Frank Lorberg Metaphern und Metamorphosen der Landschaft ____________________________ Die Funktion von Leitbildern in der Landespflege Mit einem Vorwort von Helmut Holzapfel und einem Nachwort von Karl-Heinrich Hülbusch. Vom Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung an der Universität Kassel als Dissertati- on zur Erlangung des Grades eines Doktors der Ingenieurwissenschaften – Dr.-Ing. – angenommen. Tag der Disputation: 17. November 2006. Promotionskommission: Prof. Karl-Heinrich Hülbusch (Bremen) Prof. Dr.-Ing. Helmut Holzapfel (Kassel) Prof. Dr.-Ing. Helmut Lührs (Neubrandenburg) Prof. Dipl.-Ing. Wolfgang Schulze (Kassel) Meinen Eltern gewidmet In dieses Buch, das über Jahre erarbeitet wurde, sind so viele Gespräche, hilfreiche Kritik und aufmunternde Worte eingegangen, dass ich mich fast scheue, mich na- mentlich zu bedanken, aus der Befürchtung, dass die vielen, die nicht genannt wer- den, sich vergessen fühlen. Ich danke allen, die mich auf dem langen Weg unter- stützt haben; besonders meinen Schwestern Anne Lorberg und Edelgard Winkel- mann sowie Florian Bellin-Harder, Bernd Sauerwein, Bernd Gehlken, Georges Moes, Hannes Volz, Helmut Lührs, Sibylle und Ulrich Schomburg. Kiwi Hülbusch bin ich für die vielen anspruchsvollen Debatten und den Enthusias- mus, den er herausforderte, und Helmut Holzapfel für seine Gelassenheit und hilfre- che Kritik dankbar. Ohne sie hätten mich letztlich der Mut und die Ausdauer verlas- sen. 2 Vorwort Helmut Holzapfel S. 3 – 4 Metaphern und Metamorphosen der Landschaft Frank Lorberg S. 5 – 298 Hase und Igel? Karl-Heinrich Hülbusch S. 299 – 301 Dissertation am Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung an der Universität Kassel. Disputation am 17.11.2006. Notizbuch 71 der Kasseler Schule 1. Auflage: 1 – 250, September 2007 Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation (gemeinnütziger Verein). Umschlag: Helmut Böse-Vetter, Collage unter Verwendung eines Bildes von René Magritte: ‘Der Verrat der Bilder’ (1927), und einer Abbildung aus ‘vers une architekture’ von Corbusier (1921) BauweltFundamente 1970 Druck: Druckerei G. Wollenhaupt GmbH, Unter dem Felsenkeller 30, 37247 Großalmerode. Vereinsadressen: c/o Helmut Böse-Vetter, Elfbuchenstraße 16, 34119 Kassel c/o Karl Heinrich Hülbusch, Adolphsdorfer Straße 15 A, 28879 Gras- berg Bestellungen an: AG Freiraum und Vegetation, bestell@freiraumundvegetation.de Oder: c/o BSL, Helmut Böse-Vetter, Elfbuchenstraße 16, 34119 Kassel c/o Karl Heinrich Hülbusch, Adolphsdorfer Straße 15 A, 28879 Gras- berg Vereinskonto: Kasseler Sparkasse (BLZ: 520 503 53) Konto Nr. 059475 Internet: www.freiraumundvegetation.de Alle Rechte bei den Autoren 3 Vorwort (Helmut Holzapfel) „... ist alles so schön bunt hier...“ (Nina Hagen Band, „Ich glotz TV“, 1978). „..Wer nur auf Straßen geht, muss zwangsläufig annehmen, alle Dörfer seien hin- tereinander aufgereiht. Sie liegen aber in der Landschaft umher. ...“ (Peter O. Chot- jewitz, Die Herren des Morgengrauens, S.177). In seiner Arbeit "Metaphern und Metamorphosen der Landschaft – Die Funkti- on von Leitbilder in der Landespflege“ betätigt sich Frank Lorberg mit bewun- dernswerter Feinfühligkeit und Akribie beim Einreißen von Leitbildern und – vorstellungen nicht nur in der „Landespflege“, sondern auch in dem, was aktu- ell als moderne Planung vorherrscht und aktuell zu sein vorgibt. Im besten Sinne von Wissenschaft betreibt er die Kritik von Modellvorstellungen, wobei er – selbstverständlich – nicht umhinkommt, selbst Modelle entgegenzusetzen, die jedoch in ihrer kritischen Anwendung die systematische Fehlleistung der herrschenden Leitbilder entlarven. Fast immer dienen letztere der Aufrechter- haltung einer Herrschaft von Fachleuten, die glauben, über Landschaft alles zu wissen, oder einer moralisierenden Lenkung der Menschen. Besonders beeindruckend gerät die Kritik am Leitbild der Nachhaltigkeit, das die Ökologiedebatte in den letzten Jahren wesentlich beeinflusste. Sehr schön insbesondere auch die Darstellung der „Erde als Patient“: Schon die Verkehrs- planer der 50er-Jahre in Deutschland fühlten sich als „Ärzte am Puls der kran- ken Stadt“: Eine Herrschaftsvision, bei der der Patient nicht gefragt wird, klar ist nicht einmal, ob es überhaupt der Puls ist, der gefühlt wird. Leider fehlt dem – fast – perfekten Quellensucher hier Uwe Pörksens so eindrückliches Buch „Der Weltmarkt der Bilder“ – das wäre eine ausgezeichnete Vorlage auf eini- gen Feldern gewesen, auch in der Kritik etwa des maßlos versimpelten Bildes der globalen Erwärmung (etwa im „Spiegel“ das Bild eines fast völlig überflute- ten Kölner Domes). Die Methode Lorbergs an immer neuen Beispielen durch Ideologiekritik zu zei- gen, dass Leitbilder einigermaßen systematisch dort ihre Restriktion des Reali- tätsbildes anlegen, wo es um die Herrschaft derer geht, die genau diese Leit- bilder predigen, ist sicher nicht neu: In welchem Maße jedoch gerade im Be- reich der Landschaftspflege und des Naturschutzes sich ein solch extremes Ausmaß feststellen lässt, ist schon auffällig. Vielleicht liegt es in der Tat bereits an den romantischen Bilder von Landschaft, wie sie der Autor seines Buches schildert: Bereits dort findet sich ja Reduktion der Realität, und auch dies in vielen Fällen keineswegs unsystematisch. Das Denken der Landespflege in Bildern ist also durchaus wahrscheinlich eine deutliche Methode der Beeinflus- sung dessen, was stattfindet: Herrschaft über Menschen. Einen weiteren wichtigen Gedanken entwirft Lorberg – neben so vielen weite- ren interessanten – eher en passant: Es ist die Frage, ob es nicht die Unsi- cherheit der Fachleute über das Produkt ihrer Arbeit – Landschaftsinterpretati- on, ist sie nicht bildende Kunst, hat keinen Tauschwert – sei, die sie zu simp- len Vorstellungen treibe, die ihre Herrschaft über das Objekt legitimieren. Dies ist eine Stelle, die mir beim Lesen – als eine der wenigen – zu kurz vorkam und schnell in Richtung „Kulturindustrie“ wieder verlassen wird. 4 Deutlich und wieder sehr gut auch der Schlussteil der Arbeit von Frank Lor- berg: Die Abstraktion der Landschaft verdinglicht die menschliche Geschichte, ja, sie reduziert in der Tat die Menschen zur Staffage. Die Sache hat Kontur, aber es ist, wenn man die Arbeit insgesamt liest, eine Kontur, die sehr viele Facetten hat. Überragend ist jedoch der Ideenreichtum des Autors, der auch seine eigenen Vorstellungen immer kritisch im Blick hat. Schöne Einzelheiten arbeitet er her- aus: So nebenbei wird das Bundesnaturschutzgesetz von 2002 analysiert und aufgezeigt, wie – gegenüber der Fassung von 1976 - die Menschen wieder ein Stück aus dem Gesetz verschwinden zugunsten der Abstrakta „Natur“ und „Landschaft“. Der scheinbar in dieser Zeit stärker werdende Einfluss der Öko- logiebewegung war also begleitet von einer verstärkten Verdinglichung und einem Ausschluss genau derjenigen, in deren Interesse vorgeblich umgedacht wurde. Bunt sind die Bilder, und auch die Arbeit von Frank Lorberg verlangt von denen viel, die sie lesen. 5 Zusammenfassung Dies ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation ‘Metaphern und Meta- morphosen der Landschaft’, in der das Thema ‘Die Funktion von Leitbildern in der Landespflege’ erörtert wird. Leitbilder sind auf fast allen gesellschaftlichen Feldern verbreitet, sowohl im täglichen Leben als auch in der Werbung und im Wissenschaftsbetrieb. Sie gehören zum Grundbestand der Landespflege. In dieser Studie wird analysiert, wie Leitbilder in der Landespflege eingesetzt werden und welche Aufgabe sie erfüllen. Ausgehend von der These, dass die Landespflege für Leitbilder besonders empfänglich ist, weil ihr professionelles Idol ‘Landschaft’ sie dafür disponiert, wird die Genese des modernen Land- schaftsbegriffs dargelegt und dabei herausgearbeitet, dass die Metapher Landschaft sowohl ästhetische als auch normative Implikationen enthält, die in der Landespflege als ‘gegenständliche Eigenart’ einer Landschaft aufgefasst werden. Insofern ist Landschaft eine ideologische Formation. Anschließend wird die professionelle Verfasstheit der Landespflege idealtypisch beschrieben und auf die ‘absolute Metapher’ Landschaft bezogen, wobei gezeigt werden kann, dass im Diskurs der Landespflege die entworfenen Leitbilder an die Landschaft anschlussfähig sind. In der Gestaltung von Leitbildern erweist sich die Landespflege als Kulturindustrie. Die Funktionsweise von Leitbildern und die Leitbildnerei im Allgemeinen wer- den von einem semiotischen Ansatz her analysiert, der um eine gesellschafts- theoretisch basierte Ideologiekritik ergänzt wird. Leitbilder werden in Reklame und Propaganda eingesetzt, wo sie Gegenstände bzw. Themen, die in eine pragmatische oder politische Debatte eingebunden sind, zuerst ästhetisieren und dann Normen über eingängige Images, Klischees und Phrasen verdingli- chen. Insofern erfüllen Leitbilder eine ideologische Aufgabe. Landschaft und Leitbild entsprechen sich im landespflegerischen Diskurs als ideologische Formationen. Anhand des Leitbildes ‘Nachhaltigkeit’ wird exemplarisch gezeigt, wie Leitbilder in der Landespflege entworfen und eingesetzt werden. ‘Nachhaltigkeit’ ist das wichtigste Leitbild der Landespflege, das in der Professionsgeschichte unter verschiedenen Vorzeichen wiederholt auftritt und z.B. als ‘nachhaltige Entwick- lung’ seit den 1990er Jahren durch politische Debatten und auch durch den landespflegerischen Diskurs geistert. Geschichtlich retrospektiv werden die Leitbilder ‘nachhaltige Entwicklung’, ‘nachhaltige Umweltsicherung’, ‘nachhalti- ger Ressourcenschutz’ und ‘nachhaltige Fruchtbarkeit’ innerhalb des landes- pflegerischen Diskurses rekonstruiert. Durch diese Rekonstruktion kann ge- zeigt werden, dass den Leitbildern der Nachhaltigkeit die Funktion zugrunde liegt, den Zugriff auf ‘freie Güter’ zu monopolisieren sowie zu privatisieren und den autonomen Gebrauch der lokalen Produktionsmittel sowie die Sub- sistenzwirtschaft zu zerstören. Diese Ausrichtung der Landespflege auf Herr- schaft und Industrialisierung kann sowohl an der Entstehungsgeschichte der Landespflege (im Landschaftspark) als auch im Ursprungstext der Nachhaltig- keit (zur Forstwirtschaft) nachgewiesen werden. Abschließend wird ein Ausblick auf eine Landschaftsplanung gegeben, die nicht an der ästhetisch-normativen Idee Landschaft, sondern am Freiraum als sozial-räumliches Handlungsfeld im Alltag der Menschen orientiert ist. 6 Inhaltsverzeichnis Vorweg erinnern ................................................................................................ 8 I. Einleitende Überlegungen zum Leitbild ........................................................ 10 Landschaft und Leitbild ................................................................................. 13 Anmerkungen zur Methode........................................................................... 16 II. Landespflege und Landschaft...................................................................... 23 Das Eingriff-Ausgleich-Verfahren im ‘Triumph der Empfindsamkeit’ ............ 24 Die Entdeckung der Landschaft....................................................................... 34 Genese des modernen Landschaftsbegriffs ................................................. 34 Landschaftsmalerei....................................................................................... 37 Die ‘gebaute’ Landschaft .............................................................................. 40 Der landschaftliche Blick............................................................................... 46 Konstituierung der Landschaft ...................................................................... 54 Ontologisierung der Landschaft .................................................................... 57 Ideologisierung der Landschaft..................................................................... 64 Ökonomische Interessen und Ästhetisierung ............................................... 70 Die Anatomie der Landespflege ...................................................................... 76 Landespflege als Kulturindustrie................................................................... 77 Die Ordnung der Landschaft......................................................................... 84 Deklaration des Handlungsnotstandes ......................................................... 88 Die Verheißung des Paradieses ................................................................... 92 Affinität zur Herrschaft .................................................................................. 96 Die Experten-Sprache der Landespflege.................................................... 101 Landespflegerische Technokratie ............................................................... 103 Pseudowissenschaft ................................................................................... 106 Ideologischer Ausgleich .............................................................................. 108 Abstraktion durch Verfahren und Entwurf ................................................... 110 Leitbildnerei in der Landespflege ................................................................ 114 III. Die Funktion der Leitbildnerei ................................................................... 120 Zur Karriere eines Wortes.............................................................................. 120 Die Entstehung des Leitbildbegriffs ............................................................ 120 Der Leitbildbegriff in der Landespflege ....................................................... 122 Die Suche nach neuen Leitbildern .............................................................. 124 Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’ ............................... 126 Normativität der Leitbilder ........................................................................ 126 Akzeptanz der Leitbilder........................................................................... 128 Verfahrene Leitbilder................................................................................ 130 Meinungsleitbilder .................................................................................... 131 Systematik zur Leitbildnerei........................................................................... 133 Verwendungsweisen von ‘Leitbildern’ in der Landespflege ........................ 133 Sprachliche Formierung von Leitbildern ..................................................... 135 Plastikwörter............................................................................................. 135 Kolonisierung der Lebenswelt .................................................................. 136 Verwaltungsstil ......................................................................................... 138 Mythisierung von Leitbildern ....................................................................... 140 Mythos und Ideologie ............................................................................... 141 Objekt- und Metasprache......................................................................... 142 Ideologieeffekt.......................................................................................... 145 Warenästhetik und Leitbilder ...................................................................... 147 7 Tauschabstraktion.................................................................................... 147 Mode und Modernisierung........................................................................ 151 Objektiver Schein ..................................................................................... 154 Das kollektive Imaginäre............................................................................. 156 Visiotypie.................................................................................................. 160 Morphing-Zone......................................................................................... 162 Landschaft in der Leitbildnerei .................................................................... 164 Leitbildnerei als Zeitgeisterei.................................................................... 167 Resümee zur Leitbildnerei in zwölf Punkten ............................................... 171 IV. Das Leitbild ‘Nachhaltigkeit’ in der Landespflege..................................... 174 Die ‘nachhaltige’ Leitbildnerei ..................................................................... 174 Nachhaltige Entwicklung............................................................................. 175 Globale Nachhaltigkeit ............................................................................. 176 Das Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft.................................................. 180 Volkswirtschaftliche Effizienz ................................................................... 183 Stoff- und Energietransfers ...................................................................... 187 Bewirtschaftung als Ausgleichsmaßnahme ............................................. 191 Gestaltung nachhaltiger Landschaften..................................................... 196 Nachhaltige Umweltsicherung .................................................................... 200 Ökologische Umweltsicherung................................................................. 200 Vom blauen Planeten zu den Grenzen des Wachstums.......................... 205 Das ökologische Paradigma .................................................................... 216 Ökologie in der Landespflege .................................................................. 218 Die ökonomische Formbestimmtheit der ökologischen Wirkanalyse ....... 221 Nachhaltigkeit im Ressourcenschutz .......................................................... 226 Restauration der Landespflege ................................................................ 226 Zivilisationssteppe und Ausgleichsplanung.............................................. 230 Die Debatte um den Landschaftsschaden ............................................... 234 Nachhaltigkeit als Ressourcenschutz ...................................................... 238 Der Bauer als Leitbild............................................................................... 244 Nachhaltigkeit natürlicher Fruchtbarkeit...................................................... 249 Lebensreform und Landespflege ............................................................. 249 Produktionsweise und Nachhaltigkeit ...................................................... 251 Bodenfruchtbarkeit ................................................................................... 253 Mutter-Erde .............................................................................................. 255 Deutsches Bauerntum und Nahrungsfreiheit ........................................... 258 Volksfruchtbarkeit..................................................................................... 261 Landschaft und Lebensraum.................................................................... 264 Landespflege und nachhaltige Landschaft............................................... 267 Der Ursprung des Nachhaltigkeitsdiskurses ............................................... 273 Problemdefinition Holzmangel ................................................................. 274 Industrialisierung und Staatsfinanzen ...................................................... 275 Nachhaltige Forstwirtschaft ...................................................................... 277 Nachhaltige Herrschaft............................................................................. 278 Resümee zum Leitbild der Nachhaltigkeit................................................... 280 Schlusswort ................................................................................................... 282 Literatur.......................................................................................................... 286 8 Metaphern und Metamorphosen der Landschaft Zu diesem allen kommt, daß zu Papier ge- brachte Gedanken überhaupt nichts weiter sind als die Spur eines Fußgängers im San- de: man sieht wohl den Weg, welchen er ge- nommen hat; aber um zu wissen, was er auf dem Wege gesehen, muß man seine eigenen Augen gebrauchen.1 Arthur Schopenhauer Vorweg erinnern Wo der Weg, den ich mit dieser Studie beschreite, angefangen hat, weiß ich nicht anzugeben, zumal Gedankengänge bekanntlich begonnen haben, bevor wir auf sie gestoßen sind und weitergehen. Während der ersten Studienjahre geriet ich an das Thema. So ist auch der umständliche Titel der Dissertation älter als das Promotionsvorhaben und entstammt einer Idee zu meiner ersten Diplomarbeit (1995), die auf LUCIUS BURCKHARDTs Rat hin dann doch schlicht ‘die Heide’ benannt wurde. Aber fixe Ideen halten sich hartnäckig. In vielen Gesprächen mit Kollegen aus der Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetati- on diskutierten wir die These, ob der ästhetische Landschaftsbegriff für die professionelle Verfassung der Landespflege ideengeschichtlich haftbar ge- macht werden müsse, und was dies für die Landschaftsplanung bedeuten würde. Eine kleine Studie über das ‘Myricetum gale’ (1999) mit der Kritik an ästhetischen Leitvorstellungen in einer pflanzensoziologischen Untersuchung, eröffnete mir einen neuen Blick auf das Thema. Die alte These, dass die Lan- despflege aus dem ästhetischen Kontext des Landschaftsparks und des städti- schen Landausflugs stammt, wurde wieder virulent. Und ich erinnerte mich ei- ner Passage aus ‘die `Landschaft´ der Sprache und die `Landschaft´ der Geo- graphen’, mit der GERHARD HARD eine Aufgabe an die Leser weitergegeben hatte: „Schließlich müßten die Parallelen im Schrifttum von Naturschutz und Landespfle- ge studiert werden. Diese Literatur spielt für den Disziplinhistoriker etwa die Rolle, die für den Literaturhistoriker das Studium der Mittel- und Unterschicht des Schrift- tums spielt: Die verfolgten Themen und Motive begegnen hier oft in besonders massiver, undifferenzierter, gerüsthafter, ja zuweilen geradezu mythologisierender Form und erleichtern es, die grundlegenden Denkfiguren der Oberschicht des Schrifttums (hier: der landschaftsmethodologischen Literatur) zu erkennen – Denkfiguren, die hier oft in weitestgehend rationalisierten Formen erscheinen“ [HARD 1970b: 241]. Um dies zu belegen, wollte ich ursprünglich nachweisen, dass das ‘Basispara- digma’ oder die ‘absolute Metapher’ der Landespflege der moderne Land- schaftsbegriff ist, in den ideengeschichtlich sowohl ästhetische als auch dingli- che Qualitäten eingeflossen sind. Landschaft ist demnach eine imaginär- 1 ARTHUR SCHOPENHAUER ‘Über Lesen und Bücher’ in ‘Paralipomena’ [SCHOPENHAUER 1851 : 652]. 9 materielle Dublette2, die die spezifische Vorgehensweise und Überzeugungs- kraft der Landespflege bestimmt. Dem gemäß verlangt FRIEDEMAR APEL,“daß der Landschaftsbegriff ohne Reflexion auf seine ästhetischen Voraussetzun- gen nicht gebraucht werden kann“ [APEL 1998: 16]. „Idealiter entspricht der deutschen Landschaftserfahrung eine Sprache, in der der Unterschied zwischen Dichtung und Wissenschaft verfließt. [...] Landschaft soll als doppelte Evidenz, als zugleich symbolischer wie wirklicher Raum möglichen Han- delns begriffen werden“ [APEL 1998: 16]. Um das Thema handhabbarer zu gestalten, riet mir KARL-HEINRICH HÜLBUSCH, nicht vom Landschaftsbegriff auszugehen, sondern zeitnah die Debatte um das ‘Leitbild’ aufzugreifen und noch präziser, es vom Leitbild der ‘Nachhaltig- keit’ her anzugehen. Die Dissertation handelt somit von der Funktion von Leit- bildern in der Landespflege und der landespflegerischen Leitbildnerei3, die am Beispiel der ‘Nachhaltigkeit’ und ihrer Transformationen seit den 1930er Jah- ren rekonstruiert wird. Die Geschichte der Nachhaltigkeit ist eine Geschichte der monetären Verwertung ‘natürlicher Hilfsquellen’ und der Monopolisierung von ‘freien Gütern’. Außerhalb dieser Geschichte wäre von Nachhaltigkeit ein- zig im reflektierten Sinne des Vor-Rats zu sprechen, der Ertrag und Archiv, Gedächtnis und Erinnerung, Nachdenken, Prognose und Prüfung, Ratwissen und Verantwortung umfasst. Die Form dieser Studie ist neben dem Thema auch ihrer Entstehung geschul- det, dass sie sozusagen am Rande geschrieben wurde, wenn Zeit für Muße gegeben war, frei über das Thema und Texte nachzudenken bzw. den gedank- lichen Umwegen Platz einzuräumen. In den Aufbau, der das Thema schrittwei- se entfaltet, sind einige Exkurse eingeflochten, die nachträglich zu eliminieren, dem Autor nicht gelungen ist. Diesbezüglich hoffe ich auf das Verständnis und die Geduld der Leserinnen und Leser, denen mit dieser Textgestaltung zugleich die Möglichkeit gegeben wird, Kapitel auszulassen4. Der Kunstwissenschaftler JOHN BERGER hat einmal pointiert festgehalten, dass die Wahrheit nicht tiefer, sondern ganz woanders liege [BERGER 1991: 72]. Wer 2 Die Idee ist von MICHEL FOUCAULT entliehen, der in ‘Ordnung der Dinge’ herausstellt, dass seit dem Ende des 18. Jahrhunderts der Mensch in einer gedoppelten Gestalt auftritt, als Objekt der Wissen- schaften und als Subjekt der Erkenntnis [FOUCAULT 1966: 384-389]. Diese Parallelisierung von Landschaft als Objekt der Wissenschaft und als Bewusstseinsphänomen einerseits mit der modernen Gestalt des Menschen als „empirisch-transzendentale Dublette“ [FOUCAULT 1966: 384] andererseits erscheint mir allerdings mittlerweile fragwürdig. 3 Der Begriff ‘Leitbildnerei’ zur Bezeichnung der Produktion und Verbreitung von Leitbildern ist von ADORNO übernommen [ADORNO 1960: 15]. 4 „Traktate mögen lehrhaft zwar in ihrem Ton sein; ihrer innersten Haltung nach bleibt die Bündigkeit einer Unterweisung ihnen versagt, welche wie die Lehre aus eigener Autorität sich zu behaupten ver- möchte. Nicht weniger entraten sie der Zwangsmittel des mathematischen Beweises. In ihrer kanoni- schen Form wird als einziges Bestandsstück einer mehr fast erziehlichen als lehrenden Intention das autoritäre Zitat sich einfinden. Darstellung ist der Inbegriff ihrer Methode. Methode ist Umweg. Darstel- lung als Umweg – das ist denn der methodische Charakter des Traktats. Verzicht auf den unabgesetz- ten Lauf der Intention ist sein erstes Kennzeichen. Ausdauernd hebt das Denken stets von neuem an, umständlich geht es auf die Sache selbst zurück. Dies unablässige Atemholen ist die eigenste Da- seinsform der Kontemplation. Denn indem sie den unterschiedlichen Sinnstufen bei der Betrachtung eines und desselben Gegenstandes folgt, empfängt sie den Antrieb ihres stets erneuten Einsetzens ebenso wie die Rechtfertigung ihrer intermittierenden Rhythmik. Wie bei der Stückelung in kapriziöse Teilchen die Majestät den Mosaiken bleibt, so bangt auch philosophische Betrachtung nicht um Schwung. [... Es ist] der Schrift eigen, mit jedem Satze von neuem einzuhalten und anzuheben. Die kontemplative Darstellung hat dem mehr als jede andere zu folgen. Für sie ist es kein Ziel mitzureißen und zu begeistern. Nur wo sie in Stationen der Betrachtung den Leser einzuhalten nötigt, ist sie ihrer sicher“ [BENJAMIN 1925: 10f]. 10 über die Leitbildnerei schreibt, muss den Anspruch aufgeben, die ‘ewige Wahrheit’ zum Thema zu verkünden und sie unverrückbar in die Welt stellen zu wollen, weil ein solches Vorhaben weder sachlogisch gelingen kann, ohne selber der Leitbildnerei anheim zu fallen, noch forschungslogisch wünschens- wert wäre. „Die Wahrheit ist gefunden, die Geschichte dieser Wahrheit wird erzählt, und es ist logischerweise eine Geschichte gegen jedes andere Erzählen. Das gibt es: Geschichten gegen das Erzählen. Eine Heilsgeschichte stoppt die Möglichkeit des Andersdenkens – und Erzählen muß immer auch Andersdenken sein dürfen, in- novativ, anarchistisch, funkelnd, immer neue Möglichkeiten eröffnend: denn der Grund für dieses und jenes (und alles!) könnte immer noch ein ganz anderer sein.“ [NADOLNY 1990: 123f]. Anstatt eines weiteren Leitbildes bringt die Studie einen kritischen Aspekt in die Debatte um die Leitbildnerei ein. Die Kritik an der Leitbildnerei folgt der These, dass Planen nur ohne Leitbild möglich ist, und einer besonderen Erfah- renheit mit dem Gegenstand bedarf, die THEODOR W. ADORNO mit der Meta- pher des ‘Bergmanns ohne Licht’ beschrieb. Der Kundige bewegt sich im Ma- terial gleich dem: „Bergmann ohne Licht [...], der zwar nicht sieht, wohin es ihn treibt, dem aber doch sein Tastsinn genau die Beschaffenheit der Stollen [...] anzeigt und seine Schritte lenkt, ohne daß sie je dem Zufall überantwortet wären“ [ADORNO 1960: 15]. In gewisser Weise findet sich der Autor, der über Leitbilder schreibt, in einer vergleichbaren Situation. I. Einleitende Überlegungen zum Leitbild „In vielen Institutionen und Organisationen unseres Staates und seiner Anrainer köchelt eine seltsam trübe Suppe – die Leitbilddiskussion. [...] Leitbilder aber sind erklärtermaßen und autologisch: Strategien der De-Individualisierung, die die kuhwarmen Freuden der Gemeinschaft verspricht – und sonst nichts“ [FUCHS 2000: 14]. Mit dieser Diagnose, mit der der Systemtheoretiker PETER FUCHS die Funktion der Leitbilder auf den Punkt bringt, wäre diese Untersuchung abgeschlossen, versprächen sie nicht mehr und zeitigten noch anderes. Die wissenschaftspoli- tische Wirkung von Leitbildern deutet der kritische Agronom SIGMAR GROENEVELD am Beispiel des aktuell überhand nehmenden Leitbildes nachhal- tiger Entwicklung an. 11 „Bei der Durchsicht der zur Zeit anschwellenden Flut von ‘Nachhaltigkeitsliteratur’ fällt unschwer auf, daß sich die meisten Interpreten (und Akteure) recht unbe- kümmert auf tagespolitische Opportunitäten einlassen. Von kritischer Distanz ist da meistens wenig zu spüren. Das Gegenteil ist offenbar angesagt: Jeder möchte an der ‘Futterkrippe’ der nachhaltigen Entwicklung fressen oder – etwas konventi- oneller ausgedrückt – von diesem ‘Kuchen’ ein möglichst großes Stück abbe- kommen. Das ist materiell und subjektiv verständlich, lenkt aber den ohnehin nur geringen Hunger nach kritischer Distanz unweigerlich ab. So kann der ‘Tanz um das goldene Kalb von Rio’ recht ungestört vonstatten gehen“ [GROENEVELD 1997: 29]. Das Leitbild ist chronisch in sogenannten ‘weichen’ Wissenschaften5 wie z.B. in der Erziehungs-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und in den Planungswissen- schaften6; zusammengefasst sind dies Disziplinen, deren professionelle Arbeit vom Imaginären durchzogen ist, die Hoffnungen verkaufen und deren Produkte Gegenstand politischer Entscheidung sind [ADORNO 1963: 18]. Vor allem in der Raumplanung, dem Städtebau, der Architektur und der Landespflege ist der Ruf nach richtungweisenden Leitbildern für die professionelle Arbeit weit ver- breitet [MEHLI 1989: 129]. Während der ersten (gesellschaftspolitischen) Debatte um die Notwendigkeit von Leitbildern, die explizit Ende der 1950er Jahre ge- führt wurde, stellte THEODOR W. ADORNO in dem Aufsatz ‘Ohne Leitbild’ her- aus, dass der Ruf nach einem Leitbild Symptom jener verdinglichten Auffas- sung sei, dass Qualität einzig durch die Eingebundenheit in eine umfassende- re Einheit, beispielsweise in eine verbindliche gesellschaftliche Ordnung ge- währt würde7 [ADORNO 1960: 12]. Zwar ist ADORNOs Kritik an der Leitbildnerei primär auf kulturreaktionäre Vorstellungen bezogen, aber ebenso können wir feststellen, entwerfen Utopisten Leitbilder, an denen zukünftige Entscheidun- gen ausgerichtet werden sollen8. Die Vertreter beider Richtungen teilen die Ansicht, dass in einem gesellschaftlichen Zustand, in dem eine gesamtgesell- schaftliche Verbindlichkeit aufgehoben sei, das entbundene Individuum explizi- ter Normen bedürfe. Leitbilder sollen diese verbindlichen Normen geben9. Die Strategie, mit normativen Vorgaben zu arbeiten, ist für Disziplinen typisch, die keine elaborierte Methode entwickelt haben, um ein Thema bzw. einen Gegenstand sinnhaft zu erschließen, und keine (kohärente) Theorie ausgebil- det haben [HARD 1979], die einen disziplinären Widerstandspunkt gegen die politischen Zumutungen der Administration bieten10. Ohne Methode verfallen sie dem ‘Technizismus’ und dem ‘Dogmatismus’ gleichermaßen, woraus eine spezifische technokratische Einstellung resultiert, die zwar normativ vorgeht, 5 Vergleiche zu den so genannten ‘weichen Wissenschaften’ bzw. ‘Folkscience’ (RAVETZ) den Aufsatz ‘Kongress der Weißwäscher’ von GERHARD HARD [1979]. 6 Vergleiche dazu die entsprechenden Artikel ‘Leitbild’ in Lexika [BROCKHAUS 1970: 320; 1979: 87]. 7 Zu gleicher Zeit kritisierte GEORG PICHT auf einem Kongress des Werkbundes mit dem programmati- schen Titel ‘Unterwegs zu neuen Leitbildern’ die Leitbildnerei als hilflosen Versuch, das vermeintlich Richtige abstrakt zu verordnen [PICHT 1957]. 8 Beispielsweise ‘Visionen’, ‘Szenarien’. 9 Der Disput um das Leitbild hat eine Vorgeschichte. Das Wort, Anfang des 20. Jahrhunderts in der Psychologie und Pädagogik entwickelt, ist in die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften übernommen worden und seit den 1940er Jahren in der Landespflege gebräuchlich; siehe hierzu die Kapitel: ‘Leitbildnerei in der Landespflege’, ‘Die Entstehung des Leitbildbegriffs’ und ‘Der Leitbildbegriff in der Landespflege’ und zur Normativität vor allem das Kapitel: ‘Normativität der Leitbilder’. 10 Die Methode ist die Überlegung zum Sinn des wissenschaftlichen Vorgehens und über den Sinn der professionellen Distanz und der Bedeutung unterschiedlicher Relevanzstrukturen. Obgleich letztlich nicht wertfrei [vgl. WEBER 1919: 26, 39, 41f], legt sie doch die Werte offen und verweigert prinzipiell die normative Legitimierung politischer Entscheidungen durch wissenschaftliche Erkenntnis [WEBER 1919: 30, 37f]. 12 aber deren Normen merkwürdig beliebig sind11 [BERGER/ KELLNER 1984: 123f]. Entsprechend der paradoxen Gestalt ‘beliebiger Verbindlichkeit’, die der herr- schaftskonforme Dezisionismus herstellt, wechselt das Leitbild mit den Moden [MEHLI 1989: 144]. Das Leitbild funktioniert wie ein moderner Mythos im Sinne von ROLAND BARTHES. Die moderne Mythisierung entsteht im Allgemeinen, indem ein se- mantisch deutlich positiv konnotierter Term mit einem weiteren Term, der ge- wöhnlich in einem anderen Kontext situiert ist, verbunden wird, wodurch die reminiszierten positiven Gehalte jenes ersten auf diesen zweiten Term über- tragen werden12 [BARTHES 1959]. Dies geschieht, wenn innerhalb einer bedeut- samen Struktur ein bestimmter Term, dessen Bedeutung durch die Situation bestimmt ist, gegen einen anderen ausgetauscht wird, auf den nunmehr der semantische Hof des ersetzten Terms übertragen werden kann [vgl. LORBERG 1996: 57f]. Die Mythisierung wird durch eine bestimmte sozialökonomische Dis- position unterstützt, die auf die Art, wie die symbolische Ordnung der Gesell- schaft repräsentiert (wird), einwirkt. Die Warenästhetik ist der gesellschaftliche Umschlagsplatz, auf dem moderne Mythen und Leitbilder entworfen und verbreitet werden [vgl. HAUG 1973]. Cha- rakteristisch für die Warenästhetik ist, dass der Gebrauchswert eines Produkts über die Tauschabstraktion vom Tauschwert der Ware zuerst verdrängt wird, dann aber der Warenleib zur Realisierung des Tauschwertes mit einem Gebrauchswertversprechen versehen wird13. Ziel der Warenästhetik ist, über werbewirksame Images Bedürfnisse bei den Konsumenten hervorzurufen, zu prägen und ein allgemeines Interesse zu erwecken [vgl. GRONEMEYER 1988]. Die Leitbildnerei ist ein Geschäft mit Träumen [vgl. BENJAMIN 1936b]. In Anlehnung an das psychologische Konzept von JACQUES LACAN kann das Leitbild als Imaginäres gefasst werden [LACAN 1947; 1954a; 1954b]. Dieses Kon- zept geht davon aus, dass das Symbolische – die Sprache und das kulturelle Feld der Gesellschaft14 – das Subjekt positioniert, dem, insofern es diese sym- bolische Ordnung annimmt, damit eine bestimmte Relation zwischen dem un- sagbaren Realen und dem bildfähigen Imaginären zugewiesen wird. Aus die- ser Relation gehen das ‘Ich’ und die ‘Welt’ hervor, die dem Subjekt zur Identifi- kation dienen15. Wird eine bestimmte Identifikation fixiert, dann erstarren Welt und Selbst zum gegebenen Bild. Innerhalb einer symbolischen Ordnung kön- nen Subjekte kollektive Bilder ihrer Welt identifizieren und fixieren, die alsdann zum verbindlichen Leitbild werden [vgl. MEHLI 1989: 135, 143f]. Das Leitbild ent- steht demnach durch eine Identifikation, indem eine Imagination zur Bildung von kollektiver Identität, ein Konsens, entworfen wird [FUCHS 2000: 14], welche zugleich ein zugrundeliegendes Subjekt der öffentlichen Meinung unterstellt [LIEBHOLD 1999: 38ff]. 11 Für die Landespflege haben wir dies in den Kapiteln ‘Landespflege als Kulturindustrie’, ‘Landespflegerische Technokratie’ und ‘Pseudowissenschaft’ beschrieben. 12 Die semantische Prägung von Leitbildern wird ausführlich in den Kapiteln ‘Sprachliche Formierung von Leitbildern’ und ‘Mythisierung von Leitbildern’ erklärt. 13 Die Voraussetzungen und die Funktion der Warenästhetik erklären wir in den Kapiteln unter: ‘Warenästhetik und Leitbilder’. 14 Mit dem Begriff ‘kulturelles Feld’ bezeichnet PIERRE BOURDIEU einen konventionellen Kanon, inner- halb dessen auf symbolische Weise Reputation und soziale Macht verteilt wird [BOURDIEU 1979]. 15 Ausführlich wird die Wirkung ‘gemeinsamer Visionen’ und des ‘hegemonialen Diskurses’, der diese stützt, in den Kapiteln: ‘Das kollektive Imaginäre’ und ‘Morphing-Zone’ erläutert. 13 Mit dem Leitbild wird ein Konsens suggeriert, den es bildlich zu repräsentieren scheint, wobei es durch Evidenz überzeugt. Die Evidenz des Leitbildes dient dazu, eine Fiktion zu verdinglichen16. Die landespflegerische Leitbildnerei folgt dieser allgemeinen Struktur der Leit- bildnerei und wiederholt damit, das von der Landespflege professionsge- schichtlich Verdrängte, nämlich den ästhetischen Entstehungskontext, die nor- mativen Sedimente des modernen Landschaftsbegriffs sowie dessen Ontologi- sierung17. Allerdings erscheint diese ‘Wiederkehr des Verdrängten’ nicht als bewusste kritische Reflexion der professionellen Prämissen, sondern unbe- wusst als Repräsentation im Moment des Imaginären [vgl. LORBERG 1999: 104; 2002]. Die ‘Substruktur der Leitbildnerei’ in der Landespflege liegt in der Gene- se des modernen Landschaftsbegriffs begründet, der die absolute Metapher der Landespflege ist und dem die landespflegerische Leitbildnerei automaten- haft folgt. Die ‘Logik der Landespflege’ anhand der ‘Funktion von Leitbildern in der Lan- despflege’ und der landespflegerischen Leitbildnerei darzustellen und zu erör- tern, ist das Ziel dieser Studie18. Landschaft und Leitbild In der Projektarbeit ‘Öko-Deko-Psycho – Hauptsache: Grün’19 [AUTORiNNEN 1989] wurden Artikel aus den Fachzeitschriften ‘Bauwelt’, ‘Stadtbauwelt’, ‘Natur und Landschaft’, ‘Stadt und Landschaft’, ‘Das Gartenamt’ und ‘Garten und Landschaft’ analysiert. Nach der Durchsicht von sechs Fachzeitschriften über mehr als 30 Jahrgänge stellte die Forschungsgruppe fest, dass in der Landes- pflege permanent dieselben Themen debattiert, ähnliche Argumente ausge- tauscht und wiederkehrende Probleme konstatiert werden. Es sind unter ande- rem das ‘gesellschaftliche Akzeptanzdefizit’, die ‘universitäre Ausbildungssitua- tion’, die ‘rechtlich-administrative Einbindung’, die ‘neuen Aufgaben’ und ‘neu- en Verfahren’ der Landespflege [AUTORiNNEN 1989]. „Das was sich über 40 Jahre geändert hat, ist die Terminologie. Die jeweiligen Schlagwörter werden der Mode angepaßt (s. W. Rossow 1985), der Kaiser be- kommt neue Kleider, doch der Inhalt der Aussagen und die Forderungen bleiben gleich“ [AUTORiNNEN 1989: 45]. Die Leitbildorientierung von Disziplinen, die in die politische Entscheidungsfin- dung und deren Umsetzung eingebunden sind, deutet auf die dezisionistische Wissenschaftsauffassung hin, die auch in der Landespflege vertreten wird. Auch dies zeigt der Blick in die Fachzeitschriften. Nach der kritischen Analyse der maßgeblichen Fachzeitschriften zur Landespflege stellte das Projekt ‘Öko- 16 Siehe dazu das Kapitel: ‘Visiotypie’. 17 Siehe zur Genese des modernen Landschaftsbegriffs die Kapitel unter: ‘Die Entdeckung der Land- schaft’. Der Zusammenhang zwischen Landschaft und Leitbild wird in den Kapiteln: ‘Landschaft in der Leitbildnerei’ und ‘Leitbildnerei als Zeitgeisterei’ zusammengefasst. 18 Gerade bei der weiten Verbreitung der Leitbildnerei in der Landespflege ist die Analyse der Funktion von Leitbildern sinnvoll, um mit der notwendigen Distanz zu den Ansprüchen der Profession über die landespflegerische Praxis und ihre Grundlagen nachzudenken. „Der jeweilige Entstehungszusammen- hang von Leitbildern, die Institutionen und Akteure, die Leitvorstellungen formulieren und definieren, unterscheiden sich sehr stark. In diesem Zusammenhang bietet die Dekonstruktion von Leitbildvorstel- lungen eine interessante Forschungsaufgabe für konstruktivistisch arbeitende Geographen“ [ZEPP et al. 2001: 16]. 19 Ein studentisches Projekt mit zwei Semestern Laufzeit. 14 Deko-Psycho’ zu ‘Natur und Landschaft’, einer Zeitschrift mit explizit akademi- schem Anspruch, fest: „Der gründliche (und vielfache) Blick in die Inhaltsverzeichnisse zeigt, dass immer das administrative Interesse im Vordergrund steht und verfolgt wurde, Landschaft zu ordnen, diese Ordnung zu verwalten und aufrechtzuerhalten. Grundlage für dieses Interesse und Ziel ist es, Landschaft in ‘Faktoren’ und ‘Elemente’, also in Daten zu zerlegen und diese dann zu erfassen und zu speichern (Landschaftsda- tenbank). Dazu bedarf es eines entsprechenden rechtlichen und methodischen Instrumentariums und gleichzeitig einer Verwissenschaftlichung dieser Instrumen- te, um die Legitimation aus der Scheinobjektivität der Naturwissenschaften zu schöpfen und gleichzeitig auf politischer Ebene unangreifbar zu werden. Ein wich- tiges Instrument, um dieses administrative Interesse und Ziel durchzusetzen, war und ist ‘Natur und Landschaft’“ [AUTORiNNEN 1989: 159]. Die besondere professionelle Disposition der Landespflege20 wird bei der Be- trachtung der wissenschaftlichen Arbeit ebenso daran deutlich, dass der Lan- despflege sowohl Theorie als auch Methode fehlen, und sie, wie GERDA SCHNEIDER in der sozialpsychologischen Studie ‘Die Liebe zur Macht’ darge- legt hat, die professionsgeschichtliche Disposition zur Enteignung aufweise, weil Landespflegern der Sinn für das Eigene und das Eigene der Anderen feh- le [SCHNEIDER 1989: 111]. Ich werde im Folgenden darlegen, dass hier ein Grund dafür liegt, dass Landespfleger für die Leitbildnerei besonders anfällig sind und Leitbilder als Ersatz der Methode dienen sollen, wenn sie, die Lan- despfleger, disparaten Interessen ausgesetzt sind21. Die Landespflege hat überdies eine Affinität zum Leitbild, die aus der professi- onellen Genese und aus der Herkunft des spezifischen ‘Paradigmas’22: der Landschaft resultiert [vgl. HARD 1970b; 1985; LORBERG 1996]. Grundlegend prä- gend für die Genese der Landschaftsauffassung23 ist nach LUCIUS BURCKHARDT die Verwechslung von gesellschaftlich-symbolisch generierter Landschaft mit Natur als außergesellschaftlicher Struktur [BURCKHARDT 1977: 207]. Die ‘Landschaft’, wie sie beispielsweise in der Landespflege begriffen wird, kann als eine imaginär-materielle Dublette beschrieben werden, die äs- 20 Unter Bezug auf die Theorie der KASSELER SCHULE wird in dieser Studie zwischen subsistenzorien- tierter Landschaftsplanung und herrschaftsorientierter Landespflege unterschieden [HÜLBUSCH, I.M. 1978a; BÖSE 1981; SCHNEIDER 1989: 132; WEILAND 1989: 68f; HÜLBUSCH 1998]. In Anlehnung an HARTMUT VON HENTIG [1985] ließe sich sagen, dass die Landschaftsplanung darauf zielt, die Sachen zu klären und die Menschen zu stärken, hingegen die Landespflege die Sachen durcheinander wirft, die Hintergründe verwirrt und die Menschen verunsichert bzw. die Herrschaft stärkt. 21 Siehe zur Landespflege das Oberkapitel: ‘Die Anatomie der Landespflege’ und zur so genannten ‘Leitbild-Methode’ das Kapitel: ‘Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’’. 22 Der Paradigmabegriff, der von THOMAS KUHN für die naturwissenschaftliche Forschung geprägt wur- de [KUHN 1962: 10, 25], wird in dieser Studie weiter gefasst und zwar im Sinne von HANS BLUMENBERG als ‘absolute Metapher’ [BLUMENBERG 1960: 25]. Das ‘Paradigma’ ist nach KUHN eine wissenschaftliche Pra- xis: „Darunter verstehe ich allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern“ [KUHN 1962: 10]. Absolute Metaphern sind „’Übertragungen’, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen“ [BLUMENBERG 1960: 10] und die vom Mythos insofern unterschieden sind, dass „die Metapher durchaus als Fiktion auftreten darf und sich nur dadurch auszuweisen hat, daß sie eine Möglichkeit des Verstehens ablesbar macht“ [BLUMENBERG 1960: 112] (z.B. ‘Licht und Wahrheit’, ‘Buch der Natur’). Für die Wissenschaften vom Menschen entwickelte MICHEL FOUCAULT das Konzept der ‘Episteme’, Erkenntnisstrukturen, die den Diskursraum einer Epoche regeln [FOUCAULT 1966: 24f]. 23 In dieser Studie wird die Genese des Landschaftsbegriffs nur für Deutschland rekonstruiert; sie ver- hält sich hier aber ähnlich wie im mitteleuropäischen Kulturkreis, obgleich der moderne Landschafts- begriff innerhalb der deutschsprachigen Geographie und Landespflege besonders populär geworden ist [HARD 1970]. 15 thetische, normative und dingliche Qualitäten vereinigt24. An diese Land- schaft(svorstellung), die das professionelle Idol der Landespflege ist [HARD 1991: 17], so lautet meine Hauptthese, knüpft auch die Leitbildnerei in der Lan- despflege an. Die Leitbilder können nicht allein aus den Verlautbarungen der Profession ver- standen werden, vielmehr ist ihre gewaltsame Banalität erst über den prakti- schen Widerspruch in den Ergebnissen zu entlarven25 [MEHLI 1989: 135]. Die Werke der Landespflege sind nachhaltiger als die Erinnerung in der Professi- on, in der die letzte Mode von der neuesten ausradiert wird. Die Utopisten sind sich der nachtragenden Folgen ihrer Verheißungen kaum bewusst und geben sich so ahnungslos wie der zum Tode verurteilte Revolutionär DANTON in GEORG BÜCHNERs Drama angesichts der blutigen Resultate seiner glänzenden Reden im Konvent. „Geht einmal Euren Phrasen nach, bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden. / Blickt um Euch, das Alles habt Ihr gesprochen, es ist eine mimische Übersetzung Eurer Worte“ [BÜCHNER 1837: 110]. Die Kontinuitäten in der Landespflege sind bis zu ihrer Entstehung, zur Lan- desverschönerung zurück datierbar [SCHNEIDER 1989: 46]. Am Beispiel der ge- schichtlichen Metamorphosen des Leitbilds der ‘Nachhaltigkeit’ kann gezeigt werden, wie ein altes Motiv in der Professionsgeschichte in verwandten For- mulierungen aufgegriffen wurde26. Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist in der Professionsgeschichte ein konstantes Motiv, das nach zeitgemäßer Mode je- weils neu formuliert wird. Die Rekonstruktion zur historischen Semantik der Nachhaltigkeit in der Lan- despflege zeigt neben den Kontinuitäten auch Varianten im Bedeutungsum- fang der jeweiligen Leitbilder. Aktuell wird seit Anfang der 1990er Jahre das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung von der Landespflege breit vertreten und als neueste Erfindung zur Sicherung der Zukunft proklamiert27. Dieses Leitbild wird in der nachhaltigen Stadt- sowie Regionalentwicklung, der nachhaltigen Landwirtschaft und dem Erhalt der Biodiversität verbreitet. In den 1970er Jah- ren erscheint die Nachhaltigkeit ökologisch gewendet als Erhalt der Leistungs- fähigkeit des Naturhaushaltes, der den spezifischen Aufgabenbereich der Lan- despflege darstelle. Etwa fünfzehn Jahre zuvor wurde die nachhaltige Siche- rung der Ressourcen28 als originäre Aufgabe der Landespflege verkündet. Um 1940 hat die Landespflege die nachhaltige Sicherung der naturbürtigen Hilfs- quellen als Erhalt natürlicher Fruchtbarkeit und nationalökonomische Aufgabe vertreten. Während sie um 1900 den Schutz von Heimat und Natur als neues Aufgabenfeld entdeckt hatte, strebte sie schon seit ihrer Erfindung Anfang des 19. Jahrhunderts in der Landesverschönerung [SCHNEIDER 1989: 46], unter an- derem mit der preußischen Forstwirtschaft [KLAUCK 2005: 37f], auf die aktuelle 24 Dieser Zusammenhang wird vor allem in den Kapiteln: ‘Ontologisierung der Landschaft’ und ‘Ideologisierung der Landschaft’ erläutert. 25 Illustrationen zur landespflegerischen Praxis und den ‘Paradoxien und Konfusionen’ [HARD 1992], die aus der landespflegerischen Leitbildnerei resultieren, werden im Kapitel: ‘Das Eingriff-Ausgleich- Verfahren im ‘Triumph der Empfindsamkeit’’ gegeben. 26 Siehe zur Nachhaltigkeit in der Landespflege den Abschnitt: ‘IV. Das Leitbild ‘Nachhaltigkeit’ in der Landespflege’. 27 So in der AGENDA 21 und der an diese anschließende landespflegerische Literatur. Siehe dazu das Kapitel: ‘Nachhaltige Entwicklung’. 28 So in JOHN F. KENNEDYs Rede über die natürlichen Hilfsquellen 1961 [vgl. STOLZENBURG 1984]. 16 Erörterungen um die Nachhaltigkeit zurück bezogen werden, die nachhaltige Steigerung der Landeswohlfahrt an, was konkret die Steigerung der landes- fürstlichen Einnahmen meint [SCHNEIDER 1997: 38]. Mit der Einführung der nachhaltigen Forstwirtschaft wurden die bislang in den Forsten üblichen Nut- zungen ausgeschlossen und die begleitende Rechtsgebung erklärte Staats- bürger, die ihre kommunen Rechte wahrnahmen, zu Dieben [vgl. MARX 1842; KLAUCK 2005]. Allen Proklamationen der Nachhaltigkeit ist die universelle Verheißung der ‘Zu- kunftssicherung’ und des ‘Wohlstands der Nation’ eigentümlich. Die Nachhal- tigkeit im Sinne der Landespflege formuliert die Prognose für eine bessere Zu- kunft, die von der Verwaltung hergestellt würde [SCHNEIDER 1989: 34f], und die Kontrolle über den Gebrauch und Zugriff auf die naturbürtigen Produktionsmit- tel [HÜLBUSCH 1977: 24]. Die bislang gemeinen Produktionsmittel wurden zur nachhaltigen Industrialisierung zunächst ‘verstaatlicht’ und dann ‘privatisiert’, wenn die staatliche Subvention unnötig wird und die Produktionsmittel gleich- zeitig zur Mehrwertschöpfung gebraucht werden konnten29. Das Gefährliche an der Leitbildnerei ist nicht nur der Betrug (durch Phrasen und Images), gefährlicher noch ist die ideologische Nebenwirkung, dass der Realitätssinn, die Erfahrung und die Urteilskraft der Menschen zerstört werden. „Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, daß es einen Ersatz für Wahrheit nicht gibt. Denn das Resultat ist keineswegs, daß die Lüge nun als wahr akzeptiert wird, sondern daß der mensch- liche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird“ [ARENDT 1972: 83]. Anmerkungen zur Methode Wer Leitbilder und die Leitbildnerei untersucht, der setzt sich mit diesem Vor- haben einer mythisierten Werbewelt aus, die darauf angelegt ist, wie alle Rezi- pienten so auch den Forschungsreisenden zu vereinnahmen. Angesichts die- ser Gefahr ist es gut, sich vorher Rat zu holen. WALTER BENJAMIN empfiehlt, „den Gewalten der mythischen Welt mit List und Übermut zu begegnen“ [BENJAMIN 1985: 403f]. In der Wissenschaft wird die List zur Methode, die den Weg zum Thema beschreibt, der dem entsprechend ein Umweg ist [vgl. BENJAMIN 1925: 10]. Der Gegenstand, den diese Studie untersucht, liegt in Tex- ten sedimentiert: zum professionellen Idol der Landespflege, dem modernen Landschaftsbegriff; aus der Landespflege und dem professionellen und thema- tischen Umfeld; über die Landespflege und Nachhaltigkeit. Die Analyse dieser Texte umfasst fünf methodische Aspekte. Grundlegend für die Interpretation auslegungsbedürftiger Texte ist eine Hermeneutik des Verstehens, die mittels einer kritischen Rekonstruktion der Sinngehalte erfolgt. Da die Sinngehalte der Gegenstände – in diesem Falle ‘Begriffe’ und ‘Leitbilder’, die in den Texten eingebettet sind, – im geschichtlichen Wandel rekonstruiert werden, führt dies zu einer historischen Semantik, die eine Bedeutungsgeschichte für die unter- suchten Gegenstände ergibt. Dazu werden die landespflegerischen Texte, die 29 Der Wirtschaftstheoretiker ERNEST MANDEL erklärt dieses Phänomen mit der grundlegenden Funkti- on des Surplus-Profits und der staatlichen Regelungen für die Akkumulation von Kapital [vgl. MANDEL 1973: 71, 435ff]. 17 aufeinander explizit oder implizit Bezug nehmen, sowohl einer Diskursanalyse als auch einer Ideologiekritik unterzogen. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine theoriegeleitete Untersu- chung, die ausgiebig auf vorgeleistete Arbeit und erklärende Texte bzw. Kon- texte zurückgreift und am Beispiel der Diskussion um die ‘Nachhaltigkeit’, die in der Landespflege geführt wird, exemplarisch die landespflegerische Leitbild- nerei analysiert. Um dies zu leisten, geht die Studie texthermeneutisch vor, indem sie in einer rationalen Rekonstruktion der Argumentation, wie in den un- tersuchten Texten die Aussagen begründet werden, und deren Kontext die Sinnstrukturen der landespflegerischen Diskurse aufzeigt. Die Darstellung ist idealtypisch und prinzipiell, was bedeutet, dass der Leserin und dem Leser die Struktur und Funktion der Leitbildnerei erklärt wird, die Beispiele aber von ih- nen ergänzt werden müssen. Die Untersuchung vertraut auf die Urteilskraft der Leserschaft [vgl. HERMENAU 1999]. Die wissenschaftliche Methode ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine begründete Überzeugung durch eine öffentliche Debatte anstrebt, in der die Behauptungen prinzipiell von jedem prüfbar sind [WEBER 1919: 17, 19, 22, 25f], was bedeutet, dass die Geltung einer wissen- schaftlichen Untersuchung auf einem sozialen Prinzip beruht und daher dieser erst im Nachhinein verliehen werden kann [PEIRCE 1877: 312]. „Im Übrigen gehen wir hier expressis verbis ja von der Tatsache aus, daß jede Geschichte erst konstruiert werden muß, d.h. daß jede Geschichte ein Konstrukt von Aussagezusammenhängen darstellt, die immer nur einen Teil des infrageste- henden Sachverhalts ausfiltern und berücksichtigen“ [BROCK 1977: 13]. Insofern ist Wissenschaft das Wagnis, zwischen den Phänomenen einen Zu- sammenhang herzustellen, sie in eine Theorie einzubinden, die hinzu erzählt wird. „Ich glaube, daß die Tätigkeit des Erzählens verwandt ist mit dem, was alle ande- ren Menschen auf der Welt tun, die auf eigene Faust Zusammenhänge herstellen und riskieren, daß es die falschen sind“ [NADOLNY 1990: 56]. Diese Gefahr einzugehen, ist für die wissenschaftliche Argumentation unum- gänglich, weil keine wissenschaftliche Erkenntnis den ‘Dingen’ direkt ihren Sinn entnehmen kann. Wird dies behauptet, wie etwa von Positivisten, dann resultiert daraus Ideologie [HORKHEIMER 1933; HABERMAS 1968; BERGER/ KELLNER 1984]. „Was am Objekt dessen vom Denken ihm auferlegte Bestimmung übersteigt, kehrt es dem Subjekt erst einmal als Unmittelbares zu [...] Unmittelbarkeit bleibt der Dialektik nicht, als was sie unmittelbar sich gibt. Sie wird zum Moment anstatt des Grundes“ [ADORNO 1966: 49f]. Die erkenntnistheoretischen Grundlagen der angewandten Methode zu erklä- ren, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, und ist meines Erach- tens auch nicht notwendig, um den Aufbau und die Begründung der Arbeit nachzuvollziehen. Dennoch will ich der Leserin, dem Leser die Voraussetzun- gen zur Erläuterung meiner Vorgehensweise kurz benennen. Wollen wir nicht vor den Stand der Erkenntniskritik von IMMANUEL KANT zurückfallen, müssen wir den konstruktiven Anteil im Erkennen mitbedenken. Sinn entsteht erst mit dem Erkenntnisakt, der für die wissenschaftliche Erkenntnis soweit wie möglich expliziert werden muss. Hierzu dient die Darstellung der Methode. Der wissen- schaftliche Erkenntnisakt umfasst einen phänomenalen und kognitiven Aspekt [vgl. KANT 1781: 97]. 18 „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand kei- ner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begrif- fe sind blind“ [KANT 1781: 98]. Die Gültigkeit von Erkenntnis kann nun aber nicht an der Übereinstimmung zwischen Gegenstand und Gedanken äußerlich bestimmt werden, weil das Urteil, ob eine Ü- bereinstimmung vorliege, wiederum eine Erkenntnis voraussetzte. Sie ist vielmehr in dem sprachlichen Erkenntnisakt angesiedelt [WITTGENSTEIN 1945]. Ausgehend vom performativen Erkenntnisakt, mit dem die Erkenntnis konstituiert wird, können wir uns der ‘pragmatizistischen Maxime’ anschließen, dass die Wahrheit einer Erkennt- nis sich in den Konsequenzen der Erkenntnis zeigt. „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben können, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschrei- ben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffes des Gegenstandes“ [PEIRCE 1905: 416]. Betrachtet man die wesentliche Bestimmung, dass der Begriff (einer Sache) darin bestehe, dass wir seinem Gegenstand in unserer Vorstellung Wirkungen zuschreiben, dann wird der kognitive Charakter des pragmatizistischen ‘Ge- dankenexperiments’ deutlich. Die pragmatische Maxime kann auf Sinngebilde aller Art angewendet werden. So beinhaltet die Maxime einen Zusammenhang zwischen dem Denkbaren und dem Wirklichen, der die Erkenntnis nicht als bloße Spiegelung des Realen begreift, sondern die Denkinhalte als realitäts- bezogen ausweist. Dies wird dadurch möglich, dass das pragmatizistische Konzept von der Erkenntniskritik zur Sinnkritik der Aussagen wechselt30. Dies führt uns zum Sinnverstehen, der hermeneutischen Methode. Die empirische Basis unserer wissenschaftlichen Untersuchung sind Texte, die symbolhaft strukturiert sind. Unter der Voraussetzung, dass Texte sinnvolle Gebilde sind, können sie verstanden werden und sind einer verstehenden Me- thode zugänglich. Die Hermeneutik ist eine Methode, die angewendet wird, um zu verstehen31, und auf dem interpretativen Akt beruht, dass ein Phänomen in seiner Bedeutung ergründet wird [vgl. PANOFSKY 1939: 40f]. Mit dem hermeneu- tischen Ansatz gehen wir in dieser Studie davon aus, dass die Texte der Lan- despflege verstehbar sind. Das Verstehen von Texten beruht auf einem Vor- verständnis, das die Sinnerwartung und den Kontext des Verstehens an den Text heran trägt. Damit knüpft die Hermeneutik jeweils an bestehende Sinn- strukturen an, um unbekannte Sinndimensionen eines Textes zu entdecken. HANS-GEORG GADAMER bezeichnet die Sinnerwartung, mit der ein Leser, eine 30 Diese pragmatische Wende beruht auf den vier prinzipiellen Unvermögen, die Peirce in seinen Frühschriften herausstellt: „1. Wir haben kein Vermögen der Introspektion, sondern alle Erkenntnis der inneren Welt ist durch hypothetisches Schlußfolgern aus unserer Erkenntnis äußerer Fakten abgelei- tet. 2. Wir haben kein Vermögen der Intuition, sondern jede Erkenntnis wird von vorhergehenden Er- kenntnissen logisch bestimmt. 3. Wir haben kein Vermögen, ohne Zeichen zu denken. 4. Wir haben keinen Begriff von einem absolut Unerkennbaren“ [PEIRCE 1868: 186]. 31 Die Bezeichnung ‘Hermeneutik’ ist aus dem Namen des ‘Götterboten’ (Hermes) aus der griechi- schen Mythologie, zugleich der Gott der Diebe und Reisenden, „des glücklich gefundenen Weges, des glücklichen Fundes überhaupt“ [NADOLNY 1990: 78]. Entstanden ist die wissenschaftliche Hermeneutik aus der Schriftauslegung während der europäischen Reformationszeit und der Wiederaneignung anti- ker Texte in der Renaissance [GADAMER 1974: 1062f]. Die klassische Hermeneutik ‘übersetzt’ Sinngehal- te eines Textes und macht sie explizit. Die neuere Hermeneutik betont den produktiven Aspekt in der Textauslegung [DERRIDA 1967a], die den Sinngehalt ‘konstruiert’ [FRANK 1989] und von der Vielsinnigkeit eines Textes ausgeht [WALDENFELS 1999]. 19 Leserin an einen Text herantritt, als ‘Entwurf’, der im Sinne der Existentialphi- losophie zu verstehen ist32. „Wer einen Text verstehen will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text schon mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest. Im Ausarbeiten eines solchen Vorentwurfs, der freilich beständig von dem her revidiert wird, was sich bei weiterem Eindringen in den Sinn ergibt, besteht das Verstehen dessen, was dasteht“ [GADAMER 1960: 271]. Dies ist notwendig, weil die Bedeutung eines Wortes nicht dinglich greifbar in den Buchstaben vorliegt, sondern durch Interpretation hergestellt wird. Die Auslegung trägt den Sinn an den Text heran, indem sie Zusammenhänge mit anderen Phänomen herstellt, d.h. ihn kontextualisiert. Verstehen meint in die- sem Sinne, dass eine Aussage ihre Bedeutung durch den sinnstiftenden Kon- text verliehen bekommt [HARD 1985: 274]. Dieser Kontext kann aus weiteren Texten, anderen Symbolsystemen oder Handlungen bestehen [PANOFSKY 1939: 42]. Der potentielle Sinngehalt eines Textes kann unter verschiedenen Aspek- ten anders bestimmt werden, so dass er letztlich nicht abschließbar ist und weiteren Interpretationen offen steht. Die methodische Frage besteht dabei in der Überlegung, ob der Kontext dem Text angemessen ist, was sich aber erst im Verlauf der Interpretation erweist, ob sie gelingt oder scheitert [PANOFSKY 1939: 64]. „Wer zu verstehen sucht, ist der Beirrung durch Vor-Meinungen ausgesetzt, die sich nicht an den Sachen selbst bewähren. Die Ausarbeitung der rechten, den Sachen selbst angemessenen Entwürfe, die als Entwürfe Vorwegnahmen sind, die sich ‘an den Sachen’ erst bestätigen sollen, ist die ständige Aufgabe des Ver- stehens. Es gibt hier keine andere ‘Objektivität’ als die Bewährung, die eine Vor- meinung durch ihre Ausarbeitung findet. Was kennzeichnet die Beliebigkeit sach- unangemessener Vormeinungen besser, als daß sie in der Durchführung zunichte werden“ [GADAMER 1960: 272]. Dies setzt beim Interpreten eine Vertrautheit mit dem Material voraus, die ihn dazu befähigt, einzuschätzen, ob der neue Kontext etwas taugt [GINZBURG 1979: 116f]. Dass ein Text in einen neuen Zusammenhang gestellt wird, aus dem ein neuer Sinn rekonstruiert wird, bedeutet nicht, dass die Interpretation beliebig würde, weil Kontext, Sinn und Bewährung auf einen unzulässigen Zir- kelschluss hinausliefen, in welchem der Kontext den Sinn herstellt und dieser sich bewährt, wenn er am Kontext geprüft wird [PANOFSKY 1939: 63f]. Denn die Interpretation wird letztlich nicht in der individuellen Auslegung selbst bewährt, sondern in der Kommunikation und der wissenschaftlichen Debatte über die Angemessenheit der Interpretation. Die Deutung auf den Zirkel des Verste- hens einzulassen, ist erst einmal die epistemologische Voraussetzung, über- haupt eine sinnvolle Aussage zu formulieren, eine notwendige Voraussetzung, der selbst die naturwissenschaftlichen Aussagen nicht entbunden sind, die ei- nen Minimalkonsens unter den Forschern voraussetzen, von denen sie aner- kannt werden. Dieser Minimalkonsens bildet den Kontext des ‘Selbstverständ- lichen’. Umgekehrt versteht sich für einen anspruchsvollen Hermeneutiker, der um die Voraussetzungen des Verstehens weiß, nichts von selbst [HARD 1990]. 32 Der philosophische Entwurf ist nicht mit dem landespflegerischen Entwurf zu verwechseln; siehe zu diesem das Kapitel: ‘Abstraktion durch Verfahren und Entwurf’. 20 „Aber in diesem Zirkel ein vitiosum sehen und nach Wegen Ausschau halten, ihn zu vermeiden, ja ihn auch nur als unvermeidliche Unvollkommenheit ‘empfinden’, heißt das Verstehen von Grund auf mißverstehen. [...] Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzu- kommen. Dieser Zirkel des Verstehens ist nicht ein Kreis, in dem sich eine belie- bige Erkenntnisart bewegt, sondern er ist Ausdruck der existenzialen Vor-Struktur des Daseins selbst. Der Zirkel darf nicht zu einem vitiosum und sei es auch nur zu einem geduldeten herabgezogen werden. In ihm verbirgt sich eine positive Mög- lichkeit ursprünglichen Erkennens, die freilich in echter Weise nur dann ergriffen ist, wenn die Auslegung verstanden hat, daß ihre erste, ständige und letzte Auf- gabe bleibt, sich jeweils Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff nicht durch Einfälle und Volksbegriffe vorgeben zu lassen, sondern in deren Ausarbeitung aus den Sachen selbst her das wissenschaftliche Thema zu sichern“ [HEIDEGGER 1927: 153]. MARTIN HEIDEGGER verknüpft also die wissenschaftliche Erkenntnis mit dem Dasein des Forschers, der im Verstehen des Gegenstandes in dieses mitein- bezogen ist, und verlangt, dass er sich beim Auslegen des Gegenstandes sei- ne Vormeinungen bewusst macht [HARD 1985]. Hermeneutische Erkenntnis fin- det demnach in einem bewussten Wechselspiel zwischen Interpret und Thema statt. Der ‘hermeneutische Zirkel des Verstehens’ [GADAMER 1959; vgl. PANOFSKY 1939: 63] ist eine Grenzziehung, die aus dem Sinnpotential bestimm- ten Sinn selektiert, zugleich aber auch Bedingung des Verstehens und insofern eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt Sinn zu entdecken. Die Frage, die sich der Hermeneutiker stellt, ist die nach dem adäquaten Zugang, der in unserem Falle durch Berücksichtigung von Thema und Material erwogen wird. Die konstruktiven Anteile innerhalb der Interpretation werden soweit wie mög- lich in der Textauslegung durch entsprechend ausgiebiger Angabe der Origi- nalzitate und der erklärenden Kontexte dargelegt. „Wer verstehen will, wird sich von vornherein nicht der Zufälligkeit der eigenen Vormeinung überlassen dürfen, um an der Meinung des Textes so konsequent und hartnäckig wie möglich vorbeizuhören – bis diese unüberhörbar wird und das vermeintliche Verständnis umstößt. Wer einen Text verstehen will, ist vielmehr be- reit, sich von ihm etwas sagen zu lassen. Daher muß ein hermeneutisch geschul- tes Bewußtsein für die Andersheit des Textes von vornherein empfänglich sein. Solche Empfänglichkeit setzt aber weder sachliche ‘Neutralität’ noch gar Selbst- auslöschung voraus, sondern schließt die abhebende Aneignung der eigenen Vormeinungen und Vorurteile ein. Es gilt, der eigenen Voreingenommenheit inne- zusein, damit sich der Text selber in seiner Andersheit darstellt und damit in die Möglichkeit kommt, seine sachliche Wahrheit gegen die eigene Vormeinung aus- zuspielen“ [GADAMER 1960: 273f]. Die Bedeutung von Texten und Begriffen unterliegt neben der synchronen Be- deutungskonstruktion einem geschichtlichen Wandel, der in der historischen Semantik nachgezeichnet wird. Wenn wir den Landschaftsbegriff und das Leit- bild ‘Nachhaltigkeit’ rekonstruieren, dann stellen wir eben diesen Bedeutungs- wandel dar. „Die historische Semantik ist interpretierende Bedeutungsge- schichtsschreibung“, die sich nicht in eindimensionalen Definitionen erschöpft [KONERSMANN 1995: 593f]. Steht die jeweilige Bedeutung in einem Kontext [KONERSMANN 1995: 596], dann kann die historische Semantik von einer „Un- trennbarkeit von ‘Bedeutungs-’, ‘Sach-’ und ‘Kulturwandel’“ ausgehen [KONERSMANN 1995: 594]. 21 „Die Spuren der Invention und Intervention, die jeder Begriffsinhalt mit seinem Aufkommen sogleich verwischt, werden bewahrt in der Form. [...] Die historische Semantik sucht weniger nach Gesetzen oder nach Grundsätzen als nach Lesar- ten, Verknüpfungen, Übergängen, kurz: nach Bedeutungen. Bedeutungen aber antworten auf Erwartungen, auf Hoffnungen und Erinnerungen, die sich mit ihnen verändern“ [KONERSMANN 1994: 54]. Die Bedeutungswandel treten nicht positivistisch zutage, sondern werden im Vergleich der Bedeutungsnuancen gedeutet [vgl. BLUMENBERG 1981]. HANS BLUMENBERG entwickelte dazu das Konzept der Metaphorologie, die die Ge- schichte der Worte als Sinnbilder vergleichend und deutend erforscht [BLUMENBERG 1960: 10f, 13]. Insofern ist die historische Semantik ein im hohen Maße interpretatives Verfahren. „Die semantischen Rückstände und Relikte, die sich retrospektiv ermitteln lassen, sind Deutungsfiguren, Interpretamente. Die Veranstaltungen der historischen Se- mantik werden dadurch zu Interpretationen von Interpretationen, die sich zueinan- der ins Verhältnis setzen und das heißt: zu einer Geschichte zusammenfügen las- sen“ [KONERSMANN 1994: 47]. Für den Landschaftsbegriff liegen ausreichend Analysen vor, auf die wir zu- rückgreifen können, um die Genese des modernen Landschaftsbegriffs nach- zuzeichnen. Das Leitbild ‘Nachhaltigkeit’ in der Landespflege wird hingegen über Texte rückläufig rekonstruiert. Das rückläufige Verfahren betont den re- konstruktiven Charakter dieser nacherzählten Bedeutungsgeschichte. „Der Historismus begnügt sich damit, einen Kausalnexus von verschiedenen Mo- menten der Geschichte zu etablieren. Aber kein Tatbestand ist als Ursache eben darum bereits ein historischer. Er ward das, posthum, durch Begebenheiten, die durch Jahrtausende von ihm getrennt sein mögen. Der Historiker, der davon aus- geht, hört auf, sich die Abfolge von Begebenheiten durch die Finger laufen zu las- sen wie einen Rosenkranz. Er erfaßt die Konstellation, in die seine eigene Epoche mit einer ganz bestimmten früheren getreten ist. Er begründet so einen Begriff der Gegenwart als der ‘Jetztzeit’“ [BENJAMIN 1940: 261]. Mit dem ‘Denken in Konstellationen’ [BENJAMIN 1925] berührt sich das Unter- nehmen einer historischen Rekonstruktion mit der neueren Zeichentheorie, dass die Bedeutung eines Symbols in dessen Kontext bestehe. Die historische Rekonstruktion geht von der Gegenwart und aktuellen Fragen aus, mithilfe de- rer die Vergangenheit untersucht und für die Gegenwart wiedergewonnen wird [GINZBURG 1979: 93, 115ff]. Die historische Rekonstruktion verneint damit das Bild einer Idealgeschichte und stellt dieser eine Rettung der Geschichten aus dem kritischen Geist der Gegenwart entgegen. So kann die historische Se- mantik für das Verständnis der gegenwärtigen Debatten um die Leitbildnerei und über die Nachhaltigkeit fruchtbar gemacht werden. Wenn wir WALTER BENJAMINs Einsicht folgen, dass „Vergangenes historisch artikulieren [...] heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblicke einer Gefahr auf- blitzt“ [BENJAMIN 1940: 253], dann kann die geschichtliche Rekonstruktion an die Hermeneutik anknüpfen, deren Interpretation auch auf den Interpreten rückbe- zogen ist. „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet“ [BENJAMIN 1940: 258]. Texte, die aufeinander bezogen sind, ergeben zusammengenommen ein ‘Ge- flecht’ aus Texten, das um bestimmte Themen mit ähnlichen Absichten und 22 Begründungen gewoben ist. Die Texte sind intertextuell aufeinander bezogen, indem sie gemeinsame Themen bearbeiten, Argumente aus anderen Texten aufgreifen und Begründungsstrukturen teilen. Dieses Geflecht ergibt einen Diskurs, der gemeinsamen Regeln unterliegt, ohne dass sie dem Diskurs vor- geordnet wären, sondern von den Diskursteilnehmern praktiziert und eingeübt werden. Diese Regeln ‘bestimmen’, was innerhalb des Diskurses wie gesagt und was nicht gesagt wird. In der kritischen Analyse, was ein Diskurs sei, kommt MANFRED FRANK zu dem Schluss: „Die ‘Ordnung des Diskurses’ ist also kein Phantom, aber ihr Seins-Status ist die reine Virtualität, während ihre Wirklichkeit die permanente (durch keinen Machtwil- len zu unterbindende oder zu fesselnde) Veränderung und Neuschöpfung von diskursiv konstituiertem Sinn ist“ [FRANK 1989: 426]. Diskurse sind derart ohne feste Grenzen um bestimmte Themen und Argu- mentationsfiguren gruppiert, dass sie umformbar und überführbar sind, wenn andere Themen oder Begründungen anschlussfähig sind, wie dies am Beispiel der Nachhaltigkeitsdiskurse gezeigt werden kann. Die nicht bindenden, aber gepflegten Regeln können interpretativ erschlossen werden, was in der Dis- kursanalyse geleistet wird, die die Texte im Zusammenhang untersucht und dabei die gemeinsame Sinnstruktur beschreibt [FOUCAULT 1966: 15]. Die Dis- kursanalyse kann nach dem zuvor Gesagten nur hermeneutisch und konstruk- tiv vorgehen, womit für sie dieselben Voraussetzungen gelten. Die Diskursana- lyse geht von exemplarischen Texten aus, die für die Debatten ihrer Zeit sym- ptomatisch sind [vgl. FOUCAULT 1966]. In der klassischen Diskursanalyse wird die Praxis nicht einbezogen, sofern diese nicht in Texte eingegangen ist, weshalb sie für eine Profession wie die Landespflege, die sowohl über Texte als auch und vor allem durch Maßnah- men auf die bauliche und soziale Umwelt der Menschen wirkt, nur bedingt ge- eignet ist, die spezifische Wirklichkeit zu beschreiben33. Sofern in den Texten andere Handlungen proklamiert werden als von der Profession ausgeführt, wird mit diesem Widerspruch das Feld für die klassische Ideologiekritik eröffnet [ROMBACH 1976]. Da die diskursanalytische Beschreibung die Diskursstrategien zunächst positivistisch darstellt, wird sie von einer Ideologiekritik ergänzt, die zwischen den Verlautbarungen in den Texten und den Handlungsfolgen der landespflegerischen Praxis unterscheidet, um den ideologischen Zusammen- hang zwischen der Bilderwelt und den Maßnahmen darzustellen. Der Wider- spruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit kann mit dem erweiterten Textbeg- riff nach JACQUES DERRIDA, dass ‘die Praxis als Text gelesen werden kann!’ [vgl. DERRIDA 1967a: 274], auch hermeneutisch rekonstruiert und dargestellt wer- den [HARD 1990: 24]. Hierzu können wir auf die pragmatizistische Maxime und den erweiterten Textbegriff zurückgreifen, also auch die Ideologiekritik herme- neutisch organisieren, weil die Lektüre „nicht über den Text hinaus- und auf etwas anderes als sie selbst zugehen, auf den Referenten (eine metaphysi- sche, historische, psycho-biographische Realität) oder auf ein textäußeres Signifikat, dessen Gestalt außerhalb der Sprache, das heißt in dem Sinne, den 33 Das ist nicht ungewöhnlich. In seiner Diskursanalyse ‘Überwachen und Strafen’ hat beispielsweise MICHEL FOUCAULT die Schriften zur Disziplinierung neben Grundrisse von Gefängnissen gestellt, also den Rahmen der reinen Textanalyse überschritten und die Aussagen mit der baulichen Umwelt vergli- chen [Foucault 1976]. 23 wir diesem Wort hier geben, außerhalb der Schrift im allgemeinen seinen Ort haben könnte oder hätte haben können“ [DERRIDA 1967a: 274]. „Ein Text-Äußeres gibt es nicht“ [DERRIDA 1967a: 274]. Die Ideologiekritik als Sprachkritik wurde unter anderen von THEODOR W. ADORNO entwickelt, der bei den Verdinglichungen im Denken ansetzt [ADORNO 1964, 1966; vgl. HABERMAS 1985]. Ziel der Ideologiekritik ist, die Verdinglichungen und die Herrschaftseffekte, die den landespflegerischen Texten und der (be- deutsamen) Praxis zugrunde liegen, bewusst zu machen. Diese könnte man im doppelten Sinne die verschwiegenen ‘Absichten’ der Landespflege nennen. Die in dieser Studie geleistete Ideologiekritik greift auf Beschreibungen und Analysen zur Landespflege und zu landespflegerischen Maßnahmen zurück, Untersuchungen, die vor allem im Forschungszusammenhang der KASSELER SCHULE entstanden sind. Der methodische Sinn der theorieorientierten Untersuchung ist letztlich eine veränderte Sicht auf die landespflegerische Praxis, die zeigen soll, dass eine andere Praxis möglich ist. Die Theorie ist eine Voraussetzung, um zu sehen und zu verstehen, was man sieht, wie es GOETHE in der ‘Farbenlehre’ be- schreibt: „Denn das bloße Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, daß wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewußtsein, mit Selbstkenntnis, mit Freiheit und, um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu tun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vor der wir uns fürchten, unschädlich und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll“ [GOETHE 1810: 317]. II. Landespflege und Landschaft „Aus der ästhetischen Interpretation vorindustriell feudaler Agrarverhältnisse und entsprechend extensiv genutzten Landes hat die Landschaftsplanung34 ihr grund- legendes Paradigma entwickelt“ [HÜLBUSCH 1977: 26]. Die grundlegende Metapher der Landespflege ist die Landschaft, wie sie im Landschaftspark gestaltet worden ist. In den Listen zur Berechnung der Bio- topwerte finden sich gerade jene Gegenstände, die als Versatzstücke des Landschaftsparks in HIRSCHFELDs ‘Theorie der Gartenkunst’ [1780] aufgezählt werden35. Das landschaftliche Inventar der Landespflege, des Naturschutzes, der Grüngestaltung und der Landschaftspflege, folgt jener ästhetischen Vorga- be [vgl. MEYER 1991: 197ff]. Die Interieurs der gestalteten Naturschutzgebiete entsprechen demnach den verschiedenen ‘lieblichen Orten’ und das Men- schenbild der ‘biotopistischen Bevölkerung’, dem ‘glücklichen Volk der Gefil- 34 Anmerkung: das Wort ‘Landschaftsplanung’ wird im Zitat synonym mit ‘Landespflege’ verwendet. 35 HIRSCHFELD unterscheidet fünf Gegenden (unbedeutende, angenehm muntere, sanftmelancholisch romantische, romantisch bezaubernde und feierlich erhabene Gegenden) [1780: 210-230], die aus Teilen bestünden, die ihren Charakter prägten [1780: 188] und mittels Relief, Vegetation und Wasser in vielen Varianten gebildet würden [1780: 189-208]. In der Anlage erscheinen die beliebten ‘Biotope’ der Natur- schützer als wären sie nach der Anleitung von HIRSCHFELD gestaltet: Leicht welliges Gelände mit Ver- buschung, Baum und ‘ruderaler Wiese’ am Tümpel entspricht der angenehm-munteren bis sanftme- lancholischen Gegend. Zugleich erinnert dieses Motiv ‘Baum, Wiese, Teich’ an den klassischen Topos ‘Locus amoenus’, den lieblichen Ort [CURTIUS 1923]. 24 de’36. Mit dem ‘landschaftlichen Blick’ werden die Arbeit und die Arbeitsge- genstände der Bewirtschafter distanziert betrachtet, als Bild aus den lebens- weltlichen Zusammenhängen herausgehoben (dekontextualisiert) und in den landschaftlichen Zusammenhang gestellt (rekontextualisiert)37. Anders als der Landlord über seinen Landschaftspark, verfügen die Landespfleger nicht direkt über das Land, auf das sie (daher) über die ideologische Enteignung zugrei- fen. Sie benutzen die ästhetischen Landschaftsbilder als Argument für eine intakte Natur und Gesellschaft und binden diese in die administrativen Richtli- nien ein. Aus den Gestaltern der Landschaftsparks, die von den Landbesitzern privat finanziert wurden, entstand die Zunft der Landespfleger, die von Verwal- tungen bezahlt wird und in deren Auftrag sie stellvertretend handelt; und zwar als ‘Anwalt der Landschaft’38. Die Landespflege ist ein administratives Instru- ment zur Gestaltung ‘schöner, gesunder und letztlich auch nachhaltiger Land- schaften’. „Damit gewinnen die Arbeitsgebiete der Landespflege: Naturschutz, Landschafts- pflege und Grünplanung eine sehr ernste soziale Bedeutung für die Wohlfahrt der Großstadtmassen wie für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Landschaft. Es geht nicht an, sie weiterhin als idyllische und romantische Schwärmerei abzu- tun! Nur in gesunden und geordneten Lebensräumen können gesunde und glück- liche Völker aufwachsen und bestehen!“ [BUCHWALD 1961: 238 – Herv. im Original]. Das Eingriff-Ausgleich-Verfahren im ‘Triumph der Empfindsamkeit’ Eine Art Prolog auf dem Theater: An Autobahnen, Stadträndern, in Senken, an Flüssen und andernorts finden wir abgestorbene Bäume, Obstbaumbrachen, verbuschte Flächen, ruderalisierte Wiesen, versumpfte Teiche usw., die unmo- tiviert verteilt erscheinen und eine merkwürdige Geschichte aufweisen. Der Standortfaktor ist der § 8 des Bundesnaturschutzgesetzes von 1976, das so- genannte Eingriff-Ausgleich-Verfahren bzw. die §§ 18 bis 21 des Bundesnatur- schutzgesetzes von 2002: „Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der be- lebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können. [...] Der Verursacher ist zu verpflichten, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorrangig auszuglei- chen (Ausgleichsmaßnahmen) oder in sonstiger Weise zu kompensieren (Ersatz- maßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die be- einträchtigten Funktionen des Naturhaushalts wieder hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. In sonstiger Weise kompensiert ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die be- einträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichwertiger Weise ersetzt sind 36 Auf den geschichtlichen Hintergrund dieser Metapher gehen wir in den Kapiteln: ‘Konstituierung der Landschaft’ und ‘Ideologisierung der Landschaft’ ein. 37 Die ‘Rekontextualisierung’ bedeutet, dass der Signifikant, der aus dem Entstehungszusammenhang herausgenommen wurde, in einen neuen Zeichenzusammenhang gestellt wird, also eine ‘Neukontex- tualisierung’ stattfindet. Siehe Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’ und ‘Der landschaftliche Blick’. 38 Der Auftraggeber tritt hinter die Ideologie der Landschaft zurück, wird dadurch anonym und schließ- lich a-personalisiert. Dies wird durch die Neufassung des Naturschutzgesetzes von 2002 radikalisiert, wenn im § 1 steht: „Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrund- lage des Menschen“ zu schützen. Siehe hierzu auch das Kapitel: ‘Die Ordnung der Landschaft’. 25 oder das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist“ [BNatSchG 2002: §§ 18(1), 19(2)]. Worin der ‘Eingriff’ bestehe oder welche ‘Beeinträchtigung’ ausgeglichen (wie- derhergestellt, ersetzt, neugestaltet) werden müsse, bleibt im Gesetzestext mit ‘Funktionen des Naturhaushalts’ und ‘Landschaftsbild’ nur angedeutet, wird aber in der landespflegerischen Praxis beantwortet. Es sind die messbaren und ästhetischen Veränderungen an den Objekten (Parametern), die den Na- turhaushalt oder das Landschaftsbild repräsentieren, in die eingegriffen würde, wobei gesellschaftliche und lebensweltliche Aspekte ignoriert werden39 [HÜLBUSCH/ HÜLBUSCH 1980: 32f]. „Jeder gefällte Baum ist Geschichts-Zerstörung und Klimaverschlechterung gleichzeitig. Die Großbaumverpflanzung soll das nur kaschieren, die Allmacht, die Verfügbarkeit über Menschen, Geschichte und öffentliche Dinge demonstrieren“ [HÜLBUSCH/ HÜLBUSCH 1980: 36]. Dadurch, dass die soziale Bedeutung der Dinge im Alltag übersehen bzw. ver- leugnet wird, erscheinen die versachlichten Dinge (Objekte, Funktionen) dis- ponibel und technisch herstellbar. Innerhalb dieser technokratischen Weltsicht bleibt die Landespflege in den Ausgleichsverfahren auf die Gestaltung der Ob- jekte ausgerichtet. Dieser landespflegerischen Praxis entspricht die Aus- gleichsideologie [LUCKS 1986: 17], die auf den Ausgleich zwischen den soge- nannten ‘industriell-städtischen und ländlichen Ansprüchen’ zur Reproduktion der Arbeitskraft und der Ressourcen ausgerichtet ist [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 17]. So forderten Landespfleger zur Erholung der Industriearbeiter und Regeneration der ‘freien Güter’ die Anlage von Naturparks [JÄGER 1988]. In die- sem Sinne schreibt KONRAD BUCHWALD zur Aufgabe der Landespflege in der Industriegesellschaft: „Wir müssen deshalb heute die Voraussetzungen für eine Volkserholung auf brei- tester Basis in gesunden, schönen Landschaften sichern oder neu schaffen“ [BUCHWALD 1961: 231]. Die Ausgleichsideologie folgt der Vorstellung, dass die Veränderungen der Le- benswelt, die durch die Industrialisierung entstünden, vertretbar wären, weil sie prinzipiell ausgleichbar seien. Damit kann die Begründung, wie z.B. BUCHWALD sie gibt, auch umgedreht werden. „Wer ‘ökologische Ausgleichsflächen fordert, akzeptiert – ja braucht – schließlich die ökologischen Belastungen, um seine Forderung zu begründen“ [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 21]. Die ‘Industrialisierung’ wird in dem landespflegerischen Diskurs zur notwendi- gen Voraussetzung der Ausgleichsplanung, die in der Landespflege umgesetzt wird, und sie wird zur ökonomischen Voraussetzung der Profession, weil sie den Berufsstand der Landespfleger alimentiert40 [LUCKS 1986: 21]. Ergebnis der landespflegerischen Ausgleichsplanung ist hernach die ‘Ordnung der Land- schaft’, die den Direktiven der mächtigsten, ökonomisch stärksten Interessen- gruppen folgt [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 17; LUCKS 1986: 19]. 39 Wir gehen hierauf mit der Charakterisierung der Landespflege in den Kapiteln: ‘Die Experten- Sprache der Landespflege’, ‘Landespflegerische Technokratie’, ‘Ideologischer Ausgleich’ und‘Abstraktion durch Verfahren und Entwurf’ ausführlicher ein. 40 Der landespflegerische Diskurs zum so genannten ‘Akzeptanzdefizit’ als Debatte über Verdienst- möglichkeiten wird im Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’ dargelegt. 26 „Planung hat den Auftrag: - Rationalisierungen für Veränderungsprozesse zu erfinden und zu legitimieren - oder die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen, die Investitionen ermögli- chen und die Umverteilung der Verfügbarkeit über die Produktionsmittel vorbereiten, zu begründen.“ [HÜLBUSCH 1977: 24]. Die räumliche Verteilung der industriellen Vorranggebiete und Ausgleichsflä- chen folgt der Bodenrente, wobei kapitalintensivere und profitträchtigere Inves- titionen auf Flächen hoher Bodenrente zugreifen und die weniger profitablen Nutzungen und brach liegenden Ausgleichsflächen auf Flächen niederer Bo- denrente entfallen. Dies erläutert HÜLBUSCH an dem ökonomischen Verhältnis zwischen städtisch-industriellen und ländlich-agrarischen Gebieten: „Zunehmende Nutzungsintensivierung in städtischen Siedlungsgebieten, die dem mit erhöhter technischer Infrastruktur konzipierten Zentralisierungseffekt ent- spricht, setzt bei den dann realisierbaren Bodenrenten die Auslagerung unrentab- ler Nutzungen voraus. [...] Die Abfallnutzung [Erholung und Regeneration natürlicher Produktionshilfsmittel] des extensivierten Agrarraums mit städtischen Ansprüchen ist möglich, nachdem die Produktionspotentiale hier entwertet sind und eine tendenzielle Enteignung stattgefunden hat (Naturschutz, Landschaftsschutz, Naturpark)“ [HÜLBUSCH 1977: 22, 25 – Einf. FL]. Die Ausgleichsideologie führt letztlich zur räumlichen Zuweisung und Legitima- tion von Schmutz- und Schutzgebieten [HÜLBUSCH/ HÜLBUSCH 1980: 32f] in der Stadt wie auf dem Land [HÜLBUSCH 1977: 22], wobei die Landespflege sich dar- auf kapriziert, (vor allem) die Schutzgebiete materiell und mit Nutzungsaufla- gen zu gestalten. Die Landespfleger ‘verhübschen’ die Folgen der Industriali- sierung nach ästhetischen Vorstellungen, die dem Natur- und Heimatschutz entnommen sind. Diese sind wiederum an Bildern landschaftlicher Parkanla- gen orientiert [LORBERG 1996: 29ff, 56f]. In Schriften des Naturschutzes und der Naturlandschaftsforschung von etwa 1900 bis heute finden wir dieselben land- schaftlichen Motive. Kurz nach 1900 schilderte der Naturschützer KONRAD GÜNTHER die imaginierte mitteleuropäische ‘Naturlandschaft’ des Neolithikums nach dem Bilde des Landschaftsparks: „Neben der Waldwildnis gab es aber noch einen anderen, fast noch ausgedehnte- ren Wald in Deutschland, den Hude- oder Hütewald. Dieser glich mehr einem englischen Park, als einem Urwald. Auf großen Wiesenflächen erhoben sich alte Bäume und nur da und dort lagen gestürzte und halbvermoderte Baumriesen. [...] Man nimmt an, daß dieser Wald seit der Steppenzeit Deutschlands, die nach den Eiszeiten einsetzte, stets unter der Hand des Menschen stand [...]. Denn wirkli- chen Urwald in eine solche Parklandschaft zu verwandeln, dazu fehlte es den Germanen und ihren Vorgängern noch an den nötigen Werkzeugen“ [GUENTHER 1912: 49]. Und fast ein Jahrhundert später geistern diese Vorstellungen durch die Model- le der Naturlandschaftsforschung und Vorstellungswelt der Naturschützer. Ü- ber die Frage, welche Naturausstattung Mitteleuropa trüge, wenn es den anthropogenen Einfluss auf Flora und Fauna nicht gegeben hätte, werden Mo- delle der Naturlandschaft entworfen41, die vom Bild her dem Landschaftspark 41 Diese Modelle beruhen im Wesentlichen auf der Mosaik-Zyklus-Hypothese zur Waldentwicklung von REMMERT und der Annahme eines Fortbestands der prähistorischen Megafauna, ohne Einfluss des Menschen [z.B. GERKEN 1996: 9ff]. 27 nahe kommen42. Diese Überlegungen zur Urlandschaftsforschung entspringen aktuell der Anlage von Großschutzgebieten und dem so genannten Prozess- schutz [z.B. SCHERZINGER 1997] und sind durch die Frage motiviert, wohin sich diese großräumigen Naturschutzgebiete entwickelten, wenn der anthropogene Einfluss ausgeschlossen würde43. Wie sähe die Naturlandschaft aus, wenn der Mensch die Einwanderung und Verbreitung der Megafauna nach Mitteleuropa nicht verhindert hätte oder sie nicht ausgerottet worden wäre, wird rhetorisch gefragt. Läge eine offene Parklandschaft in der ‘Natur der Sache’, dann könnte das romantische Naturschutzbild mit den modernen (pflegeextensiven) Aus- gleichsmaßnahmen verbunden werden – in denen das Landschaftsbild mittels einer exotischen Fauna stabilisiert werden soll, die eines Landschaftsparks würdig wäre [VEBLEN 1899: 135], wie dies z.B. BERND GERKEN etwa ein Jahr- hundert nach GUENTHER überlegt: „Eingedenk der vielfältigen Wirkung von großen Weidegängern – wir denken an die in frühgeschichtlicher Zeit noch gegenwärtigen Nashörner, Elefanten, Pferde, Wildrinder – und ihren Predatoren wie Bär, Löwe und Luchs sowie Nutznießern von Strukturen und Organismenbeständen sollten Landschaftsbilder der Ebenen und Mittelgebirgslagen diskutiert werden, in denen geschlossener Wald wohl mo- saikhaft verteilt aber flächenanteilig kaum 50 % oder gar nur 30 % erreicht, wo ausgedehntere, geschlossene Bestände den sich Großtierherden eher entziehen- den Berg- und steileren Hanglagen vorbehalten bleiben“ [GERKEN 1996: 12]. Überdies zählten Raubtiere wie „Säbelzahntiger, Löwe, Leopard, Hyänen“ zur potentiell natürlichen Fauna Mitteleuropas, wenn es den Menschen nicht gäbe [z.B. BEUTLER 1996: 64]. Da es ihn aber gibt, und wenn dann die ehemaligen Ag- rarflächen „nach der Nutzungsaufgabe von der Bevölkerung durch Freizeitakti- vitäten vielfältigster Art in Beschlag genommen“ werden, greifen die neuen grünen Landlords zu bewährten Mitteln der Vertreibung: „Durch niederländische Beispiele angeregt, schien uns die Umzäunung und die Beweidung durch wehrhaft aussehende Heckenrinder ein geeigneter Weg, eine Entwicklung der Flächen im Sinne des Naturschutzes zu ermöglichen [...] Der Er- folg hat uns Recht gegeben“ [DRÜKE/ VIERHAUS 1996: 155]. Aus dem England des 17. Jahrhunderts stammt der Spruch, dass die Schafe die Bauern fressen würden; gemeint ist akkumuliertes Weideland, das im 18. Jahrhundert zu Landschaftsparks umgestaltet wurde. Die Gestaltung der ‘Landschaft’, um 1800 das Vorrecht des Adels und der Großgrundbesitzer, 42 Vgl. dazu z.B. die Aufsätze zur Naturlandschaftsforschung von BEUTLER [1996: 99] und GERKEN [1996: 10ff], die sehr bildhaft die ‘natürlichen Landschaftsparks’ ersinnen. Anstelle der profanen Rinder weiden in den Großschutzgebieten Longhorn-, Galloway- oder Heckenrinder [z.B. BUNZEL-DRÜKE 1996: 45ff], die vergegenwärtigen sollen, wie exklusiv und wirtschaftsfern die Schutzgebiete seien, und so „wird heute das einstige Idyll des langschädlig Blonden mit Hilfe einer Kuh auf dem Rasen tatsächlich wiederher- gestellt. Eine solche Kuh gehört dann meistens einer teuren Rasse an“ [VEBLEN 1899: 135]. Siehe zum Landschaftspark das Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’ 43 Die Schutzgebiete, die dem Leitbild Wildnis folgen, sollen natürlich ästhetisch ansprechend sein, um dem ursprünglichen Savannenhabitat des Urmenschen, nach dem sich der moderne Mensch sehne, zu entsprechen [z.B. SCHERZINGER 1997: 32]. „Ein zufallsgesteuertes Naturgeschehen bringt auch Struk- turen und Prozesse hervor, die außerhalb jeder Planung stehen, mitunter auch nicht unserer Erwar- tung von ‘Schönheit’ in der Natur entsprechen. Hier wird der Naturschutz nach einer landschafts- konformen Orientierung suchen müssen, stets eingedenk, daß wir unsere ‘Sehnsucht’ nach Natur aus dem humanen Ursprungsgebiet in Afrika mitgebracht haben [...]“ [SCHERZINGER 1997: 44]. Die kulturge- schichtlich eingeprägten Landschaftsbilder werden unkritisch zu anthropologischen Konstanten erklärt [vgl. SCHAMA 1996], so dass der Landschaftspark und die Landschaften des Heimatschutzes und der Landespflege als deren ‘natürlicher’ Ausdruck erscheinen [vgl. KRAMER 1998]. 28 wird mit Naturschutz und Landespflege im 20. Jahrhundert zur hoheitlichen Aufgabe in der Industriegesellschaft [vgl. BURCKHARDT 1963: 52]. „Der Fürst Pückler-Muskau gönnt, wie er sagt, dem Bürgertum die Macht und das Geld und verwendet das, was er hat, an die Anlage eines Parks, der die Vergan- genheit seiner Familie, aber auch der ganzen Gegend inszeniert und den er als Beitrag zur Utopie einer verschönten Erde ansieht, in die auch die Industrie auf- genommen wird“ [SCHNEIDER 1981: XIX]. Die gestalterische Einbindung der Industrieanlagen und der ästhetische Aus- gleich der Produktionsfolgen ist mithin keine Erfindung der Landespflege im 20. Jahrhundert, die nur ältere Motive aufgreift und fortsetzt, mit dem Unter- schied, dass die ästhetisch gestaltete Landschaft, der Landschaftspark, der ehedem inmitten des nicht gestalteten Landes lag, universell auf das ganze Staatsgebiet ausgeweitet wird. Was mit dem Eingriffs-Ausgleichs-Verfahren 1976 Gesetzeskraft erlangte, ist eine fixe Idee in der Landespflege, die seit der Naturschutzbewegung ab etwa 1900 und der Landschaftsparkbewegung von etwa 1800 an in dem professionellen Geist umgeht. So könnten, ist in Fach- zeitschriften zu lesen, die Landespfleger noch 2005 ‘von Pückler lernen’ [z.B. BECKMANN 2005] – wenn sie den lernten. Die Landespflege ‘empfängt’ ihre Leit- bilder aus dem Bilderreservoir des Landschaftsparks. „Bis auf den heutigen Tag verfährt die Landschaftsgestaltung nach dem Leitbild der englischen Gärten. Wir brauchen nur die Bundesgartenschaukonzeptionen, die Anlagen von Freizeit- und Erholungszentren oder die ‘Biotope’ und ‘Aus- gleichsmaßnahmen’ anzusehen. Analog dazu verfährt die gängige Naturschutz- praxis nach dem Leitbild der bäuerlichen Kulturlandschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es werden mit Vorliebe solche Landschaften unter Naturschutz ge- stellt, die von Resten untergehender agrarischer Produktionsformen geprägt sind“ [LUCKS 1986: 18]. Die flächenhaften Ausgleichsmaßnahmen sind vom Bild her zwar am Land- schaftspark und den landschaftlichen Motiven angelehnt und folgen häufig dem unverstandenen Bild von PÜCKLERs Baum- und Hecken-Kulissen, sehen diese aber als Natur an [MEYER 1993: 194, 199f; BELLIN 1996: 84]. Indem Prospek- te von gestalteten Landschaftsparks und das ästhetische Phänomen Land- schaft aus dem ästhetischen Kontext abstrahiert und als Ergebnis ursprüngli- cher Natur wahrgenommen werden, wird die Ontologisierung der Landschaft, d.h. die Verwechslung zwischen der Anschauungsmetapher Landschaft und den ländlichen Arbeitsgegenständen, sozusagen ‘tiefer gelegt’ und das mo- derne Landschaftsphänomen der ‘Natur an sich’ zugesprochen44. LUCIUS BURCKHARDT betonte, dass man Natur nicht sehen könne, weshalb das Prob- lem für den Naturschutz darin bestehe, wie man Natur sichtbar machen könne, die doch vielmehr eine Frage des Wissens sei45. Im Naturschutz wird nun aber versucht, Natur zu inszenieren, indem eine geschützte Pflanzung oder ein un- ter Schutz stehendes Gebiet mit Hinweisschildern versehen werden, die infor- 44 Die Verdinglichung einer Anschauungsform wird in dem Kapitel: ‘Ontologisierung der Landschaft’ erläutert. Die Naturalisierung der zuvor verdinglichten Landschaft zur ‘Naturlandschaft’, verleugnet sogar noch die letzten Spuren der Geschichte, wie sie beispielsweise noch in der Metapher ‘Kultur- landschaft‘ enthalten waren. 45 Mündlich 1992 während eines Seminar-Spaziergangs über das BUGA-Gelände in Kassel, wo das Naturschutzgebiet durch ein mehrere Meter hohes Gebüsch derart abgepflanzt wurde, dass es nicht einsehbar ist, weshalb die Vorstellung, dass Natur dahinter liege, einer zusätzlichen Information ent- springt, die z.B. auf den Hinweisschildern gegeben wird. Die ‘Natur’ dieses Naturschutzgebietes ist Gegenstand der Imagination, dass hinter den Hecken die eigentliche Natur wäre. 29 mieren, dass es sich hierbei um Natur handle [BELLIN 1996: 76f, 84]. Mit der Na- turinszenierung wird das Konzept ‘Natur’46 mit der Anschauungsmetapher ‘Landschaft’ versinnbildlicht, was zur Verwechslung von Landschaft mit Natur führt [BURCKHARDT 1977: 209]. Die ontologisierte Landschaft, die bislang Land- schaft mit ländlichen Produktionsmitteln identifizierte, wird nun mehr zur Natur an sich bzw. zu einem Naturphänomen, was es nahe legt, die Arbeit der Landwirte als Natur zu betrachten47 [MEHLI 1989: 132]. Die inszenierte ‘Natur’ folgt dem Programm, das dem Spaziergänger über Wege und Schilder vorge- geben und erläutert wird. „Im Landschaftspark sind die Wege eine bewusst eingesetzte Funktion des ästhe- tischen Konsums. Im NSG bleibt nicht nur die vorgeleistete Arbeit der Land- schaftsgärtnerei unerwähnt und unbedacht, der gesamte Gedanke der künstleri- schen Inszenierung bleibt unreflektiert und verleugnet. Im Gegenteil, der Natur- schutz distanziert sich davon, die Vegetation der Flächen in irgendeinen Zusam- menhang mit einer ‘künstlerischen’ Inszenierung zu stellen. Gesehen werden soll (ökologisch heile) ‘Natur an sich’. [...] Während der Landschaftspark eine ‘raffiniert arrangierte Gefühlserregungskunst’ ist (Hard 1985: 292), bedient sich der Naturschutz ähnlich wie schon bei den land- schaftlichen Wegen verleugnend und unverstanden, unreflektiert nur der Mittel, die einen ähnlichen Effekt, eine ähnliche Wirkung haben“ [BELLIN 1996: 95, 99]. Die Naturschutzgebiete und Ausgleichspflanzungen sind Brachen, die „zu ah- nungsvollen halbvertrauten Vegetationsbildern zurechtgeschnitten [werden], die (zudem) befreit sind von allen Spuren des alltäglichen Lebens“ [BELLIN 1996: 99]. Schon nach wenigen Jahren, häufig von Anfang an, sehen die lan- despflegerischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, die ‘unmotiviert’ in der Gegend stehen, wie ‘Buttermilch mit Spucke’ aus48. Sie verlieren die in der Pflanzung intendierte Gestalt, weil sie brach liegen und die Vegetationsaus- stattung nicht stabilisiert wird [HARD 1992: 16]. Sofern dies in der Landespflege erkannt wird, dient die Feststellung zur Forderung, die Pflegemaßnahmen aus- zuweiten, und zur Erschließung weiterer Einkunftsmöglichkeiten; wie ein ‘mo- derner Fürst Pückler’ vorschlägt: „Das ästhetische Leitbild provoziert somit dauernde Maßnahmen der Kontrolle der Naturbeherrschung, die über das Maß der üblichen Forstwirtschaft hinausgehen und im begründeten Einzelfall als Maßnahme des Naturschutzes bzw. der Land- schafts(bild)pflege einzuordnen sind“ [BECKMANN 2005: 42]. Dabei bleibt der Entwurf landschaftsästhetisch ‘aufgepeppter’ Ausgleichsmaß- nahmen schematisch und ist in den Gestaltungselementen, die gerade ökolo- gisch-sentimental up to date sind, beliebig. Sie sind schlechte Kopien unver- standener Bilder und gleichen wie die Naturschutzgebiete verunglückten Versatzstücken aus dem gestalterischen Arsenal des Landschaftsparks. Schon zu Beginn der Landschaftsparkbewegung in den deutschen Fürstentü- mern machte sich JOHANN WOLFGANG VON GOETHE über die geschmacklosen Adaptionen und sentimentalen Klischees lustig, mit denen die edlen Damen 46 Das heißt ein gedankliches Konstrukt bzw. eine Idee. 47 In der Rede von ‘Land und Leuten’ werden diese der Natur subsumiert; siehe dazu das Kapitel: ‘Ideologisierung der Landschaft’. 48 Prägnant formuliert von HÜLBUSCH im Herbst 2005, um den Zustand zu charakterisieren, den die Ausgleichsmaßnahmen nach kurzer Zeit einnehmen, die von ‘Pücklers Erben’ [z.B. BECKMANN 2005] eingebrockt wurden. 30 und Herren ihre Besitztümer zu ‘verhübschen’ suchten. Es sollte in den emp- findsamen Anlagen49 alles so schön natürlich und wild erscheinen: 49 Wie z.B. die Landschaftsparks ‘Wörlitz’, ‘Seifersdorfer Tal’ oder ‘Weimar’ zeigen [BUTTLAR 1989: 141- 164]. „Sonst dankt man Gott, wenn man die Steine Vom Acker hat: Aber hier! sechs Meilen herum sind keine Zu finden mehr, und wir haben es noch nicht satt, Damit verschütten wir den Boden, Wo das weichste Gras, Die liebsten Blümchen blühen, und warum das? Alles um des Mannigfaltigen willen. Ein frischer Wald, eine feine Wiese, Das ist uns alles alt und klein; Es müssen in unserm Paradiese Dorn und Disteln sein. [...] Denn, Notabene! in einem Park Muß alles Ideal sein, Und, Salva Venia, jeden Quark Wickeln wir in eine schöne Schal’ ein. So verstecken wir zum Exempel Einen Schweinestall hinter einem Tempel; [...] Die Sach ist, wenn ein Fremder drin spaziert Daß alles wohl sich präsentiert; Wenn’s dem denn hyperbolisch dünkt Posaunt er’s hyperbolisch weiter aus. Freilich der Herr vom Haus Weiß meist, wo es stinkt. [...] Was ich sagen wollte! Zum vollkommenen Park Wird uns wenig mehr abgehn. Wir haben Tiefen und Höhn, Eine Musterkarte von allem Gesträuche, Krumme Gänge, Wasserfälle, Teiche, Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte, Eine Menge Reseda und anderes Gedüfte, Weimutsfichten, babylonische Weiden, Ruinen, Einsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen, [...] Gräber, ob wir gleich niemand begraben, Man muß es alles zum Ganzen haben“ [GOETHE 1778: IV. Akt]. 31 Im empfindsamen Landschaftspark wurde primär weder eine Geschichte ges- taltet, noch ein ikonographisches Programm mittels bedeutsamer Prospekte angelegt, sondern ein Stimmungsraum geschaffen, zu dessen Genuss die Szenen mit Tafeln versehen wurden, die angeben, was und wie zu empfinden sei [BUTTLAR 1989: 141-152; LORBERG 2006b: 123]. Auch in naturschützerischen Anlagen erschließt sich das Bild nicht über das Motiv, sondern bedarf der Er- läuterung mit Begleittext und Hinweisschildern, die das, was als Natur ausge- geben wird, inszenieren [BELLIN 1996: 76f, 81f]. Die Gestaltung von Naturschutz- gebieten und Ausgleichsflächen folgt sentimentalen Klischees, die in der na- turschützerischen Erbauungsliteratur von LÖNS bis FALTER entworfen worden sind50 – vollgestopft mit empfindsamen ‘Naturschilderungen’, die einen Stim- mungsraum entwerfen, der mit ‘Natur’ konnotiert wird [LORBERG 1996: 30 - 61]. Solcherlei Stimmungsbilder werden durch die Trivialliteratur verbreitet [BURCKHARDT 1972: 207], in der weihevolle Naturbilder und entsprechend sakra- le Gefühle evoziert werden. Das Interesse am Erhalt der ‘heiligen Naturbilder’ wird in seinem Fetischismus verkannt, erscheint religiös sanktioniert und als Gegenbewegung zur profanen ‘Naturzerstörung’. Die Ausgleichsideologie, die ‘Naturzerstörung’ mit ‘Naturschutz’ verbindet, ist ein kulturgeschichtliches Phänomen der modernen Gesellschaft, in welcher „die Ästhetisierung des Fortschritts [...] eine Bedingung seiner kulturellen Ver- arbeitbarkeit“ sei [LÜBBE 1988: 159]. Die moderne Gesellschaft ist durch ökono- mische und kognitive Entfremdungserfahrungen charakterisiert und basiert auf der naturwissenschaftlich-technischen Beherrschung der objektivierten Natur. Die objektivierte, als funktional und berechenbar aufgefasste Welt würde vom modernen Subjekt her als sinnloses Geschehen erfahren, aus dem ein Sinn- verlust resultiert, der innerhalb dieses Weltbildes durch die kontemplative äs- thetische Erfahrung kompensiert werden könne51 [RITTER 1963: 153]. Die Ästhe- tik erhält somit in der Neuzeit eine besondere Bedeutung und übernimmt Auf- gaben, die ehedem der Religion zugehörig waren, wodurch die in die Sphäre des Schönen verlegte Naturanschauung zum weltlichen Gottesdienst werden könne52 [HARD 1991: 15f]. Die Phänomene erscheinen in der ‘ästhetischen Ein- 50 Wie WALTER SCHÖNICHEN, berufen sich viele Naturschützer auf HERMANN LÖNS und seine Heidebil- der als Ursprung des Naturschutzes: „In dem literarischen Sektor wirkte in ähnlichem Sinne Hermann Löns, der Dichter der Heide. Namentlich durch seine Lyrik und durch seine trefflich empfundenen Na- turschilderungen hat er es verstanden, für die bis dahin noch nicht gewürdigte Schönheit der Lünebur- ger Heide mit ihren Wacholderhainen, ihren Hünengräbern, ihren Mooren in weitesten Kreisen eine wahre Begeisterung zu erwecken. Er muß auch unmittelbar zu den Vorkämpfern des Naturschutzge- dankens gerechnet werden: hat er doch namentlich gegen die damals noch in voller Brutalität auftre- tende Landschaftsverschandelung manch kräftiges Wörtlein gefunden“ [SCHÖNICHEN 1950: 33f]. Diese Einschätzung aus naturschützerischer Sicht ist insofern aufschlussreich, als LÖNS die Industrialisierung befürwortet, weil sie die deutsche Volkswirtschaft stärke, und daher zum Ausgleich ‘Naturreservate’ fordert, also die landespflegerische Ausgleichsideologie vertritt [LORBERG 1996: 32, 40]. 51 Siehe zum Zusammenhang zwischen Entfremdungserfahrungen und ästhetischer Kompensation des Sinnverlustes die Kapitel: ‘Konstituierung der Landschaft’ und ‘Ökonomische Interessen und Äs- thetisierung’. 52 Die im ästhetischen Genuss latent enthaltene Religiösität kann auch offen zutage treten wie bei HERMAN LÖNS [LORBERG 1996: 33-43, 64f] und seinen ideologischen Nachfahren, z.B. REINHARD FALTER, der für das Religiöse in der Landschaft eintritt – nötigenfalls als ‘Anwalt der Natur’ (vgl. ‘Die Ordnung der Landschaft’): „Die grundlegende Frage ist, wie aus dem modernen Bewußtsein heraus, die Fähig- keit zu autoritativer Setzung neu entstehen kann. Es geht darum, daß diese Gesellschaft sich Instituti- onen schafft, in denen das Verdrängte wieder zur Geltung kommen kann“ [FALTER 1999: 82]. Diese Insti- 32 stellung’, mit der die Welt distanziert betrachtet wird, jenseits von Interessen, praktischen bzw. moralischen Handlungszusammenhängen und Gebrauch, obgleich das ästhetische Geschmacksurteil den Anschein von Allgemeingültig- keit trägt [KANT 1790: 124, 134, 155, 160]. „Geschmack ist das Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vor- stellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Mißfallen, ohne alles Interesse. Der Ge- genstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön“ [KANT 1990: 124]. So scheint die (metaphysische) ‘Ordnung der Landschaft’ außerhalb von Politik und ökonomischen Interessen zu stehen53. Dabei korreliert die ästhetische Einstellung mit einer bestimmten ökonomischen Position, die mit der Entfaltung der bürgerlichen Welt, die wiederum aus der kapitalistischen Ökonomie her- vorging, geschichtlich entstanden ist. Die ästhetische Einstellung „setzt [...] je- ne Distanz zur Welt voraus [...], die das Fundament der bürgerlichen Welt- Erfahrung ausmacht“ [BOURDIEU 1979: 101f]. „Die ästhetische Einstellung bildet somit eine Dimension eines objektiven, Sicher- heit und Abstand voraussetzenden, distanzierten und selbstsicheren Verhaltens zur Welt; bildet eine Manifestation jenes Systems von Einstellungen, dessen Exis- tenz sich gesellschaftlichen Bedingtheiten in Verbindung mit einer ganz besonde- ren Klasse von Daseinsbedingungen verdankt, nämlich Bedingtheiten, die zu ei- nem bestimmten historischen Augenblick die paradoxe Form einer denkbar um- fassendsten Freiheit gegenüber den Zwängen des ökonomischen Notwendigen annehmen“ [BOURDIEU 1979: 104]. Die feinsinnig angeschaute Welt entspricht einer Haltung, die man im Museum einnimmt, in dem die Objekte nicht ergriffen und in Gebrauch genommen wer- den dürfen, so dass umgekehrt jene Welt in Teilen musealisiert wird, wenn man sie wie im Museum betrachtet. Diese distanzierte Wahrnehmung, die ei- nerseits wissenschaftlich objektiviert und andererseits ästhetisch betrachtet, nehmen auch Naturschützer ein. „Nationalparks werden eingerichtet, Naturdenkmäler in Schutz genommen und Reste vorkultivierter Natur unter Aufsicht von Bio-Kustoden gestellt. Man solle sich nicht täuschen lassen: unsere gegenwärtigen Naturschutzanstrengungen sind ü- berwiegend Vorgänge der Musealisierung“ [LÜBBE 1988: 149]. Auf dieser ästhetisch-distanzierten Einstellung (dem ‘Welt-Bild’) basieren auch die landespflegerischen Leitbilder, die auf der politisch ideologischen Ebene den symbolischen Ausgleich zwischen den Interessensgegensätzen mittels Konsensbildung organisieren oder treffender: suggerieren. Der Naturschutz wäre demnach ein Phänomen der Moderne ebenso wie die Landespflege, die eine ästhetisch-funktionale Ausgleichsplanung betreibt. Beide sind auf ‘Land- schaft’ bezogen. tutionen hätten auf das maßgebende Verdrängte, das in der Landschaft wiederkehre, zu achten [z.B. FALTER 1999: 73f; vgl. LORBERG 1999: 104]. 53 Die Ordnungsvorstellung in der Landespflege wird in dem Kapitel: ‘Die Ordnung der Landschaft’ erläutert. 33 „Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur [haben] einen gemeinsamen Gegenstand [...]: das kulturell bestimmte Verhältnis zu konkret räumlich vorliegen- der Natur“ [KÖRNER 1997:46]. Das ‘kulturell bestimmte Verhältnis zur konkret räumlich vorliegenden Natur’54 ist eine nette Umschreibung für ‘Landschaft’55, die seit dem 19. Jahrhundert als kulturgeschichtlich entstandene Anschauungsform der konkret räumlich vorlie- genden Natur fungiert [EISEL 1981: 130]. Gegenstand der „Landespflege, um den derzeit wohl noch verbreitetsten Oberbegriff für das Fach zu verwenden“ [KÖRNER 1997: 45], ist also die ‘Landschaft’, die es in der Planung rational zu operationalisieren gelte. Die neuen ‘Anwälte der Landschaft’ argumentieren rational56: „Man muß darlegen, daß es in demokratischen Gesellschaften die Aufgabe der Planung ist, politische Entscheidungen argumentativ vorzubereiten und auch zu beeinflussen und dass deshalb die Argumente intersubjektiv nachvollziehbar sein müssen. Nur dann können sie allgemeine Geltung erlangen“ [KÖRNER 1997: 48]. Die ‘Rationalisierung’ bleibt dennoch auf den Gegenstand bezogen, dessen Bestimmung aus der Anschauungsform Landschaft resultiert, weshalb es nicht verwundert, dass im nächsten Akt der Landschaftsgestalter die Bühne wieder durch die ‘argumentative Hintertür’ betritt und zwar mit der modernen Regie- anweisung, die Verdinglichung durch Ästhetisierung zu kompensieren. „Konkurrenzfähig wird das Ideal des rationalen Diskurses aber erst dann, wenn es auch den Aspekt der Selbsterfahrung als Betroffenheit und spielerische Beteili- gung an einem freien Prozeß gewährleistet, wo man trotz des Zwangs zur Verob- jektivierung seinen Idealen folgen kann“ [KÖRNER 1997: 51]. Hier ist mit ‘man’ der Landespfleger gemeint, um dessen Ideale es gehe. Der wissenschaftlich bemäntelte Entwerfer jongliert nach der Rationalisierung der Landschaft mit Biotoppunkten und quantifizierten Anmutungsqualitäten, die nunmehr dem Gegenstand selbst zugesprochen werden können und mittels derer die Kritik der Planungsbetroffenen als ‘pauschale Zivilisationskritik’ [KÖRNER 1997: 46] abgetan werden kann. Mit dem Anspruch auf ‘Rationalität’ wird hier unterschwellig die apriorische Richtigkeit einer Aussage behauptet, die der demokratischen Legitimation nicht bedürfe, weil sie aus reiner Vernunft 54 „Natur ist nur ein Raum von (vermutlich prinzipiell unendlichen) Möglichkeiten – der des Ding an sich – der auf den Stand der Möglichkeiten einer apriorischen Vernunft wartet, die sich gesellschaftliche Synthesis nennt“ [EISEL 1991: 185, vgl. 167, 168f]. Im ideographischen Weltbild, das um 1800 entwickelt wurde, ist Landschaft die Stätte „eines konkreten, nach der Einsicht in das Maß der jeweiligen (ökolo- gischen) Natur aufgebauten, Mensch-Natur-Verhältnisses, das gerade in dieser einmaligen Ausprä- gung seinen idealen Zustand erreicht hat. [...] Die Landschaftsforschung hat es nun genau mit dieser ‘konkreten Natur’, die das Zentrum des aufgeklärten/konservativen Denkens ist, zu tun [...]“ [EISEL 1981: 130]. 55 Zwar könnte mit der Formel auch anderes umschrieben werden z.B. aus der Perspektive einer bäu- erlichen Kultur die ‘naturbürtigen Produktivkräfte’ [vgl. WITTFOGEL 1932], aber da KÖRNER vom Gegens- tand der Landespflege spricht, bewegt er sich in einer begrifflichen Tradition, die Natur primär als Landschaft auffasst. PIEPMEIER betont, „dass in einer besonderen individuellen und gesellschaftlich vermittelten Synthesis die Mannigfaltigkeit der Naturanschauungen ästhetisch zur Einheit der Land- schaft wird“ [PIEPMEIER 1980a: 17]. Siehe dazu das Kapitel: ‘Genese des modernen Landschaftsbegriffs’. 56 Vgl. die Aufsatzsammlung WIEGLEB ET AL. [1999]; siehe dazu Kapitel: ‘Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’’. 34 einsehbar wäre57. Aufgabe der Landespflege sei, auf rationalem und ästheti- schem Wege zu überzeugen. „Hier läßt sich ein kreatives Potential nachweisen, das dem künstlerisch- gestalterischen Ansatz der Landschaftsarchitektur entgegengehalten werden kann und die Akzeptanz von Landschaftsplanung nicht nur bei Studenten verbessern könnte“ [KÖRNER 1997: 53]. Was auf den ersten Blick nach einer methodologischen Überlegung zur Lan- despflege aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine Konstante in der Landespflege. Sie setzt enteignende Verfahren mittels ‘rationalem Dis- kurs’ bruchlos fort und ist um Reputation für das Fach bemüht – im Triumph der Empfindsamkeit. Die Entdeckung der Landschaft Die landespflegerische Leitbildnerei basiert auf der Metapher Landschaft, die wiederum das Paradigma der Landespflege bildet. „Landschaft – das ist ein Begriff, der allen Scharlatanen, vom Naturschützer über den Landschaftsgestalter bis zum Ökologen, erlaubt, alles und nichts zu verkau- fen“ [HÜLBUSCH 2005: 54]. ‘Landschaft’ gehört zu jenen ‘realitätsarmen’ vagen Formeln, die „resistent ge- gen die Wahrnehmung von Realität“ machen und daher „sehr ideologieanfällig“ sind [PIEPMEIER 1980b: 33]. Ideologische Phrasen, die als realitätsadäquate Be- schreibungen aufgefasst werden, können durch das entsprechende Handeln der Menschen wirksam und realitätsprägend werden. „Die Semantik von Wörtern und Begriffen und das Bewußtsein, das sich darin ausprägt, sind Teil der Realität, die zunächst einmal erkannt werden muß“ [PIEPMEIER 1980b: 33]. Sie kann auch, so meine These zur Landespflege, eine Profession wissen- schaftsgeschichtlich begründen und formen. Der für die Landespflege para- digmatische Landschaftsbegriff wiederum prädestiniert ihre professionelle Pra- xis für die Leitbildnerei. Genese des modernen Landschaftsbegriffs Das Wort ‘Landschaft’ ist seit dem 9. Jahrhundert gebräuchlich, vermutlich vor dem 8. Jahrhundert entstanden [KLUGE 1995: 501], bedeutete damals aber et- was völlig anderes als im 20. Jahrhundert. „Landschaft f. (< 8. Jh.). Mhd. lantschaft, ahd. lantscaf(t), as. landskepi. Schon früh Anwendung auf Bilder und auf politische Vertreter eines Territoriums“ [KLUGE 1995: 501]. Im ‘Deutschen Wörterbuch’ der Brüder GRIMM aus dem Jahr 1866 werden un- ter dem Wort ‘Landschaft’ sieben Bedeutungen angegeben [GRIMM/GRIMM 1866: 131ff], von denen keine dem gegenwärtigen Sprachgebrauch gänzlich entspricht: 57 Die Forderung nach formaler Rationalität kann im Diskurs der Landespfleger implizit an die Rede von der ‘natürlichen Ordnung der Landschaft’ anknüpfen, wie sie von der herkömmlichen Landespflege vertreten wird; siehe dazu Kapitel: ‘Die Ordnung der Landschaft’. 35 name eines provinziellen creditinstitut vertreter eines territoriums die bewohner eines solchen in weiterem sinne, gleich land ein sozial zusammengehöriges ganzes die künstlerische bildliche darstellung landcomplex in bezug auf lage und natürliche beschaffenheit Dem aktuellen Sprachgebrauch in der Landespflege scheint zwar die letzte Begriffsbestimmung nahe zu kommen, allerdings entstammen die von JAKOB und WILHELM GRIMM angeführten Beispiele allesamt dem Zusammenhang äs- thetischer Wahrnehmung mit Bezug auf die Landschaftsmalerei. Die Kriterien ‘Lage und natürliche Beschaffenheit’ fallen hier nur unter dem ästhetischen Gesichtspunkt als ansprechende räumliche Komposition in den Blick. Mitte des 19. Jahrhunderts war die ‘Landschaft’, wie sie die Landespflege heute begreift, offensichtlich (noch) unbekannt. „Dieser geschichtlich erwachsene Landschaft-Begriff deckt sich weder mit dem der physikalischen Geographie (Schulze 1955) oder der geographischen Landes- kunde (Schöller 1970) [...] noch auch mit der Verwendung des Terminus ‘Land- schaft’ durch andere raumbezogene Kulturwissenschaften“ [PETRI 1980: 12]. Bis zur Neuzeit wurde unter ‘Landschaft’ eine politisch-soziale Einheit verstan- den. Wortgeschichtlich ist das Wort ‘Landschaft’ (ahd. ‘lantscap’, andd. ‘lands- cepi’) ein aus dem Wortbestandteil ‘land’ mit der Endung ‘-schaft’ (-skapja) ge- bildetes Abstraktum [PETRI 1980: 11]. Zunächst war Landschaft im Zusammen- hang mit Raumnamen im Sinne des lateinischen ‘regio’ und im Unterschied zum ‘Land’, das im politisch-rechtlichen Zusammenhang verwendet wurde, ge- bräuchlich; wurde aber im Laufe der Zeit als sozial-ökonomischer Raum aufge- fasst [PETRI 1980: 11; PIEPMEIER 1980b: 10; vgl. GRIMM/GRIMM 1866: 132]. Die Landschaft-Namen waren in der Regel auf mehrere Siedlungseinheiten bezo- gen, die in Markt- und Verwandtschaftsbeziehungen standen und einer Mund- artengruppe zugehörten [PETRI 1980: 11]. Noch in der Frankenzeit (5. bis 9. Jhd.) vereinigte der Landschaftsbegriff die politisch-rechtliche Einheit ‘Land’ und die sozialräumliche ‘Landschaft’ [PETRI 1980: 12]. „Indem nämlich der fränkische Staat bei der politisch-administrativen Durchorga- nisierung des Reiches die Landschaft-Namen in großem Ausmaß als Bezeich- nung für seine juridiktionelle, administrative, fiskalische oder grundherrliche Raumgliederung aufgriff, wurden auch sie in einem weiteren Sinne zu politischen Namen“ [PETRI 1980: 12]. Vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit wird unter ‘Landschaft’ eine politische Körperschaft der Landleute bzw. Landherren begriffen, wie in den Ausdrücken: ‘gemeine’ oder ‘sämtliche Landschaft’ deutlich wird [PETRI 1980: 12; GRIMM/GRIMM 1866: 132; BLICKLE 1999: 23, 30]. „Generell bedeuten diese Ausdrücke die Gesamtheit der Landstände, in denen der politische Wille des Landes gegenüber dem Fürsten verkörpert war“ [PETRI 1980: 12]. Der politische Landschaftsbegriff, der noch in den nordrhein-westfälischen ‘Landschaftsverbänden’ nachklingt, geriet erst im 19. Jahrhundert ins sprachli- che Abseits [PETRI 1980: 12] und wurde von dem ästhetischen Landschaftsbeg- 36 riff [PIEPMEIER 1980: 15f] und um 1900 schließlich vom geographischen Land- schaftsbegriff verdrängt [WINKLER 1980: 13f]. Seit 1800 wird in der Geographie von ‘Landschaft’ gesprochen, wobei der Beg- riff zuerst als Anschauungsform fungierte, die einen einheitlichen Eindruck vermittelt, beispielsweise von einem erhöhten Ausblickspunkt aus [WINKLER 1980: 13] – vergleichbar dem ‘Feldherrenblick’. In der Mitte des 19. Jahrhun- derts wird die Anschauungsform Landschaft, mit der ein räumliches Phänomen qualifiziert wird, dem Gegenstand selber zugeschrieben, womit ein Attribut des räumlichen Gegenstandes mit diesem gleichgesetzt, bzw. in der Terminologie der Logik formuliert, das Prädikat (landschaftlich) zum Subjekt (Landschaft) wird. „Als wesentlicher Umschlagplatz fungierten u.a. die romantische Literatur, vor al- lem ihre Kunst- und Naturphilosophie, sowie das ‘naturreligiöse’ Schrifttum um 1900. Die geographische Landschaftskunde des 20. Jahrhunderts und ihre Me- thodologie können in wesentlichen Stücken interpretiert werden als ein Versuch, den ins Landschaftlich-Ästhetische umgedeuteten Kosmosmotiven – über den verbliebenen ästhetisch-kontemplativen Sinn hinaus – wieder eine ‘rationale’ (wis- senschaftliche) Bedeutung zu geben“ [HARD 1970b: 21]. Nach 1900 wird die Landschaft zum spezifischen Gegenstand der Geographie erklärt, die „die Lehre von der Landschaft, vom Wesen und den Wirkungen der Landschaften der Erde“ sei58 [WINKLER 1980: 13]. Der moderne Landschaftsbeg- riff ist aber nicht direkt aus dem politisch-rechtlichen Landschaftsbegriff heraus entwickelt worden, sondern aus dem ästhetischen Landschaftsbegriff hervor- gegangen, der von der Landesverschönerung, Naturschutzbewegung und Geographie aufgegriffen worden ist [HARD 1970b: 21]. Der Ursprung der modernen ‘Landschaft’ liegt in der Malerei. Schon am Beginn der Neuzeit wurde der ästhetische Landschaftsbegriff in der Malerei geprägt und Ende des 18. Jahrhunderts zur Anschauungsform, mit der – losgelöst von ökonomischen Interessen – die ländlichen Gegenstände als Landschaft wahr- genommen werden konnten. Der moderne Landschaftsbegriff ist aus der se- mantischen Transformation von ‘Landschaft’ in der Malerei hervorgegangen. „Für den deutschen, italienischen, niederländischen, französischen und engli- schen Sprachgebrauch gilt, dass ‘Landschaft’ zunächst ein ‘Fachausdruck der bil- denden Künste ist, welcher der malerischen Darstellung eines Naturausschnitts gilt’ (Gruenter 1975: 196)“ [PIEPMEIER 1980b: 10]. Die Perspektive als Sehgewohnheit ist in der Renaissance etabliert worden: Die perspektivische Malerei stellt einen mathematisch konstruierbaren Raumeindruck her, der auf den Betrachter zentriert ist. Das Individuum ist in der perspektivischen Wahrnehmung das Zentrum, von dem her die Welt be- trachtet wird. Mit der Zentralperspektive in der Malerei entsteht die Land- schaftsmalerei, in der die Landschaft, zunächst als Hintergrund fungierend, später zum Sujet wird. Das Panorama ist eine Sehgewohnheit aus dem 19. Jahrhundert [BENJAMIN 1936b; STERNBERGER 1938]. Das statische Bild der per- spektivischen Malerei wird im Panorama insofern begehbar, als dass der Bet- rachter viele Standpunkte einnehmen kann, von denen er den ‘panoramati- schen Raum’ erfährt. Im Kinofilm übernimmt die Kameraführung die Bewegung 58 WINKLER führt die Einschätzung der Geographen HASSLINGER (1919) und MAULL (1925) zum wis- senschaftlich etablierten Gegenstand der Geographie an [WINKLER 1980: 13]. 37 für den stillsitzenden Zuschauer [BENJAMIN 1936a: 162, 164]. Der panoramati- sche Raum ist konstitutiv für die Landschaftswahrnehmung, wie sie zuerst in den Landschaftsparks eingeübt werden konnte. Als begehbare Landschafts- malerei transformiert der Landschaftspark die perspektivische Wahrnehmung des Betrachters vor einem Landschaftsgemälde in die panoramatische Wahr- nehmung des beweglichen Betrachters innerhalb von dreidimensionalen Land- schaftsgemälden. Beginnen wir mit der Landschaftsmalerei. Landschaftsmalerei Die mittelalterliche Kunst kannte die Landschaft nicht. Literarische Naturschil- derungen – heute zumeist als ‘Landschaft’ ausgelegt – folgten dem literari- schen Kanon, einem Topos, der in der antiken Dichtung geprägt wurde [CURTIUS 1942: 70], und hatten wenig mit Naturbeobachtung zu tun [CURTIUS 1942: 81]: „Die Landschaftsschilderungen der mittelalterlichen Dichtung wollen aus einer fes- ten literarischen Tradition verstanden werden, die bis zu Homer zurückführt. [...] Hain – Quell – Au: das sind die typischen Grundelemente der ‘homerischen Land- schaft’“ [CURTIUS 1942: 73f]. HOMER und VERGIL prägten die wirkmächtigen Vorlagen, die in den folgenden 1.500 Jahren kopiert wurden. Den klassischen Topos bildete der ‘locus amoe- nus’, „ein ideal schöner Naturausschnitt, mit Schatten versehen (wichtig für den Südländer), geeignet zum Sitz paradiesischer Freuden oder zur Liebe“ [CURTIUS 1942: 77]. „Der locus amoenus ist, so sahen wir, ein schöner beschatteter Naturausschnitt. Sein Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen) und einer Wiese. Als drittes Element pflegt fast immer ein Bach oder Quell dabei zu sein. Dazu treten häufig viertens Vogelgesang und fünftens Blumen [...] [zu de- nen] als sechster ein sanfter Lufthauch (aura) tritt“ [CURTIUS 1942: 82, 84]. Diese lieblichen Orte, die um Garten, ewiger Frühling, Paradies und Eklogen- motiv bereichert werden können [CURTIUS 1942: 103], beschreiben kleinräumige Szenerien, die zwar auch in der Malerei aufgegriffen wurden (wie auch später im Landschaftspark), aber von der Komposition her nicht mit den Landschafts- gemälden gleichgesetzt werden dürfen59. Entstanden ist der moderne Land- schaftsbegriff erst mit dem Tafelbild der Renaissance und vor allem des Ba- rock, das das ‘Bild der Landschaft’ ermöglichte [FRIEDLÄNDER 1947: 19; GRUENTER 1953: 200f]. „Es ist ein europäischer Vorgang, wenn sich im 16. und 17. Jahrhundert Land- schaft als terminus technicus der Malerei im allgemeinen Sprachgebrauch fest- setzt“ [GRUENTER 1953: 198]. Mit der Lösung des ästhetischen Sujets Landschaft vom Bildhintergrund, den die bildhafte Landschaft seit der perspektivischen Malerei der Renaissance ausfüllte und vor dem das eigentliche Motiv (religiöse oder mythologische Le- gende, historische Ereignisse oder profane Personen) hervortritt, zur bildfähi- gen Figur, wurde das Landschaftsgemälde im strikten Sinne erfunden. Zeit- 59 GRUENTER beschreibt eine frühe Nennung der ‘landschafft’ im Zusammenhang mit einem Malauf- trag: „Landschaft als Bezeichnung für den ‘schönen’ Naturraum taucht zuerst als terminus technicus der spätmittelalterlichen Malerei auf; landschafft bedeutet hier die malerische Darstellung eines Natur- ausschnitts“ [GRUENTER 1953: 193]. 