-1740 vom 20.6.1740. Quellen- und Literaturverzeichnis 315 JOHANN CHRISTOPH ADELUNG, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart,Wien 1811 (4 Bde), daraus u.a. Artikel "Tonne", Bd. 4, Wien 1811, S. 626-627. JOHANN GOTTFRIED BIEDERMANN, Geschlechts-Register der Reichs Frey unmittelbaren Ritterschafft Landes zu Francken löblichen Orts Ottenwald, Culmbach 1751. JOHANN STEPHAN BURGERMEISTER, Graven- und Rittersaal / Das ist gründliche Vorstellung, welcher gestalt des H. Röm. Reichs Grafen / Herren und die andere Reichritterschafft [...] mit ihren Aembtern / Rechten / Freyheiten und Gewohnheiten gegen- und beyeinander gestanden, Ulm 1715. CHRISTOPH CHRISTIAN VON DABELOW, System des gesammten heutigen Civil- Rechts (2), Halle 1796. FRIEDRICH CHRISTOPH JONATHAN FISCHER, Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Policeyrechte: sowol von Teutschland überhaupt als insbesondere von den Preussischen Staaten (1), Frankfurt a. d. Oder 1785. JOHANN GEORG KRÜNITZ, Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft: in alphabetischer Ordnung, Berlin 1773- 1858 (242 Bde), daraus v.a. die Artikel "Kammer-Herr", Bd. 33, Berlin 1785, S. 383-386 "Schatzung", Bd. 140, Berlin 1825, S. 540-541. JOHANN CHRISTIAN LÜNIG, Thesaurus juris derer Grafen und Herren des Heiligen Roemischen Reichs, worinn von deren Ursprung, Wachsthum, Praerogativen und Gerechtsamen gehandelt, Frankfurt a.M. u.a. 1725. FRIEDRICH CARL VON MOSER, Teutsches Hof-Recht in 12 Büchern (2, enhaltend eine systematische Abhandlung... nebst vielen ungedruckten Hofordnungen und Ceremonial-Nachrichten), Frankfurt / Leipzig 1761. JOHANN JACOB MOSER, Diplomatisches Archiv des XIIX. Jahrhunderts, darinnen viele wichtige / das Heil Röm. Reich und dessen Stände betreffende Urkunden, so vom Jahr 1701 an biß jetzo abgefasset worden und bißhero ungedruckt gewesen, oder doch in keiner Lünigischen Sammlung anzutreffen seynd [...], Frankfurt a.M. 1743. Ders., Von denen teutschen Reichs-Ständen, der Reichs-Ritterschafft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs-Glidern. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern, und eigener Erfahrung;[...] (Neues teutsches Staatsrecht 3;1), Frankfurt a.M. 1767. Ders., Von denen teutschen Reichs-Ständen, der Reichs-Ritterschafft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs-Glidern. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern, und eigener Erfahrung;[...] (Neues teutsches Staatsrecht 3;2), Frankfurt a.M. 1767. Quellen- und Literaturverzeichnis 316 Ders., Von denen Teutschen Reichs-Tags-Geschäfften, nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen [...] (Neues Teutsches Staatsrecht 4), Frankfurt a.M. 1768. Ders., Von der Landeshoheit im weltlichen, und zwar: 1. in Regierungs-Sachen; 2. in Justiz-Sachen; 3. in Militair-Sachen; 4. in Steuer-Sachen; 5. in Cameral-Sachen; 6. in Policey-Sachen; 7. in Gnaden-Sachen; 8. in Sachen, so der Unterthanen Personen und Vermögen; wie auch 9. in Sachen, welche Erde, Wasser, usw. betreffen (Neues teutsches Staatsrecht 16), Frankfurt a.M. 1772. ADOLF FELIX POSSE, Prüfung des Unterschieds zwischen Erbfolgerecht und Erbfolgeordnung, in Hinsicht auf die neuesten reichsständischen Erbfolgestreitigkeiten, Rostock u.a. 1796. JOHANN STEPHAN PÜTTER, Beyträge zum teutschen Staats- und Fürsten-Rechte (1), Göttingen 1777. REPERT SCHEIDEMANTEL, Repertorium reale pragmaticum iuris publici et feudalis imperii Romano-Germanici oder das Heil. Röm. Reichs Staats- und Lehn-Recht (1), Leipzig 1782. ANDRES SIMSON VON BICHLING (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Additiones oder: Ingaben und Erinnerungen zum Teutschen Fürsten-Staat (Neuauflage), Jena 1737. Ders. (Hg.), Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten Staat (Neuauflage), Jena 1737. DAMIAN HARTARD VON UND ZU HATTSTEIN, Die Hoheit des teutschen Reichs-Adels wordurch derselbe zu Chur- und fürstlichen Dignitäten erhoben wird. Das ist: vollständige Probe der Ahnen unverfälschter adlicher Famillen, ohne welche keiner auff Ertz- Dhomb- hoher Orden- und Ritter-Stiffter gelangen kan oder angenommen wird (Bd. 1), Fulda 1729. WILHELM LUDWIG WIRTH (Hg.), Johann Christian Lünigs neueröffnetes Europäisches Staats-Titular-Buch [...] (2 Bde.), Leipzig 1737. JOHANN HEINRICH ZEDLER, Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Leipzig/Halle 1732-1754 (33 Bde), daraus v.a. die Artikel "Adel", Bd. 1, Leipzig / Halle 1732, S. 467-474, "Bereuter", Bd. 3, Leipzig/Halle 1732, S. 1227, "Cammer-Herr", Bd. 5, Leipzig / Halle 1733, S. 435 und "Dingen", Bd. 7, Leipzig / Halle 1734, S. 952 "Land-Reuter", Bd. 16, Leipzig/Halle 1737, S. 445 LUDWIG CHRISTOPH HEINRICH ZEIBICH, Genealogische Tabellen über das Ur-Alte Reichs-Gräfliche Haus zu Solms, Berlin / Wittenberg / Zerbst 1709. Quellen- und Literaturverzeichnis 317 7.3 Edierte Quellen Anschlag für die Romzugshülfe in Truppen zu Roß und zu Fuß und für Unterhaltung des Regiments und des Kammergerichts in Geld, 1521, Mai 15 und17, in: Karl Zeumer (Hg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit Bd. 2, Leipzig 1913, S. 313-318. FRIEDRICH BATTENBERG, Solmser Urkunden. Regesten zu den Urkundenbeständen und Kopiaren der Grafen und Fürsten von Solms im Staatsarchiv Darmstadt (Abteilungen B9 und F24B), im gräflichen Archiv zu Laubach und im fürstlichen Archiv zu Lich, 1131-1913 (5 Bde.), Darmstadt 1981-1986. LUDWIG BAUR, Urkundenbuch des Klosters Arnsburg in der Wetterau, Darmstadt 1851 ECKHARDT G. FRANZ, Grafschaft Solms-Rödelheim. Amtsbücher, Kopiare, Sal- und Lagerbücher, Protokolle, Gerichtsbücher und Rechnungen (F 24 B) (Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt 41), Darmstadt 1998. RUDOLF GRIESER (Hg.), Die Denkwürdigkeiten des Burggrafen und Grafen Christoph zu Dohna (1665-1733) (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 33), Göttingen 1974. THOMAS HEILER (Hg.), Das Türkensteuerregister der Fürstabtei Fulda von 1605, Fulda 2004. Hessisches Archiv-Dokumenttations- und Informationssystem Staatsarchiv Darmstadt Abt. Amtsbücher Solms-Rödelheim (F24 B) - Herrschaft Limpurg- Gaildorf, [http://www.hadis.hessen.de/scripts/HADIS.DLL/home?SID=40BO- 2254032-BD31F&PID=1DC5] (19.01. 2006). GUSTAV C. KNOB, Die Alten Matrikel der Universität Strassburg 1621 bis 1793 (Urkunden und Akten der Stadt Strassburg 1), Strassburg 1897. GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ, Anmerckungen bey einem Teutschen Discurs Notae in Notas, abgedruckt in: Akademie-Ausgabe IV-2, o.O. 1682, S. 386-393. JOHANNES WILHELMUS WALDSCHMIEDT und JOHANNES CAROLUS CRANZ, Dissertatio Jvris Pvblici De S.R.G.J. Comitum Austregis, = Von Reichs-Gräfflichen Austrägen, Marburgi Cattorum 1716. KARL ZEUMER (Hg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Leipzig 1913, S. 553-554. Quellen- und Literaturverzeichnis 318 7.4 Literatur JÜRGEN ACKERMANN, Verschuldung, Reichsdebitverwaltung, Mediatisierung. Eine Studie zu den Finanzproblemen der mindermächtigen Stände im Alten Reich: Das Beispiel der Grafschaft Ysenburg-Büdingen 1687-1806, Marburg 2002. KONRAD AMANN, Der oberrheinische Kreis im Wandel, in: Wolfgang Wüst (Hg.), Reichskreise und Territorium. Die Herrschaft über die Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich süddeutscher Reichskreise, Stuttgart 2000, S. 335-347. KARL OTMAR FREIHERR V. ARETIN, Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus 1745-1806 (Das Alte Reich 1648-1806 Bd. 3), Stuttgart 1997. Ders, Heiliges Römisches Reich 1776 - 1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität (1), Wiesbaden 1967. JOHANNES ARNDT, Das niederrheinisch-westfälische Reichsgrafenkollegium und seine Mitglieder 1653 - 1806 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 133 Abteilung Universalgeschichte), Mainz 1991. Ders., Deutsche Territorien im europäischen Mächtesystem, in: Heinz Schilling, et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 942 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Ausstellungskatalog Essayband), Dresden 2006, S. 135- 144. Ders., Die Grafschaft Lippe und die Institutionen des Heiligen Römischen Reiches im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1989), S. 149-176. Ders., Hochadel in Nordwestdeutschland. Die Mitglieder des Niederrheinisch- westfälischen Reichsgrafenkollegiums zwischen individuellem Auftsiegsstreben und korporativer Selbstbehauptung, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 126 (1990), S. 185-221. Ders., Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Selbstbehauptung gegenüber männlicher Dominanz im Reichsgrafenstand des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 77 (1990), S. 153-174. Ders., Rezension zu Ernst Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium im 16. und 17. Jahrundert, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 126 (1990), S. 712-713. Ders., Zwischen kollegialer Solidarität und persönlichem Aufstiegsstreben. Die Reichsgrafen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch (Hg.), Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (1600-1789), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 105-128. RONALD G. ASCH, Zwischen defensiver Legitimation und kultureller Hegemonie: Strategien adliger Selbstbehauptung in der frühen Neuzeit, in: Zeitenblicke 4 (2005) Nr. 2 [28.06.2005], URL: http://www.zeitenblicke.de/2005/2/Asch. Quellen- und Literaturverzeichnis 319 Ders. (Hg.), Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (1600-1789), Köln/Weimar/Wien 2001. Ders. und DAGMAR FREIST (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005. Ders. und HEINZ DUCHHARDT (Hg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550- 1700), Köln 1996. HANNS BÄCHTOLD-STÄUBLI (Hg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (10 Bde.), Berlin / Leipzig 1928-1938. HANS JOACHIM BECKER, Artikel "Zehnt", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (5), Berlin 1998, S. 1629- 1631. M. BENDINER, Die Reichsgrafen. Eine verfassungsgeschichtliche Studie, München 1888. JOACHIM BERGER (Hg.), Der ´Musenhof´ Anna Amalias. Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar, Köln, Weimar, Wien 2001. PETER BLICKLE, Landschaften im Alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1973. Ders. (Hg.), Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, München 1991. ERNST BÖHME, Das fränkische Reichsgrafenkollegium im 16. und 17. Jahrhundert. Untersuchungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der korporativen Politik mindermächtiger Reichsstände, Stuttgart 1989. HANS BOLDT, Deutsche Verfassungsgeschichte Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des älteren deutschen Reichs 1806, München 21984. RICHARD BONNEY (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200-1815, New York 1999. Ders., Introduction, in: Ders. (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200- 1815, New York 1999, S. 1-18. KARL BOSL, Artikel „Grundherrschaft“, in: Hellmuth Rössler und Günther Franz (Hg.), Sachwörterbuch zur Deutschen Geschichte (1), München 1958, S. 373-375. PIERRE BOURDIEU, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1993. PIERRE BOURDIEU und LOÏC J. D. WACQUANT, Reflexive Anthropologie, Frankfurt a. M. 1996. Quellen- und Literaturverzeichnis 320 JAN BRADEMANN, Tagungsbericht "Politik-Kultur-Kommunikation. Neue Forschungen zur Biographie und Lebenswelt des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) in europäischer Perspektive", HSozKult [25.10. 2006], URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1330. STEFAN BRAKENSIEK, Artikel „Amtmann“, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit (1), Stuttgart / Weimar 2005, S. 330-332. Ders., Die Staatsdiener. Das Beispiel der gelehrten Räte an der Regierung Kassel, in: Heide Wunder, et al. (Hg.), Kassel im 18. Jahrhundert. Residenz und Stadt, Kassel 2000, S. 350-374. Ders., Fürstendiener - Staatsbeamte - Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1750-1830) (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte Bd. 12), Göttingen 1999. Ders., Lokale Amtsträger in Deutschen Territorien der Frühen Neuzeit. Institutionelle Grundlagen, akzeptanzorientierte Herrschaftspraxis und obrigkeitliche Identität, in: Ronald G. Asch und Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 49-67. Ders. und Heide Wunder (Hg.), Ergeben Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005. WALTER BRIEKE (Hg.), 1200 Jahre Rödelheim : 788 - 1988 (Festschrift zur 1200- Jahrfeier von Rödelheim), Frankfurt-Rödelheim 1988. JÖRG BRÜCKNER, Zwischen Reichsstandschaft und Standesherrschaft. Die Grafen zu Stolberg und ihr Verhältnis zu den Landgrafen von Thüringen und späteren Herzögen, Kurfürsten bzw. Königen von Sachsen (1210 - 1815), [10.04. 2005], URL: http://archiv.tu-chemnitz.de/pub/2003/0162/data/diss.pdf. OTTO BRUNNER, Land und Herrschaft, Darmstadt 51965. GERHARD BUCHDA, Artikel „Appellation“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, S. 196-200. Ders., Artikel „Delegation“, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, Sp. 674-677. WERNER BUCHHOLZ, Öffentliche Finanzen und Finanzverwaltung im entwickelten Frühmodernen Staat (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern 25),Köln / Weimar / Wien 1992. KARL-OTTO BULL, Die erste "Volkszählung" des deutschen Südwestens. Die Bevölkerung des Hochstifts Speyer um 1530, in: Kurt Andermann und Hermann Ehmer (Hg.), Bevölkerungsstatistik an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Quellen- und Literaturverzeichnis 321 Quellen und methodische Probleme im überregionalen Vergleich, Sigmaringen 1990, S. 109-136. REINHARD BUTZ, JAN HIRSCHBIEGEL und DIETMAR WILLOWEIT (Hg.), Hof und Theorie. Annäherungen an ein historisches Phänomen (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit Bd. 22), Köln / Weimar / Wien 2004. HORST CARL, Genossenschaft und Herrschaftsverdichtung. Zur politischen Kultur von Adelseinungen im Alten Reich, in: Ronald G. Asch und Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 405-427. MICHAEL CRAMER-FÜRTIG, Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfung im Herzogtum Bayern: Zur Normierung der amtlichen Buchführung in der Frühen Neuzeit, in: Friedrich Edelmayer und Maximilian Lanzinner (Hg.), Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert, Wien / München 2003, S. 270-290. RALF DAHRENDORF, Homo sociologicus, Köln/Opladen 1966. HANSMARTIN DECKER-HAUFF, Der Schwäbische Wald - Limpurg, in: Merian. Das Monatsheft der Städte und Landschaften 6/XVIII (1965), S. 62-74. KARL ERNST DEMANDT, Geschichte des Landes Hessen, Kassel 21972. WALTER DEMEL, Der europäische Adel vom Mittelalter bis zur Gegenwart,München 2005. KARL DIELMANN, Wie der Kreis Büdingen entstanden ist, in: Geschichtsverein Büdingen (Hg.), Kreis Büdingen - Wesen und Werden, Büdingen 1956, S. 11-26. BERNHARD DIESTELKAMP, Artikel "Huldigung", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, Sp. 262-265. Ders., Artikel „Solmser Gerichts- und Landordnung von 1571“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (5), Berlin 1998, Sp. 1702-1705. WINFRIED DOTZAUER, Der Oberrheinische Kreis, in: Peter C. Hartmann (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit. Reichskreise im deutschen Raum, Provinzen in Frankreich, Regionen unter polnischer Oberhoheit. Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung, Berlin 1994, S. 97-125. Ders., Die deutschen Reichskreise (1383-1806). Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998. HEIKO DROSTE, Habitus und Sprache. Eine Kritik Pierre Bourdieus, in: Zeitschrift für Historische Forschung (2001), S. 95-120. Quellen- und Literaturverzeichnis 322 Ders., Patronage in der Frühen Neuzeit. Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), S. 555-590. HEINZ DUCHHARDT, Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648-1806 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 4), München 1990. JOCHEN EBERT, Die Versorgung des Hofs aus den Domänen - am Beispiel der Landgrafschaft Hessen in der Frühen Neuzeit, [24.10. 2006], URL: http://resikom.adw-goettingen.gwdg.de/gottorf/abstracts/Abstract_Ebert.pdf. Ders., Soziale Räume. Das Kabinettgut Frankenhausen im lokalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialgefüge (18. Jahrhundert), in: Jochen Ebert, et al. (Hg.), Landwirtschaftliche Großbetriebe und Landschaft im Wandel. Die hessische Domäne Frankenhausen im regionalen Vergleich, Bielefeld 2006, S. 19-49. FRIEDRICH EDELMAYER und MAXIMILIAN LANZINNER (Hg.), Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert, Wien / München 2003. RUDOLF ENDRES, Adel in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie der Geschichte 18), München 1993. WILHELM ENGELBACH, Studien zur Wirtschaftsgeschichte der Grafschaft Solms- Rödelheim (ms. Diss., 2 Bde), Marburg 1952. MICHAEL ERBE, Die Habsburger 1493 - 1918: eine Dynastie im Reich und in Europa, Stuttgart 2000. ADALBERT ERLER, Artikel „Familienstammgüter“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, Sp. 1073- 1074. LUDWIG HEINRICH EULER, Dorf und Schloss Rödelheim: Beiträge zu der Geschichte derselben; mit einer Abbildung des Schlosses und 1 Siegeltafel (Neujahrsblatt den Mitgliedern des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M.), Frankfurt a. M. 1859. HANS ERICH FEINE, Territorium und Gericht. Studien zur süddeutschen Rechtsgeschichte (eingel. und hg. von Friedrich Merzbacher), Aalen 1978. ANNA FILIPCZAK-KOCUR, Poland-Lithuania before Partition, in: Richard Bonney (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200-1815, New York 1999, S. 443- 480. KURT FINKE, Hessen. Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt a.M. 1970. ECKHARDT G. FRANZ, Der Staat der Großherzöge von Hessen und bei Rhein 1806- 1918, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 481- 515. Quellen- und Literaturverzeichnis 323 RALF-PETER FUCHS, Kaiser und Reich im Spiegel von Untertanenbefragungen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Anette Baumann, et al. (Hg.), Lesebuch Altes Reich, München 2006, S. 48-52. JUAN GELABERT, Castile 1504-1808, in: Richard Bonney (Hg.), The rise of the Fiscal State in Europe, c. 1200-1815, New York 1999, S. 201-241. UTA GERHARDT, Rollenanalyse als kritische Soziologie. Ein konzeptueller Rahmen zur empirischen und methodologischen Begründung einer Theorie der Vegesellschaftung (Soziologische Texte 72), Berlin 1971. WERNER GOEZ, Artikel „Allod“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (1), Berlin 1971, Sp. 120-121. FRANK GÖSE, Rezension zu: Meumann, Markus; Pröve, Ralf: Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses. Münster 2004 [3.11. 2005], URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-052. JACOB GRIMM, Deutsche Rechtsalterthümer, Darmstadt 1955. JÜRGEN HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Neuauflage), Frankfurt a. M. 1990. WILLIAM W. HAGEN, Two ages of seigneural economy in Brandenburg-Prussia: structural innovation in the sixteenth century, productivity gains in the eighteenth century, in: zeitenblicke 4 (2005) Nr. 2, [28.06.2005], URL: http://www.zeitenblicke.de/2005/2/Hagen. ALWIN HANSCHMIDT, Das 18. Jahrhundert, in: Wilhelm Kohl (Hg.), Von den Anfängen bis zum Ende des alten Reiches (Westfälische Geschichte Bd. 1), Düsseldorf 1983, S. 605-685. EMIL HARTMANN und PAUL SCHUBERT, Alt-Rödelheim. Ein Heimatbuch, Frankfurt a.M. 1983. PETER C. HARTMANN, Steuern, in: Michael North (Hg.), Von Aktie bis Zoll: ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 381-383. Ders. (Hg.), Regionen in der Frühen Neuzeit. Reichskreise im deutschen Raum, Provinzen in Frankreich, Regionen unter polnischer Oberhoheit. Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung (Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 17), Berlin 1994. Ders., Staatsfinanzen (Frühe Neuzeit), in: Michael North (Hg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 373-376. GÜNTHER HASELIER, Die Oberrheinlande, in: Georg Wilhelm Sante (Hg.), Geschichte der deutschen Länder: "Territorien-Ploetz", Bd. 1 (Die Territorien bis zum Ende des Altens Reichs), Würzburg 1964, S. 267-290. Quellen- und Literaturverzeichnis 324 LUTZ HATZFELD, Zur Geschichte des Reichsgrafenstandes, in: Nassauische Annalen 70 (1959), S. 41-54. CARL-HANS HAUPTMEYER, Souveränität, Partizipation und absolutistischer Kleinstaat. Die Grafschaft Schaumburg (-Lippe) als Beispiel, Hildesheim 1980. WALTER HEINEMEYER, Das Werden Hessens (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen Bd. 50), Marburg 1986. Ders. (Hg.), Vom Reichsfürstenstande, Köln / Ulm 1987. PAUL-JOACHIM HEINIG et al. (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000. BARBARA HOFFMANN, Radikalpietismus um 1700: Der Streit um das Recht auf eine neue Gesellschaft (Geschichte und Geschlecht Bd. 15), Frankfurt a.M. / New York 1996. ANDRÉ HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 36), Stuttgart 1991. Ders., „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft im Staat des Ancien Regime. Das Fallbeispiel der Markgrafschaft Baden (-Durlach) (Frühneuzeit-Forschungen Bd. 9;1), Tübingen 2003. Ders., Zwischen Policey und Polizei. Die badischen Hatschiere und die Professionalisierung staatlicher Exekutivkräfte im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: André Holenstein et al. (Hg.), Policey im lokalen Raum. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert (Studien zur Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a.M. 2002, S. 289-316. Ders., Der Arm des Gesetzes. Ordnungskräfte und gesellschaftliche Ordnung in der Vormoderne als Forschungsfeld, in: André Holenstein et al. (Hg.), Policey im lokalen Raum. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert (Studien zur Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a.M. 2002, S. 1-54. WILHELM KARL PRINZ ZU ISENBURG, Um 1800. Aus Zeit und Leben des Grafen Volrat zu Solms-Rödelheim, Leipzig 1927. MICHAEL KAISER und ANDREAS PECAR, Reichsfürsten und ihre Favoriten. Die Ausprägung eines europäischen Strukturphänomens unter den politischen Bedingungen des Alten Reiches, in: Michael Kaiser und Andreas Pecar (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 32), Berlin 2003, S. 9-30. Quellen- und Literaturverzeichnis 325 MICHAEL KAISER und ANDREAS PECAR (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 32), Berlin 2003. OLIVER KARNAU, Reinhard Graf zu Solms, in: Hubertus Günther (Hg.), Deutsche Architekturtheorie zwischen Gotik und Renaissance, Darmstadt 1988, S. 194-205. EVA KELL, Die Frankfurter Union (1803-1806). Eine Fürstenassoziation zur "verfassungsmäßigen Selbsterhaltung" der kleineren weltlichen Adelsherrschaften, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 71-97. FRIEDRICH KLEIN-BRUCKSCHWAIGER, Artikel "Landeshuldigung", in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, Sp. 1394-1395. THOMAS KLEIN, Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand 1550-1806, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Vom Reichsfürstenstande, Köln / Ulm 1987, S. 137-192. THOMAS KLINGEBIEL, Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel, Hannover 2002. JAN KLUSSMANN, Lebenswelten und Identitäten adliger Gutsuntertanen: das Beispiel des östlichen Schleswig-Holstein im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2002. ERNST HEINRICH KNESCHKE, Deutsche Grafen-Häuser der Gegenwart. In heraldischer, historischer und genealogischer Beziehung (2), Leipzig 1853. Ders. (Hg.), Neues allgemeines deutsches Adels-Lexikon (5), Leipzig 1864. INGEBORG KOZA, Savigny, Friedrich Carl von, in: Traugott Bautz (Hg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (8), Herzberg 1994, S. 1447-1453. KARL KROESCHELL, Der Amtmann. Zur Kulturgeschichte eines Juristenberufs, in: Forum Historiae Iuris [10.08. 2006], URL: http://www.rewi.hu- berlin.de/FHI/zitat/0201kroeschell.htm. FRANK-LOTHAR KROLL, Geschichte Hessens, München 2006. WOLF-ARNO KROPAT, Reich, Adel und Kirche in der Wetterau von der Karolinger- bis zur Stauferzeit, Friedberg 1962. KERSTEN KRÜGER, Finanzstaat Hessen 1500-1567, Marburg a.d.L. 1981. ders, Gerhard Oestreich und der Finanzstaat. Entstehung und Deutung eines Epochenbegriffs der frühneuzeitlichen Verfassungs- und Sozialgeschichte, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 33 (1983), S. 333-346. MARGIT KSOLL, Die wirtschaftlichen Verhältnisse des bayerischen Adels 1600-1679. Dargestellt an den Familien Törring-Jettenbach, Törring zum Stain sowie Haslang zu Quellen- und Literaturverzeichnis 326 Haslangkreit und Haslang zu Hohenkammer (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 83), München 1986. ELZBIETA KUCHARSKA, Anreden des Adels in der deutschen und der polnischen Briefkultur : vom 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts; eine vergleichende sprachwissenschaftliche Untersuchung; mit einer Auswahlbibliographie, Neustadt a.d. Aisch 2000. ANGELA KULENKAMPFF, Kuriatstimme und Kollegialverfassung der Wetterauer Grafen von 1663 - 1806. Ein Beitrag zur Reichsgeschichte aus der Sicht der mindermächtigen Stände, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), S. 485- 504. JOHANNES KUNISCH, Absolutimus: europäische Geschichte vom westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Régime (UTB für Wissenschaft 1426), Göttingen 21999. UTE KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschichte (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 28), Berlin 2002, S. 221-238. ACHIM LANDWEHR, Policey vor Ort. Die Implementation von Policeyordnungen in der ländlichen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Karl Härter (Hg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft (Ius commune Sonderheft 129), Frankfurt a.M. 2000, S. 47-70. MAXIMILIAN LANZINNER, IUD Wilhelm Jocher 1665-1636. Geheimer Rat und "Kronjurist" Kurfürst Maximilians I. von Bayern, in: Michael Kaiser und Andreas Pecar (Hg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung Beheift 32), Berlin 2003, S. 177-196. ADOLF LAUFS und KLAUS-PETER SCHROEDER, Artikel „Landrecht“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, Sp. 1527-1535. MATHIS LEIBETSEDER, Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert (Beihefte zu Archiv für Kulturgeschichte 56), Köln/Weimar/Wien 2004. URSULA LÖFFLER, Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit. Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London 2005. Dies., Herrschaft als soziale Praxis zwischen Dorf und Obrigkeit, in: Markus Meumann und Ralf Pröve (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 97-119. DIERK LOYAL, Die Solmser Residenz in Assenheim. Eine baugeschichtliche Untersuchung, in: Wetterauer Geschichtsblätter 41 (1992), S. 141-293. Quellen- und Literaturverzeichnis 327 RUDOLF LUMMITSCH, Geschichte der Stadt Assenheim. Von der frühen Zeit bis zum 19. Jahrhundert, Niddatal 1977. FRIEDRICH LÜTGE, Geschichte der deutschen Agrarverfassung vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Deutsche Agrargeschichte Bd. 3), Stuttgart 1967. FERDINAND MAGEN, Reichsgräfliche Politik in Franken. Zur Reichspolitik der Grafen von Hohenlohe am Vorabend und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Schwäbisch Hall 1975. WOLFGANG MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittealterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, München 2004, S. 13-122. STEPHANIE MARRA, Allianzen des Adels : dynastisches Handeln im Grafenhaus Bentheim im 16. und 17. Jahrhundert, Köln 2006. ESTEBAN MAUERER, Geld, Reputation, Karriere im Haus Fürstenberg. Beobachtungen zu einigen Motiven adeligen Handelns im barocken Reich, in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 2 [28.06.2005), URL: http://www.zeitenblicke.de/2005/2/Mauerer. Ders., Südwestdeutscher Reichsadel im 17. und 18. Jahrhundert. Geld, Reputation, Karriere: Das Haus Fürstenberg (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften 66), Göttingen 2001. GERHARD MENK, Der deutsche Territorialstaat in Veit Ludwig von Seckendorffs Werk und Wirken, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2002, S. 55-92. Ders., Die politische Kultur in den Wetterauer Grafschaften am Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Wirkung monarchomachischer Theorie auf den deutschen Territorialstaat, in: Hessisches Jahrbuch zur Landesgeschichte (1984), S. 67-100. FRIEDRICH MERZBACHER, Artikel „Landesherr, Landesherrschaft“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, Sp. 1383-1388. RAINER METZ, Geldwert (Kaufkraft des Geldes), in: Michael North (Hg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 133-135. MARKUS MEUMANN und RALF PRÖVE, Die Faszination des Staates und historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Markus Meumann und Ralf Pröve (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11-50. Quellen- und Literaturverzeichnis 328 MAX MILLER (Hg.), Handbuch der historischen Stätten Deutschlands Bd. 6 (Baden- Württemberg), Stuttgart 1980. PETER MORAW, Kleine Geschichte der Universität Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart, Gießen 1990. MARKUS MÜLLER, Gemeinden und Staat in der Reichsgrafschaft Sayn-Hachenburg (Beiträge zur Geschichte Nassaus und des Landes Hessen Bd. 3), Wiesbaden 2005. PAUL MÜNCH, Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Frankfurt a.M. / Berlin 21996. THOMAS MUTSCHLER, Haus, Ordnung, Familie. Wetterauer Hochadel im 17. Jahrhundert am Beispiel des Hauses Ysenburg-Büdingen (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte Bd. 141), Darmstadt / Marburg 2004. WOLFGANG NEUGEBAUER, Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (Die Hohenzollern Bd. 1), Stuttgart 1996. Ders., Geschichte Preußens, Hildesheim 2004. MICHAEL NORTH (Hg.), Von Aktie bis Zoll: ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995. GERHARD OESTREICH, Das persönliche Regiment der deutschen Fürsten am Beginn der Neuzeit, in: Gerhard Oestreich (Hg.), Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 201-234. GERHARD OESTREICH und E HOLZER, Übersicht über die Reichsstände, in: Bruno Gebhardt (Hg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, Stuttgart 1973, S. 769-784. HANS OTTOMEYER, JUTTA GÖTZMANN und ANSGAR REIß (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495-1806 Bd. 1: Katalog (Begleitband zur Ausstellung des DHM Berlin 2006), Berlin 2006. JUDIT PÁL, Der Preis der Freiheit. Die Durchsetzungsmöglichkeiten der Ratsinteressen einer freien königlichen Stadt am Anfang des 18. Jahrhunderts, in: Stefan Brakensiek und Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 123-144. INA ULRIKE PAUL, Integration durch Reform - Württembergs Weg aus dem Alten Reich zum modernen Staat, in: Heinz Schilling, et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 942 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Ausstellungskatalog Essayband), Dresden 2006, S. 343-356. ANDREAS PECAR, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740) (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2003. Ders., Genealogie als Instrument fürstlicher Selbstdarstellung. Möglichkeiten genealogischer Repräsentation am Beispiel Herzog Ulrichs von Mecklenburg, in: Quellen- und Literaturverzeichnis 329 zeitenblicke 4 (2005) Nr. 2 [28.06.2005], URL: http://www.zeitenblicke.de/2005/2/Pecar. JAN PETERS (Hg.), Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frühneuzeitlicher Agrargesellschaften (Historische Zeitschrift Beiheft 18), München 1995. Ders. (Hg.), Gutsherrschaftsgesellschaften im europäischen Vergleich, Berlin 1997. CHRISTIAN PFISTER, Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500- 1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 28), München 1994. HANS PHILIPPI, Hessen vom Barock zum Klassizismus. 1648-1806, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 349-387. VOLKER PRESS, Die Landschaft aller Grafen von Solms. Ein ständisches Experiment am Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Hessisches Jahrbuch zur Landesgeschichte 27 (1977), S. 37-106. Ders., Die Reichsritterschaft im Reich der Frühen Neuzeit, in: Franz Brendle und Anton Schindling (Hg.), Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Frühneuzeit-Forschungen Bd. 4), Tübingen 1998, S. 205-232. Ders., Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein. Ein Aristokrat zwischen Armee, Kaiserhof und Fürstenhaus, in: Franz Brendle und Anton Schindling (Hg.), Volker Press: Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1998, S. 93-112. Ders., Reichsgrafenstand und Reich. Zur Sozialgeschichte des deutschen Hochadels in der Frühen Neuzeit, in: Jürgen Heideking (Hg.), Wege in die Zeitgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Gerhard Schulz, Berlin 1989, S. 3-29. HELMUT PRÖSSLER, Friedrich Ludwig Christian Graf zu Solms-Laubach 1769 bis 1822 : sein Lebensweg von 1769 bis 1806 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 18), Darmstadt 1957. PAULINE PUPPEL, Die Regentin. Vormundschaftliche Regentschaft in Hessen 1500- 1700 (Geschichte und Geschlecht Bd. 43), Frankfurt a. M. 2004. JOACHIM REES, Einleitung: Als der König den Gänsen das Reisen verbot oder von der Kunst, "mit gutem Endzweck und Nutzen andere Länder zu sehen", in: Joachim Rees, et al. (Hg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung, kommunikative Praxis, Kultur- und Wissenstransfer, Berlin 2002, S. XI-XXVIII. Ders., WINFRIED SIEBERS und HILMAR TILGNER (Hg.), Europareisen politisch- sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung, kommunikative Praxis, Kultur- und Wissenstransfer, Berlin 2002. HEINZ REIF, Westfälischer Adel 1770-1860: vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 27), Göttingen 1979. Quellen- und Literaturverzeichnis 330 WOLFGANG REINHARD, Frühmoderner Staat und deutsches Monstrum. Die Entstehung des modernen Staates und das Alte Reich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 29 (2002), S. 339-357. Ders., Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2000. Ders., Lebensformen Europas: eine historische Kulturanthropologie, München 22006. Ders., Zusammenfassung: Staatsbildung durch Aushandeln?, in: Ronald G. Asch und Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 429-438. OTTO RENKHOFF, Nassauische Biographie: Kurzbiographien aus 13 Jahrhunderten, Wiesbaden 1992. RESIDENZEN-KOMMISSION ARBEITSSTELLE KIEL (Hg.), Mitteilungen der Residenzen- Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (16) 2006 Nr. 2. IRMINTRAUT RICHARTZ, Herrschaftliche Haushalte in vorindustrieller Zeit im Weserraum, Berlin 1971. JÖRG ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 49), Stuttgart 2002. HELLMUTH RÖSSLER und GÜNTHER FRANZ (Hg.), Sachwörterbuch zur Deutschen Geschichte (1), München 1958. MICHAEL ROTHMANN, Damit wir aber besser hinder die sach kommen - Zentrum und Peripherie. Das Rechnungswesen der Landgrafen von Hessen und der Grafen von Ysenburg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Harm von Seggern und Gerhard Fouquet (Hg.), Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Ubstadt-Weiher 2000, S. 43-78. MEINRAD SCHAAB, Grundzüge und Besonderheiten der südwestdeutschen Territorialentwicklung, in: Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden- Württemberg (Hg.), Bausteine zur geschichtlichen Landeskunde von Baden- Württemberg, Stuttgart 1979, S. 129-156. HEINZ SCHILLING et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 942 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806 (Ausstellungskatalog Essayband), Dresden 2006. ANTON SCHINDLING, War das Scheitern des Alten Reichs unausweichlich?, in: Heinz Schilling, Werner Heun und Jutta Götzmann (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten Bd. 2: Essays (Begleitband zur Ausstellung des DHM Berlin 2006), Dresden 2006, S. 303-317. Quellen- und Literaturverzeichnis 331 UWE SCHIRMER, Die Finanzen im Kurfürstentum Sachsen (1553-1586), in: Friedrich Edelmayer und Maximilian Lanzinner (Hg.), Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert (Das Heilige Römische Reich und Europa Bd. 1), Wien / München 2003, S. 143-185. JÜRGEN SCHLUMBOHM, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23 (1997), S. 647-663. GEORG SCHMIDT, Der Dreißigjährige Krieg. Ursachen, Abläufe und Wirkungen, München 1995. Ders., Der Wetterauer Grafenverein: Organisation und Politik einer Reichskorporation zwischen Reformation und Westfälischem Frieden (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 52), Marburg 1989. Ders., Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495 - 1806, München 1999. HANS-PETER SCHNEIDER, Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Michael Stolleis (Hg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 1995, S. 197-226. BERND SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig, et al. (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 53-87. WALTER SCHOMBURG, Lexikon der deutschen Steuer- und Zollgeschichte, München 1992. LUISE SCHORN-SCHÜTTE, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts (Historische Zeitschrift Beiheft 39), München 2004, S. 1-12. ERNST SCHUBERT, Der rätselhafte Begriff "Land" im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Concilium medii aevi 1 (1998), S. 15-27. Ders, Die Harzgrafen im ausgehenden Mittelalter, in: Jörg Rogge und Uwe Schirmer (Hg.), Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600), Stuttgart 2003, S. 13-115. UWE SCHULTZ (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an: eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986. WINFRIED SCHULZE, Herrschaft und Widerstand in der Sicht des "gemeinen Mannes" im 16./17. Jahrhundert, in: Hans Mommsen und Winfried Schulze (Hg.), Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 182-198. Quellen- und Literaturverzeichnis 332 KLAUS SCHWABE (Hg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945 (Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 15), Boppard 1985. ANDREAS SCHWENNICKE, "Ohne Steuer kein Staat". Zur Entwicklung und politischen Funktion des Steuerrechts in den Territorien des Heiligen Römischen Reichs (1500- 1800) (Ius Commune Sonderheft 90), Frankfurt a. M. 1996. HARM V. SEGGERN und GERHARD FOUQUET (Hg.), Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit, Ubstadt-Weiher 2000. WOLFGANG SELLERT, Artikel „Landeshoheit“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (2), Berlin 