Vielfalt fördern und Zusammen- halt stärken: Fünf Anforderungen an eine bezirkliche Inte- grationspolitik in Berlin- Neukölln Arbeitsgruppe Empirische Planungsforschung Prof. Dr. Detlev Ipsen Dr. Herbert Glasauer a - II a - III Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken: Fünf Anforderungen an eine bezirkliche Integrationspolitik in Berlin-Neukölln Universität Kassel 2007 Prof. Dr. Detlev Ipsen Dr. Herbert Glasauer a - IV Vorbemerkung Vorbemerkung In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft fi nanzierten Projekt hat sich die Arbeitsgruppe Empirische Planungsforschung (AEP) an der Universität Kassel in 2005 und 2006 mit der Zuwanderungspolitik der Stadt Toronto und in Berlin-Neukölln beschäf- tigt. Toronto war weltweit die erste Stadt, die unter dem Motto ‚Vielfalt ist unsere Stärke‘ die kulturelle Vielfalt als positives Element in ihr offi zielles Leitbild aufgenommen hat. Eine bedeutungsvolle Erkenntnis unserer Arbeiten war die wichtige Rolle, die Quartie- re (neighbourhoods) für die Integration der Zuwanderer spielen. Nachbarschaften bilden den Mittelpunkt von Infrastrukturen wie Schulen, Nachbarschaftszentren, Bibliotheken, interkulturellen Gärten, religiösen Gebäuden, kulturell geprägten Geschäften und Dienst- leistungen. Auch die Geschäftsleute organisieren sich in Nachbarschaften, unterstützt durch ein Programm, das die wirtschaftliche Entwicklung in Quartieren fördert (Business Improvement Areas). Die Ergebnisse der Beschäftigung mit der Zuwanderungspolitik in Toronto fi nden sich in dem Buch von Detlev Ipsen, Johanna Debik, Herbert Glasauer, Christine Mussel, Holger Weichler: Toronto. Migration als Ressource der Stadtentwick- lung. Arbeitsberichte des Fachbereichs Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung. Heft 160. Universität Kassel 2005 (siehe Teil III dieses Berichts) Ohne Zuwanderung gibt es keine großen Städte. Dies gilt auch für Berlin, welches als bürgerlich-mittelalterliche Kaufmannsstadt wie auch als Standort von wichtigen Gewer- ben und Dienstleistungen seit Jahrhunderten Menschen auf der Suche nach Arbeit und sozialem Aufstieg anlockt. In Neukölln verweist das Böhmische Dorf auf den Zuzug vieler in ihrer Heimat wegen ihres Glaubens verfolgter Böhmen nach Rieksdorf. In den Straßennamen und Quartieren ist die Geschichte von Rixdorf gespeichert, als die aufsteigende Industrie mehr als Hun- derttausend Menschen auf der Suche nach Arbeit anzog. Heute zeigt sich in Teilen der Karl-Marx-Straße und der Sonnenallee ein breites Panorama an internationalen Waren und Dienstleistungen. All dies ist Ausdruck einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen, die in die Städten zugewandert sind - und liefert die Grundlage von Missverständnissen, Dis- tanzierungen, Abgrenzungen und Konfl ikten. Zugleich ist dies jedoch eine notwendige Ressource für die Entwicklung innovativer Lebensstile, neuer kultureller Ausdrucksfor- men, produktiver Verbindungen zwischen verschiedenen Ländern. Wie kann sich eine Stadt, wie kann sich Neukölln so entwickeln, dass die durch Migration bedingte kulturelle Vielfalt zu einer Ressource der Stadtentwicklung wird und Konfl ikte und Spannungen zwischen den Kulturen minimiert werden. Auf der Grundlage unserer Erfahrungen mit der Zuwanderungspolitik in Toronto, stellte sich die Frage, welche der Erkenntnisse sich auf die konkrete Situation in Berlin-Neukölln übertragen lassen. Auch wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Toronto un- terschiedlich sein mögen, so sind die Problemstellungen in vielen Punkten durchaus ver- gleichbar und machen den Blick über den Tellerrand sinnvoll. Die Ergebnisse unserer Be- schäftigung mit Berlin-Neukölln sind in dem Bericht ‚Von Toronto nach Berlin-Neukölln. Anknüpfungspunkte für ein produktives Miteinander in kultureller und sozialer Vielfalt‘ a - V zusammengefasst (siehe Teil IV). Unsere empirischen Arbeiten in Toronto und Berlin- Neukölln basieren auf den theoretischen Überlegungen, die in dem Beitrag von Prof. Dr. Detlev Ipsen ‚Babylon in Folge – wie kann der städtische Raum dazu beitragen, kulturelle Komplexität produktiv zu wenden?‘ (siehe Teil II) entwickelt wurden. In der Arbeit vor Ort wurden wir durch einen Beirat unterstützt, der unsere Untersuchungs- arbeit kritisch begleitete und dem folgende Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge an- gehören: Astrid-Sabine Busse Leiterin der Grundschule in der Köllnischen Heide Niki Reister TO SPITI - Interkulturelles Frauen- und Familienzentrum Bettina Busse Kulturamt Berlin-Neukölln, Projektmanagerin interkultureller Projekte Heike Steller-Gül Pfarrerin, Evangelischer Kirchenkreis Neukölln Dipl.-Ing. Horst Evertz Projektleiter Sanierungsgebiet Neubritz Henning Vierck Leiter des Comenius-Gartens Dr. Dorothea Kolland Leiterin des Kulturamtes Berlin-Neukölln Dipl.-Geogr. Ilse Wolter + Dipl.-Ing. Lucia Weber Quartiersmanagerin, Quartiersmanagement Reuterplatz Die grundlegende Frage unserer Forschungsarbeiten in Berlin-Neukölln, wie kann sich Neukölln so entwickeln, dass die durch Migration bedingte kulturelle Vielfalt zu einer Ressource der Stadtentwicklung wird und Konfl ikte und Spannungen zwischen den Kul- turen minimiert werden, war zudem Thema eines Zukunftsworkshops im November 2006 im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt (siehe hierzu Teil IV). Etwa 20 Expertinnen und Ex- perten, die sich in ihrer Arbeit alltäglich mit dem Thema Migration beschäftigen, disku- tierten dort über mögliche Zukünfte und die Aspekte, die diese Entwicklung im positiven wie auch im negativen Sinne prägen könnten. Aus den Diskussionen in den Arbeitsgrup- pen und der Abschlussdiskussion haben wir die Überlegungen, Hoffnungen und Zweifel extrahiert und in einem Szenario zusammengeführt. Die Ergebnisse dieses Expertenworkshops können anknüpfen an die zentralen Perspekti- ven der Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes „Vielfalt fördern - Zusammenhalt stärken: Integrationspolitik für Berlin“, welches der Berliner Senat im Juni 2007 ange- nommen hat. In acht Strategien werden darin die Voraussetzungen zur Entwicklung von Handlungsfeldern und Leitprojekten eröffnet. In diesem Integrationskonzept II wird ex- plizit auf die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Senat und den Bezirken wie auch Vorbemerkung a - VI deren eigenverantwortlichen integrationspolitischen Aufgaben verwiesen. In mehreren Diskussionsrunden mit dem Beirat konnten die Ergebnisse des Szenari- enworkshops mit Blick auf die Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes geschärft werden. Die folgenden fünf Anforderungen verstehen wir als Anregung, die bezirkliche Integrationspolitik in den zahlreichen Projekten und Initiativen vor Ort wie auch auf der administrativen Ebene neu zu überdenken und zu orientieren. Vorbemerkung a - VII Teil I Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken Fünf Anforderungen an eine bezirkliche Integrationspolitik in Berlin-Neukölln a - VIII Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken: Fünf Anforderungen an eine bezirkliche Integrationspolitik in Berlin-Neukölln Am 4. Juni hat der Berliner Senat die Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes „Viel- falt fördern - Zusammenhalt stärken: Integrationspolitik für Berlin“ angenommen, wel- ches in acht Strategien die Voraussetzungen zur Entwicklung von Handlungsfeldern und Leitprojekten eröffnet. In diesem Integrationskonzept II wird explizit auf die Notwendig- keit der Kooperation zwischen Senat und den Bezirken wie auch deren eigenverantwortli- chen integrationspolitischen Aufgaben verwiesen. Die fünf Anforderungen an eine bezirkliche Integrationspolitik entstanden im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes, welches das Ziel hatte für Berlin-Neukölln Konzepte zu entwickeln, wie die Vielfalt von Kulturen zu ei- ner Ressource von produktiver Stadtentwicklung werden kann. Untersuchungsorte waren Toronto in Kanada und Berlin-Neukölln. Die Untersuchungen wurden von der ‚Arbeits- gruppe Empirische Planungsforschung‘ von der Universität Kassel durchgeführt. Für die Arbeiten in Neukölln konnten wir einen Beirat gewinnen, dessen Mitglieder sich in ihren Arbeitsschwerpunkten mit unterschiedlichen Aspekten des Bezirk und seiner Belange be- schäftigen. Diesem Beirat gehören, in alphabetischer Reihenfolge, die folgenden Personen an: Astrid-Sabine Busse Leiterin der Grundschule in der Köllni- schen Heide Niki Reister TO SPITI - Interkulturelles Frauen- und Familienzentrum Bettina Busse Kulturamt Berlin-Neukölln, Projektmana- gerin interkultureller Projekte Heike Steller-Gül Pfarrerin, Evangelischer Kirchenkreis Neukölln Dipl.-Ing. Horst Evertz Projektleiter Sanierungsgebiet Neubritz Henning Vierck Leiter des Comenius-Gartens Dr. Dorothea Kolland Leiterin des Kulturamtes Berlin-Neukölln Dipl.-Geogr. Ilse Wolter + Dipl.-Ing. Lucia Weber Quartiersmanagerin, Quartiersmanage- ment Reuterplatz Die zentralen Schwerpunkte der fünf Anforderungen an eine bezirkliche Integrationspoli- tik wurden in einem Szenarioworkshop mit Expertinnen und Experten aus dem Arbeitsfeld Migration und Integration im November letzten Jahres nach intensiver Diskussion entwi- ckelt. Die schriftliche Fassung dieser Arbeitsergebnisse hat die Forschungsgruppe und der Beirat in weiteren Diskussionen überarbeitet und in den fünf Anforderungen zugespitzt. Teil I - Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken a - IX 1. Stadträumliche Integration fördern: das Quartierszentrum Integration fi ndet wesentlich im Quartier, im räumlich nahen Zusammenleben der Men- schen aus unterschiedlicher Kulturen und sozialen Schichten statt. Austausch in einem produktiven Sinne, der sozialen Zusammenhalt schafft, bedarf geeigneter Anlässe wie entsprechender Orte. Sozialer Zusammenhalt entsteht aus der Erkenntnis der Gemein- samkeit von Interessen, die die rigiden Schranken kultureller, religiöser und sozialer Un- terschiedlichkeit überwindet. Sport, Musik, Hobbies, Feste wie auch die Rolle als Eltern, Großeltern, Männer oder Frauen bieten die Grundlage für die Entwicklung gemeinsamer Interessen und gemeinsamen Handelns. Produktiver Austausch und gemeinsames Handeln brauchen entsprechende Orte und Netzwerke. Orte des Austausches im Quartier können Schulen, Kitas, Kirchengemeinden und Nachbarschaftszentren, Moscheen usw. sein. Diese Quartierszentren stehen für die verschiedenen Interessengruppen und Initiativen offen. Hierfür gibt es bereits positive An- sätze vor Ort. Diese müssen aufgegriffen und entsprechend organisatorisch und fi nanziell ausgestattet werden. 2. Die Gemeinsamkeit der Vielfalt stärken: das Quartiersforum Die Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen und Interessen braucht neben Orten und Netzwerken eine organisatorische Form ihres Gemeinwesens. Das Quartiersforum ist der basisdemokratische Ausdruck des sozialen und kulturellen Gefüges des Quartiers. Diese eigenverantwortliche, autonome Interessenvertretung existiert neben dem Quartiersbeirat. Das Forum wird nicht vom Bezirk, sondern von den relevanten sozialen und kulturellen Gruppen eingesetzt und gibt sich eigenständig eine Geschäftsordnung. 3. Die Zivilgesellschaft stärken und qualifi zieren Die Stärkung und Qualifi zierung der Zivilgesellschaft ist für die gesellschaftliche Inte- gration unerlässlich. Dies kann nur auf der Grundlage einer Politik gelingen, die Dis- kriminierung unterbindet und Chancengleichheit fördert. Partizipation im Rahmen des Quartiersforums in Neukölln erfordert daher Zusätzliches: Beteiligung macht erstens nur Sinn, wenn diese mit Entscheidungskompetenzen einher- geht. Dies ist mehr als die Möglichkeit des Einfl usses über kommunale Wahlen und die Begrenzung auf Beratungsfunktionen. Partizipationsmöglichkeiten setzen spezifi sche soziale und kulturelle Kompetenzen voraus und sind daher sozial selektiv. Dadurch verwehren sie großen Teilen der Bewohnerinnen und Bewohner Neuköllns gleiche Chancen der Teilhabe. Stärkung der Zivilgesellschaft bedeutet daher zweitens die Entwicklung und Qualifi zierung von Partizipationsstrukturen, die den Ausschluss verhindern und dadurch das bürgerschaftliche Engagement nachhaltig stützen. Und drittens bedarf die Motivation zur Partizipation der persönlichen Aktivierung durch Teil I - Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken a - X engagierte Mentoren der relevanten Gruppierungen. 4. Bildung erfordert neue Formen des Lernens Die Steigerung des Anteils höher qualifi zierter Schulabschlüsse bedarf neuer Formen des Lernens. Die klassische Form der Ausbildung negiert die besonderen Anforderungen wie auch die Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen aus unteren sozialen Schichten und mit Migrationshintergrund. Insbesondere in Bezirken wie Neukölln verstärkt dies die Se- lektion und den Ausschluss und erschwert die Integration. Die grundlegende pädagogi- sche Erkenntnis, dass die Gemeinsamkeit des Lernens in kleinen, altersgemischten Lern- gruppen, die an gemeinsamen Projekten arbeiten, insbesondere die leistungsschwächeren Schüler motiviert, muss auch in Neukölln breite Anwendung fi nden. Einen vorbildlichen Ansatz dafür gibt es im Bezirk bereits in Form des Campus Rütli. Dieses Projekt sollte möglichst bald auf andere Quartiere und Schulen ausgeweitet und an die spezifi schen sozialräumlichen Bedingungen angepasst werden. 5. Qualifi zierte Mehrsprachigkeit ist ein Gewinn Integration durch Bildung bedarf der Fähigkeit zu Kommunikation und Austausch. Sprachförderung in Kita und Schule darf jedoch nicht auf die deutsche Sprache beschränkt bleiben. Chancengleichheit bedeutet vor allem Respekt gegenüber den anderen Kulturen und insbesondere deren Muttersprache. Qualifi zierte Mehrsprachigkeit ist ein Gewinn und kein Problem für eine moderne, offene Gesellschaft. Dies gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die Einstellung von Erzieherinnen und Erziehern sowie von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund aus den größten Gruppen, die Einbindung von sprachkompetenten Eltern und Ehrenamtlichen schaffen die Grundla- ge zur Qualifi zierung der Kinder und Jugendlichen in Deutsch und der jeweils dominanten Muttersprache. Deutsche Kinder und Jugendliche sollten durch das Erlernen einer der im Quartier relevanten Sprachen ebenfalls qualifi ziert werden. November 2007 Teil I - Vielfalt fördern und Zusammenhalt stärken a - XI Teil II Babylon in Folge - wie kann der städtische Raum dazu beitragen, kulturelle Komplexität produktiv zu wenden? a - XII Babylon in Folge – wie kann der städtische Raum dazu bei- tragen, kulturelle Komplexität produktiv zu wenden? Detlev Ipsen Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein eben Land im Lande Sinear, und wohneten daselbst, Und sprachen unter einander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! Und nah- men Ziegel zu Stein, und Erdharz zu Kalk. Und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und Turm bauen, des Spitze bis an den Him- mel reiche, daß wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreuet in alle Länder. Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und Turm, die die Menschenkinder baueten. Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen, zu thun; sie werden nicht ablassen von allem, das sie vorge- nommen haben, zu thun. Wohlauf, laßt uns hernieder fahren, und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des anderen Sprache vernehme! Also zerstreuete sie der Herr von dannen in alle Länder, daß sie mußten aufhören, die Stadt zu bauen (Genesis 11,1-9) Wir kennen sie alle, die Geschichte von Babylon, jener, zumindest über viele Jahrhunderte hinweg, immer wieder blühenden Stadt am Euphrat mit den Hängenden Gärten und eben dem Turm zu Babel. Und wir wissen auch, dass diese Stadt seit nunmehr viertausend Jahren das Modell von Glanz und Elend der großen Städte ist. Die einen folgen dem Ver- kommenheits- und Untergangsszenario des Johannes, der die Stadt Babylon als die Mutter der Huren verstand. Stadt als Ort von Luxus und Macht, Ruhm und Unmoral. Andere folgen dem Modell der offenen Stadt Babylon, Weltstadt der semitischen und persischen Antike, Ort des Handels und der Technik, der Rechtssprechung, der Stadtbaukunst und des Gartenbaus. Zwischen diesen Polen siedeln viele Versionen. Die der sozialistischen Utopie oder linken Kapitalismuskritik: „Auf den Asphaltfeldern grasen goldene Kälber- herden Tag und Nacht/Über ihnen Wolkenkratzer, wo die Computer schmatzen/...halleluja der Turm stürzt ein (Ton, Steine, Scherben)”; oder die kritisch düstere science fi ction story Metropolis von Fritz Lang – der neue Turm Babel als global city (alle Fäden laufen hier und bei Joh Fredersen zusammen) und das einfl ussreiche Werk Babylon II, in dem Con- stant und andere situationistische Künstler und Architekten die Vision einer durchlässigen Stadt entwerfen. Was aber erzählt die Geschichte eigentlich? In dem kosmopolitischen Babylon hatte sich ein solches Maß an kommunikativer Kompetenz entwickelt, dass die technischen und kul- Teil II - Babylon in Folge a - XIII turellen Erfolge herausragend waren. Der Turmbau sollte als zentraler Tempel, sollte wie alle Tempel und Kirchen den eigenen Erfolg und der Ehre Gottes dienen. Wie man weiß, stieg Gott herab, um sich dieses Bauwerk zu betrachten und war offensichtlich beein- druckt. Wenn die Bewohner Babylons dieses Werk vollenden, dann sind sie nicht mehr zu halten. Deshalb soll keiner mehr des anderen Sprache vernehmen. Damit führt uns die alte Geschichte von Babylon zu dem zentralen Aspekt der modernen Stadt: der kommunikati- ven Kompetenz. Kommunikative Kompetenz ist die Fähigkeit, mit dem Fremden und dem Fremdartigen in Kontakt zu treten. Die unterste Ebene des Kontaktes ist die Simmel’sche Blasiertheit. Man lässt den Fremden nicht an sich herankommen, aber man lässt ihn ge- währen. Kommunikative Kompetenz entwickelt sich weiter über rollenspezifi sche und instrumentelle Kontakte bis hin zur Fähigkeit, im Fremden das Eigene zu erkennen und so eine neue hybride Form der Kultur zu entwickeln. Ich möchte in diesem Aufsatz der Frage nachgehen, ob die „Raumausstattung“ der euro- päischen Stadt und ihrer kolonialen Weiterentwicklungen dazu beitragen kann, kommu- nikative Kompetenz zu entwickeln. Tragen die Plätze, die Märkte, die Boulevards dazu bei, dass sich unterschiedliche Kulturen berühren, vielleicht sogar überschneiden. Trägt das Raummuster, also die Verteilung, die soziokulturelle Gruppierung der Menschen und ihrer Einrichtungen im Raum dazu bei, dass sich neue Kulturen entwickeln können, dass es kulturellen Austausch gibt? Welche Defi zite lassen sich aus der Sicht der Stadtplanung unter einem solchen Blickwinkel indizieren, in welche Richtung müsste sich die Raum- ausstattung bewegen, damit sich eine Stadt zu einer offenen Stadt entwickelt. Man bewegt sich mit diesen Fragen - und dessen sollte man sich bewusst sein - auf einem politischen und ideologischen Feld. Eine Reihe von politischen Kräften wollte und will ihre Vorstel- lung einer homogenen Gesellschaft auch und gerade durch die Umsetzung einer hier- archisch gegliederten und umfassend kontrollierten Stadt, also einer eher geschlossenen Stadt realisieren. Die offene Stadt ist ein Modell der Gesellschaft, das immer wieder in der Geschichte mit dem Gegenmodell, einer ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaft in Konfl ikt gerät. Beispiele der jüngsten Zeit sind die Vertreibung und Ermordung großer Teile der städtischen Bevölkerung von Phnom Penh durch die Roten Khmer, der Versuch, durch dauernden Beschuss von den umliegenden Bergen das mehrkulturelle Sarajewo zu vernichten, die Zerstörung der Brücke von Mostar, die seit Jahrhunderten ein Symbol des Zusammenlebens von katholischen Kroaten und muslimischen Bosniern war, und auch die Attacke auf das World Trade Center in New York lässt sich in diesem Zusammenhang begreifen. Alle diese Angriffe haben eines gemeinsam: Städte, die für Pluralität und Of- fenheit stehen, im Namen homogener Gesellschaftsmodelle zu zerstören. Es ist dabei sicher richtig, dass die Vorstellung A greift B an zu einfach ist. Die Entwick- lung der offenen Stadt selber bringt die Kräfte hervor, die eine geschlossene Stadt propa- gieren. Meist erreicht sie die kommunikative Kompetenz nicht hinreichend oder nur für eine kurze Zeit. Immer wieder kommt es zu eruptiven Konfl ikten, regelmäßig zu Chaos und Anomie. Aber nicht nur im Innern fi nden sich Widersprüche. Die große Stadt, die Metropole lebt von der Peripherie. Von dort bezieht sie Wasser und Energie, Lebensmittel und Menschen. Immer wieder kommt es in dieser Beziehung zur Frage nach der Gerech- Teil II - Babylon in Folge a - XIV tikeit des Austausches, zu Kränkungen und Herabsetzungen der Kulturen, die am Rande des Hauptstromes der Modernisierung stehen. Die inneren und die äußeren Widersprüche führen dazu, dass sich das Modell der Offenen Stadt stets neu generieren muss. Die Offene Stadt ist immer eine Baustelle. Die Geschichte und der Mythos von Babylon erzählen über vier Jahrtausende hindurch von einem immer gleichen und sich immer unterscheidenden Problem. Wie kann der Vor- teil kultureller Komplexität die damit einhergehenden Belastungen überwiegen? Wie lässt sich kulturelle Komplexität in geistige, materielle und soziale Produktivität überführen? Wie kann bei Erfolg die Hybris, wie kann die Ausbeutung im Inneren vermieden werden? Wie kann es zu einem Ausgleich mit den nahen und entfernten äußeren Regionen kom- men? Wie kommt es zu einem gelungenen Umgang mit der inneren und äußeren Natur? Und noch etwas zweites zeigt die Geschichte von Babylon und dem Turm der Verwirrung: Die kommunikative Kompetenz hat mit der räumlichen Struktur, hat mit der Raumaustat- tung zu tun. In der Geschichte war es der Turmbau, also ein räumliches Projekt, welches zum Ende der kommunikativen Kompetenz beigetragen hat. Wir haben die Hypothese, dass es zwischen dem Charakter kultureller Prozesse und den grundlegenden Mustern der Raumbildung eine strukturelle Korrespondenz gibt. Um die Frage zu beantworten, ob die Raumaustattung der europäischen Stadt dazu beitragen kann, dass sich kommunikative Kompetenz entwickelt, muss ich das Verhältnis von Kultur und Raum diskutieren. Verbin- det sich der Begriff der Kultur und die Muster kultureller Prozesse mit denen des Raumes und lässt sich daraus eine pragmatische Hypothese formulieren, wie der städtische Raum beschaffen sein muss, um zur Entwicklung einer offenen Stadt beizutragen? Kultur – Deutung und Bedeutung Wenden wir uns zunächst dem Kulturbegriff zu. Wir benutzen den Kulturbegriff im All- tag wie in der Arena, die man Hochkultur nennt. „Deutsche Kultur ist, wo ich bin“ sagt Thomas Mann und führt uns damit mitten hinein in die Diskussion um den Kulturbegriff. Thomas Mann wollte uns mitteilen, dass Kultur nicht aus Deutungen besteht und deshalb die Deutungsmacht eine zentrale Rolle spielt. Es sind nicht die Nazis in Deutschland, die bestimmen können, was deutsche Kultur ist, sondern die Deutungsmacht auch wenn sie sich außerhalb von Deutschland, in der Emigration Gehör verschafft. Im Alltag klingt eine ähnliche Vorstellung an, wenn man ein bestimmtes Verhalten als kulturlos bezeich- net. Man selber nimmt sich die Macht, zu defi nieren, was Kultur ist. Während einerseits die eigene Kultur zum Maßstab für das richtige Verhalten gewählt wird, bedeutet sie zum anderen zusätzlich eine lobende Beurteilung des Verhaltens. Werden andere Kulturen als solche gar nicht wahrgenommen, sondern mit den Verhaltensformen der eigenen Kultur verglichen, werden sie bei zu großer Differenz als kulturlos bezeichnet. Aus der Sicht der Kultursoziologie sind solche Vorgänge Gegenstandsfeld aber nicht Be- griff der Kultur. Dennoch kann der wissenschaftliche Begriff dem Gegenstandsfeld nicht fremd gegenüber stehen. So scheint es richtig zu sein und hat sich weitgehend durchge- setzt, Kultur als den Zusammenhang von Deutung und Bedeutung zu verstehen (Geerts Teil II - Babylon in Folge a - XV 1973). Das Alltagsverständnis von Kultur ist darin eingegangen, allerdings wird die naive Abgrenzung des Eigenen vom Fremden als Kultur und Kulturlosigkeit zurückgewiesen. Deutungen und Bedeutungen sind nicht wahrnehmbar. Sie sind theoretische Konstrukte, die das Verhalten des Einzelnen in bestimmten Gruppen leiten. Mit Hilfe eines gelernten Codes wird die soziale und physische Umwelt gedeutet; ebenfalls gelernte Wertesysteme ordnen die entzifferte Umwelt in eine Hierarchie von „wichtig bis unwichtig“, von „schön bis hässlich“, von „sollen bis lassen“. Die Korrespondenz zur Raumwahrnehmung und insbesonders zur Wahrnehmung des städtischen Raumes scheint mir offensichtlich. Wahrnehmungstheoretisch ist der Raum ein semiotisches Feld. Die Art wie Gegenstände im Raum plaziert werden und wie Men- schen handeln und interagieren ist nur lesbar im System einer Kultur. Sie versorgt uns mit den Codes, die uns die Deutung eines bestimmten Raumes ermöglichen. Wir wissen was besondere Orte, öffentliche Plätze, Flaniermeilen sind. Mit der Deutung übernehmen wir bestimmte Verhaltensweisen als zulässig, lehnen andere ab. Die Kultur versorgt uns auch mit einem Raster, das Bewertungen ermöglicht. Dass Orte wie Sacre Coeur oder die Spa- nische Treppe so beliebt sind, liegt an der Entstehung des pespektivischen Blicks in der Renaissance und der des panomaradischen Blicks im 19. Jahrhundert. Der Überblick ist ein gewichtiger Bestandteil der europäischen Kultur und führt zu einer Neubewertung der Topographie einer Stadt. Schon der Begriff der Kultur korrespondiert in einem kausalen Sinn mit der Wahrnehmung des Raumes und damit seiner Gestaltung. In der Raumaus- stattung und der Raumstruktur fi ndet sich die kulturelle Kommunikation wider und umge- kehrt lässt diese kulturelle Muster entstehen. Kultur – Fluss und Grenze Nimmt man diesen Begriff von Kultur, so heißt dies, dass die Kulturwissenschaft die spe- zifi schen Wahrnehmungsausschnitte und die besonderen Bedeutungshierarchien in einer oder in mehreren Gesellschaften erfasst und die jeweiligen Folgen für die Ökonomie, die politische Regulation und das soziale Leben zu analysieren versucht. Die Kulturwissen- schaft geht also stets von einer Verteilung bestimmter Deutungs – und Bedeutungspro- zesse in einer Gesellschaft oder zwischen verschiedenen Gesellschaften aus. Bestimmte Deutungen werden möglicherweise von allen geteilt, die meisten jedoch gelten nur für bestimmte Gruppen. Deutungen, die sich heute hier fi nden, tauchen morgen an anderer Stelle wieder auf, sie können aber auch gänzlich verschwinden oder gewinnen an ande- rer Stelle in neuer Gestalt oder in einer Kombination mit anderen Deutungsausschnitten Bedeutung. In diesem Sinn gleicht Kultur einem Fluss von einzelnen Informationen und den damit verbundenen Schemata des Verstehens. Die Metapher des Flusses hat allerdings eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist alles immer in Bewegung, zum anderen aber ist alles stetig. (Hannertz 1992) Kultur ist Prozess und Struktur zugleich. Es ist diese Fließ-Eigenschaft, die es zweifelhaft erscheinen lässt, ob der zunehmend ver- wendete Begriff der Hybridkultur und der Hybridisierung nicht mehr Missverständnisse als Klarheit schafft. Selbst die in vielen Teilen der Welt übliche Konstruktion einer na- Teil II - Babylon in Folge a - XVI tionalen Kultur gründet sich auf vielerlei kulturelle Elemente und erweist sich so schon auf den ersten Blick als hybrid. In ein und derselben deutschen Person fi nden sich Teile rumänischer, italienischer, österreichischer und norddeutscher Deutungen. Nur für sehr isolierte und homogene Gesellschaften wäre also eine Hybridisierung etwas Neues. Gleichwohl zeigen zwei Aspekte, warum der Begriff solche Bedeutung bekommen hat. Zum einen macht es Sinn von Hybridisierung zu sprechen, wenn man die Fließgeschwin- digkeit in den Blick nimmt. In den letzten Jahren hat sich die Geschwindigkeit erhöht, in der Deutungen und Bedeutungen von einem Teil der Welt in einen anderen kommen. Und es sind nicht nur die ohnehin fl üchtigen gedanklichen Konstruktionen und Informa- tionen, sondern auch ihre Artefakte. So werden zum Beispiel indische Filme, Musik und Kleidung Bestandteile der Stadtkultur von London. „Indischer Sommer in London“ titelt der Spiegel (25/2002/178) und trägt so dazu bei, dass dies andernorts Interesse weckt und als kulturelle Orientierung weiter wandert. Hybrid wirkt die Kultur vor allem wegen der Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der sie andernorts ein soziales Setting fi ndet. Zum zweiten sind es Identitätskonstruktionen, die sich auf Collagen beziehen. Zwischen Kolonie und „Mutterland“ hat es diese hybride Verankerung schon immer gegeben. Cairo versteht sich nicht nur als arabische Stadt, sondern bezieht sich auch auf seine französi- schen Boulevards und amerikanischen postmodernen „desert cities“. Es ist die Komposi- tion des Differenten, herausgenommen aus dem ursprünglichen Kontext, die eine hybride Kultur entstehen lässt. Dies gilt nicht für das Verhältnis der europäischen zur kolonialen Stadt, sondern auch umgekehrt. So untersuchte Patricia Morton am Beispiel der L ́Expo- sition coloniale international de Paris (1931) die Entstehung neuer Deutungen, die weder französisch noch kolonial in einem authentischen Sinn sind. (Morton, 2000) “The Expo- sition constructed the French colonies into a new entity, a collection” (Morton 2000, S. 315). Es könnte sein, dass sich heute und in Zukunft mehr und mehr Menschen bewusst auf hy- bride Deutungen und ihre Artefakte beziehen, um sich selbst zu bestimmen. Dies liegt zum einen an den Möglichkeiten der Beschleunigung des kulturellen Transfers und entspricht zugleich dem Bedürfnis vieler Menschen, zumindest Teile ihrer Identität selbst zu entwer- fen und nicht wie selbstverständlich den regionalen oder nationalen Konsenskulturen zu entnehmen. Häufi g wird auch von Kreolisierung gesprochen. Die kreolische Kultur entstand in der Plantagenwirtschaft Amerikas bei den afrikanischen Sklaven. In eine ihnen fremde und auch und von ihnen nur wenig beeinfl ussbare Umwelt „gesetzt“, entwickelten die Skla- ven eine Deutung der Welt in Musik, Sprache, Nahrung und Kleidung, die sowohl dem Eigenen zu entsprechen suchte, als auch die unvermeidbaren Einfl üsse der nicht nur frem- den, sondern auch entfremdeten Umwelt aufzunehmen. (Buisseret u.a., 2000). Was diesen Begriff, dem zunächst eher historische und ethnologische Bedeutung zukommt, zu einer Diskussion in der allgemeinen Kulturwissenschaft gemacht hat, ist der subversive Bei- geschmack der Kreolisierung. Migranten in den Metropolen der westlichen Welt bringen nicht nur ihre Kultur mit, sondern verändern die dominanten Deutungsmuster. Kreoli- sierung heißt also der Prozess, durch den eher unterprivilegierte Schichten und Gruppen Teil II - Babylon in Folge a - XVII mit ihrer Deutung die Deutungsmuster privilegierter Gruppen verändern. (Label France, 2000). Für Deutschland ist ein gutes linguistisches Beispiel die Sondersprache deutscher Türken und mehr noch die literarische Verarbeitung der Entstehung dieser Sprache und ihre Einführung in die intellektuelle Kultur durch den Deutsch-Türken Zaimoglu (Tages- spiegel, 2001). Die Kultur der „getürkten Türken“ ist ein möglicher Weg der Kreolisie- rung, auch wenn in diesem Fall der Prozess der Eindringung in die dominante deutsche Kultur noch keineswegs beendet ist. Dies wiederum verweist auf die dialektische innere Dynamik der Deutungssysteme und ihrer Artefakte. Hybridisierung und Kreolisierung beschreiben vor allem Kultur als Fluss von Deutungs- mustern und Gegenständen. Kulturen sind als Fluss von Deutungen und Bedeutungen zu verstehen, durch den sie sich ständig beeinfl ussen und verändern. Zugleich werden Grenzen ab- und aufgebaut, die in der Selbstdeutung das Eigene von dem Anderen un- terscheiden. Nur so verbindet sich das Deutungssystem mit individuellen und kollektiven Identitätskonstruktionen. Die Kultur als Konstruktion der Abgrenzung ist es erst, durch die Integration differenzierter Handlungspotenziale in einem Individuum und die innere Differenzierung von Gruppen und Kollektiven ermöglicht wird. Zur Analyse kultureller Prozesse sind beide Sichtweisen in ihrer gegenseitigen Bedingt- heit wichtig. Wird die Analyse zu einem Bestandteil der Deutungsmuster einer Kultur, so wird das Muster selber refl exiv und in gewisser Hinsicht prekär. Auf der einen Seite wird die naive Selbstabgrenzung zwischen dem Eigenen und dem Anderen erschwert und verlangt Metadeutungen. Zum anderen eröffnet sich erst dadurch die Möglichkeit der kre- ativen Weiterentwicklung der eigenen Kultur als bewusster Prozess. Begriffe und Metaphern der Analyse kultureller Prozesse weisen auf die Korrespondenz zur Raumanalyse hin. Die Korrespondenz bezieht sich auf grundlegende Gemeinsamkei- ten und kausale Verbindungen wie die Bedeutung von Zeichen und Codes bei der Analyse räumlicher wie kultureller Prozesse. Grundlegend ist beiden auch die Doppeleigenschaft als Struktur und Prozess. Der Fließraum der Stadtregionen ist technische Struktur und so- zialer und materieller Prozess. Korrespondierend sind aber vor allem die Inhalte. Kultur- analyse wird zur Stadtforschung, wenn die Verteilung von Deutungen und Bedeutungen sich in Quartieren und Orten äußert, wenn Informationen und Gegenstände fl ießen oder an Grenzen anhalten. Werden transnationale Räume identifi ziert, die eine bestimmte Region in Mexiko und Quartiere in New York materiell und sozial vernetzen, so ist dies zugleich eine Analyse von Hybridkulturen. (Pries, 1998) Kulturelle Komplexität und städtische Produktivität Kulturelle Komplexität ist Problem und Ressource städtischen Lebens zugleich. Probleme wirft die kulturelle Komplexität auf, wenn sie nicht mit kommunikativer Kompetenz ver- bunden ist. Und eine Ressource ist sie, wenn sich die verschiedenen Deutungen und ihre Artefakte vermitteln und neue hybride Formen bilden. Was aber versteht man unter kul- tureller Komplexität. Die Anzahl der verschiedenen Kulturen in einer Stadt ist zwar eine Teil II - Babylon in Folge a - XVIII notwendige, aber keine hinreichende Bestimmung. Kommen wir noch einmal auf die Un- terscheidung zwischen den Deutungen und Bedeutungen auf der einen Seite und den Ent- äußerungen zurück und setzen wir diesen Gedanken mit der sozialen und räumlichen Ver- teilung von Bedeutungen und Artefakten in Beziehung (Hannerz, 1992, S.7). Deutungen äußern sich in oder beziehen sich auf Gegenstände oder Ereignisse. Die Architektur einer Stadt wird interpretiert und ist Ausdruck bestimmter Deutungen. Die gleiche Deutung kann sich aber auch auf eine Klanglandschaft beziehen, die in einem räumlich-zeitlichen Bezug zu einer Architektur steht oder sie kann sich auf den architektonischen Entwurf oder die Komposition beziehen. Alle diese Elemente sind nicht statisch zu verstehen, sondern als dynamische Verteilung im sozialen Raum. Nicht alle Menschen einer Stadt werden eine bestimmte Deutung annehmen, ein Teil mag zwar die Deutung annehmen, bevorzugt aber eine andere Entäußerung. Mit dem Gesichtspunkt der Verteilung von Deutungen in einem sozialen Raum und ihrer internen Variabilität zwischen Konzept und Entäußerung gewinnt man einen ersten Zugang zu dem Begriff der kulturellen Komplexität. Korrespondiert eine Deutung nur mit einem Artefakt und nicht mit vielen unterschiedlichen, so ist sie weniger komplex organisiert als eine andere Deutung, der eine Vielzahl von Artefakten entspre- chen. Erfahren gleiche Dinge und Ereignisse in einem sozialen Raum unterschiedliche Deutung, so ist das Verteilungsmuster der Deutungen komplexer als in dem denkbaren Fall, das ein Ding oder Ereignis von allen gleich verstanden und bewertet wird. Man hat allerdings bis zu diesem Schritt ein erhebliches methodisches Problem: Selbst in der kleinsten geographischen Einheit, viel mehr noch in jeder Kleinstadt und in jedem Dorf gibt es unendlich viele Dinge und wahrscheinlich auch unendlich viele Deutungen und Bedeutungen, die mit den Dingen oder Ereignissen korrespondieren. Man muss des- halb die Analyse der Kultur so einengen, dass man es mit Schlüsselkonzepten und symbo- lischen, wirkmächtigen Artefakten und Ereignissen zu tun hat, die größere Aspekte einer Kultur charakterisieren oder die auf auf eine Vielzahl von Bereichen einen Einfl uss haben. So ist das gesellschaftliche Naturverhältnis der Moderne bis zum letzten Drittel des letzten Jahrhunderts in den westlichen Gesellschaften vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Naturbeherrschung verstanden worden. Artefakte dieses kulturellen Konzeptes sind die Berge versetzende Gestaltung französischer Parkanlagen des 17. Jahrhunderts, Herkules als die erste Monumentalstatue Deutschlands über dem Bergpark Kassel oder die Sem- meringbahn als erste die Alpen querende Eisenbahnverbindung (Kos, 1992), deren inge- nieurtechnische Gestaltung der neu empfundenen Erhabenheit, dem Gebirge ebenbürtig, entspricht. Fischer schlägt vor, Kulturalität als Beständigkeit und Verbreitung von Deu- tungen und ihren Artefakten zu bestimmen. Kulturalität meint die Dauer, die Persistenz und die Gleichverteilung von Kultur. Einzelne Elemente in einer Kultur haben dann mehr Kulturalität als andere; es gibt auch Teilkulturen oder Kulturen, die als Ganzes mehr und andere, die weniger Kulturalität besitzen. Die Analyse der kulturellen Komplexität muss also zunächst darstellen, welches die Schlüsselkonzepte der jeweiligen Teilkulturen sind und welche symbolischen Äußerun- gen diesen entsprechen. Dies ist die Analyse der Kulturalität. Daraufhin kann die Unter- suchung der kulturellen Komplexität eines bestimmten sozialen Raumes, zum Beispiel Teil II - Babylon in Folge a - XIX eines Quartiers oder einer Stadt beginnen. Ganz allgemein gesprochen bestimmt sich die Komplexität in der Zahl der Teilkulturen (quantitative Komplexität) und der Arten ihrer Beziehung zueinander (qualitative Komplexität). Gibt es in einem sozialen Raum zwar viele Kulturen, die aber versäult nebeneinander existieren, so ist die Komplexität geringer als wenn eine Vielzahl verschiedener Beziehungen zwischen diesen Teilkulturen existie- ren. Werfen wir einen kurzen Blick auf Deutschland. Hier wissen wir, dass die quantitative Komplexität in zahlreichen auch kleineren Großtädten zugenommen hat. Vieles deutet aber darauf hin, dass die Beziehungen zwischen den Kulturen eher dünn sind. Die tür- kisch-deutsche und die deutsche Kultur kommunizieren wenig, Konfl ikte sind eruptiv und werden mit der Intention der Abdämpfung behandelt. Ereignisse wie der „Karneval der Kulturen“, den Berlin von London übernommen hat, um die Vielzahl der Kulturen in der Stadt zu zeigen, werden zwar gefeiert, aber vor allem exotisch interpretiert. Aber nicht nur die vielen nationalen und ethnischen Kulturen in Deutschland haben recht wenig miteinander zu tun, auch die Altersgruppen innerhalb der deutschen Kultur leben eher distanziert. Die Orte der Jugend sind andere als die der Erwachsenen, vornehmlich in der Institution Schule und in dem Elternhaus treffen die Jugendkulturen und die der Erwach- senen aufeinander. Diese Beispiele machen deutlich, dass Kulturen in einem hohen Maße versäult sein kön- nen. Weder Konfl ikte noch eine auf den Austausch beruhende Vitalität können unter die- ser Bedingung die produktive Folge kultureller Komplexität sein. Allerdings behandeln empirische Studien meist nur einzelne „ethnische“ Gruppen und dies vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Integration, Segregation und Desintegration (Gestring u.a., 2001). Die Sicht auf den potentiellen Reichtum oder die Desintegration der kulturellen Komplexität der Städte und Regionen ist politisch verstellt und empirisch noch wenig angereichert. Die Produktivität der Stadt Dass sich die Produktivität und Innovationskraft in Wirtschaft und Kunst, in Wissenschaft und Politik zu bestimmten Perioden in jeweils spezifi schen Städten konzentriert und von diesen Städten dann eine ganz besondere Ausstrahlung ausgeht wissen wir seit Babylon. Braudel schildert in seiner Arbeit zur Weltwirtschaft wie dieses Zentrum von Venedig nach Genua, dann nach Brügge und Amsterdam wandert. Das Paris des 19. Jahrhunderts gilt als Hauptstadt der westlichen Welt, herausragend die Bedeutung von Wien in der Wen- de vom 19. zum 20. Jahrhundert oder die von San Francisco in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber was sind die Bedingungen der Innovationskraft und des ökonomischen Geschicks? Wir meinen, dass die äußere und innere Offenheit der Stadt eine wesentliche Bedeutung haben. Der Fluss kultureller Informationen und Praktiken muss eine Stadt aus aller Welt erreichen, eine produktive Stadt zieht interessante Menschen an. Hannertz bietet für das Wien des späten 19. Jahrhunderts dafür eine eindrucksvolle Aufzählung. Sigmund Freuds Vater arbeitete als Wollhändler in Monravia, Gustav Mahler kam aus Böhmen, Adolf Loos aus Brünn, Schnitzler kam aus Ungarn. Aber auch der innere Fluss zwischen Teil II - Babylon in Folge a - XX den verschiedenen Gruppen, die in einer Stadt leben, muss frei und dicht sein. Diese Of- fenheit nach Außen und Innen ist eine wichtige Bedingung. Damit verbindet sich, dass Widersprüche nicht nur geduldet, sondern herausgefordert werden. Die offene Stadt ist nicht fortschrittlich, schon gar nicht idyllisch. Die Wiener Juden mussten gegen eine Viel- zahl von antisemitischen Vorurteilen kämpfen und schärften so ihre liberale Gesinnung. Letztendlich muss es dann so etwas wie eine offene Atmosphäre in der Stadt geben, die nicht nur die kleine Gruppe der Eliten und Gegeneliten kennzeichnet, sondern die gesamte städtische Bevölkerung. Als ich Ende der 60er Jahre in Wien studierte hörte ich noch den offenbar alten Witz, dass man es in Wien nie erlebe, dass drei Wiener zusammenstehen, weil jeder Dritte ein Bemm (Böhme) sei. In einer offenen Stadt ist die Bevölkerung insge- samt daran gewöhnt, auf Fremdes und Unerklärliches zu stoßen. Das heißt aber auch, dass durch aktives Engagement der Bürgerschaft oder kommunale Planung die Risiken der kul- turellen Komplexität in städtischen Quartieren gesteuert, vielleicht sogar entscheidend ver- ringert werden. Putnam argumentiert, dass kulturelle Vielfalt zunächst dazu führen kann, dass Solidarität, soziale Integration und damit das soziale Kapital in Stadtquartieren sinkt. Damit einhergehend kann auch das Vertrauen in die soziale Umgebung sinken. (Putnam 2006). In einer aufschlussreichen Diskussion der Forschungsergebnisse zu dem Verhältnis von Vielfalt und sozialem Vertrauen kommen Newton und Stolle zu dem Ergebnis, dass dieses Verhältnis durch eine Vielzahl von Faktoren beeinfl ussst wird, die von der Art des Quartiers bis zur konkreten Zusammensetzung der Bevölkerung reichen. (Newton, Stolle 2007) Wenden wir uns nun den möglichen raumstrukturellen Bedingungen zu, durch die die Wirkung kultureller Komplexität auf innovative Prozesse auf der einen Seite und For- men der lokalen Desintegration auf der anderen Seite beeinfl usst werden können. Cluster und Orte, Ränder und Wege Wir haben den Versuch unternommen, die Korrespondenz zwischen kulturellen und räum- lichen Prozessen aufzuzeigen. Beide verbindet ihr semiotischer Charakter, die Dialektik von Fluss und Flussbett, von Prozess und Struktur. In manchen Fällen gehen Kultur- und Raumanalyse faktisch ineinander über, als Beispiel wurden die transnationalen Räume genannt. Jetzt soll konkreter benannt werden, welche Hypothesen sich zwischen einer bestimmten Raumaustattung und einer bestimmten Raumstruktur und der Chance zur Ent- wicklung einer offenen Stadt ergeben. Ausgangspunkt dieser Hypothesen ist der Wahrnehmungs- und Entdeckungszusammen- hang Stadt. Nur wenn sich die Stadt, ihr Leben reichhaltig entfaltet und entdeckt werden kann, wird kulturelle Komplexität zur Produktivität und Innovationskraft in einer Stadt beitragen. Kommunikative Kompetenz übt sich in und durch diese Entdeckungszusam- menhänge ein. „Mehr als andere menschliche Siedlungen ist die Stadt der Ort der Entde- ckungen und Überraschungen, seien diese angenehm oder unangenehm.