38 gleich ist die formale Möglichkeit der Porträt- und Landschaftsmalerei entwi- ckelt worden [PIEPMEIER 1980a: 17; 1980b: 15]. In der Kunst der Renaissance koinzidieren das kulturhistorische Erscheinen des Individuums und der ästheti- schen Landschaft [SIMMEL 1913; BURCKHARDT, J. 1852]. „Landschaft und Porträt sind aufeinander bezogen und Ereignisse desselben Ent- wicklungszusammenhangs. Die Leistung des Individuums für die Konstitution von Landschaft führt zur Konstitution des Individuums. [...] Die Entwicklung des per- spektivischen Sehens ist ein allgemeiner Vorgang, der das Verhalten des Men- schen zum Raum grundsätzlich neu gestaltet, so dass man vom Entstehen eines ‘perspektivischen Weltbildes’ sprechen kann (Gebser 1966: 22)“ [PIEPMEIER 1980b: 15]. Weitet sich der perspektivische Bildraum einerseits in die illusionäre Tiefe zum Bildhorizont, zentriert er andererseits das Bild auf den idealen Standpunkt vor der Bildfläche, von dem aus der Bildraum entfaltet wird und der vom Rezipien- ten eingenommen werden muss, um der perspektivischen Illusion teilhaftig zu werden [vgl. PANOFSKY 1927]. Zwar ist demnach schon in der Renaissance mit der Konzeption des perspektivischen Bildraums die Landschaftsmalerei formal möglich [PIEPMEIER 1980b: 15f], dennoch wird sie erst im Barock zur ausdiffe- renzierten, eigenständigen Bildgattung60 [SCHNEIDER 1981: VII] und als solche in zeitgenössischen Traktaten zur bildenden Kunst benannt [LORBERG 1996: 8f]. „Die Landschaft ist eine Gattung der Malerey, welche Felder, und alle darauf vor- kommende Gegenstände vorstellt“ [ROGER DE PLIES 1708 zitiert in BÄTSCHMANN 1989: 245]. Formalästhetisch steht die Landschaftsmalerei vor dem kompositorischen Di- lemma, dass ihr Sujet ‘Landschaft’ zugleich als Figur und Grund auftritt. Erst die Holländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts löste dieses Prob- lem mithilfe des gemalten weiten Himmelsraumes hinreichend, der abgesetzt als Hintergrund fungiert, um die Figur Landschaft hervortreten zu lassen [BÄTSCHMANN 1989: 43f]. Die ‘flachen’ Landschaften der Maler VAN GOYEN, GOLTZEN, VAN DER VELDE sind für diese erste Phase typisch. Später löst die Holländische Malerei das Figur-Grund-Problem über eine raffiniert komponierte Binnenstruktur, in der die landschaftliche Szenerie über bedeutsame Versatz- stücke aufgebaut wird, wie der zum Himmel weisende Kirchturm, der die Hori- zontale durchbricht, und die Windmühle als Symbol der Kreuzes. Diese allego- rischen Landschaften fungieren zugleich als Grund und Figur, indem die Versatzstücke gegeneinander kontrastieren. Eindrucksvolle Beispiele dieser Art liegen mit Gemälden von REMBRANDT bzw. seinen Schülern vor, aber auch bei den Französischen Landschaftsmalern LORRAINE, POUSSIN und WATTEAU finden sich gute Beispiele für die Lösung des Grund-Figur-Problems in der Landschaftsmalerei. So liegt eine weitere Möglichkeit, das Figur-Grund- Problem befriedigend zu beantworten, in der Einfügung von bedeutungslosen, anonymen Staffagefiguren, die – die herkömmliche Kompositionsregel umkeh- 60 Bedeutend rascher als die Entwicklung der Landschaftsmalerei schritt die Ausarbeitung der Porträt- malerei voran. Dies dürfte zum einen an dem damals entstehenden bürgerlichen Kunstmarkt liegen, dass wohlhabende Bürger an Maler Aufträge vergaben, ihr idealisiertes Antlitz zu verewigen. Die Landschaft an der Wand wird für die Bürger, die anders als der Adel weder Grundherren waren noch Jagden veranstalteten, wenig Prestige ausgedrückt haben. Zum Anderen konnten die Maler zur Ges- taltung der bildinternen Struktur von Figur und Grund beim Porträt auf hergebrachte Kompositionsre- geln zurückgreifen, während für die originäre Landschaftsmalerei diese Regeln entsprechend abgeän- dert werden mussten [vgl. BÄTSCHMANN 1989: 43]. 39 rend – der Figur ‘Landschaft’ als Grund dienen [BÄTSCHMANN 1989: 8, 137f]. Sie eröffnen dem Betrachter zugleich die Möglichkeit, sich identifizierend ins Bild zu versetzen, das zum Imaginationsraum für seine persönliche Erzählung wird61 [BÄRSCHMANN 1989: 56]. So spricht das Motiv ‘et in arcadia ego’ den Re- zipienten jenseits des originären Bildsinnes an [PANOFSKY 1936: 351f, 367f], wo- mit das Gemälde zum Anlass einer Tagträumerei werden kann62 [GUARDINI 1946: 10, 16]. Nicht Wiesen, Felder und Wälder wurden in der frühen Neuzeit (Renaissance, Barock) zuerst als ‘Landschaft’ gesehen, die dann ins Bild ü- bersetzt worden wäre, sondern umgekehrt diente das Landschaftsgemälde als ästhetische Vorlage, die agrarischen Produktionsmittel (und ‘Natur’) als maleri- sche Landschaft wahrzunehmen. „Auch wer bisher Landschaften (worunter ich alle Ansichten und Prospekte ver- stehen möchte) überhaupt nicht kennt, kann leicht einsehen, welche höheren Freuden derjenige haben muß, dessen Auge durch das Vergleichen von Land- schaften mit der Natur geübt ist; in der Betrachtung der Natur selbst, in seinen Morgen- und Abendspaziergängen, im Vergleich zu jemandem, der in der Malerei gänzlich unkundig ist“ [GEORGE TURNBALL 1740 zitiert in BÄTSCHMANN 1989: 251]. In der Zeit des Barock, bis zur Romantik, während die Kompositionstechniken vervollkommnet werden, ist kein Landschaftsgemälde bloßes Abbild des realen Landes, sondern bewusste und artifizielle Komposition, selbst dann, wenn in ihm ‘reale’ Ansichten berücksichtigt sind [BÄTSCHMANN 1989: 35]. Für die stilge- rechte Produktion von Landschaften gab es sogenannte Musterbücher, die an- erkannte Landschaftsgemälde in einzelne Elemente zerlegten, um aus diesen neue Kompositionen schaffen zu können [BÄTSCHMANN 1989: 29, 34]. Die ländli- che Vorlage, die unter anderem aus den (agrarischen) Produktionsmitteln, der Vegetationsausstattung und der Morphologie besteht, wird zu einem Bild kom- poniert und idealisiert dargestellt. Die Maler der Frühromantik ARNOLD RUNGE und CASPAR DAVID FRIEDRICH erheben den Anspruch, keine äußere Natur zu kopieren, sondern innere Landschaften zu malen [PIEPMEIER 1980b: 18, 21], wie es FRIEDRICH in einer Malanweisung ausdrückt: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen“ [FRIEDRICH 1830: 94]. Entsprechend zeichnet den Landschaftsmaler aus, dass er über die bildfähigen Versatzstücke dermaßen souverän verfügt, dass er sie seiner Bildidee ange- messen einsetzen kann [LORBERG 1996: 8f]. Diesem kompositorischen Aspekt in der Gestaltung der Landschaftsgemälde kommt besondere Bedeutung zu, wenn ‘Landschaft’ im bildungsbürgerlichen Sprachgebrauch des 18. Jahrhun- derts mit Malerei assoziiert wird; denn innerhalb dieser ideengeschichtlichen Tradition ist Landschaft ästhetisch gestaltete Natur [HARD 1970b: 22; 1991: 14]. Der moderne Landschaftsbegriff bezeichnet ein originär ästhetisches Phäno- 61 In der Landschaftsmalerei der Romantik wird diese Erzählperspektive z.B. in den ‘Rückenfiguren’ von C.D. FRIEDRICH eingenommen [WEDEWER 1978: 33; PIEPMEIER 1980b: 18]. 62 Vgl. WATTEAUS ‘Einschiffung nach Cythera’ in der Deutung von ERNST BLOCH [1959: 932ff]: „Einschif- fung nach Cythera klingt aber nur dort an, wo Vor-Lust dargestellt ist [...] als die Wunschlandschaft ante rem, das Weib als erwartende Landschaft selber“ [BLOCH 1959: 934]. Hier wird Landschaft zum erotischen Versprechen. Eine Inszenierung der Landschaft als Frau erfolgt auch in der Trivialliteratur [vgl. SCHMIDT 1963; LORBERG 1996: 38, 47, 50]. 40 men und bleibt als solcher in der Sprache des Bildungsbürgertum bis ins 19. Jahrhundert hinein bestehen [HARD 1970b: 22]. Die ‘gebaute’ Landschaft Die Landschaftsmalerei des Barock ist nicht nur das wichtigste Medium, in welchem der Landschaftsbegriff seine grundlegende Prägung zu einem ästhe- tischen Phänomen erfuhr, ebenso gehört sie zur Vorgeschichte des Landschaftsparks, wie er im aufstre- benden bürgerlichen England des 18. Jahrhunderts in Erscheinung trat63 [HOFFMANN 1963: 14f; BURCKHARDT 1977: 207; BUTTLAR 1989: 25]. Anfang des 18. Jahrhunderts stellte der Dichterphilosoph ALEXANDER POPE, Besitzer von ‘Twi- ckenham’, fest: „All gardening is landscape painting“ [POPE zitiert in MÉTRAUX 1986: 217]. Und sein Landschaftsgestalter WILIAM KENT sieht im Maler sein professionelles Vorbild [HOFFMANN 1963: 21]. Entsprechend stammt die Berufsbezeichnung ‘Landschaftsgärtner’ aus dem Englischen, wo sie Mitte des 18. Jahrhunderts von ‘Landschaftsmaler’ abgeleitet wurde [HOFFMANN 1963: 28]. Die in der Male- rei präfigurierten landschaftlichen Motive dienten den Landlords zur Vorlage, nach der sie ihre Parkanlagen entwerfen ließen [HOFFFMANN 1963: 21f], und wurden, dem Vorbild der Theaterkulissen folgend, zum Landschaftspark (räumlich) ausgestaltet [BUTTLAR 1989: 27f]. „Der Landschaftsgarten präsentiert ideale Natur in dreidimensionalen, begehbaren ‘Bildern’ [BUTTLAR 1989: 14]. Entsprechend einem Gemälde ist auch der Landschaftspark zur distanzierten Betrachtung entworfen und setzt zur Degustation der landschaftlichen Kompo- sition einen ‘ästhetisch’ eingestellten Blick voraus, um wahrgenommen zu wer- den [BUTTLAR 1989: 28; HARD 1985: 286; APPEL 1992: 49, 51; LORBERG 1996: 9]. In- sofern ist der artifizielle landschaftliche Park keine Kopie des bewirtschafteten Landes, sondern originär eine Nachahmung der malerisch komponierten Landschaft [HARD 1985: 277f]. Im Landschaftspark wird Kultur als ‘Natur’ insze- niert, die von den Rezipienten wiederum hinsichtlich der kulturellen Bedeutung decodiert werden muss. 63 Die gärtnerischen Anlagen des Barock sind vom Landschaftspark, der bis in die Gegenwart die do- minierende Grünanlage geblieben ist, geschichtlich abgelöst worden [MEHLI 1989; MEYER 1993]. Der Landschaftspark steht im deutlichen Kontrast zu den vorhergehenden barocken Gärten – erstens unter dem Aspekt der formalen Gestaltung, zweitens hinsichtlich der ästhetischen Bedeutung der ‘Garten- kunst’[HÜLBUSCH 1981; LORBERG 1996]. So betont HIRSCHFELD in der ‘Geschichte der Gartenkunst’, dass, solange in den Anlagen Nutzen bestehen, es keine ‘Gartenkunst’ im engeren Sinne gäbe [z.B. HIRSCHFELD 1780: 145]. Er stellt heraus, dass „die Gärten anfänglich blos dem Nützlichen gewidmet [...] durch allmählige Ausschmückungen und Verfeinerungen [...] in das Gebiet des Schönen übergiengen“ [HIRSCHFELD 1780: 145]. Mit den Landschaftsparks, die entgegen den Barockgärten keine Nutzaspekte hätten (was HANSMANN in der geschichtlichen Darstellung des Barockgartens beiläufig erwähnt [HANSMANN 1988: 49f, 174f, 198]), entstehe erst die Gartenkunst als ‘schöne Kunst’ (im Unterschied zur angewandten Kunst, Technik): „so ist unter allen übrigen schönen Künsten unstreitig keine mehr mit der Gartenkunst verwandt, als die Malerey, und besonders die Landschaftmalerey“ [HIRSCHFELD 1980: 146]. 41 „Natur im Landschaftsgarten war vielmehr in Dichtung, Malerei und Geschichte gespiegelte Natur deren verständige Wahrnehmung beim Betrachter ein geschul- tes ästhetisches Empfinden und eine umfassende, fast elitäre Bildung voraussetz- te“ [BUTTLAR 1989: 14]. Der hochartifizielle Landschaftspark, der kulturelle Phänomene als Natur er- scheinen lassen soll, kann den vier Sphären der (formalen) Gestaltung, der symbolischen Konfiguration, der Ökonomie und der Ideologie zugeordnet wer- den. Beispielsweise wird in der formalen Gestaltung des Landschaftsparks die Grenze zwischen der gepflegten Grünanlage und dem bewirtschafteten Um- land, die für alle Gärten konstitutiv ist64, über die Erfindung des Ah-Ha bzw. Ha-Ha, den verdeckten Zaun, visuell negiert [HOFFMANN 1963: 20f; BUTTLAR 1989: 21, 53]. Durch diese optische Täuschung verschmelzen im Blick über die Anlage hinweg der gestaltete Park und das bewirtschaftete Land derart inein- ander, dass der Landschaftspark scheinbar alles, was in die Sicht fällt, um- fasst. Die visuelle Nivellierung dehnt den Landschaftspark auf das bearbeitete Land aus, das dem ästhetisch eingestellten Blick den unscharfen Horizont bil- det [PÜCKLER 1833: 32f, 37]. „Da indes eine solche [Begrenzung], je solider sie ist, auch am wenigsten gut aus- zusehen pflegt, und es auch sehr fehlerhaft sein würde, durch den zu häufigen Anblick des Endes, der Phantasie ihr weites Feld abzukürzen, so verdecke man durch dichte und breite Pflanzungen den größten Teil der Befriedung“ [PÜCKLER 1833: 32f – Einf. FL]. Dadurch, dass die Grenze nicht mehr optisch wahrgenommen werden kann, ist sie für das Bewusstsein des Betrachters nicht vorhanden und verliert der Landschaftspark den Charakter des Gartens. Die ‘Entgrenzung’ des Land- schaftsparks ist überdies ein gestalterisches Phänomen, mit dem auf der sym- bolischen Ebene die kulturelle Metapher ‘Arkadien’, das allmendhafte Weide- land der Hirten, zwischen nomadischen und sesshaften Gesellschaften ste- hend, ästhetisch inszeniert wird [HARD 1985: 278f; MAISAK/ FIEDLER 1992]. Arka- dien ist symbolischer Platzhalter für den Naturzustand des Menschen, der eine freie und harmonische Vergesellschaftung versinnbildlicht [HARD 1985: 292]. Mit der Auflösung der Grenze im Landschaftspark geht auf ökonomischer Ebene geschichtlich die ‘enclosure’65, die Auflösung des kommunen Allmendelandes, das im Besitz der ländlichen Gemeinde stand, und die Parzellierung des Lan- des einher [BURCKHARDT 1977 208]. „They [the aristocrats] got Privat Acts through Parliament giving them powers of enclosure and redistributation of the fields, and so changing the face of our coun- tryside. This procedure was no more and no less righteous than any other deci- 64 Die ‘Lustgärten’ des Mittelalters, der Renaissance und des Barock wiesen eine markierte Grenze auf, die sie als dekorierte Höfe charakterisierte. Etymologisch ist der ‘Garten’ das umhegte, umfriedete Stück Land [GRIMM/ GRIMM 1866: 1390f; KLUGE 1995: 300]. Insofern ist der Landschaftspark kein Garten, weil die Grenze aufgehoben ist. Mit dem Landschaftspark beginnt die Epoche der Grünanlagen auf der formalen Ebene [BURCKHARDT 1977; HÜLBUSCH 1981]. 65 Der englische Historiker HOBSBAWM beschreibt, dass die Einhegungen und Umlegung der Grundstücke im 18. Jahrhundert vorangetrieben wurde [HOBSBAWM 1972: 102] und vor allem „erlitt eine soziale Gruppe zweifellos Einbußen durch die Einhegungen: die Häusler und Kleinbauern, die den Ertrag ihrer Landstücke mühsam durch Lohnarbeit und durch verschiedene kleine – aber für sie wich- tige – Vorteile aus öffentlichen Rechten ergänzten: Weideland für Tiere und Geflügel, Feuerholz, Bau- material, Bauholz zur Ausbesserung von Arbeitsgeräten, Zäunen und Pforten etc.“ [HOBSBAWM 1972; 103]. 42 sion that depended upon power, but it was quite effective in giving more power to the mighty, a not unusual result of human actions designed to further that end“ [FUSSELL 1984: 15 – Einf. FL]. Der Landschaftspark basiert auf dem bürgerlichen Reichtum, der in den Städ- ten und den Kolonien erwirtschaftet wurde [HOBSBAWM 1972: 47f] und mit dem das Land, die Produktionsgrundlage der bäuerlichen und feudalen Ökono- mie66, zur schönen Verpackung des bürgerlichen Reichtums erklärt werden konnte67, die wiederum ästhetisch gestaltet wurde. Die Bourgeoisie leiht dem Landadel Geld für Luxusartikel, für das er mit seinem Landbesitz einsteht: „[...] bis Stück um Stück des adligen Grundbesitzes den Bürgern zufällt: und kapi- talisiert wird zu Schaden aller unproduktiver Esser, die auf den Bettel oder ins Ar- beitshaus getrieben werden, bis der Aufstieg der kapitalistischen Produktion billige Lohnarbeiter in ihnen findet“ [HAUG 1970: 16]. Beides forcierte die Akkumulation des Landbesitzes68 [HOBSBAWM 1972: 27f, 99f, 104], die Ausdehnung des Großgrundbesitzes und erleichterte den Zugriff des städtischen Kapitals auf das Land der Bauern und die ‘Befreiung der Bauern’ vom Land69 [HOBSBAWM 1972: 38, 101, 105]. Die ökonomischen Veränderungen förderten soziale und kulturelle Folgen auf dem Land, die Großgrundbesitzer näherten ihre Lebensweise dem städtischen Bürgertum an und verloren die traditionale Verantwortung gegenüber den Kleinbauern und Landarbeitern. „Die inhumane Wirtschaftsweise der kommerziellen und ‘fortschrittlichen’ Land- wirtschaft korrumpierte die menschlichen Ordnungswerte der Gesellschaft. [...] Der übertriebene Luxus der Grundherren – symbolisiert in dem Brauch, Wild für Wettmetzeleien zu hegen, und in den grausamen Gesetzen gegen Wilderer – ver- schärfte die Klassenunterschiede zu Klassengegensätzen“ [HOBSBAWM 1972: 107]. Die Arkadien-Metapher und die rechtliche Enteignung, die die ökonomische Voraussetzung zur ästhetischen Ausgestaltung ist, stehen in dem Wider- spruch, dass der ideologische Anspruch und die gesellschaftlichen Folgen ge- genläufig sind. In dieser Paradoxie zwischen ökonomischer Enteignung der Bauern und symbolischer Aneignung durch Großgrundbesitzer, Kapitaleigner mit bildungsbürgerlichem Bewusstsein, entsteht eine ideologische Figur, die den realen Zugriff der Landlords auf das Land der bäuerlichen Gemeinden [HOFFMANN 1963: 26f] bildhaft legitimieren soll [MEHLI 1989: 138f; APPEL 1992: 47f]. Die tragende Ideologie entwirft die Utopie einer allgemeinen Teilhabe am bür- gerlichen, d.h. kolonialen Reichtum, so dass im Prinzip jede/ jeder die Position 66 Ende des 18. Jahrhunderts betrug der Anteil der agrarischen Produktion in England nur noch 30 % an der Gesamtproduktion und die Beschäftigtenzahl war auf ein Drittel der Bevölkerung gesunken [HOBSBAWM 1972: 98]. 67 „Der wirklich reiche Grundherr war ja nicht notwendigerweise auf seine landwirtschaftlichen Pacht- gelder angewiesen. Er konnte die Erträge aus seinen im Wert steigenden städtischen Liegenschaften abschöpfen oder die Gewinne aus Bergwerken und Eisenbahnen oder auch die Zinsen seines Anteils an ihren riesenhaften Einkünften, den er in der Vergangenheit investiert hatte“ [HOBSBAWM 1972: 109]. 68 „Der Boden Englands gehörte hauptsächlich großen Grundherren und wurde von Pachtbauern be- wirtschaftet, die ihn wiederum mit gedungenen Arbeitskräften bearbeiteten. Um das Jahr 1790 besa- ßen die Grundherren etwa drei Viertel der bebauten Fläche, die selbständigen Bauern etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent, während es eine ‘Bauernschaft’ im üblichen Sinne des Wortes gar nicht mehr gab“ [HOBSBAWM 1972: 100]. 69 Um „das Jahr 1750 hat es, wie wir sahen, in weiten Gebieten Englands so gut wie keine landbesit- zende Bauernschaft mehr gegeben. Die Subsistenzwirtschaft war bereits zerfallen. Ohne sonderlich große Schwierigkeiten konnten Arbeitskräfte von nicht-industriellen auf industrielle Tätigkeiten umge- stellt werden“ [HOBSBAWM 1972: 38]. 43 der Landlords, die auf städtisches Kapital zurückgreifen, einnehmen könne, um dieses im Landschaftspark ästhetisch anzuschauen70. Der Landschaftspark wurde als ‘öffentliche Grünanlage’ und Stadtpark im 19. Jahrhundert ‘populari- siert’ und soll von allen sozialen Schichten als Kunstwerk distanziert- kontemplativ genossen werden (können) [HÜLBUSCH 1981: 325; HARD 1985]. Im englischen Bürgertum des 18. Jahrhundert wird der Landschaftspark zum Symbol der Freiheit des Individuums, das in autonomer Assoziierung mit ande- ren Individuen die Gesellschaft konstituiere [EISEL 1981: 129; 1982: 158f; BUTTLAR 1989: 9]. Herrschaft wird innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr durch die absolute Macht des Monarchen und über dessen Vasallen ausgeübt, sondern über Kapital durchgesetzt. Der mit dem Kapital verbundene Herrschaftsanspruch wird dann über dargestellten Reichtum vertreten [VEBLEN 1899:52, 103] und beispielsweise in den ‘nutzlosen’ Landschaftsparks zur Schau gestellt [VEBLEN 1899: 133-138]. „Die Stadt, bisher Ort des Verbrauchs der in der Landwirtschaft erworbenen Reichtümer, wird nun selbst der Ort der Bereicherung. Die Landgüter, die vorher dem in der Stadt sich vergnügendem Herrn das Einkommen zu liefern hatten, werden damit zu Lustgärten, in welchen das in der Stadt gewonnene Geld für Liebhabereien verausgabt wird“ [BURCKHARDT 1977: 207]. Das Geld für die Liebhabereien wurde durch Ausbeutung gewonnen. Die öko- nomische Basis des bürgerlichen Reichtums in England ist die koloniale und industrielle Produktion, die ihren Umschlagsort (Handel und Verwaltung) in der Stadt hat [SOMBART 1922: 120, 143f, 151; HOBSBAWM 1972: 34f]. Auf dem Lande können die Landlords ihren städtisch-kolonialen Reichtum in der Kapitalisie- rung der Landgüter einerseits [SOMBART 1922: 159f] und deren ästhetischen Gestaltung zu Landschaftsparks andererseits prestigeträchtig vergeuden [VEBLEN 1899: 59; SOMBART 1922: 105, 108]. Um die Vergeudung zu inszenieren, durften die Landschaftsparks nicht den Eindruck erwecken, dass sie genutzt würden und Ertrag einbrächten. „Wo die Vorliebe für friedlich weidende Tiere, die das einstige Idyll heraufbe- schwören, zu stark ist, um unterdrückt zu werden, tritt die Kuh ihren Platz oft an einen mehr oder weniger unangemessenen Ersatz ab, wie etwa dem Wild, Antilo- pen oder sonstige exotische Wesen“ [VEBLEN 1899: 135]. BOURDIEU nennt dieses Phänomen, dass Reichtum dargestellt wird, Produktion von symbolischem Kapital, dessen gesellschaftliche Funktion darin besteht, die (potentiellen) Geschäftspartner zu beeindrucken und das kreditwürdige Anse- hens zu erhöhen [BOURDIEU 1976: 357]. Zur Ausgestaltung symbolischen Kapi- tals eignen sich besonders jene Zeichen, deren Verfügbarkeit sozial be- schränkt ist [BOURDIEU 1987: 249f]. Luxus und repräsentativ vergeudeter Reich- tum stelle in einer auf ökonomische Macht basierenden Gesellschaft den Herr- schaftsanspruch dar [VEBLEN 1899: 85, 103], wobei die Vergeudung soweit ge- trieben worden ist, dass selbst kapitalstarke Gutsbesitzer verarmten [vgl. VEBLEN 1899: 56f], wenn sie nicht über eine ökonomische Basis in der Stadt, 70 Diese Einstellung ist schon in der Landesverschönerung und seit 1900 wirkmächtig im Städtebau zum Leitbild für den Entwurf des Zeilengeschoßwohnungsbau auf der grünen Wiese geworden [HÜLBUSCH 1981; HARD 1985]. Nach der Entwurfidee solle der Mieter über das Abstandsgrün blicken, als betrachte er seinen Reichtum, den Rasen nicht nutzen zu müssen und auch noch für die Pflege bezah- len zu können. 44 d.h. präziser in den Kolonien verfügten, wie beispielweise Fürst PÜCKLER71 [BUTTLAR 1989: 225; OHFF 1993: 110, 121f]. „Instead of governing the country with autocratic powers – in spite of struggles for position and place – the descendents of these men still hold land and titles (or some do), but have sunk to the status of public entertainers, collecting money for showing their homes, and for amusements like traction engine rallies or open zoos of wild animals not indigenous to Great Britain. It does credit to their inherited ac- quisitive powers” [FUSSELL 1984: 17]. Neben einer Form politischer Repräsentation ist der Landschaftspark auch ei- ne Technik zur Einübung neuer Wahrnehmungsweisen [SCHÜRMEYER/VETTER 1984: 21f; LORBERG 1996: 51-59]. Als ästhetische Kreation soll der Landschafts- park mit einer entsprechenden Erwartungshaltung rezipiert werden [HARD 1985: 286]. Er gehört von der gestalterischen Idee her in den Kontext der Kunstwer- ke, die nebenher durchaus repräsentative Funktionen übernehmen können, aber im Ästhetikverständnis der Moderne nicht zum direkten Gebrauch be- stimmt sind [HARD 1985: 283; LORBERG 1996: 11f]. Die moderne Ästhetik, die zeitgleich mit dem Landschaftspark entstanden ist, verlangt von der Betrachte- rin, vom Betrachter ein ‘interesseloses Wohlgefallen’, um die eigene Geltungs- sphäre der Kunst zu betonen [KANT 1790: 116, 124; RITTER 1963: 151]. Der ästhe- tisch eingestellte Blick auf ein Kunstwerk ist in der Moderne ein vom unmittel- baren Gebrauch distanzierender Blick. Dies gilt auch für den Landschaftspark [BUTTLAR 1989: 28]. In seinem Werk über das ästhetische Urteil gibt KANT dem Bewusstsein der ästhetischen Differenz zwischen der Betrachtung eines Land- schaftsparks und dem Anblick eines Stück Landes, wie es seinerzeit üblich war, implizit Ausdruck. Er vergleicht die Malerei mit der Landschaftsgestaltung, die er beide den schönen Künsten zurechnet. 71 Der deutsche Fürst PÜCKLER-MUSKAU, der bezeichnenderweise nach seinem ersten finanziellen Ruin, den er mit dem Landschaftspark in Muskau erlitt, zielstrebig ins bürgerliche England reiste, eine reiche Engländerin zu heiraten, um eine neue landschaftliche Anlage in Branitz bauen zu lassen, ist ein deutliches Beispiel dafür, dass der Landschaftspark ohne externe monetäre Mittel nicht tragfähig ist. Die ausgedehnten Parkanlagen um Potsdam, deren Bau von den Preußenkönigen von FRIEDRICH II bis FRIEDRICH WILHELM IV angeordnet worden und an deren Entwurf der Landespfleger LENNÉ maßgeblich beteiligt war, sind charakteristisch für einen großen Staat, der auf ausreichend Abgaben von Land und Leute zurückgreifen konnte, um punktuell Landschaftsparks zu finanzieren [MEYER 1993: 193]. Herrscher kleinerer Fürstentümer verlegten sich auf Menschenhandel wie WILHELM IV von Kurhessen zur Errich- tung des Bergparks Wilhelmshöhe [BUTTLAR 1989: 190f; MEYER 1993: 196] oder griffen auf die ökonomi- sche Theorie der Physiokratie zurück und versuchten die Produktivität der Agrarwirtschaft zu erhöhen wie Fürst FRANZ II von Anhalt-Dessau, der das ‘Wörlitzer Gartenreich’ anlegen ließ [BUTTLAR 1989: 142]. Diese Verbindung zwischen Landschaftspark und Physiokratie führte in England zur Gestaltung der ‘ornamental farm’, das den deutschen Landesfürsten, die sich nicht ruinieren wollten, zum Vorbild dien- te [HOFFMANN 1963: 26; BUTTLAR 1989: 152]. Die Idee der ‘ornamental Farm’ ist zur ‘ökonomischen Auf- schmückung’ umformuliert und in der Landesverschönerung des 19. Jahrhunderts ansatzweise auf ganze Fürstentümer ausgedehnt worden [HOFFMANN 1963: 216]. Die Landeskulturbewegung basierte auf dem wirtschaftlichen Paradigma der Physiokratie, dass der Boden und mit ihm die Landbewirtschaf- tung die Quelle des staatlichen Reichtums sei [GÖMMEL/ KLUMP 112], auch im Sinne von Gebrauchswert [vgl. GÖMMEL/ KLUMP 1994: 114]. Mit deren Verblassen stellten sich die Landesverschönerer in den Dienst der industriellen Auftraggeber [HOFFMANN 1963: 202, 218f; SCHNEIDER 1989: 24f]. 45 „Die erste wäre die eigentliche Malerei, die zweite die Lustgärtnerei. Denn die ers- te gibt nur den Schein der körperlichen Ausdehnung; die zweite zwar diese [kör- perliche Ausdehnung] nach der Wahrheit, aber nur den Schein von Benutzung und Gebrauch zu anderen Zwecken, als bloß für das Spiel der Einbildung in Be- schauung ihrer Formen“ [KANT 1790: 261 – Einf. FL]. Somit dient der Landschaftspark auch dazu, den Blick in Enthaltsamkeit vom möglichen Gebrauch des Angeschauten einzuüben und stattdessen die Phan- tasie zu entfalten. Unter dem zeichentheoretischen Aspekt kann dies folgen- dermaßen beschrieben werden: Die Signifikanten ‘Grünland’ und ‘Verbu- schung’ werden über die angeschaute räumliche Inszenierung malerischer Mo- tive aus dem alltäglichen Kontext und der gewohnten Pragmatik herausgelöst, dekontextualisiert, und in einen ästhetischen Zusammenhang gestellt, ‘rekon- textualisiert’ oder präziser ‘neukontextualisiert’, weil diese Signifikanten bislang noch nicht in dem neuen, ungewöhnlichen Kontext angesiedelt waren. HARD nennt diese semiotische Operation ‘Auratisierung’ [HARD 1985: 282]. Mit dieser Operation der De- und Re- bzw. Neukontextualisierung, die in der Vorstellung vollzogen wird, wechselt das Phänomen seine Bedeutung [BARTHES 1959], denn aus dem (nutzbaren) Land wird schöne Landschaft. Diese (semantische) Transformation des Landes im Blick wird in der Dienstanweisung zur Wahr- nehmung des Landschaftsparks pädagogisch vermittelt. Diese Wahrnehmung ist sowohl in dem literarischen Genre zum Landschaftspark formuliert [vgl. BUTTLAR 1989: 29, 50, 55, 135] als auch in der Gestaltung des Landschaftsparks angelegt [BUTTLAR 1989: 53; HARD 1985: 278]. In der Gestaltung spielt die Wege- führung durch die Kulissen eine eminente Rolle, da sie einen szenischen Ein- druck ermöglicht, der in der Bewegung des Spaziergangs realisiert wird [SCHÜRMEYER/ VETTER 1984: 19]. Die ästhetische Betrachtung der Parkanlage wird über die ‘Wege’ gewährleistet, die eine ausgezeichnete visuelle Aneig- nung des Kunstwerks vorgeben und im Landschaftspark auffällig anders ange- legt sind als im Barockgarten72 [BUTTLAR 1989: 53; SCHÜRMEYER/VETTER 1984: 19ff; VERSCHRAGEN 2000: 53-56]. Durch diese Wegeführung wird in der Spazier- gängerin und dem Spaziergänger die Illusion erzeugt, selbstbestimmt durch das inszenierte Weideland zu wandeln, obgleich auch der Spaziergang durch den angelegten Weg gebunden bleibt [APPEL 1992: 51f; LORBERG 2006b: 135- 138]. Der Raum wird nicht mit einem Blick von einem Punkt aus überblickt, sondern während des Spaziergangs, in der Abfolge der Ansichten sukzessive wahrgenommen [SCHÜRMEYER/ VETTER 1984: 21]. In der kinästhetischen Wahr- nehmung entsteht ein peripathetischer Raumeindruck [VERSCHRAGEN 2000: 12ff, 56], der im Landschaftspark einem vorgegebenen ‘ikonographischen Pro- gramm’, einer Reihe von Motiven, folgt [BUTTLAR 1989: 53; APPEL 1992: 51]. Die- ses Raumprogramm, die Abfolge der vorgegebenen Motive und Aussichten, die der Spaziergänger sukzessive abschreitet, besteht aus Bildern, die dem klassischen Bildungskanon angehören und in ihm entschlüsselt werden sollen [APPEL 1992: 47, 52]. Die Wegeführung, die pittoreske Unübersichtlichkeit der Anlage und das ikonographische Raumprogramm entwickeln eine bestimmte Form der Anschauung, die APPEL den ‘touristischen Blick’ nennt, der die alltäg- liche Wahrnehmung entstellt und eine ästhetische Wahrnehmung einstellt 72 Siehe zum Barockgarten bei HANSMANN [1988]. 46 [APPEL 1992: 49ff; LORBERG 1996: 54f]. Diesem touristischen Blick wird die Welt zum Kunstwerk, das desinteressiert, unter Ausblendung von Lebensinteres- sen, wahrgenommen werden soll [BENJAMIN 1936a]. Der Geograph DEREK GREGORY rekonstruiert die Entstehung der Geographie aus dem visuell ausgerichteten Konzept der ‘Welt als Ausstellung’, die auf der geographischen ‘Tour’ entdeckt und durch die Geographie, in ihren For- schungsberichten zur Schau gestellt wird [GREGORY 1994]. Der Ausstellungs- charakter wird mit der industriellen ‘Warenwelt’, die vor den Augen der poten- tiellen Käufer entfaltet wird, im 19. Jahrhundert allgegenwärtig und auf den Weltausstellungen gefeiert73. Die inszenierte Ware, die auf ihren Tauschwert reduziert und ästhetisch feilgeboten wird, ist einerseits vom Gebrauchswert entfremdet, zum anderen entfremdet sie auch den Käufer, für dessen Tauschwert sie hergerichtet wird74. Dazu schreibt BENJAMIN: „Weltausstellungen sind Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware. [...] Die Weltausstel- lungen verklären den Tauschwert der Waren. Sie schaffen einen Rahmen, in dem ihr Gebrauchswert zurücktritt. Sie eröffnen eine Phantasmagorie, in die der Mensch eintritt, um sich zerstreuen zu lassen. Die Vergnügungsindustrie erleich- tert ihm das [...]. Er überlässt sich ihren Manipulationen, indem er seine Entfrem- dung von sich und den anderen genießt“ [BENJAMIN 1936b: 175]. Der Landschaftspark, dessen gestalterischen Prämissen mit der Landesver- schönerung und dem Naturschutz aufs Land aus- und mit den öffentlichen Grünanlagen in die Städte einziehen, gehört zur modernen Vergnügungsin- dustrie. Er bietet ein Programm, das den Spaziergänger von seiner Lebenswelt entfremdet, zur ästhetischen Rezeption anleitet, die Bedenken zerstreut und die Imagination reizt. In dem geführten landschaftsmalerischen Spaziergang des Individuums entstehen zwei komplementäre Raumformen: der veräußer- lichte Anschauungsraum und der verinnerlichte Stimmungsraum75, die Reso- nanz auf den Eindruck [LORBERG 2006b: 138ff]. An der Landschaftsmalerei und im Landschaftspark konnte eine neue Wahrnehmungsweise des Raums ein- geübt werden, die zeigt, „wie sehr unser ‘landschaftlicher Blick’ gerade in jener Zeit, in der er für breitere Gebildetenschichten sozusagen eine feste Institution wurde, durch den Blick auf das landschaftliche Kunstwerk vorgebildet und vor- geprägt war“ [HARD 1969: 153]. Der landschaftliche Blick Sowohl dem gesellschaftlichen Wandel als auch der Entdeckung der Land- schaft im 18. Jahrhundert korreliert ein Wechsel in der ästhetischen Theorie, die mit KANT das Unnütze schönheitsfähig und das Erschreckende positivier- bar macht; nunmehr ist schön, was ohne angebbares Interesse gefällt76 [KANT 1790: 115-124]. Die Schönheit der Landschaft wird in der interesselosen Be- trachtung genossen [BURCKHARDT 1977: 209]. Dies deutet auf eine tiefgreifende und umfassende Veränderung der gesellschaftlichen Perzeption hin, die mit 73 Die Gartenschauen inszenieren die Warenwelt der Landespflege und benachbarter Gewerbe als ‘grünes Paradies’ [BOHDE/ THEILING 1991]. 74 Siehe: ‘Warenästhetik und Leitbilder’. 75 Zur Subjektivierung des Innenlebens bei gleichzeitiger Objektivierung der Außenwelt vgl. RITTER [1961], GROH/GROH [1990: 137ff], OXENIUS [1992: 61-64]. 76 Das Erschreckende kann über die Ästhetik des Erhabenen jenseits seiner Bedrohlichkeit positiv empfunden werden [KANT 1790: 164-191]. 47 der Entdeckung der Landschaft einherging. Der Landschaftspark ist die räumli- che Übersetzung der Landschaftsmalerei zum kulissenhaften Raumkunstwerk und gibt als begehbarer Raum Bilder vor, die vom Spaziergänger in fortwäh- render Veränderung aufgenommen werden. Der müßige Spaziergänger ver- mochte daher im Landschaftspark eine symbolische Raumaneignung zu voll- ziehen, indem er die vorgebildete Anlage in seiner Wahrnehmung aktualisierte: „Auf Schritt und Tritt sollte auf die Gedanken- und Gefühlswelt des Spaziergän- gers eingewirkt werden. [...] das Spazierengehen selbst wurde in den Land- schaftsgärten zeitlich ausgedehnt“ [OEXENIUS 1992: 66, 70]. Der Spaziergang durch den Landschaftspark, der zunächst von den wechseln- den Motiven und Prospekten angeregt wurde, konnte für die Spaziergänger zur körperlichen Sensation und Medium des emotionalen Selbstbezugs werden. „Der dauernde Wechsel der Positionen entspricht nun keiner Bewegung durch Raum und Zeit mehr, sondern einer Bewegung, die den Betrachter auf sich selbst verweist. [...] Ziellose Bewegung – zugleich als Freiheitsgefühl interpretiert – ge- winnt beinahe zwanghafte Notwendigkeit, die körperlich empfunden wird“ [BUTTLAR 1982: 77f]. Ende des 18. Jahrhunderts entstand die Gestalt des einsamen Spaziergän- gers, der mit seinen Empfindungen durch den Landschaftspark und vor die To- re der Stadt spazierte. Diese Gestalt ist von JEAN-JACQUES ROUSSEAU in den Schriften ‘Die neue Héloise’ und den ‘Träumereien eines einsamen Spazier- gängers’ literarisch geprägt worden und in der Literatur der ‘Empfindsamkeit’ und des ‘Sturm und Drang’ innerhalb des deutschen Bildungsbürgertums po- pulär geworden. „Rousseau wie St. Preux erleben die kurzen Momente absoluten Glücks im Ange- sicht einer Landschaft als die totale Selbstbezogenheit des ‘homme naturel’, als Aufhebung der eigenen Geschichte wie der Geschichte der Menschheit. [...] In diesen rauschhaften Zustand des Selbstvergessens gewinnt das Ich seine ‘vorge- schichtliche Autarkie’ zurück: das Ganze des allein auf sich gestellten Subjekts. [...] Das ‘Organ’ Rousseaus genießt, vermittelt durch die Droge äußere Natur, das Scheinen des an sich verlorenen ‘Ganzen’ des Subjekts“ [GROH/ GROH 1991: 139]. Dieser Spaziergang, mit dem sich der empfindsame Spaziergänger selber ge- nießt, konnte in den Landschaftsparks eingeübt und anschließend in der Um- gebung der Städte vollzogen werden. Das bebaute Land konnte dann mit der Sehhilfe des ‘landschaftlichen Blicks’ vom empfindsamen Spaziergänger wie ein Landschaftspark betrachtet werden. Der Landschaftspark, der auf die Be- trachtung eines Kunstwerkes abgestellt wurde, ist in der Einstellung des ästhe- tischen Blicks übernommen worden, der nunmehr auch außerhalb des Land- schaftsparks aktualisiert werden konnte [HARD 1985]. „Der ‘promeneur solitaire’ war das Vorbild des ‘neuen’ Spaziergängers, der mög- lichst in Einsamkeit oder in Begleitung eines intimen Freundes oder einer Gelieb- ten von einem Naturbild zum anderen zu wandeln hatte, die auf sein Gemüt ein- wirken und in ihm bestimmte Gefühle evozieren sollten“ [OEXENIUS 1992: 61]. Die äußeren Motive dienten dem emotionalen Selbstbezug des Spaziergän- gers, der auf dem Lande seine inneren Landschaften entdeckte, wie GOETHES ‘Werther’, dem die Gegenden ästhetisch gefärbt im Lichte seiner Gefühlslagen erscheinen [GOETHE 1776]. Somit konnte in den Landschaftsparks eine be- stimmte Syntheseleistung des Blicks eingeübt werden, aus der der ‘landschaft- 48 liche Blick’ hervorging, der fähig ist, auch in der alltäglichen Welt auf dem Lan- de bildfähige Ansichten zu entdecken. Auf den Spaziergängen von Städtern aus bürgerlichen Schichten, die den ästhetischen Rahmen des Landschafts- parks verließen, wurde die auf den Parkspaziergängen geübte und verinner- lichte ästhetische Rezeption malerischer Motive mitgenommen77 [LORBERG 1996: 9f]. Der landschaftliche Blick ‘rahmt’ das in Erwartung eines ästhetischen Phänomens angeschaute Land, das für die Bauern Äcker, Grünländer, Forste, im Allgemeinen Produktionsmittel sind, zur einheitlichen Landschaft78 [RITTER 1963: 146f, 174/Anm. 25; PIEPMEIER 1980a: 18]. Über das bearbeitete Land legt der distanzierte landschaftliche Blick einen ästhetischen Rahmen, in dem es als bildhafte Landschaft erscheint. Dieser Rahmung kommt entgegen, dass der Spaziergang übers Land im Bewusstsein der städtischen Spaziergänger und Spaziergängerinnen außerhalb des ökonomischen Kontextes des bewirtschaf- teten Landes steht79, sie vermochten dieses gleich der landschaftlichen Park- gestaltung distanziert mit interesselosem Wohlgefallen anzuschauen [RITTER 1963: 147, 151]. Der Kulturwissenschaftler ROMANO GUARDINI betont, dass Land- schaft erst im Auge des Betrachters, der das Land mit seinen Interessen und Vorlieben anschaut, entsteht. Das Land ist die Leinwand, auf die der distan- ziert anschauende Betrachter die Landschaft projiziert. „Damit Landschaft in diesem Sinne zustande komme, muss mit der angeschauten Wirklichkeit etwas vor sich gehen. Vor allem schließen die dastehenden Gestal- tungen sich in Blick und Gefühl zu einer Einheit zusammen. [...] Das Ganze tritt unter einen Beziehungspunkt, der es gliedert, nämlich das lebendige Fühlen der betrachtenden Persönlichkeit“ [GUARDINI 1946: 11f]. GUARDINI ergänzt, dass der landschaftliche Blick nicht nur von persönlichen Vorlieben abhängt, sondern auch von kulturellen Klischees, die ihm als Vorla- ge für seine Syntheseleistung dienen. Ist das individuelle Landschaftserlebnis nach GEORG SIMMEL ein Kunstwerk in statu nacendi, so wird es im realisierten Kunstwerk verobjektiviert und für andere nachvollziehbar [SIMMEL 1913: 138f]. In der künstlerischen, vor allem kunstgewerblichen Produktion kollektiv erfahrba- rer Bilder wird die Landschaftswahrnehmung vorgeprägt [GUARDINI 1946]. 77 Die Einübung des landschaftlichen Blicks, der die Szenerien im Landschaftspark wie Gemälde im Salon betrachtet und dann auf das Land überträgt, beschreibt OXENIUS: „Die Wanderung entlang der nebeneinandergestellten Naturbilder, wobei der abwechselnde Blick, ohne an schnöden Mauern oder Zäunen zu enden, das Panorama der umliegenden Landschaft erfaßte, wurde zu einer Art filmischem Erlebnis aufeinanderfolgender Veduten“ [OEXENIUS 1992: 64]. 78 Bei der Entdeckung der Landschaft auf dem Land spielt die ‘Ganzheit’ in der Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Die jeweilige Landschaft wird bis heute – auch in der Geographie – als ganzheitliche Einheit gesehen. WINKLER betont, dass die ‘landschaftliche Ganzheit’ im 19. Jahrhunderts eine „vor- nehmlich ästhetische Konzeption [...] [war, die] namentlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Geographie zur funktionellen transformiert“ wurde [WINKLER 1974: 21]. Diese ‘Transformation’ bedeutet die Verdinglichung eines ästhetischen Eindrucks zur dinglichen Eigenschaft, indem die Syntheseleis- tung des Blicks verkannt und die Wahrnehmungseinheit in das Objekt verlegt wird. Siehe Kapitel: ‘Ontologisierung der Landschaft’. 79 Ihre ökonomische Basis wurde durch die städtisch bürgerliche Wirtschaftsweise gebildet, weshalb sie von der Landarbeit nicht direkt abhängig waren und die ländlichen Produktionsmittel und Produkti- onsgegenstände außerhalb ökonomischer Erwägungen und Interessen anschauen konnten. Im land- schaftlichen Blick manifestiert sich die distanzierte Wahrnehmung, die für die profitierenden Subjekte der bürgerlichen Wirtschaftsweise charakteristisch ist [BOURDIEU 1979: 104]. 49 „Die künstlerische Gestalt vermag sogar dem Lebenden beim Bau seiner Daseins- landschaft zu helfen, daß er genauer sieht, stärker empfindet und den Sinn, wel- cher unaussprechbar hinter den Formen liegt, tiefer ahnt“ [GUARDINI 1946: 14]. Das sprachlose Verstummen vor der Landschaft wird noch in der avancierten ‘Ästhetischen Theorie’ THEODOR W. ADORNOs gefordert, in der als Banause gilt, wer das ‘verschwiegene Geheimnis der Kunst’ offen ausspricht [ADORNO 1970: 108]; dabei ist es gerade die Allgegenwart und ‘Gesprächigkeit’ der land- schaftlichen Motive, die die ästhetische Konstitution von Landschaft fördert. „Gerade dieses aber macht den gesellschaftlichen Charakter der Bedeutung der Landschaft aus: daß die Aussage nicht im Objekt selbst, sondern in seiner kultu- rellen Interpretation, im Kulturgut liegt, durch das wir die Landschaft sehen und verstehen lernen. Dieses Kulturgut nun besteht zweifellos aus den kulturellen Leistungen der Dichtung und der Malerei, zum überwältigenden Maße aber reicht es in die abgesunkenen Bereiche hinein, welche den Massen der Menschen zu- gänglich sind: in die Urlaubsprospekte, in die naiven oder sentimentalen Lese- buchtexte, in die Landschaftsschilderungen des Trivialromans und in die billigen Öldrucke, wie sie in Hotelzimmern zu sehen sind“ [BURCKHARDT 1977: 207]. Vom Gemälde über die Parkgestaltung zum schönen Anblick führt die kultur- geschichtliche Genese der Landschaft80 [LORBERG 1996: 6-15; 2006a]. In den Romanen GOETHEs ist der Wahrnehmungswandel, der vom Landschaftsge- mälde zum ästhetischen Korrelat des landschaftlichen Blicks führt, eindrucks- voll dokumentiert. Der zum Kultbuch avancierte Briefroman ‘Die Leiden des jungen Werther’ von 1776 enthält noch einzelne Ansichten z.B. eines Tales, die ästhetisch beschrieben werden, ohne sie mit dem Wort ‘Landschaft’ zu be- nennen. Die landschaftsmalerischen Schilderungen der Motive wechseln in dem Roman auffällig mit der Stimmungslage des Protagonisten, der in den Phasen seiner hoffnungsvollen Verliebtheit ein ‘heiteres Tal’ beschreibt, wäh- rend über demselben Tale, in Zeiten des Liebeskummers geschildert, der Schatten der Melancholie liegt. Pointiert schildert GOETHE diesen Stimmungs- wechsel der ‘Landschaft’ in Werthers Brief am 18. August 1771: „Wenn ich sonst vom Felsen über den Fluß bis zu jenen Hügeln das fruchtbare Tal überschaute und alles um mich her keimen und quellen sah; [...] wie faßte ich das alles in mein warmes Herz, fühlte mich in der überfließenden Fülle wie vergöt- tert, und die herrlichen Gestalten der unendlichen Welt bewegten sich allbelebend in meiner Seele“ [GOETHE 1776: 51f]. Nach dieser idyllischen Stimmung, die Werther im Rückblick schildert, be- schreibt er die aktuelle Wahrnehmung des ehedem fruchtbaren Tals als offe- nes Grab. Es hat sich vor meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen, und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor mir in den Abgrund des ewig offenen Grabes. Kannst du sagen: Das ist! da alles vorübergeht? [...] Himmel und Erde 80 GRUENTER betont, dass der in der Malerei etablierte Landschaftsbegriff von dieser in die Dichtung übernommen wurde: „Die Landschaft ist in der Geschichte des Gebens und Nehmens zwischen Dich- tung und Malerei auf der Seite der Malerei zu buchen“ [GRUENTER 1953: 204]. So stellt GOETHE zu einem Zeitpunkt, als er in seinen Romanen mit ‘Landschaft’ einen schönen räumlichen Ausschnitt benennt, rückblickend auf seine Versuche in der Landschaftsmalerei fest: „Die Gewohnheit von Jugend auf, die Landschaft als Bild zu sehen, verführte mich zu dem Unternehmen, wenn ich in der Natur die Gegend als Bild erblickte, sie fixieren, mir ein sichres Andenken von solchen Augenblicken festhalten zu wol- len“ [GOETHE 1822: 152]. Also auch in diesem Zusammenhang ist das Landschaftsgemälde Ursprung des landschaftlichen Blicks, mit dem das Land als Landschaft wie ein Gemälde wahrgenommen wird. 50 und ihre webenden Kräfte um mich her: ich sehe nichts als ein ewig verschlingen- des, ewig wiederkäuendes Ungeheuer“ [GOETHE 1776: 52f]. Diese Schilderungen enthalten zwar alles, was im folgenden Jahrhundert zur Charakterisierung einer Landschaft dient, dennoch ist es Ende des 18. Jahr- hunderts noch nicht allgemein üblich, dieses Phänomen, das außerhalb des Landschaftsgemäldes und -parks gewahrt wird, als Landschaft zu bezeich- nen81. Auch in GOETHEs 1795 erschienenen Bildungsroman ‘Wilhelm Meisters Lehrjahre’ wird das Wort ‘Landschaft’ weder zur Charakterisierung schöner Ansichten noch zur Bezeichnung des bäuerlichen Landes benutzt. Während seiner Italienreise (1786-1788), auf der GOETHE mit Landschaftsmalern zu- sammenarbeitete, erwähnt er in einem Brief aus Rom Landschaft im maleri- schen Sinne: „Ein großes Glück ist mir mit Tischbein zu leben und bei ihm zu wohnen, in treuer Künstlergesellschafft [...]. Hätte ich Tischbein nicht der [...] so lange mit dem Wunsche hier gelebt hat mir Rom zu zeigen, so würde ich auch das weder genie- ßen noch lernen, was mir in der kurzen Zeit bescheert zu seyn scheint [...]. Wo man geht und steht ist ein Landschafft Bild, aller Arten und Weisen. Palläste und Ruinen, Gärten und Wildniß, Fernen und Engen, Häusgen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, offt alles zusammen auf Ein Blatt zu bringen“ [GOETHE 1786: 47ff]. GOETHE bezeichnet, was er sieht, nicht selbstverständlich als Landschaft, son- dern betrachtet es als Landschafts-Bild, indem er es mit einem Gemälde ver- gleicht, und schätzt die einzelnen Gegenstände als Vorlage für eine Komposi- tion [HARD 1969: 13f]. Das locker-unheimliche Intermezzo ‘Die Wahlverwandt- schaften’ von 1809 thematisiert in der Rahmenhandlung die Anlage eines Landschaftsparks [LORBERG 2006b: 136ff]. In diesem Roman wird die Anlage eines Landschaftsparks metaphorisch in die ästhetische Gestaltung des Le- bens der Protagonisten mit einbezogen. Landschaft tritt auch in dieser Erzäh- lung einzig im Kontext der artifiziellen Parkgestaltung in Erscheinung. Die ges- taltete Landschaft, die wie ein Gemälde betrachtet wird, ist ein Kunstwerk, das keinen ökonomischen Ertrag einbringen soll, und dem alten Nutzgarten sowie dem Dorf räumlich und symbolisch entgegengesetzt [GOETHE 1809: 242]. „Eduard – so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter [...] betrat sodann den eigentlichen Stieg und sah sich durch allerlei Treppen und Absätze auf dem schmalen, bald mehr bald weniger steilen Wege endlich zur Mooshütte geleitet. / An der Türe empfing Charlotte ihren Gemahl und ließ ihn dergestalt nie- dersitzen, daß er durch Tür und Fenster die verschiedenen Bilder, welche die Landschaft gleichsam im Rahmen zeigten, auf einen Blick übersehen konnte“ [GOETHE 1809: 242, 243]. Implizit gibt GOETHE eine zeitnahe Charakterisierung zur Erfindung der Lan- despflege in der landschaftlichen Parkgestaltung, die auch auf das agrarische Land außerhalb des Parks zugreift. Die Arbeit und deren Produkte sowie so- 81 Vergleiche die literarischen Beispiele aus dem 19. Jahrhundert, die RUDOLF BORCHERT ausgewählt hat: ‘Der Deutsche in der Landschaft’ [1925]. Die Durchsicht der Texte und Entstehungsdaten ergab, dass um 1830 das Wort Landschaft sowohl im eindeutig ästhetischen Zusammenhang gebraucht als auch zur Bezeichnung einer äußeren Realität verwendet und erst im letzten Drittel des 19. Jahrhun- derts der ‘verdinglichte’ Verwendungszusammenhang vorherrschend wird. Damit hätte Ende des 19. Jahrhunderts der Landschaftsbegriff die „doppelte Evidenz, als zugleich symbolischer wie wirklicher Raum möglichen Handelns“ [APEL 1998: 16] innerhalb der deutschen Gelehrtenschicht erreicht. Wir kön- nen davon ausgehen, dass er aus dieser in den allgemeinen Sprachgebrauch diffundiert ist und seither in jenem doppelten Sinne wirksam sein kann. 51 ziale Kulturwerke werden von den hoheitlichen Landschaftsgestaltern ästheti- siert. Die Anlage des Landschaftsparks kulminiert auf einem Fest in einer technischen Katastrophe mit Verletzten [GOETHE 1809: 336f], die durch die An- lage verursacht wird82, und schließlich im Tod eines Kindes [GOETHE 1809: 457]. Erst in dem Roman des Spätwerks, ‘Wilhelm Meisters Wanderjahre’ aus dem Jahre 1821 wird das Wort ‘Landschaft’ auch zur Bezeichnung einer schönen räumlichen Szenerie herbeigezogen. Eine Gegend, die mit den ästhetischen Attributen ‘schön’, ‘lieblich’ oder auch ökonomischen Attributen ‘reich’, ‘frucht- bar’ versehen wurde, wird nun auch als ‘Landschaft’ bezeichnet83 [vgl. GOETHE 1821/1829: 135]. „Sie schlugen den Weg ein nach jenen ausgedehnten Gütern des großen Land- besitzers, von dessen Reichtum uns Sonderbarkeiten man ihnen so viel erzählt hatte. [...] nun ging es steil den Berg hinab, durch einen Wald der hoch- und schlankstämmigsten Lärchenbäume, der, immer durchsichtiger werdend, ihnen zuletzt die schönste Besitzung, die man sich nur denken kann, im klarsten Son- nenlichte sehen ließ. / Ein großer Garten, nur der Fruchtbarkeit, wie es schien, gewidmet, lag, obgleich mit Obstbäumen reichlich ausgestattet, offen vor ihren Augen, indem er regelmäßig, in mancherlei Abteilungen, einen zwar im ganzen abhängigen, doch aber mannigfaltig bald erhöhten, bald vertieften Boden bedeck- te. Mehrere Wohnhäuser lagen darin verstreut, so daß der Raum verschiedenen Besitzern anzugehören schien, der jedoch, wie Fritz versicherte, von einem einzi- gen Herrn beherrscht und benutzt ward. Über den Garten hinaus erblickten sie ei- ne unabsehbare Landschaft, reichlich bebaut und bepflanzt. Sie konnten Seen und Flüsse deutlich unterscheiden“ [GOETHE 1821/1829: 44, 45]. Der landschaftliche Blick folgt der vorherrschenden Perspektive in der Land- schaftsmalerei, indem er von einer leichten Anhöhe über die Aue schauend eine landschaftliche Ansicht gewahrt. Die leicht erhabene Position des Bet- rachters ermöglicht eine visuelle Distanzierung, indem er über dem ange- schauten Sujet zu stehen kommt84. Der Standpunkt oberhalb der Niederterras- senkante gibt dem Betrachter einen Panoramablick, der für die weiten Ausbli- cke in den Landschaftsschilderungen charakteristisch ist85. Der Blick über weite Ansichten wird im 19. Jahrhundert ausgiebig genossen und zieht mit den Bild-Panoramen in die Städte ein, die um 1800 verbreitet aufgestellt werden und am Ende des 19. Jahrhunderts wieder verschwinden86 [KEMP 1991: 82]. Panoramen stellten beleuchtete Rundbilder aus, die der Bet- rachter von einer abgedunkelten Galerie (der Perspektive vom Feldherrenhü- 82 Diese Kritik an der technokratischen Rücksichtslosigkeit, mit der hoheitliche Maßnahmen durchge- setzt werden, findet sich auch am Ende des Faust-Dramas, wenn zur Trockenlegung eines Sumpfes ein altes widerständiges Ehepaar enteignet und umgebracht wird, dessen Gestalten PHILEMON und BAUCIS für die Gastfreundschaft stehen [GOETHE 1832: V. Akt, 2.-3. Szene]. 83 Schon wenige Jahre später, in der zweiten Fassung des Romans aus dem Jahre 1829, wird ‘Land- schaft’ losgelöst vom ästhetischen Zusammenhang benutzt: „[...] und da man mit Landschaft und Ge- gend genugsam vertraut geworden, auch die Hoffnung besprochen war, in einem ausgedehnten Ge- biete schnell eine große Anzahl Bewohner entwickelt zu sehen“, wird die Landesplanung zur Besied- lung der amerikanischen Kolonie geschildert [GOETHE 1821/1829: 404]. 84 Die bürgerliche Weltsicht blickt sozusagen aus der Höhe des Hochparterre bzw. der Beletage, von der sie erhoben und distanziert das Gelände überschaut. 85 Dieser Blick über das Land gleicht dem strategischen ‘Feldherrenblick’, der napoleonischen Per- spektive. Diesen Hinweis verdanke ich einem Gespräch mit FLORIAN BELLIN (1995). 86 Das Bild-Panorama war eine gänzlich kommerzielle Kunstgattung, die „im Zeichen des neuen Wirt- schaftsprinzip des Kapitalismus“ steht [KEMP 1991: 84ff]. 52 gel) aus betrachten konnte, um ihm den Eindruck zu vermitteln, in einer realen Szene zu stehen. Mit dem Panorama wurde für ein städtisches Publikum eine kollektive Wahrnehmung inszeniert [KEMP 1991: 83]. Den städtischen Massen wurden Bilder der ‘fernen Welt’ vorgeführt, „die durch die modernen Verkehrs- und Kommunikationsmittel, durch Kolonisierung und Forschungsreisen er- schlossen worden“ waren [KEMP 1991: 83]. „Die Panoramen sind etwas zu groß geratene Symbole einer beherrschten Welt. Erschließung und Eroberung fremder Orte und Länder reizen zur faktischen oder symbolischen Wiederholung: durch Tourismus oder, wenn man so sagen darf, durch das ‘Fern-Sehen’, wie es im Panorama am sinnlichsten etabliert war“ [KEMP 1991: 83]. Neben das exotische Motiv, das der Lebenswelt fremd ist, tritt die mit lebens- weltlich vertrauten Bildern durchsetzte ‘bedeutende’ Szenerie, die realitätshei- schende Schilderung historischer Ereignisse. Elemente der Alltagswahrneh- mung werden im neuen bildhaften Kontext bedeutsam und exotisiert, so dass dem Betrachter im Panorama ein Sehmodell vorgeführt wird, mit dem die eige- ne Nahwelt wie die ‘ferne Welt’ distanziert betrachtet werden kann. Der land- schaftliche Blick, der auf den landschaftlichen Spaziergängen eingeübt wurde, entspricht diesem Panoramablick, den man im städtischen Panorama genie- ßen konnte. Wie die als Natur angeschaute Landschaft, galt auch das Pano- rama als anonymes Bild ohne Autor [KEMP 1991: 90f] und bei den Themen „ü- berwog bei weitem die Natur“ [STERNBERGER 1938: 13]. „Den Löwenanteil der Themen aber stellten die Geographie und die Topographie: Naturwunder, liebliche oder erhabene Landschaften, berühmte Städte in aller Welt, das sah man am häufigsten und offenbar auch am liebsten“ [KEMP 1991: 82]. Der Kulturwissenschaftler DOLF STERNBERGER hat die Entwicklung und Bedeu- tung des panoramatischen Blicks rekonstruiert [STERNBERGER 1938; SCHIVELBUSCH 1989: 59]. Das maltechnische Vorbild des räumlichen Illusionis- mus im Panorama entstammt dem Landschaftspark, in dem Gemälde, die inte- ressante Prospekte geben, geschickt zwischen der Vegetation positioniert, rea- le Szenen vortäuschen [BENJAMIN 1936: 173; STERNBERGER 1938: 200]. Die Täu- schung, die den damaligen Stand der Technikentwicklung nutzte, um Realität zu suggerieren, beruht auf einem möglichst lückenlosen Illusionsraum, für den auch der Abstandsraum zwischen Betrachterplattform und Rundgemälde mit Gegenständen ausstaffiert wurde [STERNBERGER 1938: 14f, 204]. Mit raffinierter Maltechnik, Beleuchtung und Inszenierung wurden dem Betrachter sogar die ‘wandelbaren Gemälde’ des Spaziergängers suggeriert [STERNBERGER 1938: 203]. Mit der Einübung und Herausbildung des landschaftlichen Blicks in den Panoramen und auf den Spaziergängen kann sowohl das Land als auch die Stadt als Landschaft gesehen werden. Der Flaneur, der ziellos (interesselos) durch die Stadt schweift, betrachtet diese mit dem „Blick des Entfremdeten“, dem „die gewohnte Stadt als Phantasmagorie winkt“, die ihm wiederum als Landschaft erscheint87 [BENJAMIN 1936b: 179]. 87 Ähnlich dem Blick des modernen Stadtökologen: „Die ‘synergetische’, kybernetische Denkweise beginnt die Stadt als nicht hierarchisch geordnetes Gebilde aus in sich geordneten, in wechselseitiger Abhängigkeit befindlichen Elementen zu begreifen, als ökologisches System oder auch – anschaulich ausgedrückt – als Landschaft“ [SIEVERTS 1998: 27]. Siehe zum Zusammenhang zwischen Landschaft und Ökosystem das Kapitel: ‘Das ökologische Paradigma’. 53 „Die Stadt weitet sich in den Panoramen zur Landschaft aus, wie sie es auf subti- lere Art später für den Flanierenden tut“ [BENJAMIN 1936: 173]. Der mit der Eisenbahn technisch in Bewegung gesetzte Reisende, dem die durchreiste Gegend von seiner in die Maschinerie eingebundenen Beobach- terposition her getrennt und entfremdet erscheint, konnte dann den Panora- mablick nutzen, um durch das Zugfenster die vorbeieilenden Gegenstände als Landschaft zu betrachten. „Die Eisenbahn bildete die neu erfahrbare Welt der Länder und Meere selber zum Panorama aus. Sie verband nicht bloß zuvor entfernte Orte miteinander, indem sie den überwundenen Weg von allem Widerstand, Unterschied und Abenteuer befreite, sie wendete vielmehr die Blicke der Reisenden, da das Reisen selber so bequem und allgemein wurde, nach außen und bot ihnen die reiche Nahrung wechselnder Bilder dar, welche während der Fahrt die einzige mögliche Erfahrung ausmachten“ [STERNBERGER 1938: 46]. WOLFGANG SCHIVELBUSCH weist darauf hin, dass die Eisenbahn, die Raum und Zeit industrialisierte88, auch den Blick auf die panoramatische Fernsicht ein- stellte, um die rasch vorbeieilenden Bilder zu einem landschaftlichen Bild ver- einigen zu können [SCHIVELBUSCH 1989: 55, 59]. „Dies bedeutet das Ende des Vordergrundes, jener Raumdimension, die die we- sentliche Erfahrung vorindustriellen Reisens ausmacht. [...] Der panoramatische Blick gehört, im Unterschied zum traditionellen Sehen à la Ruskin, nicht mehr dem gleichen Raum an wie die wahrgenommenen Gegenstände“ [SCHIVELBUSCH 1989: 61]. Die Eisenbahn und ihre Gleisanlagen, die Ende des 19. Jahrhunderts von Na- tur- und Heimatschützern als zerstörerische Elemente in der malerischen Landschaft wahrgenommen wurden, ermöglichen umgekehrt für den Zugfah- renden „eine ästhetisch ansprechende Perspektive“ [SCHIVELBUSCH 1989: 58]. Die malerische Landschaft liegt im Abteilfenster gerahmt und ist für den Pas- sagier nur über das Auge erreichbar89, mit dem er ein wenig erhaben über das Gelände schaut. „Die Eisenbahn inszeniert eine neue Landschaft“ [SCHIVELBUSCH 1989: 58]. Auf die ‘Entzauberung der Welt’ durch versachlichende Rationalität und natur- wissenschaftliche Technik antwortet das gesellschaftliche Imaginäre mit dem Streben nach einer erneuten, d.h. auch modischen ‘Verzauberung’. Die fremd gewordene Welt, die in der industriellen Technik hergestellt und vorgeführt 88 BENJAMIN entwickelt den Gedanken, dass die verdinglichte Welt reauratisierbar wäre, so dass an die Stelle politischen Handelns eine Ästhetisierung der Welt träte [BENJAMIN 1936a: 138f; vgl. LUKACS 1923: 238, 240]. Der französische Historiker FOUCAULT stellt heraus, dass der panoramatische Blick in der Anlage von Gefängnissen, die im 19. Jahrhundert errichtet werden, berücksichtigt wird und behauptet, dass das Panoptikum eine bedeutsame Metapher für die Überwachungstechniken der modernen Gesellschaft sei [FOUCAULT 1976; vgl. MÜMKEN 1997]. 89 Im 20. Jahrhundert folgte der Absicht, die Landschaft in die technische Anlage visuell einzubauen, die Gestaltung der Autobahnen (bevor die Aussichten durch das Begleitgrün zugepflanzt bzw. die Au- tobahnen weggegrünt wurden), von denen her den Autofahrern die Landschaft verkehrstechnisch in- szeniert wurde; z.B. in den Anlagen von ALWIN SEIFERT [z.B. SEIFERT 1934], der unter anderem auch WILLIAM HOGARTHs ‘Schönheitslinie’ und die ‘geschwungene Wegeführung’ [BUTTLAR 1989: 60] aus dem Landschaftspark auf die Autobahntrassen übertrug [z.B. SEIFERT 1936: 114-117]. Das Prinzip der ‘Bahn’, ein Weg ohne Rand, verbindet Eisen- mit der Autobahn und den Bahnen der Grün- und Stadtplanung [BELLIN 1996: 86f; HÜLBUSCH 1996]. 54 wird, erzeugt eine Sinnleere, auf die das zahlreicher gewordene Bürgertum ästhetisch mit dem Wunsch reagiert, dass die verdinglichte Welt ‘reauratisiert’ werden solle. Diesem Wunsch kommt die Vergnügungsindustrie mit einer technischen Lösung entgegen [KRAKAUER 1926; 1927; BENJAMIN 1936a: 154]. Mit der Ausbildung des landschaftlichen Blicks, der im Landschaftspark eingeübt worden ist und in den neuen ‘Massenmedien’ Bild-Panorama und Eisenbahn entwickelt wurde, konnte tendenziell jedes Stück Land oder Stadt zur ästheti- schen Landschaft werden [vgl. BENJAMIN 1934b], allerdings setzt die konkrete ästhetische Realisierung der Landschaft voraus, dass kulturgeschichtliche Dis- positionen ausgebildet und im Anblick aktualisierbar sind [RITTER 1963]. Die Entdeckung der Landschaft und bestimmter Landschaften hat eine ideenge- schichtliche Vorprägung [GROH/ GROH 1991; LORBERG 1996: 13ff]. Konstituierung der Landschaft Fassen wir die bisherigen Überlegungen zusammen, dann setzt, dass ein kon- kretes Stück Land als Landschaft angeschaut werden kann, voraus, dass es außerhalb der Ökonomie betrachtet werden kann und dass entsprechende kul- turelle Klischees formuliert worden sind [CORBIN 1990; GROH/ GROH 1991; LORBERG 1996]. Ein geschichtsphilosophisches Konzept zur Entdeckung der Landschaft vertritt JOACHIM RITTER in seinem Aufsatz ‘Landschaft. Die Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft’90. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft wird das moderne Subjekt ausdifferenziert, das sich seiner Freiheit bewusst ist [RITTER 1963: 150f; vgl. HABERMAS 1985: 27ff]. Dieses neuzeitliche Selbstbewusstsein basiert, so RITTER, auf der technischen Herr- schaft über Natur [RITTER 1963: 160, 162]. „Die zum Erdenleben des Menschen gehörige Natur als Himmel und Erde wird äs- thetisch in der Form der Landschaft zum Inhalt der Freiheit, deren Existenz die Gesellschaft und ihre Herrschaft über die zum Objekt gemachte und unterworfene Natur zur Voraussetzung hat“ [RITTER 1963: 162]. Verkörpert wurde das selbstbewusste Subjekt und die technische Herrschaft über die (ländliche) Natur in der frühen Neuzeit durch die ‘Stadt’ als Ort der (bürgerlichen) Freiheit [RITTER 1963: 159f]. Daher würde die ländliche Natur erst dem Städter, der in sie hinaus gehe, zur Landschaft [RITTER 1963: 151, 159]. „Natur ist für den ländlich Wohnenden immer die heimatliche, je in das werkende Dasein einbezogene Natur: der Wald ist Holz, die Erde der Acker, die Wasser der Fischgrund. [...] Landschaft wird daher Natur erst für den, der in sie ‘hinausgeht’ (transcensus), um ‘draußen’ an der Natur selbst als an dem ‘Ganzen’, das in ihr und als sie gegenwärtig ist, in freier genießender Betrachtung teilzuhaben“ [RITTER 1963: 147]. Allerdings ist die Herrschaft über die Natur, und dies erwähnt RITTER nicht ex- plizit, über menschliche Arbeit vermittelt. Daher basiert die bürgerliche Freiheit auf Herrschaft über Menschen, die neben den städtischen Arbeitern vor allem das bäuerliche Landvolk umfassen, das im landschaftlichen Blick naturalisiert wird, wenn dieser – im Auge des bürgerlichen Städters beheimatet, der vor die Tore der Stadt tritt, – auf die Bauern fällt. Die koloniale Attitüde, die eroberten Länder samt Menschen als Natur aufzufassen, die dem Zugriff verfügbar wäre, 90 RITTER greift implizit auf die erklärenden Konzepte zum Phänomen der Verdinglichung von LUKACS [1923] und BENJAMIN [1936a] und die Überlegungen zur Landschaft von GEORG SIMMEL [1913] zurück. 55 wird im landschaftlichen Blick übernommen. Diesen Blick teilt der Kolonialis- mus mit dem Tourismus [APPEL 1992: 41f], der in die ‘fernen’ außer- und inner- staatlichen Kolonien, die Heide à la LÖNS, aufbricht [LORBERG 1996: 29-43]. Mit dieser ‘naturalisierenden’ Geisteshaltung begeben sich aber schon vor 1800 bildungsbürgerliche Spaziergänger zum Landausflug vor die Tore der Stadt. So subsummiert der Zeitzeuge FRIEDRICH SCHILLER, auf dessen Gedicht ‘Der Spaziergang’ sich RITTER beruft, das „glückliche Volk der Gefilde“, das „noch nicht zur Freiheit erwacht“ sei, schlichtweg der Natur [SCHILLER 1795: 148]. Das ländliche Volk lebte damals unter leibeigen-ähnlichen Besitz- und Arbeitsver- hältnissen, über die der Grundherr wie über Naturdinge, die in sein Eigentum fielen, verfügen konnte. Die Natur, die in den modernen Wissenschaften, die in der Neuzeit die techni- sche Beherrschung der Naturkräfte und die Entwicklung der Produktivkräfte entscheidend mitprägen, objektiviert und quantifiziert wird, umgibt das moder- ne Subjekt im Modus eines sinnleeren und verdinglichten Phänomens [RITTER 1963: 153, 160]. Freiheit und Sinn sind nicht in dieser verdinglichten Natur, son- dern nur in den Subjekten, präziser ihrem gesellschaftlichen, moralischen Handeln zu realisieren [KANT 1788]. Im Bewusstsein des modernen Individuums würde diese geschichtliche Situa- tion nun einerseits befreiend als Zugewinn autonomen Handelns, andererseits entfremdend als Verlust gegebenen Sinns wahrgenommen. Diesen zweiten Aspekt erklärt RITTER aus dem von der Antike her tradierten Konzept der ‘theo- ria ton kosmon’, der ‘Schau der Ordnung im Ganzen’, die eine sinnvolle Welt voraussetzte [RITTER 1963: 144ff]. Das aus dem Alt-Griechischen stammende Wort ‘theoria’ bedeute „anschauende Betrachtung. [...] Anschauen, das dem Gotte zugewendet ist und so an ihm Teil gibt“ [RITTER 1963: 144f]. Zudem gehe mit der theoretischen Einstellung „der Mensch aus dem Bereich der Praxis und ihrer Zwecke heraus; er ‘überschreitet’, ‘transzendiert’ ihn, um sich zur An- schauung des Ganzen zu erheben“ [RITTER 1963: 146]. Zwar sei dieses Konzept des sinnvollen Ganzen in der Moderne zerbrochen, aber nicht die zugrundelie- gende Sinnerwartung verschwunden. Sinn muss daher in der Neuzeit anders gewahrt werden. Das Organ zur Schau des sinnvollen Ganzen bilde unter den epistemologischen Bedingungen der Moderne die Ästhetik aus [RITTER 1963: 156]. Vor dem Hintergrund der Theorie-Tradition ist „Natur als Landschaft [...] Frucht und Erzeugnis des theoretischen Geistes“ [RITTER 1963: 146]. Das moderne Subjekt realisiert in der ästhetischen Anschauung der Natur den Sinn, den die moderne Naturwissenschaft nicht entdecken kann, indem das ästhetische Phänomen Landschaft komplementär zur verdinglichten Natur der Wissen- schaft tritt [RITTER 1963: 163]. „Die ästhetische Natur als Landschaft hat so im Gegenspiel gegen die dem meta- physischen Begriff entzogene Objektwelt der Naturwissenschaft die Funktion ü- bernommen, in ‘anschaulichen’, aus der Innerlichkeit entspringenden Bildern das Naturganze und den ‘harmonischen Einklang im Kosmos’ zu vermitteln und ästhe- tisch für den Menschen gegenwärtig zu halten“ [RITTER 1963: 153]. Der in der objektwissenschaftlichen Weltauffassung verlorengegangene Le- benssinn wird nicht im moralischen Handeln (z.B. in der Politik) wiedergewon- nen, sondern im ästhetischen Weltverhältnis angeschaut und empfunden. Da- 56 mit vermag die Ästhetik eine politische Funktion zu übernehmen und in der Gesellschaft (allgemeine) Normen zu installieren91. Da das Konzept der ‘theo- ria ton kosmon’ erst in der Neuzeit zerbrochen ist, konnte Landschaft auch erst von den ‘zur Freiheit erwachten’ modernen Subjekten, den städtischen Bür- gern, entdeckt werden. „Freiheit ist Dasein über der gebändigten Natur. Daher kann es Landschaft nur unter der Bedingung der Freiheit auf dem Boden der modernen Gesellschaft ge- ben“ [RITTER 1963: 162]. Dieses Konzept RITTERs, in dessen Konsequenz um 1800 alles zur Landschaft geworden sein müsste, steht in Widerspruch zu dem historischen Phänomen, dass spezifische Landschaften z.B. das Mittelgebirge, die Alpen, die Küste o- der die Heide ungleichzeitig entdeckt worden sind [GROH/ GROH 1991: 95f]. RIT- TERs Überlegung zur ästhetischen Entdeckung der (verdinglichten Natur als) Landschaft stellt nur die Bedingung heraus, dass Landschaft überhaupt wahr- genommen werden konnte, und erklärt nicht, wie bestimmte Landschaften ent- deckt worden sind. Diesen Widerspruch erklären RUTH und DIETER GROH da- mit, dass der Entdeckung von Landschaften eine ideengeschichtliche Vorprä- gung voranging, die der ästhetischen Rezeption entsprechende Klischees be- reitstellte, die den Rezipienten vorstellten, wie etwas wahrgenommen werden könne. „Die sinnliche, die ästhetische Wahrnehmung von Natur ist immer durch Ideen, durch Vorstellungen präformiert. Ideen, Vorstellungen generieren erst den Ge- genstand der Erfahrung“ [GROH/ GROH 1991: 95]. Am Beispiel der Alpen zeigen die AutorInnen, wie ein bisher negativ bewerte- tes Sujet über die Unendlichkeitsspekulation der Physikotheologie zur An- schauung der Erhabenheit Gottes semantisch positiv besetzt werden konnte [GROH/ GROH 1991: 134]. Die Alpen wurden damit in einem neuen Kontext zu- gänglich und als Landschaft ästhetisch entdeckbar. Mit dem Aufstieg des sich selbst bewussten Subjekts, das seine Freiheit und Einzigkeit in seinen weltli- chen Ekstasen genießt, stand ein weiterer ästhetischer Vorstellungsraum be- reit, um Natur in Landschaft zu transformieren [GROH/ GROH 1991: 140]. Der spezifischen Entdeckung von Landschaften geht jeweils eine über Medien vermittelte – z.B. der theologischen [SIEFERLE 1986: 242; GROH/ GROH 1991], medizinischen [CORBIN 1990], natur- und heimatschützerischen Diskurse [LORBERG 1995: 42-47; 1996: 21-42] – entsprechende kulturelle Einübung der Wahrnehmung voran [LORBERG 1996]. Eine Landschaft kann im Laufe der Ge- schichte auch auf unterschiedliche Weise ästhetisch entdeckt werden und wie- der ‘veralten’, z.B. Rügen in den letzten 200 Jahren [LORBERG 2006a]. Gleich der Gestaltung und Rezeption des Landschaftsparks, die auf Vorlagen der Landschaftsmalerei zurückgriffen, ist auch die Entdeckung bestimmter Land- schaften auf literarische oder bildliche Präformationen der Wahrnehmung an- gewiesen. Die im Landschaftspark (formal) eingeübte landschaftliche Einstel- lung des Blicks ist daher auch über literarische und andere Bilder inhaltlich auf bestimmte Landschaften hin vorgeprägt, die in der Wahrnehmung realisiert werden (auch wenn das Klischee nicht äußerlich vorhanden ist). 91 Näher erläutert wird der Zusammenhang zwischen Ästhetik, Ideologie und Landespflege im Kapitel: ‘Ökonomische Interessen und Ästhetisierung’. 57 Das Abenteuer, das allgemein in dem Versuch besteht, eine Herausforderung zu bewältigen, ist von der ‘Konstituierung der Landschaft’ unabhängig; man braucht keine Landschaft, um Abenteuer bestehen zu können. Besteht aber die Wahrnehmungsmetapher Landschaft, dann kann das Abenteuer mit der spezifischen Landschaft, in der es situiert wird, verbunden werden. Die hoch- alpinen Bergbesteigungen des 19. Jahrhunderts haben einen neuen ästheti- schen Aspekt der erhabenen Alpengipfel gegeben, die nun mehr als Metapher der menschlichen Selbstbehauptung fungieren konnten. Ebenso gehören die Jagdgeschichten von HERMAN LÖNS zur ästhetischen Entdeckung der Lüne- burger Heide [LORBERG 1996: 37ff, 61-64]. Diese Abenteuer gelangen über die mediale Inszenierung in Literatur und Malerei an die Abnehmerschichten, die mit diesen Geschichten im Kopf, in die geschilderten Landschaften reisen [BURCKHARDT 1977: 207, 210]. – Vor dem ökonomischen Hintergrund sozialer Distinktion können solche Landschaftsreisen, die an den neusten Entdeckun- gen teilnehmen bzw. diesen hinterher fahren, als die zeitgemäße Darstellung symbolischen Kapitals verstanden werden [BOURDIEU 1979: 417, 440f; LORBERG 2006a: 112ff]. Die publikumswirksame Entdeckung und Inszenierung einer be- stimmten Landschaft entwirft eine Mode, mit der sich betuchte und feinsinnige Bürger ‘darstellen’ können92. Entsprechend der Mode und permanenter Mo- dernisierung kann der exquisite Reiz der Landschaften veralten, wie mit den Mittelgebirgen und der Lüneburger Heide geschehen, oder der gealterte Charme neu inszeniert werden, was z.B. Rügen widerfuhr [LORBERG 2006a: 115ff]. Landschaft ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein explizit ästhetisches Wahr- nehmungsphänomen. Der ästhetische Landschaftsbegriff, der auf die Malerei und Parkgestaltung, später auch auf das ästhetisch angeschaute Land ange- wandt wurde, gehörte um 1800 dem Sprachgebrauch der gebildeten und wohlhabenden Schichten an [HARD 1970b: 22]. Erst im Laufe des späten 19. Jahrhunderts gelangt der ‘moderne Landschaftsbegriff’ als ästhetisch- materielle Dublette in den allgemeinen Sprachgebrauch, wobei die ästhetische Landschaft eine entscheidende semantische Umformung erfuhr. Die ästheti- sche Landschaft wurde ontologisiert und populär. „Der Landschaftsgarten war (wie das gesamte Konstrukt ‘Landschaft’) in der Tat von vornherein nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine polemische Kon- struktion, die, sehr grob gesprochen, zuerst vor allem gegen den Absolutismus und seine Beschneidung der ‘natürlichen Freiheiten’ gerichtet war, dann aber auch eine anti-moderne, anti-städtische und anti-industrielle Bedeutung annahm. Dieses antiindustrielle Konstrukt ‘Landschaft’ wurde dann in der ideologiebilden- den ‘Literatur um 1900’ mehr als je zuvor ontologisiert, ideologisiert und eben da- durch auch politisch umweglos verfügbar gemacht“ [HARD 1985: 287f]. Ontologisierung der Landschaft Der Naturforscher ALEXANDER VON HUMBOLDT nutzt dieses wahrnehmungsbe- zogene Landschaftsphänomen bewusst und im Unterschied zur eigentlich phy- sischen Weltbeschreibung, die er zu geben sich vorgenommen hatte. Das 92 Die Jugend- und Wanderbewegungen am Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten die Landschaften auf ihre Weise und inszenierten mit diesen ihre spezifische Distinktion gegen den ‘bürgerlichen Muff’ [BLOCH 1932: 70, 74f]. 58 Landschaftsgemälde soll als ästhetisches Anregungsmittel und Sinnbild die- nen, das ästhetisch den Gesamtzusammenhang der physischen Phänomene repräsentiert [HARD 1970a: 53f; METREAUX 1986]. Wie schon dargestellt, ge- braucht GOETHE das Wort ‘Landschaft’ nur, wenn er über Gemälde oder schö- ne Ausblicke schreibt, im ästhetischen Kontext. Aber im Laufe des 19. Jahr- hunderts beginnt das Wort aus dem ästhetischen Kontext in neue Kontexte zu ‘driften’, wodurch der Bedeutungsumfang des Landschaftsbegriffs verschoben wird. Der Kulturhistoriker WILHELM HEINRICH RIEHL schreibt 1850 über das ‘landschaftliche Auge’, dass es die Dinge im Wechsel der Jahrhunderte jeweils anders gesehen habe, was in der Landschaftsmalerei deutlich würde [RIEHL 1850: 62f]. Die ästhetische Landschaft wird von RIEHL als ein Phänomen der Wahrnehmung beschrieben, das zwar im Kunstwerk fixiert werden kann, aber außerhalb von Malerei und landschaftlicher Wahrnehmung nicht existieren würde [RIEHL 1850: 67f]. Er führt den Wechsel im ‘landschaftlichen Blick’ auf ei- nen „Umschwung der Gesittung“ zurück [RIEHL 1850: 68]. Zugleich deutet er ver- einzelt an, dass neben der malerischen Landschaft eine „Landschaft in Wirk- lichkeit“ vorliege [RIEHL 1850: 64]. Dies deutet darauf, dass das Wort für neue sprachliche Verwendungsweisen attraktiv wird [vgl. BARTHES 1959], und schon Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Wortgebrauch deutlich in Richtung zur heutigen Ausdrucksweise verändert. So benutzt der Schweizer Schriftsteller GOTTFRIED KELLER im Roman ‘Grüner Heinrich’ das Wort ‘Landschaft’ als Be- zeichnung für ein bewohntes Stück Land [1850]. Der revolutionäre Geist ergreift die Schweizer Provinzen: „Zu diesem bildete Lee mit seinen Genossen, an seinem Orte, eine tüchtige Fort- setzung im arbeitenden Mittelstande, welcher von jeher aus der Tiefe des Volkes auf den Landschaften umher seine Wurzeln trieb und erneuerte“ [KELLER 1850: 15]. Der Herausgeber der Anthologie ‘Deutsche Landschaft’ resümiert, dass die vorherrschende Vorstellung, die seit dem 20. Jahrhundert mit dem Wort ‘Land- schaft’ verbunden werde, in den literarischen Erzählungen um 1850 entworfen wurde. „Es ist die Zeit, in der das landschaftsästhetische Bild Deutschlands am nachhal- tigsten bis heute geprägt und verbreitet wurde. Wanderbücher mit detaillierten Weg-, Geographie- und Geschichtsschilderungen entstehen, zu denen gesam- melte oder erfundene Ortssagen hinzugefügt werden“ [SCHNEIDER 1981: XV, XVII]. Mit der Epoche des poetischen Realismus verändert sich die Art der Land- schaftsschilderung und „wurde Landschaft in größerem Stil als exakt identifi- zierbare Lokalität beschrieben“, die eine Einheit aus „Sitten, Sprache, Bevölke- rung, Naturbeschaffenheit und Geschichte“ bildete [SCHNEIDER 1981: XVII]. Die Landschaftsschilderungen des Realismus setzen zu einem Zeitpunkt ein, als mit der Industrialisierung die gewohnten Bilder der Stadt und des Landes in Widerspruch zu den sozialen und räumlichen Veränderungen treten, gegen die die Landschaft als konservatives Ideal entworfen wird. 59 „Der gesamte Komplex konservativer Naturzuwendung scheint hier, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, seinen Ausgang zu nehmen. [...] ‘Untergang’, sozial und politisch, erfuhr der alte Adel durch die bürgerlich-kapitalistische Welt, und so ist er häufig, wie er von Eichendorff bis Fontane beschrieben wurde und selbst geschrieben hat, zur ästhetischen Gegenmacht gegen industrielle Hässlichkeit aufgerückt“ [SCHNEIDER 1981: XVII]. Aber nicht nur vom ländlichen Adel wurde die ästhetische Landschaft als kon- servatives Ideal aufgebaut, auch das städtische Bürgertum benutzte es, um gegen die extremen sozialen und ökonomischen Ungleichheiten und den dar- aus resultierenden Konflikten, die die Industrialisierung hervorrief, vorzugehen. Die in der Literatur geschilderte ‘gewachsene’ Landschaft, die „der ästhetische Aufgang des in der Realität Untergehenden“ ist [SCHNEIDER 1981: XVIII], galt als gelungene Harmonie zwischen ‘Land und Leuten’ und ästhetisches Ideal so- zialer Eingebundenheit [SIEFERLE 1986: 243, 247f; HERMAND 1991: 83f]. In der Landesverschönerung, wie sie von GERD DÄUMEL dargestellt wird, ist das Wort ‘Landschaft’ zwar noch weitgehend dem ästhetischen Kontext schö- ner Ansichten vorbehalten – was aus der professionellen Herkunft der Landes- verschönerung aus der Landschaftsgestaltung nahe liegt –, wird aber auch schon als realer äußerer Gegenstand mit dem bearbeiteten Land gleichgesetzt z.B. von dem Architekten MICHAEL VOIT . VOITs Gebrauch des Wortes ‘Land- schaft’ ist insofern aufschlussreich, als es zwischen dem mittelalterlichen politi- schen Begriff, dem ästhetischen Landschaftsbegriff und dem einer äußeren dinglichen Entität changiert, und zwar ähnlich wie im zeitgleich erschienenen Roman GOETHEs ‘Wilhelm Meisters Wanderjahre’93. „Eine angebaute Landschaft, in welcher der Fleiß und das Streben der Menschen sichtbar wird, ist erfreulicher als eine Steppe; jede Verschönerung auf dem Lande sollte daher mit der Kultur des Bodens beginnen“ [VOIT 1821, zitiert in DÄUMEL 1961: 70]. Schwankt der Landschaftsbegriff in diesem Zusammenhang zwischen dem ästhetischen und dinglichen Sinn, so stehen daneben Textstellen, an denen er vom ökonomischen zum politischen Kontext wechselt. „Man hat nicht nur einzelne Erzeugnisse des Landmannes zu beachten und zu begünstigen, sondern es muss die ganze Haushaltung einer Landschaft geprüft und gewürdigt werden“ [VOIT 1821, zitiert in DÄUMEL 1961: 90]. Schließlich nutzt JOHANN EVANGELIST FÜRST 1839 ‘Landschaft’ im eher dingli- chen Sinne, wenn er dazu aufruft, wieder das Land zu besiedeln: „Sehet da, die herrlichsten Landschaften noch in Wildnis liegen. Helfet uns, ein Paradies daraus zu machen“ [FÜRST 1839, zit. in DÄUMEL 1961: 101]. Der Landschaftsbegriff wird im 19. Jahrhundert vom rein ästhetischen zu ei- nem ästhetisch-materiellen Phänomen transformiert. In der Landesverschöne- rung steht der ästhetische Landschaftsbegriff auf der Schwelle zur ‘Ontologi- sierung der Landschaft’, die dann vom Heimat- und Naturschutz breitgetreten wird. Ende des 19. Jahrhunderts bezeichnet ERNST RUDORFF in seiner pro- grammatischen Schrift ‘Heimatschutz’ mit dem Wort ‘Landschaft’ einen dingli- chen Ausschnitt der Erdoberfläche, der durch agrarische Produktionsmittel charakterisiert ist [z.B. RUDORFF 1897: 14f, 34, 95]. Wenn sich z.B. beim Betrach- ter im Anblick einer ‘Landschaft’ Empfindungen regen, dann werden sie nicht in 93 Siehe zur Landschaft in den Romanen GOETHEs auch oben das Kapitel: ‘Der landschaftliche Blick’. 60 der Sensitivität des Subjekts verortet, sondern die emotionalen Qualitäten der dinglich erfüllten Landschaft zugesprochen94 [z.B. RUDORFF 1897: 16]. Land- schaft erscheint bei RUDORFF, wie allgemein im Schrifttum des Natur- und Heimatschutzes, als bedrohte, die durch die baulichen Veränderungen (Ver- koppelung und Industrialisierung) zerstört würde. RUDORFF beklagt, dass der schöne Anblick, „mit den Angern auch Hirten und Herden verschwinden [...], schöne, lebendige Bilder ländlicher Ursprünglichkeit“ vernichtet würden [RUDORFF 1897: 34], also gerade jene Motive, die aus der Landschaftsmalerei bekannt sind. In Pamphleten und Romanen um 1900 wird das agrarische Land mit der Be- zeichnung ‘Landschaft’ belegt und schließlich zur (eigentlichen) Landschaft, die durch die moderne Welt bedroht sei, erklärt [SIEFERLE 1984: 161-173; HERMAND 1991: 84-89; LORBERG 1996: 29-43]. „Als wesentlicher Umschlagplatz fungierten u.a. die romantische Literatur, vor al- lem ihre Kunst- und Naturphilosophie, sowie das ‘naturreligiöse Schrifttum um 1900“ [HARD 1970b: 21]. GERHARD HARD nennt diesen Vorgang die Ontologisierung der ästhetischen Konstruktion Landschaft [HARD 1970b: 190]. Mit dem Begriff der Ontologisierung bezeichnet HARD eine sprachliche Bedeutungsverschiebung, die das Wesen eines Phänomens allein dem dinglichen Objekt, das mit der Bedeutung besetzt wird, zuspricht, ohne die kulturgeschichtliche und sprachliche Konstruktion die- ser Aussage zu reflektieren [HARD 1970b: 190]. Eine Ontologisierung findet sei- ner Meinung nach statt, wenn unter der erkenntnistheoretischen Prämisse ei- ner Widerspiegelungstheorie des Geistes, dass die Wahrnehmung die wirkli- che Außenwelt abbilde, eine bestimmte Wahrnehmungsweise, die jene Wirk- lichkeit erst konstituiert, zum Gegenstand erklärt wird. „Diese Verwandlung einer Perspektive in ein ‘Ding’, dem dann wieder beliebig vie- le Perspektiven zugeschrieben werden – das ist der idealtypische historische Ver- lauf einer Hypostasierung“ [HARD 1970b: 193]. HARD hat diesen Vorgang anhand des Landschaftsbegriffs in der Geographie sprachanalytisch beschrieben95, wodurch er drei Bedeutungsschichten des homonymen Signifikanten ‘Landschaft’ differenzieren kann, die er mit einem Index versieht: „’ 1Landschaft’ als ‘paysage’, ‘2Landschaft’ als ‘région’ und ‘3Landschaft’ als ‘künst- lerisches Abbild einer 1Landschaft’“ [HARD 1970b: 28]. Die ‘1Landschaft’ als ästhetische Anschauungsform, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist, wird auf das angeschaute Land übertragen, so dass eine ‘Landschaft’ gesehen wird. Im zweiten Schritt werden die Gegenstände, die in dieser Landschaft identifiziert werden, als ‘landschaftliche Gegenstände’ be- zeichnet. Logisch gesehen ist in diesem Zusammenhang ‘landschaftlich’ Akzi- denz der Gegenstände, die als Substanz fungieren. Die ästhetische Einheit bzw. Ganzheit in der Landschaftswahrnehmung, verbunden mit der Übertra- 94 Zur Verdinglichung emotionaler Qualitäten siehe LORBERG [2006b: 127-131]. 95 Auf die ontologischen Prämissen des sprachanalytischen Kritizismus, wie beispielsweise die grund- legende Trennung zwischen Sprache und Dingen (Word and Objekt), kann an dieser Stelle nicht ein- gegangen werden. Das paradoxe Unternehmen, Verdinglichungen aufzudecken und dabei Hypostasie- rungen vorzunehmen, spricht nicht gegen die Kritik an Verdinglichungen, vielmehr betont es die Not- wendigkeit, immer wieder auf Hypostasierungen aufmerksam zu machen. 61 gung der Anschauungsform auf die angeschauten Gegenstände, erklärt diese zu ‘landschaftlichen Elementen’ eines ‘Landschaftsganzen’. Zur Illustration: Zuerst werden einerseits Gemälde und andererseits agrarische Gegenstände, Berge und Gewässer wahrgenommen, dann werden diese als Gemälde angeschaut. Dazu werden Felder, Forste, Berge und Gewässer zu einer ästhetischen Einheit synthetisiert, die man im übertragenen Sinne ‘Land- schaft’ nennt, und als Teile dieser Einheit bezeichnet, die als landschaftlich gelten. Die (Idee der) ‘Landschaft’ fungiert als „das Identische in der Mannigfal- tigkeit des Seienden“ [HARD 1970b: 193], unter dem die einzelnen Elemente zu einem zusammenhängenden Ganzen synthetisiert werden. Schließlich werden die Felder und Berge nicht nur wie ein Gemälde angeschaut, sie werden zu Elementen, aus denen die Landschaft zusammengesetzt ist, wodurch Land- schaft nicht mehr die Anschauungsform für die Einheit der Felder und Berge ist, sondern als deren materielles Produkt erscheint. Die Landschaft ist nun- mehr ebenso dinglich wie die Felder und Berge. Unterschiedliche Landschaf- ten können verglichen und auf das Gemeinsame, eine Landschaft zu sein, re- duziert werden. Das Landschaftsganze, das an vielen Landschaften entdeckt werden kann, verweist sodann auf die Landschaft, die als verschiedene Landschaften vor- komme, aber eines Wesens sei, das nach der Kombination der landschaftli- chen Elemente unterschiedlich erscheine. Hinsichtlich der Logik gelten die E- lemente der Landschaft nunmehr als Akzidenzien der substanziellen Land- schaft, die als objektiver äußerer Gegenstand von unterschiedlichen Perspek- tiven betrachtet werden könnte. Nun gibt es die Landschaft der Bauern, der Spaziergänger, der Maler, der Geographen, die sie aus verschiedenen Per- spektive betrachten. Wobei die Perspektive des Geographen (und Landespfle- gers), die Landschaft als ihren professionellen Gegenstand ‘entdeckt’, die ei- gentliche ‘Landschaft’ zu begreifen vorgibt96 [vgl. WINKLER 1980]. „Die ‘Landschaft an sich’, die auf dem Wege der Hypostasierung gewonnen wird und nun wieder auf verschiedene Weise als eine Landschaft betrachtet werden kann, gilt gewissermaßen als ‘Eigentum’ der Geographie, das (wie immer wieder gesagt wurde) ihr keine andere Wissenschaft streitig machen kann“ [HARD 1970b: 194]. Mit diesem Schritt ist die Ontologisierung der Anschauungsform 1Landschaft abgeschlossen, die nunmehr als dingliche 2Landschaft erscheint97. Gestützt 96 Der Landschaftsökologe HARTMUT LESER gestaltet dementsprechend eine wissenschaftliche Defini- tion der Landschaft, die in dem semantischen Phänomen befangen bleibt, dass der ästhetische Land- schaftsbegriff Voraussetzung des modernen Landschaftsbegriffes ist und in diesem enthalten ist. „‘Landschaft’ ist das konkret, d.h. real vorhandene landschaftliche Ökosystem eines beliebig ausge- dehnten räumlichen Ausschnittes der Geosphäre“ [LESER 1976: 33]. Landschaft als das Definiendum ist über die Charakterisierung ‘landschaftlich’ zugleich Definiens, was in einer naturwissenschaftlichen Definition unzulässig ist [HEMPEL 1977: 122f]. Dieser logische Zirkel wäre zu vermeiden, ersetzte man ‘landschaftlich’ durch ‘ästhetische Einheit’, was aber der Absicht, eine naturwissenschaftliche Bestim- mung des Gegenstandes der Landschaftsökologie zu geben [z.B. LESER 1976: 27], widerstrebt, obgleich genau jene zugestanden wird [z.B. LESER 1976: 34]. 97 Nach dieser Ontologisierung eröffnet sich für die Geographie und Landespflege ein neuer Blick auf die Landschaftsmalerei, die demnach Abbildungen der dinglichen 2Landschaft anfertigte. Die Land- schaftsmalerei ist somit nicht mehr Ursprung des primärsprachlichen Landschaftsbegriff, sondern er- scheint als Folge der ästhetischen Zuwendung zur ‘wirklichen Landschaft’ der Geographen und Lan- despfleger. Mit dieser gedanklichen Wendung verschließt sich die Ontologisierung kritischen Einwän- 62 wird diese Hypostasierung durch die ‘Evidenz’, dass man Landschaften doch sehen könne [HARD 1970b: 121], die die Möglichkeit anderer Erfahrungen aus- blendet und gegen Kritik immunisiert. Denn die Evidenz, die durch die Ontolo- gisierung der Wahrnehmungsweise zum Objekt hergestellt wurde, dient als Beweis für die Existenz der ‘dinglich vorliegenden Landschaft’ und notwendi- gen Realität der ‘Landschaft überhaupt’. So merkt HARD zu den ‘axiomatischen Grundlagen’ der Landschaftskunde von ERNST NEEF an: „Bei NEEF sind ‘Axiome’ unmittelbar einsichtige (evidente), letzte und grundlegen- de, wahre ‘Vorstellungen’ (in dem erörterten Sinne) vom ‘Wesen’ eines ‘Dinges’“ [HARD 1970b: 125]. Unter der verdinglichenden Perspektive entspringt die ‘Landschaftsvorstellung’ nicht der geschichtlich entstandenen Wahrnehmungsform, sondern der „’Wi- derspiegelung der Materie an der Erdoberfläche’, wie sie ‘wirklich ist’“ [HARD 1970b: 212]. In der inhaltlichen Erläuterung, die NEEF zum landschaftlichen Axi- om gibt [vgl. HARD 1970b: 123], treten alsdann die landschaftsästhetischen Merkmale zutage, von denen die Hypostasierung der Landschaft ausging. „Die Landeskunde hat den wissenschaftlichen Landschaftsbegriff aus dem pri- märsprachlichen Begriff ‘1Landschaft’ im wesentlichen dadurch abgeleitet, indem die Komponenten Einheit, Zusammenhang, Ganzheit (und Harmonie) von den üb- rigen ästhetischen Komponenten abgetrennt wurden, die in der Primärsprache je- doch von diesen Komponenten nicht getrennt werden können. Der ‘Systemzu- sammenhang der Landschaft’ kann betrachtet werden als die rationalisierte ‘Stimmungseinheit’ der primärsprachlichen Landschaft, und es kann historisch kein Zweifel bestehen, dass ‘Geosystem’ und ‘Synergismus’ unmittelbar oder mit- telbar von jenem Zusammenhang inspiriert sind, der in der vorwissenschaftlichen, ästhetisch-kontemplativen 1Landschaftsbetrachtung den Charakter einer ästheti- schen Qualität hat (und dessen zustimmendes Erleben wir mit den Wörtern Stim- mung und Harmonie umschreiben)“ [HARD 1970b: 154]. Der geographische Landschaftsbegriff ist sprachlich modernisiert worden, in- dem ‘Struktur’, ‘System’, ‘Geokomplex’ die alten Termini ersetzten [HARD 1970b: 157], und ‘versachlicht’ auf Gegenstände angewendet worden, die die Gebrauchsbedingungen des umgangssprachlichen Landschaftsbegriffs nicht erfüllen [HARD 1970b: 154f, 199f]. „Diese nicht mehr erfüllten (in der Umgangssprache ästhetisch gemeinten) Gebrauchsbedingungen des primärsprachlichen Wortes deutet der landschafts- geographische Methodologe als (evidente und axiomatische) Wesenszüge seines Forschungsgegenstandes, d.h. er hält sie automatisch für ‘in der Realität gege- ben’, wenn er in seinem Sinne von Landschaft spricht“ [HARD 1970b: 155]. Aus der Ontologisierung des ästhetischen Landschaftsbegriffs geht der mo- derne Landschaftsbegriff hervor, der ästhetische Aspekte mit einem materiel- len Substrat verbindet, dem jene eigentümlich seien. Die ästhetisch-materielle Dublette Landschaft – seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die leitende Phan- tasmagorie der Landespflege – ist nicht mit dem bearbeiteten Land identisch. Der moderne Landschaftsbegriff wirkt aber im Bewusstsein der Landespfleger, soweit es im landespflegerischen Schrifttum fassbar ist, dahingehend, dass die ästhetisch-materielle Landschaft mit dem bearbeiteten Land gleichgesetzt den mit dem Hinweis auf die ‘Evidenz der Landschaft’, dass man die Landschaft doch sehen könne, die dort vor einem liege. 63 wahrgenommen wird. In der Ontologisierung verschwindet die menschliche Geschichte der Dinge, die nunmehr als selbstständige Fakten wahrgenommen werden, deren Bedeutung ihrem dinglichen Wesen entspringe. Die Onologisierung sieht von der ‘sozialen Konstruktion der Wirklichkeit’ [BERGER/ LUCKMANN 1967] ab und nur mehr die positive Gegebenheit der Ob- jekte. Darin entspricht ihr die verdinglichte Wirklichkeitsauffassung des Positi- vismus [HORKHEIMER 1933: 87f]. Die agrarischen Produktionsmittel werden in der distanzierten Wahrnehmung zur ästhetischen Einheit synthetisiert und zur Landschaft ästhetisiert. Das ästhetische Phänomen Landschaft, das in einem abstrakten Bezug zur agrarischen Produktion steht, wird zur materiellen Land- schaft verdinglicht, indem es in den konkreten agrarischen Produktionsmitteln verkörpert erscheint. „Auf allen Bewußtseinsstufen verwandelt die Verdinglichung das Konkrete ins Abstarkte und konkretisiert dann das Abstrakte“ [BERGER/ PULLBERG 1965: 108]. Dementsprechend wird gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Natur- und Heimatschutz nicht die reale geschichtlich geleistete Arbeit, von den konkreten lokalen Interessen und Wertgebungen, die im bearbeiteten Land eingeschrie- ben sind, thematisiert, sondern die ontologisierte Landschaft aufgegriffen [HARD 1970c: 175]. Diese Wirklichkeitsauffassung setzt sich im Naturschutz bis in die Gegenwart fort: „Das naturschützerische Natur- und Landschaftsverständnis verlegt das Werturteil in die Naturausstattung selbst und entzieht es mittels naturalistischer Bewer- tungsmethoden dem gesellschaftlichen und planerischen Diskurs“ [STOLZENBURG 1996: 301]. Diese Verwechslung liegt in der Wirklichkeitsauffassung des Positivismus be- gründet, der mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften und der Technik zur vorherrschenden Geisteshaltung wurde [HABERMAS 1968]. Der ‘Geist des Posi- tivismus’, dass die Bedeutung der Dinge in diesen selbst läge, überträgt auch den Wert auf die Dinge selbst [BERGER/ KELLNER 1984: 116f]. Dem Positivismus, der sich des kritischen Anspruchs entledigt hat, erscheint das scheinbar selbstständige Faktum mit samt seiner Bedeutung als gegebener Wert. Da- durch dass die Dinge normativ wahrgenommen werden, kann das Werturteil scheinbar in diese verlegt werden, so dass eine gewissenhafte Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher Beschreibung und politischer Wertung entfällt. Die ontologisierte Landschaft wird in der positivistischen Wirklichkeitsauffassung als werthaltiger Gegenstand betrachtet, dem ein ‘Wert an sich’ zukäme. Dieser in den Gegenstand verlagerte Wert entsprang aber der kulturhistorischen Ge- nese des modernen Landschaftsbegriffs aus dem ästhetischen Landschafts- begriff. „Die ‘1Landschaft’ der Primärsprache ist aber (als ‘eigentliche’, ‘harmonische’, ‘I- deale Landschaft’) Wertmaßstab geblieben; die Gebrauchsbedingungen für das primärsprachliche Wort ‘1Landschaft’ fungieren zumindest als Wertmaßstäbe auch gegenüber denjenigen Phänomenen, die nur noch im weiteren, geographischen Sinne mit Landschaft bezeichnet werden“ [HARD 1970b: 162]. Das primärsprachliche Wort ‘Landschaft’ liefert Landschaftsgeographen und Landespflegern neben dem Gegenstand und der Forschungsperspektive auch eine Wertigkeit [HARD 1970b: 164f]. Die Landschaft wird zur Ideologie, die zur 64 Legitimation von Herrschaftsansprüchen dient und gleich der Ideologie ein ge- schichtliches Phänomen der Moderne ist. „Die brüchig gewordenen Legitimationen werden durch neue ersetzt, die einerseits aus der Kritik an der Dogmatik der überlieferten Weltinterpretationen hervorgehen und wissenschaftlichen Charakter beanspruchen, die aber andererseits Legitima- tionsfunktionen behalten und faktische Gewaltverhältnisse somit der Analyse wie dem öffentlichen Bewußtsein entziehen. Erst dadurch entstehen Ideologien im engeren Sinne: sie ersetzen die traditionelle Herrschaftslegitimation, indem sie mit dem Anspruch der modernen Wissenschaft auftreten und sich aus Ideologiekritik rechtfertigen. Ideologien sind gleich ursprünglich mit Ideologiekritik. In diesem Sinne kann es vorbürgerliche ‘Ideologien’ nicht geben“ [HABERMAS 1968: 72]. Die Ideologisierung ist also Folge einer Ontologisierung von Wertzuschreibungen als ‘Natur’ nach der modernen Entzauberung der Natur. Ideologisierung der Landschaft „Die Landschaft ist das komplexeste und heterogenste Symbol all der Zeiten, nach denen wir uns sehnen“ [EISEL 1982: 157]. Jeder könne etwas anderes dabei im Kopf haben, wenn über Landschaft ge- sprochen würde, darin beruht die große integrative Kraft der Landschaftsmeta- pher, unter der sich widerstreitende Positionen zusammenfinden. Der Land- schaftsbegriff werde wiederholt in die politische Debatte eingebracht, ohne dass eine deutliche Vorstellung darüber bestünde, was mit der Utopie Land- schaft jeweils gemeint sei, stellt UlRICH EISEL fest [EISEL 1982: 165]. „In dem Maße, wie die Industrie und die aufklärerische Rationalität, beziehungs- weise die abendländische Rationalität als ‘instrumentelle’ überhaupt, ins Kreuz- feuer geraten ist, hat das Konzept Landschaft Konjunktur, ohne daß viele seiner Verkünder so recht wüßten, wogegen und wofür sie sich engagieren“ [EISEL 1982: 165]. Diesem Unverständnis will EISEL mit der historischen Rekonstruktion der politi- schen Funktion der Landschaft abhelfen, weil aus dem historischen Entste- hungszusammenhang des Landschaftsbegriffs dessen semantische Ambigui- tät, dass er offenbar für disparate politische Aussagen tauglich erscheint, ver- ständlich wird. Denn im politischen Gebrauch der Landschaft überschnitten sich gegensätzliche Klasseninteressen [EISEL 1982: 157]. „Der Kontext, aus dem überhaupt die Bindung an gegensätzliche politische Philo- sophien folgt, ist bereits – dies ist meine These – angelegt in der inneren Wider- sprüchlichkeit der Aufklärung, sowie in der Ambivalenz des Bürgertums gegen- über seinen eigenen Errungenschaften Industrie und Stadt“ [EISEL 1982: 158]. In den landschaftlichen Blick sind neben dem formalästhetischen Aspekt, dass er eine ästhetische Syntheseleistung vollbringt, die die ländlichen Produkti- onsmittel zur Landschaft vereinigt, auch normative Konnotationen des Land- schaftsparks eingeflossen. In der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts wird ‘Natur’ zur Metapher für die ursprüngliche Freiheit der Menschen98 [EISEL 1982: 157f; BUTTLAR 1989: 9]. Das gesellschaftlich aufstrebende Bürgertum, das seinen Reichtum in Industrie und Handel erwirtschaften ließ, begriff sich in poli- 98 Vor allem in den Konzepten jener Philosophen, die für die Schöpfer der Landschaftsparks wichtig wurden, bei JOHN LOCK, WILIAM SHAFTESBURY und JEAN-JACQUES ROUSSEAU [BUTTLAR 1989: 9f, 13]. Sie- he auch Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’. 65 tischer Opposition gegen den Herrschaftsanspruch des Adels und dessen Repräsentationsformen. Auch die bürgerlichen Landlords, die Landschafts- parks gestalten ließen, sahen sich in dieser Opposition und betrachteten den Barockgarten als Symbol der feudalen Abhängigkeit und ‘drangsalierten Natur’, dem sie die ‘freie Natur’ und deren konkrete Anschauung ‘Landschaft’ entge- gen hielten, die sie im Landschaftspark entwarfen [BUTTLAR 1989: 12f]. Diese Landschaft ist nicht zu verwechseln mit dem bearbeiteten Land; vielmehr galt die Landarbeit und deren Arbeitsgrundlage und Produkte als Ort der Knecht- schaft99, höchstens als Metapher für die idyllische Eingebundenheit in die ‘Na- tur’ [EISEL 1982: 161ff]. Die ästhetische Landschaft wurde in der Malerei und im Landschaftspark zur Allegorie arkadischen Lebens entfaltet. Das Sinnbild Ar- kadien wiederum ist eine Metapher für das ursprüngliche menschliche Dasein vor der historischen Gesellschaftsentwicklung, das harmonisch in die natürli- che, gottgegebene Ordnung eingebunden ist100. „Arkadien wird zum Sinnbild einer agrarischen Lebensform umgedeutet, deren Ordnung als gottgegeben und also natürlich dem Veränderungswillen jener entge- gensteht, die von der Herrschaft ausgeschlossen sind“ [WEDEWER 1978: 10]. Das ‘glückliche Volk der Gefilde’ sei ‘noch nicht zur Freiheit erwacht’, behaup- tet SCHILLER [1795: 148], als der Landschaftspark unter den deutschen Fürsten populär wird. Die natürliche Gesellschaftsordnung, die das Arkadien-Bild illust- riert, gilt als ‘Wert an sich’, der allen gesellschaftspolitischen Debatten und An- tagonismen vorgeordnet wäre, die sich nicht in einen allgemeinen Konsens überführen lassen, bzw. wäre die natürliche Gesellschaft eine harmonische Ständeordnung. Die schön und harmonisch gestaltete Landschaft erhält damit auch eine politi- sche Bedeutung, die im Landschaftspark dargestellt wurde. Als gestaltetes Bild symbolisiert der Landschaftspark die bürgerliche Freiheit in zweifacher Weise, da der Mensch in demselben die ‘Freiheit der Natur’ empfinden und seine Frei- heit verwirklicht anschauen kann. JEAN-JACQUES ROUSSEAU entwickelte das geschichtliche Konzept, dass der Mensch im Naturzustand frei sei und die an sich freien Menschen erst in Gesellschaft einander in ihrer Freiheit beschränk- ten [ROUSSEAU 1750: 34: 1754: 167, 227]. Der Gesellschaftszustand des Men- schen, in dem er den gesellschaftlichen Zwängen, rechtlichen Bindungen und Ungleichheiten ausgesetzt ist, resultiert aber nach ROUSSEAU aus dem Natur- zustand des Menschen, in welchem er frei wäre, und dem nach er an sich im- mer noch frei sei [ROUSSEAU 1754: 204, 250, 254]. Die Gesellschaftsordnung ist aus Freiheit entstanden und (prinzipiell) änderbar. Diese Seite der Rousseaurezeption wird in der deutschen Aufklärung vor allem von IMMANUEL KANT betont, während im Zusammenhang mit der geistesge- schichtlichen Strömungen der Empfindsamkeit und der Gegenaufklärung vor allem durch GOTTFRIED HERDER eine andere Rousseaurezeption vorgeschla- gen wird, die an dessen Spätschriften anknüpft [EISEL 1982: 160ff]. Damit sind unterschiedliche Deutungen von dem, was Landschaft sei, verbunden. War die ideale Landschaft ‘Arkadien’ der Aufklärung das Sinnbild für das einfache, ge- 99 Die Knechtschaft war real, als feudale Leibeigenschaft, aber auch in der kapitalistischen Lohnab- hängigkeit. 100 Oder, „um es moderner zu sagen, Symbol einer geglückten Mensch-Natur-Allianz und einer ökolo- gisch heilen Welt“ [HARD 1985: 290]. 66 nügsame und freie Hirtenleben, aus dem die Geschichte als ‘Fortschritt im Be- wusstsein der Freiheit’ [HEGEL 1818: 32] hervorgegangen sei, so wird es für die Gegenaufklärung zum Sinnbild der gelungenen Einpassung des Landvolkes in die natürliche Ordnung (die implizit die feudale ist), die in der Geschichte wie- dererlangt werden solle [EISEL 1982: 162f]. Denn im Landschaftspark blicke das bürgerliche Bewusstsein sentimental auf die überkommenen Lebenswelten, die von der industriellen Produktion gerade erst zerstört werden, wofür symbo- lisch die Ruine im Park einstehe [EISEL 1982: 159]. Die Ideologie des harmoni- schen Landlebens steht in krassem Widerspruch zur ökonomischen Basis des Bürgertums, die diese ästhetisch gewahrten Harmonien im arbeitsteiligen Pro- duktionsprozess unter den herrschenden Produktionsverhältnissen und in der versachlichenden Entfremdung der menschlichen ‘Selbstbestimmung’ zerreißt, und macht das Klasseninteresse des Bürgertums durchaus für den Konserva- tismus auf dieser ideologischen Ebene empfänglich. Die Ideologieproduktion reagiert darauf mit einer ästhetischen Kompensationsfunktion, die den verlore- nen Sinn mit dem schönen Schein und der Musealisierung zu ersetzen trachte [RITTER 1963: 153, 162]. Das romantische Bild vom Landleben dient seither zugleich als überkommene und ideale gesellschaftliche Form, die von den ‘Fortschrittlichen’ sentimental und von den ‘Konservativen’ musterhaft, also von beiden Gruppen normativ betrachtet wird. Sichtbares Merkmal einer solchen, gelungenen Anpassungsleistung, die zu einer zweckmäßigen, natürlichen Ordnung von Land und Leuten führe, wird die sinnlich wahrnehmbare ‘Harmonie’ einer Landschaft [EISEL 1982: 163]. Diese Sicht der Landschaft wird darüber ermöglicht, dass die Ästhetik über den Beg- riff der Zweckmäßigkeit mit dem Ziel der Geschichte verbunden wird [HÜLBUSCH 1967: 21]; „wenn Schönheit vollendete Zweckmäßigkeit ist, ist eine harmonische Gestalt Endpunkt einer teleologischen Entwicklung“ [EISEL 1982: 161f]. Mit dieser Argumentation erhält die Idee der Landschaft, in der nunmehr das ‘ferne Land’ und die ‘Nicht-Stadt’ zusammenfallen, im 19. Jahrhundert zur ästhetischen und politischen noch eine religiöse und wissenschaftliche Dimen- sion, von der aus die gesellschaftliche Entwicklung von einem scheinbar au- ßergesellschaftlichen Standpunkt her kritisierbar sei [HARD 1991: 17]. Damit ist die Landschaft zu einer zentralen Metapher konservativer Kulturkritik und zur abstrakten Negation des industriellen Systems aufgestiegen [EISEL 1982: 164f], die bis in die ökologischen Diskurse der Gegenwart wirkmächtig bleibt , wenn Argumentationsstrukturen, die Subjektivität durch ‘Natur’ ersetzen, „das Indivi- duum von der Last seiner nicht gelingenden Autonomie“ befreien sollen [EISEL 1982: 166f]. Der moderne Landschaftsbegriff steht somit zu Beginn des 19. Jahrhunderts als aufklärerische Utopie und als konservatives Ideal zur Verfügung, wird aber – was zu betonen ist – noch nicht mit dem bearbeiteten Land verwechselt. Erst mit der Ontologisierung des ästhetischen Konzepts Landschaft werden auch die normativen Implikationen des ‘Sinnbildes’ verdinglicht und dem Land selber zugesprochen. Diese Ontologisierung wird in den Diskursen der Landesver- schönerung im frühen 19. Jahrhundert und in den Debatten des Natur- und Heimatschutzes im ausgehenden 19. Jahrhundert postuliert und mit Werten 67 versehen101 [SIEFERLE 1986: 246f]. Die Landschaft wurde zur Norm über die ‘Entdeckung’ der ‘Kulturlandschaft’, die aus dem bäuerlichen Leben und in der Tradition ‘gewachsen’ und daher in ihrer anthropogenen Gestalt werthaft sei. Land und Leute verschmolzen zu einer organischen Einheit, die als objektiver, naturgegebener Wert galt [SIEFERLE 1986: 247]. „Das von Hause aus ästhetische Programm ‘Landschaft’ wird nun zugleich auch ein politisches (und polit-ökologisches), in der Geographie sogar ein (und wie wir heute sehen: ein hoffnungsloses) Wissenschaftsprogramm. In diesem Transfor- mationsprozessen entstehen Naturschutz und Landespflege und programmieren sich auf die neue Landschaft. [...] Das ist, in äußerster Kürze, der historische In- halt der Hypostasierung oder Reifizierung von Landschaft, also eines Vorgangs, in dem ein Sprachinhalt und seine ästhetischen Zeichen (wie Landschaftsmalerei und Gartenkunst) zu Wirklichkeiten und politischen Normen umgedeutet wurden – mit nicht geringen Effekten in der Wirklichkeit“ [HARD 1991: 14]. Die Verdinglichung der ästhetischen Konstruktion Landschaft zum außer- sprachlichen Gegenstand, der nicht mehr auf den künstlerischen Kontext be- schränkt bleibt, ist mit dessen ‘wissenschaftlicher Entdeckung’ in der Geogra- phie, Ökologie und Landespflege verbunden [vgl. HARD 1970b; TREPL 1987], aus der im Laufe des 20. Jahrhunderts Verwissenschaftlichungsschübe resultier- ten102 [BURCKHARDT 1977: 211f], die auf die (ästhetische, politische und wissen- schaftliche) ‘Konfusion und Paradoxie’ [HARD 1992] des naturalisierten ästheti- schen Landschaftsbegriffs reagieren [HARD 1991: 17f]. Der ontologisierten Landschaft werden die ästhetischen Kriterien ‘Schönheit’, ‘Harmonie’, ‘Einheit’ und ‘Ganzheit’ zugesprochen, die im Naturschutz seit 1900 als erhaltenswert gelten [HARD 1991: 14] und bis heute anerkannt sind. ‘Schönheit’, ‘Eigenart’ und ‘Natürlichkeit’ der Landschaft gelten als schützenswert im BNatSchG von 1976 [vgl. BNatSchG 1976: § 1] und in der Neufassung von 2002, die u.a. mit der For- mel “Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes“ [BNatSchG 2002: §1] politische Entscheidungen limitiert und landespflegerische Festset- zungen naturalistisch ‘legalisiert’. Der ideologische Gehalt der ontologisierten Landschaft wird vom Natur- und Heimatschutz als ‘natürlicher’, ‘gewachsener Wert’ wahrgenommen [vgl. HARD 1970b: 164f]. Dies ist möglich, weil ästhetische und normative Implikationen der ästhetischen Landschaft auf das verdinglichte Phänomen Landschaft übertragen worden sind [HARD 1970b: 161, 167; EISEL 1982]. „Die ( richtige, wahre, ideale) Landschaft ist nicht nur so, sie soll auch so sein: ländlich und schön, lärmfrei und industriearm, charaktervoll und harmonisch; das 101 Siehe dazu ausführlich: BERGMANN [1970]; SIEFERLE [1984]; LINSE [1986]; HERMAND [1991]. 102 Beispielsweise die Bestimmung der Landschaft als eigentümlicher Gegenstand der Geographie Anfang des 20. Jahrhunderts [HARD 1970b], die Deutung der Landschaft als objektivierter Geist in den 1950er Jahren [HARD 1970c], die landschaftsökologische Modellierung der Landschaft als Ökosystem seit den 1970er Jahren [HARD 1991]. Für den Zeitraum seit der ästhetischen Erfindung der Landschaft im 18. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre rekonstruiert BURCKHARDT fünf Phasen der gesellschaftli- chen Metamorphosen der Landschaft, die teilweise ineinander übergehen: die Ideologisierung der Natur im 19. Jahrhundert [BURCKHARDT 1977: 209], die Manipulation des Naturbildes ebenfalls im 19. Jahrhundert [BURCKHARDT 1977: 210], die Politisierung der Natur Anfang des 20. Jahrhunderts [BURCKHARDT 1977: 211], die Rationalisierung der Landschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts [BURCKHARDT 1977: 211] und die Entdeckung der Umwelt seit den 1970er Jahren [BURCKHARDT 1977: 212]. Der ökologisch verdinglichten Sicht auf Landschaft scheinen Werte und Handlungsanweisungen aus dieser zu folgen [TREPL 1987: 100ff]. 68 Menschenwerk soll in der Landschaft verwurzelt, organisch in der Landschaft ge- wachsen sein; in ihr soll ein Boden verwurzeltes Volkstum glücklich und traditi- onsbewusst wohnen“ [HARD 1970b: 164f]. Aus der primärsprachlichen Landschaftsvorstellung werden bei der Ontologi- sierung derselben zum dinglichen Gegenstand auch die Normen auf die äuße- re ‘Landschaft’ übertragen, die von Landespflegern als ihr ‘eingeborene’, natür- lich gewachsene Werte betrachtet werden. Dies erklärt den in der Landespfle- ge immer wiederkehrenden Versuch, mit pseudowissenschaftlichen Verfahren zu belegen, dass bestimmte ‘Landschaften’ objektiv erhaltens- oder erstre- benswert seien103. „An intuitiven und vom ‘sprachlichen Gegenstand’ ‘1Landschaft’ inspirierten Wer- tungen ist wohl auch H. Kiemstedt (1967) orientiert, wenn er (S.44f) einen ‘Ur- sprünglichkeitsfaktor’ einführt und dem ‘Wald’ den Wert 7, dem ‘Grünland’ den Wert 5 und dem ‘Ackerland’ den Wert 2 zuordnet; als Kriterium führt er an, ‘in welchem Maße dabei noch ‘Natur empfunden’ werden kann’ (S.44). Die Folge dieser Maße ist natürlich, dass diejenigen Landschaften, die der sprachlichen Norm ‘1Landschaft’ am nächsten stehen, eine höhere Bewertung erhalten“ [HARD 1970b: 85]. Landschaft wird somit zur modernen Phantasmagorie in der Landespflege, die immer noch mit dem sogenannten V-Wert, den KIEMSTEDT zur Ermittlung des Erholungswertes erfand [1967] und der auf die Landschaftsbildanalyse ange- wendet wurde104, die objektive Schönheit eines Bildes zu ermitteln sucht [HARD 1991: 15], z.B. in der ästhetisch-ökologischen Utopie, die von der Schönheit auf die ökologische Güte der verdinglichten Landschaft (kurz) schliesst. „Die schöne Landschaft der Maler und Gartenkünstler war immer auch Symbol ei- nes idealen Mensch-Natur-Verhältnisses, modernisierend gesagt: Symbol einer geglückten Mensch-Natur-Allianz und deshalb auch ein Siegel ökologischer Güte. Im 20. Jahrhundert waren nicht nur die Landschaftsgeographen verhext von der Vorstellung, daß ein harmonisches Landschaftsbild (z.B. der Typ einer alten bäu- erlichen Kulturlandschaft) Ausdruck einer ‘inneren’, ökologischen oder ökosyste- maren Harmonie sei. Unter diesen Prämissen konnten auch für die Väter der Landespflege Ökologie und Gestaltung, Harmonie und Produktivität einer Land- schaft kein Widerspruch (und landschaftliche Schönheiten Ausdruck und Indikato- ren ökologischer Gesundheit) sein“ [HARD 1991: 15]. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts verfestigt sich im polit-ökologischen Diskurs mit dem hergebrachten Landschaftsbegriff die Vorstellung, dass von einer harmonischen Natur ausgehend die Gesellschaft zu planen wäre [BURCKHARDT 1978: 234; HARD 1991: 15]. „Produktion, Investition und Konsumtion sollen von Landschaft und Landschafts- plan her gesteuert und koordiniert werden; dieser Plan müsse ‘Kultur’ und ‘Natur’ ‘miteinander in Einklang bringen’“ [HARD 1991: 15]. So konstatiert HARD, dass manche Landespfleger soweit gehen, von einem „fiktiven Jenseits der Gesellschaft“ aus planen zu wollen [HARD 1991: 15], indem sie verkennen, dass die Idee der Landschaft, oder Natur, auf die sie sich be- 103 Ein Beispiel wird erläutert in dem Kapitel: ‘Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’’. 104 Beispielsweise wird in den Arbeiten von LOIDL [1981], WÖBSE [1981], ZÖLLNER [1991] die Schönheit einer Landschaft auf ihre ‘Vielfältigkeit’ zurückgeführt. Diese Herangehensweise kritisiert STOLZENBURG [1983]. 69 ziehen, „das Produkt der gleichen Gesellschaft [ist], die nun gemäß dieser Idee (um)gesteuert werden soll“ [HARD 1991: 17; vgl. BURCKHARDT 1977: 206]. „Wer so von Landschaft und Natur her argumentiert, der glaubt, daß man in der Gesellschaft von einem Standpunkt außerhalb der Gesellschaft her predigen und Ordnung herstellen kann. Dieser überhöhte Standpunkt ist eindrucksvoll, aber fik- tiv“ [HARD 1991: 17]. Die Verwissenschaftlichung der ‘Landschaft’ – und korrespondierend die Adap- tion naturwissenschaftlicher Verfahren durch die Landespflege – ist letztlich der Versuch, eine außerpolitische Legitimationsstrategie zur Durchsetzung landespflegerischer Maßnahmen „für wissenschaftsgläubige Abnehmer“ zu etablieren [HARD 1991: 17]. Mit den Paradoxien der naturwissenschaftlichen Analyse der Landschaft korre- lieren die Aporien zur Ästhetisierung der Landschaft. Landschaftsarchitekten fordern die materielle Gestaltung der Landschaft, weil sie gleichfalls die Reifi- zierung des ästhetischen Konstrukts, die Landschaft im Blick des ästhetisch Betrachtenden, zum gegebenen Gegenstand, der vom Blick des Betrachters abgelöst und daher objektiv gestaltbar sei, voraussetzen [BURCKHARDT 1978: 209], während die unterschiedlichen semantischen Konnotationen, die in histo- rischen und pragmatischen Kontexten situiert sind, ihnen verborgen bleiben bzw. bewusst verkannt werden, um Interessen durchzusetzen [HARD 1991: 17]. Auch die ästhetische Gestaltung erliegt der Verschränkung der historisch se- dimentierten ästhetischen und normativen Anteile, die in den modernen Land- schaftsbegriff eingegangen sind und ihn für die Administration verwendbar ma- chen, um Nutzungen ein- und auszugrenzen [HÜLBUSCH 1987]. Zusammenfassend können wir sagen, dass in der Landespflege von der posi- tiven Wertung der ästhetisch erfahrenen Landschaft auf die Erhaltungswürdig- keit der landschaftlichen Signifikanten, die ‘Requisiten’, geschlossen wird [HARD 1970b: 79f]. Dieser ‘naturalistische Fehlschluss’ basiert auf der Ontologi- sierung und Ideologisierung des ästhetischen Konstrukts Landschaft. „Das Beispiel belegt die bekannte Tatsache, dass die Bedeutung eines Wortes unter Umständen der ethische Imperativ, das politische Ziel und die praktischen Verhaltensregeln schon ‘eingebaut’ sind; es belegt ferner eine typische, wenn nicht die Denkfigur der Literatur der Landschaftspflege und Landschaftsgestaltung (und nicht nur der älteren): Die Tendenz, aus den semantischen Merkmalen und Werten des [umgangssprachlichen] Wortes ‘1Landschaft’ ethische und politische Folgerungen zu ziehen“105 [HARD 1970b: 79 – Einf. FL]. Die Verdinglichung der ästhetischen Landschaft zum materiellen Objekt über- trägt mit dem ästhetischen Bedeutungsfeld auch die normativen Implikationen dieses Bedeutungsfeldes (Arkadien), indem das Symbol des guten Lebens als dingliche Realität aufgefasst wird. Die ontologisierte Landschaft erscheint nicht nur schön als auch gut und natürlich, sie ist es dann auch. Die Schönheit und Harmonie einer Landschaft gilt als Merkmal ihres Wertes106 [HARD 1991: 15]. Das Sinnbild Arkadien wird über die Ontologisierung der Landschaft zur ‘Reali- tät’ Arkadien, die im natürlichen Landleben realisiert würde. 105 HARD versieht den umgangssprachlichen Wortgebrauch ‘Landschaft’ als ‘paysage’ [1970: 27], die „in ästhetisch-emotionaler [...] Umgebung“ steht [1970: 29], mit dem hochgestellten Indize ‘1’. 106 Dieses ästhetische Wertmerkmal wird bis in die ökologische Debatte tradiert; siehe dazu Kapitel: ‘Das ökologische Paradigma’. 70 Im landschaftlichen Blick, dessen Phänomen nun mehr dem Bedeutungsträger selbst zugesprochen wird, wird das Land nicht unter dem Aspekt der sozialen Antagonismen und Ausbeutungsverhältnissen wahrgenommen, sondern unter dem ästhetischen Kriterium der ‘harmonischen Einheit’ und ‘natürlichen Schönheit’. Die ontologisierte Landschaft wird als ‘harmonische Einheit von Land und Leuten’ zur ideologischen Landschaft, die als Realität einer guten, natürlichen Gesellschaftsordnung gilt [BURCKHARDT 1977: 211; EISEL 1982: 163]. Dieser ideologische Gehalt der Landschaft wird vom Natur- und Heimatschutz zum ‘natürlich gewachsenen’ Wert erklärt und dementsprechend als erhal- tenswert angesetzt. Durch die Brille des landschaftlichen Blicks angeschaut, werden die ländlichen Produktionsmittel zu einem ästhetischen Landschafts- eindruck, dessen Realität dem Ensemble der ländlichen Produktionsmittel und Naturausstattung zugesprochen wird, das wiederum als ontologische Land- schaft erscheint. Die landschaftliche Harmonie wird der natürlichen Einheit von Land und Leuten zugesprochen, die der gottgegeben, naturgemäßen Gesell- schaftsordnung entspreche. Dadurch werden die Leute auf dem Land samt ihrer Geschichte und Produktionsmittel zur Natur erklärt, die es als ‘Wert an sich’ zu erhalten gelte. Diese ideologisierte Landschaft, die ästhetisch ange- schaute ‘natürliche Einheit von Land und Leuten’, versucht der kulturkonserva- tive Natur- und Heimatschutz zu erhalten. „Die Vorstellung, die ‘ursprüngliche Natur’ zu bewahren und wiederherzustellen, ist heute im überall propagierten und größtenteils auch praktizierten Naturschutz wiederzufinden. Die ‘Natur’ […] ist aber ein Produkt der Wirtschaftstätigkeit der Menschen“ [MEHLI 1992: 132]. Mit dem Naturschutz werden der landschaftliche Blick und der Landschaftspark – über das bearbeitete Land verhängt – universell107. Dementsprechend wer- den Naturschutz und Landespflege im 20. Jahrhundert auch modern108 und fortschrittsorientiert [KÖRNER 2001: 17; vgl. LINSE 1986: 26-41]. Ökonomische Interessen und Ästhetisierung Die historische Rekonstruktion zur Genese des Landschaftsparks zeigt, dass die ästhetische Gestaltung der Ländereien Veränderungen der ökonomischen Basis voraussetzt, die die Landlords vom agrarischen Ertrag des Landes, das zur Gestaltung aus der Produktion genommen wird, unabhängig machen. Die neuen Quellen des bürgerlichen Reichtums sind der Außenhandel und die In- dustrie. Der Außenhandel entwickelte zunächst die gewaltsame Ausbeutung (ursprüngliche Akkumulation), überführte diese aber schließlich in die ‘geregel- te Ausbeutung’ der Kolonien. 107 Zwischen der Landesverschönerung, die von der ökonomisch-fiskalisch ausgerichteten Landeskul- turbewegung beeinflusst wurde, und der modernen Landespflege, die vom Naturschutz mitgeprägt wurde, liegt die Ontologisierung der Landschaft und damit eine Verschiebung in der Wahrnehmung des Arbeitsgegenstandes. Das bearbeitete Land soll neben der Melioration der naturbürtigen Basis nicht nur zur gestalteten Landschaft verschönert werden, wie in der Landesverschönerung; es ist die schöne Landschaft, die in der Landespflege als ökonomisch effektiv und schützenswert gilt: die schöne Landschaft wird zur ‘gesunden’ Landschaft. Die gesunde Landschaft ist nachhaltig leistungsfähig [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 230]. 108 Zwar werden kulturkonservative Phrasen im landespflegerischen Schrifttum beibehalten, aber spä- testens mit dem Erholungs- und Ressourcenmanagement in der BRD und der Ausgleichideologie wird die Landespflege fortschrittsorientiert. 71 „Koloniale Surplus-Profite waren die Hauptform der Ausbeutung der Dritten Welt durch die Metropole in jenem Zeitalter [des Frühkapitalismus], ungleicher Aus- tausch eine Nebenform. [...] In der Spätkapitalistischen Epoche verändert sich dieses Verhältnis. Nun wird der ungleiche Austausch die Hauptform der Ausbeutung, die unmittelbare Produk- tion von kolonialen Surplus-Profiten die Nebenform“ [MANDEL 1973: 320f – Einf. F.L.]. Der ungleiche Tausch ist die über den Weltmarkt geregelte ökonomische Form, mit der die Ausbeutung der äußeren und inneren Kolonien für die Met- ropole geregelt wird [JÄGER 1988: 32]. Er basiert auf einer Ungleichzeitigkeit der Produktivkraftentwicklung und den ihnen korrelierenden Produktionsverhältnis- se [vgl. WITTFOGEL 1932] in sozial-räumlich getrennten Gebieten. ERNEST MANDEL erläutert zur Theorie des ungleichen Tausches: „ungleicher Tausch im Zeitalter des Kapitalismus ist letzten Endes auf den Tausch ungleicher Arbeitsquanten zurückzuführen. Ungleicher Tausch hat im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes grundsätzlich zwei Quellen: 1. die Tatsache, dass auf dem Weltmarkt die Arbeit der industrialisierten Länder als intensiver, d.h. wertproduktiver gilt als die der unterentwickelten [...] 2. die Tatsache, dass kein Ausgleich der Profitraten auf dem Weltmarkt stattfin- det, d.h. dass verschiedene nationale Produktionspreise (Durchschnittsprofitraten) nebeneinander bestehen und durch den Weltmarkt auf eine besondere [...] Weise miteinander artikuliert werden“ [MANDEL 1973: 324f]. Die agrarische Produktion in den Kolonien und ihre Ausbeutung109 durch den ‘ungleichen Tausch’ zwischen Gesellschaften ungleicher Produktivkraftent- wicklung, der zuvor mit offener militärischer Gewalt durchgesetzt wurde, z.B. in Indien und China [DAVIS 2004], ermöglicht die unter agrarökonomischen Ge- sichtspunkten entwertende Gestaltung der Agrarflächen, die im Kernland der Kolonialmächte liegen. Der ungleiche Tausch findet ebenso auf dem nationa- len Markt statt, wenn Regionen und Produktionszweige unterschiedlicher Pro- duktionsgunst und Produktivität auf dem gesamtnationalen Markt Waren und Werte tauschen, ohne dass ein Ausgleich der Profitraten möglich ist (bei ein- geschränkter Verfügung über Produktionsmittel und funktionaler räumlichen Segregation) [BÄUERLE 1973: 19f, 23f]. Die agrarischen Produzenten konkurrie- ren unter dieser Voraussetzung auf nationaler Ebene untereinander und mit der industriellen Produktion. Diese Konkurrenz findet unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen statt, die die Verfügbarkeit über die Produktionsmittel und Subsistenzmöglichkeiten einschränken. Damit geraten die inländischen Bauern in die ökonomische Position der Bauern in den kolonialisierten Län- dern, die dem ungleichen Tausch auf dem Weltmarkt unterliegen. „Dieser ungleiche Tausch bedeutet, dass die Kolonien und Halbkolonien tenden- ziell immer mehr Arbeit (bzw. Arbeitsprodukte) gegen eine gleiche Menge Arbeit (bzw. Arbeitsprodukte) der Metropole austauschen müssen“ [MANDEL 1973: 319]. Die Marktwirtschaft wurde auf dem Lande durchgesetzt, indem die Regelung des Flurzwangs in der Gemeinde zerschlagen, das Land parzelliert und mit Feldwegen erschlossen sowie das Allmendeland aufgelöst und in Besitz kapi- 109 Die Ausbeutung der Kolonien umfasste nicht nur Rohstoffe und Produkte, vielmehr auch den Skla- venhandel [SOMBART 1922: 148f]. Wer nicht über Kolonien und Sklaven verfügte, der verkaufte z.B. Sol- daten, wie Kurfürst WILHELM IV. von Hessen [BUTTLAR 1989: 190f]. 72 talstarker Landbesitzer überführt wurde. In England führte dies zur Akkumula- tion des Landbesitzes zugunsten der Landlords [HOBSWAM 1972: 100]. In Preu- ßen wurde die Kapitalisierung des Landes über die ‘Stein-Hardenbergsche Ag- rarreform’ vorangetrieben, die mit der sogenannten ‘Bauernbefreiung’ die Bau- ern vom Land befreite110 [SCHNEIDER 1989: 23f]. „Lenné ‘gestaltet’ die Ergebnisse der damaligen Agrarreform. Nach der ‘Bauern- befreiung’ und den Stein-Hardenbergschen Reformen wurde die Landbevölkerung aus Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit ‘befreit’. Sie mußten sich z.T. durch Landabgabe freikaufen. Ferner wurde das Allmende-Land privatisiert. Die feuda- len Besitzer ‘vermehrten’ infolge der Landabgabe und ihrer Kapitalkraft ihren Landbesitz um ca. 10 %“ [SCHNEIDER 1989: 23]. Die rechtlich-ökonomische Maßnahme der ‘enclosure’ (Gemeinheitsteilung) ist eine Voraussetzung der großen Landschaftsparks, die den ‘schönen Schein’ über die reale Ungerechtigkeit gegenüber den einfachen Bauern verhängen. „In der Gestaltung der Lennéschen Landschaftsgärten verbirgt sich der Prozeß, der aus der ländlichen Bevölkerung das in die Stadt abwandernde Proletariat macht“ [SCHNEIDER 1989: 24]. In den deutschen Staaten greift vor allem die Landesverschönerung begleitend zu den STEIN-HARDENBERGSCHEN Agrarreformen in die Landbewirtschaftung ein. Im Unterschied zur englischen Landschaftsparkbewegung, die mit der Rohstoffproduktion für die Wollindustrie die extensive Schafweide ausweitete [MARX 1883: 758f; vgl. WITTFOGEL 1932: 722], wurde mit der Landeskulturbewe- gung die Intensivierung der Agrarproduktion und ‘Binnenkolonisation’ bezweckt [SCHNEIDER 1989: 32f, 35f; vgl. JÄGER 1988: 32f; SCHEKAHN 1998: 24f]. Das Kapital, das für die Intensivierung der Agrarproduktion aufgebracht wurde, stammte aus den Metropolen. Diese investierten aber – ähnlich wie in den Kolonien – immer weniger in die alten agrarischen Wirtschaftsformen bzw. bevorzugten die industrielle Agrarproduktion. „Die Hauptrichtung des Kapitalexportes geht nicht mehr von den Metropolen in die Kolonien, sondern von Metropole zu Metropole“ [MANDEL 1973: 321]. Aus dieser Entwicklung resultiert eine funktionale Segregation des Landes in ‘Grenzertragslagen’ und ‘Intensivierungsgebiete’. Ende des 19. Jahrhunderts werden vom ‘bildungsbürgerlichen’ Naturschutz jene altertümlichen Agrarfor- men und der sogenannten Grenzertragsgebiete entdeckt, die zu verschwinden drohen, z.B. die Heide um 1900 [BLOCH 1932; SIEFERLE 1986: 248; LINSE 1986: 20; HERMAND 1991: 84f; LORBERG 1996]. So fordert RIEHL ein ‘Recht der Wildnis’, unter der er neben anderen „Sanddünen, Moore, Heiden“, also auch Nutzland versteht [RIEHL 1857: 47 zitiert in SIEFERLE 1986: 248]. Seit dem Deutschen Kaiser- reich schickt sich der Naturschutz an, die ‘Rolle’ der landschaftsgestaltenden Großgrundbesitzer zu spielen, und übernimmt damit die der ‘kolonialen’ Tradi- tion, über Ausbeutung und Umverteilung des Reichtums die Agrarproduktion zu entwerten und die agrarischen Produktionsmittel zum gestaltbaren Schutz- gut zu erklären [JÄGER 1988: 92-98]. 110 Die kapitallosen Kleinbauern mussten sich bei den neu eingerichteten Bodenbanken verschulden, um das Land, das sie bislang bewirtschafteten, zu kaufen und weiterhin bewirtschaften zu können. Konnten sie die Schulden nicht tilgen, verloren sie den Besitz. Der Land- und Arbeitsverlust auf dem Land trieb die Landbevölkerung als Arbeitskräfte in die Industriestädte, wo sie die ‘Arbeitskraft- Reserve’ für eine billige Lohnarbeiterschaft bildeten. 73 Von seinen Anfängen bis zur Gegenwart basiert der Naturschutz auf intensiver Industrialisierung und dem kolonialen bzw. imperialen Import agrarisch produ- zierter Rohstoffe (Wolle, Getreide, Soja etc.), wodurch die inländische Agrar- produktion bzw. deren Produktionsstandorte entwertet werden und für Natur- schutzgebiete der Nutzung entzogen und brach fallen können. Diese Natur- schutzbrachen wiederum gälte es zu erhalten: „Gefährdet sind Brachen durch Umwandlung in Nutzflächen“ [NITSCHE/ NITSCHE 1994: 106 zitiert in BELLIN 1996: 106]. Die Naturschutzbewegung ist ein ‘kulturkonservatives Fortschrittsprojekt’, das einen ästhetischen Ausgleich zwischen der Industrialisierung und deren ästhe- tischen Folgen betreibt [SIEFERLE 1984: 167-173; LINSE 1986: 40; AUTORiNNEN 1990; HARD 1992: 14]. Sie betreibt diesen Ausgleich, weil der Naturschutz auf der industriellen Wertschöpfung beruht, und sie daher nicht seine Grundlage kriti- sieren kann, ohne ihn selbst in Frage zu stellen und das gesellschaftliche An- sehen des Naturschutzes zu unterminieren. Die daraus resultierenden Parado- xien und Konfusionen des Naturschutzes treten dann in den umständlichen Begründungen der Naturschutzmaßnahmen zu Tage [HARD 1992: 15], sofern die naturschützerische Ästhetisierung nicht formalrechtlich verordnet wird [BELLIN 1996: 106-120; STOLZENBURG 1996: 303f]. Die naturschützerische Kulis- senschieberei nutzt den modernen Landschaftsbegriff einer werthaltigen ästhe- tisch-materiellen Landschaft und ästhetisiert soziale und ökonomische Phäno- mene bzw. Probleme. Die ökonomischen Interessen werden durch die Ästheti- sierung verdeckt und die Verfügung über das Land wird von einer politischen Frage zu einer Frage der ästhetischen Gestaltung. Jedes Phänomen kann in der Verschränkung von Ästhetisierung und Ontologi- sierung zur Mode stilisiert werden [LUKACS 1923: 238, 240], die über Einsicht und Gerechtigkeit dominiert bzw. diese als Fragen des Geschmacks behandelt111 [BOURDIEU 1979: 90, 103f]. Bekannt ist dieses Phänomen aus der reinen Kunst- betrachtung, die von den sozialen Voraussetzungen, unter der ein Kunstwerk entstanden ist, absieht, um es ungestört genießen und den ‘ästhetischen Wert’ bestimmen zu können [BOURDIEU 1979: 60ff]. Mittels dieser Strategie, dass so- ziale Verhältnisse als ästhetische Fragen betrachtet werden, wird letztlich so- gar die Politik, in der Machtverhältnisse ausgehandelt werden und Moral ein- geklagt wird, ästhetisierbar – worin wiederum ein politischer Machtkampf aus- gefochten wird [BENJAMIN 1936a: 168f]. Der ‘ästhetisierte Machtkampf’ wird mög- lich, weil der Warenfetischismus in dem Warenleib selbst den Reichtum anbe- tet, „dem wir die Maske des Schönen umhängen“ [VEBLEN 1899: 130], so dass mit dem Hang zur Ästhetik auf symbolischem Wege nach Macht und sozialer Distinktion gestrebt werden kann [BOURDIEU 1979: 102ff]. 