1978, Sp. 1388-1394. Ders., Der Reichshofrat: Begriff, Quellen und Erschließung, Forschung, institutionelle Rahmenbedingungen und die wichtigste Literatur, in: Zeitenblicke 3 (2004), Zeitenblicke 3 (2004) [13.12.2004], URL: www.zeitenblicke\2004\03\sellert.html. VOLKER SELLIN, Die Finanzpolitik Karl Ludwigs von der Pfalz. Staatswirtschaft im Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg, Stuttgart 1978. VOLKER SERESSE, Politische Normen in Kleve-Mark während des 17. Jahrhunderts: argumentationsgeschichtliche und herrschaftstheoretische Zugänge zur politischen Kultur der frühen Neuzeit, Epfendorf/Neckar 2005. STEPHAN SKALWEIT, Der Beginn der Neuzeit: Epochengrenzen und Epochenbegriff (Erträge der Forschung 178), Darmstadt 1982. RUDOLPH ZU SOLMS-LAUBACH, Geschichte des Grafen- und Fürstenhauses Solms, Frankfurt am Main 1865. BEATE SPIEGEL, Adliger Alltag auf dem Land: eine Hofmarksherrin, ihre Familie und ihre Untertanen in Tutzing um 1740, Münster 1997. BERND SPRENGER, Preisindizes unter Berücksichtigung verschiedener Münzsorten als Bezugsgrößen für das 16. und 17. Jahrhundert - dargestellt anhand von Getreidepreisen in Frankfurt / Main, in: Scripta Mercaturae 1 (1977), S. 57-72. ANTJE STANNEK, Telemachs Brüder. Die höfische Bildungsreise des 17. Jahrhunderts (Geschichte und Geschlechter 33), Frankfurt / New York 2001. HANS CHRISTIAN STEINBORN, Abgaben und Dienste holsteinischer Bauern im 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins Bd. 79), Neumünster 1982. REIMER STOBBE, Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters (Geschichte von Wetterau und Vogelsberg Bd. 1), Friedberg 1999. Quellen- und Literaturverzeichnis 333 HARALD STOCKERT, Adel im Übergang: die Fürsten und Grafen von Löwenstein- Wertheim zwischen Landesherrschaft und Standesherrschaft 1780 - 1850 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden- Württemberg Reihe B, Forschungen 144), Stuttgart 2000. BARBARA STOLLBERG-RILINGER, Das Reich als Lehnssystem, in: Heinz Schilling, et al. (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten Bd. 2: Essays (Begleitband zur Ausstellung des DHM Berlin 2006), Dresden 2006, S. 55-67. Dies., Der Grafenstand in der Reichspublizistik, in: Heide Wunder (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit: Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 28), Berlin 2002, S. 29-54. MICHAEL STOLLEIS (Hg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 1995. Ders., Veit Ludwig von Seckendorff, in: Michael Stolleis (Hg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 1995, S. 148-171. PAULA SUTTER-FICHTNER, Protestantism and Primogeniture in Early Modern Germany, New Haven / London 1989. WOLFGANG TRAPP, Kleines Handbuch der Münzkunde und des Geldwesens in Deutschland: mit 60 Tabellen, Stuttgart 1999. WERNER TROßBACH, Bauern 1648 - 1806 (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 19), München 1993. Ders., Bauernbewegungen im Wetterau-Vogelsberg-Gebiet 1648-1806. Fallstudien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 52), Darmstadt / Marburg 1985. Ders., Einung, Willkür, Dorfordnung. Anmerkungen zur (Re-)Formierung dörflicher Gemeinden (13. bis 16. Jahrhundert), in: Jens Flemming et al. (Hg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse (Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag), Kassel 2004, S. 597-620. Ders., Bäuerlicher Widerstand in deutschen Kleinterritorien zwischen Bauernkrieg und Französischer Revolution. Einige Bemerkungen zu Formen und Gegenständen, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 35 (1987), S. 1-17. FRIEDRICH UHLHORN, Ein patriarchalisches Zeitalter: Kulturbilder aus der Geschichte der Grafen zu Solms, Marburg 1962. Ders., Grundzüge der Wetterauer Territorialgeschichte, Friedberg 1927. Ders., Hessen um 1550, in: Fred Schwind (Hg.), Geschichtlicher Atlas von Hessen. Text- und Erläuterungsband, Marburg 1984, S. 98-115. Ders., Hessen um 1550 (Geschichtlicher Atlas von Hessen Karte 18), Marburg 1975. Quellen- und Literaturverzeichnis 334 Ders., Reinhard Graf zu Solms, Herr zu Münzenberg 1491-1562, Marburg 1952. OTTO ULBRICHT, Criminality and Punishment of the Jews in the Early Modern Period, in: Hartmut Lehmann und R. Po-Chia Hsia (Hg.), In and out of the Ghetto: Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany, Washington/Cambrigde 1995, S. 49-70. HANS-PETER ULLMANN, Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005. SABINE ULLMANN, Kommissionen, in: Zeitenblicke 3 (2004) [13.12.2004], URL: www.zeitenblicke\2004\03\ullmann.html. PETER VEDDER, Die Ablösung der Verpfändung der Reichsgrafschaft Bentheim im Jahre 1804 – Der vergebliche Versuch einer Wahrung der politischen Eigenständigkeit, in: Osnabrücker Mitteilungen 54 (2006), S. 171-211. MARCUS VENTZKE, Hofökonomie und Mäzenatentum. Der Hof im Geflecht der weimarischen Staatsfinanzen zur Zeit der Regierungsübernahme Herzog Carl Augusts, in: Harm v. Seggern und Gerhard Fouquet (Hg.), Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Ubstadt-Weiher 2000, S. 19-52. RUDOLF VIERHAUS, Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden, 1648-1763 (Propyläen Geschichte Deutschlands 5), Berlin 1984. ANETTE VÖLKER-RASOR (Hg.), Oldenbourg Geschichte Lehrbuch: Frühe Neuzeit, München 2000. MAX WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß. Teilband 4: Herrschaft (Max Weber Gesamtausgabe Abt. I Bd. 22-4), Tübingen 2005. Ders., Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 51972. WOLFGANG WEBER, Fama, Honor, Gloria. Wahrnehmungen und Funktionszuschreibungen der Ehre in der Herrschaftslehre des 17. Jahrhunderts, in: Sibylle Backmann et al. (Hg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, Berlin 1998, S. 70-98. JÜRGEN WEITZEL, Artikel „Rechtsmittel“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (4), Berlin 1990, S. 315-322. SIEGRID WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648-1806 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 43), Köln / Weimar / Wien 2002. Quellen- und Literaturverzeichnis 335 CHRISTIAN WIELAND, Reichskammergericht und Adel, in: Zeitenblicke 3 (2004) [23.12. 2004], URL: www.zeitenblicke\2004\03\wieland.html. DIETMAR WILLOWEIT, Artikel „Mediatisierung“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (3), Berlin 1981, Sp. 412-413. Ders., Artikel „Territorium“, in: Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (5), Berlin 1998, Sp. 149-151. SASCHA WINTER, Die Residenz und Festung Kassel um 1547. Ein Beitrag zur Stadtbildgeschichte, in: Heide Wunder, et al. (Hg.), Landgraf Philipp von Hessen und seine Residenz Kassel. Ergebnisse des interdisziplinären Symposiums der Universität Kassel zum 500. Geburtstag des Landgrafen Philipp von Hessen (17. bis 18. Juni 2004) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 24;8), Marburg 2004, S. 109-135. DIETER WOLF, Nieder-Wöllstadt - Eine Übersicht durch die Jahrhunderte, in: Dieter Wolf und Fritz Runge (Hg.), 1200 Jahre Wöllstadt 790-1990. Aus der Geschichte von Nieder- und Oberwöllstadt, Horb a.N. 1990, S. 54-80. Ders. und FRITZ RUNGE (Hg.), 1200 Jahre Wöllstadt 790-1990. Aus der Geschichte von Nieder- und Oberwöllstadt, Horb a.N. 1990. JÜRGEN RAINER WOLF, "...zu Einführung einer Gott wohlgefälligen Gleichheit auf ewig": Steuerreformen im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, in: Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an: eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, S. 162-173. Ders. et al., Repertorium des Archivs Solms-Rödelheim in Schloss Assenheim, Darmstadt 1986. FRITZ WOLFF, Grafen und Herren in Hessen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Walter Heinemeyer (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986, S. 333-347. GERD WUNDER, MAX SCHEFOLD und HERTA BEUTTER, Die Schenken von Limpurg und ihr Land. Mit Abbildungen alter Ansichten, Sigmaringen 1982. HEIDE WUNDER, Artikel „Bauern“, in: Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Nezeit (1), Stuttgart / Weimar 2005, S. 1028-1044. Dies., Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland (Kleine Vandenhoeck-Reihe ; 1483), Göttingen 1986. Dies., Die ländliche Gemeinde als Strukturprinzip der spätmittelalterlich- frühneuzeitlichen Geschichte Mitteleuropas, in: Peter Blickle (Hg.), Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, München 1991, S. 385-402. Dies., Einleitung, in: Dies. et al. (Hg.) (unter Mitarbeit von Tobias Busch), Landgraf Philipp von Hessen und seine Residenz Kassel. Ergebnisse des interdisziplinären Quellen- und Literaturverzeichnis 336 Symposiums der Universität Kassel zum 500. Geburtstag des Landgrafen Philipp von Hessen (17. bis 18. Juni 2004), Marburg 2004, S. 1-2. Dies., Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung: Geschlechter und Geschlecht, in: Dies. (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit : Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 28), Berlin 2002, S. 9-27. Dies., Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Ute Gerhardt (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 27-54. WOLFGANG WÜST (Hg.), Reichskreise und Territorium. Die Herrschaft über die Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich süddeutscher Reichskreise (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens Bd. 7), Stuttgart 2000. ANDREAS ZIEGER, Von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Gerhard Fritz, et al. (Hg.), 1200 Jahre Oberrot. Aus der Geschichte der Rottalgemeinden Hausen und Oberrot, Stuttgart 1987, S. 63-112. WOLFGANG ZIMMERMANN, Vom Personenverband zum Territorialstaat, in: Landesarchiv Baden-Württemberg i.V.m.d. Landkreis Schwäbisch Hall (Hg.), Der Landkreis Schwäbisch-Hall (1), Ostfildern 2005, S. 33-59. HELGA ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft. Politischer Wandel in der Grafschaft Waldeck zwischen 1680 und 1730 (Waldeckische Forschungen 13), Bad Arolsen 2004. Anhang 337 8 Anhang 8.1 Abkürzungsverzeichnis 8tel, /8 Achtel a.a.O. An anderem Ort Abb. Abbildung alb Albus Ald(t) Anwalt ASR Archiv der Grafen von Solms-Rödelheim und Assenheim auf Schloss Assenheim Cels. Celsissimus d Groschen DHM Deutsches Historisches Museum ebd. Ebenda (Ew) Lbd. (Euer) Liebden Excel. Exzellenz fl Gulden (wenn nicht ausdrücklich anders angegeben, rheinischer Währung) FNZ Frühe Neuzeit geb. Geboren / Geborene GLAK Generallandesarchiv Karlsruhe HADIS Hessisches Archiv-Dokumentations- und Informations-System Hg. Herausgeberin, Herausgeber hgr(fl). Gnd. Hochgräfliche Gnaden HRG Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte HStAD Hessisches Staatsarchiv Darmstadt HStAM Hessisches Staatsarchiv Marburg i.d.R. in der Regel i.e.S. im eigentlichen Sinn Anhang 338 i.H.v. in Höhe von LHKo Landeshauptarchiv Koblenz m.E. meines Erachtens mg Morgen Frankfurter Maß Mio. Millionen o.D. Ohne Datum o.O.u.D. Ohne Ort und Datum p.a. per annum Prpal Prinzipal RHR Reichshofrat Wien RKG Reichskammergericht Wetzlar Rthlr / Rtlr Reichstaler S. Durchl. Seine Durchlaucht S.C. Senatus Consultum Sp. Spalte StAL Baden-Württembergisches Staatsarchiv Ludwigsburg StAW Baden-Württembergisches Staatsarchiv Wertheim x / xr Kreuzer ZHF Zeitschrift für Historische Forschung ZHG Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 8.2 Abbildungsverzeichnis Nr. Titel (Verfasser) S. 1 Der Weg der Notare durch die Wetterau bei Einnahme der Huldigung 1728 (T.Busch) 38 2 Der Umfang der Solms-Rödelheimer Landesherrschaft in der Wetterau um 1750 (T.Busch) 47 3 Geographische Verteilung der Einkünfte der Solms-Rödelheimer Ämter im 15. Jahrhundert (T. Busch) 55 4 Beispiele für die Mehrfachbelastung der Amtsträger auf Ämter- und Regierungsebene (T. Busch) 78 5 Verwaltungsstruktur der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim im 18. 79 Anhang 339 Jahrhundert (T.Busch) 6 Ausgaberubriken der Landkassenrechnungen (T. Busch) 104 7 Ausgaben der Assenheimer Landkasse für Römermonate und die Kreistruppen 1714-1719 (T. Busch) 109 8 Gesamtentwicklung der Rödelheimer Kellereieinnahmen 1650-1800 (T. Busch) 111 9 Entwicklung der Preise für durch Solms-Rödelheim verkauftes Getreide von 1650-1800 (T. Busch) 112 10 Entwicklung der Kellereieinnahmen der Kellereien Rödelheim, Assenheim und Petterweil 1650-1800 (T. Busch) 114 11 Anteil der Einnahmearten an den Gesamteinnahmen 1650-1800 (T. Busch) 121 12 Höhe der "Geliefert"-Gelder aus den Kellereien 1650-1805 (T. Busch) 127 13 Anteil der Geliefert-Gelder an den Gesamtausgaben der Kellereien 1650- 1805 (T. Busch) 128 14 Einnahmen, Geliefert-Gelder und Rezesse der Rödelheimer Kellereien 1650-1805 (T. Busch) 130 15 Verschiedene Eigentumsformen im Erbrecht (T. Busch) 136 16 Die Vererbung der Herrschaft Limpurg-Gaildorf (T. Busch) 174 17 Die Grafschaft Limpurg um die Mitte des 18. Jahrhunderts (aus: Zimmermann, vom Personenverbands- zum Territorialstaat S. 53) 181 18 Erbgang der Grafschaft Cratz von Scharffenstein (T. Busch) 183 19 Nachkommen von Johann Wilhelm Graf von Limpurg und Maria Juliana geb. Gräfin von Hohenlohe-Neuenstein Langenburg (T. Busch) 215 20 Die Entwicklung des Grundbesitzes der Reichsgrafen von Solms- Rödelheim im 18. Jahrhundert (T. Busch) 244 21 Das Seniorat im Samthaus Solms im 18. Jahrhundert (T. Busch) 254 22 Herkunft der Ehepartner Solms-Rödelheimer Gräfinnen und Grafen im 18. Jahrhundert nach Grafenvereinen (T. Busch) 269 23 Aufteilung der Steuern auf die Solms-Rödelheimer Orte 1742 (T. Busch) 290 Anhang 340 8.3 Quellen 8.3.1 Solmser Erb- und Brudereinigung 1578 [HStAD F 24 A 53/1] Erb-und BrüderEinigung der samtlichen Graffen zu Solms de dato 21.May 1578 cum confirmatione Imperatoris Rodolphi Secundi des 4. Novembris 1578 Wir Rudolph der andere p.p. bekennen offentlich, daß unß der Edle, unsere undt des Reichs Liebe getreue Philipp undt Conrad, Vatter und Sohn, Ernst, Eberhard, Herman Adolph, Hanns Georg undt Otto, alle Graffen zu Solms, Herrn zu Münzenberg, gebrüder undt Vettern, ein Erb- undt Brüder-Einigung zwischen Ihnen allerseits auffgerichtet, in glaubwürdigem Schein unterthäniglich fürbringen lassen, welche von worten zu worten hernach geschrieben stehet, auch also lautet: Wir Philipp, Ernst, Eberhard, Conrad, Herman Adolph, Hannß Georg undt Otto Brüder undt Vettern, Graffen zu Solms, Herrn zu Münzenberg undt Sonnenwaldt, thun kund undt bekennen hiermit vor unß, unsere Erben undt Nachkommende, daß Wir Unß erinnert der verwandnus, mit der Wir einander zugethan, undt alle von einem Stamm erbohren undt herkommen seyn, derwegen Gott dem Allmächtigen zu Lob, undt mit seiner göttlichen Hülff zu auffnehmung undt vermehrung unseres Geschlechts Ehr, Wohlfahrt undt guthen Nahmens, undt zu folge weylandt der wohlgebohrnen Unserer Lieben Voreltern lobseeliger Gedächtnus loblichen und nuzlichen, auch dem den gleichen undt andern höhern Geschlechtern gewöhnliche Exempeln, Unß folgende Einigung, Verbrüderung undt Erbung miteinander freundtlich verglichen haben, thun auch solches mit gutem Vorbedacht undt wißen zu Unserer samtlichen und Unserer Erben kundtlichem Nutzen, damit Unßere Kinder Graffen undt Gräfinnen Ihrem Standt gemäs, nach verleyhung des Allmächtigen, desto besser erhalten, aufferzogen, undt sonderlich die Töchter, mit einem mehrern im Heyrathen aufgesezt werden, undt hierdurch den Nachkommlingen, soviel Gott Gnade dazu verleyhen wirdt, Unsere Graff- und Herrschafften, gegenwärtige undt zukünfftige, unveräusert im Solmischen Geschlecht bleiben mögen; Derowegen undt erstlich so sollen undt wollen wir unß, Unsere Kinder undt Ehrliche Leibs-Erben allerseits, wie Wir itzund seyn, oder hinkünfftig von Uns und dem Stamm undt Nahmen Solms erbohren worden, einander brüderlich, vetterlich, freundlich undt treulich meinen, Unß in einander mit Ungebühr, weder zu unfreundlichen Worten oder Werken, nicht anregen noch verhetzen lassen, im fall aber sich zwischen unß oder unsern Kindern einige Mißverstände undt Irrungen erregen undt zutragen würden, sollen undt wollen Wir undt Unsere Erben mit unfreundlichen Schrifften, Worten oder Wercken einander nicht angreiffen, sondern einer den andern seines habenden Rechtens oder gefasster Meinung schrifftlich in der güthe berichten, der aber eine oder andere theil damit nicht gesättiget noch zufrieden wäre, auff daß dem durch weitläuffige rechtfertigung ferner uneinigkeit undt unfreundschafft nicht zu nehmen; da sichs dann zutrüge, daß zwischen unß oder unsern Erben Mißverstände, die seyn gering oder hochwichtig, entstünden, undt Wir oder unsere Erben, deren in der güthe sich nicht selbst vergleichen könten, so soll unser ieder in Monatsfrist, eine freundt oder zwen geben, undt durch ein sambt- Schreiben vermögen, welche solche Irrungen zu verhören undt in der güthe zu vergleichen unterstehen, auch im fall die güthe umbsonst wäre, einen Spruch zu thun, Anhang 341 oder wofern dieselben zweispältig, einen Obmann Ihres Gefallens zu erwählen, Ordnung des Process, nachdehme die Sache wichtig undt die noth erfordern möchte, zu geben macht haben, undt was dergestalt gesprochen, es dabey ohne alle appellation undt reduction bleiben solle. Wir undt unsere Erben sollen undt wollen auch einander zum Besten befördern, schaden undt nachtheil so viel möglich helffen fürkommen, derowegen im Fall Unßer oder Unserer Manns-Erben einer von jemand hohes oder niedrigen Standes über Recht erbethen, mit unrechten Gewalt oder fehden angegriffen würde, undt derselbe solches andern Graffen zu Solms schrifftlich oder mündlich zu wissen thäte, so sollen die andern Agnaten Graffen zu Solms, nachdem sie deßen verständigt, alßbald Ihrem Verwandten mit rath undt That unsäumblich beyfall thun, so viel Ihnen möglich, doch was für Kosten deswegen uffgingen, soll derjenige, welchem solche Hülff geleistet, tragen, so lang er deren bedarff, undt soll keiner sich mit seines Agnaten Widertheil vergleichen oder demselben beyfall oder Vorschub thun, weder heimlich noch offentlich, gar in keinen weg in krafft dieser freundlichen Vereinigung. So unser oder Unserer Erben Einer versterben undt unmündiger Kinder verlassen würde, deren keine Vormünder im Testament verordnet, soll der ältiste unter Unß oder Unsern Erben in zeit zutragenden fals, die andern Graffen zu Solms, auch sonsten die nechsten freunde uffs förderlichst zusammen beschreiben, undt alß dan solchen unmündigen nothwendige Vormünder wählen, auch die Regierung mittelst dermaßen bestellen, damit kein Gefahr oder Schade den Unmündigen entstehe. Zum andern damit unsere Graff- und Herrschafften, gegenwärtige undt zukünftige, sambt deren undt andern ererbten Landen, Leuthe, Liegenden Güthern, Renthen, Gefällen, Nuzungen, Gerechtigkeiten, wie die nahmen haben mögen, deren nichts ausgenohmmen, desto mehr unveräußert, undt zu unßer undt unserer Erben der Graffen zu Solms unterhaltung beyeinander bleiben möge; so sollen undt wollen Wir undt Unsere Erben, von allem, so nechst gemeldt, undt ein Jeder von seinem Vatter undt Mutter, oder sonsten hero ererbt hat, oder hinkünfftig ererben würde (ausserhalb der Herrschafft) nichts erblich veräußern, weder durch Kauff, Verkauff, Versaz, Gifften, Testamenten, Übergaben, noch in was wege dies