“ (Hannertz, 1992, S.173). Beinahe zwanzig Jahre lang arbeitete der niederländische Situationist Constant an Modellen, Collagen und Bildern, um die räumliche Struktur einer Stadt der Entdeckungen Teil II - Babylon in Folge a - XXI zu entwerfen. „The future cities we envisage will offer an original variety of sensations in this domain and unforeseen games will be possible [...]” (Wigley 1998, S.115). Aufge- ständerte Fließhäuser und Netze von Bewegungsbändern formulieren über den Entwurf und das Modell die räumliche Hypothese einer offenen Stadt. Wir sind also mit der These nicht allein, dass die Raumstruktur einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, kulturelle Komplexität produktiv werden zu lassen. Anders herum gedacht: wie der Raum gestaltet ist, trägt dazu bei, ob der Unterschied der Kulturen zu Diskriminierung, Spannung, Ver- säulung und offenen Konfl ikten führt; oder ob zwischen den Kulturen kommuniziert wird, sich Grenzen verschieben, sich der Fluss der Bedeutungen und Deutungen verzweigt und vernetzt, sich ständig neue hybride Kulturen bilden. Es sind vor allem vier Eigenschaften, die eine Raumstruktur erbringen sollte, um das Ziel - eine produktive Verarbeitung kultureller Komplexität - zu stützen. Zum ersten sollte der Raum so organisiert sein, dass sich kulturelle Raumcluster entwi- ckeln können. Das Ziel der sozialen Mischung wendet sich mit Recht gegen diskriminie- rende Segregation. Leicht übersieht man dabei aber, dass sich freiwillig Cluster bilden können, durch die ein spezifi scher kultureller Entwurf des Alltagslebens erst möglich wird. Wenn sich in einem Quartier Geschäfte und Dienstleistungen, Wohnen und Freizeit einer Kultur konzentrieren, wird die ökonomische und soziale Tragfähigkeit erreicht, um die Entfaltung zu ermöglichen. Die Aufgabe der Stadtplanung ist es nicht, solche Cluster- Bildung zu verhindern, sondern Diskriminierung und Abschottung zu vermeiden. Zum zweiten soll die Raumausstattung dazu beitragen, den Fluss kultureller Informatio- nen zu erleichtern. Die Entstehung kommunikativer Kompetenz hängt von der Schaffung und der Pfl ege von Orten ab. Orte sind die „Persönlichkeiten“ einer Stadt. Sie müssen ein eigenes Gesicht haben und sich auf Grund der Figur, die sie ausbilden, von dem Plateau der Stadt, dem gestalttheoretischen Grund absetzen. Dabei ist es möglich und wahrschein- lich, dass eine Vielzahl von Orten nur einer Teilöffentlichkeit zuzurechnen ist. Dies ist im Sinne einer offenen Stadt auch erwünscht, wenn diese Orte, die zum Beispiel der türki- schen oder der afrikanischen Kultur zuzurechnen sind, die anderen Bewohner der Stadt als Gäste willkommen heißen. Neben diesen partikularen Orten kommt es auch zu Orten, die sich zeitweilig durch ein Ereignis konstituieren, den temporären Orten. Die Feiern nach einem gewonnenen Fussballspiel lassen eine gesichtslose Straße zum Markt der Emotio- nen und Informationen werden, aber auch ein Wochenmarkt verwandelt einen Parkplatz in einen Ort, an dem sich Identität entwickelt. Kaum zu trennen von diesem kommunikativen Aspekt von Orten ist die Urbane Kom- petenz. Indem Orte die Kommunikation des Verschiedenen ermöglichen, tragen sie dazu bei, den Umgang mit dem Anderen zu erlernen. Open mindedness nennt Rokeach die Fähigkeit zwischen dem kognitiven belief und dem disbelief System Verbindungen her- zustellen. Jeder entdeckt gleichsam das Fremde im Selbst und das Eigene im Anderen (Kristova, 1990). Zum dritten sollte es die räumliche Struktur der Stadt ermöglichen, dass neue, noch mit wenig oder gar keiner Macht ausgestattete Gruppen ihre Kultur entfalten können. Eine Stadt braucht Nischen und Ränder, die weder funktional noch sozial eindeutig zugeordnet Teil II - Babylon in Folge a - XXII sind. Sie braucht aber zugleich Grenzen, um soziale und kulturelle Identität entstehen zu lassen. Es ist wichtig, zwischen Grenzen und Rändern zu unterscheiden. Grenzen sind symbolisch oder materiell oder in beidem eindeutig; Ränder bleiben mehrdeutig. Gren- zen trennen klar unterscheidbare sozialräumliche Einheiten; Ränder verbinden Einheiten, indem sie ausgewählte Teile aufnehmen. Das macht ihre Unbestimmtheit aus oder anders ausgedrückt: Ränder sind simultane Räume. Grenzen sind eher Linien; Ränder sind Flä- chen, sie gleichen Bändern oder Teilen von Bändern. Ränder bieten daher Raum für eine Vielzahl von Aktivitäten. Ränder sind wenig reguliert, Grenzen dagegen kulturell, sozial oder materiell hoch reguliert. So sind Ränder eher Potenziale, Grenzen verlangsamen Ver- änderungen. Nur so können sie räumliche Identitäten sichern. Damit wird auch deutlich, dass Ränder Räume der Transformation sind. Wer sie heute besucht, muss sich darüber im Klaren sein, dass er sie morgen kaum mehr wieder erkennen wird. Ränder sind RaumZeit, ihre Simultanität bezieht sich auf die benachbarten Räume und verschiedene Zeiten. Rän- der grenzen ab, indem sie einschließen. Der Preis dafür ist ihre Offenheit. Nicht nur, dass man sie schwer begreift, dass sie mal hierhin, mal dorthin überfl ießen. Auch ihre eigene Zukunft bleibt offen, mal versinken sie in Vergessenheit, mal werden sie zu Zentren des urbanen Chaos und manchmal werden sie Orte eines neuen kulturellen Paradigmas der Stadt. Daniel Libeskind wollte in einem Wettbewerb um die Stadtgrenze von Groningen, Rand und Grenze zugleich realisieren. So nannte er die Ränder invers, weil der Rand von heute die Entwicklung von morgen sein kann, während das jetzige Zentrum zu einem Museum der Vergangenheit wird. Er schlug deshalb vor, die Ränder von Groningen mit Skulpturen zu kennzeichnen, die als Bücher die Geschichten der Stadt zwischen gestern, heute und morgen erzählen (Libeskind 1992, S.22). Eine offene Stadt braucht Grenzen und Ränder. Das Eine, um Bestehendes zu sichern, das andere, um Neues zu ermöglichen. Werden die Grenzen zu dicht, hindern sie den Fluss der Kulturen. Werden die Ränder zu offen, kippt Produktivität in Anomie. Die Planung in einer offenen Stadt muss es lernen, mit ambivalenten Situationen umzugehen. Viertens muss eine Stadt Orte und Symbole schaffen, die der Integration der Stadt Aus- druck verleihen. Einmal kann dies die Anerkennung des Unterschiedlichen sein. So fahren zur Neujahrszeit die Straßenbahnen in Amsterdam mit einer Banderole, die Wünsche für das neue Jahr in vielen Sprachen vermittelt, die hier gesprochen werden. Es kann aber auch ein Ort sein, indem sich die Metakultur einer Stadt realisiert. Die Metakultur ist das Gemeinsame im Verschiedenen. Das kann ein Markt oder Kaufhaus sein, ein Aussichtsort, von dem die Stadt als Ganzes erfahrbar wird oder ein Park wie der Zoologische Garten in Berlin, in dem sich alle treffen, die Berliner sind, ob sie aus Schwaben oder Armenien kommen. Eine offene Stadt, so kann man zusammenfassend sagen, hat und bedarf einer ihr eigenen Ästhetik. Die Politik, nicht zuletzt auch die Kulturpolitik, die Planung und Architektur sollte diese Ästhetik entdecken und in der Gestaltung des städtischen Lebens akzentuie- ren. So könnte sie dazu beitragen, dass Städte ihre kulturelle Vielfalt als Potenzial begrei- fen und produktiv umsetzen. 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Arbeitsgruppe Empirische Planungsforschung Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Universität Kassel, Oktober 2005 Leitung: Prof. Dr. Detlev Ipsen, Universität Kassel Autoren: Detlev Ipsen, Johanna Debik, Herbert Glasauer, Christine Mussel, Holger Weichler unter Mitarbeit von Dorothea Kolland, Kulturamt Neukölln Herausgeber: Universität Kassel Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Arbeitsberichte: Heft 160 ISBN: 3-89117-152-8 Bezugsadresse: Infosystem Planung Universität Kassel Henschelstraße 2, 34109 Kassel Tel.: 0561 / 804-2016 Fax: 0561 / 804-2232 e-mail: info_isp@uni-kassel.de Internet: http://www.isp.uni-kassel.de Druck: Unidruckerei 3Inhalt Einleitung 5 „Vielfalt ist unsere Stärke“ - die kanadische Einwanderungspolitik 7 Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 17 Kulturelle Cluster in Toronto 31 Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 61 Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung 85 Steuerung durch interkulturellen Dialog 97 Beobachtungen zur Metakultur 117 Resümee 127 Literatur und Quellen 129 4 5Einleitung Toronto ist eine der wenigen Städte auf der Welt, die sich nach langen und durch- aus kontroversen Debatten für eine aktive Zuwanderung von Menschen aus un- terschiedlichen Regionen der Welt entschieden hat. In Konsequenz dieser Politik ist sie die einzige Stadt dieser Welt, die sich die kulturelle Vielfalt als offizielles Leitbild gegeben hat. Die kulturelle Vielfalt wird als eine Ressource der Stadt- entwicklung gesehen, da sie demografisch Wachstum sichert, den Zustrom von Qualifikation und Kapital in die Stadt organisiert und Toronto als global city po- sitioniert. Diese Politik bedeutet nicht, dass es zu keinen Konflikten und Spannungen zwi- schen den verschiedenen Kulturen kommt. Sie hat aber zur Folge, dass man sich institutionell-politisch und informell-gesellschaftlich darauf einlässt, die Konflik- te aktiv zu bearbeiten und Spannungen abzubauen. Wie jede Politik ist die Mig- rationspolitik auch in Toronto Veränderungen unterworfen und es ist keineswegs so, dass die Pflege der kulturellen Vielfalt und die Bemühungen um die Integrati- on heute mit der gleichen Intensität verfolgt werden, wie dies in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war. Vielleicht ist es gerade diese Dynamik, die das Beispiel Toronto für Städte in Europa so interessant macht. Dabei muss wohl nicht betont werden, dass es in keinem Fall darum gehen kann, Erfahrungen und Regelungen aus Toronto direkt auf deutsche Städte zu übertragen. Allein der in- stitutionelle nationale Rahmen unterscheidet sich in Kanada wesentlich von dem in Deutschland. Und zugleich birgt das föderale System Kanadas auch dort unter- schiedliche Interessen in der Zuwanderungspolitik (Schmidtke 2001). Auch die öffentliche Debatte über Migration und ihre Bewertung sind sehr unterschiedlich. Dieser Bericht will weder ein scheinbar perfektes Modell noch Best-Practice-Bei- spiele anbieten, sondern eine Vielzahl von institutionellen, gesellschaftlichen und planungsbezogenen Erfahrungen für die stadtpolitische Diskussion und Entwick- lung in Deutschland zur Verfügung stellen. Dieses Forschungsprojekt hat sich zur Aufgabe gestellt, die planungsrelevanten Erfahrungen der Stadt Toronto für die langfristige Entwicklung einer kosmopolitischen Stadt am Beispiel von Berlin- Neukölln zu nutzen. Ein weiterer geplanter Bericht wird Anknüpfungspunkte, Unterschiede und Barrieren am Beispiel von Neukölln zum Thema haben. Darauf aufbauend sollen durch fachliche Workshops und kritische Diskussionen Szenari- en für die Entwicklung einer offenen Stadt am Beispiel von Neukölln entwickelt werden. 6Da die Situation in Toronto von den institutionellen Regelungen und den poli- tischen Debatten Kanadas geprägt ist, werden diese zu Beginn dieses Berich- tes dargestellt. Nach einer kurzen Hinführung zur Morphologie und Struktur der Stadt Toronto folgen wir den vier Thesen, die das Forschungsvorhaben struk- turieren. Wir untersuchen Orte der Kulturen und räumliche kulturelle Cluster, den Austausch zwischen den Kulturen, die Governancestruktur dieser kulturellen Prozesse und abschließend Formen der Metakultur. Wir haben uns bemüht, diesen Bericht lebendig zu schreiben, ihn reichlich mit Bildern und Karten auszustatten und Geschichten zu erzählen, damit man sich ein anschauliches Bild machen kann. Der Bericht breitet nicht die kritische wis- senschaftliche Diskussion der Konzepte und ihre Umsetzung in Toronto aus. Dies wird Schwerpunkt eines theoretischen Artikels sein, der in Kürze abgeschlossen wird. Einleitung 7‚Vielfalt ist unsere Stärke‘ - die kanadische Einwanderungspolitik Kulturelle Vielfalt als kanadische Identität Kanada gilt als der erste Staat, der die Idee der kulturellen Vielfalt als Grundwert der Gesellschaft entwickelt hat. In den 1960er Jahren konzeptionell erdacht, in den 1970er Jahren institutionell entwickelt und in den 1980er Jahren in die kana- dische Verfassung aufgenommen, bildet kulturelle Vielfalt heute einen auf breiter Basis akzeptierten Pfeiler der kanadischen Identität. Als Antwort auf die in den 1960er Jahren in Québec eskalierenden Separatis- musbestrebungen vieler Frankokanadier wurde 1969 mit dem Official Languages Act die Zweisprachigkeit für alle bundesstaatlichen Institutionen Kanadas ein- geführt, um einer möglichen Benachteiligung der frankokanadischen Kultur ge- genüber der anglokanadischen Kultur im Staat entgegenzutreten und damit dem Separatismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dieses Zugeständnis an die Frankokanadier verursachte Kritik vor allem im Westen Kanadas, wo nur wenige französischsprachige Kanadier lebten, Menschen mit einem anderen als einem französischen oder britischen kulturellen Hintergrund, die jedoch einen erheb- lichen Anteil an der Bevölkerung ausmachten. Diese dritte Kraft bildete mittler- weile einen so großen Anteil an der Bevölkerung und damit auch ein großes Ge- wicht bei Wahlen, dass die Politik sie nicht weiter ignorieren konnte. Der Versuch, den Interessen sowohl der beiden Gründergesellschaften (charter societies) als auch den Menschen mit nicht französischem oder britischem Hintergrund gerecht zu werden und damit auch der offiziellen Zweisprachigkeit mehr Akzeptanz zu verschaffen, führte 1971 zum politischen Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt als Grundwert des Staates (Public Works and Government Services Canada 2000; Geißler 2003). Personell steht vor allen der damalige kanadische Ministerpräsident Pierre Tru- deau für das Konzept des Multikulturalismus in einem zweisprachigen Rahmen (multiculturalism in a bilingual framework). Seine Regierung schuf in den 1970er Jahren einen institutionellen und administrativen Rahmen, um die Idee von einer kulturell vielfältigen Gesellschaft praktisch umzusetzen. In der Folge wurden in den 1970er und 1980er Jahren verschiedene Gesetze zur Stärkung der Menschen- und Bürgerrechte und zur Gleichstellungspolitik in der kanadischen Gesellschaft verabschiedet, bis schließlich 1988 die Idee der kulturellen Vielfalt in die kana- dische Verfassung aufgenommen (Canadian Multiculturalism Act) und damit zu Kulturelle Vielfalt als kanadische Identität 8einem Grundwert der kanadischen Gesellschaft wurde (Department of Canadian Heritage 2003). Zu den Grundprinzipien des kanadischen Verständnisses von kultureller Vielfalt gehört, dass diese prinzipiell als positiv bewertet und der Beitrag der verschie- denen Kulturen zur Entwicklung Kanadas gewürdigt wird. Es wird davon ausge- gangen, dass kulturelle Vielfalt produktive Kräfte für die Gesellschaft entfaltet und demnach mehr Vor- als Nachteile für das Land bringt. Das Recht auf kultu- relle Differenz und Pflege der eigenen Kultur sowie das Prinzip der gegenseitigen Toleranz der als gleichwertig zu behandelnden Kulturen sind weitere Eckpfeiler. Diesem Prinzip übergeordnet ist allerdings das historisch gewachsene kanadi- sche Recht, d.h. die Pflege der eigenen Kultur ist nur bis zu dem Grade erlaubt, in dem keine kanadischen Normen verletzt werden. Das Bekenntnis und die Pflege der eigenen Kultur sollen demnach immer nur in Ergänzung zum Bekenntnis zum kanadischen Gesellschaftssystem und zum Annehmen einer kanadischen Identi- tät erfolgen: „Der kanadische Multikulturalimus (canadian multiculturalism) stützt sich auf unseren Glauben, dass alle Bürger gleichwertig sind. Multikulturalismus sichert allen Bürgern zu, dass sie ihre Identität behalten, stolz auf ihre Herkunft sein und ein Zugehörigkeitsgefühl empfinden können. Akzeptanz gibt Kanadiern ein Ge- fühl der Sicherheit und Selbstbewusstsein, was sie offener gegenüber verschiede- nen Kulturen macht und sie diese auch besser akzeptieren lässt. Die kanadische Erfahrung hat gezeigt, dass Multikulturalismus das harmonische Zusammenle- ben der Kulturen fördert und Ghettoisierung, Hass, Diskrimierung und Gewalt