111 In der Moderne sind die Geltungssphären von Ethik, Wissenschaft und Ästhetik ausdifferenziert worden [HABERMAS 1980: 41]. Werden nun aus der Perspektive der Ästhetik Fragen der Moral bearbei- tet, erscheinen sie nicht als Wert sondern als Stil, so dass die politische Geschichte als Stilkunde be- trieben werden kann. 74 „Der Ästhetizismus, worin die künstlerische Intention zum Prinzip der Lebensart erhoben ist, beinhaltet eine Art moralischen Agnostizismus, und steht damit in krassem Gegensatz zur ethischen Einstellung, die gerade die Kunst dem Leben und dessen Werten unterordnet“ [BOURDIEU 1979: 90]. Der Kulturphilosoph WALTER BENJAMIN hat die ‘Ästhetisierung des Lebens’ und die ‘Politik der Ästhetisierung’ als ein Verdinglichungsphänomen der modernen Industriegesellschaft beschrieben [BENJAMIN 1936a: 169]. Dieser Vorgang kann mit dem Begriff der ‘Re-Auratisierung’ charakterisiert werden [HARD 1985]. Die „Aura von natürlichen Gegenständen [...] definieren wir als einmalige Erschei- nung einer Ferne, so nah sie sein mag“ [BENJAMIN 1936a: 142]. Diese Aura wür- de durch die technische Reproduktion und Standardisierung in der industriellen Produktion zerstört [BENJAMIN 1936a: 141f], in der die Geschichte der Dinge, die als Waren auf dem Markt erscheinen [BENJAMIN 1936a: 167], verloren ginge [BENJAMIN 1936a: 143]. Damit verschwindet auch die handwerkliche Tradition, die nunmehr ästhetisch suggeriert würde, wenn Waren werbewirksam insze- niert werden112. Dem Auraverlust begegnet die Industriegesellschaft mit der Reauratisierung der Waren, die als besondere inszeniert werden. BENJAMIN erläutert das anhand der industriellen Filmproduktion113: „Der Film antwortet auf das Einschrumpfen der Aura mit einem künstlichen Auf- bau der ‘personality’ außerhalb des Ateliers. Der vom Filmkapital geförderte Star- kultus konserviert jenen Zauber der Persönlichkeit, der schon längst nur noch im faulen Zauber ihres Warencharakters besteht“ [BENJAMIN 1936a: 154]. Analog zur Reauratisierung der Waren und Stars (in Film und Politik) kann die Reauratisierung auf alle zuvor verdinglichten Phänomene, die ihrer Geschichte entledigt wurden, angewendet werden. Wie schon bei der Konstituierung der Landschaft erläutert, wird die verdinglichte und sinnentleerte Welt dem alltägli- chen Handlungszusammenhang, in dem ihr wieder praktischer Sinn zugespro- chen werden könnte, entrissen, sie wird abstrahiert, und steht einer distanzier- ten Betrachtung zur Verfügung. Als Warenwelt betrachtet, die ihren Gebrauchswert verloren hat, wird dieser durch die Warenästhetik suggeriert, die in der Werbung immer wieder neu inszeniert wird [HAUG 1973]. „Die Weltausstellungen bauen das Universum der Waren auf. Grandvilles Phanta- sien übertragen den Warencharakter auf das Universum. Sie modernisieren es. [...] Die Mode schreibt das Ritual vor, nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will“ [BENJAMIN 1936b: 176]. Die Inszenierung der Aura findet auch in Naturschutzgebieten statt, wenn der Naturschutz vorgibt die ‘ursprüngliche Natur’ zu schützen und sie technisch zu konservieren versucht [HARD 1992: 15; BELLIN 1996: 76-105]. Damit der Zusammenhang zwischen Industrialisierung und Naturschutz auf den ersten Blick nicht erkannt wird, wird das Naturschutzgebiet ideologisch verbrämt [BELLIN 1996: 123f] und zum Ort ertragloser Arbeit, die wiederum Reichtum symbolisiert [HARVEY 1987: 121]. PIERRE BOURDIEU bezeichnet das soziale Phänomen, dass Reichtum zur Schau getragen wird, als ‘symbolisches 112 Siehe zur ‘werbewirksamen Inszenierung’ das Kapitel: ‘Mode und Modernisierung’. 113 Die Aura verhält sich entgegengesetzt zur Spur: „Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie her- vorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser“ [BENJAMIN 1940a: 560]. Die Aura vereinnahmt wie Werbung und Propaganda. 75 Kapital, das dazu diene, die materielle Basis des Reichtums zu verdecken [BOURDIEU 1976: 356f; BOURDIEU 1987: 215, 218]. „Als eine transformierte und darin verschleierte Form ‘ökonomischen’ und physi- schen Kapitals bringt [...] das symbolische Kapital seinen ihm eigenen Effekt in dem Maße und nur in dem Maße hervor, wie es verschleiert, daß jene ‘materiellen’ Arten des Kapitals auch ihm – und in letzter Instanz auch seinen Effekten – zugrunde liegen“ [BOURDIEU 1976: 357]. Das Konzept zum symbolischen Kapital ist anhand traditionaler Gesellschaften entwickelt worden, in denen es das soziale Band zwischen den Menschen er- hält und Machtansprüche regelt. Erfüllt das symbolische Kapital in bäuerlichen Gesellschaften primär eine soziale Funktion, das Vertrauen innerhalb der Ge- sellschaft zu festigen, so wechselt es seine Funktion mit dem Entfalten der Geldwirtschaft, durch die es monetären Interessen folgt und schließlich mit der entfalteten Marktwirtschaft und Industrieproduktion in den Dienst der Kapital- verwertung gerät. Denn es ist in der traditionalen Kultur in religiöse Riten ein- gebunden, deren Grundlage mit der wissenschaftlichen und monetären Ent- zauberung in der Moderne fragwürdig geworden sind, womit das symbolische Kapital innerhalb moderner Rechtfertigungsfunktionen gerät und dort eine i- deologische Funktion erfüllt [HABERMAS 1968: 72; DIERSE 1976: 158; ROMBACH 1976: 165]. Das symbolische Kapital wird von der bürgerlichen Ökonomie als unnütze Ver- ausgabung aufgefasst, weil es keine direkte Verwertungsfunktion erfüllt [BOURDIEU 1987: 206f]. Wird die Verschwendung dennoch praktiziert, wechselt sie ihre soziale Bedeutung [BOURDIEU 1987: 215], die nunmehr auf Repräsenta- tion von Macht reduziert wird, die wiederum deren ökonomische Grundlage (Ausbeutung) verdeckt. Die Macht, bzw. der Machtanspruch soll als naturge- geben erscheinen. Das materielle Kapital kann in Luxusgüter investiert und als symbolisches Kapital ausgestellt werden114, um als gesellschaftlicher Akteur oder Institution über diese ‘interesselose’ Verausgabung soziales Prestige und politische Macht zuerkannt zu bekommen. „'Symbolisches Kapital' wird als 'Ansammlung von Luxusgütern definiert, die den Geschmack und die Besonderheit des Eigentümers bezeugen.' Solches Kapital ist natürlich eine verwandte Form von Geldkapital, aber 'es hat seine eigentliche Wir- kung in dem Maße, und nur in dem Maße, in dem es die Tatsache verbirgt, daß es seinen Ursprung in 'materiellen' Formen des Kapitals hat, die letztlich die Quelle seiner Wirkung sind.' Der Fetischismus ist offensichtlich, aber er wird hier absicht- lich entfaltet, um mittels der Sphären von Kultur und Geschmack die tatsächliche Basis ökonomischer Unterscheidungen zu verbergen. Wie 'die größten ideologi- schen Erfolge diejenigen ohne Worte sind, die nichts weiter als komplizenhafte Stille erfordern', so dient auch die Produktion symbolischen Kapitals ideologischen Funktionen, weil die Mechanismen, durch die es 'zur Reproduktion der bestehen- 114 Die soziale Distinktion setzt voraus, dass die Zeichen selten sind. „Der Wert der Eigenschaften, die als symbolisches Kapital fungieren können, liegt nämlich nicht, obwohl alles scheinbar aufs Gegenteil hinausläuft, in diesem oder jenem unveräußerlichen Merkmal der jeweiligen Praktik oder Güter, son- dern in ihrem Grenzwert, der sich nach ihrer Anzahl richtet und zwangsläufig sinkt, je häufiger sie wer- den und je verbreiteter sie werden“ [BOURDIEU 1987: 249]. Setzt die soziale Distinktion über das symboli- sche Kapital Zeichen voraus, über die nur eingeschränkt verfügt werden kann, dann versagt diese Strategie zunächst bei reproduzierbaren Gütern. Sollen reproduzierbare Güter als besondere erschei- nen, müssen sie als ‘schöne gute Waren’ gestaltet werden. Siehe dazu: ‘Mode und Modernisierung’. 76 den Ordnung der endlosen Fortsetzung von Herrschaft beiträgt, verborgen blei- ben' (Bourdieu, 1976, 188)“ [HARVEY 1987: 121]. In Bezug auf Naturschutzgebiete dient das symbolische Kapital dazu, dass die industrielle Ökonomie, auf der der ‘erhabene Schutz’ wirtschaftlich beruht, nicht erkannt wird bzw. sie nicht als ideologische Gestalt durchschaut werden. „Der Begriff des Naturschönen, einmal gegen Zopf und Taxusgang des Absolu- tismus gemünzt, hat seine Kraft eingebüßt, weil seit der bürgerlichen Emanzipati- on im Zeichen der angeblich natürlichen Menschenrechte die Erfahrungswelt we- niger nicht sondern mehr verdinglicht war als das dix-huittième. Die unmittelbare Naturerfahrung, ihrer kritischen Spitze ledig und dem Tauschverhältnis – das Wort Fremdenindustrie steht dafür ein – subsumiert, wurde unverbindlich neutral und apologetisch: Natur zum Naturschutzpark und zum Alibi“ [ADORNO 1970: 107]. Diese Grundstruktur der Ästhetisierung ökonomischer Interessen wird über- nommen, wenn das ästhetische Konstrukt Landschaft auf das bearbeitete Land übertragen wird. Die ästhetische Landschaft, die im Landschaftspark sti- lisiert wird, ist prototypisch für die ontologisierte Landschaft, die im 19. Jahr- hundert primär über den Heimat- und Naturschutz popularisiert wird. Die Äs- thetisierung des ‘platten’ Landes, beispielweise der Dörfer, Felder, Grünländer und Forste zur Landschaft, wie sie im landschaftlichen Park und Blick entwor- fen wird, wird mit der Ontologisierung der Landschaft flächendeckend. Damit ist die Grundlage der Leitbildnerei in der Landespflege anhand ihres Gegenstandes umrissen. Die Landespflege stellt, indem sie die ästhetische Differenz zwischen dem ästhetisch-normativen Konstrukt und dem bearbeite- ten, von divergierenden Interessen durchzogenen Land ignoriert und letzteres verkennt, das normative Gebilde Landschaft als ihren spezifischen Gegens- tand auf [HÜLBUSCH 1967: 5-8, 15-21, 24-27; HARD 1985: 286]. Mit dieser professio- nellen Ignoranz wird das Land der Leute, ihre lokale Autonomie und Geschich- te auf der symbolischen Ebene enteignet und stattdessen die ‘richtige’ Land- schaft verordnet. Diese normative ‘Ordnung der Landschaft’ ist eine Konstante in der Landespflege, die in den Forderungen nach Verrechtlichung evident wird, wenn z.B. der Werkbund 1961 fordert, dass die Landschaft das Gesetz werden müsse, und in der Naturschutzgesetzgebung des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des NS-Staates und der Bundesrepublik aufgegriffen wird. Die Anatomie der Landespflege Zur allgemeinen Charakterisierung der Landespflege und verwandter Diszipli- nen gibt die Geschichte der Landespflege Merkmale her, die in Genealogien, auf die wir zurückgreifen, herausgearbeitet wurden115. Die Hauptmerkmale der Landespflege treten sowohl in den Diskursen als in der Umsetzung hervor [HÜLBUSCH 1987; MEHLI 1989: 135]. Wenn in diesem Zusammenhang von der 115 Direkte Hinweise auf allgemeine Merkmale der Landespflege sind in Genealogien zu finden, die im Forschungszusammenhang der KASSELER SCHULE entstanden sind, während stärker aufzählende historiographische Studien zur Professionsgeschichte charakteristische Merkmale indirekt benennen. Der Gruppe der Genealogien können die Arbeiten von HÜLBUSCH [1967] STOLZENBURG/VETTER [1983], BOSS [1986], AUTORINNEN [1989], SCHNEIDER [1989], MEHLI [1989] und AUTORINNEN [1996] zugeordnet wer- den. Aufschlussreiche historiographische Studien sind von BECHMANN [1981], MILCHERT [1987], GRÖNING/WOLSCHKE-BULMAHN [1986; 1987], RUNGE [1990], AUTORINNEN [1992] und SCHEKAHN [1998] erstellt worden. 77 Landespflege die Rede ist, dann im Sinne des ‘Idealtypuses’116, dass nicht in jedem Professionsvertreter alle Merkmale perfekt realisiert werden, vielmehr ist ‘die Landespflege’ eine gedankliche Konstruktion, von der her die Einzelfälle und Varianten als Beispiele, die eine bestimmte Disposition aufweisen, ver- ständlicher werden [WEBER 1921a: 27ff; BERGER/ KELLNER 1984: 41f]. „Der Typus ist eine abstrakte Konstruktion. Er ergibt sich aus dem Vergleich der Fälle, die näher oder weiter zum Typus stehen, aber nicht mit ihm zusammenfal- len können (Weber, M. 1921)“ [LÜHRS 1994: 42]. Landespflege als Kulturindustrie Die Landespflege ist ein Geschäft mit Träumen, ein Illusionismus, der auf emo- tional wirksame Utopien zurückgreift. Mit ihrer grundlegenden Utopie verbindet sich sogar ein religiöser Anspruch. „Die bis heute wiederkehrende Metapher der Disziplingründung ist aus der Theo- logie entlehnt und bezeichnet den fruchtbaren Paradiesgarten in der unfruchtba- ren Steppenlandschaft Eden“ [SCHNEIDER 1989: 29]. Diese Gegenstandsbestimmung und große Utopie der Landespflege setzt den Landespfleger, den Schöpfer von Grünanlagen, mit dem Schöpfergott gleich. Zur Verwirklichung des professionellen Anspruchs stehen den profanen Schöpfern allerdings nur weltliche Mittel zur Verfügung. Das Paradies soll durch Macht und Ordnung wiederhergestellt werden – also durch das Gegenteil von dem, was Paradies ursprünglich bedeutete. Es wird be- liebig reproduzierbar“ [SCHNEIDER 1989: 37]. So sehr die Landespfleger im professionellen Schrifttum die Landespflege als Instrument der zweiten Schöpfung und zur Wiedererlangung des Paradieses feiern, bemängeln sie auch die zu geringe Macht der Landespflege und die niedrige gesellschaftliche Akzeptanz der landespflegerischen Maßnahmen. Trotz der ideologischen Beteuerung ihrer Schöpferkraft ist die Landespflege nicht direkt wertschöpfend und von Aufträgen der Administration und Bauher- ren abhängig, woraus im Vergleich zu den direkt produktorientierten und handwerklichen Berufsgruppen eine relativ ‘schwache’ ökonomische Position resultiert. „In Berufsgruppen, die, wie das so heißt, geistige Arbeit verrichten, zugleich aber unselbständig und abhängig sind oder wirtschaftlich schwach, ist der Jargon Be- rufskrankheit. Ihre Bildung und ihr Bewusstsein hinken vielfach hinter jenem Geist her, mit dem sie nach gesellschaftlicher Arbeitsteilung befasst sind“ [ADORNO 1964: 18]. KÖRNER bemängelt eine zu geringe Akzeptanz des Faches Landespflege. Nicht nur von anderen Disziplinen und aus der Gesellschaft käme der Profes- sion kaum Reputation zu, sondern sogar bei den Studenten der Landespflege sei sie nur sehr niedrig [KÖRNER 1997: 45, 53]. Die Landespflege stünde im 116 Der Begriff ‘Idealtypus’ ist von MAX WEBER geprägt worden, um die Vielfalt sozialer Phänomene in ihrer Bedeutung theoretisch fassen und beschreiben zu können. So müsse „die Soziologie ihrerseits ‘reine’ (‘Ideal’-)Typen von Gebilden jener Arten entwerfen, welche je in sich die konsequente Einheit möglichst vollständiger Sinnadäquanz zeigen, eben deshalb aber in dieser absolut idealen reinen Form vielleicht ebenso wenig je in der Realität auftreten, wie eine physikalische Reaktion, die unter Voraus- setzung eines absolut leeren Raums errechnet ist. Nur vom reinen (‘Ideal’-)Typus her ist soziologische Kasuistik möglich“ [WEBER 1921a: 28 – Hervorhebungen im Original]. 78 Schatten ihrer ‘schönen Schwester’, der renommierten Landschaftsarchitektur, die mit kreativen Entwürfen aufwarten könne [KÖRNER 1997: 49], hingegen die Landespflege nur mit Entscheidungshilfen diene, die einen zermürbenden poli- tischen Willensbildungsprozess durchlaufen müssten [KÖRNER 1997: 50]. Die Landespflege gälte bei den Studenten als langweiliges und paradoxes Fach, das von der Öffentlichkeit als Ärgernis wahrgenommen würde. Ein Wunsch der Landespflegestudenten sei, „etwas bewirken zu können“ und „Weltverbesserung“ [KÖRNER 1997: 51]. Deshalb fordert er, dass die Landes- pflege eine deutliche Position, die die Profession nach außen wie nach innen repräsentiere, einnehme, und die er in der entschiedenen Hinwendung der Landespfleger zum demokratisch kontrollierbaren rationalen Diskurs sieht [KÖRNER 1997: 47f, 50]. Ein reflektierter Umgang mit der landespflegerischen Aufgabenstellung erbrächte sowohl kreative [KÖRNER 1997: 50f] als auch wis- senschaftliche Aspekte [KÖRNER 1997: 48f], die zur Selbsterfahrung in der Arbeit führten117 [KÖRNER 1997: 51]. Damit könne die Landespflege innerprofessionelle Anerkennung unter den Studenten und zugleich gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Diese wissenschaftspolitische Strategie, das gesellschaftliche Presti- ge zu sichern, entspricht dem Sozialcharakter der Landespflege, wie er aus feministischer Sicht beschrieben wird. „Die Landespflege hat den Charakter einer domestizierten Frau, die für die Indust- riegesellschaft u.a. Ordnung und Sauberkeit herstellt (vgl. Schneider 1988). In dieser geschlechtsspezifischen Arbeitsbeschreibung sind das geringe Selbstbe- wusstsein und das Ohnmachtsgefühl der Landespflege als Aura mitgeteilt. Um sich von der Ohn-Macht zu befreien, strebt die Landespflege Macht über an- dere an (vgl. Keller 1986). Sie verfolgt einen patriarchalen Emanzipationsweg durch Vermännlichung. Spezifische Härte durch Naturwissenschaft oder überhöh- te Verweichlichung durch Kunst soll die Anerkennung der Vätergeneration si- chern“ [SCHNEIDER 1989: 6]. Die innerprofessionelle Unsicherheit und die Forderung nach einer (rechtli- chen) Verankerung der Landespflege in der Gesellschaft ist chronisch und wird über die wiederkehrende Diskussion in den Fachzeitschriften, ‘Garten und Landschaft’ allen voran, belegt [AUTORINNEN 1989: 323-350], aber nicht nur auf diese beschränkt [SCHNEIDER 1989: 130ff]. Ist eine Profession derart auf den Tauschwert und das marktfähige Produkt fixiert, wie die Landespflege, dann bedeuten nicht erteilte Aufträge nicht nur ökonomische Unsicherheit, sondern zugleich den professionellen Ruin118 [SCHNEIDER 1989: 115f, 118f; vgl. HARD 1979: 35]. Mit feinem Gespür für „gesellschaftliche Tendenzen und Strömungen bzw. das, was sie dafür halten“ versuchen Gartenarchitekten wie Landespfleger mit ihren Entwürfen die zumeist administrativen Auftraggeber zu erreichen [MEHLI 1989: 146]. 117 "Dem Bedürfnis nach konkreter Selbsterfahrung und ‘Weltverbesserung’ kommt die Landschaftsar- chitektur mit dem Entwurfstraining entgegen und bringt damit die Landschaftsplanung in Legitimati- onsprobleme" [KÖRNER 1997: 45], als wäre der Beruf eine Therapie. 118 Die gegenwärtige Finanzkrise der Verwaltungen und Zweckverbände bedeutet für die Landespfle- ger weniger Aufträge und stärkere Konkurrenz um diese, was zu einer Akkumulation des Kapitals in- nerhalb des planerischen Sektors führt, die im ‘Bürosterben’ zum Ausdruck kommt. Diese immer wie- derkehrenden ökonomischen Krisen der Planungsbüros können anhand von Fachzeitschriften belegt werden [AUTORiNNEN 1989: 373ff]. 79 „Auf diese Weise können sie sich, auch aus Nützlichkeitserwägungen (Gewinn und Ehre), schnell und bedenkenlos der jeweiligen Marktlage anpassen. Diese opportunistische Haltung der Gartenarchitekten schätzen die Verwaltungen und Auftraggeber sehr und nutzen sie zu ihren Gunsten [MEHLI 1989: 146]. Die sozialpsychologische Abhängigkeit von gesellschaftlicher Anerkennung zeigt sich eindrücklich daran, dass selbst Landespfleger mit gesichertem Ein- kommen, wie Hochschulbedienstete, weiterhin nach Aufträgen rufen und vor dem Hintergrund der strukturell mangelhaften Professionalität der Landespfle- ge119 fordern, dass die Lehre auf die sogenannte ‘Berufpraxis’ auszurichten sei. Unter diesen Studienbedingungen, die die Professorenschaft vorgibt, wun- dert es nicht, dass Studenten, verunsichert, nach einer abstrakten ‘Praxisrele- vanz’ verlangen [vgl. KÖRNER 1997: 46f]. „Die Landespflege fürchtet ständig um den Verlust ihrer gewaltsam erworbenen Macht. Kritik gefährdet das labile Selbstwertgefühl der Profession und wird deshalb aus- geschaltet. Ein Beleg sind die fehlende akademische Auseinandersetzung und die Unterdrückung jeglicher Kritik“ [SCHNEIDER 1989: 118]. Fehlt den Professionen das disziplinäre Selbstbewusstsein, dass der Wert der Produkte nicht im Tauschwert besteht, dann sehen sie sich auf gesellschaftli- che Anerkennung angewiesen und werben um diese, weil sie bei dem Verlust der ökonomischen Basis über kein zweites Standbein in der Wissenschaft ver- fügen. Mit dem Einkommen verlieren sie auch den Sinn. Die ökonomische Po- sition und gesellschaftliche Funktion der Landespflege entspricht dem, was ADORNO mit dem Begriff Kulturindustrie bezeichnet. Die Kulturindustrie verbin- det in der entfalteten Industriegesellschaft mit fortgeschrittener Arbeitsteilung (Spezialisierung) die geisteswissenschaftliche Produktion mit dem Markt. Unter dem Aspekt der verwertungsorientierten Kulturindustrie erscheinen die geisti- gen Produkte als Waren: „Die gesamte Praxis der Kulturindustrie überträgt das Profitmotiv blank auf die geistigen Gebilde“ [ADORNO 1963: 61]. Das Konzept der Kulturindustrie ist zwar ursprünglich erstellt worden, um die Funktionsweise der industriellen Serienproduktion ästhetischer Produkte zu erklären [ADORNO 1963], kann aber auf die Landespflege übertragen werden. So stellt HANS BOSS in Bezug auf die Landespflege im NS-Staat und der Bun- desrepublik heraus, dass sie zwar ihre kulturindustrielle Programmatik ent- sprechend der Herrschaftsform ändere, aber in ihrem Auftragsverständnis die ökonomischen Machtverhältnisse als gegeben anerkennt und als notwendige gesellschaftliche Basis unterstützt. „Das Kapital als verdinglichte Struktur menschlicher Produktion wird nicht nur un- historisch verewigt, sondern gilt quer durch die gesellschaftlichen Herrschaftssys- teme, die sich darauf gründen, als unabdingbare Voraussetzung eigenen Han- delns (was es dann auch ist)“ [BOSS 1986: 139]. Die geisteswissenschaftliche und künstlerische Produktion, die sinnhafte Ge- bilde herstellt, ist nicht direkt verwertungsorientiert [ADORNO 1963: 62]. Die Wis- senschaft folgt dem Erkenntnisinteresse und dient zunächst der Theoriebil- dung, die dann auch angewendet werden kann – ist aber nicht grundsätzlich 119 Aber wohl auch vor dem pädagogischen Hintergrund ihrer eigenen geringen Kompetenz als Lehrer. 80 dem Verwertungsinteresse unterworfen [PANOFSKY 1957: 151]. Kunstwerke oder wissenschaftliche Theorien sind Sinngebilde und Ware, wenn beispielweise eine wissenschaftliche Erkenntnis als Produktivkraft eingesetzt und das Wis- sen verwertet werden kann [HABERMAS 1968: 79ff]. In der arbeitsteiligen Gesell- schaft ist Sinn auch tauschbar und die Sinnproduktion schließlich verkäuflich; beispielsweise basieren religiöse Institutionen ökonomisch darauf, dass sie für ihre Leistung, Sinn zu vermitteln, von der Gesellschaft (finanziell) unterhalten werden; ebenso die Geisteswissenschaften [RITTER 1963b: 131]. Solange die Sinnproduktion nicht primär auf die Sinnverwertung ausgerichtet ist, geht der Sinngehalt nicht in der Ware auf und bleibt die Sinnproduktion zu den Gesetzen des Marktes relativ autonom. Die wissenschaftliche Theoriebil- dung folgt nicht den Regeln der Marktwirtschaft, sondern entsteht aus der inne- ren Logik der Disziplinen [POPPER 1936] und der wissenschaftlichen Debatte über strittige Thesen [KUHN 1962]. Innerhalb der Disziplinen werden eigene Kri- terien angewendet, nach denen wissenschaftliche Geltung verliehen wird. Gleicht sich eine geistige Produktion aber der Kulturindustrie an, dann verfällt sie den Marktgesetzen gänzlich: „Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch“ [ADORNO 1963: 62]. Eine kulturindustrielle ‘Wissenschaft’ produziert Sinn nur mehr als Schein, das Ziel ist die verkaufbare Ware. Damit wechselt die Aufgabe der Wissenschaft, die nicht mehr primär auf Sinn und Erkenntnis ausgerichtet ist. Der kulturindus- trielle Wissenschaftsbetrieb produziert verkäufliche Erkenntnisse, nämlich Wa- ren. Nichtsdestoweniger behält der geistige Betrieb seinen alten Nimbus, Sinn herzustellen, bei. Auch in der Landespflege wird ‘Sinn’ verkauft, wobei dieses Geschäft zwischen dem Landespfleger, den ‘formellen’ und ‘informellen’ Kunden ausgehandelt wird120. Der Landespfleger findet sich in der Situation, als Gutachter bestellt zu werden, um über ein sozial sinnvolles Gebilde nachzudenken, in dem Men- schen leben können. Mit dieser Aufgabe gerät er zwischen unterschiedliche Erwartungen und in unterschiedliche Verantwortlichkeiten121. Er selber unter- liegt dabei nicht direkt den sozialen und ökonomischen Folgen der Planung oder des Entwurfs [HÜLBUSCH 1991: 174], und kann den Entwurf ohne verant- wortungsvolles Konzept erstellen, so dass der Entwurf bezüglich einer Pla- nungstheorie beliebig erscheint [HÜLBUSCH 1991: 174], und daher den jeweiligen Anforderungen der Administration und der Investoren problemlos folgen kann [HÜLBUSCH 1991: 178]. 120 Der Gutachter handelt nicht zweckrational, sondern kommunikativ, d.h. dass er mit dem Auftrag- eber und der Kundschaft symbolisch interagiert. Siehe dazu auch Kapitel: ‘Abstraktion durch Verfahren und Entwurf’. 121 Als ‘formeller Auftraggeber’, der seine Leistung vergütet, tritt ihm die Administration oder der Bau- herr entgegen, während die lokalen Interessengruppen, die von den Festsetzungen direkt betroffen sein werden, die ‘informelle Kundschaft’ ist [HÜLBUSCH 1998: 166]. Der Gutachter, der eigentlich Treu- händer ist, kann sich in der formellen Auftragssituation auf die Seite der formellen Auftraggeber und Investoren stellen, ohne dass sein Interesse am Entgeld dadurch gefährdet wäre. Diese doppelte öko- nomische Distanz des Gutachters zu den direkt von der Planung Betroffenen, sowohl hinsichtlich der lokalen Ökonomie als auch hinsichtlich des Einkommens des Planers, ermöglicht ihm, ihnen seine Verantwortung zu entziehen und über ihren Alltag hinweg verantwortungslos zu entwerfen. 81 Im heteronomen Selbstverständnis steht der Landespfleger in der „Abhängig- keit vom Wohlwollen der Parteien und Verwaltungen“ [HÜLBUSCH 1998: 163], die den Auftrag erteilen. Diese ökonomische Abhängigkeit führt in der Landespfle- ge zu einem ‘professionellen’ Minderwertigkeitsgefühl im Vergleich zu unab- hängigeren oder profitträchtigeren Wissenschaften und zu innerprofessionellen Durchhalteparolen, dass die ‘grüne Front’ zusammenhalten müsse. „Diese Durchhalteparolen unterbinden im Dienste der Berufspropaganda jegliche Berufs- und Gegenstandsreflexion und reduzieren die Sicht der Innenwelt auf e- motionale Übereinstimmungen mit marginalen formalistisch-geschmäcklerischen oder verfahrenstechnischen Streitpunkten, die notwendig einen schulmeisterlichen Anstrich der Weisung bzw. Dienstanweisung erhalten“ [HÜLBUSCH 1998: 165]. Geistige Produktion war schon immer bewusstseinsbildend. Diese Funktion wechselt aber mit der kulturindustriellen Sinnproduktion, die nun mehr ver- kaufsfördernd auf das Bewusstsein der Konsumenten einwirkt. „In all ihren Sparten werden Produkte mehr oder minder planvoll hergestellt, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen“ [ADORNO 1963: 60]. Der Verkauf geistiger Produkte läuft in der Landespflege auf ein Geschäft mit Träumen hinaus, das (parallel) auf den Ebenen von landschaftlicher Ordnung, Notstand und Maßnahme abgewickelt wird122. Dazu beruft sich die Landes- pflege auf höhere Werte und vertritt solche, die einer Natur an sich angehör- ten, mit denen sie ihre absolute Notwendigkeit betont. Flankiert wird die ‘meta- physische Legitimation’ von der Erfindung drohender Apokalypsen, aus denen ein Handlungsnotstand abgeleitet wird, für den die Landespflege die adäqua- ten Maßnahmen bereit hielte. Die Landespflege verheißt mehr, als sie einlösen kann und führt daher nach jeder realen Enttäuschung neue Verheißungen ins Feld. Sie produziert auf symbolischem Wege ‘Bedürfnisse’ und, durch reale Enteignungen in der Folge der landespflegerischen Maßnahmen, eine perma- nente Nachfrage. Auf den Konsum wirkt die Kulturindustrie über die Mode ein, die als Fortschritt inszeniert wird, aber im unablässig Neuen nur das Immer- gleiche verkleidet, das als Profitmotiv zugrunde liegt: die schönen neuen Wa- ren sollen gekauft werden. Dieses Geschäft betreibt die Landespflege mit der Leitbildnerei, die neue Leitbilder entwirft, mit denen die immer gleiche (indus- trielle) Ausgleichsideologie fortgesetzt wird. Die werbewirksame Taktik besteht darin, die Serienproduktion und beliebige Austauschbarkeit der Verpackung als unverwechselbare Originalität erscheinen zu lassen. „Jedes Produkt gibt sich als individuell; die Individualität selber taugt zur Verstär- kung der Ideologie, indem der Anschein erweckt wird, das ganz Verdinglichte und Vermittelte sei eine Zufluchtsstätte von Unmittelbarkeit und Leben“ [ADORNO 1963: 63]. Das ‘wiederhergestellte Paradies’ und die ‘renaturierte Natur’ sollen als das erscheinen, was sie per definitonem nicht sein können, und werden durch den ‘Etikettenschwindel’ beliebig inszenierbar, denn innerhalb der Leitbildnerei fehlt jegliches Entscheidungskriterium, nach dem die verschiedenen Leitbilder be- wertet werden könnten. 122 Wir gehen darauf ein in den folgenden Kapiteln: ‘Die Ordnung der Landschaft’, ‘Deklaration des Handlungsnotstandes’ und ‘Die Verheißung des Paradieses’. 82 Die Funktion der Leitbildnerei besteht nicht in der Findung des richtigen Leitbil- des, sondern im Verkauf von Illusionen und dementsprechend ist das Kriteri- um, nach dem Leitbilder ‘sich’ durchsetzen, ein ökonomisch-funktionales. Die Kulturindustrie unterstützt den Verkauf der Waren mit public relations [ADORNO 1963: 62], die in den potentiellen Käufern Bedürfnisse erzeugen sollen. In der Werbung kommt die Sinnproduktion der Kulturindustrie zur Geltung, die das Bewusstsein mittels des Bedürfnisses auf den Konsum ausrichtet [ADORNO 1963: 66]. Dazu nutzt sie zwei Machtmittel, die auf die gesellschaftliche Imagi- nation wirken123, die Drohung mit der Katastrophe bzw. dem Sinnverlust [ADORNO 1963: 66] und die Verheißung des Glücks. Dabei kreiert die landes- pflegerische Propaganda eine Experten-Sprache, die die Menschen sprachlos und von der Expertenmeinung abhängig macht. Die rechtliche Deklaration und materielle Zurichtung von selbstbestimmt nutzbaren Freiräumen zu Natur- parks, Erlebnispfaden, Grünflächen entzieht den Leuten gerade die autonomen Handlungsspielräume, in denen sie Sinn praktisch herstellen können [HÜLBUSCH 1981: 322]. Stattdessen wird ihnen sinnvolles Verhalten vorge- schrieben [HÜLBUSCH 1987: 317f]. „Während sie [die Kulturindustrie] beansprucht, Führer der Ratlosen zu sein, und ihnen Konflikte vorgaukelt, die sie mit ihren eigenen verwechseln sollen, löst sie die Konflikte nur zum Schein“ [ADORNO 1963: 67 – Einf. FL]. Der Ersatz führt die Menschen in die Sinnleere, auf die die Kulturindustrie mit neuen Verheißungen reagiert, um weitere Bedürfnisse nach neuen Waren zu wecken [ADORNO 1963: 66]. Mit dem immer wieder aufgeschobenen ‘Glück’, der Einschränkung der lokalen Entscheidungsspielräume der Nutzerinnen und Nutzer und der ‘Kosmetik’ dieser Enteignungen entsteht eine landespflegeri- sche Vergnügungsindustrie, die auf die reale Not mit ästhetischem Ausgleich reagiert. Die Nutzer werden von den Agenten der (landespflegerischen) Ver- gnügungsindustrie auf ‘Bedürfnisse’ reduziert, ihre produktive Leistung im (selbstbestimmten) Gebrauch124 nicht wahrgenommen bzw. geleugnet und zu versorgungsbedürftigen Konsumenten erklärt [vgl. DEBORD 1970: 15, 95f]. Für die abstrakten ‘Bedürfniskomplexe’ – das landespflegerische ‘Phantom der Hele- na’ [GIONO 1963: 59] – werden dann ‘Befriedigungsanlagen’ geschaffen (z.B. Grünanlagen, Naturparke, Erlebnispfade). „Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindustrie den Menschen bereitet, in dem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerie- ren will, betrügt sie um das Glück, das sie ihnen vorschwindelt“ [ADORNO 1963: 69]. Dieser Schwindel, den das immer wieder entzogene Glück erzeugt, resultiert aus der Zustimmung der Konsumenten zu der industriellen Sinnproduktion, die sie immer tiefer in die Abhängigkeit führt [ADORNO 1963: 66f]. Die landespflegerische Kulturindustrie entwirft das Bild des heteronomen Kon- sumenten und stellt materielle Abhängigkeiten her, die als Sachzwang ausge- legt werden für weitere landespflegerische Fürsorgemaßnahmen, in denen die Leute immer weniger autonome Handlungsspielräume finden [HÜLBUSCH 1981: 329f]. Die ideologische Leistung der Kulturindustrie besteht darin, dass das kri- 123 Wie Leitbilder gesellschaftlich wirksam werden, erklären wir im Kapitel: ‘Das kollektive Imaginäre’. 124 Die alltägliche Produktion der Reproduktion wie das INGE META HÜLBUSCH genannt hat [HÜLBUSCH, I.M. 1978a]. 83 tische Bewusstsein der Verbraucher durch Anpassung ersetzt wird [ADORNO 1963: 67], so dass sie die Ich-Schwäche der nicht autonom wirtschaftenden Menschen, die sie ausbeutet, befördert [ADORNO 1963: 68]. „Das Einverständnis, das sie propagiert, verstärkt blinde, unerhellte Autorität“ [ADORNO 1963: 68]. Der Autorität wird geglaubt, weil sich die kulturindustriellen Sinnversprechen der Bewährung entziehen und deren Enttäuschung den Menschen, die sich auf sie eingelassen haben, selbst angelastet wird. Die Leitbildnerei ist so erfolg- reich, weil Leitbilder keine äußere, prüfbare Realität besitzen, an der sie be- währt werden könnten. Sie können nur geglaubt werden, müssen dazu also vom Publikum angenommen und durch die Hoffnungen der Leute getragen werden. „Eine objektiv verbindliche Ordnung, wie man sie den Menschen aufschwätzt, weil es ihnen an einer fehlte, hat keinerlei Recht, wenn sie es nicht in sich und den Menschen gegenüber bewährt, und eben darauf lässt kein kulturindustrielles Pro- dukt sich ein“ [ADORNO 1963: 67]. Die unerhellte Autorität der Leitbilder beruht auf einem allgemeinen unkriti- schen Einverständnis, das die Kulturindustrie herstellt [ADORNO 1963: 62, 67f]. Wie die Landespflege der Kulturindustrie zugehört, so stimmt sie auch mit de- ren politischer Funktion überein: „Sie verhindert die Bildung autonomer, selbständiger, bewußt urteilender und sich entscheidender Individuen. Die aber wären die Voraussetzung einer demokrati- schen Gesellschaft, die nur in Mündigen sich erhalten und entfalten kann“ [ADORNO 1963: 69f]. Die Einstellung, die in der Landespflege zu den ‘Beplanten’, den Leuten, die im Planungsraum leben und handeln, eingenommen wird, ist bevormundend. Die Entstehung der Landespflege geht auf den Landschaftspark und die Landes- verschönerung zurück, deren Protagonisten den enteignenden Zugriff auf das Land und die Ressourcen für die Industrialisierung betrieben. Diese von SCHNEIDER an den Schriften der Vätergeneration in der Landesverschönerung belegte Professionsgeschichte, widerlegt die Ansicht, dass die Landespflege als „autoritäre Disziplin erst in der Zeit von 1933 bis 1945 entstanden sei“ [SCHNEIDER 1989: 46]. „Die Disziplin hatte unter dem Namen ‘Landesverschönerung’ ihre Professionali- sierung bereits 100 Jahre hinter sich. Ca. 1830 sind Theorie und Instrumente der Landesverschönerung für eine umfassende, autoritäre ‘Planung’ entwickelt“ [SCHNEIDER 1989: 46]. Die Landespflege entstand also gerade zu der Zeit, als der ästhetische Land- schaftsbegriff auf das bearbeitete Land übertragen, die Anschauungsmetapher zur materiell-imaginären Landschaft transformiert und die Industrialisierung des Landes vorbereitet wurde. „Die anspruchsvollste Verteidigung von Kulturindustrie heute feiert ihren Geist, den man getrost Ideologie nennen darf, als Ordnungsfaktor. Sie gebe den Men- schen in einer angeblich chaotischen Welt etwas wie Maßstäbe zur Orientierung“ [ADORNO 1963: 66]. Die hier aufgestellte Charakterisierung der Landespflege wird in den folgenden Kapiteln ausführlich erläutert. 84 Die Ordnung der Landschaft „Das Paradies neu zu schaffen, wird durch männliche Ordnung, per Ver-Ordnung verfolgt. Das gilt nicht nur für die Landschaft, sondern auch für die Menschen. Die im Angriff auf das persönlichste Gut, die Persönlichkeit enthaltene (strukturelle) Gewalt wird ästhetisiert: zum schönen Paradies (-garten) gehören schönere Men- schen“ [SCHNEIDER 1989: 46]. Die Landespflege ist ein raumordnerisches Verfahren, dessen Gegenstand „das kulturell bestimmte Verhältnis zu konkret räumlich vorliegender Natur“ bil- det [KÖRNER 1997: 46], die in der Landespflege traditionell die Idee der Land- schaft ist. Gleich ob in der Stadt oder auf dem Land, in der Grün- oder Land- schaftspflege umreißt die Metapher der Landschaft das Arbeitsfeld der Lan- despflege, deren Leistung auf die Herstellung der richtigen landschaftlichen Ordnung ausgerichtet ist [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 13ff]. Mithilfe dieser lan- despflegerischen Metapher, der über die Konnotation des modernen Land- schaftsbegriffs um 1800 sowohl ästhetische als auch normative Implikationen eigen sind, formuliert die Landespflege fiktive Notstände und prophezeit Ka- tastrophen, Chaos und Unordnung, denen mit entsprechenden landespflegeri- schen Maßnahmen entgegengewirkt werden müsse125 [HÜLBUSCH 1967: 27f, 31f]. „Das Bestehende wird als unordentlich deklariert (vgl. VETTER 1983: 14). Administrati- on schafft diese Unordentlichkeit ab und führt Ordnung und Kontrolle als Schön- heit ein“ [SCHNEIDER 1989: 5]. Auf Ordnung und Kontrolle zielte die Landespflege schon Anfang des 19. Jahrhunderts, die damals als Landesverschönerung bezeichnet wurde, eine Bezeichnung, die auf den Architekten GUSTAV VORHERR zurückgeht. „Vorherr fordert die Totalerfassung von Land und Leuten unter sozialem Vorwand – für die Staatsverwaltung als ungenannte Auftraggeberin. [...] Angestrebt wird die ‘planvolle Umformung des gesamten Landes (DÄUMEL 1961: 63). Dieses totalitäre Konzept der Natur- und Menschenbeherrschung wird als sozial-liberal in der Dis- ziplingeschichte weitergegeben“ [SCHNEIDER 1989: 34]. Von der Landesverschönerung bis zur ‘nachhaltigen Regionalentwicklung’ wird die landespflegerische Sicht von der Vorstellung einer ‘landschaftlichen Ord- nung’ bestimmt. Dieses Ordnungsstreben ist aus der Geschichte des moder- nen Landschaftsbegriffs heraus erklärbar126 und kann an dem programmati- schen Text ‘Was ist Landespflege?’ dargestellt werden: Unter diesem prätenti- ösen Titel ist 1964 ein von den Hannoveraner Professoren der Landespflege BUCHWALD, LENDHOLT und PREISING verfasster Aufsatz zur Aufgabe der Lan- despflege erschienen. An dessen Ausarbeitung waren maßgebende Vertreter der Landespflege beteiligt127 [BUCHWALD et al. 1964: 229]. Die Autoren bemühen sich im Rückgriff auf LENNÉ, VORHERR, CONVENTZ, SCHWENKEL, MÄDING, SEIFERT und WIEPKING, die professionsgeschichtliche Kontinuität der Landes- pflege aufzuzeigen und für die Zukunft festzuschreiben [BUCHWALD et al. 1964: 229f]. Die Kontinuität der Landespflege liege in den Charakteristika, die Land- 125 Z.B. ungeordnete Bodennutzung, Verschandelung, Zersiedlung etc. 126 Wie die Ordnung in die Landschaft gekommen ist, wurde im Kapitel: ‘Ideologisierung der Land- schaft’ erläutert. 127 Genannt werden: GREBE, KÜHN, LAAGE, OLSCHOWY, PFLUG, POHL-LIEBER; ROEMER, ROHLFS, STEINLE, WERKMEISTER. 85 schaft zu ordnen, zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln128 [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 230]. „Landespflege erstrebt die Sicherung einer menschengerechten und zugleich na- turgemäßen Umwelt, den Ausgleich zwischen dem natürlichen Potential eines Landes und den Ansprüchen der Gesellschaft. Landespflege dient dem Ziel durch Ordnung, Schutz, Pflege und Entwicklung der Wohn-, Industrie-, Agrar- und Erho- lungslandschaften, durch Erhaltung der wenigen verbliebenen Natur- und Urland- schaften sowie durch die naturgemäße Bewirtschaftung der natürlichen Hilfsquel- len eines Landes. Landespflege umfaßt u.a. die Arbeitsgebiete des Naturschut- zes, der Landschaftspflege und der Grünplanung“ [BUCHWALD et al. 1964: 230]. Über die administrativen Anforderungen von den „preußischen und österreichi- schen Landespflegeakten des 17. und 18. Jahrhunderts“ [BUCHWALD et al. 1964: 229] bis zur ‘Grünen Charta von der Mainau’, sowie unter Berufung auf obere staatliche Institutionen wie den damaligen Bundespräsidenten LÜBKE, Präsi- denten der USA KENNEDY und die Landespflegegesetzgebung der UdSSR soll die gesellschaftliche Notwendigkeit der Landespflege untermauert werden [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 230]. Zugleich dient die Behauptung, dass ohne regeln- den Eingriffs der Landespflege die natürlichen Lebensgrundlagen und implizit die Existenz der Menschen bedroht wäre zur Begründung der Landespflege [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 230]. Um der „wachsenden Beanspruchung und Be- drohung der Landschaft“ entgegen zu wirken [BUCHWALD et al. 1964: 229], soll die Landespflege die „Ansprüche der Gesellschaft“ ordnen [BUCHWALD et al. 1964: 230]. Dies sei vor allem ihre Aufgabe. „Landschaftspflege erstrebt die Ordnung, Pflege, Gesundung und Entwicklung von Landschaften oder Landschaftsteilen mit dem Ziel einer nachhaltig leistungsfähi- gen, schönen und gesunden Landschaft“ [BUCHWALD et al. 1964: 230]. Die Ordnung der Landschaft durch die Landespflege ist an der Idee einer ‘na- türlichen Ordnung’ orientiert, worauf die organistisch-normative Metapher der Gesundheit deutet. Diese ‘Gesundheit der Landschaft’ soll über „Grundlagen- untersuchungen vorwiegend landschaftskundlicher und -geschichtlicher, biolo- gisch-ökologischer und gesellschaftlich-wirtschaftlicher Art“ derart erfasst wer- den, dass die Landespflege Anleitungen zur „naturgemäße[n] Bewirtschaftung der natürlichen Hilfsquellen“ geben kann [BUCHWALD et al. 1964: 230; z.B. MEYER 1963: 15]. An diese Überlegung knüpfen die Forderungen nach einer Totalerhebung der Landschaft an, die in den 1950er und 1960er Jahren formuliert werden129 [HÜLBUSCH 1986: 116f; SCHNEIDER 1989: 92] und auf eine Allzweckrationalisie- rung abzielen [STOLZENBURG 1984: 17, 40]. Deutlich wird die naturdeterministi- sche Perspektive in der Stellungsnahme ‘Landschaftsplan und Raumord- nungsplan’ von KONRAD BUCHWALD, dem Doyen der Landespflege in der BRD, 128 Diese professionsgeschichtliche Kontinuität wird immer wieder von Landespflegern betont [SCHNEIDER 1989: 13]. Meines Wissens sind die Merkmale erstmals von SCHWENKEL [1938: 10] und seither immer wieder aufgezählt worden [z.B. RUNGE 1990: 38f]. – Während die drei Merkmale, zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, den Subdisziplinen Naturschutz, Landschaftspflege und Grünplanung ent- sprechen, kommt der charakteristische Anspruch, die Landschaft zu ordnen, der Landespflege insge- samt zu. 129 Hierzu gehört in den 1950er Jahren die ‘naturräumliche Gliederung Deutschlands’ [vgl. SCHMITHÜSEN 1953], die vor allem durch Geographen initiiert wurde, zu der seit den 1960er Jahren die Erhebung der landschaftsökologischen Faktoren [vgl. BUCHWALD/ ENGELHARD 1969] trat [RUNGE 1990: 138, 181ff, 221f]. 86 zur Bedeutung des Landschaftsplans [BUCHWALD 1964], die dem programmati- schen Text ‘Was ist Landespflege’ bezeichnenderweise voran steht. Die Rede ist hier vom Landschaftsplan: „Der Landschaftspfleger vertritt hier als Anwalt der Landschaft den im allgemeinen vergessenen ‘Faktor Landschaft’. Da diese jedoch Grundlage unserer Existenz, tragende Komponente unseres Lebens ist, gewinnt der Beitrag des Landschafts- anwalts zur Raumordnung entscheidende Bedeutung“ [BUCHWALD 1964: 228]. Der ‘Landschaftsanwalt’130 hätte nach BUCHWALD dafür Sorge zu tragen, dass die „Gesamtplanung des Raums [...] zugleich einer geordneten Nutzung des Bodens, der Erholung und dem Schutze der Landschaft gerecht wird“ [BUCHWALD 1964: 228]. Zudem sei der Landschaftsplan Grundlage aller Raum- planungen, weil im Sinne der Ökologie alle Nutzungen letztlich auf natürlichen Grundlagen beruhten, die in den Gegenstandsbereich und das Aufgabenfeld der Landespflege fielen [z.B. BUCHWALD 1964: 229]: „Landespflege ist ökologische Raumplanung“ [BUCHWALD 1964: 229]. Diese Auffassung, dass die Landespflege sowohl naturwissenschaftliche als auch hoheitliche Planung sei, entspricht dem „landespflegerischen Leitbild“ [BUCHWALD 1964: 229], das BUCHWALD einfordert, um die Landespflege inner- halb der Raumplanung zu situieren, und vorformuliert. Der Gegenstand der Landespflege, die Landschaft, wird als der (biologische) Lebensraum des Menschen charakterisiert. „Dieses Leitbild muß davon ausgehen, daß der Mensch als geistiges Wesen zwar Gestalter dieser Welt ist, aber mit seinem Körper, seiner Seele, seinem Geist und auch mit seinem Lebensraum, der Landschaft, in natürlichen Bindungen steht, daß er Geschöpf unter Geschöpfen, Glied der großen Lebensgemeinschaft der Erde bleibt“ [BUCHWALD 1964: 229]. Aus diesem landespflegerischen Leitbild leitet BUCHWALD die Forderung an die Landespfleger her, „unsere Pflicht zur naturgemäßen Pflege des uns anver- trauten Lebensraumes [zu] erkennen“ [BUCHWALD 1964: 229]. Schon dem Na- men nach sei dies die eigentümliche Aufgabe der Landespflege, wie das Han- noveraner Professorenkollektiv feststellt: „Landschaft als Einheit erfordert daher auch die Einheit ihrer Betreuung im Sinne einer umfassenden Landespflege“ [BUCHWALD et al. 1964: 231]. Die Autoren gehen davon aus, dass dieser eigentümliche Gegenstand Land- schaft das spezifische Arbeitsgebiet der Landespflege sei, auf dem sie als ‘Anwalt der Landschaft’ betreuend tätig würde. Unter den Bedingungen der „wachsenden Beanspruchung und Bedrohung der Landschaft“ [BUCHWALD 1964: 229] sei die ordnende Landespflege zur „Erhaltung des Lebens“ notwen- dig [BUCHWALD et al. 1964: 230]. Schon 1961 verlangt der Werkbund, dass die ‘Landschaft das Gesetz werden müsse’, nach dem sich die Landnutzung zu richten hätte. Aus der Forderung analog zum Raumordnungsgesetz (ROG)131 und Bundesbaugesetz (BBauG)132 130 Diese Bezeichnung ist nach dem NS-Staat nicht mehr opportun, wird aber durch die Aufgabenbe- schreibung nahegelegt. 131 Raumordnungsgesetz, 1965 erlassen. Der ‘Sachverständigenausschuss für Raumordnung’ (SARO) ist schon 1955 von der Bundesregierung eingerichtet worden, der 1961 das SARO-Gutachten veröf- fentlichte, in dem Leitbilder zur Raumentwicklung gefordert wurden [LINDE 1971]. 132 Bundesbaugesetz, 1960 erlassen. 87 auch ein hinreichendes Landschaftsgesetz aufzustellen, das das überkomme- ne Reichsnaturschutzgesetz von 1934 ersetzte133, geht in den 1970er Jahren das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)134 hervor. Die Ordnung der Land- schaft ist 1976 im §1 des BNatSchG formuliert worden: „Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, dass 1. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, 2. die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, 3. die Pflanzen und Tierwelt sowie 4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlage des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft nachhaltig gesichert sind“ [BNatSchG 1976: §1 (1)]. Mit dieser Verrechtlichung knüpft die von den Autoren dargestellte Professi- onsgeschichte wieder an den Anfang, die „preußischen und österreichischen Landespflegeakten des 17. und 18. Jahrhunderts“ an [BUCHWALD et al. 1964: 229]. Ist das Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung von 1976 noch deutlich anthropozentrisch formuliert135, so wird in dessen Neufassung von 2002 zu- dem ein eigener Wert von Natur und Landschaft eingeführt, der sowohl zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln als auch wiederherzustellen sei [BNatSchG 2002: §1(1)]. „Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrund- lagen des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im be- siedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzustellen, dass 1. die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts, 2. die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, 3. die Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume sowie 4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind“ [BNatSchG 2002: § 1(1)]. Zugleich werden die ‘Schutzgüter’, auf die das Gesetz Einfluss nimmt, im Ver- gleich zu der Fassung von 1976 deutlich erweitert. Seit den 1970er Jahren und dem Erstarken der Bürgerinitiativen werden Mediationsverfahren in die Lan- despflege aufgenommen, die den Interessensausgleich zwischen Staat, Pri- vatwirtschaft und Nutzergruppen regeln sollen. So sollen die ‘Träger öffentli- cher Belange’ im Planungsverfahren angehört werden [BNatSchG 1976: § 29] und in der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes ist die Möglichkeit der ‘Verbandsklage’ für Verbände vorgesehen [BNatSchG 2002: §61(1)], die dazu vom Staat bzw. den Bundesländern ermächtigt werden [BNatSchG 2002: §§58-60]. Mit der sogenannten ‘Bürgerbeteiligung’, den ‘Runden Tischen’ und dem ‘Kon- fliktmanagement’ [vgl. GROßHANS 1976; HAAREN 1991; 1999] wird die ‘Ordnung der Landschaft’ sprachlich der politischen Entwicklung angepasst und moder- 133 Das Reichsnaturschutzgesetz löste auf dem Gebiet des Naturschutzes den Denkmalschutz ab, wie er nach 1900 von Vertretern des Heimat- und Naturschutzes angewandt wurde. Es unterstellte beson- dere Bereiche der Zuständigkeit der Naturschutz- und Forstverwaltung. 134 Bundesnaturschutzgesetz, 1976 in kraft getreten und 2002 novelliert. 135 Der ‘Wert’ wird unter dem Aspekt der Nutzbarkeit bestimmt: „als Lebensgrundlage des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung“ [BNatSchG 1976: §1(1)]. 88 nisiert, wenn die ‘Rationalität’ als Ordnungsmetapher einführt wird, auf die der demokratische Diskurs über die Landschaft bezogen werden müsse [z.B. KÖRNER 1997: 48, 51f]. Dermaßen rationalistisch befriedet und von der Verwal- tungssprache vereinnahmt regt sich nach Jahren zermürbender Mediation kaum noch lokaler Widerstand gegen Großprojekte, z.B. der erneute Ausbau des Frankfurter Flughafens oder Flurbereinigungen, wie sie PÖRKSEN für Frei- burg beschreibt. „Die Bauern des Kaiserstuhls, wäre ihnen im 19. Jahrhundert vom Staat zugemu- tet worden, ihre Heimat in eine künstliche, Wein produzierende Terrassenland- schaft zu verwandeln, hätten vermutlich das Gewehr vom Schrank geholt und ge- schossen. In den letzten Jahrzehnten fügten sie sich beinahe anstandslos. Das seit römischer Zeit bebaute Vulkangestein des Kaiserstuhls war zuvor radikal in ein Produktionsmittel umgeschrieben und zur ‘rebfähigen’ – oder stellenweise ‘nicht rebfähigen’ – Substanz erklärt worden. Auch in F. sind es fast nur Einzel- gänger oder anarchische Gruppen, die dem Rad dieses ‘Weltgeistes’ in die Spei- chen zu fahren versuchen – und dabei immer wieder einen Vorwand liefern, die ‘Entwicklung’ unter allgemeinen Beifall mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Der historische Ort ist umgedeutet in ein Labor“ [PÖRKSEN 1989: 78]. Deklaration des Handlungsnotstandes Als Anwalt der Landschaft und deren ‘Wert an sich’ geriert sich der Landes- pfleger als Priester einer höheren Instanz, die jenseits der Gesellschaft ange- siedelt sei. Der landespflegerische Diskurs verbreitet neben dem ästhetischen auch den Schein einer (religiösen) Transzendenz. „Das schlimme Wahre hinter jenem Schein jedoch ist eben das Bündnis des Auf- trags mit der Verwaltung, welche er in deren Dienst verleugnet“ [ADORNO 1964: 73]. Die Landespflege gehört zu den wissenschaftlich unselbstständigen Berufs- gruppen, die auf soziales Prestige angewiesen sind, weil es ihnen an ökono- mischer Unabhängigkeit und wissenschaftlicher Theoriebildung ermangelt. Um dem ökonomischen, vor allem aber professionellen Bankrott zu entgehen, ver- folgt die Landespflege die Strategie, einen Handlungsnotstand zu deklarieren [AUTORiNNEN 1989: 375; AUTORiNNEN 1996: 8]. „Faktisch sind die (Umwelt-)Krisen sinnstiftend für die Landespflege als moderne Form der ‘Verbesserung’ (Wild 1984: 24f)“ [SCHNEIDER 1989: 38]. Die ‘Umweltkrisen’ und die Handlungsnotstände werden in den Fachzeitschrif- ten inszeniert, die regelmäßig Aufsätze über die gesellschaftliche Notwendig- keit der Landespflege und drohende Katastrophen veröffentlichen. Fast sämtli- che Aufsätze der Landespflege wiederholen dasselbe Schema: 89 „Nach kurzer ideologischer Einstimmung (Notwendigkeit, Erfolge und Legitimation der Profession, plus Stichwort ‘Die Katastrophe kommt bestimmt’) wird ein neues Instrument gefordert, zusätzlich Gelder und neue (bessere) Ausbildung. [...] Darin besteht das Wesentliche der Ideologie, der positivistischen Propaganda: sie betet immer wieder die gleichen Floskeln vor, bis es alle glauben und denken, ‘ja, so muss es sein’. [...] Der Jargon der Landespflege besteht in der ewig wiederholten Behauptung der Unabkömmlichkeit und Wichtigkeit, die immer neue Ziele, neue abzuwehrende Katastrophen beschwört und sich niemals rückschauend und kri- tisch beäugt“ [AUTORiNNEN 1996: 8]. Die Aufsätze bilden einen Diskurs, in dem sie aufeinander reagieren und in der Absicht, die Auftragslage der Landespflege zu verbessern, übereinkommen. Die Funktionsweise des ‘landespflegerischen Diskurses’ charakterisierte HÜLBUSCH am Beispiel der Veröffentlichungen zum ‘Landschaftsschaden’. „Die Gedanken werden mit dem ‘Pathos der Absolutheit’ vorgetragen und berufen sich auf eine unausgesprochene ‘emotionale Übereinstimmung’ mit den Konsu- menten des Textes. Diesem Konsumenten wird gleichzeitig nahegelegt, aus der Einsicht in die Zusammenhänge zu verstehen, ohne dass ihm mitgeteilt wird, von welcher Einsicht in welche Zusammenhänge gesprochen wird. BESSLER (1967) nennt diese Handhabung der Sprache den ‘Stil des inneren Vorbehalts’ (s.a. TOPISCH), der auch in der ‘Grünen Charta von der Mainau’ angewandt wurde und zudem mit einem gefährlich unpolitischen Anschein der politischen Behandlung von Sachfragen gekoppelt ist“ [HÜLBUSCH 1967: 35]. Ein vorgeblicher Handlungsbedarf wird derart inszeniert, dass das eigene Inte- resse als ein allgemeiner Anspruch erscheint. Die Literaturwissenschaftlerin DAGMAR NEBLUNG, die das Kassandra-Motiv in der antiken Literatur erläutert, stellt fest, dass die trojanische ‘Seherin’, in der römischen Dichtung als Autori- tätsfigur inszeniert wird. Der Kassandrafigur werden von anderen literarischen Gestalten Behauptungen untergeschoben, um politische Absichten durchzu- setzen136 [NEBLUNG 1997: 133f]. Ähnliches verfährt die landespflegerische Pro- phetie, wenn beispielsweise ein sogenanntes ‘Recht der Landschaft’ behauptet wird, das dann von einem ‘Anwalt der Landschaft’ vertreten werden müsse [z.B. BUCHWALD 1964: 228], der selbstverständlich ein Landespfleger zu sein habe [AUTORiNNEN 1989: 168f]. „Die Verursacher und Ursachen der Naturzerstörung werden jargonhaft im ‘es’ entpersonalisiert: versachlicht. Damit wird der Vorgang entpolitisiert, zum natur- wüchsigen und somit auch willkürlichen – interesselosen – Vorgang stilisiert“ [SCHNEIDER 1989: 62]. Wenn ‘Umweltkatastrophen’ von Landespflegern herbeizitiert werden, um die Notwendigkeit der Landespflege als Bewahrerin des Lebens zu untermauern, werden die „Menschen – sowohl die Überlebenden in ihrem Leid, als auch die Verursacher in ihrem Gewinnstreben – [...] aus der Betrachtung ausgeschlos- sen. Gegenstand seien die Lebensgrundlagen“ [SCHNEIDER 1989: 65], womit der ‘Schaden’ auf einer politisch neutralen Sachebene bearbeitbar erscheint. Die Profession definiert den vorgeblich objektiven Handlungsbedarf aus fachlicher Sicht und erfindet damit eine fiktive Nachfrage, die ihre Produkte einfordere. Diese generelle Nachfrage kann bzw. soll von der Landespflege nicht für be- 136 VERGIL gestaltete in der ‘Aeneas’ die Berufung auf Kassandras Autorität ironisch: „Diese Kassandra nur untergeschobene Aussage wird in ironischer Verkehrung sofort befolgt, während sie mit ihren ech- ten Prophezeihungen nichts bewirken kann“ [NEBLUNG 1997: 134]. 90 stehende Interessensgruppen aufgewiesen werden, die in einem politischen Disput und für partikulare Ansprüche stehen. Vielmehr leitet sie dieselbe abs- trakt aus der landespflegerischen Phantasmagorie der ‘Ordnung der Land- schaft’ her [STOLZENBURG/VETTER 1983: 54, 59f]. Die Landespflege beruft sich mit dem Handlungsnotstand auf Sachzwänge, die sie selbst definiert, indem sie eine volonté générale entwirft, die dem landes- pflegerischen Apriori, der landschaftlichen Ordnung, folge137. Denn, so be- hauptet BUCHWALD, nur „in gesunden und geordneten Lebensräumen können gesunde und glückliche Völker aufwachsen und bestehen“ [BUCHWALD 1961: 238]. Diese Argumentation apriori folgt dem erkenntnistheoretischen Zirkel, dass die landschaftliche Ordnung, die sich der landespflegerischen Sicht of- fenbart, in dieser vorausgesetzt ist [STOLZENBURG 1996: 301]. Dementspre- chend argumentieren auch die Hannoveraner Professoren BUCHWALD, LENDHOLT und PREISING, dass die Landespflege in der von „Industriegesell- schaft“, „Urbanisierungsprozeß“ und ‘Technik’ geprägten Welt zur Sicherung des Lebens notwendig sei [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 229f]. „In einer zunehmend in ihrer Existenz bedrohten Welt geht es letzten Endes um die Erhaltung des Lebens. Diesen Schutz des Lebens in einer immer mehr tech- nisch bedingten Welt, bei gleichzeitigem Abbau und Verbrauch der vorgegebenen Bestände, durch planmäßige Sicherung, Pflege und Aufbau einer menschenge- rechten naturnahen Umwelt zu erreichen, ist die Aufgabe. Wir bezeichnen sie als Landespflege“ [BUCHWALD et al. 1964: 230]. Die abstrakte Behauptung, dass die naturbürtigen Ressourcen („vorgegebenen Bestände“) begrenzt seien, dient den Autoren zur Legitimation eines anony- men Handlungsbedürfnisses, hinter dem angeblich das (allgemeine) Interesse an der „Erhaltung des Lebens“ stehe. Diese verallgemeinernde Argumentation verwischt die realen Interessensgruppen, für die die Landespflege geschicht- lich arbeitet; steht doch die Pflege und „Bewirtschaftung der natürlichen Hilfs- quellen“ [BUCHWALD et al 1964: 230] durch die Landespflege seit der Landesver- schönerung im Dienste der staatlichen und industriellen Inwertsetzung [SCHNEIDER 1989: 38f, 60ff]. „Der materielle Industrialisierungsprozeß als Zerstörungsprozeß ist die verschwie- gene Voraussetzung für die Aufträge der Landespflege“ [SCHNEIDER 1989: 6]. Die abstrakte Aussage, den „Ansprüchen der Gesellschaft“ [BUCHWALD et al. 1964: 230] zu entsprechen, bedeutet in der landespflegerischen Praxis, die weitgehend in die industrielle Produktionsweise eingebunden ist, letztlich den Interessen des Kapitals zu folgen [vgl. GAMM 1985: 51]. 137 JÜRGEN HABERMAS beschreibt den Vorgang, dass politische Felder von zweckrationalen und ver- sachlichenden Aussagen besetzt werden in der Rekonstruktion zur Ideologie im Spätkapitalismus als Dominanz des zweckrationalen Subsystems Wirtschaft über die kommunikative Interaktion [HABERMAS 1968], in der Theorie des kommunikativen Handels beschreibt er diesen Vorgang als Kolonisierung der Lebenswelt [HABERMAS 1981: 273, 277, 293]. 91 „Weil die Verursacher der Umweltzerstörung gleichzeitig die Auftraggeber der Ver- besserung sind, handelt es sich um (nutzloses) ‘Nachbessern’: um Kurieren am Symptom. Die spezifische Aufgabe verlagert sich mit steigender Wirkungslosigkeit der ‘Reparaturarbeit’ hin zur ideologischen Leistung der psychologischen ‘Entsor- gung’ der Umweltprobleme“ [SCHNEIDER 1989: 60f]. Die Landespflege ist auf die begleitende Planung zum industriellen Zugriff auf die naturbürtigen Hilfsquellen angelegt [HÜLBUSCH 1977: 21, 24f]. Diesem lan- despflegerischen Anliegen kommt die von GRONEMEYER [1988] dargelegte Poli- tik der Knappheit entgegen, um die ‘Macht der Bedürfnisse’ zu entfalten. „Der Wesenskern moderner Macht ist Knappheit. [...] Knappheit ist ein Verhältnis oder besser: ein Mißverhältnis-Begriff. Von einem Gut zu sagen es sei knapp, ist nur mit Bezug auf die ihm entsprechenden Bedürfnisse möglich. [...] Nur das bis in alle Zukunft sich erneuernde Mißverhältnis, nur das fortgesetzte Vorauseilen der Bedürfnisse, die durch das Zuhandene nie dauerhaft befriedigt werden können, nur die Unzufriedenheit in Permanenz liefert den Rechtfertigungsgrund für Pro- duktionssteigerung in Permanenz“ [GRONEMEYER 1988: 40f]. Unter anderen drohen die Landespfleger BUCHWALD, LENDHOLT und PREISING mit der Knappheit naturbürtiger Ressourcen, indem sie sich auf ihren Exper- tenstatus berufen, nicht nur den Notstand zu deklarieren, sondern zugleich vor- zugeben, dass sie über die angemessenen Verfahren verfügten, dem abzuhel- fen. GRONEMEYER nennt dieses Vorgehen die „diagnostische Macht“138 [GRONEMEYER 1988: 35]. „Die Legitimationsquelle, aus der diese Macht schöpft, ist das Expertentum. Ex- pertentum macht den, der es nachweist, in allen Normalitätsfragen zuständig und urteilsfähig. [...] Der Experte ist der professionelle Beobachter von Mißständen. Die Diagnose, etwas sei ein Mißstand oder – weniger drastisch – ein Problem, enthält die Verpflichtung, Abhilfe zu schaffen, einen Beseitigungsimperativ sozu- sagen. [...] Diagnostische Macht erhebt nicht nur den Anspruch darauf, verbindlich zu definieren, was normal ist, sie erschöpft sich nicht darin, verpflichtende Stan- dards vorzuschreiben, sie monopolisiert auch die Verfahren, mit deren Hilfe die jeweiligen Normalitätsstandards erreicht werden können“ [GRONEMEYER 1988: 35f]. Komplementär zum verkündeten Notstand139 setzt die landespflegerische Ver- heißung ein, dass mit ihrer Hilfe die Zukunft besser würde [SCHNEIDER 1989: 38]. Dies meint nicht, dass die Landespflege die Leute befähigte, sich bewuss- ter um ihre Zukunft zu sorgen, sondern sie beansprucht, über die Mittel zu ver- fügen, um für die Leute zu entscheiden und zu handeln. Der Notstand ist eine Projektion, in der die möglicherweise Schuldigen abstrakt bleiben, ebenso wie die Interessengruppen, so dass die ‘Hilfe’ keinen konkreten Interessensgrup- pen, sondern der ‘allgemeinen Natur’ bzw. dem ‘Gemeinwohl’ zu dienen scheint. „Dieser kritischen Einschätzung über die Arbeit der Landespflege steht die offiziel- le Selbstdarstellung, die Landespflege verfolge per se gute Absichten, gegenüber. Die Erfolge ihrer Verbesserungsarbeit bei der ‘Sicherung der Lebensgrundlagen’ bleibe jedoch aus, da sie sich nicht durchsetzen könne. Deshalb verwendet die Landespflege – neben dem Wehklagen – große Mühe darauf, ihre Durchset- 138 FOUCAULT beschreibt ein ähnliches Vorgehen in den Humanwissenschaften, mit versachlichenden Aussagen in den politisches Dissens einzugreifen, als ‘Definitionsmacht’ [FOUCAULT 1975]. 139 Zeitgleich mit der obiger Verlautbarung von BUCHWALD, LENDHOLDT und PREISING (1964) wurden die Notstandsgesetze von der Bundesregierung entworfen und 1966 ratifiziert. 92 zungskraft durch das Organisieren administrativer Macht (vgl. MILCHERT 1987) zu verbessern“ [SCHNEIDER 1989: 3]. Die Verheißung des Paradieses Wenn eine professionelle Ahnenreihe aufgezählt wird, ist von den ‘guten Ab- sichten’140 der Väter zu lesen, die von den Enkeln geteilt würden [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 229f]. Die vermutete oder behauptete Gesinnung der Landespfleger wird als Legitimation für die landespflegerische Tätigkeit zitiert, ohne deren reale Tätigkeit und Folgen zu beschreiben, als sei die Handlung durch die lautere Absicht gerechtfertigt. Die Ahnenreihe gilt der Selbstbeweih- räucherung, die darüber erzeugt werden soll, dass die Professionsgeschichte abstrakt heruntergebetet wird, um eine ‘gute Geschichte’ vorzutäuschen [HARD 1979: 14f]. Damit wird „in mythischen Bildern ihre mehr oder weniger unilineare Kontinuität durch die Jahrtausende beschworen“ [HARD 1979: 14]. „Die Hauptfunktion einer solchen guten Geschichte ist es, daß sie eine bestimmte erwünschte, im allgemeinen aber ‘die herrschende Ordnung ... als Ideal bestätigt. Je häufiger solche Geschichten erzählt werden, je schwerer kann sich der Hörer oder Leser dem Schluß entziehen, daß der Verlauf der Ereignisse wirklich ... so ist, wie die Geschichten berichten, und die Werte, die in der betreffenden Gesell- schaft oder Wissenschaft gelten, mit Recht anerkannt werden’“ [HARD 1979: 15 – mit Binnenzitat: SCHREIER 1978: 91]. Auf welcher Erfahrung die Verlautbarungen im landespflegerischen Schrifttum beruhen, wird in diesen nicht mitgeteilt. Vielmehr wird in den programmati- schen Schriften schlicht behauptet, dass die Landespflege befähigt sei, die Welt zu verbessern; und mit welchem gigantomanischen Anspruch, das be- kundet die Landesverschönerung schon Anfang des 19. Jahrhunderts. „Nach den Mythen aller Völker sei die Erde früher ein Garten gewesen, ein Para- dies. Unsere Aufgabe sei es nun, dieses verlorene Paradies neu- oder nachzu- schaffen, indem Religion, Wissenschaft und Kunst, also wahre Bildung, das Ge- meingut aller Menschen werde“ [FÜRST 1826, ref. in DÄUMEL 1961: 96]. Das Paradies soll über ‘Kulturpolitik’ erstrebt werden, mit der das unwissende Volk gebildet werden soll. Die Pädagogik erfuhr im Gefolge der Aufklärung und dadurch, dass sich die bürgerliche Gesellschaft etablierte, eine Aufwertung. Zeitgleich mit dem Entstehen der Landesverschönerung schilderte GOETHE in der ersten Auflage von ‘Wilhelm Meisters Wanderjahre’ die bildungsbürgerliche Utopie einer ‘Gelehrtenrepublik’ z.B. in der ‘pädagogischen Provinz’ [GOETHE 1821/1829: 149f], die er in der zweiten Auflage um die ‘Landespflege’ erweitert, für die uneingeschränkte Verfügung über das Land notwendig sei [GOETHE 1821/1829: 408ff]. Die volkserzieherische Gestaltung des Paradieses entspricht dem kulturindustriellen Projekt der Landespflege. „Das prophezeite Paradies [...] überhöht die Arbeit der Landespflege zum Glau- bensbekenntnis. Die Paradies-Metapher macht die landespflegerische Arbeit jeg- licher Kritik unzugänglich. Sie entwertet die Gegenwart, den Lebensort und die Lebensperspektive der Leute und enteignet sie damit von ihrem Alltag, ihrer All- tagsarbeit und ihrem Alltagswissen, die immer zugleich Vergangenheit und Zu- 140 An Beispiel der Erzählung erklärt STEN NADOLNY, dass die ‘gute Absicht’ immer dann ins Feld ge- führt wird, wenn die Qualität eines Produktes vorweg versichert werden soll, ohne diese an diesem aufzuweisen zu wollen; insofern wirkt die ‘gute Absicht’ ideologisch [NADOLNY 1990]. 93 kunft einschließen (Berger 1984: 274; Thürmer-Rohr 1987: 36; Ginzburg 1988: 91)“ [SCHNEIDER 1989: 4]. Da die Landespflege keine historische Analyse der Gegenwart leistet, wenn sie das Heil abstrakt projiziert, verfügt sie einen radikalen Bruch mit der konkreten Geschichte. Diese radikale Absage an die Vergangenheit ist für Fortschritts- ideologien charakteristisch [BLUMENBERG 1988: 41ff]. Mit Beginn der Neuzeit wird die christliche Eschatologie und die damit verbundene Struktur der Heils- erwartung auf das innerweltliche Geschehen übertragen. Ein Moment der christlichen Heilserwartung ist die Naherwartung. „In akuten Naherwartungen kann das verheißene Heil äußerst unbestimmt blei- ben; es wird alles anders, und wer danach fragt wie, hat schon verspielt. Die Un- befragbarkeit der Veränderung beruht auf der Untragbarkeit des Bestehenden“ [BLUMENBERG 1988: 78]. Aus den Enttäuschungen der Naherwartungen resultiert der Entwurf eines un- endlichen Fortschritts, der nicht durch die Erfahrungen der Vergangenheit, sondern durch die Idee der Zukünftigkeit begründet wird [BLUMENBERG 1988: 44]. Gegen den abstrakten Utopismus wendet ERNST BLOCH ein, dass zu ge- gebenen historischen Momenten nur bestimmte Möglichkeiten zur Zukunfts- gestaltung offen stehen, die vom illusorischen Utopismus nicht nur vertan wer- den: „Anders gewendet: ohne Anwesenheit im Lauf der Dinge kommt Vorwegnehmen leicht ganz woanders hin, als es wollte“ [BLOCH 1970: 92]. Die Abwendung von der Geschichte und deren Surrogierung durch die Verhei- ßung löst die Erfahrung auf [BERGER 1979a: 292], die auf Vergangenes bezogen ist [BERGER 1979a: 269, 278]. HARD erläutert, dass mit dem Utopismus in der Landespflege ästhetische Qualitäten und Semantiken zu politischen Visionen umformuliert werden, die dem unkritischen Blick als evident erscheinen, weil mit ihnen bekannte und etablierte Bilder verbunden werden141 (z.B. schön = gesund = nachhaltig) [HARD 1991: 15]. „Von Utopisierungen soll die Rede sein, wenn Inhalte ästhetischer Zeichen in Poli- tik- und Planungsprogramme transformiert werden. Der Weg des Landschafts- konzeptes durch die Geschichte ist mit solchen Utopisierungen gepflastert“ [HARD 1991: 15]. Die imaginär überzeugenden Programme resultieren nicht aus einer Analyse der Vergangenheit, sondern werden wie Images in der Werbung auf die Zu- kunft projiziert142. Mit der Entwertung der Vergangenheit und Verherrlichung der Zukunft (an sich) entzieht die Landespflege die Verheißungen der begrün- deten Kritik, weil diese erst aus der bewussten Rekonstruktion der Geschichte formulierbar ist. Praktisch erfolgt diese Abstraktion von der Geschichte da- durch, dass die Landespflege ohne historisch realisierte Vorbilder arbeitet, die im positiven oder negativen Sinne deutbar wären, über die debattiert, und an denen gelernt werden könnte143 [BÖSE-VETTER 1986]. Statt auf die empirische 141 Wie Bedeutung, Suggestion und Evidenz eines Bildes zusammenhängen, erklären wir im Kapitel: ‘Mythisierung von Leitbilder’. 142 Auf die Glücksverheißung, die die Leitbilder mit der Werbung verbindet, gehen wir ein im Kapitel: ‘Warenästhetik und Leitbilder’. 143 Siehe beispielsweise die nachvollziehbare Gegenstandsbeschreibung und Deutung von CHRISTOPH THEILING zu den Reihenhäusern und Plätzen in Berlin [THEILING 1996]. 94 Darstellung des ‘Laufs der Dinge’ aus der Geschichte eine Überlegung zu be- gründen, erfindet die Landespflege einen Zustand ohne Realität und Geschich- te, indem sie diesen auf eine prinzipiell nicht prüfbare Zukünftigkeit bezieht, an der jede Kritik ins Leere läuft, weil sich das Versprochene in einer unausge- machten Zukünftigkeit verflüchtigt [TROLL 1993: 3]. Die historisch ausgebliebene Realisierung der Verheißungen des Heils wird von der Landespflege jeweils neu aufgeschoben – die Zeit wäre noch nicht reif gewesen – und in die Zukunft projiziert, für die die Landespflege vorgibt, die entscheidenden Maßnahmen zur bevorstehenden Beglückung bereit zu halten144. Über diesen permanenten Aufschub entzieht sich die Landespflege der Kritik an den geplatzten Verhei- ßungen, die historisch belegbar sind: denn es wäre ja nie so gemeint gewesen, wie es dann gekommen ist. Die Landespflege will an ihren ‘guten Absichten’ gemessen werden, nicht an der Qualität und geschichtlichen Bewährung ihrer (schlechten) Produkte [HÜLBUSCH 1987: 176ff]. „Was ist gegen Gutes zu sagen? Nichts, wenn es dort ist, wo es hingehört. Wenn es nicht sozusagen ein Gutes ist, das fremdgeht. Das irgendwo eingreift und ein dort sich entwickelndes Gutes stört. Und dann gibt es noch das nur scheinbar Gu- te, das behauptete Gute, das willfährige Gute. Das Gute, das mehr gute Absiche- rung ist als gute Absicht, aber so will ich es hier trotzdem nennen: ‘gute Absich- ten’, denn sie treten gern im Plural auf“ [NADOLNY 1990: 43]. Die ‘guten Absichten’ der Landespflege geben vor, das Beste zu wollen, wo- gegen, abstrakt wie es verheißen wird, wenig vorzubringen ist – wer hat schon etwas gegen das Paradies, jener Leerstelle, die so viele individuelle und kol- lektive Hoffnungen erfüllt? Die Verheißung verbleibt damit auf der Ebene der Absichtserklärung und unprüfbaren Meinung, wodurch Landespflege zur Glau- bensfrage wird, die auf Mythen bezogen ist. Die grundlegenden Mythen der Landespflege sind von der spezifischen Neuerfindung im Landschaftspark her Arkadien und Eden [HARD 1985 279; SCHNEIDER 1989: 30], die innerhalb dieses Entstehungszusammenhangs patriarchalischen Vorstellungen folgen145. Diese abstrahierende Mythologisierung entwertet die Erfahrung, wie sie zugleich das Wünschen ausbeutet. Das Begehren wird ahistorisch auf bestimmte Objekte fixiert und als konstantes und universelles gesellschaftlichen Bedürfnis festge- legt. Aus der Enteignung der Erfahrung und des Begehrens resultiert ein ano- nymisiertes Dispositiv zur Formulierung fiktiver Bedürfnisse, um den Entwurf der Zukunft zu legitimieren [GRONEMEYER 1988: 35ff; SCHNEIDER 1989: 42]. Be- dürfnisse werden dadurch produziert, dass eine Knappheit publikumswirksam inszeniert und ewige Versorgung, die käuflich wäre, propagiert wird, so dass Bedürfnisse letztlich im Dienste von Machtausübung und Kapitalverwertung eingesetzt werden [GRONEMEYER 1988: 40ff]. „Im Sinne des Kapitalverwertungsprozesses wird das Gute durch das Bessere permanent ersetzt und dadurch das Gute entwertet“ [SCHNEIDER 1989: 45]. Wenn die kulturhistorische Imagination von Arkadien und Eden zum Einen nicht auf diesen Wunsch in seiner geschichtlichen Ausformulierung und diese wiederum nicht als bestimmte Negation des Bestehenden reflektiert und zum Anderen fetischisiert wird, so gerät sie zum fixen Leitbild des besseren Lebens. 144 Beispiele aus der Stadtplanung referiert und erläutert HARTMUT TROLL [TROLL 2005]. 145 Der bloße Wunsch nach einer versöhnten Gesellschaft und geglücktem Leben wäre legitim, wird aber von der Landespflege und nicht nur von ihr ideologisch ausgebeutet. 95 Der politische Wunsch nach dem guten Leben wird mit der Semantik der Har- monie-Metapher – der harmonischen Einheit von Land und Leuten, die ‘ge- sunde Landschaft’ – in die ästhetische Sphäre übertragen, in der er als Bild wahrgenommen wird, über das der Geschmack entscheidet146. Künftiges ge- sellschaftliches Heil sei durch den im weiteren Sinne baulich-technischen Ent- wurf der Zukunft herstellbar [JACOBS 1963: 23ff, 79; SCHNEIDER 1989: 44; vgl. LORBERG 1997]. „Die Neuerschaffung des Paradieses als Professions-Auftrag trägt Züge einer ‘Er- lösungsreligion’. [...] Landespflege wird jargonhaft zu einem religiösen ‘höheren Anliegen’ erhoben, patriarchal zur Schöpfungsaufgabe hochstilisiert. Das Paradies wird zu einer Sache der Landespfleger nach dem Motto: das Paradies ist [...] ein ‘umfriedeter Garten’ (Eden) und für Paradiesgärten sind die ‘akademischen Gärt- ner’ und Landesverschönerer zuständig“ [SCHNEIDER 1989: 30]. Dieses Vorhaben folgt der Vorstellung patriarchalischen Heils, dass der ‘gute Vater-König’ ‘seine Landeskinder’ zu ihrem Besten erziehe147 [SCHNEIDER 1989: 41f]. Das patriarchalische Heil wird von der landespflegerischen Propaganda vertreten, die in den Fachzeitschriften und an den Hochschulen verbreitet wird, wenn die ‘guten Absichten’ der ‘professionellen Väter’ von LENNÉ bis KIEMSTEDT historistisch gelobt werden, während die konkrete Beglückung, die geschichtlich ausblieb, sogenannten ‘widrigen Verhältnissen’ [SCHNEIDER 1989: 3, 115] oder der ‘Dummheit der Leute’ angelastet wird [HÜLBUSCH 1991: 174]. Das angeblich falsche Bewusstsein der Betroffenen wird von den Professions- vertretern definiert148. Aus den unbestimmten „Ansprüchen der Gesellschaft“ zaubern auch BUCHWALD, LENDHOLT und PREISING wie aus dem Hut das sprichwörtliche Kaninchen die Aufgaben der Landespflege hervor [z.B. BUCHWALD et al. 1964: 230]. Diese Aufgaben laufen in den Verfahren und Folgen auf eine zunehmende Einschränkung der freien Güter hinaus. „Der ‘Mythos vom Verbessern’ hat die soziale Aufgabe, die Absicht, den ökonomi- schen Verwertungsprozeß über die Umwandlung in eine ästhetische Frage un- sichtbar zu machen [...]. Während die Disziplin nach außen vorgibt, auf der Seite der Schwachen zu stehen, enthüllt der Mythos ‘Verbessern’ in Verbindung mit der Modernisierungs- und Fortschrittsideologie die Position auf der Seite der Auftrag- geber“ [SCHNEIDER 1989: 45]. Die Verheißung des Paradieses wird mit dessen positiv semantischer Beset- zung und dem berechtigten Wunsch nach einem guten Leben kurzgeschlos- sen, indem die landespflegerische Öffentlichkeitsarbeit darüber täuscht, dass die Verheißung nicht das Paradies ist. Die Landespflege nivelliert auf verbaler Ebene den Unterschied im ontologischen Status zwischen Sein und Sollen. 146 Die geschmäcklerische Einstellung tritt in der Grüngestaltung deutlich hervor [MEHLI 1989]. Verglei- che zur Ästhetisierung und Geschmacksurteil auch Kapitel: ‘Ökonomische Interessen und Ästhetisie- rung’. 147 Die Metapher aus dem Familienleben wird von dem Historiker VEYNES zitiert, um einen Wandel im Herrschaftsverständnis des Königtums vom ‘Hirten’ zum ‘Vater’ zu erklären [VEYNES 1978]. 148 Dieses Weltbild der Landespfleger findet sich auch innerhalb der Ausbildung wieder: "Mit der Anfor- derung, sich selbst, d.h. die eigenen Motivationen zu thematisieren und von liebgewonnenen Idealen Abschied nehmen zu müssen, um dann emotional verunsichert unter hohem Zeitdruck in einem Se- mester eine Planung auf die Beine zu stellen, sind sie zunächst überfordert. [...] Dennoch kann man den Studenten diese Situation nicht ersparen, muß aber dann das drohende Desaster abwenden und ihnen eine Neuorientierung ermöglichen" [KÖRNER 1997: 47]. Siehe Kapitel: ‘Landespflege als Kulturin- dustrie’. 96 Das geschichtslose, weil mythische Leitbild wird zum Motiv für den Entwurf der Zukunft und Legitimation der Landespflege als scheinbar allgemein- gesellschaftliches ‘Anliegen’. Dieses vorgeblich allgemeine Interesse sei in der ‘öffentlichen Meinung’ formuliert [vgl. LIEBHOLD 1999: 27]: „Die öffentliche Meinung [...] dient der selbstreferenziellen Schließung des politi- schen Systems, der Rückbeziehung von Politik auf Politik“ [LUHMANN 1990: 182]. Diese Orientierung an der ‘öffentlichen Meinung’, die Ideologie auf Ideologie bezieht, negiert die Erfahrungsmöglichkeit und die Lernfähigkeit in der Lan- despflege, weil die Urteilskraft außer Kraft gesetzt wird [HERMENAU 1999: 131- 141]. Über die ‘Erschaffung des Paradieses’ verfügen in der spezifischen Logik der landespflegerischen Darstellung die jeweiligen Nutzer nicht, weil sie doch vorgeblich auf die Katastrophe hinarbeiten, sondern allein die Landespfleger, die mit ihrem exklusiven Expertenwissen die Nutzer ihrer Kompetenz berauben [GRONEMEYER 1988: 35; SCHNEIDER 1989: 42]. Ein typisches Argument lautet, dass die Welt zu komplex sei, um sie den Leuten zu überlassen, und daher eines ausgebildeten Managements bedürfte [HOLZAPFEL 1997: 4ff]. Die Möglich- keit, die Welt gemäß den kybernetischen Modellen zu managen, beruht wie- derum auf ‘Reduktion von Komplexität’ [LUHMANN 1986: 32f]. Das Argument ist ein Vorwand, um auf die Lebensmöglichkeiten der Menschen, ihre lokalen Nutzungsspielräume zuzugreifen. „Es geht unvermeint auch um Macht und Kontrolle, und dies scheint mittlerweile durch viele Forderungen von Ökologieadministratoren bereits durch: Da wird der weltweite Energieverbrauch wissenschaftlich gemanaget, eine Öko-Krise (oder gar Naturkrise) definiert, die gelöst wird. [...] Ein generelles Mißtrauen gegen die Menschen und ihre Fähigkeit, kleinteilige Probleme selbst zu erkennen, wird sichtbar“ [HOLZAPFEL 1997: 6]. Affinität zur Herrschaft Die Landespflege entsteht gleichzeitig mit der Herausbildung des bürgerlichen Staates und beide verfolgen das Ziel, „die (historischen) Schranken aufzuhe- ben, die die Akkumulation des Kapitals begrenzen: das Wissen des Ingenieurs leistet (planerische) Hilfestellung bei der Umverteilung [und] des Zugriffs auf (naturbürtige) Naturgüter im Sinne von Ressourcen“ [SCHNEIDER 1989: 38]. Die- ser Zusammenhang wird von wenigen Ausnahmen abgesehen im Gros der Disziplingeschichten ausgespart bzw. verdeckt. „Vornehmste Aufgabe der Disziplingeschichte ist, den Zusammenhang mit der herrschenden Ökonomie auszublenden und durch das Versatzstück ‘Sozial- und Allgemeinwohl’ in der Argumentation zu ersetzen“ [SCHNEIDER 1989: 38]. Die Landespflege agiere im Auftrag des Allgemeinwohls und kümmere sich um die allgemeine Lebensgrundlage Landschaft, behaupten die landespflegeri- schen Disziplingeschichten. Die Programmschrift von BUCHWALD, LENDHOLT und PREISING verlangt letztlich149, dass die Landespflege eine Gesamtplanung sein müsse, weil ihr spezifischer Gegenstand Landschaft eine Einheit bilde, die als ganze betreut sein möchte: 149 Nachdem sie die Landespflege in die drei Subdisziplinen Landschaftspflege, Naturschutz und Grünplanung aufgeteilt haben. 97 „Die Landschaft als Einheit erfordert daher auch die Einheit ihrer Betreuung im Sinne einer umfassenden Landespflege“ [BUCHWALD et al. 1964: 231]. Die Landschaft als betreuungsbedürftige Klientin dient den Landespflegern als Legitimation ihres Handelns, womit die politischen Implikationen der landes- pflegerischen Maßnahmen, die Interessen von Nutzern tangieren, nicht be- nannt werden. Selbst die von KÖRNER für die Landespflege eingeforderte Aus- richtung der Profession an einer abstrakten Rationalität, die eine demokrati- sche Kontrolle des professionellen Diskurses verbürgen soll [z.B. KÖRNER 1997: 47], entspricht innerprofessionell einer sozialpsychologischen Haltung weltli- cher Askese150 mit dem Schein des Unpolitischen. Diese Rationalisierung der landespflegerischen Arbeit ist charakteristisch und bis in die ‘kritische’ Aufar- beitung der Vergangenheit durchgehalten [vgl. HARD 1979: 28]. So unterscheidet eine Studie über die Landespflege im NS-Staat, die von GRÖNING und WOLSCHKE-BULMAHN [1986; 1987] erstellt wurde, zwischen den moralisch- anrüchigen Charakteren und den fachlich-fähigen Ingenieuren der Landespfle- ge, die im NS-Staat das Regime unterstützt haben [BOSS 1986: 129f]. „Vergangenheitsbewältigung, um ‘unbefangen’ arbeiten zu können, die braune Decke von der prinzipiell unschuldigen Wissenschaft abziehen, solch zweckge- richtete Aufklärung, die dem individuellen Freispruch und der ‘Sauberkeit’ der Wissenschaft dient, ist praktisch in der Handhabung, läßt sie doch den Planer und Wissenschaftler in Ruhe, distanziert er sich von der Vereinnahmung und Beset- zung durch die Politik“ [BOSS 1986: 126]. Die Frage nach dem totalitären Anteil in der Landespflege wird somit auf die Debatte über das Verhalten einzelner Personen in ‘dunklen Zeiten’ beschränkt, wohingegen die Frage nach der politischen Funktion der Landespflege für die Landespfleger tabu bleibt. Das hat seinen Grund in der enteignenden Tradition der Landespflege [SCHNEIDER 1989]: „Von Anbeginn sind autoritäre Gewaltstrukturen in die Disziplin eingewoben. Unter dem Vorwand des ‘Idealistischen’ wird die Möglichkeit der totalen Enteignung von Land und Leuten eingeführt [...] Die Zauberformel ‘Natur an sich’ wird dem admi- nistrativen Naturschutz den totalen Zugriff vor allem auf ‘ärmere’ kleinbäuerliche Landschaften [...] ermöglichen“ [SCHNEIDER 1989: 40]. In ihrer Analyse der Professionsgeschichte und des landespflegerischen Selbstverständnisses stellt SCHNEIDER heraus, dass seit der Erfindung der Landespflege eine professionelle Affinität zu Herrschaft und Verwaltung be- steht151 [SCHNEIDER 1989: 34-40]. Dies ist historisch erklärbar, da die Ursprünge der Landespflege im herrschaftlichen Landschaftspark liegen, ist dieser doch eine herrschaftliche Veranstaltung, die auf einer Ökonomie basiert, die zumin- dest in Teilen auf die Bewirtschaftung des Landes verzichten kann [HÜLBUSCH 1981: 321f]. Wie dargestellt, ist dies die wirtschaftsgeschichtliche Voraussetzung 150 MAX WEBER spricht von einer weltlichen Askese, um die Geisteshaltung zu beschreiben, mit wel- cher der rational kalkulierende Kapitaleigner seine Profite einstreicht und Investitionen tätigt [WEBER 1921b]. Diese versachlichte Rationalität greift auf das politische Feld über, auf dem es den Schein von Wertfreiheit verbreitet [HABERMAS 1968]. 151 Der von Schneider benutzte Terminus ‘Liebe zur Macht’ ist unzutreffend, weil Macht in allen sozia- len Beziehungen anzutreffen [FOUCAULT 1975] und nicht mit Herrschaft identisch ist [WALZER 1996]. Daher wird in dieser Arbeit für denselben sozialen Verhalt der Ausdruck ‘Affinität zur Herrschaft’ gewählt, der den autoritären Sozialcharakter der Landespflege bezeichnet. 98 der Erfindung des Landschaftsparks im England des 18. Jahrhunderts152. War der Landschaftsgärtner im Landschaftspark noch Handwerker, der die Anwei- sungen der Herrschaft umsetzte, so griff der Landespfleger mit der Landesver- schönerung direkt auf das agrarisch bearbeitete Land zu [SCHNEIDER 1989: 32f]. Damit wurde für den Landesverschönerer eine Stellung in Bezug auf Land und Leute eingeführt, von der aus er im Auftrag der Verwaltung tätig wird. Die ‘kö- niglichen Hofgärtner’ PETER JOSEPH LENNÉ und FRIEDRICH LUDWIG SCKELL ste- hen professionell noch zwischen dem Landschaftsparkgestalten und dem Lan- desverschönern [SCHNEIDER 1989: 20-28]. In der Folge wird innerhalb der Lan- desverschönerung im frühen 19. Jahrhundert der Landespfleger vom Hand- werker zum Verwaltungsbeamten, wie das beispielsweise an VORHERR darge- stellt werden kann [SCHNEIDER 1989: 29-43]. Schon 1831 fordert der Landes- pfleger HUMANUS (BARTH) eine oberste Behörde zur geregelten Verfügung ü- ber das Land: „Den Schlußstein des ganzen System, nach dem der Staat resp. die Regierung für Landesverschönerung tätig zu werden hat, bildet endlich die Anordnung ganz selbständiger Behörden für Landeskultur, unter einer obersten Centralbehörde, welche einzig sich mit diesen Gegenständen zu beschäftigen hat, und aus Staatsmännern und Rechtsgelehrten, Architekten, Ökonomen und Gartenkünstler zusammengesetzt ist“ [HUMANUS zitiert in DÄUMEL 1961: 91]. Die Reihenfolge der Berufsstände, in der der Gartenkünstler an letzter Stelle genannt wird, ist aufschlussreich für die Sozialpsychologie einer Profession, die in ihrem Selbstverständnis die nachgeordnete Rolle in der Administration einnimmt, aber die erste Rolle zu besetzen beansprucht, und nur über die As- similation an die herrschenden Mächte wirksam werden kann [SCHNEIDER 1989: 101-106]. Nicht nur die Forderung nach größerer rechtlicher Einbindung der Lan- despflege in die Raumordnung, auch die wiederholte Betonung, dass der Lan- despflege eine grundlegende Bedeutung für das Überleben der Menschen zu- käme, ist ein deutliches Indiz, dass die ersehnte Anerkennung (bislang) fehlt. Unter Landespflegern herrscht das Bewusstsein vor, nur die ‘zweite Rolle’ hin- ter anderen durchsetzungsstärkeren Disziplinen zu spielen153 [SCHNEIDER 1989: 118]. Betrachtet man die Geschichte der Landespflege, aber auch an einzelnen Berufsbiographien belegbar, kann man zu dem Schluss kommen, dass sich die Ideologie der Landespflege den wechselnden Herrschaftsverhältnissen an- passt, so dass wir hier vom ‘konstitutionellen Opportunismus einer substanzlo- sen Disziplin’ sprechen können [HARD 1979: 28]: 152 In England beruhte die Anlage von Landschaftsparks auf städtischem Reichtum, oder präziser auf der Ausbeutung der Kolonien. Hingegen standen die deutschen Landesherren, die auf die agrarische Produktion angewiesen waren, vor dem Dilemma, mit der Anlage eines Landschaftsparks ihren Bank- rott zu riskieren, wenn sie ihre Produktionsflächen der Nutzung entzögen; siehe Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’. 153 Selbst innerprofessionell wird die Landespflege in Konkurrenz zur Landschaftsarchitektur wahrge- nommen [vgl. KÖRNER 1997: 45]. 99 „[...] d.h. eine Orientierung an kurzfristigen partikularen Vorteilen, eine Selbstaus- lieferung der Disziplin an die wechselnden politischen Umstände und Außensug- gestionen, ein durch intellektuelle Skrupel fast ungetrübter Weltanschauungskon- sum und eine fast animalische Witterung für die gerade herrschenden (oder he- raufziehenden) politikwirksamen Zeitgeist-Fraktionen“ [HARD 1979: 27]. Entsprechend des reduktionistischen Auftragsverständnisses, dass der formel- le Auftraggeber, die Administration, bedient werden müsse, versteht sich die Landespflege (bis in die Gegenwart) als Verfügungsinstanz über Land und Leute, die zwar die ‘informelle Kundschaft’ sind [HÜLBUSCH 1998: 166], aber als solche ignoriert werden [SCHNEIDER 1989: 125, 129]. Bedeutete doch die Aner- kennung der informellen Kundschaft, dass die Landespfleger den formellen Auftrag und damit die Auftragsdefinition der politischen Administration infrage stellen müsste [SCHNEIDER 1989: 136ff]. Dass Landespflegern dieser Mut fehlt, der ihre wissenschaftliche Redlichkeit (Wertneutralität und Kritikfähigkeit) be- legte [SCHNEIDER 1989: 131f], zeigt sich darin, wie von Landespflegern Aufträge umgesetzt werden [LUCKS 1986]. „Die erste planerische ‘Leistung’ ist also, aus Land (der bäuerlichen Familie) defi- nitorisch das verheißene Paradies zu machen und dadurch den Lebensraum in die Verfügungsgewalt des Planers zu bringen. Und jetzt beginnt das Planen, Ord- nen. Dabei entsteht Heimat, und zwar für die Bürokratie. Das verheißene Paradies der Landesverschönerung ist also der Erfassungs- und Verwaltungsstaat“ [SCHNEIDER 1989: 42]. In der Rekonstruktion der Landespflege als Profession konnte dargelegt wer- den, dass diese unter symbolischen und pragmatischen Aspekten beschrieben werden kann, was in dem Paradigma ‘Landschaft’ als imaginär-materielle Dub- lette und dem politischen Aufgabenverständnis der Landespflege begründet liegt. Beidem kommt die Leitbildnerei entgegen154. Dieser Zusammenhang kann anhand der (Diskussion zur) Durchsetzung landespflegerischer Maß- nahmen erläutert werden. „Das Gebiet der Planung belegt, dass der Experte zur entscheidenden Instanz geworden ist“ [PÖRKSEN 1988: 95], von der auch der Landespfleger profitiert. Die Durchsetzung der Landespflege erfolgt idealty- pisch in vier Schritten: a) Der Entwurf einer Katastrophe oder eines dringenden Problems, in dem ein Handlungsnotstand konstatiert wird. b) Die symbolische Enteignung lokaler Akteure durch das abstrakte ‘Allgemein- wohl’, was der Paradiesverheißung entspricht. c) Die Berufung auf eine außergesellschaftliche Instanz, wie die ‘Ordnung der Landschaft’. d) Die reale Enteignung, die mit der Affinität zur Herrschaft einhergeht. Wie in der Begründung der Landespflege steht auch hinter jeder einzelnen landespflegerischen Maßnahme die Problembehauptung, z.B. einer bevorste- henden Katastrophe, wenn die bisherige Landnutzung fortgesetzt würde [SCHNEIDER 1989]. Gewöhnlich wird die drohende Katastrophe mit dem ‘Arten- schwund’ oder der ‘Ressourcenknappheit’ begründet, die unter der Prämisse stehen, dass ein naturgegebener Mangel vorliege. Dabei wird unterstellt, dass die aktuelle Nutzung ungeordnet bzw. die naturbürtige Basis devastiere und 154 Dazu findet sich ein aktuelles Beispiel im Kapitel: ‘Leitbildnerei in der Landespflege’. 100 durch die Nutzung ein sogenannter ‘Landschaftsschaden’ entstanden sei155 [HÜLBUSCH 1967]. Diese Behauptung setzt die bisherigen Nutzer ins Unrecht [BELLIN 1996; WELZ 1996], denen überdies die Folgen besonders extraktiver in- dustrieller Nutzungen (z.B. Bergbau, Monokultur) und administrative Verein- nahmungen (z.B. Flurbereinigung, Entwässerung) angelastet werden. Der Katastrophendrohung tritt die symbolische Enteignung zur Seite, die an die implizite Denunziation der Nutzer anknüpft und kontrastierend das Paradies156 verheißt, das von Landespflegern herstellbar wäre [LUCHS 1986; BELLIN 1996]. Indem die Landespflege leugnet, dass die Nutzer in ihrem Alltag, das heißt in ihrer Nutzungsweise kompetent sind, beraubt sie diese auf symbolischer Ebe- ne der lokalen Autonomie [HÜLBUSCH 1981]. Die lokalen Nutzer werden unter einer funktionalen Perspektive wahrgenommen, in der sie als fungible Elemen- te erscheinen, die im ‘Ganzen’ relationale Funktionen erfüllten157 [LORBERG 1997]. Die symbolische Enteignung gibt vor, Legitimation aus einer außergesellschaft- lichen Instanz zu beziehen. Für diese Instanz stehen Metaphern wie ‘heilige Natur’ oder das abstrakte Gemeinwohl [HARD 1991: 15]. Gegen die partikularen Interessen werden ‘höhere Werte’ angeführt, die derart abstrahiert sind, dass die konkrete Position, die sie im Konfliktfeld der Interessen einnehmen, nicht direkt einsichtig ist. Die industriellen Interessen sind von den ‘idealen Normen’ des Naturschutzes oder der ästhetischen Gestaltung verdeckt [BELLIN 1996]. Die abstrakte Instanz ‘Natur’, ‘Gesellschaft’ oder ‘Ästhetik’ ist das Maß der Maßnahme, über das angeblich nicht debattiert werden kann, um sie zu legiti- mieren [MEHLI 1989; STOLZENBURG 1996]. Dieser vorgeblich außergesellschaftliche Maßstab wird über innergesellschaft- liche Verordnungen und Herrschaftsformen manifest [LUCHS 1986; BELLIN 1996]. In der Durchsetzung dient die ‘Natur’ den administrativen Anordnungen als i- deologische Maske, mit deren Hilfe die reale Enteignung der lokalen Autono- mie der Nutzerinnen und Nutzer durchgesetzt wird158 [SCHNEIDER 1989]. Folge dieser Strategie der Enteignung sind letztlich neue Abhängigkeiten, die Kon- trolle und Herrschaft noch ausweiten. Die Durchsetzung der landespflegeri- schen Maßnahmen ist vielfach in der Analyse der landespflegerischen Fach- aufsätze159 und Maßnahmen160 ermittelt worden161. Zu diesem rabiaten Vorgehen disponiert die Verwaltungssprache, die in der Landespflege benutzt wird [vgl. PÖRKSEN 1988: 72-78, 102f]. Diese Sprache ent- bindet die landespflegerische Problembearbeitung von der Berücksichtigung 155 Die Eigenwahrnehmung der involvierten Interessengruppen und Nutzerinteressen spielt dabei eine untergeordnete Rolle, deren eingespielte Nutzungen als Fehlnutzung oder sogar Raubbau bezeichnet werden. 156 Das Paradies kann in der Landespflege durch Harmonie, Gesundheit oder Ökologie charakterisiert werden [HARD 1991: 14]. 157 Damit kommt den Experten eine enorme Definitionsmacht über das ‘Glück der Leute’ zu [GRONEMEYER 1988: 35]. 158 Die Aussperrung und Verdrängung von Nutzern, die einen Interessenskonflikt zeitigen, beruht oft- mals auf offener Gewalt, Verbot und Sanktion, die legalisiert werden müssen, um den Widerspruch mit versachlichten Argumenten beilegen zu können [SCHNEIDER 1989]. 159 Beispielsweise von STOLZENBURG und VETTER [1984]; AUTORINNEN [1989]; SCHNEIDER [1989]; AUTORINNEN [1996]. 160 Beispielsweise von HÜLBUSCH [1977]; LUCKS [1986]; HÖCKER [1986]; JÄGER [1988]; LÜHRS [1994]; BELLIN [1996]. 161 Die entsprechenden Aufsätze zu referieren, würde den Rahmen dieser Studie sprengen. 101 der lokalen Besonderheiten und Interessensgruppen, indem sie die konkrete Situation in abstrakte und semantisch wirksame Vokabeln verpackt. Die Experten-Sprache der Landespflege Die Entwerfer verdrehen die Sprache, um den Entwurf der Kritik zu entziehen [HÜLBUSCH 1991: 174] und einen Konsens herzustellen [HÜLBUSCH 1991: 175]. Die Sprache des Entwurfs wird in drei Schritten der Überprüfbarkeit, die auf Erfahrung beruht, entzogen und dann der zerrütteten Erfahrung vorgesetzt. Diese sind erstens die jargonhafte Vereinnahmung, zweitens die Kolonisierung der Alltagssprache und in deren Folge auch der Lebenswelt, drittens der sprachlichen Suggerierung von Sachzwängen. „Theorie, Begriffsbildung und Gegenstandsbeschreibung werden munter verwurs- tet und mit völlig anderen Botschaften aus der Kategorie ‘jargonhafter Vereinnah- mung’ (Adorno, Th. W. 1964) beladen“ [HÜLBUSCH 1998: 166]. Zum Jargon stellt ADORNO allgemein heraus, dass er „so standardisiert [sei] wie die Welt, die er offiziell verneint“, weil er seine Wirkung aus wenigen signalhaft einschnappenden Wörtern, mit denen er die Weltlage andeutet, be- zieht [ADORNO 1964: 9]. Die Botschaft soll im Jargon mehr „gespürt und akzep- tiert“ als durchdacht und kritisiert werden, indem der weihevolle Wortklang die Rezipienten emotional vereinnahmt und bei diesen die Bereitschaft voraus- setzt, sich einstimmen zu lassen [ADORNO 1964: 11]. „Sakral ohne sakralen Gehalt, gefrorene Emanationen, sind die Stichwörter des Jargons der Eigentlichkeit Verfallsprodukte der Aura. Diese paart sich mit einer Unverbindlichkeit, die sie inmitten der entzauberten Welt disponibel oder, wie es wohl in paramilitärischem Neudeutsch hieße, einsatzbereit macht“ [ADORNO 1964: 12]. Die Inhalte, über die debattiert werden müsste, treten im Jargon hinter dem ‘guten Klang’, der verkündeten Wohlgesinntheit, und der emotionalen Ein- stimmung zurück und werden dadurch, was der Jargon formal verneint – belie- big [ADORNO 1964: 12, 19ff]. Der Jagon hat eine politische Funktion, weil die zur Schau getragene Wohlgesinntheit von den Folgen der realen Handlung entlas- tet und andeutet, welche Interessen man in dieser berücksichtigt. Er wirkt ideo- logisch. „Zu verstehen gegeben wird, das sich Ereignende sei zu tief, als daß die Sprache das Gesagte entweihte, indem sie es sagt. Die reinen Hände verschmähen es, an geltenden Eigentums- und Herrschaftsverhältnissen etwas zu ändern [...]. Wer den Jargon plappert, auf den kann man sich verlassen; man trägt ihn im Knopf- loch anstelle zur Zeit nicht reputabler Parteiabzeichen“ [ADORNO 1964: 20]. Dieselbe mangelhafte wissenschaftliche Differenzierung wird in der Landes- pflege eingesetzt, um Begriffe, die aus anderen Professionen entnommenen sind, beliebig auszutauschen und mit eingängigen Botschaften zu versehen, die dem Auftrag entsprechen. Dieser unverbindliche Sprachgebrauch wird zum landespflegerischen Jargon, der nur den Sprachgestus einer Profession, los- gelöst vom begrifflichen Inhalt, adaptiert, um mit dem reputierlichen Klang zu vereinnahmen [PÖRKSEN 1988]. Der modische Jargon verhilft der Landespflege zur sprachlichen Modernisierung der landespflegerischen Maßnahmen. 102 „Der Jargon, die Modernisierung über Worte ohne Begriff ist auf Entwertung des bekannten und versicherten Bedeutungs- und Informationshofs gerichtete Sprachzerstörung“ [HÜLBUSCH 1998: 167]. Die Sprachzerstörung betrifft auch Begriffe, die bislang zur Beschreibung der Alltagswirklichkeit dienten und in denen Erfahrungen akkumuliert sind. Seman- tisch deformiert taugen sie den Leuten nicht mehr zur inhärenten Interpretation der Lebenswelt. Die Worte werden fremd, folgen dem Jargon der landespfle- gerischen Experten und kolonisieren die Lebenswelt. „Wer die Sprache und darin enthaltene Erinnerung aufhebt, hat die Leute in der Hand“ [HÜLBUSCH 1998: 168]. Der Entwerfer erlangt definitorische Macht, wenn es ihm gelingt, die Sprache zu okkupieren. Diese schlägt in reale Macht über die Lebensverhältnisse um, wenn die Maßnahmen, die die Menschen ihres selbstbestimmten Alltags, Frei- raums berauben, durchgesetzt werden. Die Verwaltungssprache, mit dem Na- tionalstaat im 19. Jahrhundert vereinheitlicht [PÖRKSEN 1988: 16], dient dem Staatswesen und nicht den Leuten, denen sie tendenziell die Sprache ver- schlägt, wenn sie mit der Administration und innerhalb ihrer Instanzen kommu- nizieren müssen [KORN 1962: 123ff, 136ff]. „Nachdem der Nationalstaat die Sprachen in seinem Territorium vereinheitlicht und standardisiert hat, werden sie nunmehr mit Hilfe eines kleinen Codes global gestanzt“ [PÖRKSEN 1988: 43]. Dieser kleine Code besteht aus ‘Plastikwörtern’162, deren besonderes Merkmal ist, dass sich mit ihnen die Wirklichkeit scheinbar universell umordnen lässt. „Die amorphen Plastikwörter sind der elementare Bausatz des Industriestaats. Diese Chiffren bahnen den Weg in die großräumige Geometrie: hindernislos, un- beengt ist alles auf reibungslose Durchfahrt eingestellt, wo sie in Gebrauch sind“ [PÖRKSEN 1988: 19] Die Funktionsweise dieser technokratischen Sprache entfaltet PÖRKSEN am Beispiel des Wortes ‘Entwicklung’, das ein Schlagwort der Landespflege ist. Um 1800 würde aus der ‘Handlung’, die das Wort bezeichnete, eine ‘Verände- rung’ ohne Urheber und Gegenstand, die es nunmehr bedeute [PÖRKSEN 1988: 33]. „Entwicklung ist eine Art von Bewegung, der gegenüber alles, was sich ihr, sprachlich oder sachlich, nicht fügt, hoffnungslos veraltet [...]. Die weiterschreiten- de Entwicklung wird selbst zur Person, zum handelnden Subjekt, das sich Raum schafft“ [PÖRKSEN 1988: 33, 35]. Die Rede von der ‘Entwicklung’ folgt dem Prinzip des ‘verheißungsvollen Au- tomatismus’ wie er in Heils- und Fortschrittsgeschichten entworfen wird. Sprachlich abstrahiert, bereinigt und naturalisiert scheint dem unbedarften Le- ser landespflegerischer Gutachten vieles von selbst zu wachsen (auch das, was nicht Gegenstand der Biologie ist) und ‘sich zu entwickeln’, indem einer- seits die gesellschaftlichen Akteure hinter der Verwaltungssprache verschwin- den und andererseits die Sachzwänge selbsttätig zu agieren scheinen. Die Entwerfer der Landespflege sind Experten im Einsatz von ‘Plastikwörtern’ [PÖRKSEN 1988: 72-78, 102f]. 162 ‘Plastikwörter’ sind die Grundbausteine, aus denen Leitbilder aufgebaut werden und über die sie die soziale Wirklichkeit übermalen; wie dies möglich ist erklären wir in den Kapiteln: ‘Sprachliche Formie- rung von Leitbildern’ und ‘Mythisierung von Leitbildern’. 103 „’Energie – Ressource – Produktion – Versorgung – Konsum’. Die Eignung dieser Kette zum universellen Zugriff und Programm liegt auf der Hand. [...] Sie negieren alle lokalen Besonderheiten. In fünf Vokabeln erschließen und ordnen sich riesige Räume“ [PÖRKSEN 1988: 79]. Die versachlicht zwanghafte Sprache der Verwaltung, die der Experte in der Landespflege und anderswo spricht, macht die Menschen sprach- und hilflos. Experten, die die Sprache der Wissenschaft in die Alltagssprache übersetzen, prägen damit den Wortschatz der Alltagssprache und die populäre Bedeutung, der aus dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch entlehnen Wörter. Seine Au- torität gewinnt der Experte „aus dem Gestus des unparteiischen wissenschaft- lichen Spezialisten“ [PÖRKSEN 1988: 96], wobei er in einer politischen Entschei- dungsfindung angefragt wird, aus der Maßnahmen resultieren. „Der Experte, von dem wir sprechen, tut dies als Anwalt des Fortschritts. [...] Er winkt mit der Zukunft und entlastet sich durch sie. [...] Die Zukunft ist der Raum für die Einlösung aller seiner Vorhaben“ [PÖRKSEN 1988: 97]. Landespflegerische Technokratie Der Landespfleger legt für die (von ihm oder der Verwaltung) definierten Prob- leme technische Lösungen nahe, die eine befriedigende Zukunft ermöglichten, indem er soziale Probleme als technische bearbeitet. Diesem Vorgehen liegt ein technokratisches Problemverständnis zugrunde, das ideologisch von der Prämisse, dass steuernde staatliche Institutionen, Administrationen, in der mo- dernen, funktional differenzierten Gesellschaft notwendig seien, und real von den Verwaltungsakten unterstützt wird. Fragen nach der konkreten Sozialform lokaler Interaktion und Gerechtigkeit geraten dem Experten dabei aus dem Blick [PÖRKSEN 1988: 98]. Über die technokratische Einstellung wird die Abs- traktion von den lokalen Interessen und Widerständen und die Bevorzugung der makroskopische Perspektive auf ‘übergeordnete Strukturen’ gefördert. „Unser Experte vermittelt nicht selten ein Raumgefühl, um nicht zu sagen, ein Großraumgefühl. Wörter wie ‘global’ und ‘weltumspannend’ passen zu ihm, ‘Raumordnung’, ‘Verdichtung’, ‘Ballungsräume’ und ‘räumliche Entwicklung’. Der Raum selbst wird entwickelt, Experten definieren ihn, nennen einen Berg ‘anbau- fähig’, erkennen dem ‘Erholungsgebiet’ einer Stadt ‘Freizeitwert’ zu und erklären einen ganzen Erdteil zum ‘Entwicklungsgebiet’. Ein solcher Experte kennt in ge- wissem Sinn nur den Raum, in den hinein er sich wölbt. So expandiert er sein ein- heitliches Vokabular in alle Gegenden, definiert, ordnet, geometrisiert und hinter- läßt eine veränderte Welt“ [PÖRKSEN 1988: 103]. Aus der ‘Absicht’ von sozialen Konflikten und politischen Interessen resultiert eine abstrakte Problembeschreibung, die jenseits der Geschichte, d.h. der au- tonomen Handlungsfähigkeit der Menschen zu stehen scheint. Gesellschaftli- che Produkte, wie die technischen Entwicklungen, erscheinen als Folge eines naturbürtigen Fortschritts, der Sachzwänge produziert, der sich wiederum die Politik anzupassen hätte [HABERMAS 1968: 81]. In der abstrakt entworfenen ‘Ka- tastrophe’ kommen industrielle Umweltschäden wie Unwetter über die Men- schen. 104 „Das Verbrechen des Industriekonzerns wird als Naturvorgang übermalt“ [PÖRKSEN 1988: 34]. In der Naturalisierung der ‘Probleme’, die dann als technische Sachfragen oder sogar ‘Sachzwänge’ bearbeitet werden können, wirkt die Technokratenmentali- tät ideologisch163 [STOLZENBURG 1996: 306], so dass durch die behauptete ‘Ka- tastrophe’ und die angeschlossene ‘technische Lösung’ die Landespflege a priori legitimiert erscheint. Anstatt die Ursachen zu ermitteln, werden von Lan- despflegern technische Hilfsmaßnahmen erfunden, was bedeutet, dass für die von bestimmten Interessensgruppen definierten Probleme operationable Mo- delle entworfen werden, um sie technisch zu lösen. Das Modell erscheint als Wirklichkeit, weil es in seiner Berechenbarkeit so perfekt ist oder klar und ein- fach aussieht, dass der Widerspruch, der gegen die Maßnahme erhoben wird, im Vergleich mit der ‘arithmetrischen Schönheit’ und ‘technischen Harmonie’ des Modells insuffizent wirkt. Das gut designte Modell, das Komplexität redu- ziert, überzeugt ästhetisch. „Diese Planspiele machen aus Städten Baustellen und führen auf dem Land zu ‘Erdbewegungen’. Aus der Retorte der amorphen Elemente werden, wie wir sa- hen, überall mit einfachen Mitteln Modelle entwickelt, denen dann die Wirklichkeit nachzukommen hat. Daß dabei ökonomische Interessen vorherrschen und sich breit machen, versteht sich; wichtiger ist, dass dieses Tun als Vorgang, als Prozeß in Erscheinung tritt und so empfunden wird: als allgemeiner Naturprozeß, der sei- nen unbeirrbaren Gang geht und frei nach Hegel manche unschuldige Blume zer- tritt. Die Empörung des Einzelnen scheint ihn nicht mehr zu erreichen, seine Un- geheuerlichkeit wird kaum wahrgenommen. Er ist zur lautlosen Selbstverständ- lichkeit geworden“ [PÖRKSEN 1988: 77f]. Diese technokratische Haltung macht den Experten auch empfänglich für un- terschiedlichste politische Programmatiken, die eine staatliche Verwaltung des Lebens voraussetzen, weil die Experten nicht über ihre politische Funktion und soziale Verantwortung reflektieren. Die Experten sind positivistische Techno- kraten, denen arbeitsteilig politische Ideologen bzw. Public-Relation-Fachleute zu Seite treten, die ihre Fiktionen wiederum auf die Modelle der positivistischen Problem-Löser beziehen [HERMENAU 1999: 137; ARENDT 1972]. „Die Positivisten in ihrer interpretativen Armut entleihen sich von den Ideologen aufregende Bedeutungen; man könnte sagen, sie verschaffen sich auf diese Wei- se Entlastung von der kognitiven Malaise ihrer Abstraktionen. Die Ideologen ihrer- seits können sich auf positivistische Methoden zurückfallen lassen“ [BERGER/ KELLNER 1984: 124]. Diese Form der technischen Intelligenz ist ein Phänomen der modernen (funk- tional differenzierten) Industriegesellschaft, das MAX HORKHEIMER als ‘instru- mentelle Vernunft’ bezeichnete. Die instrumentelle Vernunft beruht ideenge- schichtlich zwar auf dem rationalen Anspruch der Aufklärung, verkürzt diesen aber auf das positiv zu Wissende und technisch Machbare (Positivismus) [HORKHEIMER 1933: 87f]. „Zweckrationales Handeln ist seiner Struktur nach die Ausübung von Kontrolle. Deshalb ist die ‘Rationalisierung’ von Lebensverhältnissen nach Maßgabe dieser 163 „Die eigentümliche Leistung dieser Ideologie ist es, das Selbstverständnis der Gesellschaft vom Bezugssystem des kommunikativen Handelns und von den Begriffen symbolisch vermittelter Interakti- on abzuziehen und durch ein wissenschaftliches Modell zu ersetzen“ [HABERMAS 1968: 81]. 105 Rationalität gleichbedeutend mit der Institutionalisierung einer Herrschaft, die als politische unkenntlich wird: die technische Vernunft eines gesellschaftlichen Sys- tems zweckrationalen Handelns gibt ihren politischen Inhalt nicht preis“ [HABERMAS 1968: 49]. Die von moralischen Skrupeln losgelöste Technikentwicklung in den Industrie- staaten zeigt, wie innovativ und effektiv die instrumentelle Vernunft agiert, die zugleich eine enorme Zerstörungskraft entwickelt, die die Ingenieure bereitwil- lig den herrschenden Interessengruppen zur Verfügung stellen. OTTO ULLRICH spricht im Zusammenhang mit der abstrahierenden Modellierung von einer Schizo-Topie, die zwischen dem Tatort und dem Leidensort unterscheidet, weil der Experte an seinem Lebensort, von dem er die Tat vorbereitet, nicht von den sozialen Folgen seiner Maßnahmen betroffen ist, die an einem anderen Ort wirksam werden [ULLRICH 1979: 186ff]. Somit kann die Welt dem Experten als sozial bereinigt und für Planungen disponibel erscheinen, die er über die Plastikwörter und die verbal vorbereiteten Maßnahmen für die hoheitliche Pla- nung vorbereitet. „Die abstrakte Sprache macht die Welt planbar, planiert sie gleichsam, macht sie dem Umgang mit dem Reißbrett zugänglich. Sie schafft einheitliche übersichtliche Räume, denn sie sieht ja ab von dem Konkreten, von der krautigen Vielfalt, den individuellen Unebenheiten, und richtet den Blick auf das, was, wenn man von al- len besonderen Beschaffenheiten absieht, übrig bleibt. Sie ist im genauen Sinn des Wortes rücksichtslos. Und eben dadurch schließt sie die Welt für die Verwer- tung auf. Im gleichen Augenblick dient die abstrakte Sprache dazu, die Wirklichkeit zu ver- decken. Sie läßt nicht die Phantasie für das aufkommen, was den Leuten ge- schieht. Von dem, was sie erleben und empfinden, von ihrer Lebensgeschichte sieht sie ja gerade ab. Die Sprache des Überblicks verführt dazu, das Wichtigste zu übersehen. Der Prägestock der Wissenschaft oder der Verwaltung, vom Exper- ten auf die Lebenswelt übertragen, verdeckt in seiner menschenleeren Objektivität die Leiden; der Experte entzieht die Wirklichkeit den Sinnen“ [PÖRKSEN 1988: 102]. Für den Entwurf wurde dies derart gewendet, dass die baulichen Verhältnisse die gesellschaftlichen Bedürfnisse determinierten [BLOCH 1935: 219; ADORNO 1965a]. Ein soziales Phänomen wird über diese leitende Vorstellung auf ein bauliches Phänomen reduziert und damit für die Verwaltung scheinbar hand- habbarer [BÖSE 1981: 141, 143]. Dem gemäß versuchen die funktionalistischen Entwurfsgewerbe, die Handlungsabläufe der Nutzerinnen und Nutzer vorzube- stimmen, anstatt über deren selbstbestimmte Handlungsmöglichkeiten nach- zudenken [LORBERG 1997: 155]. Die Landespflege gibt vor, die Nutzungen har- monisch in den Gesamtentwurf einzubinden, indem sie die planerische Her- stellbarkeit eines harmonistischen Gesellschaftszustandes behauptet, der vom ‘guten Regiment’ vorsorglich gesteuert würde. Das Maß der ‘guten Verhältnisse’ wird von abstrakten Vorgaben hergeleitet, in denen die Interessen der Industrie und der Verwaltung formalisiert sind, und nicht der Alltagspraxis der Menschen entnommen. In diesem Sinne, dass die Landespflege als ‘ideeller Monopolkapitalist’ für alle naturbürtigen Hilfsquellen fungiert, äußert sich BUCHWALD: „In Raumordnungsplänen erstrebt die Verwaltung eine vorausschauende, überge- ordnete, den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Erfordernissen entspre- chende Gesamtplanung des Raumes, die zugleich einer geordneten Nutzung des 106 Bodens, der Erholung und dem Schutze der Landschaft gerecht wird“ [BUCHWALD 1964: 228]. Pseudowissenschaft Was STEFAN KÖRNER für die Raumplanung und Landespflege im NS-Staat konstatiert, das kann, wie aus der disziplingeschichtlichen Rekonstruktion der Landespflege von GERDA SCHNEIDER hervorgeht [1989], durchaus für die Lan- despflege generalisiert werden [vgl. KÖRNER 2001: 9]. „Diesem Widerspruch zwischen rationaler Planung und der Konkretheit der Le- benswelt wird jedoch nicht durch Reflexion begegnet [...]. Auf der Ebene der Pla- nungspraxis geht man davon aus, diesen Widerspruch mit ‘handfestem’ Pragma- tismus auflösen zu können, indem man bei der Bearbeitung von räumlichen Pla- nungsfällen einen Blick für das ‘Ganze’, gepaart mit praktischer Erfahrung, propa- giert und dann insofern auch keine Theoriebildung nötig zu haben scheint. Damit verläßt man sich letztlich auf das Individuum des Planers, der zunächst das nötige Geschick aufweisen bzw. über die richtige politische Gesinnung verfügen muß“ [KÖRNER 2001: 69]. Aufgabe der Landespflege sei es, die Erkenntnisse aus anderen Disziplinen „mit den politischen Vorgaben in Einklang zu bringen“ [KÖRNER 2001: 69], also administrative Vorgaben und die Interessen politisch dominanter Gruppen mit den Fachplanungen abzustimmen. Die direkt von der Planung Betroffenen werden in diesem Ansatz, der scheinbar das ‘Ganze’ im Blick hätte, gemeint ist die herrschende Ideologie, nicht berücksichtigt bzw. verschwindet ihre konkre- te Alltagswelt hinter räumlichen und geschichtlichen Abstrakta. „Dieser Ansatz besagt dann eigentlich nicht mehr, als dass ‘verbindende’ Metho- den und Planungskalküle vorhanden seien müssen, mit deren Hilfe differenzierte Wissensbestände kombiniert werden können. Zusätzlich muß eine Leitideologie vorhanden sein, aus der Ziele der Nutzenmaximierung abgeleitet werden können. Dieses ‘interdisziplinäre’ Verfahren ist dann der dezisionistische, reflexionslose, vorwärtsgerichtete Blick auf das ‘Ganze’ unter Berücksichtigung des ‘Überkom- menen’ und ‘Gewachsenen’“ [KÖRNER 2001: 69]. Die betriebswirtschaftlich auf den Markt und Aufträge angewiesenen Landes- pfleger entwickeln eine ‘Professionalität’, innerhalb derer kein Gutachten mög- lich ist, das den Interessen der Geldgeber widerspräche [vgl. BERGER/ KELLNER 1984: 112f]. Diese marktkonforme Verfassung der Profession verhindert auch, dass sie eine Theorie bilden könnte, die die sozialen-ökonomischen und politi- schen Implikationen der landespflegerischen Maßnahmen kritisch, d.h. diffe- renziert, beleuchtet. „Anstelle kohärenter Denktraditionen finden sich demzufolge sporadische Praxio- logien, deren Legitimation von außerwissenschaftlichen Gegebenheiten des Mark- tes bezogen werden“ [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 25]. Weil aber die ‘Möchtegernwissenschaft’ [LUCKS 1986] zumindest den Schein einer Theoriebildung benötigt, um Wissenschaftlichkeit zu suggerieren, insze- niert sie eine Pseudotheorie [HARD 1992: 16]. Sofern Theoriefragmente im lan- despflegerischen Schrifttum der Bundesrepublik enthalten sind, entstammen sie anderen Disziplinen, aus denen sie adaptiert wurden [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 27]. Die Landespflege greift auf jene Theoriefragmente zurück, denen in der jeweiligen Zeit gesellschaftliche Reputation zukommt, mit deren Hilfe die Durchsetzung der landespflegerischen Entwürfe und Maßnahmen auf 107 weniger Widerstände rechnen darf. STOLZENBURG und VETTER belegen das an der ‘sozialwissenschaftlichen Wende’ in der Landespflege der 1970er Jahre. „Erleichtert wird so mittels sozialwissenschaftlicher Beweisführungsmethode der Aufbau von Argumenten von Verwaltungen oder marktinteressierten Planungsbü- ros, die ein Interesse etwaige ‘Planungswiderstände einer Bevölkerungsgruppe zu desavouieren, ohne sich der Diskussion mit den Betroffenen stellen zu müssen“ [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 59]. War in den 1970er Jahren die Sozialwissenschaft up to date, so griff die Lan- despflege in den vorangegangenen Jahrzehnten auf politisch populäre Versatzstücke aus der Biologie und Geographie zurück. Die Pseudotheorie wird über gängige Leitbilder inszeniert [MEHLI 1989: 143], die mit wissenschaftli- chem Anspruch vertreten werden [LORBERG 1999: 83f, 103ff]. Anstelle einer The- oriebildung steht in der Landespflege einerseits die Technisierung und ande- rerseits die Ästhetisierung des Gegenstandes und der Verfahren [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 24f; LUCKS 1986: 18]. „Solange Landschaftsplanung und Grünplanung ihren ‘ästhetischen’ und ‘ökologi- schen’ Theorien nachhängen, die eher den Charakter ‘wissenschaftstheoretischer Erbauungsliteratur’ (Hard 1980) tragen, und nicht eine tragfähige gesellschaftliche – also sozialökonomische und politische – Theorie entwickelt, die von Produkti- ons- und Reproduktionsweisen als den Ursachen der materiellen Veränderung der ‘Landschaft’ ausgeht, bleiben die Namenswechsel – Landschafts- und Freiraums- planung – ohne Belang, erschöpft sich der Beruf in der Dekoration und Imitation“ [LUCKS 1986: 21]. Neben diesem eklatanten Theoriedefizit der Landespflege steht die Diskussion über neue Verfahren, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit vermitteln, so „dass über ein umfassendes Modell abgelenkt werden soll von einer mangel- haften Theoriebildung“ [LUCKS 1986: 20]. Die mangelhafte Theoriebildung wird von den Landespflegern empfunden und soll über andere Legitimationsformen ausgeglichen werden wie die institutionelle Sicherung via Gesetzgebung, die die Profession wiederum stärker an die Herrschaft bindet164. „Der Grund für diese Reflexionslosigkeit liegt darin, daß in der Landschaftspla- nung – mit Ausnahme seitens der Sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung – nur solche Theorien gesucht werden, die ein technologisches, instrumentelles Po- tential enthalten, also praktische Anwendungsmöglichkeiten versprechen. Theo- rien gelten als Instrumente und werden auch als solche bezeichnet [...]. Zugleich wird auch von den Landschaftsarchitekten eine ‘reine’, wissenschaftliche Theorie- bildung, die keinen direkten Anwendungsbezug aufweist, als ‘abgehoben’ und damit überflüssig betrachtet“ [KÖRNER 2001: 9]. Der von KÖRNER hier ausgenommenen „Sozialwissenschaftlichen Freiraum- planung“ attestiert er einige Seiten weiter, dass sie letztlich auch „ein selbstre- flektiertes Vorgehen vermissen läßt“ [KÖRNER 2001: 13]. Die ‘Sozialwissen- schaftliche Freiraumplanung’ gehört zur technokratischen Entwerferei, die Ge- schichte auslöscht, in dem sie über quantitative Verfahren von der lokal sedi- 164 Der amüsante Vergleich von HARD zur Charakterisierung der Geographie kann auf die Landespfle- ge übertragen werden: „Die Geographen gleichen einer Gruppe von Zechbrüdern, die sich an einen Laternenpfahl lehnen und in ihrer Euphorie glauben, sie hielten auf diese Weise das ewige Licht der Geographie aufrecht. In Wirklichkeit halten sie aber nur sich selbst aufrecht, und auch das nur, weil die Laterne sie aufrecht hält. Die Institution selbst als solche ist ihr Halt, und so geistesabwesend sind sie auch wieder nicht, um dies nicht wenigstens dunkel zu ahnen“ [HARD 1979: 33]. 108 mentierten Erfahrung abstrahiert [HARD 1996: 40]. Die Spuren der Nutzer wer- den ignoriert, und es wird für abstrakte Bedürfniskomplexe entworfen, anstatt Spuren, d.h. Erfahrung zuzulassen. Sich auf die praktische Alltagserfahrung der Menschen einzulassen, gilt ihnen geradezu als faschismusverdächtig [z.B. GRÖNING/ WOLSCHKE-BUHLMAN 1986: 231f]; ein Totschlagargument, mit dem die technokratische Seite des Nationalsozialismus verleugnet wird [BOSS 1986: 130; KÖRNER 2002: 24f]. Diese Verdrängungsleistung, die unter dem Deckmantel ‘demokratischer Planung’ vertreten wird, die als Leitbild fungiert, verhindert die Selbstreflexion [HARD 1996: 45f], die KÖRNER an der ‘Sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung’ vermisst. „In einer solchen Disziplin geschieht schließlich alles Offizielle (von der Annahme und Ablehnung von Manuskripten über Berufungsgeschichten bis zu den Verlaut- barungen der Verbände) hinter einem Schleier von Argumenten, von denen jedes Mitglied der Institution zumindest halbbewusst weiß, daß sie bloß vorgeschoben sind, daß sie nicht intellektuell, sondern nur taktisch gerechtfertigt werden können – und als einzig funktionierendes Kriterium bleibt schließlich übrig, daß gut ist, was der Firma nützt“ [HARD 1979: 35]. Dass die Landespflege Leitbilder entwirft und als unprüfbare Verheißungen ins Feld führt, resultiert unter anderem sowohl aus der mangelhaften Theoriebil- dung als auch aus dem mangelhaften Methodenbewusstsein, das aus erste- rem entspringt. Ohne Theoriebildung und Methodenbewusstsein fehlt der Lan- despflege das professionelles Reflexionsmedium, in dem ein kritisches Be- wusstsein in Bezug auf die Disziplingeschichte und über ihre Leitbilder entste- hen könnte. Dies trifft auch auf den Nachhaltigkeitsdiskurs zu, der über Jahr- zehnte bruchlos modernisiert wurde, indem abgegriffene Metaphern abgelegt, neue Images geprägt und alte vergessen wurden165. Das Leitbild der Nachhal- tigkeit wird ungeachtet seiner Geschichte kritiklos propagiert, stellt SIGMAR GROENEVELD fest. „Wenn dies [...] weiterhin so erfolgt, zeigt dies meines Erachtens ein hohes Maß an Blauäugigkeit und auch an opportunistischem Verhalten der meisten der an diesem Prozeß Beteiligten: also das Verhalten von Wissenschaftlern ebenso wie von Politikern, und das von Administratoren nicht weniger als das von Wirtschafts- und Industrievertretern. Alle wollen von der Nachhaltigkeitskonjunktur profitieren und sich in ihr auch profilieren. Ökonomen und Soziologen lassen sich z.B. in wis- senschaftlichen Beiräten oder als Gutachter von Politik und Wirtschaft in deren Absichten einbetten“ [GROENEVELD 1997: 33]. Ideologischer Ausgleich Jene Theorieabstinenz der Landespflege läuft auf eine Ausgleichsplanung hin- aus [LUCKS 1986: 17]. Zunächst im politischen Sinne, dass unterschiedliche In- teressenlagen gegeneinander abgewogen werden [LUCKS 1986: 18], sodann im administrativen Sinne [LUCKS 1986: 17f], dass rechtsverbindliche Funktionsräu- me bestimmt werden [LUCKS 1986: 19], und letztlich in einem technischen Sin- ne, dass dieser politisch-funktionale Ausgleich quantifiziert wird [LUCKS 1986: 19f]. Die landespflegerische Ausgleichsideologie [LUCKS 1986: 17], folgt in ihren 165 Als Beispiel für die Vergesslichkeit und immer wiederkehrende Innovation des Selben in der Lan- despflege kann die ‘Nachhaltikeit’ dienen; siehe dazu Abschnitt: ‘IV. Das Leitbild ‘Nachhaltigkeit’ in der Landespflege’. 109 Entscheidungen vor allem dem Kräfteverhältnis der Interessensgruppen, wenn den Ansprüchen finanzstarker und/ oder politisch einflussreicher Lobbyisten stattgegeben wird, oder die räumliche Funktionszuweisung den Unterschieden in der Bodenrente folgt [LUCKS 1986: 19]. „Die Landespflege vereinnahmt die ohnehin real stattfindenden Enteignungspro- zesse für ihre Zwecke; die ökologisch motivierten Flächenschutzkonzeptionen werden auf dem Rücken wirtschaftlich und damit politisch schwacher Interessen- gruppen ausgetragen“ [LUCKS 1986: 19]. In der Funktionszuweisung der Flächen werden jene mit hoher Bodenrente e- her den kapitalintensiven Nutzungsformen zugewiesen, während der ‘ökono- misch-ökologische’ Ausgleich auf Flächen niederer Bodenrente verlegt wird, wo dies für die betroffenen Gruppen, die nicht nur aus den Bodeneignern be- stehen, eine Enteignung des Gebrauchs lokaler Allmenden bedeutet [HÜLBUSCH 1981: 322; SCHNEIDER 1989: 85, 92f]. Die ‘schwachen’ Interessen- gruppen sind von der Ausgleichsplanung indirekt betroffen, wenn immaterielle gemeine Güter so umverteilt werden, dass aus ihnen reale, private Güter wer- den. Der Naturschutz ist ein Instrumentarium, das der Umverteilung von Nut- zungsmöglichkeiten, dem Wechsel von Eigentumstiteln und der Bedeutungs- verschiebung bis hin zur monetären Inwertsetzung dient. Die Idee des ökologischen Ausgleichs folgt dabei der Annahme, dass für die Beeinträchtigung der Umweltqualität an einem Ort, die Umweltqualität an ei- nem anderen Ort verbessert werden könnte. Wird z.B. Forst für eine industriel- le Baumaßnahme abgeholzt, sollen an einer anderen Stelle, wo sie keiner In- vestition im Wege stehen, Bäume gepflanzt werden. Der Schaden, der den lokalen Nutzern entstanden ist, wird in der Berechnung des ‘Grünvolumens’ oder der ‘Ökopunkte’ nicht berücksichtigt [HÜLBUSCH/ HÜLBUSCH 1980: 32, 36; HÜLBUSCH 1988: 229f]. Vom konkreten Ort abstrahiert und quantitativ gesehen, erscheinen industrielle Eingriffe (Maßnahmen, mit denen in die Lebenswelt der Menschen eingegriffen wird, die aber als ‘Eingriffe in Natur’ dargestellt werden) generell auch industriell ausgleichbar. Hinter dieser Annahme stehen ökono- mische und ordnungspolitische Prämissen, mit denen darauf hingearbeitet wird zu behaupten, dass die Ressourcen knapp seien, diese aber bzw. deshalb für die planerische Verteilung willkürlich zur Verfügung stünden [STOLZENBURG 1984: 40; KRAUSS/ SCHÜRMEYER 1987: 177]. „So stellt sich für den Landschaftsplaner mit der Umdeutung der ehemals ‘freien Güter’ (Wasser, Luft etc.) zu nunmehr ‘knappen Gütern’, die Aufgabe einen ‘Aus- gleich zwischen Technik, Wirtschaft und Natur herzustellen und zu sichern’ (Grü- ne Charta 1961: 239)“ [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 17]. Die Frage nach der Verteilung der naturbürtigen Hilfsquellen kann somit als ökologisch-technisches Problem formuliert werden, ohne dass die politischen und normativen Prämissen infrage gestellt werden müssten [LUCKS 1986: 17]. Der Raum wird entsprechend der (industriell) nachgefragten Ressourcen in ökologische Funktionsräume unterteilt, die „eine Zulieferungs- und Ausgleichs- funktion für die Räume der städtisch-industriellen Produktion übernehmen“ sol- len [BUCHWALD 1980: 4]. „Der Berufsstand nimmt eine defensive Haltung gegenüber Kapitalverwertungsin- teressen ein und folgt getreu der Maxime, die Folgen der Industrialisierung aus- zugleichen. Dazu dient die ökologische Wissensproduktion, damit dieses Wissen, 110 in der Abstraktion als Sachlichkeit vorgetragen, unangreifbar scheint. Und eben diese Unangreifbarkeit, mit der einer möglichen Infragestellung der Zielset- zungen begegnet wird, scheint die Profession zunehmend marktfähig zu erhalten, indem auftragspolitische und damit arbeitsplatzökonomische Risiken vermieden werden“ [LUCKS 1986: 21]. Abstraktion durch Verfahren und Entwurf Der mangelhaften Theoriebildung und Methodenreflexion begegnet die Lan- despflege mit der ‘Legitimation durch Verfahren’ (NIKLAS LUHMANN), die für ob- jektive Erkenntnisse sorgen sollen. Innerhalb der Landespflege gilt verfahrens- technische Objektivität per se als Ausweis von Wahrheit, ohne dass nach dem Sinn der Verfahren gefragt würde. Der Sinn der Verfahren wiederum wird in der Methode bestimmt, mit der ein Konzept von dem Gegenstand und der Auf- gabe einer Disziplin (Theorie) verbunden ist, das die Auswahl der angemesse- nen Verfahren und die Bestimmung der Reichweite ermöglicht. Die Methode, die Rechenschaft über die eingesetzten Verfahren gibt, setzt die (wissen- schaftlich) gewonnenen Erkenntnisse einer intersubjektiven Prüfung aus, in der der Planer seine Überlegungen bewähren muss. Diese Bewährung entfällt in der Landespflege. Stattdessen bekommt die Prüfung durch den ‘formalen Auf- traggeber’166, der das Diensthonorar zahlt, eine größere Bedeutung. Ein Lan- despfleger gilt als erfolgreich, wenn der Auftraggeber zufrieden ist und zahlt. „Planung wird nicht als realitätsorientierte und damit soziale Aufgabe verstanden, die Solidarität oder zumindest Kenntnisnahme der Interessen und Bedürfnisse der Planungsbetroffenen verlangt, [...] sondern zuallererst als künstlerische und zu- nehmend technische Aufgabe, die zu entsprechender Selbstdarstellung und All- tagsverdrängung führt“ [LUCKS 1986: 18]. Hierzu werden in der Landespflege zwei Wege beschritten, die sich ergänzen; die Ästhetisierung und die Technisierung. Wie oben erläutert abstrahieren bei- de Strategien den Gegenstand von den mannigfaltigen gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontexten und unterwerfen ihn einer eindimensionalen Be- trachtung. Die Abstraktion ermöglicht die Quantifizierung des Gegenstandes unter reduktionistischen Parametern, von denen her gesehen er beliebig ge- staltbar erscheint und dementsprechend behandelt wird. „Es scheint, daß die zunehmend bedrohlich wirkende Realität abstrahiert und konstruiert werden muß, um sie fassbar, im Sinne von planbar und beherrschbar werden zu lassen“ [LUCKS 1986: 20]. Die Realität erscheint bedrohlich, wenn mittels der abstrahierenden und quanti- fizierenden Verfahren, die ein technisch beherrschbares Modell entwerfen, die unberechenbare Realität als Bedrohung des Entwurfs inszeniert wird167. Be- drohungen liegen nicht an sich vor, sondern sind an Interessen gebunden, von denen her Phänomene als bedrohlich eingestuft werden. Bedrohlich wird die 166 Der formale Auftraggeber ist der offizielle Geldgeber, mit dem der Vertrag rechtlich abgeschlossen wird, der private Bauherr oder die Administration. Die informellen Auftraggeber sind die lokalen Nutzer, die von der Planung betroffen sind, die Kommune (und nicht die Kommunalverwaltung) [vgl. HÜLBUSCH 1998: 166]. 