geschehen könte oder nahmen haben möchte, es wäre denn sein oder der seinen nothdurfft oder besondere gelegenheit, zu erhaltung treu, Ehre, Glaube oder Verbeßerung Land undt Leuthen, auff diesen fall, da etwas andern würcklich pfandtbares einzuräumen, solte es zuvor den Agnaten angebothen, undt der Vorzug undt Einräumung deren Vor andern gegönnet werden, da aber in seiner Agnaten, Brüder oder Vettern Graffen zu Solms gelegenheit oder Vermögen nicht wäre, den pfandschilling darzu zu leyhen, soll dem, der obgesezter Maßen geldts bedürfftig, bevorstehen, andern seine güther zu versetzen, doch daß solche keinem höheren Stands, auch nicht erblich, noch mit andern gefährlichen Handlungen dadurch den Agnaten der gebührende Zutritt verhindert, geschehe, oder zugang, sondern den Agnaten die wiederlösung in allen Verschreibungen, darinnen der Kauff oder Pfandtgeldt mit seinen Rechten wahren Nahmen undt Quantität außgedrücket seye, zu jeder Zeith vorbehalten werde, zu solcher Ein- oder Wiederlösung der Verkauffende oder Versetzende Theil seinem Sohn, Bruder oder Vettern Graffen von Solms, da Ers an sich selbsten zu lösen in seinem Vermögen nicht hätte, mit seinen Revers Brieffen, die er von dem Käuffer nehmen, auch andern gebührenden Mitteln nach bestem Vermögen zu verhelffen schuldig undt pflichtig seye, undt gleichwohl in solchen Einlösungen die näheren Verwandten den Vortritt haben, auch dem Vorsitzenden undt Principal Debitori oder seinen Erben, die wiederkauff jederzeith, wann Sie wieder zum Vermögen kommen, zuthun fürbehalten undt erlaubt seyn sollen. Anhang 342 Ferner so sollen undt wollen Wir oder unsere Erben, unsere gegenwärtige oder künfftige Graff- Herrschafften, Landt undt Leuth, Güther, Zins, Renthen, wie solche nahmen haben mögen, gänzlich oder zum Theil nimmermehr nicht zu Lehen machen, noch aufftragen, das geschehe dann mit aller der Zeith lebenden Graffen zu Solms guten Wissen undt Willen. Wir undt Unsere Erben sollen undt wollen auch in Vereheligung der Töchter dahin sehen undt handeln, daß dadurch an unsern Landen, Leuthen, Zinsen undt Renthen nichts abgehen noch Erblich veräußert werde, daß auch die Töchter nach uhraltem herkommen, wan Sie mit einer nahmhafften Ehesteuer undt sonsten mit Kleidungen undt Geschmuck versichert undt versorgt seyn, vor dem Ehelichen Beylager einen Verzicht dieser Erb-Einigung gemäs, schwören undt in Schrifften von sich geben sollen, Es sollen auch keiner Unserer Erben seinem Gemahl etwas an Landen, Leuthen, Erbgüthern, Renthen oder Zinsen in Witthumbs, Wiederlegung oder Morgengabe nahmen undt Verschreibungen erblich mitgeben oder verschreiben, im Fall auch einer in Unserem Geschlecht ein Graff zu Solms, der hätte eheliche Leibeserben oder nicht, seine Graff- Herrschafften, Güther, Zinß Renthen undt Gefälle zum Nachtheil seiner Kinder oder Agnaten mit fürsezlichen unnöthigen Schulden oder andern weegen, zum theil oder gänzlich beschwehren, veräusern, oder in Abgang gefährlicher weise kommen lassen wolte, darumb sollen Ihn seine Vettern undt Verwandten in der güte zu bestrafen undt zu verweren haben, undt im Fall solches nicht statt finden würde, obgesetzter Maßen mit denselben für freunde fürkommen, undt sich bescheiden lassen, auch der freunde spruch in alle weeg geloben, sich solchem Bescheid undt Erkandtnus weder für sich selbsten, noch mit rath undt hilffe gleiches oder höhers Stands Persohnen, noch männiglich, weder mit wortten noch mit wercken nicht wiedersetzen, bey Verlust der Beschuldigten theils guten Nahmens, auch aller seiner liegenden undt beweglichen güther, Landten, Leuthen, Zins undt Renthen, welche die Agnaten zum besten des ungehorsamen Graffens kinder, oder da deren nicht wären, den brüdern undt Vettern einzuziehen undt zu sich zu nehmen, auch zu behalten macht haben sollen, biß so lang der ungehorsambe oder verthunlichen weesens beschuldigte sich genugsamb zur Besserung erklähret, undt gegen seine brüder undt Vettern versöhnet hat, doch den engsten Agnaten undt Erben in solcher ocupation Ihr Recht fürbehalten. Da auch Unser der Graffen zu Solms einer oder mehr für andre bürg zu machen angelanget werden, auf daß Er oder Sie den hinkünfftig sich andrer Leuthe halben desto bar für schaden verwaren undt hüthen möge, soll der oder dieselben, so zu bürgen angesprochen, daß Ihnen krafft unser habenden Einigung bürg zu werden nicht gebühre, zur Entschuldigung für zu wendten, aber gleichwohl mit aller Graffen zu Solms, so Ihrer mündigen Jahren, sonderlich deren, welche in der Regierung seyn, rath, zu handeln macht haben, es wäre dem die Summa so gering, oder sonst die Umbstände dermassen geschaffen, daß der Graffschafft keine beschwehrung oder Nachtheil darauß zu besorgen. Zum dritten wollen wir bey allen Unsern gnädigsten undt gnädigen Herrn unterthänigst undt unterthänig undt mit fleiß samtliche ansuchen undt bitten, daß die Lehen, so ein oder der andre theil allein empfangen hat, mögen unß allen zu guten undt samtlichen geliehen werden, dieweilen das unß alß Agnaten nach eines oder des andern Absterben die successis von rechts wegen darinnen eignet undt gebühret, auch billig gedeyhen undt vorbehalten seyn solle. Sonsten soll ein ältester Graff zu Solms die von unsern Graff undt-Herrschafften herrührende gemeine Solmische oder Münzenbergische Lehen, nach altem Herkommen andern seinen Agnaten mit zum Besten Leyhen, undt Copias denen Anhang 343 andern Graffen zu Solms mitteilen. sich auff künfftigen Fall der belehnung, undt in andern sachen in denen abschrifften haben berichte zu erhohlen. Letztlich, danach in Unsern der Graffen zu Solms häusliche Wohnungen, von Weylandt den Wohlgebohrnen unsern freundl. Lieben VorEltern seeliger Gedächtnus, vir mehr denn hundert Jahren burgfrieden undt Freyheiten gestifftet, solche auch bis auff gegewärthige Zeith also im brauch undt Übung gehalten worden, wie auch bey denen Wohlgebohrnen Vettern undt Schwägern zu Nassau undt andern benachbarten Herrn undt freunden in gegenwärthiger Zeith gebräuchlich seye; alß wollen wir solche mit Ihren Inhaltungen, begriffen, Conditionen undt poenen gegen die Verbrecher zu üben hiermit erneuert, widerholet, undt einwieder in krafft dieses zu halten zu gesagt undt verschrieben haben. Wir behalten Unß auch hiermit bevor,alle zwischen Unß undt unsern Voreltern auffgerichtete Brieffe, Verträge undt Einigungen in ihren Kräfften zu bleiben alß fern Sie dieser unser brüderlichen Vergleichunh nicht zuwider seyn. Solches alles haben Wir einandrer mit handt gegebener Treue an eines geschwohrenen Eydes statt trewlich für Unß undt Unsere Erben zu halten versprochen undt zugesagt, wollen undt befehlen auch allen unseren Erben undt Nachkommen in unsern Graff- undt Herrschafften, daß Sie im Sechs zehenden Jahr Ihres Alters diese Erbeinigung gleichfals zu halten geloben undt schwören, darzu von Ihren Eltern, Vettern, freunden, Vormündern undt denen so ihr deswegen mächtig seyn, mit ernst angehalten, undt deren vor solche würckliche Lobung undt Schwörung , keine Huldigung undt Regierung der Unterthanen, bis so lange sie fest gesetzter Maßen diese Einigung bestättigen, geloben undt schwören, gestattet werden solle. Hierinn soll ausgeschlossen seyn alle Gefehrde, Arglist, Sünde undt einrede, wie solche Nahmen haben mögen, deren solche nicht ausgenohmmen, dann wir Unß für Unß, unsere Erben undt Nachkommen verzeichen undt begeben aller undt jeglicher Gnaden Privilegien, Freyheiten, Ordnungen, Sazungen undt Verdüngungen, von wem die geschehen wäre oder würde, undt hierwider seyn möchten, unß deren nimmermehr zu gebrauchen, weder heimblich noch offentlich, auch nicht zugestatten, daß durch andere herwieder fürgenohmmen werde, alles getrewlich undt ohne gefehrde. Dessen zu wahrem Zeugnis undt Urkunde haben Wir diese Erbeinigung drey gleich lautende Originalia uff Papier bringen lassen, mit eigenen Handen unterschrieben undt mit unsern Pettschafften betrückt, sollen undt wollen solche uff Pergament ingrossieren lassen, mit unsern anfangenden Insiegeln bekräfftigen, darzu unß mit eigenen Handen unterschrieben, unß Undt unsere Nachkommen Erben deßen alles zu bezeugen, undt damit diese Erbeinigung in zu tragenden Fällen desto mehrern Bestand habe, wollen Wir samtlich mit gemeinen Unkosten zu erster Gelegenheit bey der königl. kayserlichen Weyl. unsern allergnädigsten Herrn umb confirmation aller unterthänigst ansuchen undt bitten. Alles getreulich undt ohne gefehrde geben undt geschehen in unserm Kloster Arnsburg uff Mittwochen den ein und zwanzigsten Tag May eintausend fünfhundert acht und siebzig (Unterschriften) 8.3.2 Policeyordnung 1660 [HStAD F 24 C 277/8] Wir Carl Eberhard u. Johann Augustus Graffen zu Solms, Herrn zu Müntzenberg, Wildenfels und Sonnenwaldt p.p. Anhang 344 Demnach unß, von unßern lieben getreuen und Unterthanen zu Niederwöllstadt supplicando unterthänig und besorglich, die zu verschiedenen Mahlen, Gott erbarme es, von neuen entstandene Feuersbrunst, zu tieffem Gemüth geführet, und darneben eine und andere puncten, vermittelst deren etwan vielen Unheil zeitlichen vorgebieget auch gute Policey und Orthnung unter ihnen gestiftet werden könnte, gehorsambst vorgehalten. So haben wir unß zum höchsten die Wohlfahrt ihrer, und sambtlicher Unterthanen sorgfältig angelegen seyn laßen, auch dießem nach, hochnothwendig erachtet, daß nicht allein alle und jede policey Ordnung, bey denen jährlichen jedes Orths gehaltenen Gerichten jederzeit von neuen wiederholt, sondern auch nachfolgende Verbeßerung zugesetzet, und jedes Orths publicirt werde; Und zwar erstlichen, wird mit sonderbahrem hohen Mißfallen, das tägliche Vollaufen, uf Sonntag u. Feyertagen, sowohl in Gemeinen Wirths, alß andern Gemeinen Privatbier- und Brantwein Häußer, sonderlich aber, weilen wir mit nicht geringer Bestürtzung angehöret, daß man eher durch Gott dem Höchsten mißfälliges ergebliches Vollsauffen die Predigt Göttliches Worts versäumet, ernstlich und bey straff 10 fl verbotten. 2.) Weilen auch zum andernn, durch die in den Flecken gesetzte Brandwein Keßel, leichtlichen eine ohnversehene Feuerbrunst entstehen könnte, so sollen die jenige, so von der Herrschafft Brandwein zu setzen vergünstiget, solche ahn ohnschädlichen Orthen, darüber die Beamten Besichtigung jedesmahl einnehmen sollen, verwießen seyn, welche aber darwieder handeln wollen, sollen 8 fl Straff ohnnachläßig geben. 3.) Drittens, wird nicht geringe Unordtnung und Mißbrauch in dem Bier- und Trincken-Sieden zu eines oder anders Haußmans notdurfft verführet, indem auch wohl einer 2 Keßel ein zu mauern, oder zu halten pfleget, weilen dann nicht einem jeden nach belieben, ohne vorher gehende herschafft. Begrüßung, solches Sieden in seinem Privat Hauß erlaubt ist, auch gar leichtlichen ein Unglück mit dem Feuer erwachsen könte, so soll solches hinkünfftig gantz und gar eingestellet verbleiben, oder der eine oder ander Lust und Lieb hette, vor seine Haußhaltung etwas zu Brauen, oder Sieden zu laßen, soll in Gemeinen hierzu verordneten Brauhäußern beschehen, oder aber jedesmahls, deßen Orts Beambten, welche darüber einen augenschein nehmen, und nach befindung zulaßen sollen, zuvorderst angezeiget, auch die herrsch. Gebühr darvon entrichtet werden, die Verbrecher sollen mit 10 fl ebenfalß angesehen werden. 4.) Es sollen auch Vierdens, jedes Orths Beambte mit allem Fleiß dahin trachten, daß soviel möglich, die eim Land herumb terminierende Leuth, alß faule Bettler, und dergleichen unnützig gesindlein, in unßern Dorffschafften zu schaden der Unterthanen nicht ufgenommen, sondern dergleiche untaugliche Leuth anderwerts hin verwießen und abgeschaffet werden. 5.) Nicht weniger auch fünfftens, soll treue Obsicht uf der Gemeine Allmeyen, wie solche an nutzbarkeit, sie haben Nahmen wie sie wollen, alß Grasung, Beholtzung, und anderer dergleichen auf dem Feld, Gärtt und Wießen, gegeben, und die delinquenten vermög Policey Ordnung, zu willkühriger pöen gezogen werden, und weilen auch darneben berichtet wird, daß zu Niederwöllstadt in dem Hayn Graben schaden ohne Unterschied geschehen pflegen, und ohne Erlaubniß darinnen gehaußet würde, so soll auf vorigen und itzigen Schaden allesambt durch geschwohrene Anhang 345 Feldschützen Achtung gegeben, und die bußfällige fleißig anbringen, und weilen offtermahls geschieht, da sie mit Zeugen bewießen seyn wollen, so soll hinkünfftig solchen Geschwornen und von der Obrigkeit angenommenen Mann, welcher seinen Eydt wohl bedencken, und niemand aus Haß und Neyd anbringen soll, völliger Glauben beygelegt, und die Verbrecher nach Befindung des Verbrechens darvor angesehen werden. 6.) Was vor Unheil Sechstens, das Gottlose und allen Ehr liebenden mißfällige übermäßige Toback Sauffen, und dabey stets während getriebenes Rettschen und Spiehlen mannigfaltig zu wegen gebracht, und noch täglichen verursacht, solches ist ohne Noth zu erzehlen, und ist am Tag, wie offt und mannigfaltig ein gantzer Flecken in die Asche geleget, und arme verbrandte Leuth gemacht werden; so soll solches böses und ärgerliches Wesen und Leben allerdings, und bey Straff 10 Rthlr verbotten seyn, allermaßen dann jedes Orts Bedienten gewiße Personen die Verbrecher gebührend anzuzeigen, zu verordnen hiermit befehlet, und die aber mit 5 fl bestraffet seyn sollen. 7.) Weilen auch siebendens, von alters herkommens und gebräuchlich gewesen, daß ein jeder Neue Nachbar, in seinen Flecken, dahin er sich begiebt, einen Ledern Eimer, in Feuers Nöthen zu bedienen, schaffen und lieffern muß, so soll solche alte Gute Ordnung, bey allen einziehenden Nachbarn hinkünfftig observiret, und beobachtet werden. 8.) Gleichfalß auch achtens, beklagen sich die Unterthanen, wie große Confusion an verschiedenen Orthen, sonderlich aber Gerichts Niederwöllstadt im Mahlwerck vorgehe, undt wenig uf die Waage gebracht, sondern hierdurch großer Schaden zugefüget werde, solchen schädlichen Wesen aber abzuhelffen, sollen die Beambten, wo solche Unordnung sich finden wird, sich befleißigen, dießes auf den Fuß, und vorige löbl. Ordnung zu bringen, und die Unterthanen klagloß zu stellen. 9.) Es wird auch neundens, uns beweglich zu gemüth geführt, daß mit den Lichten und Stroh- Fackeln, sowohl in den Häußern, Stallungen, auch über die Gaßen sehr nach- und fahrlich umbgegangen werden, weilen nun unß aus tragenden obrigkeitlichen Ambt gebühren will, solchem enstehenden Unglück zeitlichen vorzukommen, So soll hinfüro niemand sich gelüsten laßen, mit Lichtern ohne genugsame verwahrung in den Leuchten in seinen Stall, wenigers den Strohe Fackeln zu gehen, wer aber darwieder handeln wird, soll mit 20 fl Straff ohnnachläßig exemplarisch angesehen werden. 10.) Weilen auch zehendens, verschiedene Unterthanen, über die jetzige in verschiedenen herrschafftlichen Flecken, befindliche Stücken Häußer sich beschwert gemacht, und umb deren Abschaffung gebetten haben, so sollen solche innerhalb Jahrs-Frist, von dato anzurechnen, allerdings abgeschaffet, auch die jetzige stehende, und mit Strohe behenkte Stücken biß zu endigung des Jahrs wohl geklebt und verwahret, oder die wiederspenstige mit 20 fl Straff beleget werden. 11.) Eilfftens aber, spühren wir ebenfalß eine große und hochstrafbahre negligenz und versäumnüß, daß sie mit Feuer Leither, Hacken und andern diensamen instrumenten dardurch leichtlichen die Feuerbrunst ergrößert wird, sich die Zeit über, mit Hintansetzung herrschafftlichen Gebots nicht versehen haben, so sollen sie Anhang 346 solches alles innerhalb 14 Tagen beysammen schaffen, und ahn gewiße ort verwahren, oder die Saumseelige mit 15 fl bestraffet werden. Schließlichen und zum letzten, vernehmen wir nit weniger, mit höchsterer Mißfelligkeit, daß unßer Schutzverwandte, u. heimgeseßene Juden, auf Sonn- oder Feyertagen, bevorab aber vor und unter der lieben Predigt, sich frevent- und muthwilliger weiß gelüsten laßen, mit kauffen und verkauffen, die heyl. Zeit zu verunehren, wie auch die Christen, gleichfallß zu verachtung derselbigen befließener Weiß anzureitzen; wann dann Gott der Allerhöchste seinen Sabbath geheiliget, und durch seine und seiner lieben Kirchen abgesagte Christen feindt also nicht entheiliget, sondern allerdings gefeyert haben will, so befehlen wir hiermit allen unßern Beambten, daß sie hinkünfftig auf solche gottlose verächter, und außgesetzte Feind-seelige Leuthen gute Achtung geben, auch Ihnen zu vorderst und zwar bey 30 fl Straff anbefehlen, daß sie sich, sonderlich aber vor und unter den Predigten, des hin und her lauffens in Kauffen und Verkauffen enthalten, und andern kein ärgerniß geben, sondern sich alß Juden gebühret, bezeigen und verhalten. Welche aber herwieder handeln werden, sollen mit obiger Straff angesehen werden. Damit nun über dieße und andere vornagesetzte Puncten gute Obsicht getragen werde, sollen unßere Beambte ein embsiges Aug auf deren festhaltung werffen, auch zween aus jedes Orts Gericht, welche sonderlich wegen des Feuers und Toback Sauffen, treue Achtung geben, monatlich verordnen, und nach endigung des Monats hinwieder andere, und also, sowohl in Geist- als weltlichen Ambt und Stand, in Kirchen und Gemeinen Wesen, ordentlich hergehe, und über solche Ordnung gehalten werden. Zu mehrer Bekräfftigung haben wir unß eigenhändig unterschrieben, auch unßer gräff. Secret beytrucken laßen. So geschehen Rödelheim am 20t. Marty Anno 1660 (L.S.) Johann Augustus GzSolms undt Carl Otto Gr. zu Laubach 8.3.3 Testament Johann Augusts von Solms-Rödelheim 1676 (Abschrift) [HStAD F 24 A 815/2] In dem Nahmen der heiligen Dreyfaltigkeit Gottes deß Vatters, des Sohns und deß heyligen Geistes, Amen! Weil wir Menschen des Todes versichert, aber die Stunde deßelben unß verborgen, alß solten wir unß stest darzu schicken, so aber auß menschlicher Schwachheit nicht observirt wirdt. Ich habe mich zwahr vor etlichen Jahren deßen auch erinnert, undt etwas weniges auffgesetzt, wie es nach meinem Todt mit meiner Gemahlin und Kindern soll gehalten werden, dieweil aber der Status seit deßen sich sehr geändert, alß habe ich hiermit cassirt, undt also ordnen wollen, nach meiner Einfalt. 1) Befehle ich Christo meinen Erlöser meine Seele in seinen Schoß, undt will, daß meine Cörper hier zu Rödelheim, in das von mir neu erbautes begräbnuß, bey meine seelige Frau Schwiegermutter undt kind gesetzet wirdt, ihne sondere Gepräng und vermeydung unkosten, bey abendt, doch den andern tag eine leichpredigt soll gehalten werden, undt dieser Text genommen werden: Anhang 347 wir müssen durch viel Creuz und Trübsaal zum Reich Gottes eingehen, in d. Apostelgeschich am 14. Cap. weil er jederzeit in meinem Leben, undt großen wiederwärtigkeiten mein trost gewest, darauß der Höchste mich errettet. 