entgegenwirkt“ (Department of Canadian Heritage o.J.). Gemäß der Sicherheit- Kontakt-Hypothese wird davon ausgegangen, dass Kulturen, die sich sicher ent- falten können, toleranter und aufgeschlossener gegenüber anderen Kulturen sind und sich deshalb besser integrieren als bei anderen Integrationsmodellen (Geißler 2003). Die Stadt Toronto hat der Bundespolitik folgend ihrerseits kulturelle Vielfalt zu einem grundlegenden Element ihrer städtischen Identität erhoben. Um dies zu unterstreichen, präsentiert sich die Stadt seit 1998 mit dem offiziellen Stadtmotto und -logo ’Vielfalt – unsere Stärke’ (diversity our strength). Das Bekenntnis zur Vielfalt der Stadt bezieht sich dabei allerdings nicht nur auf die kulturelle Viel- falt, die aus der unterschiedlichen Herkunft der in der Stadt lebenden Menschen resultiert, sondern versucht, jegliche Art von gesellschaftlichen Gruppen in Form eines umfassenden Gleichstellungsansatzes (equity) zu würdigen und für deren Gleichstellung einzutreten (City of Toronto Protokoll): Vielfalt ist unsere Stärke - die kanadische Einwanderungspolitik 9„(...) die Stadt wird in Stadtregierung und -gesellschaft ein Umfeld der Gleich- berechtigung für alle Personen ohne Rücksicht auf ihre Rasse, Abstammung, Herkunft, ethnische Herkunft, Behinderung, Staatsangehörigkeit, Glauben, Ge- schlecht, sexuelle Orientierung, Geschlechtsbewusstsein, gleichgeschlechtliche Partnerschaft, Alter, Ehe- und Familienstand, Zuwandererstatus, dem Empfan- gen öffentlicher Unterstützung, politische Zugehörigkeit, religiöse Zugehörigkeit, Grad der Alphabetisierung, Sprache und/oder sozioökonomischer Status schaf- fen“ (City of Toronto 2005a). Diskussion um Einwanderung - historischer Abriss Die ausgeprägte kulturelle Vielfalt Torontos und anderer kanadischer Städte ist im Gegensatz zu vielen US-amerikanischen Städten ein noch recht junger Zu- stand. Toronto war noch bis in die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts eine zum großen Teil angelsächsisch-presbyterianisch dominierte Stadt, in der Zuwanderer mit anderem kulturellen Hintergrund von vielen als Fremdkörper angesehen wurden. Allerdings schuf um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert der kanadische Innenminister Clifford Sifton (1896 bis 1905) eine Grundlage für eine Einwanderungs- und Anwerbepolitik. Seine Vorstellungen waren im Grund- satz bestimmend für die Ausrichtung der kanadischen Einwanderungspolitik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kern seiner Politik war die Anwerbung von erfahrenen Farmern, Wald- und Minenarbeitern für die weiten ländlichen Räume Kanadas, deren großräumige Entwicklung erst Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Eisenbahn zum Pazifik möglich wurde. Sifton ließ Büros in Eu- ropa und den USA errichten, die gezielt geeignete Einwanderer anwerben sollten. Abb. 1: Stadtlogo ‚Vielfalt unsere Stärke‘ im öffentlichen Raum Diskussion um Einwanderung - historischer Abriss 10 Wer weniger oder mehr geeignet war, wurde im wesentlichen Maße nach einer rassistischen Abstufung entschieden: Briten und weiße, englischsprachige US- Amerikaner, die nicht als Ausländer galten, wurden sogenannten Fremden vor- gezogen. Die zweite Präferenz bildeten Einwanderer aus anderen Staaten West-, Nord- und Mitteleuropas, die dritte Osteuropäer. Südeuropäer galten als weniger geeignet. Ganz unten auf der Liste standen osteuropäische Juden, Afroamerika- ner und Asiaten. Das Ziel der Einwanderungsbehörden, eine Zuwanderung in die Städte zu ver- hindern, erwies sich schnell als unrealistisch, da sich parallel zur boomenden kanadischen Landwirtschaft auch rasch eine Industrie mit Bedarf an billigen Ar- beitskräften in den Städten entwickelte, die die geförderten und geernteten Pro- dukte weiterverarbeitete. Viele Zuwanderer zogen zudem ein Leben in der Stadt dem Leben im kanadischen Busch vor oder arbeiteten lediglich als Saisonarbeiter auf dem Land. Mit der großen Menge an Zuwanderern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Kanada kamen, stieg auch die Angst vor Überfremdung und moralisch verwerflichen Einflüssen. Restriktionen für Neu-Eingewanderte, die sich unerwünscht verhielten, wurden sukkzessiv verschärft (z.B. die Möglichkeit der Abschiebung noch 5 Jahre nach der Einwanderung). Besonderer Diskriminie- rung waren dabei die in Kanada lebenden Chinesen unterworfen, die als billige Arbeiter zum Bau der kanadisch-pazifischen Eisenbahnstrecke ins Land geholt wurden und nach der Fertigstellung im Land verblieben. Im Chinese Exclusi- on Act wurde Ihnen eine hohe Kopfsteuer für ihre Einreise aufgebürdet (1885: 50$, 1900: 100$, 1903: 500$; 500$ entsprachen in etwa einem Zweijahresein- kommen eines chinesischen Arbeiters). Von 1901 bis 1918 mussten chinesische Zuwanderer 18 Millionen kanadische Dollar Kopfsteuer bezahlen, während im gleichen Zeitraum 10 Millionen Dollar für die Anwerbung europäischer Einwan- derer aufgewendet wurde (Canadian Council for Refugees o.J.). In den 1920er Jahren setzte sich die starke Migration in die Städte fort und zugleich wuchs in der Bevölkerung die Ablehnung von neuen Zuwanderern. Die Folge waren rest- riktive Einwanderungsgesetze wie Einschränkungen für Migranten aus Osteuro- pa, Südeuropa und für alle Juden, gleich aus welchem Land, außer den USA. Mit der großen Depression ab 1929, die Kanada ebenso hart traf wie die USA, kam die Einwanderung praktisch zum Erliegen und Kanada wurde de facto zu einem Auswanderungsland (Troper 2003; Statistics Canada 2005a). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg führte eine langanhaltende Phase positiver Kon- junktur in Kanada wieder zur Nachfrage nach Zuwanderern als billige Arbeits- kräfte, aber zunächst keineswegs zu einer Änderung der rassistisch-orientierten Immigrationspolitik. So wurden z.B. Einwanderer aus dem Land des ehemaligen Vielfalt ist unsere Stärke - die kanadische Einwanderungspolitik 11 Kriegsgegners Deutschland eher akzeptiert als europäische Juden. Es wurden Programme für Großbritannien und die Niederlande aufgelegt. Allerdings zwang die Gründung des Commonwealth zu einer vorsichtigen Öffnung auch nach Asi- en, so dass für einige Mitglieder des Commonwealth (Pakistan, Indien und Cey- lon) kleine Einwanderungsquoten eingeführt wurden. Ein für die spätere Einwanderungspolitik zentrales Ereignis war die Einführung einer kanadischen Staatsbürgerschaft im Jahre 1947, die die britische ablöste. 1951 wurde die Steuerung der Immigration nach Lage auf dem Arbeitsmarkt per Erlass des Ministeriums ermöglicht (Vorläufer des späteren Punktesystems). Da- durch waren alle Kanadier jedweder Herkunft vor dem Gesetz gleich. Praktische Folge war die Eröffnung von Einwanderungsbüros in Italien und die Zuwande- rung vieler Italiener. Ein Antidiskriminierungsgesetz bekräftigte die strukturel- le Gleichheit. Die Nachfrage nach Arbeitskräften und die Diskussion um Men- schenrechte führte dazu, dass nach dem Ungarnaufstand (1956) Anwerbungen aus diesem hoch qualifiziertem Arbeitskräftepool statt fanden, wobei auch die Konkurrenz anderer Anwerbeländer wie Australien eine Rolle spielten. Eine Wirtschaftskrise ab 1960 führte zu einem Rückgang der Einwanderung um 50% und zu einer Diskussion über Restriktionen bei der Immigration. Im 1966 dem kanadischen Parlament vorgelegten Weißbuch zur Immigration (white paper on immigration) wurden auf der einen Seite die Aufhebung rassistischer Einwan- derungsvorschriften gefordert, aber auch eine Rücknahme der Familienzusam- menführung. Diese Restriktionen scheiterten jedoch am Widerstand der neuen Einwanderungsgruppen. Zum ersten Mal wurde die starke politische Rolle der Zuwanderer offensichtlich. Weitreichende Folge der politischen Diskussion des Weißbuches war die vollständige Aufhebung rassistischer Einwanderungskriteri- en und die Einführung eines objektivierenden Punktesystems. In das Punktesys- tem gingen ein: berufliche Qualifikation, Bildungsstatus, Beziehung zu Kanada, Sprachkenntnisse, Alter, Migrationsziel, Arbeitsvorverträge und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. 1974 empfiehlt das Grünbuch (Green Paper - Report of the Canadian immigration and populations study) eine stetige Einwanderung in Maßen, um die Abnahme der Bevölkerung durch eine negative Nettoreproduktionsrate zu kompensieren (Troper 2003). 1976 erließ die Regierung ein Dekret, dass die Diskussion um die Einwande- rungspolitik praktisch entschied. Sie legte eine variable Einwanderungsquote fest, die bei durchschnittlich 1% der Bevölkerung oder 300.000 Personen lag. Stän- dige Auseinandersetzungen gab es um die Bezahlung der grundlegenden Dienst- leistungen für die Neu-Eingewanderten zwischen der Bundesregierung und den Diskussion um Einwanderung - historischer Abriss 12 Provinzen. Die Städte, also auch Toronto, waren dabei offiziell nicht vertreten. Neu eingeführt wurde auch eine Kategorie der Einwanderung von Unternehmern. Voraussetzung war ein Mindestkapital von 500.000 Dollar, die verbindliche Er- klärung davon 50% zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Vor allem Chi- nesen kamen so nach Toronto, im Besonderen aus Hongkong und Taiwan. Sie bildeten mit einer halben Million Menschen bald die größte Einwanderungsgrup- pe in Toronto. 1978 wurde ein Gesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen erlassen, dass sich schon bald bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Vietnam, der boat people bewähren musste. In einer Art public private partnership haben gesellschaftliche Gruppen mit Stützung durch den Staat bis Ende der 1980er Jahre ca. 80.000 Vietnamesen, Kambodschaner u.a. aufgenommen. Die Asylfrage blieb aber ein Politikum für alle, die nicht durch kanadische Außenvertretungen ausgewählt wurden, sondern auf eigene Initiative in Kanada angekommen waren und um Asyl nachsuchten. 1985 erzwang ein Urteil des obersten Gerichts eine Anpassung der Einwande- rungsvorschriften an die Flüchtlingscharta der UN. Dennoch blieb dies Thema, da in Neufundland angelandete 155 tamilische Flüchtlinge (1986) und in Nova Scotia angelandete 174 Sikhs (1987) die Frage nach der Verhinderung professio- neller Schleusung aufwarfen (Strafgesetz gegen Schleusung und Drittländerrege- Abb. 2: Herkunft der Einwanderer nach Kanada nach Weltregionen 1946 bis 1996 Vielfalt ist unsere Stärke - die kanadische Einwanderungspolitik 13 lung). Während der Wirtschaftskrise zu Beginn der 1990er Jahre wurden Gesetze erlassen, die eine Anerkennung als Flüchtling erschwerten. Bei den Wahlen 1993 trat die Reformpartei mit diesem Thema an und hatte damit überall, außer in To- ronto, auch Erfolg (Troper 2003). Einwanderungspolitik und gesetzliche Regelungen Nach dem Selbstverständnis des kanadischen Staates hat die Einwanderungs- politik Kanadas zwei grundlegende Ziele: Zum einen sollen Zuwanderer ange- worben werden, um das ökonomische, soziale und kulturelle Leben Kanadas zu bereichern und zum anderen soll schutzbedürftigen Flüchtlingen Schutz gewährt werden (CIC 2005c). Die Einwanderungspolitik wird dabei durchaus als Demo- grafiepolitik begriffen, die dem Staat ein stetiges moderates Bevölkerungswachs- tum (Ziel: 1% pro Jahr) sichert, das gegenwärtig wie in den meisten Ländern der westlichen Welt nicht durch Geburtenüberschüsse zu erreichen wäre (Ley, Hiebert 2001). Grundsätzlich gibt es nach derzeitigem kanadischen Einwanderungsrecht drei unterschiedliche Wege nach Kanada einzuwandern: die Einwanderung aus öko- nomischen Gründen (Skilled Worker Class & Business Class), die Aufnahme als Flüchtling (Convention Refugees Abroad and Humanitarian Protected Persons Abroad) und die Einwanderung im Rahmen einer Familienzusammenführung (Family Class). Diese Grundkategorien (classes) untergliedern sich in mehrere Unterkategorien. Als Immigrant in der ökonomischen Kategorie kann man z.B. als Investor nach Kanada kommen, der sich verpflichtet eine bestimmte Menge Geld zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen oder man kommt als Fachkraft (skilled worker) und lässt den Staat von seinen Fähigkeiten profitieren. Um als Fachkraft angenommen zu werden, muss ein Bewerber genügend Punkte in einem Punktesystem vorweisen, in dem der Bewerber nach seiner Bildung, seinen Sprachkenntnissen in den beiden Amtssprachen englisch und französisch, seiner Berufserfahrung und im geringeren Maße der Berufserfahrung und Qua- lifikation der Partnerin/des Partners bewertet wird. Eine Bewerbung als Zuwan- derer ohne Erreichen der geforderten Punktzahl ist möglich, allerdings muss der Bewerber in diesem Falle genau darlegen, welche beruflichen Pläne er in Kanada verfolgen will und wie er sich deren Umsetzung vorstellt. Ob dieser Bewerber eine Chance erhält, liegt im Ermessen der Einwanderungsbehörde. Zudem darf ein Bewerber nicht mittellos sein und muss je nach Familiengröße eine bestimm- te Summe Geld vorweisen können (derzeit 9.897 C$ für eine Einzelperson oder 18.626 C$ für eine vierköpfige Familie). Einwanderungspolitik und gesetzliche Regelungen 14 Investoren Unternehmer Selbständige Personen Erfahrung als Geschäfts- frau/Geschäftsmann Mindestvermögen von 800.000 C$ Eine vorgeschriebene Min- destinvestition von 400.000 C$ in Kanada, die nach ca. 5 Jahren permanenten Auf- enthalts in Kanada zinslos zurückgezahlt wird. Erfahrung als Geschäfts- frau/Geschäftsmann Mindestvermögen von 300.000 C$ Man muss innerhalb von 3 Jahren mindestens einen Vollzeitjob für einen kana- dischen Staatsbürger schaf- fen oder für jemanden, der permanent in Kanada lebt. Relevante Erfahrung im kulturellen Bereich, im Sportbereich oder im Lei- ten einer landwirtschaftli- chen Farm Man muss zumindest für den eigenen Lebensunter- halt aufkommen können. 