167 Der Systemtheoretiker LUHMANN erhebt diese ‘Reduktion von Komplexität’ zur Notwendigkeit, die Systeme vollziehen, wenn sie auf die prinzipiell unbekannte Umwelt reagieren [z.B. LUHMANN 1984: 48ff; 1986: 32f]. 111 Realität für die Landespflege, wenn sie ihren Interessen, letztlich das Dienst- honorar für einen erfolgreichen Entwurf, widerstreitet. „Praxolog und Technokrat inszenieren so den Weihrauch akademischer Reputier- lichkeit, der umstandslos den ‘Interessen der Geldquelle’ dienstbar gemacht wer- den kann“ [HÜLBUSCH 1998: 166]. Anstelle einer überlegten und nachvollziehbaren Methode entwickelte die Lan- despflege ein Instrument, das die wissenschaftstheoretische Unterscheidung zwischen Gegenstand, Verfahren und Methode aufhebt: den ästhetischen und technischen Entwurf. Der Entwurf basiert auf der permanenten Erfindung neu- er Verfahren, ohne sinnstiftende Methode [GEHLKEN 1997: 189f], die, wenn der Entwurf gescheitert ist, unüberlegt erneuert werden. Diese modischen Verfah- ren fungieren ideologisch, indem sie Wissenschaftlichkeit suggerieren und poli- tische Entscheidungen zum Sachzwang verdinglichen, über den nicht mehr debattiert werden könne [GEHLKEN 1997: 191]. Durch die Vergesslichkeit der Profession werden somit alle paar Jahre alte Verfahren, den Zyklen der Mode vergleichbar168, als neueste wissenschaftliche Errungenschaften aufgetischt. Entwerfen bedeutet, dass weder die Folgen des Entwurfs für die Lebensverhältnisse der Betroffenen, noch dessen alltagsprak- tische Brauchbarkeit bedacht wird169 [HÜLBUSCH 1991: 174]. Dies wird möglich, weil der Auftragnehmer (Gutachter) an dem Auftrag, der formell bzw. stellver- tretend z.B. von der Verwaltung erteilt wird [HÜLBUSCH 1998: 166], in unter- schiedlichen Verantwortlichkeiten beteiligt ist: Gegenüber dem ‘formellen Auf- traggeber’ ist er verpflichtet, die gewünschte Leistung zu erbringen; in Bezug auf sich selbst ist er daran interessiert, die Leistung vergütet zu bekommen; hinsichtlich der ‘informellen Kundschaft’ [HÜLBUSCH 1998: 166] steht der Gutach- ter vor den Ansprüchen der Interessengruppen, die von der Planung betroffen sein werden, während er selber in der Regel nicht den direkten Folgen der Festsetzungen unterliegt. Jene Interessengruppen liegen zwischen den Extre- men der externen Investoren, die allein in den Verwertungschancen tangiert werden, und den lokal Ansässigen, die in der Lebenswelt von den räumlichen und rechtlichen Festsetzungen betroffen werden [vgl. HARVEY 1987: 113f, 117f]. Durch die ökonomische Distanz des Landespflegers zu den direkt vom Entwurf Betroffenen kann er ihnen die Verantwortung versagen, ohne finanzielle Ein- bußen befürchten zu müssen. Darüber hinaus ist die formale Auftragssituation so organisiert, dass er, von ein paar Anhörungen der Betroffenen abgesehen, nur mit den formellen Auftraggebern verhandelt. So kann er verantwortungslos über den Alltag der Menschen hinweg sehen und den Entwurf verhängen. Ü- berdies fehlen dem Entwurf wissenschaftlich aufbereitete Kriterien, an denen er geprüft, oder mit denen er ‘verworfen’ werden könnte, so dass er seine Ver- bindlichkeit und auch Plausibilität, die kritisierbar wäre, verliert. Um ihn den- noch als verbindlich erscheinen zu lassen, werden unprüfbare Verheißungen ins politische Feld geführt, um die involvierten Entscheidungsträger zu entlas- ten und zu überzeugen [HÜLBUSCH 1991: 174]. Die landespflegerischen Entwer- 168 Siehe zur ästhetischen Innovation in der Landespflege und Leitbildnerei die Kapitel: ‘Ökonomische Interessen und Ästhetisierung’ und ‘Mode und Modernisierung’. 169 Die Geschichte der Landespflege ist voll von Gestaltungen, die die Verheißungen, die ihnen von der landespflegerischen Propaganda zugesprochen wurden, nicht erfüllten und nach wenigen Jahren hin- fällig waren. Siehe Kapitel: ‘Die Verheißung des Paradieses’. 112 fer sind Experten im Einsatz der Warenästhetik, die die Verpackung als das Produkt verkauft. „Entwerfer, Entwickler, Projektierer bezeichnen Gegenstände und Situationen ih- rer Fiktionen immer als bereits gegeben. Sie erheben zum Maßstab, was noch nicht geprüft werden könnte“ [HÜLBUSCH 1991: 176]. Die Entwürfe stehen fix und fertig da, weil sie von der lokalen Geschichte und dem Alltag der Betroffenen absehen und weil sie nicht veränderbar sind [HÜLBUSCH 1991: 180]. Sie kennen keine Zukunft, die über sie hinaus ginge, weil die abstrakte Geschichte, die dem Entstehungszusammenhang enthoben wur- de, als Naturnotwendigkeit dargestellt wird, wodurch Zukunft nichts wäre als die automatische Fortsetzung des Geschehenen170. ‘Geschichte’ wird zum My- thos171 z.B. in dem Anspruch, das Paradies zu entwerfen. Die Entwerfer in der Landespflege sind wahre Experten der Mythisierung, die – herausgehoben aus dem Alltag der verplanten Leute – weder von den direkten Folgen des Ent- wurfs betroffen sind, noch sich moralisch für ihren Entwurf verantwortlich se- hen. Das Scheitern des Entwurfs bzw. das Ausbleiben der Entwurfsverheißung wird den ‘Verhältnissen’ oder direkt den ansässigen Menschen und Nutzern angelastet [LORBERG 2002: 18f]. Die Entlastung ist auch durch die den Bezug „auf symbolisch vermittelte Inter- aktion im Unterschied zum zweckrationalen Handeln“ erleichtert [HABERMAS 1968: 57]. Die instrumentelle Relation von Zweck-Mittel-Ergebnis, in der die An- gemessenheit von Mitteln und Zwecke anhand des Ergebnisses geprüft wer- den kann [HABERMAS 1968: 62], entfällt im Gutachten, weil die Geltung von Aus- sagen im Sinne der kommunikativen Vernunft über gesellschaftliche Konventi- on geregelt wird [HABERMAS 1968: 62f]. „Ein inkompetentes Verhalten, das bewährte technische Regeln oder richtige Stra- tegien verletzt, ist per se durch den Mißerfolg zum Versagen verurteilt; die ‘Strafe’ ist sozusagen in das Scheitern an der Realität eingebaut. Ein abweichendes Ver- halten, das geltende Normen verletzt, löst Sanktionen aus, die nur äußerlich, näm- lich durch Konvention, mit den Regeln verknüpft sind“ [HABERMAS 1968: 63]. Indem die symbolisch vermittelte Interaktion im Verwaltungsakt formal auf das Regulieren reduziert wird172, dieses aber nicht technisch prüfbar ist, wie es in eindeutig zweckrationalen Zusammenhängen möglich wäre, entsteht eine ge- radezu paradoxe Wirkung: Die Verantwortung des Gutachters wird durch die Sphäre politischer Interaktion, in der Moralurteile formulierbar wären, ent- lastbar, weil er aufgrund der Folgen seiner Tätigkeit keine notwendigen Sankti- onen zu erwarten hat, wenn die konventionale Zuordnung zwischen Normen, Handlungen und Folgen entsprechend gestaltet ist173. Denn die symbolisch vermittelte Interaktion löst den Kausalzusammenhang auf, so dass der fehlge- 170 Siehe Kapitel: ‘Die Verheißung des Paradieses’ und ‘Landespflegerische Technokratie’. 171 Geschichte entsteht erst in der Erinnerung an vergangene Ereignisse, die erinnernd in einen sinn- vollen Zusammenhang mit dem Gegenwärtigen gebracht werden [BENJAMIN 1940b: 261; LORBERG 1996: 18ff]. Ohne Vergangenheit, die von der gewordenen Gegenwart her erinnerbar wäre, wird die Zukunft der Gegenwart undenkbar. „Zukunft ist von außen wiederkehrende Erinnerung; daher hat die Ge- dächtnislosigkeit keine“ [SONNEMANN 1988: 13]. 172 „Die manifeste Herrschaft des autoritativen Staates weicht den manipulativen Zwängen der tech- nisch-operativen Verwaltung“ [HABERMAS 1968: 83]. 173 Beispielsweise, weil „die wahren Entscheidungen oft am Biertisch gefällt“ werden [KÖRNER 1997: 50], also außerhalb rational geregelter Zweck-Mittel-Relationen keinem Bier angelastet werden können und keiner Person ‘zurechnungsfähig’ erscheinen. 113 schlagene Versuch dann nicht kausal dem Entwerfer angelastet werden kann, weil z.B. zwischen ihm und den Folgen des Entwurfs ein diskursiver Entschei- dungsprozess eingeschaltet ist, an dem über politische Vertreter repräsentiert ‘die Betroffenen’ teilnähmen174. Die Rechtfertigung des Entwurfs verschränkt instrumentelle und kommunikative Anteile derart, dass der Vollzug demokra- tisch legitimiert erscheint175. „Die heute herrschende Form der Ersatzprogrammatik bezieht sich hingegen nur noch auf das Funktionieren eines gesteuerten Systems. Sie schaltet praktische Fragen aus, und damit die Diskussion über die Annahme von Standards, die allein der demokratischen Willensbildung zugänglich wären“ [HABERMAS 1968: 78]. Das instrumentelle Verfahren ohne technische Regeln zur Prüfung der Zweck- Mittel-Relation führt zum Entwurf und die ‘Legitimation durch Verfahren’ entlas- tet den Landespfleger von der Verantwortung für die Folgen176. Angesichts der administrativen, ökonomischen und symbolischen Übermacht der Landespfle- ger und Entwerfer anderer Couleur im Bund mit den Auftraggebern, die den lokal Ansässigen ihre schönen Entwürfe ‘schenken’ [HÜLBUSCH 1998: 177], sind die Betroffenen, deren Erfahrungen zerrüttet werden [HÜLBUSCH 1991: 177], die Dummen, wenn der Entwurf gescheitert ist [HÜLBUSCH 1991: 174]. 174 So weist LUHMANN darauf hin, dass aus systemtheoretischer Perspektive, Planung im System beo- bachtet wird [LUHMANN 1984: 635] und die Komplexität des Systems erhöht [LUHMANN 1984: 636], weshalb rationale Planung unmöglich sei [LUHMANN 1984: 638, 640]. Daraus resultiere, dass Planung auf einen ‘Versuch’ hinauslaufe, dessen Ergebnis nicht bestimmten Verursachern kausal zugerechnet werden könne [z.B. LUHMANN 1986: 28f]. Die systemtheoretische Analyse, wie die Verursachung in sozialen Sys- temen bestimmt wird, liefe darauf hinaus, „daß die Gesellschaft selbst schuld ist“ [LUHMANN 1986: 31]. „Vor allem aber fehlt ein gesellschaftliches Subsystem für die Wahrnehmung von Umweltinterdepen- denzen. Ein solches kann es bei funktionaler Differenzierung nicht geben [...] Jeder Rückgriff auf tradi- tionelle Rationalitätssemantiken versagt angesichts dieser Situation. [...] Der Problemaufriß der Ratio- nalität besagt nicht, daß die Gesellschaft Probleme dieses Formats lösen müßte, um ihr Überleben zu sichern. Fürs Überleben genügt Evolution“ [LUHMANN 1984: 645]. Glücklich, die im landespflegerischen ‘survival of the fittest’ überleben. 175 Auf die Kritik am Demokratieverständnis in der ‘Landschaftsplanung’ (Landespflege) von DEBES ET AL. [2001], reagieren Landespfleger, indem sie sich auf Recht und Gesetz berufen. „Landschaftsplanung diente schon immer und dient noch heute der fachlich fundierten Vorbereitung politischer Planungs- entscheidungen, die von demokratisch legitimierten Gremien zu fällen sind. Politiker sind auf Beratung angewiesen, nicht nur in der Umweltpolitik“ [SCHEMEL et al. 2002: 23]. Nach bewährter Manier waschen die BDLA-Vertreter die fachlichen Ingenieure weiß, weil die Schuld die Politiker träfe. Die Landespflege ‘diente schon immer und dient noch heute’ der Kapitalverwertung [STOLZENBURG 1984: 14, 40; BOSS 1986: 139]. „Der Auftrag der Landschaftsplanung ist per BNatSchG gesetzlich geregelt und daher grundsätz- lich politisch-demokratisch legitimiert. [...] Die hier dargestellte, gesetzlich verankerte Querschnittorien- tierung kann indessen nur wirksam werden, wenn die Landschaftsplanung gleichzeitig gesamträumlich und flächendeckend angelegt ist“ [HERBERT/ WILKE 2002: 26]. Gesetz und Verfahren gelten als Nachweis der Legitimität und als Aufforderung, gesamträumlich auf die Lebensbedingungen der Menschen zu- zugreifen. Ähnlich argumentieren GALLER und OTT [2002]. „Darüber hinaus bemüht sich die Land- schaftsplanung seit vielen Jahren intensiv um eine besondere demokratische Legitimation, indem inte- ressierte Fachvertreter und die Bevölkerung zur Beteiligung an den Planungsprozessen animiert wer- den“ [GALLER/ OTT 2002: 27]. So allgemein formuliert löst sich das Verfahren in ‘gute Absicht’ und Weiß- wäscherei mittels ‘Bürgerbeteiligung’ auf, wobei die ‘Animateure’ geflissentlich übersehen haben, dass die ‘Betroffenen’ schon involviert sind. 176 Den Vorschlag, die Kartoffeln im Herbst zu pflanzen [HÜLBUSCH 1991: 174], kann man im Sinne der instrumentellen Vernunft zweckrational prüfen und die ‘technische’ Geltung von Wenn-Dann-Aussagen bestimmen. Setzte man aber voraus, dass die Kartöffelchen in der dunklen Erde diskutierten, ob sie denn nun trotz der Kälte wachsen wollen, dann kann die Entscheidungsfindung in die Kartoffeln verlegt werden, und der Experte sich auf die kommunikative Vernunft berufen. Nun sind Menschen keine Kar- toffeln, aber die Entwurfsmentalität der Landespfleger behandelt sie so, als wären sie welche. Siehe zur ‘Naturalisierung’ von Aussagen durch deren Mythisierung das Kapitel: ‘Mythisierung von Leitbilder’. 114 „Nur Banausen trauen sich noch, praktische Fragen zu stellen, weil für den Ent- wurf die Geschichte irrelevant und die Zukunft der Gegenwart sich schon erweisen wird“ [HÜLBUSCH 1991: 178]. Welche Folgen der Entwurf für die Menschen, die mit bzw. in ihm leben müs- sen, auch haben mag, erhalten die Landespfleger das Honorar als Ausweis ihres Erfolges177, und entwerfen das nächste Mal für die formellen Auftragge- ber ein anderes Verfahren, das neu verkauft werden kann. Leitbildnerei in der Landespflege Die Landespflege ist seit ihrer Entstehung leitbildorientiert [MEHLI 1989: 153]. Schon in der Gestaltung der Landschaftsparks wurde neben ästhetischen, ma- lerischen und literarischen Landschaftsschilderungen auch politischen Leitbil- der entworfen178. Später griff die Landesverschönerung auf die Leitbilder des Landschaftsparks und der Landeskultivierung zurück [DÄUMEL 1961; SCHNEIDER 1989; SCHEKAHN 1998] und schließlich entwickelte der Heimat- und Naturschutz Leitbilder erhaltenswerter Landschaften [LORBERG 1996]. In neuerer Zeit lässt sich die landespflegerische Debatte um die Leitbildnerei und die Suche nach dem richtigen Leitbild für die Landespflege in den Schriften von z.B. SCHULZE- NAUMBURG [1916], MÄDING [1942] über BUCHWALD [1964] und PENKER [1986] bis in die Gegenwart z.B. WIEGLEB [1999] verfolgen. „Leitbilder sind so beliebt, weil ihre Behauptungen und Versprechungen (Verhei- ßungen) nicht begründet werden müssen, bzw. die Argumente und Begründungen sich nie auf die wahren Absichten beziehen, sondern beliebig auf alles bezogen werden können. Leitbilder sind beliebt, da ihre deduktive Vorgehensweise keine prüfbaren Prognosen und Absichten für die einzelnen ‘Fälle’ erfordert, bzw. sie benötigen überhaupt keine Prognosen, da die Leitbilder ja normativ auf alle ‘Fälle’ angewendet werden können“ [MEHLI 1989: 153f]. Die Leitbildorientierung in der Landespflege kann an der programmatischen Einleitung zu ‘Naturschutzfachliche Landschafts-Leitbilder’ [BfN 1997], der vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) herausgegeben wurde und Landschafts- Leitbilder für das ‘Nordwestdeutsche Tiefland’ formuliert, belegt werden. Aus- gehend von internationalen Abkommen und dem sogenannten Akzeptanzdefi- zit für die Naturschutzmaßnahmen in der Bevölkerung behaupten die Auto- ren179, dass landschaftliche Leitbilder notwendig seien [z.B. BfN 1997: 7, 13, 15]. Diese Behauptung wird aus der Perspektive einer weitgehenden staatlichen Planungshoheit [z.B. BfN 1997: 17] mit dem Ziel, ein „gesamtgesellschaftlich trag- fähiges zukunftsorientiertes raumplanerisches Gesamtkonzept“ [BfN 1997: 15] zu schaffen, vertreten180. Die Autoren definieren Leitbilder allgemein als Ziele und unterscheiden eine „übergeordnete (umweltpolitische) Zielsetzung“ von 177 Es sei denn, dass die technische Seite des Entwurfs fehlerhaft ist, dann kann die Vergütung ausge- setzt und der Auftragnehmer regresspflichtig gemacht werden. Aber für die leeren Glücksversprechen kann kein Regress eingeklagt werden: umso beliebter sind Leitbilder. 178 Beispielsweise ‘Arkardien’, auf das wir im Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’ eingegangen sind. 179 Mitgearbeitet an der Studie ‘Naturschutzfachliche Landschafts-Leitbilder’ haben: Peter Finck, Ulf Hauke, Eckhard Schröder, Ralf Forst und Gerhard Woithe [BfN 1997]. 180 Hiermit stellen die Autoren eine monopolkapitalistische Rechnung innerhalb einer privatkapitalis- tisch organisierten Wirtschaft auf. Auf einer solchen Verwechslung in der Anwendung von Grenznut- zenanalysen in der Umweltplanung beruht auch das TREND-Gutachten und die ‘ökologische Wirkana- lyse’ [STOLZENBURG 1984]. 115 „raumbezogenen Zielvorstellungen für die Entwicklung einer Landschaft“ [BfN 1997: 7]. „Diese raumbezogenen Leitbilder werden häufig auch als Landschafts-Leitbilder bezeichnet“ [BfN 1997: 7]. Diese Leitbilder sind „normative Setzungen“, die als „Referenzsystem zur Landschaftsbewertung und zur Feststellung von Potentialen und Defiziten“ dienen sollen [BfN 1997: 7]. Anhand dieser Leitbilder könnten Landnutzungen „als ‘leitbildkonform’ bzw. ‘nicht leitbildkonform’ eingestuft werden“ [BfN 1997: 7]. Diese ‘Einstufung’ ist letztlich nicht überprüfbar181. Das Landschafts-Leitbild, das „nicht ausschließlich naturwissenschaftlich deduktiv ableitbar“ ist, wird teilweise aus den „zugrunde liegenden allgemeinen und raumbezogenen Fak- ten [...] biotisch-ökologischen Grundlagen“ ermittelt und teilweise politisch be- stimmt [BfN 1997: 7]. Die politische Konzeption des Leitbildes erfolgt hierar- chisch [BfN 1997: 14]. „Diese konzeptionelle Arbeit muß dabei vom Allgemeinen zum Speziellen und von oben nach unten (Bund > Kommune) verlaufen“ [BfN 1997: 14]. Der Widerspruch zwischen staatlichem Gesamtplanungsanspruch182, den die Autoren vertreten [z.B. BfN 1997: 16], und den lokalen Nutzungsinteressen, die der Akzeptanz der vom übergeordneten Leitbild abgeleiteten landespflegeri- schen Maßnahmen und Restriktionen entgegenstehen, soll über die räumliche Konkretisierung der Leitbilder abgefangen werden. „Im Zuge dieser zunehmenden Konkretisierung müssen verstärkt regionale Be- sonderheiten und Vorstellungen der betroffenen Bevölkerung in die Leitbild- Formulierung eingehen, um eine Identifikation mit ‘ihrem’ Leitbild zu erreichen“ [BfN 1997: 7]. Den Autoren, die das Possessivpronomen in Anführungsstriche setzen, ist of- fenbar bewusst, dass nicht die lokalen Landnutzer das Leitbild formulieren. Diese sollen sich mit ‘ihrem’ (also der Landespfleger) Leitbild identifizieren, damit die Akzeptanz der betroffenen Landnutzer in Bezug auf die Bewertung der Landnutzungen nach dem vorgegebenen Leitbild gewährleistet ist [z.B. BfN 1997: 15]. Den Landnutzern wird auf diese Weise erstens zugemutet, sich vom ideologischen Schein vereinnahmen zu lassen, um sie auf das Leitbild zu ori- entieren, und zweitens wird mit den Leitbildern um die Gunst der Landnutzer geworben. Denn Leitbilder eigneten sich besonders, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, sowohl zwischen den Betroffenen und dem Naturschutz als auch zwischen den Fachplanungen und innerhalb der Planungshierarchie [z.B. BfN 1997: 14f]. „Auf der bundesweiten Ebene entwickelte Landschafts-Leitbilder für die Natur- räume sind somit ein Angebot an die Länder die Fortschreibung ihrer Land- schaftsprogramme und ihrer Landesplanung in den Rahmen eines gesamtstaatli- chen naturschutzfachlichen Orientierungsrahmens zu stellen“ [BfN 1997: 16]. Vom doppelten Rahmen abgesehen, hätten Leitbilder die Funktion, auf die po- litische Entscheidung einzuwirken, wozu sie auf allen Planungsebenen veran- kert werden müssten [z.B. BfN 1997: 16]. 181 Hieran zeigt sich, wie unzureichend die Berufung auf eine abstrakte Rationalität ausfällt, von der KÖRNER [1997] und JESSEL [1999] sich eine bessere demokratische Kontrolle der Landespflege erhoffen. 182 Beispiele finden sich in der Studie [z.B. BfN 1997: 8, 10, 12f]. 116 Um die Leitbilder den „gesellschaftlichen Wertvorstellungen“ immer wieder an- zupassen, sollen sie „nicht starr“ sein [BfN 1997: 7]. Die Autoren vertreten mit dieser Forderung nach ‘flexiblen’ Leitbildern einen verfahrenstechnischen und planungspolitischen Dezisionismus, die ‘Ideologie der Willkür’, mit der alles gerechtfertigt werden kann. Das Leitbild kann somit immer wieder anders – je nach den wechselnden politischen Machtverhältnissen und auf ökonomische Verwertungsinteressen hin – ausgerichtet werden. Die ‘landschaftlichen Leit- bilder’ sind ideologisch gefärbt. Als allgemeines Leitbild favorisieren die Autoren den ‘integrierten Naturschutz’ nach PFADENHAUER183 [z.B. BfN 1997: 10ff]. „Hierunter ist allgemein eine Naturschutzstrategie zu verstehen, die sich mit der Gesamtfläche auseinandersetzt und die in die verschiedenen Nutzungsweisen einbezogen wird“ [BfN 1997: 10]. Auf der gesamten Fläche soll der Naturschutz in die Nutzungen einbezogen werden, womit die Autoren implizit die Forderung von MÄDING [1943: 154] und BUCHWALD [1964: 229] wieder aufgreifen, dass die gesamtplanerischen Zielset- zungen und Leitbilder der Landespflege in den sektoralen Fachplanungen zu berücksichtigen seien: „Eine konsequente Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, die ultimates Ziel einer an dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung orientierten Politik sein muß, kann jedoch nur erfolgen, wenn es gelingt, diese Leitbilder über den Rah- men der Fachplanung hinaus in die Raumordnung und Landesplanung zu integ- rieren und in die Praxis umzusetzen“ [BfN 1997: 16]. Mit dem ‘konsensfähigen Leitbild’, das von den Menschen und den Fachpla- nern akzeptiert würde, bezwecken die Autoren die einheitliche Gestaltung der Landschaft, durch staatliche Intervention und über die Subvention von „’leit- bildkonformen’ Nutzungen bzw. Entwicklungen“ [BfN 1997: 18]. Durch die Beto- nung, dass die „Lebensraum- und Artenvielfalt“ wichtig sei, um die „Natur- und Umweltverträglichkeit dieser Nutzungsformen“ einzuschätzen, und „sich am besten in einem engverzahnten Mosaik verschiedener Lebensräume erhalten“ ließe [BfN 1997: 18], wird die Vegetationsausstattung und Ästhetik des Land- schaftsparks als naturschützerische Ideallandschaft entworfen, die die Konzep- tion des Landschafts-Leitbildes prägt. „Als geeignete Form, dieses Mosaik zu erhalten bzw. zu schaffen, wird die groß- flächige Einkoppelung von Gebieten mit einem extensiven Besatz mit Weidetieren gesehen. [...] So entsteht eine Landschaft, die aus einem kleinflächigen Neben- einander von Gehölzbeständen, Saumstrukturen und mehr oder weniger großen Offenlandbereichen unterschiedlicher Beweidungsintensität besteht“ [BfN 1997: 18]. Die Ausgestaltung des landschaftlichen Leitbildes knüpft damit konsequent an die Bilderwelt der Landesverschönerung an, die die Ideengeschichte der Lan- despflege durchzieht. Der Landschaftspark und dessen Versatzstücke treten immer wieder in der landespflegerischen Leitbildnerei auf, aber auch auf öko- nomischer Ebene wird der Landschaftspark virulent, wenn die ökonomische Schwäche der Landbewirtschafter als Chance gesehen wird, auf deren Land zuzugreifen und es für die Gestaltung zu monopolisieren. Die Monopolisierung 183 PFADENHAUER, J. 1991: Integrierter Naturschutz; in: Garten und Landschaft; H. 2/1991; 13-17. 117 des Landbesitzes expropriiert auch die landlosen Nutzer, die aus den Groß- schutzgebieten ausgeschlossen werden. Die Maßnahme entspricht dem Modell der ‘ornamental farm’, eine Bewirtschaf- tungs- und Gestaltungsform, die die Landschaftsparkgestaltung mit geringen Kosten und gegebenenfalls sogar Nutzen zu verbinden sucht184 [HOFFMANN 1963: 26ff; SCHEKAHN 1998: 50ff]. Die Argumentationskette, mit der die Autoren den neuaufgelegten ‘Landschaftspark’ und die Landschaftsgestaltung begrün- den wollen, ist bei aller Banalität des Resultates raffiniert aufgebaut. Sie ba- siert auf dem modernen Landschaftsbegriff, der eine materiell-ästhetische Dublette ist, und der Gleichsetzung der ästhetischen mit der materiellen Seite der Landschaft. Das Land würde gestaltungsbedürftig, so legen die Autoren nahe, weil die Landwirtschaft sich aus der Fläche zurückziehe, und damit die Sukzession der ländlichen Vegetationsausstattung einer Steuerung im Sinne des Naturschut- zes, zum Erhalt und zur Entwicklung der Artenvielfalt benötige [z.B. BfN 1997: 15]. Die Autoren argumentieren, dass die Landschaft durch Landnutzungen entstanden sei, auf deren Nutzungsweise der Naturschutz kaum Einfluss hätte und sich auf einen segregativen Gebietsschutz verlegte, der die Landschaft in wertvolle und weniger wertvolle Flächen teilte [z.B. BfN 1997: 11]. In dem Mo- ment, wo die Landnutzung von Subventionen abhängt, könne der Naturschutz die Landschaft über die Vergabe der finanziellen Mittel gestalten und entwi- ckeln, wenn es ihm gelänge, konsensfähige Landschafts-Leitbilder zu entwer- fen, denen alle Fachplanungen und politischen Gremien folgten [z.B. BfN 1997: 15]. Landschafts-Leitbilder dienen dem Naturschutz, eine Inventarisierung der Naturausstattung zu fordern, und dem Zugriff auf das ganze Land. „In einem modernen hochentwickelten Staat, mit den ihm zur Verfügung stehen- den technischen und personellen Möglichkeiten, muß eine flächendeckende Bio- top- und Nutzungskartierung nach einer einheitlichen Methodik eigentlich eine selbstverständliche Grundlage für die nachhaltige Gestaltung und Entwicklung der Landschaft sein“ [BfN 1997: 11 – Herv. F.L.]. Das aktuell dominante Leitbild ‘nachhaltige Entwicklung’185 wird von den Auto- ren auf die Landschaftsgestaltung bezogen. Mit der Forderung nach einer ‘nachhaltigen Gestaltung’ der Landschaft setzt die Landespflege in der Ge- genwart den Anspruch fort, den sie seit der Landesverschönerung vertritt, das ganze Land zu beplanen [SCHNEIDER 1989: 34]. Der Ausdruck ‘nachhaltige Ges- taltung’ bezieht das Adjektiv nicht auf den ‘Gegenstand’ der Gestaltung, son- dern qualifiziert das Verfahren selbst (die Gestaltung) als ‘nachhaltig’. Inner- halb der Anatomie der Landespflege bedeutet dies, einen ‘nachhaltigen’ Zugriff 184 Dass das Bild „eines kleinflächigen Nebeneinanders von Gehölzbeständen, Saumstrukturen und [...] Offenlandbereichen“ über diese Maßnahme nicht erreicht werden kann, belegen die verbuschen- den Magerrasen, die von Schafherden extensiv beweidet werden. Die Unterbeweidung und entfallende Weidepflege auf den Flächen führt zur selektiven Beweidung mit kleinen Zonen starken Verbisses und großflächiger Verbuschung. Die potentiell natürliche Vegetationsausstattung Mitteleuropas ist auf mitt- leren Standorten Wald und nicht Savanne oder Tundra, die auch ohne anthropogene Unterstützung beweidungsfähig sind. 185 Die Paradoxie ‘nachhaltiger Entwicklung’ beschreibt EBERHARD KLAUCK: „Warum sollte Jahr für Jahr der Zuwachs der Holzmenge 3% zunehmen? – und damit der Idee des ständig wachsenden Bruttoso- zialprodukts entsprechen“ [KLAUCK 2005: 158]. 118 auf das Land und damit auf die Lebensbedingungen, in denen die Leute leben und wirtschaften. Der ehedem forstwirtschaftliche Begriff ‘Nachhaltigkeit’ bekommt in diesem Zusammenhang den Sinn einer dauerhaften Herrschaftssicherung, wie er im Leitbild ‘nachhaltiger Entwicklung’ deutlich zutage tritt186 [SPEHR 1996: 24]. Der ideologische Kampfbegriff ‘Nachhaltigkeit’ hat in der Forstwirtschaft und Lan- despflege den Zugriff auf das Land symbolisch legitimiert187 [SCHNEIDER 1997: 38; GROENEVELD 1997: 32f], insofern ergänzen sich die Rede von der ‘Nachhal- tigkeit’ und die Proklamation von ‘Leitbildern’ in der Landespflege [z.B. BUCHWALD 1964: 229]. Die Leitbildnerei in der Landespflege ist auf Herrschaft ausgerichtet. Die Voka- bel ‘Leitbild’ zog während des NS-Regimes in den Wortschatz der Landespfle- ge ein und erscheint schriftlich belegt an prominenter Stelle in dem Lehrbuch ‘Die Landespflege’ von ERNST MÄDING [1943]. 1942 wurde es in der ‘Anordnung zur Gestaltung der Ostgebiete’ eingeführt, die von HEINRICH HIMMLER unter- zeichnet und von MÄDING und WIEPKING miterstellt wurde. Schon LUCIUS BURCKHARDT vermutete, allerdings ohne einen Beleg anzugeben, dass das Leitbild in der räumlichen Gestaltung dem Sprachgestus des Nationalsozialis- mus entstamme [BURCKHARDT 1971: 6; LINDE 1971: 99]. Die Leitbilder in der Landespflege im NS-Staat dienten dazu, die landespflegerischen Maßnahmen mit den Direktiven der Verwaltung abzustimmen. „In jeder Verwaltungsentscheidung sind infolge fortschreitender Aufgliederung der Zwecke und Steigerung der Bedürfnisse nicht nur regelmäßig mehrere sachliche Bereiche berührt und betroffen, sondern zugleich sind es auch immer verschiede- ne Leitbilder, die ‘der Verwaltung’ vorschweben [...] Schon bei der Planung einer kleinen Siedlung oder bei der Umlegung einer Gemeindeflur müssen mehrere sol- che von den Verwaltungszweigen entwickelte Leitbilder berücksichtigt werden“ [MÄDING 1943: 154]. Die (luftige) Metapher der ‘vorschwebenden Leitbilder’ korreliert geradezu der ‘dunstigen Klarheit’ der Landschaft188, wie diese sind Leitbilder vage und von ‘unbestimmter Verbindlichkeit’. Mit ihrer Hilfe verdeckt die Landespflege die handfesten Interessen, die hinter den administrativen Vorgaben stehen. MÄDING bezeichnet auch Gestaltungen, in denen die NS-Ideologie beispielhaft verwirklicht würde, als Leitbilder, die in diesem Sinne materieller Ausdruck der administrativen Direktiven sind: „Die Gestaltung der Landschaft wird heute als eine Aufgabe angesehen. Das nati- onalsozialistische Reich geht in seinen großen Bau- und Kulturvorhaben beispiel- haft voran. Die Reichsautobahnen, das Reichssportfeld, das Gelände der Reichs- parteitage, der neue Waldaufbau sind solche Beispiele. Sie sind Leitbilder einer allgemeinen Erziehungsarbeit und Kulturbemühung“ [MÄDING 1943: 9]. Hinter den gestalterischen Leitbildern stehe eine allgemeine „Erziehungsarbeit und Kulturbemühung“, die der Entwurf zu befolgen hätte – und die die landes- 186 Wir gehen auf das Leitbild differenziert ein in dem Kapitel: ‘Nachhaltige Entwicklung’. 187 Schon die ‘nachhaltige Forstwirtschaft’ bezweckte neben dem dauerhaften Holzertrag auch die Vertreibung anderer Nutzungen (Hute, Streunutzung, Reisiglese) aus dem Forst. 188 In Anlehnung an ein Oxymoron GOETHEs [HARD 1969: 138] und HARDs Überlegungen ‘zu Goethes Beschreibung der italienischen Landschaft’, die er auf die Landschaftsgemälde CLAUDE LORRAIN zu- rückführt [HARD 1969: 144f]. 119 pflegerische Kulturindustrie bereitwillig aufgegriffen hat189. Die (vereinzelten) beispielhaften Gestaltungen sollen über die landespflegerischen Maßnahmen, die auf das ganze ‘Deutsche Reich’ inklusive der ‘Ostgebiete’ zugreifen, im ganzen Staatsgebiet verbreitet werden. Gerade in der Forderung, dass das Leitbild des Weiteren zur Gestaltung der ‘Ostgebiete’ diene, werden beide Nu- ancen des Leitbildbegriffs, die administrativen Direktiven und die beispielhafte Gestaltung, zum landschaftlichen Leitbild verbunden. Allgemein solle das ‘Leit- bild der Landschaft’ zur Gestaltung z.B. der industriellen Abbauflächen dienen, wie in der ‘Anordnung zur Gestaltung der Ostgebiete’ vorgesehen. „Jedem Abbau hat die Wiederaufbaumaßnahme auf dem Fuße zu folgen; sie muß sich sinnvoll in das Leitbild der Landschaft einordnen“ [AGO 1942: 35]. Speziell wird in der Anordnung das landschaftliche „Leitbild der bäuerlichen oder forstlichen Umgebung“ zur Gestaltung auferlegt [AGO 1942: 31]. Angesichts dieser Belege können wir BURCKHARDTs sinnige Vermutung bestätigen, dass die Rede vom Leitbild in der Landespflege aus dem Nationalsozialismus stammt. „Ohne es beweisen zu können, möchte ich behaupten, dass das Wort [Leitbild] vermutlich nicht dem klaren Wasser des Planungsgedankens, sondern der brau- nen Sauce der Kriegsvorbereitung in den dreissiger Jahren entsprungen ist. Der Gedanke einer nur bildhaft geahnten höheren Zielkategorie, welche in geschmei- diger Weise die Ziele niedriger Ordnung auf das eine, höhere Ziel hintrimmt, erin- nert jene, die es noch in den Ohren haben, an die protofaschistischen Philoso- phen, die von ‘Gestalt’, ‘Dienst schlechthin’ und ‘Konzentration der Ahnung’ spra- chen, eleganten Unklarheiten, die der große Verführer dann allzu leicht mit Inhal- ten wie Rüstung, Aufmarsch, Drang nach Osten, Mission der nordischen Rasse füllen konnte“ [BURCKHARDT 1971: 6 – Einf. FL]. Das Leitbild bzw. die Leitbildnerei währte aber über das Dritte Reich hinaus und wurde in der Bundesrepublik erst richtig populär. Anders als BURCKHARDT und auch HANS LINDE [1971: 99] andeuten, ist die Leitbildnerei so wenig wie die Herrschaftsaffinität der Landespflege an totalitäre Regime gebunden. Die städ- tebaulichen Pamphlete aus den 1920er Jahren, die von Landespflegern und Stadtplanern formuliert wurden, die politisch den Sozialdemokraten nahe stan- den, betreiben ebenso Leitbildnerei und entwerfen leitbildhafte Siedlungsvisio- nen, die sie mit Sozialpolitik verbinden, wie die industriellen Gartenstädte im Zeilenbau190 [HÜLBUSCH 1981b: 325]. BLOCH bezeichnet die Bauten der Sach- lichkeit als Ausdruck „sozialdemokratischer Modernität“, Leitbilder des ‘hygie- nischen Wohnens’, die „auf jungen, modern fühlenden, geschmackvoll klugen Mittelstand“ ausgerichtet sind [BLOCH 1935: 219]. Überdies kann man aus den Schriften der Landespfleger schließen, dass die landespflegerische Leitbildne- rei nicht an das Wort gebunden ist, und in die Entstehungszeit der Landespfle- ge zurückreicht191 [SCHNEIDER 1989: 22ff; MEHLI 1989: 154]. Die Leitbildnerei kann anhand des ‘Jargons der Landespflege’ rekonstruiert werden [vgl. SCHNEIDER 1989: 3, 9]. 189 Das ist aber keine Besonderheit der Landespflege im NS-Staat; vergleiche das Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’. 190 Z.B. Dresden-Hellerau; vgl. zur politischen Signatur der Landespflege zu Beginn des 20. Jahrhun- derts BERGMANN 1970. 191 Dass die Leitbildnerei dem Landschaftsbegriff korreliert ist im Kapitel: ‘Ideologisierung der Land- schaft’ angedeutet und wird im Kapitel: ‘Landschaft in der Leitbildnerei’ entfaltet. 120 „Die ewige Suche und Frage nach Leitbildern weist auf einen Berufsstand hin, der aus Orientierungslosigkeit und Verunsicherung ständig nach neuen Idealen Um- schau hält. Dies läßt vermuten, daß es sich hier um einen Berufsstand handelt, der es sich zur ‘Tradition’ gemacht hat, Leitbilder zu übernehmen, anzueignen o- der zu erfinden“ [MEHLI 1989: 129]. III. Die Funktion der Leitbildnerei Zur Karriere eines Wortes Die Entstehung des Leitbildbegriffs Die Leitbildnerei gehört in die Geschichte der Ideologie192. Daher ist die Leit- bildnerei in der Landespflege (z.B. die Paradiesphrase in der Landesverschö- nerung [SCHNEIDER 1989]) älter als das Wort ‘Leitbild’, das erst im 20. Jahrhun- dert geformt wurde. Dennoch ist es zum Verständnis der Leitbildnerei sinnvoll, die wechselvolle Geschichte, die der recht neue Leitbildbegriff durchgemacht hat, kurz zu rekonstruieren, um seine semantischen Veränderungen und vor allem seine Ausweitung auf viele sprachliche Felder darzustellen. Weder im ‘Wörterbuch der deutschen Sprache’ von J.H. CAMPE aus dem Jahre 1809 noch im GRIMMschen ‘Wörterbuch der deutschen Sprache’ von 1885 ist das Wort ‘Leitbild’ verzeichnet; ebenso wenig ist es im ‘Brockhaus-Lexikon’ von 1932 (Nachtrag 1935) und ‘Meyers Lexikon’ von 1939 enthalten. Dies deu- tet darauf, dass mit dem ‘Leitbild’ eine recht junge Wortschöpfung vorliegt; dementsprechend wird der Neologismus auch nicht in KLUGEs ‘Etymologischen Wörterbuch’ aus dem Jahre 1995 erläutert. Selbst im ‘Großen Brockhaus’ von 1955 ist das Wort Leitbild noch nicht zu finden, obgleich es damals schon in der Landespflege und Raumplanung gebräuchlich ist. Erst 15 Jahre später wird der Leitbildbegriff im ‘Brockhaus’ von 1970 im Zu- sammenhang mit Pädagogik und Raumordnung ausführlich erläutert. Die Raumordnung entfällt in der Ausgabe von 1979, während das Leitbild in der Wirtschaftspolitik Berücksichtigung findet. In der Brockhaus-Ausgabe aus dem Jahr 1995 wird die Erläuterung auf eine knappe Begriffsbestimmung reduziert, deren Sinnumfang relativ weit definiert wird. Diese unterschiedliche Berück- sichtigung des ‘Leitbilds’ in Lexika deutet auf eine semantische Verschiebung hin, die in den letzten 30 bis 40 Jahren stattgefunden hat und von einem stritti- gen Begriff in den 1960er Jahren zu einem selbstverständlichen Sprach- gebrauch in den 1990er Jahren überging. Einen kurzen Überblick zur Entwicklung des Leitbildbegriffs im 20. Jahrhundert gibt BRACHFELD [1980]. Der Leitbildbegriff wurde zuerst in der Psychologie, 192 Das „Wort ‘Ideologie’ während der Französischen Revolution geprägt“ [DIERSE 1976: 158], hat unter- schiedliche Bedeutungsinhalte bezeichnet, bis es durch NAPOLEON BONAPARTE im heute vorherrschen- den pejorativen Sinne geprägt worden ist [DIERSE 1976: 160], den auch MARX aufgegriffen hat [DIERSE 1976: 162]. „Die moderne Verwendung des Ideologie-Begriffs läßt sich nur von Marx aus zureichend darlegen“ [ROMBACH 1976: 164], bei dem Ideologie in unterschiedlichen Varianten in den Bereich der ‘Täuschung’ fällt [ROMBACH 1976: 164f]. „Marx’ Begriff von Ideologie impliziert eine entwickelte Öffentlich- keit, die es nötig macht, das eigene Interesse als das öffentliche zu verschleiern, die es aber anderer- seits möglich macht, dieses ideologiekritisch zu enthüllen“ [ROMBACH 1976: 165; vgl. HABERMAS 1968: 72]. Zusammenfassende Sammelwerke zu Theorien über Ideologie in: LENK et al. 1967 und HAUG et al. 1979. 121 spezieller der Individual- und Entwicklungspsychologie Anfang des 20. Jahr- hunderts von LUDWIG KLAGES193 [1906] und ALFRED ADLER194 [1912] explizit ge- prägt und durch EDUARD SPRANGER195 [1914] in die Pädagogik eingeführt [BRACHFELD 1980: 225]. Seit den 1920er Jahren steht das Leitbild auch der Pä- dagogik zur Verfügung, wobei der Wortgebrauch hinsichtlich der Bedeutung unscharf bleibt und nicht eindeutig zwischen ‘Leitbild’ und dem älteren päda- gogischen Begriff ‘Vorbild’ unterschieden wird [BRACHFELD 1980: 226]. Um 1940 wurde das Leitbild in die Soziologie eingeführt196 und in die Wirtschaftswissen- schaften übernommen197. Von den persönlichen Lebensstilen, die ein Indivi- duum wähle, wird das Leitbild zum allgemeinen Wirtschaftsstil, dem das indivi- duellen Handeln und Konsumverhalten folge198, transformiert [BRACHFELD 1980: 227f]. Unter Leitbild wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung auch ‘Image’ als „das gefühls- und wertbezogene Vorstellungsbild von einem Pro- dukt oder einem Menschen verstanden“ [BRACHFELD 1980: 227], wodurch es mit seiner ideologischen Wirkung in der Werbung [vgl. BRACHFELD 1980: 228] und den Überlegungen zur ‘Warenästhetik’ relevant wird199 [HAUG 1973: 35]. In dem Zeitraum zwischen dem ersten Jahrzehnt und der Mitte des 20. Jahrhunderts geriet das ‘Leitbild’ vom individuellen zum kollektiven Image. So wird der Beg- riff ‘Leitbild’ in ‘Meyers Lexikon’ von 1975 folgendermaßen definiert: „1. im Unterschied zum konkreten Vorbild Bezeichnung für Vorstellungen über Verhaltensideale von Menschen oder Menschengruppen (insbesondere bei ideo- logischen ‘Bewegungen’). Im weiteren Sinne ist ein Leitbild auch das Image, das bestimmte Personen, Institutionen oder Sachverhalte bei einzelnen Personen o- der Gruppen genießen (auch Ich-Ideal, Heterostereotyp). 2. Speziell in der Indivi- dualpsychologie A. Adlers die das Verhalten eines Menschen bestimmende kon- krete Zielsetzung“ [MEYER 1975: 794 – Abkürzungen ergänzt, Verweise eliminiert FL]. Und eine allgemeine Begriffsklärung von BRACHFELD aus dem Jahr 1980 be- sagt: „Unter Leitbild versteht man allgemein a) ein im individuellen Bewußtsein reprä- sentiertes Vorstellungsgebilde und b) ein unbewusstes kognitives Schema in Form eines komplexen Lebensentwurfes; in beiden Definitionen wird dem Leitbild eine 193 KLAGES versteht unter ‘Leitbild’ eine psychologische Instanz, die „jede ‘Spontanbewegung des Men- schen unbewusst mitbestimmt’ [...] zwar grundsätzlich individuell, wird [es] jedoch von der sozialen Umgebung mitgeprägt“ [BRACHFELD 1980: 225 – Einf. FL]. 194 ADLER übernahm von KLAGES den Leitbildbegriff, den er „zu einem der Grundbegriffe seiner Indivi- dualpsychologie“ machte [BRACHFELD 1980: 225]. Das Leitbild sei ein teleologisches Prinzip und Persön- lichkeitsideal, das in der Kindheit weitgehend unbewusst gebildet werde und auf das hin sich ein Mensch entwickelte, wodurch das Leitbild letztlich die gesamte Lebensweise prägte [BRACHFELD 1980: 225]. 195 Ähnlich wie bei ADLER bestimme das Leitbild im Sinne von SPRANGER „die ganze Person und ihre Entwicklung“ [BRACHFELD 1980: 226], das in der Pubertät endgültig gewählt, der Selbstfindung diene [BRACHFELD 1980: 225f]. 196 Nach HIPPUS [1943] bestimme das Leitbild als Menschentypus, der eine bestimmte Weltanschauung und Lebensweise verpflichtet sei [BRACHFELD 1980: 227]. In diesem Sinne wären Leitbilder soziale Ste- reotypen, die „äußere Reaktionsmuster für ein einzelnes Individuum“ vermitteln [BRACHFELD 1980: 227]. 197 Der soziologische Leitbildbegriff, der von den Wirtschaftswissenschaften aufgegriffen wurde [DITTRICH 1961: 107, 114], betont weniger die unbewussten Anteile bei der Leitbildformung als er eine bewusste Entscheidung zwischen normativen Vorgaben nahe legt [BRACHFELD 1980: 227]. 198 So geht der Wirtschaftswissenschaftler KENNETH BOULDING davon aus, dass die Menschheitsge- schichte bislang drei ökonomische Leitbilder entwickelte, denen das Wirtschaftsleben folgte: Frühe Kulturen hätten ihre Umwelt als ‘illimitable plane’ und ‘frountier’ verbildlicht, erst seit der Renaissance begänne sich das Image der ‘cloust sphere’ auszubreiten, das derzeit vorherrsche [BOULDING 1966: 275]. 199 Auf diesen Zusammenhang kommen wir im Kapitel ‘Warenästhetik und Leitbilder’ zurück. 122 verhaltenssteuernde Wirkung zugeschrieben“ [BRACHFELD 1980: 224 – Abkürzungen er- gänzt FL]. Zusammenfassend können wir festhalten, dass dem Leitbild eine verhaltens- steuernde Wirkung zugeschrieben wird, insbesondere bei ideologischen Be- wegungen. Als Image, Verhaltensideal und Zielsetzung wirke es auf die indivi- duelle und kollektive Bewusstseinsbildung ein. Der Leitbildbegriff in der Landespflege Zeitgleich mit der Übernahme des Leitbildbegriffs in die Soziologie und Öko- nomie gelang der gar nicht so große Sprung von der Pädagogik in den Entwurf und die Verwaltung und zwar mit der Übertragung des Leitbildbegriffs in die nationalsozialistische Raumplanung und Landespflege, in der (spätestens) seit den 1940er Jahren von Leitbildern die Rede war. Wie oben beschrieben ver- steht der Landespfleger ERNST MÄDING unter Leitbildern einerseits exemplari- sche Gestaltungen, in denen eine Ideologie idealtypisch ausgedrückt wird [z.B. MÄDING 1943: 9], und andererseits administrative Vorgaben, nach denen sich die Planung zu richten habe [z.B. MÄDING 1943: 154]. Mit den gestalterischen und administrativen Leitbildern komme der Landespflege eine gesamtgesell- schaftliche Erziehungsaufgabe zu [z.B. MÄDING 1943: 9], die schon in den lan- despflegerischen Maßnahmen vor dem NS-Staat durchgesetzt und auch da- nach beibehalten wurde. Die baulich-landschaftlichen Leitbilder sind nicht auf Kulturwerke200 beschränkt, die dem Nationalsozialismus zugerechnet werden, vielmehr sollen sie eine einheitliche Ideologie zum Ausdruck bringen, nämlich die des ‘deutschen Volkes’ in der Geschichte. Dieser Argumentation zufolge kann die Leitbildorientierung auch in das Politische System der BRD integriert werden, wenn man die propagierten Leitbilder an dieses angepasst [z.B. MEIER 1961: 119f]. Mit dieser doppelten Bestimmung des Leitbildes wird es dinglicher Ausdruck einer Ideologie, die sich staatlicherseits in Verordnungen nieder- schlägt, oder umgekehrt formuliert, folgen aus dem Verwaltungshandeln und der Gestaltungskraft der Entwerfer Leitbilder. Die Leitbilder wirken somit als normative Vorgabe der Planung, die wiederum der herrschenden Ideologie entspringt, der die gleichgeschaltete Gesellschaft verpflichtet sei. Der Ausfor- mulierung und Anwendung der Leitbilder im NS-Staat entsprang dem totalen Planungsanspruch und der Gleichschaltung aller Institutionen, die mit dem Leitbild in der räumlichen Planung aufeinander abgestimmt werden sollten [z.B. DAF 1940 in HARLANDER/ FEHL 1986: 114f]. Auch in der Siedlungsplanung des Na- tionalsozialismus werden Leitbilder benutzt [HARLANDER/ FEHL 1986: 50-57], aus welcher der Begriff relativ problemlos in die Siedlungsplanung der Bundesre- publik übernommen wurde [HARLANDER/ FEHL 1986: 59]. „Der Begriff ‘Zielbild der Siedlungsgestaltung’ ist noch deutlicher als der ebenfalls im Nationalsozialismus geprägte Begriff ‘Siedlungs-Leitbild’. Beide Begriffe sind durch und durch historisch bedingt aus den totalitären, auf eine ‘totale Planung und Gestaltung des Lebensraums’ abzielenden Ansichten der DAF [Deutsch Ar- beitsfront] und anderer Parteiorganisationen hergeleitet. Als technokratischer Beg- riff konnte dann das ‘Siedlungs-Leitbild’ unbeanstandet die Zeitgrenze von 1945 in die Gegenwart hinein passieren – natürlich erfolgreich entnazifiziert, so dass heu- 200 Der Begriff ‘Kulturwerke’ umfasst alle von Menschen geschaffenen Produkte und Produktionsmittel [NEEF 1949]. 123 te alle Welt von ‘Leitbild’ redet, ohne sich Rechenschaft über seinen Ursprung ab- zulegen und über die zentrale Vorbedingung des ‘Leitens’ – nämlich eine autoritä- re Instanz“ [HARLANDER/ FEHL 1986: 82 Anm. 16 – Einf. FL]. Die doppelte Bedeutung des Leitbildbegriffs als Verwaltungsdirektive (pro- grammatisches Leitbild) und exemplarisches Objekt (landschaftliches Leitbild) bleibt in der Landespflege erhalten. Die explizite Verpflichtung der Gesell- schaft, einer Ideologie zu folgen, wird in den 1950er Jahren abgemildert und als Anpassungsleistung an den wirtschaftlich-technischen Fortschritt aufge- fasst [LINDE 1971], so dass sich in den 1950er Jahren eine Diskussion um pla- nerische Leitbilder für die BRD entfalten kann, die um 1960 ihren vorläufigen Höhepunkt findet. „Wort und Begriff des Leitbildes ist ein Schlüsselterminus der späten fünfziger Wirtschaftswunderjahre, und zwar der konservativen Kulturkritik, die damals Leit- bilder nicht nur in der Raumplanung, sondern allenthalben vermißte“ [LINDE 1971: 98]. So veranstaltete 1957 der Deutsche Werkbund eine Tagung zum Leitbild; und von Planern werden Anfang der 1960er Jahre Aufsätze veröffentlicht, in denen planerische Leitbilder gesucht werden. Im kulturell-politischen Streit um den sogenannten Werteverlust oder Wertewandel in der BRD werden einerseits von kulturkonservativer Seite Leitbilder gefordert, die verbindliche Normen rep- räsentierten, so dass Leitbilder die fraglich gewordene Verbindlichkeit der Wer- te wiederherstellen sollen. Auf diese Debatte Bezug nehmend konstatierte ADORNO zur paradoxen Funktion der Leitbilder: „Schreit man nach ihnen, so sind sie bereits nicht mehr möglich; verkündet man sie aus dem verzweifelten Wunsch, so werden sie zu blinden und heteronomen Mächten verhext, welche die Ohnmacht nur noch verstärken und insofern mit der totalitären Sinnesart übereinstimmen“ [ADORNO 1960: 13f]. Dieses Paradoxon verstärkte die Suche nach Leitbildern. Darüber hinaus wur- de die Leitbildnerei populär, weil gleichzeitig von fortschrittsorientierter Seite Leitbilder für die Gestaltung der zukünftigen Gesellschaft gefordert wurden201. Im Raumordnungsgesetz und SARO-Gutachten202 zur Raumordnung von 1961 wurden Leitbilder als notwendige Voraussetzung der ‘Planung’ eingefordert [LINDE 1971; RUNGE 1990: 143ff], und von maßgeblichen Vertretern der Landes- pflege wurden landespflegerische Leitbilder gesucht [z.B. DITTRICH 1960; WORTMANN 1962; BUCHWALD 1964; BUCHWALD et al. 1964]. Denn Leitbilder seien zur ‘Planung’ notwendig und räumlich-soziale Probleme als Ausdruck fehlen- der bzw. nicht umgesetzter Leitbilder zu begreifen: „Raumordnung wird im Rahmen des im SARO-Gutachtens (1961) formulierten Leitbildes als optimale Zuordnung von Mensch und Raum beschrieben […] Not- standsgebiete wurden als Ausdruck eines nicht verwirklichten Leitbildes aufgefaßt“ [RUNGE 1990: 145]. Die erste Leitbilddebatte in der Landespflege drehte sich um Leitbilder als ad- ministrative Vorgabe zur Abstimmung der räumlichen Fachplanungen in der Verwaltungshierarchie der BRD. Die Forderung und Suche nach Leitbildern für die Raumplanungsdisziplinen in den 1960er Jahren kann an ERICH DITTRICHs Überlegungen zur Leitbildnerei exemplarisch zusammengefasst werden. Wie 201 RUNGE spricht von der Planungseuphorie, die in den 1960er Jahren einsetzte [1990: 176, 227, 234]. 202 Abk. für den ‘Sachverständigenausschuss für Raumordnung’, der von dem Bundesinnenministeri- um beauftragt wurde, Leitbilder für die Raumplanung zu formulieren. 124 bei den Landespflegern BUCHWALD, LENTHOLT, PREISING wird das Leitbild als administrative Direktive verstanden, die gemäß der landespflegerischen Auf- gabe zu einem spezifischen Leitbild formiert werden muss, unter dem die Ei- genständigkeit der Profession zur Geltung käme203 [z.B. BUCHWALD et al. 1964]. „Aufgabe der Raumordnung sei, aus der Abfolge der gesellschaftspolitischen Leit- bilder die Leitbilder der Raumordnung als Teile jener darzustellen und die aus ih- nen sich jeweils objektiv ergebenden Konsequenzen für die Raumordnungspolitik zu entwickeln“ [DITTRICH 1960: 114]. Leitbilder in der Raumordnung sind in diesem Sinne Anweisungen zu steuern- den Eingriffen in die ‘räumliche Ordnung’, mit der DITTRICH den ungeordneten „jeweiligen Zustand mit Mischung von Leitbildern“ meint [DITTRICH 1960: 114]. Leitbilder sind ein Ordnungsinstrument, das der Raumordnung als Maßstab und Mittel dient, um in den Alltag ordnend einzugreifen, der und dessen spon- tane Entwicklung aus der raumplanerischen Perspektive als chaotisch aufge- fasst wird. Mit dem Hinweis, dass die „Charakterisierung der Raumforschung als einer politischen Wissenschaft [...] in der Lehre vom Leitbild ihren Mittel- punkt“ fände [DITTRICH 1960: 116], geht DITTRICH auf die forschungslogische Bedeutung und wissenschaftspolitische Dimension der Leitbilder für die Raumordnung ein, die dazu dienten, „die Bestimmung, Abgrenzung und Ei- genständigkeit“ der Profession zu fördern. Im Selbstverständnis der Professi- on, können wir festhalten, ist auch die Landespflege leitbildorientiert. Die Suche nach neuen Leitbildern Die Debatte um die Leitbilder verlief gegen Ende der 1960er Jahren im Sande, weil die Leitbilder zu amorph und unverbindlich formuliert wurden, wenn man sie als konkrete Handlungsanweisung für die Planungsdisziplinen gebrauchen wollte. So heißt es im ‘Brockhaus’ von 1970, dass der „modisch verbreitete Gebrauch des Wortes [Leitbild ...] uneinheitlich“ sei [BROCKHAUS 1970: 320 – Einf. FL]. „Die als Zielkataloge formulierten Leitbilder erwiesen sich als Sammlungen inhalts- leerer Formulierungen eines Minimalkonsens’“ [KÄHLER/ SCHAFERS 1989: 1f]. Der Minimalkonsens, der zwischen den Lobbyisten besteht, beruht darauf, dass der Inhalt der Leitbilder unpräzise bleibt, weshalb sich mächtige Interes- sengruppen durch sie nicht bedroht sehen [LINDE 1971]. In diesem Sinne kriti- siert HANS LINDE am Leitbild in der Raumordnung, dass es sich für einen machtkonformen Einsatz eigne: Im Jahre 1955 forderte die Bundesregierung ein Leitbild für die Raumplanung, das in dem SARO-Gutachten entwickelt wer- den sollte, das aber nur ein „fadenscheiniges Transkript dieses ministeriellen Auftrages“ erstellte [LINDE 1971: 98]. Die raumplanerische Leitbildfindung folge einer gängigen Rezeptur, die die formale Notwendigkeit eines Leitbildes unter- stütze, ohne das Leitbild mit Inhalten zu füllen [LINDE 1971: 97]. Gemäß dieses leitbildorientierten Verfahrensaufbaus204 unterstriche das „Gutachten des 203 Wir sind darauf schon eingegangen im Kapitel: ‘Die Ordnung der Landschaft’. 204 Die Raumordnung gehe von der räumlichen „Ordnung der jeweils gegebenen Wirklichkeit“ aus, stelle daneben eine „gedachte Raumordnung, wie sie dem gesellschaftlichen Leitbild“ entspräche, auf und laste sodann „die Diskrepanz zwischen [beiden] dem gegebenen Zustand als Ordnungsmanko“ an und weise „schließlich der Raumordnungspolitik [...] summarisch die Aufgabe [zu], durch aktives und planvolles ‘Ordnen des Raums’ die Differenzen zwischen den gegebenen Raumstrukturen und dem 125 Sachverständigenausschusses für Raumplanung [...] die Notwendigkeit des Leitbildes eindringlich“, das Problem wäre nun aber, welches Leitbild die Raumordnung vertreten solle [LINDE 1971: 97]. Auch aus der systemtheoreti- schen Perspektive wird Kritik an der euphorischen Leitbildnerei geübt. Leitbil- der entsprängen dem Gedanken „einer nur bildhaft geahnten höheren Zielka- tegorie, welche in geschmeidiger Weise Ziele niederer Ordnung auf das eine, höhere Ziel“ hintrimme, charakterisiert BURCKHARDT [BURCKHARDT 1971: 6]. Sie seien ästhetisch komponierte ‘Bilder’, die „einen Konsensus, eine Harmonie der Ziele vorspiegeln, anstatt ihre Konflikte aufzuzeichnen“ [BURCKHARDT 1971: 6]: „Ein richtiges Bild hat keine Dissonanzen, es ist von einem Künstler malerisch komponiert; ein Bild der Ziele, die wir uns setzen, wäre aber nicht nur ein disso- nantes, ein zusammengeflicktes und ein schlecht proportioniertes Bild, es wäre darüberhinaus ein solches mit Falten in der Leinwand, Löchern, sich überschnei- denden Stellen, mit Fetzen bemalter Leinwand, die im Rahmen gar nicht Platz ha- ben und überzählig am Boden herumliegen“ [BURCKHARDT 1971: 6]. Der mit Hilfe von Leitbildern behauptete Konsensus ist illusionär, weil die mit den Leitbildern vertretenen „Ziele so allgemein nicht sind, wie sie scheinen“, vielmehr erwiesen sie sich „als schichtspezifische Ziele“ und der Blickwinkel des Planers „von seiner sozialen Lage her bedingt“, befindet er sich doch sel- ber innerhalb der Gesellschaft [BURCKHARDT 1971: 8]. Die Leitbildnerei geriete somit permanent in Widersprüche mit den vielfältigen Interessen und würde über ihre fachplanerische Bevormundung demokratiefeindlich, wenn politische Entscheidungen als Sachfragen oder sogar Sachzwänge ausgegeben werden [BURCKHARDT 1971: 9]. BURCKHARDT sieht darin, dass „die durch die Planung zu verändernde Realität [...] ein System von Wirkkräften“ sei, den systemimma- nenten Widerspruch, dass die Bedingungen, auf die das Leitbild zielgebend einwirken soll, nie dem Leitbild entsprechen könnten [BURCKHARDT 1971: 7]. „Der Systemcharakter der Wirklichkeit bringt es mit sich, dass die direkte Verfol- gung gängiger Ziele nicht zu deren Verwirklichung führt, sondern unter Umstän- den in unerwünschte Zustände von der Art, wie sie der Mediziner als Syndrome bezeichnet. Das Syndrom ist die Summe der Wirkungen und Nebenwirkungen ei- ner Krankheit, und die aus planerischen Eingriffen entstandenen Syndrome kön- nen zu Kreisläufen führen, welche nach verstärktem Einsatz der Mittel und damit zur Verschlimmerung des Syndroms rufen“ [BURCKHARDT 1971: 7]. Auf diese ‘ökologische’ Kritik der Leitbildnerei wird die Landespflege schließlich mit dem Entwurf ‘flexibler Leitbilder’ reagieren. Zunächst ging aber in den 1970er Jahren die explizit geführte Leitbilddiskussion in eine Latenzphase ü- ber, die bis zur Mitte der 1980er Jahren andauerte. Während dieser ‘Latenz- phase’ fand an den Hochschulen eine „zunehmende Verwissenschaftlichung und ‘Verhärtung’ der traditionellen, ehemals ‘weichen’ Leitbilder“ statt [LUCKS 1986: 19]. Im Gewand der Ökologiedebatte wurden ökologische Leitbilder for- muliert [AUTORiNNEN 1989: 374, 378f]. Mitte der 1980er Jahren setzte eine neue Suche nach Leitbildern ein, die bis in die Gegenwart fortwährt, was auch daran liegen wird, dass die neue Leidbilddiskussion anders als in den 1960er Jahren weniger an konkreten Handlungsanweisungen orientiert ist, als dass sie vage aus dem geistigen Formprinzip der Epoche deduktiv entfalteten Leitbild der Raumordnung zu minimie- ren“ [LINDE 1971: 97]. 126 Ziele umreißt [vgl. KÄHLER/ SCHAFER 1989: 4], wodurch das Scheitern der Leit- bilder nicht so eklatant wahrgenommen wird. Scheitert ein Leitbild, dann sucht man sich halt ein neues [vgl. MARSCHALL 1998]. In der Novemberausgabe von ‘Garten und Landschaft’ aus dem Jahre 1986 wurden neue Aufsätze zur Leitbildnerei publiziert205. In der neuen Leitbildde- batte geht es um ästhetische Leitbilder [AUTORiNNEN 1989] und seit Ende der 1980er Jahre auch wieder um verwaltungstechnische Leitbilder, die nunmehr über Verfahren der Bürgerbeteiligung gefunden und unter Mitwirkung der Fachplanungen legitimiert werden sollen [z.B. HAAREN 1991]. Seither wird nach landschaftlichen, fachplanungsspezifischen und naturschützerischen Leitbil- dern gesucht [z.B. PENKER 1986; BfN 1997] sowie in den 1990er Jahren eine De- batte um die diskursive Leitbildentwicklung geführt [z.B. HAAREN 1991, WIEGLEB 1997]. Kritik an der Leitbildnerei, wie sie schon 1986 von HELMUT BÖSE-VETTER oder 1989 von RETO MEHLI geübt wurde, blieb eher ein Randphänomen und ging nicht in die landespflegerische Leitbilddebatte ein. Erst Ende der 1990er Jahre wird dann die Leitbildsuche in der Landespflege auch in der landespflegeri- schen Literatur thematisiert [z.B. MARSCHALL 1998; WIEGLEB et al. 1999; MOISMANN et al. 2001; GAEDE/ POTSCHIN 2001], wobei die grundsätzliche Ansicht, dass Leitbilder notwendig seien, beibehalten wird. Diese Autoren, die wohl die Widersprüche in der Geschichte der Leitbilder sehen, sind darum bemüht, die Leitbildnerei zu optimieren. In Anbetracht der Suche nach neuen Leitbildern, die seit Mitte der 1980er Jah- re in der Landespflege wieder verstärkt betrieben wurde, konstatiert MEHLI, dass dies ein Symptom der Orientierungslosigkeit in der Landespflege sei [MEHLI 1989: 129], und verschärft dieses Urteil noch dahin gehend, dass die Leitbildorientierung der Landespflege auf ihre professionelle Verfassung schließen lasse. Mit dem Leidbild verspräche sich die Profession einen maß- gebenden Fixpunkt, an dem sie sich zum Einen ausrichten könnte und der zum Anderen auch über die Landespflege hinaus akzeptabel wäre. So sieht MEHLI einen Zusammenhang zwischen Leitbildern und gesellschaftlichen Verhältnis- sen, der letztlich in einer „Abhängigkeit der Leitbilder von politischen und wirt- schaftlichen Verhältnissen“ verortet wird [MEHLI 1989: 129]. Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’ Normativität der Leitbilder Zur Einführung, die eine Übersicht zum Stand der Leidbildnerei zum Zeitpunkt der Jahrhundertwende gibt, referiere ich die aktuelle Debatte um das Leitbild in der Landespflege. Sehr offenherzig geben die Landespfleger ihre ‘Theorie’ kund. Wenn wir diese Proklamationen lesen, werden wir eher an eine sanfte Ausgabe von Machiavelli erinnert: „Der Begriff des Leitbildes hat unterschiedliche Bedeutungsnuancen innerhalb be- stimmter planungstheoretischer Ansätze und auf verschiedenen Planungsebenen. [...] Rein formal verstehen wir unter ‘Leitbild’ zunächst eine Menge von allgemei- 205 Zu dem Thema sind in dieser Ausgabe von ‘Garten und Landschaft’ [GuL 1986] Aufsätze von BRIGITTE WORMBS (17-19) EGBERT KOSSAK (20-22), GEORG PENKER (23-27), HELMUT BÖSE-VETTER (28-33) und DIETER KIENAST (34-38) enthalten. 127 nen Sach- und Werturteilen mit unterschiedlichen Konkretisierungen. [...] Diese allgemeine Definition umfaßt den Großteil der gegenwärtigen Anwendungen des Leidbildbegriffs und kann auf breite Zustimmung rechnen“ [BRÖRING et al. 1999: 3]. Diese Feststellungen sind grandios unverbindlich und ‘bedeutend’. Die Autoren resümieren hellsichtig den Erfolg der Unverbindlichkeit; dass ein Nichts an De- finition, also ein Leer-Begriff „auf breite Zustimmung rechnen“ kann. Der forma- len Definition wird eine inhaltliche Präzisierung beiseite gestellt, die zugleich die Inhalte flexibilisiert, so dass sie den wechselnden Sach- und Werturteilen angepasst werden können [z.B. HAAREN 1999: 22], wodurch die inhaltliche Aus- füllung der Leitbilder gänzlich beliebig und somit Unverbindlichkeit zu einem Prinzip der landespflegerischen ‘Theorie’ wird206. ‘Flexibilisierung’ und ‘Ent- wicklung’ sind wirkmächtige politische Metaphern [PÖRKSEN 1988], die in der Diskussion über Leitbilder in der Landespflege aufgegriffen werden: „Ein dynamisches Leitbild könnte von der inhaltlichen Seite her bedeuten, daß der Weg als das Ziel von Dynamik gesetzt und somit ‘Prozeßschutz’ angestrebt wird“ [BRÖRING et al. 1999: 4]. Flexibilität wird in der postmodernen Legitimation von Herrschaft eingefordert [HARVEY 1987: 125], damit die ‘Entwicklung’, eine nebulöse Zukunftsverheißung, eine Versicherung erhält und jederzeit argumentativ korrigiert werden kann. Leitbilder, die auf Entwicklungen bezogen sind, dürften keine ‘Endziele’ für ei- ne bestimmte Entwicklung entwerfen, sondern müssten den Prozess selber ins Ziel integrieren. Über diese Strategie wird die Entwicklung, die sich entwickle, fetischisiert, als existierte ein ‘Prozess an sich’, der von Akteuren, Motiven und Zielen losgelöst ‘sich ereignete’. Dieser diskursiven Ausrichtung entsprechend wird in der gegenwärtigen Leitbilddebatte die Meinung vertreten, dass Leitbil- der für die Planung notwendig seien, aber nicht fixiert werden dürften [z.B. HAAREN 1999; GAEDE/ POTSCHIN 2001; MOISMANN et al. 2001; ZEPP et al. 2001]. Diese Diskussion ist auf die diskursive Leitbildentwicklung und die planerische Bewertung von Sachverhalten mittels Leitbildmethode ausgerichtet. Drasti- scher formuliert: Die Landespfleger werden für die Leitbilder honoriert. Weitere Diensthonorare erhalten sie für die Exegese der Entwicklung, der Abweichung von dem entworfenen Szenario und die fortschreitende Leitbildkorrektur. Die diskursive Leitbildentwicklung ist also eine Debatte über die Verdienstmöglich- keiten in der Landespflege207. „Unter ‘Leidbild’ verstehe ich im folgenden alle zielorientierten Vorgaben im Natur- und Umweltschutz. Als ‘diskursiv’ bezeichne ich solche Leitbilder, die in einem Rahmen erarbeitet wurden, der über das reine Expertenwissen oder auch konven- tionelle Beteiligungsverfahren hinausgeht (Wiegleb 1996; Bröring et al. in diesem Band)“ [WIEGLEB 1999: 39]. Nomen est omen, verbindet die Bezeichnung ‘Leitbild-Methode’ zwei Begriffe, die disparaten wissenschaftlichen Sphären angehören, nämlich die ‘Zielset- zung’ (zielorientierte Vorgaben) mit der ‘Logik des Verfahrens’208. Damit gibt die Debatte das Dilemma der Landespflege preis, in den Verfahren normativ ausgerichtet zu sein. In die Zielsetzung gehen Wertgebungen ein, die auf die 206 Wir sind auf diesen Aspekt schon eingegangen im Kapitel: ‘Pseudowissenschaft’. 207 Siehe dazu auch das Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’. 208 Wissenschaftstheoretisch gesehen gibt die Methode über die Verfahren, mit denen man zu be- stimmten Ergebnissen kommt, nachvollziehbar Auskunft. 128 Auswahl der Ziele wirken. Die Leitbildmethode stelle den diskursiven Rahmen dar, in dem die Werte diskutiert würden, um die Leitbildfindung nachvollziehbar zu regeln. Mit dieser Begründung wird ein politisches Verfahren, das selber werthaltig ist209, als wissenschaftliches ausgegeben, das man wertneutral op- timieren könnte. Mit der Leitbildmethode vollziehen die Landespfleger die technokratische Verwechslung zwischen politischer und wissenschaftlicher ‘Geltung’, aus der wiederum eine ideologische Gleichsetzung von Normativität und Methode resultiert210 [STOLZENBURG 1984]. Dies wird von einigen Autoren unumwunden eingestanden bzw. befürwortet: „Nach dem gegenwärtigen Stand der theoretischen Diskussion ist die Leitbildme- thode das geeignete Instrument zur Vereinheitlichung von Naturschutztheorie und Praxis (Wiegleb 1997a)“ [WIEGLEB 1999: 39]. Akzeptanz der Leitbilder Entsprechend den aus wertbehafteten Interessenskonflikten resultierenden gesellschaftlichen Widersprüchen, beklagen viele Landespfleger ein Akzep- tanzdefizit der Landespflege, dem Leitbilder entgegenwirkten [vgl. GAEDE/POTSCHIN 2001: 23]. Leitbilder sollen die Akzeptanz für die Maßnahmen der Landespflege schaffen bzw. erhöhen, erstens für die interne Abstimmung der Landespflege auf oberste Ziele hin [z.B. BRÖRING et al. 1999: 2; WIEGLEB 1999: 39] und zweitens zur Förderung der externen Akzeptanz in der Gesell- schaft [z.B. BRÖRING et al. 1999: 5; HAAREN 1999: 15, 26; STIERAND 1999: 66]. Mit der Leitbildentwicklung solle ein Konsens über die Zielhierarchien hergestellt werden, um widersprüchliche Naturschutzwerte auszuräumen. „Abgleich, Gewichtung, Synthese oder Hierarchisierung von wertgebenden Krite- rien muß bereits im Leitbild vorstrukturiert sein, damit es nach der Bewertung nicht zu konkurrierenden Zielfunktionen bzw. unauflösbaren Widersprüchen zwischen verschiedenen naturschutzfachlichen Werten kommt“ [WIEGLEB 1999: 42]. Die gesellschaftliche Akzeptanz solle durch die Identifikation der Bevölkerung mit dem Leitbild erreicht werden, die über die diskursive Entwicklung eines konsensfähigen Leitbildes gelänge [z.B. STIERAND 1999: 64, 66], das eine „ge- meinsame Vision“ gäbe [HAAREN 1999: 26]. Hier wäre man eher versucht von kollektivem Wahn zu sprechen211. „Wenn eine Gemeinde oder Region es schafft, eine gemeinsame Vision in Form eines wie immer gearteten ‘Leitbildes’ (System von Handlungsprinzipen oder als raumkonkretes Umweltqualitätsziel) zu verabschieden, so entfaltet der Begriff des abgestimmten oder demokratisch erarbeiteten ‘Leitbildes’ ohne Zweifel eine grö- ßere Akzeptanz als die vorgenannten trockenen und abstrakten Fachbegriffe“ [HAAREN 1999: 26]. Ziel wäre somit nicht die differenzierte Beschreibung der lokalen Situation und der darin enthaltenen sozialen Konflikten und Interessen, sondern die Akzep- tanz der landespflegerischen Leitbilder durch die Bevölkerung, die an der Leit- bildentwicklung mitwirken könne. Das Verfahren greift die ‘Bürgerbeteiligung’ aus den 1970er Jahren auf, mit dem die Landespflege auf die Bürgerinitiativen, 209 Auch demokratische Verfahren folgen einer Wertsetzung, die andere politische Alternativen z.B. monarchische, totalitäre verwirft. 210 Dieses Vorgehen ist in der Landespflege üblich; siehe dazu das Kapitel: ‘Pseudowissenschaft’. 211 Siehe zur Möglichkeit und Wirkung ‘gesellschaftlicher Visionen’ die Kapitel: ‘Warenästhetik und Leitbilder’ und ‘Das kollektive Imaginäre’. 129 die sich einer administrativen Integration durch hoheitliche Fachplanung ver- weigerten, reagierte, um die sozialen Konflikte symbolisch zu befrieden212. BRÖRING ET AL. fassen das Ergebnis der Tagung zur ‘Leitbildmethode’, an der die forschen Vertreter der Landespflege teilnahmen, wie folgt zusammen: „Nach dem gegenwärtigen Stand der theoretischen Diskussion ist die Leitbildme- thode das geeignete Instrument zur Vereinheitlichung von Naturschutzpraxis, das es gesellschaftlichen Gruppen mit divergierenden Interessen und Vorstellungen ermöglicht, zu konsensfähigen Ergebnissen zu kommen [...] Mehr denn je sind wir durch die Veranstaltung davon überzeugt worden, daß es zum Modell der diskur- siven Leitbildentwicklung keine ernsthafte Alternative gibt“ [BRÖRING et al. 1999: 2]. Die Behauptung, dass es zur Leitbildmethode keine Alternative gäbe213, setzt das Leitbild als notwendige Vorgabe zur Planung voraus, so dass einzig über dessen Inhalt zu debattieren bliebe [z.B. WIEGLEB 1999: 39]. Wird diese Vorgabe akzeptiert, dann stellt sich die Frage nach der angemessenen Leitbildfindung. Mit der Forderung, dass Leitbilder fachlich begründet und demokratisch legiti- miert werden sollen, stellen die Landespfleger die Leitbildmethode als geeigne- tes Instrument zur Leitbildfindung dar. Die Landespfleger, die das Verfahren zur Leitbildfindung durchführen, erheben sich damit zu Experten für Demokra- tie214. Strukturell gleicht die Leitbildmethode dem bisherigen landespflegeri- schen Verfahren, in dem der Landespfleger als ‘Anwalt der Landschaft’ das ‘Recht der Landschaft’ wahrnehme215, nur mit der Änderung, dass er diesmal als Moderator zwischen den fachlichen Ansprüchen des Naturschutzes und der Betroffenen auftritt216 – also in der Gestalt des ‘Anwalts’ und des ‘Richters’ erscheint. Das Moderationsverfahren via Leitbildmethode solle zu einem de- mokratisch legitimierten Leitbild führen. Der Leitbildbegriff biete sich vor allem wegen seiner positiven Öffentlichkeitswirksamkeit an, einen Konsens zu visua- lisieren und Akzeptanz herzustellen. Dabei wirkt das Leitbild ähnlich der Wer- bung: „Die Vielfalt der Begriffsverwendungen zeigt, daß ein Leitbildbegriff ohne erklä- rende Zusätze für die Fachdiskussion wenig tauglich ist. Dennoch ist er als öffent- lichkeitswirksamer und populärer Begriff unverzichtbar. [...] Insbesondere dann kann es angebracht sein mit dem Leitbildbegriff zu operieren, wenn es darum geht, komplexe Zielvorstellungen vereinfacht – bildhaft – oder als Vision für jeden verständlich darzustellen“ [HAAREN 1999: 26]. Wenn das Leitbild für die Fachdiskussion mit ‘erklärenden Zusätzen’, die der technokratischen Logik folgend entsprechende Experten formulieren, operatio- nalisiert werden müsse, dann entscheiden letztlich die Landespfleger über die Art der Umsetzung. Das ist fast wie bei Waschmitteln: die ansprechende Ver- packung für die Verbraucher, während die Spezialisten über die chemische Zusammensetzung entscheiden, die jenen vorgesetzt wird. 212 Reale Konflikte symbolisch zu übermalen, um sie verschwinden zu lassen, ist ein wesentliches Merkmal der Landespflege; siehe dazu Kapitel: ‘Ideologischer Ausgleich’. 213 TINA-Syndrom [MIES 2002: 17]. Die technokratische Debatte über die Leitbildnerei ist ideologisch. 214 Wir sind auf diesen Aspekt in den Kapiteln: ‘Die Experten-Sprache der Landespflege’ und ‘Abstraktion durch Verfahren und Entwurf’ eingegangen. 215 Siehe zur landespflegerischen Anwaltschaft das Kapitel: ‘Die Ordnung der Landschaft’. 216 Wie immer debattiert die Landespflege über die Strategie der professionellen Vereinnahmung und Bestätigung. 130 Verfahrene Leitbilder Verfahrenstechnisch dienten Leitbilder zur einheitlichen und anerkannten Be- wertung von Objekten, Faktoren und Gebieten [BRÖRING et al. 1999: 4]. Im Sinne der diskursiven Leitbildentwicklung sollen Leitbilder die Bewertungen transpa- rent und nachvollziehbar gestalten [z.B. HAAREN 1999: 15, 29; STIERAND 1999: 67]. Aus Daten können nicht unmittelbar Werte abgeleitet werden, weil sie einem anderen ontologischen Status als diese zugehören, vielmehr werden Werte den Daten von wertgebenden Subjekten zugewiesen. Diesen Unterschied zu verkennen und Daten unmittelbar als Werte aufzufassen, läuft auf den ‘natura- listischen Fehlschluss’ hinaus, „ein deduktiver Schluß, dessen Prämissen aus- schließlich aus Sachaussagen bestehen, dessen Konklusion aber normativen Charakter hat und deshalb logisch nicht zulässig ist“ [JESSEL 1999: 49]. Aus dem Anspruch, dass diskursiv entwickelte Leitbilder transparent sein sollen, folge zwar, „das Zustandekommen von Werturteilen so weit als möglich offen- zulegen“, was aber dadurch verhindert würde, dass „wir [uns] vieler normativer Annahmen [...] gar nicht bewusst sind, etwa weil es sich um [...] nicht mehr hin- terfragte ‘Selbstverständlichkeiten’ handelt“ [JESSEL 1999: 51 – Einf. FL]. „Begriffe wie ‘ökologische Bewertung’, auch ‘ökologische Leitbilder’ suggerieren dabei eine Gleichsetzung von Erkenntnissen der Ökologie mit externen Hand- lungsanweisungen, die im Sinne einer gesellschaftlichen Wertsetzung Anliegen des Naturschutzes sind [JESSEL 1999: 53]. Um dies zu vermeiden, rät BEATE JESSEL, „sollte daher besser von natur- schutzfachlichem Wert gesprochen werden“ [JESSEL 1999: 53] und stellt damit heraus, dass der Naturschutz ein wertbesetztes Unternehmen ist [vgl. BELLIN 1996; STOLZENBURG 1996], das auf „gesellschaftlichen Wertentscheidungen“ beruht [JESSEL 1999: 49]. Die den Daten zugesprochenen Werte fungieren als- dann im konsensfähigen Leitbild, das innerhalb der Naturschutzdiskussion dis- kursiv entwickelt wurde, als Kriterien für die Bewertung, die scheinbar mecha- nisch vollzogen werden könnte [z.B. BRÖRING et al. 1999: 8; WIEGLEB 1999: 45]. Aus den Ergebnissen des Forschungsvorhaben ‘Leitbilder für naturnahe Berei- che’ (LENAB) schließt WIEGLEB: „Nach den bisher im Forschungsvorhaben LENAB erarbeiteten Vorstellungen ist eine Bewertung ohne Leitbildentwicklung unmöglich. In diesem Sinne gibt es auch keine ‘Bewertungskriterien’ unabhängig vom Leitbild, es gibt eigentlich nur ‘wert- gebende Kriterien’ bei der Leitbildentwicklung. Diese müssen dann im Bewer- tungsverfahren abgearbeitet und umgesetzt werden“ [WIEGLEB 1999: 41]. Die von WIEGLEB in Aussicht gestellte Verfahrensrationalität, die von Fragen sozialer Verantwortung und Sinn entbindet, dürfte für Anhänger der instrumen- tellen Vernunft verlockend erscheinen. So bekennen BRÖRING ET AL. mit tech- nokratischem Credo: „Es gibt also keine guten oder schlechten Bewertungsverfahren, es gibt nur an- gemessene (aufgrund der Datenlage und Zielformulierung gerechtfertigte) und unangemessene Verfahren“ [BRÖRING et al. 1999: 12]. Auf unerwartete Weise stimmt JESSEL dieser Auffassung zu, wenn sie darlegt, dass Leitbilder die Werte für das Bewertungsverfahren im Sinne der Leitbild- methode vorgeben. Letztlich modernisiert sie den alten naturalistischen Fehl- schluss diskursiv. 131 „Der Zweck, das ‘Leitbild’, erweist sich jedenfalls als Schöpfer von Werten“ [JESSEL 1999: 57]. Denn das Leitbild führe zur Wahl bestimmter Wertmaßstäbe [JESSEL 1999: 57], die eine Rangfolge von Werten ermöglichten [JESSEL 1999: 56], die auf Sach- verhalte bezogen seien [JESSEL 1999: 55]. „Durch die Zusammenführung von den Werten zugeordneten Maßstäben mit den sachlichen Ausprägungen eines Wertträgers werden dann Werturteile gebildet, die eine bewußte Haltung des bewertenden Subjekts gegenüber dem bewerteten Sachverhalt ausdrücken“ [JESSEL 1999: 56]. Implizit sind damit jedem Leitbild Werturteile eingeschrieben, die innerhalb des Leitbildes betrachtet, wie die Bewertung mit der Leitbildmethode verlangt, als Eigenschaften der Sachen erscheinen. Der naturalistische Fehlschluss wird verfahrenstechnisch geregelt und ‘rationalisiert’. „Das Bewertungsverfahren ist im wesentlichen ein Meßverfahren für vorgegebene Werte“ [WIEGLEB 1999: 42]. Der naturalistische Fehlschluss liegt nunmehr in zwei Varianten vor. Folgert der (alte) naturalistische Fehlschluss, den JESSEL explizit verwirft, aus wertfrei- en Daten auf Werte, so stellt ihn die Leitbildmethode auf den Kopf, wenn sie von Werten ausgeht, die auf Eigenschaften bezogen werden, aus deren Erhe- bung das Bewertungsverfahren schließlich Werturteile ableitet. Der alte natura- listische Fehlschluss wird formal umgangen, indem das Verfahren von werthal- tigen Daten auf Werte schließt. Demgemäß kann der modernisierte ‘naturalis- tische Fehlschluss’ unter Bezug auf JESSELs oben zitierte Erläuterung zum formal zulässigen Schluss von Werten auf Werte umformuliert werden: ‘ein deduktiver Schluss, dessen Prämissen’ normativen Charakter haben und ‘des- sen Konklusion normativen Charakter hat’ [JESSEL 1999: 49]. Die zweite Varian- te ist ein unvollständiger ‘naturalistischer Fehlschluss’, dessen Wertzuweisung, die in der ersten Variante impliziert ist, verfahrenstechnisch ausgegliedert wird. So gesteht JESSEL letztlich ein, dass „zwar keine logische, wohl aber eine fak- tische Abhängigkeit von Sein und Sollen“ bestehe [JESSEL 1999: 58]. Diese ‘fak- tische’ Abhängigkeit wird in der Landespflege über die Leitbildnerei gewährleis- tet. Weil in der Bewertung der Daten Werte vorausgesetzt seien, käme es in der Leitbildmethode darauf an, die Wertzuweisung transparent zu machen [vgl. HAAREN 1999: 23; JESSEL 1999: 59]. Meinungsleitbilder „Die Leitbildentwicklung ist der Prozeß, an dessen Ende ein bestimmter Satz (ein Werturteil eines Zielsystems) für einen bestimmten Fall akzeptiert wird und aus dem, abhängig vom Konkretisierungsgrad und der Raum-Zeit-Skala, auf die Be- zug genommen wird, nach Abwicklung der Bewertung ein mehr oder weniger kon- kreter Handlungsbedarf (von Unterlassung bis zu speziellen Maßnahmenkatalo- gen) folgt“ [BRÖRING et al. 1999: 5]. Die Autoren unterscheiden zwischen einer ‘Bewertung II’, die das leitbildorien- tierte Bewertungsverfahren ‘vollzieht’, also den unvollständigen naturalisti- schen Fehlschluss operationalisiert, und einer ‘Bewertung I’, mit der die vor- gängige Wertzuweisung stattfindet. Angesichts der zentralen Bedeutung, die dem Leitbild für die Bewertung und Umsetzung zugesprochen wird, interessiert 132 die ‘Leitbildfindung’ und in Bezug auf die Wertgebung die ‘diskursive Leitbild- findung’. „Wichtiges Hilfsmittel zur Durchführung bzw. Förderung des Diskurses ist die Ent- wicklung von Szenarien, die unter bestimmten Bedingungen mögliche Zukünfte beschreiben. Anhand solcher im Regelfall von Experten im einzelnen ausgearbei- teten Szenarien können Maßnahmenkataloge, die aus Soll-Ist-Abgleichen (Bewer- tung I) resultieren, im einzelnen beurteilt und Entwicklungen unter bestimmten Bedingungen prognostiziert werden. Durch die anschauliche Aufbereitung und die Gegenüberstellung verschiedener, Alternativen aufzeigender und aus unter- schiedlichen Leitmotiven und Leitbildern gespeister Szenarien können Auswirkun- gen beurteilt, Bedingungen, unter denen die Ziele tatsächlich zu realisieren sind, gesetzt, Rechtfertigungen diskutiert, planerische und rechtliche Vorgaben abgegli- chen und damit Entscheidungen vorbereitet werden (Bewertung I). Voraussetzung für echte Diskursivität ist dabei die Gegenüberstellung verschiedener Leitbilder und Szenarien, die im offenen Dialog diskutiert werden können“ [BRÖRING et al. 1999: 13]. Von Experten formulierte Szenarien, die aus Leitbildern gespeist würden, seien also Hilfsmittel zur Diskussion über die angebotenen Leitbilder. Lässt schon der Ausdruck ‘echte Diskursivität’ aufmerken, so stellt sich heraus, das die dis- kursive Leitbildentwicklung unter der Anleitung von Experten stattfindet, die, wie die Autoren herausstellen, die werthaltigen Leitbilder zu Szenarien trans- formieren. In diesem Zusammenhang bekommt die ‘Diskursethik’, „wonach nur Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung prinzipiell aller Be- troffenen als Teilnehmer eines herrschaftsfreien Diskurses finden“ [JESSEL 1999: 54], eine interessante Wendung. Der Spielraum der Diskussion wird durch „Rahmen oder Eckpunkte“ [HAAREN 1999: 29], die von Experten gesetzt werden, beschränkt und sodann genutzt, um über „Gutachten und Argumente hinweg Verschiebungen der herrschenden Meinung“ [JESSEL 1999: 55] herbeizuführen. In diesem Zusammenhang der meinungsbildenden Kraft von naturschutzfach- lichen Gutachten, denen die normativen Prämissen des Naturschutzes, „der naturschutzfachliche Wert“ [JESSEL 1999: 53], eingeschrieben sind, betont JESSEL: „Naturschützern fällt es oft schwer, [...] vorgefundene Werthaltungen [...] zu akzeptieren“ [JESSEL 1999: 55]. Im öffentlichen Meinungsaustausch wird die Experten-Meinung angefragt. Nun könne aber landespflegerische Gutachten, wenn sie über vereinheitlichende Leitbilder in der Wertgebung gleichgeschaltet sind, auf die öffentliche Mei- nungsbildung propagandistisch wirken. Den Experten käme damit ein techno- kratisches Programm zu, das zugleich verdinglicht und ideologisch ausgerich- tet ist217. Diese doppelte Strategie der Versachlichung und Ideologisierung fin- det sich in der Standardisierung der Daten und Quantifizierung der Werte wie- der [z.B. BRÖNING et al. 1999: 11]. „Meßtheoretisch bedeutend ist die Formulierung von Zielen (Leitbildern) und Fak- ten (Daten) in der gleichen Sprache“ [BRÖRING et al. 1999: 11]. WIEGLEB weitet diese Forderung zur messtechnischen Relevanz von Leitbil- dern und Daten auf die diskursive Leitbildentwicklung aus, d.h. auf die voran- geordnete Wertgebung in der Leitbildfindung. 217 Auf diesen Zusammenhang innerhalb der Landespflege sind wir schon in den Kapiteln: ‘Die Exper- ten-Sprache der Landespflege’ und ‘Landespflegerische Technokratie’ eingegangen. 133 „Sowohl der Strang der Zielentwicklung als auch der der Datenerhebung müssen Ergebnisse hervorbringen, die in der ‘gleichen’ Sprache gehalten sind, d.h. gleiche Meßgrößen und gleiche raumzeitliche Bezugsskalen haben“ [WIEGLEB 1999: 40]. Die Vereinheitlichung der ‘Sprache’ in der Leitbildentwicklung (Zielentwicklung) entspricht der Einschränkung des Diskurses in der Naturschutzdiskussion, in- nerhalb der verschiedene Leitbilder abgewogen werden sollen, um mit dem Leitbild konsensfähige Werte festzulegen. Dabei wären die obersten Werte für die Leitbildfindung aus rechtlichen Vorgaben abzuleiten, legt WIEGLEB nahe. „Die vier Grundmotive ‘Naturnähe’, ‘Biodiversität’, ‘Nachhaltigkeit’ und ‘Kulturland- schaft’ sind allgemein durch Gesetze, Verordnungen und internationale Verträge anerkannt, werden jedoch oft als Worthülsen in die Diskussion geworfen“ [WIEGLEB 1999: 42]. Weil diese Grundmotive keine Worthülsen, sondern allgemeine gesellschaftli- che Normative seien, können sie als oberste Werte in die Diskussion einge- bracht werden, an denen sich die Diskussion zu orientieren hätte, da sie als rechtliche Vorgaben der Entscheidung innerhalb des naturschutzfachlichen Diskurs entzogen und verordnet seien. Die Gesetzesgrundlage gilt als objekti- ve Wertgrundlage und die Rechtskonformität (Legalität) als Legitimation. Die landespflegerische Leitbildnerei folgt dem autoritätsbezogenen Dezisionis- mus218. „Rechtsverbindlichkeit [der Leitbilder] bedeutet dabei nicht unmittelbare Durchset- zung, aber konkrete Vorhaben dürfen auch nicht in direktem Widerspruch dazu stehen. Reglungsbedarf ist gegeben, wenn amtliche Leitbilder nicht mehr dem Stand der Wissenschaften entsprechen“ [BRÖRING et al. 1999: 5]. Mit dem Regelungsbedarf, dass amtliche Leitbilder idealiter „dem Stand der Wissenschaften entsprechen“ sollten, fordern BRÖRING ET AL. implizit, dass „wissenschaftlich begründetete Leitbilder“, die „in der Diskussion oft unvermit- telt zwischen rein politischen Leitbildern“ ständen [BRÖRING et al. 1999: 5], in der Leitbildfindung besonders berücksichtigt werden müssten. Die Wissenschaft soll also über Experten-Leitbilder rechtliche und administrative Vorgaben mit- bestimmen. Das mittels Leitbildmethode diskursiv demokratisierte Leitbild folgt damit letztlich wieder der Bevormundung der Landespfleger, die das Recht von Natur und Landschaft wahrten. Der autoritätsorientierte Dezisionismus der Landespflege belegt deutlich die Kontinuität in der Diskussion um die Leitbild- nerei, die seit rund 200 Jahren geführt wird, um immer wieder herrschaftskon- forme und vereinnahmende ‘Leerformeln’ zu entwerfen. Systematik zur Leitbildnerei Verwendungsweisen von ‘Leitbildern’ in der Landespflege GAEDE und POTSCHIN geben fünf Differenzkriterien für Leitbilder, die sie von anderen Begriffen219 unterscheiden, die in der Landespflege häufig im Zu- sammenhang mit Leitbildern benutzt werden [GAEDE/POTSCHIN 2001: 24]. 1. Leitbilder seien normativ 2. Leitbilder gäben keine Aussagen zur Realisierbarkeit. 218 Leitbilder kommen in ihrer unverbindlichen Verbindlichkeit dem Dezisionismus entgegen; siehe zum Dezisionismus in der Landespflege auch das Kapitel: ‘Affinität zur Herrschaft’. 219 Szenarien, Prognosen, Konzeptionen, Pläne und Einzelziele. 134 3. Leitbilder betonten nicht das Verhältnis zwischen Zielen und Maßnahmen. 4. Leitbilder enthielten keine Aussagen zur Koordination von Maßnahmen. 5. Leitbilder stellten eine umfassende Zielbestimmung dar. Die Kriterien entsprechen der ‘unbestimmten Normativität’ der Leitbilder, die auf eine möglichst breite Zustimmung der Interessengruppen ausgelegt sind. Das ‘Leitbild’ wird in Texten, die das Leitbild reflektieren auf drei Weisen ein- gesetzt, in denen es als Ziel, Programm oder Paradigma erscheint. Das Leitbild ist ein ‘Ziel’, das a) der Planung vorgesetzt ist220, oder b) die Entwicklung des Gegenstandes leiten soll221, dessen Entwicklungsziel dann auch Vision oder Utopie ge- nannt wird. Gerade die Leitbilder, die als Entwicklungsziele fungieren, werden häufig als flexible Leitbilder bezeichnet, die immer wieder an den Prozess und die neuen Erforder- nisse angepasst werden sollen. Das Leitbild ist ein ‘Programm’, das a) zur Integration der Fachplanung in den Planungs- kanon und die Planungshierarchie222 oder b) zur Abstimmung der Vorgehensweise in der Planung dient223. Das Leitbild soll die Einpassung der Landespflege in die Verwaltung gewährleisten und ihre Position in Konkurrenz zu anderen Planungsdisziplinen sichern. Das Leitbild ist ein ‘Paradigma’, das der Profession als gemeinsame Grundlage oder zur Konstitution ihres Gegenstandes dient224. In diesem Sinne wird das Leitbild als vorgängi- ge Notwendigkeit jeder Erkenntnisweise behauptet. Ein Denken ohne Leitbild scheint nicht möglich. Wären die Verwendungsweisen trennscharf unterschieden, dann könnte auf die missverständliche Bezeichnung ‘Leitbild’, die zu Homonymen und Ver- wechslungen führt, verzichtet, und sie durch die präzisere Charakterisierung ersetzt werden. Dies verhält sich im landespflegerischen Schrifttum nicht so, denn die sprachliche Verwendung des ‘Leitbildes’ schwankt häufig schon in- nerhalb eines Textes zwischen mehreren Bedeutungsweisen. Das Wort ‘Leit- bild’ ermöglicht somit Polyvalenzen, die den Sinn verschieben und den Begriff der präzisen inhaltlichen Kritik entziehen. Umgekehrt wird das Leitbild dadurch für die Propaganda außerordentlich fruchtbar, da es in vielen Bedeutungen schillert. Denn es kann in verschiedenen Rezeptionsweisen unterschiedlich ausgelegt werden, ohne auf den ersten Blick in einen Widerspruch zu geraten. Diese Ambiguität des Leitbildes tritt auch in der Diskussion über die Leitbildne- rei in Erscheinung. Zur Leitbildnerei werden die Meinungen vertreten, dass Leitbilder notwendig, legitimationsbedürftig, brauchbar oder schädlich seien. Leitbilder seien notwendig und grundsätzlich akzeptierbar: Diese Position wird in den meis- ten Texten zum Leitbild vertreten. Leitbilder seien notwendig, aber das jeweilige Leitbild wäre legitimationsbedürftig: Zwar tei- len Autoren, die diese Position vertreten, die Ansicht, dass Leitbilder notwendig seien, sehen aber ein Legitimationsproblem der Leitbilder in der demokratisch verfassten Ge- sellschaftsordnung. Daher fordern sie Bürgerbeteiligung, runde Tische und Mediations- verfahren, um diskursiv die richtigen, akzeptablen Leitbilder zu finden. Leitbilder wären nicht notwendig, aber unter Umständen brauchbar: Diese Position erkennt an, dass es Planungen ohne Leitbilder gibt, lehnt Leitbilder aber nicht grundsätzlich ab, sondern plädiert für einen abwägenden Einsatz unter bestimmten Bedingungen z.B. dass sie faktisch bzw. rechtlich eingefordert werden. 220 DITTRICH 1961; BUCHWALD et al. 1964 221 BfN 1997; MARSCHALL 1999; HAAREN 1999; STIERAND 1999; MOISMANN et al. 2001 222 BUCHWALD 1964; BUCHWALD et al. 1964 223 BRÖRING et al. 1999; WIEGLEB 1999 224 PENKER 1986; BECKER et al. 1998 135 Leitbilder sind nicht notwendig und schädlich: Diese grundsätzliche Kritik der Leitbildnerei stellt nicht nur heraus, dass Planungen ohne Leitbilder grundsätzlich möglich sind, son- dern behauptet darüber hinaus, dass sie mit Leitbildern unmöglich sind. Auf der Handlungsebene und in der Leitbild-Diskussion der Landespflege do- minieren die ‘landschaftlichen Leitbilder’225, denen die (affirmative) Definition entspricht, die GAEDE und POTSCHIN zum Leitbild aufstellen: „Ein Leitbild beschreibt den angestrebten Zustand für einen Raumausschnitt oder einen bestimmten Sachverhalt in umfassender Weise, wobei unterschiedliche primäre Ziele ihrem beigemessenen Gewicht gemäß Berücksichtigung finden. Systemimmanente Zielkonflikte sind in diesen Leitbildern durch vorziehende oder ausgleichende Abwägung bewältigt“ [GAEDE/ POTSCHIN 2001: 25]. Sprachliche Formierung von Leitbildern Leitbilder sind in einer symbolischen Ordnung formuliert und symbolisch figu- riert, weshalb ihre charakteristischen Merkmale semiotische bzw. sprachliche Eigenschaften sind226. Dem visuellen Leitbild entspricht die ‘Visiotype’, die UWE PÖRKSEN analog den ‘Plastikwörtern’ charakterisiert227. „Die globalen visuellen Zeichen sind strahlkräftige Stereotype: Schlüsselbilder. Sie sind umgeben von einem starken Assoziationshof von Gefühlen und Wertungen, sind ’konnotationsstark’, wie man sprachwisenschaftlich sagen könnte. Es geht eine beträchtliche Bannkraft von ihnen aus. Mehr noch als von der Visiotypie im allgemeinen läßt sich von den einzelnen Visiotypen sagen, daß sie die Gesell- schaft binden“ [PÖRKSEN 1997: 28f]. Plastikwörter Das bedeutendste sprachliche Charakteristikum der Leitbilder besteht darin, dass sie mit ‘Plastikwörtern’ ausgestaltet werden. Die Leitbildnerei schneidet aus diesem Feld der Plastikwörter Segmente heraus, die sie für die Formie- rung des Leitbilds benötigt: „Man könnte diese Wörter Alltagsdietriche nennen. Sie sind griffig, und sie sind der Schlüssel zu vielem, sie öffnen riesige Räume. Sie infizieren ganze Wirklich- keitsfelder und sorgen dafür, daß die Wirklichkeit sich auf sie, als ihre Kristallisati- onspunkte, zuordnet“ [PÖRKSEN 1988: 17]. Der Sprachwissenschaftler PÖRKSEN definiert Plastikwörter allgemein mit der sprachlichen Eigenschaft, dass sie nicht ohne weiteres mit anderen Worten umschrieben werden können [PÖRKSEN 1988: 22f]. In ihrer amorphen Semantik [PÖRKSEN 1988: 28], die einen konnotativen Überschuss ausweist [PÖRKSEN 1988: 22], sprächen sie für sich selbst und erschienen im Text als selbstver- ständliche Wortautorität [PÖRKSEN 1988: 31f]. Werden diese Wortautoritäten mit ergänzenden Substantiven kombiniert, tritt ein linguistischer Transfer ein, der das Plastikwort konnotativ anreichert [PÖRKSEN 1988: 55], zugleich wirkten die- se auf das sprachliche Umfeld zurück, das sie dominieren [PÖRKSEN 1988: 75]. Dadurch färben Plastikwörter zunächst den Text semantisch ein, den sie dann losgelöst von seinem Thema strukturell bestimmen. Diese Form der Übertra- 225 Siehe dazu auch die Kapitel: ‘Leitbildnerei in der Landespflege’ und ‘Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’’. 226 Die Semiotik ist untergliedert in: Semantik, die Lehre von der Bedeutung der Zeichen, Pragmatik, die Lehre von der Verwendung der Zeichen, und Grammatik, die Lehre von der Struktur der Zeichen. 227 Die Visiotype wird im Kapitel: ‘Visiotypie’ erläutert. 136 gung findet z.B. statt, wenn der positiv bewertete Begriff ‘Nachhaltigkeit’ mit ‘Ent-wicklung’ so zusammengestellt wird, dass eine Entwicklung als nachhaltig charakterisiert wird. Die Entwick-lung, die scheinbar naturnotwendig abläuft, wird als ‘nachhaltige’ positiv bewertet. Ein Text, in dem ‘nachhal-tige Entwick- lung’ als Ziel angegeben wird, erscheint über die gute Absicht, die im Plastik- wort mitklingt, zu-stimmungswürdig und die in ihm geforderten Maßnahmen gerechtfertigt. Im Allgemeinen sind die aus den Plastikwörtern ableitbaren Verben intransitiv [PÖRKSEN 1988: 33], das heißt sie vollziehen ohne Subjekt des Vollzugs, wo- durch sie selbst als handelnde Autorität erscheinen: „Die Entwicklung entwi- ckelt“ [PÖRKSEN 1988: 35] – indem sie sich gleich einem Naturgesetz ereigne- ten. Mit diesem tritt eine weitere Auffälligkeit von Plastikwörtern ins Blickfeld: die Abstraktion von den konkreten Situationen. Die konnotativ stereotypen Plastikwörter, die weniger den Gegenstand beschreiben oder bezeichnen als bedeuten [PÖRKSEN 1988: 38], wirken in der Umgangssprache hochgradig abs- trakt [PÖRKSEN 1988: 64] und ermöglichen damit, in der Debatte von den lokalen Besonderheiten zu abstrahieren228 [PÖRKSEN 1988: 75 ,79]. Aus der Wissenschaftssprache stammend, aber nicht mehr terminologisch be- stimmt, fungieren sie in der Umgangssprache als Metaphern. Metaphern kön- nen zwar „die Ankunftssphäre aufschließen, erhellen und neu ordnen“, um an- gemessenere Erkenntnisse zu ermöglichen, können aber gleichfalls „die An- kunftssphäre entstellen“ [PÖRKSEN 1988: 91]. Die Möglichkeit, mit Plastikwörtern die Situation zu entstellen, nutzen Experten in Verwaltung und Politik glei- chermaßen [PÖRKSEN 1988: 92]. Daher eignen sich Plastikwörter besonders gut für normative Diskursstrategien. Experten deuten mit Hilfe von Plastikwörtern politische Entscheidungen in Sachzwänge und deren Folgen in anonyme Sachverhalte um, definieren unter diesen ‘Bedingungen’, was machbar sei, und leiten dann aus der lautlos gemachten als selbstverständlich erscheinen- den Sachlage scheinbar sachlich objektive Wertvorstellungen ab [PÖRKSEN 1988: 95]. Mit Plastikwörtern kann Geschichte in Natur verwandelt werden229. Wie dies vermeintlich selbstläufig ‘geschieht’, analysiert Pörksen ausführlich anhand des Sprachgebrauchs [vgl. PÖRKSEN 1988: 41ff]. Kolonisierung der Lebenswelt Plastikwörter sind Vokabeln, die aus einem wissenschaftlichen Zusammen- hang stammen, in dem sie elaboriert und reflektiert sind, und über die popu- lärwissenschaftliche Berichterstattung sowohl allgemeine wissenschaftliche Reputation erhalten als auch außerwissenschaftlich populär werden. Die in der Alltagssprache entwickelten Worte durchlaufen den wissenschaftlichen Sprachgebrauch, werden darin terminologisch bestimmt und können als Meta- phern ohne wissenschaftlichen Gehalt wieder in die Umgangssprache über- nommen werden: 228 Dadurch, dass Plastikwörter ermöglichen, von dem Besonderen, dem eigentümlichen Ort und sei- ner Geschichte, zu abstrahieren, erscheinen Leitbilder, die mit Plastikwörtern ausstaffiert sind, als kon- sensfähige Formeln, denen ‘man’ zustimmen müsste. Die konkreten Interessenskonflikte verschwin- den in dem harmonischen Bild des Ganzen bzw. dessen globaler Bedrohung. 229 Mit Leitbildern, die so selbstverständlich erscheinen, als ob sie der Kritisierbarkeit entzogen wären, werden ‘Sachzwänge’ suggeriert, denen die lokale Entscheidungsfindung zu folgen hätte. Siehe dazu das Kapitel: ‘Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’’. 137 „Populäre, umgangssprachliche Begriffe werden in die Wissenschaft oder in eine andere höhere Sphäre übertragen, erhalten hier das Aussehen allgemeingültiger Wahrheiten und wan- dern nun, autorisiert, kanonisiert, in die Umgangssprache zurück, wo sie zu domi- nierenden Mythen werden und das Alltagsleben überschatten“ [PÖRKSEN 1988: 18]. Zu Plastikwörtern werden diese fachwissenschaftlich reflektierten Termini, wenn sie aus dem Ursprungskontext ohne die spezifische reflexive Bestimmt- heit in andere Diskurse übernommen werden, wobei sie zwar ihre formale Re- putation behalten, aber ihre terminologische Präzision verlieren. „Wissenschaftswörter in der Umgangssprache sind keine Wissenschaftswörter mehr. [...] Der Terminus wird in der Umgangssprache zum amorphen Plastikwort“ [PÖRKSEN 1988: 57f]. In dem Zusammenhang, dass Plastikwörter die Alltagssprache durchziehen, spricht PÖRKSEN von einer Mathematisierung der Sprache, womit er nicht meint, dass die Alltagssprache mit mathematischen Begriffen oder Definitionen angereichert sei, sondern sie von einem abstrahierenden Sprachgestus durch- setzt würde, der in der hoch formalisierten Fachterminologie der Mathematik, aber auch in der Ökonomie, Soziologie und den Naturwissenschaften ange- wendet wird. Was in der Fachsprache im Hinblick auf den spezifischen Ge- genstand sinnvoll ist, wirkt in der Umgangssprache verheerend, weil sie ande- re Gegenstände betrifft, die dann vom abstrakten, szientistischen Sprach- gebrauch deformiert werden. Die aufklärende Seite der wissenschaftlichen Ra- tionalität, dass prinzipiell alles jedem einsichtig sein kann [WEBER 1919: 19], schlägt in Mythologie um, wenn die wissenschaftliche Konzeption und Fach- terminologie in blindem Fetischismus verallgemeinert und auf inadäquate Ge- genstände angewandt wird [WEBER 1919: 24f; PÖRKSEN 1988: 90]. „Die Wissenschaft entzaubert nicht nur, sie verzaubert auch“ [PÖRKSEN 1988: 90]. Dazu werden fachliche Leitbilder, häufig in Form von Modellen entworfen: z.B. Block-Pfeil-Diagramme, Kurven in Koordinatensystemen, um nur die beliebtes- ten Wissenschaftsfetische zu nennen. Die Verwissenschaftlichung erlangt in der Moderne einen ausgezeichneten gesellschaftlichen Stellenwert. Seit dem 18. Jahrhundert erlangten klassische Topoi, die zur Beschreibung gesell- schaftsgeschichtlicher Phänomene genutzt wurden, einen erhöhten Abstrakti- onsgrad [PÖRKSEN 1988: 47]. „Vermutlich ist der hohe Abstraktionsgrad der Plastikwörter ihre wirksamste Ei- genschaft; er ist es, der das Feld der Sprache und der ihnen antwortenden Sa- chen planiert“ [PÖRKSEN 1988: 79]. Die Plastikwörter kolonisieren zuerst die Alltagssprache und dann über diese deformierte Sprache die politische Willensbildung und das Alltagsleben, sofern sie sprachlich vermittelt werden. Sie prägen ein semantisches Feld, das auf ihre symbolische Umgebung abfärbt und in der Verständigung über Handlun- gen auf die Gestaltung der dinglichen Welt wirkt. Diese Kolonisierung der Welt durch die Plastikwörter implantiert wissenschaftliche Begriffe als Metaphern in die Umgangssprache [PÖRKSEN 1988: 22]. 138 „Diese Übertragung wird kaum noch bewußt und wirkt deshalb um so selbstver- ständlicher. Die Chance der praktischen Kolonisation unserer Welt beruht nicht zuletzt darauf, daß ihr eine metaphorische vorausgeht“ [PÖRKSEN 1988: 93]. Die Kolonisierung der Lebenswelt erläutert JÜRGEN HABERMAS durch die Un- terscheidung zwischen symbolisch vermittelter Interaktion, die in „der soziokul- turellen Lebenswelt“ angesiedelt ist, und instrumenteller Rationalität, die in „den Sub-Systemen zweckrationalen Handelns“ eingebettet ist [HABERMAS 1968: 65]. Die Kolonisierung der Lebenswelt findet statt, wenn die Perspektive der Zweckrationalität auf die Lebenswelt angewendet wird, wodurch kommuni- katives Handeln, das auf Sinn ausgerichtet ist, durch instrumentelles Verwalten und Regulieren ersetzt werden soll, das auf Funktionieren ausgerichtet ist230. Auf diese Weise wird den Menschen ein Verhaltensschema geliefert, das in ihrer Selbstdeutung auf ein „positivistisches Gemeinbewußsein“ hinausläuft [HABERMAS 1968: 90]. „Die Entpolitisierung der Masse der Bevölkerung, die durch ein technokratisches Bewußtsein legitimiert wird, ist zugleich eine Selbstobjektivation der Menschen in Kategorien gleichermaßen des zweckrationalen Handelns wie des adaptiven Ver- haltens: die verdinglichten Modelle der Wissenschaften wandern in die soziokultu- relle Lebenswelt ein und gewinnen über das Selbstverständnis objektive Gewalt. Der ideologische Kern dieses Bewußtseins ist die Eliminierung des Unterschieds von Praxis und Technik [...]“ [HABERMAS 1968: 91]. Diese Kolonisation und ihre Plastikwörter entstammen vor allem den drei Dis- kursen der Wissenschaft, der Ökonomie und der Verwaltung, die einander durchdringen und ihre Wirkung verstärken [PÖRKSEN 1988: 94]: „Fachlichkeit ist ihr Bindeglied. Experten sind ihre Organe“ [PÖRKSEN 1988: 94]. Verwaltungsstil In der profan gewordenen Welt erlangt die Wissenschaft das gesellschaftliche Ansehen, das vordem die Religion genoss, und die Wissenschaftler geraten in den sozialen Rang, den ehedem die Priester innehatten, was die Selbstver- ständlichkeit der Plastikwörter verstärkt. „Dem 20. Jahrhundert fehlt es nicht an Glaubenskraft. Die Wissenschaft ist eine Volkskirche, ihr Heilsapparat wird von Experten verwaltet“ [PÖRKSEN 1988: 88]. Das mit dem wissenschaftlichen Begriff homonyme Plastikwort ist zwar nur- mehr ein scheinbarer Terminus, behält aber in der Umgangssprache den wis- senschaftlichen Nimbus bei [PÖRKSEN 1988: 54]. Diesen Nimbus nutzt der Ex- perte, als Sachwalter der angewandten Wissenschaft, Technik, um seine Vor- schläge als sachlich notwendige Maßnahmen zu autorisieren. „Der Experte versteht etwas von seiner Sache; aber seine stärkste Autorität be- zieht er aus der zu ihr gehörenden Sprache, aus dem Gestus des unparteiischen wissenschaftlichen Spezialisten“ [PÖRKSEN 1988: 96]. Der Experte, der seinem Selbstverständnis nach zwischen Wissenschaft und Gesellschaft steht, ist das Organ, das die Plastikwörter in den öffentlichen Dis- 230 In der ‘Theorie des kommunikativen Handelns’ legt HABERMAS dar, dass die Kolonisierung der Le- benswelt auch auf symbolisch vermittelter Interaktion beruht, die – ohne auf Tradition zurückgreifen zu können – nicht mehr in der Lage ist, die instrumentalisierten Lebensbereiche zu synthetisieren (inner- halb seiner ‘symbolischen Ordnung’ zu integrieren); das Alltagsbewusstsein wird fragmentiert [HABERMAS 1981: 520ff]. 139 kurs einspeist, die als objektive, normative Vorgaben der Wissenschaft dienen, an denen er seine Maßnahmen orientiert. Er operiert im Bewusstsein eines wissenschaftlichen Sachzwangs, dem die politische Entscheidung Folge zu leisten hätte. „Der Experte deutet Entscheidungen von Menschen um in Sachzwänge [...,] defi- niert unter der Voraussetzung der unaufhörlichen Neuzeit, was machbar ist, und weist auf die Grenzen des Machbaren hin [...] und die praktischen Maßnahmen, die er vorschlägt, dienen der Verwirklichung dessen, was in den lautlosen Selbst- verständlichkeiten des Alltags als Wertvorstellungen enthalten ist“ [PÖRKSEN 1988: 95]. Mit Hilfe dieser Strategie presst der Experte die Welt sprachlich in eine Form, in der sie verwaltungskonform erscheint [PÖRKSEN 1988: 75]. Die sprachlichen Netze der Plastikwörter, die starr in ihrem Aufbau, aber beliebig in ihrer An- wendung auf unterschiedlichste Themenfelder sind, geben den Verwaltungen ein universelles Muster zur Beschreibung ihrer Gegenstände [PÖRKSEN 1988: 73, 75]. „Das sektorentypische Vokabular wird ausgetauscht, die unauffälligen Plastikwör- ter bleiben. Nicht nur sie, alles übrige kann bleiben: die blassen Verben, die nichtssagenden, verstärkenden Adjektiva und die Hohlform der Syntax. Der Ver- waltungsstil ist ein versetzt anwendbarer Prägestock“ [PÖRKSEN 1988: 75]. Diese universelle Stereotypik des Verwaltungsstils ist aber „nicht nur leer. Sie ebnet das Gelände“ [PÖRKSEN 1988: 75] für die politischen Entscheidungen, die in den Berater-Gremien fallen, und deren administrativen Maßnahmen. In der verwaltungskonformen Weltbeschreibung der Experten, die sie durch die Plas- tikwörter erstellen, wird aus diesen zugleich ein allgemeines und notwendiges Vorhaben ableitbar [PÖRKSEN 1988: 101]. „Diese Sprache deutet Vorhaben um in Projekte und macht aus Projekten Institu- tionen“ [PÖRKSEN 1988: 101]. Soziale Widerstände und Widersprüche werden durch die Verwaltungssprache als technisch handhabbar beschrieben, damit aber der politischen Debatte entzogen und auf die sachliche Ebene verlagert, für die Experten-Gremien (Sachverständigenrat, Fachausschuss, Enquete-Kommission) zuständig sei- en231. „Vor das in Aufruhr Befindliche tritt eine beruhigende Sprachfassade. Darin be- steht in bösen Zeiten die Funktion der verformelten ritualisierten Nachrichtenspra- che: sie bannt das Schreckliche durch die Sprache fachgerechter Verwaltung“ [PÖRKSEN 1988: 106]. PÖRKSEN zitiert TOCQUEVILLES, der den Sprachgebrauch der demokratischen Gesellschaftsordnungen charakterisiert, in denen die Politiker auf eine Wahl- periode legitimiert und prinzipiell abwählbar sind: „Da sie nie wissen, ob der Gedanke, den sie heute aussprechen, der neuen Lage von morgen angemessen sein wird, neigen sie naturgemäß zu abstrakten Ausdrü- cken“ [PÖRKSEN 1988: 60]. Demnach wären gerade Machthaber, die sich demokratisch legitimieren müs- sen, anfällig für sprachliche Strategien, die die realen Verhältnisse verleugnen, 231 Dementsprechend dient das Leitbild als Programm und zur institutionellen Einbindung der Landes- pflege und der Menschen. 140 um sich nicht verantworten zu müssen. Da die soziale Situation mittels Plas- tikwörtern sprachlich deformiert, harmonisiert und transformiert werden kann, erscheinen sie in der politischen Debatte zukunftsträchtig. Seit Ende des 18. Jahrhunderts erlangten politische Begriffe eine neue (zeitliche) Semantik, die sie auf die Zukunft bezieht [KOSELLEK 1989]. „’Das Verhältnis des Begriffs zum Begriffenen’ kehrt sich um, verschiebt sich ‘zu- gunsten sprachlicher Vorgriffe, die zukunftsprägend wirken sollen. So entstehen Begriffe, die über das empirisch Einlösbare weit hinausweisen, ohne ihre politi- sche oder soziale Tragweite einzubüßen’“ [PÖRKSEN 1988: 48]. Politik wird sprachlich zum Projekt, ein Entwurf, der, wenn überhaupt, dann erst in der Zukunft geprüft werden könnte. Der Experte, der „als Anwalt des Fortschritts“ auftritt, winkt mit der Zukunft und entlastet sich durch sie“ [PÖRKSEN 1988: 97]. Wie KARL POPPER gezeigt hat, können politische Projekte nicht empirisch scheitern, wenn ihre Prämissen so abstrakt formuliert sind, dass die ‘falsche Zukunft’ den Störgrößen wie der konkreten geschichtlichen Lage oder der Dummheit der Menschen angelastet werden kann. Die Zukunft, in der sich die Projekte bewähren, wird somit immer wieder aufgeschoben und dem Experten zu einer ‘Zukunft an sich’. „Die Zukunft ist der Raum für die Einlösung aller seiner Vorhaben“ [PÖRKSEN 1988: 97]. Mittels Plastikwörtern entworfene Leitbilder können somit nicht scheitern, wenn sie geschichtlich nicht eingelöst werden. Dies zeichnet sie als ideale Argumen- te im politischen Machtkampf aus, die ihre Agenten in Parteien, Administratio- nen, Sachverständigengremien und hinter Gutachten verborgen von der Ver- antwortung entbinden. Allerdings sind Plastikwörter und Leitbilder nicht nur in der öffentlichen Meinungsbildung angesiedelt. Wir finden sie auch in bestimm- ten Wissenschaften. Plastikwörter werden dazu benutzt, Wissenschaften mit niedrigem gesellschaftlichen Ansehen und geringer Präzision in der Termino- logie (sog. ‘weiche’ Wissenschaften) [HARD 1979: 21f] semantisch aufzuwerten; entfällt dann noch die reflektierte Theoriebildung, sind diese Professionen für Plastikwörter und Leitbildnerei insgesamt anfällig. PÖRKSEN nennt die Pädago- gik und Stadtplanung, wir können die Landespflege zwanglos hinzufügen. Diese Beschreibung, die PÖRKSEN von der sprachlichen Ebene der Leitbildne- rei gibt, zeigt, dass die Analyse der Leitbildnerei dieser auf den Leim ginge, wenn sie der Vorstellung folgte, dass das Leitbild eine dingliche Entität sei, d.h. einen außersprachlichen Referenten annimmt, an dem der Realitätsgehalt des Leitbilds geprüft oder das Leitbild widerlegt werden könnte. Das Leitbild ist kein Ding, sondern eine diskursive Strategie, die zunächst einmal semantisch wirk- sam ist. Mythisierung von Leitbildern Wie funktioniert diese Strategie? Zur Klärung dieser Frage können die Überle- gungen dienen, die der Semiologe ROLAND BARTHES zu ‘Mythen’232 formulierte, 232 Der religiöse Mythos, der verbindlichen Sinn formulieren soll, kann von den modernen Mythen un- terschieden werden, die in der entzauberten Welt beliebig geworden sind [HABERMAS 1968: 72]. „Der Mythos ist eine Sage, die mit dem Anspruch auf unbezweifelbarer Wahrheit behauptet, wie die Welt seit Anbeginn eigentlich ist. Die Mythen über die Entstehung der Welt dienen dazu, die gegenwärtige Welt als notwendige Konsequenz ihrer Schöpfung zu erklären, um die fraglichen Verhältnisse als sinn- 141 die den Alltag, vor allem über Werbung und politische Propaganda, durchdrin- gen. Der von ihm entwickelte Begriff des Mythos entspricht weitgehend dem des Leitbildes. Der moderne Mythos erfüllt eine ideologische Funktion, die auf einer semiotischen Grundlage beruht, von der die enorme Suggestionskraft des Mythos erklärt werden kann. Mythos und Ideologie ROLAND BARTHES beschreibt den Mythos als eine Aussage, die ihren Gegens- tand von seiner Gewordenheit, dass er hergestellt worden ist und ihm eine Ge- schichte zugrunde liegt, trennt233. Die mythische Aussage, die die Geschichte negiert und den Inhalt in bloßer Präsenz darstellt, erscheint als eine Feststel- lung über einen faktischen Sachverhalt, der für sich spräche. Im Mythos ma- chen die „Dinge [...] den Eindruck, als bedeuteten sie von ganz allein“ [BARTHES 1959: 132]. Dies geschieht darüber, dass die Bedeutung der Dinge den Dingen als Eigenschaft zuerkannt wird, weshalb ‘sich’ in der unkritischen Rezeption des Mythos „alles vollzieht [...], als ob das Bild auf natürliche Weise den Begriff hervorriefe, als ob das Bedeutende das Bedeutete stiftete“ [BARTHES 1959: 113]. „Der Mythos wird als ein Faktensystem gelesen, während er doch nur ein semio- logisches System darstellt“ [BARTHES 1959: 115]. Diese Verwechslung der Bedeutungszusammenhänge mit Kausalzusammen- hängen führt zur Naturalisierung der Bedeutung im Mythos, die scheinbar dem Wesen der Dinge innewohne234. Diese Ontologisierung ist das eigentliche „Prinzip des Mythos: er verwandelt Geschichte in Natur“ [BARTHES 1959: 113]. Damit dass der Mythos den Anschein erweckt, als hätten die Dinge von Natur aus diejenige Bedeutung, die in ihm behauptet wird, wird das geschichtslos Dargestellte entpolitisiert. Damit reagiert der Mythos auf eine allgemeine ge- sellschaftliche Disposition in hierarchisch strukturierten Gesellschaften, denn jede „herrschende Ordnung weist die Tendenz auf – allerdings auf unter- schiedlicher Stufe und mit je anderen Mitteln – ihren spezifischen Willkürcha- rakter zu naturalisieren“ [BOURDIEU 1976: 324]. Lieferte die Welt „dem Mythos ein historisches Reales, das durch die Art und Weise definiert wird, auf die es die Menschen hervorgebracht oder benutzt ha- ben“, so verlieren die Dinge „in ihm die Erinnerung an ihre Herstellung“, wo- durch das Reale „von Geschichte entleert und mit Natur angefüllt worden ist, die den Dingen ihren menschlichen Sinn entzogen hat“ [BARTHES 1959: 130f]. Im Mythos wird das Reale bar seines menschlichen Sinns festgestellt, weshalb BARTHES den Mythos als eine „entpolitisierte Aussage“ definiert [BARTHES 1959: 131]. Diese scheinbar entpolitisierte Welt, die im Mythos ausgesagt wird, liegt in volle zu legitimieren. Ihre Überzeugungskraft liegt nicht zuletzt in der Versicherung, daß das, was sinn- los erscheint, Sinn hat. Der traditionelle Mythos ist eine Welterklärung unter der Voraussetzung, daß es einen letztverbindlichen religiösen Sinn gäbe, hingegen der moderne Mythos diesen religiösen An- spruch nicht teilt, sondern durch die ‘Entzauberung der Welt’ [WEBER 1919: 19] möglich wird. Die moder- ne Mythologie ist ideologisch in dem Sinne, daß sie Weltbilder entwirft an jener Leerstelle, die die ver- lorene Religion hinterließ“ [LORBERG 2006: 100f]. 233 Für den Landschaftspark haben wir diese Trennung zwischen Bild und Geschichte im Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’ dargelegt. 234 Auch die imaginär-materielle Dublette Landschaft erlaubt, dass Bedeutung als Sache wahrgenom- men wird; siehe Kapitel: ‘Ontologisierung der Landschaft’. 142 der ideologischen Funktion des Mythos begründet [BARTHES 1959: 105], die die herrschenden Verhältnisse als natürliche feststellen soll235 [BARTHES 1959: 130]. „Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit, er gibt ihnen Klarheit, die nicht die der Erklä- rung ist, sondern die der Feststellung“ [BARTHES 1959: 131]. Damit spricht Barthes die moralische Voraussetzung der politischen Mythen an, dass sie „der Unverantwortlichkeit des Menschen“ zuarbeiten [BARTHES 1959:141]. Objekt- und Metasprache Wie wird diese Mythologisierung möglich? Unter dem erweiterten Textbegriff wird von Barthes der Mythos als ein Zeichensystem aufgefasst und daher se- miologisch analysiert [BARTHES 1959: 86f]. Zunächst unterscheidet Barthes den sprachlichen Umgang mit den Dingen, aus dem die Objektsprache resultiert, von der Rede über die Dinge, die zur Objektsprache eine Metasprache bildet. Die Objektsprache benennt die Dinge innerhalb eines Handlungszusammen- hangs, in dem diese relevant werden, und bezeichnet mit ihnen den Sinn einer Handlung, weshalb sie konkret ist, wenn sie von diesem oder jenem spricht [BARTHES 1959: 132, 134]. Das ‘Wirkliche der Semiose’, das die benennende Sprachhandlung übersetzt und mitteilt, wird als ‘Denotation’ bezeichnet [BARTHES 1963: 182]. ‘Konkret’ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass eine außersprachli- che Repräsentation benannt würde, sondern die Sprachhandlung des Benen- nens, die pragmatisch eine Relevanzstruktur herstellt, von der her Phänomene sprachlich entdeckt und in bestimmter Weise artikuliert werden. Insofern ist die Objektsprache „operativ und mit ihrem Objekt auf transitive Weise verbunden [...,] eine Sprache, mittels derer ich mit dem Objekt umgehe“ [BARTHES 1959: 134]. Die Angemessenheit der objektsprachlichen Bezeichnung ist am konkre- ten Handlungssinn und Erfolg der Benennung zu prüfen, weshalb sie nicht oh- ne weiteres Ideologieeffekte zeitigen kann. Hingegen spricht die Metasprache über die Dinge, auf die sie über die Objekt- sprache bezogen ist, weswegen ihre sprachpragmatische Relevanz nicht ohne weiteres prüfbar ist. In keinen konkreten Handlungszusammenhang mit den Dingen eingelassen, kann die Metasprache von ihnen und dem Handlungssinn abstrahieren, weil die Metasprache nur mehr „eine intransitive Beziehung“ zu den Dingen eingeht, die in ihr „ein zur Verfügung stehendes Bild“ werden [BARTHES 1959: 134]. Wird die erste denotative Mitteilung, deren Sinn in der konkreten Sprachhandlung liegt, innerhalb der Metasprache mit einer zweiten Mitteilung gedeutet, dann erfährt sie eine Konnotation [BARTHES 1963: 183] und wird ‘bedeutungsvoller’. Mit dem Bedeutungszuwachs wird die Aussage disku- tierbar, weil eine theoretische Abwägung der Sinnaspekte möglich und not- wendig wird, und hinsichtlich ihres konkreten Handlungssinns vieldeutiger bzw. deformierbar. Einerseits ist die Metasprache das Medium, in dem über den Sinn der angewendeten Objektsprache nachgedacht werden kann, indem Al- 235 Diese Verwandlung erfuhr auch der moderne Landschaftsbegriff mittels dem der ontologisierten Landschaft Normen beigelegt wurden, die als Natur erscheinen sollten; siehe Kapitel: ‘Ideologisierung der Landschaft’. 143 ternativen durchgespielt, Korrekturen und Präzisionen vorgenommen werden können, andererseits ist sie damit auch für Deformationen anfällig, die den ob- jektsprachlichen Sinn verfälschen. Die Metasprache ist daher „nicht voll und ganz mythisch, aber sie ist der Bereich, in dem der Mythos sich niederlässt; denn der Mythos kann nur auf Objekte wirken, die schon die Vermittlung einer ersten Sprache erfahren haben“236 [BARTHES 1959: 134]. Die erste Sprache, Ob- jektsprache, könne zwar unangemessen sein, aber niemals mythisch, weil die Möglichkeit, Mythen zu bilden, erst mit der Metasprache entsteht. Diese wie- derum enthielte zwar das Potential zur Mythenbildung, ohne dass sie ihr not- wendig wäre. Die Mythisierung ist auf der Ebene der Metasprache möglich. Die neuere Zeichentheorie besagt, dass das Verhältnis zwischen Bedeuten- dem und Bedeutung arbiträr sei, weil kein notwendiges Band zwischen dem Bedeutungsträger, dem Signifikanten, und dessen Sinn, dem Signifikat, auf- gewiesen werden kann [BARTHES 1959: 108]. „Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft, ist beliebig; und da wir unter Zeichen das durch die asoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten erzeugte Ganze verstehen, so können wir dafür auch ein- facher sagen: das sprachliche Zeichen ist beliebig“ [SAUSSURE 1967: 79]. Die Arbitrarität der Zeichen meint nicht, dass „die Bezeichnung von der freien Wahl der Person abhinge […]; es soll besagen, dass es unmotiviert ist, d.h. […] keinerlei natürliche Zusammengehörigkeit hat“ [SAUSSURE 1967: 80]. Was in der Sprache als natürliche Zugehörigkeit zwischen Signifikant und Signifikat erscheint, liegt in ihrer Gegebenheit begründet, in der sich die Sprechenden (selbstverständlich) wieder finden. Die gegenwärtige Sprache ist der Sprach- gemeinschaft auferlegt [SAUSSURE 1967: 83], kann aber von ihr im Laufe der Zeit durch die Sprachhandlungen verändert werden, wobei die allmählichen Veränderungen in der Sprache jeweils an die bestehende Sprache anknüpfen [SAUSSURE 1967: 87f, 93]. Das Zeichen besteht aus dem Signifikanten und dem Signifikat, weil weder ein Zeichen ohne Sinn, selbst wenn er als unbekannt identifiziert wird, noch ohne Bedeutungsträger, wie flüchtig er auch sein mag, vorgestellt werden kann. Der außersprachliche Referent, auf den ein Zeichen bezogen ist, kann nie ohne zeichenhaftem Verweis behauptet werden; er wird repräsentiert, so wie die je- weilige Evidenz, auf die gezeigt wird, gerade dadurch zeichenvermittelt ist. Der Philosoph CHARLES SANDER PEIRCE, neben FERDINAND DE SAUSSURE einer der Begründer der modernen Zeichentheorie, radikalisiert diese Einsicht und sagt, dass das gesamte Wissen zeichenvermittelt sei: „Das einzige Denken, das also möglicherweise erkannt wird, ist Denken in Zei- chen. Aber Denken, das nicht erkannt werden kann, existiert nicht. Alles Denken muß daher ein Denken in Zeichen sein“ [PEIRCE 1868a: 175]. Das heißt, dass die Objektsprache nicht durch das äußerliche Objekt qualifi- ziert werden kann, sondern lediglich durch den Bezug des Zeichens bzw. der Sprache auf ein Phänomen, das wiederum repräsentiert und interpretiert wird [PEIRCE 1868b: 199]. „Für was steht das Gedankenzeichen, was benennt es, was ist sein suppositum? Zweifellos der Gegenstand außerhalb von uns, wenn man an einen realen Ge- 236 Die ‘erste Sprache’ kann eine objektsprachliche oder metasprachliche Aussage sein. 144 genstand außerhalb von uns denkt. Aber da der Gegenstand durch einen vorher- gehenden Gedanken über dasselbe Objekt bestimmt wird, bezieht es sich den- noch nur auf den Gegenstand, indem es diesen vorhergehenden Gedanken be- zeichnet“ [PEIRCE 1868b: 200]. Das Zeichen, das zum außersprachlichen Referenten in einem abiträren Ver- hältnis steht und nicht durch ihn qualifiziert werden kann, wird durch die Diffe- renz zu anderen Zeichen bestimmt; diese Differenzierung der Zeichen (diffé- rance) ist ihnen konstitutiv [DERRIDA 1967b: 48; 1968: 114; vgl. FRANK 1989]. Die Sprache und andere Symbolsysteme werden nicht durch positiv erfüllte Zei- chen aufgebaut, sondern durch die Unterschiede. Der Sprachwissenschaftler DE SAUSSURE kommt daher zu dem Schluss: „daß es in der Sprachen nur Verschiedenheiten gibt. Mehr noch: eine Verschie- denheit setzt im allgemeinen positive Einzelglieder voraus, zwischen denen sie besteht; in der Sprache aber gibt es nur Verschiedenheiten ohne positive Einzel- glieder. Ob man Bezeichnetes oder Bezeichnendes nimmt, die Sprache enthält weder Vorstellungen noch Laute, die gegenüber dem sprachlichen System präe- xistent wären, sondern nur begriffliche und lautliche Verschiedenheiten, die sich aus dem System ergeben Was ein Zeichen an Vorstellungen oder Lautmaterial enthält, ist weniger wichtig als das, was in Gestalt anderer Zeichen um dieses herum gelagert ist“ [SAUSSURE 1967: 143f]. Die Konstellation der Zeichen zueinander, aus der sie ihre spezifische Funktion und Bedeutung erhalten, ist der Kontext, der wiederum nicht losgelöst von den Zeichen existiert, sondern schlicht eine differenzielle Struktur der Signifikanten ist. Dieser Kontext eines Zeichens kann wechseln, indem das Zeichen aus dem bisherigen Zeichenzusammenhang entfernt und mit neuen Zeichen kom- biniert wird, wodurch seine Bedeutung verändert wird. Behält der Signifikant dabei die Erinnerung an seine mitgebrachte Bedeutung bei, kann eine seman- tische Mythisierung vollzogen werden: beispielsweise wenn ein Signifikant aus einem agrarischen Handlungszusammenhang genommen und in einen ästhe- tischen Kontext gestellt wird, wie mit dem ‘Weidegrünland’ im Landschaftspark geschehen, aus dem es später in die Stadt versetzt wurde [HARD 1985]. Sprache ist allgemein eine Verkettung von Zeichen nach bestimmten konventi- onalen Regeln, die kommunizierbare Aussagen ermöglichen. Nun besteht die Objektsprache in der Zuordnung von Signifikanten und Signifikaten, von BAR- THEs auch Form und Begriff genannt, innerhalb eines Handlungszusammen- hangs, der symbolisiert wird (Sprachpragmatik). Das Zeichen erhält seinen Sinn im Gebrauch, der in der Sprache, genauer im Sprachvollzug vom Zeichen gemacht wird [WITTGENSTEIN 1945: 262]. Die Objektsprache ist gebrauchsabhängig, wenn etwas bezeichnet oder mitge- teilt wird. Der Sinn der Bezeichnung und damit die Bedeutung des Zeichens erweist sich innerhalb der Sprachhandlung daran, ob das Symbolisierte in der Kommunikation verstanden wird. Ist die Symbolisierung dem Handlungssinn angemessen, dann ist die Handlung kommunizierbar, d.h. der Sinn der Aussa- ge korreliert (im sozialen Tausch [MAUSS 1923]) mit dem Sinn der Handlung. Die Verständigung über den Sinn der Sprachhandlung ist in Kommunikations- gemeinschaften situiert, die prinzipiell offen sind (Sprachspiel) [WITTGENSTEIN 1945: 240f]. Wird die Angemessenheit zwischen Aussagesinn und Handlungs- sinn nicht in der Kommunikation bzw. Reflexion bestätigt, dann müssen Aus- 145 sage oder Handlung geprüft werden, indem entweder die Aussage oder die Handlung neu formuliert wird. Geht die objektsprachliche Aussage in die Metasprache ein, dann wechselt das objektsprachliche Zeichen, das aus Form und Begriff besteht, seinen se- miologischen Stellenwert. Der Sinn des objektsprachlichen Zeichens wird in der metasprachlichen Aussage zu einem Signifikanten, dem ein neuer Begriff zugeordnet wird. Was auf der objektsprachlichen Ebene Sinn ist, wird auf der metasprachlichen Ebene zur Form, die mit einem neuen Signifikat vereinigt ein metasprachliches Zeichen mit einer anderen Bedeutung ergibt [BARTHES 1959: 93, 96]. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, dass die bloße Verständigung inner- halb einer Kommunikation aus einem ideologischen Sprachgebrauch resultiert, der zu einer kritiklosen Beistimmung führt237. „Bekanntlich ist jede Mitteilung die Vereinigung einer Ausdrucksebene oder Signi- fikanten mit einer Inhaltsebene oder Signifikat. Untersucht man jedoch einen Werbesatz (die Analyse wäre auch für längere Texte identisch), so sieht man sehr rasch, daß eine solche Mitteilung eigentlich zwei Mitteilungen enthält, deren Inein- andergreifen gerade das besondere der Werbesprache ausmacht“ [BARTHES 1963: 181]. Woher stammt die enorme suggestive Kraft der Mythen? Diese Kraft kann aus der Rekonstruktion der semiotischen Substruktur erklärt werden. Ideologieeffekt Der Bezug zwischen dem objektsprachlichen Term und dem metasprachlichen Term wird also über eine Verkoppelung hergestellt, die „als Endterminus des linguistischen oder als Ausgangsterminus des mythologischen Systems“ fun- giert [BARTHES 1959: 95]. Über diesen Ausgangsterminus, der sowohl Sinn als auch Form ist, bemächtigt sich die mythisierende Metasprache der objekt- sprachlichen Aussage, die dadurch ihren ursprünglichen Sinn verliert, ohne dass er gänzlich aufgegeben werden könnte, weil der Metasprache ansonsten der notwendige Signifikant abhanden käme [BARTHES 1959: 104]. Der Mythos unterliegt damit der paradoxen Figur, einen Sinn verschwinden zu lassen, um ihn als Form hervortreten zu lassen, die im Hervortreten auf den Sinn ange- wiesen bleibt. Würde der Sinn aus der Form vollkommen eliminiert, dann fiele die Metasprache auf die Ebene der Objektsprache, wodurch die Möglichkeits- bedingung der Mythisierung verloren ginge [BARTHES 1959:134]. Daher wird der Mythos mitnichten über die Eliminierung des objektsprachlichen Sinns konstitu- iert, sondern mittels einer Deformierung des Sinns stabilisiert. „So paradox es auch erscheinen mag, der Mythos verbirgt nichts. Seine Funktion ist es, zu deformieren, nicht etwas verschwinden zu lassen“ [BARTHES 1959: 102]. Dennoch verschwindet in der Rezeption des Mythos die Geschichte des ob- jektsprachlich Formulierten, um im Mythos eine andere Bedeutung zugespro- chen zu bekommen [BARTHES 1959: 103]. In der Mythisierung wird die objekt- sprachliche Aussage zuerst zum Bild transformiert und dann deformiert. Zwar „ist nichts vor dem Mythos geschützt, der Mythos kann sein sekundäres Sche- 237 In Bezug auf das landespflegerische Schrifttum vermutet HÜLBUSCH, dass in diesem durch sprachli- che Mittel eine unausgesprochene ‘emotionale Übereinstimmung’ zwischen den Kommunikationspart- nern hergestellt wird, wenn beispielsweise Aussagen mit dem ‘Pathos der Absolutheit’ vorgetragen werden [HÜLBUSCH 1967: 35]; siehe dazu auch Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’. 