2) Ein klein Epitaphium sollen sie mir setzen laßen bey deß begräbnüßes thür, mit meinem wappen undt beschreibung meines Lebens lauffs, wie auß Sachsen hier ins Landt kommen, meine Vermehlung undt den Nahmen meiner Kinder, auch mein alter 3) bey der Beysetznung sollen 50 fl unter die Armen getheilt werden, oder nach der Predigt, so man meinen Armen zu notificiren hat 4) Alle meine Diener sollen schwartz gekleidet werden, undt jedem sein völliger Lohn bezahlt werden 5) sollen alle meine Kinder ind er Evangelischen Lutherischen Religion erzogen werden, undt darbey bleiben, weil es die einzige wahre Religion ist, wie dei heilige Schrifft weiset, sollte eins changiren, wie ich nicht hoffen will, seye es enterbt 6) das zeitliche belangend, was ich habe an silber geschirr, Geldt oder Geldtswerth, es habe nahmen wie es wolle, auch obligationen, seindt meinen sieben kind nebst meiner Gemahlin, so auch ein kindstheil haben soll, meine einzigen Erben, dann meine Gemahlin, Gott erbarms in Ihrigem jezigen Zustandt nicht anders, alß ein kindt zu achten, doch daß es so verwahret bleibe, daß es dermahlen allen meinen Kindern wirdt zu gut kommen, undt mit ihrer Verlaßenschafft auch so verfahren werde. 7) Das kleynod von Rubinen, der Churfürst von Sachsen, habe bey Lebzeiten meiner Tochter Eleonore versprochen, als bleibts Ihr. 8) Dem Ältesten bleibt die Herrschafft mit der Regierung, wie bey unserm Hause Herkommens, alß soll man ihm daß Haus möbliert laßen, auch die silbern becher, die Löffel, Ein Gießkann undt becken, auch 2 Lichter undt 2 Saltzkannen zum Vorauß nebst nothdürfftigen Zinn, unft weißem Zeug laßen. 9) Das Silberkästlein bleibt ungetheilt dem ältesten Sohn, undt nach seinem Todt wiederumb dem ältesten Sohn von meinen Kindern, undt so fort in infinitum, wie es die seelige Frau Mutter geordnet.... wann kein manns Stamm mehr vorhanden, kombts auff weibliche Geschlecht auch, doch daß es nicht veräußert werde, weil meine seelige Frau Mutter es also vermacht undt geordnet, damit dero wille vollbracht werde, weil ich meinen Kindern ihre exspectanz abgekaufft, undt 900 fl beym laubachischen Possessoren eingelaßet, daß Sie nichts mehr daran zu praetendiren haben. 10) Dieweil auch der Klettenberg, die Schäfferey zu Niederwöllstadt, so jährlich 50 fl trägt, Wolffens Hauß undt das neue Häußlein im Thal nebenst 16 Morgen Acker, Stallburgischen Guths durch mein erspahrtes Geldt gekaufft worden, undt nicht ererbt, so kombt es in die Gemeine Erbschafft, unter sie alle, daß es so administrirt werde, damit jedem waß zu gut kommen, undt eine beyhülffe der alimentation sey, wills aber einer allein an sich lösen, soll manns ihm laßen, wie ichs gekaufft, aber nicht an fremde Hände wieder gebracht werden 11) Dieweil meine Kinder nicht alle ihre Jahre erreicht, sondern Vormund bedürfftig, als ersuche dienstlichen, den Graffen von Stollberg Ortenburg, Graff Ludwig Christoffen, undt meinen ältesten Bruder Graff Johann Friedrichen zu Wildenfelß, diese Mühe zu übernehmen, undt meinen kindern vorzustehen, weil das dienstliche Vertrauen zu Ihnen habe, der Höchste werde ihnen Vergelten, waß sie an Weysen vor treue erwiesen, versehe, undt Anhang 348 hoffe solche bitte zu erlangen, auch meiner armen Gemahlin bestens recommendire, weils deren Zustand erfordert 12) Die Deputata der Kind undt Heuraths Gelder kann nicht ordnen, sindern den Herrn Vormündern, der vernünfftigem Nachdenken befehlen, waß die Zeit leydet, undt die Einkünffte ertragen können, damit auch der Älteste seinen Stand führen kann, undt dem Kayser seine Dienste leisten, auch die processe ausgeführet werden können, so nicht angefangen sondern ererbt 13) Das Gewehr undt meine Kleyd bleibt den Söhnen alleine außer der Kutsche mit den 6 Pferdten, denen ist der Frau Mutter 14) Die Bergwercke, so von meiner seeligen Frau Mutter ererbt, wie auch die großen praetensionen, so wir Geschwister noch an Öttingen undt Erbach haben, undt meine Schwester die Marckgräffin von Culmbach, zu treiben versprochen, erben meine Kinder insgesambt, mein part, darüber sie sich bey meiner Schwester Sophia Marien der Marckgräffin zu erkundigen haben 15) Die 1236 Rthlr so Bruder Johann Friedrich innehat von meinen Liberosischen Geldern vermöge vorhandenen Scheins, sollen zu der kleinen Söhne Studiren und Reysen angewendet werden. Wie auch 2000 Rthlr von der Frau Mutter baarem Geldt darzugenommen werden, weil etliche 2000 vorhanden, so biß dato conservirt undt mich nicht bedienet wie macht gehabt, damit es den meinigen zu gut komme, weil auch meine Gemahlin, noch bey gutem Verstande, sich erbothen, wann sie der Frau Mutter seel. Todt erleben solte, wollte Sie den Söhnen 2000 Rthlr zum Studiren oder Reisen, auß dem Ihrigen geben, weil nun solches erfolget, alß wollen wir, daß 2000 Rthlr von dem baaren Geldt genommen werde, undt ihr Wille erfüllet, auch hier zu employirt werde, damit sie keine Haußtauben bleiben dann der Älteste mit der Alimentation doch genug wirdt zu thun haben 16) Meiner Schwester Anne Marien müssen jährlich 200 fl rheinisch, so lang sie lebet gegeben werden, alß habe dem regierenden das Würthshauß so auch gantz auff meine eigenen Kosten erbauet, zum vorauß vermacht, darvon er jährlich ohne mühe diese 200 fl abtragen kann. 17) Weil mein Sohn Ludwig Lust zum Studieren undt Ich ihn auf die Universität schicken will, damit er nicht verabsäumet werde, habe ihm 700 Rthlr zum Vorauß vermacht 18) Meines Petern seel. Sohn soll mit meinen Kindern erzogen werden, weil er mein Peter, wie auch meines Cammerdieners sein Justin so auch mein Petter, undt laßen Handtwerk lernen auff meine Costen 19) Den Matzen so mit auß Böhmen gebracht, soll das Schneyder Handtwerck gelernt werden, undt wann er wandert, Zehrgeldt gegeben werden 20) Dem Trompeter undt wachtreiter soll man Gnaden Unterhalt geben, weil sie mir lang gedient, weil sie leben, so es hierin ein Dank 21) Wer abzuschaffen undt zu behalten, wirdt die Zeit lehren, doch daß niemandt ohne bezahlung abgedanckt werde 22) Dem Ambtmann H. Hörgen undt Hoffmeister sollen einem jeden ein silberner becher von 50 fl gegeben werden, so sie bey mir bleiben biß an mein Endt, zum gedächtnuß, auch Hanß Henrichen einer am Solmischen Hoff von 30 fl 23) Waß ferner hierin noch erschrieben werden mögte in dieses buch, soll so gültig sein, alß wann es in diesen puncten stünde, dann dieses in Eyle zusammengesetzt, weil mich ein anstoß über den andern überfallen, daß mich meines Endes befahret, Es seye gesetzt wie es wolle, so begehre es von meinen Kindern observiret zu haben. Amen den 15. Martii 1676 JAGzSolms Anhang 349 8.3.4 Verzicht Graf Johann Karl Eberhards auf die Landesherrschaft 1695 [HStAD F 24 A 815/2] Allerdurchleuchtigster, Großmächtigster und unüberwindlichster Röm. Kayser, allergnädigster Kayser und Herr! Herr! Ew. Kays. May. kann allerunterhänigst nicht verhalten, welcher gestalten weyland mein Vatter seel. Graff Johann Augustus zu Solms Rödelheim, so ad. 1680 dominica 1ma Adventus dieses zeitliche geendiget, mir als ältistem Sohn, seine Herrschafft Rödelheim, meinen dreyen jüngeren Gebrüdern aber nebst einem zulängl. aus der Herrschafft Rödelheim fälligen Deputat den anererbten einen fünfften Theil an der Herrschaft Laubach per testamentum vermachet und verordnet, allermassen ich dann ad 1681, solche Herrschafft Rödelheim nicht allein angetretten, undt gedachten meinen dreyen Gebrüdern weilen sie noch minorennes undt unter der Vormundschafft waren, deren der jüngste aber vor nunmehro 2 Jahren in Ew. Kays. May. allerunterthgsten Kriegsdiensten auf der Feldwacht vor Peterwaradein durch eine türckische Falconet Kugel getroffen, sein junges Leben rühmlich geschlossen, den ihnen vermachten 5ten Theil von ihren Herrn Vormündern und nachgehends als sie zu ihren Jahren kommen, ihnen abgepfachtet und die Reichs und Creyß opera davon getragen; Nachdeme aber nunmehro meine 2 überbliebenen jüngern Brüder sich verheurathet und ihren laubachischen fünfften Theil selbsten administriren wollen, habe ich, weilen auch die bestandtjahr zu Ende gelauffen, Ihnen nicht allein solchen 5ten Theil hinwiederumb abgetretten undt die unterthanen in soviel an selbige verwiesen, sondern auch weilen ich inmittelst in denen Maylandischen Kriegs Diensten, durch sonderbahre zufälle in solchen Verlust meiner Gesundheit gerathen, daß denen Regierungs Geschäfften unmöglich abwarten können; Ob ich nun verhofft gehabt, da mich in wenig besserem Zustand zu befinden vermeinete, der Regierung meiner Herrschafft mich wiederumb zu unterziehen und meinen mit anvertrauten Unterthanen vorzustehen, so habe doch erfahren müssen, daß mein Zustand dergl. Regierungs affairen nicht ertragen können, sondern sobalden wiederumb und zwar fast stärcker als vorhin sich angemeldet, weshalben ich, wann ich anderst nicht der miserableste Mensch seye und bleiben wollen, umb so wohl meiner noch wenig überbliebenen Kräfften zu conserviren als auch denen Unterthanen zu prospiciren, auff einmüthiges einrathen der in diesem Zustand gebrauchten Medicorum, und in deme kein ander Mittel sich zeigen wollen, oberwehnten meinen Gebrüdern, auch sogleich die mir verordnete Herrschafft Rödelheim, gegen Empfahung eines jährlichen Deputats erblich zu überlaßen nolens volens genöthiget worden, alles breiteren Inhalts des in triplo hierbey gehenden Vergleichs. Wann ich dann dießen meinen Gebrüdern zu Ihrer mehrern Sicherheit versprochen, solchen Vergleich durch Ew. Kays. May. allerhöchste Authorität confirmiren undt authorisiren zu lassen: so ersuche Ew. Kays. May. allerunterthänigst, Sie wollen allergnädigst geruhen, dießen unter unß brüdern getroffenen Vergleich mit dero allerhöchsten kays. Authorität und Confirmation zu begnadigen, und meine brüder darbey allergnädigst zu schützen. Anhang 350 Gleichwie nun solches Niemanden an seinen Rechten praejudicirlich seyn solle, auch keinen Rechten zuwiderlauffet, umbso mehr will allergnädigste Willfahrung in allerunterthänigster Devotion mich getrösten. Ew. Kays. May. zu lang beständiger und glücklicher Regier- und glorieuser Besiegung dero und des Reichs Feinden, Göttl. starckem Machtschutz trewlichst, dero aber zu beharr. kayser. Huld und gnad mich allerunterthänigst erlassend, verbleibe ich Ew. Kays. May. allerunterthänigster trew gehorsamster Knecht JCEGZS 8.3.5 Testament Ludwig Heinrichs 1727 [ASR Nr. 239] Im Nahmen der heyligen ohnteilbahren dreyeinigkeit, Gottes des Vatters, des Sohnes und des heyligen Geistes Amen: Demnach wir Ludwig Henrich, Graff zu Solms Tecklenburg und Limpurg, Herr zu Münzenberg, Wildenfels und Sonnenwald p. Uns reiflich erwogen, daß ein jeder Mensch sich zu allen Zeiten der Sterblichkeit und eines zu hoffen habenden beßeren Lebens erinnern, und insonderheit diejenige herrschafften, so Gott mir kindern und Erben, auch Land und leuten geseegnet, dahin bedacht seyn sollen, daß, wan Gott nach seinem heyligen Willen über sie gebiethen wird, alles in gutem frieden und ruhe erhalten werden möge; so haben wir Uns auch der flüchtigkeit diese Lebens errinnert, und verlangen aufgelößet, und bey Christo Jesu unserem Erlöser zu seyn; Wir befehlen unsere Seele dem gütigen Gott in seiner allmächtigen Vatters-Hände, in der gewißen Zuversicht, daß, der sie erschaffen, erlöset und geheyliget hat, sie auch in die ewige herrlichkeit aufnehmen, und den Leib biß auf die herrliche erscheinung Jesu Christi ruhen laßen, allsdann aber die Seele und den Leib wieder zusammen führen, und der ohnvergängl. freude theilhafftig machen werde. Um aber desto ruhiger und freudiger von dieser Welt abzuscheiden, so haben wir bey annoch guter Vernunfft aus freyem und wohlbedachten Muth, nachfolgende Verordnung Unseres letzten Willens aufgerichtete, damit nach Unserem, in dem gnädigen Willen Gottes stehenden tödtlichen Hintritt aller Streit wegen unserer Nachlaßenschafft verhüthet bleiben möge. Erstlich verordnen wir, daß wann uns Gott nach seinem allein weisen und allzeit guten Willen von dieser Welt abgefordert, und zu sich in sein ewiges Reich aufgenommen haben wird, man mit dem armen leib kein Gepräng machen, sindern demselben in 2 höltzernen Särgen und in der Stille zu Rödelheim oder auch in Aßenheim, bey Unserer zwey kinder beysetzen, und nichts behänden laßen, das andern tags aber in alen unsern Ländern die Leichpredigt halten laßen, und denen Armen im Lande drey hundert Gulden, jedoch nicht auf einmahl, sondern in dreyen Jahren, auf daß man sehe, wo es nöthig ist, geben solle. Vors andere willen wir unsere 3. Söhne, nahmentlich Wilhelm Carl Ludwig, Johann Ernst Carl und Christian Ernst Carl zu unsern rechtmäßigen Erben, unserer land und leuthen, wie sie ohnedem sind, hiermit eingesetzet haben, unsere 4. Töchter aber, nahmentlich Eleonore, Wilhelmine, Sophie Christiane und Sophie Elisabethe wollen wir in demjenigen, was wie Ihnen hiermit zugetheilet, zu unseren Erben eingesetzet haben. Anhang 351 Drittens: weißen zwar unserer frau Gemahlin ihre Ehe-Pacten alles aus, was Ihr Gehalt seye, jedoch wollen wie hiermit, daß Sie in Assenheim ihren Wittwen-Sitz haben solle, weilen das Laubacher Schloß und Renthen hinweg gefallen sind. Vierdtens: Soll unsere frau Gemahlin Vormünderin über die vier jünste Kinder, und auch Regentin über der 2. jüngern Söhne Johann Ernst Carl und Christian Ernst Carl ihre Land und leuthe aller Orthen mit seyn, und zum Mit-Vormunder nehmen den Herrn Grafen von Büdingen, oder den Grafen von Gedern, weilen die Hh. Grafen von Solms hieraußen alle ihre Arbeit haben und die in Sachsen zu weit sind, wie wir dann einen Herrn Grafen von Büdingen oder von Gedern hiermit darzu dienstlich wollen erbeten haben, darbeneben verordnen wie hiermit zum Vormund-Rath den Herrn Syndicum Schwalben zu Friedberg, weilen er friedliebend ist, u. wir zu ihme das beste Vertrauen haben, u. nachdeme unsere 3. Söhne, wie oben gemeldet, die rechte Erben von Land und Leuthen sind, sie mögen liegen, wo sie wollen, so verordnen wir Fünftens: hiermit, was insonderheit Gaildorff anbelanget, daß unsere frau Gemahlin, solange ihr Gott das Leben spendet, welches wir ihr noch lange wünschen, weilen sie es uns zweymahl schrifft. überlaßen, wie es sich schrifft. finden wird, Mit-Herr bleiben, und über die 2. kleinen Söhne deßenthalben Mit-Vormünderin seyn solle, zumahlen wie in Gaildorff alle Schulden, deren nicht wenig geweßen, und die sich über dreißig tausend Reichsthaler und wohl mehrers belauffen, aus dem unserigen abgetragen haben, der älteste Sohn Wilhelm Carl Ludwig aber soll jährlich sechs hundert Gulden mehr genießen, und seinen Antheil der Regierung selbsten sogleich antretten, nach unserer frau Gemahlin seeligen Todt aber, den Gott noch lange verhüthen wolle, solle die 3. Söhne zusammen, wann sie es erleben, einer jeden von unsern 4. töchtern, wegen der Gaildorffer herrschafft, weilen sie doch uns von unserer frau Gemahlin aus großer liebe übergeben worden, Acht tausend Gulden herauß geben, welches zwey und dreyßig tausend Gulden ausmachet; Was aber nicht sogleich bezahlet wird, das soll mit fünf p. cento verpensionieret werden, wann eine ohne Erben mit Todt abgehet, so soll eine jede der Überlebenden ein tausend Gulden mehr haben, das andere aber denen 3. Söhnen bleiben, hierbey wollen wir auch bemeldter herrschafft Gaildorff zu einem fideicommiss, wie es denen rechten nach am beständigsten seyn kan, insoweit gemachet haben, daß diese Herrschafft und auch das gedachte Geld eher nicht, als wann alle unsere sieben kinder samt deren kindern dieses zeitliche gesegnet haben werden, in das Solmische kommen solle. Sechstens: befehlen wir hiermit unsern kindern, daß sie den kindlichen respect gegen ihre liebe Mutter in allen Stücken wohl obeservieren sollen, weilen der Segen und fluch darauf ruhet, und sie sich auch in allem recht mütterlich verwießen. Siebendens: sollen unserer frau Gemahlin sogleich vier hundert Gulden, ohne Abzug, zum voraus zum handgeld gegeben werden. Achtens: wollen wir hiermit unseren 4. töchtern unsere zwey in Oberroth gekauffte höffe, samt dem darauf befindlichen viehe, zum voraus vermacht haben, jedoch sollen die sieben Unterthanen bey dem Lande verbleiben, und sollen, wann unsere töchter die höffe gerne verkauffen wollten, unsere 3. Söhne die Auslößung, jedoch nicht höher als die kauffbrieff ausweisen, zu thun recht haben. Neundens: verordnen wie hiermit, daß das Land nicht vertheilet werden solle, es seye dann, daß sie mehrers Land bekämen, friedlich auseinander kommen könnten, und die Schulden getilget wären; Es soll auch die Cantzley gemeinschafft. bleiben, doch soll inskünftige nur ein Regierungs-Rath, ein Secretarius und ein Schreiber gehalten werden, die Renthen aber können, wann es möglich ist, mit der Zeit getheilet werden, allermaßen wir, da wir Land und leuthe getheilet gehabt, erfahren haben, was die theilung nach sich ziehe, indeme wir vor uns auf unser theil keine schulden gemacht, Anhang 352 sondern die Schulden fast doppelt gefunden, und die helfft von Rödelheim wohl drey mahl haben einlößen müßen. Zehendens: wollen wir, daß die von uns erspahrten, und in unserem buch und denen handschrifften verzeichneten Capitalien allesamt stehen bleiben sollen, auf daß, wann Gott mit Gaildorff eine Veränderung geben sollte, allsann eine jede tochter, wann sie noch alle leben, oder ihre kinder ein jeder Stamm vor seinen vierdten Theil desto eher die zahlung von denen Söhnen erhalten könne, die Interessen aber von solchen Capitalien sollen nach unserem seeligen todt alle Jahre zu bezahlung der von Rödelheim bekommenen Schulden, welche sich ohne unser Verschulden noch finden werden, so lange biß selbige getilget seyn, angewendet werden, auf daß der Vormundschafft und denen Söhnen die Last nicht zu schwehr falle. Sollte aber Rödelheim die Last ertragen können, so sollen die Interessen, damit alle unsere kinder desto beßer leben können, in so lang zu denen herrschafft. renthen gezogen werden, wann unsere kinder Friede, Einigkeit und gute Wirthschafft halten, denen Armen Gutes thun, und was sie selbsten nicht wollen, andern nicht zumuthen, und dieses allezeit wohl bedencken werden, welches wir ihnen hiermit befehlen, so wird solches ihnen bald aus denen Schulden helffen, maßen wir fast nichts als Arbeit, und viele Schulden aller Orthen gefunden, und doch durch Gottes Segen in Gedult die Herrschafft Rödelheim fast drey mahl erkaufft, Gaildorff als Schulden gesetzet, vier adeliche Güther erkaufft, und noch darzu vorangeregte Capitalien erspahret haben, auch vielleicht vor unserm Ende annoch ein mehreres abtragen, und etwa noch einen weiteren Segen von Gott, denen unserigen zum Trost hinterlaßen. Eilfftens: Sollen unsere frau Gemahlin und drey Söhne, das Silber, so im Schrank stehet, allein haben, jedoch soll der älteste Sohn Wilhelm die 2. große silberne flaschen, die ihme das land eingebunden, und die Eleonore die silberne kanne, welche ihr von ihrer seeligen Tante Sophia Elisabetha von Gaildorff vermacht worden, zum voraus behalten, dargegen solle einer jeden von den 4. Töchtern, wegen des Silbers ein tausend Gulden herauß gegeben, oder dieses Geld, biß es abgetragen werde, mit 4 p. cento verpensionieret werden. Zwölfftens: was unsere Process und Praetensiones aller Orthen anbelanget, darvon sollen unsere 3. Söhne sowohl die Last, als den verhoffenden nutzen haben, wie sie dann auch wegen des Process bey denen Hh. Vettern in Sachßen Grafen von Schönburg, die Unkosten selbsten tragen, und auch den Nutzen alleine ziehen sollen. Dreyzehentens: Sollen die Meubles in unseren Häußern denen 3. Söhnen gelaßen werden, jedoch ihre liebe Mama alles im Wittwenhauß, so lange sie lebet, zu