1. Bildung 2. Kenntnisse in den bei- den Amtssprachen 3. Berufserfahrung Maximum 25 Punkte (Universitätsabschluss oder Doktortitel und mindestens 17 Jahre Vollzeit Schule und Studium) Ein „Highschool‘-Ab- schluss als einzige Qualifi- kation bringt 5 Punkte Maximum 25 Punkte (16 Punkte in der ersten, 8 Punkte in der zweiten Amtssprache) Die höchste Punktzahl gibt es für hohe Kompetenz in den vier Feldern Lesen, Verstehen, Sprechen und Schreiben Maximum 21 Punkte Die höchste Punktzahl kann durch 4 oder mehr Jahre Berufserfahrung (Vollzeit oder gleichwertig) erreicht werden 1 Jahr Berufserfahrung bringt bereits 15 Punkte 4. Alter 5. arrangierter Arbeits- platz in Kanada 6. Anpassungsfähigkeit Maximum 10 Punkte Höchstpunkzahl für Alter bei Einwanderung zwi- schen 21-49 Für jedes Jahr, das man äl- ter oder jünger ist, werden 2 Punkte abgezogen Maximum 10 Punkte 10 Punkte gibt es für eine sichere Arbeitsplatzzusage eines Arbeitgebers Der arrangierte Arbeits- platz muss bestimmten An- forderungen genügen Maximum 10 Punkte Unter diesen Punkt fallen verschiedene Sachverhalte, die jeweils bis zu 5 Punkte bringen, wie Bildung des Partner/der Partnerin, Fa- milienbeziehung zu Kana- da, Studium oder Berufser- fahrung in Kanada Derzeit müssen 67 Punkte erreicht werden, um über diesen Weg als Einwande- rer akzeptiert zu werden. Abb. 3: Die drei Kategorien der Einwanderung in der Business-Klasse Abb. 4: Das kanadische Punktesystem. Einwanderer könn- nen in 6 verschiedenen Feldern Punkte sammeln. Vielfalt ist unsere Stärke - die kanadische Einwanderungspolitik 15 Im Jahr 2004 wanderten 235.808 Personen nach Kanada ein. 133.743 (56,7%) kamen als Einwanderer in der ökonomischen Kategorie, 62.745 (26,6%) im Rah- men einer Familienzusammenführung und 32.683 (13,9%) als Flüchtlinge. Wei- tere 6.637 (2,8%) wurde aufgrund von Sonderprogrammen der Provinzen die Einwanderung gewährt (CIC 2005b: 15). Einmal als Einwanderer akzeptiert, liegt die Hürde zur kanadischen Staatsbür- gerschaft nicht mehr sehr hoch. Jede volljährige Person (18 Jahre), die mindes- tens drei der letzten vier Jahre vor Antragstellung dauerhaft in Kanada gelebt hat, kann die kanadische Staatsbürgerschaft beantragen. Als weitere Voraussetzungen müssen Sprachkenntnisse in einer der Amtssprachen und Kenntnisse über die Geografie und Geschichte Kanadas sowie die Rechte und Pflichten kanadischer Staatsbürger nachgewiesen werden. Diese Kenntnisse werden in einem Test ge- prüft. (CIC 2005a). Derzeit werden etwa 150.000 Menschen pro Jahr eingebür- gert (CIC 2005c). Um Diskriminierungen von neu eingebürgerten Kanadiern (New Canadians) vor- zubeugen, enthalten kanadische Pässe keine Angabe zum Geburtsort ihrer Bürger und auch keine Angaben zu einer etwaigen Einbürgerung. Im Gegensatz zum deutschen Recht, akzeptiert der kanadische Staat doppelte Staatsbürgerschaften. Hauptanziehungspunkte für Zuwanderer sind die großen Städte Kanadas: Von den zwischen 1991 und 2001 Eingewanderten (recent immigrants) lebten 2001 über 90% in den kanadischen Stadtregionen (metropolitan areas). 70% der Neu- Eingewanderten lebten in den Stadtregionen Toronto, Vancouver und Montréal, wobei der größte Anteil wiederum auf Toronto fiel. Der Anteil von Neu-Einge- wanderten an der Bevölkerung beträgt im Großraum Toronto 23%. (Vancouver: 21%, Montréal: 9%). Der Anteil der zwischen 1991 und 2001 nach Kanada Ein- gewanderten liegt bei 6,2% (CIS 2005b: 10ff.). 43,7% der Einwohner der Stadt- region Toronto sind nicht in Kanada geboren (Statistics Canada 2001). Einwanderungspolitik und gesetzliche Regelungen Abb. 5: Herkunft der zwischen 1991 und 2001 in die Stadtregio Toronto Eingewanderten 16 Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen Was die Zusammensetzung nach Herkunftsregion der Neu-Eingewanderten be- trifft, bildet der Großraum Toronto recht gut die Zusammensetzung aller zwi- schen 1991 und 2001 nach Kanada Eingewanderten ab. Über dem kanadischen Durchschnitt liegen in Toronto vor allem die seit 1991 aus Süd- und Zentralasien und aus der Karibik eingewanderten Menschen. 17 Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen Die am Nordufer des Ontariosees gelegene Stadt Toronto (City of Toronto) zählt 2,5 Millionen Einwohner. Die Fläche des Stadtgebietes misst 641 qkm und ist da- mit etwas kleiner als die der deutschen Metropole Hamburg (755 qkm). Die Stadt existiert in ihrer heutigen Größe und administrativen Form erst seit 1998. Damals wurden die sechs eigenständigen Städte, die seit 1954 den Zweck-Verband Me- tropolitan Toronto (kurz: Metro Toronto) gebildet hatten (East York, Etobicoke, North York, Scarborough, Toronto, York) zu einer Stadt zusammengefasst, die City of Toronto. In der kanadischen Literatur wird oft die umliegende Region mit einbezogen, wenn von Toronto die Rede ist. Die Greater Toronto Area (GTA) be- inhaltet neben Toronto vier umliegende Regionen (regions). Sie bildet den Kern der am dichtesten besiedelten Region Kanadas, der Golden Horseshoe Region, die sich von der US-amerikanischen Grenze am Niagarafluss bis in den Osten To- rontos erstreckt. Bei der Auswertung der im Fünf-Jahresrhythmus stattfindenden kanadischen Volkszählungen wird zur Darstellung der Stadtregion Toronto eine weitere Gebietsdefinition verwendet, die etwas von der der Greater Toronto Area abweicht: Die Census Metropolitan Area Toronto (CMA). In ihr lebten 2004 ca. 5,2 Millionen Menschen (Statistics Canada 2005b). Abb. 6: Stadt Toronto, Greater Toronto Area und Toronto Census Metropolitan Area 18 Stadtgeschichte und die historische Entwicklung kultureller Enklaven in Toronto Die Geschichte der Stadt Toronto beginnt offiziell im Jahr 1834 mit der Umben- nung der kleinen Hafenstadt York am Lake Ontario in Toronto. Toronto war nie ein kulturell homogenes Gebilde, dennoch dominierte die angelsächsische Bevöl- kerung bis weit in das 20. Jahrhundert. Sie war nicht nur zahlenmäßig dominant, sondern beherrschte auch die Stadtpolitik und Stadtkultur. Nicht zuletzt hingen der Stadt ob ihrer strengen viktorianischen Moral und Frömmigkeit noch lange die Spitznamen ‚Methodist Rome‘ und ‚Toronto the Good‘ an. Die erste große Einwanderungswelle nicht-protestantischer Briten erfolgte in Folge der fatalen Hungersnöte in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts durch römisch-katholische Iren, die sich zwar am Rande der Stadt konzentrierten, aber nie kulturell homogene Nachbarschaften bildeten, sie vermischten sich residentiell in der Regel mit an- deren, der städtischen Unterschicht zuzuordnenden Einwohnern. Während der großen Einwanderungswelle zwischen 1900 und 1914 kamen im größeren Maßstab sogenannte Fremde nach Toronto, z.B. Juden, die vor den Po- gromen in Osteuropa flüchteten, slawische Volksgruppen aus Österreich-Ungarn und Italiener. Mit Unterbrechung während des Ersten Weltkrieges hielt die re- lativ starke Einwanderung in die Stadt bis Ende der 1920er Jahre an. Nach der Weltwirtschaftskrise, in der großen Depression während der 1930er Jahre, hatte Kanada einen negativen Wanderungssaldo. Der grundlegende Wandel zu einer kulturell vielfältigen Stadtgesellschaft wurde in Toronto erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingeleitet, als in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in Eur- opa große Anwerbewellen von Arbeitern für die boomende kanadische Wirtschaft anliefen. Sie begannen das Gesicht der Stadt nachhaltig zu verändern. Obgleich Toronto Ziel von Zuwanderung seit dem 19. Jahrhundert war, wurde das Muster der städtischen Besiedlung durch die Immigranten erst in den letzten Jahrzehnten evident: Zuwanderer aus China, osteuropäische Juden, Portugiesen und Griechen, die vor 1970 ankamen, ließen sich traditionellerweise in den in- nerstädtischen Wohnquartieren nieder und bildeten dort kulturell geprägte Nach- barschaften. In diesen sozialräumlichen Einheiten lebten eine große Anzahl von Einwanderern mit dem gleichen kulturellen Hintergrund mit ihren spezifischen kulturellen und religiösen Einrichtungen, Geschäften und Dienstleistungen – ‚To- ronto as a city of homelands‘ (Murdie, Texeira 2003: 140). Diese sozialräumlichen Einheiten waren allerdings weder sozial homogen noch zeitlich stabil. Nach einiger Zeit wanderten viele Zuwanderer in Folge ihres so- zialen Aufstiegs in die neuen Vorstädte am Stadtrand und bildeten dort ebenfalls Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 19 segregierte Siedlungen. Viele Zuwanderer, die nach 1970 kamen, umgingen die Innenstadtgebiete und zogen direkt in diese Gebiete im Stadtumland. Seit 1996 verteilen sich die jüngsten Zuwanderungen über das gesamte Stadtgebiet von To- ronto und darüber hinaus im Großraum Toronto. Diese Gruppe der neuen Zuwan- derer ist intern sehr unterschiedlich: Flüchtlinge und andere arme Einwanderer kommen hauptsächlich aus Entwicklungsländern, andere als Geschäftsleute aus asiatischen Ländern. Historische Siedlungsgeografie der Immigranten Murdie und Teixeira (2003) haben sich ausführlich mit der historischen Sied- lungsgeografie verschiedener kultureller Gruppen in Toronto befasst. Die meisten Immigranten, die Kanada in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichten, siedelten in den landwirtschaftlichen Gebieten des Westens. Juden, Italiener und Chinesen jedoch bevorzugten städtische Gebiete (St. John’s Ward in der Nähe der Old City Hall). Jedoch blieb Toronto bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine ‚reine Erweiterung Großbritanniens’ – 87% der Stadtbevölkerung waren briti- scher Abstammung. Abb. 7: Nachbarschaften verschiedener Kulturen in Toronto 1900 bis 1970 Historische Siedlungsgeografie der Immigranten 20 St. John’s Ward war ursprünglich das Zuzugsgebiet der Juden aus Osteuropa, die sich dort wegen der billigen Mieten und der Nähe zur Bekleidungsindustrie niederließen und eine Enklave mit vielfältigen Einrichtungen für Kultur, Religion und Bildung etablierten. Nach und nach erwarben diese Zuwanderer Wohn- und Geschäftseigentum und damit Seriosität und Status. Auf Grund der zunehmen- den Bevölkerungsdichte verlagerte sich anschließend das jüdische Zentrum nach Kensington Market/Spadina Avenue. Die Konzentration der jüdischen Zuwan- derer förderte in einem positiven Sinne die Herausbildung eines jüdischen Ge- meinwesens und im negativen Sinne bildete es das Ziel antisemitischer Angriffe in den 1930ern. Ab den 1950er verließen die Juden die innerstädtischen Gebiete und bildeten im Stadtumland klar abgetrennte Enklaven. In den letzten Jahren ist, eingeleitet durch die geburten- und mittlerweile auch finanzstarke Nachkriegsge- neration (Baby-Boomer) aus den Vorstädten, eine Revitalisierung der alten jüdi- schen Gebiete in der Innenstadt von Toronto feststellbar. Diese jungen Familien haben ein Interesse an dem pulsierenden Leben und den Annehmlichkeiten der Innenstadt, wie an ihren Wurzeln und ihrer Kultur. St. John’s Ward wurde gleichzeitig auch Torontos erstes Little Italy. Nach dem Ersten Weltkrieg etablierten die Italiener jedoch ein zweites Cluster (College Street und Grace Street) als Reaktion auf die Aufwertung in St. John’s Ward und mit der Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Wohnbedingungen. Dieses Arbei- terwohngebiet blieb bis unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg das Zentrum ihres Wohnens und Arbeitens. Die Verköstigung von Untermietern war dabei ein wesentlicher Beitrag zum Familieneinkommen, wie auch die Versorgung der Landsleute mit Lebensmitteln. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten die Ita- liener nordwärts und bildeten ein neues Little Italy westlich der Dufferin Street zwischen Bloor Street und St. Clair Avenue, welches in den 1960ern das alte in der College Street ersetzte. Im weiteren Verlauf erreichte diese Bewegung York und North York und in den 1970ern auch das neu gebaute Woodbridge in der City of Vaughan, was als Ausdruck ihres Strebens nach einer Zugehörigkeit zur Mit- telklasse interpretiert wurde. Heute bilden sie die Mehrheit in Woodbridge und weisen dort einen hohen Prozentsatz an Wohneigentum auf. Die chinesischen Zuwanderer lebten vor Beginn des 20. Jahrhunderts im Stadtge- biet verstreut, in räumlicher Nähe zu ihren Arbeitsstätten, wo sie häufig als Hand- wäscher tätig waren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten sich wahrnehmbare Cluster chinesischer Geschäfte östlich und westlich des Innenstadtkerns: Wäsche- reien, Restaurants und Einzelhändler. Erst nach und nach etablierte sich zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg Chinatown – das Old Chinatown oder Chinatown Proper - im südlichen Teil der St. John’s Ward. Da Chinesen in der Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 21 ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonderer Diskriminierung unterlagen, z.B. stark in der Berufswahl eingeschränkt waren, bildeten sich besonders ausgeprägte ethnische Enklaven, physisch und funktional eine Stadt in der Stadt. Vor 1940 war es für Chinesen ausgesprochen schwierig sich in besseren Gebieten niederzulas- sen. Die Überlegungen ein neues Rathaus im Zentrum dieses Gebietes zu bauen, zwang die Chinesen ein neues Chinatown in dem früheren jüdischen Wohngebiet zu etablieren. Die Chinatown-West wurde ab den 1960er Jahren ein wichtiges Geschäftszentrum und Arbeitsstätte für Mitglieder der chinesischen Gemeinde. Ihr rapides Wachstum speiste sich wesentlich aus der chinesischen Zuwanderung der 1950er und 1960er Jahre. Die chinesische Zuwanderung nach Toronto und insbesondere in die Vororte führte zum Entstehen mehrerer wahrnehmbarer Chinatowns innerhalb und au- ßerhalb der Stadt und machte die alte Chinatown zu einer unter vielen, obgleich sie wirtschaftlich weiterhin die wichtigste blieb. Heute ist die Chinatown nicht nur Handelszentrum sondern auch eine Touristenattraktion. Viele der aktuellen chinesischen Immigranten haben eine Ausbildung, berufliche Fähigkeiten und ökonomische Ressourcen, so dass sie sich Wohnungen im teureren Stadtumland leisten können. Europäische Einwanderung zwischen 1945 und 1970 Zwischen 1945 und 1970 kamen die meisten Immigranten aus Britannien und Kontinentaleuropa, zunächst aus Nordwesteuropa und dann zunehmend aus Sü- deuropa. Zwischen 1960 und 1970 stellten Italiener, Portugiesen und Griechen die größten Gruppen. Hierbei handelte es sich wesentlich um sogenannte Ket- tenmigration (chain migration): Verwandte, Freunde und Mitglieder des gleichen Dorfes halfen den neuen Mitgliedern Wohnung und Arbeit zu finden und führten damit zur Herausbildung wahrnehmbarer kulturell geprägter Nachbarschaften mit spezifischen kulturellen, religiösen Einrichtungen und Geschäften. Durch die Vermietung von Pensionen wurde das Kapital zur Bildung von Wohnei- gentum beschafft und im wesentlichen Umfang Arbeitsplätze für Frauen geschaf- fen. Durch dieses Streben der Südeuropäer nach Wohneigentum schufen sich die Migranten eine symbolische Sicherheit in der Neuen Welt, errangen gesellschaft- liche Zugehörigkeit trotz ihres geringen soziökonomischen Status, soziale Inte- gration ohne volle Assimilation. Zugleich veränderten sie nicht nur das Bild der Bevölkerung in vielen Nachbarschaften sondern gewannen u.a. Einfluss auf den städtischen Wohnungsmarkt und seine Ökonomie, trugen zum Erhalt der Gebäu- de bei, gaben ihnen ein mediterranes Aussehen, entwickelten ihre Fähigkeiten in Europäische Einwanderung zwischen 1945 und 1970 22 der Bauindustrie und hatten somit einen sichtbaren Einfluss auf die Gestaltung der innerstädtischen Landschaft Torontos. Der dramatische Rückgang der Zuwanderung aus Südeuropa ab den 1970er Jah- ren, der Zuzug einkommensstarker Personen aus der geburtenstarken Nachkriegs- generation (Baby-Boomer) mit ihren unterschiedlichen Lebensstilen und Lebens- gewohnheiten aus dem Stadtumland in die innerstädtischen kulturellen Enklaven führte zur Fragmentierung und Zerstreuung von ehemals kulturell zuordenbaren Nachbarschaften. Immigration in die Vorstädte Wie bereits oben ausgeführt ist die Ansiedlung der Migranten durch zwei Haupt- muster geprägt: Einerseits durch Ausbreitung entlang von Korridoren mit relativ geringem Bezug zu den ursprünglichen innerstädtischen Nachbarschaften (z.B. die Juden und Italiener) und andererseits durch die Verlagerung der Wohngebiete in das Stadtumland mit einer weiterhin starken Präsenz von Gewerbe und Woh- nen in der Innenstadt (Portugiesen und in geringerem Umfang Griechen). Die größte Gruppe der aktuellen Zuwanderung in Toronto kommt aus