146 ma von jedem beliebigen Sinn aus entwickeln,“ aber je nach Prägnanz des ob- jektsprachlichen Sinns findet die Vereinnahmung der objektsprachlichen Aus- sage durch den Mythos auf zwei Weisen statt: Erstens durch die Kolonisierung einer Objektsprache, aus der einzelne Aussagen genommen werden, um sie in den mythischen Aussagezusammenhang einzusetzen. Dies funktioniert umso besser, je unpräziser der objektsprachliche Sinn formuliert ist [BARTHES 1959: 116f]. Ist hingegen der objektsprachliche Aussagezusammenhang derart fest gefügt, dass sich die ursprüngliche Bedeutung nicht ohne weiteres im meta- sprachlichen Zusammenhang deformieren lässt, dann setzt zweitens der Dieb- stahl einer ganzen Sprache ein, über den sogar der Widerstand gegen den Mythos vom Mythos vereinnahmt werden kann238 [BARTHES 1959: 117, 119]. Der deformierte objektsprachliche Sinn wird im Mythos ambivalent und kann damit den mythischen Begriff bedeuten, der ihm parasitär aufgesetzt wurde und die zwischen Sinn und Form, Objektsprache und Metasprache alternie- rende Aussage zusammenhält [BARTHES 1959: 104]. Aus diesem ‘Flackern’ zwi- schen Signifikat und Signifikant239, das in der unkritischen Rezeption „als ein unentwirrbares Ganzes von Sinn und Form“ aufgefasst wird [BARTHES 1959: 111], resultiert die mythische Bedeutung [BARTHES 1959: 104, 111], die zwar ein metasprachliches Phänomen, aber mit objektsprachlicher Plausibilität erlebt wird. BARTHES beschreibt diese Mythifizierung der Welt als ein Entfremdungsphä- nomen, das nicht nur in der Gesellschaft praktiziert wird, sondern auch in der Sprache angesiedelt ist und auf das – unter Einsatz metasprachlicher Mittel – mit einem Ideologieeffekt reagiert wird [BARTHES 1959: 103f]. Die Alltagssprache hat eine Tendenz zur Verdinglichung [BERGER/ PULLBERG 1964], was in der Werbung und Propaganda ausgenutzt wird. Der Mythos erfüllt eine ideologi- sche Funktion, die dazu dient, die gesellschaftliche Entfremdung mit ihren so- zialgeschichtlich entstandenen Abhängigkeitsverhältnissen als Natur erschei- nen zu lassen und zu verewigen; „es ist die bürgerliche Ideologie selbst, die Bewegung, durch die die Bourgeoisie die Realität der Welt in ein Bild der Welt, die Geschichte in Natur verwandelt“ [BARTHES 1959: 129]. Der Mythos ‘verdop- pelt’ also die Welt in der Sprache als Bild und behauptet tautologisch, dass sie sei, wie er sie repräsentiere, nämlich (als) Natur [BARTHES 1959: 143]. Entspre- chend der Vorstellung einer heilen Natur als städtisch-industrielles Gegenbild entwirft der Mythos ein harmonistisches Weltbild jenseits sozialer Konflikte. „Die Welt tritt in die Sprache als eine dialektische Beziehung von Tätigkeiten, von menschlichen Akten ein, sie tritt aus dem Mythos hervor als ein harmonisches Bild von Essenzen“ [BARTHES 1959: 130]. Der moderne Landschaftsbegriff ist geradezu idealtypisch aus einer Mythisie- rung hervorgegangen240, so dass das ‘professionelle Idol’ der Landespflege [HARD 1991: 17] für weitere Mythisierungen durch die Leitbildnerei offen steht241. 238 Dies wurde im Kapitel: ‘Die Experten-Sprache der Landespflege’ beschrieben. 239 Oder zwischen Figur und Grund wie in der Landschaftsmalerei (siehe Kapitel: ‘Landschaftsmalerei’). 240 Siehe dazu die Kapitel unter: ‘Die Entdeckung der Landschaft’. 241 Wir legen dies dar in den Kapiteln: ‘Landschaft in der Leitbildnerei’ und ‘Leitbildnerei als Zeitgeiste- rei’. 147 Warenästhetik und Leitbilder Die sprachlichen Merkmale der Leitbilder werden in der Leitbildnerei auf eine bestimmte Weise eingesetzt, die ihre Funktion prägt. Die Funktion der Leitbil- der kann aus dem gesellschaftsgeschichtlichen Zusammenhang, in dem die Leitbildnerei exzessive eingesetzt wird, erklärt werden. Dieser ist die ‘Wer- bung’, das gesellschaftspolitische Feld der public relations und der Ideologie. „Die konnotierte Sprache der Werbung lässt durch ihre doppelte Mitteilung den Traum in die Menschheit der Käufer einfließen: den Traum, das heißt zweifellos eine gewisse Entfremdung (die der Wettbewerbsgesellschaft), aber auch eine ge- wisse Wahrheit (die der Poesie)“ [BARTHES 1963: 184]. BARTHES weist auf den Doppelcharakter der Metasprache hin, die auch einen autonomen Gebrauch der Sprache, die Reflexion über die Welt ermögliche [BARTHES 1959: 134]. Entscheidend in der Werbung und Leitbildnerei – die Mittel sind, Waren zu verkaufen, Bedürfnisse zu erwecken und Meinungen zu sugge- rieren – ist aber die Entfremdung der Konsumenten von ihren Fähigkeiten. Sprachlich sollen sie nicht autonom über die Bilder verfügen können und statt- dessen heteronom dem Gebrauchswertversprechen folgen. Umso stärker wir- ken die Bilder des Glücks, je tiefgehender die Entfremdung der Menschen, je weiter diese in der Lohnarbeit fortgeschritten ist, deren Sinn von den Lohnar- beitern nicht mehr erfahren werden kann bzw. auf den Tauschwert ihrer Ar- beitskraft, letztlich ihres Lebens, reduziert ist [HAUG 1973: 126, 151]. Tauschabstraktion Resümieren wir die Debatte, die in der Landespflege über die Leitbildnerei ge- führt wird, dann soll mit dem Leitbild für die landespflegerischen Maßnahmen die emotionale Akzeptanz durch die Menschen angestrebt werden242. Um die- se Akzeptanz zu erlangen, soll unter anderem auf die ästhetischen Implikatio- nen im modernen Landschaftsbegriff zurückgegriffen werden, wie der Stadt- planer DETLEF IPSEN vorschlägt: „Die ästhetische Seite der Landschaft kann Menschen nicht nur intellektuell, son- dern auch emotional ansprechen. So wie die Verpackung für den Absatz der Wa- ren wichtig ist, so ist die Ästhetik der Landschaft für die Politik einer nachhaltigen Entwicklung ein treibendes Element“ [IPSEN 1998: 32]. Was IPSEN mit dieser Passage nahe legt, heißt, den Aspekt der Warenästhetik in der Leitbildnerei aufzugreifen, die auf die imaginär-materielle Dublette Land- schaft rekurriert. Ausgehend von Überlegungen zum Warenfetischismus243 ist der Begriff der ‘Warenästhetik’ von WOLFGANG HAUG herausgearbeitet und be- stimmt worden [HAUG 1970; 1973]: 242 Beispiele für dieses Bestreben finden sich in den Kapiteln: ‘Leitbildnerei in der Landespflege’ und ‘Die technokratische Debatte um die ‘Leitbildmethode’’. 243 Vgl. MARX’ Anmerkungen zum ‘Warenfetischismus’, dass die gesellschaftlich objektive Wertform als objekthafter Wert, d.h. dingliche Eigenschaft der Ware, aufgefasst wird [MARX 1883: 85-98], und BEN- JAMINs Überlegungen zum Auraverlust und Reauratisierung in der Kunst und Kulturindustrie [BENJAMIN 1936a]. 148 „Er bezeichnet einen aus der Warenform der Produkte entsprungenen, vom Tauschwert her funktionell bestimmten Komplex dinglicher Erscheinungen und davon bedingter sinnlicher Subjekt-Objekt-Beziehungen“ [HAUG 1973: 10]. Der ‘schöne Schein der Dinge’ entsteht mit dem ‘Tausch’, löst sich im vielfach vermittelten Warentausch vom Gebrauchswert und wird mit dem abstrahierten Verwertungsinteresse, das als Selbstzweck des entfalteten Warentausches erscheint, zur Warenästhetik. Die Warenästhetik ist nicht erst eine Erschei- nung der entwickelten Marktwirtschaft, tritt in ihr aber gehäuft auf244 [HAUG 1970: 12]. Schon im ‘sozialen Tausch’, in dem die gesellschaftlichen Akteure miteinander interagieren und kommunizieren, handeln sie auch symbolisch. Sie entwickeln Zeichensysteme, mittels derer sie die sozialen Beziehungen deuten und dar- stellen245, dementsprechend wird die Selbstreflexion der Gesellschaft primär symbolisch vollzogen246 und werden die Person, der Körper, soziale Umgangs- formen und Positionen mittels Zeichen ‘öffentlich’ dargestellt, die aus dem symbolischen Kosmos der Gesellschaft stammen [GEERTZ 1973; BERG et al. 1999]. „Die inszenierte Erscheinung ist nicht wegdenkbar aus der Geschichte der Kulte“ [HAUG 1970: 21]. Gruppen, Interessensphären, Religion, Wissenschaft und Herrschaft umfassen differenzierte Symbolisierungen, mit denen sie sozial verständlich ausgestaltet werden, die symbolischen Formen [CASSIERER 1926]. Mit dem symbolischen Tausch sozialer Zeichen werden Gesellschaften intern differenziert, werden unterschiedliche Rollen und Funktionen der Mitglieder markiert und Machtver- hältnisse errichtet, wenn die sozialen Akteure Milieus gestalten und sich einen sozialen Habitus zulegen, der die sinnliche Erscheinung und das symbolische Kapital umfasst247 [BOURDIEU 1987: 100ff]. Die ästhetische Selbstdarstellung, 244 Ebenso entspringt der Tausch nicht originär dem Warentausch, sondern ist im sozialen Tausch, der auf Reziprozität und dem moralischen Prinzip der Gegenseitigkeit der Tauschhandlungen beruht, und dieser in der ‘Gabe’ beheimatet [MALINOWSKI 1921; MAUSS 1923]. Unter Bezug auf GEORGES BATAILLEs ‘unbeschränkte Ökonomie’ und dem Begriff der unproduktiven ‘Verausgabung’ [BATAILLE 1933] spricht GERD BERGFLETH von der ‘Verschwendung’ als einem sozialökonomischen Prinzip, das der ‘be- schränkten Ökonomie’ der wertschaffenden Produktion und des Warentausches vorausliegt [BERGFLETH 1975: 292ff]. 245 In diese gesellschaftliche Repräsentation können auch ökonomische Verhältnisse eingehen, die auch außerhalb des entwickelten Warentausches eine wichtige Rolle im alltäglichen Leben spielen. BOURDIEU nennt diese Zeichen mit letztlich ökonomischer Funktion ‘symbolisches Kapital’, das vor allem aus sozial beschränkten Zeichen besteht [BOURDIEU 1987: 249]. 246 Das Medium der gesellschaftlichen Reflexion, in dem Sinn repräsentiert wird, ist die Kultur [GEERTZ 1984]. 247 Sinn des symbolischen Kapitals, das zu Schau gestellt wird, ist, dass dessen Träger als kreditwür- dig erscheint und an Ansehen gewinnt, das ihm letztlich einen Machtzuwachs einbringt [BOURDIEU 1976: 352]. Dieser auch politische Machtanspruch darf nicht als ökonomisch begründet erscheinen, sondern soll auf besondere Qualitäten und Fähigkeiten der Person beruhen, damit die Zustimmung zum sozia- len Prestige nicht käuflich erscheint [BOURDIEU 1976: 348f]. Das symbolische Kapital wird über die ‘Kredi- tabilität’ die es seinem Träger einbringt – dem man in seinen Geschäften trauen kann, in materielles Kapital transformierbar, wodurch der symbolische Reichtum zugleich realen Reichtum bedeutet [BOURDIEU 1976: 350]. Denn in einem Geschäft, das auf Treu und Glauben abgeschlossen wird, setzen die Teilnehmer voraus, dass sie nicht übervorteilt werden. Das allgemein und vor dem bestimmten Tauschakt zur Schau gestellte symbolische Kapital ermögliche nun zwischen den Tauschpartnern diese vertrauensvolle Erwartung [BOURDIEU 1976: 338ff]. Symbolisches Kapital wird nicht nur über Güter repräsentiert, auch durch Feiern, Höflichkeiten und selbstlose Dienste ausgedrückt [BOURDIEU 1987: 205], und so kann z.B. in bäuerlichen Kulturen ein Mann, dem es an symbolischem Kapital mangelt, als 149 Verhaltens- und Sprachformen, Kleidung, Tätowierungen bilden alltägliche symbolische Formen sozialen Handelns. Mit HANNAH ARENDT können wir die Alltagsarbeit und das politische Aushandeln von der gesellschaftlichen Produk- tion und Distribution unterscheiden248 [ARENDT 1958: 16]. Wird in diesen sozia- len Tätigkeiten die Gesellschaft primär differenziert, so kommt mit dieser sozia- len Differenzierung der Tausch von Gebrauchswerten auf, um den Bedarf an jenen Gebrauchswerten zu decken, über die man nicht ‘unmittelbar’ verfügen kann [HAUG 1970: 13]. „Treibendes Motiv für jede Seite im Tausch zweier Waren ist das Bedürfnis nach dem Gebrauchswert der Ware der jeweils anderen Seite. [...] Jede Seite steht so- wohl auf dem Tauschwertstandpunkt als auch auf einem bestimmten Gebrauchs- wertstandpunkt“ [HAUG 1970: 13]. Die Akteure treten sich in der einfachen Arbeitsteilung als Produzenten und Tauschpartner (zugleich) gegenüber, die konkrete Gebrauchswerte wechseln, wobei der Tauschwert, der in der Tauschhandlung den Gütern zugesprochen wird, noch (direkt) einsehbar mit den wechselnden Gebrauchswerten ‘im’ Gut bzw. in der sozialen Situation und dem Zusammentreffen von Interessen ver- bunden ist. In gewisser Weise ist im direkten ökonomischen Tausch von Gebrauchswerten der Tauschwert, obgleich vom Arbeitsaufwand und Aneig- nungsmöglichkeit abhängig, am Bedarf orientiert. Das einfache Tauschverhält- nis ist ähnlich dem sozialen Tausch auf Reziprozität (Gegenseitigkeit) der Tauschpartner angelegt, nicht auf ein abstraktes Äquivalent (Gleichheit) der Tauschwerte [MAUSS 1923; SOHN-RETHEL 1973: 142f]. Im entfalteten Handel, be- sonders Fernhandel z.B. mit Rohstoffen und exotischen Produkten tritt ein neues Phänomen auf, das den Gebrauchswert vom Tauschwert trennt [HAUG 1973: 19; SOMBART 1922: 155; SCHIVELBUSCH 1980]. Der ‘Fernhandel’ nutzt die unterschiedliche Produktionsgunst, um die Differenzialrente abzuschöpfen, wodurch der direkte Gütertausch zum ungleichen Tausch wird. „Die Theorie des nichtäquivalenten Tausches ist für internationale Handelsbezie- hungen aufgestellt worden. Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß sich die auf dem Weltmarkt auftretenden verschiedenen warenproduzierenden Nationen mit natio- nal gegebenem, in der Regel unterschiedlichem Produktionsniveau begegnen. Dabei sind die effizienter produzierenden gegenüber den weniger effizient produ- zierenden Ländern im Vorteil, denn es erfolgt kein Austausch von Äquivalenten, sondern ein Austausch unterschiedlicher nationaler Arbeitsquanten“ [JÄGER 1988: 32]. Der reine Warentausch, in dem die Händler nicht mehr am Gebrauchswert der Waren interessiert sind, sondern diesen als Mittel sehen, die Waren gewinn- bringend weiter zu verkaufen, trennt den Tauschwert vom Gebrauchswert. asozial gelten, weil er seinen sozialen Pflichten, zu denen die ‘freiwillige’ und freigiebige, ertraglose Arbeit gehört, nicht nachkäme [BOURDIEU 1976: 342f]. Über das symbolische Kapital wird also auch das soziale Band zwischen den Menschen erhalten, indem es die ökonomische Grundlage verdeckt, damit sie einander nicht als ‘Waren’ und ‘Konkurrenten’ begegnen [BOURDIEU 1987: 206f, 221]. 248 ARENDT fasst unter ‘Arbeit’ alle privaten reproduktiven Tätigkeiten, unter ‘Handeln’ alle politischen Tätigkeiten und unter ‘Herstellen’ alle öffentlichen ökonomischen Tätigkeiten, neben der Produktion von Gegenständen auch deren Austausch als Gebrauchsgegenstände und Waren. 150 „Der Austausch der Waren ist abstrakt, weil er von ihrem Gebrauch nicht nur ver- schieden, sondern zeitlich getrennt ist. Tauschhandlung und Gebrauchshandlung schließen einander in der Zeit aus“ [SOHN-RETHEL 1973: 47]. Bildet die ökonomische Tauschhandlung eine Realabstraktion von den vielge- staltigen Qualitäten der Dinge auf ihren universalisierten Tauschwert, die in der sozialen Handlung gründet, ist die Abstraktion im Denken hingegen ein kogni- tiver Akt, der den Gedanken vom Gegenstand trennt und damit im materialisti- schen Sinne Denken ermöglicht. Diese Unterscheidung zwischen Realabstrak- tion und Denkabstraktion hat zur Folge, dass der soziale Sinn der Handlung und der gemeinte Sinn der Handelnden auseinander treten können. „Nicht also das Bewußtsein der Tauschenden ist abstrakt. Nur ihre Handlung ist es. Da beides Notwendigkeit hat, die Abstraktheit der Handlung und die Nichtabs- traktheit des sie begleitenden Bewußtseins, werden die Tauschenden der Abs- traktheit ihrer Tauschhandlung nicht gewahr“ [SOHN-RETHEL 1973: 49]. Der Tauschwert löst sich im entfalteten Tauschhandel vom Gebrauchswert und wird nunmehr allein am Arbeitsaufwand bemessen, der notwendig ist, um das Produkt innerhalb einer bestimmten Gesellschaft zu erwirtschaften [MARX 1883: 53f]. Damit zieht das ökonomische Äquivalent der Tauschwerte in den Tausch- handel ein, der in zwei Transaktionen auseinander fällt, zwischen die ein uni- verselles Tauschmittel eingeschoben wird, das Geld [MARX 1883: 83f]. „Als das Mittlere des Vergleichs tritt das Geld zwischen alle Waren und vermittelt den Austausch. Damit ist eine Abstraktion vollzogen: der Tauschwert hat sich von jeglichem besonderen Bedürfnis abgelöst“ [HAUG 1970: 13]. Das Geld vergegenständlicht den Tauschwert und ermöglicht, ihn auf beliebige Gebrauchswerte bzw. die entsprechenden Waren abzubilden249 [HAUG 1970: 13], wodurch also prinzipiell alles, ohne Rücksicht auf den jeweiligen Gebrauchswert, für die Handelspartner austauschbar wird [HAUG 1973: 14]. In- dem der Tauschwert universell wird, treten die Handelspartner einander nicht mehr auf dem Gebrauchswertstandpunkt entgegen, sondern können einen vom Gebrauchswert abgelösten Tauschwertstandpunkt einnehmen: „Sobald im Geld der Tauschwert sich verselbständigt hat, ist die Voraussetzung für die Verselbständigung auch des Tauschwertstandpunktes gegeben“ [HAUG 1970: 15]. In der Transaktion wird der Tauschwertstandpunkt vom Gebrauch abstrahiert und die Wertschöpfung Selbstzweck. Das universelle Tauschmittel wird vom abstrakten Tauschwertstandpunkt betrachtet zum ‘absoluten Gebrauchswert’, dessen Zweck – als das ‘Bedürfnis nach Geld’ – in der Realisierung des Tauschwertes liegt. Durch diese Tauschabstraktion fallen Gebrauchs- wertstandpunkt und Tauschwertstandpunkt auseinander [HAUG 1970: 14f]. „Vom Tauschwertstandpunkt ist der Zweck erfüllt, wenn der Tauschwert in Geld- form herausspringt. Dem einen gilt die Ware als Lebensmittel, dem anderen das Leben als Verwertungsmittel“ [HAUG 1970: 14]. Durch den abstrakten Tauschwertstandpunkt tritt das monetäre Verwertungsin- teresse in den ökonomischen Tausch ein, das an der Realisierung des 249 Damit gleicht die Tauschabstraktion, die im universellen Tauschwert erscheint, der naturwissen- schaftlichen Abstraktion, die von den individuellen Qualitäten der Objekte absieht, um sie bezogen auf universelle Parameter mathematisch beschreiben und aufeinander abbilden zu können [HAUG 1973: 58]. 151 Tauschwertes einer Ware interessiert ist und die Tauschhandlung vom Bedarf an konkreten Gebrauchswerten abstrahiert, womit die Gebrauchsqualität pre- kär wird [HAUG 1970: 15]. Versicherte sich der Produzent im direkten Waren- tausch der Qualität seines Produktes im Verkaufsgespräch und Auftragsertei- lung durch den Kunden, so geht diese sinnliche Erfahrung in der Produktion für den allgemeinen (Welt-) Markt verloren. Die Waren werden für eine anonyme Nachfragesituation produziert, ohne Rückmeldung über die Gebrauchsqualität der Produkte jenseits der Absatzquoten [HAUG 1973: 23f]. Die Abstraktion vom Gebrauchswert führt schließlich dazu, dass sich für die Verwertungsfunktion das Realisationsproblem stellt, wie der an die Ware gebundene Tauschwert möglichst rasch in das universelle Tauschmittel Geld überführt werden, d.h. die Transaktion stattfinden kann [HAUG 1973: 16]. Die für einen allgemeinen Markt produzierten Waren müssen ihre Käufer finden, auch dann, wenn keine direkte Nachfrage nach bestimmten Gebrauchswerten besteht. Mit dem Interesse – nicht mehr am Tausch von Gebrauchsgütern – sondern am Verkauf von Wa- ren, gerät die Warenästhetik in den Tausch, insofern die Waren den abstra- hierten Gebrauchswert erscheinen lassen sollen: „Hinfort wird bei aller Warenproduktion ein Doppeltes produziert: erstens der Gebrauchswert, zweitens und extra die Erscheinung des Gebrauchswertes. Denn bis zum Verkauf, mit dem der Tauschwertstandpunkt seinen Zweck erreicht, spielt der Gebrauchswert tendenziell nur als Schein eine Rolle“ [HAUG 1970: 14]. Die abstrakte Ware, deren Wert gänzlich im Tauschwert aufgeht, wird mit ei- nem ‘Gebrauchswertversprechen’ versehen, um Käufer zu finden [HAUG 1970: 18; BENJAMIN 1936b; SCHIVELBUSCH 1980]. Die „Waren werfen Liebesblicke nach den möglichen Käufern“ [HAUG 1970: 15] , indem ihre Erscheinung gestaltet wird [HAUG 1970: 19]. „Das Ästhetische der Ware im weitesten Sinne: sinnliche Erscheinung und Sinn ihres Gebrauchswertes löst sich hier von der Sache ab. Schein wird für den Voll- zug des Kaufaktes so wichtig – und faktisch wichtiger – als Sein. [...] Mit dem Sys- tem von Verkauf und Kauf tritt auch der ästhetische Schein, das Gebrauchswert- versprechen der Ware als eigenständige Verkaufsfunktion auf den Plan. [...] Das ästhetische Gebrauchswertversprechen wird zum Instrument für den Geldzweck. [...] Wer die Erscheinung beherrscht, beherrscht vermittels der Sinne die faszinier- ten Menschen“ [HAUG 1973: 17]. Mode und Modernisierung Dazu wird der Warenkörper designt, anziehend verpackt und mit einem ein- gängigen Image versehen, das mehr verspricht als die bloße Funktion, den Gebrauch zu erfüllen, wozu „die Ware nach dem Bilde der Sehnsucht des Käu- ferpublikums gebildet“ wird [HAUG 1970: 18]. Das Gebrauchswertversprechen tritt in zwei Gestalten auf, in der Mode, die das jeweils ‘Neueste’, das ‘Neue als solches’, verheißt, und der Werbung, die die Waren anpreist. Die Strategie, das ‘Neue an sich’ zu verheißen, spricht eine Werthaltung an, die in ihrer Be- deutung für die Moderne charakteristisch ist, dass die Gesellschaft durch den allgemeinen ‘Fortschritt’ bestimmt sei [BLUMENBERG 1988]. „Erst seitdem die kapitalistische Produktionsweise das Wirtschaftssystem mit ei- nem Regelmechanismus für ein zwar nicht krisenfreies, aber auf lange Sicht steti- ges Wachstum der Produktivität der Arbeit ausstattet, wird die Einführung neuer 152 Technologien und neuer Strategien, wird die Neuerung als solche institutionali- siert“ [HABERMAS 1968: 67f]. Indem immer mehr Gesellschaftssphären der Leitidee stetigen Wirtschafts- wachstums und dem Fortschritt der Produktivkraftentwicklung unterworfen werden, übernimmt der Staat im Spätkapitalismus250 die Aufgabe, die Krisen durch Interventionismus in die Wirtschaft und Vorleistungen für die Kapitalver- wertung abzufedern [HABERMAS 1968: 71, 74f, 79]. „So entsteht die Infrastruktur einer Gesellschaft unter Modernisierungszwang. Sie ergreift nach und nach alle Lebensbereiche: Militär, Schulsystem, Gesundheits- wesen, selbst die Familie, und erzwingt, gleichviel ob in der Stadt oder auf dem Land, eine Urbanisierung der Lebensform [...]“ [HABERMAS 1968: 71]. Das Moderne ist das in diesem Fortschritt jeweils Zeitgemäße [BENJAMIN 1936b: 180]; wer nicht zurück bleiben will, so der neuzeitliche Glaube, müsse an dem Fortschritt teilnehmen und sich modernisieren251. An diese Überzeugung knüpft die Mode an, wenn sie den Eindruck erweckt, dass sich die Käufer sozi- ales Ansehen erwerben könnten, wenn sie an den fortgeschrittenen gesell- schaftlichen Tendenzen teilnähmen. Die ästhetische Innovation, die neue Mode, erzeugt den Eindruck einer neuen ‘Notwendigkeit’, die alte Bedürfnisse außer ‘Kurs’ setzt [HAUG 1973: 51f]. „Ihrem Antrieb nach ist die ästhetische Innovation also wesentlich ästhetische Veralterung, das Neue als solches interessiert sie nicht. Ihr bestimmter Zweck ist die Veralterung des Vorhandenen, seine Kündigung, Ausrangierung, Verdrän- gung“ [HAUG 1973: 52]. Dieser gesellschaftlichen Werthaltung entspricht die Marktwirtschaft und indus- trielle Massenproduktion funktional [HAUG 1970: 17f], wenn die Gebrauchsdauer der Produkte verkürzt und der Absatz neuer Waren beschleunigt werden soll [HAUG 1970: 20]. „Durch periodische Neuinszenierung des Erscheinens einer Ware verkürzt sie die Gebrauchsdauer der in der Konsumsphäre gerade fungierenden Exemplare der betreffenden Warenart“ [HAUG 1970: 20]. Die Mode, die ständig veraltet und erneuert werden muss, steht im Dienst der Verwertungsfunktion, nicht des konkreten Gebrauchswertstandpunktes, dem das Gebrauchswertversprechen an den Warenleib gebunden bleibt [HAUG 1973: 48f]. Die Bindung des Gebrauchswertstandpunktes an den Warenleib zu lösen und auf die Verheißung auszurichten „wird die Funktion des Besonderen, 250 Der Begriff ‘Spätkapitalismus’ bezeichnet eine Strategie zur Regulierung ökonomischer Krisen, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist, und wird durch staatliche Unterstützung der Kapitalverwer- tung, Wohlfahrtsleistungen für die Arbeitnehmer und Wissenschaft und Technik als Ideologie charak- terisiert [HABERMAS 1968: 72, 75, 77, 79]. „Seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts machen sich zwei Entwicklungstendenzen bemerkbar: 1. ein Anwachsen der interventionistischen Staatstätigkeit, welche die Stabilität des Systems sichern muß, und 2. eine wachsende Interdependenz von Forschung und Technik, die die Wissenschaft zur ersten Produktivkraft gemacht hat“ [HABERMAS 1968: 74]. Vergleiche auch HABERMAS [1981: 512-516]. 251 Die Modernisierung ist kein rein äußerliches Geschehen, es betrifft vielmehr die Menschen selbst, ihr Empfinden und ihre Lebensweise. BENJAMIN weist darauf hin, dass die Mode den Menschen, der ihr folgt, emotional umwirbt und mit der anorganischen Warenwelt verkuppelt. „Jede Generation erlebt die Moden der gerade verflossenen als das gründlichste Antiaphrodsiacum, das sich denken läßt. [...] Der Fetischismus, der dem sex-appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv“ [BENJAMIN 1940a: 130]. 153 des Neuen und des Originellen sein“ [HAUG 1970: 18], wodurch er unter der Hand an die Verwertungsfunktion gebunden wird. Die Werbung versieht die Waren mit dem Anspruch auf Neuheit und dieser verbreitet das Gebrauchswertversprechen, das universell erscheinen soll [HAUG 1970: 19], indem die Waren bzw. ihre Inszenierung die tiefsten Bedürf- nisse zu befriedigen vorgeben. Werbung und Mode wirken bis in die Bedürf- nisstruktur der Menschen, für die die „ästhetische Innovation [...] zu einer In- stanz von geradezu anthropologischer Macht“ wird [HAUG 1973: 54]. „Gerade im übertriebenen Gebrauchswertschein schafft sich die Verwertungsfunk- tion, die auf das Realisationsproblem Antwort sucht, Ausdruck und drängt sich der in der Ware steckende Tauschwert dem Gelde entgegen“ [HAUG 1970: 18]. Der inszenierte Gebrauchswertschein (Warenästhetik) kommt zur Wirkung, wenn die alltagsweltliche Prüfung des versprochenen Gebrauchswertes aufge- hoben werden kann. Die „sinnliche Unmittelbarkeit muß gebrochen werden“ [HAUG 1970: 23], damit die „Technokratie der Sinnlichkeit“ umso stärker die Be- dürfnisse der Käuferschichten zu beeinflussen vermag [HAUG 1970: 21]. Die Werbung, die mittels aufwändiger Symbolik die Sehnsucht der Käufer auf das Produkt lenken soll, verdoppelt die Ware, die in den gebundenen Tauschwert (Verwertungsfunktion) und die entbundene Warenästhetik (Bedürfnisprodukti- on) zerfällt, „sie löst sich jetzt ab vom Warenleib, dessen Aufmachung sich in der Verpackung steigert und von der Werbung überregional verbreitet wird“ [HAUG 1973: 27]. „Die ästhetische Abstraktion der Ware löst Sinnlichkeit und Sinn der Sache, die als Tauschwertträger fungiert, von dieser ab und macht sie getrennt verfügbar. [...] Nachdem ihre Oberfläche sich von ihr abgelöst hat und zu einer zweiten Oberflä- che geworden ist, die in der Regel unvergleichlich perfekter als die erste ist, löst sie sich vollends los, entleibt sich und fliegt als bunter Geist der Ware in alle Welt, zirkuliert drahtlos in jedes Haus“ [HAUG 1973: 60f]. Nun konkurrieren nicht mehr Waren unterschiedlicher Gebrauchsqualität um die Gunst der Käufer auf dem Markt, sondern in der Werbung mittels ihrer in- szenierten Erscheinungsbilder um die Gefühle des Publikums [HAUG 1973: 36]. Seit dem 19. Jahrhundert nimmt „die Ersetzung von Gebrauchswertkonkurrenz durch Eindruckskonkurrenz, also die ungeheure Bedeutung der Technik der Beeindruckung“ [HAUG 1973: 41] zu, während die Gebrauchsdauer der Waren durch Produktion und ästhetische Innovation reduziert wird [HAUG 1973: 49f]. „Die Waren selber leisten immer weniger von dem, was sie eigentlich sogar sys- temimmanent leisten müßten: würde den Käufern nicht pausenlos die Ideologie des Glücks mitgeliefert, so erzeugten die Waren kaum noch Gefühle des Glücks“ [HAUG 1973: 41]. Das von der Ware abgelöste Gebrauchsversprechen, das Image [HAUG 1973: 35], wird in der Werbung zum allgemeinen Glücksversprechen, das an die tiefs- ten Sehnsüchte des Publikums appelliert [HAUG 1973: 26, 41], indem die ‘kollek- tiven Bilder’ einer Kultur aufgegriffen werden [BARTHES 1963: 185]. Die Sprache der Werbung wirkt, weil sie die Konsumenten „mit den großen menschlichen Themen zusammenbringt“ [BARTHES 1963: 184]. „Die Erscheinung verspricht mehr, weit mehr, als sie je halten kann. Insofern ist sie Schein, auf den man hereinfällt. [...] Der Schein, auf den man hereinfällt, ist 154 wie der Spiegel, in dem die Sehnsucht sich erblickt und für objektiv hält“ [HAUG 1970: 25f]. Objektiver Schein Die Wertform ist gesellschaftlich objektiv, insofern die Gesellschaftsmitglieder einer Ware einen gemeinsamen Tauschwert beilegen, aber nicht objekthaft, d.h. sie wohnt nicht dem Warenleib selbst inne [MARX 1983: 86]. Wird die ge- sellschaftlich objektive Wertform jedoch mit der Ware verwechselt, dann wird der Wert verdinglicht252 [MARX 1983: 97f]. Im Warenfetischismus erscheint der Tauschwert als dingliche Eigenschaft der Ware, als deren Natur, die ebenso ermittelt werden könnte wie die Eigenschaften physikalischer Objekte. Diese Verwechslung zwischen gesellschaftlicher Wertgebung und dinglicher Eigenschaft erklärt ALFRED SOHN-RETHEL durch die ‘gesellschaftlicher Synthe- sis’. Unter dem Begriff fasst er „die Funktionen, die in verschiedenen Ge- schichtsepochen den Daseinszusammenhang der Menschen zu einer lebens- fähigen Gesellschaft vermitteln“ [SOHN-RETHEL 1973: 19]. „Mit Hilfe dieses Begriffes kann ich die Grunderkenntnis formulieren, daß die ge- sellschaftlich notwendigen Denkstrukturen einer Epoche im engsten formalen Zu- sammenhang stehen mit den Formen der gesellschaftlichen Synthesis dieser E- poche“ [SOHN-RETHEL 1973: 20]. Die Form der Vergesellschaftung könne demnach beeinflussen, wie die Men- schen einer Epoche gemeinhin Denken und Empfinden, wobei diesen allge- mein erscheinenden Wahrnehmungsweisen vom Gros der Gesellschaftsmit- glieder Notwendigkeit zugesprochen würde [SOHN-RETHEL 1973: 108]. Führt die ‘Sprache der Waren’, sofern sie im abstrakten Tauschwert ausgesprochen wird [SOHN-RETHEL 1973: 53], zum Einen zur Herausbildung des rationalen Kalküls und der quantitativen Wissenschaften [SOHN-RETHEL 1973: 102ff], so führt sie zum Anderen, wenn die Waren im Gebrauchswertversprechen formuliert wer- den, zur Herausbildung eines allgemeinen Imaginären [HAUG 1970: 26]. Die Werbung wäre ohne Publikum, das ihre Versprechen annimmt und die Erfül- lung seiner Sehnsüchte im Konsum erwartete, wirkungslos. HAUG sieht darin, dass das Publikum auf das universalisierte Gebrauchswertversprechen herein- fällt, einen ‘korrumpierten Gebrauchswertstandpunkt’: „Der korrumpierte Gebrauchswert wirkt zurück auf die Bedürfnisstruktur der Kon- sumenten, denen er sich einprägt zu einem korrumpierten Gebrauchswertstand- punkt“ [HAUG 1970: 27]. Die Warenästhetik würde als Schein durchschaut, rekurrierte sie nicht auf Wünsche der Konsumenten, die sie zu befriedigen vorgibt. Auf Seiten der abs- trakten Käuferschicht, den Verbrauchern, erscheint der korrumpierte Gebrauchswertstandpunkt, der das Gebrauchswertversprechen jenseits des realen Bedarfs akzeptiert [HAUG 1970: 22, 26f]. Knüpft das Gebrauchswertver- sprechen an die alltägliche Sprache der Menschen an, so finden diese umge- 252 Dies ist, wie gezeigt wurde, nicht auf die Wertform beschränkt. Sucht man die Bedeutung eines Wortes in dessen Buchstaben [BARTHES 1959: 113ff] oder überträgt ein sprachliches Zeichen auf einen außersprachlichen Gegenstand [HARD 1970b: 190, 193] wird eine Bedeutung, die intersubjektiv kommuni- zierbar ist, aus der Kommunikation herausgetrennt und als eine ontologische Eigenschaft des Objekts aufgefasst. Aus dieser Verkennung resultieren dann Ideologieeffekte; siehe Kapitel: ‘Ontologisierung der Landschaft’, ‘Ideologisierung der Landschaft’ und ‘Mythisierung von Leitbilder’. 155 kehrt in der ‘Sprache der Werbung’ Bilder, ihre Wünschen auszudrücken [HAUG 1970: 16, 21]. „Indem der Schein, worin die Waren einherkommen, die Menschen ausdeutet, versieht er sie mit einer Sprache zur Ausdeutung ihrer selbst und der Welt. Eine andere als die von den Waren gelieferte steht schon bald nicht mehr zur Verfü- gung“ [HAUG 1970: 26]. Mittels der Warenästhetik erzeugt das Gebrauchswertversprechen Bedürfnis- se, die wiederum zur weiteren Abhängigkeit der Konsumenten führt [HAUG 1970: 27]. Die Macht der Bedürfnisse entfaltet sich über die Konsumenten. „Was in der Ästhetik der Waren die Individuen lockt, verankert sich in ihrer Sinn- lichkeit und erscheint jetzt als das ursprünglich und aus individuell-freien Stücken Treibende. Insofern diese Prozesse, in denen die Sinnlichkeit modelliert wird, hin- ter ihrem Rücken ablaufen, erscheinen sie naturwüchsig und charakterisieren die Geschichte als Naturgeschichte“ [HAUG 1973: 128]. Über die gesellschaftlich prägbaren Bedürfnisse wird auf die Menschen Macht ausgeübt, die ihnen als ihr eigener Wunsch erscheint [GRONEMEYER 1988; MÜMKEN 2003]. Die Warenästhetik ruft Bedürfnis nach Bedürfnis hervor, die sie nicht zu befriedigen vermag, damit „eher hungrig als satt“ macht und die innere Abhängigkeit vertieft [HAUG 1973: 69]. „Derart ist die Dynamik der spätkapitalistischen Warenproduktion. Zuerst wird das Tun des Nötigen erleichtert; aber dann wird das Tun des Nötigen ohne Erleichte- rung zu schwer, und es kann das Nötige nicht mehr ohne Warenkäufe getan wer- den. Nun ist das Nötige nicht mehr zu unterscheiden vom Unnötigen, auf das nicht mehr verzichtet werden kann. Wahrscheinlich meint die Rede von den falschen Bedürfnissen nichts anderes als diese Verschiebung“ [HAUG 1970: 27]. Die Warenästhetik wirkt auf die Bedürfnisstruktur der Konsumenten, die für den Verkauf, das Verwertungsinteresse eingespannt wird [HAUG 1970: 16, 21, 26f]. Die Ware wird ästhetisiert; und im universellen Warentausch, mit dem tendenzielles alles zur Ware werden kann und die Warenästhetik allgegenwär- tig wird, erscheint die Welt als ästhetisches Phänomen253 [BENJAMIN 1936a]. Die distanzierte visuelle Wahrnehmung, der ästhetische Blick wird zum vor- herrschenden Sinn, über den die Welt, nicht nur diejenige der Waren, als Bild erfahren wird [HAUG 1970: 22f, 29]. Der moderne Landschaftsbegriff, der die äs- thetische Anschauung des Landes und deren Verdinglichung zur Landschaft umfasst, wurde in einer geschichtlichen Phase geprägt, als die Industriegesell- schaft und der entfaltete Warentausch allgegenwärtig wurden, mithin in ihm auch die dominierende gesellschaftliche Wahrnehmungsweise in der Indust- riegesellschaft zum Ausdruck kommt. Die Entfremdungsphänomene einer zu- nehmend rationalisierten Weltbeschreibung in den Wissenschaften und die technische Ausformung der modernen Welt korrelieren, wie gezeigt, mit Ver- 253 Wenn der Mensch, der seine Arbeitskraft verkauft und sich auf dem Arbeitsmarkt als grundsätzlich fungibel erfährt, diese segmentierte Sichtweise verallgemeinert, verdinglicht er sich zur Ware, reduziert sich auf den Tauschwert und entfremdet sich schließlich seiner selbst, d.h. in seinen Möglichkeiten jenseits der Warenwelt. Diese Selbstentfremdung kann dazu führen, dass er sich mit einer ästheti- schen Einstellung betrachtet und einen ästhetischen Lebenstil entwickelt. „Die Menschheit, die einst bei Homer Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt“ [BENJAMIN 1936a: 169]. 156 lust hergebrachter Sinngebungen in Tradition und Religion, auf die mit einer Ästhetisierung der versachlichten und sinnentleerten Welt geantwortet wird254. Bislang wurde die Warenästhetik unter dem Aspekt der Verwertung analysiert, weil sie in dieser besonders deutlich wird. Die Funktionsweise der Warenäs- thetik ist aber nicht an das direkte Verwertungsinteresse gebunden und kann ihm sogar zuwiderlaufen. Erstens ist der ästhetische Schein unabhängig vom Warentausch und ein soziales Element der Vergesellschaftung, vor allem der symbolischen Ebene. Die symbolische Repräsentation ökonomischer Verhält- nisse, die sich in sozial verständlichen Formen darstellt, bezeichnet BOURDIEU als ‘symbolisches Kapital’ [BOURDIEU 1976: 356f]. Zweitens bleibt der ästheti- sche Schein selbst innerhalb des Warentausches in seiner Wirkung nicht an den geregelten Verkauf gebunden [HAUG 1973: 46f]. Die Warenästhetik „vermag nur Bilder in die Welt zu setzen, auf die ihre Adressaten fliegen“ [HAUG 1973: 47]: „Ihr Erfolg ist das bestimmte Bedürfnis, das gebieterisch die Aneignung der ‘be- worbenen’ Ware verlangt. Die Form der Aneignung bleibt unausgefüllt“ [HAUG 1973: 47]. HAUG spricht von dem ‘Bedeutungsding’, das vom Gebrauchsding abgetrennt wird, und einer geschichtlichen Tendenz, „an deren Extrem das reine ‘Bedeu- tungsding’ steht“ [HAUG 1973: 127]. Wie die Metasprache einerseits über die Ob- jektsprache in eine Sprachhandlung eingelassen und in der Verständigung bewährt werden kann, vermag sie andererseits von der Objektsprache abstra- hiert und zur ‘reinen Andeutung’ werden, die in Poesie und Werbung benutzt wird [BARTHES 1963: 184]. Das Bedeutungsding wird unabhängig vom Gebrauch mit Assoziationen und Emotionen verknüpft, die ein mit Konnotationen besetz- tes Objekt entwerfen, das ‘sich’ auf andere Images bezieht; es wird zum be- gehrten Fetisch. „Dadurch wird immer wichtiger, was an einer Ware über sie selber hinausweist, indem es sie z.B. positiv oder negativ auf andere Waren bezieht, ihre ‘Bedeutung’ und ihren ‘Sinn’ jedenfalls aus etwas ‘anderem’ aufbaut“ [HAUG 1973: 127]. Das kollektive Imaginäre Auf dieser Funktionsweise der Warenästhetik, die das Image vom Gebrauch (die Semantik von der Pragmatik) trennt, um die praktische Prüfbarkeit des Gebrauchswertes außer Kraft zu setzen und das Glücksversprechen an die Wünsche des Publikums anzuschließen, basiert auch das Leitbild. Die Leit- bildnerei nimmt an der Warenästhetik teil und folgt ihr in der sozialen Funktion. Die sinnliche Erfahrung wird gebrochen [HAUG 1970: 23] und durch eine Tech- nologie der Sinnlichkeit verdrängt [HAUG 1970: 21], die die Images als Spiegel der eigenen Wünsche erscheinen lässt [HAUG 1970: 26]. „Faszination meint nichts anderes, als daß diese ästhetischen Gebilde die Sinn- lichkeit von Menschen gefangen halten“ [HAUG 1973: 55]. Der Psychologe JACQUES LACAN unterscheidet in seinem psychoanalytischen Konzept zwischen dem ‘Realen’, ‘Symbolischen’ und ‘Imaginären’, wobei letz- terem die Projektion angehört, die sich im Blick auf die Welt spiegelt [LACAN 254 Für die Landespflege siehe dazu das Kapitel: ‘Konstituierung der Landschaft’ und ‘Ökonomische Interessen und Ästhetisierung’. 157 1949]. In der individualpsychologischen Ontogenese des Kleinkindes entstehe zuerst das Reale, dann das Imaginäre und zuletzt das Symbolische. Das Rea- le bzw. die physischen Reize werden über das Imaginäre und Symbolische repräsentiert, jedoch kann es auch selbst als körperliche Repräsentationsform aufgefasst werden. Das Imaginäre repräsentiert das Reale bildhaft, das Sym- bolische über die Sprache, indem sie es strukturieren, ordnen und integrieren. Entwicklungspsychologisch gesehen wird das Reale und die eigene Realität bzw. Identität vom sprachlosen Kleinkind zunächst im ‘Spiegelstadium’ bildhaft erkannt und integriert. Das Imaginäre integriert das Reale, vor allem die unter- schiedlichen Reize des eigenen Körpers, zu einheitlichen Bildern, die die Iden- tifikation des Subjekts ermöglichen (im Genitivus subiectivus und obiectivus). Das Kind entwirft eine einheitliche Vorstellung seines Selbst, indem es sich dem Bild, das seine ‘vollkommene Ganzheit’ repräsentieren soll, unterwirft (fr. ‘sujet’) [PAGEL 1999: 23]. „Die nur antizipierte – nicht aber manifeste – Einheit, die in der Bespiegelung vor- stellig wird, läßt das Spiegelstadium zu einem spannungsgeladenen Drama wer- den, das ein ‘unbefriedigtes Begehren’ hervorruft“ [PAGEL 1999: 25]. Bilder nehmen in der Geschichte der Menschen schon früh eine herausgeho- bene Stellung ein und sind in die religiösen und profanen Kulte eingebunden. Sie dienen sowohl Individuen als auch Gruppen zur Identifikation, die in einer verbindenden Vorstellung über das eigene oder gemeinsame Dasein und des- sen Sinn ihren Ausdruck findet und zur Nachahmung einlädt. Über Kleidung, Symbole und Ideale erkennen sich die Mitglieder bestimmter Gruppen wieder und unterscheiden sich von anderen. „Bilder können zur Nachahmung einladen, dazu, sich in ihre Welt hineinzuverset- zen. Zur Identifikation. […] Figuren stiften seit jeher Einheit, als Symbol und Er- kennungszeichen einer Gruppe. Sie sind das geläufigste Kunstmittel zur Herstel- lung körperschaftlicher Identität“ [PÖRKSEN 1997: 222]. Neben das Imaginäre tritt das Symbolische, das in der Sprache das Selbst mit den anderen, die eigenen Ansprüche mit denen der anderen konfrontiert. Über die Sprache kann das Selbst zu einer differenzierten Beschreibung des Realen kommen, wird aber die sprachliche Beschreibung des Realen zu einem Kli- schee (Sprachbild) fixiert, dann entsteht das kollektive Imaginäre, die Ideolo- gie, wodurch die individualpsychologische Spiegeltheorie auf die Sozialpsycho- logie angewendet werden kann. „Lacans Spiegeltheorie [...] stellt die Möglichkeit bereit, die Wirkungsweisen identi- tätsverheißender Formationen zu entlarven. Deren Effekt beruht darauf, dass sie dem Subjekt ein Zentrum (Idee, Führer, Objekt) bereitstellen, in dem es sich spie- geln bzw. mit dem es sich identifizieren kann. Durch die Auszeichnung von Ge- schlossenheit und in Verharmlosung von Widersprüchlichkeiten verheißt sie Sinn- stiftung und Kontinuität. Damit erwecken sie jene Faszination, die dem Individuum zum einen ein Gefühl von Selbstvergessenheit verleiht und zum anderen das Er- gebnis einer identifikatorischen Teilhabe an Vollkommenheit und Einheit vermit- telt“ [PAGEL 1999: 33]. Die industriegesellschaftliche Realität zerlegt die Menschen in fragmentierte Rollen, ökonomische Funktionen und atomisiert sie, so dass eine langwierige und prekäre symbolische Integration der Person eine hohe psychische Frustra- tionstoleranz voraussetzt. Wie schon FREDERIC JAMESON [1984] so sieht auch 158 GERDA PAGEL einen Zusammenhang zwischen individualpsychologischer Ent- wicklung und den gesellschaftlichen Veränderungen im Spätkapitalismus. „Die reale Zerrissenheit kaschierend, tendiert das Subjekt zunehmend dazu, sich auf der Ebene des Imaginären zu situieren, um sich qua kollektiver Identifikatio- nen an einem Ideal, Idol bzw. einer Ideologie zu stabilisieren, die seinem Mangel an Sein entgegenkommt“ [PAGEL 1999: 34]. Der Sozialwissenschaftler DAVID RIESMAN stellte heraus, dass dieser gesell- schaftliche Wandel auch auf die Persönlichkeit der Individuen einwirkt, die in der modernen Industrie- und Massengesellschaft außengelenkt seien255 [RIESMAN 1950: 33-38]. Die außengelenkte Persönlichkeit strebt nach einem Konsens mit ihrer ‘Peer-group’ und ist in der Selbstsicht, Urteilsfindung und sozialem Verhalten von der ‘öffentlichen Meinung’ abhängig [RIESMAN 1950: 37f]. Der soziale Konsens und gemeinsame Ziele werden in der Massengesell- schaft vor allem durch die modernen Kommunikationsmittel und die identitäts- stiftenden Images verbreitet256 [BENJAMIN 1936a: 154]. In der Sozialisation der Kinder und Jugendlichen, die in der modernen Industriegesellschaft aufwach- sen, nehmen die Medien der Massenkommunikation (Zeitschriften, Radio, Fernsehen) eine prägende Stellung ein [RIESMAN 1950: 108-119]. „Gesellschaften der beginnenden Bevölkerungsschrumpfung scheinen einen nie abreißenden Strom von Worten und Bildern aus städtischen Verteilerzentren ver- dauen und sich auch technisch zuleiten zu können und sowohl Zeit als auch Be- darf dafür zu haben. Industrialisierung und Massenliteratur scheinen Hand in Hand zu arbeiten. Auch verschiebt sich in diesen Gesellschaften die Charakterbil- dung noch mehr als in den vorangegangenen Gesellschaftsformen auf Faktoren außerhalb des Heims“ [RIESMAN 1950: 97]. Zugleich wird den Gesellschaftsmitgliedern in den Massenmedien eine Verbraucherhaltung vermittelt, die ihre Weltsicht prägt und ihnen lebenslangen Konsum nahe legt: „Die Massenkommunikationsmittel dienen der Verbrau- chererziehung“ [RIESMAN 1950: 303]. Um in den Massenmedien die „Sozialisie- rung des Geschmacks zu bewirken“ [RIESMAN 1950: 110], werden die Oberflä- chenmerkmale, das Outfit der Helden und Waren designt, „weil sich so viele Helden in den Massenkommunikationsmitteln um die Gunst des Publikums bemühen, daß sich ihre Schöpfer bei der Suche nach Markenzeichen eine O- berflächendifferenzierung ausdenken müssen“ [RIESMAN 1950: 114]. 255 RIESMAN legt dar, dass die Menschen in Gesellschaften mit einer stabilen, segmentierten bzw. stra- tifizierten Sozialstruktur traditionsgelenkt seien. Dem stellt er die innengelenkte Persönlichkeit gegen- über, die eine besondere Ichstärke und Autonomie aufweist. Sie bildete sich seit Beginn der frühen Neuzeit in Europa mit der Aufhebung der Ständeordnung und prägte vor allem das kapitalistische Un- ternehmertum und die bürgerliche Gesellschaft. In fortgeschrittenen funktional differenzierten Indust- riegesellschaften bildet sich (im 20. Jahrhundert) das außengelenkte Individuum heraus und mit die- sem Institutionen zur Außenlenkung (Bürokratien, Massenmedien, Meinungsforschung, Images) [RIESMAN 1950]. 256 „Die industriell fortgeschrittenen Gesellschaften scheinen sich dem Modell einer eher durch externe Reize gesteuerten als durch Normen geleiteten Verhaltenskontrolle anzunähern. Die indirekte Lenkung durch gesetzte Stimuli hat, vor allem in Bereichen scheinbar subjektiver Freiheit (Wahl-, Konsum-, Freizeitverhalten) zugenommen“ [HABERMAS 1968: 83]. Darin sieht HABERMAS ein moralisches Phäno- men des Spätkapitalismus, dass der Staat durch Interventionen in das Wirtschaftsgeschehen danach strebt, die „Loyalität der Massen“ an diese „Form der Kapitalverwertung“ zu binden [HABERMAS 1968: 77], wobei mittels dieser Strategie die politischen Staatsbürger zu Konsumenten und Klienten reduziert werden [HABERMAS 1981: 514f]. 159 „Im Zuge des monopolistischen Wettbewerbs unserer Epoche kann man es sich leisten und ist daran interessiert, im Kinde bereits die Verbrauchsgewohnheiten anzulegen, die der Erwachsene pflegen soll“ [RIESMAN 1950: 109]. Folge dieser modernen Charakterprägung ist eine Ausrichtung des Interesses und der Erfahrungsbildung am erfolgsversprechenden Bild, das vom Nachden- ken über die Geschichte entlastet, „so werden auch die Taten und Untaten des Helden rückwirkend durch seinen Sieg gerechtfertigt. ‘Der gute Sieger’ wird zu einer Tautologie“ [RIESMAN 1950: 116]. Aus der Ideologie des ‘survival of the fit- test’ wird das Helden–Image geschmiedet, dass Erfolg Recht gebe. Auf diese kulturelle Prägung der Individuen und deren Leitbilder in der Indust- riegesellschaft reagiert die Bürokratie funktional, indem public relations entwi- ckelt werden sollen und entsprechende Experten eingestellt werden. „Bürokratische Behörden jedoch sind [....] von einer fortlaufenden Propaganda abhängig, die darauf angelegt ist, ihre Tätigkeit, ja ihre Existenz überhaupt zu legi- timieren“ [BERGER/ BERGER/ KELLNER 1987: 58]. Die Sozialphilosophin HANNAH ARENDT beschreibt in dem Essay ‘Lüge und Wahrheit in der Politik’, dass in modernen Administrationen und hier zuneh- mend auf den höheren Verwaltungsebenen Technokraten (Problem-Löser) und Ideologen (Public-Relation-Berater) einander zuarbeiten, wobei sie eine fiktive ‘Welt’ entwerfen, Modelle und Images, mit denen sie die Regierungen beraten [HERMENAU 1999: 135f; vgl. BERGER/ KELLNER 1984: 124]. BERGER und KELLNER nennen die Ausweitung der instrumentellen Rationalität auf soziale Phänome- ne „die Rationalisierung des Bewußtseins“, aus dem ein politisches Ordnungs- denken resultiere, das auf ‘Sozialmanipulation’ und ‘rationales Management’ setze [BERGER/ KELLNER 1984: 136f]. Zur Manipulation der Gesellschaft dienen Images, die das kollektive Imaginäre prägen sollen. „Diese Images, hergestellt von Public-Relation-Fachleuten und Werbe-Experten, bieten keine Interpretation von Realität, sondern sollen sie ersetzen (WuL 76). Es wird geplant, was das Publikum wahrgenommen haben soll. Diese Reklame- Fachleute, die nach Arendt eine Erscheinung der Konsum-Gesellschaft sind (WuL 11), setzen eine umfassende Manipulierbarkeit der öffentlichen Meinung voraus (WuL 12)“ 257 [HERMENAU 1997: 137]. Die kollektive Identifikation mittels des Imaginären suggeriert sowohl eine Ein- heit (allgemeinen Konsens) als sie anderes sowie andere, Alternativen und Widersprüche, ausschließt [PAGEL 1999: 34] und zugleich neben illusionärer Wunscherfüllung ein Gefühl des Mangels hervorrufen, z.B. in der Werbung [PAGEL 1999: 35]. Im technisch popularisierten Imaginären, das über die indus- triellen Reproduktionstechniken und Mittel zur Massenkommunikation herge- stellt wird, geraten die sozialen Handlungssubjekte zu passiven Konsumenten, denen auratisierte Bilder vorgesetzt werden, die eine fertige, harmonische Welt suggerieren und allgemeinverbindliche Antworten geben, mit denen sie sich identifizieren sollen [BENJAMIN 1936a]. Diese Beschreibung, wie im Bewusstsein der Menschen die gesellschaftlichen Weltbilder, Ideologien, manipuliert werden, entspricht der Leitbildnerei, wes- halb das Leitbild im Imaginären verortet werden kann. Dementsprechend weist HAUG ausdrücklich darauf hin, dass das „Leitbild“ [HAUG 1973: 35] keinem objek- 257 WuL: ARENDT 1987: Wahrheit und Lüge in der Politik; zwei Essays; München. 160 tiven Gehalt entspreche, sondern als psychisches Phänomen dazu angelegt sei, beim Publikum anzukommen [HAUG 1973: 35]. Wie Images in der Werbung fungieren, so dienen Leitbilder dazu, einen Konkurrenzkampf zwischen unter- schiedlichen, inszenierten ‘Erscheinungsbildern’ im Imaginären zu führen. Auf- grund ihres imaginären Charakters sind sie nicht wirkungslos, wie die Bedürf- nismodellierung durch Gebrauchswertversprechen zeigt, sondern wirken, ohne auf ihre Brauchbarkeit geprüft werden zu können [vgl. MEHLI 1989: 153f]. Dem- entsprechend überzeugen Leitbilder die ‘Konsumenten’ nicht durch Einsicht, sondern werden mit der abstrakten Evidenz der ‘öffentlichen Meinung’ vertre- ten und spiegeln darin allgemeine Zustimmung und Einstimmigkeit in der Sa- che vor [HÜLBUSCH 1967: 35]. „Ein solches Programm – Einklang mit der Majorität der Gruppenmitglieder und generelle Überzeugungskraft – führt meist dazu, daß die Sprachinhalte als Leitbil- der benutzt werden [... so] daß der semantische Hof eines Wortes als pädagogi- sches Leitbild fungieren kann [... und] er auch als gesellschaftlich-politische Norm des Handels gelesen wird“ [HARD 1970b: 165, 167 – Einf. FL]. Das Imaginäre suspendiert die Urteilsfähigkeit der Leute, die der Verheißung nur glauben oder misstrauen können, wodurch Leitbilder letztlich nicht wider- legbar sind. Darin gleichen sie ästhetischen Geschmacksurteilen, die unab- hängig von rationaler Zustimmung gelten [KANT 1990: 115, 124f, 160] und damit als Ausdruck einer höhere Allgemeinheit erscheinen. In diesen wird symboli- sches Kapital, das gesellschaftliche Ansehen und der Anspruch auf Herrschaft dargestellt [BOURDIEU 1979: 102ff]. In der Erwartungshaltung, über symbolisches Kapital an der Herrschaft teilzuhaben, liegt ein sozialpsychologischer Anreiz für Landespfleger, die professionell ein Bewusstsein der Machtlosigkeit pflegen [SCHNEIDER 1989: 101-106], die kulturindustrielle Leitbildnerei zu betreiben258. Visiotypie 259In seiner Analyse der in der Populärwissenschaft, Politik und den Massen- medien verbreiteten Tendenz zur prägnanten Visualisierung von Theorien und Zusammenhängen sowie der Form kollektiver Images entwickelte PÖRKSEN eine Theorie zur ’Visiotypie’. „’Visiotypie’, von der eben die Rede war, ist der Hang zur Veranschaulichung. Ich gebrauche das Wort ’Visiotyp’ parallel zu ’Stereotyp’ und meine zunächst diesen allgemein zu beobachtenden, durch die Entwicklung der Informationstechnik be- günstigten Typus sich rasch standardisierender Visualisierung. Es ist eine durch- gesetzte Form der Wahrnehmung und Darstellung, des Zugriffs auf ’die Wirklich- keit’“ [PÖRKSEN 1997: 27]. Die Visiotypie ist eine ‘optische Denkform’ [vgl. SOHN-RETHEL 1973], die die kognitive Sinndistanz der Metapher, uneigentlich zu zeigen [PÖRKSEN 1997: 211, 216], negiert und die Visiotype als sichtbare ‘Tatsache’ vor den Augen des Pub- likums aufstellt [PÖRKSEN 1997: 216]. „Nicht nur die Metapher, auch das optische Bild verliert etwas von seiner Eigen- ständigkeit; der Abstand zwischen dem Bild und dem, was es darstellt, geht verlo- ren. Es ist nicht ganz leicht zu sagen, was es bedeutet. Eine bestimmte Art des Denkens in Bildern scheint mir berührt zu sein. Das Bild wird zwingend. 258 Siehe dazu die Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’ und ‘Affinität zur Herrschaft’. 259 Dieses Kapitel ist auf die Anregung, die Professor Holzapfel im Gutachten gab, eingefügt worden. 161 Die Metapher als natürliches Ding, die Zahlenkurve als Realität, die Photographie als Information“ [PÖRKSEN 1997: 214]. Bislang wurden Leitbilder in ihrer sprachlichen Form analysiert; PÖRKSEN ana- lysiert sie auch als visuelle Formen. Die Visiotypen können in drei Gruppen unterteilt werden: Figuren, Zahlenbilder und Instrumentenbilder [PÖRKSEN 1997: 136-141], die alle auf einer gemeinsamen Formung beruhen. Visiotypen sind Leitbilder, die den „Eindruck distanzierter Objektivität“ erzeugen, was durch den Wechsel des Mediums erleichtert wird, wenn z.B. eine Diskussion auf Schaubilder reduziert wird [PÖRKSEN 1997: 66]. Der Eindruck von Sachlichkeit wird durch die Beschränkung „auf das abstrakteste Merkmal, das alle gemein- sam haben, die Zahlenhaftigkeit“ unterstützt, die wiederum in scheinbar kon- kreten Bildern veranschaulicht wird, z.B. das Bild des ‘Blauen Planeten’ [PÖRKSEN 1997: 67]. Das zur Tatsache erklärte Bild erlangt nun Wirklichkeitssta- tus, es wird ontologisiert und ermöglicht damit die „Verdinglichung eines Ge- schehens zur operablen Größe“ [PÖRKSEN 1997: 67f]. Komplexe Zusammen- hänge werden zu Schlagwörtern verdichtet, sprachlich in Verbalsubstantive gefasst, die dann in der Visiotype Evidenz erlangen: ein Wort, ein Bild. Die Vi- sualisierung des Verbalsubstantivs gibt eine scheinbar leicht fassbare An- schauung, die als Abbildung der Realtät aufgefasst werden soll und der dann ein reales Handlungssubjekt unterstellt werden kann [PÖRKSEN 1997: 68]. Im diskursiven Satz sind das grammatische Subjekt und Prädikat getrennt, wer- den sie aber zu den Plastikwörtern zusammengezogen, können sie im Visioty- pe als evidente Einheit in Erscheinung treten, der Realitätsstatus zugespro- chen wird [PÖRKSEN 1997: 210f]. Mit den Visiotypen bzw. Leitbildern kann die Visiotypie bzw. Leitbildnerei als ‘optische Denkform’260 Szenarien kombinieren und mittels Droh-, Stimmungs- und Verheißungsszenario eine visuelle Schlussfolge bilden, die zwingend erscheint: Problem, Betroffenheit und Lö- sung [vgl. PÖRKSEN 1997: 80f]. Die stereotype Reihe kann in einem Bild vereinigt sein, dessen Motive entsprechend gelesen werden. Beispielsweise die Motive: Bevölkerungskurve, Agrartechnologie und gut genährte Menschen, oder der Titel ‘Bedrohte Tiere’ mit dem Foto positiv bewerteter Tiere und dem Emblem eines Naturschutzverbandes kombiniert261 [vgl. HARD 1987]. Die logischen Ver- knüpfungen zwischen den Bildelementen werden vom Rezipienten implizit hergestellt und diese bildhafte Aussage als ‘anschauliche Tatsache’ wahrge- nommen; das Bild wirkt als Leitbild. 260 Der Begriff knüpft an das Konzept von Sohn-Rethel an, dass die Denkform mit dem Inhalt identifi- ziert wird, der gesellschaftlich objektive Schein als objektive Wirklichkeit aufgefasst wird [vgl. Sohn-Rethel 1973]; siehe dazu das Kapitel ‘Objektiver Schein’. 261 Bekannt ist dieses Verfahren aus der allegorischen Malerei und Emblematik, das bei den Visiotypen allerdings auf die stereotype Form (Drohung, Stimmung, Verheißung) reduziert ist, in der die Bilder dechiffriert werden. Allegorien sind vieldeutige Sinnbilder; das einfache Schema der Visiotype hinge- gen lässt die Vieldeutigkeit verschwinden und suggeriert Eindeutigkeit. „Ein Emblem ist idealtypisch dreiteilig: Sein Zentrum ist ein Bild, die Pictura […]; darüber befindet sich die Inscriptio, d.h. Bildüber- schrift […]. Die gewissermaßen exegetische Bildunterschrift, die Subscriptio […] deutet die Pictura und damit auch die Inscriptio, sie verknüpft Überschrift und Bild, indem sie den bildhaft dargestellten Ge- genstand im Hinblick auf die Inscriptio dekodiert“ [HARD 1987: 114]. 162 „Anstelle des spezifischen Denkzwangs der Beweise, der erst in mühsamer Arbeit herauszufinden ist, entsteht durch Vereinfachung und Wertung ein anschauliches Bild“ [Fleck 1935: 149, zitiert in PÖRKSEN 1997: 110]. Durch die ‘optische Denkform’, über deren Evidenzen nicht gestritten werden könnte, entsteht innerhalb der Gesellschaft, in der sie etabliert werden kann, eine ‘öffentliche Tatsache’, die selbstverständlich erscheint und auf allgemeine Geltung rechnen kann [PÖRKSEN 1997: 103f, 108-111]. Leitbilder sind demzufolge so angelegt, solche öffentlichen Tatsachen vor den Augen des Publikums auf- zurichten, bestimmte Denkformen zu prägen und die Kritik an diesen wie an der Leitbildnerei überhaupt zu vereinnahmen. Morphing-Zone Leitbilder ‘morphen’, wie das SPEHR und STICKLER nennen. Sie beschreiben damit den semantischen Vorgang, dass Begriffe, die in die Leitbildnerei einge- hen, ihren Sinn derart verändern, dass sie zwischen den Diskursen und Sinn- zusammenhängen changieren können, ohne auf eine Bedeutung festlegbar zu sein [SPEHR/ STICKLER 1997]. Morphing ist ein Phänomen der Plastikwörter262. „Morphing ist eine Computertechnik: Anfangs- und Endbild werden festgelegt und dann das Anfangsbild mit so unmerklichen Veränderungsschritten an das Endbild angenähert, dass die Veränderung wie ein natürlicher Wachstumsprozeß wirkt. Morphing ist aber auch eine politische Realität“ [STEHR/ STICKLER 1999: 12]. Aus kritischen Umweltbewegungen werden Effizienzmaximierer, die ‘Grenzen des Wachstums’ werden zum ‘Wachstum der Grenzen’, aus der Strategie des bürgerinitiativlichen Dissenz gegen die Obrigkeit und Großindustrien wird der Konsens mit diesen am ‘runden Tisch’, in der Mediation usw. Die diskursive Strategie des Morphing verkehrt neben den sozialengagierten Bewegungen auch die kritischen Begriffe zu harmlosen, herrschaftskonformen Diskursmo- menten, indem es sie zu Plastikwörtern transformiert, deren Form wissen- schaftliche Autorität und soziale Besorgtheit verheißt, während ihr semanti- scher Gehalt nebulös und beliebig wird263. „Ökologie hat sich zu einem Herrschaftsdiskurs gemausert, der alles in sich hi- neinmorpht, was den sozialen Bewegungen einst lieb und teuer war – nur um ih- nen dann den Garaus zu machen“ [SPEHR/ STICKLER 1997: 13]. SPEHR und STICKLER erklären diese Transformation mit Hilfe des Diskursbeg- riffs, wie er von MICHEL FOUCAULT rekonstruiert wurde [SPEHR/ STICKLER 1997: 13f]. Diskurse unterliegen Regeln, die festlegen, was innerhalb ihrer gesagt werden kann und aussperren, was nicht gesagt werden soll [SPEHR/ STICKLER 1997: 13]. Diskurse werden mittels Macht betrieben, die sich innerhalb der Dis- kurse reproduziert. Werden bestimmte Diskurse dominant, dann konstituieren sie extreme Machtungleichgewichte und Herrschaft. Das, was in den hegemo- nialen Diskursen gesagt werden kann, gilt als allgemeiner Konsens, als gesell- schaftliche ‘Wahrheit’ [SPEHR/ STICKLER 1997: 13]. Innerhalb des Herrschafts- diskurses kann man der ‘Wahrheit der Herrschaft’ nicht widersprechen, weil er die Regeln festlegt, in der sich Kritik formulieren ließe. Dadurch kann der Herr- 262 Die Funktion von Plastikwörtern haben wir oben im Kapitel: ‘Sprachliche Formierung von Leitbil- dernSprachliche Formierung von Leitbilder’ beschrieben. 263 Dies wird durch die Mythisierung möglich, die einen Sinn 1. Ordnung mit einem Sinn 2. Ordnung überlagert; siehe dazu: ‘Mythisierung von Leitbildern’. 163 schaftsdiskurs die kritischen sozialen Momente vereinnahmen, wenn sie unter seinen Prämissen formuliert werden, und wird immun gegen Kritik, die dessen gesellschaftsgeschichtliches Versagen aufweist, weil er auch widersprüchliche Inhalte vereinnahmen kann. Wie seine sprachlichen Elemente, die Plastikwör- ter, weist er eine extreme semantische Elastizität auf [SPEHR/ STICKLER 1997: 13f]. „Elastizität schützt den Diskurs vor Scheitern. Es gehört daher zum Wesen von Herrschaftsdiskursen, dass sie ‘scheiterungsunanfällig’ sind“ [SPEHR/ STICKLER 1997 13]. Diese Elastizität ermöglicht auch das Morphing der ‘Begriffe’, die in den Dis- kurs eingehen und zu formbaren Plastikwörtern transformiert werden, die dann sinnentleert und umgeformt werden. Zur Herstellung des allgemeinen, gesell- schaftlichen Konsensus, dem man scheinbar nicht begründet widersprechen könne, nutzen diejenigen, die den Diskurs prägen, Leitbilder [SPEHR/ STICKLER 1997: 16]. In den Diskurs eingebracht ‘greifen’ Leitbilder aktuelle Werthaltungen auf, um Akzeptanz zu erlangen, für die in populärwissenschaftlichen Studien und lebensreformerischen Magazinen geworben wird264. Wie das an der Myt- hisierung erklärt, wirkt das im ersten Schritt sinnentleerte und dann im zweiten Schritt bedeutungsveränderte Plastikwort durch das positive Image. Gesell- schaftlich gesehen bestechen die Leitbilder die Rezipienten durch die Waren- ästhetik, die das Versprechen als Sachqualität suggeriert265. SPEHR und STICKLER erläutern dies anhand des Entwicklungsdiskurses zwischen den In- dustrieländern und sozial-emanzipativen Bewegungen. „Mit den Leitbildern stehen wir mitten in der Morphing-Zone. Sie saugen viele Versatzstücke aus dem Diskurs der neuen sozialen Bewegungen des ‘Südens’ auf und verwandeln sie in eine Ethik des gehorsamen Anspruchsverzichts. Sie benutzen Anfangsbilder, die einer oberflächlichen Kapitalismus-Kritik (alles wird kälter, mechanischer, verwirrender) entstammen, und morphen sie zu einem End- bild, in dem die alte Herrschaftsmaschine innen mit Kinderbildern von Sonnen- blumen und Bauernhöfen tapeziert wird“ [SPEHR/ STICKLER 1997: 16]. Wer wagt, die ‘Ökologie’ in Zweifel zu ziehen, begeht geradezu ein Sakrileg. Die Übermacht der kollektiven Bilder, die eine fertige Welt behaupten, basiert auf ihrer ‘Evidenz’, dass sie geglaubt werden, auch dann noch, wenn sie der lebensweltlichen Erfahrung widersprechen266. Die Leitbilder sind um ein ‘Para- digma’267 angesiedelt, das als notwendiger Fixpunkt und Hintergrundsglauben das Morphing der Plastikwörter innerhalb der diskursiven Regeln ermöglicht [SPEHR/ STICKLER 1997: 17f]. Im Diskurs streben die Plastikwörter letztlich immer wieder auf die grundlegenden Paradigmen (Glaubenssätze) zu. 264 Sie vermitteln beispielsweise einen alternativen Lebensstil der global besorgten Konsumenten [SPEHR/ STICKLER 1999: 16]. 265 Siehe zur Ablösung der Bedeutung von der Sache, der anschließenden Inszenierung von neuer Bedeutung und schließlich der Verwechslung zwischen Image und Sache das Kapitel: ‘Warenästhetik und Leitbilder’. 266 Die sozialpsychologische Wirksamkeit kollektiver Bilder und deren semantische Deformation der Erfahrung haben wir in den Kapiteln: ‘Das kollektive Imaginäre’ und ‘Kolonisierung der Lebenswelt’ erläutert. 267 Zur sozialen und wissenschaftlichen Funktion der Paradigmen und zum Paradigmenwechsel siehe KUHN [1962]. 164 „Paradigmen sind die zentralen Endbilder, um die sich ein Diskurs gruppiert und denen er alles angleicht, was in ihn hinein gerät. Sie sind die ruhenden Pole im ständigen Gestaltwandel des Diskurses, das Bewegungslose im Bewegten, das Auge des Sturms im Inneren der Morphing-Zone“ [SPEHR/ STICKLER 1997: 17]. Daher steuert alle Kritik an Diskurselementen, die innerhalb des hegemonialen Diskurses artikuliert wird, auf die Bestätigung des Herrschaftsdiskurses. Ein hegemonialer Diskurs kann nicht widerlegt werden, sondern altert und ver- schwindet, wenn seine diskursiven Elemente immer weniger diskutiert werden, weil sich neue Machtverhältnisse in alternativen Diskursen ausbilden [SPEHR/ STICKLER 1997: 18]. Für den Diskurs der Landespflege bildet diesen Fixpunkt der moderne Landschaftsbegriff, um den die landespflegerischen Leitbilder gelagert werden. Landschaft in der Leitbildnerei Nachdem die – semiotischen, gesellschaftshistorischen und wissenschaftsthe- oretischen (disziplinär-methodischen) – Voraussetzungen der Leitbildnerei er- läutert wurden, können wir die Funktion der Leitbildnerei in der Landespflege erklären. Leitbilder gibt es in vielen Professionen, in der Landespflege ist das Leitbild auf das Phänomen ‘Landschaft’ bezogen, wobei dieser Bezug direkt sein kann wie im Falle der ‘landschaftlichen Leitbilder’ oder indirekt wie bei den ‘programmatischen Leitbildern’. Die landespflegerische Leitbildnerei basiert also neben den allgemeinen Bedingungen der Leitbildnerei – Mythisierung, Warenästhetik und kollektive Imagination – auf der absoluten Metapher Land- schaft268. Die ist möglich, weil ‘Landschaft’ eine sprachliche Metapher ist [BURCKHARDT 1978: 206], die von der Landespflege annähernd durchgängig als außersprachliche Entität, dingliche Wirklichkeit aufgefasst wird [HARD 1991: 13], und zugleich das ‘professionelle Idol’ der Landespflege ist [HARD 1991: 17]. Konstitutiv für die landespflegerische Leitbildnerei ist der distanzierende Blick, wie er für die moderne Ästhetik und positivistische Wissenschaft charakteris- tisch ist, der von den konkreten Interessen und Konflikten absieht, um eine scheinbar wertfreie Erkenntnis zu ermöglichen [vgl. BOURDIEU 1979: 62f]. Wird diese epistemische Distanz zwischen Betrachtung und Handlung ohne Refle- xion auf den Geltungsbereich der Erkenntnis, die aus der distanzierten Wahr- nehmung entspringt, als positive Wahrheit genommen, dann führt diese Er- kenntnishaltung zu einer Abstraktion von dem Gegenstand der Erkenntnis, die diesen auf das sprachliche Format von Plastikwörtern reduziert. Im ästhetischen Kontext von Malerei und Landschaftspark ist das Sujet ‘Land- schaft’ mit Bedeutungen versehen worden, die der Kunstgeschichte entstam- men. Diese semantische Verlagerung im weitesten Sinne ästhetischer Gehalte auf das Kunstwerk ‘Landschaft’ ist eine Mythisierung, die dadurch möglich wird, dass in die gestaltete Landschaft Motive eingesetzt werden, die aus an- deren Kunstwerken bekannt und dort schon bedeutsam sind. Neben anderen klassischen Bildgehalten erlangt vor allem der antike Topos ‘Arkardien’, der in der Epoche, als die Landschaftsmalerei und der Landschaftspark herausgebil- det wurden, eine ideale Mensch-Natur-Harmonie verbildlichte [PANOFSKY 1936], eine prägende Stellung in der landschaftlichen Komposition [HARD 1991: 14]. In 268 Siehe das Oberkapitel: ‘Die Entdeckung der Landschaft’. 165 der ästhetischen Anschauung der Kunstwerke bildete sich die Wahrnehumgs- form heraus, mit der die Rezipienten in der Lage waren, unter Beibehaltung der ästhetischen Einstellung des Blicks das bearbeitete Land distanziert als Landschaft zu betrachten. Damit konnte das Land im landschaftlichen Blick kolonisiert und sprachlich dem Gebrauchszusammenhang entfremdet werden. Unter dieser ästhetischen Anschauungsform wird ‘Landschaft’ zur Metapher für das ‘sinnvolle Ganze’ eines betrachteten Raumausschnitts [RITTER 1963a]. Das Wort ‘Landschaft’ fungiert hier als Kippfigur zwischen einer bestimmten An- schauungsform und dem in dieser Anschauungsform entdeckten Gegenstand. Die ‘Ablösung’ des bearbeiteten Landes vom Gebrauchszusammenhang durch die distanzierte ästhetische Wahrnehmung, die es wie ein Kunstwerk an- schaut, dessen Sinn sich der Betrachtung ergebe, entspricht der Warenästhe- tik. Die Landschaft ist mit einem Glücksversprechen versehen, und dient dem betrachtenden Subjekt als Projektionsraum für Hoffnungen und Träume [LORBERG 2006b]. In der Verwechslung von Wahrnehungsform und Projektion mit den ländlichen Signifikanten, die mit dem Glücksversprechen versehen werden, wird die Anschuungsform ‘Landschaft’ verdinglicht. Die Bedeutungen, die dem Land in der ästhetischen Anschauung als Landschaft zugesprochen werden, scheinen nunmehr jenem selbst zu entspringen [BURCKHARDT 1978: 207]. Das als Landschaft bezeichnete Land erscheint „still, schön, ländlich, grün, gesund und erholsam, harmonisch, mannigfaltig und ästhetisch“ und wird von arkadischen Versprechen umhüllt wie „Glück, Liebe, Muße, Frieden, Frei- heit, Geborgenheit, Heimat“ [HARD 1991: 14]. „Sie symbolisiert gewachsen-verwurzelte Kultur gegen falschen Fortschritt und leere Zivilisation und sie ist zugleich der Gegenstand, das ideale Gegenüber für das (Natur-)Erleben eines gemüt- und seelenvollen modernen Subjekts“ [HARD 1991: 14]. Die Werte erscheinen als außergesellschaftliche, natürliche Normen, die von einer wertfreien Wissenschaft analysiert werden könnten [HARD 1991: 16f]. Mit der Ontologisierung der Landschaft ist die Mythisierung nicht abgeschlossen, sondern wird von nun an, auf die ontologisierte Landschaft angewandt. So werden die Modernisierung in der Landbewirtschaftung und die Veränderun- gen auf dem Land von der Landespflege auf symbolischer Ebene begleitet und vorangetrieben, indem die ontologisierte Landschaft ästhetisch inszeniert wird. Diese landespflegerische Inszenierung, die von der Produktion der Reproduk- tion und den sozialen Verhältnissen losgelöst ist, folgt den Moden und ist auf die Vermarktung und Akzeptanz ausgerichtet [MEHLI 1989: 132]. Indes ist die Werbung mit Mode und Modernisierung auch im Zusammenhang mit Ausbeu- tung zu sehen. „Der Luxus: die Waren mit den starken sinnlichen Reizen, vermittelt kein geringes Stück der großen Umverteilung des Besitzes bei Revolutionierung seiner Verwer- tung, die ursprüngliche Akkumulation heißt“ [HAUG 1970: 16]. Die Inszenierung des Luxus, die Warenästhetik in der Leitbildnerei, ist ein be- deutendes Machtmittel, die ursprüngliche Akkumulation zu fördern. Die soziale Enteignung, die Nutzungseinschränkung und Monetarisierung der freien Güter, wie sie in der Geschichte der Landespflege üppig belegbar ist [SCHNEIDER 1989], wird durch die Leitbildnerei unterstützt. Indem die Leitbildnerei die Ent- eignung und Umverteilung der Nutzungsrechte an freien Gütern fördert und 166 verbrämt, wirkt sie ideologisch und findet im modernen Landschaftsbegriff ei- nen Ansatzpunkt. Denn die ontologisierte Landschaft wird als objekthafter Wert wahrgenommen und damit ideologisch. Die ideologische Einheit von Land und Leuten, für die die harmonische Land- schaft steht, suggeriert einen verborgenen Konsens, der in der öffentlichen Meinung offenbar würde269. Diese Wendung zur ideologischen Landschaft ba- siert auf der kollektiven Imagination, dass es nicht nur die Gesellschaft leitende Vorstellungen gebe, sondern diese sogar notwendig seien. So ist die Landes- pflege als Kulturindustrie über die Gestaltung der Landschaft um die politische Erziehung des kollektiven Imaginären bemüht. Der verdinglichten Landschaft sind politische Gehalte immanent, die in der professionellen Debatte über Landschaft und Leitbilder virulent sind und aus denen die Leitbilder der Land- schaft genährt werden [BURCKHARDT 1978: 211]. Von der Landespflege wird das ästhetische Konstrukt Landschaft auf die Orte der Produktion übertragen, und unterstellt, dass die Produzenten diese ästhetisch anzuschauende Landschaft herstellen wollten270 [MEHLI 1989: 132]. Dabei erweist sich der Begriff der Kultur- landschaft als metaphorischer Hebel, um die verdinglichte Landschaft zu ideo- logisieren und als natürliche, werthafte Einheit von Land und Leuten aus- zugeben. KARL-HEINRICH HÜLBUSCH rekonstruiert die Debatte um den geografischen Landschaftsbegriff, wobei er auf die Idee der landschaftlichen Harmonie und Nachhaltigkeit eingeht [HÜLBUSCH 1967]. „Zunächst also ist Landschaft von der Physiognomie her faßbar. Sie wird als Ges- talt (im Sinn von Form) erkannt“ [HÜLBUSCH 1967: 5]. Die Landschaft wird visuell als eine Einheit wahrgenommen, deren Qualität in der landschaftlichen Harmonie läge, die „in der Übereinstimmung von Erschei- nung und wirksamen Bildungsbedingungen besteht“ [HÜLBUSCH 1967: 19]. In der Physiognomie der Landschaft, die vom distanzierten Betrachter her ästhe- tisch wahrgenommen wird, liegt deren harmonische Erscheinung, die vom Blick des Betrachters aus, den materiellen Signifikanten, den ländlichen Pro- duktionsmitteln (Acker, Grünland etc.) zugesprochen wird. „Harmonie wird so zu einem qualitativen Kriterium der Kulturlandschaft, in Bezug auf einer einheitlich wirkenden Antriebskraft, zu einer Idee, die ja letztlich durch ih- re Gestaltung auf irgendeinen Nutzen aus ist“ [HÜLBUSCH 1967: 19]. Das zunächst ästhetische Phänomen Landschaft wird zu einem materiellen Objekt ontologisiert, dessen Harmonie auf eine Entsprechung zwischen Er- scheinungsform und Funktion zurückgeführt [HÜLBUSCH 1967: 5] und deren Ein- 269 Auf die ‘öffentliche Meinung’ und den ‘Zeitgeist’ gehen wir im folgenden Kapitel ‘Leitbildnerei als Zeitgeisterei’ ein. 270 Den funktionalen Zweck dieser Verwechslung zeigt RETO MEHLI an ihren Folgen auf, wenn er her- ausstellt, dass die „‘Bewahrung und Wiederherstellung’ dieses ‘Bildes der Landschaft’“, die die Lan- despflege betreibt, „den Zugriff aufs Land fort[führt]“ [MEHLI 1989: 132]. Der politische Konflikt, der in dem enteignenden Zugriff der Landespflege auf die Orte der Produktion liegt, wird durch die Ästhetisierung verklärt, die mit der Zuschreibung des ästhetischen Phänomens auf ein wirtschaftliches Phänomen vollzogen wird. Sind die Produktionsorte „zum Objekt ästhetischer Gestaltung“ geworden, dann treten die Nutzerinnen und Nutzer „nur noch als Statisten auf“ [MEHLI 1989: 135]. „Mit der Inszenierung von Bil- dern in der bäuerlichen Agrarlandschaft wird die Arbeits- und Lebensweise der Landbevölkerung äs- thetisiert und die Kolonisierung der Landbevölkerung durch die Aufhebung ihres Arbeitsplatzes be- werkstelligt“ [MEHLI 1989: 138f]. Eklatant wird diese Verwechslung, wenn die Grünplanung das ästheti- sche Konstrukt Landschaft als Leitbild in die Stadt einführt [MEHLI 1989: 133f]. 167 heit in einer leitende Idee, die in der Landschaft wirke, einem einheitlichen Geist der Landschaft bestehe [HARD 1970c: 176f]. Aus der abstrahierenden Sicht der physiognomischen Landschaftsbetrachtung erscheint die Landschaft letztlich so, als läge die Herstellung dieser ‘Land- schaft’ im Interesse der Landnutzer; als folgten die Landwirte einem einheitli- chen Plan, der in der landschaftlichen Natur begründet läge271 [HÜLBUSCH 1967: 15]. Wenn die Menschen auf das naturbürtige Angebot reagieren, böte es sich an, den verdinglichten Begriff ‘landschaftlicher Harmonie’ aus der Funktionen des Naturhaushalts zu erklären. Legt man das Modell der geschichtslosen Na- turlandschaft zugrunde [HÜLBUSCH 1967: 8], dann führt dieser Gedanke zu- nächst zu einer statischen Bestimmung landschaftlicher Harmonie [HÜLBUSCH 1967: 19]. Unter dem Aspekt, dass die materiellen Signifikanten der Kulturland- schaft wesentlich durch menschliche Arbeit und Wertgebung entstanden und geprägt worden seien, müsse man die Entwicklungsbereitschaft der Kultur- landschaft anerkennen, deren Harmonie nicht mehr statisch gefasst werden kann272 [HÜLBUSCH 1967: 20]. „Harmonie könnte mit Kontinuität in Zeit und Raum umschrieben werden: In die- sem Begriff wird dann ein Prozeß gemessen, und zwar nach der Bedeutung für die Zukunft, für den Fortschritt. [...] Harmonie der Kulturlandschaft ist zu erfassen durch die Interpretation der Dynamik, gemessen an der Nutzung und Nachhaltig- keit. Dabei ist Nachhaltigkeit orientiert an der Frage, wie das Bestehende einbe- zogen und das zu Entwickelnde auf mögliche Fortentwicklung hin konzipiert ist“ [HÜLBUSCH 1967: 21]. Leitbildnerei als Zeitgeisterei In Bezug auf die politische Durchsetzung landespflegerischer Maßnahmen und den Ruf nach dem ‘Zeitgeist’ wird besonders deutlich, dass die Leitbildnerei auf der Warenästhetik beruht. Dies wird im Folgenden dargestellt. „Die politisch-planende Tätigkeit muß in ihrem Leitbild Zeitgeist vorweg nehmen und eigentlich erst schaffen. Sie schafft Zeitgeist nicht stationär, sondern denkt Fortschritt und Zukunft als mögliche Realität vorweg“ [HÜLBUSCH 1967: 23]. Die prozesshafte ‘landschaftliche Harmonie’ wird somit zur Aufgabe der Pla- nung, die eine nachhaltige harmonische Landschaftsentwicklung ermöglichen solle [HÜLBUSCH 1967: 21f]. Hierzu dienen der Landespflege Leitbilder. Da Pla- nung eine politische Äußerung ist, die auf Wertgebung und Entscheidung hi- nausläuft, steht sie in der Gefahr, in Ideologie abzugleiten, wenn sie politische Programme mit wissenschaftlichem Anspruch vertritt [HÜLBUSCH 1967: 22]. „Daß dieses politische Bewusstsein oft fehlt, läßt sich zur Zeit in Deutschland an der ‘Räte-Inflation’ ablesen. Diesen ‘Räten’ und damit also der wissenschaftlichen Autorität wird die Entscheidungsgewalt, eine Richteramt, zugemutet, das die au- tonome politische Entscheidung nicht nur entlastet – vielleicht sogar ersetzt“ [HÜLBUSCH 1967: 23]. In dem Dilemma zwischen den widerstreitenden Ansprüchen einer wertneutra- len Wissenschaftlichkeit und wertbehafteter Politik greifen Landespfleger zu 271 Neben diesem Begriff des ‘Naturplans’, dem die Menschen folgten, steht der des ‘Kulturplans’, dass den geschichtlichen Menschen bestimmte Produktivkräfte zur Verfügung stehen, mit denen sie die Kulturlandschaft formen können [HÜLBUSCH 1967: 16, 21]. 272 Indem Nachhaltigkeit unter dem Aspekt „auf mögliche Fortentwicklung hin konzipiert“ wird [HÜLBUSCH 1967: 21], ist das Leitbild der ‘nachhaltigen Entwicklung’ schon vorweg genommen. 168 Leitbildern, um dem Ideologieverdacht zu entgehen. Denn: verbiete die Ideolo- gie jede weitere neben sich, wären Leitbilder nur im Plural sinnvoll und förder- ten damit die politische Auseinandersetzung um Alternativen [HÜLBUSCH 1967: 22]. Die Leitbilder der Landespflege sind also wesentlich auf die Erfindung der Zu- kunft ausgerichtet, und dabei darauf angewiesen, politische Tendenzen aufzu- nehmen273, was nicht bedeutet, dass sie diese direkt darstellten. Vielmehr sei für die Leitbildnerei charakteristisch, „daß Leitbilder nicht die realen, tatsächli- chen gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln, sondern fingierte Verhält- nisse vorspiegeln“ und dabei „Mittel der politisch Mächtigen/ Entscheidungsbe- fugten sind, um deren einseitigen Interessen durchzusetzen“ [MEHLI 1989: 135], wozu sie geeignet seien, weil sie „unter dem Deckmantel der ästhetischen Verheißung die realen Verhältnisse verbergen“ [MEHLI 1989: 135]. Demnach kommt Leitbildern eine ideologische Funktion zu [MEHLI 1989: 135].274 In diesem Zusammenhang betont MEHLI, dass auf der ideologischen Ebene der Leitbild- nerei, wo sie sich sozusagen im Schein ihrer selbst bespiegelt, politische Kon- flikte als ästhetische Fragen der Gestaltung diskutiert werden. Hier würde die rhetorische Figur des ‘Zeitgeistes’ in die Diskussion eingeführt, um den ge- schichtlichen Zusammenhang zwischen ästhetischer Gestaltung und Gesell- schaftsentwicklung zu behaupten [MEHLI 1989: 143]. Die Metapher ‘Zeitgeist’ meine in der Grünplanung, dass „gartenarchitektonische Werke immer Aus- druck ihrer Zeit gewesen seien und demnach auch jeder Gartenarchitekt im ‘Zeitgeist’ seiner Zeit planen müsse“ [MEHLI 1989: 143]. Diese Erklärung aus der Grünplanung ist auf die Landespflege insgesamt übertragbar, die mit der Su- che nach den angemessenen Leitbildern den ‘Zeitgeist’ zu treffen hofft275. Da die landespflegerischen Entwürfe über den ‘Zeitgeist’ mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit vermittelt seien, erübrige sich für die Landespfleger auch die „Re- flexion ihres Berufsverständnisses“ und sich „weiter kritisch mit ihren Entwür- fen auseinanderzusetzen“ [MEHLI 1989: 143]. Denn die Suche nach neuen Leit- bildern dient, vor dem Hintergrund, dass darin der Zeitgeist getroffen werden soll, dem die Funktion zukommt, den Zusammenhang zwischen Leitbild und Gesellschaft zu verbürgen, den Landespflegern „als Nachweis für ihre gestalte- rischen Fähigkeiten“ [MEHLI 1989: 143]. Über den Zeitgeist werde Geschichte zur Abfolge von Moden, über die der je- weils aktuelle Geschmack entscheide [MEHLI 1989: 144], womit die Beliebigkeit, die auf ideologischer Ebene besteht, soweit sie sich im vertretbaren Rahmen dessen bewegt, was vorgespiegelt werden darf, über den Zeitgeist in die Ge- schichte verlagert wird. Eine gesellschaftshistorisch konstituierte Vorstellung wird als unabhängige Grundlage der Gesellschaftsentwicklung selbst ausge- geben. Was HARD in diesem Zusammenhang über die opportunistische Weiß- 273 Demnach liegt es in der Logik der Landespflege nach neuen Leitbildern zu suchen und diese har- monisch an die bestehende ‘Landschaftsentwicklung’ anzubinden, was unter dem Begriff der Nachhal- tigkeit firmiert [HÜLBUSCH 1967: 21]. 274 Vom Widerspruch zwischen den leitbildhaften Verheißungen und deren Folgen, die durch die lan- despflegerischen Maßnahmen entstehen, will MEHLI Rückschlüsse auf das Gesellschaftsbild der Lan- despfleger ziehen [MEHLI 1989: 135]. 275 Siehe zur innerprofessionellen und ökonomischen Funktion der Zeitgeisterei in der Landespflege auch die Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’ und ‘Mode und Modernisierung’. 169 wäscherei der Geographen sagt, das ist ohne weiteres auf die Landespfleger übertragbar. „Der ‘Zeitgeist’, ein etwas undurchsichtiger Ausdruck für die herrschenden Ideen, redet den Leuten ein, wie die Welt wirklich ist: geschwollener ausgedrückt, er sorgt für den ontologischen Konsens – und zwar so, daß die Verhältnisse, wie sie gerade sind, schließlich so aussehen, als seien sie die Seinsstruktur. Die Phan- tom-Loyalität der Geographen zur ‘Sache’ oder zum Aufbau des Seins hat so sei- ne reale Basis in seiner Loyalität zu den herrschenden (räumlichen) Verhältnis- sen“ [HARD 1979: 25]. Betrachtet man die Landespflege aus dieser Perspektive, dann ist die Ge- schichte im Selbstverständnis der Landespflege ideologisch. Diese Verkehrung des Wirklichen ins Fiktive wird von MEHLI als Merkmal der „sogenannten ‘Postmoderne’“ identifiziert [MEHLI 1989: 150], die er mit HARVEY als Chiffre der gegenwärtigen sozioökonomischen Entwicklung angesehen wird [MEHLI 1989: 152]. Der Geograph DAVID HARVEY erläutert, „daß die Postmoderne nichts anderes ist, als das kulturelle Mäntelchen flexibler Akkumulation“ [HARVEY 1987: 125; vgl. MANDEL 1984: 49f, 78]. Diese resultiere aus der Krise der Akkumulation, die seit den 1970er Jahren die hochindustrialisierten Staaten erschüttert [vgl. MANDEL 1973], und löse das wirtschaftliche Regime des ‘Fordismus’ ab, das darauf setzte, durch hohe Löhne die Leistungs- und Konsumbereitschaft der Arbeit- nehmer zu steigern, um preiswert zu produzieren und zugleich den nationalen Markt auszuweiten276. Insofern ermöglicht die ökonomische Krise des Fordis- mus zugleich eine Verwertungschance für neue Investitionsformen, weil be- stimmte Unternehmen von ökonomischen Krisen profitieren können. System- theoretisch betrachtet, profitiert der Kapitalismus insgesamt von ökonomischen Krisen auch dann, wenn einzelne Unternehmen dabei bankrott gehen; ihr Bankrott kann sogar als notwendige Voraussetzung zur weiteren Kapitalver- wertung gesehen werden. „Ein klassischer Musterprozeß: Man muß einen Teil des in der Vergangenheit an- gesammelten Kapitals zerstören, damit eine neue Wachstumsphase möglich wird. Wie alle vorherigen Krisen des Kapitalismus bedeutet die gegenwärtige Krise nicht von sich aus das Ende des Kapitalismus, sondern eine Umverteilung der Macht unter rivalisierenden Fraktionen des Großkapitals“ [GORZ 1977: 16]. Die flexible Akkumulation führe zu einer verstärkten Konkurrenz zwischen den Regionen und unter den Arbeitnehmern, denen räumliche, zeitliche und beruf- liche Flexibilität abverlangt wird [HARVEY 1987: 109f]. Flexibiliät wird zur Ideolo- gie, die gleiche objektive Chancen suggeriert und das Versagen im Konkur- renzkampf um ‘knappe Ressourcen’ den Subjekten zuweist [HARVEY 1987: 123, 125]. Überregional bzw. transnational agierende Unternehmen können mit der flexiblen Akkumulation die lokale Wirtschaftskraft destabilisieren und zwischen den Regionen einen Konkurrenzkampf um flexibel akkumulierende Investoren erzeugen [HARVEY 1987: 112]. Auf der Ebene der Distribution reagieren die Un- 276 Investierten die großen Unternehmen während der Ära des Fordismus langfristiger an einem Standort, so wechselt deren Investitionsbereitschaft im Post-Fordismus zur flexiblen Akkumulation, die kurzfristige Investitionen betreibt, deren Profit nicht wieder am selben Ort reinvestiert wird. FREDERIC JAMESON spricht von einem ‘multinationalen Kapitalismus’, der den merkantilen und den Monopolkapi- talismus abgelöst hätte [JAMESON 1984: 78]. 170 ternehmen auf die Überakkumulation mit verstärkter Werbung um die Gunst der Kunden und einer radikalen Ästhetisierung der Waren, an der auch die Administration und die Kulturindustrie teilnehmen [HARVEY 1987: 122f]. „Unter einem Regime flexibler Akkumulation stellt urbanes Leben sich so mehr und mehr als ‘immense Anhäufung von Spektakeln’ dar“ [HARVEY 1987: 123]. Die Verwaltungen ihrerseits betreiben z.B. ‘Stadtmarketing’, um Unternehmen als Kunden zu gewinnen, und zwar mittels regionaler Leitbilder [z.B. BECKER et al. 1998: 11ff]. Die steigende Macht der Bilder läge darin, dass in der (postmo- dernen) Gesellschaft „der Tauschwert so weit generalisiert wurde, daß sogar die Erinnerung an Gebrauchswerte erloschen ist [...,] daß in ihr ‘das Bild zur endgültigen Form der Verdinglichung durch den Warenfetischismus geworden sei’“277 [JAMESON 1984: 63]. Aus der allgegenwärtigen Umwerbung der Investiti- onen, so HARVEY, resultiere die kulturelle Epoche der Postmoderne, in der so- ziale Probleme als ästhetische Fragen bearbeitet werden. Diese ästhetische Bearbeitung sozialer Probleme wird über das symbolische Kapital geregelt278 [BOURDIEU 1976: 327]. „Symbolisches Kapital kann aber durch Geschmacksveränderungen eine Auf- und Abwertung erfahren. Wenn symbolisches Kapital die versteckte Möglichkeit zur Machtausübung enthält, dann sind die Machtbeziehungen selber anfällig für Ge- schmacksveränderungen“ [HARVEY 1987: 121]. Damit kommt der Mode und ästhetischen Modernisierung eine politische Funk- tion für die Verteilung von Herrschaft zu. Insofern ist die „’Postmoderne’ nicht als Stilrichtung, sondern als kulturelle Determinante zu begreifen“ [JAMESON 1984: 48], unter der die Warenästhetik vor allem in der Architektur – aber auch in der Landespflege – auf den Raum zugreift, der werbewirksam inszeniert [JAMESON 1984: 48f] und über die symbolische sowie materielle Gestaltung be- setzt wird, die in die Lebenswelt der Menschen hinein wirkt [JAMESON 1984: 81]. „Diejenigen, die die Macht haben, über den Raum zu bestimmen und ihn zu ges- talten, besitzen damit ein lebenswichtiges Instrumentarium zur Reproduktion und Vergrößerung ihrer eigenen Macht“ [HARVEY 1987: 113]. Die Modernisierungen wiederum, die Unternehmern Investitionschancen eröff- nen sollen, werden kurzlebig und strittig, weil sie im Konkurrenzkampf zwi- schen den Regionen die Überakkumulation verschärfen [HARVEY 1987: 124] und soziale Disparitäten vergrößern [HARVEY 1987: 113]. Die ‘kreative Zerstörung’ der lokalen Ökonomien und Lebenszusammenhänge durch die flexible Akku- mulation ist indes nichts grundsätzlich Neues, sondern ein konstantes Prinzip der Kapitalverwertung, das unter der aktuellen Wirtschaftsweise nur deutlicher in den postmodernen Innovationen hervortritt. „’Kreative Zerstörung’ – dieses Kernstück kapitalistischer Moderne – ist so zentral für das tägliche Leben, wie sie immer war“ [HARVEY 1987: 125]. Diese Überlegung zur Postmoderne, die die Leitbildnerei nochmals radikali- siert, führt MEHLI zu dem Urteil, dass die Landespflege „als postmoderne Dis- ziplin schlechthin bezeichnet werden“ könne [MEHLI 1989: 150]. In der Landes- 277 Das Binnenzitat stammt aus GUY DEBORDs Buch ‘Gesellschaft des Spektakels’ [DEBORD 1978]. Siehe zum Warenfetischismus das Kapitel: ‘Warenästhetik und Leitbilder’. 278 Siehe zum symbolischen Kapital und Landespflege auch das Kapitel: ‘Ökonomische Interessen und Ästhetisierung’. 171 pflege ist die Fiktion zu sich selbst gekommen, indem die Wirklichkeit als ideo- logisch aufgefasst wird. Wie die Warenästhetik bezweckt die Leitbildnerei, Märkte zu schaffen; auf das politische Feld angewendet, werden beide propa- gandistisch. Propaganda ist eine vereinnahmende, die Urteilsfähigkeit reduzie- rende und von der ‘richtigen Meinung’, zu der es keine Alternative gäbe, über- zeugende politische Suggestion. Sie verfolgt das Ziel, einen Konsens in der ‘öffentlichen Meinung’ herzustellen, der die politische Öffentlichkeit und die Debatten gleichschaltet. Der Propaganda liegt eine ‘Weltanschauung’ zugrun- de, in der Autonomie und Urteilsfähigkeit negiert sind. Deshalb wird von Be- fürwortern der Leitbildnerei die Behauptung vertreten, dass es nur Leitbilder gäbe und nichts außerdem. Ohne Leitbild ginge nichts; es sei denn, dies sei ein neues Leitbild! Der Leitbildnerei wird somit letztlich alles zur Propaganda, womit sie in den Bahnen des hegemonialen Diskurses verbleibt279. „Die modernen Reklame- und Propagandatechniker, die damit beschäftigt sind, ih- re Fiktionen und images den jeweils sich ändernden Umständen anzupassen, treiben direktionslos in einem Meer der Möglichkeiten, in dem sie nicht einmal der Glaube an die eigenen Machenschaften rettet. [...] Das Errichten Potemkinscher Dörfer [...] wird nie zu der Errichtung wirklicher Dörfer führen, wohl aber zu einer Verbreitung illusionären Wunschdenkens und einer Vervollkommnung in den mannigfachen Künsten zu lügen und zu betrügen“ [ARENDT 1972: 83f]. Resümee zur Leitbildnerei in zwölf Punkten Sind auch andere Professionen leitbildorientiert, so ist die spezifische Leitbild- orientierung der Landespflege von der grundlegenden Metapher (Basispara- digma) ‘Landschaft’ beeinflusst. Die landespflegerischen Leitbilder sind auf den modernen Landschaftsbegriff bezogen. 1. Über Leitbilder werden der Gegenstand und die Aufgabenstellung in der Landespflege ästhetisiert, ohne dass sie als ästhetische ausgewiesen wür- den. Dies geschieht, indem die Ausrichtung auf Leitbilder von den konkreten lokalen Interessen und Interessenkonflikten abstrahiert und von der harmoni- schen Ganzheit der Landschaft ausgeht. Dieses Ganzheitskonzept ist we- sentlich ein ästhetisches Konstrukt, das nur scheinbar aus materiellen Kom- ponenten abgeleitet werden kann. 2. Korrelativ zur Ästhetisierung, die von der alltagsweltlichen Relevanzstruktur der Leute absieht, werden über das Leitbild soziale Phänomene verdinglicht. Dies besagt, dass das ästhetische Phänomen den Dingen selbst zugeschrie- ben wird, als deren materielle Eigenschaft es nunmehr erscheint. In der Ver- lagerung des ästhetischen Konstrukts in den materiellen Träger erscheinen Interessen in einer systemtheoretischen Perspektive als Funktionen, die in einem heteronomen Sachzusammenhang erzeugt und eingebunden sind. Die Autonomie im Gebrauch wird in der Verdinglichung geleugnet. 3. Ob bewusst oder unbewusst, werden Leitbilder eingesetzt, um von der poli- tischen Debatte abzulenken. Somit kann über verdinglichte Leitbilder die öf- fentliche Debatte entpolitisiert und die anschließende Entscheidung autoritär vereinnahmt werden. Dies wird möglich, weil die versachlichte Darstellung im Modell das Handeln der Leute als determiniert erscheinen lässt. Zudem hät- 279 Siehe zum ‘hegemonialen Diskurs’ das Kapitel: ‘Morphing-Zone’. 172 ten die Menschen als psychische Reaktionssysteme keine Einsicht ins Gan- ze, das von dem Wissenssystem entworfen wird. Im Selbstverständnis des verdinglichten Bewusstseins ist kein Platz für Autonomie, weshalb das Modell nicht zur Debatte stehen kann. Kritik an der verdinglichenden Sichtweise wird vielmehr als ‘falsches Bewusstsein’ abgekanzelt. Von daher scheint es nur konsequent, wenn die Entscheidung über das Vorhaben innerhalb der tech- nokratischen Expertenzirkel fällt. 4. In diesem Zusammenhang ist das Leitbild verwaltungskonform und bürokra- tisierend. Es entspricht damit der Affinität zur Herrschaft, die für die Landes- pflege charakteristisch ist, weil sie politisch in das Verwaltungshandeln ein- gebunden und von Aufträgen, die von der Administration vergeben werden, betriebsökonomisch abhängig ist. Das Diensthonorar gilt in der Landespflege als Prüfinstanz für die Qualität der Entwürfe und ersetzt die wissenschaftliche Redlichkeit, zwischen Auftragserfüllung und Erkenntnis zu unterscheiden. 5. Um aufkommenden politischen Widerstand einzuschränken, wie er bei- spielsweise in Bürgerinitiativen formuliert wird, soll das Leitbild einen Kon- sens stiften, der von der Landespflege und den Menschen getragen würde. Dieser fiktive Konsens wird über die ‘höheren’ überregionalen bis globalen ‘Interessen’ und guten Absichten der Landespfleger suggeriert, die mit der großen Katastrophe drohen und das zukünftige Heil versprechen. Der reale Dissens, aus dem ein politischer Interessenskonflikt resultiert, darf überdies nicht wahrgenommen werden, weil er dem landschaftlichen Harmoniepostulat eklatant widerspricht. 6. Das Leitbild wirkt suggestiv und seine Verheißungen sind nicht überprüfbar. Indem mit Hilfe des Leitbildes von den lokalen Interessen abstrahiert und es auf die Zukunft bezogen wird, kann es nicht am konkreten Gegenstand belegt oder kritisiert werden, stattdessen evoziert es semantisch positiv besetzte Motive und Glücksverheißungen, die scheinbar für sich sprechen. Es basiert auf der emotionalen Vereinnahmung durch den Jargon der Eigentlichkeit. Denn wer ist schon gegen das Glück? Bleibt das Glück in der Folge aus und verliert das jeweilige Leitbild an Überzeugungskraft, wird nicht die Leitbildori- entierung infrage gestellt, sondern schlicht das Leitbild gewechselt. 7. Der Leitbildwechsel entspricht funktional dem ökonomischen Prinzip, dass das Kapital neue Investitionsfelder und Absatzmärkte braucht, um reprodu- ziert werden zu können. Die wechselnden Leitbilder der Nachhaltigkeit bilden eine Zeitreihe der begrifflichen Modernisierung und Aufrüstung. Die Landes- pflege befördert die ursprüngliche Akkumulation, den Zugriff auf die freien Güter, zuerst diskursiv über Leitbilder und dann exekutiv durch landespflege- rische Maßnahmen. 8. Da die Paradiesversprechen Illusion bleiben und immer wieder enttäuscht werden, ist die Landespflege permanent auf der Suche nach neuen Leitbil- dern. Weil aber die Leitbildorientierung überdies auch gegen das Scheitern von Leitbildern immun ist – je abstrakter das Leitbild, desto uneinsichtiger die Leitbildorientierung – und den Blick starr auf die Zukunft ausrichtet, werden alle paar Jahre die alten Leitbilder wieder hervorgekramt. Die Leitbildorientie- rung befindet sich im Teufelskreis des verdinglichten Bewusstseins. 9. Die Leitbildnerei schließt die Landespflege mit der Entscheidungsfindung kurz. Die Unterscheidung zwischen dem gutachterlichen Rat und der politi- 173 schen Entscheidung, die der Ausdifferenzierung der Geltungssphären von Wissenschaft, Kunst und Politik entspricht, wird von der Leitbildnerei aufge- hoben, indem der spezifische Wahrheitsbegriff der wissenschaftlichen Gel- tungssphäre auf die Politik übertragen wird. Somit entsteht einerseits ein ver- dinglichtes Modell des Öffentlichen, das ohne Freiheit – die darin liegt, sich auch anders entscheiden zu können – entworfen wird, und andererseits eine Gesinnungswissenschaft, der erstens die professionelle Distanz fehlt und die zweitens den administrativen Vorgaben kritiklos folgt. 10. Die landespflegerische Leitbildnerei verhindert eine Theoriebildung, was die Profession wiederum für die Suche nach immer neuen Leitbildern anfällig macht. Die Attitüde der akademischen Professionalität – die Profilsuche der Professoren und für die Studiengänge – verdrängt die nachdenkliche Seriosi- tät des Wissenschaftlers. Das Leitbild entspricht einem Glaubensbekenntnis, dem Gebote hinzugefügt werden, deren Einhaltung dann Gegenstand der sophistischen Erörterung der (sachlichen) ‘Wahrheit’ sind. 11. In einer Pseudowissenschaft ersetzt das Leitbild die Selbstreflexion der Profession. Entfällt in einer Profession die kritische Instanz der Methode, dann kann durch Leitbilder die ideologische Funktion in die Profession einge- führt werden. 12. Das landschaftliche Leitbild ist ein Bild, das in der Landespflege räumlich gestaltbar erscheint, weil Landschaft auch ein Bild ist, das als Entität aufge- fasst wird. Das Leitbild in der Landespflege steht also analog zum modernen Landschaftsbegriff. Die Funktion von Leitbildern in der Landespflege kann an dem Leitbild ‚Nach- haltigkeit’ illustriert werden, das im Folgenden rekonstruiert wird. 174 IV. Das Leitbild ‘Nachhaltigkeit’ in der Landespflege Die ‘nachhaltige’ Leitbildnerei ‘Nachhaltigkeit’ ist eines der konstanten Leitbilder in der Landespflege, so dass an diesem Beispiel die Funktionsweise der Leitbildnerei in der Landespflege dargestellt werden kann. Der aktuelle hegemoniale Diskurs entwirft das Leitbild ‘nachhaltige Entwick- lung’, das „die als widersprüchlich wahrgenommenen Prinzipien von Ökonomie und Ökologie, von Umwelt und Entwicklung zu einem ‘integrativen Konzept’ vereint“, in welchem „eine Vielzahl von Ideen, Hintergrundannahmen und Handlungsvorschlägen“ enthalten sind, „deren zum Teil widersprüchliche Viel- zahl für jede und jeden das Richtige bereithält“ [SPEHR/ STICKLER 1997: 14]. Mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs wird von den konkreten Interessensgruppen und Herrschaftsverhältnissen abstrahiert und sodann Handlungen und die sozialen Konflikte zu Abstrakta (z.B. Ökonomie, Technik, ökologische Krise) verallge- meinert, zwischen denen schließlich ein technokratischen und herrschaftskon- formen Ausgleich angestrebt wird280 [SPEHR/ STICKLER 1997: 14f, 19f]. Der Öko- logie-, Globalisierungs- und Nachhaltigkeitsdiskurs der Gegenwart bilden zu- sammen den Versuch, die ökonomische und politische Krise als ökologische Krise zu beschreiben und zu bewältigen. „Wissenschaft und Technik werden als ‘Verursacher’ der ökologischen Krise im Diskurs Sustainable Development zwar benannt, doch gleichzeitig werden sie als Teil der Lösung betrachtet [... .] Angeprangert werden einzelne Fehlentwicklungen des Industrialisierungsmodell des Nordens, statt dieses selbst als Fehlentwick- lungsmodell aufzufassen“ [SPEHR/ STICKLER 1997: 14f]. Dem aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs liegt ein Ordnungsprogramm zugrunde, das ‘Nachhaltigkeit’ mit ‘Globalisierung’ verbindet [SPEHR/ STICKLER 1997: 18f], aus denen das Leitbild ‘Nachhaltige Entwicklung’ hervorgeht. „’Globalisierung’ hat einen hohen ökologischen und ökonomischen Preis. Nach- haltigkeit ist der Weg, ihn bezahlbar und moralisch durchsetzbar zu machen“ [SPEHR/ STICKLER 1997: 19]. Unter dem Leitbild ‘nachhaltige Entwicklung’ „bildet sich ein Ökokorporalismus heraus, der die Herrschaftsverhältnisse lediglich modernisiert. Der Nachhaltig- keitsdiskurs formuliert mit seiner Partnerschaftsideologie [...] ein ‘Angebot von oben’ zum unverbindlichen Mitreden“, innerhalb der Regeln des Diskurses [SPEHR/ STICKLER 1997: 21]. Zuerst erreichen die Leitbilder die Mitredner, die die Konferenzen von der ‘Insel Mainau’ bis ‘Rio de Janeiro’ und weiter bevölkern und sich auf konsensfähige Formeln einigen, dann werden sie in den unver- dächtigen Verbänden und Medien verbreitet. Die Leitbildnerei stabilisiert die Herrschaftsverhältnisse. Für die landespflegeri- sche Leitbildnerei bedeutet dies, dass sich die Metaphern der ‘Nachhaltigkeit’ um das Paradigma der Landschaft lagern, das die Regeln des landespflegeri- schen Diskurses umreißt und die planerischen Probleme ästhetisch und tech- 280 Die eingängige Formel der ‘nachhaltigen Entwicklung’, dass sie die drei Dimensionen ‘Ökonomie, Ökologie und Soziales’ umfassen solle, ist in dieser Abstraktheit geradezu trivial. Geht man davon aus, dass diese Kriterien die nachhaltige Entwicklung qualifizierten, dann wäre sie von ähnlicher Qualität wie der Sklavenhandel, der jene Kriterien ebenso eumfasst. 175 nokratisch bereinigt, anstatt die sozialen Konflikte und Interessenslagen zu be- nennen. Der Nachhaltigkeitsbegriff „ist ohne Gedächtnis und Erinnerung der sozialen und ökonomischen lokalen Geschichte und verschweigt die Herr- schaftsverhältnisse“ [SCHNEIDER 1997: 39f]. Insofern die Landespflege diese Gedächtnislosigkeit in ihrem Nachhaltigkeitsdiskurs aufgreift, betreibt sie eine ‘Politik des sinnstiftenden Vergessens’ [SCHNEIDER 1997: 43], was bedeutet, dass die Vergangenheit sorgfältig präpariert und eine einäugig anvisierte Zu- kunft entworfen wird [WEHLER 1988: 173]. Der zuerst abstrahierte Nachhaltig- keitsbegriff, der als konsensstiftende Leerformel dient, kann ideologisch mit neuen Inhalten beliebig aufgeladen werden. Aus den hineingelegten Inhalten resultieren dann über die politischen Entscheidungsgremien und den Verwal- tungsapparat vermittelt scheinbar notwendige Folgen, denen man nachher nicht mehr widersprechen kann, ohne vorgehalten zu bekommen, dass dem Leitbild vorher zugestimmt wurde. Das Leitbild Nachhaltigkeit durchlief im 20. Jahrhundert die vier Phasen281: nachhaltige Fruchtbarkeit, nachhaltiger Ressourcenschutz, nachhaltige Um- weltsicherung und nachhaltige Entwicklung, an denen zugleich die Entwicklung der Landespflege seit ihrer Institutionalisierung in den 1930er Jahren beschrie- ben werden kann. Entsprechend dem Blick aus der Gegenwart auf die Ver- gangenheit werden diese Leitbilder der Nachhaltigkeit rückläufig rekonstruiert. Gemeinsam ist den Leitbildern, die unter dem Namen ‘Nachhaltigkeit’ verbrei- tet wurden, dass sie den Prozess der Enteignung, in dem die Gratisnaturpro- duktivkräfte und freien Güter zunächst monopolisiert und dann privatisiert wer- den, ideologisch vorbereiten und begleiten. Nachhaltige Entwicklung „Was heißt nachhaltig? Nachhaltig ist eine Entwicklung, die dauernd weitergeht“ [WELTBANK 1992: 34, zitiert in: SACHS 1994: 25]. Die Rede von der Nachhaltigkeit, die bislang an der Produktivität des Bestan- des gemessen wurde, der aus der Vergangenheit stammt, wird mit der ‘nach- haltigen Entwicklung’ zu einem Versprechen in die Zukunft. Aus der Verbin- dung der fortschrittsorientierten ‘Entwicklung’ mit der (konservativen, rückbli- ckend bewahrenden) ‘Nachhaltigkeit’, wie sie bislang verstanden wurde, ent- steht das Oxymoron ‘nachhaltige Entwicklung’. Seit den 1990er Jahren domi- niert in der Landespflege das Leitbild nachhaltiger Entwicklung, das in der lan- despflegerischen Fachliteratur ausgiebig debattiert wird. Die Debatte wird vor- herrschend auf drei Diskussionsfeldern geführt, die unter den Titeln ‘Prozess- schutz’, ‘nachhaltige Landwirtschaft’ und ‘nachhaltige Regionalentwicklung’ einzuordnen sind282. Sie ziehen ihre diskursive Plausibilität aus dem gemein- 281 Die Nachhaltigkeit im Heimat- und Naturschutz um 1900 und in der Landesverschönerung Anfang des 19. Jahrhunderts wird in dieser Studie nicht rekonstruiert. Hinweise hierzu finden sich in den Kapi- teln zur Entstehung des modernen Landschaftsbegriffs (siehe: ‘Ontologisierung der Landschaft’ und ‘Ideologisierung der Landschaft’) und in meiner Diplomarbeit ‘Die Heide’ [LORBERG 1995: 111-118]. In einem Aufsatz von EISEL und KÖRNER [2006], der bei Abschluss der Dissertation nicht vorlag, wird her- ausgestellt, dass sich der „Nachhaltigkeitsbegriff […] auf den im Land-und-Leute-Paradigma auftreten- den Geschichts- und Kulturbegriff zurückführen“ lässt [ebd. 50]. 282 Diese Dreigliederung entspricht der herkömmlichen Einteilung der Landespflege in Naturschutz (nachhaltiger Prozessschutz), Landschaftspflege (nachhaltige Regionalentwicklung) und Grünplanung (nachhaltige Landwirtschaft). 176 samen Leitbild nachhaltiger Entwicklung, das auf der Umweltkonferenz der VEREINTEN NATIONEN in RIO DE JANEIRO 1992283 konsensfähig wurde [SPEHR 1996: 23f]. Zur konsensbildenden Funktion des Plastikwortes ‘Entwicklung’ merkt GROENEVELD an: „Der Begriff ‘Entwicklung’ ist offenbar unter dem Druck und den Selbstverständ- nissen heutiger Informations- und politischer Machtströme zu einem ‘Plastikwort’ (Pörksen 1988) oder auch ein ‘Amöbenwort’ (Ivan Illich) geworden. Er ‘schwimmt’ recht konturenarm durch seine Anwendungsfelder, ist für nahezu alle Fälle brauchbar, klingt immer modern und wird sofort von jedermann verstanden“ [GROENEVELD 1997: 29]. Im Abschlußbericht der UN-Umweltkonferenz, der sogenannten ‘Agenda 21’, wird ‘sustainable development’ als vorrangiges globales Ziel zur sozial- und umweltverträglichen Wirtschaftspolitik genannt, die „in einer globalen Partner- schaft, die auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist“, stattfinden soll [AGENDA 1992: 9]. Zwar hätte sustainable development präziser mit fortdauern- de Entwicklung284 übersetzt werden müssen, aber die freie Übertragung ‘nach- haltige Entwicklung’ legt nahe, das Leitbild mit den vorangegangenen Debatten über ‘Nachhaltigkeit’ in Zusammenhang zu bringen [SPEHR 1996: 20], daher konnte es leicht mit der ‘nachhaltigen Forstwirtschaft’ und ihrem in Natur- schutzbewegungen positiven Klang assoziiert werden [GROENEVELD 1997: 31f; SCHNEIDER 1997: 38f]. Schon in der Forstwirtschaft erwies sich Nachhaltigkeit als ein Propaganda-Begriff, der einerseits eine konsensfähige Leerformel be- reitstellte, unter der andererseits die ursprüngliche Akkumulation vorangetrie- ben werden konnte. Ebenso funktioniert er in der gegenwärtigen Debatte um nachhaltige Entwicklung: „Nachhaltige Entwicklung ist keine ‘unbestimmte Leerformel’ – so meine These – sondern beschreibt treffend die nachhaltige Entwicklung der Industrialisierung in ihrem Charakter“ [SCHNEIDER 1999: 45] Die Einheit von Ökologie, Ökonomie und Sozialem im Nachhaltigkeitsbegriff, wie sie von ‘alternativen’ Umweltbewegungen gefordert wird [z.B. WUPPERTAL INSTITUT 1996], läuft in der Allgemeinheit, mit der die Forderung wiederholt wird, auf eine Leerformel hinaus, unter der auch die ‘nachhaltige Industrialisie- rung’ mit ihren sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten Platz findet [EBLINGHAUS/ STICKLER 1996: 54-57]. Die daraus resultierenden Interessenskon- flikte werden in den ‘Leerformeln’ ausgeblendet. Globale Nachhaltigkeit Schon 1987 wird die Formel sustainable development mit dem BRUNDLANDT- BERICHT285 der VEREINTEN NATIONEN populär286 [EBLINGHAUS/STICKLER 1996: 283 Offizieller Titel: ‘Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung’. 284 Sustainable development wird auch mit ‘Zukunftsfähigkeit’ übersetzt. Schon in der Übersetzung kommt damit das Moment der Beliebigkeit, wie es für die Leitbildnerei charakteristisch ist, ins Spiel. 285 ‘Towards our common future’: ein UN-Bericht zur Entwicklungspolitik und der Verteilung von Armut und Reichtum zwischen den Nationen. 286 In der neueren Debatte um eine angemessene Entwicklungspolitik verbindet sustainable develop- ment die zwei widerstreitenden Modelle des Modernisierungstheorems und der Dependenztheorien zum Leitbild einer ökologischen Modernisierung [EBLINGHAUS/STICKLER 1996: 25]. Das Modernisierungs- theorem behauptet, dass die sogenannte Unterentwicklung auf endogenen Faktoren in der ‘Dritten Welt’ beruhe, während die Dependenztheorie beinhaltet, dass die Unterentwicklung in Abhängigkeit von der Entwicklung in den Industriestaaten entstehe [EBLINGHAUS/STICKLER 1996: 20ff]. Möglich wurde 177 36, 59-68], der sie als zukunftsfähige Perspektive für die weltweite Wirtschafts- entwicklung entwirft [SPEHR 1996: 20]. Dabei wird die Perspektive vom Bestand und Ertrag, die in der Forstwirtschaft im Vordergrund stehen, auf zukünftige Bedürfnisse verlagert, wodurch Nachhaltigkeit prospektiv auf neue Märkte und mögliche Entwicklungen hin entworfen wird. „Die Definition der Kommission lautete: ‘Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwick- lung, die die Bedürfnisse der heutigen Menschen erfüllt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beschränken, ihre Bedürfnisse zu erfüllen’“ [SPEHR 1996: 20]. Die Literaturauswertung zur Entwicklungspolitik von EBLINGHAUS und STICKLER ergab, dass sustainable development erstmals in der 1980 veröffentlichten ‘World Conservation Strategy’ benutzt wurde. Diese Studie ist von traditionel- len Naturschutzverbänden wie dem WORLD WILDLIFE FUND unterstützt worden und „beruht nicht auf einer Analyse der politischen Strukturen der Weltwirt- schaft, sondern auf Imperativen, die sich direkt aus den biologisch- ökologischen Analysen ableiten“ ließen [EBLINGHAUS/STICKLER 1996: 34]. Die Ziele der World Conservation Strategy sind: Aufrechterhaltung lebenswich- tiger ökologischer Prozesse von menschlich genutzten Gebieten, Erhaltung der Artenvielfalt und nachhaltige Entwicklung von Arten und Ökosystemen [EBLINGHAUS/STICKLER 1996: 34]. Die Herkunft des Leitbildes aus einem natur- schützerischen Kontext und (entpolitisiert) hinter der Maske der biologischen Ökologie zeichnete es als ein konsensfähiges Leitbild aus, das widerstreitende Interessengruppen akzeptieren könnten. Dieser allseitigen Akzeptanz kommt entgegen, dass die Agenda 21 oberflächlich betrachtet diffuse Ziele287 und ein- fache Modelle entwirft. Das in den Vordergrund gerückte ‘Ziel’ der Agenda 21, das explizit genannt wird, ist die nachhaltige Entwicklung, die allerdings kaum ein hinreichendes Ziel, vielmehr ein Mittel zur Realisierung weiterer Ziele sein kann. Dass die ‘eigentlichen’ Ziele der nachhaltigen Entwicklung nicht benannt bzw. nur angedeutet werden, macht die Agenda 21 für unterschiedliche Inte- ressengruppen akzeptabel, solange sie nicht die alternativen Sinnpotentiale auslegen, die ihren Intentionen widersprechen. Die Diskussion um die Agenda 21 wird zumeist darauf beschränkt, dass sie nur unverbindliche Vorsätze ent- hielte, die über lokale Agenden konkretisiert werden müssten. Entgegen dieser Ansicht wird in der Agenda 21, wie von Kritikern herausgearbeitet wurde, sehr präzise die Vormachtstellung der Industrienationen festgeschrieben288 [SPEHR 1996]. „Freier Zugang zu allen natürlichen Ressourcen; verbesserte Technologien als Königsweg zu weniger Umweltbelastung; Reduktionsziele, aus denen man sich die Verbindung der Theorien durch eine Entpolitisierung der Debatte, die in den 1970er Jahren vehe- ment geführt wurde, durch die Beschränkung auf ökologische Aspekte [SPEHR 1996]. 287 Die inhaltliche Unbestimmtheit der Agenda 21 verfolgt das Ziel, sie für viele unterschiedliche Inte- ressengruppen akzeptabel zu machen. Darüber hinaus werden Problembeschreibungen gegeben, aus denen indirekt weitere Ziele abgeleitet werden können, die allerdings derart vage bleiben, dass je nach Interessenlage der Interpreten andere und divergierende Ziele herausgelesen werden können. Denn sie setzt über die Problembeschreibungen, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, einen impli- ziten Konsens über den Sinn der nachhaltigen Entwicklung voraus, der solange unproblematisch bleibt, wie er nicht inhaltlich ausformuliert wird. Dass die Agenda 21 dabei durchaus konkrete Ziele benennt, stellt SPEHR [1996] heraus. 288 Siehe dazu auch EBLINGHAUS/STICKLER [1996] sowie die Sammelbände EBLINGHAUS ET AL. [1997] und NOVY/RAZA [1997]. 178 mit diesen Technologien tendenziell freikaufen konnte; und Schutz der Profite, die sich mit diesen Technologien machen ließen – das waren die vier Eckpfeiler des- sen, was Rio ’92 unter nachhaltiger Entwicklung verstand. Sie war kein Lippenbe- kenntnis, wie häufig kommentiert wurde. Sie ist ein weltpolitisches Programm, dessen Umrisse in Rio deutlich hervortraten: ein Programm, das die Vorherrschaft und den Reichtum des Nordens und seiner Eliten unter den Bedingungen der öko- logischen Krise nicht nur retten, sondern ausbauen soll“ [SPEHR 1996: 24]. Anstatt die Ziele und widerstreitenden Interessen zu diskutieren, erscheint die Agenda 21 als ein pragmatisches Instrument, ‘die Probleme der Welt’ zu lösen, indem in ihr ein bestimmtes Modell der Welt entworfen wird, das auf einem globalen Konsens beruhe. „In der Agenda 21 werden die dringlichsten Fragen von heute angesprochen, wäh- rend gleichzeitig versucht wird, die Welt auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts vorzubereiten. Die Agenda 21 ist Ausdruck eines globalen Konsen- ses und einer politischen Verpflichtung auf höchster Ebene zur Zusammenarbeit im Bereich von Entwicklung und Umwelt“ [AGENDA 1992: 9]. Die Umsetzung der Agenda 21 ist „Aufgabe der Regierungen“, die über „politi- sche Konzepte, Pläne, Leitsätze und Prozesse auf nationaler Ebene“ steuernd zur nachhaltigen Entwicklung eingreifen sollen [AGENDA 1992: 9]. Das dieser Steuerungslogik zugrundeliegende Modell ist die wirtschaftliche Entwicklung, die nach der Präambel im zweiten Kapitel der Agenda 21 eingeführt wird. Denn angesichts der „gegenseitigen Abhängigkeit der Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft [...] und daß einer nachhaltige Entwicklung auf der politi- schen Agenda der Staatengemeinschaft Vorrang einzuräumen“ sei, was in „ei- nem von aufrichtiger Zusammenarbeit und Solidarität geprägten weltpoliti- schen Klima“ möglich wäre, solle „die Weltwirtschaft ein günstiges internatio- nales Klima schaffen“ [AGENDA 1992: 10]. „Der Entwicklungsprozeß wird nicht die nötige Stoßkraft gewinnen, wenn es der Weltwirtschaft an Dynamik fehlt und wenn sie mit Unsicherheiten behaftet ist“ [AGENDA 1992: 10]. Deshalb sollen die nationalen Regierungen „eine nachhaltige Entwicklung durch Liberalisierung des Handels“ fördern und dafür sorgen, „daß sich Handel und Umwelt wechselseitig unterstützen“ [AGENDA 1992: 10]. Das Wirtschafts- modell, das der Agenda 21 zugrunde liegt, ist die freie Marktwirtschaft, die nun mehr ‘globalisiert’ und ‘sustainable’ werden soll. Die Verheißungen nachhalti- ger Entwicklung durch ‘Selbststeuerung’ der freien Marktwirtschaft täuschen aber nicht nur über die eingeschränkten Möglichkeiten globaler Planung hin- weg, sie verklären ebenso die freie Marktwirtschaft als globalisiertes Modell zur alternativlosen geschichtlichen Notwendigkeit, wodurch andere Ökonomien scheinbar obsolet werden289. Den ‘Erdgipfel’, wie die Konferenz der Vereinten Nationen von 1992 in RIO DE JANEIRO – in Anlehnung an die Arche-Noah-Metaphorik, dass alle im selben Boot säßen – kaschiert wurde, dominierten die hochindustrialisierten Staaten. Dies kann anhand der Biotechnologie illustriert werden, die auf dem Umwelt- 289 Das sogenannte TINA-Syndrom (there is no alternativ) bezieht sich auf die neokonservative Politik und den fiskalischen Monetarismus der Thatcher-Regierung in Großbritannien, die ihre Politik als un- ausweichlich darstellte [MIES 2002: 17]. Seit der Regierungszeit von GERHARD SCHRÖDER (1998-2005) ist die Phrase auch in der BRD etabliert worden, um politische Programme durchzusetzen. 179 gipfel hervorgehoben wurde. Nicht nur der weltweite Zugriff auf die natürlichen Ressourcen, die allen Nationen gehören würden, ist durch die Agenda 21 legi- timiert, was unter den vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen bedeu- tet, dass sie auch weiterhin von den kapitalstarken internationalen Trusts aus- gebeutet werden. Sondern auch der industrielle Zugriff auf die ‘anthropogenen Ressourcen’ wie die agrarischen Kultursorten wird über die Agenda 21 ange- deutet290, wenn eine „ausgewogene Aufteilung der Vorteile [...] der Pflanzen- zucht zwischen den Herkunftsländern und den Nutzern pflanzengenetischer Ressourcen“ gefordert wird [AGENDA 1992:115, 125], wobei die begriffliche Tren- nung betont, dass jene ‘Nutzer’ nicht mit den einheimischen Bauern identisch sind. Hingegen wurden in der Agenda 21 die geistigen Eigentumsrechte der Biotechnologiekonzerne ausdrücklich betont und sollen vor der freien Aneig- nung durch die bäuerlichen Nutzer geschützt werden. „In den Entwicklungsländern sind entwicklungsförderliche Rahmenbedingungen wie [...] das Recht auf Schutz geistigen Eigentums [...] häufig unzureichend“ [AGENDA 1992: 136]. Die Bioindustrien können beliebig auf die züchterischen Ergebnisse der vorge- leisteten bäuerlichen Arbeit zugreifen, das Produkt analysieren, technisch ver- ändern und patentieren lassen [SPEHR 1996: 24]. Die Agenda 21 rechtfertigt das Vorgehen der (international agierenden) Industrien und setzt die lokalen Nutzer und Nutzerinnen ins Unrecht, gegen das sie klagen müssen, um ihre Interes- sen gegen die ‘Weltwirtschaftsordnung’ zu legitimieren291 [MIES 2002: 98-103; SHIVA 2002]. Im Aufbau fast aller Kapitel der Agenda 21 kommt ein Muster zur Anwendung, das charakteristisch für die systemtheoretische Betrachtung des Gegenstan- des ist292. Die ‘Handlungsgrundlage’ definiert das Modell mit seinen System- funktionen, die ‘Ziele’ definieren die Programmierung des spezifischen Teilsys- tems und die ‘Maßnahmen’ definieren die Steuerungsinstrumente und Kontroll- instanzen des Systems. Die Agenda 21 erhebt mit der Steuerungslogik den 290 Dieser koloniale und rechtliche Zugriff auf die lokalen Lebensmittel und das Leben der Menschen wird letztlich in dem TRIPs-Abkommen (Trade Related Intellectual Property Rights) über „die handels- bezogenen Aspekte der Rechte am intellektuellen Eigentum“ festgeschrieben [MIES 2002: 98f]. Die Biopi- raterie erlangt damit internationalen Rechtsstatus [SHIVA 2002; BUKO 2005]. 291 Bekannt wurde der Rechtsstreit zwischen dem Pharmakonzern W.R.Grace&Co. und indischen Bauern, die gegen den Zugriff auf ein Kulturprodukt vor dem internationalen Gerichtshof klagten [MIES 2002: 104ff]. Über die Patentrechte für eine Substanz, die im Öl des Neem-Baums (Azadirachta indica) enthalten ist, das seit Jahrhunderten in Indien als Heilmittel frei zugänglich genutzt wurde, hätte der Konzern die alleinigen Verwertungsrechte für das Produkt erhalten. Die indischen Bauern und Bäue- rinnen hätten alsdann für die Nutzung des Heilöls, das diese Substanz enthält, an den Pharmakonzern Tantiemen zahlen müssen. Der internationale Gerichtshof entschied Anfang 2001 und endgültig 2005 zugunsten des Nutzungsrechts der Bauern und Bäuerinnen [BUKO 2005]. (Siehe auch: www. biopirate- rie.de/index.php?id=272). 292 Wird in dem klassischen Wirtschaftsmodell die Entwicklung der freien Marktwirtschaft selbstregula- tiv gesehen, so werden unter dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung Steuerungsinstrumente ins Modell implantiert. Die Logik des Modells, das in der AGENDA 21 entwickelt wird, lässt sich in der Ter- minologie der Systemtheorie beschreiben [vgl. LUHMANN 1986]. Diese globale Steuerungslogik modelliert in einem ersten Abstraktionsschritt die ökonomischen Handlungen zu einem Gesamtsystem, dessen Operatoren Funktionen zugeordnet werden, die quantifiziert werden müssen, um die Steuerungsin- strumente auf sie einzustellen. Zur Anleitung der Steuerungsinstrumente muss das System program- miert werden. Damit die Programmierung des Systems, die dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung folgt, auf die Entwicklung des Systems reagieren kann, muss das Systemverhalten wiederum kontrol- liert werden. 180 Anspruch einer ‘Totalplanung’ zur Lösung globaler Probleme, der beispielswei- se in der BRD von ERNST ULLRICH VON WEIZSÄCKER mit dem Titel ‘Erdpolitik’ populistisch vertreten wurde. „Erdpolitik muß pragmatisch oder realpolitisch sein: Sie muß die Gegenwart und ihre Machtstrukturen realistisch einschätzen und von den Bürgern und Entschei- dungsträgern nichts Unmögliches verlangen. [...] Im ausgehenden Jahrhundert der Ökonomie muß Erdpolitik nicht zuletzt die Voreingenommenheit fast aller Ak- teure für die Ökonomie in Rechnung stellen. Sie muß soweit irgend möglich wirt- schaftsverträgliche Strategien für die bevorstehende Transformation entwickeln und anbieten“ [WEIZSÄCKER 1992: 9]. Mit der Forderung, dass die Strategien wirtschaftsverträglich sein sollen, stellt WEIZSÄCKER heraus, dass die wirtschaftliche Entwicklung die Grundlage der nachhaltigen Entwicklung bildet, an der sich die lokalen Agenden orientieren. Der Wunsch nach Totalplanung ist innerhalb der Problembeschreibung, die die Agenda 21 gibt, nachvollziehbar, aber nichtsdestoweniger zweifelhaft. Mit der Kontrolle geht es auch um Machtausübung, die mit einem „generellen Mißtrau- en gegen die Menschen und ihre Fähigkeit, kleinteilige Probleme selbst zu er- kennen“ einhergeht, ohne zu erkennen, dass die Experten selber Teil des Mo- dells sind, das sie konstruieren [HOLZAPFEL 1997: 6]. Angesichts der Umwelt- planung, die gleichfalls von vereinfachten Modellen ausgeht, konstatiert BURCKHARDT: „Am Horizont unserer Planungsphilosophie erhebt sich eine große Versuchung: die Totalplanung. Müßte es nicht gelingen, alles im voraus zu bedenken und so das Geschehen ‘in den Griff’ zu bekommen? Diese gedankliche Versuchung wird gleich durch zwei Faktoren korrigiert, die wir alle kennen: Zum ersten hat unser Wirtschaftssystem einen privaten Sektor, der voll nie planbar sein wird; und zum zweiten exerzieren uns jene Länder, die diesen privaten Sektor nicht haben, in al- ler Deutlichkeit vor, daß Gesamtplanung die Umweltzerstörung nicht vermeidet“ [BURCKHARDT 1978: 231]. Mit dem Versprechen nachhaltiger Entwicklung, ökologisch vertretbaren Wachstums vor allem der Industrienationen, melden sich viele ‘Wunderheiler’ zu Wort, die vorgeben, dass sie die richtigen Mittel hätten, um die so genannte ökologische Krise zu ‘behandeln’. „Die nachhaltige Entwicklung hat ihre eigene Sorte von Wunderheilern. Einige sind New Age-Prediger, die von einer neuen Ära der Einfachheit raunen und den Menschen weismachen, sie könnten durch die Riten der häuslichen Mülltrennung und die Exerzitien einer privaten Bedürfnislosigkeit die ökologischen Probleme der Welt lösen. Die meisten sind Technik-Fetischisten, die durch wundersame Zah- lenspiele beweisen, daß der gütige Geist des Kapitalismus und des Weltmarktes schon alles richten werde. [...] Sehr oft werden beide Heilslehren von ein und der- selben Person gelehrt“ [SPEHR 1996: 39]. Das Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft In der Agenda 21 wird eine ‘nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung’ gefor- dert [z.B. AGENDA 1992: 106-123]. Die UN-Konferenz behauptet, dass ökologi- sche Probleme aus einer angeblichen Überbevölkerung resultierten, ohne de- ren Definition und Ursachen zu klären. Die ‘Überbevölkerung’ wird als selbst- evidente Tatsache hingestellt. Angesichts „der Weltbevölkerung, die bis [... 2025] auf voraussichtlich 8,5 Milliarden gestiegen sein wird, [... sei] fraglich, ob 181 die Kapazität der vorhandenen Ressourcen und Technologien ausreichen wird, um die Bedürfnisse dieser ständig weiter wachsenden Bevölkerung in bezug auf Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Produkte zu befriedigen“ [AGENDA 1992: 106]. Die ‘Bevölkerungskatastrophe’ bricht sozusagen ‘naturläu- fig’ über die Menschheit herein und die abstrakte und entpolitisierte Behaup- tung, dass die Weltbevölkerung wachse, stellt ihrerseits die Bevölkerungsent- wicklung als einen Sachzwang dar, auf den die Entwicklungspolitik technisch zu reagieren hätte293. Die Erhöhung der Lebensmittelproduktion wird losgelöst von der landwirtschaftlichen Überproduktion in den Industrienationen und der Futtermittelproduktion in Ländern der Dritten Welt für die Industrienationen ge- sehen, weil soziale Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit nicht erwogen wer- den: „Oberstes Ziel dieser Entwicklung ist die nachhaltige Steigerung der Nahrungsmit- telproduktion und die Verbesserung der Ernährungssicherung“ [AGENDA 1992: 106]. Die Produktionserhöhung wird zu einem abstrakten Ziel, das in seinen Folgen für die landwirtschaftliche Zulieferindustrie durchaus lukrativ wirken muss. Zur Erhöhung der Produktivität existiert nach dem Text der Agenda 21 keine Alter- native [z.B. AGENDA 1992: 112]. Mit dieser Behauptung, die in das Szenario hun- gernder Massen eingefügt ist, wird das ökonomische Prinzip der Industriestaa- ten globalisiert und werden „[s]owohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern [...] umfangreiche Anpassungen im Agrar- und Umwelt- schutzbereich [...] für eine nachhaltige, standortgerechte Landwirtschaft und ländliche Entwicklung“ eingefordert [AGENDA 1992: 106]. Die geforderten Anpas- sungen bestehen einerseits in der technischen Produktionssteigerung, ande- rerseits im Naturschutz. „Vorrang muß dabei die Erhaltung und die Steigerung der Leistungsfähigkeit der ertragreicheren landwirtschaftlichen Nutzflächen haben, denn nur so kann eine wachsende Bevölkerung ausreichend versorgt werden [AGENDA 1992: 106 – Herv. FL]. Durch die verengte Perspektive auf Produktionssteigerung bei gleichzeitiger Forderung nach Naturschutz müsse die Landwirtschaft „die Produktion auf be- reits bewirtschafteten Flächen steiger[n], gleichzeitig aber ein weiteres Vor- dringen auf nur begrenzt für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignete Stand- orte unterla[ssen]" [AGENDA 1992: 106]. Mit der Forderung nach ‘Nichtnutzung’ werden die Anpassungen an den Umweltschutzbereich konkretisiert. Die räum- liche Segregation der landwirtschaftlichen Investition in Intensivierungsgebiete und der Entaktualisierung von Ungunstlagen und Vorranggebieten für Natur- und Ressourcenschutz reduziert die Produktionsorte selbstbestimmter Land- nutzung, wodurch die Bäuerinnen und Bauern enteignet werden. Sie unterteilt das Land aber auch in Schutz- und Schmutzgebiete, wobei erste- re zur ideologischen Legitimation letzterer fungieren294. Mit der Einteilung des Landes in differenzierte Produktionsgebiete wird in der Agenda 21 die Land- wirtschaftspolitik der Industriestaaten fortgeschrieben, die zwischen Intensivie- rungsgebieten mit ertragreichen Böden und maschinell leicht bearbeitbarer 293 Dies sind Diskursstrategien, die auch in der Landespflege gebräuchlich sind. Siehe dazu die Kapi- tel: ‘Deklaration des Handlungsnotstandes’ und ‘Landespflegerische Technokratie’. 294 Diese Argumentation ist aus dem Naturschutz bekannt, der als Folge der Industrialisierung möglich wurde und ein Element des Ablasswesens bildet [AUTORiNNEN 1990]. Siehe dazu: ‘Ideologischer Aus- gleich’. 