genießen haben, und hernach solches denen Söhnen verbleiben, die Meubles zu Gaildorff gehören meistens unserer frau Gemahlin, und kan sie darmit thun, was sie will, dargegen soll eine jede der 4. töchter wegen der Meubles vier hundert Gulden heraus bekommen, damit also nicht die Meubles, wann sie herabgethan und getheilet würden, zerrissen und vertheilet werden mögten, und weilen es denen Söhnen alles richtig zu machen doch sehr schwehr fallen wird; Vierzehendens: sollen die 3. Söhne denen zweyen jüngsten töchtern jährl. ihr deputat, nehmlich einer jeden zwey hundert Gulden außrichten, und wann nach Gottes Willen, nach unserem todt, eine heurathen wird, derselben ihr im hauß hergekommene vier taußend Gulden EheGelder außzahlen, gleichwie wir solches auch denen zwey ältisten töchtern, laut deren verzüg- und quittungen gegeben haben. Jedoch soll denen Söhnen frey stehen, daß sie solche EheGelder nach zwey oder drey Jahren erst bezahlen, und mitlerzeit mit vier p. cento verpensionieren mögen. Fünfzehendens: sollen die drey Söhne die Kutsche und Pferde mit dem Zugehör, wie auch degen und anderes gewehr, samt dem silbernen Zeug und Schabracken haben, Anhang 353 jedoch sollen ihrer lieben Mama die sechß Füchse und die erste rothe kutsche, wobey sie auch die wahl haben soll, gelassen werden. Sechszehendens: solle die liebe Mutter mit ihren sieben kindern die früchte und wein aller orthen, hier und in Gaildorff, wie auch das Rind-Viehe und die Schaafe in friede und liebe theilen, doch also, daß es nicht denen Söhnen, an denen höffen und Güthern zum Schaden gereiche, indem es billig ist, daß nur einer des andern Nutzen nach Möglichkeit befördere, doch soll vom besten Wein ein faß von sechs Ohm, meiner frau Gemahlin gleich vorauß gegeben werden; desgleichen soll, so lang die die zwe Söhne, nebst denen 2. jüngsten Töchtern bey sich in der kost behalten wird, Ihr ein erträgliches Kost-Geld von der jüngsten zweyen Söhnen Renthen, und von der jüngsten zweyen töchtern deputat gegeben werden, will es aber die liebe Mutter ihnen ohne Entgeld aus Gnaden geben, und die drey Söhne erkennen solches, so geschiehet darmit, was wir gerne sehen. Siebenzehendens: Melden wir zur Nachricht, daß wir von dem Yßenburg. H. Amtmann Wiskemann einige Stücke Gefälle im Meerholtzischen vor Eilfhundert Gulden erkaufft, worüber unsere frau tochter Eleonore, um alles einzubringen, die Register in handen hat, wie sie uns dann alle Jahr die Interessen bezahlet, weilen sie aber vor sich uns drei hundert Gulden daran abgetragen hat, so bekommen wir nur von acht hundert Gulden jährl. die Interesse, biß sie es gantz an sich bringen kan, inzwischen haben wir noch buch darüber, und bemeldten Amtmanns Quittung in händen. Was nun nicht abgetragen wird, bleibet unter der Zahl der Capitalien stehen. Achtzehendens: Sollen unsere Tochtermänner, was sie von uns entlehnet, biß auf die Ablag verinteressieren, wer und wieviel es seye, wird das große handbuch zeigen. Neunzehendens: soll dasjenige, was Ich im Land erkaufft, nehml. Häußer, brauhäußer, Item bey dem Wirth Melosch, und was noch mehr seyn mag, denen drey Söhnen bey dem Land verbleiben. Zwantzigstens: Sollen denen 2. jüngern Söhnen, wann sie erwachsen, und zum Reisen tüchtig sind, von denen Capitalien zwey tausend Gulden, ohne Abzug zum vorauß gegeben werden, wobey wir nicht zweiffeln, daß die Vormundschafft währender Zeit auch schon etwas vor sie erspahren werde. Ein und Zwantzigstens: Verordnen wir hiermit, daß die alte, große und kleine bedienten nicht beschimpffet, sondern denen, die nicht bleiben wollen, ihr Ehrlicher Lohn und Abschied gegeben, und was Ihnen etwas aus Gnaden geschenket worden, mit guter Manier verabfolget und gelaßen werden solle; wann aber etwa einer Platz oder Hauß erlanget, soll denen drey Söhnen um einen billigen Preiß die manierliche Außlösung zu thun frey stehen. Zwey und Zwantzigstens: Soll denen würck. Räthen und dem beicht-vatter, weilen doch ein jeder ein schwartz kleid hat, an deßen statt jeglichem fünfzehen Gulden an Geld gegeben werden, die beambten zu Petterweil und zu Rödelheim, allwo nur einer seyn soll, soll ein jeder zehen Gulden bekommen, wer von geringern dienern nicht bleiben will, soll Sechß Gulden, und einen halben Jahrlohn, die andern aber, nehml. die Cammerdiener, Laquayen, Kutscher, Reith-Knecht und Vorreuther, die man behält, die ordinaire Trauer bekommen. Drey und Zwantzigstens: Soll unsere Schwiegertochter zum Andenken unsere neue silberne Caffeèkann haben; ihr Sohn soll zwey neue silberne leuchter haben, unsere beyde Tochtermänner zu Meerholtz und Waldeck sollen, und zwar erstere die große Chocolate-kann, und der andere den silbernen leuchter mit der grünen Taffel zum kleinen Andenken haben. Desgleichen soll unsers Schwiegersohns von Waldeck sein Sohn zwey von den neuen silbernen Leuchtern haben. Wann von der Eleonora, weil sie schwanger ist, anjezo ein Sohn gebohren wird, soll demselben der silberne Milchkessel gegeben werden. Unsere zwey jüngste Töchter sollen die silberne Anhang 354 Zuckerschale mit sechs löffeln haben, wie auch den Handleuchter, und unsere zwey kleine Söhne sollen das silberne Theebütgen haben, nebst dem silbernen Peybott, welches Silberwerck allesamt in unserm Gemach und Schrank stehet, der silberne und verguldene Kelch aber soll beym Hauß bleiben, und ihn allezeit ein hießiger Pfarrer in Verwahrung haben. Vier und Zwantzigstens: Ist unser ernstlicher Wille, daß wann diese unsere letzte Willens-Disposition nicht als ein recht gültiges Testament sollte können angenommen werden, folglich doch als ein Codicill oder anderer letzter Wille fest und ohnverbrüchlich gehalten und vollzogen werden solle, wobey wir uns jedoch vorbehalten, daß uns selbige, so lang wir leben, jederzeit nach unsern Gutfinden wieder zu verändern, und darzu und darvon zu thun, frey und bevor bleiben solle. Fünf und Zwantzigstens: wollen wir hiermit, auf den fall, da wieder verhoffen einige Zwiespalt entstehen sollte, Ihro durchl. den Landgraffen zu Hessen-Darmstadt, oder dero Herrn Erb-Printzen zum Executore dieses unseres Testaments unterthg. ausgebetten haben. Daß nun dieses alles, wie es von worten zu Worten obbeschrieben ist, unser wohlbedachter letzter Will und Verordnung seye, zu deßen beglaubigung haben wir uns nicht nur hierunter eigenhändig unterschrieben, und unser angebohrnes gräfliches Pettschafft beygedruckt, sondern auch die hernach benahmte sieben zeugen, daß sie dieses mit ihren eigenhändigen nahmen-Unterschrifften und beydruckung ihrer pettschafften bekräfftigen möchten, erbetten. So geschehen Aßenheim d. 27. Octobr. im Jahr nach Christi unsers Erlösers Geburth 1727. Ludwig Henrich Graff zu Solms R. T. und Limpurg Philipp Frantz Henrich Hipp, alß hierzu specialiter gn. requirierter Zeug Georg Friedrich Dekherr Anthon Ernst Seipp, Pfarrer in Aßenheim Georg Gustaph Adolph Knorr Johann Matthäus Euler Johann Gottfried Koch Augustin Köllner 8.3.6 Designation aller Solms-Rödelheimischen Regierungsgeschäfte (o.D., vor 1730) [HStAD F 24 A 1263/4] Designation Aller deren bey dahiesig hochgr. Solms-Rödelheim. Regierung zu besorgen stehende Geschäffte und Expeditiones 1. Creyß- und Graffentags Geschäffte und die darob mit denen respec. fürstlichen und gräfl. Directoriis zu pflegende correspondenzen, auch Anhang 355 derowegen mit denen hochgr. Solms Häusern zu haltende Conferenzien und darzu gehörige Correspondenz 2. Hochgr. Solms. Hauß-Conferenzien und die von Seniorats wegen zu besorgende Activ- und Passiv-Lehens auch darob zu führen nöthig. process angelegenheiten 3. Solms-Rödelheim. Passiv- als auch Activ-Lehen ex. gr. Statt Friedberg. und Reigersberg. Lehen 4. Solms-Rödelheim. process sachen a) bey hoffrath contra Hessen-Cassel burggräfenrod betreffend b) in eadem causa beym Keyserl. Cammergericht c) darzugehörige Correspondenz mit Chur Mainz d) Expedierung derer davon dependirenden decrete an amtskeller zu burggräfenrod e) Proceß sache ca. Herrn von Rauh, die Fauerbacher Vogteylichkeit betr., ingl. die mit demselben zu führende correspondenz 5. Particulier Proceß angelegenheiten in caa. bey dem Crayß a) Ca. Friedberg in pto juris retractus zu fauerbach b) Ca. Stollburg. Erben ca. Rödelheim pto. Appois. c) für maynz. Stifft Rath v. ca. Köhler. Erben in pto. Appelaris Gräfl. Solms-Rödelheim. Process-Angelegenheit coram commissione Caesarea, die Augustusburg betreffend Item in pto. Divisionis Hereditatis paternal. 6. Gräf. Craz. gemeinschafft. Process-sachen sowohl beym Keyserl. Cammer Gericht als bey Chur Trier correspondenz mit denen gräf. Leiningen und Warttenberg. herrschafft item dem keller stummen zu enkirch 7. Solms Rödelheimer controversien a) mit Chur Mainz wegen einschränkung des Hoff-gerichts zu Soden b) mit Hanau wegen Rödelheimer und bockenheimer gräntz c) wegen der Praunheimer Schul, und des Filials Heddernh. d) wegen der Gränz zwischen dem Bainhard und Rodheim e) Item wegen des beinhards mit darmstadt habende controversien pto. begräbnüsses derer auffm bainhard verstorbenen f) mit Hanau wegen des Rodheimer zehenden und dahero in commune mit Hessen-Darmstatt zu führende correspondenz 8. Consistorialia: Ehe verspruchs und deren Scheidungs sache, dahin gehörige berichte derer H. Geist. in Kirchen und Schul-sachen, und darauff zu expedirende resolutiones 9. Marcksachen und zwar a) Cronenberger Marck dahin gehörige Neuerungen von Chur Maintz b) Oberurseler Marck und beobachtung derer selben gerechtigkeiten c) Seulburger Marck und das dahin gehörige Petterweiler burgholz 10. Judicial-sachen, derer Partheyen, die an denen Cantzleytägen zu besorg., dererselben protocollirung und expeditiones der decreten und bescheide 11. Niederwöllstatter Amtsjudicial-sachen und durchgehung dererselben Amts und Straff Protocollen, item beantwortung derer H. Beamten berichte Anhang 356 12. besorgung der Correspondenz und gemeinschafft. Ambts Vorfallenheiten zu Praunheim, item gemeinschafft. KirchenRechnung abhör zu Niederursel 13. Cameralia a) Erb- und Temporal-Leyhen, und derselben Renovationes b) Correspondenz mit denen Rechnungsbeamten, auch auswärtigen zehenden [...] c) derenselben gereichte schreiben und darauff ergehende Decretes d) Propositionspuncten und deren resolutiones 14. Die beym Monathsende dienstag vorkommende memorialia uns expedition resolutionum 15. Militaria, dahin gehörige decretirung derer landschafft. Außschläge und andere dabey vorfallende correspondenz 16. die revidir- und justificirung der amt. Rechnungsbeambten nach unabgehörter Rechnung 8.3.7 Vergleich zwischen Wilhelm Karl Ludwig und Johann Ernst Karl 1745 [ASR Nr. 239] Demnach es endlich dahin gediehen, daß die hochgebohrnen Grafen und Herrn, Herr Wilhelm Carl Ludwig [...] als dermahlen regierenden Herrn zu Rödelheim, dann Herr Johann Ernst Carl [...] wegen des von denen nachgebohrnen Herrn brüdern bißher contradicirten Primogenitur-Rechts, und des dahero in petitorio noch unerörten Processus auch anderer dahin eingeschlagener Irrungen halber, sich in brüderlicher Eintracht zusammen gethan, und verglichen haben; Als ist zwischen hochgedachten gräflichen Herren Gebrüdern nach gepflogenem Rath und reiflicher Überlegung nachfolgender verbindlicher und unverbrüchlicher Vergleich Recess in der kräfftigsten und beständigsten Form und Maas Rechtens angehandelt und beschlossen worden, und zwar 1.) versprechen der regierende Herr Graf Wilhelm Carl Ludwig der Herrn bruder Herrn Graf Johann Ernst Carln zu dero bißherigen Unterhaltungs Quanto von 1150. fl jährlich 750 fl beyzulegen, folglich denenselben ohne was Sie ohnedem von ihrer Capitains-Charge zu geniesen haben, jährlich die Summe von 1900 fl sage Ein tausend neun hundert Gulden franckfurther Wehrung auszahlen, und die Zulage der Siebenhundert fünfzig Gulden von halben zu halben Jahren als in der franckfurther Oster- und Michaelis Meeße jedesmahl die helffte davon richtig abführen zu lassen, dahingegen wegen der vorhin genoßenen Deputat-Gelder à 1150 fl es bey der ehemahlen beliebten Quartals-Zahlung bleibet; falls aber 2.) der Herr Graf Johann Ernst Carl dero eigene haushaltung anfangen wolten, so verbinden sich der ältere Herr bruder, ihme anstatt derer zugelegten 750 fl dieunten sub. sig. 0 ausgeworfenen Naturalia und Geld, doch dergestalten zu reichen, daß anstatt der achtzig Malter haber,denenselben das davor angesetzte Geld, mit achtzig Gulden bezahlet, wegen des Holtzes ander ihme dem ältern Herrn Grafen die Wahl gelaßen werden solle, ob sie die fünffzig Gilbert Holtz in natura liefern, oder nach jedesmahligem franckfurther MarcktPreiß in Geld bezahlen wolle, nach der frau Mutter in Gottes handen stehendem Tod aber, soll wie die übrigen Naturalien auch haber und holtz in Anhang 357 natura gegeben und bey ihrer Verheurathung, oder auch zu ihrer vorherigen Einrichtung einer eigenen Oeconomie tausen thaler vom land zu einer Verehrung verschaffet werden. 3.) Ferner versprechen dieselben gedachtem dero Herrn bruder das Schloß in Assenheim so wie selbiges der frauen Mutter hochgr. Gnaden bißhero bewohnet, nach deroselben Tod zur Wohnung einzuräumen, jedoch mit dem Vorbehalt, daß dieselben eine gewiße Anzahl Zimmer und Stallung, fallß Sie zur Jagd Zeit, oder sonsten in Assenheim zu seyn nöthig haben würden, beständig parat und offen finden sollen. 4.) Da auch mehr hochgedachter regierender Herr Graf ohne männliche posterität absterben würden; So erkennen und agnosciren dieselben auf solchen fall annoch bey dero leben dero nachgebohrnen herrn bruder Graf Johann Ernst Carl als dero einigen Landes Erben nach ihrem Tode, machen sich auch verbindlich, so viel in ihrem Vermögen stehen wird, dahin sich mit zu bearbeiten, daß nur ernamter dero herr bruder in diesem von deroselben erkannten Successions-Recht entweder durch richterliche Erkanntnüß oder andere convenable weise erhalten und in dem besiz deßelben gesetzet werde. 5.) Renunciiren der regierende Herr Graf zum alleinigen Vortheil seiner Geschwister auf die sämtlich vätterliche Mobiliar oder sogenannte Allodial- verlaßenschafft dergestalten, daß dieselben und dero testaments-Erben daran keinen theil, weder active noch passive nehmen wollen, und weilen dieselben auf den fall, da etwa aus dießer Verlassenschafft etwas an Sie gekommen zu seyn vorgegeben werden könnte oder möchte, bereits in dero Testament ein Capital von fünf tausend Gulden als ein Vermächtnüß ausgesetzet, womit dieser vermeintliche anspruch abgethan seyn solle; So ist solches nach dem weiteren Inhalt gedachten Testaments dahin zu verstehen, daß wann dero jüngster Herr bruder und frauen Schwester wegen nur bemeldter Verlaßenschafft dennoch einigen Anspruch machen würden, als dann dieses Vermächtnüß der 5000 fl in Ansehung Ihrer cessiren, und dero herr Bruder, Herr Graf Johann Ernst Carl nebst seinem des ältern Herrn Grafen Antheil an denen vätterlich ausstehenden Capitalien zu fallen, und deroselbe, damit sich und des regierenden Herrn Testaments Erben von solcher Anforderung liberiren solle und wolle. Und gleichwie dieße renunciation der vätterlichen Verlaßenschafft auch auf die, von des hochseel. Herrn Vatters hochgr. Gnaden in dero hand-buch eingetragene und hinterlaßene Capitalien (so viel daran zu bezahlung anderer Schulden noch nicht angewendet worden, und ausgeschieden dererjenigen, welche jedem kinde ohnehin schon eigenthümlich zugestanden sind) extendiret und verstanden seyn solle; Also wollen der regierende Herr die von denen übrigen Capitalien fallende Interessen, so wie sie selbige bißher genoßen, sich noch ferner, so lange sie leben reserviren. Endlich und 6.) Machen sich der regierende Herr verbindlich, im fall Herr Graf Johann Ernst Carl nach göttlichem Willen vor deroselben und ohne hinterlaßung männlicher Descendenz Todes verfahren würden, als denn dero hinterlaßenen frauen Wittib, wann dieselbe das herkömmliche heyraths guth werden inseriret haben, der Witthum so, wie dero hochgräf. Mutter und frau Gemahlin in solchen respee genossen, und nach denen errichteten Ehe-Pacten und Witthums-Verschreibungen geniesen sollen, aus denen landes-Revenuen anzuweisen und überreichen zu laßen. Dahingegen Anhang 358 1.) Renunciiren Herr Graf Johann Ernst Carl auf den gegen dero Herrn bruder in dem Vergleich de Anno 1734 fortzuführen sich vorbehaltenen Primogenitur- Process, und erkennen denselben vor den allein regierenden Herrn 2.) Consentiren dieselben nicht nur, daß der regierende Herr Graf über dero erspartes Vermögen, es sey an Gold, Silber, Juwelen und andere Pretioses, an baarschafften aus gelehnten Gelder, vorräthigen früchten, Weinen, und anderen Mobilibus und Moventibus, wie die Nahmen haben mögen, gültig und ohne von ihrer Seiten einen Widerspruch zu besorgen, testiren können und mögen, sondern verbinden sich auch hiermit des regierenden Herrn instituirte Testaments-Erben, bey dem was vorbesagter maßen denen selben vermacht worden, schützen und so viel an Ihme ist, manuteniren zu wollen. 3.) versprechen Herr Graf Johann Ernst Carl, daß dießelben nach tödtlichem hintritt des regierenden Herrn Grafen dero hinterlaßenen frauen Gemahlin ihren Witthum nach Maasgab der in Conformitaet derer Pactorum dotalium ausgefertigter Witthums-verschreibung an baaren Geld und Naturalien richtig auszuzahlen ud liefern, auch der Comtesse Tochter, das, was ihr nach Gewohnheit des Haußes zu ihren Unterhalt gebühret, gleichermasen ohne Anstand überreichen laßen wollen. 4.) Renunciiren dieselben demjenigen, was in vätterlichen Testament sowohl §2 wegen theilung der Graffschafft Rödelheim als auch §10 wegen bezahlung derer auf dem Lande hafftenden Schulden disponiret worden, und zwar dieses letztere in der Maas, daß dieselben sich verbinden, denen von dem regierenden Herrn Grafen Wilhelm Carl Ludwig instituirten Testaments Erben dießfallß weder eine aufrechnung noch sonst eine forderung oder anfechtung machen zu wollen, noch daß es durch andere geschehe, so viel an Ihnen ist, zu verstatten. Endlich 5.) versprechen Herr Graf Johann Ernst Carl dero älteren Herrn bruder zu allenfalßiger Aufnehmung eines Capitals à Viertausend Gulden, womit der frauen Schwester Gräfin von Löwenstein heyrats Guth zu entrichten ist, den erdorderlichen Consens zu ertheilen. Wie nun eingangs erinnerte beede hochgräfliche Herren brüder alles dasjenige, wesen sie sich vorher beschriebenermaßen verglichen, stet, vest, und ohnverbrüchlich zu halten, und darwider auf keine weise zu handeln oder durch andere thun zu laßen, handgebend versichert, auf daß gegenwärtiger vergleich vim rei judicatae haben solle, ausdrücklich stipuliret, und zu solchem Ende allen und jeden rechts wohltaten, freyheiten und ausflüchten, wie die nahmen haben mögen, wißentlich und wohlbedachtlich renunciiret, also ist dieser vergleich recess in triplo ausgefertiget, und von beeden hochgräflichen Herrn brüdern eigenhändig unterschrieben, und mit beydruckung dero gräflichen Insiegeln bestättiget worden. So geschehen franckfurth, den 27. Jan. 1745 [Unterschriften; Siegel] Neben Receß Nachdeme die hochgebohrnen Grafen und Herren, Herr Wilhelm Carl Ludwig und Herr Johann Ernst Carl, gebrüder Grafen zu Solms p.p. sich noch weiter über ein und andere Puncten, so in dem haupt-recess vor dem heutigen unten gesetzten Dato nicht enthalten, verglichen; als ist dieser Neben-Recess darüber verrichtet Anhang 359 und folgendes noch weiter gegeneinander verbindlich stipuliret und zugesaget worden: 1.) Soll zwischen beyden obbenannten Herrn brüdern der getroffene vergleich so lange in Verschwiegenheit gehalten werden, biß es zur publicirung gemeinschafftlich gut befunden werden wird. 2.) Zur Sicherheit und weiteren Erläuterung der dem Herrn Grafen Johann Ernst Carl in §4 zukommenden Eventual-Succession sollen die Gerichter und bediente in deßen pflichten jedoch gegen den von ihm auszustellenden und hierbey liegenden Revers genommen werden. 