Asien. Dies ist eine höchst differenzierte Gruppe, die Flüchtlinge aus Vietnam und Sri Lanka einschließt, relativ gut ausgebildete Immigranten aus Indien und der VR China sowie reiche Chinesen aus Hongkong und Taiwan. Diese Zuwanderer haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert: Die chinesische Community mit ihren 360.000 Mitgliedern ist eine ausgesprochen heterogene Gruppe mit unterschiedlichem regionalen Hintergrund, Sprachen und Dialekten, die sich in unterschiedlichen Nachbarschaften angesiedelt hat. Konzentrierten sich die chi- nesische Vorkriegs-Zuwanderung auf die Innenstadt, so verteilt sich die jüngere Zuwanderung dieser Gruppe auf zahlreiche kleinere Gebiete in der Innenstadt und im Umland. Die in den letzten Jahren zugewanderten Chinesen, hauptsächlich aus Hong- kong, sind wegen ihrer finanziellen Ressourcen, ihrer Bildungsabschlüsse und ihrer beruflichen Fähigkeiten oft gern gesehen. Sie leben in den Vorortgemeinden wie Scarborough, Markham, Richmond Hill und Mississauga. Im Kontrast dazu konzentrieren sich die Zuwanderer aus der VR China im ältesten Chinatown in Torontos Innenstadt wie auch nordwestlich von Scarborough. Die aus Taiwan zugewanderten Chinesen verteilen sich dagegen im Stadtgebiet. Konvergenz auf dem Hintergrund kultureller Ähnlichkeit geht hier einher mit Divergenz in Folge unterschiedlichem sozioökonomischen Status. Diese Zuwanderung in die Vororte mit den damit einhergehenden baulichen Veränderungen hat teilweise zu Span- Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 23 nungen mit den alteingessenen Einwohnern und Geschäftsleuten geführt, so z.B. in Markham und Richmond Hill, wo der Bau chinesischer Malls in den 1990er Jahren Kontroversen auslöste und auch zum Wegzug von Alteingessenen führte, was gleichzeitig die Segregation der angefeindeten Chinesen verstärkte. Im Gegensatz dazu kamen die Vietnamesen in den 1980ern als Flüchtlinge (boat people) und später in Folge des Familiennachzugs. Mit geringen ökonomischen Ressourcen ausgestattet, siedelten sie primär in billigen Wohnungen in den In- nenstadtquartieren. Nach und nach siedelten sie jedoch auch in Wohngebieten außerhalb, so dass sich der Anteil der Vietnamesen, die in den innerstädtischen Nachbarschaftsbezirken wohnten, zwischen 1986 und 1996 von mehr als die Hälfte auf ein Drittel reduzierte (Murdie, Texeira 2003: 153). Ähnlich heterogen und groß wie die Gruppe der ostasiatischen Einwanderer ist die Gruppe der südasiatischen Zuwanderer, die im Wesentlichen aus Einwande- rern aus Indien, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka gebildet wird. Sie teilt sich in zahlreiche Sprachgruppen, Konfessionen (insbesondere Hindus und Moslems) und kulturelle Gruppen. Siedlungskonzentrationen dieser Einwanderergruppe finden sich in den nordwestlichen Vororten Torontos, im Osten in Scarborough und in einigen Hochhaussiedlungen nordöstlich der Innenstadt. Die restlichen Gruppen jüngster Zuwanderung kommen aus sehr unterschiedli- chen geografischen Regionen dieser Welt: Karibik, Afrika, Lateinamerika und lassen sich vorwiegend in den Vororten von Toronto nieder, obgleich sich auch einige Gruppen in der Innenstadt konzentrieren. Diese Gruppen können auf kei- ne Unterstützung durch frühere Immigranten zurückgreifen. Insgesamt sind die geografischen Muster der Segregation der karibischen und afrikanischen Einwan- derer weitaus diffuser und komplexer als diejenigen der Italiener, Portugiesen und Griechen, welche vor 1970 ankamen. Die neuen Zuwanderer haben die tradi- tionellen Einwanderungsquartiere Torontos umgangen, es nicht geschafft, insti- tutionell vollständige Nachbarschaften aufzubauen, sondern konzentrieren sich punktuell verteilt (pockets of concentration) über das Stadtgebiet Torontos. Diese Quartiere können im klassischen Sinne nicht als Ghettos bezeichnet werden, ob- gleich es sich um arme Quartiere (pockets of poverty) in unmittelbarer Nach- barschaft zu Wohngebieten der Mittelschicht oder stabilen Arbeiterwohngebieten handelt. Diese neue Immigrationsgeografie bedarf eines neuen Musters zur Be- schreibung residentieller Konzentration und deren stadträumliche Verlagerung. Für diese neuen Zuwanderungsgruppen scheint die Innenstadt nicht die gleiche Relevanz als Zuwanderungsgebiet zu haben, da die meisten direkt in umliegende Vorortgebiete ziehen (East Scarborough Storefront, Protokoll). Immigration in die Vorstädte 24 Cluster der kulturellen Gruppen Torontos Der kanadische Staat führt alle fünf Jahre ausführliche Volkszählungen durch, in denen die Bevölkerung auch zu ihrem kulturellen Hintergrund und zu den zu Hause genutzen Sprachen befragt wird. Durch diese Volkszählungen ist es mög- lich, die residentielle Konzentration einzelner Sprachgruppen oder ethnisch-kul- tureller Gruppen in kanadischen Städten auszuwerten. Qadeer und Kumar haben neun wichtige kulturelle Gruppen auf ihre residenti- elle Konzentration in Toronto untersucht. Dabei bezogen sie sich nicht nur auf das Stadtgebiet Torontos, sondern schlossen auch die umgebenden Landkreise (regions) mit ein. Sie haben sich dabei auf die aktuellsten statistischen Daten von 2001 bezogen und die jeweilige Konzentration für kleine Volkszählungsgebiete (census tract: ca. 4.000 Einwohner) gemessen. Eine primäre Konzentration ist da- bei als ein Gebiet definiert, in dem über 50% der Bevölkerung einer bestimmten kulturellen Gruppe angehören. Eine sekundäre Konzentration ergibt sich, wenn eine bestimmte kulturelle Gruppe die größte kulturelle Gruppe in einem Gebiet bildet, ihr Anteil jedoch unter 50% liegt (Qadeer, Kumar 2003). Die Ergebnisse der Studie zeigen deutliche residentielle Konzentrationen der un- tersuchten Bevölkerungsgruppen in Toronto und den umliegenden Städten. Itali- enische Bevölkerungskonzentrationen finden sich im Nordwesten Torontos und vor allem in Vaughan-Woodbridge, südasiatische im äußersten Westen Torontos und in Mississauga sowie im Osten Toronto, in Scarborough. Ein Band mit hohen Anteilen jüdischer Bevölkerung zieht sich entlang der Nord-Süd-Achse der Ba- thurst Street. Chinesische Bevölkerungskonzentrationen lassen sich besonders im Nordosten Torontos und im angrenzenden Markham beobachten. Auffallend ist, dass die stärksten Konzentrationen der untersuchten Gruppen in den sogenannten inner suburbs (frühe suburbane Stadterweiterungen, die heute zum Stadtgebiet Torontos gehören) und in den jüngeren suburbanen Siedlungen außerhalb des Stadtgebietes (outer suburbs) zu beobachten sind. Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 25 Migration als Ressource urbaner Entwicklung „Unsere Vielfalt ist ein nationaler Gewinn. Neue technologische Entwicklungen haben internationale Kommunikation wichtiger denn je werden lassen. Kanadier, die viele Sprachen sprechen und viele Kulturen verstehen, erleichtern es Kanada, weltweit in Feldern wie Bildung, Handel und Diplomatie aktiv zu sein.“ (Depart- ment of Canadian Heritage 2005). Das schon im vorhergehenden Kapitel angeführte Ziel der kanadischen Einwan- derungspolitik, demografische Entwicklungen auszugleichen, d.h. Schrumpfung Abb. 8: Verteilung ausgewählter kultureller Gruppen im Großraum Toronto im Jahre 2001 Cluster der kulturellen Gruppen Torontos 26 zu verhindern und ein stetiges moderates Wachstum der kanadischen Bevölke- rung zu gewährleisten, lässt sich auch auf die Ebene der Stadtpolitik übertragen. So ist die Einwanderung nach Toronto im wesentlichen Maße ein Garant ange- strebten städtischen Wachstums und damit einhergehender erwarteter wirtschaft- licher Dynamik. Während die meisten europäischen Metropolen in den nächsten Jahrzehnten mit stagnierenden oder rückläufigen Bevölkerungszahlen rechnen, erwartet die Stadt Toronto bis 2030 eine Erhöhung ihrer Einwohnerzahl von 2,5 auf 3 Millionen Einwohner. Die kulturell vielfältige Bevölkerung der Stadt bie- tet zudem das ideale Potential außenwirtschaftlicher Verflechtung, da sie über sprachliche und kulturelle Kompetenzen und oft auch Kontakte verfügt, die beim Handel mit den Herkunftsregionen von Vorteil sein können. Neben den wirtschaftlichen Ressourcen der städtischen Einwanderung ist der Bei- trag zur kulturellen Entwicklung der Stadt durch die Zuwanderer herausragend. Die kulturelle Entwicklung hat wiederum Rückkopplungen mit der wirtschaftli- chen Entwicklung. Noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts galt Toronto als langweilige, ‚zugeknöpfte Stadt’ (dull city), in der es wenig zu erleben und zu unternehmen gab. Dieses Image wurde mit Hilfe der Zuwanderer in wenigen Jahrzehnten umgedreht. Als ‚die Welt in einer Stadt‘ (the world in city) gilt To- ronto heute als eine der kosmopolitischen Metropolen der Welt. Städtebauliche Prägung Torontos Bis in die 1960er Jahre bestanden Torontos Wohngebiete nahezu ausschließlich aus Einfamilienhäusern. Dieses typische Muster der Besiedlung zeigt sich bis heute in den innenstadtnahen Quartieren. Der Innenstadtbereich ist in einem or- thogonalen Straßenraster organisiert, in dem in der Regel eine klare Trennung von Hauptstraßen und Wohnquartieren vorherrscht. Die Hauptstraßen sind die In- frastrukturbänder mit öffentlichen Einrichtungen, Dienstleistungen und Handel, während Blöcke zwischen den Wohnstraßen reine Wohnquartiere sind, die Schu- len und nur sehr vereinzelt Geschäfte enthalten. Die typische Wohnbebauung be- steht aus 2- bis 3-geschossigen freistehenden Stadthäusern oder Doppelhäusern mit Vorgärten, in vielen Lagen finden sich auch Reihenhäuser. Die Bebauung an den Hauptstraßen ist in der Regel geschlossen und variiert in ihrer Höhe je nach Lage im Stadtgebiet (University of Toronto, Protokoll). Analog zur Stadtentwicklung anderer nordamerikanischer Städte dehnte sich To- ronto nach dem Zweiten Weltkrieg in Form von suburbanen, auf die Nutzung des Automobils ausgelegten Siedlungen aus. Die Automobilisierung Kanadas setzte nahezu zeitgleich mit der Automobilisierung der USA ein. In den nach dem Zwei- Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 27 ten Weltkrieg entstandenen Vorstädten (suburbs) sind Infrastrukturbänder selten. Die Versorgung erfolgt hier über große Einkaufszentren (malls) oder kleinere, gut per Auto erreichbare Einkaufszentren. Die Siedlungen sind oft von den Haupt- straßen abgewandt und im Schleifen- oder Sackgassensystem erschlossen. In dieses Grundmuster der Siedlungsstruktur streuen sich größere Siedlungspro- jekte, zumeist aus den 1970er und 1980er Jahren, bestehend aus hochverdichte- ten Appartment-Häusern, die mit bis zu 30 Stockwerken in einer parkähnlichen Landschaft stehen. In diesen Quartieren wie z.B. St. Jamestown westlich der In- nenstadt, werden die höchsten Bevölkerungsdichten der Stadt erreicht. Der An- teil kürzlich zugezogener Einwanderer liegt hier sehr hoch. Das Pionierprojekt des städtischen sozialen Wohnungsbaus war das in den 1950er Jahren errichtete Regent Park (westlich der Innenstadt), von dem im Kapitel „Steuerung durch interkulturellen Dialog“ noch die Rede sein wird. Abb. 9: Wohnstraße westlich der Innenstadt Abb. 10: Typische Geschäftsstra- ße in Toronto: St. Clair Avenue West Städtebauliche Prägung Torontos 28 Abb. 11: Suburbane Sied- lungsstruktur im Westen Torontos Abb. 12: Wohnstraße in Markham, nördlich von Toronto Abb. 13: Hochhaussiedlung in Thorncliffe Park Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 29 Sozialräumliche Unterschiede im Stadtgebiet Torontos Betrachtet man die sozialräumliche Grundstruktur der Stadt Toronto entlang des Indikators des verfügbaren Haushaltseinkommens, so zeigt sich, dass sich die Gebiete mit der einkommensstärksten Bevölkerung nördlich der Innenstadt kon- zentrieren, wo sich die traditionellen Quartiere der städtischen Eliten (Rosedale, Forest Hill) befinden. Weitere einkommenstärkere Gebiete finden sich entlang der Ufer des Ontariosees im Osten (The Beaches) und im Westen der Stadt in Etobicoke (United Way of Toronto o.J.). Viele der bereits vorher dargestellten traditionellen Einwander- und Arbeiterquartiere in Innenstadtnähe unterliegen seit einigen Jahrzehnten einem starken Gentrifizierungsprozess, der sich z.B. in Cabbagetown in einer Verdopplung der Hauspreise seit 1995 äußert (University of Toronto Protokoll). Eine zunehmende Polarisierung zwischen reicheren und ärmeren Nachbarschaftsbezirken ist in den letzten Jahrzehnten zu beobachten, wobei der Anteil der Nachbarschaftsbezirke mit einem überdurchschnittlich ho- hen Anteil an armen Haushalten stark zugenommen hat (United Way of Grea- ter Toronto; The Canadian Council on Social Development 2004). Großräumig betrachtet wanderte die Armut in den letzten Jahren in die inneren Vorstädte (inner suburbs), in die Siedlungen der Stadtbezirke Etobicoke, North York und Scarborough, die zwischen dem Kriegsende und den 1970er Jahren gebaut wur- den. In diesen Gebieten mit einem hohen Anteil öffentlich und privat errichteter preiswerter Wohnungen, die in den letzten drei Jahrzehnten qualitativ und sozial verfallen sind, sind die Wohnungspreise und Mieten am günstigsten. Die dort lebenden Immigranten erfahren besonders stark ihren sozialen Ausschluss, da die betreffenden Nachbarschaftsbezirke schlecht mit öffentlicher und privater Infra- struktur ausgestattet sind. In Innenstadtnähe konzentrieren sich die Gebiete mit den niedrigsten Einkommen im Wesentlichen auf einige Siedlungen des öffent- lich geförderten Wohnungsbaus wie Regent Park und St. Jamestown, die einkom- mensschwache Inseln in einem zunehmend wohlhabenderen Umfeld darstellen. Sozialräumliche Unterschiede im Stadtgebiet Torontos Abb. 14 (nächste Seite): Anteil der Haushalte unter der Armutsgrenze in Toron- to 1981 – 2001. Die staatlich definierte Armutsgrenze für Toronto (low-income cut-off - LICO) entsprach 2004 einem Brutto-Haushaltseinkommen von weni- ger als C$ 36.247 im Jahr für eine vierköpfige Familie. 