182 Topographie und Extensivierungsgebieten mit ertragschwachen Böden in so- genannten Grenzertragslagen unterscheidet. Dienen erstere der Nahrungsmit- telproduktion, sollen letztere zur Regeneration der Ressourcen dienen; sie werden zumeist von Naturschutzinteressen besetzt und den lokalen Nutzern entzogen [HÜLBUSCH 1977: 22]. – Die Schutzgebiete dienen dem Ressourcen- erhalt für die industrielle Produktion. Denn während die ertragreichen Produkti- onsstandorte intensiver zu bewirtschaften seien, sollen „zur Aufrechterhaltung eines langfristig tragfähigen Verhältnisses der Arbeitskräfte zur landwirtschaft- lich nutzbaren Fläche auch der Erhaltung und Rehabilitierung der natürlichen Ressourcen auf weniger ertragreichen Flächen Rechnung getragen werden“ [AGENDA 1992: 106]. Diese kryptische Aussage wird von der Agenda 21 mit der Forderung präzisiert: „Die Landwirtschaft muß intensiviert werden, damit die künftige Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen gedeckt und ein weiteres Vordringen auf mar- ginale Standorte und empfindliche Ökosysteme verhindert werden kann“ [AGENDA 1992: 110]. Daraus leiten die Autoren der Agenda 21 die weitere Forderung ab: an jenen Produktionsstandorten, wo in diesem Sinne „eine Intensivierung der landwirt- schaftlichen Betriebssysteme nicht möglich [sei], sollen andere Beschäfti- gungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft identifiziert und erschlossen werden“ [AGENDA 1992: 110]. – Das ist die Beantwortung der Frage, wie man aus Bauern abhängige Lohnarbeiter macht. Die Parallele zur ‘europäischen Bauernbefreiung’ im 19. Jahrhundert, als die Bauern vom Land in die Industrien getrieben wurden, ist eklatant. Die außerlandwirtschaftlichen Sektoren, in denen die ehemaligen Bäuerinnen und Bauern sowie Landwirte295 arbeiten sollen, liegen in der Industrie und im Tourismus, wodurch bislang selbstbestimmt wirtschaftende Menschen zu lohnabhängig Beschäftigten wer- den. Die ebenso in der Agenda 21 geforderte „Beteiligung der Bevölkerung [...] im Rahmen der nachhaltigen Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung“ [AGENDA 1992: 109, 112, 119] und die „Gewährleistung gerechter Zugangsmöglichkeiten für die ländliche Bevölkerung [...] zu Boden-, Wasser- und Waldressourcen“ [AGENDA 1992: 109] bleiben somit auf die intensivierbaren Gebiete einge- schränkt, in denen neue Technologien [z.B. AGENDA 1992: 106, 115, 119, 120, 122] und Agrarberatung [z.B. AGENDA 1992: 106, 112, 117, 119, 120] zur nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft eingesetzt werden sollen. Auch diese Maß- nahmen fördern die ‘Kapitalisierung’ der Landwirtschaft und erschließen der Agrarindustrie Verwertungsmöglichkeiten. Überdies wird in fast allen entsprechenden Programmpunkten der Agenda 21 die Kontrolle der aktuellen Landnutzung und der umzusetzenden Maßnahmen gefordert [z.B. AGENDA 1992: 106-123]. Die Agenda 21 ist weitgehend von der Idee einer Steuerungslogik bestimmt, die davon ausgeht, dass ohne Kontrolle die nachhaltige Entwicklung nicht möglich sei. Sinn dieser Steuerung ist die Lenkung der ökonomischen Entwicklung zu einem ‘nachhaltigen Kapitalismus’ [SPEHR 1996]. Zwar greift die Agenda 21 Ziele auf, die aus der Kritik an der ü- berkommenen Entwicklungspolitik der Industriestaaten stammen, entwirft aber 295 Siehe zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Bauerei und Landwirtschaft LÜHRS [1994], BAUER [1995: 86] und GEHLKEN [1995: 205f] sowie zur Bauerei [ebd. 262-268] und Landwirtschaft [ebd. 273-282]. 183 das Leitbild nachhaltiger Entwicklung unter den Prämissen der marktwirtschaft- lichen Ökonomie [SPEHR 1996; EBLINGHAUS/ STICKLER 1996]. Diese Prämissen werden in der Diskussion über das Leitbild ‘nachhaltiger Landwirtschaft’, wie sie von der Landespflege in der BRD geführt wird, über- nommen, was angesichts der ‘Anatomie der Landespflege’, die diesen entwick- lungspolitischen Prämissen entspricht, nicht verwundert. Programmatischer Hintergrund dieser Diskussion ist neben der Agenda 21 im Wesentlichen die Agenda 2000 der EU, mit der die zukünftige Landwirtschaftspolitik in den Mit- gliedstaaten entworfen wird. Wie wird über das Leitbild ‘nachhaltige Entwicklung’ für die Landwirtschaft und den Naturschutz in der Landespflege diskutiert? Von der Landespflege werden unter dem Titel nachhaltiger Entwicklung der Landwirtschaft primär vier Ziele anvisiert: 1. die Steigerung der volkswirtschaftlichen Effizienz296, 2. Bilanzie- rung der Stoff- und Energietransfers297, 3. Lenkung der Landbewirtschaftung298 und 4. Schutz bzw. Gestaltung des Landschaftsbildes299. Volkswirtschaftliche Effizienz In der Debatte zur nachhaltigen Landwirtschaft wird die volkswirtschaftliche Einschätzung der Produktivität in der Landwirtschaft betont, weil die „optimale Umweltqualität [...] aus volkswirtschaftlicher Sicht abgeleitet werden“ könne, während auf „einzelbetrieblicher Ebene [...] eine Anhebung der Umweltqualität in der Regel die betriebliche Einkommenssituation“ verschlechtere [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 20]. Aus der Sicht des einzelnen Betriebs gäbe es keinen finanziellen Anreiz, nachhaltig zu wirtschaften300, weshalb Nachhaltig- keit in der Debatte als volkswirtschaftliche Kategorie geführt wird, mit der Um- weltqualitätsziele bestimmt werden könnten, die von den Einzelbetrieben um- zusetzen seien301 [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 22]. Dies führe aber zu einem Zielkonflikt zwischen den Interessensgruppen, die die allgemeinen Umweltqua- litätsziele definieren, und den Einzelbetrieben, die die Kosten tragen, aus dem die Frage folge, „wer die Einkommenseinbußen der Landwirte finanziell aus- gleicht“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 22]. Zur Beantwortung der Frage wird zunächst festgestellt, dass die „Art der Land- nutzung [...] von den natürlichen und wirtschaftlichen Standortverhältnissen“ abhänge und „unter den gegebenen Rahmenbedingungen die bestmögliche Faktorenentlohnung“ angestrebt würde. Aus nationalökonomischer Sicht folge die Landwirtschaft dabei einem Marktmechanismus, der von der Grenznutzen- 296 HEIßENHUBER ET AL. [2000]; BAUER [2001]; PICK [2001]. 297 HEINL ET AL. [1996]; SCHMIDT [1996]; KÜPFER ET AL. [1997]. 298 KÜPFER [1997]; KÜPFER ET AL. [1997]; ELSEN ET AL. [2000]; JESSEL [2001]. 299 KÜPFER [1995]; LOHRBERG [2000]; MÜHLE ET AL. [2000]; PICK [2001]; BOLLINGER [2001]. 300 Diese Problematik, dass unter systemtheoretischer Perspektive individuelle Entscheidungen häufig als gemeinschaftsschädigend dargestellt werden, wodurch letztlich individuelle Nachteile folgten, wird in der Literatur als ‘Gefangenen-Dilemma’ oder ‘Tragödie der Allmende’ (GARRETT HARDIN) beschrie- ben. MCCAY und JENTOFT weisen darauf hin, dass die ‘Tragödie der Allmende’ erst eintritt, wenn die eingespielten Nutzungsabsprachen zwischen den beteiligten Akteuren zerstört werden, und dass keine globale Allmenden existieren, weil sie nicht personal aushandelbar sind, sondern auf eine unzulässige Abstraktion des kommunen Eigentums zum ‘freien Gut’ beruhen [McCAY/ JENTOFT 1996]. 301 STOLZENBURG hat dazu dargelegt, dass die ‘ökologische Wirkanalyse’, die von einem gesamtgesell- schaftlichen ‘Kalkül’ ausgeht, ein monopolkapitalistisches Modell auf die privatkapitalistische Realität anwendet [STOLZENBURG 1984], siehe Kapitel: Die ökonomische Formbestimmtheit der ökologischen Wirkanalyse. 184 theorie302 beschrieben wird, derzufolge der Grenznutzen erreicht sei, wenn die monetären Produktionskosten dem Ertrag entsprächen. Sobald die Kosten den Ertrag überstiegen, rechnete sich die Produktion nicht mehr. Die Steigerung der Umweltqualität erzeuge Kosten, so HEIßENHUBER ET AL., während die ge- steigerte Umweltqualität zu sinkender gesellschaftlicher Wertschätzung führe. „Das Optimum ist dann gegeben, wenn die Grenzkosten dem Grenznutzen ent- sprechen“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 21]. Für wen ein Optimum angestrebt würde, verschweigen die Autoren, bekennen aber implizit, dass es von Experten definiert wird, die den Schnittpunkt (wo Kosten und Wertschätzung gleich hoch sind) als Optimum bestimmen. Im Falle des Grundwasserdargebots für die industrielle Produktion bedeutet dies bei- spielsweise, dass das Optimum erreicht ist, wenn die Ausgleichszahlungen an die Landwirte zur Regeneration des Grundwasserreservoirs den Kosten für den Produktionsfaktor Wasser entsprechen. Denn je mehr Grundwasser durch die vergüteten landwirtschaftlichen Vorleistungen der Industrie zur Verfügung steht, desto geringer werden die Kosten ausfallen, weshalb die Ausgleichszah- lungen volkswirtschaftlich dann ineffektiv werden, sobald sie die Kosten für das Grundwasser übersteigen. Maßstab dieser Kosten-Nutzen-Rechnung ist die Sicht der industriellen Verbraucher, die von den Experten eingenommen wird, wenn sie das Optimum festlegen. Das volkswirtschaftliche Optimum der Umweltqualität wird also nach der Grenznutzentheorie als Tauschwert bestimmt, indem die Umweltqualität aus der Perspektive industrieller Inwertsetzung auf die (gesellschaftlichen) Repro- duktionskosten berechnet wird303. Die ökonomische Betrachtung der Landwirt- schaft unter dem Aspekt des Tauschwertes führt dazu, Nachhaltigkeit als öko- nomische Effektivität und Profitmaximierung zu definieren [AUTORiNNEN 1975; STOLZENBURG 1984]. Über die (ressourcenbezogenen) Ausgleichszahlungen werden Kosten, die als Folge der (industriellen) Produktion anfallen, für die entsprechenden Betriebe externalisiert, und die privatkapitalistische Verwer- tung wird mittels gesamtgesellschaftlicher Lasten subventioniert. Diese privat- wirtschaftliche Umverteilung (zwischen Betrieben und Haushalten) wird mit Hil- fe der volkswirtschaftlichen Betrachtung vernebelt, indem die Kosten nach Wirtschaftssektoren und -räumen (z.B. ‘Stadt’ und ‘Land’) kumuliert werden. Die aufzubringenden Kosten, um die Umweltqualitätsziele zu erreichen, seien „einerseits vom Standort und andererseits vom technischen Fortschritt abhän- gig“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 22], erläutern HEIßENHUBER ET AL. und fahren fort, dass durch die konsequente Anwendung der Produktivkraftentwicklung in der Landwirtschaft die von der Allgemeinheit aufzubringenden Ausgleichszah- lungen an die Landwirtschaft gesenkt werden könnten [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 23]. Die Autoren fordern sozusagen eine ökologische Industrialisie- rung der Landwirtschaft. 302 Die Grenznutzentheorie betrachtet die Preisbildung marktseitig. 303 Diese Berechnungsweise wird im Kapitel: ‘Stoff- und Energietransfers’ erläutert. 185 „Insbesondere die Nutzung des technischen Fortschritts hat großen Einfluß auf den Zusammenhang zwischen Verbesserung der Umweltqualität und dem Ein- kommen des Betriebs“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 23]. Die Abwägung zwischen Gemeinlast- und Verursacherprinzip fällt zu Unguns- ten der Landwirte aus [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 24], vor allem jener, die ihren Betrieb nicht permanent modernisieren. Stand die Modernisierung der Landwirtschaft bislang unter dem Vorzeichen, mehr zu produzieren, so solle nunmehr die ökologische Produktion effektiver werden, womit eine neue Phase der ökologischen Modernisierung eingeleitet wird304. „Als ‘ordnungsgemäße Landbewirtschaftung’ bzw. als ‘gute fachliche Praxis’ dürf- te, zumindest nach einer gewissen Anpassungsphase, die Anwendung des Stan- des der Technik angesehen werden. Bis hierher könnte die Anwendung des Ver- ursacherprinzips reichen“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 24]. Mithilfe der Grenznutzentheorie wird von den Autoren also eine zweifache Ex- ternalisierung der industriellen Produktionskosten legitimiert. Erstens werden sie von den konkreten industriellen Produzenten, die sie verursachen, auf alle Mitglieder der Gesellschaft abgewälzt [KADE 1973] und zweitens werden sie den Landwirten angelastet, die sie angeblich verursachen305. Wird nun die bisher aus volkswirtschaftlicher Sicht angewendete Grenznutzen- theorie auf die einzelbetriebliche Kalkulation appliziert, dann ergeben sich für die Einzelbetriebe ähnliche Konsequenzen, wie sie für die Nationalökonomie behauptet worden sind. Je nach den Einsatzmöglichkeiten technischer Mittel könne die Produktivität der Landwirtschaft erhöht werden [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 23], was dazu führe, dass in günstigen Produktionslagen die Produkti- vität rascher steige als in ungünstigen Lagen, in denen die aufzubringenden Produktionskosten in einem ungleich schlechteren Verhältnis zum Mehrertrag stünden [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 25]. Der Grenznutzen für die geforderte Technisierung der Landwirtschaft ist in je nach Produktionszweig unterschied- lichen naturbürtigen Ungunstlagen schneller erreicht als in Gunstlagen [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 25]. Diese ungleiche Industrialisierbarkeit der land- wirtschaftlichen Produktion bedinge im Weiteren eine räumliche Segregation der Produktionszweige und Spezialisierung der Betriebe [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 26]. Ganze Regionen, deren landwirtschaftliche Industrialisierung für die einzelnen Betriebe nur geringe Profite erbringe, fielen demnach, sobald die Schwelle zum Grenznutzen unterschritten wird, aus der agrarischen Produktion [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 25]. Die landespflegerische Debatte um die nachhal- tige Entwicklung in der Landwirtschaft wiederholt hiermit die oben dargelegten 304 Die ökologische Modernisierung setzte in den 1970er Jahren ein. Siehe dazu die Kapitel ‘Mode und Modernisierung’ und ‘Ökologische Umweltsicherung’. 305 Die ‘nachhaltige Landwirtschaft’ wird über den geforderten Einsatz technischer Mittel, die auf dem neusten Stand der Technik sein sollen, zum Abnehmer und zur Verlängerung der industriellen Produk- tion und folgt darin der konventionellen Landwirtschaft [vgl. LEDERMANN 1989: 6-13]; wird doch in dem Modell von HEIßENHUBER ET AL. der Stand der Technik in der Landwirtschaft von der industriellen Pro- duktivkraftentwicklung dominiert. Damit steigen offenkundig die Produktionskosten für den Einzelbe- trieb, weil die Landwirte, sofern sie auf dem modernsten Stand der Technik wirtschaften wollen, zum Einen externe Produktionsmittel hinzukaufen müssen [BAUER 1995: 86; GEHLKEN 1995: 276-282] und zum Anderen die naturbürtige Produktionsgunst, die sie quasi gratis nutzen können [LÜHRS 1994: 28ff; GEHLKEN 1995: 262-269], hinter den technischen Produktivkräften deutlich zurücktritt. 186 Vorgaben der Agenda 21306. Subventionen unterstützten diesen Prozess der zunehmenden Spezialisierung in der Agrarproduktion und stellten überdies die volkswirtschaftliche Effizienz der Landwirtschaft infrage [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 26, 29]. Denn die landwirtschaftliche Produktion würde im Unterschied zum industriellen und Dienstleistungssektor zu einem zusehends weniger pro- duktiven Sektor [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 25], dessen Aufgabe in der mo- dernen Industriegesellschaft zunehmend über ergänzenden Funktionen für den sekundären und tertiären Sektor definiert würde [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 29]. SIEGFRIED BAUER vertritt z.B. deutlich diese Auffassung, von der unproduk- tiv gewordenen Landwirtschaft, an die er direkt die Forderung nach einem ‘Ausgleichsraum’ knüpft: „Die Landwirtschaft hat heute auch in ländlichen Regionen nur noch eine geringe wirtschaftliche Bedeutung. Der ländliche Raum stellt aber neben dem wirtschaftli- chen Potential wichtige Funktionen für die Gesellschaft (Freizeit, Erholung, ökolo- gische Funktionen) bereit und bildet einen wichtigen Pool im Stadt-Land- Verflechtungsgefüge. Eine Politik für den ländlichen Raum soll daher nicht auf den Agrarbereich beschränkt bleiben, sondern sich an den wirtschaftlichen und sozia- len Belangen der Menschen und an den besonderen gesellschaftlichen Funktio- nen des ländlichen Raums orientieren“ [BAUER 2001: 19]. Die genannten ‘Funktionen für die Gesellschaft’ sind historisch geworden und in der Industriegesellschaft entstanden307. Im sogenannten ‘ländlichen Raum’, der unter dem Blickwinkel dieser Funktionen entworfen wurde, wird zunächst auf symbolischer, dann auch politischer Ebene die bäuerliche Arbeit auf dem Lande von der industriellen Arbeit verdrängt und durch Freizeit ersetzt [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 34]. Insofern ist der ländliche Raum nichts ande- res als der in Verruf geratene Naturpark – nur ohne rechtlichen Status [vgl. JÄGER 1988]. Ist die Landarbeit erst mal als unproduktive illegitimiert, dann werden auch die Agrarsubventionen fragwürdig. „Ungeachtet der Produktionsrichtung stellt sich die Frage, inwieweit Direktzahlun- gen zur Aufrechterhaltung der Bewirtschaftung auch in Zukunft zur Verfügung ste- hen. [...] Einen Hinweis mag eine von der EU-Kommission veröffentlichte Studie geben. Demnach ist damit zu rechnen, dass im Laufe der kommenden zehn Jahre vor allem die Ausgaben zur Marktordnung an Bedeutung verlieren, dagegen Zah- lungen zur Erhaltung der Kulturlandschaft und für die ländliche Entwicklung an Umfang zunehmen“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 29]. Die nachhaltige Landwirtschaft würde über Erhalt der Kulturlandschaft, Res- sourcenschutz und Erholungsleistungen zu einem ‘weichen Standortfaktor’ für städtisch-industrielle Interessen [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 27f], so dass der ‘unproduktiven’ Landwirtschaft neue Produktionszweige im tertiären Sektor na- he gelegt werden [z.B. HEIßENHUBER ET AL. 2000: 25]. Auch in diesem Zusam- menhang übernimmt die Debatte die Direktiven der Agenda 21. 306 Siehe dazu das Kapitel: ‘Das Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft’. 307 Vgl. zur Genese der sogenannten Freizeitbedürfnisse die Aufsätze von ENZENSBERGER (1959) und LORBERG [2006a]. 187 „Da Landschaftsbild und Qualität der natürlichen Ressourcen weitgehend Koppel- produkte der Landnutzung darstellen, sind auch sie von den ökonomischen Rah- menbedingungen abhängig“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 26]. Auf das Landschaftsbild wäre also durch Veränderungen an den ökonomi- schen Rahmenbedingungen einzuwirken. Ist dazu die Gesellschaft nicht bereit, dann würden wieder Nutzungsauflagen notwendig, die vor allem die Landwirte beträfen: „Sofern die Gesellschaft die Änderung der Landnutzung und ihre ökonomischen und ökologischen Konsequenzen nicht akzeptiert, muss durch entsprechende Eingriffe (z.B. Auflagen mit Ausgleichszahlungen) eine andere Form der Landbe- wirtschaftung angestrebt werden“ [HEIßENHUBER ET AL. 2000: 28]. Freimütig reden die Autoren hier nach dem despotischen Motto: ein bisschen ‘Ökofaschismus’ könne nicht schaden308. Der Landwirt, ehedem Lebensmittel- produzent, erscheint im Modell der nachhaltigen Landwirtschaft letztlich als Landschaftspfleger, der die landespflegerischen Maßnahmen ausführt. Doch bevor dieser Zusammenhang konkreter dargestellt wird, soll die Quantifizie- rung der nachhaltigen Entwicklung analysiert werden. Stoff- und Energietransfers Die Diskussion zur Entwicklung der Landwirtschaft ist auf die agrarische Marktproduktion ausgerichtet und sieht von dem individuellen Gebrauch der naturbürtigen Produktivkräfte und dem Interpretationsspielraum zur Landnut- zung jenseits des Marktes ab. Diese volkswirtschaftliche Perspektive führt ers- tens zur Abstraktion von der konkret geleisteten Landarbeit und zweitens zur Quantifizierung der Landnutzung mittels abstrakter Markt- und Umweltmedien. Mit der Grenznutzentheorie sind diese hinsichtlich der dualen Codierung von Kosten und Nutzen aufeinander bezogen worden; in der Bilanzierung der Stoff- und Energietransfers werden sie nach dem Zweiseitenschema von Input und Output beschrieben309. So erläutern HEINL ET AL. zur Berechnung der Stoff- und Energietransfers, dass die „Erfassung der Gebietskennzeichen [...] über die Stoffgrößen auf der Input- wie auf der Outputseite des Systems Landwirt- schaft“ erfolge [HEINL ET AL. 1996: 47]. Sie wollen nachhaltige Landwirtschaft neben der volkswirtschaftlichen Effizienz an Stoff- und Energietransfers mes- sen, damit „das Leitbild inhaltlich präzisiert werden“ könne, denn Nachhaltigkeit sei „in der Diskussion über die Zukunft der Menschen zu einer selbstverständ- lichen Vokabel geworden“, obgleich „es für den Nachhaltigkeitsbegriff keine verbindlich akzeptierte Interpretation gibt“ [HEINL ET AL. 1996: 45]. Zur präziseren Fassung der Nachhaltigkeit „dienen die Stoff- und Energieströme in der Land- wirtschaft“ [HEINL ET AL. 1996: 45]. Die Überlegung ist, Umweltqualitätsziele (Standards) zu formulieren, die für die anvisierten Umweltmedien messbare 308 Analog zum Faschismus als Ideologie des Totalitarismus, dass der Staat alles, der einzelne nichts sei, haben sich im ‘Ökofaschismus’ die Individuen unter das Ganze einzuordnen. Vgl. zur Ökodiktatur die Überlegung von ENZENSBERGER [1973]. 309 Zur dualen Codierung für Beschreibungen innerhalb von Systemen vergleiche LUHMANN [1986], der den Codierungen Programmierungen zuordnet, die sie steuern. Die Codierung wäre im ökonomischen System, das LUHMANN den sozialen Systemen zuordnet, die duale Tauschregel ‘Haben/ Nicht-Haben’ mit dem Steuerungsmedium ‘Geld’. Im Stoff- und Energietransfer, der in dem technischen Modell von HEINL ET AL. eher den mechanischen Systemen zugeordnet werden müsste, wäre Input/ Output die duale Transformationsregel mit dem Steuerungsmedium ‘Ökobilanz’, die über die Ressourcenverfüg- barkeit Auskunft geben soll [z.B. HEINL et al. 1996: 48]. 188 Grenzwerte vorgeben, von welchem Grad der Sollerfüllung an die Landbewirt- schaftung nachhaltig sei [z.B. HEINL ET AL. 1996: 45, 48]. Die nachhaltige Ent- wicklung wird über den Bedürfnisbegriff definiert310: „Damit wird eine Entwicklung bezeichnet, die die Bedürfnisse der Gegenwart be- friedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ [HEINL ET AL. 1996: 46]. Was die ‘Bedürfnisse der Gegenwart’ sein mögen, wer die ‘künftigen Generati- onen’ sein werden und welche konkreten Interessensgruppen sie bilden, geht hinter der generalisierenden Formel verloren. Stattdessen wird leerformelhaft gefolgert, dass die Landwirtschaft demnach so organisiert werden müsse, dass sie auf Dauer den Bedürfnissen gemäß produzieren könne [z.B. HEINL ET AL. 1996: 46]. Die Landwirtschaft wird in den Stoff- und Energieflussmodellen aus der Sys- temperspektive gesehen, der sie als funktional differenziertes Teilsystem des Wirtschaftssystems erscheint, das wiederum ein Subsystem des globalen Ö- kosystems sei [z.B. HEINL ET AL. 1996: 47]. Ein System wäre zunächst in eine Innen- und eine Außenwelt differenziert, mit der das System im Stoffwechsel stehe, während es intern als ein kybernetischer Regelkreis strukturiert sei, der das System stabilisiere [z.B. HEINL ET AL 1996: 47]. Nun könne sowohl der exter- ne Stoffwechsel des Systems mit seiner Umwelt als auch die internen Steuer- vorgänge des Systems über die Stoff- und Energiemengen, die vom System umgesetzt werden, beschrieben werden. Dazu werden die vom System trans- ferierten Stoffe und Energien als Ressourcen aufgefasst [z.B. HEINL ET AL. 1996: 47; WUPPERTAL INSTITUT 1996: 37ff]. „Als Ausgangspunkt [zur Untersuchung der Nachhaltigkeit] dient eine Betrachtung der Ressourcen unter der Frage ihrer Verfügbarkeit und der Stoffbezüge in der Landwirtschaft“ [HEINL ET AL. 1996: 52]. Der Ressourcenbegriff stammt aus der Ökonomie, in der er Hilfsquellen und Finanzmittel bezeichnet, die in den Produktionsprozess eingehen. Die Res- source ist der Ausschnitt der Umwelt, der über die Produktion verwertet und in der Warenzirkulation zum Tauschwert transformiert wird311. Ressourcen sind daher prinzipiell kalkulierbar und können als quantifizierte Parameter in die Be- rechnung des systemaren Stoffwechsels eingehen. „Die Auswirkungen der Maßnahmen können schließlich unter Berücksichtigung ih- rer wechselseitigen Beeinflussung berechnet werden. Im Ergebnis läßt sich Nach- haltigkeit quantitativ (und qualitativ) beschreiben“ [HEINL ET AL. 1996: 51]. Ähnlich verhält es sich mit den Stoffwechselprodukten, die das System an die Umwelt oder andere Systeme abgibt. Stoffe und Energien, die das System an andere Subsysteme oder die Umwelt abgibt, werden je nach ihrer weiteren Verwendung als Erzeugnisse oder Abfälle kategorisiert [z.B. HEINL ET AL: 1996: 47; WUPPERTAL INSTITUT 1996: 43ff]. Erzeugnisse sind jene Stoffwechselproduk- 310 Zur Kritik des Bedürfnisbegriffs siehe GRONEMEYER [1988]; auch Bedürfnisse und Werbung bei ZIMMERMANN [1978]. Siehe Kapitel: ‘Globale Nachhaltigkeit’. 311 Siehe zur ‘Verwertung’ der Ressourcen [KRAUSS/ SCHÜRMEYER 1997] in dem Verfahren der ‘ökologi- schen Wirkanalyse’ [STOLZENBURG 1984]: ‘Die ökonomische Formbestimmtheit der ökologischen Wirk- analyse’. Ressourcen gelten innerhalb der systemtheoretischen Modellierung als prinzipiell knappe Güter [z.B. LUHMANN 1986: 117f]. Das Selektionspostulat, dass Systeme evolutionär entstehen und sich verändern, setzt ebenso Knappheit voraus. Zum Verhältnis zwischen Knappheit, Bedürfnis und Macht siehe GRONEMEYER [1988]. 189 te, die einer weiteren Verwertung zugeführt werden, hingegen Abfälle nicht verwertbar sind bzw. in einer Verwertung mehr Kosten verursachen als Ertrag erbringen. Die Ressource beschreibt den Input und Erzeugnisse und Abfälle beschreiben den Output des Systems, wobei der Output eines Subsystems zum Input eines anderen Subsystems, also ein Erzeugnis zur Ressource wer- den kann312. Ob Input oder Output, Stoffwechselprodukt oder Ressource ist somit in der Systembeschreibung jeweils eine Frage der Perspektive. Die Ressourcen werden in der Diskussion um die nachhaltige Entwicklung in zwei Gruppen unterteilt: die erneuerbaren Ressourcen und die endlichen Res- sourcen [z.B. HEINL ET AL. 1996: 46], die beide unter dem Paradigma des Man- gels grundsätzlich als in zeitlichem Rahmen begrenzt aufgefasst werden, wor- aus für ihre Nutzung die Forderung abgeleitet wird, dass der Ressourcen- verbrauch reduziert werden müsse. Mit endlichen Ressourcen hätte man dem- nach sparsam umgehen, falls von ihnen Gebrauch gemacht würde und sie nicht durch erneuerbare substituiert werden könnten, während die erneuerba- ren Ressourcen hinsichtlich ihrer Reproduktionszyklen begrenzt genutzt wer- den könnten [z.B. HEINL ET AL. 1996: 46]. Die systemtheoretische Betrachtung der Stoffwechselprozesse folgt dem zwei- ten Lehrsatz der Thermodynamik, dem gemäß nutzbare Energie in der Diffe- renz zwischen geordneten Aggregatzuständen besteht, die tendenziell nivel- liert (in Wärme überführt) wird, wodurch sie in ungeordnete Aggregatzustände übergeht. Das System hält gegen seine Umwelt intern einen geordneten Ag- gregatzustand stabil, indem es das Energiegefälle geordneter Strukturen der Umwelt, die Ressourcen (Rohstoffe und Energieträger) nutzt, dabei aber in der Umwelt Entropie vermehrt (Abfall), weil es zur Selbsterhaltung unstrukturierte Energie (Wärme) abgibt. Ein System erscheint somit endlich313. Nachhaltigkeit bedeutet aus der systemtheoretischen Perspektive, dass das System sein En- de aufschiebt, indem es möglichst wenig Wärme abstrahlt314. Das bedeutet für den Systemerhalt an erster Stelle, dass die Effektivität der Stoffwechselprozesse gesteigert und der Energieumsatz reduziert werden müsste. So soll der „erste Schritt, noch im Vorfeld einer Maßnahmenwahl, [...] in der Nutzung bestehender Einsparungsmöglichkeiten oder in einer Effizienz- steigerung bestehen“ [HEINL ET AL. 1996: 49]. Mit der systemtheoretischen Sichtweise auf die prinzipielle Begrenztheit eines Systems kommt die Steuer- barkeit des systemaren Stoffwechsels ins Blickfeld. Wie kann ein System rati- onal gesteuert werden, um jene ‘Umweltqualitätsziele’, unter denen es nach- 312 Erzeugnisse können auch Abfälle sein, die einer anderen Produktion zugeführt und von dieser aus betrachtet als Ressource erscheinen. MARX bezeichnete diese Form der Wiederverwendung von Ab- fällen in Anlehnung an den Ackerbau als „Ökonomie der Exkremente der Produktion durch ihre Wie- derbenutzung“ [MARX 1894: 112], die allerdings ihre Funktion wechselt, wenn sie in der chemischen In- dustrie zur Kapitalverwertung eingesetzt wird: „Exkremente der Produktion sind also in der chemischen Industrie die Nebenprodukte, die bei kleiner Produktionsstufe verloren gehen [...] Im ganzen sind die Bedingungen dieser Wiederbenutzung: Massenhaftigkeit solcher Exkremente, die sich nur ergibt bei Arbeit auf großer Stufenleiter; Verbesserung der Maschinerie [...]; Fortschritt der Wissenschaft, spe- ziell der Chemie, welche die nutzbaren Eigenschaften solcher Abfälle entdeckt“ [MARX 1894: 110f]. 313 Der zweite Lehrsatz der Thermodynamik, das Gesetz der mit fortschreitender Zeit zunehmenden Entropie, entspricht der christlichen Verfallsvorstellung. Die Vorstellung geht auf die biblische Genesis zurück, dass die Welt seit dem Sündenfall dem Tod und Verfall untersteht, weshalb davon auszugehen sei, dass ein ehedem vollkommener Weltzustand einem geschichtlichen Verfall unterliegt, bis der Jüngste Tag die hinfällige Welt aufhebt [GROH/ GROH 1991]. 314 ‘Nachhaltig zu leben’ bedeutete demnach für den einzelnen Menschen, möglichst spät zu sterben. 190 haltig stabil bleiben kann, zu erreichen? Diese Frage soll über die quantifizier- ten Stoff- und Energietransfers beantwortet werden. „Nachfolgend wird die Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit auf der Maß- stabsebene der Region gezeigt. Dazu werden verschiedene Maßnahmen ausge- wählt, beschrieben und in ihrer Wirkung untersucht. Zuletzt können die Stoff- und Energieströme unter den veränderten Bedingungen erneut bilanziert werden“ [HEINL ET AL. 1996: 48]. Ein Umweltqualitätsziel besteht darin, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Input und Output zu erreichen, das über Stoff- und Energietransfers berechnet werden soll [z.B. WUPPERTAL INSTITUT 1996: 53ff]. Zur Berechnung werden Mo- delle im regionalen Maßstab angewandt315, so dass die Transferquote auf alle Betriebe umgelegt wird – konkret bedeutet dies beispielsweise, dass ein Fut- termittelbetrieb z.B. Sojaschrot in die definierte Region einführt, weiterverarbei- tet und an Betriebe in- und außerhalb dieser Region veräußert, die Schlacht- vieh produzieren. Diese Betriebe verfüttern die Futtermittel und liefern das Schlachtvieh an einen Schlachthof, der das Fleisch an den regionalen und ü- berregionalen Fleischhandel liefert. Werden nun alle in die Berechnung einge- henden regionalen Transfers hinsichtlich ihres Stoff- und Energiegehalts quan- tifiziert, dann ergibt sich für jede involvierte Region ein Input-Output-Quotient. Dabei fällt auf, dass die quantifizierende Reduktion der Produkte auf messbare Parameter letztlich Soja mit Schnitzel vergleicht. Innerhalb dieses Modells wä- re denkbar, dass ein weltweiter Stoff- und Energietransfer zu quantitativ aus- geglichenen Bilanzen führt, obgleich Sojaschrot und Schnitzel jeweils nur in eine Richtung exportiert werden. Die Einfuhr von Rohstoffen und Ausfuhr von Endprodukten im Sinne des kolo- nialen Merkantilismus [GÖMMEL/ KLUMP 1994: 93f] läuft auf den ungleichen Tausch hinaus316. Der qualitative Unterschied und der soziale Aspekt des un- gleichen Tausches spielen in diesen Modellen keine Rolle. Die Abstraktion von den konkreten Gegenständen wird sogar befürwortet, weil damit eine univer- selle Vergleichbarkeit ermöglicht würde. „Bei einer Zurückführung auf energetische Kennzeichen können somit sehr ver- schiedene Produktionsmittel miteinander verglichen werden“ [HEINL ET AL. 1996: 48]. Was als Vorteil benannt wird, erweist sich als Problem reduzierende Selektion. Die Stoff-Energiebilanzen kalkulieren nur mit technischen Größen, über die sie die Geschichte der Landnutzung zur Disposition stellen für die Administration und sie letztlich zur Ressource der Industriegesellschaft erklären. Wird einer- seits von der Landwirtschaft gefordert, allen Energieverbrauch auf erneuerbare Energieträger umzustellen, so gestehen HEINL ET AL. andererseits ein, dass dies in einer Industriegesellschaft nicht möglich sei: „Gleichzeitig ist es aber unwahrscheinlich, daß im gesamten menschlichen Wirt- schaftssystem kurz- bis mittelfristig auf den Einsatz endlicher Energieträger völlig 315 Der Parameter ‘Stoff- und Energietransfer’ steht analog zur Theorie des ökologischen Fließgleich- gewichts in Ökosystemen und des geschlossenen Wirtschaftskreislaufs, der eine ausgeglichene Bilanz aufweisen soll. Der Unterschied zu den einzelbetrieblichen Wirtschaftskreisläufen, die in der bäuerli- chen Wirtschaftsweise und im häuslichen Gartenbau angewendet werden, ist entscheidend, weil die Produktion direkt am Produkt sowohl quantitativ als auch qualitativ prüfbar ist. Neben dem Tauschwert und dem materiellen Ertrag bleibt der Gebrauchswert und der Erfahrungsertrag einsehbar. 316 Der ungleiche Tausch ist eine der Voraussetzungen für die Entstehung des Landschaftsparks. 191 verzichtet werden kann. Daher ist es notwendig, deren Verbrauch auf die unver- zichtbaren Bereiche zu reduzieren“ [HEINL ET AL. 1996: 51]. Die Umstellung der Landwirtschaft, die unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit gefordert wird, bleibt nicht nur in die industrielle Produktion eingebunden, son- dern soll ihren Energieverbrauch ausgleichen. Zum einen übernimmt die nach- haltige Landwirtschaft Funktionen für den Naturschutz [z.B. HEINL ET AL. 1996: 49f], zudem „stellt die Landwirtschaft dem übrigen Wirtschaftssystem Brenn- stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zur Verfügung“ [HEINL ET AL. 1996: 52]. Die Anwendung der nachhaltigen Entwicklung in der Landespflege greift auch in diesem Zusammenhang die Prämissen der Agenda 21 auf317. Bewirtschaftung als Ausgleichsmaßnahme Mit dem Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft gerät das Interesse an der Bewirt- schaftung des Landes auf spezifische Weise in die landespflegerische Diskus- sion. Wie schon die Aspekte der volkswirtschaftlichen Effizienz und der Stoff- und Energiebilanzen ist auch die Diskussion um die Bewirtschaftung auf systemare Zusammenhänge und die landwirtschaftliche Produktion ausgerich- tet. Vernachlässigt werden hingegen Aspekte der Bauernwirtschaft [GEHLKEN 1995: 262-269]. Die Diskussion um die Landwirtschaft geht davon aus, dass Landschaft wesentlich durch die agrarische Bewirtschaftung entstanden sei, die eine Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft umformte318 [z.B. KÜSTER 2001: 862f; vgl. BECK 1996; MARSCHALL 1999], und kann anhand der Veröffentli- chungen von KÜPFER nachgezeichnet werden [z.B. KÜPFER 1995; 1997; KÜPFER ET AL. 1997]. „Der Naturraum und mit ihm Geologie, Boden, Hydrologie, Relief, Klima etc. bildet deshalb die Grundlage einer ökologisch fundierten, d.h. auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung ausgerichtete Landschaftsbetrachtung [...] Landschaft aber lebt, d.h. verändert sich durch die Tätigkeit des Menschen, welche ihrerseits wie- derum von vielen Faktoren [...] bestimmt ist“ [KÜPFER 1995: 134]. Die Bewirtschaftung der Landschaft sei von den einsetzbaren technischen Mit- teln abhängig [z.B. KÜPFER 1995: 134], wodurch Landwirtschaft und damit auch die Kulturlandschaft in die Entwicklung der Produktivkräfte eingebunden sei, die durch den historischen Wandel der Bewirtschaftungsweisen die Landschaft veränderten [z.B. BECK 1996: 28]. Neben dem Entwicklungsstand der Produktiv- kräfte wirkten auch die Bedürfnislage und ökonomische Steuerungsmechanis- men auf die Landnutzung: „Menschliches Handeln ist nicht nur, aber auch von ökonomisch orientiertem Den- ken bestimmt. [...] Die Nutzung der Landschaft [...] wurde immer wieder durch wechselnde Bedürfnisse, Ernährungsgewohnheiten, Preise, Besteuerungssyste- me usw. verändert“ [KÜPFER 1995: 134]. Geschichtlich könne somit ein Landschaftswandel beschrieben werden, der aus einer Folge unterschiedlicher Kulturlandschaften besteht, die auf einem bestimmten Stand der Produktivkraftentwicklung hergestellt wurden. Im Allge- meinen werden drei Phasen unterschieden: die erste erstreckt sich bis zum Beginn der physiokratischen Landeskultur im 18. Jahrhundert, die zweite um- 317 Siehe dazu das Kapitel: ‘Das Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft’. 318 Unter Naturlandschaft wird in diesem Zusammenhang die Naturausstattung verstanden, sofern sie unter der Perspektive geologischer und geoklimatischer Zeiträume betrachtet wird. 192 fasst die anschließende Modernisierung des Landbaus bis Anfang des 20. Jahrhunderts und die dritte bildet die gegenwärtige Phase der Intensivierung der Landwirtschaft [z.B. BECK 1996]. In diesem Landschaftswandel wird vor al- lem der Landschaft zwischen 1800 und 1950 ein besonderer Wert zugespro- chen: „War zuvor die Landschaft ökonomisch gesehen suboptimal, d.h. zur Erwirtschaf- tung eines definierten Minimalertrages genutzt worden, so begann man nun mit großflächigen Nutzungsintensivierungen. [...] Die Übergangsstadien von der ur- sprünglichen Natur- zur heutigen, meist hoch intensiv genutzten Kulturlandschaft besaßen in Süddeutschland meist eine hohe biologische Vielfalt, die um 1850 ihr Maximum erreichte“ [KÜPFER 1995: 134]. Unter dem Gesichtspunkt der ‘Biodiversität’ erhält also gerade die ‘Landschaft’ einen hohen Wert, die in der Literatur des Natur- und Heimatschutzes glorifi- ziert wurde319 [SIEFERLE 1986: 248ff]. Die herkömmliche Landbewirtschaftung in der kunstdüngerlosen Zeit hätte durch ineffiziente Nutzungen das Land dermaßen devastiert320 [z.B. KÜPFER 1995: 135f; KÜSTER 2001: 863], dass der Ertrag der ausgelaugten Böden erst während der industriellen Revolution, als Kunstdünger verfügbar wurde, hätte gesteigert werden können [z.B. KÜPFER 1995: 137]. Durch die Ausweitung des Kunstdüngereinsatzes und vor allem der Pestizide und Maschinen ‘verkehrten’ sich allerdings die Segnungen des chemo-technischen Fortschritts in der aktu- ellen Phase der Wirtschaftsgeschichte, die durch die Industrialisierung der Landwirtschaft geprägt sei und aus der die industriellen Agrarlandschaften re- sultierten [z.B. KÜPFER 1995: 138; BECK 1996: 43f]. Diese Veränderungen in der Kulturlandschaft bedrohten letztlich die Nachhaltigkeit (in) der Landbewirt- schaftung, die ihre Produktionsgrundlagen zerstöre [z.B. KÜPFER 1995: 134; BECK 1996: 27], weshalb ein Umdenken im Einsatz technischer Mittel notwendig sei, das in einer stärkeren Berücksichtigung der naturbürtigen Basis in der Landbewirtschaftung bestehe [z.B. BECK 1996: 43f]. Vor allem aus dem Bundesnaturschutzgesetz von 1976 wird die Forderung nach dem Naturschutz hergeleitet321 [z.B. KÜPFER 1995: 134; KÜPFER 1997: 147; MÜHLE ET AL. 2000: 76]. Naturschutz sei mithin auf dem Lande einerseits not- wendig, um die natürlichen Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft zu er- halten, andererseits seien die notwendigen Pflegemaßnahmen auf Dauer nicht finanzierbar [z.B. KÜPFER 1997: 146]. Aus dieser Überlegung heraus werden als dann Leitbilder nachhaltiger Landwirtschaft entworfen, „die erstens den Zielen ressourcenschonenden Umgangs mit der Natur entsprechen und zweitens für den Nutzer zumindest kostenneutral, besser aber ökonomisch gewinnbringend sind“ [KÜPFER 1997: 148]. Diese Zielsetzung verlange von der Landespflege, dass sie “für eine ressourcenschonende Nutzung zukünftig sehr viel stärker die ökonomischen Gegebenheiten berücksichtigen muß, wenn Umsetzungserfolge erzielt werden sollen“ [KÜPFER ET AL. 1997: 366], sowie „die Einbeziehung der betroffenen Nutzer – in der Regel die Landwirte und die Landwirtschaftsverwal- tungen“ [KÜPFER 1997: 148]. Zweck der Agrarberatung ist nun nicht mehr die 319 Beispiele zur Illustration des Verhältnisses zwischen Landschaftsmalerei und den Landschaften des Natur- und Heimatschutzes geben (eher beiläufig) BUDERATH und MAKOWSKI [1986]. 320 Kritisch dazu BECK [1996]. 321 BNatSchG 1976: §1(1). 193 Produktionssteigerung, sondern die Weiterverwendung der brachgefallenen Produktionsflächen, indem sie anderen Nutzungen zugeführt werden. Die ehe- dem in die Agrarproduktion eingebundenen Arbeitsgänge sollen, mit anderen Funktionen ausgestattet, erhalten bleiben, um die ländlichen Vegetationsfor- mationen zu konservieren. So schlägt KÜPFER vor, die Wiesenmahd in eine neue Funktion einzubinden, indem das überschüssige Mahdgut zugleich durch die technische Energiegewinnung entsorgt wird [z.B. KÜPFER 1997: 149]. Die Landwirtschaft würde somit auf die Energieerzeugung aus lokalen Ressourcen ausgerichtet. Und er hat noch mehr Vorschläge parat: „Warum sollte ein kundiger Landwirt nicht vogelkundliche Führungen durch die Streuobstbestände der Gemarkung für die Gütlebesitzer, Hobbybauern und sons- tige interessierte Bürger anbieten“ [KÜPFER 1997: 149]. Ja, warum nicht? fragt KÜPFER scheinheilig322. Die ‘Beschäftigungsmöglichkei- ten’ für vom Land freigesetzte Landwirte, wie sie die Agenda 21 fordert, schei- nen unbegrenzt323. Mit dem Leitbild des Landwirts als Landschaftspfleger, der das Agrarland für städtische Nutzungen offen hält, wird die überkommene Kul- turlandschaft, wie schon im Natur- und Heimatschutz um 1900 gefordert, zum Landschaftspark und zur städtischen Naturmetapher324 [z.B. KÜPFER 1995: 137, 139]. Im dementsprechend von der Stadt aus definierten Naturschutz werden für die Landwirtschaft Umweltqualitätsziele entworfen, die eine extensive Be- wirtschaftung des Landes fordern [z.B. KÜPFER ET AL. 1997: 68f; PICK 2001: 25]. Forderungen, die seit einem halben Jahrhundert im landespflegerischen Schrifttum erhoben werden, wie STOLZENBURG und VETTER feststellen: „Das Land selbst wird unter dem Aspekt der städtischen Konsumtion betrachtet. Der ländliche Raum wird von städtischer Seite als voraussetzungslos okkupierbar betrachtet, weil er als ‘frei’, ‘unberührt’ und ‘anspruchslos’ stilisiert wird und damit auch verfügbar ist“ [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 34]. Das Land wird als Erholungs- und Ausgleichsraum aufgefasst [z.B. KÜPFER 1997: 146; BAUER 2001: 19; PICK 2001], und die nachhaltige ökologische Landwirt- schaft in diesem Zusammenhang als Ausgleichsmaßnahme diskutiert [z.B. KÜPFER 1997: 146; ELSEN 2000; JESSEL 2001]. Im § 8 des Bundesnaturschutzge- setzes von 1976 wird gefordert, „Eingriffe in Natur und Landschaft“ [BNatSchG 1976: §8(1)] „durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landespflege aus- zugleichen“ [BNatSchG 1976: §8(2)], wobei dieser ‘Ausgleich’ als Ersatzmaßnah- me über ‘Ausgleichszahlungen’ auch am anderen Ort geleistet werden kann [BNatSchG 1976: §8(9), §8a(3), §8b(2); ELSEN 2000: 212]. Sowohl ELSEN als auch JESSEL stellen einen Widerspruch zwischen den Zielen des Naturschutzes und der ökologischen Landwirtschaft heraus, den sie in der gestalterischen Lösung einer nachhaltigen Landschaft aufheben möchten325. 322 „Geschulte Landwirte könnten als Naturschutzwart, Historien- oder Landschaftsführer fungieren und Feriengästen oder Interessierten der heimischen Bevölkerung z.B. die Fauna ihrer Streuobstwiesen näher bringen. Das hätte als wesentlichen Nebeneffekt die Sensibilisierung für die ganz speziellen Artenschutzbelange der eigenen Umgebung zur Folge“ [KÜPFER et al. 1997: 369]. 323 Siehe dazu das Kapitel: Das Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft. 324 Kritisch dazu KÜSTER [2001: 864] und CAMLIN [2001: 29]. 325 JESSEL betont, dass „bei der Neuausrichtung der Agrarpolitik unter dem Stichwort ‘Agrarwende’ erklärtes umweltpolitisches Ziel [sei], dass in zehn Jahren in Deutschland auf 20 Prozent der Fläche Öko-Landbau betrieben wird“[JESSEL 2001: 12]. Hier ergäbe sich die Notwendigkeit einer entsprechen- den Regelung zwischen Naturschutz, ökologischer und konventioneller Landwirtschaft. 194 Sowohl aus den ‘Eingriffen’ als auch durch die ‘Ersatzmaßnahmen’ könne für die Landwirtschaft ein Entzug landwirtschaftlich bewirtschafteter Flächen resul- tieren [vgl. JESSEL 2001: 12], zumal die „Ausgleichsgelder überwiegend zum Kauf aus naturschutzfachlicher Sicht wertvoller Flächen verwendet“ würden [ELSEN 2000: 212]. Am Beispiel der Hansestadt Lübeck berichtet VAN ELSEN, dass die „zunehmende Knappheit zur Verfügung stehender Ausgleichsflächen [...] Anlaß für Überlegungen [...sei,] Ausgleichsgelder für Maßnahmen zur Ver- besserung der Umwelt in Kooperation mit landwirtschaftlichen Betrieben ein- zusetzen“ [ELSEN 2000: 212]. Der ‘ökologische Landbau’ würde demnach aus- gleichsfähig, wie schon in Hessen unter dem Titel ‘Ökoplus’ „die Umstellung von intensiver ackerbaulicher Nutzung auf ökologischen Landbau als Aus- gleich oder Ersatz anerkannt werden“ kann [JESSEL 2001: 13], so dass „ökolo- gisch bewirtschaftete Ackerflächen in der hessischen Ausgleichsabgabenver- ordnung mit einer definierten Punktzahl angerechnet“ werden können [JESSEL 2001: 13]. Dies könnte nach Ansicht der Autoren von einer Verwaltung nach dem Modell des Ökokontos geregelt werden. So übernehme das Umweltamt Lübeck für die ‘Eingreifer’ ein Ausgleichsmanagement, das Ausgleichsmaß- nahmen plane, die Suche nach Ausgleichsflächen koordiniere und Verträge mit den Flächeneigentümern abschließe, „deren Einhaltung und Effizienz durch die Untere Naturschutzbehörde kontrolliert werden soll“ [ELSEN 2000: 213]. „Über die Ökokonto-Regelung könnte die Pflege von geeigneten Gebieten durch- aus eine günstige Lösung darstellen, auch wenn die Vorgabe des § 8 BNatSchG, den Ausgleich in unmittelbaren, räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Eingriff zu stellen, damit nicht immer erfüllt sein wird“ [KÜPFER 1997: 148]. Die Ausgleichszahlungen werden somit zu indirekten Agrarsubventionen für den ‘ökologischen Landbau’ [vgl. JESSEL 2001: 14], und dieser zur Ausgleichs- maßnahme, die die ‘ganze Landschaft’ betrifft326. Über das Eingriffs- Ausgleichsverfahren, dessen Anwendung auf den Ökolandbau und dessen flächenhafte Ausweitung könnte der Naturschutz auf das Land zugreifen wie ehedem die Flurbereinigung. „Wünschenswert ist, dass Ausgleichsgelder künftig über die Unterstützung zur Umstellung hinaus zur Weiterentwicklung des Ökologischen Landbaus zu einer die Kulturlandschaft bewußt erhaltenden und natur-entwickelnden Wirtschaftswei- se beitragen“ [ELSEN 2001: 219]. Ein Problem wird in dem funktionalen Bezug der Ersatzmaßnahme zum Ein- griff [JESSEL 2001: 13] und in dem zeitlichen Rahmen der ökologischen Land- bewirtschaftung als Ausgleichsmaßnahme gesehen, die „mindestens so lange gesichert sein [müsse], wie der Eingriff fortbesteht“ [JESSEL 2001: 14; z.B. ELSEN 2000: 213]. Der Naturschutz über die Flächenbewirtschaftung stehe in einem Zielkonflikt mit dem klassischen Biotopschutz, weswegen eine kombinierende Lösung angestrebt wird, die neben der administrativen Bewirtschaftungssteue- rung deutlich gestalterische Elemente enthält, nicht zuletzt um das Land- schaftsbild zu beleben [z.B. JESSEL 2001: 13]. Zur Gestaltung wird der privatwirt- schaftlich arbeitende Landespfleger notwendig, der somit nicht befürchten muss, dass ihm über die administrative Umsetzung der Ausgleichsmaßnah- men alle Aufgaben entzogen würden. 326 Siehe zur Ausgleichsideologie in der Landespflege das Kapitel: Ideologischer Ausgleich. 195 „Eine pauschale Anrechenbarkeit mit einer bestimmten Zahl an Wertpunkten, wie dies etwa in der hessischen Ausgleichsabgabeverordnung (AAV) praktiziert wird, ist eben gerade nicht zielführend“ [JESSEL 2001: 14]. Denn die Einbeziehung des ‘ökologischen Landbaus’ in die Eingriffs- Ausgleichs-Regelung sei von den Schutzzwecken abhängig, weil der ‘ökologi- sche Landbau’ primär abiotische Ressourcen schütze [z.B. JESSEL 2001: 13; ELSEN 2000: 215], während Artenschutz besser über Naturschutzauflagen [z.B. JESSEL 2001: 13] und Anlage von ‘Biotopen’ möglich sei [z.B. ELSEN 2000: 218]. „Dies steht vor dem Hintergrund einer mit der Zeit gewachsenen Erkenntnis, daß effektiver Naturschutz nur auf der ganzen Fläche möglich ist und daher die Land- wirtschaft als Partner braucht. [...] Beeinträchtigungen naturschutzfachlich wertvol- ler Biotoptypen, gefährdeter Tier- und Pflanzenarten sowie des Landschaftsbildes auffangen zu wollen [...] bedarf [...] gezielter Pflege und Managementmaßnah- men“ [JESSEL 2001: 14]. Die Landwirte als Partner für den Naturschutz, der über sie gezielte Manage- mentmaßnahmen durchführen lässt, die aus industriellen Mitteln entlohnt wer- den, dieses Auftragsverhältnis deutet auf die Art der ‘Beziehung’ hin. Der ‘öko- logische Landbau’ bleibt letztlich eine mit industriellen und städtischen Geldern subventionierte Form der Landschaftspflege, die mit städtisch-industriellen Fi- nanzmitteln auf dem Lande für städtisch-industrielle Ziele eintritt. Das Land ist weiterhin unter Bedingungen der industriellen Verwertung, die als ökonomi- sche Sachzwänge akzeptiert werden, Ressource externer städtischer Interes- sen. Diese Politik wird durch die Aussage unterstützt, dass die Landwirtschaft aktuell kaum mehr rentabel und in bestimmten Produktionszweigen nur mehr über Subventionen möglich sei, so zitiert KÜPFER dazu aus einem Vortrag des Ökonomen HAMPICKE327. „[Es dürfte] in ganz Baden-Würtemberg keine Wiese geben, die als volle Futter- grundlage für Milchkühe oder gar Bullen in einer korrekten Kostenkalkulation (ein- schließlich Fixkosten-, Lohn-, Pacht- und Zinsansatz) kostendeckend ist“ [HAMPICKE 1993 zitiert in KÜPFER 1997: 146]. Auf diese mangelhafte landwirtschaftliche Rentabilität müsse mit neuen Ein- nahmequellen reagiert werden [z.B. KÜPFER ET AL. 1997: 368f], indem die nach- haltige Landwirtschaft für hochwertige Produkte eine direkte und regionale Vermarktung anstrebt [z.B. KÜPFER ET AL. 1997: 367f] und Nebenerwerbsmög- lichkeiten einrichten solle [z.B. KÜPFER 1997: 147; KÜPFER ET AL. 1997: 368f], wie z.B. den Agrartourismus [z.B. BAUER 2001: 19; PICK 2001: 23]. Für die Umwand- lung der konventionellen Landwirtschaft in den nachhaltigen Landbau mit neu- er Vermarktung und Erwerbszweigen sei eine Agrarberatung notwendig [z.B. KÜPFER 1997: 148; KÜPFER ET AL. 1997: 366]. 327 HAMPICKE, U. 1994: Der Preis einer vielfältigen Kulturlandschaft; in: Der Bürger im Staat; 1/1994; 7- 13. 196 „Wenn wirklich viele Bauern in kurzer Zeit umstellen sollen, bedarf es einer enor- men Ausweitung der Marktchancen für Produkte aus ökologischem Landbau ein- schließlich einer breit angelegten Aufklärungs- und Informationskampagne für Verbraucher sowie einer verbesserten Kennzeichnung und Werbung für Biopro- dukte. Daneben müssen im Bereich der Beratung und Weiterbildung umstel- lungswilliger landwirtschaftlicher Betriebe große Anstrengungen unternommen werden“ [PICK 2001: 25]. Über die Ausgleichsgelder und Agrarsubventionen, die zum Großteil im indus- triellen Sektor erwirtschaftet werden, erscheint die Industrie als Zulieferer und Nutznießer der Landwirtschaft, die industrielle Produktionsmittel zukauft (Fut- ter- und Düngemittel, Energie und Maschinen) und ihre Produkte für die städti- schen Abnehmer (Lebensmittel- und Rohstoffhandel) produziert [z.B. KÜPFER ET AL. 1997: 369]. Dieser Mitteleinsatz geht quantifiziert und formalisiert in die Input-Output-Bilanzen ein [z.B. HEINL ET AL. 1996: 52; BAUER 2001: 18]. Teil dieser Bilanzen ist im städtisch-ländlichen Transfer der Naturschutz, der als ein not- wendiger Bestandteil der Produktivkraftentwicklung erscheint, insofern er ver- spricht, die naturbürtige Basis der industriellen Produktion dauerhaft zu si- chern. Dies erweckt den Eindruck, der nachhaltige, ökologische Landbau könnte zur nachhaltigen Industrialisierung führen. „Wenn es eine Nachfrage nach ‘Produktion von vielfältiger und charakteristischer Landschaft’ gäbe, würde nach Berechnungen von Hampicke (1994) die derzeiti- gen Subventionen von 900 DM/ha ausreichen, um eine flächendeckende extensi- ve Landbewirtschaftung (z.B. in Form des ökologischen Landbaus) zu finanzieren“ [KÜPFER 1995: 139]. Gestaltung nachhaltiger Landschaften Fassen wir die Aspekte der Nationalökonomie, der Transferleistungen und der Bewirtschaftung zusammen, dann zeichnet sich ab, dass durch die Betrach- tung, die nicht von der Ökonomie des einzelnen Betriebs ausgeht, Umweltqua- lität über Stoff- und Energieströme abstrahiert sowie externe Ziele und Sub- ventionen voraussetzt, das Land im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mit- tel disponibel wird. Im Sinne der ‘Agrarwende’ könnten die Subventionen, er- gänzt über Ausgleichsgelder, derart eingesetzt werden, dass das Leitbild nachhaltiger Entwicklung in der Landwirtschaft flächig umsetzbar wäre [z.B. BAUER 2001: 19; BERNINGER 2001: 21]. Dies bedeutet eine externe Gestaltung des Landes ähnlich der herkömmlichen Agrarplanung, aber mit dem Unter- schied, dass die agrarische Produktivität nicht weiter gesteigert werden soll. Um Ziele zur Gestaltung einer ‘nachhaltigen Region’ zu formulieren, werden landschaftliche Szenarien entworfen, denen das Leitbild nachhaltiger Entwick- lung zugrunde liegt [z.B. MÜHLE ET AL. 2000: 75f]. KÜPFER fordert, dass ein „Leit- bild für Kulturlandschaften [...] nur aus den naturräumlichen Gegebenheiten abgeleitet werden“ kann, aber „gleichzeitig den Bewirtschaftungs-Ansprüchen der Nutzer gerecht werden [muss], um Aussicht auf wenigstens annähernde Umsetzung zu besitzen“ [KÜPFER 1995: 139]. „Das Leitbild kann in Form eines groben Maßnahmenkonzeptes, welches alle Landschaftsfunktionen in idealer Weise berücksichtigt, visualisiert werden“ [KÜPFER 1997: 148]. Diese das Leitbild visualisierenden Szenarien laufen letztlich auf eine kleinteili- ge Gliederung des Landes hinaus, die naturschützerischen und landschaftsäs- 197 thetischen Kriterien folgt328. Das Land wird als Landschaft (und Natur) wahrge- nommen, die dem Tourismus dient [z.B. PICK 2001: 23f], und nach Manier des Landschaftsparks gestaltet [z.B. ELSEN ET AL. 2000: 226ff]. „Eine wichtige Rolle für die Qualität einer Erholungslandschaft und damit für das touristische Potenzial dieser Region spielt das Landschaftsbild“ [PICK 2001: 24]. Daher geht mit der Überlegung, mit dem Tourismus eine neue Einnahmequelle für die Landwirtschaft zu erschließen, die Forderung nach einer ansprechen- den Gestaltung einher. Einerseits „wirken ausgeräumte Agrarlandschaften ein- tönig“, andererseits würden bestimmte „agrarumweltpolitische Maßnahmen wie etwa die Extensivierung von überflutungsgefährdetem Flußgrünland [...] erwie- senermaßen das Landschaftsbild positiv“ beeinflussen [PICK 2001: 24]. In die- sem Sinne schlagen MÜHLE ET AL. zur ‘Strukturierung’ der Agrarlandschaft „die Anlage von Sichtachsen zu bemerkenswerten Gebäuden oder landschaftlichen Besonderheiten“ vor [MÜHLE ET AL. 2000: 78]. Im Zusammenhang mit einem Workshop auf der Domäne Frankenhausen329 sammelten ELSEN ET AL. Vor- schläge „zur Anlage von Streuobstwiesen, zur Bach-Renaturierung, zur Ver- wendung autochthoner Gehölze bei Heckenpflanzungen bis hin zu Vorschlä- gen für Permakulturkonzepte und die Schaffung blütenreicher Strukturen für die Imkerei“ [ELSEN ET AL. 2000: 226]. Ist das Land erst ruiniert, entwirft es sich ganz ungeniert!330 Wenn dem Land wirtschaftlicher Wert abgesprochen und es jenseits der agrarischen Bewirt- schaftung als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme wahrgenommen wird, ist vie- les vorstellbar: Dies zeichnet gerade die Leitbildnerei aus, die aufs Gradewohl verheißt. Aus diesen „vorgestellten Anliegen“ leiten die Autoren eine land- schaftliche Gestaltung des landwirtschaftlichen Gutes ab. „Handlungsbedarf besteht auf dem Domänengelände in zwei Richtungen: zum ei- nen, Bestrebungen zur Untergliederung und zur ökologischen Aufwertung der Feldflur zu realisieren, und zum anderen, Pflege- und Renaturierungsmaßnahmen in derzeit ungenutzten Bereichen in die Wege zu leiten“ [ELSEN ET AL. 2000: 227]. Diese Folgerung ist allgemein und wird überdies mit der Mode des ‘integrativen Naturschutzes’, einer Neuauflage der ‘ornamental farm’331, aufgegriffen, die landschaftliche Gestaltung durch Landnutzung verheißt [z.B. KÜPFER 1995: 139; KÜPFER 1997: 148]. War die Nutzung, die nebenher die Signifikanten der Land- schaft produzierte, primäre Intention, um zu überleben, so wird sie im ‘orna- mental farming’ zum Mittel, das der Gestaltung folgt [HARD 1985: 278; SCHEKAHN 1998: 50ff]. Die ‘ornamental farm’ hatte in der Aufklärung auch den Zweck, die Bauern über neue Bewirtschaftungsweisen zu unterrichten, z.B. im Park Wör- litz nebst ‘Gartenreich’ [BUTTLAR 1989: 142, 152]. Für die Domäne Frankenhau- sen versprechen ELSEN ET AL. eine solche Anleitung zur zeitgemäßen ‘Land- schaftsentwicklung’ [z.B. ELSEN ET AL. 2000: 227]. „Die künftige Entwicklung der Landschaft ergibt sich als ‘Dialog’ aus dem Potential der Landschaft und den Bewirtschaftern der Domäne, FachkollegInnen der Hoch- schule, der Behörden, privater Planungsbüros sowie interessierten BürgerInnen mit unterschiedlichem Nutzungsinteresse. Die Realisierung der individuellen Vor- 328 Beispiele finden sich bei KÜPFER [1995: 139]; KÜPFER [1997: 147f]; MÜHLE ET AL. [2000: 77]; PICK [2001: 24]. 329 Ein Forschungsgut der Universität Kassel. 330 In Anlehnung an ein Bonmot von JÖRG KULLA zum Verhältnis zwischen Gebrauch und Design [1997]. 331 Siehe zum ‘ornamental farming’ das Kapitel: ‘Die ‘gebaute’ Landschaft’. 198 stellungen orientiert sich an dem Wirtschaftsinteresse des Betriebes und an den finanziellen Möglichkeiten. Darüberhinaus sind Zielsetzungen im Sinne einer Vor- bildfunktion losgelöst von rein betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten zu beden- ken“ [ELSEN ET AL. 2000: 226]. Der ‘Dialog mit der Landschaft’ ist im Allgemeinen einseitig [WOLFE 1993] und so entspricht die Landschaft der nachhaltigen Landwirtschaft dem Land- schaftspark, dem neue semantische Gehalte zugesprochen werden, wenn er gegenwärtig Träger der Naturmetapher des Naturschutzes ist [MEHLI 1989: 132; BELLIN 1996: 84]. Naturnah ist zugleich das, was für die Natur steht: die ästhe- tisch angeschaute kleinteilige Kulturlandschaft, in der das richtige, d.h. nach- haltige Verhältnis zwischen Natur und Kultur adäquat zum Ausdruck käme [vgl. HARD: 1985: 290]. Nachhaltigkeit ist in dieser Auffassung vom ‘naturgemäßen’ Natur-Kultur-Verhältnis zur neuen Naturmetapher geworden; die ‘Natur’, deren Begriff gegenwärtig vom ökologischen Konzept dominiert wird, als Landschaft angeschaut, erscheint in der ‘schönen’ Landschaft als ‘nachhaltige Natur’. „Es ist fest in der semantischen Struktur des Wortes Landschaft verankert, daß eine ‘schöne, vielfältige, harmonische Landschaft’ auch eine ‘gesunde, stabile, ökologisch heile und nachhaltig fruchtbare Landschaft’ ist, und beide Ausdrücke klingen eben deshalb fast tautologisch“ [HARD 1991: 15]. Diese Naturmetapher wird von städtischen Interessensgruppen z.B. an Hoch- schulen, in Naturschutz- und Berufsverbänden definiert, deren ökonomische Basis die industrielle Produktion ist. So verwundert es nicht, dass die ‘nachhal- tige Landschaft’ als Erholungs- und Ausgleichsraum der Industriegesellschaft fungiert. Der Landespfleger FRANK LOHRBERG332 leitet aus der Diskussion über das Verhältnis von Stadt und Land, das „die regionale Verflechtung der Städte“ thematisiere, eine eingedenk der Professionsgeschichte gar nicht so neue Sicht auf das Stadtumland ab. In Anlehnung an THOMAS SIEVERTS ‘Zwischen- stadt’ behauptet er, dass das „disperse Wachstum der Städte [...] den klassi- schen Gegensatz aufgelöst [hätte]; hier die dichte, steinerne, von Mauern be- grenzte Stadt; dort die ‘vor den Toren’ gelegene agrarisch geprägte Flur“ [LOHRBERG 2000: 9]. „In dieser Situation entdeckt der Städtebau die Landschaft neu und sieht in ihr ein ‘Gestaltungsfeld, das die Identität, die Eigenart der Zwischenstadt bewahren und herstellen muss’ (Thomas Sieverts)“ [LOHRBERG 2000: 9]. Sowohl regionalpolitische Nutzungsausweisungen als auch künstlerische In- terventionen belegten aktuell, „den Versuch der Planung aus Acker und Wiese einen öffentlichen Raum zu machen“ [LOHRBERG 2000: 12]. Die privaten Pro- duktionsflächen werden nicht nur symbolisch für den Tourismus enteignet, viel- mehr werden sie auch durch Nutzungsbindungen für den Tourismus veröffent- licht. „Es geht darum, die urbane Landwirtschaft als Erweiterung städtischer Lebens- möglichkeiten zu verstehen“ [LOHRBERG 2000: 12]. Hier spricht ‘es’, der Zeit-Geist höchst selbst und fordert das notwendige Ein- verständnis der Professionsvertreter. Die Landnutzung wird durch symbolische Natur ersetzt, die für die sozialen Konflikte der Industrialisierung legitimatori- sche Bedeutung erlangt. Die durch die Industrialisierung und Agrarsubvention 332 Der aufmerksame Leser möge bitte die entscheidende Bedeutung des Dehnungs-H beachten! 199 disponibel gewordene Landnutzung soll nunmehr dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung folgen. „Der Charakter der Landschaft ist nicht hauptsächlich dem Geschmack oder dem ästhetischen Empfinden der Menschen entsprungen, sondern ist zumindest histo- risch gesehen, das Resultat von Armut, Nahrungsmittelknappheit und technischer Unzulänglichkeit. [...] Zwar sind der gezielten Landschaftsveränderungen durch Faktoren wie Bevölkerungswachstum oder Produktpreise Grenzen gesetzt. Den- noch kann Kulturlandschaft durchaus positiv und nachhaltig beeinflußt werden, nämlich durch die Orientierung der Planung an Leitbildern, welche auf naturräum- liche Bedingungen basieren und gleichzeitig der ökonomischen Situation der Be- troffenen Rechnung tragen, damit die Veränderung auch nachhaltig wirkt“ [KÜPFER 1995: 140]. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Ziele, die dem Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft folgen, nach Ansicht der Landespfleger über eine spezifische Denkfigur, die aus den Texten zu extrahieren ist, zwingend sind. In der Argumentationsweise finden wir typische Merkmale der Landespflege wie- der333. Zuerst wird der Stellenwert der Landschaft definiert und mit deren möglichen Untergang gedroht. Landschaft sei die Lebensgrundlage der Gesellschaft, selbst in der Industriegesellschaft, mit welcher der Landschaft überdies Aus- gleichsfunktionen zukämen. Nun drohe aber eine Zerstörung der Landschaft, mit der die Gesellschaft ihre Lebensgrundlage verlöre. Sodann wird herausgestellt, dass die Landschaft Ausdruck der Landnutzung sei. Wie sie durch Landnutzung geschichtlich entstanden sei, so könnte sie auch durch eine unangemessene Bewirtschaftung zerstört werden. Die Land- nutzung wird innerhalb sozioökonomischer Rahmenbedingungen verortet, die auf die Landbewirtschaftung einwirken. Die Landwirtschaft sei gegenwärtig von der Marktlage und von Subventionen abhängig und falle in die Zuständigkeit der Landespflege. Schließlich wird festgestellt, dass die Subventionen wiederum ein Steuerungs- instrument zur Landbewirtschaftung seien. Daher bestünde die Möglichkeit, mithilfe der Subventionsvergabe eine bestimmte Landschaftsgestaltung zu för- dern. Angesichts der ersten Behauptung, dass das Überleben der Menschen von der Landschaft abhinge, wird diese Möglichkeit als Pflicht ausgegeben. Die Errichtung einer nachhaltigen Landschaft wird somit zur zeitgemäßen Auf- gabe der Landespflege im Zeichen der nachhaltigen Entwicklung. Diese Gestaltung des Landes dient der Wahrnehmung, für die der Bedeu- tungsträger derart hergerichtet wird, dass im ästhetischen Anblick Landschaft erscheint. Die ‘schöne Landschaft’ ist die Nachhaltigkeit, die der Landwirtschaft und dem Erhalt der Biodiversität zugesprochen wird, so dass die Gestaltung nachhaltiger Landwirtschaft auf das sogenannte Landschaftsbild bezogen ist, das je nach Ausprägung geschützt oder entwickelt werden soll. An die Landschaftsgestaltung knüpft die Lenkung der Landbewirtschaftung konsequent an, indem sie mit dem Leitbild nachhaltiger Landwirtschaft die Lenkung der Landbewirtschaftung über fiskalische Instrumente und Subventio- nen verfolgt, um die Landwirtschaft auf die entsprechende Gestaltung des Landes zur nachhaltigen Landschaft hinzusteuern. Die Subventionspolitik wird 333 Siehe unter Oberkapitel: ‘Die Anatomie der Landespflege’. 200 über die Bilanzierung der Stoff- und Energietransfers operationalisiert, die in einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Input und Output stehen sollen. Sie dienen zusammen mit den Diversitätsquotienten, die die Arten- und Biotopviel- falt angeben, zur quantitativen Bestimmung der nachhaltigen Landwirtschaft und zur Bemessung der administrativen Finanzmittel. Diese stehen wiederum in Zusammenhang mit der Maxime einer Steigerung der volkswirtschaftlichen Effizienz, aus der die Forderung nach einer nachhaltig entwickelbaren Land- wirtschaft abgeleitet wird. Damit ist die nachhaltige Entwicklung in der Landespflege charakterisiert, die auf eine Fortsetzung der ursprünglichen Akkumulation unter dem ökonomi- schen Regime der flexiblen Akkumulation334 hinausläuft. Nachhaltige Umweltsicherung Ökologische Umweltsicherung Was hat die ökologische Umweltsicherung mit der nachhaltigen Entwicklung zu tun? In verschiedenen Aufsätzen zur nachhaltigen Entwicklung stellt der Landes- pfleger WOLFGANG HABER heraus, dass sie das eigentliche Anliegen der öko- logischen Umweltsicherung (ökologische Nachhaltigkeit) sei [z.B. HABER 1996], die in den 1970er und 1980er Jahren die Diskussion um das richtige Leitbild dominierte. Dieses ‘alte’ Leitbild wäre demnach der Kern des ‘neuen’ Leitbil- des, weil der Ökologie bei der Definition der ‘Nachhaltigkeit’ Priorität zugespro- chen wird. „Da der Brundtland-Bericht selbst keine eindeutige Definition des Konzeptes [sustainable development] enthält (SCHNEIDER 1993), wendet man sich vor allem an die für zuständig gehaltenen Ökologen mit der Aufforderung, ihn näher zu erläu- tern“ [HABER 1996: 9 – Einf. FL]. Auch das Wort ‘sustainable’ sei schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in der englischsprachigen Literatur über das Thema ‘Ökologie’ gebräuchlich, um Be- ziehungen zwischen Lebewesen und deren Umwelt zu beschreiben, die eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen [z.B. HABER 1996: 7]. „Solche ‘Stabilität’ natürlicher Ökosysteme, mit der meist auch die Vorstellung ei- nes ‘ökologischen Gleichgewichts’ verknüpft werden, beschäftigt die ökologische Theorie schon seit Jahren“ [HABER 1996: 9]. Was im weiteren unter ‘Nachhaltigkeit’ zu verstehen sei, wird von HABER ent- sprechend der Modellbildung festgelegt, die in der Ökosystemforschung vor- herrscht335: Nachhaltigkeit umfasse neben dem zeitlichen Aspekt der Dauer- haftigkeit den Aspekt der Ressourcenflüsse. Nachhaltig wäre das ‘Fließgleich- gewicht’ offener Systeme. „Denn alle Organismen benötigen zum Leben einen ständigen Ressourcenzufluß – und entsprechenden -abfluß; sie sind ‘Durchfluß’ – oder ‘Input-Output-Systeme“ [HABER 1996: 10]. Organismen seien lebende Systeme bzw. Teilsysteme, die eines Stoff- und Energietransfers mit ihrer Umwelt bedürfen, auf die ihre Funktionsfähigkeit 334 Die ‘flexible Akkumulation’ [HARVEY 1987] ist im Kapitel ‘Leitbildnerei als Zeitgeisterei’ erklärt. 335 Vgl. zur Wirklichkeitsauffassung ökologischer Modelle GAMM [1986: 53f]. 201 letztlich angewiesen ist. Im Austausch mit ihrer Umwelt entstünden und verän- derten sich die Systeme evolutionär durch ‘Mutation’ und ‘Selektion’. Dieser nicht von außen geplante emergente Prozess336 des Lebens beruhe auf der Selbstorganisation von Ökosystemen [z.B. HABER 1996: 10f]. Mit der gedankli- chen Wendung führt Haber die Nachhaltigkeit im ökologischen Modell auf die drei Strukturmomente ‘System’, ‘Evolution’ und ‘Selbstorganisation’ zurück337. Diese wissenschaftliche Modellierung entwirft zunächst eine ‘ökologische Na- tur’, die funktional strukturiert ist. Zugleich wird in einem zweiten Argumentati- onsschritt dieser ökologischen Natur ‘Nachhaltigkeit’ als funktionales Moment zugesprochen, das in ihr angelegt sei. Persistente ökologische Systeme wären an sich nachhaltig, resümiert Haber seinen Exkurs in die ökologische System- theorie. „Dies ist also, was die Natur uns Menschen lehrt hinsichtlich ihrer Entwicklung und Organisation, und das Konzept der Nachhaltigkeit ist tatsächlich darin enthalten“ [HABER 1996: 11]. Wenn HABER behauptet, dass die Natur lehre, was Nachhaltigkeit sei, fasst er diese als reale Natureigenschaft auf. War Nachhaltigkeit zuerst eine Naturbe- schreibung aus Sicht der Ökologie, ist sie nun zur ökologischen Natureigen- schaft geworden. Haber operiert mit zwei Naturbegriffen, deren erster, den er in der Modellbildung entwirft, deskriptiv ist, während der zweite, den er jener ökologischen Natur unterschiebt, normativ wirkt. Dies wird möglich, indem er zunächst ein abstrahierendes Modell benutzt, um einen rein funktionalen Wirk- zusammenhang zu konstruieren, dessen versachlichten Funktionen er aber dann Wesenhaftigkeit zuspricht. Die ökologische Natur ist demzufolge nach- haltig. In diese nachhaltige, ökologische Natur wird der Mensch, „ein Lebewe- sen besonderer Art, begabt mit erheblich gesteigerten geistigen (intellektuel- len) Fähigkeiten“, eingebunden, so dass Menschen in ihrem Verhalten und ih- ren Möglichkeiten dem ökologischen Wirkzusammenhang unterlägen [z.B. HABER 1996: 11]. Gemäß der systemtheoretischen Prämissen kann Haber nun alle anthropogenen Phänomene als eine ‘kulturelle Evolution’ [z.B. HABER 1996: 15] beschreiben, die sich analog der biologischen verhielte [z.B. HABER 1996: 11f]. „Dabei ist auch das natürliche Anpassungsprinzip durch Vielfalt wirksam geblie- ben, indem es eine dem Menschen eigene kulturelle Vielfalt, biologisch aber auch eine Aufteilung in Untergruppen (früher mit dem heute verpönten Wort ‘Rassen’ bezeichnet) bewirkte“ [HABER 1996: 11]. Nun könnte man meinen, dass alles in bester Ordnung sei und die ‘Natur’ ihren ‘gerechten’ Lauf nehme. Weit gefehlt. Denn rechtzeitig zur ‘Theodizee’338 der ökologischen Natur tritt der Sündenfall des natürlichen Menschen ein, der die Entfernung der kulturellen Evolution vom Prinzip der Nachhaltigkeit ins Werk 336 Unter dem Begriff emergenter Prozesse werden selbstorganisierte Bildungen komplexer geordneter Strukturen aus ungerichteten Impulsen bzw. die Entstehung höherer energetischer Zustände aus nied- riger energetischer Form (z.B. Wärme). Emergente Prozesse werden aus Sicht der Thermodynamik als Negentropie bezeichnet. 337 Vgl. MATURANA/VARELLA [1984]; LUHMANN [1986]. 338 Die Theodizee entstammt der Theologie, die angesichts des Leids und der Ungerechtigkeit in der Welt eine Rechtfertigung des ‘guten Gottes’ vor seiner unvollkommen erscheinenden Schöpfung an- strebt. Die Theodizee läuft darauf hinaus, dem Leid metaphysischen Sinn zu unterstellen und zu zei- gen, dass die Schöpfung vollkommen ist. 202 setze [z.B. HABER 1996: 13]. Das Konzept der Nachhaltigkeit, wie es HABER in globaler und erdgeschichtlicher Perspektive entworfen hat, ist nicht ohne wei- teres auf kürzere historische Epochen anwendbar, in denen Werthaltungen erkennbar werden. Mag das Werden und Vergehen von Arten und Ökosyste- men in der Evolution als ein in der Summe nachhaltiges Geschehen be- schreibbar sein, sobald das Überleben der Spezies Mensch zur Disposition steht, wechselt HABER die Perspektive auf die ‘Nachhaltigkeit’. Nunmehr wird Nachhaltigkeit als Bedingung zum Überleben der Menschheit betrachtet und normativ wirksam. Denn nur wenn es der Menschheit gelänge, sich der Nach- haltigkeit ihres Ökosystems anzupassen, wäre ihr Fortbestand möglich [z.B. HABER 1996: 11, 19]. Die Argumentation Habers gleicht der theologischen Theo- dizee, da sie die an sich gute Existenz der ökologischen Natur darüber recht- fertigt, dass der fehlbare Mensch das Böse in die an sich gute Natur brächte. Daher sei „Nachhaltigkeit im Grunde eine ‘sozialethische Verpflichtung’“ [HABER 1996: 12], die in dieser Argumentation nicht in die Natur projiziert, son- dern als wesentliches Prinzip aus dieser entnommen wird. Der Natur selber wohnten Normen inne, wie Menschen handeln sollten. „Wie verschiedene Verfasser anmerken (z.B. Dietz und Van der Straaten 1992; Renn 1994)339 ist nachhaltige Entwicklung ein normatives bzw. normativ-ethisches Prinzip, dessen Anziehungskraft offenbar sogar größer ist als das Prinzip sozialer Gerechtigkeit. Es verbindet wirtschaftliche Entwicklung und Erhaltung der ökolo- gisch bestimmten Tragfähigkeit und erweckt daher Hoffnung auf Befriedigung des Konfliktes zwischen ökonomischer Expansion und ökologischen Grenzen“ [HABER 1996: 13]. Die große Anziehungskraft des Leitbildes ‘nachhaltige Entwicklung’ dürfte in seinem sozial neutralen ‘Aussehen’ liegen340, hingegen ‘soziale Gerechtigkeit’ das Individuum moralisch positioniert. Das auf der evolutionären Ebene als ein biologisches definierte Verhältnis zwischen Menschheit und Natur wird von HABER auf gesellschaftlicher Ebene als Konflikt zwischen Ökonomie und Öko- logie formuliert, die dabei nicht als zwei unterschiedliche Beschreibungsweisen im Sinne der deskriptiven Wissenschaften, sondern als zwei substanzielle Wirklichkeiten erscheinen. Die Menschheit, die sich Jahrhunderttausende im nachhaltigen Einklang mit der Natur entwickelte, hätte sich über die Landnut- zung, Verstädterung und Industrialisierung über die Grenzen eines nachhalti- gen Fortbestehens hinaus begeben, womit sie ihre weitere Existenz gefährde. Dadurch dass HABER – gemäß der systemtheoretischen Modellbildung – die Produktivkraftentwicklung ohne Beschreibung der Produktionsverhältnisse dar- stellt, erhält sie den Anschein von Naturläufigkeit, aus dem resultiert, dass Herrschaftsverhältnisse ontologisiert werden. Wie die natürliche und kulturelle Evolution eine „kulturelle Vielfalt, biologisch aber auch eine Aufteilung in Un- tergruppen“ bewirke [HABER 1996: 11], so führe der „den Europäern eigentümli- che Entdeckungs- und Eroberungsdrang [...] sie mittels des Kolonialismus zur Eroberung, Beherrschung und teilweise sogar Besiedlung großer Teile anderer 339 Dietz/Van der Straaten 1992: Sustainable Development and the necessary Integration of Ecological Insights into Economic Theory; in Hrsg. Dietz/Simonis/Van der Straaten: Sustainability and Envi- ronnmental Policy; Berlin. Renn, O. 1994: Ein regionales Konzept qualitativen Wachstums; in: Zukunft der Erde. Nachhaltige Entwicklung als Überlebensprogramm; Bd.1: Sustainable Development - Was ist das? 340 Siehe zur Konsensfähigkeit dieses Leitbildes das Kapitel: ‘Globale Nachhaltigkeit’. 203 Kontinente, wo ihnen die daheim fehlenden oder erschöpften industriellen Rohstoffe zur Verfügung standen“ [HABER 1996: 16]. Der Zynismus, mit dem die Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen über die Formulierung ‘Beherr- schung anderer Kontinente’ versachlicht wird, ist eklatant; aber das „Ausbeu- tungssystem [...] ist freilich nicht Thema des Ökologen“, schließt HABER den aufkeimenden Skrupel aus und fragt stattdessen, ob „das technisch-industrielle System der ‘westlichen’ Industrieländer und ihrer Stadtkulturen ein nachhalti- ges System“ sei [HABER 1996: 17]. Zum Problem des Ökologen wird nicht die Expropriation von Produktions- und Lebensmitteln, sondern wie schon bei Pfarrer MALTHUS die angeblich natürliche Tendenz zur Überbevölkerung341, die die Produktivkraftentwicklung und Ausbeutung naturläufig vorantreibe [z.B. HABER 1996: 14]. „An zwei zwingenden Erfordernissen führt kein Weg vorbei. Das eine ist die Be- schränkung der menschlichen Bevölkerungszunahme, das andere, teilweise dar- an gekoppelt, die Einschränkung des Ressourcenverbrauchs [...]. Ihre Erfüllung wird entweder aus Einsicht und nach menschlichen Maßstäben erfolgen – oder sie wird unter unmenschlichen Leiden erzwungen; denn auch für das menschliche Gesellschaftssystem gelten, da es teilweise ein biologisches System ist, die Ge- setzmäßigkeiten der Selbstregulation“ [HABER 1996:19]. Die Warnung vor der unausweichlichen Katastrophe, die dem Menschenge- schlecht drohe, wenn es nicht in die Grenzen der ökologischen Natur zurück- kehre, ist typisch für die Landespflege342, die in HABERs Text bislang den Öko- logen den Vortritt ließ, aber letztlich selber auftritt, wenn es um die Landnut- zung geht, deren Gestaltung als dritte jenen „zwei zwingenden Erfordernissen“ beiseite gestellt wird. „Ein drittes, wohl nicht weniger wichtiges Erfordernis ist der Umgang mit dem Land als Lebensgrundlage, mit anderen Worten die Art der Landnutzung“ [HABER 1996: 19]. HABER betont, dass „Landschaftsplanung konsequent nach ihren Zielen ver- folgt und durchgesetzt [...] Landnutzungsplanung heißen“ müsste, und bemän- gelt, „daß Landschaftsplanung und die für diesen räumlichen Maßstab sozusa- gen zuständigen Bereiche der Ökologie, nämlich die Ökosystem-Ökologie und Landschaftsökologie, sich relativ isoliert voneinander entwickelt haben“ [HABER 1996: 22]. Dies ist in HABERs Sinne problematisch, weil die Nachhaltigkeit der ‘ökologischen Natur’ das Richtmaß für die nachhaltige Landnutzung sei. Denn die Landnutzung folgte vor ihrem ‘anthropogenen Sündenfall’ dem ‘Naturplan’, indem sie sich der ungleichen Verteilung der naturbürtigen Produktionsbasis anpasste [z.B. HABER 1996: 14f]. Indem der Landespflege das Wort gegeben wurde, kommt auch die Landschaft wieder ins Spiel [z.B. HABER 1996: 19f]. 341 THOMAS MALTHUS, englischer Priester und Vertreter einer restriktiven Sozialpolitik, behauptete, dass die Geburtenrate mit steigendem Wohlstand ansteige, weshalb eine ausreichende Lebensmittelver- sorgung der Arbeiter in der Konsequenz zur fortschreitenden Verelendung führe. Ökologische For- schungen zur Geburtenrate in Tierpopulationen schienen diese These zu stützen. Demographische Studien zur Bevölkerungsentwicklung zeigen hingegen, dass Gesellschaften umso geburtenreicher sind, je stärker die eingespielten Sozialgefüge zerstört und verelendeter sie sind und dass in wohlha- benden primitiven und entwickelten Gesellschaften die Geburtenrate konstant, teilweise in den reichen Gesellschaften Westeuropas sogar rückläufig ist. 342 Siehe dazu das Kapitel: ‘Deklaration des Handlungsnotstandes’. 204 „Die natürliche Verteilung bodengebundener Ressourcen und die Bindung an die biologische Erzeugung (‘nachwachsende Rohstoffe’) veranlaßten daher eine räumlich differenzierte, unregelmäßig mosaikartige Landnutzung und ein entspre- chendes Landschaftsbild“ [HABER 1996: 22]. Dadurch, dass die sozialen Bedingungen und die Interpretation der naturbürti- gen Basis aus der naturwissenschaftlichen Betrachtung ausgeklammert sind, erscheint die Nutzungsverteilung als natürliche Folge der Naturausstattung. Interessant ist dabei, dass die ‘natürliche Nutzungsverteilung’ dem Land- schaftsbild des Natur- und Heimatschutzes entspricht, das nunmehr ökologisch gewendet wird. Die kleinteilig differenzierte Landnutzung mit ihren Produkti- onsorten wird zum landschaftlichen Leitbild einer ökologischen Nachhaltigkeit, die symptomatisch in der Landschaft zum Ausdruck käme, die ohne einheitli- chen ‘Kulturplan’ erstellt würde. Das ideale Landschaftsbild der ökologischen Nachhaltigkeit gleicht frappierend dem der nachhaltigen Entwicklung343. „Denn nur selten sind Landschaften nach einem Plan geschaffen und gestaltet worden, sondern haben sich aus dem Zusammenspiel, und oft auch Gegensät- zen, der Nutzungen vieler individueller Landnutzer entwickelt; solche Entwicklun- gen haben manchmal zu harmonisch wirkenden, ökologisch ausgewogen erschei- nenden Kulturlandschaften geführt“ [HABER 1996: 21]. Diese ‘harmonisch wirkenden, ökologisch ausgewogen erscheinenden’ Land- schaften, die mit Anmutungsqualitäten belegt werden, seien zufällig entstan- den, weil den bäuerlichen Akteuren vergangener Jahrhunderte der Naturplan unbekannt blieb. Sie wären aber bewusst gestaltbar, so legt die Argumentation nahe, wenn die Landnutzung konsequent dem Naturplan folgte, dem die Land- schaftsökologie nachforscht. Damit die Landschaft nicht nur ökologisch er- scheine – sondern auch sei, bedürfe es der Landschaftsökologie, die die ei- gentliche Grundlage der harmonischen Landschaft erforsche und sie in den Ökosystemen entdecke. Mit den Experten für eine ökologisch nachhaltige Landnutzung kommen wieder die Landespfleger ins Spiel, die wissen, wie die Menschen leben sollten. „Land, in dem oder auf dem Aktivitäten von Lebewesen stattfinden und das davon verändert und gestaltet wird, wird zur Landschaft (Müller 1977; Haber 1995)344, und Landschaft ist aus Sicht der Ökologie bzw. der Ökosystem-Ökologie ein Ge- füge von Ökosystemen in einer jeweils typischen, naturräumlich bestimmten An- ordnung“ [HABER 1996: 19f]. Damit Landschaften ‘harmonisch’ und ‘ökologisch ausgewogen’ seien, bedürfe die Landschaft einer an der ökologischen Nachhaltigkeit orientierten Gestal- tung, die den impliziten Naturplan zum expliziten Kulturplan erhebe, den die ‘ökologische Landnutzungsplanung’ umsetzen solle [z.B. HABER 1996: 21]. Dazu diene das Konzept der ‘differenzierten Landnutzung’, das Haber schon seit den 1970er Jahren vertritt. 343 Das im Kapitel: ‘Gestaltung nachhaltiger Landschaften’ dargestellt wurde. 344 Müller, G. 1977: Zur Geschichte des Wortes Landschaft; in Hrsg. Hartlieb/Wallthor/Quirin: Land- schaft als interdisziplinäres Forschungsproblem; Münster. Haber, W. 1995: Concept, orgin, and mean- ing of ‘landscape’; in Hrsg. Droste/Plachter/Rössler: Cultural landscapes of universal value; Jena 205 „Ich habe dafür bereits 1972, damals mehr als Vision, die Konzeption einer diffe- renzierten Boden- bzw. Landnutzung skizziert“ [HABER 1996: 23]. HABERs differenzierte Landnutzung aus den 1970er Jahren entspricht der Landschaftsgestaltung über Fördermittel wie sie ehedem und aktuell von Lan- despflegern in der Agrarberatung gefordert wird. Wie Haber implizite heraus- stellt ist die nachhaltige Entwicklung ein alter Hut, den die Landespflege schon mit dem Leitbild der ökologischen Nachhaltigkeit getragen hat. Schauen wir uns also das Leitbild der ökologischen Nachhaltigkeit und den Diskurs, der um es geführt wurde, genauer an. Das Leitbild ‘nachhaltige Umweltsicherung’ und seine Geschichte möchte ich in drei Etappen darstellen. Zuerst stelle ich das neue Bild der Erde und das Paradigma der Ökologie vor, die in den 1960er Jahren für die Landespflege relevant wurden. Dann zeichne ich die Debatte um die Ökologie in der Lan- despflege akzentuiert nach. Und schließlich referiere ich einen gedanklichen Ansatz, der die ökonomische Formbestimmtheit der Fragestellung analysiert, die zur ökologischen Wirkanalyse führt. So wurde schon Anfang der 1970er Jahre mit der ‘typologischen Untersuchung zur rationellen Vorbereitung umfas- sender Landschaftsplanung’, dem TREND-Gutachten, die ökologische Wirkana- lyse zur Grundlage der ökologischen Planung bestimmt [STOLZENBURG 1984]. Die Analyse dieses Gutachtens und der auf es bezogenen Studien ergibt, dass Gegenstand und Verfahren in ihrer Form durch ökonomische Prämissen be- stimmt werden, die tauschwertorientiert sind [STOLZENBURG 1984: 18]. Charak- teristisch für die ökologischen Wirkanalysen ist „das Kunststück der ökologi- schen Planungstheorie, angesichts eines de facto ökonomisch formbestimm- ten Gegenstandsbereiches von ebendiesem Sachverhalt mit notorischer Pe- netranz abzusehen“ [STOLZENBURG 1984: 25]. So ist die Rede von der ökologi- schen Krise kein Symptom für eine Krise der Natur, sondern einer Krise im Wirtschaftssystem [STOLZENBURG 1984: 22; vgl. COMMONER 1977]. Aus der Men- ge möglicher Gegenstände, die in die ökologische Wirkanalyse eingehen, wer- den gerade jene thematisiert, die als Ressourcen – unter dem Aspekt auf ihre ökonomische Verwertbarkeit erkannt – durch die industrielle Produktionsweise beeinträchtigt werden. Vom blauen Planeten zu den Grenzen des Wachstums Der Satellitenblick Die Weltraumfahrt ermöglichte einen bislang unbekannten Blick auf die Erde. Ähnlich wie GÜNTHER ANDERS zur Zeit der ersten Weltraumflüge345 [1970:59f] beschreibt im Rückblick PETER SLOTERDIJK die Umkehrung der mundanen Perspektive durch die Weltraumfahrt, die in den 1960er Jahren ein neues Welt-Bild zeigte. „Seit den frühen sechziger Jahren ist somit eine umgekehrte Astronomie entstan- den, die nicht mehr den Blick vom Erdboden zum Himmel richtet, sondern einen Blick vom Weltraum aus auf die Erde wirft“ [SLOTERDIJK 1990: 57]. Der ‘Satellitenblick’ revolutionierte die gewohnte Anschauung des Universums, indem der eigene Standort, der bisher hinzugedacht werden musste, durch die extraterristische Beobachtung anschaulich geworden schien. Die neue Per- spektive, die die „Satellitenaugen, die das uralte Phantasma des göttlichen 345 Erster Satellit im Orbit 1957, erster bemannter Raumflug 1961, erste bemannte Mondlandung 1969. 206 Herabschauens von sehr weit oben technisch realisieren“, eröffnen, würde als- dann von den realen mundanen Rezipienten abstrahieren [SLOTERDIJK 1990]. Die konkreten Menschen, die diese Bilder betrachten, erscheinen in den Bil- dern als Teil des planetarischen Ganzen. Vor allem mit der Mondlandung 1969 und dem von der UNESCO ausgerufenen ‘Jahr der Umwelt’ 1970 erhielt der Blick auf die Erde eine neue ‘Dringlichkeit’. An diesen Gedanken knüpft WOLFGANG SACHS an, wenn er das Bild des ‘blau- en Planeten’ als zweideutige Ikone rekonstruiert, die der ‘ökologischen Bewe- gung’ als sinnliche Leitvorstellung dient, die den Paradigmenwechsel in der Auffassung der (tragenden) Erde hin zu einen vernetzten Ökosystem voran- treibt. Als ganzheitliches Ökosystem ereignete sich „die Entdeckung der Erde [...] auf der Fahrt zum Mond“ [SACHS 1992: 168]. „Blau schimmernd schwebte sie wie ein kreisrunder Juwel im pechschwarzen Weltraum. [...] Inmitten der trostlosen Weite des Universums enthüllte sich die alte Erde als der bewohnbare, als der ganz besondere, als der heimatliche Stern. Die- ses Bild von der Erde im All hat sich in der zeitgenössischen Bilderwelt einen Spit- zenplatz erobert; es ziert die Umschlagdeckel gewichtiger Umweltreporte ebenso wie T-Shirts aller Größen, es verleiht Fernsehnachrichten die globale Weihe und springt einen aus Werbespots heraus an“ [SACHS 1992: 168]. Die Überzeugungskraft dieser „Ikone unseres Zeitalters“ liegt im fotographi- schen Realismus, dass einem Foto die Kraft zugesprochen wird, die Realität abzubilden. In diesem Sinne zeige die fotographische Anschaulichkeit entge- gen kognitiven Weltmodellen die Wirklichkeit der Erde selbst, von deren „au- genfälligen Realität [...] ein jeder sich durch einen Blick auf ein Stück Papier überzeugen“ könne [SACHS 1992: 169]. Diese merkwürdige Qualität der Foto- graphie, dass sie die Realität verbürge, entstünde, weil „eine Fotografie nie weniger als die Aufzeichnung einer Emanation (Lichtwellen, die von Gegens- tänden reflektiert werden) – eine materielle Spur ihres Gegenstandes“ sei [SONTAG 1978: 142]. Die Überzeugungskraft des fotographischen Realismus gründet letztlich darin, dass zwischen der Materialität der Photographie und der Bedeutung des Fotos nicht unterschieden wird346. Zugleich besitze das Fo- to vermittels seiner prinzipiellen Reproduzierbarkeit eine enorme Wirkungs- sphäre [BEMJAMIN 1936a], in der es die „Basis für viele zeitgenössische Varian- ten globalen Bewußtseins“ schaffe [SACHS 1992: 170]. Die fotographische Abbil- dung ist also nicht durch das ausgezeichnet, was es zeigt, sondern wie es et- was zeigt347. Mit der Weltraumphotographie setzt ein Wechsel in der Wahrnehmung ein, der den perspektivischen348 und panoramatischen Raum349 in den ‘synoptischen Raum’ überführt. Der synoptische Blick aus dem Orbit überschreitet die etab- lierten irdischen Sehgewohnheiten der Perspektive und des Panoramas. Ohne 346 Darin gleicht es der Anschauungsform Landschaft, die als das bearbeitete Land oder Natur aufge- fasst wird. Siehe dazu das Kapitel: ‘Ontologisierung der Landschaft’. 347 Siehe dazu das Kapitel: ‘Mythos und Ideologie’. 348 Der perspektivische Raum der Malerei, in dem alle Gegenstände auf einen Fluchtpunkt zulaufen, ist eine formale Voraussetzung, die das Landschaftsgemälde ermöglicht hat; siehe Kapitel: ‘Landschaftsmalerei’. 349 Der panoramatische Raum entsteht durch die Bewegung des Rezipienten im Raum, wodurch ihm unterschiedliche Perspektiven auf die Gegenstände eröffnet werden, die er mit ästhetisch eingestell- tem Auge wahrnimmt; siehe Kapitel: ‘Der landschaftliche Blick’. 207 Horizont sind erstens Bedingungen der perspektivischen Sichtweise wie „die Tiefe des Raums“ und damit „die Unterscheidung von ‘davor’ und ‘dahinter’ in der makroskopischen Gesamtschau aufgehoben“ [SACHS 1992: 173]. Und zwei- tens ist der bestimmte Standpunkt mit seinem spezifischen Horizont, in dem er gefangen ist, im Satellitenblick aufgehoben und zu einem „umgekehrten Pa- nopticum“ transformiert, „wo von der Peripherie her das Zentrum unter dauern- der Überwachung gehalten werden kann“ [SACHS 1992: 175]. Als drittes Moment kommt zu der Konstitution des ‘neuen Weltbildes’ hinzu, dass das Satelliten- bild das ‘sichtbare Ganze’ simultan darstellt, womit diese Anschauung „eine systemische Wahrnehmung, in der die Aufmerksamkeit den simultanen Inter- aktionen in einem Netz von weiträumigen Beziehungen gilt,“ Evidenz verleiht350 [SACHS 1992: 174]. Der synoptische Raum kehrt den Blick vom stehenden oder beweglichen Zent- rum weg an die Peripherie. Der göttliche Blick, der vom Standort des Indivi- duums abstrahiert, entwirft eine Gesamtschau, in der „von der Peripherie her das Zentrum unter dauernder Überwachung gehalten werden kann“ [SACHS 1992: 175]. Wird die Erde in mundaner Wahrnehmung über soziale Verbände vermittelt erfahren, so entdeckt die extraterrestische Perspektive sie als funkti- onale Totalität, die die zwei Momente der ‘Zusammenschau’ und ‘Allessicht’ enthält, indem sie vereinigt und analysiert [SACHS 1992: 173]. In diesem techni- schen Über-Blick erscheint der Planet als anschauliches Ganzes, das über Messsonden in thematische Karten zerlegt und unter bestimmten Aspekten (Klima, Vegetation, Bodenschätze etc.) wieder zusammengefügt wird. Die ‘Ast- roökologen’ komponieren – gleich Landschaftsmalern351 – aus den Messer- gebnissen ein anschauliches Bild der Erde. Diesen „zu Bildern synthetisierten Messungen“ kommt ein besonderer ‘iko- nographischer Status’ zu, weil sie im Grunde den nicht anschaulichen, kogniti- ven Modellen entsprechen [PÖRKSEN 1997: 45f], aber über die Metapher des blauen Planeten vermittelt wie Weltraumphotos wahrgenommen werden kön- nen [SACHS 1992: 176]. Im eigentlichen Sinne Collagen werden sie wie Emana- tionen ihrer Gegenstände wahrgenommen, d.h. dass ihnen derselbe anschau- liche Realitätsstatus zugesprochen wird wie einer Fotographie. Die Überzeu- gungskraft eines Fotos, dass es Emanation einer Wirklichkeit sei, ist von des- sen realer Entstehungsweise relativ unabhängig. Diese aus abstrakten Daten errechneten und visualisierten Phantombilder sind somit ähnlich wirkmächtig wie die Ikone vom blauen Planeten. „Millionenfach reproduziert auf Photos und Bildschirmen, wandern diese Phan- tombilder der Erde in jedermanns Bewußtsein“ [SACHS 1992: 175]. In der Ikone vom blauen Planeten tritt sowohl der lichtlose Weltraum als auch der Planetenkern hinter der Oberfläche zurück, die „einer Oase gleich in der 350 Die synoptische Gesamtschau gibt einen weiten Überblick, der durch die Distanz hergestellt wird und darin dem distanzierten, landschaftlichen Blick entspricht. Siehe dazu Kapitel: ‘Der landschaftliche Blick’ und zum Zustandekommen und zur Überzeugungskraft der ‘Evidenz’ (der Landschaft): ‘Ontologisierung der Landschaft’. 351 Darin verhalten sie sich ähnlich wie ALEXANDER VON HUMBOLDT, der vor dem Problem stehend, wie er die weltweiten Daten, die er auf seinen Reisen gesammelt und von Kollegen mitgeteilt bekam, zu einem anschaulichen Gesamteindruck zusammenfügen könne, die Metapher der Landschaft nutzte [METRAUX 1986: 230]. Seinem ‘Kosmos’ stellte er einen Bildatlas zur Seite, der ‘phantastische’ Land- schaften enthält. 208 Wüste des Alls“ erscheint [SACHS 1992: 171]. Das Bild, das der distanzierte Blick aus dem Weltraum auf die Erde gewährt, gleicht strukturell dem Bild, das der Blick durch das Mikroskop entdeckt. Der blaue Planet erscheint als Mikroorga- nismus in lebensfeindlicher Umwelt. „Daher drängt sich mit dem Blick aus dem All die Erde als Biosphäre ins Bewußt- sein; sie enthüllt sich im wörtlichen Sinn als – Lebens-Kugel“ [SACHS 1992: 171]. Diese Lebenskugel ist von ihrer Sichtbarkeit her „im wesentlichen ein physi- sches Objekt, mit Ozeanen, Landmassen und Wolkenwirbeln“, während das, was „die Lebensrealität von Menschen ausmacht, [...] sich in diesem Bild“ ver- flüchtigt [SACHS 1992: 172]. Indem das Foto die Zeit ‘fixiert’ und einen Aspekt der Welt ausschneidet, trennt es das Dargestellte von der Geschichte352. Die Biosphäre, das eigentliche Sujet des Bildes vom blauen Planeten, wird zum herausragenden Motiv (und Objekt) der ‘sentimentalen’ wie der ‘techno- kratischen’ Ökologie, die häufig einander zuarbeiten, indem erstere für das Sinnversprechen und letztere für die Operationalisierung zuständig ist. LUDWIG TREPL erklärt, dass die Ökologie als eine naturwissenschaftliche ‘Hardscience’ und eine weltanschauliche ‘Leitwissenschaft’ vorliegt, aus der Disziplinge- schichte [TREPL 1987: 17f]. In der sentimentalen Ökologie wird der blaue Planet zum Devotionalienmotiv und die Erde zum „Gegenstand postmoderner Volks- frömmigkeit“ [SACHS 1992: 181]. „Eine solche Evidenz kreisrunder Endlichkeit gibt der Botschaft der Umweltschüt- zer, daß die Natur nicht unbegrenzt vernutzbar sei, photographische Glaubwür- digkeit“ [SACHS 1992: 181f]. Angesichts dieser globalen Endlichkeit des Lebensortes treten die sozialen Endlichkeiten hinter der Ikone zurück, die „eine Vorstellung von globaler Inter- dependenz“ schafft [SACHS 1992: 182]. „Der Mensch erscheint in erster Linie als Naturwesen, dessen Schicksal und des- sen Herausforderung es ist, im planetarischen Lebensgewebe verflochten zu sein. Von daher wächst dem Ruf der Umweltfreunde nach ökologischer Verantwortung so etwas wie eine ontologische Rechtfertigung zu“ [SACHS 1992: 182]. In der Vereinigung von Religion und Wissenschaft aus einer „holistischen Per- spektive“, steigt „die Biosphäre [...] zu einem Objekt der Verehrung auf“ [SACHS 1992: 183; vgl. GAMM 1985: 59]. Die sentimentale Ökologie bringt damit den ü- bermenschlichen Zweck zum Ausdruck, dem die technokratische Ökologie die Mittel bereitzustellen verspricht. Leitende Vorstellung in der technokratischen Ökologie „ist die Rationalisierung des Natureingriffs“, um „die Herrschaft des Menschen über die Natur nach einer Epoche der Blindheit in eine Epoche der Aufklärung überzuführen“ [SACHS 1992: 187]. Seit der Mondlandung werden die Mittel zur Beobachtung der Erde aus dem Weltraum ausgebaut, ein umfas- sendes Satellitenüberwachungssystem projektiert [SACHS 1992: 175]. Der sy- noptische Satellitenblick soll es ermöglichen, die langfristigen und weltumfas- senden Entwicklungen im globalen Ökosystem zu analysieren, um in Modellen 352 "So erscheint die Erde überdeutlich als physische Einheit, und zwar als eine physische Einheit, die unmittelbar eine soziale Einheit unterstellt, weil die konflikthafte Realität der Menschen gegenüber der grandiosen Tatsächlichkeit der Erde ganz verblaßt. [...] die stärkste Botschaft des Bildes ist daher eine naturalistische Reformulierung der Menschheits-Idee: was die Einheit der Menschen stiftet, ist ihr ge- meinsames Schicksal, auf diesem Erdkörper im All zu schweben" [SACHS 1992: 172]. 209 deren Weiterentwicklung unter verschiedenen Umweltbedingungen zu simulie- ren [SACHS 1992: 185f]. „Ähnlich wie ein Patient auf der Intensivstation, das ist die verborgene Absicht dieser Programme, soll der Patient Erde unter Dauerbeobachtung gestellt werden, um rasch Therapien zum Einsatz zu bringen, bevor er noch kollabiert“ [SACHS 1992: 186]. Der ‘Patient Erde’ ist kein externes Objekt, wie die Bilder suggerieren, die wie- derum zu ‘Großplanungsphantasien’ animieren. Die Satellitenbilder laden zu dieser Illusion ein, weil sie das versinnlichte Objekt verkleinern und durch sie von den Interessen der Mitwelt abstrahiert werden kann. Die Wissenschaftler, die sich innerhalb der gesellschaftlichen Interessen und Konflikte bewegen, können über diese in der Forschung teilweise hinwegsehen, um frei von Skru- peln zu forschen [vgl. ULLRICH 1979: 223-248]. „Der heimliche Traum eines Planers, in seinen Interventionsvorschlägen nicht von den widersprüchlichen und widerborstigen Vorstellungen der Betroffenen Men- schen gestört zu werden, geht am Objekt des Planeten in Erfüllung“ [SACHS 1992: 187f]. Die Ausschaltung der Menschen und ihrer spezifischen politischen Interessen aus der Umwelt-Debatte zeigen auch „die zunehmend biologisierende Rede- weisen“, die einer Wahrnehmung entsprechen, „die man biosphärischen Utili- tarismus nennen könnte“ [SACHS 1992: 188]. Die Ikone vom blauen Planeten treibt in der sentimentalen wie in der techno- kratischen Ökologie die Verdinglichung sozialer Gebilde voran. Umwelt wird nun mehr zu einer physikalischen Grenze, nach der sich der wirtschaftende Mensch richten müsse. Raumschiff Erde Das Bild vom blauen Planeten visualisiert die Erde als anschaulichen ‘Gegen- stand’ und stellt sie als Objekt dar [SACHS 1992: 170], das als physikalische Ein- heit im Sinne eines vernetzten Systems aufgefasst wird [SACHS 1992: 174]. Die- ses System bildet die Biosphäre. Der blaue Planet im finsteren Weltall würde analog zum begrenzen Lebensraum des Raumschiffs in lebensfeindlicher Umwelt wahrgenommen, behauptet HANS-PETER PADRUTT. „Die Kompliziertheit der Maschinen, die man gebaut hatte, um den Astronauten das zu geben, was auf der Erde so selbstverständlich schien – Luft, Wasser, Nah- rung und Unterkunft –, und die Sparsamkeit, die im Raumschiff notwendig wurde (man denke an das Recycling des Urins), schärften jedoch den Blick der Men- schen für die Bedingungen des Lebens auf der Erde. [...] Die Mondfahrer hatten die Erde als kleine farbige Kugel im All vor sich gesehen. Das war ihre ‘Welt- Anschauung’. Und im Hinblick auf die beschränkten Vorräte dieser Kugel sprach man nun vom Raumschiff Erde, von einer Weltmaschine gewissermaßen. Damit lag es auch nahe, diese Maschine in einem verkleinerten Modell abzubilden, um ihre Funktionen darzustellen: in einem sogenannten Weltmodell“ [PADRUTT 1984: 12f]. Nicht allein das Bild des blauen Planeten, vielmehr erst zusammen mit der Konstruktion des technischen Milieus der Raumkapsel, das das Überleben der Astronauten gewährleistete, hätte den ‘Astronautenblick’ auf das ‘Raumschiff Erde’ ermöglicht. Seither können sich die Menschen als Astronauten verste- hen, die auf dem Raumschiff Erde ‘durch die unendlichen Weiten des Welt- 210 raums reisen’353. Wie im eingeschränkten Raum der Maschine, in der die Men- schen ins Weltall vordringen, erscheint das Leben auf der Erde an ihre räumli- chen und funktionalen Grenzen gebunden. „Wenn die Erde als Raumschiff, unsere Welt als computerartiges, vernetztes Sys- tem und lebendige Organismen ebenfalls als computerartige Maschinensysteme betrachtet werden können, dann liegt es nicht allzufern, die Erde selbst als Orga- nismus zu bezeichnen“ [PADRUTT 1984: 29]. Die Metapher vom ‘Raumschiff Erde’ ist offensichtlich seit Mitte des 20. Jahr- hunderts in den USA geprägt worden354. Im Aufsatz ‘Economics of the Coming Spaceship Earth’ stellt BOULDING das neu entstandene Image, das sich Men- schen von sich und ihrer Umwelt machen, als ‘Raumschiff Erde’ vor. Er be- hauptet, dass die Menschheitsgeschichte bislang drei Vorstellungen zur Um- welt entwickelte: frühe Kulturen hätten ihre Umwelt als ‘illimitable plane’ und ‘frountier’ verbildlicht, erst seit der Renaissance begänne sich das Image der ‘cloust sphere’ auszubreiten, das derzeit vorherrsche [z.B. BOULDING 1966: 275]. Wissenschaftlich angemessen ließe sich das Bild des begrenzten Raums über die Systemtheorie beschreiben. Die Erde ist ein offenes System355, das da- durch gekennzeichnet ist, dass es mit seiner (intergalaktischen) Umwelt inter- agiert, was aus der Systemperspektive beschrieben als Input und Output er- scheint, deren drei wichtigste Arten Materie, Energie und Information seien [z.B. BOULDING 1966: 277]. „All living organisms, including man himself, are open systems. [...] All human so- cieties have likewise been open systems“ [BOULDING 1966: 276]. In dem offenen System der Gesellschaft gehen Materie, Energie und Informa- tion wie in alle sozialen Teilsysteme so auch in das Teilsystem Ökonomie ein, die auf externe Ressourcen angewiesen sei, die letztlich alle der Sonne ent- sprungen seien. Die Information bilde zwar eine eigene ‘Noosphäre’356, unter- stünde durch Lernen und Vergessen allerdings ebenso einem Input und Output [z.B. BOULDING 1966: 278]. Alle Systeme seien strukturiert, enthalten eine Ord- nung, die in offenen Systemen aufrecht erhalten werden müsse, da Materie, Energie und Information der Entropie, dem „erbarmungslosen zweiten Gesetz der Thermodynamik“ unterliegen [z.B. BOULDING 1966: 279]. Daher findet die Homöostase des Wirtschaftssystem letztlich eine nicht überschreitbare Schranke, die sie berücksichtigen muss. Legen die Images der ‘endlosen Wei- te’ und ‘überschreitbaren Grenze’ das Konzept einer ‘offenen Ökonomie’ nahe, 353 Intro zur Fernsehserie ‘Raumschiff Enterprise’ aus den 1960er Jahren. Spielte in der alten Meta- pher vom Boot, in dem alle säßen, wenn sie auch ungleiche Aufgaben und Vorrechte (Kapitän, Passa- gier und Ruderleute) beinhaltete, zumindest die Möglichkeit der Meuterei und des Aussteigens an Land eine Rolle, so erscheinen die Astronauten in der Raum-Schiff gänzlich einander ausgeliefert zu sein. Eine Meuterei ersetzte zwar die Personen, änderte aber nichts an dem Umweltmodell. (Diesen Hinweis verdanke ich BERND SAUERWEIN.) 354 Erstmalig vom US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten ADLAI STEVENSON im Jahre 1956 in Umlauf gebracht griff sie 1963 der Ökologe EUGEN ODUM wieder auf, bis sie 1966 von KENNETH BOULDING ausführlich auf die Ökonomie übertragen und wesentlich geprägt wurde. BOULDING ist auch insofern interessant, als er in der Debatte um die Leitbildnerei (1961) zum Gewährsmann für DITTRICH wird. Als Vertreter des Konzepts der ‘Wirtschaftsstile’ geht er davon aus, dass die in einem bestimm- ten Zeitabschnitt dominierende Wirtschaftsform durch hegemoniale Vorstellungen bestimmt werden, die Menschen über sich und die Welt haben. 355 Geschlossene Systeme existierten ohne Verbindung zu ihrer Umwelt. 356 Als Noosphäre bezeichnet TEILHARD DE GARDIN die geistig-kulturelle Welt [PAPE 1971: 950f; SACHS 1992: 177]. 211 so folge aus dem Image des ‘endlichen Raums’ das Konzept einer ‘geschlos- senen Ökonomie’. „For the sake of picturesqueness, I am tempted to call the open economiy the ‘cowboy economy’ [...] The closed economy of the future might similarly be called the ‘spaceman’ economy, in which the earth has become a single spaceship“ [BOULDING 1966: 281]. Aus diesem Bild, dass die Menschheit als Besatzung im engen Raumschiff Er- de sitze, das durch den Weltraum schwebe, entwickelt BOULDING die Vorstel- lung, dass die Menschheit ihren Platz in einem zyklischen ökologischen Sys- tem finden müsse, das die Reproduktion ihrer materiellen Bedingungen fort- setzt (obgleich es auf Energiezufuhr angewiesen ist) [z.B. BOULDING 1966: 281]. Das Manko der bisherigen ökonomischen Theorie bestehe darin, dass sie die Wirtschaftskraft allein nach dem Wertumsatz (Brutto-Sozialprodukt) begreife, ohne deren spezifische Folgen zu beachten, die die Dauerhaftigkeit des Sys- tems positiv oder negativ beeinflussen. In der Verknüpfung von ökologischer und ökonomischer Theorie unter dem Aspekt der Systemtheorie konzipiert Boulding ein bestimmtes Bild der ‘Nachhaltigkeit’. Daher fordert BOULDING eine Verantwortung für die bzw. ‘vor den’ nachkommenden Generationen, die über eine gesellschaftliche Identität verbürgt werde, die sich nicht nur über den Raum, sondern gleichfalls über die Zeit erstrecken solle357 [z.B. BOULDING 1966: 283]. Auf diese bildhafte Verknüpfung zwischen Ökologie und Ökonomie rea- gieren in den 1970er Jahren Forschungen zur ‘Weltentwicklung’. Die Grenzen des Wachstums Die ‘Grenzen des Wachstums’ von 1973 und ‘Global 2000’ aus dem Jahre 1981, publikumswirksame Veröffentlichungen zur ‘Lage der Umwelt’, belegen die Ausrichtung der vorherrschende Diskussion um die Nachhaltigkeit in den 1970er bis 1980er Jahren. Sie gehen davon aus, dass die Tendenzen in der Entwicklung der Umweltmedien – wie sie in den letzten Jahren vor der Veröf- fentlichung ausgemacht wurden – in die Zukunft fortgeschrieben werden könn- ten, und dass keine Änderungen in den politischen Rahmenbedingungen auf- träten [LOTTMANN 1983a: 131]. Im Rückblick auf die damals entworfene Zukunft, kann man feststellen, dass die Prognosen beider Studien so nicht eingetreten sind – beispielsweise zur Energieversorgung. Doch zu ihrer Zeit haben sie ein Problembewusstsein verbreitet, das Umwelt als globalen und dependenten Wirkzusammenhang begreift, in dem alles mit allem zusammenhängt. Mit Kurven-Diagrammen, wie sie zur Illustration von Berechnungen des Grenznutzens eingesetzt werden, stellen die Autoren von ‘Grenzen des Wachstums’ die Entwicklungen der sogenannten ‘Umweltfaktoren’ dar (Res- sourcen, Bevölkerung usw.)358 [z.B. MEADOWS et al. 1972]. Einerseits erwecken die Diagramme den Eindruck, dass die abgebildeten Kurven zueinander in eindeutiger Abhängigkeit stünden, andererseits ist diese an ihnen nicht zu prü- fen. Vielmehr ermöglichen sowohl die Modellierung des ‘Weltmodells’ als auch 357 Diese vierdimensionale Perspektive weitet den räumlichen Herrschaftsanspruch auf die Zeit aus. Daher wundert es wenig, dass BOULDING in der Debatte um die nachhaltige Entwicklung wieder rezi- piert wird. 358 Besonders ‘eindrucksvoll’ sind die Diagramme Abb. 41 und 42 [MEADOWS et al. 1972: 126f], in denen fast alle Umweltfaktoren zusammengefasst werden. Die Diagramme erscheinen aussagestark, ohne das die Aussage präzise dargestellt würde, geschweige denn prüfbar wäre. Siehe dazu das Kapitel: ‘Visiotypie’. 212 die abstrakte Problemdefinition die suggestive Wirkung der Graphiken im ‘Be- richt des Club of Rome zur Lage der Menschheit’. Modelle seien, so die MEADOWS ET AL. zunächst noch relativ harmlos, eine alltägliche Strategie, Probleme zu lösen [z.B. MEADOWS et al. 1972: 14]. „Ein Modell ist nichts weiter als eine möglichst systematische Reihe möglichst vie- ler Annahmen über ein wirkendes System, das Ergebnis des Versuchs, durch Wahrnehmung und mit Hilfe vorhandener Erfahrung eine von vielen Beobachtun- gen auszuwählen, die auf das betreffende Problem anwendbar sind, und so einen Ausschnitt aus der sinnverwirrend komplizierten Wirklichkeit zu verstehen“ [MEADOWS ET AL. 1972: 14]. Im Unterschied zu den alltagsweltlichen Denkmodellen sei das Weltmodell des ‘Massachusetts Institute of Technology’ (MIT) wissenschaftlich validiert. Es wä- re „in präziser Form niedergeschrieben“ und könne von jedermann nachgeprüft und kritisiert werden, weil es „formaler und mathematischer Art ist“ und die Va- rianten würden „exakt mit Hilfe eines Computers verfolgt und ihre Bedeutung für das Gesamtverhalten des Weltsystems jeweils genau erfaßt“ [MEADOWS et al. 1972: 15f]. Das MIT erhebt also den Anspruch, ein verbindliches Modell zur Prognose zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten erstellt zu haben, weil es die Daten präzise und rechnergestützt aufbereite [z.B. MEADOWS et al. 1972: 76, 80, 108]. Damit wird ein formales Kriterium eingeführt, um den Anspruch inhaltli- cher Triftigkeit der Aussagen, zu stützen. Zur Vereinfachung der Berechenbarkeit wird die erforschte Wirklichkeit in der Studie in Block-Pfeil-Diagrammen dargestellt, die derart abstrakt gefasst sind, dass sie einerseits universell einsetzbar, andererseits fast gar keinen Informa- tionsgehalt haben [z.B. MEADOWS ET AL. 1972: 80, 92]. Diese Diagramme sollen Regelkreise abbilden, die in der Welt wirksam seien [z.B. MEADOWS ET AL. 1972: 82]. Mit der vereinfachten Darstellung wird bezweckt, „das gesamte System- syndrom“ abzubilden. Der Widerspruch zwischen dem formalen Entwurf eines ‘extrem komplexen Weltsystems’ einerseits und andererseits der simplen Mo- dellierung dieses Systems in der Studie ist eklatant [z.B. MEADOWS et al. 1972: 79]. Dieser nicht aufgelöste Widerspruch hat zur Folge, dass aus Sicht der Mo- dellbildner sowohl die Kritik an der Methode damit entkräftet werden könnte, dass die Welt zu komplex sei, um sie nicht reduktionistisch beschreiben zu können; als auch die Kritik am zugrunde liegenden Weltbild mit dem Verweis auf die Universalität der Darstellung, die daher mit beliebigen Inhalten gefüllt werden könnte, widerlegt wäre. Die Prognosen werden in Grenznutzen- Diagrammen mit verschiedenen Kurven dargestellt. Diese Kurven bilden ganz unterschiedliche Gegenstände ab, die auf separaten Skalen quantifiziert wur- den, und vereinigen sie auf unzulässige Weise. Zum Vergleich der unter- schiedlichen Größen wird die Bezugsgröße ‘pro Kopf’ eingeführt, wobei die Maßeinheit im Diagramm unbenannt bleibt [z.B. MAEDOWS et al. 1972: 110f]. „Jede dieser variablen Größen ist entsprechend einer eigenen vertikalen Skala aufgetragen. Diese Skalen haben wir weggelassen. [...] Die Maßstäbe dieser Dia- gramme sind gleich. Die jeweiligen Werte können unmittelbar miteinander vergli- chen werden“ [MAEDOWS et al. 1972: 111]. Dabei werden aber die industrielle Produktion in Dollar pro Kopf und die Nah- rungsmittel in Kilogramm pro Kopf angegeben, also unterschiedliche Maßstäbe 213 benutzt359 [z.B. MAEDOWS et al. 1972: 110]. Das hat zur Folge, dass unterschiedli- che Koordinatensysteme in einer Abbildung übereinander gelegt werden, so dass die scheinbar evidenten Schnittpunkte auf keinen gemeinsamen Koordi- naten, sondern auf einer ‘graphischen Täuschung’ beruhen, in der die ‘Schnitt- punkte’ der Kurven von der Skalierung der unterschiedlichen Ordinaten ab- hängen. Die ‘Evidenz des Bildes’ verdrängt kritische Gedanken, weil es ‘offen- sichtlich’ für sich spräche und gilt als ‘Beweis’. Das evidente Diagramm fungiert als Leitbild für die globale Entwicklung. Die doppelte Abstraktion, dass die Welt zu komplex sei, um sie konkret abzu- bilden, und dass die Darstellung bewußt informationsarm sei, um sie universell einsetzen zu können, bedingt, dass das Weltmodell gegen Kritik extrem resis- tent ausfällt. Dennoch kommen die Autoren nicht umhin, sobald sie Beispiele geben, die Inhalte zu bestimmen, wobei sich die oben erklärte abstrakte Defini- tion von Problemen ergibt. Dem Modell „liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Struktur eines Systems [...] für das Verhalten des Gesamtsystems oft von glei- cher Bedeutung ist wie die einzelnen Faktoren, aus denen es sich zusammen- setzt“ [MEADOWS ET AL. 1972: 23]. An diesen Stellen kann im Text die for- schungsleitende Absicht entdeckt werden, dass die Studie die Verfügbarkeit der Ressourcen und die daraus resultierenden Produktionskosten ermitteln soll [z.B. MEADOWS et al. 1972: 36, 45, 55, 73, 111, 170]. „Jede Einheit industrieller Produktion benötigt eine bestimmte Menge nicht rege- nerierbarer Rohstoffe. Mit der langsamen Erschöpfung der Rohstoffvorräte wird immer mehr Kapital erforderlich, um gleiche Mengen von Rohstoffen zu gewinnen. Damit sinkt die Wirksamkeit des Kapitals“ [MEADOWS et al. 1972: 85]. Damit ist die Intention und das Grundproblem der ‘Grenzen des Wachstums’ benannt: mit der Kaufkraft des Kapitals sinkt zugleich der Profit. Neuer Profit winkt den Kapitaleignern aber auf den Märkten der ‘Entwicklungsländer’. „Die Bewältigung der beiden wichtigsten Probleme, Entwicklung der unterentwi- ckelten Völker und Umwelterhaltung, kann nur im Rahmen einer gemeinsamen globalen Strategie erfolgreich sein“ [MAEDOWS et al. 1972: 172]. Gleich dem landespflegerischen Jargon wird die gute Absicht verkündet, ohne die angedeuteten Maßnahmen zu konkretisieren. Die Forderung an „die hochentwickel- ten Wirtschaftsländer“, das „Wachstum ihrer Produktion zu verlangsamen“ gehört zur Problembeschreibung, dass die „Wirksamkeit des Kapitals“ sinke, weshalb die finan- ziellen „Kapazitäten dafür [...], Anstrengungen der Entwicklungsländer zu unterstüt- zen, um deren Wirtschaft rascher zu unterstützen“, schon frei sind. Das heißt, Unter- nehmen aus den „hochentwickelten Wirtschaftsländern“ stellen die Finanzmittel, die man dort profitabel investieren kann, wo gute Marktchancen vorliegen, also in den sogenanneten Entwicklungsländern, und akkumulieren Mehrwert. „Ein harmonischer Gleichgewichtszustand der Weltwirtschaft, des sozialen und ökologischen Gleichgewichts muß ein gemeinsames Ziel sein, das auf gemein- samer Überzeugung beruht und allen Gewinn bringt. Das verlangt eine verantwor- tungsvolle Führung durch die hochentwickelten Wirtschaftsländer; denn als erster 359 Die Behauptung der Autoren ist glatter Betrug, es sei denn, dass sie eine geheime Weltformel be- säßen, mit der abstrakte Gewichtseinheiten in Tauschwerte umgerechnet werden könnten, so dass also nicht nach dem auf einem bestimmten Markt zu einer bestimmten Zeit gültigen Preis für zwei Ki- logramm Tomaten gefragt würde, sondern nach dem ewigen Preis von zwei Kilogramm. Eine solche Formel findet sich in der Studie nicht. 214 Schritt hierzu wären Maßnahmen dieser Nationen vonnöten, die dazu führen, das Wachstum ihrer Produktion zu verlangsamen und gleichzeitig Kapazität dafür frei- zumachen, Anstrengungen der Entwicklungsländer zu unterstützen, um deren Wirtschaft rascher zu unterstützen“ [MAEDOWS et al. 1972: 174]. Warum das „gemeinsame Ziel [...] eine verantwortungsvolle Führung durch die hochentwickelten Wirtschaftsländer“ verlange, wird aus der Argumentation nicht deutlich, und dürfte eher den Mitgliedern des ‘Club of Rome’360, der die Studie finanzierte und an die die Studie gerichtet ist, geschuldet sein. Indem das Kalkül die Verständigkeit des Gedankens ersetzen soll, entfällt zugleich die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Problemdefinition, die scheinbar mit der Formalisierung der Daten erklärt wird. Dabei ignorieren die Autoren, dass die Konstatierung eines Problems eine Bewertung voraussetzt, die nicht aus den Daten hergeleitet, sondern nur anhand von Daten erläutert werden kann. Die Bevölkerungsgröße ist aber ein quantitativer Wert, der als solcher nicht das Problem der ‘Überbevölkerung’ qualifiziert, wie auch das Verhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Nahrungsmittelmenge ‘an sich’ noch kein Problem ist. Zu einem solchen wird es erst relativ zu einer Problem- definition, dass die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung einen bestimmten Grad erreichen soll. Damit wäre noch nicht gesagt, wie das Problem weiter be- stimmt wird, ob als ökonomisches, soziales, kulturelles, ökologisches etc., woraus unterschiedliche Lösungsansätze resultieren. Die Bevölkerungsent- wicklung wird von den Autoren als wichtigstes Problem ausgegeben, weil sie zur Verknappung der Rohstoffe führe [z.B. MEADOWS et al. 1972: 17, 36, 78]. „Das größte Hemmnis, das einer besseren Verteilung der Schätze dieser Welt entgegensteht, ist das Bevölkerungswachstum. Es scheint eine allgemeine, be- klagenswerte, aber auch verständliche Tatsache zu sein, daß die Verteilung im- mer ungleichmäßiger wird, je größer die Zahl der Menschen ist, unter die geteilt werden muß“ [MEADOWS et al. 1972: 160]. Die Naivität und der Zynismus der Autoren ist frappierend. Fragen der sozialen Gerechtigkeit werden zu scheinbar naturläufigen Entwicklungen versachlicht und der Geschichte der ungleichen Verteilung nicht nachgeforscht. Anstatt also die Probleme zu durchdenken, rekurrieren die Autoren auf ein vages Problem- bewusstsein, dessen Gegenstand das formalisierte Modell wissenschaftlich definiere. Die Einfältigkeit, mit der die Autoren versuchen, ökonomische Ent- wicklungen zu beschreiben, führt dazu, dass die Wirtschaftsweise auf kapitalis- tische Investitionszyklen reduziert wird, die über die Zirkulationssphäre be- schrieben werden soll. Aus dieser Beschreibung soll die ‘Einsicht’ resultieren, dass das Geld sich selbst vermehre, solange es etwas zu kaufen gäbe [z.B. MEADOWS et al. 1972: 31]. Die zugrunde gelegte kybernetische Modellierung der Wirklichkeit legt sozusagen diese ‘Zirkulation’ nahe. Sowohl die ‘Grenzen des Wachstums’ als auch ‘Global 2000’ klammern in der Beschreibung, dass die Ressourcen begrenzt seien und das Wachstum der westlichen Industriestaaten nicht weiter steigerungsfähig wäre, ohne die Um- welt zu beeinträchtigen, die Wirtschaftsweise der Industriestaaten aus und er- heben zugleich die Forderung nach einer Weltpolitik, weil globale Probleme – 360 Der Club of Rome ist „ein informeller Zusammenschluß von gegenwärtig etwa 70 Mitgliedern (Wis- senschaftler der verschiedensten Provenienz, Industrielle, Wirtschaftler, Humanisten)“ [MAEDOWS 1972: 9]. 215 so die Diagnose – nur weltweit gelöst werden könnten. Gemäß der reduktio- nistischen Problembeschreibung nimmt diese Weltpolitik die Form an, dass die ‘Weltressourcen’ und der Ressourcenverbrauch kontrolliert werden müssten. Angesichts der Leistung, diese Umweltstudien erstellen zu können, liegt es nahe, die Kontrolle jenen westlichen Industriestaaten zu überantworten, die diese Studien finanzierten. So kommen die Studien zu dem Schluss, dass aus der Einsicht, dass das westliche Wirtschaftsmodell nicht verallgemeinerungs- fähig sei, ohne die Umwelt zu schädigen, die Grenzen des Wachstums vor al- lem in den Entwicklungsländern zu verorten. Daraus resultieren Ratschläge für eine Entwicklungspolitik, die den Ausgleich für Fehlentwicklungen innerhalb der Industriestaaten in die Staaten der Dritten Welt verlagert361. Für die Indust- riestaaten bedeutet dies, dass sie den eigenen Wohlstand sichern und zugleich neue Märkte für westliches Ingenieurswissen und Technologien er- schließen können. Die Autoren dieser Umweltstudien gerieren sich als Mana- ger der zukünftigen Welt und schreiben das europäische Fortschrittsmodell fest, dass alle Probleme technisch zu regeln seien. Entsprechend dieser tech- nokratischen Grundüberzeugung fehlen in den Studien Überlegungen, wie menschliches Leben ohne modernistisches ‘Weltingenieurswesen’ möglich ist. Dieses reduktionistische und technokratische Weltbild wurde populär. Vor al- lem in der BRD konnte ‘Global 2000’ mit großem Erfolg unter die ökologisch interessierte Öffentlichkeit gebracht werden. „Bis zum Februar 1982 waren schon annähernd 500.000 Exemplare verkauft. In den USA selbst wurde – auf die Bevölkerungszahl bezogen – nur ein Bruchteil dieses Absatzes erreicht. In anderen Ländern, wie Großbritannien oder Frank- reich, blieb ‘Global 2000’ in der weiteren Öffentlichkeit praktisch unbeachtet“ [LOTTMANN 1983a: 130]. Entgegen der Absicht von ‘Global 2000’ wurde die Studie in der Ökologiede- batte zu einem wichtigen wissenschaftlichen ‘Beleg’, dass das industrielle und auf Wachstum angelegte Wirtschaftssystem nicht zukunftsfähig sei. „Folgt man dem Echo [in der ökologisch orientierten Öffentlichkeit], so könnte man meinen, der Bericht sei in den Haupttendenzen links, grün und dezentralistisch angelegt. Liest man das Werk aber sorgfältig und vollständig, so ist er eher kon- servativ, eher herkömmlich wohlstandsorientiert und vom Gesichtpunkt einer Weltpolitik konzipiert, d.h. zentralistisch angelegt“ [LOTTMANN 1983a: 130 – Einf. FL]. Dies wird umso deutlicher in der nachfolgenden Studie ‘Global Future’, deren deutschsprachige Fassung vom Landespfleger ARMIN BECHMANN herausgege- ben wurde. Sie empfiehlt weltpolitisch zu handeln, um die globalen Umwelt- probleme zu lösen, und vor allem die „Beratung der Entwicklungsländer in landwirtschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und Bevölkerungsfragen“ erheblich zu verstärken [LOTTMANN 1983c: 155], die Umweltpolitik wird also aus den westlichen Industrienationen ausgelagert. Dieser Ökoimperialismus ist in der Analyse des Berichts angelegt, die Fragen nach den politischen Bedingun- gen der Umweltprobleme ausklammert und auf die ‘stoffliche Seite’ der Res- sourcen- und Bevölkerungsentwicklung beschränkt [LOTTMANN 1983a: 132; 361 Analog zum Sozialimperialismus des frühen 20. Jahrhunderts, der extreme soziale Spannungen auf nationaler Ebene durch Eroberungskriege um Rohstoffe ins Ausland, vor allem in die Kolonien verla- gerte, kann man diese Strategie am Ende des 20. Jahrhundert als Ökoimperialismus bezeichnen. Sie wird von BRUNNENGRÄBER [2002] am Kyoto-Protokoll diskutiert. Siehe auch Kapitel: ‘Globale Nachhal- tigkeit’. 216 1983b: 150]. Die ‘stoffliche Seite’ erscheint somit als limitierender Faktor der ökologisch vertretbaren politischen Spielräume. „‘Global 2000’ und ‘Global Future’ begründen das Recht und die Pflicht der Um- weltpolitik, auch in anderen Politikbereichen maßgeblich mitzusprechen“ [LOTTMANN 1983c: 155]. Die suggestive Vorstellung, die diese pessimistischen ökologischen Zukunfts- szenarien transportieren, umfasst die Aspekte, dass die Erde als Bild einer ge- schlossenen Kugel in den Blick gerät, und dass sie als kybernetisches System beschreibbar wird, das wissenschaftlich vermittelt ist. In den Umwelt-Szenarien überschneiden sich ästhetisch und wissenschaftlich vermittelte Impulse. Das ökologische Paradigma Der Ökologiebegriff gehört, wenn man seine Verwendung betrachtet, zwei Be- deutungssphären an. In der Bezeichnung einer Subdisziplin der Biologie fun- giert er als wissenschaftlicher Begriff einerseits, andererseits ist er ein ideolo- gischer Begriff, der im Streit der Weltanschauungen eingesetzt wird [TREPL 1987: 13-18]. Beiden Bedeutungssphären ist er seit seiner Erfindung am Ende des 19. Jahrhunderts dermaßen verschrieben, dass es unangemessen wäre, ihn auf den fachwissenschaftlichen Gebrauch zu reduzieren. Die Ökologie, die bis dato auf der Arbeit von diversen Fachbiologen, fachfrem- den Wissenschaftlern und wissenschaftlich interessierten Laien beruhte, erfuhr in den 1960er Jahren einen starken Wissenschaftsschub. Das ‘Internationale Biologische Programm’, das in den 1960er Jahren initiiert wurde, vereinigte das Problem ‘Umweltverschmutzung’, den Forschungsansatz ‘Holismus’ und die planerische ‘Bürokratisierung’ zu einem Forschungsvorhaben, das die Öko- logie zur großen Wissenschaft erklärte [TREPL 1987: 199ff] und in dessen Folge neben vielen kleineren die globalen Umweltszenarien des ‘Club of Rome’ und ‘Global 2000’ entstanden. Mit dem Internationalen Biologischen Programm wurde die Ökosystemforschung zur systemtheoretischen Modellbildung aus- gebaut, die die Ergebnisse der Einzeldisziplinen synthetisieren sollte [TREPL 1987: 194ff]. Ergebnisse dieser Synthesen wurden dann in die seither inflationär in Veröf- fentlichungen eingesetzten Block-Pfeil-Diagrammen, reduzierten Formeln und Graphen verpackt [GAMM 1986: 56]. Um die behauptete Komplexität der Öko- systeme in umfassenden Synthesen beschreiben zu können, werden die öko- logischen Modelle zunehmend abstrakter und stehen in Diskrepanz zu den empirischen Fachwissenschaften, die diese Modelle in ihre Forschungspro- gramme aufnehmen sollten [SACHS 1992]. Der ideologische Anspruch der Öko- logie, alles erklären zu können, schlug sich in den banalen Biotopkartierungen, Umweltverträglichkeitsprüfungen, einzelwissenschaftlichen Untersuchungen und interdisziplinär angesetzten Projekten der Landespflege nieder [TREPL 1987: 200]. Vom groß angelegten ‘Solling-Projekt’ unter der Leitung von ELLENBERG und dem ‘Teufelsmoor-Projekt’, das von BUCHWALD geleitet wurde, bis zu kleinräumigen Biotopanalysen kämpften sich die interdisziplinär zusam- mengesetzten fachwissenschaftlichen Forschungsvorhaben362 an den Vorga- 362 Die additive Beteiligung von Fachwissenschaftlern stellt nicht notwendigerweise Interdisziplinarität her [GEHLKEN 1999; BELLIN 1999]. 217 ben der ökosystemaren Modellen ab, um die abstrakten Block-Pfeil- Diagramme mit Empirie zu illustrieren. „Der Hauptimpuls des Internationalen Biologischen Programm bestand aber viel- leicht darin, daß es die Art und Weise der ökologischen Forschung drastisch ver- änderte und eine Schicht von Managern in der Ökologie hervorbrachte“ [MCINTOSH 1976 zitiert in TREPL 1987: 200]. Die moderne Ökologie wird zum Handlungsmodell technokratischer Planung. Die Idee des ‘Ökosystems’, ehedem eine anschauliche Einheit, erscheint in der New Ecology szientistisch in Messdaten verpackt als selbstregulierendes Sys- tem von Stoff- und Energiekreisläufen. Schon der konstruktivistische Ansatz von TANSLEY operationalisierte mit dem Begriff des Ökosystems „die ‘Ganzheit’ der Holisten“ zum „Gegenstand technischer Beherrschung“ [TREPL 1987: 186]. Diese Operationalisierung des Ökosystems, die betont physikalisch ausgerich- tet ist, setzt implizit die Idee der Holisten voraus, dass es ökologische Ganzhei- ten gäbe, die vordem von der phänomenologischen Ökologie thematisiert wur- den. Das Ökosystem ist weniger ein funktionaler Zusammenhang als ein semi- otisches Gebilde bzw. dessen räumlicher Ausdruck. „Das Holocoen wird [...] durch ein äußerst verwickeltes Gewebe von Bezeichnun- gen zusammengehalten und in seinem Sosein erhalten; alles darin steht zu allem in Beziehung, alles wirkt auf alles direkt ein“ [FRIEDRICH 1937: 19 zitiert in TREPL 1987: 184]. Die räumlich-funktionale Einheit des Holocoen entspringt nicht der Analyse al- ler Funktionszusammenhänge, sondern bildet den Inbegriff dieser Einheit, die alsdann wissenschaftlich erforscht, zerlegt und beschrieben wird. Dieser Inbe- griff wird als anschauliches Ganzes, das nach Art einer Landschaft betrachtet wird, entdeckt [TREPL 1987: 183]. Die physiognomische Methode in der Biologie entstammt der Geographie, die – verkürzt formuliert – die idiographische Ein- heit von Land und Leuten als geschichtlichen Ausdruck einer kulturellen An- passungsleistung an die natürlichen und regionalen Lebensbedingungen be- greift [HARD 1970b; EISEL 1981: 130ff]. Die Physiognomie geht davon aus, dass die Erscheinung Ausdruck des Wesens sei, sie schließt mithin vom Sichtbaren auf das Unsichtbare der Phänomene, wobei der Ausgangspunkt des Schlus- ses die augenfällige Erscheinung ist [BLANKENBURG 1989: 955, 960f]. Der Teich, an dem der Wechsel der Lebensmedien deutlich beschrieben werden kann, avancierte zum ersten Paradigma des Ökosystems und gilt heute noch als Ar- chetyp des Biotops363. Die von der Anschauung ausgehende Ökologie verbindet mit der physiogno- mischen Methode Ästhetik und Naturwissenschaft, wodurch ihr Gegenstand auf zweierlei Weise beschreibbar wird und die Ökologie infolgedessen wissen- schaftliche und weltanschauliche Aspekte enthält. Wichtig in unserem Zusam- menhang ist, dass ein funktionaler Ansatz derart mit einem normativen Kon- zept verbunden wird, dass aus ihm die Vorstellung ökologischer Planung resul- tieren kann, die beansprucht, den ‘ökologischen Sinn’ durch naturwissen- 363 Der Teich ist nicht nur überschaubar, er folgt auch einem klassischen Bildtopos, dem ‘locus amoe- nus’ (vgl. Kapitel ‘Landschaftsmalerei’), und wird etwa zeitgleich mit der Konzeption des Biotops Ende des 19. Jahrhunderts von der impessionistischen Malerei neu entdeckt (z.B. die Seerosenbilder von MONET). ERNST BLOCH sieht darin, dass die Malerei des Symbolismus und des Jugendstils Gewässer und Sümpfe thematisiert, ein Signum der bürgerlichen Gesellschaft um 1900 [BLOCH 1932]. 