3.) Will der Herr Graf Johann Ernst Carl seinen jüngern herrn bruder, bey hiernächst erlangender Regierung aus brüderlicher freundschafft, ebenso viel, als er jetzo von seinem ältern herrn bruder bekommt, zu seinem Unterhalt geben, auch allenfallß nach Erforderung der Sach noch ein mehrers thun. Wobey doch vorausgesetzet worden, daß weder hiermit, noch durch das, was der älteste regierende Herr bruder dero nachältesten aus besonderer zuneigung gut und freywillig in diesem, und dem haupt-Recess stipuliret und ausgeworfen, von der sonstigen Gewohnheit des Haußes abgegangen, oder sich und ihren Erben bey künfftigen Fällen praejudiciren werden wollen. 4.) verbinden sich beede paciscirende Herren Gebrüdere vor sich und ihre Erben bey dem Primogenitur Recht fest zu halten, und will besonders der älteste Herr Graf mit Zuziehung seines nachgebohrnen Herrn bruders, die kays. Confirmation auf seine Kosten, über den getroffenen Haupt-Vergleich von heutigen dato ohne Anstand suchen zu erlangen, in Entstehung aber der hiernächst auch vorhabenden Vergleichung mit dem jüngsten Herrn bruder eine Hof-Commission auszuwürcken, und gleichwie 5.) die beyden Herren brüdere sowohl in causa primogeniturae als der so genannten allodial- oder mobiliar-verlaßenschafft betr. causam communem zu machen, hierzu aber die acta zu Ihrer Information und Defension nöthig haben; So sollen berührte Acta zwaren so lang der ältere Herr bruder lebt, in deßen handen gelassen, und dem jüngeren allzeit die Information daraus zu nehmen gestattet, nach deßen ältern Herrn bruders ableben aber solche in locum tertium zu dem Ende verwahrlich gegeben werden, damit die hinterbleibende frau Wittib und Erben nöthigen falls sich derselben nach gefallen, eben so, wie der Herr Graf Johann Ernst Carl bedienen können. Deßen zu mehrerer Urkund und festhaltung haben sich beede Herren Grafen eignhändig unterschrieben und dero gräfliches Insiegel hier vordrucken laßen. So geschehen franckfurth, den 27. January 1745 8.3.8 Solms-Rödelheimische Armen- und Bettelordnung 1778 [HStAD F 24 A 1133/1] Hochgräflich Solms-Rödelheimische Armen- und Bettelordnung 1778 Wir Johann Ernst Karl, regierender Graf zu Solms-Rödelheim, Tecklenburg und Limpurg u. Herr zu Münzenberg, Wildenfels und Sonnewald u. Ihro Römisch- kaiserlichen Majestät würklicher Cammerherr, wie auch des hochfürst- und hochgräflichen Samthauses Solms Senior u.u. fügen hiermit zu wissen: Nachdeme bishero mißfällig wahrzunehmen gewesen, daß das Betteln in Unserer Residenz Rödelheim sowohl als in den übrigen darzu gehörigen Ortschaften Anhang 360 überhaupt und besonders dadurch sehr überhand genommen, daß sich die fremde Bettler täglich nicht nur von denen banachbarten, sondern auch entlegenen Orten dahin gezogen, somit es geschehen, daß nicht nur die Einwohner ausserordentlich belästiget, sondern auch denen Diebereien blos gestellet worden, gestalten die Erfahrung zeithero genugsam gelehret hat, daß sich die Vagabunden und das fremde Diebsgesindel unter dem Vorgeben des Bettelns verbergen, und sich nur Gelegenheit zum Stehlen ausersehen, besonders auch denen wahrhaftig armen Einwohnern die Allmosen entzogen werden. Dann aber diesem Unwesen nicht länger nachgesehen werden kann, sondern vielmehr zum Besten unserer Unterthanen nach dem Beyspiel derer benachbarten und anderen hohen Mitreichsständen und nach Innhalt derer vorhandenen Reichs- und Creiß-Schlüssen, von Uns gnädigst beschlossen worden, dieser Unordnung durchgängig abzuhelffen; So sezen, ordnen und wollen wir, daß, da § 1. nach denen natürlichen Grundsätzen ein jedes Land, ein jedes Amt, und ein jeder Ort seine eigene Armen selbsten zu ernähren allerdings schuldig, diese Last aber andern aufzubürden und denenselben dadurch ihre Allmosen zu entziehen, keineswegs befugt ist, künftig kein fremder Bettler ohne Unterscheid, wenn derselbe auch aus einem Unserer Ortschaften gebürtig und mit einem Paß versehen wäre, in einem andern Ort unserer Landen, wohin er nicht gehöret, gedultet, sondern vor das erstemal durch die Spiesträger und Feldschützen, unter ernstlicher Verwarnung sich nicht wiederum auf dem Bettlen betretten zu lassen schlechterdings fortgewiesen, auf dem zweiten Betrettungs-Fall aber gefänglich eingezogen und dieses von dem herrschaftlichen Schultheiß zu weiterer Bestrafung an das Amt einberichtet werden soll, gestalten dann auch die fremde Collectanten, welche von Unserer nachgesetzten Regierung mit keiner schriftlichen Erlaubniß versehen, fortzuweisen sind; und indeme § 2. die Erfahrung gelehret hat, daß selbst unsere Unterthanen durch unüberlegte Austheilung ihrer Allmosen an fremde Bettler und Vagabunden diese herbey gezogen und zu Unordnung nicht geringe Gelegenheit gegeben haben; so wird zu Erhaltung des Endzwecks Unsern Unterthanen und Beysassen auch allen übrigen Einwohnern, sie mögen seyen, wer sie wollen, das Allmosen geben an Fremde in dem Ort herumgehende Personen bey schwerer herrschaftlichen Strafe hiermit verbothen, und zugleich den Schultheiß, Gerichtsleuthen, Spiesträgern und Feldschützen anbefohlen, auf die Uebertrettere fleißig zu invigilieren und solche dem Amt jedesmalen zur Bestrafung anzuzeigen; Unter diese Verordnung fallen sollen auch § 3. die fremde Handwerks-Pursche, als welche mit ihrem Bettlen und so genannten Fechten in die Städte an die dasigen Zünfte zu verweisen sind, begriffen seyn. Dieweilen aber auch bisher hier und da bemerkt worden ist, daß § 4. ein und andere Wirthe in Unserer Residenz Rödelheim und übrigen Ortschaften, als bey welchen die fremde Handwerks-Pursche, Bettlere und Vagabunden zuerst einzukehren pflegen, dadurch den Zugang dieser fremde Leuthe befördern, daß sie dieselbe aus der Ursache unterrichten, bey welchen Einwohnern sie die Geld- Allmosen vorzüglich zu hoffen hätten, damit sie solche hernach bey Ihnen verzehren möchten; so soll auch denen Wirthen bey 10 Reichsthaler Strafe hiermit verbothen seyn, allen und jeden fremden Bettleren den mindesten Aufenthalt in ihren Häusern zu verstatten, es sey dann, daß ein fremder Handwerks-Pursch über Nacht bey Ihnen für sein Geld zehren wollen, welches aber von denen Wirthen, bey der nemlichen Strafen, dem herrschaftlichen Schultheiß vorher anzuzeigen und von diesem erst sothanes Beherbergen nach richtig befundenen Pässen und Kundschaften, zu erlauben ist. Anhang 361 § 5. Die einkommenden Bettelfuhren insonderheit sollen nebst Geschirre und Leuten unverzüglich arrestiret und die Führere nach Befinden gezüchtiget, sofort die ganze Fuhre an denjenigen Ort, wo sie zuletzt abgegangen, zurückgebracht und der dasigen Obrigkeit überliefert werden. § 6. Wie nun auf solche Weise die fremden Bettlere abgehalten und auf der einen Seite dem immer mehr eingerissenen Mißbrauch gesteuret wird; so gehet auf der andern Seite aber auch Unsere gnädigste Willens- Meynung keineswegs dahin, die Orts-Einwohner von der löblichen christlichen Mildthätigkeit gegen die Armen abzuhalten, sondern vielmehr dieselbige hierzu dardurch zu ermuntern, daß sie Ihre Allmosen, worzu wöchentlich der Dienstag und Freytag zu offentlichen Betteltägen hiedurch bestimmt seyn sollen, an die Einheimische Armen nach ihrem Vermögen öffentlich austheilen, von welchem Bettlen jedoch diejenige Arme, welche ihre Nothdurft durch Arbeit verdienen können, bey Leibesstrafe abzuhalten sind, und auf dieselbe der Ort-Schultheiß ein genaues Augenmerk nicht nur zu richten, sondern diese auch, wenn sie sich nicht an diese Verordnung kehren, bey Amt zur Bestrafung nahmhaft zu machen hat; Da es inzwischen auch § 7. in einem Ort sogenannte Haus-Armen geben kann, welche sich theils des Bettelns schämen, und theils wegen Krankheit und sonstiger Gebrechlichkeit nicht öffentlich betteln können; so werden Unsere Unterthanen und Beysassen und übrige Einwohnere hierdurch besonders ermahnet, daß sie diese wahre Armen nicht vergessen, sondern dieselbe vielmehr vorzüglich mit Allmosen an Geld oder Victualien, auch Kleidung, nach ihrem Vermögen versehen mögen. Und obgleich § 8. den wahren Orts-Armen nach § 6. das öffentliche Betteln auf die vorgeschriebene Tage erlaubet und gestattet worden, so ist jedoch diese Erlaubnis nicht auf die Neuen-Jahrstäge, da sowohl erwachsene Leute als Kinder unter dem Vorwand des Glückwünschens herumzulauffen, zu bettlen und Unfug zu treiben pflegen, zu erstrecken, viemehr soll an diesem Tag den Einheimischen und besonders denen Ausländer, als welche durch zu treffende dienliche Veranstaltungen des fordersamsten abzuhalten, das gewöhnliche Herumgehen und ärgerliche Betteln gänzlich verbothen seyn, dafür aber zugleich von dem Orts-Schultheißen gesorget werden, daß dergleichen sich an dem Neu-Jahrstage zu bettlen erfrechende Leute und Kinder unverzüglich wiederum in ihre Häuser verwiesen, und zu weiterer Verfügung und Bestrafung dem Amt namentlich angezeiget werde müssen. Gleichwie hingegen § 9. diese Verbot des Anhaltens um ein Neu-Jahrsgeschenk, sich nur in soweit erstrecket, als solches zum Deckmantel der Betteley gebrauchet wird; Also bleibt auch denen, welche wegen das Jahr über geleisteten Diensten ein Neu-Jahrs- Geschenk einzusammlen hergebracht haben, und ihnen als ein Theil ihrer Besoldung und Lohns angewiesen ist, wohin z.E. die Hirten zu rechnen sind, solches jedoch in der Mase einzufordern unbenommen, daß sie bey 1 Reichsthaler herrschaftlicher Strafe ihren Umgang nicht an dem Neu-Jahrstag selbsten, sondern an einem der folgenden Tägen nehmen, und ihren verdienten herkömmlichen Lohn einsammlen mögen. § 10. So billig es nun auf der einen Seite ist, daß ein jeder Ort seine eigene Armen ernähre und denselben die nöthige Allmosen reiche, und so gewiß es auch ist, daß nunmehro durch diese Bettel-Ordnung, nach welcher die, sonsten fremden Bettlern gegebene Allmosen, bloshin für die Orts-Armen aufbehalten und verabreichet werden, dieser Zweck erhalten wird, so unbillig, ja ungerecht würde es auch auf der andern Seite seyn, wenn diese vorjezo auch in fremde Orte gehen, und dasigen Armen die Allmosen zum Theil entziehen wollen. Es wird dannenhero hiemit weiter gnädigst verordnet, daß kein Armer bey Gefängniß Strafe sich unterstehen solle, zum Anhang 362 Betteln an einen andern benachbarten Ort, wenn dieser auch selbsten in Unsern Landen, wie § 1. vorhin schon gemeldet worden, gelegen wäre, zu gehen. § 11. Hieran geschiehet Unser ernstlicher gnädigster Wille und Meynung, wornach sich Unsere nachgesezte Regierung, wie ingleichem Unser Gräfliches Consistorium, die Beamten auf dem Lande, nebst Ihren Untergebenen – und wen es sonsten angehet, unterthänigst gehorsamlich zu beachten, die Regierung insonderheit aber, diese Unsere landesherrliche Verordnung gehörig zu publiciren, und zu jedermanns hinkünftigen Nachricht zum Drucke zu befördern hat. Zu desto mehrer Urkund haben Wir diese Verordnung eigenhändig unterschrieben und Unser Gräfliches Secret-Insiegel wissentlich davor drucken lassen. So geschehen Schloß Assenheim, den 1ten December 1778. Johann Ernst Carl, Graf zu Solms-Rödelheim vt. Hoffmann 8.3.9 Vergleich zwischen Graf Johann Ernst Karl und den anderen Allodialerben 1784 [HStAD F 24 A 39/4] Eine im Publico sattsam bekannte Sache ist es, zu welch einem höchst beschwehrlichen bey dem kaiserlichen und Reichs Kammergericht anhängigen Deteriorations- und Indemnisations- Process es bereits vor mehrern Jahren zwischen des jetzt regierenden Herrn Graffen Johann Ernst Carl zu Solms-Rödelheim und Aßenheim hochgräf. Gnaden Impetranten an einem, denn Ihro am 27ten Aug. 1778 seel. verstorbenen Herrn Bruder weil. dem regierenden Herrn Graffen Wilhelm Carl Ludwig zu Solms-Rödelheim und Aßenheim p.m. Impetraten am andern Theil gediehen, und wie derselbe gegen der regierenden Frauen Fürstin Christianen Wilhelminen Louisen zu Leiningen-Dachsburg, geb. Gräffin zu Solms-Rödelheim Durchlaucht, als eingesetzte Testaments-Erbin, nicht minder der Frauen Gräfin Elisabetha Christiana Mariana vermählten Rheingräfin zu Grumbach, der Frauen Gräfin Charlotten Louisen Polixenen, vermählten Gräfin zu Erbach-Erbach, der Frauen Gräfin Carolinen Sophien Wilhelminen, vermählten Gräfin zu Solms- Wildenfels, Schwestern und gebohrnen Gräfinnen zu Leiningen-Dachsburg hochgr. Gnaden, Gnaden, Gnaden, als Legatarien Ihro hochseel. resp. Herrn Vaters und Großvaters, insbesondere durch Ausbringung eines Arrestes auf einen ansehnlichen Theil der Verlaßenschaft bis nun fortgesezzet worden sey. Nachdeme nun gesamte hohe litigirende Teile in gutmütiger Beherzigung der unter ihnen vorwaltenden Anverwandschaft, des aus fortsezung eines so lästigen familien- Prozesses allenthalben zu befahrenden Unlustens, und anderer Rücksichten, aus eigener gleich-edelmütiger Bewegung sich veranlaßet gesehen haben, auf die güthliche Beilegung dieses weitschichtigen Zwistes den Bedacht zu nehmen, und derselben mit ebenmässiger Bereitwilligkeit die Hände zu bieten, daraufhin der regierenden Frauen Gräfin zu Erbach-Erbach hochgräf. Gnaden in Gemeinschafft mit Ihro hochgräfl. Herrn Gemahl, vermöge eines, zwischen Ihro und Ihrer fürstlichen Frauen Mutter, in separato errichteten Vertrages, sich diesem Vergleichswerck und Praestation der darauß fließenden Erfordernisse für sich, die fürstliche Frau Erbin und gesammte Gräf. Frauen Legatarien wohlmeinend dargeboten und solch alles übernommen haben: Anhang 363 Als ist anheute, nach vorhergegangenen mehrmaligen Zusammentritten, von denen zu dem Ende eigens abgeordneten Mandatariis, und zwar namentlich dem hochgräf. Solms-Rödelheimischen Regierungsrath Johann Hartmann Walther, als Impetranten, dann dem hochgräflich Erbach-erbachischen Herrn Kanzley-Director Johann Friedrich Haakh, und dem hochfürstlich Leinigen-Dachsburgischen compciscirend- und unterschriebenen Herrn Hofrath Philipp Gottlieb Knorr in Kraft der sub No. 1.2.3. in originali und respection beglaubter Abschrift anliegenden Vollmachten, unter, von gesamten hohen Teilen erkießet- und aufgetragener Vermittelungs- Mitwirkung des gräflich Löwenstein-Wertheimischen Hofraths und Reichsstadt Franckfurtischen bürgerlichen Consulentens Georg Adolph Huth, der verbindlich und unwiderrufliche Vergleich folgendermaßen und dahin getroffen worden: §1 Es überlaßen nemlich und cediren der regierenden Frauen Gräfin zu Erbach-Erbach hochgräf. Gnaden für sich, Ihro fürst. Frau Mutter und gräflichen Frauen Schwestern nachstehende Ihnen, als Erbin und Legatarien, bishero zugestandenen und zur Verlaßenschaft Ihro hochseel. reps. Vaters und Großvaters gehörige Forderungen an das jetzt regierende hochgräf. Haus Solms Rödelheim, als ein wahres unwiderrufliches Eigenthum, von nun an in bester Form Rechtens und mit feierlicher Begebung aller daraus habender Rechte, welche die auch immer sein möchten, und zwar 1) Das von des regierenden Herrn Graffen Johann Ernst Carl zu Solms- Rödelheim und Aßenheim hochgr. Gnaden an die Gräf. Allodial-Masse laut Verbriefung de dato 6. Jul. 1770 schuldige Capital, mittelst Rückliefferung der original-obligation.........20000 2) die hieraus seit 6. Jul. 1778 bis nun von 5 Jahren 7 Monaten zu resp. 4 und 5 pCt. rückständigen Zinsen mit.........................................................................................5183 3) die von dem jetztregierenden Gräf. Hauß Solms-Rödelheim und Aßenheim von dem Jahre 1778 eingegangenen zu der gräfl. Allodial-Masse gehörige und dahin zu restituirende Landes-Ausstände, welche nach den Anlagen betragen...................18878 4) die daraus biß nun erschienenen und berechneten Zinsen des Verzugs mit........... 4119 5) die noch von dem Sterbjahr 1778 an Geld- und Naturalien rückhaftende Ausstände laut Verzeichnisses no. 7 mit...................................................................................3573 6) die von dem hochgräf. Hauß Solms-Rödelheim und Aßenheim aus der Allodial-Masse ersteigerte 1778er Weine eigenen Gewächses mit.....................................................527 7) den von dem hochgräf. Hauß Solms-Rödelheim und Aßenheim bezogenen Weinvorrat von den Jahren 1777 und 1778 mit............................................................................250 8) die laut Enkircher Rechnung und Verzeichnißes No. 8 daselbst noch rücklastende Ausstände an Geld und Naturalien mit.....................................................................1095 In summa.........................................................................................................54225 §2 Indeme sich jedoch wegen des zum Grund gelegten Preises der angerechneten Naturalien, denn der von dem hohen cedirenden Theile wegen richtigen Eingangs der Anhang 364 Ausstände zu leistenden Eviction verschiedenen Bedenklichkeiten ereignen wollen: so ist, um allenthalben dem gütlichen Einverständnis Raum zu geben, dieser Punct dahin verglichen worden, daß obige Summe der fl 54225 um 11225 herunter gesezet, und mithin nur in einen Anschlag von fl 43000 solchergestalten gebracht werden solle, daß da dieses gleichwol keineswegs zum behufe der debenten, als dritter, gereichen kann, dem hochgräfl. Hauße Solms-Rödelheim und Aßenheim, als Cessionaris, unleugbares volles Recht zustehe, gesamte sothane Ausstände bei denen Rechnern oder debenten, gänzlich und ohne Abzug zu erheben und einzutreiben, wohingegen der hohe cedirende Theil aus gleicher Rücksicht der Billigkeit desfalls aller Evictions Leistung enthoben und deren befreiet wird. §3 Verbinden sich der regierenden Frauen Gräfin zu Erbach-Erbach hochgräf. Ganden in Gemeinschaft mit Ihro hochgräf. Herrn Gemahl entweder sofort nach Unterschreibung dieses Vergleichs, oder längstens in bevorstehender Frankfurter Ostermesse an des regiereden Herrn Grafen zu Solms-Rödelheim hochgräf. Gnaden außer denen Ihro bereits obgedachtermaßen überlaßenen Posten annoch die baare Summe von 20000 fl schreibe zwanzig Tausend Gulden in 24 fl Fuß unweigerlich und auf einem Brette gegen Quittung dahier in Frankfurt auszuzahlen, wo inmittelst und wenn diese Zahlung nicht gleich dermahlen geschehen sollte, hochgedachte Frau Gräfin und Ihro Herr Gemahl ihr bereitestes Vermögen zur Sicherheit der Erfüllung deßen als ein wahres Unterpfand einsezen, um sich daraus im Falle der Erfoderniß, mit oder ohne Recht vollständig zu erholen. §4 Ob nun gleich die zum hochgräfl. Hauß Solms-Rödelheim gehörige väterliche activ- fideicommiss-Capitalien dem jetztregierenden Herrn an und für sich, Ihrer Eigenschaft nach, ipso jure, anheimfallen, und es mithin deren