218 schaftliche Verfahren dem funktionalen Ökosystem zu entnehmen [z.B. HABER 1996: 11]. Die ‘Ökologie’ wird zum Leitbild für ‘Natur’ [TREPL 1987: 226]. Ökologie in der Landespflege Mit kybernetischen Modellen zur Planung wird Ende der 1960er Jahre die Sys- temtheorie in die Landespflege eingeführt. HANS LANGER bezieht die Kyberne- tik nicht nur auf die Ökosysteme und Gesellschaftssysteme, sondern schlägt vor, die Planung selbst als Regelkreis zu begreifen. Dies sei notwendig, so RUNGE, „um Fragen nach dem Wissenschaftsbezug der Landespflege sowie ihrer Teilgebiete, nach ihrer Methodik und nach Beziehungen der Teilgebiete der Landespflege untereinander zu untersuchen“ [RUNGE 1989: 221]. Die sys- temanalytische Abstraktion, die die Landespflege von Ideologien unabhängig machen und zur Wissenschaft transformieren sollte, erlangte im Selbstver- ständnis der Profession Anerkennung und wurde zugleich Grundlage ihrer öko- logischen Ausrichtung (Landschaftsökologie) [HÜLBUSCH 1967: 24ff]. „In diesem Sinne betrachtete Langer die Landschaftspflege als ‘zielgerichtetes Zusammenwirken von ökologischen Funktionen und Planungsmethodik im Sinne einer Ökosystemregelung’ (LANGER 1970: 77)“ [RUNGE 1989: 222]. Der Landespfleger fungiert in diesem Modell als „Steuerungszentrum zur Re- gulierung des Gleichgewichts in einer ‘Ökologie der geosozialen Umwelt’“ [RUNGE 1989: 222]. LANGER definiert das System als (Gegenstand, der als) ein Ganzes (erscheint), das aus Elementen und deren Relationen besteht und in Relation zur Umgebung steht [z.B. LANGER 1969: 67]. Die Elemente, die in Be- zug auf das übergeordnete System als ‘black-box’ behandelt werden, wären für sich genommen als Teilsysteme beschreibbar [z.B. LANGER 1969: 67]. Die Relation der Elemente wird anhand von Input und Output beschrieben [z.B. LANGER 1969: 68]. Aus dem Modell ergibt sich nach Langer „eine für die Land- schaftspflege wesentliche Frage“: „Welchen Wert haben funktionale Elemente sowie die zwischen ihnen als Prozes- se ablaufenden Relationen für den Bestand von Ökosystemen und folglich für die Art und Nachhaltigkeit ihrer Leistungen?“ [LANGER 1969: 68]. Mit der Koppelung der ‘funktionalen Elemente’ an den ‘Bestand von Ökosys- temen’ und die ‘Nachhaltigkeit ihrer Leistungen’ tritt die ‘ökologische Nachhal- tigkeit’ in die landespflegerische Debatte ein. Gegenstand der Landespflege sei die Landschaft als „Lebensraum der menschlichen Gesellschaft [...] mit ei- ner Leistungsfunktion für die menschliche Gesellschaft“ [LANGER 1969: 67]. Die Landschaft kann systemtheoretisch als Ökosystem aufgefasst werden, das über Ökotope beschreibbar sei, wobei zur Abgrenzung des Biotopgefüges un- terschwellig die physiognomische Landschaftswahrnehmung vorausgesetzt wird, z.B. in dem Kriterium ‘landschaftsrelevanter Größe’. „Das Ökotop ist dabei als landschaftsökologische Grundeinheit definiert, d.h. als Bereich eines ökologischen Wirkgefüges aus Biozönose und Biotop von noch landschaftsrelevanter Größenordnung“ [LANGER 1969: 67]. Die Landespflege, im systemtheoretischen Modell zwischen dem System der Gesellschaft und dem Ökosystem Landschaft angesiedelt, messe und be- schreibe nun einerseits die Leistungsfähigkeit der Landschaft und regle sie an- dererseits entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft. Interessant an dem Modell ist, dass die Landespflege außerhalb der Gesellschaft angesiedelt 219 ist, wodurch sie weder von den Leistungen des Ökosystems noch von den An- sprüchen des Gesellschaftssystems beeinflusst zu sein scheint364. Der Lan- despfleger, der das ökologische System modelliert, betrachtet es aus der gött- lichen Außenperspektive, die dem Satellitenblick auf den Blauen Planeten ent- spricht. Dass LANGERs Modell dieses Vorgehen nahelegt, das kann über die Idee der ‘ökologischen Raumordnung’ [z.B. BUCHWALD 1964: 229] erklärt wer- den, die durch die Landespflege geistert. Sie besagt, dass der Raumordnung – als hoheitliche Nutzungsplanung – die Landespflege vorgeschaltet werden müsse, um die ökologisch optimalen Standorte für die projektierten Nutzungen zu ermitteln [RUNGE 1989: 266ff, 273]. Dieser Idee wiederum liegt der Anspruch zugrunde, dass man monopolistisch über alle natürlichen Hilfsquellen verfügen könne [HÜLBUSCH 1977; AUTORiNNEN 1975]. Als landespflegerische Grundlagen sollen landschaftsökologische Raumgliederungen und Biotopkartierungen er- stellt werden, auf die man in der Planung hinsichtlich bestimmter Nutzungsan- sprüche Bewertungen abgeben und Alternativen diskutieren könne [RUNGE 1989: 263, 266]. Beispielsweise verfolge HABERS Konzept der ‘differenzierten Bodennutzung’ die ökologische Raumgliederung mit dem Ideal „einer klein- räumigen Durchmischung verschiedenster Ökosystemformen, wie sie in Mittel- und Westeuropa bis vor etwa 180 Jahren bestanden hat“365 [RUNGE 1989: 257]. Dieses Ideal müsse mit den Anforderungen der modernen Landwirtschaft und Industrie abgestimmt werden, um praktikable Durchmischungsgrade für die unterschiedlichen Flächennutzungen und Ökosystemtypen festzulegen [RUNGE 1989: 258]. Indem die Landespflege den Anspruch einer rationalen ökologischen Gesamtplanung erhebt, verkennt sie, dass betriebs- und volkswirtschaftliche Entscheidungen zu differenzieren sind, und konzipiert für ihre Beratung den planenden Staat als Monopolisten, dessen einzelbetriebliche Ökonomie mit der Nationalökonomie identisch sei [STOLZENBURG 1984: 16]. An dieses Missver- ständnis knüpft auch die ‘nutzungsorientierte Raumgliederung’ mit der der Wirtschaftswissenschaft entliehenen Verursacher-Betroffenen-Matrix an [z.B. KIEMSTEDT 1971; RUNGE 1989: 268]. „Ein Nutzungsanspruch hat dort seinen relativ günstigsten Standort, wo er am we- nigsten von Beeinträchtigungen aus dem Naturhaushalt betroffen ist und wo er die wenigsten solcher Wirkungen für andere auslöst“ [KIEMSTEDT 1971: 81 – Hervorhebung im Original]. Mit der Kritik am Begriff des ‘Landschaftsschadens’ stellte Hülbusch heraus, dass mit der Rede vom Landschaftsschaden die ökonomische Debatte über Verwertungsmöglichkeiten naturalisiert und damit dem politischen Disput ent- zogen wird [HÜLBUSCH 1967: 35f]. Diesen Gedanken greift KIEMSTEDT auf [z.B. KIEMSTEDT 1971: 81], um ein Verfahren zu entwickeln, das den Schaden, der Nutzern durch Nutzungen entsteht, rational nachvollziehbar darstellen soll. „Unklar blieb [im Begriff Landschaftsschaden], daß von Schaden nur im Hinblick auf beeinträchtigte Ansprüche des Menschen gesprochen werden kann. [...] Dar- 364 Dies stellt ein immer wiederkehrendes Paradoxon der systemtheoretischen Umweltsteuerung dar. Als Voraussetzung des Systems wird die Differenz zur Umwelt des Systems gesetzt, eine Grenze ge- zogen, die dann wieder in die Systembeschreibung einbezogen wird [z.B. LUHMANN 1984: 35f, 47f; 1986: 21, 33]. 365 Runge meint also die ‘Landschaft’ zur Zeit der Aufklärung, also gerade jene Zeit, in der die Land- schaft im Landschaftspark gestaltet wurde. 220 aus ergibt sich weiterhin, daß wir den konfrontierenden Standpunkt des vom Men- schen beeinträchtigten Naturhaushalts durch ein differenzierteres Beziehungs- schema: verursachender Nutzungsanspruch – ausgelöste beeinträchtigende Wir- kung des Naturhaushalts – betroffener Nutzungsanspruch (kurz: Verursacher – Wirkung – Betroffener) ablösen müssen“ [KIEMSTEDT 1971: 81]. Über die generalisierende Formulierung ‘des Menschen’ werden Verursacher und Betroffene zuerst identisch und dann funktional differenziert sowie anony- misiert, was bedeutet, dass die von Immissionen betroffenen Menschen zugleich Verursacher von Emissionen sein können. In der „Transformation na- turwissenschaftlicher Einsichten und Erkenntnisgrößen in eine planungssyste- matisch und ökonomisch brauchbare Form“ [KIEMSTEDT 1971: 83] werden die Nutzer zu Nutzungsansprüchen agglomeriert, so dass die sogenannte Verur- sacher-Wirkung-Betroffener-Matrix aus relativ abstrakten Kategorien besteht, die zudem auffällig selektiert sind: ‘Siedlung, Verkehr, Wassernutzung, Abfall- beseitigung, Bergbau, Erholung, Landbewirtschaftung, Kultur’ [z.B. KIEMSTEDT 1971: 82]. Diese Anspruchskategorien sind aus der landespflegerischen Litera- tur abgeleitet, übernehmen also implizit die Ausrichtung der landespflegeri- schen Arbeitsweise [z.B. KIEMSTEDT 1971: 83]. Die abstrakten Nutzungskatego- rien haben zur Folge, dass in der Verursacher-Wirkung-Betroffener-Matrix die Verursacher einerseits anonymisiert werden und die Betroffenen andererseits immer auch mit Verursacher der negativ wirkenden Umwelteinflüsse sind. „Umgekehrt würden endlich andere Raumansprüche aus ihrer isolierten Verursa- cherrolle befreit, wenn klar ist, daß prinzipiell jede Nutzung sowohl Verursacher als auch Betroffener von beeinträchtigenden Wirkungen aus dem Naturpotential sein kann“ [KIEMSTEDT 1971: 84]. Man spürt geradezu die Erleichterung des Landespflegers, dass ‘endlich’ in- dustrielle ‘Raumansprüche’ aus der ‘isolierten Verursacherrolle befreit’ werden, weil ‘jede Nutzung’ ‘Verursacher’ sein könne. Ob Oma ihr Pfeifchen raucht o- der Union Carbide mal Dampf ablässt, scheint da keinen Unterschied zu ma- chen, wenn die Emissionen den Filter des ‘Naturpotentials’ Luft durchlaufen haben [vgl. SCHNEIDER 1989: 64]. Das ist eine besonders perfide Form der ‘Schadensbereinigung’ durch systematische Unkenntnis und messtechnische Weißwäscherei, die das Verbrechen rationalisieren [PÖRKSEN 1988: 34]. „Die Naturwissenschaftler berufen sich statt dessen auf ihre Wissenschaftlichkeit, auf ihre Un-Kenntnis. Über das Postulat der naturwissenschaftlich bewiesenen Kausalität wird von den bekannten Katastrophen-Gründen abgelenkt und jahr- zehntelanges Messen statt Nachdenken und Handeln initiiert“ [SCHNEIDER 1989: 73]. Das Verfahren, das aus der Kritik am Begriff des Landschaftsschadens ent- standen ist, wiederholt die Argumentation, mit der der Landschaftsschaden begründet wurde. Was vorher der ‘Naturhaushalt als solcher’ war, ist nunmehr die ‘Gesellschaft als solche’ bzw. tritt in Gestalt des ‘Nutzungsanspruchs als solchem’ auf366. Der Trick, mit dem KIEMSTEDT hantiert, ist der, dass er nach den „Wirkungen aus dem Naturpotential“ forscht, das heißt, dass die Emissio- nen (von Verursachern) den anonymisierenden Transformator des Naturpoten- tials durchlaufen, bevor sie aus diesem zu Immissionen (für Betroffene) wer- den. Hierin dürfte ein Grund für die Popularität der Verursacher-Wirkung- 366 Ähnlich wirken die Abstraktionen zur Berechnung der nachhaltigen Entwicklung z.B. die Studie ‘Zu- kunftsfähiges Deutschland’, die vom WUPPERTAL INSTITUT [1996] erstellt wurde [SPEHR 1996]. 221 Betroffener-Matrix in der Landespflege liegen, fördert sie doch ansonsten nur eine Datenflut zutage, die man beliebig steigern kann. „Die von Kiemstedt entwickelte ‘Verursacher-Wirkung-Betroffener-Matrix’ (‘Kon- flikt-Matrix’) hatte nicht nur für die Bestandsaufnahme Relevanz, sondern leitete zugleich eine neue Phase in der Entwicklung landschaftsplanerischer Bewer- tungsverfahren ein“ [RUNGE 1989: 271]. In einem weiteren Schritt – in der Verfeinerung der Messverfahren bei erhöhter Abstraktion – wird aus der sogenannten Konflikt-Matrix die ‘ökologische Wirk- analyse’ entwickelt [RUNGE 1989: 273]. Mit der Ausrichtung der „ökologischen Planung auf Nutzungskonflikte im Bereich des Naturpotentials (ökologische Wirkanalyse)“ [RUNGE 1989: 276] werden die Fragen ausgegrenzt, die bei der Planung über den stofflichen Input-Output und die konstatierten Nutzungs- schäden hinausgehen. Diese methodische Reduktion in der Ökosystemanaly- se wird, wie wir sehen werden, fatale Formen annehmen, wenn die ökologi- sche Wirkanalyse mit Nutzwertanalysen kombiniert wird367. Aber zuerst zur ö- kologischen Wirkanalyse. „Ökologische Wirkanalysen zur Beurteilung und Steuerung der Folgen planeri- scher Veränderungen [...] sollen aufzeigen, welche Veränderungen der Geofakto- ren und damit ihrer Leistungsfähigkeit zur Erfüllung anderer Nutzungsansprüche durch planerische Maßnahmen in einem Raum erfolgen“ [BIERHALS et al. 1974: 77]. Um die Veränderung der Geofaktoren zu beschreiben, werden nicht diese selbst erhoben, sondern ihre Belastungswirkung auf Nutzungsansprüche [z.B. BIERHALS et al. 1974: 79], wobei die ermittelte Belastungsintensität von dem je- weiligen Nutzungsanspruch abhängig sei [z.B. BIERHALS et al. 1974: 84]. Um die unterschiedlichen Belastungsqualitäten und ihre quantitative Darstellung in spezifischen Parametern vergleichbar zu machen und die Gesamtbelastungs- intensität zu ermitteln, sind in der mathematischen Modellierung Transformati- onsfunktionen notwendig. Diese Transformationsformeln368 können nicht aus der Sache selbst abgeleitet werden, sondern bedürfen externer Bewertungen, die „mit Hilfe von Expertenurteilen festzusetzen“ wären [BIERHALS et al. 1974: 84]. Aus den Beeinträchtigungsgraden, die in der ökologischen Wirkanalyse ermittelt wurden, werden alsdann Eignungsbewertungen für Nutzungsansprü- che und Planungsräume abgeleitet. Das Werturteil wird über das Verfahren in die Sache selbst verlegt, aus der es dann scheinbar herausgezogen wird. Das Problem liegt in der Nutzwertanaly- se, auf deren Basis das ökologische Planungsmodell aufgebaut wurde [z.B. BIERHALS et al. 1974: 85]. Dieses Modell innerhalb der ökologischen Wirkanalyse am Beispiel des ‘TRENT-Gutachtens’ rekonstruiert zu haben, ist das Verdienst von HANS-JÜRGEN STOLZENBURG. Die ökonomische Formbestimmtheit der ökologischen Wirkanalyse STOLZENBURG interpretiert, an COMMONER anknüpfend, die Rede von der öko- logischen Krise im Hinblick auf die Wirtschaftsweise als Indiz von Störungen an der ökonomischen Basis [STOLZENBURG 1984: 22]. 367 Darauf kommen wir im folgenden Kapitel: ‘Die ökonomische Formbestimmtheit der ökologischen Wirkanalyse’ zu sprechen. 368 Verfahrenstechnische und semiotische Operationen, die Äpfel und Birnen zu Mus machen. Der ideale Maßstab für die Verrechnung der Beeinträchtigungsgrade wäre Geld. Denn der Tauschwert ist gegen alle Waren mit gleichem Preis einlösbar. Siehe dazu: ‘die Grenzen des Wachstums’. 222 „In diesem Sinne kann das Auftauchen einer ausgemachten Krise im Ökosystem ebensogut als das Signal einer auftauchenden Krise im Wirtschaftssystem ver- standen werden“ [COMMONER 1977: 213]. Die sogenannte ökologische Krise sei weniger auf die Natur, als vielmehr auf die Überakkumulation des Kapitals zurückzuführen. Die ‘kapitalistische Über- akkumulation’ bewirke erstens eine Absatzkrise und zweitens das Absinken der Profitrate durch die Verschiebung in der Zusammensetzung des organi- schen Kapitals, die den Anteil des konstanten Kapitals in der Produktion erhö- he und den relativen Mehrwert senke. „Vermittelt über den Konkurrenzdruck der Kapitale untereinander stellt die Akku- mulation ein Zwangsgesetz für das Einzelkapital dar“ [STOLZENBURG 1984: 23]. Konsequenz der Überakkumulation – d.h. dass der Kapitaleinsatz tendenziell erhöht werden muss, um einen konstanten Profit zu erwirtschaften – ist die Kapitalknappheit der Unternehmen, die daher weniger investieren, wodurch das Wirtschaftswachstum (gemessen am Brutto-Sozialprodukt) stagniert bzw. zurück geht. Die Kapitalknappheit in den 1970er Jahren führte in der ökonomi- schen Basis zu einer Krise, die seinerzeit vom gesellschaftlichen Überbau als ökologische Krise beschrieben wurde. In der Debatte wurde die Begrenztheit der Ressourcen konstatiert, die naturseitig die Krise hervorriefe. Die ökonomi- sche Theorie der ökologischen Krise bezieht die Reproduktion der bislang ‘freien Güter’ in die Kapitalverwertung ein, wodurch (gezeigt werden kann, dass) die Produktionskosten die organische Zusammensetzung des Kapitals steigern und sich der tendenzielle Fall der Profitrate verschärft [STOLZENBURG 1984: 24]. Fallen bislang externalisierte Produktionskosten durch den zur Re- produktion der Ressourcen notwendigen Kapitaleinsatz als gestiegene Roh- stoffkosten in die Kalkulation der Unternehmen, dann wird in der Produktion zusätzliches Kapital gebunden. Dieser Problembeschreibung entspricht die ökologische Wirkanalyse funktional, indem sie die ökologischen Kosten der Kapitalverwertung einer naturwissenschaftlichen Kalkulation zuführt, um die Krise in die Theorie rationaler Umweltplanung einzubeziehen. „[Das] Kunststück der ökologischen Planungstheorie [besteht nun darin], ange- sichts eines de facto ökonomisch formbestimmten Gegenstandsbereichs von e- ben diesem Sachverhalt mit notorischer Penetranz abzusehen“ [STOLZENBURG 1984: 25 – Einf. FL]. Anstelle der ökonomischen Analyse der Kapitalverwertung und der staatlichen Interventionen im Umweltschutz beschränken die Landespfleger ihre ökologi- schen Fragestellungen auf die Quantifizierbarkeit stofflicher und funktionaler Parameter. Diese betreffen die Kategorien der Ressource, der ökologischen Funktionszusammenhänge und der naturräumlichen Gliederung. „[Die] ausschließliche Betrachtung der ‘stofflichen Seite’ der Geofaktoren führt zwangsläufig dort zu Vorstellungen materieller Ressourcenknappheit, wo diese nur Reflex ökonomischer Prozesse ist“ [STOLZENBURG 1984: 18]. Beispielsweise ist der ‘Holzmangel’ – wir kommen zur Rekonstruktion des Ur- sprungs des Nachhaltigkeitsbegriffs noch einmal darauf zurück – kein Natur- gesetz, sondern von dem Bedarf, den Zugangsmöglichkeiten und der Produk- tivkraftentwicklung abhängig. Aufforstungen und die Förderung fossiler Ener- gieträger wirken auf den Tauschwert des Holzes ein. 223 „Güter und Ressourcen sind nicht als solche oder in bezug auf ökologische Para- meter knapp, sondern im Hinblick auf Stand und Entwicklung von Angebot, Nach- frage, technischem Wissen“ [UHLIG 1978: 171 zitiert in STOLZENBURG 1984: 19]. Ebenso verkennt die Abstinenz von sozial-ökonomischen Fragen in der Be- trachtung der ‘funktionalen Seite’ der Geofaktoren, für wen sie welche Funktio- nen erfüllen. Soziale Interessenskonflikte, die in den konkreten Funktionen eingeschrieben sind, werden in der ökologisch-funktionalen Analyse ignoriert und ein gesamtgesellschaftliches Interesse vorgeschoben. „Das Funktionalkonzept gewinnt seine Wirkung durch seinen positiven Bezug auf die Tendenzen kapitalistischer Arbeitsteilung und löst die Defizite, die aus der Fi- xierung einer ‘Funktion’ (etwa industrielle Produktion, Fremdenverkehr, landwirt- schaftliche Produktion) erwachsen, auf in einer Maßstabsvergrößerung, in der die Teilfunktionen (Regionen) als Teile eines größeren Ganzen interpretiert werden“ [FUNK 1977: 147 zitiert in STOLZENBURG: 38]. Die ökologische Wirkanalyse betrachtet Funktionen gerade nicht für bestimmte lokale Nutzer, sondern unter dem großmaßstäblichen Blickwinkel ‘komplexer ökologischer Zusammenhänge’, so dass die Opfer „in ihrem Leid“ und „die Verursacher in ihrem Gewinnstreben“ [SCHNEIDER 1989: 65] aus der Analyse ausgeklammert werden können. Aus der abstrakten Bestimmung der ökologi- schen Funktionen durch die „ökologische Planung“ folge auf ökonomischer Ebene „eine Senkung der Kapitalverwertungsschranken“ [STOLZENBURG 1984: 40]. „[Die] universelle Disponibilität von Geofaktoren [...] durch die fachplanerischen Ansprüche erleichtert die Optimierung des Produktionsfaktoreneinsatzes durch Selektion und Flexibilisierung der Kalkulation stofflicher Produktionsgrundlagen (resp. Geofaktoren). Gemeint ist die methodisch legitimierte Rücksichtslosigkeit der Kapitalverwertung gegenüber bestehenden biotischen und abiotischen Raum- strukturen und -inhalten sowie der in ihnen entwickelten menschlichen Lebens- verhältnissen“ [STOLZENBURG 1984: 40]. Die Rede ist hier von Menschen und ihren Lebensmöglichkeiten, die vom ver- sachlichenden Verfahren als Geofaktoren dargestellt werden, über die admi- nistrativ und ökonomisch beliebig verfügt werden könnte. Die Externalisierung der Produktionskosten und -lasten verlagert diese auf die Gesellschaft, der außerhalb des geregelten ökonomischen Tauschs finanzielle Mittel entzogen werden, und führt damit die ursprüngliche Akkumulation fort. Um den Raub an der Gesellschaft zu verdecken, werden die anthropogenen Leistungen, die aufgebracht werden mussten, um die Ressourcen zu regenerieren, anonymi- siert und naturalisiert. Die naturräumliche Gliederung, die in der ökologischen Wirkanalyse eine Re- naissance erfährt, ist durch den ‘Ahistorismus’ in der Erfassung ihres Gegens- tandes gekennzeichnet. Die anscheinend homogenen Ausschnitte der Erd- oberfläche werden als Natur behandelt, die hinsichtlich ihrer rein ökologischen Aspekte beschrieben werden könne [STOLZENBURG 1984: 56ff]. Dies hat zur Folge, dass in der Beschreibung der Geschichte als Natur die aktuelle ge- schichtliche Relevanz des Gegenstandes nicht mehr thematisiert werden muss. Die naturräumliche Gliederung nach der ‘potentiell natürlichen Vegetati- on’, die die anthropogenen Veränderungen der naturbürtigen Basis enthält, dient dem Konzept einer nationalökonomischen Betrachtung der Regionen 224 hinsichtlich ihrer optimalen Nutzung unter dem Aspekt monopolistischer Ver- fügbarkeit über das Land [vgl. HÜLBUSCH et al. 1979: 10ff]. Dem liegt unter privatkapitalistischen Bedingungen die Vorstellung zugrunde, dass die volkwirtschaftlich rationale Nutzungsverteilung auch der betriebswirt- schaftlich rationalen Nutzungsentscheidung der Einzelunternehmen entsprä- che. STOLZENBURG spricht von dem ‘Korrespondenzproblem’ der Theorie der ökologischen Wirkanalysen, das in „dem Verhältnis einer auf gesamtgesell- schaftliche Rationalität abgestellten ‘Umweltwirkungsanalyse’ und der struktur- bestimmenden Wirkung einzelwirtschaftlichen Kalküls“ bestehe [STOLZENBURG 1984: 16]. Das TRENT-Gutachten formuliert „die Frage der Steuerbarkeit von raumord- nungspolitischen Entscheidungen als Problem der Totalisierung von Information über aktuelle und in Zukunft wahrscheinliche Belastungswirkungen sowie ihre Se- kundäreffekte [...]. Die Art und Weise wie TRENT dieses Datenproblem behan- delt, verweist auf die Unmöglichkeit, das Problem der Gesamtrationalität einer Steuerung von Aktivitäten des industriellen Sektors (und des Dienstleistungssek- tors) auf die Frage einer synoptischen Totalisierung von Information zu verengen: nämlich die Behandlung der Geofaktoren als lediglich stoffliche Größen des ge- sellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesses“ [STOLZENBURG 1984: 17]. Somit beschränkt sich die ökologische Wirkanalyse nach der ‘synoptischen Totalisierung von Information’ auf den Aspekt des ökologischen Ausgleichs. Mit dem Bild der ‘Raumschiffökonomie’ wird die technische Lösung des Recyc- ling der Produktionsabfälle debattiert [STOLZENBURG 1984: 26]. „Anstelle der politischen Negation der Problemursache tritt eine doppelte Beja- hung: zum einen gegenüber der Problemproduktion, zum anderen gegenüber der Entsorgungsproduktion als bürokratischer oder industrieller Hervorbringung von Gegenmitteln“ [JÄNICKE 1979: 10 zitiert in STOLZENBURG 1984: 27]. Die doppelte Bejahung der Produktion steigert das Brutto-Sozialprodukt, das als Maßstab zur Bewertung der Wirtschaftskraft gilt, wodurch der technische Ausgleich der Produktionsfolgen als ein probates Mittel auftritt, Ökologie und Ökonomie zu versöhnen [STOLZENBURG 1984: 27f]. Die Wirtschaft reagiert auf Kapitalknappheit mit der Externalisierung der Produktionskosten (Senkung der Lohn- und Rohstoffkosten)369 [STOLZENBURG 1984: 32], da die extern anfallen- den sozialen Kosten nicht wieder in die Kapitalverwertung eingehen, sie sogar durch die Entsorgungsproduktion steigern370. Dies ist möglich, weil die „neo- klassische Gleichgewichtsökonomik [...] Umweltschäden nach dem Modell der ‘externen Effekte’ als Produkt von ‘Marktunvollkommenheit“ betrachtet [STOLZENBURG 1984:20], wodurch „die explikative Leistung des Ansatzes auf die Zirkulationssphäre beschränkt“ bleibt [STOLZENBURG 1984: 21]. Die Idee der Homöostase liegt sowohl der Überzeugung von der Selbstregulierung des öko- logischen Gleichgewichts als auch dem Vertrauen in die selbstheilenden Kräfte des Marktes zugrunde, der letztlich in ein ökonomisches Gleichgewicht münde. 369 Auf die Verringerung des absoluten Mehrwerts in den Industriestaaten reagiert das Management mit der Verlagerung der Produktion und Ressourcennutzung in die Dritte Welt, was zur Umverteilung des extern erwirtschafteten Mehrprodukts aus den Ländern der Dritten Welt in die Industriestaaten führt [MANDEL 1973: 70]. 370 Beispielsweise durch die Effizienzsteigerung der Entsorgung und Substitution durch Ersatzstoffe. 225 Marktorientierte Kosten-Nutzen-Analysen, wie sie in der ökologischen Wirk- analyse als ökonomisches Modell zur Berechnung konkurrierender Nutzungs- ansprüche eingesetzt werden [STOLZENBURG 1984: 20], gehen am Kern des Problems, der industriellen Produktionsweise371, vorbei und führen zu dem be- kannten Paradoxon, dass ‘Umweltschäden’ das Wirtschaftswachstum (BSP) erhöhen. Dementsprechend laufen die Lösungsvorschläge, die Landespfleger aus der ökologischen Wirkanalyse ableiten, letztlich darauf hinaus: „daß, ähnlich dem politischen Vertrauen in die vielbeschworenen ‘Selbstheilungs- kräfte’ des Industriesystems auf Grundlage der ‘freien Marktwirtschaft’, hier Kern- kategorien für den landschaftsplanerischen Umgang mit den Umweltproblemen des Industriesystems nach Maßgabe von Kategorien gebildet werden, die ihrer- seits mit den Prozessen der Problemproduktion in einem inneren, genetischen Zusammenhang stehen“ [STOLZENBURG 1984: 99]. Die ‘subjektive Wertlehre’ von Angebot, Nachfrage und Preis wird in der ökolo- gischen Wirkanalyse von der ebenso marktseitig orientierte ‘Grenznutzentheo- rie’ erweitert, die zur Beschreibung der Distribution des Mehrwertes dient372 [STOLZENBURG 1984: 101]. „Das von TRENT vorgeschlagene Optimierungsmodell für ‘Raumstrukturen’ [...] o- rientiert sich am ‘höchsten Zuwachs an Pro-Kopf-Einkommen’. Die Kosten- Nutzen-Analyse (angereichert mit nutzwertanalytischen Elementen) wird einesteils als Erhebungsinstrument für den ökologischen Datenbedarf betrachtet, dem an- derseits über die Maximierung von Pro-Kopf-Einkommen eine normative Funktion zukommt“ [STOLZENBURG 1984: 83]. Die Homonymie des Wortes ‘Wert’, das sowohl den deskriptiven Zahlen-Wert, den ökonomischen Tauschwert als auch den sozio-kulturellen Gebrauchswert und den ethischen Wert bezeichnen kann, erleichtert die alltagssprachliche Verwechslung zwischen den wissenschaftlich erhobenen Daten (Werte) und dem Ergebnis politischer Entscheidungen (Wertungen). Die Normativität des Verfahrens liegt gerade in der scheinbaren Wertfreiheit373 der naturwissen- schaftlichen Beschränkung auf Daten, die für die immanenten Werturteile blind macht [STOLZENBURG 1984: 50f, 92]. Der methodologische Sinn dieser Verfahren, den ‘Wert’ der Landschaft zu er- mitteln, liegt im Ziel der ökologischen Wirkanalyse, die nicht auf die Verminde- rung der Umweltschäden abgestellt ist, sondern eine ökologische Nutzenab- wägung der konkurrierenden Investitionsinteressen anstrebt [STOLZENBURG 1984: 91]. Von der ökologischen Wirkanalyse wird mithin eine wissenschaftlich rationale Entscheidung über ökonomische Verwertungsinteressen erwartet, der sich die politische Willensbildung letztlich zu fügen habe [STOLZENBURG 1984: 14]. Nachhaltigkeit im Sinne der ökologischen Wirkanalyse wäre steter Profit 371 Zum Begriff der Produktionsweise [WITTFOGEL 1932; LÜHRS 1994] siehe Kapitel: ‘Produktionsweise und Nachhaltigkeit’. 372 Die Grenznutzentheorie ist zur Beschreibung der Grundrente entwickelt worden [MANDEL 1962: 351- 355]. „Die Grundrente entsteht keinesfalls, weil der Boden ein Grundelement des Produktionsprozesses ist. Sie entsteht nur deshalb, weil der Grundbesitzer sich zwischen den Boden und diesen Produkti- onsprozeß schiebt, weil der Grundbesitzer eigenmächtig seinen Tribut von der Masse der in diesem Produktionsprozeß geschaffenen Erträge fordert“ [MANDEL 1962: 351]. 373 Zum problematischen Begriff der Wertfreiheit siehe MAX WEBERs erhellenden Vortrag ‘Wissen- schaft als Beruf’ [WEBER 1919]. 226 und dauerhaftes Wachstum des Brutto-Sozial-Produktes; wie schon zuvor zur Berechnung der nachhaltigen Entwicklung dargestellt. Nicht erst in den 1970er Jahren ist die ökologische Wirkanalyse aus dem ‘wis- senschaftlichen Himmelbett’ in die Hände der Landespfleger gefallen. Die ideo- logischen Grundlagen für die ökologische Wirkanalyse in der Landespflege sind schon in den 1950er und 60er Jahren mit dem Entwurf der Landespflege als ‘ökologischen Raumplanung’ gelegt worden [z.B. BUCHWALD 1964: 229]. Nachhaltigkeit im Ressourcenschutz Restauration der Landespflege Nach der Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes und der Installie- rung einer demokratischen Verfassung in der Bundesrepublik stellte sich für die Landespflege die Aufgabe, ihr autoritäres Planungsverständnis so zu defi- nieren, dass es in die neu organisierten Verwaltungsstrukturen passte. Dies bedeutete zunächst einmal die ‘Entnazifizierung’ ihrer Programmatik, die sie im NS-Staat deutlich an die herrschende völkische Ideologie angelehnt hatte [BOSS 1986; GRÖNING/ WOLSCHKE-BULMAHN 1987]. Die nationalchauvinistischen und rassistischen Passagen wurden nunmehr zumindest im Wortlaut aus den aktuellen Äußerungen zur ideologischen Neubestimmung der Landespflege gestrichen und durch konservative, kulturkritische Inhalte ersetzt, unter deren Vorzeichen die ideologische Restauration der Landespflege in der BRD ein- setzte [KÖRNER 2001: 77ff, 427f]. Nimmt man die Aufsätze in den Fachzeitschrif- ten aus der Nachkriegszeit als Maßstab, kann man davon ausgehen, dass im Selbstverständnis der Landespfleger der Bruch mit den nationalsozialistischen Inhalten so deutlich ausfiel, dass ihnen eine Auseinandersetzung mit der Lan- despflege im NS-Staat überflüssig erschien. Nach dem Motto ‘Business as u- sual’ wandten sie sich dem Wiederaufbau zu und konnten die neue Program- matik zudem als Reaktion auf die Industrialisierung während des Wiederauf- baus ausgeben. „In dieser Übergangsphase erfuhr das schon im Nationalsozialismus entworfene Konzept, Landschaften für die Erholung zu schützen, eine deutliche Aufwertung, war hier doch ein direkter, das gesellschaftliche Ganze betreffender Zweck des Landschaftserlebens für die Industriegesellschaft nachweisbar. Damit wurde ei- nerseits die Fachentwicklung zu einer sachlichen, verwissenschaftlichten Pla- nungsdisziplin fortgeführt, die im Nationalsozialismus begonnen wurde, um die Ef- fizienz der Industrie gerade unter völkischen Vorzeichen zu verbessern. Dies ge- schah nun aber unter demokratischen Rahmenbedingungen, die die politische Legitimation von Planung durch intersubjektive Nachvollziehbarkeit von Planungs- aussagen erzwang, so daß die Begründungen für die Erholung in der Natur von völkischen Floskeln, mit denen sie im Nationalsozialismus umrankt waren, gerei- nigt werden mußten“ [KÖRNER 2001: 86]. Was in der Nachkriegszeit von Landespflegern praktisch vollzogen wurde, ist in den 1980er Jahren ideologisch wiederholt und ‘ratifiziert’ worden. Die Aufar- beitung der Professionsentwicklung im NS-Staat wurde von Vertretern der ‘e- manzipatorischen Freiraumplanung’ betrieben, um die Landespflege szien- 227 tistisch ‘weiß zu waschen’374, was innerhalb der Profession sogleich zu einem Streit über die individuelle Schuld bestimmter Personen aus der landespflege- rischen ‘Vätergeneration’ führte. „Vergangenheitsbewältigung, um ‘unbefangen’ arbeiten zu können, die braune Decke von der prinzipiell unschuldigen Wissenschaft abziehen, solch zweckge- richtete Aufklärung, die dem individuellen Freispruch und der ‘Sauberkeit’ der Wissenschaft dient, ist praktisch in der Handhabung, läßt sie doch den Planer und Wissenschaftler in Ruhe, distanziert er sich von der Vereinnahmung und Beset- zung durch die Politik“ [BOSS 1986: 126]. Letztlich hat der Landespfleger mit preußischem Berufspathos nur seine ge- sellschaftliche Pflicht getan, ohne über deren Folgen nachzudenken, weil dies seine professionelle Kompetenz überschreite [BOSS 1986: 130]. Die instrumen- telle Vernunft beschränkt sich auf die oberflächliche Gestalt des ‘gesellschaftli- chen Auftrags’, der „in der Verwaltung einer entpolitisierten [...] Natur und ihrer Vermittlung mit, auf das Kapitalinteresse reduzierten, ‘Anforderungen der Ge- sellschaft’ gesehen“ wird [BOSS 1986: 143]. Nicht die scheinbare Irrationalität der verdinglichten Welt ist das Problem, sondern die ihr innewohnende instrumen- telle Vernunft, die auch in der Beschränkung des fachlich angesprochenen In- genieurs auf Fachwissen und fachliche Aufgabenstellung praktiziert wird. Den ‘kritischen Vergangenheitsbewältigern’ und ihren ‘vergangenheitsverdrängen- den Kritikern’ gilt das landespflegerische Berufspathos, „jederzeit nur Mensch und Natur versöhnen zu wollen, um die [...] Werte des Volkes, der Gesellschaft oder auch ‘die Natur’ vor dem Verfall zu retten“ [BOSS 1986: 134], letztlich als gute Absicht und Rechtfertigung der Landespflege im Ganzen. „Bezüglich der Wirksamkeit von Landespflege sind sich denn auch Kritiker wie Verteidiger der faschistischen Pioniere des Fachs einig: mit Planung läßt sich die Welt beglücken“ [BOSS 1986: 134]. Die Landespflege vollzog in den 1950er Jahren die Trennung zwischen der leitenden Ideologie und der angewandten Wissenschaft, die zur wissenschaft- lichen Restrukturierung der Landespflege führt (die noch GRÖNING und WOLSCHKE-BULMAHN akzeptieren). Die wissenschaftlich geläuterte Landes- pflege bietet sich aus Sicht der Landespfleger als ein Instrumentarium an, das problemlos in die demokratische Verfassung der Bundesrepublik integriert wer- den kann375 und durch die neuen Gesetze und Verwaltung gestützt würde. Die technokratische Neubestimmung der Landespflege entspricht dem politischen Dezisionismus der Professionsvertreter, die ohne eigene Theorie, die das Auf- gabenfeld der Disziplin umrisse, ihren Auftrag vom Staat erwarten. „Man konnte nun nicht mehr auf den autoritären Staat bauen, sondern war auf- grund der demokratischen Verhältnisse zunehmend gezwungen, auf Entschei- dungsträger in Verwaltung und Politik sowie Privateigentümer über Öffentlich- keitsarbeit Einfluß auszuüben. [...] Neben dem Bemühen um öffentliche Anerken- nung zur Verbesserung der eigenen Arbeits- und Durchsetzungsmöglichkeiten versuchte man auf die Formulierung des sich in Vorbereitung befindlichen Flurbe- 374 Vgl. dazu die Arbeiten von MILCHERT [1984] sowie GRÖNING und WOLSCHKE-BULMAHN [1987]. 375 Wenn in der Geographie und auch in der Landespflege die ‘dunkle Seite’ der Professionsgeschich- te ‘beleuchtet’ wurde, dann zeigte sich, „daß da, wo ein Deutscher die Vergangenheit bewältigt, man sicher sein kann, daß es nicht seine eigene ist“ [HARD 1979: 28]. Mit ‘akademischem Persil’ wird die Lan- despflege an sich weißgewaschen. 228 reinigungsgesetzes Einfluß zu nehmen und hier landespflegerische Inhalte zu verankern“ [KÖRNER 2001: 37]. Zwar bemängeln Professionsvertreter weiterhin, dass die (allmächtigen) An- sprüche der Landespflege nicht berücksichtigt würden, und reden von einem Akzeptanz- und Vollzugsdefizit für die Landespflege in der Gesellschaft. Den- noch stärkte die ideologische Reinigung der Landespflege in der Nachkriegs- zeit ihre Position im Verwaltungsapparat der Bundesrepublik, die sie in den folgenden Jahrzehnten weiter ausbauen konnte. Die Landespfleger wechselten die politischen Funktionäre und Parteien, auf die sie sich bezogen, nicht die Absichten und den Zugriff auf die Lebensbedingungen. „Planung lebt, demokratisch, sauber, dynamisch, kritisch, durch ‘Wissenschaft’ unangreifbarer und mächtiger als je zuvor“ [BOSS 1986: 136]. In Anlehnung an die Projektarbeit zur Geschichte der Landespflege [AUTORiN- NEN 1989] und mit Bezug auf HÜLBUSCH fasst INGRID BAUER Merkmale der Landespflege nach dem NS-Staat und in der BRD zusammen. In der Nach- kriegszeit und den 1950er Jahren bemühen sich die Landespfleger um eine Orientierung des landespflegerischen Aufgabenfeldes in der Bundesrepublik; die ideologische Phase: „In der Wiederaufbauphase und dem ersten Wachstumsboom sind die Begrün- dungen von Wohnungsbau und Industrie willkommener Anlaß zur Wiederherstel- lung der berufsständischen Legitimation. In Anknüpfung an die professionelle Tradition wird bei der Formulierung der Aufgaben in geschönter Form an ein im Nationalsozialismus populäres Gedankengut angeknüpft“ [BAUER 1995: 97]. Während des Wiederaufbaus der Industrie und des wirtschaftlichen Auf- schwungs der 1950er Jahre traten in Stadt und Land organisatorische und bauliche Veränderungen auf, die in die Lebenswelt hinein wirkten, Arbeit und Freizeit umstrukturierten376. Auf dem Lande kam die ‘Konversion von Rüs- tungstechnologien’ für zivile Zwecke zum Tragen [LEDERMANN 1989; HÜLBUSCH 1995: 4]. Sie ermöglichte ihren Einsatz in der Landwirtschaft, wodurch die For- schung, die die Industrien für den Krieg betrieben, in der Nachkriegszeit fort- gesetzt werden konnte [LEDERMANN 1989: 10]. „[Die] zur Kriegsproduktion entwickelten und angehäuften Kapitalien, Kapazitäten und Technologien [... mußten] nach Ende des uniformierten Krieges einen zivilen (Kriegs-) Schauplatz zur Verwertung suchen und finden“ [LEDERMANN 1989: 7]. Dies betraf neben Fahrzeugen vor allem chemische ‘Dünger und Pflanzen- schutzmittel’, die für Sprengstoff und Giftwaffen entwickelt wurden [LEDERMANN 1989: 13]. Setzte die Düngemittelproduktion schon nach dem Ersten Weltkrieg 376 Die Landwirtschaft wurde kapitalisiert und in das fordistische Wirtschaftsmodell der BRD eingebun- den [SCHEKAHN 1998: 166f], um „die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft niedrig zu halten und Arbeitskräfte freizustellen“ [POPPINGA 1975: 75, zitiert in SCHEKAHN 1998: 167]. Die EG Agrarpolitik legte mit ihrer Marktordnung dem unternehmerischen Landwirt nahe, seinen Betrieb zu spezialisieren, z.B. profi- table bzw. geförderte Marktfrüchte anzubauen [SCHEKAHN 1998: 168f]. Von den Agrarverwaltungen wurde die Umlegung des Landbesitzes zu größeren zusammenhängenden Flächen über das Flurbereini- gungsgesetz, das 1953 in Kraft getreten ist, vorangetrieben [SCHEKAHN 1998: 170]. Mit dem Flurbereini- gungsgesetz ist ein rechtliches Verfahren geschaffen worden, das dem staatlichen Verwaltungsappa- rat erlaubt, auf die ländlichen Regionen zuzugreifen und die räumliche Segregation in Industrie-, Wohn-, Erholungs- und Agrarlandschaften voranzutreiben. Die Landespflege reagiert darauf ideolo- gisch, indem Berufsvertreter behaupten, dass räumliche Segregation notwendig sei [z.B. GRÜNE CHARTA 1961: 239]. 229 ein, wurden Pestizide erst während des Zweiten Weltkriegs entwickelt und da- nach verbreitet [SCHNEIDER 1989: 68f]. „Die extreme Forcierung des Mineraldüngereinsatzes, in etwa zeitgleich durchge- setzt mit der zunehmenden Chemisierung und Technisierung der Ackerbauwirt- schaft, löste ideologisch die bis dahin noch gültige Ausrichtung der meisten Höfe an einer nachhaltigen Nutzung der Gratisnaturproduktivkräfte zu Gunsten einer ausschließlich geldwirtschaftlich organisierten Betriebsökonomie ab. [...] Alles, was die Produzenten bei einer nachhaltigen Bewirtschaftung quasi umsonst vom lieben Gott dazubekamen, das mußten sie jetzt teuer einkaufen“ [LÜHRS 1994: 9]. In den Fachzeitschriften werden die sozialen Veränderungen verschleiert als ‘landschaftliche’ Probleme vorgestellt. Diese Aufsätze zeigen, welche Verände- rungen in der Landschaft, von Landespflegern wahrgenommen wurden: „Mitte der ’50iger Jahre werden spezifische Landschaftsprobleme beschrieben z.B. Erosion, bioklimatische Erkenntnisse, landschaftsverbundener Wasserbau, Wasserversorgung der Industrielandschaft, Felsböschungen, der Wald als ‘Säu- fer’, Emissionsschäden. Die Frage nach ‘Erhalt oder Zerstörung der Landschaft’ (J. Babenzin ’56) wird gestellt und wieder nach dem Sinn der Naturschutzgebiete gefragt“ [AUTORiNNEN 1989: 326]. Überdies forderten Landespfleger zugleich die Intensivierung der Landbewirt- schaftung und einen ‘Ausgleich’ für die intensivere Landnutzung sowie die An- lage von Erholungsgebieten [AUTORiNNEN 1989: 326]. Seit Mitte der 1950er Jahre werden von Landespflegern Mittel ergriffen, mit denen die Landespflege in die Administration eingebunden werden soll. Damit beginnt die Phase der institutionellen Versicherung der Landespflege: „Der Objektplanung wird, parallel zur regionalplanerischen Zentralisierung, die Strukturplanung hinzugefügt. Erholungsplanung, Flurbereinigung, Potentielle na- türliche Vegetation sind die neuen, großmaßstäblichen Aufgaben, mittels derer nach administrativer Absicherung des Berufsstandes gestrebt wird“ [BAUER 1995: 97]. Das konservative Kulturprogramm der Landespflege erfuhr mit dem Wechsel vom NS-Staat zur Bundesrepublik einen Wandel, der sich auch im Bedeu- tungswandel der Nachhaltigkeit zeigen wird. In der ideologischen Gleichset- zung des Nationalsozialismus mit ‘Irrationalismus’ und der Wissenschaft mit ‘Zweckrationalität’ bot es sich der Landespflege an, die ingenieurswissen- schaftlichen und instrumentellen Anteile aus der im NS-Staat entwickelten Landespflege beizubehalten [BOSS 1986; KÖRNER 2001: 86f]. Daraus resultiert eine Neubestimmung ihres Arbeitsgegenstandes, der nunmehr als materielle Ressource erscheint. Ehedem als ‘freie Güter’ betrachtete Produktionsfaktoren (z.B. Wasser und Luft) werden von der Landespflege nunmehr als ‘knappe Gü- ter’ bezeichnet, die es in der und für die Industriegesellschaft zu erhalten gäl- te377 [STOLZENBURG/ VETTER 1983: 19]. Themen wie ‘die große Landzerstörung’ [z.B. ROSSOW 1961] sowie ‘der Mensch in der Industriegesellschaft und die Landschaft’ [z.B. BUCHWALD 1961] beherrschen die Profession. Die ‘Grüne Charta von der Mainau’, an den damaligen Bundespräsidenten LÜBKE gerich- tet, initiiert die Einrichtung eines ‘Sachverständigenrates für Fragen der Um- welt und Landschaftspflege’, der „dafür Sorge tragen [soll], daß der Aufbau und die Sicherung einer gesunden Wohn- und Erholungslandschaft, Agrar- und In- 377 An die Qualifizierung der Ressource als knappes Gut im nachhaltigen Ressourcenschutz hat die Entwicklung der ökologischen Wirkanalyse angeknüpft. 230 dustrielandschaft gewährleistet wird“ [GRÜNE CHARTA 1961: 239]. ‘Landschafts- schaden’, ‘Rekultivierung ‘und ‘Flurbereinigung’ werden zu Themen, mittels derer der Ressourcenschutz innerhalb der Landespflege debattiert wird. Nach der Selbstwahrnehmung der Landespfleger, wie sie in den Fachzeitschriften zum Ausdruck kommt, reagiert die Profession auf die ‘Ansprüche’ der moder- nen Industriegesellschaft erstens mit Maßnahmen gegen die Landzerstörung durch die Industrie, zweitens durch Schaffung von natürlichen Erholungsräu- men und drittens durch die Sicherung der natürlichen Produktionsgrundlagen für die Industrie [vgl. AUTORiNNEN 1989: 149]. Zivilisationssteppe und Ausgleichsplanung Die gesellschaftlichen Veränderungen in den ländlichen Regionen und die sichtbaren Folgen im Landschaftsbild378 wurden von der Landespflege als Be- drohung der ‘gewachsenen Landschaft’ und Beeinträchtigung des Naturhaus- halts aufgefasst, die von ‘Stadt’ und ‘Industrie’ ausgingen, aber auch durch ‘ört- liche Bedürfnisse’ verursacht worden seien. „Die planlose Ausbreitung der Siedlungs- und Industrieflächen in die Landschaft, der Umbau der Flüsse zu reinen Verkehrswegen und Kraftquellen, der Verlust von Feld- und Waldflächen an entscheidenden Stellen und viele Maßnahmen in der Landschaft, die örtlichen Bedürfnissen des Augenblicks dienen, führen gebiets- weise zu schnell sich ausweitenden Landschaftszerstörungen“ [DEUTSCHER WERKBUND 1960: 6]. Mit dieser warnenden Botschaft richtete sich der Deutsche Werkbund an die Bundesregierung, von der mehr Kompetenzen und rechtliche Befugnisse für die Landespflege erwartet wurden. Die Warnungen ergänzt WALTER ROSSOW damit, dass wir „im Zeitalter des Verschwindens“ lebten, das dadurch charakte- risiert sei, „daß innerhalb einer Generation ein stellenweise gänzlich veränder- tes Aussehen der Landschaft eintritt“. Reste der „wenig berührten Natur“ ver- schwänden und die „Kulturlandschaft früherer Jahrzehnte ist nicht mehr vor- handen“ [ROSSOW 1961: 2]. „Ganze Provinzen aber verwandeln sich in einem rasenden Prozeß in eine Kultur- steppe. Hier ist nichts mehr in Ordnung, weder das Land noch die Stadt, noch die Menschen. Die Bezeichnung Zivilisationssteppe wäre wohl ein besserer Ausdruck“ [ROSSOW 1961: 2]. Das Wort ‘Steppe’ dürfte auch in den 1960er Jahren die Leser noch an den ‘Steppengeist der ostischen Völker’, von dem WIEPKING in der ‘Landschaftsfi- bel’ [1942] sprach, erinnert haben. Es wird von ROSSOW mit dem Begriff der Zi- vilisation verbunden, den er von dem der Kultur scheidet. Dieser Unterschei- dung liegt die alte Trennung zwischen deutscher Kultur und französischer Zivi- lisation zugrunde, wie sie seit dem 18. Jahrhundert von nationalkonservativen 378 „Seit Mitte der 50er Jahre kam es in Westdeutschland, mitten in einer Zeit denkbar günstiger Kon- junktur und steigender landwirtschaftlicher Umsätze, zum Brachfallen ausgedehnter landwirtschaftli- cher Nutzflächen. [...] Das Brachfallen war Folge eines sozialen Umschichtungsprozesses, dessen Wurzeln bis in die Anfänge der Industrialisierung zurückreichten und der zum irreversiblen Ausschei- den einer großen Anzahl von Neben- und Zuerwerbsbauern aus der agrarischen Sozialgruppe führte [...] Das Ausscheiden der Grenzertragslagen aus der Produktion wurde durch die politische Zielset- zung der Raumordnungspolitik der 50er und 60er Jahre, die nach einer Einbindung der ländlichen Re- gionen in den kapitalistischen Reproduktionsprozeß strebte, aktiv gefördert [...] Die Umstrukturierung der ländlichen Räume beschleunigte die Abwanderung aus der Landwirtschaft und führte zur Entste- hung von landwirtschaftlichen Intensivregionen und (Sozial-) Brachegebieten“ [BAUER 1995: 95]. 231 Kreisen vertreten wurde379. Das Wort ‘Zivilisationssteppe’ vereinigt in diesem Sinne zwei explizit ‘undeutsche’ Dinge, vor der es die Landschaft, die vor die- sem Hintergrund als ‘deutsche’ erscheint, zu bewahren gälte. Die Landschaft sei von den Kräften der Stadt und der Industrie bedroht [z.B. ROSSOW 1961: 2], die als selbstständig handelnde Subjekte auftreten: „Städte und Industrieanlagen vergrößern seit 100 Jahren ihre Flächenausdehnung in einem Maße, welches mit dem organischen Wachstum städtischer und gewerb- licher Anlagen vor dieser Zeit überhaupt nicht verglichen werden kann“ [ROSSOW 1961: 2]. Der Landespflege käme in dieser Situation eine besondere Aufgabe zu, die nicht darin bestehen könne, diese geschichtliche Entwicklung, die negativ auf das Land wirke, gänzlich zu stoppen, sondern dahin gehen sollte, sie sozial- und naturverträglich zu lenken, legt ROSSOW mit dem konstatierten Hand- lungsnotstand nahe. Denn bedroht sei die Landschaft durch die „planlose Aus- dehnung von Siedlungs- und Industrieflächen in das Land hinein“ [ROSSOW 1961: 4 - Herv. FL]. „Die Auswirkungen auf die Landschaft sind zerstörend; jedoch ist der Anlaß für die Zerstörung nicht etwa die bloße Tatsache der Ausdehnung städtischer und indus- trieller Anlagen und in ihrem Gefolge der Verkehrswege, sondern die Art und Wei- se, wie dieser Prozeß vor sich geht. [...] Es ist vielmehr die Art der Ausübung der Macht und der Kraft der Stadt gegenüber dem Land als ganze biologische Le- bensgemeinschaft, die für deren Bestand so gefahrvoll ist“ [ROSSOW 1961: 2]. Um die deutsche Landschaft nicht in eine „Zivilisationssteppe“ zu verwandeln und vor dem „den Niedergang des kulturellen Niveaus“ zu bewahren [ROSSOW 1961: 2], müsse auf die Art und Weise, wie die Industrialisierung voranschreitet, lenkend eingewirkt werden mit dem Ziel, eine Kulturlandschaft zu gestalten, die der ‘modernen Gesellschaft’ und dem ‘biologischen Gleichgewichtszustand’ angemessen sei. „Es besteht also die Aufgabe, eine Kulturlandschaft im neuen Sinn zu formen“ [ROSSOW 1961: 2]. ‘Es’ benennt die ‘Forderung der Zeit’, die Landschaft der Zukunft zu planen. Eine Formel, die immer wieder in der Landespflege erhoben wird, um die Landschaft neu zu gestalten380. Die Ausdrucksweise entspricht dem abstrahie- renden Sprachgebrauch der Landespfleger, die den grammatikalischen Satz- subjekten, die Gattungsbegriffe bilden, ein Handlungssubjekt zugrunde legen auch dort, wo sie keine einheitlichen Interessengruppen benennen. So komme der Landespflege die Aufgabe zu, zwischen den Ansprüchen der Landschaft und denen der Stadt zu vermitteln. Denn aus der Auseinandersetzung zwi- schen der Stadt und dem Land resultiere „Unordnung und Disharmonie, stän- dig anwachsend im Verhältnis Land-Stadt und Land-Mensch“ [ROSSOW 1961: 2], denen die Landespflege entgegenarbeiten müsse. 379 Der begriffliche Unterschied zwischen ‘deutscher Kultur’ und ‘französischer Zivilisation’ bildete sich Ende des 18. Jahrhunderts heraus [ELIAS 1938]. Die Entwicklung des Kulturbegriffs rekonstruiert BOLLENBECK [1998]. Der bildungsbürgerliche Kulturbegriff entspringt nicht dem religiösen ‘Kult’, sondern ist vom lateinischen ‘cultura’, dem Landbau, hergeleitet [BOLLENBECK 1998: 38f]. 380 Bis in die Gegenwart wird der Geist der Zeit von Landespflegern herbeizitiert, um ihren Forderun- gen Geltung zu verschaffen, wie z.B. bei LOHRBERG [2001] (siehe dazu Kapitel: ‘Gestaltung nachhaltiger Landschaften’ und zum Zeitgeist das Kapitel: ‘Leitbildnerei als Zeitgeisterei’). 232 „Die Aufgabe, die Stadt (auch als Begriff der Industrie und Technik) zum Land (auch als Begriff für Landschaft) in eine neue Ordnung zu bringen, ist zu lösen“ [ROSSOW 1961: 4]. Anfang der 1960er Jahre werden in der Landespflege Aufrufe zur aktiven Ges- taltung der Landschaft hinsichtlich der Ansprüche von Landschaft und Indust- riegesellschaft veröffentlicht [z.B. BUCHWALD 1961; GRÜNE CHARTA 1961; ZEVI 1962; CHABRAL 1962]. Auch ROSSOW fordert, dass die Landespflege, „um die natürlichen Aufgaben und Funktionen der Landschaft zu retten oder wieder- herzustellen“, ihre defensive Position aufgeben soll, um aktiver auf die Gestal- tung des Ausgleichs der Kräfte zwischen Stadt und Land hinzuwirken [z.B. ROSSOW 1061: 4]. Die Lösung sieht Rossow im rechtlichen Instrument des Landschaftsplans, der „als Grundlage für weitere Arbeit, als Skelett für Wirt- schaft, Siedlung, Flächennutzung“ dienen müsse [ROSSOW 1961: 4]. Mit der Er- stellung der Landschaftspläne solle die Landespflege als Anwältin der Land- schaft, der Subjektcharakter zugesprochen wird, agieren, um das Recht der Landschaft, die das Gesetz werden müsse, zu wahren381 [z.B. ROSSOW 1961: 4]. „Es ist nach dem Stand der Dinge wohl nicht zu leugnen, daß das Land einen An- walt braucht, ausgestattet mit Mitteln und Macht, um geistig den Boden zu berei- ten, bevor überhaupt etwas Reales geschehen kann. Ein Bewußtsein muß ge- weckt werden“ [ROSSOW 1961: 4]. Anstatt die Behauptung argumentativ zu begründen, verweist ROSSOW auf die scheinbare ‘Evidenz des Faktischen’, die als anonym-autoritäres ‘Es ist’ (so) daherkommt. Diese Bewusstseinbildung sei nötig, weil „das Leben in unseren landfeindlichen Städten [...] zu einer Entfremdung der Stadtmenschen von Na- tur und Landschaft“ geführt habe, aus der ein „antibiologisches Verhalten“ re- sultiere, „bei dem der verlorene Instinkt noch nicht durch ein an seine Stelle getretenes Bewußtsein ersetzt“ worden wäre [ROSSOW 1961: 2]. Die Landes- pflege vertritt damit weiterhin ein Kulturprogramm, das sowohl auf eine Gestal- tung des Raums als auch des Bewusstseins abzielt. Die landespflegerische Kulturindustrie produziert die Bedürfnisse, die sie zu befriedigen vorgibt, indem sie auf das Bewusstsein der ‘Konsumenten’ mittels Propaganda einzuwirken versucht382. Im landespflegerischen Schrifttum ent- wirft sie dazu Bilder des Landes, das darin als von der Technik bedrohte Land- schaft erscheint, die sie zugleich zu retten vorgibt. Das entworfene Image dient ihr als Realität, mittels dem sie weitere Folgerungen ableitet. Aus dem angebli- chen Bedürfnis der Menschen nach Natur und Landschaft zieht sie die Schlussfolgerung, dass hier ein Sachzwang vorliege, auf den die Landespflege adäquat reagieren könne. Über diese Behauptung wird die Landespflege als notwendige Einrichtung dargestellt, eine Machtausweitung für sie angemahnt und dirigistische Maßnahmen nahegelegt. Um die ‘objektive’ Notwendigkeit der Landespflege in der Gesellschaft zu verankern und für die landespflegerischen Maßnahmen die gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und zu erhöhen, sei es notwendig, in der Bevölkerung ein Bewusstsein für den ‘Landschafts- verbrauch’ zu wecken. An diesem Bewusstsein, das als ‘öffentliche Meinung’ 381 Der Landespfleger als ‘Anwalt von Natur und Landschaft’ wird im neuen Bundesnaturschutzgesetz (2002) wieder aufgenommen, wenn der ‘eigene Wert von Natur und Landschaft’ erwähnt wird [BNatSchG 2002: §1]. 382 Siehe dazu das Kapitel: ‘Landespflege als Kulturindustrie’. 233 erscheint, knüpfen wiederum die landespflegerischen Experten an, um die drohende ‘Landschaftszerstörung’ abzuwenden, nicht durch einen Abbau der Technik und Industrie sondern durch den technischen und organisatorischen Ausgleich, der eine technokratische Lösung anstrebt. Der „Ausgleich zwischen Technik, Wirtschaft und Natur“ gehört zur Programmatik der ‘Grünen Charta von der Mainau’. „Auch Technik und Wirtschaft sind unerläßliche Voraussetzungen unseres heuti- gen Lebens. / Die natürlichen Grundlagen von Technik und Wirtschaft können weder willkürlich ersetzt noch beliebig vermehrt werden. / Deshalb ist es notwen- dig, gemeinsam die Lage zu überprüfen, zu planen, zu handeln, um den Ausgleich zwischen Technik, Wirtschaft und Natur herzustellen und zu sichern“ [GRÜNE CHARTA 1961: 239]. Die generalisierte Nennung von „Technik und Wirtschaft“, ohne differenziert darzustellen, welche spezifischen Techniken und welche Wirtschaftsweise in der jeweiligen historischen Situation einer bestimmten Gesellschaft dominant sind und welche unerwünschten Folgen für wen hieraus resultieren, führt dazu, dass die Technik und die Wirtschaft als alternativlose Gegebenheiten wahrge- nommen werden und allein der Ausgleich zwischen den Abstrakta eine Lösung verspricht [VETTER/STOLZENBURG 1983: 16]. „Hieraus resultiert, daß mit dem Verzicht auf Differenzierung von Formen der ‘Me- chanisierung’, welche einesteils die ‘tägliche Umwelt in der Stadt und Land ... be- drohen,’ und anderenteils solchen, welche keine Bedrohung darstellen, keine Al- ternative zur Beschränkung der landschaftsplanerischen (-ökologischen) Ziele auf Ausgleichsfunktionen zu der ‘Mechanisierung’ denkbar ist. Denn niemand wird den erreichten Stand der Emanzipation des Menschen und der Einschränkung der Natur als Produktionsgrundlage durch technische Entwicklungen mit einer Kritik der ökologischen Schattenseiten der industriellen Entwicklung in Frage stellen wollen“ [VETTER/STOLZENBURG 1983: 16f]. Die Landespflege übernahm in dieser diskursiven Situierung die Aufgabe, die Industrialisierung ‘sozialverträglich’ in die Gesellschaft einzubinden, womit sie das kulturpolitische Ausgleichsprogramm fortsetzt, das eine symbolische Ver- söhnung zwischen praktischen Interessensgegensätzen betreibt, die als ästhe- tische Harmonie präsentiert wird. Die Ausgleichsplanung und die zunächst noch angestrebte gesetzliche Eingriffs-Ausgleichs-Regelung bilden seit den 1960er Jahren den Kern der landespflegerischen Praxis. „Im Konfliktfeld zwischen gesamtstaatlichem Innovationsinteresse und der Bedro- hung und Vernichtung traditioneller Landes- und Landwirtschaftskultur stellte sich die Landschaftsplanung die Aufgabe, den Ausgleich der Interessen durch Planung zu koordinieren“ [KRAUSS/SCHÜRMEYER 1987: 177]. Diese Koordination fand während des ‘Wiederaufbaus’ zunächst in der land- schaftlichen Einbindung von Industrie, Verkehr und Stadt ein Aufgabenfeld, das sie mit einer ästhetischen Herangehensweise bearbeitet [AUTORiNNEN 1989: 324ff]. Die Grünplanung reagiert auf den Zeilengeschosswohnungsbau mit dem Rückgriff auf das ‘sanitäre Grün der Städte’ [vgl. WAGNER 1914], das den Lohnabhängigen in ihrer Freizeit als Ausgleich zum industriellen Arbeitsleben dienen soll [AUTORiNNEN 1989: 237]. Mitte der 1950er Jahre entdeckt die Lan- despflege das ‘Problem’ der ‘Erholung in der Industriegesellschaft’, dem sie mit 234 der Einrichtung von Naturparken abhelfen will383 [JÄGER 1988: 131, 140f; AUTO- RiNNEN 1989: 149, 222f, 326]. Der Natur wird „eine wichtige Bedeutung für Ge- sundheit und Erholung der städtischen Bevölkerung zugeschrieben“ [AUTORiN- NEN 1989: 149], woraus für den Naturschutz die Sicherung und der Erhalt von ‘natürlichen Landschaften’ als ideelle und lebensnotwendige Ressource der Menschen abgeleitet wird. In ihrem Selbstverständnis ermöglicht die Landes- pflege die Befriedigung des grundlegenden Bedürfnisses des Menschen nach ‘Natur’, das angesichts der Industrialisierungsfolgen besonders zu berücksich- tigen sei [STOLZENBURG/VETTER 1983: 34; AUTORiNNEN 1989: 236]. Neben den herkömmlichen Naturschutz, der sein konservatives Programm zeitgemäß mo- dernisiert hat, tritt der physische Ressourcenschutz, der die natürlichen Hilfs- quellen der Industrie nachhaltig sichern soll [AUTORiNNEN 1989: 223, 230]. Die Debatte um den Ressourcenschutz wird auf die Frage nach der technischen Verfügbarkeit und Reproduzierbarkeit der gefährdeten Ressourcen reduziert, „weil man nur mit dem Verzicht auf die Frage der Verantwortlichkeit industriel- ler Produktionsstrukturen für die befürchteten Zerstörungen einen Ausgleich gegen die ‘Mechanisierung’ postulieren kann“ [VETTER/STOLZENBURG 1983: 19]. „Die Diskussion um die naturbürtigen Grundlagen gibt sich interessenneutral, ist es im wesentlichen aber nicht. / Es geht vornehmlich um die Erhaltung von indus- triellen Produktivkräften, gleich welcher Art sie sein mögen; und zwar einmal als Grundlage für die Reproduktion der Arbeitskraft und zum anderen in der techni- schen Seite der Produktion, in der Diskussion um die Ressourcen“ [VETTER/STOLZENBURG 1983: 19]. Die Debatte um den Landschaftsschaden Die Debatte um die Landzerstörung legt nahe, die Nachhaltigkeit im Ressour- censchutz vom Begriff des ‘Landschaftsschadens’ her zu erläutern, der in den 1950er und 60er Jahren in der Landespflege populär war. In der Debatte um den Landschaftsschaden gehen Landespfleger davon aus, dass der Land- schaftsschaden die Landschaft an sich beträfe, an der er erkennbar sei [HÜLBUSCH 1967]. Von der landespflegerischen Profession wird verkannt, dass Schaden ein wertbezogener Begriff ist, der nicht in der Sache selbst liegen kann; vielmehr setze die Konstatierung eines Schadens eine Wertgebung vor- aus, erläutert HÜLBUSCH. „Die Vorstellung, daß einer Sache, einem Ding ein Schaden entsteht, hängt unmit- telbar ab von dem Wert, den der Mensch dieser Sache zumißt, Schaden erweist sich somit als die Spanne zwischen Wunsch (Sollvorstellung) und Wirklichkeit im Abweichen von einer ehemals vorhandenen oder besseren Übereinstimmung, be- nennbar nur im Rückgriff auf eine erfahrene, d.h. historische Wirklichkeit. Scha- den ist immer die Verringerung des Nutzens, die eine Sache hinsichtlich eines Anspruchs bot. [...] Der Schaden ist aber nur in Hinsicht auf ökonomische und po- litische Maßstäbe nachweisbar, d.h. der Schaden ist an den Dingen selbst nur als Wandlung zu erkennen und existiert damit an den Dingen für sich nicht. Der Beg- riff ist somit nur ökonomisch-politisch sinnvoll anwendbar“ [HÜLBUSCH 1967: 28f]. Die Landespflege gibt Soll-Vorstellungen, die allerdings nicht als politische Forderung formuliert werden, sondern der Landschaft an sich entnommen sei- en, „was in der Anwendung verabsolutierender Adjektive wie ‘naturnah’, ‘na- turgemäß’, ‘menschengerecht’, ‘art-’ und ‘landschaftsgemäß’ zum Ausdruck 383 Zur Rolle der Naturparkplanung in der Landespflege siehe JÄGER [1988: 165-204]. 235 kommt“ [HÜLBUSCH 1967: 29]. Dass ein Basaltkegel abgebaut wird, schadet so- wenig der Natur, wie der Vulkanausbruch, aus dem er hervorgegangen ist, ihr geschadet hat. Was durch den Basaltabbau an der Sache verändert wird, ist ihre Gestalt und der Naturhaushalt, ohne dass ihr selbst eine Wertveränderung geschweige -minderung geschähe. Die Bewertung der Veränderung des Na- turmoments entstammt der anthropogenen Wertgebung. Wird diese überse- hen, gerät die Debatte um den ‘Wert der Natur’ in die naturschützerische Pa- radoxie, unterschiedliche Schutzgüter als Naturwerte gegeneinander abzuwä- gen und eine Natur erster Klasse gegen eine Natur zweiter Klasse zu verteidi- gen [HARD 1992: 15]. Wie am Beispiel der ‘ökologischen Wirkanalyse’ gesehen, folgt die Festsetzung der relevanten Naturmomente, die in die Analyse und Kalkulation eingehen, einer ökonomischen Formbestimmung. Die Landespfle- ger entwerfen ökologische Leitbilder, deren scheinbar naturwissenschaftlich bestimmten Schutzgüter ökonomischen Verwertungsinteressen unterliegen. „Damit sollen offenbar Wertkonstanten gesetzt werden, die eine Relativität aus- schließen. Die älteren Aussagen sind überaus stark an ästhetischen Anschauun- gen orientiert, die Schönheit und Harmonie (formale) in der Urtümlichkeit, Unbe- rührtheit, Naturhaftigkeit sehen. Sie wollen gleichzeitig unter dieser ästhetischen und physiognomisch wahrnehmbaren Voraussetzung biologisches Gleichgewicht, Gesundheit und Ordnung gewährleistet wissen“ [HÜLBUSCH 1967: 29]. In Schriften aus den 1960er Jahren tritt neben die ästhetische eine ökologische Betrachtungsweise, die den Menschen als umweltgebundenes Wesen und Teil des Ökosystems sieht z.B. bei BUCHWALD [1964: 229]. Später ist aus dieser Sichtweise die ökologische Wirkanalyse entwickelt worden. „Ausgehend von fundierten Erkenntnissen und Fragestellungen über den Land- schaftshaushalt, die Ökologie, aber auch die Ökonomie und gipfelnd in der Frage nach der Beanspruchung, Belastbarkeit und Nachhaltigkeit der Landschaft ver- mögen es die Autoren nicht, die sozusagen traditionellen Thesen – wie um einen Bruch der ideengeschichtlichen Kontinuität zu vermeiden – zu überwinden. Im- merhin werden die Sollvorstellungen konkreter benannt und stärker in den aktuel- len Zusammenhang gestellt. Die Beibehaltung eingebürgerter Argumentationen jedoch läßt die neugewonnene wissenschaftlichere Haltung nicht eben klar hervor- treten“ [HÜLBUSCH 1967: 30]. Die „Nachhaltigkeit der Landschaft“ wird von der landschaftsökologisch orien- tierten Landespflege im Naturhaushalt aufzuweisen versucht. Die Ontologisie- rung der Anschauungsmetapher ‘Landschaft’ zur materiellen Einheit, führte in der Geographie und Landespflege zum Forschungsgegenstand ‘Landschaft’, der als ganzes zu untersuchen sei. Diesem Gegenstand sind mit der Ideologi- sierung der Landschaft, die auf ästhetischer Ebene als Symbol eines harmoni- schen Gesellschaftszustandes fungiert, Werte eingeschrieben worden, die im materiellen Gehalt der Landschaft zu liegen scheinen. Verbunden mit der Ver- wissenschaftlichung der Landespflege ist die Erwartung, aus den ‘objektiven’ Ergebnissen direkte Handlungsanweisungen ableiten zu können, die der ganz- heitlichen Landschaft gemäß ebenso allumfassend sein müssten. Die Landes- pflege sei eine ‘ökologische Raumordnung’ schreibt BUCHWALD [1964: 229]. 236 „Daß in der Landespflege und damit auch in der Landschaftspflege dieser Total- anspruch immer wieder vorgetragen wird, entspricht einem folgenreichen Miß- verständnis. Denn wie bereits erwähnt, wird ‘Landschaft’ als Wert an sich erach- tet“ [HÜLBUSCH 1967: 44]. Das ‘Missverständnis’ der Landespflege sollte nicht als historische Zufälligkeit abgetan werden, da für es ideengeschichtliche und handfeste ökonomische Gründe aufweisbar sind, die in dieser Epoche spezifisch wirksam werden. Die Industrialisierung im Spätkapitalismus basiert auf einer zunehmenden staatli- chen Interventionspolitik, um die ökonomischen Bedingungen für einen sozial befriedeten Kapitalismus (soziale Marktwirtschaft) zu stabilisieren [HABERMAS 1968: 74, 77, 79; MANDEL 1973: 438f, 445f]. Über den ‘Fordismus’ sollen die Lohn- arbeiter an dem gesellschaftlichen Reichtum partizipieren und über den ‘Key- neanismus’ durch staatliche Investitionen die wirtschaftliche Tätigkeit der Un- ternehmer gefördert werden. Technik und Wissenschaft, bislang Momente der Produktivkraftentwicklung, werden zum Bestandteil der Ideologie [HABERMAS 1968: 81f]. Auf den wirtschaftspolitischen Interventionismus reagiert die Lan- despflege mit dem Anspruch, die Industrialisierung zu gestalten und ihre Fol- gen auszugleichen. „Im Kommentar zur ‘Grünen Charta von der Mainau’ werden die Sollvorstellungen an vorgeblich ökologischen Prämissen orientiert. ‘Erhaltung und Wiederherstel- lung eines gesunden Naturhaushalts’ (Kühn 1961) ist eines der vorgetragenen Begehren, das auch von anderen Autoren (Kragh 1965, Dittrich 1959 u. Buch- wald) unterstützt wird. Doch der wesentlich neue Gesichtspunkt ist die Bezug- nahme auf die Landschaft als Standort mit einem bestimmten Potential (Entwick- lungsbereitschaft) bzw. ihre Tragfähigkeit für die Nutzung durch den Menschen [...] Der Schaden wird nicht mehr pauschal bezeichnet, sondern der Standort hin- sichtlich eines anthropogenen Nutzungsanspruchs auf die mögliche Erfüllung desselben betrachtet“ [HÜLBUSCH 1967: 30, 34]. Landschaft ist somit nicht nur um ihrer ‘natürlichen Schönheit’ willen zu schüt- zen, auch ihr ‘natürlicher Nutzwert’, macht sie erhaltenswert. Durch die Einbe- ziehung von nutzenorientierter Kriterien in der landespflegerischen Betrach- tung wird Natur- und Landschaftsschutz zum Ressourcenschutz, der über die Sicherung des Naturhaushalts gewährleistet werden soll. Die Verfügbarkeit und Sicherung anorganischer Ressourcen wurde für die industrielle Produktion und ihre Ausweitung relevant, da die Ablösung der Produktion von der Agrar- wirtschaft bzw. der Transformierung der Bauernwirtschaft zur Landwirtschaft, die vermehrt externe Produktionsmittel einsetzt, große Mengen an Energieträ- ger und Rohstoffe benötigt [LEDERMANN 1989: 6-13; GEHLKEN 1995: 276-282]. „Heute besteht eine sehr starke Abhängigkeit – im Gegensatz zu Kulturen, die auf der Basis der Primärproduktion existieren – der industriellen Produktion und der zivilisatorischen Ansprüche vom anorganischen Angebot der Natur, das frei macht von den pro Jahr zuwachsenden Energien. Einige anorganische Elemente (Was- ser, Luft) sind nach Qualität und Quantität ‘Mangelware’, die für den weiteren Fortschritt große Bedeutung haben. Da sie nicht ohne weiteres verfügbar und vermehrbar sind, wurden Überlegungen angestellt, wie weit und mit welchen Mit- teln sie zu beeinflussen sind. Ergebnis war die Einsicht, daß zumindest die Konti- nuität des Angebots am billigsten und nachhaltigsten durch die ‘Anwendung natür- licher Kräfte’, wie sie in der Naturlandschaft ausgeprägt sind, erreicht werden kann. Hier wird ein neues Moment der Technik sichtbar. Der gezielte und planmä- 237 ßige Einsatz naturlandschaftlicher Abläufe ist ebenfalls eine Technik, deren Wert an der Nachhaltigkeit, die auch ein ökonomisches Kriterium ist, gemessen wird“ [HÜLBUSCH 1967: 15]. Die Nachhaltigkeit, wie sie in der Debatte um den Landschaftsschaden hervor- tritt, ist letztlich eine ökonomische Kategorie, die in Deutschland während des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg im Sinne des Erhalts natürlicher Res- sourcen für die weitere Industrialisierung verstanden wurde. „Die Ökologie der Kulturlandschaft ist nach ökonomischen Gesichtspunkten – o- der generalisiert in Bezug zu menschlichen Zielsetzungen – für die Maßnahmen und den Aufwand zur Erfüllung derselben ein wichtiger Faktor. [...] Der ökonomi- sche Eingriff in ein System verursacht eine Änderung. Wie und in welche Richtung ein Ökosystem sich verschiebt, ist für das zu erreichende Ziel eminent wichtig, weil davon auch der Aufwand zur Erhaltung einer neu geschaffenen Leistungsfä- higkeit abhängt. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, wie ein Ökosystem verändert und stabilisiert werden kann. Diese grundsätzliche ökologische Prob- lemstellung, deren Beantwortung zu den Aufgaben der Landschaftspflege zählt, ist dann andererseits für die Durchführung und vor allem für die nachhaltige Erhal- tung von ökonomischer Bedeutung“ [HÜLBUSCH 1967: 26]. Unter dem Leitbild des nachhaltigen Ressourcenschutzes geht es der Landes- pflege um die Leistungsfähigkeit des Ökosystems für die ökonomische Verwer- tung und unter diesem Gesichtspunkt um den dauerhaften Erhalt jener Leis- tungsfähigkeit. Anstatt dies zu benennen, wird der Schaden von der Landes- pflege im Landschaftshaushalt verortet. Um den Kern der Debatte über den Landschaftsschaden nochmals klarzustellen, sei daran erinnert, dass der Schaden nicht in der ‘Landschaft’, sondern bei den Landespflegern liegt. „Wie bereits dargestellt wurde, kann es einen ‘Landschaftsschaden’ an sich nicht geben. Der Schaden ist nur im Zusammenhang mit einem anthropogenen An- spruch und somit nur als ökonomischer Sachverhalt nachweisbar. Wenn Dinge sich ändern, ist dies kein Schaden an sich, sondern zunächst ein objektiver Tat- bestand. Als Schaden kann dieser nur dann verstanden werden, wenn die verän- derte Sache einem menschlichen Anspruch weniger genügt als vor der Änderung“ [HÜLBUSCH 1967: 43]. Die Rede vom Landschaftsschaden verlegt eine polit-ökonomische Diskussion in die fragliche Sache selbst, um Interessenkonflikte zu verdecken und be- stimmte Interessen als natürliche erscheinen zu lassen. Diese argumentative Strategie eines ‘naturalistischen Fehlschlusses’ ist der Landespflege und be- sonders dem Naturschutz eigentümlich [STOLZENBURG 1996: 301]. So forderte der Deutsche Werkbund, dass die Landschaft das Gesetz werden soll, nach dem sich die politischen Entscheidungsträger zu richten hätten [z.B. DEUTSCHER WERKBUND 1960: 6]. Unter dieser Ansicht können dann aus dem ‘Naturpotential’ quasi rechtliche Handlungsanweisungen abgeleitet und Nut- zungen vorgeschrieben werden, wie in den Forderungen des Deutschen Werkbundes formuliert: „2. Aufstellen einer Landschaftsbilanz für das ganze Land, also des Bestandes der Flüsse, Bäche, Seen, Gewässer, des Waldes, der Äcker und der Wiesen, der Besiedlung und sonstigen Flächen; auf Grund dieser Bilanz sind die biologisch noch gesunden und die biologisch bereits geschädigten Gebiete festzustellen. 3. Aufstellen eines Landschaftsleitplanes für das ganze Land aus den Ergebnis- sen dieser Bilanz für die sinnvolle Nutzung der Naturkräfte, des Bodens, des Wassers und für die Bebauung; überregionale Ordnung von Industrie, Landwirt- 238 schaft, Waldbau, Wasserwirtschaft, Siedlungsgebieten, Erholungslandschaften usw.“ [DEUTSCHER WERKBUND 1960: 6]. Diese Forderungen laufen auf die von BUCHWALD entwickelte Totalerhebung der Landschaftsfaktoren hinaus384 [vgl. RUNGE 1990: 181f], die in der ökologi- schen Wirkanalyse operationalisiert wurden. Nachhaltigkeit als Ressourcenschutz „Es stehen sich gegenüber die Interessen von Stadt und Land, [...] die ausgetra- gen werden im Raume unserer Landschaften auf den Grundlagen von Boden und Wasser, ohne Rücksicht [...] auf den Rohstoff Landschaft“ [DEUTSCHER WERKBUND 1960: 6 – Herv. FL]. Hinter den nicht benannten „Interessen von Stadt und Land“ stehen die Zuwei- sungen der (städtischen) Landespfleger, die Kapitalverwertung und der Natur- schutz. Der Widerspruch ist fiktiv, dient aber nichtsdestoweniger der Alimenta- tion der Landespflege als Anwalt der Landschaft. Mit der Landschaft als Roh- stoff (Ressource) tritt eine neue Bedeutung im Landschaftsbegriff hinzu, die sowohl von der in der konservativen Natur- und Heimatschutzbewegung vor- herrschenden Auffassung von der Landschaft als Symbol kultureller Identität, als auch vom völkischen Denken, dem gemäß Landschaft als Ausdruck des Volksgeistes erschien, zunächst deutlich unterschieden ist – dennoch beruht auch diese neue Fassette der Landschaft auf dem modernen Landschaftsbeg- riff, der weiterhin als ideell-materielle Dublette fungiert385. Die erwähnte Neu- formulierung des landespflegerischen Programms reduziert Landschaft auf ihre ‘wissenschaftlichen’ Inhalte, so dass sie in ihren Komponenten unter der Per- spektive der Industriegesellschaft als Ressourcenpool erscheint. Boden, Was- ser, Luft, Bodenschätze, Erholungseignung erscheinen hinsichtlich ihrer öko- nomischen Inwertsetzbarkeit, die von der industriellen Produktion dominiert wird. „Die bereits als passiv bezeichnete Rolle des Landes in dieser Auseinanderset- zung [zwischen Stadt und Land] ist dies in vielfachem Sinn, nicht nur als Rohstoff- und Flächenlieferant, sondern auch im Sinne der Unterlegenheit in der wirtschaft- lichen Produktivkraft je qm Flächeneinheit. [...] Die Produzenten auf dem Land, die Bauern, Gärtner und Förster, welche ihren Lebenserwerb aus der Urprodukti- onskraft des Bodens beziehen, befinden sich zur Zeit in einer Art technischem Nachholezustand“ [ROSSOW 1961: 2 – Einf. FL]. Dennoch ließe sich die Produktivität der Primärproduktion nicht unbegrenzt steigern, sowenig wie die industrielle Produktion, da sie auf endliche Ressour- cen angewiesen seien. Die natürlichen Ressourcen befänden sich im Zustand der Knappheit (z.B. ROSSOW, GRÜNE CHARTA). Das Verhältnis zwischen Mensch, Industriegesellschaft und Landschaft fasst BUCHWALD in dem Aufsatz ‘Der Mensch in der Industriegesellschaft und die Landschaft’ aus Sicht der Landespflege zusammen [z.B. BUCHWALD 1961]: 384 Zur politischen Funktion der Totalerhebungen und Biotopkartierungen siehe die kritischen Anmer- kungen von SCHNEIDER [1989: 34, 92ff]. 385 Weiterhin zeigen sich Kontinuitäten im modernen Landschaftsbegriff, wie KÖRNER sie für die wis- senschaftlich-ökologischen Transformation der Landespflege in der BRD nachgewiesen hat [vgl. KÖRNER 2001: 426-430]. 239 „Buchwald legt die Notwendigkeit der Reproduktion von Naturpotentialen einer- seits und des Menschen in seiner Freizeit mittels des Erlebens der Natur anderer- seits als Voraussetzung der Effizienz des Industriesystems dar“ [KÖRNER 2001: 99]. Mensch und Natur gelten als erhaltenswerte Ressourcen für die industrielle Verwertung der naturbürtigen Produktiv- und Arbeitskraft. Die Landespflege sei für die nachhaltige Sicherung dieser Ressourcen zuständig. Die Landschaft wird mit ihren Bestandteilen als endliche Ressource aufgefasst, die anthropo- genen Ansprüchen unterläge, die wiederum auf ihre Tragfähigkeit wirkten. Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang die Reproduktion natürli- cher Potentiale für die industrielle Gesellschaft. „Noch nie hat es in Mitteleuropa eine solche Überforderung der Landschaft als Lebensraum gegeben und eine solche Überlastung oder sogar Zerstörung der na- türlichen Lebensgrundlagen – Wasser, Luft, Boden und natürliche Pflanzendecke – wie heute“ [BUCHWALD 1961: 229 – kursiv im Orig.]. Am Horizont der Zeit erscheint das Menetekel der ‘Naturkatastrophe’, da die geschichtlich neue Größe der Landnutzung eine Grenze erreicht hätte, die die Tragfähigkeit der Landschaft, ihre natürliche Reproduktionsfähigkeit gefährde. Diese Gefährdung wird nicht allein dem industriellen Ressourcenverbrauch zugeschrieben, sondern dieser als Folgeproblem des natürlichen Bevölke- rungswachstums angesehen. Ähnlich wie der Hunger und zunehmende Hun- gertod der Menschen in der Dritten Welt mit einer ‘natürlichen Bevölkerungs- explosion’ begründet wurde, anstatt die Zerschlagung der lokalen Ökonomien und traditionalen Sozialgefüge durch den Kolonialismus und Imperialismus zu erwähnen [vgl. POLANY 1944: 219ff], wird der Ressourcenverbrauch ‘naturalisiert’ [vgl. DAVIS 2004]. Durch diese Problembeschreibung wird eine technokratische Lösung des Problems nahe gelegt. „Die Landschaft mit ihren natürlichen Faktoren Boden, Wasser, Luft, Klima und Pflanzendecke hat nur eine bestimmte Tragfähigkeit hinsichtlich der Zahl der Menschen, sie verträgt nur einen bestimmten Bevölkerungsdruck“ [BUCHWALD 1961: 234 – kursiv im Orig.]. Auch in anderen landespflegerischen Schriften wird die demographische Ent- wicklung als Problem wahrgenommen, das die Landschaft gefährde [vgl. ROSSOW 1961: 2], obgleich die Bevölkerung in der BRD schon in den 1960er Jahren sank386. Der Bevölkerungsdruck zeige sich nicht nur in dem höheren Ressourcenbedarf der Industrie und von privaten Haushalten, sondern auch im gestiegenen Erholungsbedürfnis der Städter, die in ihrem Alltag einer techni- schen Welt ausgesetzt seien. Diese wirke umso stärker auf den Menschen, als er durch die moderne industrielle Großstadt den Bezug zur Landschaft verlo- ren hätte und den natürlichen Rhythmen der Tages- und Jahreszeiten, der Stil- le und frischen Luft durch Arbeit, Lärm, Stress entfremdet würde [z.B. BUCHWALD 1961: 230]. „Der Mensch unserer Zeit, insbesondere der Mensch unserer Städte, ist in eine technische Umwelt gestellt, an die er nicht angepaßt ist und die Anforderungen an 386 Diese Wahrnehmung hängt wahrscheinlich mit den Berichten von Hungerkatastrophen in der Drit- ten Welt zusammen, die in der Propaganda der Industrienationen auf die Naturausstattung zurückge- führt wurde. ‘Überbevölkerung’ erscheint nicht nur in landespflegerischen Schriften als ein Naturgesetz der Populationsbiologie. Die Theorie von der natürlichen Tendenz zur Überbevölkerung und Hungers- not wurde von THOMAS MALTHUS erfunden. 240 seinen Organismus stellt, die dieser vielfach mit Fehlleistungen beantwortet“ [BUCHWALD 1961: 230]. Die Wirkungen der Industriegesellschaft auf Natur und Landschaft wirkten auf den Menschen zurück, indem seine Gesundheit leide387 [z.B. BUCHWALD 1961: 229]. Die gestiegene Krankenziffer und Frühverrentung in den 1950er Jahren mindere die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der gesamten Arbeit- nehmerschaft [z.B. BUCHWALD 1961: 230]. Das wiederum bedrohe die Volkswirt- schaft. „Auf keinen Fall kann sich auf die Dauer ein Volk einen solchen Verlust an seiner produktiven und vor allem an seiner geistigen Substanz leisten, wie wir ihn in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik erlitten haben“ [BUCHWALD 1961: 231 – kursiv im Orig.]. Der medizinische wie moralische Begriff der ‘Gesundheit’ verbindet die wis- senschaftliche und utilitaristische Argumentation mit der kulturkritischen Pro- grammatik der Landespflege, die die Gesundheit von Mensch und Landschaft erstrebe. Gesundheit betrifft nicht nur das individuelle Wohlbefinden, vielmehr wird sie zur Volksgesundheit verallgemeinert und damit eine objektive Norm für Gesundheit bzw. Krankheit postuliert – gemessen an Wertschöpfung und Pro- duktivität der Arbeitskraft. Gesundheit benennt die uneingeschränkte Leis- tungsfähigkeit, die an der Funktionsweise des Organismus beschrieben wird. Ist die Rede von einer objektiven Gesundheit sozial anerkannt, liegt es nahe, diese auf andere Gegenstände, die ebenso wie Menschen als Organismen beschrieben werden, zu übertragen. Die ‘Landschaft’ kann dann nicht nur in den Funktionen für den Menschen (z.B. Erholungs- und ökonomische Funkti- on) im metaphorischen Sinne als gesund erscheinen, sondern auch an sich selbst, wenn sie als funktionsfähiger Organismus aufgefasst wird. Unter dieser Perspektive wäre eine Landschaft ‘gesund’, wenn ihr ökologischer Naturhaus- halt funktioniert bzw. stabil ist. Da er immer funktioniert, kann unter dem ökolo- gischen Aspekt eine ‘Landschaft’ nicht krank sein, d.h. eine ‘gesunde Land- schaft’ ist ein Pleonasmus. In einem gewissen Sinne sinnvoll wird die landes- pflegerische Rede von der ‘gesunden Landschaft’ aber unter dem Aspekt der ‘schönen Landschaft’, auf der die Landschaft der Landespflege basiert. Schönheit gilt als Kennzeichen für die Gesundheit einer Landschaft, die har- monisch erscheint [HÜLBUSCH 1967: 42; HARD 1991: 14]. In dem Begriff der ‘ge- sunden Landschaft’ scheinen somit ökologische und ästhetische Qualitäten einander zu entsprechen, so dass von der Physiognomie der Landschaft auf deren Ökologie geschlossen werden dürfe. Daher gelten „gesunde, schöne Landschaften“ als nachhaltig leistungsfähig [z.B. BUCHWALD 1961: 231]. Die An- forderungen der Industriegesellschaft an die Landschaft als Ressource und Erholungsraum überforderten sie und ihre Tragfähigkeit [z.B. BUCHWALD 1961: 238], sie erschiene nicht mehr als schöne Landschaft. „Damit gewinnen die Arbeitsgebiete der Landespflege: Naturschutz, Landschafts- pflege und Grünplanung eine sehr ernste soziale Bedeutung für die Wohlfahrt der Großstadtmassen wie für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Landschaft. 387 Aus der Perspektive des Jahres 2006 aus betrachtet können wir feststellen, dass die seit einigen Jahren sinkende Krankenziffer in der BRD weniger ein Erfolg der Landespflege und gesunder Lebens- räume ist als eine Folge der Angst der Arbeitnehmer, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. 241 [...] Nur in gesunden und geordneten Lebensräumen können gesunde und glückli- che Völker aufwachsen und bestehen!“ [BUCHWALD 1961: 238]. Die ‘Volksgesundheit’ dient der nachhaltigen Leistungsfähigkeit des Volkes, dessen ‘Angehörige’ sich in der Freizeit von den krankmachenden Arbeitsbe- dingungen erholen sollen, wodurch die Reproduktion der Arbeitskraft in der Erholung auch die Wiederherstellung der Gesundheit als physische und psy- chische Grundlage der Arbeitskraft388 umfasst [VETTER/STOLZENBURG 1983: 19]. Im Sinne der Ausgleichsideologie fordert die Landespflege, anstatt gegen die gesundheitsbelastenden Bedingungen am Arbeitsplatz vorzugehen, Möglich- keiten zur Gesundung außerhalb der Arbeit. Hiermit akzeptiert sie nicht nur jene krankmachenden Lebensumstände, sondern rechtfertigt sie als aus- gleichbare. Der Freizeit- und Erholungsbegriff der Landespfleger ist auf die ka- pitalistische Produktionsweise fixiert [VETTER/STOLZENBURG 1983: 43, 45]. KÖRNER weist auf die kulturkritische Semantik von ‘Gesundheit’ und des lan- despflegerischen Topos der ‘gesunden Landschaft’ hin. „Buchwald argumentiert zwar insofern rational, als er sich auf die leibliche Ge- sundheit der Menschen bezieht, übt aber im wesentlichen eine ästhetische Kritik am Sinndefizit der Moderne. In Kombination mit dem Aspekt umfassender Ge- sundheit gerät diese Kritik zur Forderung nach einer Einheit der Menschen als Na- turwesen mit der autochthonen Natur [...] Das Sinndefizit scheint [in dieser Einheit] behoben zu sein, denn die Gesundheit als sittlicher Wert begrenzt das menschli- che Streben und verleiht ihm eine Richtung, so daß Sinn und Transzendenz bio- logisch definiert werden. Ästhetisches Symbol dieses Sinnkonstrukts ist die ‘ge- sunde’, weil ‘unberührte’ Naturlandschaft; als landespflegerisches Programm ist diese ‘Gesundheit’ und ‘Unberührtheit’ eine Angelegenheit ökonomisch sinnvoller Entwicklung“ [KÖRNER 2001: 114 - Einf. F.L.]. Die organische Gesundheit wird von der Medizin auf die Moral übertragen, so dass ein Gemeinwesen oder soziales Verhalten metaphorisch als ‘sittlich ge- sund’ bezeichnet werden kann. Durch diese Übertragung wird ein sozialer Wert mit einer im modernen medizinischen Sinne biologischen Funktion ver- bunden. Die ‘gesunde Landschaft’ kann daher in der Landespflege als Norm und Natur erscheinen bzw. diese identifizieren, wobei beides in der ‘schönen Landschaft’ ästhetisch repräsentiert wird. In ähnlicher Weise werden von der Landespflege die Bedürfnisse der Menschen nicht in ihrer historischen Relativi- tät und Interpretierbarkeit wahrgenommen, sondern als naturgegebene Aus- stattung des Menschen, als conditio humana, angenommen. Das angebliche Bedürfnis des Menschen nach Erholung in der Natur dient der Landespflege dazu, von den Veränderungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt abzusehen und ihre Maßnahmen auf die Gestaltung der Erholungslandschaften auszurichten. So äußert sich beispielsweise GEORG PENKER: „Wir, die Menschen des technischen Zeitalters lieben die ursprüngliche Natur. Die Massenbewegung der Großstädter in die freie Landschaft ist ein schlagender Be- weis, so daß es keiner weiteren Worte bedarf“ [PENKER 1964: 406]. Das beobachtbare Verhalten der Städter in der Industriegesellschaft, dass sie in der Freizeit z.B. Ausflüge aufs Land unternehmen, wird von PENKER mit sei- ner Interpretation, dass sie die ursprüngliche Natur liebten, ineins gesetzt. Da- mit erscheint das Verhalten als Beweis der Interpretation, die jenes doch erklä- 388 Das heißt ‘gesunde und schöne’ Menschen. 242 ren sollte, womit er einen logischen Zirkelschluss herstellt. Die Rede von der angeblichen ‘Liebe zur Natur’ lenkt den Blick – nicht nur den der Landespfleger – von den (schlechten) Lebensbedingungen in der Stadt und an den Arbeits- plätzen ab, die doch, wie Landespfleger immer wieder andeuten, belastend auf die Menschen wirkten [z.B. ROSSOW 1961; BUCHWALD 1961]. „Die Menschen suchen die Natur? Nein! Sie fliehen aus der unwirtlich geworde- nen Stadt; nicht aus der Stadt an sich, sondern aus den Lebensbedingungen, in denen sie es nicht mehr aushalten und nicht mehr leben können und wollen, weil diese Natur der Stadt die Alltagsexistenz oft im buchstäblichen Sinne ‘auf Schritt und Tritt’ boykottiert, ihnen nicht mehr zur physischen und sozialen Natur werden kann“ [VETTER/STOLZENBURG 1983: 34f]. Durch die diskursive Hinwendung zur ‘Naturliebe’ der Menschen entbindet sich die Landespflege von der Intervention gegen die städtischen Verhältnisse, die die Menschen belasten, und eröffnet das Arbeitsfeld der Erholungsplanung im Umland der Städte. Das ökonomische Gefälle zwischen Stadt und Land wird von ROSSOW anhand des erwirtschafteten Brutto-Sozialprodukts pro Hektar dargestellt [z.B. ROSSOW 1961: 2]. Die Inwertsetzung von Flächen auf dem Land erscheint danach weniger profitabel als in der Stadt und dementsprechend der Zugriff auf Flächen in ländlichen Regionen erleichtert. Die Landespflege müsse daher das Land vor dem Zugriff der Stadt schützen, indem sie selber das Land gestaltet und die zulässigen Landnutzungen rechtlich festlegt [z.B. ROSSOW 1961: 4]. „Damit vollzieht sich ein planerischer Zugriff auf das Land, ein Vorgehen, welches den Charakter der Delegation von Problemlösung hat. Das Land selbst wird unter dem Aspekt der städtischen Konsumption betrachtet. Der ländliche Raum wird von städtischer Seite als voraussetzungslos okkupierbar betrachtet, weil er als ‘frei’, ‘unberührt’ und ‘anspruchslos’ stilisiert wird und damit auch verfügbar ist“ [VETTER/STOLZENBURG 1983: 34]. Die ‘ursprüngliche Naturlandschaft’, die von Landespflegern als besonders er- holungswirksam hervorgehoben wird, lenkt von der realen Kulturbedingtheit der ‘Erholungslandschaften’ ab, gibt es doch in Mitteleuropa jene ‘Naturland- schaften’, in denen sich Städter erholen könnten, nicht mehr. Verlöre nicht zu- letzt die ‘Naturlandschaft’, wenn es sie denn gäbe, ihren Status, indem sie zum Erholungsraum erklärt und gestaltet würde, so ermöglicht die Deklaration einer ‘Kulturlandschaft’ als ‘natürliche Landschaft’, von der agrarischen Nutzungsge- schichte und den aktuellen lokalen Interessen an der Landnutzung abzusehen und den naturnahen Erholungsraum der städtischen Konsumption unterzuord- nen. Die Gesundheit von Mensch und Landschaft ist das Ziel des technisch- kulturellen Ausgleichs, der mithilfe natürlicher bzw. renaturierter Landschaften erzielt werden soll. Anhand dieser könnten ‘ungesunde’ Landschaften so um- gestaltet werden, dass ein Ausgleich möglich würde. „Nun können wir diese von uns selbst geschaffene technische Welt nicht einfach verneinen, sondern nur in Anpassung an die Notwendigkeiten des Menschen in gesundem Sinne umwandeln, einen naturnahen Lebensraum in und um die Stadt aufbauen. Zugleich aber muß der dieser heutigen technischen Welt ausgelieferte Mensch die Möglichkeit erhalten, sich zu ‘erholen’, das heißt, wenigstens in seiner Freizeit mit einer Umwelt in Berührung zu kommen, die die nötigen Heilwirkungen ausstrahlt. [...] Wir müssen deshalb heute die Voraussetzungen für eine Volkser- 243 holung auf breitester Basis in gesunden, schönen Landschaften sichern oder neu schaffen“ [BUCHWALD 1961: 231 – kursiv im Orig.]. Soll die Erholung gesund sein, dann müsse sie naturnah sein. Für das Erho- lungsbedürfnis der Menschen in der Industriegesellschaft wären Erholungs- landschaften zu schaffen, die Schutzstatus erhalten, um nachhaltig bewirt- schaftbar zu sein [vgl. VETTER/STOLZENBURG 1983: 35]. Landschafts- und Natur- schutzgebiete sowie Naturparke, schließlich auch Nationalparke kämen den unterschiedlichen Ansprüchen von Gewerbe und Erholungssuchenden diffe- renziert entgegen, da in ihnen das Freizeitverhalten so gelenkt werden könne, dass sie in ihrem spezifischen naturnahen Bestand gesichert würden [vgl. JÄGER 1988: 165-204]. Damit ging auch die Sicherung des Grundbesitzes und der Interessen von Forstwirtschaft und Jägerschaft einher [JÄGER 1988: 159- 162]. „Es geht uns also darum, durch den Besucherstrom steuernde und ordnende Maßnahmen in den Großlandschaftsschutzgebieten ein Höchstmaß an natürli- chen Erholungswerten sicherzustellen“ [BUCHWALD 1961: 231]. Diese Schutzgebiete wären entsprechend mit Gaststätten, Übernachtungs- möglichkeiten, Verkehrswegen, Erschließung, Sporteinrichtungen und Naturre- servaten auszustatten und die volkswirtschaftlichen Nutzungen Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Tourismus und Wissenschaft zu lenken [vgl. JÄGER 1988]. „Die moderne Industriegesellschaft braucht zur Erhaltung der Gesundheit ihrer Menschen die großzügige Planung und Schaffung ausreichend großräumiger Er- holungslandschaften. Erholungsgebiete für die Erhaltung der optimalen Leistungs- fähigkeit unserer Menschen“ [BUCHWALD 1961: 231f – kursiv im Orig.]. Zur Sicherung der Leistungsfähigkeit von Natur und Mensch sollen Land- schaftspläne erstellt werden, die über die räumlich-funktionale Segregation von Vorranggebieten mit rechtsverbindlichem Status die materiellen und ‘ideellen’ Ressourcen erhalten helfen. Durch die Formulierung, „um unserer Menschen willen […] fordern wir“ [BUCHWALD 1961: 237 – Herv. FL], stellt die Landespflege grammatisch die ‘Besitzverhältnisse’ klar, entmündigt die Menschen und unter- stellt sie der landespflegerischen Fürsorge. „Um unserer Menschen willen, die in der Industriegesellschaft wie nie zuvor den Belastungen einer naturfernen Lebensweise und eines technischen Lebensrau- mes ausgesetzt sind, fordern wir die Sicherung und den Aufbau naturgemäßer Wohn- und Erholungslandschaften sowie naturgemäßer Agrar- und Industrieland- schaften. [...] Voraussetzung für die Durchsetzung dieses Ziels ist jedoch eine rechtsverbindliche und wirksame Raumordnung in allen Planungsebenen auf der Grundlage der natürlichen Gegebenheiten“ [BUCHWALD 1961: 237 – kursiv im Orig.]. Die Forderung, dass ‘naturgemäße Agrar- und Industrielandschaften’ gesichert und aufgebaut werden sollen, folgt der materiellen und ideologischen Aus- gleichsplanung in der Landespflege, die von den natürlichen Gegebenheiten ausgehen soll – und die soziale Zustimmung oder Ablehung ignoriert –, setzt eine quasi monopolistische Verfügungsgewalt über alle Standorte voraus, um die unterschiedlichen Nutzungsansprüche auf die verschiedenen Standorteig- nungen adäquat abzustimmen und verteilen zu können. Die (Total-) Planung wird so umfassend wie die ganze Landschaft. Aus der ökologischen For- schung, die „die Stellung des Menschen im Naturganzen“ darstellt, soll „ein 244 Verständnis der Notwendigkeit von Naturschutz und Landschaftspflege“ ge- schaffen werden. Der Landschaftsplan hätte dann, die „Belange von Natur und Landschaft [...] bei allen örtlichen und regionalen Planungen bis hinauf zu den Landesentwicklungsplänen“ zu vertreten [BUCHWALD 1961: 237]. „Da Landschaft jedoch ‘materiell’ gedeutet wird, erhält auch der Begriff des Le- bensraumes eine neue Bedeutung: Er wird zunehmend abstrakt ‘ökologisch’ ver- standen und bezeichnete damit nicht mehr den potentiellen Kulturraum eines Vol- kes, sondern ein System von Ressourcenbeständen“ [KÖRNER 2001: 111]. Der Landschaftsplan dient damit letztlich dem Ressourcenschutz, der kein Schutz der Ressource an sich sein kann, wie am ‘Landschaftsschaden’ darge- stellt, sondern Sicherung für bestimmte ökonomische Interessen ist. Wie BUCHWALD für die Industriegesellschaft implizite ausgeführt hat [z.B. BUCHWALD 1961: 238], sind dies die Interessen an der nachhaltigen Leistungsfähigkeit der Natur und der Menschen innerhalb der industriellen Ökonomie. Der Bauer als Leitbild Zwischen kulturkonservativer Programmatik und technologischer Fortschritts- orientierung steht der Aufsatz ‘Über den Bauern im Leitbild der Raumplanung’ von KONRAD MEYER [1963], der feststellt, dass das Leitbild des nachhaltigen Ressourcenschutz eigentlich schon im Leitbild nachhaltiger Fruchtbarkeit ent- halten war. Als maßgeblicher Vertreter der Landespflege im NS-Staat und in der Bundesrepublik gibt er ein Beispiel für die ideologische Anpassungsfähig- keit der Landespflege an die jeweilige Regierungsform und dafür „wie Ideolo- gieelemente des Nationalsozialismus unter weitgehender Bewahrung des kul- turkritischen Programms der Landesplanung mit den neuen, liberalen Wertvor- stellungen verbunden werden konnten“ [KÖRNER 2001: 77]. Das Bauerntum bil- de heute ein hochpolitisches Problem, das eine grundsätzliche Entscheidung verlange [z.B. MEYER 1963: 121]. Auf dieses Problem antworte, so legt MEYERs Aufsatz nahe, die „Aufstellung regionaler Leitbilder“, um „bei gegenseitiger Durchdringung von Gewerbe, Industrie, Landwirtschaft, Handel und Kultur die alte Stadt-Land-Dualität zu überwinden“ [MEYER 1963: 129]. „Um eine nachhaltige Nutzung durchzusetzen, die zwar moderne wissenschaftli- che Erkenntnisse nutzt, aber diese zur dauerhaften Entwicklung von Kultur in den Dienst am Boden stellt, d.h. die natürlichen Ressourcen nicht allein nach kurzfris- tigen ökonomischen Interessen ausbeutet, sollte mittels Raumplanung das traditi- onelle Bauerntum neu gebildet werden. Daher ist das eigentliche Ziel der Raum- planung nach Meyer weiterhin, durch einen pfleglichen Umgang mit den Kräften der Natur und dabei vor allem mit der Bodenfruchtbarkeit bei gleichzeitiger Erzie- lung hoher Flächen- und Kapitalerträge zu einer harmonischen, Kultur und Natur wieder versöhnenden, Kulturstufe zu gelangen“ [KÖRNER 2001: 81]. Ausgehend von der Ressourcenknappheit und Wirtschaftsentwicklung wendet sich MEYER der Aufgabe der Landwirtschaft in der Industriegesellschaft zu. Die aktuelle Funktion der Raumplanung auf dem Land bestimmt er näher in dem Lehrbuch ‘Ordnung im ländlichen Raum’ [1964] unter Bezug auf die Rede von J.-F. KENNEDY zum Zusammenhang zwischen Ressourcen und Wohlstand der Nationen. Letztlich ermögliche die Landespflege das Überleben der ‘wachsen- den Menschheit’: „Aus der angelsächsischen Planungsliteratur ist für diese Naturausstattung der Begriff der ‘natürlichen Hilfsquellen’ (land resource) übernommen worden (Barlo- 245 we 1958: 53). Wir verstehen darunter den Boden in seiner natürlichen Fruchtbar- keit und seiner durch Klima und Geländegestalt bedingte Nutzbarkeit, die Boden- schätze und Rohstoffvorkommen, die Wasservorräte sowie die Pflanzendecke und die Tierwelt eines Landes. Die planmäßige Pflege dieser natürlichen Produk- tionsmittel in ihrer vielfachen gegenseitigen Abhängigkeit ist die Voraussetzung bestmöglicher und stetiger Produktionsleistung und gesunder Lebensverhältnisse der wachsenden Menschheit“ [MEYER 1964: 15]. Der ländliche Raum mit der ‘natürlich gewachsenen Agrarstruktur’ unterliege der aktuellen Wirtschaftsentwicklung, die ungeregelt auf jene wirke [z.B. MEYER 1963: 124f]. Die mit der vorangeschrittenen Industrialisierung veränderte Land- schaft sei so zu gestalten, dass die ländliche Entwicklung dem gesamtgesell- schaftlichen Leitbild entspreche. „Da das künftige Gesicht einer Landschaft aus einer Vielzahl der Tag für Tag und Jahr für Jahr anfallenden Maßnahmen und Entscheidungen aus allen öffentlichen und privaten Bereichen entsteht, muß das Leitbild die Möglichkeit geben, die Ein- zelentscheidungen jeweils auf lange Sicht in die große Linie einzufügen“ [MEYER 1963: 120]. Das raumordnerische Leitbild, das weit genug formuliert sein müsse, um mög- lichst viele Entscheidungen zuzulassen, wäre notwendig, um eine einheitliche Vorstellung von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und einheitliche Richtlinien für Verwaltung und räumliche Planung zu geben [z.B. MEYER 1963: 119], und müsse auf räumlich-administrativen Ebenen hierarchisch gegliedert werden [z.B. MEYER 1963: 120]. Das neue Leitbild der Raumordnung beruhe auf den Prinzipien der freiheitlichen und sozialen Grundordnung. „Drei leitende Grundgedanken sind es, die heute das gesellschaftspolitische Leit- bild der Raumordnung bestimmen: freiheitliche Ordnung, ausreichende Sicherheit und bestmöglicher sozialer Ausgleich auf Basis eines angemessenen Lebens- standards“ [MEYER 1963: 119]. MEYER legt nun dar, dass diese drei Prinzipien, die in der Praxis kollidierten, in der Verbindung von Eigentum und Freiheit verwirklicht werden könnten, weil Eigentum an Boden Sicherheit böte und Unabhängigkeit ermögliche – für das Individuum, aber auch für das Staatsgebiet und die Herrschaftsordnung. „Schließlich verteidigen wir mit den immateriellen Werten des Bauerntums auf un- serem vorgeschobenen Grenzposten eine der wichtigsten Bastionen unserer westlichen Freiheits- und Eigentumsordnung. Ein Volk, das viele Freie haben will, muß viele Eigentümer und Bauern haben“ [MEYER 1963: 121 – kursiv im Orig.]. Im Sinne der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und des Rechtsstaats knüpft MEYER Freiheit an Eigentum389. Zugleich befürwortet er, dass vom Land befrei- te Bauern in die industrielle Produktion wechseln [z.B. MEYER 1963: 134]. Die Freiheit der Grundeigentümer sieht MEYER im bäuerlichen Familienbetrieb ide- altypisch verkörpert, der anzustreben sei, weil auch die EWG sich „eindeutig für das Leitbild der bäuerlichen Familienwirtschaft entschieden“ hätte [MEYER 1963: 123]. Entgegengesetzte agrarpolitische Versuche, die landwirtschaftlichen 389 ‘Land und Freiheit’ ist zwar eine Forderung, die aus den Bauernaufständen der Neuzeit stammt [BLICKLE 1999; BELLIN 2006] und immer wieder von bäuerlichen Gesellschaften erhoben wird, wenn die Enteignung der kleinbäuerlichen Lebensmöglichkeiten droht [MIES 1984]. Die Verknüpfung zwischen Eigentum und Freiheit steht bei MEYER aber im gesellschaftlichen Kontext des Kalten Krieges und ist antikommunistisch gemeint [vgl. KÖRNER 2001: 79]. 246 Betriebe zusammenzulegen oder zu kollektivieren, wären gescheitert, auch weil „die dezentralisierte Wirtschaftsweise das Naturgemäße“ sei [MEYER 1963: 124]. Dennoch fordert MEYER, dass die Landespflege mit der Flurbereinigung und Aussiedlung Instrumente zur ‘Ordnung des ländlichen Raums’ einsetzen solle, die auf eine Zentralisierung der Agrarproduktion hinwirken [z.B. MEYER 1963: 134]. Der Familienbetrieb unterläge zwar einer allgemeinen Tendenz zur Spezialisierung und Vereinfachung der Produktion, die er aber nicht mitma- chen müsse, vielmehr bleibe der Betrieb mit gemischten Produktionszweigen das Leitbild: „Das Vorbild eines gesunden Bauernhofes bleibt in dem breiten Raum unserer westdeutschen Verhältnisse doch der tiefgegliederte Betrieb, dessen Feldwirt- schaft und Viehhaltung aufeinander abgestimmt sind und in dem der geschlosse- ne innerbetriebliche Kreislauf immer nur begrenzte Schwerpunktbildungen und Vereinfachungen zulässt“ [MEYER 1963: 137f]. Ebenso wären Nebenerwerbsbetriebe und Kleinsiedlerstellen auf dem Land sinnvolle Wirtschaftseinheiten, die ein lebensfähiges und modernes Staatswe- sen stärkten [z.B. MEYER 1963: 121, 129], da der Wechsel vom Voll- zum Neben- erwerb Arbeitskräfte frei setze, die für die Industrieansiedlung auf dem Lande bereit stünden, während umgekehrt die Industriearbeiterschaft dem Boden ver- bunden bliebe [z.B. MEYER 1963: 126f]. Das Land stellt mit „der ständigen Frei- setzung eines Überschusses an Menschen mit großer Leistungstreue und aus bester Arbeitsschule“ [MEYER 1963: 120] neben Fläche und Bodenschätze für die Industrialisierung auch ‘humane Ressourcen’ bereit. Der Grundbesitz, der nicht nur eine ökonomische Funktion erfülle, wirke bewusstseinsbildend, indem die Arbeiterschaft mit der Grundlage des Lebens, der Landarbeit und der Bo- denfruchtbarkeit, verbunden bliebe. Dieses Bewusstsein sei die kulturelle Grundlage für nachhaltiges Wirtschaften [z.B. MEYER 1963: 122]. „Jedes Flur- und Feldstück bildet ein von Natur aufeinander abgestimmtes Mosaik von kleineren und größeren Lebensgemeinschaften. Rechte Landbewirtschaftung bedeutet daher individuelle Bodenpflege und -nutzung und Hand in Hand damit sorgfältige Landschaftshege und -pflege. Die Natur bestimmt also bei uns weitge- hend die bäuerliche Wirtschaftsform. Diese auf der Einheit von Familien- und Ar- beitsverfassung beruhende Wirtschaftsweise gewährleistet am besten die Bewäl- tigung der schwierigen Doppelaufgabe, die zu allen Zeiten unserer deutschen Landwirtschaft gestellt war, nämlich: Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und Erzie- lung hoher Flächen- und Kapitalproduktivität“ [MEYER 1963: 123]. Die Unvermehrbarkeit des Bodens als Produktionsgrundlage, die erstens zur Abwanderung von überschüssigen Arbeitskräften in die Industrie führe [z.B. MEYER 1963: 125], wäre zweitens verpflichtend, mit diesem in der Bearbeitung pfleglich umzugehen [z.B. MEYER 1963: 138] und drittens Anlass, die Produktiv- kräfte zu steigern [z.B. MEYER 1963: 135, 137]; versöhnten sich doch in der bäuer- lichen Wirtschaftsweise „Ökologie und Ökonomie“ [MEYER 1963: 122]. Der Bauer sei demnach der nachhaltigste Ressourcenschützer und -nutzer, so dass die industrielle Landnutzung an der bäuerlichen orientiert werden könnte. MEYER entwirft daher die Utopie einer aufgelockerten Industrieansiedlung nach dem Vorbild der südwestdeutschen Ackerbürgersiedlungen. „Es wäre falsch anzunehmen, daß für die Entwicklung der Industrie ausschließlich das örtliche Rohstoffvorkommen bestimmend gewesen wäre. Oft ist die Industrie 247 aus dem Handwerk hervorgegangen und entwickelte sich auf dem Rücken einer ländlichen anspruchslosen und fleißigen Bevölkerung. Die Streulage der Industrie und die große Zahl landwirtschaftlicher Nebenberufsbetriebe ist in diesem Fall charakteristisch dafür“ [MEYER 1963: 130]. Diese Industrie-Landkreise bezeichnet MEYER als Aktivräume. Von ihnen gehe zwar die wirtschaftliche Entwicklung aus, allerdings in dermaßen ungeregelter Weise, dass die Landesplanung notwendig würde [z.B. MEYER 1963: 130f], um die „häßlichen Lösungen [... wie] das Wuchern der Großstädte und die Ausbil- dung der großen Industriereviere“ zu verhindern; gälte es doch „die ganze Gestaltungsaufgabe als Teil eines großen landschaftsgebundenen Gesamt- kunstwerkes“ aufzufassen [MEYER 1963: 131]. Wie in den Aktivräumen sei erst recht in den ‘strukturkranken’ Passivräumen die steuernden Maßnahmen der Landespflege notwendig, die „in diesen Zonen das dankbarste Feld“ fänden390 [MEYER 1963: 132]. – Die Gestaltung des Landes zum Landschaftspark ist die große Aufgabe der Landespflege von der Landesverschönerung um 1820 bis zur Gegenwart. „Jede Planung in funktionsschwachen Gebieten wird bei Aufstellung eines Ent- wicklungsplanes zuallererst mit der Ermittlung der landwirtschaftlichen Tragfähig- keit und der Feststellung beginnen müssen, bei wieviel Menschen und bei welcher Agrarstruktur am besten ein gesundes und harmonisches Verhältnis zwischen bäuerlicher Bevölkerung und vorhandenem Kulturland erreicht werden kann und wie weit die Wirklichkeit von diesem Wunschbild entfernt ist. Erst aus dem Ergeb- nis dieser ersten Bilanz ergeben sich dann die weiteren Grundentscheidungen für die Wirtschafts- und Sozialentwicklung und die Neuordnung der Beziehungen der bodenverbundenen Bevölkerung zueinander (z.B. Flurbereinigung, Aufstockung, Aussiedlung) und zu den übrigen Wirtschaftszweigen (Schaffung gewerblicher Ar- beitsplätze und nichtlandwirtschaftlicher Erwerbsmöglichkeiten, Verbesserung der Infrastruktur)“ [MEYER 1963: 134]. Dem Leitbild gemäß, das „ein gesundes und harmonisches Verhältnis zwi- schen bäuerlicher Bevölkerung und vorhandenem Kulturland“ verlangt, soll die Landespflege die Wirtschafts- und Sozialstruktur neu ordnen. Damit fordert MEYER praktisch den administrativen Zugriff auf das ganze Land und das So- zialgefüge. Der hoheitlich planende Landespfleger sei aber letztlich in das Leitbild des nachhaltig wirtschaftenden Bauern eingebunden, unterstehe ihm in seinem Wirken und erscheint daher berechtigt, das ‘bäuerlich-industriellen Pa- radies’ zu entwerfen. „Beide, Bauer und Landespfleger, dienen mit ihrer Arbeit und ihrem Wirken, der Erhaltung und Steigerung der nachhaltigen Fruchtbarkeit des Landes, also jenen durch keine Zivilisationsleistung bisher aufgehobenen Gesetzen des Lebendigen“ [MEYER 1963: 122]. Der Bauer sei kein homo-oeconomicus, sondern orientiere sich in seinen wirt- schaftlichen Entscheidungen an Traditionen [z.B. MEYER 1963: 133], die er zugleich in seiner Lebensweise bewahre [z.B. MEYER 1963: 120]. Damit steht das ‘Leitbild des Bauern’ als Alternative zu dem des traditionslosen Industriebe- triebs und für die Landespflege als ein Kulturprogramm zur Verfügung. 390 Dieses Betätigungsfeld könnte die Landespflege aktuell landesweit beackern, fragt MEYER doch vorausschauend, „ob mit fortschreitender Technik nicht auch in der Industrie ein Prozeß der Struktur- bereinigung zugunsten größerer Betriebe und geringerer Belegschaften einsetzen wird“ [MEYER 1963: 135]. 248 „Solange aber die Unterschiede zwischen organischer und mechanischer Welt nicht aufgehoben sind, solange bei der Kleinheit der dörflichen Ortschaften die menschlichen Verhältnisse überschaubar bleiben und die Landverbundenheit der Familien fortbesteht, solange besitzt auch die ländliche Lebensform die Chance eigener Bewährung. Sie wird ihr wenigstens dort zugeschrieben werden müssen, wo es gilt, im Sinne einer kultivierten Beherrschung des Technisch-Rationalen je- ne versöhnende Stufe zu erreichen, auf der sich ‘traditio und ratio’, Ökologie und Ökonomie, Gewachsenes und Gestaltetes harmonisch miteinander verbinden“ [MEYER 1963: 122]. Ausgehend von der Frage nach dem Bauern im Leitbild der Raumplanung, das er in den Prämissen der freiheitlich-sozialen Grundordnung ausmachte, ent- wirft MEYER schließlich den Bauern als Leitbild der Raumplanung. Mit dem Leitbild des Bauern als ‘nachhaltiger Unternehmer’ verfolgt er ein politisches Programm, das die Industrialisierung mit der Tradition verbinden soll und in dem die bodenständige Kultur das Technisch-Rationale beherrsche und die Modernisierung lenke [KÖRNER 2001: 78, 80]. Diese Kultur forme sich aus dem durch Landbesitz und Bodenbearbeitung geprägten Bewusstsein heraus. „Landbesitz – und wenn er noch so klein ist – beeinflußt das Denken des Men- schen, seine Lebensanschauung, seine Leistungsfähigkeit und seine Leistungs- treue günstig; kurzum er formt seine ganze Persönlichkeit“ [MEYER 1963: 126]. Und zwar forme der Landbesitz und die Landarbeit die Persönlichkeit einer- seits für den Staat [z.B. MEYER 1963: 120], bilde einen „Hort der Ordnung und Sicherheit“ [MEYER 1963: 139] und andererseits schaffe es ein Bewusstsein für die Bedeutung der Landwirtschaft als Lebensgrundlage [z.B. MEYER 1963: 139]. Wo die Gesellschaft und die Wirtschaft sich vom Boden lösten, ob nun totalita- ristisch oder demokratisch, drohe die Katastrophe. „Denn bei der heutigen ungehemmten Wirtschaftsentwicklung der Industrieländer, die zugleich die Loslösung vom agrarischen Boden mit allen Entartungserschei- nungen heraufbeschwört, drängen sich dem historisch geschulten Beobachter nur allzu leicht Beispiele aus der Geschichte der Völker und Kulturen auf, in denen die Emanzipation der Stadtkultur und das Überwuchern städtischer Interessen das Bauerntum des Hinterlandes aushöhlten und die Versorgung der Massen mit Le- bensmitteln auf entlegene Provinzen außerhalb des Heimatraumes verlagerten“ [MEYER 1963: 139]. Für den historisch geschulten Beobachter resultierte aus der gesellschaftlichen Abwendung vom Bauerntum letztlich Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg. Angesichts dieser Gefahr liegt es für den Leser nahe, dass „sich Landbau und Landespflege, konstruktive Agrar- und Wirtschaftspolitik und Landschaftsges- taltung“ [MEYER 1963: 140] vereinigen, um – wie MEYER ein paar Seiten vorher fordert – „ein in bezug auf die Tragfähigkeit und das Raum- und Volksganze mögliches Optimum der Raumnutzung“ zu erreichen [MEYER 1963: 128]; hinter diesem Anspruch steht die Vorstellung von einer monopolistischen Verfü- gungsgewalt über alle Produktionsstandorte. Die landespflegerische Kulturin- dustrie ist in allen politischen Systemen in erster Linie bewusstseinsbildend. 249 Nachhaltigkeit natürlicher Fruchtbarkeit Lebensreform und Landespflege Das Leitbild des Bauern, das MEYER in den 1960er Jahren vertritt, basiert auf landespflegerischen Diskurselementen, die aus der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts stammen. Der Bauer hätte die „schwierige Doppelaufgabe, die zu allen Zeiten unserer deutschen Landwirtschaft gestellt war,“ zu bewältigen: „Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und Erzielung hoher Flächen- und Kapital- produktivität“ [MEYER 1963: 123]. So verfolge auch der Landespfleger die Aufga- be, die ‘nachhaltige Fruchtbarkeit des Landes’ zu erhalten und zu steigern [MEYER 1963: 122]. Seit Ende des ersten Weltkriegs bis zur Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs dominierte das Thema ‘Erhalt der natürlichen Fruchtbarkeit’ die Leitbildnerei in der Landespflege. Die Aufmerksamkeit auf die Bodenfruchtbarkeit zu lenken, entspringt der Gärt- nerei und fand in der Lebensreform und Siedlerbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts Beachtung391. Viele Landespfleger empfingen aus der Lebensre- form Ideen für und Anregung zu ihrer professionellen Arbeit392. Das in den 1920er Jahren erstarkende soziale Interesse am Boden als Produktionsmittel hat divergente Ursprünge und Ziele, die von der emanzipativen Siedlerbewe- gung, die subsistenzorientiert war und am prominentesten vom Landespfleger LEBERECHT MIGGE vertreten wurde [LINSE 1986: 84-87; vgl. MIGGE 1918; 1926], bis zur konservativen Agrarromantik, die national ausgerichtet, vom ‘Reichsbau- ernführer’ RICHARD DARRÉ verkörpert wurde [HEUSER 1991: 52], reichen. Sowohl die eher emanzipativen als auch die reaktionären Bewegungen erkennen im Boden die Produktionsgrundlage der ländlichen Ökonomie an, während er in Stadt und Industrie nurmehr den Standort für Produktionseinheiten des sekun- dären und tertiären Sektor bilde und auf den Grundbesitz reduziert sei, sie un- terscheiden sich aber deutlich in der Auffassung, ob der fruchtbare Boden die Existenzgrundlage für subsistente Kleinsiedler oder für das deutsche Bauern- tum bzw. vermittels dieser für die in der Industrie arbeitenden deutschen Volksgenossen bilde. Bis zum Ersten Weltkrieg hatten weder die realen Machthaber im Agrarsektor, die ostdeutschen Großagrarier, noch die sozialre- formerischen Parteien Interesse an der Agrarromantik [SIEFERLE 1984: 207]. Aus der Erfahrung der Arbeitskämpfe und nach dem Ersten Weltkrieg, der Inflation und Wirtschaftskrise erstarkte die Siedlungsbewegung und vor allem die Ag- rarromantik in den 1920er Jahren, wodurch auch der Bodenfruchtbarkeit eine höhere Wertschätzung im ‘öffentlichen Bewusstsein’ zuteil wurde. 391 Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Künstlergruppen und die Jugendbewegung das Land als Freiraum und alternativen Lebensort, das zeitgleich vom Heimat- und Naturschutz als konservatives Bollwerk gegen Industrie und Großstadt, die den sozialen Wandel und Zerfall alter Privilegien symboli- sieren, verherrlicht wurde. Die Bezeichnung Lebensreform fasst disparate alternative Bewegungen zusammengefasst, die seit Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und denen gemeinsam ist, dass sie eine kulturalistisch ausgerichtete Kritik am Kapitalismus und seinen sozialen Folgen formulierten [LINSE 1986; SIEFERLE 1984; HERMAND 1991]. Unter anderen bildeten sich um die Jahrhundertwende soziale Be- wegungen heraus, die die Wichtigkeit der direkten Primärproduktion betonten und den Zugang zu Land und Garten für Jedermann und -frau forderten, die teilweise anarchistisch oder sozialistisch, bür- gerlich, völkisch oder religiös ausgerichtet waren [LINSE 1986]. Die heute bekanntesten Richtungen sind die Jugendbewegung, die Gartenstadtbewegung und die Anthroposophie. 392 Beispielsweise waren leitende Landespfleger wie MÄDING, MEYER, SEIFERT, MATTERN, KRAHG, PREISING und BUCHWALD in der Jugendbewegung aktiv [WOLSCHKE-BULMAHN 1990: 259f], deren Gedan- kengut auf Professionsvertreter einwirkte [WOLSCHKE-BULMAHN 1990: 12ff]. 250 „Die romantisch-völkisch-agrarischen Ideologien standen am Rande, nicht im Mit- telpunkt der wilhelminischen Gesellschaft. / Diese gesellschaftliche Konstellation gruppierte sich in der Weimarer Republik um, und zwar sehr schnell, in einer poli- tischen Katastrophe. [...] Für die jugendbewegte ‘Generation von Langemark’ ging es im Ersten Weltkrieg um den Kampf zwischen der deutschen wertorientierten ‘Kultur’ und der westlich-modernen ‘Zivilisation’, zwischen Gemeinschaft und Ge- sellschaft, Tiefe und Oberfläche, Idealismus und Materialismus. Der Krieg endete mit einer Niederlage der ‘Ideen von 1914’; die westliche Zivilisation behielt die O- berhand, die deutsche Kultur unterlag. Eine Generation Entwurzelter kehrte zu- rück in ein Land, das sich offenbar auch im Inneren den Prinzipien des Gegners gebeugt hatte. Ein enormes zivilisationskritisches Potential wurde frei. Die völki- schen Bewegungen in der Republik standen in der Tradition der Zivilisationskritik von 1890, waren jedoch weit radikaler. Ihr Ressentiment nährte sich an der natio- nalen Demütigung, der beschleunigten Rationalisierung, aber auch an der symbo- lischen Dürftigkeit der Republik, der turbulenten ‘amerikanisierten’ kulturellen Szene und der Perspektivlosigkeit des untergehenden Bildungsbürgertums“ [SIEFERLE 1984: 207, 209]. Man kann die Gruppe der randständigen Professionsvertreter von der Gruppe der obrigkeitsorientierten Landespfleger unterscheiden, obgleich von beiden Gruppen die Bedeutung der Nachhaltigkeit als Erhalt der natürlichen Boden- fruchtbarkeit vertreten wird. So überschneiden sich häufig die Ansichten von MIGGE (mit Einschränkungen auch MÜLLER, PNIOWER, SCHWARZ [vgl. SCHEKAHN 1998: 146-150]) auf der einen und WIEPKING, SEIFERT, MÄDING auf der anderen Seite hinsichtlich der Bodenfruchtbarkeit. Der Unterschied liegt im Stellenwert des ‘Volkes’. Bei ersteren spielt das Volk nur als Gesamtheit der an einem Ort lebenden Menschen eine Rolle, denen die Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit zugute kommen soll. So hat sich MIGGE deutlich von den sozialistischen Kol- lektivisten und von der Blut-und-Boden-Propaganda seiner agrarromantischen Kollegen abgesetzt und die Bedeutung des eigenen Hauses und Gartenlandes für den Einzelnen hervorgehoben. „Ein ‘Volk ohne Raum’ war nach seiner Meinung ein Vorwand in der Diskussion um die Frage des Bodenbesitzes, die er dann auch gleich praktisch am Beispiel der kommunalen Eingemeindungspolitik brandmarkte“ [HÜLBUSCH I.M. 1978b: 4]. Demgegenüber wird das Volk von den obrigkeitsorientierten und vor allem von den nationalsozialistischen Landespflegern im rassischen Sinne als überge- ordneter Urgrund angesehen, dessen Fruchtbarkeit gesteigert werden müsse. Schließlich fand im NS-Staat eine entscheidende Verschiebung in der Auffas- sung von nachhaltiger Fruchtbarkeit statt: vom Boden über das Blut-und- Boden-Konzept zur Rasse [z.B. WIEPKING 1942]. Zeitgleich mit dieser Neuaus- richtung auf Boden und Blut etablierte sich die Landespflege als akademische Disziplin im totalitären NS-Staat [GRÖNING/ WOLSCHKE-BULMAHN 1987]. „Ende der dreißiger Jahre erschienen erstmalig und in kurzem Abstand verschie- dene grundlegende Schriften zur Landschafts- und Landespflege“ [RUNGE 1989: 38]. Die Publikationstätigkeit verstärkt sich nach Kriegsbeginn Anfang der 1940er Jahre, als den Landespflegern mit der Eroberung der Ostgebiete neue Betäti- gungsfelder ‘zuwuchsen’ – um im Sprachgebrauch der Profession zu bleiben [z.B. SEIFERT 1941; MÄDING 1942; WIEPKING 1942]. Wir rekonstruieren zunächst die Bodenfruchtbarkeit, bevor wir uns der Volksfruchtbarkeit und schließlich dem Lebensraumkonzept zuwenden. 251 Produktionsweise und Nachhaltigkeit In der Produktion allgemein und besonders in der Primärproduktion können zwei Produktionsmomente unterschieden werden: erstens die Produktionsver- hältnisse als gesellschaftliche Bedingung, unter der gearbeitet wird, und zwei- tens die Produktionsweise als Beziehung der Arbeit zum Gegenstand, die we- sentlich durch die gesellschaftlichen und natürlichen Produktivkräfte charakte- risiert ist [vgl. MILTENBERG 1991: 98; LÜHRS 1994: 29f]. Der marxistische Ökonom KARL WITTFOGEL erläuterte 1932 diesen wirtschaftlichen Zusammenhang am Beispiel der ‘orientalischen Despotie’ (FRIEDRICH ENGELS) und der Bewässe- rungswirtschaft. „So sehen wir [...] ein bestimmtes System natürlicher Produktivkräfte ein bestimm- tes System gesellschaftlicher Produktivkräfte erzeugen. Eine spezifische Produk- tionsweise, die bewässerungswirtschaftliche, entsteht. Aus dieser aber erwächst bei voller Entwickeltheit der Vorbedingungen – großer ‘Flächenausdehnung’ – die asiatische Klassengesellschaft mit ihrem despotischen Staat“ [WITTFOGEL 1932: 595 – Herv .FL]. Die vergesellschafteten Menschen stünden in einem Stoffwechsel mit der ‘Na- tur’, der über Produktionsmittel läuft. Durch den Stoffwechsel wird das Überle- ben gewährleistet und das gesellschaftliche Leben der Menschen hergestellt. Die Produktion der Lebensmittel, Güter und gesellschaftlichen Institutionen be- ruhe auf Produktivkräften, mit denen Menschen auf bestimmte Naturaspekte einwirken. Die Entwicklung dieser Produktivkräfte führe zur Veränderung der Gesellschaft, zur Geschichte der Gesellschaft – wie zur Geschichte der Natur. Die Produktivkräfte könnten nach ihrer Zusammensetzung in gesellschaftliche und natürliche unterschieden werden. „Alle naturbedingten (natürlichen) Produktivkräfte haben eine geschichtliche Be- schaffenheit; nur unter bestimmten geschichtlichen Umständen werden sie wirk- sam. Alle gesellschaftlichen Produktivkräfte sind ihrerseits bestimmt durch den Charakter der jeweils wirksamen naturbedingten Produktivkräfte“ [WITTFOGEL 1932: 473]. Die Art und Weise, wie über die Produktivkräfte innerhalb der Gesellschaft ver- fügt wird, bestimmt die Produktionsverhältnisse. Die gesellschaftliche Organi- sation des Stoffwechsels der Menschen mit der ‘Natur’ ist die Produktionswei- se393 [WITTFOGEL 1932: 476]. Die Produktivkräfte sind im Stoffwechsel der Ge- sellschaft mit der ‘Natur’ auch auf außergesellschaftliche Gegenstände bezo- gen, so dass dieser zwei Seiten aufweist. Wobei die Produktionsverhältnisse die gesellschaftliche Seite der Produktion bildeten und in der Produktionsweise die ‘Naturseite’ der Produktion zum Ausdruck komme: „Im Begriff der Produktionsweise steht, so notwendig auch das gesellschaftliche Moment einbegriffen ist, das Verhältnis des gesellschaftlich arbeitenden Men- schen zur Natur im Vordergrund. Im Begriff der Produktionsverhältnisse steht, so sehr auch die arbeitstechnische, der Natur zugewandte Seite mitgedacht ist, mit- gedacht sein muß, die gesellschaftliche Seite der Sache im Vordergrund. Jene Seite ist die bestimmende, diese die bestimmte“ [WITTFOGEL 1932: 477]. Demnach tritt eine Veränderung der Gesellschaft primär nicht durch eine Um- gestaltung der Produktionsverhältnisse ein, sondern setzt eine Veränderung 393 „Die Produktionsweise ist die Art und Weise, wie die gesellschaftlich arbeitenden Menschen jeweils ihren Lebensunterhalt gewinnen“ [WITTFOGEL 1932: 476]. 252 der Produktionsweise voraus, die wiederum durch den Entwicklungsstand der naturbedingten Produktivkräfte bestimmt ist. Ein gesellschaftlicher Wandel be- ruht somit letztlich auf der Entwicklung der natürlichen Produktivkräfte. Ähnlich wie im kybernetischen Regelkreis „änder[e] sich die Natur selbst“ im „Wech- selspiel mit dem gesellschaftlich arbeitenden Menschen“394 [WITTFOGEL 1932: 482], durch kausale Wirkungen und Rückwirkungen. WITTFOGEL unterscheidet zwei Formen der Naturveränderung und Entwicklung der naturbedingten Produktivkräfte: Transformierung und Aktualisierung (bzw. Entaktualisierung). Die Transformierung der Natur findet durch Arbeit statt, de- ren Resultat eine veränderte Naturausstattung ist395 [WITTFOGEL 1932: 482]. Die Veränderung der Naturausstattung durch Transformierung kann sowohl zu ö- konomisch erwünschten Resultaten wie die Herstellung einer Ackerbauland- schaft als auch zu unerwünschten Folgeschäden führen wie zur Erschöpfung des Ackerbodens oder zum Podsol in der Heide. Die Aktualisierung bzw. Ent- aktualisierung ist zwar auch auf das Resultat bezogen, untersteht aber primär der Bewertung von Natureigenschaften durch die Interessenslage. „Die Aktualisierung (oder Entaktualisierung) bestimmter Teile oder Eigenschaften der Natur gilt Momenten, die dem Menschen infolge einer im Laufe des Arbeits- prozesses erfolgenden Standortänderung wichtig zu werden beginnen, oder die aus eben diesem Grunde aufhören, für seinen Produktionsprozeß weiterhin von Bedeutung zu sein“ [WITTFOGEL 1932: 482]. Neben der Vorhandenheit der natürlichen Produktivkräfte, die aktualisierbar sind, spielen also auch die historisch etablierte Produktionsweise und die Pro- duktionsverhältnisse eine Rolle. Bedenkt man aber, dass beide dem Entwick- lungsstand der naturbedingten Produktivkräfte entsprangen, dann wird die Ak- tualisierung der natürlichen Produktivkräfte durch diese selbst bestimmt. Letzt- lich passt sich der gesellschaftlich arbeitende Mensch in der Transformierung und Aktualisierung an die Natur an. Auch in diesem Zusammenhang findet sich bei WITTFOGEL keine menschliche Autonomie396 [z.B. WITTFOGEL 1932: 485]. Die Möglichkeit autonomer Politik wird von WITTFOGEL verneint und die Geschichte zu einem Automatismus, der der Entwicklung der Produktivkräfte im Rahmen der Naturgegebenheiten unterliegt. Eine materialistische und vergleichende Geschichtsschreibung hätte von den ‘natürlichen Grundlagen der Wirtschafts- geschichte’ auszugehen, resümiert der Marxist WITTFOGEL [z.B. WITTFOGEL 1932: 486f]. Obgleich KARL MARX397 den Begriff der Nachhaltigkeit nicht direkt bestimmt hat, können wir in Anlehnung an seine Überlegungen zur ‘großen Industrie und Agrikultur’ sagen, dass eine Wirtschaftsweise nachhaltig wäre, die „die Spring- quellen alles Reichtums [...]: die Erde und den Arbeiter“ nicht untergrübe [MARX 394 „Im Prozesse des Wechselspiels mit dem gesellschaftlich arbeitenden Menschen ändert sich die Natur selbst“ [WITTFOGEL 1932: 482]. 395 „Transformierung der Natur ist das unmittelbare Resultat der Arbeitstätigkeit des produzierenden Menschen“ [WITTFOGEL 1932: 482]. 396 „Keine Willensfreiheit, auch für den technisch, den produktionsmäßig tätigen Menschen nicht. Mag er auf seinem Zug durchs Gebirge die Landschaft transformierend umgestalten. Mag er sich nach jedem in den Felsen gesprengten Fortgang des Weges neuen Arbeitsaufgaben, neuen Ausblicken gegenüber sehen. Sein Weg muß der ‘passiven’ Struktur des Gebirges sich anpassen“ [WITTFOGEL 1932: 485]. 397 MARX selbst hätte sich gegenüber seinem Schwiegersohn PAUL LAFARGUE vom Marxismus mit der Aussage distanziert, dass er kein Marxist sei. 253 1883: 530], weil sie die (notwendige) Bedingung für „den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nah- rungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit“ bilden [MARX 1883: 528; vgl. MARX 1894: 110]. Die Nachhaltigkeit bestünde im Erhalt der Boden- fruchtbarkeit, um weiterhin in ausreichendem Umfang ernten zu können, ohne für kurzfristige Profite oder ungedeckte Spekulationen gegenwärtige und zu- künftige Generationen auszubeuten. Zugleich wird Nachhaltigkeit in dieser Ü- berlegung unter der Prämisse sozialer Gerechtigkeit formulierbar, die mit kei- nerlei Ausbeutung vereinbar ist. Während die kapitalistische Wirtschaftsweise gerade die Grundlage allen Reichtums und damit auch die des Kapitalismus selbst zerstöre. „Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit“ [MARX 1883: 529]. Demnach wäre Nachhaltigkeit in dem Sinne, dass Mensch und Erde als not- wendige Bedingung dauernder Fruchtbarkeit innerhalb der Wirtschaftsweise bestehen können, im Kapitalismus prinzipiell unmöglich398. Bodenfruchtbarkeit Sowohl von MIGGE als auch von WIEPKING wird der Boden als natürliche Grundlage des menschlichen Lebens betrachtet, die von Menschen mitgeprägt wird, weil sie sich zu ihrer Umgebung aktiv verhalten, wenn sie diese nutzen [z.B. MIGGE 1918; WIEPKING 1942]. Die Bodenfruchtbarkeit liegt nicht unmittelbar vor, sondern tritt den Menschen über die Aneignung der Natur vermittelt ent- gegen. Die menschliche Aneignung findet wesentlich in der Arbeit statt, die (zunächst) in die Ernte und (später auch) in den Boden gesteckt wird [z.B. WIEPKING 1942: 14ff]. Gerade so unterschiedliche Professionsvertreter wie MIGGE und WIEPKING, die sich beide auf den Garten beziehen, betonen die herausragende Bedeutung des Bodens als Produktionsgrundlage in der Pri- märproduktion. „Das Elend des Ersten Weltkrieges, [...] der Hunger der Bevölkerung, ließ Migge den Schrebergartengedanken abwandeln in das ‘Prinzip der Selbstversorgung’ [...]. Sein Vorbild waren die Gartenlandschaften – Fruchtlandschaften – Ostasiens, die entstanden sind aus intensiver technischer Bodenbestellung mit dem Ergebnis erhöhten Ertrags und nachhaltiger Bodenfruchtbarkeit“ [HÜLBUSCH I.M. 1978b: 6]. Ziel des Erhalts und der Steigerung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit ist für MIGGE zunächst die Selbstversorgung im lokalen bis nationalen Maßstab [z.B. MIGGE 1918: 8, 37]. Nach dem Ersten Weltkrieg stellt LEBERECHT MIGGE zum Themenkreis der gärtnerischen Selbstversorgung fest: „Ich bin überzeugt, daß unsere ungenügenden Bemühungen bisher, die Ergiebig- keit des Bodens, auf dem wir stehen, zu steigern, eine direkte und unausbleibliche 398 Angesichts der Devastation der Bodenfruchtbarkeit in den Ländern des ‘real existierenden Sozia- lismus’ wäre Nachhaltigkeit auch nicht im Sozialismus möglich. Die Landespflege und Grünplanung in der DDR unter dem besonderen Gesichtspunkt der Leitbildnerei und des Nachhaltigkeitsdiskurses konnte in dieser Studie nicht berücksichtigt werden. Die Ergänzungen von RUNGE [1998] über die Lan- despflege in der DDR erklären wenig zum Thema. 