besonderen Cession nicht bedarf: so erklären gleichwol der regierenden Frauen Gräfin zu Erbach-Erbach hochgräfl. Gnaden für sich und Ihro fürstl. Frau Mutter und gräfl. Frauen Schwestern, zu allem Überfluß, hiermit auf das bindigste, wie sie sich aller und jeder Ansprüche an irgend ein hochgräf. Solms-Rödelheimisches Fideicommiss-Capital in genere et in specie begeben haben, und solche als ein alleiniges Eigenthum hochgedachten Haußes anerkennen wollen, sondern es werden auch insbesondere nachbenahmte Gräf. Solms-Rödelheimische Hauß-Fideicommiss-Capitalien, samt davon etwa rückhafftenden Zinsen, mittelst Extradition der darüber lautenden Urkunden dahin an- und überwiesen, und zwar a) das bei dem fürst. Hauß Solms-Braunfels ausstehende Capital mit.......................10000 b) die daraus erschienenen und bei Kaiserl. Commission deponirte Zinßen................2200 c) das bei dem Gräfl. Hauß Ysenburg-Meerholz ausstehende Capital mit...................2000 d) die von dem Wiskemannischen Pacht herrührende bey dem gräfl. Hauß Ysenburg-Meerholz laut Urkunde ausstehende Forderung mit gleichmäßigen Zinsen..............800 e) der von bienenthalische Wechsel mit ebenmäßigen Zinsen.....................................2000 f) die des Herrn Erbgrafen hochgräf. Gnaden legate an den Erbbeständer Müller zu Eschborn laut obligation ausstehende Forderung mit...............................................2000 Anhang 365 g) die bey der Landkasse zu Rödelheim laut verschiedenen Verbrieffungen ausstehende, teils legirte, teils fideicommis-Capitalien beiläufig mit............................................6000 h) zwey gräfl. Solms-Aßenheimische ebenfals legirte Schuldscheine............................300 in Summa..........................................................................................................25300 §4 Ist verabredet und bedungen worden, daß vorstehende Erklärung statt einer unter jede besondere Verbriefung zu stellenden Special-Cession gänzlich angesehen und zu völliger Legitimation Ihro des jetzt regierenden Herrn Graffen zu Solms- Rödelheim hochgräf. Gnaden, als alleinigen Eigenthümers, bei jedem Schuldner dienen solle: wobenebst die hohe cedirende Frau en Cedentinnen sich verbinden, daferne etwa eine mehrere Legitimation erfordert werden wolle, damit zu allen Zeiten soviel an Ihnen ist, willig an Handen zu geben. §5 Überdies tretten die Fürst- und Gräflichen Frauen allodial-Erbinnen und Legatarien alle zum allodio gehörige in Gräflich Rödelheimischen Landen gelegene Gebäude, Güther, oder worinnen solches bestehen möge, ohne Unterschied und Ausnahme, auch ohne An- und Aufrechnung, an das hochgräfliche Hauß Solms-Rödelheim für nun und ewig ab, und verzeihen zugleich auf alle An- und Rückforderungen, Abrechnungen, ex quocunque capite et titulo vel singulari vel universali aus ältern oder neueren Documenten, Hauß-Verträgen, Familien-Gesezen, Instrumenten p.p. auf das bindigste: und übernehmen zugleich, es bey des Herrn Executoris Testamenti regierenden Herrn Rheingrafen zu Grumbach hochgräflicher Gnaden dahin einzuleiten, damit alle den Bezug der Renten, Land, Leute, und das hochgräfliche Hauß Solms-Rödelheim betreffende in hochgedachten Händen seiende Acten, nach vorgängiger Einsicht, gegen Verzeichniß und Empfang-Schein, an hochgedacht- letzteres Hauß getreulich und ohne Rückhalt ausgeliefert werden mögen. §6 Dahingegen renunciren und verzeihen ebenmäßig des regierenden Herrn Graffens Johann Ernst Carl zu Solms-Rödelheim hochgräfl. Gnaden für sich, Ihro Erben und Landes-Nachfolger, auf alle und jede bey dem Kaiserl. und Reichs-Kammer-Gericht gegen die hochfürstl. und hochgräfl. Frauen Allodial-Erbinnen und Legatarien eingeklagte, besonders in der Impetrantischen Beilage sub Hh. verzeichnete, Ihnen eigenthümlich und privative zustehende Forderungen ohne Unterschied und Ausnahme, auf das zu recht beständigste, mit der redlichen Versicherung, daß sie von nun an keine weitere Stücke als fideicommiss- oder eigene praetensiones ansprechen, sondern alles das jenige von der Verlaßenschaft des hochseel. Herrn Grafen von Solms-Rödelheim, so nicht in gegenwärtigem Vergleich abgetretten worden, als wahres allodial-Vermögen anerkennen wollen und sollen, vielmehr §8 Verbinden sich hochgedacht regierender Herr Graf, den auf die allodial-Captialien ausgebracht, und bishero fortgedauerten Arrest nicht nur gänzlich aufzuheben, sondern auch in Gemeinschaft mit dem hohen Impetratischen Teile zu deßen gerichtlichen Aufhebung kräfftigst und bestens mittelst erforderlicher Anzeige bey Anhang 366 dem kaiserl. und Reichskammergericht mitzuwirken, wie denn nicht weniger sofort die renunciatio ac processuo gesamter Hand daselbst geschehen soll. §9 Verspricht man hochgräf. Solms-Rödelheimischer Seits, die von dem hochseel. Herrn Landes Vorfahrer ertheilte Erb- und temporal Leihen, insoferne letzere nicht bereits exspicirt sein sollten, als gültig anzuerekennen, auch beederley Beständer dabey, in so lange die sich deren Verwirkung nach den Rechten oder Leihbriefen nicht zuziehen, ungekränckt zu belaßen. §10 Soviel die auf den hochgräf. Solms-Rödelheimischen Landen, und Hauß Fideicommiss haftende in der Beilage No. 9 verzeichnete Passiv-Schulden anlanget, so verbinden sich des jetzt regierenden Herrn Graffen zu Solms-Rödelheim hochgräf. Gnaden, solche als Landes-successor unweigerlich zu übernehmen, noch daran der allodial Verlaßenschaft das mindeste zuzumuthen, so wie sie sich jedoch ebenermaßen von Übernehm- oder Vertretung irgend einiger das Allodium bezielende Ansprüche lossagen, und wie sich ohnehin verstehet, durch die in diesem §o enthaltenen Bestimmungen, dem Rechte eines dritten keineswegs zu nahe getretten werden vermag. §11 Gleichwie der hochfürst. Leiningensche Herr Bevollmächtigte in Absicht der rückständigen, mittelst dieses Vertrages an den hochgräfl. Impetrantischen Teil nicht ausdrücklich abgetrettenen Allodial-Ausstände sich alle Rechte und Zuständigkeiten an die Restantiarien und Rechner vorbehält, und sich von seiten des regierenden Haußes förderlicher rechts Hülfe zu deren Beitreibung versiehet, also erkläret sich letzteres, jenen Ausständen bey etwa sich ereignenden Concursen, Jura Fisci vor seinen eigenen jüngern Forderungen einzuräumen. §12 Wie nun alle bishero in litem deducirte Wechselseitige Forderungen und Ansprüche durch gegenwärtigen wohlbedächtlich abgeschloßenen Vergleich für gänzlich abgethan und erlediget geachtet werden, also renunciiren beiderseits hohe vertragende Teile auf alle in der Maße gerichtlich oder außergerichtlich aufgestelt oder aufzustellende Forderungen, Entschädigungen, und alle andere Ansprüche, Auf- und Abrechnungen, wie die nur Nahmen haben, und erdacht werden könnten, ohne Ausnahme, es betreffen solche die Allodial-Verlaßenschaft und deren jezig- oder zukünftige Besitzerm agnosciren zugleich das resp. väterlich- und brüderliche Testament vom 22ten Aug. 1769 wie auch Codicill vom 3ten Nov. 1777 in voller Maaße, jedoch dergestalt, daß außerdem, was der gegenwärtige Vergleich enthält, kein Theil an den andern aus jenem Testament oder Codicill eine weitere Forderung und Ansprache machen sollen; und wollen insbesondere sich weder jetzt noch künftig gegen diesen wohlerwogen und verwandschaftlichen Vergleich, als die neue Grundlage zu einem vertraulichen Benehmen, einiger Excpetionen, vornehmlich der nicht genug eingesehenen Sache, Vervorteilung über oder unter der Helfte, Wiedereinsezung in vorigen Stand, oder wie die sonsten erdacht werden mögten, in genere et in specie keines weges bedienen, vielmehr dieser Übereinkunft in allen Stücken und Puncten treuliches Genüge leisten. Anhang 367 §13 Obgleich gesamte Herrn Mandatarii sich zu Abschluß dieses Vergleiches ohne weitere ratificationes Vorbehalt Ihrer hohen Herren und Frauen Mandanten gänzlich ermächtiget befinden, mithin derselbe durch Unterschrift der erstern seine unwiederrufliche Kraft erlanget hat; so ist man gleichwol, um mehrerer feyerlichkeit willen, übereingekommen, die höchsteigenhändige ratification der hohen Herren und Frauen Compaciscenten zu Aßenheim und Erbach-Erbach unter die ausgefertigten Exemplarien, förderlichst auszubringen, und gegeneinander auszuwechseln, wo inmittelst es gleichwol bey diesem verbindlichen Vertrag und deßen Vollzug sein unabänderliches Verbleiben behält, und derselbe im Falle der Erforderniß zu Erwirckung Reichsgerichtlicher Mandatorum de ad implendo transactionem S.C. sattsam qualificirt seyn solle. §14 Diejenigen Acten, welche zu dem von dem hochseel. Herrn Grafen von Solms- Rödelheim beseßenen nachhero aber an der Frauen Fürstin von Leiningen Durchl. erblich gefallenen und nunmehro von dieser an die hochgräfl. Herrschafften von Erbach-Erbach abgetretenen sogenannten Solms-Aßenheimer Antheil an der Grafschaft Limpurg-Gaildorff gehören, sollen von Seiten Solms-Aßenheim unweigerlich praevia Inspectione und com designatione an Erbach abgetreten werden: jedoch mit der Bestimmung, daß diejenige Piecen, welche man hochgräfl. Solms Aßenheimer Seits als Mitherrschaft vor Gaildorff etwa nicht ebenfals besizen solte, zu Aßenheim copiret, und sonach blos in copiis vidimatis und unentgeldlich extradiret werden sollen. §15 Deßen zur Urkunde ist gegenwärtiger Vergleich in gehöriger Anzal ausgefertiget, von gesamten Herren Mandatariis und dem zur Vermittelung adhibirten Hofrath Huth eigenhändig unterschrieben und besiegelt worden. So geschehen Franckfurt den 20. Febr. 1784 (L.S.) Johann Hartmann Walther, als hochgräf. Solms-Rödelheimischer Mandatarius (L.S.) Johann Friedrich Haakh, hochgr. Erbach-Erbachischer Canzlei-Director (L.S.) Philipp Gottlieb Knorr, als hochfürstl. Leiningenscher Bevollmächtigter (L.S.) Georg Adolph Huth, vermöge des von beeden hohen Theilen mir geschehenen Vermittelungs-Auftrages Vorstehender Vergleich wird hiermit nach seinem ganzen Inhalt von Uns genehmiget, und deßen pünktliche Erfüllung bei Unsern Gräflichen Worten und Ehren versichert. Schloß Aßenheim, den 24ten Febr. und Erbach den 5ten Merz 1784 (L.S.) Johann Ernst Carl Graf zu Solms (L.S.) Volrat Graf zu Solms (L.S.) Franz Graf zu Erbach (L.S.) Louise Gräfin zu Erbach geborene Gräfin zu Leiningen Anhang 368 8.4 Tabellen 8.4.1 Übersicht über reichsunmittelbare Grafen und Herren nach der Reichsmatrikel von 15211304 Nr. Name Bemerkung 1 Helfenstein Seit 1643/1753 von Bayern vertreten 2 Kirchberg (Fugger) Seit 1530 Fugger 3 Dissen Erloschen, bereits 1326(!) bayerisch 4 Werdenberg Seit 1530 von Fürstenberg vertreten 5 Lupfen 1582 erloschen 6 Montfort 7 Fürstenberg Nach 1760 nur noch Reichsfürstenrat 8 Zimmern Im 16. Jh. erloschen 9 Stoffel, Justingen Seit 1751 von Württemberg vertreten 10 Gundelfingen Im 15.Jh.(!) erloschen 11 Eberstein Seit 1660 von Baden-Baden vertreten 12 Geroldseck Seit 1692 von Grafen von der Leyen vertreten 13 Öttingen 14 Heideck Seit 1471 (!) bayerisch 15 Rapoldstein 1673 erloschen, vorher von Österreich eximiert 16 Staufen zu Ehrenfels Sitz 1567 erloschen 17 Staufen 1602 erloschen 18 Tierstein und Hohenkönigsberg Nach 1500 erloschen 19 Hohenfels und Reipoltskirchen 1602 erloschen 20 Sultz Seit 1687 von Schwarzenberg vertreten 21 (Hohen)Zollern Nach 1653 Reichsfürstenrat 22 Brandis 1508 erloschen 23 Inhaber der Sonnenbergsgüter Von Österreich eximiert, im 15.Jh. österreichisch 24 Truchsessen von Waldburg 25 Castell 26 Wertheim Seit 1574 von Löwenstein vertreten 1304 Vgl. GERHARD OESTREICH und E HOLZER, Übersicht über die Reichsstände, in: Bruno Gebhardt (Hg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, Stuttgart 1973, S. 769-784, hier S. 775-777; durch die Aufteilung der Besitzungen einiger Häuser in mehrere Hauptlinien ergibt sich nach Oestreichs/Holzers Zählung eine Gesamtzahl selbständiger Grafschaften von 144. Anhang 369 27 Rieneck Seit 1674 von Nostitz vertreten 28 Hohenlohe 29 Inhaber Weinsberg Im 16.Jh. erloschen, württ. 30 Schenken von Limpurg Seit 1690 bzw. 1713 von verschiedenen Allodialerben vertreten 31 Erbach 32 Schwarzenberg 1670 Reichsfürstenrat 33 Leiningen 34 Hanau Lichtenberg 1736 erloschen 35 Hanau Münzenberg 1736 erloschen 36 Nassau 37 Königstein und Eppstein 1535 erloschen 38 Isenburg 39 Nidern-Ysenburg 1664 erloschen 40 Matsch Tiroler Landsassen, 1505 erloschen 41 Polheim Österreichische Landsassen 42 Virneburg Seit 1554 von Löwenstein vertreten 43 Reineck Seit 1654 von Sinzendorf vertreten 44 Solms 45 Winnenburg Inhaber Grafen Metternich 46 Moers 1702 brandenburgisch 47 Aarburg An Kanton Bern 48 Finstingen 1458 (!) erloschen 49 Saarwerden und Lahr Im 16. Jh. erloschen 50 Wild- und Rheingrafen 51 Oberstein und Falckenstein 1682 erloschen 52 Neuenahr 1600 erloschen 53 Hoorn 1586 erloschen, Territorium an Lüttich 54 Sayn Seit 1606 von Brandenburg-Ansbach, Wittgenstein und Kirchberg vertreten 55 Bitsch 1570 erloschen 56 Tengen 1592 erloschen 57 Ruppin 1524 erloschen, brandenburgisch 58 Hardeck Von Österreich eximiert Anhang 370 59 Hohenstein 1593 erloschen 60 Wolckenstein Güter im 17. Jh. verkauft, vorher von Österreich eximiert 61 Schaumberg (und Gemen) 1559 erloschen 62 Sargans Im 14. Jh (!) erloschen, eidgenössisch 63 Mansfeld Reichsgräfl. Besitz von Sachsen eximiert oder verpfändet 64 Stollberg 65 Beuchlingen 1560 erloschen 66 Barby und Mulingen Seit 1659 von Kursachsen vertreten 67 Gleichen 1569 bzw. 1631 erloschen 68 Schwarzburg 1754 Reichsfürstenrat 69 Gera 1550 erloschen 70 Plesse 1571 erloschen 71 Reuß von Plauen 72 Wied und Runkel 73 Löwenstein Von Württemberg eximiert 74 Regenstein Seit 1670 von Brandenburg vertreten 75 Friesland 1524 habsburgisch, 1579/1648 niederländisch 76 Ostfriesland- Emden 1667 Reichsfürstenrat 77 Lippe 78 Oldenburg (Dänemark) 79 Hoya Seit 1583 von (Kur-)Braunschweig vertreten 80 Leiningen-Westerburg 81 Waldeck 1686 Reichsfürstenrat 82 Losenstein Von Österreich eximiert, 1629 erloschen 83 Diepholz Seit 1585 von (Kur-)Braunschweig vertreten 84 Landsberg [in der Mark] Vermutlich sächsische Landsassen 85 Steinfurt Besitzer Grafen von Bentheim 86 Bentheim Seit 1753 an Kur-Braunschweig verpfändet 87 Bronkhorst 1719 erloschen 88 Wittgenstein 89 Spiegelberg Seit 1557 von (Kur-)Braunschweig vertreten 90 Reichenstein Seit 1698 von Nesselrode vertreten 91 Tecklenburg Seit 1707 von Preußen vertreten 92 Schaumburg und Gemen Gemen seit 1640 von Limpurg-Styrum, Schaumburg von Anhang 371 Hessen-Kassel und Lippe vertreten 93 Wunstorf 1533 erloschen 94 Ortenburg 95 Riedberg Seit 1692 von Kaunitz vertreten 96 Haag 1567 erloschen, bayerisch 97 Leißnick 1538 erloschen, sächsisch 98 Bergen 1581 niederländisch, 1654 wieder im Grafenkollegium, 1712 erloschen 99 Salm 1654 Reichsfürstenrat 100 Falckenstein Erloschen, seit 15. Jh. bei Österreich landsässig 101 Iselstein Niederländisch, vorher von Burgund eximiert 102 Schönburg 103 Degenberg 1602 erloschen, bayerisch 104 Someruff Kein Beleg für Reichsstandschaft 105 Manderscheid 1546 von Habsburg mediatisiert 106 Salm-Reifferscheid 107 Egmond u. Iselstein 1548 bzw. 1707 erloschen, 1648 niederländisch 108 Bergen und Walen 1567/1648 niederländisch 109 Heben 1570 erloschen 110 Wildenfels 1538 erloschen. solmsisch 111 Tautenberg 1640 erloschen, sächsisch 112 Tübingen 1631 erloschen 113 Blanckenberg 1542 lothringisch 114 Kriechingen 1697 erloschen, von Wied-Runkel vertreten 115 Rogendorf Nach 1600 österreichisch 116 Königseck zu Allendorff 117 Meersburg (Elsaß) Im 16. Jh. österreichisch 118 Brandenstein Rönis Seit 15. Jh. von sächsischen Häusern eximiert 119 Pyrmont Seit 1625 von Waldeck vertreten 120 Ritterschaft Hegau, Friedberg und Gelnhausen Steuerpflichtig, aber keine Reichsstände 121 Görz 1501 erloschen, österreichisch 122 Diethrichstein Seit 1686 Reichsfürstenrat 123 Ungnade 1654 ins Grafenkollegium aufgenommen, mangels reichsunmittelbarer Güter bald wieder ausgeschlossen Anhang 372 8.4.2 Die Entwicklung der Eigentumsverhältnisse an den Grafschaften Rödelheim und Laubach im 17. Jahrhundert Rödelheim Laubach -1649 1/1 Friedrich zu Rödelheim 1649 Tod Friedrichs; gleichmässige Teilung 1/6 Laubach 1/6 Sonnewalde 4/6 vier Söhne Johann Georgs II. v. Baruth 1652 Brudervergleich im Haus Baruth 4/6 Johann August, ältester Sohn Baruths 1/6 Laubach 1/6 Sonnewalde 1653 Vergleich Johann August / Georg Friedrich von Sonnewalde 5/6 Johann August v. Rödelheim 1/6 Laubach -1676 1/1 Karl Otto von Solms-Laubach 1676 Tod Karl Ottos von Laubach; 1678 Vergleich mit Braunfels 1676 Tod Karl Ottos von Laubach; 1678 Vergleich mit Braunfels 26/30 Johann August v. Rödelheim 4/5 vier Brüder in Baruth. je 1/30 drei Brüder J.A.s + Sonnewalde 1/5 Sonnewalde 1679 Joh. Friedrich kauft Anteil Fried. Siegm. 1679 Joh. Friedrich kauft Anteil Fried. Siegm. 26/30 Johann August v. Rödelheim 2/5 Johann Friedrich v. Wildenfels 2/30 Johann Friedrich v. Wildenfels 1/5 Johann August v. Rödelheim 1/30 Johann Georg v. Baruth 1/5 Johann Georg v. Baruth 1/30 Georg Friedrich v. Sonnewalde 1/5 Georg Friedrich v. Sonnewalde 1683 Joh. Friedr. kauft Anteile Georg Fr. 1683 Joh. Friedr. kauft Anteile Georg Fr. 26/30 Johann Karl E. v. Rödelheim 3/5 Johann Friedrich Wildenfels 3/30 Johann Friedrich v. Wildenfels 1/5 Johann Karl E. v. Rödelheim 1/30 Johann Georg v. Baruth 1/5 Johann Georg v. Baruth 1686 Joh. Friedrich kauft Anteil Joh. Georgs 1686 Joh. Friedrich kauft Anteil Joh. Georgs 26/30 Johann Karl E. v. Rödelheim 4/5 Johann Friedrich v. Wildenfels 4/30 Johann Friedrich v. Wildenfels 1/5 Johann Karl E. v. Rödelheim Anhang 373 8.4.3 Entwicklung des gräflichen Grundbesitzes vom 15. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts1305 1305 Die Zahlen geben den Gesamtumfang der reichsgräflichen Besitzungen in der betreffenden Dorfgemarkung im fraglichen Jahr in Morgen Frankfurter Maß an. Anhang 374 8.4.4 Einnahmerechnung des Wetterauer Grafenkollegiums für das erste Quartal 1731, geführt vom Hanauer Regierungsrat Wolfart [StAD F 24 A 365] regulärer Beitrag alte Schuld debet credit Para vence restat Einnahm Geld receß 0 0 229 0 229 Hanau-Müntzenberg 345 1150 1495 0 1495 Hanau-Lichtenberg 30 150 180 165 15 Nassau-Ottweiler und Saar- brücken modo Nassau-Usingen 310 3316 3626 0 3626 Nassau-Weilburg 187 812 1000 0 1000 Solms-Braunfels 164 549 713 0 713 Solms-Assenheim und Rödelheim 43 261 304 116 188 Solms-Laubach 43 145 188 0 895 188 Solms-Lich 43 500 543 0 543 Solms-Hohensolms 30 250 280 0 280 Isenburg-Birstein-Offenbach 97 467 563 322 241 Isenburg-Marienborn 0 8 0 0 8 Isenburg-Büdingen 33 240 273 109 163 Isenburg-Wächtersbach 30 132 162 0 162 Isenburg-Meerholz 20 160 180 0 180 Stollberg-Ortenburg 15 201 216 0 216 Stollberg-Gedern 15 64 79 13 66 Stollberg-Stollberg 30 100 130 0 130 Waldeck 225 8906 9131 0 9131 Wittgenstein-Wittgenstein 47 393 440 0 440 Wittgenstein-Berlenburg 16 52 68 0 68 Wittgenstein-Homburg 31 600 631 0 631 Das rheingräfliche Hauß 72 1718 1790 0 1790 Leinigen-Heidesheim- Bundersblum 29 1106 1135 0 1135 Leinigen-Hartenburg 43 1825 1868 0 1868 Leiningen-Westerburg 24 234 258 100 158 Obersachsen (Schwartzburg- Arnstatt, Schwarzburg- Rudolstadt und Schönburg) 450 10449 10899 0 10899 Alt-Ortenburg 30 200 230 0 230 Wartenberg 180 1800 1980 100 1880 Summa 2582 35788 38591 925 895 37673