254 Folge der mangelnden Beschäftigung breitester und vor allem geistiger Schichten mit diesem Problemen ist. Wir waren Städter, was scherte uns das Land. Zum Leben hatten wir genug, und wo es fehlte, half der Nachbar aus. Im übrigen ver- ließen wir uns auf die, die zu dieser Arbeit bestellt waren. Das Volk als Ganzes aber war dem Boden entfremdet. Er war uns gleichgültig geworden. – Im Kriege erst haben wir gelernt, das Land mit anderen Augen anzusehen. Wir wissen jetzt, was Boden und Bodenfrucht bedeutet. Wir achten das Land, aber das ist nicht genug: Wir müssen es lieben lernen“ [MIGGE 1918: 39]. Der Zugang zum Boden und seine Kultivierung seien die Voraussetzungen, dass man sich wieder selbst ernähren und die Bodenfrucht mehren könne [z.B. MIGGE 1918: 1]. Die Nahrung würde durch Arbeit dem Boden abgerungen, des- sen Fruchtbarkeit erhalten werden müsse, um zukünftige Ernten zu sichern [z.B. MIGGE 1918: 11, 17, 21]. Der Boden ist einerseits das naturbürtig Gegebene, das andererseits der Arbeit unterliegend, in seiner Qualität kulturbürtig ge- schaffen wird. Der Mensch bearbeitet (unter Aufwendung eines bestimmten Arbeitsquantum und einer bestimmten Arbeitsqualität) den Boden, aus dem ein Ertrag hervorgeht, der in der Frucht und der Fruchtbarkeit des Bodens liegt. Der Ertrag ist das Produkt aus Arbeit und Boden, dessen naturbürtige Seite als Fruchtbarkeit erscheint (die anthropogen befruchtet wird). Unter dieser Sicht- weise erscheint die Arbeit aktiv und der Boden passiv399. „Wir müssen uns den fruchtbaren Gartenboden selbst bereiten!“ [MIGGE 1918: 17]. Kommt die Frucht dem Menschen direkt zugute, so fließt ihm auch ein be- stimmtes Quantum seiner Arbeitsqualität wieder zu, das er durch den ‘Boden’ in transformierter Gestalt konsumieren bzw. weiterverarbeiten kann. Die natür- liche Fruchtbarkeit des Bodens erfährt durch die Arbeit eine Veränderung (wird erhalten, erhöht oder vermindert), die im Modus der Arbeit als Melioration oder Degradierung erscheint; da die Fruchtbarkeit des Bodens eine Eigenschaft ist, die auch durch die Arbeit geprägt wird, die in den Boden ‘investiert’ wird. Je höher die Degradierung, desto weniger Arbeit bleibt im Boden, je mehr Melio- ration, desto mehr Arbeit bleibt im Boden. Ob eine Arbeit auf die Bodenfrucht- barkeit meliorierend oder entziehend wirkt, hängt von der Art der Arbeit, der Arbeitsqualität ab. Die gärtnerische Arbeit ist auf Arbeitsweisen ausgerichtet, die die Fruchtbarkeit des Bodens erhalten oder steigern, indem sie neben dem Fruchtertrag auch einen Fruchtbarkeitsertrag zeitigen, der den Nutzern in der Kontinuität zukünftiger Ernten wieder zugute kommt. Gerade im Gartenbau wird die Fruchtbarkeit des Bodens durch die eingebrachte Arbeit gesteigert, was aber auch bedeutet, dass eine geringe oder verminderte Bodenfruchtbar- keit mit einem erhöhten Arbeitsaufwand ausgeglichen werden muss, um ver- gleichbare Erträge zu erzielen, wie sie auf naturbürtig ‘reicheren’ Böden mit weniger Arbeitseinsatz zu erzeugen sind [vgl. MIGGE 1918: 9f]. „Bei fast allen Garteninteressierten bis tief in die Berufsreife hinein ist der Aber- glaube schier unausrottbar, daß die Ernte um so größer ist, je ‘kräftiger’ der Boden (Humus - Lehm) und je ‘südlicher’ seine geographische Lage ist. Für die (extensi- ve Bodenwirtschaft umschreibende) Landwirtschaft trifft das bis zu einem gewis- sen Grade zu. Für intensive Bodenwirtschaft aber, die wir mit Gartenbau bezeich- nen, ist der Grad ihrer Unabhängigkeit von Boden und Lage geradezu Wertmes- 399 ’Passiv’ ist ein Attribut, das im patriarchalischen Kulturkreis mit ’weiblich’ konnotiert ist. 255 ser und Legitimation. / Beim echten Gartenbau wird ‘Bonität’ und ‘Klima’ gemacht“ [MIGGE 1918: 13]. Die Bodenfruchtbarkeit umfasst neben dem Bodensubstrat auch Luft, Wasser, Sonne, Bodenleben, Dünger (und Arbeit) [z.B. MIGGE 1918: 13ff], es kommt aber darauf an, diese den Pflanzen über den Boden zugänglich zu machen [z.B. MIGGE 1918: 16f]. Autarkes Siedeln bedeutet, dass möglichst wenig externe Produktionsmittel hinzugekauft und möglichst intensiv die vorhandene Produk- tionsgunst genutzt werden sollen [z.B. MIGGE 1918: 21]. „Der Garten ernähre sich selbst, das ist sowohl die wirtschaftliche Voraussetzung seiner Verallgemeinerung, wie es die Vorstufe der allgemeinen Bodenerneuerung durch Intensivierung ist“ [MIGGE 1918: 9]. So rät MIGGE zur Kompostwirtschaft, die auf alle im Haus und Garten anfallen- den organischen Abfälle zurückgreift, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu si- chern [z.B. MIGGE 1918: 18f]. Die Forderung, die Primärproduktion zu intensivie- ren, läuft darauf hinaus, auch die Agrarproduktion dem Gartenbau anzunähern, d.h. Grünland in Acker und Feldbau zu Erwerbsgartenbau umzuwandeln [z.B. MIGGE 1918: 37]. „Das ‘Selbstversorgen’ innerhalb der Stadt hat Migge immer beschäftigt: [...] der, anstatt ein ‘Zurück aus Land’ zu propagieren, die Großstadt zu einem selbständi- gen, nicht das Umland ausbeutenden Gemeinwesen machen wollte [...] Migge war Gärtner, Techniker [...], kein Agrarromantiker, der vom Bauern als dem ewigen Menschen träumte“ [HÜLBUSCH I.M. 1978b: 8]. Der Garten bzw. Gartenbau ist das Vorbild der Landespflege in Deutschland vom Ersten Weltkrieg bis Ende der 1940er Jahre. Europa solle, so MIGGE in dem Buch ‘Deutsche Binnenkolonisation’, ein Garten werden: „Der Garten ist das Schicksal Europas. Geistig und stofflich, vom Heidekraut bis zur Tulipane. Jedem guten Europäer ein guter Garten, Europa: ein Garten – das ist mein Evangelium!!“ [MIGGE 1926]. Für die Gärten der Europäer überlegte MIGGE, der ein erfahrener Gärtner war, vor allem handwerkliche Hilfen und Regeln zur Organisation des Gartens, über die Einzelne verfügen können. Insofern jeder einen Garten besitzen können soll, bestünde Europa demnach aus vielen Gärten; wenn auch der eine Garten wiederum an das Paradies erinnert. Ähnlich, nur ähnlich, klingt das bei WIEPKING, der MIGGE noch überbietet, wenn er fordert, dass durch die Lan- despflege zunächst Deutschland und später die ganze Welt ein Garten werden solle; er fordert „den Weltgarten, den blühenden und fruchtenden Garten der Völker“ [WIEPKING 1949: 6 zit. in SCHEKAHN 1998: 139]. Mit der typischen religiö- sen Inbrunst der Landespfleger wird das Paradies zum Ziel der Landespflege: „Wissenschaft, Handwerk und Staatskunst haben noch große Arbeit zu leisten, bis aus dem ganzen Reiche der Deutschen ein ‘Garten’ geworden sein kann“ [WIEPKING 1942: 329]. Mit dieser Wendung von MIGGE zu WIEPKING findet ein entscheidender Wech- sel in der Bewertung der natürlichen Fruchtbarkeit statt, der schon in der Auf- fassung deutlich wird, wie der ‘Mutterboden’ von WIEPKING und SEIFERT ver- herrlicht wird. Mutter-Erde Die Fruchtbarkeit des Bodens als Produktionspotential wird auch mit den Me- taphern ‘Mutterboden’, „das schöne alte Gärtnerwort“ [WIEPKING 1939: 22], bzw. 256 ‘Muttererde’ [SEIFERT 1937: 79] charakterisiert400. Der Landespfleger ALWIN SEIFERT, der im NS-Staat am Bau der Autobahnen leitend beteiligt war, hatte von seinen Kollegen den Spitznamen ‘Herr Muttererde’ erhalten. Dem biolo- gisch-dynamischen Landbau zugetan, veröffentlichte er in den 1950er Jahren seine ‘Kompostfibel’, die unter dem Namen ‘Ackern und Gärtnern ohne Gift’ [1992] zum Erfolgsbuch wurde [LINSE 1984: 38]. Seifert betont die natürliche Fruchtbarkeit der Muttererde, die bei jeder Baumaßnahme erhalten werden solle [z.B. SEIFERT 1937: 79ff]. „Leben aller Art kommt immer nur von Belebtem; blühende Gärten erwachsen nur auf lebendigem Mutterboden. [...] Mutterboden ist der Grenzhorizont zwischen Oben und Unten, ist die Kontaktfläche, an der die Kräfte des Kosmos mit den Kräften der Erde in Wechselwirkung treten“ [SEIFERT 1937: 79]. Die herausragende Bedeutung des Mutterbodens und dessen notwendigen Erhalt begründet SEIFERT damit, dass er auf den Gedanken der (metaphysi- schen) Kreislaufwirtschaft aus dem biologisch-dynamischen Landbau [z.B. STEINER 1925: 42, 59f] anspielt, denn die Kräfte des Kosmos wirkten, so auch RUDOLF STEINER, über den Erdboden, der dessen Strahlung akkumuliere, auf das Pflanzenwachstum ein [z.B. STEINER 1925: 45f]. „Es scheint [...] die Wiedereinbringung des am Gartenort selbst Gewachsenen in den künftigen Kreislauf des Lebens ganz besonders vorteilhaft sich auszuwirken, wenigstens in Gärten, die nur eine gärtnerische Steigerung des der Landschaft Gemäßen sein wollen“ [SEIFERT 1937: 83]. Gemäß der Landschaft sind SEIFERT zufolge jene Pflanzen, die an ihrem Wuchsort mit jenen feinstofflichen Kräften kommunizierten, die auf die gesam- te Landschaft und ihren gewachsenen Mutter-Boden wirkten. Anders als SEIFERT, bei dem noch die natürliche Bodenfruchtbarkeit im Vordergrund stand, erklärt WIEPKING den Mutterboden zu einem Thema, das über das völki- sche Schicksal mitentscheidet. Der Mutterboden sei die wichtigste Energie in der Natur des Volkes: „Mutterboden ist das Heiligste, was wir besitzen. Er ist die Nahrungsdecke der Er- de, aus der wir leben! [...] Er ist die wichtigste Energie überhaupt im Haushalt der Natur und damit in der des Volkes und des Reiches. [...] Unter der Voraussetzung bester Pflege ist die Energie Mutterboden nicht nur eine bleibende Größe, son- dern eine sich ständig vermehrende. Sie vermindert sich jedoch in unseren Brei- ten rasch und oft gänzlich, wenn sie nicht pfleglich behandelt wird. / Die Pflege und Mehrung des Mutterbodens ist somit eine dringende nationale Notwendigkeit“ [WIEPKING 1942: 64]. Die Sorge um den Mutterboden, der schwinden könnte, sei notwendig, weil die ursprüngliche Walddecke Mitteleuropas gerodet wurde, um Viehzucht und A- ckerbau zu betreiben, so dass der Boden vor allem auf dem Acker gefährdet sei. Ein Großteil von WIEPKINGs ‘Landschaftsfibel’ beschäftigt sich mit Boden- erosion und -schutz. Die Ackerbaugebiete bildeten eine Art ‘Steppe’ im Wald- 400 Unter Muttererde versteht man „die erde als mutter“ und den „erdboden, der gewächse erzeugt (vergl. mutterboden)“ [GRIMM/ GRIMM 1866: 2815], Mutterboden ist „mütterlicher boden, land das uns ge- boren“ und „boden auf dem sich etwas erzeugt“ [GRIMM/ GRIMM 1866: 2814], wobei die Begriffe auch me- taphorisch – „mutterboden der begierden“ und „empfindung ist ihre Muttererde“ – gebraucht werden können [GRIMM/ GRIMM 1866: 2814f]. In unserem Zusammenhang ist wichtig, dass sowohl Mutterboden und als auch Muttererde im Sprachgebrauch für den Geburtsort und für den fruchtbaren Boden stehen können. 257 klima, die entsprechend gesichert werden müssten, um keine ‘Kultursteppen’ zu werden, in denen der Boden schutzlos Wind, Regen und Nährstoffentzug ausgeliefert seien [z.B. WIEPKING 1942: 317f]. „Wir wissen nach den Ergebnissen der Bodenkartierung, daß die wirklich guten Ackerbauflächen im Lande nicht sehr groß sind. [...] so muß in Zukunft der beste Mutterboden Grundlage des Vaterlandes [...] werden. [...] Jede einseitige, als eine nicht im totalen Zusammenhang aller naturwissenschaftlichen volkswirtschaftli- chen Dingen erfolgende Land- und Wassernutzung ist ein Verbrechen am Mutter- boden und am Vaterlande!“ [WIEPKING 1942a: 22f in RUNGE 1990]. WIEPKING fordert daher ein ‘Mutterbodenschutzgesetz’, das der Fruchtbarkeits- und Volksschädigung durch falsche Bodennutzung Einhalt gebiete [z.B. WIEPKING 1939: 22]. Der Erhalt des Mutterbodens trüge letztlich zur ‘Gesund- heit’ der Landschaft bei, da eine ‘gesunde Landschaft’ eine ‘nachhaltig ertrag- reiche Landschaft’ sei401 [z.B. WIEPKING 1939: 21]. Die nachhaltige Fruchtbarkeit des Bodens bilde dessen ‘Gesundheit’. Der medizinische Begriff der Gesund- heit, der eigentlich auf die psychische und somatische Konstitution eines indi- viduellen Menschen bezogen ist, wird unter sozialpolitischen Aspekten zur Volksgesundheit verallgemeinert, deren Erhalt die Arbeitskraft des Volkskör- pers analog zur kontinuierlichen Leistungsfähigkeit eines gesunden Indivi- duums erhalte. ‘Gesundheit’ steht im sozialhygienischen Diskurs als Metapher für ‘Nachhaltigkeit’402. Wird diese Metapher auf den Boden übertragen, kann sie synonym mit der Nachhaltigkeit der Bodenfruchtbarkeit gebraucht werden und eignet sich dann auch für die räumliche Ausweitung auf die angeschaute Landschaft, erscheine doch eine gesunde Landschaft als harmonisch. In Ana- logie dazu kann der Ausdruck ‘gesunde Landschaft’ zur Metapher für eine nachhaltig ertragreiche Fruchtlandschaft werden und später für industrielle und touristische Interessen als nachhaltig nutzbare Ressource Landschaft herhal- ten. Das Volk wüchse aus dem Mutterboden hervor, auf den die Saat der Rasse fällt, die ihn bearbeitet. So erhält der Mutterboden eine herausgehobene Posi- tion in der ‘Allgemeinen Anordnung für die Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostgebieten’, kurz AGO [z.B. AGO 1942], an deren Formulierung neben WIEPKING auch MÄDING mitgearbeitet hat. Als erster Grundsatz werden die „natürlichen Ertragsfaktoren“ genannt, unter denen dem Boden die höchste Bedeutung zugesprochen wird, der „stetig verbessert werden“ soll [z.B. AGO 1942: 25f]. „Der Mutterboden, die belebte obere Schicht der Erdkrume, ist die Quelle der Fruchtbarkeit jedes Landes. Seine Erhaltung, Pflege und Mehrung sind oberstes Gebot“ [AGO 1942: 26]. Die Fruchtbarkeit des Bodens gilt also in HEINRICH HIMMLERS403 AGO als land- schaftliche Grundlage der ‘Ostsiedlung’ und dem obersten Gebot entsprechen die drei Aufgaben der Landespflege: zu schützen, zu pflegen und zu entwi- 401 Aus der gesunden Landschaft ginge Nahrung, Volk und Industrie hervor, gäbe doch ihre Grundlage, der Mutter-Boden, den Pflanzen Halt und Nährstoffe, böte den Kulturwerken Fläche, Basis und Ort. 402 Siehe zum semantischen Zusammenhang zwischen nachhaltiger, gesunder und schöner Land- schaft das Kapitel: ‘Nachhaltigkeit als Ressourcenschutz’. 403 HIMMLER war im NS-Staat ‘Reichsführer SS’ und ‘Reichskommissar für die Festigung des Deut- schen Volkstums’. 258 ckeln404. Der Landespflege kommt in der nationalsozialistischen Expansions- politik unter anderem die Funktion zu, mit der Sicherung der Bodenfruchtbar- keit eine wesentliche Grundlage für die Ostsiedlung zu gewährleisten. Deutsches Bauerntum und Nahrungsfreiheit Die konservative Agrarromantik bot den erstarkenden völkischen Ideologien einen Orientierungspunkt, der versprach, Volk und Land wieder zu verbinden, die ‘entwurzelten Massen’ wieder zu verwurzeln [BERGMANN 1970: 327f]. Über die völkischen Parteien propagiert, hat die reaktionäre Agrarromantik in den 1930er Jahren die subsistenzorientierte Siedlungsbewegung aus dem ‘öffentli- chen Bewusstsein’ verdrängt und das Bauerntum zum nationalen Mythos er- hoben405, der ursprünglich aus der konservativen Kulturkritik entsprang, in der er das geschichtliche Moment des Beharrens bildete, z.B. bei RIEHL [HEUSER 1991: 53], nun aber mit rassistischen Argumenten mobilisiert wurde. „Zum Inbegriff einer intakten völkischen Gemeinschaft wurde der Mythos vom ‘e- wigen Bauern’. Geschichtslos und von jeder Veränderung unberührt, haust er auf seiner Scholle, ein Ort der Beharrung gegenüber dem unfruchtbaren, nomadi- schen Zivilisationsmenschen“ [SIEFERLE 1984: 188]. Der in Natur und Tradition eingebundene Bauer erscheint innerhab dieses My- thos als „Garant dafür, dass Natur und menschliches Leben im gleichen Rhythmus schlagen“ [SIEFERLE 1984: 188]. In der Blut-und-Boden-Ideologie wird dieser ‘ewige Bauer’, der in konservativer Perspektive die ständische Hierar- chie auf dem Land erhielte, rassistisch aufgefasst, so dass die aktive, ge- schichtsbildende Seite der Agrarproduktion betont wird. Der ‘deutsche Bauer’ kämpfe mit der Natur, der er sich in der Auseinandersetzung, ihr die Nahrung abzuringen, die sie ihm widerwillig, doch letztlich gäbe, verbunden fühle [z.B. WIEPKING 1942: 16, 24]. Das Bauerntum ist nicht mehr die Kraft des Beharrens, der Stabilisierung ständestaatlicher Sozialgefüge, sondern der Veränderung, die den Boden kultivierend, Dienst am Volk übe und die Rasse stärke. Denn erschien die konservative Ideologie, die auf den Erhalt überkommener Sozial- gefüge zielte, rückwärts gewandt, so begriff sich die völkische Ideologie, die auf den geschichtlichen Sieg im Rassenkampf zielte, fortschrittsorientiert [KÖRNER 2001: 37]. „Die kulturelle Erosion war soweit fortgeschritten, daß eine konservative Revoluti- on, eine Umwälzung zur Herstellung von Verhältnissen, die es allererst wert sein sollten, bewahrt zu werden, notwendig zu werden begann“ [SIEFERLE 1984: 191]. Galt bei den Kulturkonservativen die ‘agrarromantische’ Einheit von Bauer und Scholle als Garant des Bauerntums, so übernimmt in der nationalsozialisti- schen Ideologie die ‘rassische’ Einheit von Blut und Boden die Funktion, neben dem Bauerntum auch das Volk zu erhalten. Als Feind dieser bodengebunde- nen Einheit galt das ‘nomadisierende Judentum’ [HEUSER 1991: 53]. „In einer Verquickung unterschiedlicher Elemente der Rassentheorie, der völki- schen Utopie und des Antisemitismus erschienen Industrialisierung, Verstädte- rung und Mechanisierung der Landwirtschaft als Ergebnisse einer gigantischen Verschwörung, die dahin zielte, die nordisch-arische Rasse, das Blut, von ihrem 404 Siehe zur ‘landespflegerischen Dreifaltigkeit’ das Kapitel: ‘Die Ordnung der Landschaft’. 405 KÖRNER spricht vom „Bauerntum als Leitbild der Landespflege“ im Nationalsozialismus [KÖRNER 2001: 38-43]. 259 Kraftquell, dem Boden, zu trennen. […] ‘Blut’ war hier die ‘arische Rasse’, womit alle Deutschen gemeint waren, außer den Juden, und ‘Boden’ der Lebensraum dieser Rasse, also Deutschland selbst. Jeder Städter hatte somit Anteil an dem völkischen Mythos; jeder ‘Volksgenosse’ konnte sich in ihm wiederfinden. / Diese Generalisierung machte es möglich, daß im Begriff ‘Blut-und-Boden’ kein antiin- dustrieller, großstadtfeindlicher Affekt mehr mitschwingen mußte, oder doch nur indirekt, nicht als primärer Inhalt“ [SIEFERLE 1984: 202f]. Über die ideologische Figur, dass der Deutsche wesentlich und genetisch ‘Bauer’ sei, bleibt er es auch in der Fabrik und am Fließband. Die ‘deutsche Industrie’ erscheint dann als konsequente Fortsetzung des ‘rassischen Bauern- tums’ und gleich diesem dem Blut und Boden ‘entwachsen’. Der geschichtsphi- losophische Unterschied im Mythos vom Bauerntum zwischen dem der Kon- servativen und dem der Nationalsozialisten kommt auch in den Romanen zum Tragen, die ein bäuerliches Milieu schildern. „Die konservativen Bauernromane der Kaiserzeit stellten den Kampf bedrohter Bauern gegen das Eindringen des Kapitalismus dar, welcher schließlich mit einer Niederlage endete. [...] In den nationalsozialistischen Bauernromanen wurden da- gegen ‘völkische Parabeln’ konstruiert (Zimmermann 1975: 145). Im Kampf des selbständigen Bauern gegen die anonyme Macht des Geldes und des Kapitals wurde ein Mythos von Bedrohung, Niederlage und Wiedererstarkung bis zum Endsieg entwickelt“ [SIEFERLE 1984: 204]. Der Nationalsozialismus war eine Sammelbewegung, die viele Varianten nati- onaler, völkischer, rassistischer, antisemitischer, antikommunistischer, antika- pitalistischer, agrarromantischer, heimatschützerischer usw. Ideologeme integ- rierte, sofern sie nicht der Machtpolitik der nationalsozialistischen Führungsrie- ge widersprachen. Daher konnten auch die Agrarromantiker solange in der Partei geduldet werden, wie ihre Ideologie den rassistischen, Expansions-, Kriegs- und Modernisierungsbestrebungen des nationalsozialistischen Re- gimes entsprachen [SIEFERLE 1984: 211]. Gerieten sie hingegen in Widerspruch, dann wurden sie, wie es in Grauen erregenden Metaphern heißt, ‘kalt gestellt’ oder ‘ausgeschaltet’. „Der Charakter des Nationalsozialismus als rechte Sammelbewegung brachte es mit sich, daß führende Parteimitglieder durchaus unterschiedliche Zielvorstellun- gen besaßen. Zweifellos gab es Nazis, die für eine archaische Gemeinschaft plä- dierten und deren Ideal durchaus den Topoi der Agrarromantik entsprachen. Dar- ré und Himmler sind wohl zu ihnen zu rechnen, wenn auch ihre ‘Realpolitik’ gera- dezu entgegengesetzte Züge trug. [...] Von seinem Ergebnis her war der National- sozialismus eine technokratische Bewegung in romantischem Gewand“ [SIEFERLE 1984: 220f]. Führende Nazis vertraten agrarromantische Positionen [HEUSER 1991]. Der Ar- tamanenbund, dem u.a. HEINRICH HIMMLER (Reichsführer SS) und RICHARD DARRÉ (Reichsbauernführer) angehörten, 1923 gegründet und aus konservati- ven agrarromantischen Kreisen der Jugendbewegung hervorgegangen [BERGMANN 1970: 248f], war ein Element der nationalsozialistischen Bewegung [HEUSER 1991: 58f]. Sein Gründer BRUNO TANZMANN trat für die Reagrarisierung Deutschlands und eine Neubelebung des deutschen Bauerntums ein, das über landwirtschaftliche Fachschulen, die ein ‘völkisches Wissen’ zu lehren hätten, professionell gestärkt und ideologisch geschult werden sollte [HEUSER 1991: 58]. Mit der Reagrarisierung forderte er die Zerstörung der Großstädte, die Elimi- 260 nierung der humanistischen Bildung und unanschaulichen Mathematik sowie die Vernichtung der Juden [HEUSER 1991: 59]. „Mit der Gründung der Artamanenschaften beabsichtigte Tanzmann, eine Art Vor- hut für die zukünftige Reagrarisierung Deutschlands zu schaffen. Es sollten kämp- ferisch gesinnte, elitäre Keimzellen einer ‘völkischen Renaissance’ und künftige Führer des neuen Ständestaates ausgebildet werden, eine Aufgabe, die später von der SS übernommen wurde“ [HEUSER 1991: 59]. Ideologischer Bestandteil der Artamanenbewegung war die Ostkolonisation, die auf eine Besetzung des Landes bis zum Ural und Vertreibung bzw. Ermor- dung der ansässigen Bevölkerung hinauslief. Das ‘freigewordene’ Land sollte von ausgewählten deutschen Jungbauern besiedelt werden, die dort eine Lati- fundien-Landwirtschaft aufbauen sollten. Im Rahmen der ‘Gleichschaltung’ wurde der Artamanenbund 1935 aufgelöst, aber machtpolitisch erwünschte Teile seiner Programmatik bei der von HIMMLER geleiteten Ostexpansion und damit in den Aufgabenbereich der Landespflege übernommen. „Das Programm der Artamanen überlebte jedoch in der SS. Es gilt als sicher, daß Himmler aus der Artamanenpraxis wesentliche Anregungen für den Aufbau der SS als ‘Orden’ gewann. Nicht nur äußere Kennzeichen wie die Ordensfarbe Bau- ernschwarz, sondern auch die Hauptzielsetzungen sowie das elitäre Bewußtsein, der eigentliche Kern des Nationalsozialismus zu sein, geht auf Artamanentradition zurück“ [HEUSER 1991: 59f]. Dem präfaschistischen Artamanenbund gehörte in leitender Position auch der Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister DARRÉ an [BERGMANN 1970], in dessen Ministerium das Gesetz zum Reichsnährstand (RNST) entwor- fen wurde. Aufgabe des RNST war die Steigerung der agrarischen Produktion, Markt- und Preisregelungen sowie die Sicherung der Lebensmittelversorgung, wobei er die Ziele verfolgte, die Verbraucherpreise für Agrarprodukte im Land zu senken, die staatliche Autarkie in der Lebensmittelversorgung zu erhöhen und für die Industrie Handelsbeschränkungen aufzuheben [SCHEKAHN 1998: 106-110]. „Sohn-Rethel weist darauf hin, daß sich hinter dem von den Nationalsozialisten geprägten Begriff ‘Reichsnährstand’ ein Inhalt verbirgt, den er mit dem Begriff ‘Agrarkartellierung’ beschreibt. Vertreter der Schwerindustrie und Großagrarier ei- nigen sich bereits im August 1932 auf das Programm der Agrarkartellierung, de- ren Kernstück die Verlagerung des Außenhandels (vor allem der Einfuhr) von Ü- bersee nach Europa ist. Von den Reichswehrkreisen wird dieses Projekt begrüßt, da man im Kriegsfalle nicht von Einfuhren agrarischer und industrieller Rohstoffe aus fernen Überseegebieten abhängig sein will (1992, S.77)“ [SCHEKAHN 1998: 107]. Die sogenannte Erzeugungsschlacht, die der RNST im Zusammenhang mit der Kriegsvorbereitung inszenierte, umfasste alle Maßnahmen für „eine allge- meine Steigerung der landwirtschaftlichen Bodenerzeugung“ [RNST 1936: 7 zit. in SCHEKAHN 1998: 110]. Für die Erköhung des Bodenertrags wurden ‘10 Gebote’ aufgestellt [SCHEKAHN 1998: 110], ein Ausdruck, der religiöse Reminiszenzen wach ruft. Unter dem NS-Regime erhielt die Flurbereinigung eine neue Rechtsgrundlage, die es erlaubte, sie ohne mehrheitliche Zustimmung der be- troffenen Landnutzer behördlich anzuordnen [SCHEKAHN 1998: 111]. Ziel der Flurbereinigung war neben der Vergrößerung der Betriebe [SCHEKAHN 1998: 112f] auch die „Landbeschaffung für öffentliche Zwecke“ [SCHEKAHN 1998: 111], 261 wodurch absichtlich Bauern die Produktionsgrundlage entzogen wurde, die alsdann als Neusiedler in den Ostgebieten ‘wurzeln’ sollten: „Die Umlegung und besonders die Maßnahmen der ländlichen Neuordnung sollen bekanntlich die vielen Wege ersparen, die Wirtschaft erleichtern, die Anwendung von Maschinen ermöglichen und damit dem Bauern sein Dasein erträglicher ma- chen. Sie sollen aber u.U. auch Bauern frei machen für den Osten“ [SCHWENKEL 1943: 15 zit. in SCHEKAHN 1998: 127]. Die Formulierung, die Bauern frei zu machen406, ist nichts weiter als ein Eu- phemismus für die Vertreibung der Bauern vom Land und verdeckt die politi- sche Absicht, dass sie dann für die Industrie und Expansionspolitik zur Verfü- gung stünden. Die Erhöhung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit, die Auswei- tung der ertragreichen Fruchtlandschaft und die Ernährungssicherheit des deutschen Volkes, die in die Verwaltung des RNST eingebunden waren, unter- lagen der Kriegsplanung und der Ostexpansion des Nationalsozialismus. Wenn in dem faschistischen Staat davon die Rede ist, dass „Nahrungsfreiheit die Voraussetzung politischer Freiheit“ sei [RNST 1936. 7 zit. in SCHEKAHN 1998: 110], dann kann damit nur die Willkür des Regimes gemeint sein, dem die Er- höhung der Bodenfruchtbarkeit letztlich dienen soll. Die Ideologisierung des ‘deutschen Bauerntums’ fingierte einen genügsamen und arbeitsamen Bauern, der nicht um des Profits willen produziere, sondern im Dienst für Familie und Volk, um ihn dann im Namen des Volkes auszubeuten. „So wie der Bauer ideologisch überhöht und damit ein Zugriff auf sein Eigentum und seine Arbeit legitimiert wird, so wird das ‘Volksganze’ über die Menschen ge- stellt. Damit wird die Planung unangreifbar, da sie vorgibt, dem Wohle aller zu dienen. Die Menschen werden dabei zu einer beliebigen Manöveriermasse“ [SCHEKAHN 1998: 118]. Die agrarpolitischen Interventionen des NS-Regimes förderten die Entmündi- gung der Bauern und die Einbindung der Agrarproduktion in das kapitalistische System [SCHEKAHN 1998: 107f]. Volksfruchtbarkeit Die Landespflege erfüllte im NS-Staat neben imperialistischen und industriellen Funktionen auch einen Kulturauftrag407. „Dieser Auftrag bestand in der Bewahrung und Ausgestaltung landschaftlicher Ei- genart im Zeitalter der universalistischen Industrie und der egalitären Demokratie. Er sollte erstmals im Rahmen staatlicher Gesamtplanung umgesetzt werden“ [KÖRNER 2001: 17]. Dieser Kulturauftrag betraf auch die Inszenierung natürlicher Fruchtbarkeit z.B. in den eroberten ‘Ostgebieten’. Das Konzept der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens wurde im Nationalsozialismus um die natürliche Fruchtbarkeit des Vol- kes erweitert, der das Primat zugesprochen wurde, weil der Boden, der passiv anthropogenen Zugriffen bereitläge, von Völkern, die sich ihm gegenüber aktiv verhalten, geprägt würde [z.B. WIEPKING 1942: 14-16]. Diese anthropogene Prä- gung, die befruchtend oder zerstörend auf das natürliche Potential des Bodens wirke, charakterisiere die Eigenschaften der Völker, die entsprechend ihrer 406 Eine sprachliche Wendung, die an die sogenannte ‘Bauernbefreiung’ im 19. Jahrhundert erinnert, auch in der Konsequenz, dass die Bauern vom Land vertrieben wurden. 407 Diese Darstellung der nationalsozialistischen Konzeption der Landespflege folgt im Wesentlichen der ideengeschichtlichen Rekonstruktion von KÖRNER [2001: 19-76]. 262 ‘Bodenbildung’ in schaffende oder raubende unterschieden werden könnten [KÖRNER 2001: 36; z.B. WIEPKING 1942: 13, 310]. In der nationalsozialistischen I- deologie wird das Volk als eine natürliche Einheit aufgefasst, die eine kulturelle Seite ausgebildet habe, aber wesentlich von seiner Natur bestimmt werde, die in der Rasse und ihren Eigenschaften läge408 [KÖRNER 2001: 34]. Diese ‘innere Natur’ der Völker – die ihre biologische Naturanlage bilde, die sie bestimme – wird vom modernen Rassismus im naturwissenschaftlichen Sinne als eine ob- jekthafte Natur aufgefasst [SIEFERLE 1984: 195]. Der moderne Rassismus ver- legt die Ursachen für sozialhistorisch entstandene Machtverhältnisse und Un- terdrückung in die biologischen Erbanlagen, der Menschen und entbindet da- mit von Herrschaftskritik und politischer Analyse der Machtverhältnisse409. „Betrachtete man letztere [individuelle Subjekte] ebenfalls in ihrer Abhängigkeit von ihrer eigenen Natur, also als Körper, so ist das natürliche Medium, mit dem ihr erreichter Entwicklungsstand weitergegeben wird, ihre Erbmasse“ [KÖRNER 2001: 34 – Einf. FL]. Die jeweilige Rasse habe sich durch Natur und Kampf mit anderen Rassen herausgebildet, wodurch eine Hierarchie der ‘tüchtigen’, überlebenswerten Rassen entstünde, in der die deutsch-germanische Rasse die Position der Herrenrasse einnähme [KÖRNER 2001: 65]. Die Rasse bilde somit die biologi- sche Grundlage der Geschichte, die nur scheinbar an der politischen Oberflä- che entschieden werde, weil die eigentliche Geschichte sich in der Tiefe der Erbmasse vollzöge [z.B. WIEPKING 1942: 23, 253], und in Jahrtausenden ent- scheide die Selektion über das Wesen und Gedeihen der Rassen, die im ewi- gen Kampf mit der Umwelt und konkurrierenden Rassen lägen [KÖRNER 2001: 34]. Aus der Sicht des sozialdarwinistischen Weltbildes findet der gesellschaft- liche Überlebenskampf der Menschen, die in rassistischer Auffassung Völkern zugehören, im Auftrag der Erbanlagen statt [SIEFERLE 1984: 194]. Wesentliches Merkmal der germanischen Herrenrasse sei die Eigenschaft, sowohl im Boden zu wurzeln als auch aktiv neue Siedlungsräume zu erschließen; die Germanen würden siedeln und wandern, um sich wieder anzusiedeln und zu wurzeln [KÖRNER 2001: 62f; z.B. WIEPKING 1942: 23]. „Der Akt des Schaffens von Kultur ist in diesem Weltbild nach dort am intensivs- ten, wo der Natur noch Land abgerungen werden muß, so daß sich hieraus schon fast die Verpflichtung gegenüber der Menschheit ergibt, gerade weil man ein kul- turell ‘hochstehendes’, da wurzelhaftes, den Boden pflegendes Volk ist, zu wan- dern, um durch Kolonisation Kultur zu verbreiten“ [KÖRNER 2001: 58]. Nach dieser rassistischen Geschichtstheorie unterscheiden sich die wandern- den Germanen von Nomadenvölkern dadurch, dass diese sich zum Boden räuberisch verhielten, stattdessen die Germanen den Boden bearbeiten, pfle- gen und meliorieren; also dessen Fruchtbarkeit erhöhten, anstatt nur seine Früchte abzuschöpfen [KÖRNER 2001: 58, 65; z.B. WIEPKING 1942: 12, 26]. Zu den ‘räuberischen Völkern’ gehören nach der nationalsozialistischen Ideologie die Slawen und Juden. „Damit ist eine wesentliche inhaltliche Komponente der späteren ‘Blut und Boden’- Ideologie, derzufolge der Bauer insbesondere durch die Bodenpflege die vorge- gebenen Möglichkeiten schonend entwickelt und damit ‘natürlichen’ Fortschritt 408 Vergleiche dazu relativierend WIEPKING [1942: 274]. 409 Zur ‘Rassentheorie’ vergleiche SIEFERLE [1984: 194-198]. 263 praktiziert, formuliert. [... Der ‘seßhafte Hirte’] kann die Weidegebiete nicht ‘aus- plündern’, weil sie auch in Zukunft Nahrung bieten sollen, und wirtschaftet daher stärker mit seinen Herden und der Natur. [...] Die nordische Rasse gehört dem- nach, obwohl sie ein Hirtenvolk ist, zu den seßhaften Völkern. Daraus folgt, daß sie, wenn sie wandert (und die Germanen sind ja bekanntlich bis nach Afrika ge- wandert), dies nur tut, um neuen Boden in Kultur zu nehmen, so daß das Wan- dern letztlich dem Willen zur neuen Verwurzelung und damit der Kultivierung durch Kolonisatoren entspringt“ [KÖRNER 2001: 65]. ‘Der Germane’ und seine deutschen Nachkommen wirtschafteten ihrer rassi- schen Natur gemäß nachhaltig, indem sie die Bodenfruchtbarkeit, in der sie wurzeln, erhielten und sogar steigerten [z.B. WIEPKING 1942: 310]. Im rassisti- schen Sinne sind sie selbst nachhaltig, weil sie die naturbürtigen Grundlagen ihres völkischen Fortbestands erhielten. Der ‘bäuerliche Geist’ erhielte die nachhaltige Bodenfruchtbarkeit, während der ‘räuberische Geist der Steppe’ sie zerstöre [z.B. WIEPKING 1942: 310, 318]. Diese besondere (ur-) geschichtliche Beziehung der Deutschen zum Boden, den sie pflegten, träte in ihrer ‘Liebe zur Landschaft’ in Erscheinung [KÖRNER 2001: 25; z.B. WIEPKING 1942: 16, 24]. Ihre Arbeit ist zwar einerseits Kampf gegen die Natur, die sie umgestalten, aber dieser Kampf zerstöre nicht die natürliche Fruchtbarkeit, die das Wesen des Bodens (seine Natur) bilde, sondern erhöhe sie sogar, weshalb sie letztlich in ihrer naturgemäßen Bewirtschaftung der Erde treu blieben [KÖRNER 2001: 27]. „[V]on führenden Vertretern der nationalsozialistischen Landespflege [wurde] der Zustand der deutschen Landschaft beklagt und zugleich aber die einzigartige Lie- be der Deutschen zur Landschaft proklamiert [...] Da also die Deutschen als defi- nitionsgemäß schöpferisch-kultivierendes Volk am Niedergang der deutschen Landschaft im Industriezeitalter nicht schuld sein können, muß dieser auf den durch die Demokratie gewährten Einfluß räuberischer, nicht mit dem Boden ver- wurzelter, nomadisierender Völker zurückzuführen sein, die Kapital zusammenraf- fen, anstatt es in schöpferischer Auseinandersetzung mit der Natur zu schaffen“ [KÖRNER 2001: 33]. In diesem Sinne wird das jüdische Volk, das wurzellos durch die Länder ande- rer Völker nomadisiere und sie ausräubere, als ein nicht ‘nachhaltiges’ Volk charakterisiert, das für sich allein nicht existieren könnte. Parasitär wirtschaf- tend sei es auf die ursprüngliche Produktivität der wurzelnden Völker angewie- sen, was neben der Kulturlandschaft auch Industrie und Kapital beträfe. „Und das Kapital, dessen Zirkulationssphäre als die bestimmende erscheint, sind damals personalisiert die Juden“ [BOSS 1986: 136]. ‘Der Jude’ wird zum Synonym für das ‘bodenlose’ Kapital, das den Ertrag fremder Arbeit abschöpfe, hingegen das ‘bodenständige’ Kapital der schöpferi- schen Volksgemeinschaft verpflichtet bliebe [KÖRNER 2001: 64]. Diese Differen- zierung des Kapitals hinsichtlich seiner ‘Bindung’ an den Boden, der völkisch geprägt sei, in Finanz- und Industriekapital – oder propagandistisch formuliert Rothschild410 gegen Krupp – ermöglichte eine Unterteilung in ‘gutes’ Kapital, das letztlich dem deutschen Volk diene, indem es die Kampfkraft des Staates, der die Rasse repräsentiere, erhöhe, und ‘verwerfliches’ Kapital, das es aus- raube und seine rassische Kampfkraft schwäche [z.B. WIEPKING 1942: 33, 66]. 410 Bzw. „Jakob Goldschmidt“ [WIEPKING 1942:33]. 264 „Hitlers Konzept beruhte auf der Rassentheorie, aus der er mit beeindruckender Konsequenz politische Schlußfolgerungen zog. Er begriff die Geschichte der Menschheit als eine der Kämpfe unterschiedlicher Rassen um beschränkten Le- bensraum. Jede Rasse strebt von Natur aus nach Expansion und letztlich nach der Unterwerfung anderer Rassen, nach der Alleinherrschaft. Ziel der Politik muß- te daher sein, die eigene Rasse bei diesem Ringen um Macht und Raum zu stär- ken, damit sie aus ihm als Sieger, als Herrenrasse, hervorging“ [SIEFERLE 1984: 211]. Betrachtet man die nationale wie internationale industrie-wirtschaftliche Kon- kurrenz aus dieser Perspektive heraus, dann erlangt sie vermittels des völki- schen Staates, der eine Rasse verkörpere, den Status des Rassenkampfes – sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch im Kampf gegen dasjenige Kapi- tal, das die Souveränität des Staates gefährde. „Durch die Kampfsituation auf dem Weltmarkt können dann auch Maßnahmen zugelassen werden, die gegen die Eigenart gerichtet sind. Sie können jedoch i- deologisch dadurch wieder legitimiert werden, daß über die Förderung der öko- nomischen Stärke der Deutschen ihre Konkurrenzkraft im Kampf mit anderen Völ- kern um Lebensraum gehoben wird“ [KÖRNER 2001: 67]. Somit erwiese sich im ‘Kampf der Kulturen’ der Kapitalismus als eine rasse- gemäße Waffe für die Hegemonie des deutschen Volkes. Die Rassentheorie fungierte als universelles Erklärungsmuster, das fast jede politische Strategie ‘naturwissenschaftlich’ zu legitimieren schien, weil sie auf Voraussetzungen beruht, deren Wirkungsweise so unbestimmt ist, dass aus ihnen alles abgelei- tet werden kann und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen letztlich weder beweisbar noch widerlegbar sind. „Da sie mit schlechthin unbeweisbaren Annahmen operiert, kann sie sich jede Verknüpfung zulegen, die sie pragmatisch benötigt. Wenn Kriegsvorbereitungen zwecks Eroberung neuen Lebensraums zu höchster technischer Anstrengung auf- riefen, dann wurde jeder Technikkritiker zum Gegner, also zu jemand, der außer- halb der ‘Rasse’ stand“ [SIEFERLE 1984: 223]. Landschaft und Lebensraum Landschaft wird von Landespflegern im Nationalsozialismus als Resultat ak- kumulierter Arbeit aufgefasst, die geschichtlich von einem rassisch bestimmten Volk geleistet worden ist. Sie sei Ausdruck menschlicher Anlagen, geschichtli- cher Produktivkraftentwicklung und der Wirtschaftsweise. Die Abgrenzung ei- ner bestimmten Landschaft wird nach visuellen, physiognomischen Gesichts- punkten vollzogen. „Einen ‘übersehbaren’ Raum der Erdoberfläche bezeichnen wir als Landschaft. [...] Die ‘Übersehbarkeit’ einer Landschaft ist oft größer als das Menschenauge reicht, doch muß sie ‘geschlossen’ sein, wenn wir einen Teil der Erdoberfläche als Landschaft bezeichnen. [...] Eine Landschaft ist um so geschlossener, je einheitli- cher ihr natürlicher und kultureller Zustand ist. [...] Das im tatsächlichen Sinne Ü- bersehbare, Geschlossene und Einheitliche ist somit das einprägsamste Kennzei- chen einer Landschaft“ [WIEPKING 1942: 11]. Fehlen in einer solchen Landschaft menschliche Zeugnisse, so dass ihre Ein- heit gänzlich naturhaft erscheint, dann liege eine ‘Urlandschaft’ vor, aber schon kleine Artefakte, die ihre Einheit auch kulturell bestimmen, transformierten sie zur Kulturlandschaft. 265 „In Deutschland haben wir es fast ausschließlich mit Kulturlandschaften zu tun, denn auch unsere heutigen Wälder sind bis auf geringste Reste Kulturwälder und damit der Kulturlandschaft zugehörig“ [WIEPKING 1942: 11]. Kulturlandschaften entstünden durch die Anwesenheit und Arbeit der Men- schen, die in ihnen leben und sich ihren Lebensraum einrichten. Je nach Art der anthropogenen Kultivierung unterteilt sie Wiepking in vollentwickelte ‘Fruchtlandschaften’ oder devastierte ‘Kultursteppen’ [z.B. WIEPKING 1942: 43, 317f]. „Unter Fruchtlandschaft wird eine in hoher Kultur befindliche Kulturlandschaft – im Gegensatz zum Park, zur nachlässig genutzten Landschaft oder zu einem Natur- schutzgebiet verstanden“ [WIEPKING 1942: 43]. Die Landschaft gilt zugleich als kausale Folge und als wesenhafter Ausdruck der menschlichen Arbeit und wirtschaftlichen Tätigkeit eines Volkes. Der Zu- stand der Kulturlandschaft sei Ausdruck des in ihr lebenden und wirtschaften- den Volkes, so dass in der landschaftlichen Qualität auch die Qualität des Vol- kes zutage trete. „Es gibt Landschaften, die dem innewohnenden Volke eine wahrhafte Heimat, Spiegelbilder seines eigenen naturnahen und tätigen Wesens und Schaffens sind und wiederum solche, die ein raubendes und streifendes Volk verwüstete, indem es achtlos Wald, Pflanzen, Boden und Wasser eigensüchtigem Genuß opferte“ [WIEPKING 1942: 13]. WIEPKING wendet das Indizienparadigma411 aus dem Blickwinkel der Rassen- theorie auf die Landschaft an, um von dieser auf angeblich rassische Eigen- schaften der Bewirtschafter zu schließen. Die Arbeit und Wirtschaftsweise, die die Kulturlandschaft geprägt hat, könne einerseits aus dieser geschlossen werden und sei andererseits Folge der rassischen Naturanlage der Völker. Mit dieser Argumentation wird es möglich, von der Landschaft auf die Rasseei- genschaften der in ihr lebenden Menschen zu schließen und aus diesen wie- derum rassegemäße Verhaltensweisen abzuleiten, die z.B. auch die Land- schaft prägen. Der logische Zirkelschluss, dass in dieser Argumentation die Landschaft sowohl Anzeichen als auch Beleg der Rasseeigenschaften ist, bes- tätigt die rassistischen Vorurteile, von denen diese Weltanschauung ausgeht. Innerhalb der rassistischen Weltanschauung erlangt die ‘Landschaft’ und damit die Landespflege neben der Eugenik eine prominente Position. „[Die Landschaft] zeigt uns in unerbitterlicher Strenge, ob ein Volk aufbauend und Teil der göttlichen Schöpfungskraft ist, oder ob das Volk den zerstörenden Kräften zugerechnet werden muß. [...] Sie ist neben der Blutspflege das tragende Gerüst einer jeden sinnvollen Volkspflege“ [WIEPKING 1942: 13]. Mittel im Überlebenskampf der Völker seien neben ihren rassischen Beson- derheiten auch kulturelle, weshalb zum Leben der Rasse auch die Kultivierung der Natur gehöre. Die edle Seite des deutschen Volkes zeige sich in seinem rassisch reinen Bauerntum, das in direkter entsagungsvoller Arbeit an der kon- kreten Natur diese kultiviere [KÖRNER 2001: 39; z.B. WIEPKING 1942: 310]. Im 411 Zur Indizienwissenschaft vergleiche die Erläuterungen des Geschichtswissenschaftlers CARLO GINZBURG [1979], zum Unterschied zwischen dem ideologischen und pragmatisch sinnvollen Einsatz des Indizienparadigmas in der Geographie siehe GERHARD HARD [1970c; 1995] und in der Landschafts- planung KARL-HEINRICH HÜLBUSCH [1986]. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist, wie die Indi- zienkunde aus der Perspektive eines abstrakten Antifaschismus von GRÖNING und WOLSCHKE- BULMAHN desavouriert wird [1986: 231f], dazu kritisch erhellend HÜLBUSCH [1989: 211] und HARD [1996]. 266 Gang der Geschlechter, die mit der Natur kämpften, entstehe somit die ‘deut- sche Landschaft’. Die rassengemäße Arbeit wäre Ursprung der deutschen Kul- tur, die in der deutschen Landschaft zum Ausdruck fände, die wiederum den typischen Lebensraums des deutschen Volkes bilde, der ihm entspreche und den es daher besonders liebe [KÖRNER 2001: 59; z.B. WIEPKING 1942: 16]. Diese Liebe der Deutschen zur Landschaft – ihres „naturnahen und tätigen Wesens und Schaffens“ – werde in der ‘deutschen Landschaft’ sichtbar [z.B. WIEPKING 1942: 13]. „Die Natur wird daher nicht ausgeraubt, sondern in den Dienst des Menschen ge- stellt und kultiviert. Dabei wird die Landschaft geschaffen, deren je nach Region spezifische Harmonie als Ausdruck der in die Gemeinschaft eingebetteten Indivi- dualität der Deutschen betrachtet wird“ [KÖRNER 2001: 27]. Es ist also nicht die Urnatur, die das Wesen der Deutschen ausdrücke, son- dern die rassisch bearbeitete Kulturlandschaft, die den adäquaten Lebensraum der Deutschen bilde, in dem sie bzw. ihre rassischen Eigenschaften am besten gediehen [z.B. WIEPKING 1942: 12]. Verbal setzte sich die Landespflege im NS- Staat zwar deutlich vom konservierenden Naturschutz ab, der forderte, die Ur- landschaften zu schützen, letztlich führte aber die Landschaftspflege einen modernisierten Naturschutz in die Kulturlandschaft ein. „Als wesentliches Objekt des Naturschutzes wurde die ‘Urlandschaft’, also die vom Menschen unangerührte Landschaft angesehen. Mit Hilfe der Landschafts- pflege sollte sich nun der Aktionsradius des Naturschutzes auf Gebiete der Kultur- landschaft erweitern“ [RUNGE 1989: 45]. Die Kultivierung ergebe letztlich einen Standortvorteil für die Rasse. Die tech- nischen Erungenschaften der Kultur steigerten die Überlebenskraft der Völker, die in der Industrie eine effektive Waffe entwickelt haben, die die Kampfkraft des Volkes erhöhe [z.B. WIEPKING 1942: 68; AGO 1942: 29]. Zur volksverträglichen Industrialisierung Deutschlands wird von Landespflegern die räumliche Segre- gation von Wirtschafts-, Wohn- und Erholungslandschaften [z.B. WIEPKING 1942: 12; AGO 1942: 31] sowie für die ermüdeten Volksgenossen ein privater Garten gefordert, um ihre geschwächte Arbeitskraft und ihr schöpferisches Potential wieder auffrischen zu können [z.B. WIEPKING 1942: 44]. Von der Landespflege im NS-Staat werden die professionstypischen Themen bearbeitet, die auch später – in eine andere politische Regierungsform eingebettet – von Landespflegern verbreitet werden. „Diese Theorie gestattet es, Bodenständigkeit als Einbindung in die Natur mit In- dustrie und Kapital zu verbinden, weil die technische Beherrschung von Natur ge- rade als Ergebnis eines höchst gelungenen Anpassungsprozesses verstanden werden kann, d.h. als höchste Entwicklung der im Menschen liegenden ‘geistigen’ Möglichkeiten in Auseinandersetzung mit den Naturkräften“ [KÖRNER 2001: 64]. Auch im Überlebenskampf zwischen den Völkern stünden nicht nur Körper ge- geneinander, sondern Kulturen, deren Erzeugnisse in der Auseinandersetzung mit der äußeren Natur eingesetzt würden und im völkisch-rassischen Konflikt als Waffe gegen fremde ‘genetische Naturen’ dienten [SIEFERLE 1984: 201, 211]. Die Industrie und die mit ihr verbundene kapitalistische Wirtschaftsform kann daher von der nationalsozialistischen Ideologie nicht einfach abgelehnt wer- den, indem sie sich auf ein idealistisch überhöhtes Bauerntum bezöge, son- dern muss in die völkische Bodenständigkeit verwurzelt und aus dieser weiter- 267 entwickelt werden, um eine (ideologische) Alternative zum ‘bodenlosen jüdi- schen’ Kapitalismus zu bilden. „Die Zerstörung der Lebensganzheiten seit der Aufklärung wurde dieser Auffas- sung zufolge nicht direkt durch Zweckrationalität und Technik ausgelöst, sondern durch Rassenvermischung, also durch negative Rassenauslese“ [KÖRNER 2001: 34]. Wurden Technik und Industrie vom konservativen Heimat- und Naturschutz seit der Jahrhundertwende noch abgelehnt, wenn nicht gar bekämpft, so er- langten sie im NS-Staat hohes Ansehen, weil sie als notwendige Mittel zum Endsieg im Rassenkampf und zur Verwirklichung der Herrenrasse galten. Denn Industrie und Technik, die mit unleugbaren Eingriffen in die Lebenswelt der Menschen das tradierte Sozialgefüge auflösten, berührten nach Ansicht der Rassentheorie die wesentliche Verfassung des Volkes, die in seiner gene- tischen Tiefenstruktur begründet läge, nur oberflächlich. Damit kommen dem Landespfleger gestalterische Aufgaben zu, die zwischen dem Erhalt der Rasse und der Modernisierung der Gesellschaft vermitteln sollen. Landespflege und nachhaltige Landschaft Die Landespflege im NS-Staat kann unter drei Aspekten charakterisiert wer- den: Ausgleich, Technokratie und Gesamtplanung. Der Landespfleger hätte die Aufgabe mit der Gestaltung einer der arisch-nordischen Rasse entspre- chenden Fruchtlandschaft einen Lebensraum zu schaffen, in dem sich das deutsche Volk rassegemäß entwickeln könne. Zur Aufgabe der Landespfleger schreibt WIEPKING: „[...] der Landschafter [sucht] darüber hinaus alle Kräfte der Landschaft in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenhang zu entwickeln und in den Dienst des Men- schen und seines Volkes zu stellen. [...] Es sollen Landschaften erhalten, ausge- baut oder neu geschaffen werden, welche die schöpferischen Kräfte in uns und in der Umwelt mehren. [...] Wie wir eine Volksgemeinschaft aufbauten, so muß auch eine Landschaftsgemeinschaft erwachsen, eine wirkliche und beständig wirkende, eine heilbringende Einheit von Volk und Landschaft, Pflanzen und Tieren“ [WIEPKING 1942: 12]. Die schöpferischen Kräfte zu mehren und eine beständig wirkende Einheit auf- zubauen, ist die Aufgabe der Landespflege zur Gestaltung der ‘nachhaltigen Landschaft’ im totalitären Staat. Angesichts einer zerstörten Kulturlandschaft käme dem Staat die „heilige Verpflichtung“ zu, „die uralten Rechte der gemein- sam genutzten und bewohnten Landschaften, die einst jeder deutsche Volks- stamm aus jahrtausendalter Erfahrung und Verpflichtung aufstellte, zu einem neuen inhaltsreichen Leben, – das der Neuzeit wie der Zukunft des Volkes an- gegossen sein soll –, zu bringen“ [WIEPKING 1942: 12]. Hier kommt nun dem na- tionalsozialistischen Führerstaat, der die rassische Volksgemeinschaft reprä- sentiere, die besondere geschichtliche Aufgabe zu, dass er die Industrialisie- rung mit dem Bauerntum versöhnen müsse, um eine moderne (kampfstarke) bodenständige und reinrassige Volksgemeinschaft schaffen zu können [KÖRNER 2001: 43]. Im nationalsozialistischen Verwaltungsapparat verstehen die Landespfleger die Landespflege als Mittel, die hoheitliche Planung für das Volk umzusetzen, indem sie den Raum für die Industrie und das Bauerntum zu ei- ner modernen deutschen Landschaft gestalten solle, um die Industrie wieder- um in der Landschaft zu verwurzeln [KÖRNER 2001: 48]. 268 „Mädings Landschaftspflege [sieht] nicht den Schutz von Resten der Urlandschaft im Vordergrund (wie es aus Sicht des Naturschutzes der Fall war), sondern die Nutzung der Kulturlandschaft, wobei er diese jedoch nicht aus der Betriebsper- spektive (wie im Rahmen der Landschaftsgestaltung), sondern aus der volkswirt- schaftlichen Perspektive des Landschaftsganzen betrachtet“ [RUNGE 1989: 57 – Einf. FL]. Die diffuse Formulierung, dass „die Nutzung der Kulturlandschaft [...] aus der volkswirtschaftliche Perspektive des Landschaftsganzen betrachtet“ werden soll, setzt voraus, dass diese ‘ganzheitliche’ Perspektive von Landespflegern eingenommen werden könnte. Eine Forderung, die im Rahmen der landespfle- gerischen Gesamtplanung verständlich wird, die Nutzungen an den Vorgaben des völkischen Staates misst, der als Repräsentant des Volkes und seiner Rasseeigenschaften im gestalteten ‘Landschaftsganzen’ zum Ausdruck kom- men solle [z.B. WIEPKING 1942: 29, 312; AGO 1942: 25]. Insofern bedeutet die „volkswirtschaftliche Perspektive des Landschaftsganzen“ die Übernahme der staatlichen Direktiven. Im alten deutschen Reichsgebiet beschränkte sich die landespflegerische Gestaltung im Allgemeinen auf eine ‘landschaftliche Ein- bindung’ der industriellen Anlagen in die Umgebung, indem sie dekoriert wur- den [z.B. WIEPKING 1942: 32; AGO 1942: 33]. Interessenskonflikte zwischen den Nutzergruppen wurden ästhetisch bereinigt [z.B. AGO 1942: 31, 35]. „Der Arbeit der Landespfleger kam insofern eine hohe ideologische Bedeutung zu, als sie zeigen sollte, daß im Nationalsozialismus der Einsatz modernster Technik nicht zwangsläufig zur Naturzerstörung führt und eine ‘naturverbundene’ Technik möglich ist, wenn sie in ein Wertesystem eingebunden wird. De facto gelang es der Landespflege aber lediglich, Eingriffe in die Natur und Landschaft zu kaschie- ren“ [KÖRNER 2001: 51]. Die Aufgaben zur ‘landschaftlichen Einbindung’ fallen in die Zuständigkeit der Landschaftsanwälte, die von SEIFERT im Rahmen des Autobahnbaus, zur Betreuung des Reichsarbeitsdienstes (und der Kriegsvorbereitung) eingesetzt wurden [RUNGE 1990: 48f]. „Im Gegensatz zur naturschutzorientierten Landespflege (Landschaftsschutz) wurde im Rahmen der technisch ausgerichteten Landschaftspflege der Land- schaftsanwälte (Landschaftsgestaltung) die langfristige Wirtschaftlichkeit land- schaftspflegerischer Maßnahmen zur Maxime“ [RUNGE 1989: 49]. Der ‘Gegensatz’ ist so groß nicht und nur tätigkeitsbezogen, denn funktional ergänzen sich Naturschutz und Landschaftspflege (im NS-Staat und anders- wo) bestens in der industriellen Ausgleichsplanung. Die nachhaltige Land- schaftsgestaltung gewährt langfristige Wirtschaftlichkeit. Rationalität wird zwar als ‘Ungeist’ moderner Gleichmacherei und Rassenvermischung von national- sozialistischen Landespflegern abgelehnt, aber als instrumentelle Rationalität, die im Dienste einer externen Ideologie stünde, also auch unter völkischer Ausrichtung betrieben werden könnte, akzeptiert [KÖRNER 2001: 36; z.B. AGO 1942: 29]. 269 „Trotz einer zunächst oppositionellen Haltung gegen falsch angewandte Industrie und Technik ordnet man sich zugleich in die gesellschaftlichen Funktionszusam- menhänge ein, indem man dazu beiträgt, daß die Reproduktion des Industriesys- tems durch den schonenden Umgang mit der Natur verbessert wird, will dies aber auch“ [KÖRNER 2001: 49]. Geht es bei der Gestaltung der deutschen Siedlungsgebiete im alten Reich um die Einbindung der technischen Anlagen in die bestehende Landschaft, so kommt auf die Landespfleger bei der ‘Osterweiterung’ des Deutschen Reiches die Aufgabe zu, für die deutschen Neusiedler eine neue ‘deutsche Landschaft’ zu schaffen, in der sie sich wohlfühlen und dauerhaft wurzeln können [KÖRNER 2001: 37; z.B. WIEPKING 1942: 12; AGO 1942: 24]. In diesem Sinne schreibt WIEPKING: „Eine Neusiedlung nordischer Menschen muß dieser Landschaftssehnsucht weit- gehend Rechnung tragen und beide Kräfte, die uns gestalten, das Blut und die Umwelt, sind dauernd in der sorgsamsten Weise zu hegen und zu pflegen“ [WIEPKING 1942: 24]. Die maßgeblichen Landespfleger im NS-Staat sehen in Anlehnung an das ras- sistische Weltbild des Nationalsozialismus die Expansion des deutschen Blu- tes durch das Bauerntum, die Industrie, den Krieg und die Landespflege ge- stützt [KÖRNER 2001: 57]. Im Sinne dieser Ideologie erfüllt ihre Planung den ge- schichtlichen Auftrag, dass die ‘hochwertigste Rasse’ sich über die Welt aus- breiten soll, indem sie den spezifischen Lebensraum für diese schaffen. „Landschaftsgestaltung war notwendig, um zu gewährleisten, daß sich deutsches Blut auch in der Fremde wohlfühlen konnte. Es war daher unerläßlich, die ent- sprechenden Räume darauf ‘vorzubereiten’“ [KÖRNER 2001: 60f]. Das Berufspathos der Landespfleger, als Gärtner den ‘Weltgarten’ zu gestalten (z.B. WIEPKING) [RUNGE 1989: 51ff], meint nationalsozialistisch gedeutet das deutsche Weltreich, in dem die natürliche Fruchtbarkeit des deutschen Volkes sich vollkommen entwickeln und entfalten könne. Denn die Blut-und-Boden- Ideologie erfuhr einen entscheidenden Wandel. „Ursprünglich war damit die Identität ansässiger Bauern mit ihrer ‘Scholle’, also das Landstück, das sie und ihre Vorfahren seit Jahrhunderten bewirtschaftet hat- ten, gemeint. [...] Von diesem agrarromantischen Begriff muß jedoch die national- sozialistische Bedeutung von ‘Blut-und-Boden’ unterschieden werden. ‘Blut’ war hier die ‘arische Rasse’, womit alle Deutschen gemeint waren, außer den Juden, und ‘Boden’ der Lebensraum dieser Rasse [...] Gegner von Blut-und-Boden waren jetzt nicht mehr Stadtmenschen, Industrie, Technik und Effizienz, sondern Juden und Ausland, sowie deren Agenten im Inneren. [...] Als Aufgabe leitete sich jetzt nicht mehr eine Reagrarisierung ab, sondern die Herstellung arischer Rasserein- heit [...] sowie schließlich die Eroberung eines größeren Lebensraumes“ [SIEFERLE 1984: 203]. Die Landespflege ist in den nationalsozialistischen Imperialismus und Natio- nalchauvinismus integriert, den sie ideologisch und mit technischen Kenntnis- sen stützt, um die ‘naturbürtige Fruchtbarkeit’ (von Land und Leuten) zu stei- gern [KÖRNER 2001: 43]. Die ambitionierte Landespflege gestaltet ‘industrielle Landschaftsparks’. „Im Industriezeitalter bedarf es also, da ein kulturelles Zentrum, das eine Einord- nung bewirken könnte, abhanden gekommen ist, des ‘Landschafters’, der die ge- sellschaftlichen Aktivitäten untereinander und hinsichtlich ihrer Naturverträglichkeit 270 zu einem ‘Gesamtkunstwerk’ koordiniert. Damit wird für die Landespflege ein allen anderen gesellschaftlichen Bereichen übergeordneter Planungsanspruch erho- ben, da nur so industrielle Entwicklung und Wahrung der Naturkräfte als harmoni- scher Fortschritt denkbar zu sein schien“ [KÖRNER 2001: 46]. Die Auffassung, dass die Technik ein wertfreies Instrument sei, das von politi- schen Kräften unterschiedlich eingesetzt werden kann, ermöglicht es der Lan- despflege im NS-Staat einerseits gegen die modernen Errungenschaften zu wettern, sofern sie nicht im Sinne der völkischen Ideologie eingesetzt würden, und andererseits sie zu fördern als effektive Mittel, deren sich die nationalsozi- alistische Landespflege zum Wohl des Volkes bedienen könne [KÖRNER 2001: 37; z.B. WIEPKING 1942: 68]. „Die rassentheoretische Erklärung war universal und einfach [...] Eine weitere Ent- lastung bestand darin, daß sie die Technik exkulpierte, d.h. die unlösbare Verbin- dung auftrennte, die konservative Kritiker zwischen Technik, Kapitalismus und Umweltverschandelung sowie der Erosion von traditionellen Sitten und Werten sahen. Technik und Industrie konnten jetzt in reiner Instrumentalität gesehen wer- den; sie besaßen keine prägende Wirkung auf die gesellschaftlichen und kulturel- len Lebensverhältnisse. [...] Damit war die Technik neutral und ihre Anwendung, ihre Modellierung der Landschaft, konnte prinzipiell von der jeweiligen Kultur ge- steuert werden, denn Kultur war direkter Ausdruck von Rasse. War erst die Rein- heit der Rasse erreicht, so bildete die Meisterung der Technik kein Problem mehr“ [SIEFERLE 1984. 201f]. Wie im Kapitel ‘Restauration der Landespflege’ dargestellt, behält die Landes- pflege nach dem NS-Staat diese technokratische Haltung nur unter anderer politischer Ausrichtung bei und wird von den professionellen Kritikern seit den 1980er Jahren darin unterstützt [BOSS 1986: 129f]. Damit betrieb die Landes- pflege auch im NS-Staat ein fortschrittsorientiertes Programm, das weiterhin aktuell ist. „Somit wird Rationalität von Mäding und Wiepking ausschließlich als eine tech- nisch-instrumentelle, ihres transzendentalen Gehaltes beraubte verstanden, die in Grenzen, d.h. sofern sie wie die Ingenieurbiologie der Pflege und Gestaltung der Landschaft dienlich ist, sich also an die Natur anlehnt, akzeptiert wird. [...] Die Maßstäbe für den ‘richtigen’ Einsatz des technischen Denkens liefern die ‘Gesetze des Lebens’, die als Basis gesellschaftlicher Aktivitäten der Naturnutzung Grenzen setzen, die beachtet werden müssen, will man nicht langfristig den Untergang der eigenen Kultur betreiben. [...] Technik steht dann nicht mehr nur für ‘kühles’, abs- trahierendes Denken, sondern ist, wenn sie im Dienste der ‘richtigen’, d.h. der na- tionalsozialistischen Ideologie angewendet wird, gerade Ausdruck der besonderen Leistungskraft des deutschen Volkes, obwohl durchaus weiterhin das technische Denken, wenn es als zu ‘einseitig’ empfunden wird, verurteilt wird“ [KÖRNER 2001: 24f]. Als Maß richtiger Technik gälte die Landschaft, die historisches Produkt der rassegemäßen Auseinandersetzung mit der Natur sei, die unter Einsatz neuer technischer Mittel den ‘völkischen Auftrag’, der in der historisch entstandenen Landschaft lesbaren sei, aktuell fortsetze und dabei eine neue deutsche Land- schaft schaffe [z.B. WIEPKING 1942: 12f]. Das ‘landschaftliche Leitbild’, nach dem sich die Landschaftsgestaltung in den eroberten Ostgebieten richten solle [z.B. AGO 1942: 31, 35], wäre demnach die ‘gewachsene deutsche Kulturlandschaft’. „Dies ist so, weil die Rationalität als Wert an sich, wenn sie technisch angewandt wird, nur im Dienste der Profitsteigerung steht und damit Natur ‘räuberisch’ aus- 271 beutet. Landschaft verkörpert demgegenüber gewachsene, in die Natur einge- bundene Kultur. Zugleich steht Landschaft, weil ihre Gestalt Ergebnis einer histo- rischen Auseinandersetzung von Mensch und Natur im Akt des Kultivierens ist, für richtig angewandte Technik und Rationalität“ [KÖRNER 2001: 47]. Die Zweckrationalität erlaubt eine kulturkonservative Kritik am ‘Werteverfall’ und den Einsatz moderner Produktivkräfte, die im Sinne der verteidigten Werte richtig eingesetzt die sichtbaren Folgen des ‘Werteverfalls’ beseitigen könnten. Es käme letztlich auf die Gesinnung an, mit der die Technik betrieben würde, ob sie gut oder schlecht wirke [z.B. SEIFERT 1934: 11]. Dieser landespflegerische Dezisionismus wurde bruchlos in der BRD beibehalten. „Man darf somit selbst auf einmal technizistisch und instrumentell denken, wenn man nur an die richtigen Werte glaubt und der richtigen Rasse angehört, die diese Werte repräsentiert. Die Technik scheint damit kulturell eingebunden und verliert ihr zerstörerisches Gesicht“ [KÖRNER 2001: 49]. Die Landespfleger können daher die industrielle Ausrichtung der Agrarproduk- tion fördern, ohne in Konflikt mit dem Leitbild des deutschen Bauerntums zu geraten, vorausgesetzt, dass die Verfahren z.B. der Flurbereinigung im Geiste der völkischen Ideologie durchgeführt werden [KÖRNER 2001: 67]. Das moderne Bauerntum kämpft – mit Traktor, Kunstdünger und Pestizid bewaffnet – mit sei- ner geliebten Erde, um eine neue kräftige deutsche Kultur zu schaffen [KÖRNER 2001: 75]. Der scheinbare Widerspruch zwischen der Ideologie eines bodenständigen Bauerntums und modernisierenden landespflegerischen Maß- nahmen, den viele Kritiker an der Landespflege im NS-Staat konstatieren [z.B. GRÖNING/WOLSCHKE-BULMAHN 1987; RUNGE 1989; SCHEKAHN 1998], erweist sich als schlüssige Umsetzung einer – angesichts ihrer Prämissen – kohärenten rassistischen Ideologie. Die ‘nachhaltige Landschaft’ im Sinne des Nationalso- zialismus umfasste also die Fruchtbarkeit von Boden und Volk samt einer ras- sestärkenden Industrie. „Der Nationalsozialismus beschleunigte die Technisierung und Industrialisierung, er entpuppte sich als gigantische Modernisierungsmaschine. / Viele hatten ge- hofft, er bilde den radikalen Versuch, die konservative Utopie in die Realität um- zusetzen. Dieser ‘romantische’ Zug war jedoch weder mit der Theorie der deut- schen Herrenrasse, noch mit Hitlers expansiven Ambitionen vereinbar. Der Krieg brachte schließlich eine totale Mobilisierung der technischen und industriellen Kräfte“ [SIEFERLE 1984: 223]. Nachhaltigkeit im Industriezeitalter wird von den Landespflegern, die diese I- deologie teilen, nur unter der Bedingung einer Gesamtplanung für möglich gehalten und daher gefordert. Denn die intakte bäuerliche Lebenswelt, aus der eine fruchtbare Landschaft und ein fruchtbares Volk hervorgehen könnte, sei durch die ‘falsch’, d.h. nicht rassegemäß eingesetzten industriellen Produktiv- kräfte zerstört worden [z.B. WIEPKING 1942: 12, 29ff, 36]. „Die Landespflege muß jedoch unter Bedingungen tätig werden, unter denen die lebensweltlichen Ganzheiten, deren räumlicher Ausdruck [Landschaft] als harmo- nisch empfunden wird, bereits zerfallen sind. An deren Stelle tritt der organische Staat, mit dem sich die Landespflege verbündet [...] Da die Landschaft der Neu- zeit keine ‘richtige’ mehr ist, weil Industrie und Technik dadurch, daß sie nicht in die richtige Ideologie eingebunden sind, zu disharmonischen Landschaften führen und diese gewissermaßen ihr falsches Gesicht zeigen, muß ‘richtige’ Landschaft, die vormals als Gestalt weitestgehend unbewußt entstanden ist, weil die Men- 272 schen in ein kulturelles Netz eingebunden waren, unter Anwendung von Wissen- schaft und Technik bewußt gestaltet und geplant werden, um die Geschichte der Landschaft unter neuzeitlichen Bedingungen weiterschreiben zu können“ [KÖRNER 2001: 48 - Einf. FL]. Die landespflegerische Gesamtplanung412 jener Zeit ist in das Konzept des fa- schistischen Staates und den nationalsozialistischen Imperialismus eingebun- den, die auf ‘ökonomische Autarkie’ ausgerichtet sind [KÖRNER 2001: 57]. In dieses ist die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion unter Ausnutzung der naturbürtigen Produktivität ebenso integriert, wie die Gestaltung neuer Produktionsstandorte im ‘Osten’. Die Landespflege findet im autoritären Staat die institutionelle Voraussetzung, die für die Durchsetzung der Gesamtplanung notwendig ist und fordert sie daher auch. „Mädings Landespflegekonzept ging in der Zusammenarbeit mit der Raumplanung über die bloße Markierung von Nutzungsansprüchen für Naturschutz und Land- schaftspflege hinaus, indem bis in den Bereich industrieller Produktion hinein landschaftsrelevante Nutzungsänderungen gefordert wurden“ [RUNGE 1989: 59]. Die ‘landschaftsrelevanten Nutzungsänderungen’ beziehen sich vor allem auf die Gestaltung der deutschen Landschaft. Als technisch machbare Kultur auf- gefasst, wird deren Herstellung kulturell notwendig, um die ‘deutsche Identität’ ästhetisch zu verbildlichen [KÖRNER 2001: 56]. „Die Deutschen waren berufen und in der Lage, sich die ganze Welt zur Heimat zu machen und entsprechend ihrer Bedürfnisse einzurichten (vgl. Eisel 1980: 98ff, 293ff; Rössler 1990: 40ff; Schulz 1991: 202ff). [...] Es handelt sich hierbei um den oben bereits angedeuteten Aspekt der Konstruierbarkeit von Landschaft, der mit dem Anspruch der Bewahrung ihrer kulturellen Identität verbunden wurde“ [KÖRNER 2001: 37]. Die ‘eigentümliche deutsche Landschaft’ und ihre ‘Nachhaltigkeit’ wurden im Rahmen ihrer technischen und ideologischen Machbarkeit universell. Fassen wir die Rekonstruktion zur Nachhaltigkeit in den 1920er bis 1940er Jahren zusammen, dann können wir festhalten, dass die subsistenzorientierte Perspektive auf den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit durch die herrschaftsorien- tierte Ausrichtung der Landespflege verdrängt wurde, die die Bodenfruchtbar- keit unter der politischen Bedingung des autoritären Staates als volkswirt- schaftlich und ideologisch verwertbare Ressource auffasste. Nachhaltig wären Erhalt und Steigerung der Bodenfruchtbarkeit durch räumliche Ausweitung des Mutterbodens, aus der eine gesunde Landschaft resultiere, die durch den ‘ge- netisch deutschen Bauern’ in Industrie und Krieg erkämpft würde gegen die Kräfte des bodenlosen Finanzkapitals, das wesentlich jüdisch und undeutsch sei. Item: nachhaltig ist deutsch. Im autoritären NS-Staat schlug der Zugriff auf die naturbürtigen Produktivkräfte besonders radikal durch. Entsprechend radikal wird dieser in der landespflege- rischen Programmatik gefordert. Wie in der Rekonstruktion des Leitbildes Nachhaltigkeit gezeigt werden konnte, ist diese aber kein Spezifikum der Lan- despflege im NS-Staat und wird – sprachlich modernisiert im Gewand anderer Phrasen – in der BRD bis in die Gegenwart perpetuiert [HÜLBUSCH 1977]. Unter 412 Ebenso wie im NS-Staat wurde der Anspruch auf Gesamtplanung von Landespflegern mit den nachfolgenden Leitbildern der Nachhaltigkeit ‘Ressourcenschutz’, ‘ökologische Umweltsicherung’ und ‘nachhaltige Entwicklung’ erhoben, wenn auch unter anderen politischen Voraussetzungen. 273 den jeweiligen Machtverhältnissen und dominierenden Ideologien propagieren Landespfleger mit Hilfe von Leitbildern einen gesellschaftlichen Konsens, um an der Herrschaft teilzuhaben, und legitimieren damit eine Umverteilung der Ressourcen und gesellschaftliche Ausbeutung, die sie zugleich gestalterisch durchsetzen. Demgemäß ist die Enteignung der ‘freien Güter’ nicht erst im NS- Staat als Arbeitsfeld der Landespflege entdeckt worden, sondern war schon seit ihrer Erfindung üblich [SCHNEIDER 1989], weshalb wir abschließend auf den ‘Ursprung’ des Nachhaltigkeitsdiskurses eingehen werden. Der Ursprung des Nachhaltigkeitsdiskurses „Der Umweltraum ist der Raum, den die Menschen in der natürlichen Umwelt be- nutzen können, ohne wesentliche Charakteristika nachhaltig zu beeinträchtigen. Der Umweltraum ergibt sich aus der ökologischen Tragfähigkeit von Ökosyste- men, der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ressourcen und der Verfügbarkeit von Ressourcen. [...] Der Umweltraum kann auf der anderen Seite aber auch er- weitert werden, wenn etwa verschmutzte Ökosysteme regeneriert werden, wenn über Aufforstung die Biomasse vermehrt wird, Flächen entsiegelt und Landschaf- ten rekultiviert werden oder die Wüstenbildung rückgängig gemacht wird“ [WUPPERTAL INSTITUT 1996: 27]. Um das ‘Missverhältnis’ von ‘Volk und Raum’ bzw. ‘Bevölkerung und Umwelt- raum’ auszugleichen, wird am Ende des zweiten Jahrtausends nicht mehr ein Expansionskrieg offen gefordert, sondern im zivilen Gewande über Verträge und Kalküle verklausuliert dem Ökoimperialismus zugearbeitet [GROENEVELD 1997: 33f, 37]. Der Nachhaltigkeitsdiskurs wird bruchlos modernisiert, wenn ab- gegriffene Metaphern abgelegt und neue Images geprägt werden. Das Leitbild der Nachhaltigkeit wird ungeachtet seiner Geschichte propagiert. „Wenn dies trotzdem weiterhin so erfolgt, zeigt dies meines Erachtens ein hohes Maß an Blauäugigkeit und auch an opportunistischem Verhalten der meisten der an diesem Prozeß Beteiligten: also das Verhalten von Wissenschaftlern ebenso wie von Politikern, und das von Administratoren nicht weniger als das von Wirt- schafts- und Industrievertretern. Alle wollen von der Nachhaltigkeitskonjunktur pro- fitieren und sich in ihr auch profilieren. Ökonomen und Soziologen lassen sich z.B. in wissenschaftlichen Beiräten oder als Gutachter von Politik und Wirtschaft in de- ren Absichten einbetten“ [GROENEVELD 1997: 33]. Das Leitbild der ‘Nachhaltigkeit’ wäre, so meine These, weiter rekonstruierbar im Natur- und Heimatschutz und der Landesverschönerung; aus pragmati- schen Gründen überspringe ich aber 200 Jahre, um den Text zu analysieren, in dem zum ersten Mal die Nachhaltigkeit erwähnt wurde. Auf diese Weise versuchen wir, den Ursprung des Nachhaltigkeitsdiskurses, in dem der Nach- haltigkeitsbegriff als ein symbolisches Herrschaftsinstrument geprägt wurde, zu rekonstruieren. Der Nachhaltigkeitsbegriff wird auf die Forstwirtschaft zurück- geführt [SCHNEIDER 1997: 38; GROENEVELD 1997: 31f], in der die ‘Nachhaltigkeit’ von dem Forstmann CARL VON CARLOWITZ eingeführt wurde. In seinem Buch ‘Sylvicultura oeconomica’413 aus dem Jahre 1713 wurde zum ersten Mal die ‘Nachhaltigkeit’, genauer die „nachhaltende Nutzung“ genannt [z.B. CARLOWITZ 413 In den Zitaten wurde die altertümliche Orthographie und Interpunktion beibehalten, obgleich es manchmal angebracht wäre, sie zur Klärung des Sinns der modernen Orthographie anzupassen. 274 1713: 105]. In der folgenden Debatte um die forstwirtschaftliche Nachhaltigkeit wird „entwicklungsgeschichtlich zunächst von einer ‘Flächennachhaltigkeit’, dann von einer ‘Massennachhaltigkeit’ und schließlich (heute) von einer ‘Funk- tionennachhaltigkeit’ (Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes neben den herkömmlichen Funktionen der Holzerzeugung und der Klimaregulierung) ge- sprochen“ [GROENEVELD 1997: 31]. Das heißt, dass die Debatte von der Melio- ration der Produktionsgunst (z.B. Bodenverbesserung) auf die dauerhafte (Ma- ximierung der) Holzproduktion (z.B. schnell wachsende Baumarten) und die industriellen Ausgleichsfunktionen des Forstes (z.B. Ressourcenschutz, Tou- rismus) verlagert wurde. Der forstwissenschaftliche Nachhaltigkeitsbegriff, der im 18. Jahrhundert in die forstwirtschaftliche Theorie eingeführt wurde, ist von der Idee her älter [SCHNEIDER 1997: 38f]: „Nachhaltigkeit als wirtschaftliches und standörtliches Konzept ist eine ‘mittelalter- liche’ herrschaftliche Reaktion auf die Übernutzung und Ausbeutung der Wälder, als die herrschaftliche Wertholzproduktion unmöglich wurde. Die neuen Waldord- nungen belasteten in der Regel die ökonomisch Schwächeren, die bäuerlichen Familien, weil ihnen zum Teil die Waldrechte entzogen wurden“ [SCHNEIDER 1997: 38]. Obgleich im 18. Jahrhundert noch keine explizite Landespflege existierte, kön- nen an der physiokratischen Landeskultur doch Merkmale identifiziert werden, die auch für die Landespflege typisch sind. In dieser Phase der landesherrli- chen Intervention ist der moderne Landschaftsbegriff noch nicht entfaltet414, so dass die ästhetisierenden Momente beim Zugriff auf das Land entfallen. Die ästhetische Gestaltung der Gärtner im Herrschaftsdienst war im Barock auf die Gärten und größeren Anlagen beschränkt, das Land außerhalb der Garten- mauern wurde kultiviert und dessen Bewirtschaftung intensiviert, um den Er- trag und damit die landesherrlichen Einnahmen zu steigern. Problemdefinition Holzmangel CARLOWITZ entwickelt eine Überlegung zur naturbürtigen Produktionsgunst und behauptet, dass diese von Gott eingerichtet sei, auf welche er direkt zu Beginn des Buches eingeht und dann immer wieder zurückkommt. Die Natur- ausstattung erscheint hier als gottgeschaffene Ordnung, die erhalten werden solle. „Zwar ists nicht ohne/ dass die Weißheit des Allmächtigen Schöpffers dem Erd- Boden von Anfang her/ unter anderen auch sich selbsten den Herfürwachs aller- hand Bäume/ und darunter zugleich die vielerhand Arten des Wald-Holzes einge- naturet/ welcher auch noch bishieher solche Seegens-Kraft behalten und seine Selbst-Besaam- und Fort-Stammung durch alle Zeiten hindurch/ Gottlob! bewie- sen hat/ und noch beweiset. Man hat sich aber hierunter allzusehr auf die Natur in diesen letzten Zeiten verlassen/ in steter Meynung/ als ob diese immerzu einen Überfluß des Holzes von sich selbsten/ und ohne Zuthuung des Menschen indust- rie und Arbeit fourniren und darreichen würde“ [CARLOWITZ 1713: III]. Die gottgeschaffene Naturordnung bedeutet demnach für den wirtschaftenden Menschen eine paradiesische Natur, die zu erhalten oder zu zerstören ähnlich dem Sündenfall in seinen Händen liege. Die natürliche Fruchtbarkeit des Bo- dens und der Bäume sei zwar von Gottes Gnaden entstanden, wenn aber die 414 Siehe zur Vorgeschichte des modernen Landschaftsbegriffs das Kapitel: ‘Genese des modernen Landschaftsbegriffs’. 275 Bäume genutzt würden, bedürfe der Erhalt dieser ‘Seegens-Kraft’ der (nicht nur extraktiven) Arbeit des Menschen. Sowohl Erze unter der Erde als auch Holz über derselben, um jenes abzubauen und weiterzuverarbeiten, gäbe der gnädige Gott den Menschen [z.B. CARLOWITZ 1713: 98]. Mit dieser göttlichen Einrichtung der Erde für den Menschen ist implizit der Auftrag verbunden, sie klug zu gebrauchen und mit eigener Arbeit zu erhalten. Wird dieser Auftrag verkannt, könne quasi als Strafe jahrelange ertraglose Arbeit die Folge sein. Der Forstmann CARLOWITZ entwickelt eine Affinität zur transzendenten Welt- herrschaft, die im Fortgang der Argumentation durch die weltliche Herrschaft ersetzt wird. „Weil es denn nun leider ein allgemeines Unglück ist/ daß die meisten Gehölze abgetrieben/ und auf vielen Blösen kein Anflug zusehen ist/ so müssen wir sol- ches gewiß für eine sonderbare Straffe Gottes halten/ indeme man diesem Ubel durch Säen und Pflanzen der wilden Bäume gebührend nicht für kommen/ und den Wiederwachs befördert/ und ist freylich zu bejammern/ daß die Sachen in solchen Abfall gerathen/ daß der arme Mensch des wilden Holzes nicht mehr ge- nug hat/ sondern er soll auch die Erde zu Fortbringung dessen nun selber bauen/ dadurch ihm noch mehr Arbeit aufgebürdet wird“ [CARLOWITZ 1713: 49]. Die Beobachtung, dass die exzessive Holzentnahme die naturbürtige Basis der Holzproduktion zerstören kann und daraufhin die ausgefallenen Gratisnatur- produktivkräfte durch menschliche Produktivkräfte, sprich Arbeit, ersetzt wer- den müssen, ist zwar zutreffend, aber auf die wirtschaftliche Tätigkeit be- schränkt, ohne deren sozialen Ursachen zu beachten. Der Holzmangel wird zu einem metaphysischen Geschehen. Auf den Abfall der Nutzer vom göttlichen Auftrage folge die gerechte Strafe Gottes (Katastrophendrohung). Beachteten aber die aktuell lebenden Menschen diesen Auftrag, dann könnten mit Arbeit und göttlicher Hilfe deren Nachkommen vom Holzmangel befreit werden [z.B. CARLOWITZ 1713: 53]. Denn im Unterschied zu einer rein extraktiven Holznut- zung, wäre Nachhaltigkeit das Ergebnis der meliorativen Arbeit, die nicht extraktiv wirkt und ungenutzt im Produktionsmittel (Boden, Forst) verbleibt, um mit diesem später wieder Erträge erwirtschaften zu können415. Aus dem Hand- lungsnotstand, der die Notwendigkeit der nachhaltigen Holznutzung und die Anleitung der Forstwissenschaftler anmahnt, wird schließlich die Lösung abge- leitet und die wiedererlangte Paradies-Natur verhießen: „[...] Gott hat uns das Feld gegeben/ folglich lieget es nur an des Menschen Fleiß/ und industrie, wie die abgeholzte Länderyen wieder zu cultivieren und mit natürli- chen Schönheiten zu zieren [...]“ [CARLOWITZ 1713: 93]. Industrialisierung und Staatsfinanzen Diese ‘Metaphysik der Nachhaltigkeit’ wird von CARLOWITZ mit der Forderung zum frühindustriellen Ausbau des Bergwerkwesens und der Metallschmelze verbunden, die auf dem Baustoff und Energieträger Holz beruhten [SAUERWEIN 2001; KLAUCK 2005: 148-159]. Noch im 19. Jahrhundert diente das Grubenholz, das großflächig angebaut wurde, zum Abstützen der Schächte und Stollen. Dementsprechend fordert CARLOWITZ, „daß die Sylvicultura, oder der wilde Holz-Anbau/ auch so hoch/ als die Gärtnerey erhoben werden möchte“, weil „das Holz zu Hinbringung des menschlichen Lebens/ und Unterhaltung des 415 Vergleiche dazu das Kapitel: ‘Bodenfruchtbarkeit’. 276 allgemeinen Besten/ vor ein requisitum primum [...] auf der Welt zu halten sey“ [CARLOWITZ 1713: II]. Das Holz diene neben dem täglichen Bedarf auch der Er- höhung des Landesreichtums, da ohne Holz „bey dem edlen Bergbau zu de- nen untersten Schätzen der Erden in keinerley Wege zukommen/ und also weder Silber noch Gold/ oder andere Metalle und Mineralien/ worinnen doch der nervus rerum gerendarum bey dem gemeinen Wesen bestehet“ [CARLOWITZ 1713: II], d.h. der sprichwörtliche ‘Lebensnerv aller Dinge’: das Geld. So interessiert das Holz nicht nur als nachwachsender Rohstoff (für den Bergbau und die veredelnden Metallgewerbe) [z.B. CARLOWITZ 1713: 86], viel- mehr auch im Rahmen der merkantilen Preispolitik [z.B. CARLOWITZ 1713: 44, 96]. Damit hat CARLOWITZ die Intention seiner Schrift über den Holzbau ge- nannt, dass dieser: 1. nachwachsende Ressourcen zur Ausbeutung der Bodenschätze bereitstellen sowie 2. dadurch den Bergbau mit den nachfolgenden Industrien fördern und 3. den fiskalischen Reichtum erhöhen solle. Der Reichtum der Nationen liege in unterschiedlichen Gewerben [z.B. CARLOWITZ 1713: 95f], wobei der Reichtum Deutschlands im Bergbau und der mit ihm verbundenen Holznutzung bestehe [z.B. CARLOWITZ 1713: 97f]. „Hieraus ist nun leicht zu schliessen/ daß die Gehölze der gröste, ja der uner- schöpflichste Schatz unsers Landes sind/ darinnen dessen Auffnahme und Wohl- fahrt bestehet/ indem man dadurch so grosser Reichtümer von allerhand metallen habhafft werden kan/ deßwegen sollen wir unsere oeconomie also und dahin ein- richten/ daß wir keinen Mangel daran leiden/ und wo es abgetrieben ist/ dahin trachten, wie an dessen Stelle junges wieder wachsen möge“ [CARLOWITZ 1713: 98]. Nun konstatiert CARLOWITZ aber einen „einreissenden Holz-Mangel“, der einer Misswirtschaft entspränge, die „den Holz-Anwachs mehr verhindert als beför- dert“ hätte [CARLOWITZ 1713: III]. Dieser Holzmangel wird nicht vor dem Hinter- grund des täglichen Bedarfs festgestellt, vielmehr hätten „die Berg- Schmelz- und Siede-Wercke, den Mangel auf einmahl mit dem grösten Schaden empfin- den müssen“ [CARLOWITZ 1713: III]. Diesen industriellen Holzmangel beschreibt Carlowitz in den ersten, vor allem im vierten Kapitel der ‘Sylviacultura oecono- mica’, wo er berichtet, dass der Bergbau dort zum Erliegen käme, wo nicht ausreichend Holz vorhanden sei [z.B. CARLOWITZ 1713: 44]. Die Beschreibung des Holzmangels ist reduktionistisch auf die industrielle Verwertung und auf das forstwissenschaftliche Verfahren zur Holzmehrung ausgerichtet; Aspekte der subsistenten Holznutzung werden nur nebenbei erwähnt und dann eher als Raubbau denunziert. Folge des industriellen Holzmangels seien letztlich de- mografische Wanderbewegungen, weil die Arbeiter in der niederliegenden In- dustrie und dem Gewerbe keinen Unterhalt verdienen könnten [z.B. CARLOWITZ 1713: 48, 52]. Die abgeholzten und nicht wieder aufgeforsteten Holzungen blei- ben auf Jahre ohne nutzbares Holz geschweige denn Bauholz [z.B. CARLOWITZ 1713: 105], so dass die Folgen nachhaltig wirken, auch monetär im Staatshaus- halt [z.B. CARLOWITZ 1713: 44]. 277 „Allein wenn die Waldungen ruinirt/ so bleiben auch die Einkünfte auff unendliche Jahre hinaus zurücke/ und das Cammer-Wesen wird dadurch gänzlich er- schöpffet/ daß also unter gleichen scheinbaren Profit ein unermeßlicher Schade liegt“ [CARLOWITZ 1713: 87]. Nachhaltige Forstwirtschaft Gegen den Holzmangel helfe, den Holzverbrauch zu verringern [z.B. CARLOWITZ 1713: 45f], die Bodennutzung zu intensivieren [z.B. CARLOWITZ 1713: 43], zugleich die Flächennutzung zu differenzieren [z.B. CARLOWITZ 1713: 101] und die Forstbewirtschaftung, unter der „mehr Holz abgetrieben worden, als in etlichen Seculis erwachsen“ [CARLOWITZ 1713: 44] so umzustellen, dass „man den Vorrath an ausgewachsenen Holz nicht eher abtreiben [soll]/ bis man sie- het, daß dagegen genugsamer Wiederwachs vorhanden“ ist [CARLOWITZ 1713: 88]. „Aber wenn der Abtrieb gegen den Wieder-Zuwachs/ derer Hölzer/ mit säen und pflanzen jährlich eingerichtet wird/ nehmlich daß diese jenes wieder reichlich er- setzen kan/ und die Gehölze als pfleglich gehalten werden/ so wird leichtlich kein Holzmangel erfolgen“ [CARLOWITZ 1713: 48]. Wie der Acker auf einer Fläche, so könne auch der nachhaltig bewirtschaftete Forst – allerdings auf unterschiedlichen Flächen – jährlich geerntet werden [z.B. CARLOWITZ 1713: 100], wobei die Bäume den Boden meliorieren416 [z.B. CARLOWITZ 1713: 103]. Letztlich soll nicht der industrielle Holzverbrauch redu- ziert, sondern die Regeneration der Ressource Holz verbessert und beschleu- nigt werden. Damit die Umtriebszeit der Bäume verkürzt werden kann, rät CARLOWITZ zu Niederforsten, die je nach Baumart und Standort in 5 bis 20 jäh- rigem Turnus eingeschlagen werden können [z.B. CARLOWITZ 1713: V], und de- ren Holz zu Holzkohle veredelt im ‘Schmelzwesen’ eingesetzt werden kann. Diese beständige und kontinuierliche Holznutzung des langstämmigen ‘Schlagholzes’ und des auf den Stock gesetzten ‘lebendigen Holzes’ dient da- zu, den Bergwerkindustrien kontinuierlich Holz nachliefern zu können, ohne dass ihnen ein Mangel entstünde [z.B. CARLOWITZ 1713: 86]. „Wenn zwar so viel es hiesiges Erzgebürge betrifft selbiges lauter Schlag- oder sogenantes lebendiges Holz hätte/ welches in Laub-Holz bestehet/ so würde ver- muthlich vor die viele Wercke wohl kein Mangel an Kohlen seyn“ [CARLOWITZ 1713: 93]. Nachhaltig wären also die ‘industriellen Niederforste’, die seit dem Mittelalter großflächig eingeführt wurden, um den Landausbau und die städtischen Ge- werbe mit Brennmaterial zu versorgen (z.B. Holzkohle und Pottasche zur Glas- schmelze) [BURG 1995; KLAUCK 2005: 147, 160f]. Die Niederforstnutzung dürfte bis auf die Bronzezeit datierbar sein, da mit der ‘metallzeitlichen Revolution’ [BERGMANN 1987; vgl. MANDEL 1962: 39] zur Erzschmelze große Mengen an Brennholz und Grubenholz benötigt wurden [KLAUCK 2005: 65]. Die Niederforste sind Altersklassenforste, weil der gesamte Bestand zu einem Zeitpunkt einge- schlagen wurde und wieder auszutreiben begann [BURG 1995; GEHLKEN 1997: 178]. Neben diesen rät CARLOWITZ zur Anlage von Hochforsten gleicher Alters- 416 Damit führt CARLOWITZ Merkmale an und erhebt Forderungen, auf welche die aktuellen forstwis- senschaftlichen Definitionen der nachhaltigen Forstwirtschaft Bezug nehmen. Insofern wird verständ- lich, dass er aus dieser Perspektive als Erfinder der Nachhaltigkeit gilt. Die sozialen Folgen der ‘Nach- haltigkeit’ bleiben allerdings in den Definitionen unerwähnt. 278 klasse mit schnellwüchsigen Baumarten, z.B. Nadelbäume [z.B. CARLOWITZ 1713: 106; vgl. HÄPKE 1996: 35]. „Ist es aber möglich/ daß dergleichen [abgeholzte] Räume mit der Hand zu besä- en seyn/ so hat man desto eher/ und sicherer einen durchgehenden/ oder über und über sich ausbreitenden und einen egalen oder gleichen Anflug/ nehmlich/ daß die Stämmlein eines so groß als das andere herfür wachsen [...]“ [CARLOWITZ 1713: 111 - Einf. FL]. Durch die Förderung der Aufforstung und Niederforstnutzung würde „der Holz- Mangel fast aller Orten so tieff nicht eingerissen/ sondern ein Wald-District ne- ben den andern besaamet/ bepflanzet/ und eine immerwährende Holz-Nutzung unterhalten worden seyn“ [CARLOWITZ 1713: VI]. CARLOWITZ schlägt also eine geregelte Kahlschlagbewirtschaftung vor, dass Flächen unterschiedlicher Schlagreife zeitgleich zur Verfügung stehen und jährlich eine konstante Holz- menge abgeholzt werden kann. Nachhaltige Herrschaft Die entscheidende Stelle, an der CARLOWITZ von nachhaltender Nutzung spricht, wollen wir im Zusammenhang zitieren, um die umfassendere Bedeu- tung zu klären, in der die Rede von einer ‘nachhaltenden Nutzung’ der Forste steht. Die Formulierung, dass der Anbau des Holzes derart anzustellen sei, „daß es eine [...] nachhaltende Nutzung gebe“, besagt, dass die Nutzung nach- haltig sein soll und dazu der Bestand (Ressource) eingerichtet werden müsse [z.B. CARLOWITZ 1713: 105]. Die Nachhaltigkeit ist auf den kontinuierlichen Ertrag bezogen. „Aber da der unterste Theil der Erden sich an Erzten durch so viel Mühe und Unkosten hat offenbahr machen lassen/ da will nun Mangel vorfallen an Holz und Kohlen dieselbe gut zu machen; Wird derhalben die gröste Kunst/ Wissenschaft/ Fleiß/ und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen/ wie eine sothane Con- servation und Anbau des Holzes anzustellen/ daß es eine continuirliche beständi- ge und nachhaltende Nutzung gebe/ weiln es eine unentberliche Sache ist/ ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag. Denn gleich wie andere Län- der und Königreiche/ mit Getreyde/ Vieh/ Fischeryen/ Schiffarthen/ und anderen von Gott gesegnet seyn/ und dadurch erhalten werden; also ist es allhier das Holz/ mit welchem das edle Kleinod dieser Lande der Berg-Bau nehmlich erhalten und die Erze zu gut gemacht/ und auch zu anderer Nothdurfft gebraucht wird“ [CARLOWITZ 1713: 105f - Unterstr. FL]. Der natürliche Reichtum des hiesigen Landes beruhe auf Holz und Erz, zu dessen Abbau und Schmelze jenes (in göttlicher Einrichtung) gegeben sei, a- ber auch anderer Notdurft zukäme. Der Holzmangel verhindere aber die Aus- hebung der Bodenschätze, in denen Deutschlands Reichtum und ‘Erhalt’ (Sein und Wesen) liege, weshalb die wichtigste Aufgabe der Wissenschaft und Ver- waltung wäre, diesem Holzmangel durch eine ‘continuierliche, nachhaltige Holznutzung’ entgegenzuwirken. Im Zeitalter des merkantilen Manufakturwe- sens fordert CARLOWITZ, mit der nachhaltenden Holznutzung eine entschei- dende Voraussetzung zur Industrialisierung Deutschlands zu schaffen. Die nachhaltende Holznutzung sei in den deutschen Landen notwendig, „damit ei- ne langwierige Erhaltung derer Bergwercke erfolgen auch zu wieder Erwach- sung derer Gehölze Sorge getragen werden möchte“ [CARLOWITZ 1713: 98f]. Die ‘nachhaltende Nutzung’ impliziert eine ‘industrielle Nachhaltigkeit’, mit der 279 der Fleiß der Menschen ausgebeutet und akkumuliert wird. Die kontinuierliche und nachhaltende Holznutzung ist auf die ‘langwierige Erhaltung der Bergwer- ke’ ausgerichtet. Zynisch im doppelten Sinne fällt dann CARLOWITZ Forderung nach herrschaftli- chen Verordnungen zur Holznutzung aus [z.B. CARLOWITZ 1713: 89f], um den verarmten und ausgepressten Bauern die freie Holznutzung zu untersagen. Begründet wird die Notwendigkeit der Verordnungen damit, dass die Natur des Menschen, nicht dazu angelegt sei, das für ihn Gute zu erkennen. „Worzu denn gute und heilsame Gesetze von nöthen seyn/ weil die menschliche Natur dergestalt verkehrt ist/ daß sie dasjenige/ so zu ihrem besten dienet/ nie- mahls von sich selbsten beobachtet“ [CARLOWITZ 1713: 95]. Die herrschaftlichen Verordnungen, die den Menschen mitteilen, was Gut für sie sei, beruhen offenbar auf den Beobachtungen der Forstexperten, deren ‘menschliche Natur’ mit dem Hinweis auf die göttliche Einrichtung der Welt [z.B. CARLOWITZ 1713: III] scheinbar außer kraft gesetzt und ihre Einsicht auf höherer Eingabe beruhe. Mit dem abstrakt behaupteten Holzmangel und den daher von fachlicher Seite geforderten Holzverordnungen werden Täter und Opfer durch die Ausblendung der sozialen Herrschaftsordnung und Ausbeutungsverhältnis- se verdreht und die Landesfürsten, die ihr Wohlergehen verfolgen, zu sorgen- den Hausvätern verklärt [z.B. CARLOWITZ 1713: 104]. Die ‘nachhaltende Nutzung’ der Forste ist ein Teil der ursprüngliche Akkumulation [vgl. MARX 1883: 741ff], die im Frühkapitalismus begann, der in den deutschen Fürstentümern im 18. Jahr- hundert einsetzte. HANS IMMLER spricht für das 18. Jahrhundert von der Physi- okratie als staatlichem Ökonomieprinzip417 [IMMLER 1985], zu dem mit der Früh- industrialisierung (z.B. Erzbergbau, Erzschmelze) die staatliche Sicherung der Rohstoffversorgung für privatkapitalistische Unternehmer und der staatliche Ausbau der sogenannten Infrastruktur (z.B. Verkehrswege, Postwesen) hinzu kam. „Die sog. Ursprüngliche Akkumulation ist also nichts anderes als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als ‘ur- sprünglich, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet“ [MARX 1883: 742]. Mit der ursprünglichen Akkumulation wurde den Bauern das Gemeindeland und die Nutzungsrechte für gemeine Güter wie Holz und Torf entzogen [MARX 1883: 745], so dass sie die bislang freien Güter nicht mehr subsistent erwerben konnten, sondern auf dem Markt hinzukaufen mussten. Die ‘barocke’ Landes- kultur und der Kameralismus verfolgten das Ziel, den fiskalischen Reichtum des Staates zu erhöhen, und schufen die Voraussetzungen für die Industriali- sierung der deutschen Fürstentümer und zur Verelendung der Bauern bzw. zur Entstehung des von industrieller Lohnarbeit abhängigen Proletariats. EBERHARD KLAUCK unterscheidet für die Forstwirtschaft in den deutschen Staa- ten seit der Neuzeit zwei große Enteignungsschübe, in denen die Bauern aus 417 Das wirtschaftstheoretische Konzept der Physiokratie geht davon aus, dass der Boden die Quelle allen Reichtums sei und daher die Landwirtschaft den Reichtum der Staaten begründe [FOUCAULT 1966; GÖMMEL/ KLUMP 1994: 112]. Die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion, die Melioration des Bodens und die Entwicklung der agrarischen Produktivkräfte könne, so argumentierten die Physiokra- ten, den Wohlstand der Nation erhöhen [GÖMMEL/ KLUMP 1994: 129f]. Weil in der Lehenswirtschaft aller Boden letztlich dem König gehöre, komme ihm auch der Mehrertrag zu, der die zur Lebenserhaltung der Landarbeiter notwendigen Mittel übersteige [GÖMMEL/ KLUMP 1994: 110, 116]. 280 den Forsten vertrieben wurden: die barocke und die preußische Landnahme [KLAUCK 2005: 54ff, 57ff]. „Der Raub der Kirchengüter, die fraudulente Veräußerung der Staatsdomänen, der Diebstahl des Gemeindeeigentums, die usurpatorische und mit rücksichtslo- sem Terrorismus vollzogene Verwandlung von feudalem und Claneigentum in modernes Privateigentum, es waren ebenso viele idyllische Methoden der ur- sprünglichen Akkumulation. Sie eroberten das Feld für die kapitalistische Agrikul- tur, einverleibten den Grund und Boden dem Kapital und schufen der städtischen Industrie die nötige Zufuhr von vogelfreiem Proletariat“ [MARX 1883: 760f]. Wie die Gutsbesitzer mit der Gemeinheitsteilung (enclosure in England mit der großflächigen Schafweide) und später mit der Gestaltung von Landschafts- parks den bäuerlichen Schichten die subsistente Lebensgrundlage entzog, so wurde unter dem Leitbild der nachhaltigen Forstwirtschaft eine Politik durchge- setzt, die sie aus den ‘Wäldern’ ausgrenzte [vgl. MARX 1842]. Übernutzt wurden die Forste durch die herrschaftliche Ausbeutung der Forste für die Glas-, Ei- sen- und Kriegsproduktion [KLAUCK 2005: 155] und die herrschaftliche Abgaben- last, die von den Bauern aufgebracht werden musste, was zu einer Intensivie- rung auch der extraktiven Forstnutzung führte. „Das Besondere an der nachhaltigen Forstwirtschaft des 19. Jahrhunderts waren nicht die Regeln, die eine Übernutzung verhindern sollten. Das Besondere war, daß die Wälder und ihre Nutzung zunächst in privates oder staatliches Exklusivei- gentum überführt und die gemeinschaftlichen Waldnutzungsrechte der Landbe- völkerung zum Forstfrevel erklärt wurden“ [HÄPKE 1996: 35]. Die ‘Geschichte der Nachhaltigkeit’ ist eine Geschichte des herrschaftlichen Zugriffs, der Vertreibung und sozialen Ungerechtigkeit. Resümee zum Leitbild der Nachhaltigkeit Die nachhaltige Entwicklung verspricht, dass die Entwicklung selber nachhaltig sei, „eine Entwicklung, die dauernd weitergeht“418 [WELTBANK 1992, zitiert in SACHS 1994: 25], also dass das Wirtschaftswachstum permanent wäre. Diese Idee entspringt dem (aus Sicht der Kapitalverwertung) ökonomischen Problem, dass die Profitrate mit der Produktivkraftentwicklung fällt (Ausgleich der Profit- rate) [vgl. MANDEL 1962: 185ff, 196f] und ohne Wirtschaftswachstum die Inflations- rate das Kapital entwerte [MANDEL 1962: 312f]. Der forstwirtschaftliche Nachhal- tigkeitsbegriff aber ist primär auf den Bestand, dessen Regeneration und nicht dessen Steigerung bezogen. Die Forstwirtschaft, die zunächst mal Bäume, Holz produziert, unterliegt nicht notwendig den Regeln der kapitalistischen Wirtschaftsweise. „Der forstwissenschaftliche Begriff der Nachhaltigkeit macht die jährliche Ernte vom Zuwachs je Jahr abhängig. Er enthält aus Prinzip keinen Zuwachs des jährli- chen Zuwachses. Warum sollte Jahr für Jahr der Zuwachs der Holzmenge 3% zu- nehmen? – und damit der Idee des ständig wachsenden Bruttosozialprodukts ent- sprechen. Das ist in der forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeit weder möglich noch gedacht“ [KLAUCK 2005: 158]. Allerdings wurde schon mit dem forstwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriff von den sozialen, ökonomischen und herrschaftlichen Verhältnissen abgese- 418 Eine „Entwicklung, die dauernd weitergeht“, ist synonym mit unendlicher Entwicklung. ‘Nachhaltig- keit’, die demnach zeitlich mit ‘Ewigkeit’ konnotiert wäre, erreichte damit den Status des Religiösen. 281 hen, unter denen er entstanden ist [SCHNEIDER 1997: 39f], wodurch er als ideo- logischer Kampfbegriff dienlich wird [SCHNEIDER 1997: 43]. „Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der nicht aufklärt sondern verklärt“ [SCHNEIDER 1997: 40]. Der Begriff lenkt von den machtpolitischen Interessenlagen, den Gewinnern und Verlierern in der ‘Umweltpolitik’ ab, indem „eine vorwiegend naturwissen- schaftlich erhabene Ökologiedebatte zur Lösung von ‘Sachproblemen’ geführt wird“ [GROENEVELD 1997: 33]. Mit dem Forst und dem forstwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriff werden industrielle und administrative Prämissen umge- setzt [GROENEVELD 1997: 32]. Damals wie heute fungiert der forstwissenschaft- liche Nachhaltigkeitsbegriff als Machtmittel, und kann daher auf die Zustim- mung unter den Privilegierten rechnen. In der Nachhaltigkeitsdebatte wird von der versachlichenden Systemperspektive aus argumentiert, in der für die Auto- nomie und Kompetenz der Menschen, ihren Alltag selbst zu regeln, buchstäb- lich kein Freiraum mehr bleibt [GROENEVELD 1997: 25, 37]. Mit „staatlichen Ver- antwortungsstrategien“, die die Menschen ihrer Kompetenzen berauben, wird der autonome „Unterhalt (die ‘Subsistenz’)“ zerstört und werden „aus Orten und ihren Gemarkungen ‘Entwicklungsfelder’“ [GROENEVELD 1997: 26]. „Dabei geht es tatsächlich um eine ‘nachhaltige Herrschaftserweiterung’ des Kapi- tals (und seiner Eigner wie auch seiner Funktionäre) auf Weltniveau. Von heuti- gen ‘Weltpolitikern’ wird dieser Vorgang im ganzen bedenkenlos, ebenso wie von ‘alternativen Verantwortungsträgern’, als sachlich geboten und damit alternativlos richtig angesehen“ [GROENEVELD 1997: 26]. So wirtschaftlich eindimensional wie der Forst, der auf die bloße Holzprodukti- on reduziert ist, ist auch die politische Parole, die alternativlos daherkommt und keine andere Betrachtung zulässt. In Anlehnung an die neoliberale Rheto- rik von Magret Thatcher (‘there is no alternativ’) wird diese ideologische Figur das TINA-Syndrom genannt [MIES 2002: 17]. Die neoliberalen Glaubensformeln, die täglich in den Medien heruntergebetet werden, schläfern die Urteilskraft ein, bis sie vor dem allgegenwärtigen Schein erliegt und für wahr hält. Für die Vielfalt der Nutzer und lokalen Nutzungsinteressen enthält weder der Forst noch das Leitbild ‘Nachhaltigkeit’ den nötigen Platz, weil beide die Knappheit pflegen bzw. propagieren. „Es ist demnach durchaus angebracht und aus forstgeschichtlicher Sicht gut be- gründet, die Idee der ‘Nachhaltigkeit’ nicht zu glorifizieren, sondern instrumentell als Machtmittel der damals Herrschenden gegen die machtlose Landbevölkerung anzusehen“ [GROENEVELD 1997: 32f]. Wenn ‘alternative’ Vertreter der nachhaltigen Entwicklung abstrakt und beliebig fordern, dass die Nachhaltigkeit den sozialen, den ökologischen und den öko- nomischen Aspekt umfassen müsse [z.B. WUPPERTAL INSTITUT 1996], dann fü- gen sie sich formal in die 200-jährige Herrschaftsgeschichte der Nachhaltig- keitsdebatte ein, in der die soziale Enteignung, die ökologische Versachlichung und die ökonomische Verwertung der freien Güter, der Gratisnaturproduktiv- kräfte, betrieben wurde. 282 Schlusswort ‘Der Vorhang fällt und wir betroffen, doch alle Fragen offen?’ könnten wir frei nach BERT BRECHT fragen. Das Wissen um die Funktion der Leitbilder ist in der Freiraum- und Land- schaftsplanung notwendig, weil die Leitbildnerei in der Landespflege (aber auch anderswo) einer kulturindustriellen Veranstaltung gleicht, die betrieben wird, um Illusionen zu generieren, mit denen von realen Interessenkonflikten und sozialen Disparitäten abgelenkt und über die eine ‘symbolhafte Diskussi- on’ geführt wird, in der allenfalls Leitbilder ausgetauscht werden, ohne die herrschenden Verhältnisse in Frage zu stellen. Leitbilder ‘entlasten’ weniger die Urteilskraft der Menschen in einer angeblich komplexer gewordenen Welt, als sie die politische Urteilskraft zerstören, um die Menschen zu manipulieren. Sie wirken dazu ideologisch auf das Bewusstsein der Menschen ein. Leitbilder verkaufen quasi als ‘Wolf im Schafspelz’ eine politische Entscheidung als vor- gebliches ‘persönliches Interesse’ der Menschen und sollen eine kritische De- batte über das in Frage Stehende unterbinden. Mit Leitbildern wird einerseits eine solide Gegenstandsbeschreibung verweigert und diese durch Visionen, Anmutungsqualitäten, abstrakte Standards oder quantitative Analyse verdrängt und sollen andererseits die Beteiligten korrumpiert werden419. Planen umfasst die Beobachtung, Beschreibung und das Verstehen der ge- sellschaftlichen Wirklichkeit, die durch Handlung und Verständigung, praktisch und symbolisch konstituiert wird [BERGER/ LUCKMANN 1967; GEERTZ 1973]. Die Leitbildnerei ist ein Teil dieser Wirklichkeit, die bis in die Alltagswelt hinein von Leitbildern affiziert ist. Für Planerinnen und Planer bedeutet dies, dass sie in der Arbeit sowohl professionsgeschichtlich als auch in der Planung Leitbildern begegnen, die erkannt werden müssen, um ihnen nicht auf den Leim zu ge- hen. Wie die vorliegende Arbeit nachweist, ist es notwendig, diese zu identifi- zieren und von anderen Motiven und Notwendigkeiten des Alltags zu unter- scheiden, wenn man planen will. Die Funktion der Leitbilder in der Landespfle- ge zu rekonstruieren, ist nötig, um der innerprofessionellen Vereinnahmung Widerstand leisten zu können und um die Illusionen der Kundschaft, die der Leitbildnerei ebenso ausgesetzt ist, zu verstehen und entkräften zu können. Der Illusionismus ist ein Teil der Wirklichkeit, die Planer zu verstehen versu- chen. Dies macht den Doppelcharakter der Planung aus: einerseits zu verste- hen und zu kritisieren, was uns und den Menschen zugemutet wird, und von liebgewonnenen Vorstellungen Abschied zu nehmen; andererseits die Sympa- thie für das alltägliche Leben zu bewahren, in welchem wir Spuren geglückten Lebens und Autonomie finden, an die der planerische Rat anknüpfen kann. Wenn Planen bedeutet, die konkreten Entscheidungsspielräume lokalen Nut- zern bewusst zu machen, damit sie selber entscheiden und gegebenenfalls diese Optionen korrigieren oder jene ausweiten können420, dann kann man mit Leitbildern, die eine Zukunft-an-sich vorspiegeln, der sich die Menschen nur einzufügen hätten, nicht planen [BÖSE-VETTER 1986: 106; MEHLI 1989]. Planen, 419 Siehe zur Leitbildnerei insgesamt das zusammenfassende Kapitel: ‘Resümee zur Leitbildnerei in zwölf Punkten’. 420 Siehe dazu: die Arbeiten von HÜLBUSCH [1967; 1977; 1981a; 1986; 1991; 1998], HÜLBUSCH I.M. [1978a] so- wie HÜLBUSCH und HÜLBUSCH [1981], von BURCKHARDT [1978] sowie BÖSE-VETTER [1981; 1986], HEINEMANN/ POMMERENING [1989], LÜHRS [1994], THEILING [1996]. 283 das auf der Sympathie des Planers mit der informellen Kundschaft beruht und ihre Geschichte mit professioneller Distanz (nach-) erzählt, ist nur ohne Leitbild möglich. Das Ziel dieser Studie ist nicht zu zeigen, wie Planung funktioniert, und daher kann an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass sie möglich ist, weil der Gegenstand der Planung ein völlig anderer ist, als der der Leitbildne- rei. Eine Darstellung, was Planung ist, bedürfte einer neuen Studie mit ent- sprechendem Gegenstand, einer sorgfältigen Beschreibung und Erläuterung [vgl. BÖSE 1981; LÜHRS 1994]. Wenn aber, wie rekonstruiert, die Leitbildnerei in der Landespflege einerseits ihrem Basisparadigma eingeschrieben ist und vom modernen Landschaftsbegriff motiviert wird und andererseits Planung nur ohne Leitbild möglich ist, dann muss die Landschaftsplanung, auf die Metapher für das Ganze des Gegenstandes, die Landschaft, verzichten: „Die Profession müsste, um dem [Praktizismus] zu entgehen, wohl über eine ei- gene (auf die eigene Praxis zugeschnittene) Methode der Analyse ihrer Planungs- und Gestaltungssituation verfügen, und zwar jenseits der Landschaft“ [HARD 1991: 18 – Einf. FL]. Das professionelle Idol ‘Landschaft’ fallen zu lassen, bedeutet nicht, keine Landschaftswahrnehmung mehr zu haben. Als Anschauungsform bleibt die Landschaft erhalten und der Begriff kann sogar brauchbar gewendet werden, wenn er eine Forschungsperspektive eröffnet, ohne als Gegenstand bestimmt zu werden. Die Erzählung der lokalen Geschichte liefe auf eine Gebietsmono- graphie [KLAUCK 2005: 25f] hinaus, in der ‘Landschaft’ nur mehr als heuristi- sches Konzept [HARD 1970b: 248f] fungierte. Die ‘Landschaft’ als heuristisches Konzept, das den verstehenden Zugang zu einem Ort erleichtert, ist durchaus fruchtbar, was auch ein Grund sein dürfte, dass der Landschaftsbegriff in der Geographie beibehalten wurde. Er kann in der Gebietsmonographie als Mittel genutzt werden, den Zugang zum Leben und Wirtschaften der Menschen zu finden421 – sollte aber nicht als Ziel aufgefasst werden, das auf eine Beschrei- bung und Deutung der idiographischen Einheit von Land und Leuten hinauslie- fe [EISEL 1982: 130ff; 163], die letztlich wieder unter der ästhetischen-materiellen Landschaft subsumiert würden [vgl. SCHNEIDER 1989: 40]. Diese im weitesten Sinne ästhetische Konnotation macht den Gebrauch des Begriffs in dem Sinne unmöglich, als wir versuchen, Formen der Landaneignung nachzuvollziehen, die genuin bäuerlich sind. An dieser Stelle wird der Begriff ‘Land’ (im Sinne von Freiraum) immer Vorrang haben, weil er viel weniger Schatten des Illusionis- mus auf die Menschen, Nutzungen und die Gegenstände des Landes wirft. Die Rede vom ‘objektivierten Geist’ in der Landschaft, die unter der Phantasmago- rie Landschaft krude Ergebnisse zeitigte, wird plausibel, wenn das ‘Geistige in der Landschaft’ nicht dieser zugeschrieben und verdinglicht, sondern als sozia- le Bedeutung, die die Gegenstände für die Nutzergruppen haben, auslegbar wird [HARD 1970: 188ff]. Der Sinn menschlichen Handelns prägt die lokale Ge- schichte, die in Kulturwerke und die naturbürtige Basis sedimentiert wird, inso- 421 Beispielsweise wenn die Vegetation in der Bedeutung für die lokale Ökonomie und die Alltagspro- duktion der Menschen betrachtet wird. Die vegetationskundlichen Studienarbeiten ‘Ein Stück Land- schaft...’, die unter der Anleitung von Professor HÜLBUSCH in Kompaktseminaren an der Universität Kassel erstellt wurden, sind gute Belege für Gebietsmonographien [z.B. MILTENBERG 1991; FOUCHY 1994; BOCKHOLMWIK 1995; MÜNCHHAUSEN 1996; VIETMANNSDORF 1997; AMANCEY 1999]. 284 fern geht darüber, dass menschliche Arbeit vergegenständlicht wird, Geistiges in die Dinge ein, die als objektivierter Geist interpretiert werden können. In die- sem Zusammenhang stellt HÜLBUSCH fest, dass die Landespflege über abstra- hierende und quantifizierende Verfahren mit naturwissenschaftlichem Anschein die menschliche Geschichte verdinglicht. „Der Prozeß der Vergegenständlichung menschlicher Arbeit wird verdinglicht; aus Subjekt-Objektbeziehungen werden versachlichte Objektbeziehungen, Sachbe- ziehungen, in denen die Handelnden und ihre Geschichte nicht mehr vorkommen“ [HÜLBUSCH 1986: 108]. Dagegen käme es darauf an, das Geistige in den Dingen wiederzugewinnen und damit die lokale Geschichte wieder erzählbar zu machen. Der gesell- schaftlichen Bedeutsamkeit eines Stücks ‘Landschaft’, das bewusst nicht mehr mit dem ästhetischen Ganzheitskriterium der Landschaftsmetapher qualifiziert wird bzw. dieses konterkariert, kommt der Landschaftsplaner mit der indizien- wissenschaftlichen Methode auf die Spur [HÜLBUSCH 1986: 101, 113f; LÜHRS 1993: 15f; vgl. GINZBURG 1979]. Der Landeskundler, Landschafts- und Freiraum- planer ist ein Hermeneutiker des Alltags [HARD 1990: 23ff; ], der den Gegens- tand als einen Bedeutungszusammenhang auffasst, in welchem die Dinge für Menschen und Interpretationsgemeinschaften bedeutsam sind und in einem z.B. ökonomischen Zusammenhang stehen [HARD 1990: 25ff]. „Es liegt auf der Hand, daß es unter Umständen notwendig werden kann, diesen ‘Spekulationshorizont’ menschlicher Gruppen, d.h. die Bedeutungssysteme, in denen ein geographisch (räumlich, landschaftlich) relevanter Entscheidungspro- zeß verläuft, wenigstens teilweise explizit zu machen und dabei z.B. (um es in tra- ditioneller Sprache auszudrücken) die Landschaft als objektivierten Geist zu be- trachten“ [HARD 1970: 190]. Wer in der Landschaftsplanung von ‘Nachhaltigkeit’ redet, begegnet erst ein- mal dem Leitbild und hat sich an diesem abzukämpfen. Die Rede über Nach- haltigkeit macht nur Sinn, wenn man sie als reflexives Prinzip begreift, aus der Erinnerung und von der Erfahrung her Rat zu wissen [HÜLBUSCH 1986: 107f]. Auf eine Frage Rat zu wissen, bedeutet, zu ihr eine Geschichte erzählen zu können [BERGER 1979; NADOLNY 1990: 25, 56; LÜHRS 1994: 5, 13; vgl. GINZBURG 1979: 104, 116f]. Eine solche Erzählung bedarf der Zeit und Geduld des Erzäh- lers, der Erzählerin wie der Leserinnen und Leser. Die Geduld zur Sache und zur kritischen Beobachtung ist die Tugend des Denkens [vgl. ADORNO 1965b: 13f] und gibt die gedankliche Freiheit, zu verstehen und von der Meinung, ir- gendetwas machen zu müssen, Abstand zu nehmen. Dass ein kluger Gedanke verändernd wirkt, ist dabei nicht ausgeschlossen [PANOFSKY 1957]. Anhand der Indizien, die in den Texten und Entwürfen der Landespfleger enthalten sind, kann die Geschichte der Leitbildnerei nachvollziehbar erzählt werden. Diese Erzählung kann Planerinnen und Planer helfen, mit den Zumutungen der Lan- despflege besser zurechtzukommen und sie in ihrer eigenen Arbeit ermutigen, der alltäglichen Leitbildnerei nachzuforschen. In dieser Erzählung aber wird den Lesern und Leserinnen aufgefallen sein, dass es keine endgültigen Geschichten gibt422 [NADOLNY 1991: 123]. Mit dem 422 „In der Tat gibt es keine Erzählung, an der die Frage: Wie geht es weiter? ihr Recht verlöre“ [BENJAMIN 1985: 401]. 285 Ende dieser Geschichte findet weder das Erzählen ein Ende noch sind die Ge- schichten beendet. 286 Literatur Adler, A. 1912: Über den nervösen Charakter; Frankfurt am Main 1988 Adorno, T.W. 1960: Ohne Leitbild; in: ders. Ohne Leitbild. Parva Aesthetica; 7-19; Frankfurt/ 1987 Adorno, T.W. 1963: Résumé über Kulturindustrie; in: ders. Ohne Leitbild. Parva Aesthetica; 60-70; Frankfurt am Main 1987 Adorno, T.W. 1964: Jargon der Eigentlichkeit; Frankfurt am Main 1989 Adorno, T.W. 1965a: Funktionalismus heute; in: ders. Ohne Leitbild. Parva Aesthetica; 104-127; Frankfurt am Main 1987 Adorno, T.W. 1965b: Anmerkung zum philosophischen Denken; in: ders. Stichworte. Kritische Modelle II; Frankfurt am Main 1993 Adorno, T.W. 1966: Negative Dialektik; Frankfurt am Main 1992 Adorno, T.W. 1970: Ästhetische Theorie; Frankfurt am Main 1992 Agenda 1992: Abschlussbericht der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro; Hrsg. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit; Bonn 1992 AGO 1942: Allgemeine Anordnung über die Gestaltung der Landschaft in den eingegliederten Ostge- bieten vom 21. Dezember 1942; in: Texte aus der Geschichte der Landschaftsplanung; Hrsg. Karsten Runge; 24-35; Berlin 1991 Amancey 1999: Ein Stück Landschaft – sehen, beschreiben, vergleichen, verstehen. Diesmal: Aman- cey im Französischen Jura; Studienarbeit am Fb 13 Gh Kassel; unveröffentlichter Manuskript- druck; Kassel 1999 Anders, G. 1970: Der Blick vom Mond. 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Natur, Heimat, Technik; 114- 117; Dresden 1941 Seifert, A. 1937: Vom Lebendigen und vom Toten; in: ders. Im Zeitalter des Lebendigen. Natur, Hei- mat, Technik; 79-86; Dresden 1941 Seifert, A. 1941: Im Zeitalter des Lebendigen. Natur, Heimat, Technik; Dresden 1941 Shiva, V. 2002: Biopiraterie. Kolonialismus des 21. Jahrhunderts; Münster 2002 Sieferle, R.P. 1984: Fortschrittsfeine? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart; München 1984 Sieferle, R.P. 1986: Entstehung und Zerstörung der Landschaft; in: Landschaft; Hrsg. Manfred Smuda; 238-265; Frankfurt am Main 1986 Sieverts, T. 1998: Was leisten städtebauliche Leitbilder?; in: Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa; Hrsg. Heidelinde Becker; 21-40; Stuttgart 1999 Simmel, G. 1913: Philosophie der Landschaft; in: ders. 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Von Handwerkerhäusern, Architektengebäuden und Zeilen in Bremen; in: Bremer Reihen; Hrsg. AG Freiraum und Vegetation; 135-200; Kassel 1996 Trepl, L. 1987: Geschichte der Ökologie. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart; Frankfurt am Main 1987 298 Troll, H. 1993: Die allmähliche Verflüchtigung der Gedanken beim Lesen; in: Die ‘Freie Landschaft’; Hrsg. AG Freiraum und Vegetation; 3-6; Kassel 1993 Troll, H. 2005: Die Kommunalität des Freiraums. Über den Traum schöner Öffentlichkeit idealer Sied- lungsentwürfe; Hrsg. Landschafts- und Freiraumplanung Neubrandenburg; Neubrandenburg 2005 Turner, J.F.C. 1978: Verelendung durch Architektur; Reinbek 1978 Tüxen, R. 1974: Die Pflanzengesellschaften Nordwestdeutschlands; Lehre 1974 Ullrich, O. 1979: Technik und Herrschaft; Frankfurt am Main 1988 Veblen, T. 1899: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institution; Frankfurt am Main 1993 Verschragen, L.G. 2000: Die ‘stummen Führer’ der Spaziergänger. 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Gerhard Wiegleb; 37-47; Heidelberg 1999 Wiepking, H. 1939: Aufgaben und Ziele deutscher Landschaftspolitik; in: Texte aus der Geschichte der Landschaftsplanung; Hrsg. Karsten Runge; 20-23; Berlin 1991 Wiepking, H. 1942: Die Landschaftsfibel; Berlin 1942 Wiepking, H. 1949: Die Aufgaben der Landespflege, in: Garten und Landschaft; 9/10; 1949 Winkler, E. 1974: Ganzheit. II; in: Historisches Wörterbuch der Philosophie; Bd. 3; Hrsg. Joachim Rit- ter; 20-22; Darmstadt 1974 Winkler, E. 1980: Landschaft. Der geographische Landschaftsbegriff; in: Historisches Wörterbuch der Philosophie; Bd. 5; Hrsg. 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Aus der Metapher wird bei dieser mühevollen Arbeit eine Phrase gemacht. Damit ein Wort in eine Phrase verwandelt werden kann, muss die in allen Worten enthaltene Erfahrung der Vergangenheit aus- geblendet und ersatzlos mit einer Verheißung in die Zukunft ausgefüllt werden. Die Metapher, das Bild der Geschichten in den Worten, wird in eine Fiktion umgemünzt, die beliebig unterlegt werden kann. Neben der Landespflege ge- hören weitere ´professionelle Einrichtungen´ Städtebau, Architektur, Volkswirt- schaft etc. – zu den Produzenten fiktionaler Glücksverheißungen, die freund- lich verwirrend, unter dem Programm des Leitbildes gehandelt werden. – Mi- chael Walzer (1987/1990) beschreibt, im Unterschied zum Entwurf des Leitbil- des, aus zufällig und willkürlich, also ohne Kontext, verfügten Metaphern die `philosophische Entdeckung`, die darin besteht, die (moralische) Wirklichkeit idealtypisch abzubilden und daraus, wie das bei durchaus prosaischeren Ge- genständen der Wirklichkeit nicht anders ist, eine Reflektion über das Vertrau- te als ein Wieder(er)finden unseres eigenen Zuhauses zu führen. „Das Wort Leitbild mit seinem leise militärischen Klang, dürfte in Deutschland erst nach dem zweiten Weltkrieg populär geworden sein.“ (Adorno, Th. W. 1967:7). Die Fiktionen dazu sind, wie wir heute wissen, erstens älter und zweitens oder erst recht nicht auf `künstlerische Ewigkeitswerte` beschränkt. Leitbilder, Wer- beslogans, Missionierungen sind nicht zu beweisen, weil sie unwirklich sind, suggestiv mit Versatzstückkonstruktionen, hantieren sie mit einer Fata Morga- na. Es bleibt nur eine Analyse und Beschreibung mit Mitteln des rationalen Beweises, mit dem irrationalen Konstruktionen nicht beizukommen ist. In der Grimmschen Erzählung ist der Igel der Gewiefte und Schlaue, der den tauben Hasen übers Ohr haut. Die Moral von der Geschicht, so nehmen wir das ge- meinhin wahr, besteht darin, dass dem Hasen die Schnelligkeit nichts nützt, weil der Igel ihn geschickt übertölpelt. Der Igel spielt mit gezinkten Karten und betrügt den Hasen. Aber das fällt nur den wenigen auf, die überzeugte Anhän- ger der Wahrheit und Gerechtigkeit sind. Demgegenüber erhält die geschickte Tarnung, die Falschmünzerei den Anzug der Klugheit. So ist das Plastikwort auch immer schon der halbe Igel. Die Phrase, die leere Redensart, ist für den halben Igel zutreffender. Ganz wird der Igel erst mit der Paraphrase, der ver- 300 deutlichenden Umschreibung, die etwa so geht: `Nachhaltigkeit ist, wenn ...` oder auch: `Bimsstein ist, wenn man keine Seife hat` Phrasen und Paraphrasen sind schnell abgegriffen, weil so peu a peu die Lee- re und Hohlheit durchschaut wird. Die Entwerfer selbst werden es müde, im- mer wieder denselben Nonsens zu verbreiten. Weil keine Einsicht, die vervoll- kommnet werden könnte, zu der noch mehr zu lernen wäre, zum Leitbild ge- hört, wird es schlicht langweilig. Die Leitbildkümmerer merken die Langeweile, die Beweisnot, die Leere und flüchten wie der Igel. Sie treten mindestens zwei- fach auf, als Vertreter des abgegriffenen Leitbildes und als Flüchtling, der eine neue Fahne, die der Kapitulation widerspricht, hisst und die neue Front mar- kiert. Das weiß der Hase nicht und nimmt die Fährte auf, die der Igel längst verlassen hat. Die Paraphrasen verlassen das sinkende Schiff und steigen auf eine Rettungsinsel um, von der aus sie dem Hasen, der dem Fortschritt hinter- herhinkt, zuwinken. Der Hase hat zwischendrin nicht gemerkt, dass die Para- phrase nur eine vorläufige Fiktion bis zur Erfindung der nächsten Fiktion war. Wer Chimären, der Politik, des Entwerfens etc. kritisiert, wird immer wieder aufgefordert, einen Beweis vorzulegen. Die Untersuchung des Leitbilds erklärt andeutungsweise das Phänomen. Daraus ist aber, wie in der Disputation ge- fordert wurde, keine Lehre abzuleiten. Die Betrachtung des professionellen Illusionismus ist – eingeschränkt – spannend, aber nicht lehrreich. Daraus ist nichts zu lernen. Trotzdem ist es erforderlich darin gebildet zu sein, damit man auf die Verheißungen des Geschäfts nicht leichtfertig reinfällt. Die von Frank Lorberg vorgelegte Studie erinnert die LeserIn an eine `Don Quichoterie` oder die Geschichte von `Hase und Igel´. Die sorgfältige und rela- tiv vollständige Recherche der landespflegerischen Veröffentlichungen und der darin offerierten Pandorarbüchsen – die Notstandsphrophezeiungen, die bis hin zum Rockefeller- und Club-of-Rome- Baby alle gelogen sind – ist bemer- kenswert. Da diese Texte weitgehend `gegenstandslos` mit entworfener Un- wirklichkeit operieren, wird dem Leser die Beweisnot des Verständnisses zu- geschoben. Wer die Texte prüfen will, ist auf das Hilfsmittel der Exegese und damit auf Literaturstudien, die mit vergleichbaren Phänomenen der Wahrheits- erfindung und Zukunftsprojektionen befasst sind, angewiesen. Der Interpret der landschaftspflegerischen Veröffentlichungen übernimmt nicht nur die Be- weisnot für die Andeutungen und Verschwiegenheiten in den Texten. Er muss zusätzlich noch die suggerierte Wirklichkeit aufdecken, d.h. der positivistischen Verdinglichung auf die Schliche kommen. Wer den Wirklichkeitsgehalt und die politische, administrative und ökonomische Funktion der Verlautbarungen aus- legen will, ist auf das Ungeschriebe zwischen den Zeilen angewiesen. Das kann nur angenommen und hinreichend zutreffend unterstellt werden, wenn die Genealogie sowohl der Vorstellungen wie der Wandel bzw. die Modernisie- rung und Aktualisierung der Terminologie verstanden wird. Über die akribische Gliederung der Studie in viele Kapitelchen wird für die Leser-/In jeweils ein Merkwort auffind- und nachlesbar. Es wird gleichzeitig offenkundig, in welch üppiger Weise die Begriffe um- und ausgedeutet, modernisiert und erweitert werden, ohne dass damit ein Zugewinn an Einsicht verbunden wäre. Niemals geht mit neuer Begrifflichkeit eine zutreffendere Abbildung des Gegenstandes, `über den Aussagen gemacht werden sollen`, einher, noch irgendein Gedanke zur Theorie über den Arbeitsgegenstand und die Methode der wissenschaftli- 301 chen Erörterung. Bei einer Institution der `immateriellen Produktion`, deren Vertreter eine Vorstellung vom Diensthonorar nach den Interessen der Geld- quelle internalisiert haben, ist eine beruflich solide und zuverlässige Unter- scheidung in Verfahren und Techniken des Forschens – der Gegenstands- kenntnis und -abbildung – einerseits und die Methode, einer moralischen In- stanz der Wahrheitsprüfung, der Prüfung des Verfahrens und dem Akt der In- terpretation, der Bedeutungslehre bestenfalls störend. Den modischen Be- griffserneuerungen und Begriffswechseln stünde die Methode wie das Verfah- ren, und daraus abgeleitete Gegenstandssystematik im Wege. G. Hard (1981, s.a. Ravetz) erinnert daran, dass solche unreifen Disziplinen durch Vorspiege- lungen und Verschleierungen, sowie weltanschauliche und politisch–admini- strative Abnehmerinstitutionen beschützt und gestützt sind, denen sie durch Rat Nimbus verleihen. Sie verfügen damit über kollaborative Macht, deren Auswirkungen ihnen allerdings nicht angekreidet werden. Die Misserfolge sind aber durchaus hilfreich für die nächste Runde der Notstandsphrophezeiungen. Die Studie enthält unübersehbar einen Hang zu (enzyklopädischer) Vollstän- digkeit und fordert von der LeserIn viel Erinnerung an vorhergehende Kapitel und folgenden. In den Originaldokumenten ist das für die LeserIn nicht nachzu- lesen. Die ausführliche Zitation der Dokumente macht das auch nicht nötig. Für die LeserIn, die im Stande des Zeitzeugen nachliest, eröffnet der Blick auf die Facetten der je modischen Untermalung des landschafts- pflegerischen Leitbil- des die Erinnerung an immer neue Überraschungen landespflegerischer Aus- flüchte für die Misserfolge der jeweils letzten Notstandsprogramme. 302 Dr.-Ing. Frank Lorberg: geb. 1963 in Wesel und aufgewachsen am Nieder- rhein. Ausbildung an einer Fachoberschule für Sozialpädagogik in Duisburg. Seit 1990 Studium der Landschaftsplanung an der Universität Kassel bei Luci- us Burckhardt und Karl Heinrich Hülbusch. Besuch von Lehrveranstaltungen verschiedener Studiengänge mit besonderem Interesse an Philosophie und Kunstwissenschaft sowie vergnügliche Mitarbeit, lehren und lernen in der Ar- beitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation. 1995 Erlangung des Diplom I der Landschaftsplanung und 1998 Diplom II im Vertiefungsstudium der Freiraum- planung. Seither Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten in Kassel und Lehrauf- träge an der Fachhochschule Neubrandenburg. Von 1999 bis 2004 Arbeit in einem Büro für Verkehrsplanung und seit 2005 in der Erziehungswissenschaft an den Universitäten Kassel und Würzburg. 2006 Promotion an der Universität Kassel (summa cum laude). Derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbe- reich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung an der Universität Kassel. Benutzterhinweis: „...“ Zitate sind mit doppelten Anführungsstrichen gekennzeichnet. ‘...’ einfache Anführungszeichen dienen zur Akzentuierung im Fließtext oder innerhalb von Zitaten zur Kennzeichnung von Binnenzitaten. [...] drei Punkte innerhalb eckiger Klammern bedeutet eine Auslassung im Zitat. [text] Text innerhalb eckiger Klammern bedeutet eine Einfügung ins Zitat. Hervorhebungen im Zitat sind soweit nicht in der Quellenangabe vermerkt aus dem Original beibe- halten. Hervorhebungen von mir sind in der Quellenangabe vermerkt (kursiv oder Unterstreichung). ‘z.B.’ vor der Literaturangabe bedeutet, dass der Verweis die vorstehende Behauptung illustriert. ‘vgl.’ vor der Literaturangabe bedeutet, dass der Verweis die vorstehende Behauptung erläutert o- der ergänzt. z.B. = zum Beispiel. d.h. = das heißt. etc. = et cetera. usw. = und so weiter. 303 Notizbücher der Kasseler Schule 1 Scholz, N.: Über den Umgang mit Bäumen. 1985 / 91 2 Krautern mit Unkraut. Arbeiten von: Auerswald, B.; Fahrmeier, P. 1987 / 91 3 Sammeln und Säen. Mit Arbeiten von: Auerswald, B.; Fahrmeier, P. 1987 4 Krah, G.: ‘Mini-Kienast’ Synthetische Übersicht der Stadtvegetation Kassels. 1987 5 Bartung, L.: Ein alter Hut - Die bio-ökologische Stadtgrünpflege. 1987/93 6 Disziplingeschichte der Freiraumplanung / Landschaftsbildanalyse. 1987 / 96 7 Krah, G.: Träume von Säumen. Gimbel, G., Hennen, R.: Kasseler Kalkschotterde- cken. 1988 / 92 8 Harenburg, B.: Mietergärten - Sind Zufälle planbar? 1988 / 92 9 Der Paxisschock - Von fertigen Umwegen und unfertigen Wegen. 1988 10 Nachlese Freiraumplanung. 1989 / 91 11 Sauerwein, B.: Die Vegetation der Stadt. Ein Literaturführer. 1989/90 12 Heinemann, G.; Pommerening, K.: Struktur und Nutzung dysfunktionaler Freiräume. 1989 / 94 13 Stolzenburg, J.: Grünlandwirtschaft und Naturschutz in der hessischen Rhön. 1989 14 Sauerwein, B.: Stadtvegetation. Kritische Bibliographie. 1989 15 Schneider, G.: Die Liebe zur Macht. Über die Reproduktion der Enteignung in der Landespflege. 1989 16 Planen für die Wechselfälle des Lebens. “Junggesellenkultur”. 1990 / 1993 17 Pflege ohne Hacke und Herbizid. 1990 18 Hard-Ware. Texte von Gerhard Hard. 1990 / 96 19 Was hat Martha Muchow mit Astrid Lindgren zu tun? und: Freiraum an Schulen. 1990 20 Ein Stück Landschaft - Kompaktseminar Miltenberg/ M. 1991 21 Sommer ‘89’ - ‘Prüfungsreden’. 1991 22 Der ideale Wurf. Mit Beiträgen von: Schwarze, B., Trust, H., Helmrich, B., Rühling, S. 1991. 23 Von Haustür zu Haustür - Morphologie u. Organisation. Beiträge von: B. Harenburg und I.Wannags, u.a. 1991 24 Der Landschaftsplan für die Stadt. und: Grünplanung im Gefolge der Stadtplanung. 1992 25 Worpswede und umzu. 1991 26 Reise oder Tour? Mit Arbeiten von: Appel, A., Mehli, R., Scheidel, W. 1992 27 Vom Straßenrand zur Bordüre. Mit Arbeiten von: Lucks, T., Grundler, H., Lührs, H., Meermeier, D. 1993 28 Die ‘Freie Landschaft’. Mit Beiträgen von: Schürmeyer,B., Vetter,C.A., Boss,H., Granda Alonso, E., u.a. 1993 29 Gut gesät. Beiträge von: Auerswald, B., Hülbusch, K. H., Lechenmayer, B., Zollin- ger, R. u.a. 1993 30 Prüfungsreden ‘91/92. 1993 31 Pater Rourke´s semiotisches Viereck - Acht vegetationskundliche Beiträge. 1993 32 Lührs, H.: Die Vegetation als Indiz der Wirtschaftsgeschichte. 1994 33 Vom Regen in die Traufe: Verwendung d. Niederschlagswassers. Biomüllkompostie- rung? ...1994 34 Pflege-Fälle. Mit Beiträgen von: Hülbusch, Lührs, Schwarze, Protze, Knittel, u.a. 1994 35 SchauDerGärten - Nachlese zu Gartenschaukritik. 1995 304 36 Alles Quecke. Mit Beiträgen von: Bauer, I., Gehlken, B., Ledermann, B. 1995 37 Blockrand und Stadtrand. Beiträge von: Moes, Theiling, Mehli, Möller, Schneider, Bekeszus, u.a. 1995 38 StadtBaumschule - ‘Vertrauliche Mitteilungen über Bäume’. 1996 39 Himmel und Hölle. Mit Beiträgen von: A. Hohagen, K. Hülbusch, u. a.. 1996 40 Freiraum und Vegetation. Festschrift zum 60. Geburtstag von K. H. Hülbusch. 1996 41 Ney, S.: Die Gartenstadt Neu-Siebethsburg in Wilhelmshaven. 1996 42 Land und Lüge - Geschichten zur Landschaft. 1996 43 Groeneveld, S.: Agrarberatung und Agrarkultur und andere Texte. 1996 44 Bremer-Reihen: Plätze in Bremen; Reihenhausstadt 1997 45 Zwei Spaziergänge zu ‘7000 Eichen’ von Joseph Beuys. 1997 46 Das Maß der Dinge; Prüfungsreden drei. 1997 47 “Ich gehe raus ... und bin doch zu Haus” und andere Texte von Inge Meta Hülbusch. 1997 48 Muttheorie gegen Zumutungen. Beiträge von Ameise, Appel, Dessine, u.a. 1997 49 Hard, G.: Ruderalvegetation. 1998 50 Notizbuch. 1998 51 Buchstützen; Bibliographien zu den Notizbüchern, zu studentischen Arbeiten, zum Grünland. 1999 52 Gagel, Speik und Wegerich; Beiträge zur Landschafts- und Vegetationskunde. 1999 53 Alle reden vom Land .... und andere Texte von und mit Karl Heinrich Hülbusch. 1999 54 Gute Bau-Gründe. Beiträge zur Stadt-, Bau-, Freiraumstruktur. 1999 55 In guter Gesellschaft. Beiträge zur Pflanzensoziologie, Landschafts- und Vege- tationskunde. 2000 56 Die Boden-Rente ist sicher. Beiträge zur Organisation des Bau-, Freiraum,- Siedlungsgrundrisses. 2000 57 Der Gartenbau in 4 Abtheilungen – oder: Die Haus – Gemüse - Wirtschaft. 2001 58 “Licht und Schatten” - Herstellungsplanung. Red. : F.Bellin, K.H.Hülbusch 2004 59 Über kurz oder lang ( Promenaden, Friedhöfe, Gesicht und Landschaft ..... ) 2002 60 Die Paletten der Pflanzenfarben. –Alle Pflanzen färben irgendwie gelb- . 2002 61 Wer lehrt lernt. Wer nichts lernt, kann nicht lehren. Red.: K.H.Hülbusch, H.Troll. 2003 62 Anthropogene Vegetation, Red.: E.-J. Klauck. 2003 63 Von der Klassenfahrt..... Lythro-Filipenduletea-Gesellschaften an Hamme, Wümme und Oste. 2003 64 Von ‚Gemeinen Hufen‘ . Red.: B. Gehlken , K.H. Hülbusch. 2003 65 E.-J. Klauck: Gartenflora. -Bestimmungsschlüssel für einkeimblättrige Garten- pflanzen- . 2003 66 “Unter Verschluß” – Der “modische” Bebauungsplan. Red.: Bellin/Hülbusch. 2006 67 Symposien der AG Freiraum und Vegetation 2001 – 2004. Red.: B.Sauerwein, G.Moes. 2005 68 Vor der Tür. Beiträge zur Vegetations-und Landschaftskunde. Red.: F.Bellin-Harder u. H.Böse-Vetter. 2006. 69 E.-J. Klauck: Die Forstpflanzengesellschaften des Hunsrück. 2005 70 Von Zeit zu Zeit. Band 1 und 2. Jubiläumsschrift. 2006 71 Frank Lorberg: Metaphern und Metamorphosen der Landschaft. 2007 75 Über den Tellerrand. Red. Inge Meta Hülbusch und Käthe Protze. 2007