1981 lag der Anteil der kanadischen Haushalte unter der Armutsgrenze bei 13% (United Way of Gre- ater Toronto; The Canadian Council on Social Development 2004: 10f.) 30 Neuere Entwicklung der Stadt Toronto und die Geografie ihrer kulturellen Gruppen 31 Kulturelle Cluster in Toronto Abb. 15 - 20: Straßenschilder in Toronto 32 Abb. 21: Hauptgeschäfts- straße in Chinatown 33 Orte der Kulturen Kulturelle Komplexität, wie wir sie in Toronto ausgeprägt finden, kann für die Entwicklung einer Stadt problematisch oder produktiv sein. Eine hohe Krimi- nalitätsrate kann ein Zeichen für eine problematische Entwicklung sein, eben- so die sozialräumliche Abschottung einzelner kultureller Gruppen, die isoliert nebeneinander leben. Kommt es aber zum Austausch von Wissen, Leistungen und Gütern, wird die Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Kultur gestärkt, die Lebensqualität in einer Stadt steigt. Wie eingangs beschrieben, schlägt sich die kulturelle Vielfalt in Toronto durch die Herausbildung kulturell geprägter Stadträume nieder. Eine Gruppe stellt die Mehrheit der Bewohner einer Nachbarschaft, Geschäfte, Restaurants, Nachbar- schaften, institutionelle Einrichtungen und religiöse Stätten der verschiedenen Kulturen prägen unübersehbar und auf vielfältige Art und Weise den Stadtraum. Little Italy, zwei Chinatowns, GreekTown, Koreatown sind Beispiele für unter- schiedliche Ausprägungen dieser kulturell geprägten Stadträume, die wir im wei- teren Text als kulturelle Cluster bezeichnen. In Toronto gibt es kulturelle Cluster, die ganz unterschiedliche Entstehungsge- schichten haben und sich in ihrer Größe und ihrer Gestalt vielfältig ausdrücken. Die kulturelle Prägung geschieht über gebaute oder applizierte Zeichen und Sym- bole, die Werbung oder die Schriftzüge der Geschäfte und Geschäftsinhaber in der jeweiligen Muttersprache oder über die Waren selbst. Manchmal sind es den Stadtraum prägende kleine Elemente, die Hinweise auf die kulturelle Zugehörig- keit geben, wie die so genannten A-Frames, Werbetafeln auf den Bürgersteigen, die sich gehäuft im chinesischen Viertel finden. Manchmal sind Prägungen in der baulichen Struktur der Gebäude zu erkennen, wie ein asiatisch geschwungenes Dach oder ein chinesisches Drachentor an der Straßenbahnhaltestelle des chine- sischen Geschäftsviertels. Das folgende Beispiel der GreekTown in Toronto soll eine mögliche Ausprägung eines kulturellen Clusters und seine Bedeutung für die zugehörige kulturelle Gruppe veranschaulichen. Kulturelle Cluster in Toronto 34 Die GreekTown on the Danforth Die Danforth Avenue zwischen Jones Avenue und Chester Avenue ist eine leben- dige Geschäftsstraße mit vielen Cafés, Bars und Restaurants. Viele Läden und Lokale präsentieren ein Warenangebot, das der griechischen Kultur zuzuordnen ist: griechische Restaurants, Imbisse, eine griechische Apotheke, das griechische Kulturzentrum, griechische Konditoreien, Reisebüros, griechische Lebensmittel- läden. Die griechischen Einzelhandelsgeschäfte wechseln sich selbstverständlich ab mit chinesischen, europäischen und kanadischen. Einige Bars geben sich äu- ßerst elegant und exklusiv im globalen Designerstil. Abb. 22: GreekTown, Danforth Avenue, Reisebüro Abb. 23: GreekTown, Dan- forth Avenue, Freisitz eines griechischen Restaurants Kulturelle Cluster in Toronto 35 Das Konzept der Marke ‚griechisch’ scheint aufzugehen: Am sommerlichen Frei- tagabend und am Wochenende ist die Straße voll mit schick gekleideten Flaneu- ren, die Restaurants und Bars sind prall gefüllt, besonders beliebt sind die Frei- luftplätze. Fast alle Restaurants haben einen Außenbereich auf dem Bürgersteig, auf einem kleinen Platz spielen Straßenmusikanten. Viele Geschäfte haben sich auf den Andrang am Wochenende eingestellt und am Samstag Abend etwas län- ger geöffnet. Erst vor einigen Jahren entwickelte sich ein Teil der Danforth Avenue zur offizi- ellen Greektown. Zunächst wurde 1981 der Geschäftsverband Danforth Village Business Improvement Area gegründet (Business Improvement Area (BIA) siehe Kasten S.58/59). In einem studentischen Designwettbewerb, in dem ein Logo für das Danforth Village entwickelt werden sollte, setzte sich ein Entwurf durch, der mit dorischen Säulen und Lorbeerkranz dem antiken Griechenland Tribut zollte. Im Sommer 1982 wurde die Danforth Avenue mit dem neuen Logo verziert und die englischen Straßenschilder durch zweisprachige (englisch und griechisch) er- setzt. 1993 wurde schließlich nach erfolgreicher Lobbyarbeit des Business Improve- ment Area Board im Rathaus die Bezeichnung Danforth Village Business Im- provement Area ersetzt: „Als Tribut an unser reiches griechisches Erbe wurde unsere Business Improvement Area im Juni 1993 offiziell in GreekTown on the Danforth umbenannt. Kurze Zeit später vervollständigte ein neues Logo die Um- wandlung.“ (BIA GreekTown 2005) Die großen Einwanderungswellen von Menschen griechischer Herkunft nach To- ronto erfolgten erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Seitdem wuchs die griechische Bevölkerung in Toronto stetig bis in die 1980er Jahre. Heute leben in Toronto knapp 44.000 Menschen griechischer Herkunft. Die Gegend um die Danforth Avenue war ursprünglich eine angelsächsisch geprägte Gegend, später gab es eine größere Konzentration von Italienern, was sich auch heute noch in den Sta- tistiken bemerkbar macht. Abb. 24: Logo der Business Im- provement Area Greek- Town on the Danforth Die GreekTown on the Danforth 36 In den 1950er Jahren siedelte sich die griechische Community in Danforth an. Schon in den 1970er und 1980er Jahren galt die Gegend als größte GreekTown in Nordamerika. Obwohl viele Menschen griechischer Herkunft wie andere Zu- wanderungsgruppen in die Vorstädte gezogen und sich vor allem im östlichen Stadtgebiet verteilt haben, zeigen die Statistiken in den Profilen der Nachbar- schaftsbezirke der Stadt Toronto, dass auch heute noch ca. 10% der Bevölkerung in den umliegenden Nachbarschaftsbezirken von Danforth angeben, griechischer Herkunft zu sein (City of Toronto 2003/2004). Im nördlich gelegenen angrenzen- den Nachbarschaftsbezirk Thorncliffe Park befindet sich ein großes Kulturzen- trum der griechischen Community und die größte griechisch-orthodoxe Kirche der Stadt. Auch in den Seitenstraßen der Danforth Avenue sind vereinzelt Zeichen grie- chischer Kultur sichtbar. Nördlich der Danforth Avenue lässt die Gestaltung der Gärten und der Zustand der Häuser auf eher gut situierte Bewohner schließen (ökologisch angelegte Vorgärten, teure Baudetails). In der viel befahrenen Pape Avenue gibt es an mehreren Häusern griechische Flaggen und noch einige grie- chische Geschäfte. Die Häuser wirken etwas ärmlicher und relativ viele südeu- ropäisch aussehende ältere Leute sitzen auf den Veranden. Stößt man von einer dieser Straßen auf die Danforth, verändern sich das Straßenbild und die Atmos- phäre abrupt. Der Erfolg der griechischen Geschäftsstraße ist teilweise der Publicity zu ver- danken, die GreekTown vor wenigen Jahren durch den Hollywood-Film ‚My Big Fat Greek Wedding’ bekam. Der Film spielt in Chicago, wurde aber in Toronto gedreht. GreekTown on the Danforth ist in dem Film an mehreren Stellen identi- fizierbar, was möglicherweise die Straße als kulturelle Besonderheit noch stärker als zuvor idealisierte und als exotisches Ausflugsziel etablierte – die angemessene Abwechslung zum Flanieren in Little Italy. Jeden August wird für ein Wochenende die Danforth Avenue gesperrt und das Krinos Taste Festival zelebriert. Das Straßenfest zieht mehr als eine Million Be- sucher an. Es ist gleichermaßen touristische Attraktion wie Identifikationsmög- lichkeit für die in Toronto lebende griechische Community. Der Ort dient auch für Festivitäten, die nicht von den Geschäftsleuten organi- siert werden. So findet alljährlich die Gedenkparade ‚The Greek Oxi Day Parade’ statt, die an rassistische Zwischenfälle erinnert, die sich in den 1920er Jahren gegen die griechischen Einwanderer äußerten. Während des Ersten Weltkrieges wurden 70.000 Männer aus Toronto eingezogen, etwa 2.300 Männer griechischer Herkunft blieben jedoch vom Militärdienst verschont – gegen sie richteten sich die gewalttätigen Ausschreitungen der zurückkehrenden Veteranen in einem sehr Kulturelle Cluster in Toronto 37 heißen Sommer des Jahres 1918, bei denen ca. 5.000 Männer das griechische White Star Café in der Yonge Street demolierten, gefolgt von weiterer Zerstö- rungswut gegen griechische Lebensmittelläden in der Nähe. „Gallant (Vorstand der Hellenic Heritage Foundation an der York University, To- ronto, Anm. d. Verf.) sagte, es sei viel wert, an diese Unruhen zu erinnern, wenn wir Torontos Vielfalt anerkennen und die Immigranten akzeptieren wollen, bei- spielhaft gezeigt an Veranstaltungen wie die jährlich stattfindende Sonntagspa- rade. „Wenn wir auf Veranstaltungen schauen wie ‚Taste of the Danforth’, auf der die griechische Kultur in der Stadt gefeiert wird, tun wir gut daran, uns auch daran zu erinnern, das dies nicht immer so war,“ sagte er, „es ist wichtig anzu- erkennen, wo wir heute stehen und sicher zu gehen, dass solch ein ethnischer Sündenbockfall nicht wieder geschieht.“ (Meditskos 2004). Die Verortung der griechischen Community an der Danforth Avenue in Toronto zeigt, welch zentrale Rolle ein Ort für die Identifikation einer kulturellen Grup- pe und ihre Präsenz in der Stadtgesellschaft spielen kann. Mit der spezifischen kulturellen Prägung eines Quartiers hebt sich die Danforth Avenue eindeutig von ihrer Umgebung ab. Damit wird der Ort einerseits zum Identifikationsmerkmal der griechischen Community: Hier wird mit Stolz an das gemeinsame reiche Kul- turerbe erinnert, vielleicht auch an die eigene Biographie, weil es im Restaurant an der Ecke ähnlich riecht wie in Großmutters Küche. Andererseits wird die An- wesenheit der griechischen Community für die übrige Stadtgesellschaft erst er- fahrbar. Gerade weil es anders ist als anderswo in der Stadt, weil der Kaffee dort an den letzten Urlaub in Europa erinnert oder an den Traum daran. Schließlich tragen Zeremonien zum gegenseitigen Verständnis bei: Durch die Erinnerung an Ausschreitungen gegen griechische Immigranten in der Vergangenheit wird die eigene Herkunft bewusst, die gegenwärtige Situation von neuen Einwanderern in der Stadt vielleicht aus der Verdrängung geholt. Typen und Definitionen kultureller Cluster Kulturelle Cluster sind spezifische stadt- und sozialräumliche Organisationsfor- men, die sich vom Begriff des Ghettos deshalb eindeutig abheben, weil sie auf freiwilliger Basis gebildet werden oder in der Vergangenheit gebildet wurden. Ob solche Cluster einen produktiven Beitrag zur Stadtentwicklung leisten, ist ent- scheidend abhängig von verschiedenen Faktoren, die Marcuse für die Definition der Enklave verwendet: die räumliche Form, Freiwilligkeit, ökonomische und soziale Beziehungen und Identitätsmerkmale (Marcuse 1997: 248). „Eine Enkla- ve ist ein räumlich eingrenzbares Gebiet, in dem sich Mitglieder einer speziellen Bevölkerungsgruppe, definiert über ihre kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit Typen und Definitionen kultureller Cluster 38 versammeln, um ihre ökonomische, soziale, politische oder kulturelle Entwick- lung zu fördern.“ (Marcuse 1997: 242). Wie bei der griechischen Community in Toronto deutlich wird, ist ein kulturelles Cluster in der Regel nur relativ homogen. Eine Gruppe stellt die Mehrheit der Bewohner oder ist zumindest die größte Gruppe, in der Nachbarschaft konzen- trieren sich Ökonomien und Dienstleistungen dieser Gruppe. In einigen Gebie- ten konzentrieren sich vor allem Geschäfte und Einrichtungen einer bestimmten kulturellen Gruppe, deren Anteil an der Bewohnerschaft aber relativ gering ist. Schließlich finden wir auch Konzentrationen kultureller Gruppen, die in einem Gebiet wohnen, sich aber weder infrastrukturell noch ökonomisch kulturspezi- fisch ausdrücken. Ein Beispiel für ein rein ökonomisch geprägtes Cluster ist das karibisch geprägte Geschäftsviertel in der Eglinton Street, auf das wir im wei- teren Text noch zurückkommen. Hier sind viele karibische Geschäfte zu finden, obwohl die karibischen Einwanderer sich residentiell im gesamten Stadtgebiet verteilen, bzw. sich in den ärmeren Vororten wie Scarborough konzentrieren. In diesen Gebieten sind gerade Gruppen neuer Zuwanderer teilweise infrastrukturell und ökonomisch unterversorgt. Wenn in einem Gebiet die residentielle Konzentration wie auch die Versorgung mit kultureller und ökonomischer Infrastruktur einer kulturellen Gruppe kombi- niert sind, so sprechen wir von einem vollständigen kulturellen Cluster. Das Maß der Vollständigkeit hat Einfluss auf die Entwicklung und die Lebensqualität der verschiedenen kulturellen Gruppen. Haben die Menschen die Möglichkeit, ihren kulturspezifischen Interessen und Bedürfnissen nachzugehen und fühlen sie sich dadurch in ihrer Kultur verankert, können sie sich auch auf die Begegnung mit den Anderen, mit dem Fremden und Ungewohnten einlassen. Aus einem Man- gel heraus wird sich produktiver Austausch zwischen unterschiedlichen kultu- rellen Gruppen kaum entwickeln. Andererseits bestände für die Bewohner eines vollständigen, in sich abgeschlossenen Clusters keine Notwendigkeit, mit den anderen in Kontakt zu treten, was die Entstehung von Parallelgesellschaften be- günstigen würde. Für das Maß der Vollständigkeit eines kulturellen Clusters sind verschiedene Fak- toren relevant: Residentiell. In einem Gebiet einer Stadt wohnen mehrheitlich Menschen einer bestimmten kulturellen Gruppe oder sie bilden die größte Gruppe. Infrastrukturell. Es gibt ein Angebot der gesundheitlichen Versorgung, Orte zur Ausübung religiöser Praktiken (Gottesdienste), Erholung, Bildung und Kultur, die den kulturspezifischen Bedürfnissen und Interessen entsprechen. Kulturelle Cluster in Toronto 39 Politisch. Die Angehörigen der kulturellen Cluster haben selbst oder durch selbst ernannte Vertreter die Möglichkeit, die Entwicklung ihrer Nachbarschaft, sei es räumlicher, sozialer oder ökonomischer Art, aktiv mitzugestalten. Ökonomisch. Die Ökonomie eines Quartiers ist vorwiegend durch eine kulturelle Gruppe geprägt und sorgt für deren spezielle Bedürfnisse wie Nahrung, bestimm- te Kleidung, kulturelle Güter, Dienstleistungen usw. Die nachbarschaftlichen Ökonomien verbessern außerdem den lokalen Beschäftigungsmarkt. Diese Unterscheidung ist analytisch. In der Wirklichkeit gibt es Überschneidun- gen und unterschiedlich gelagerte Schwerpunkte auf einen oder mehrere der Fak- toren. Das Thema der politischen Organisation und Beteiligung der kulturellen Gruppen kann im Rahmen dieses Berichtes nur angerissen werden. Es ist auch von allen genannten Faktoren am wenigsten nach Deutschland übertragbar, weil die politischen Voraussetzungen zur Einbürgerung und entsprechend zum Wahl- recht in Deutschland im Vergleich zu Kanada grundsätzlich anders sind, eine An- gleichung derzeit aber höchst unwahrscheinlich bleibt. In Toronto finden wir verschiedene Formen kultureller Cluster, die sich in ihrer Vollständigkeit stark unterscheiden. Das theoretische Modell eines vollständigen und auch homogenen Clusters findet sich nur in Ausnahmefällen. Schon aufgrund der kanadischen Politik der kulturellen Vielfalt wäre es nicht möglich, ein Wohn- gebiet, eine Nachbarschaft oder eine Straße ausschließlich für die Nutzung durch eine bestimmte Kulturgruppe auszuweisen. Dies ist auch politisch nicht gewollt, vielmehr wird Vielfalt als Stärke der Stadt gesehen und das soll sich auch räum- lich ausdrücken. Das oben beschriebene kulturelle Cluster GreekTown ist ein Beispiel für ein rela- tiv vollständiges kulturelles Cluster: Die Griechen sind mit 10% auch residentiell die größte kulturelle Gruppe im Bezirk, es gibt kulturell geprägte Ökonomien, die Geschäftsleute beteiligen sich durch ihre Mitgliedschaft in der Business Impro- vement Area an der räumlichen Entwicklung des Geschäftsviertels, es gibt alle nötigen infrastrukturellen Einrichtungen wie ein Kulturzentrum und eine grie- chisch-orthodoxe Kirche. Im Vergleich hierzu, ist in Little Italy der Anteil der Bewohner italienischer Herkunft marginal. Wie beim karibischen Cluster an der Eglinton Street handelt es sich hier um ein unvollständiges Cluster. In den Vorstädten finden sich ähnliche Typen, die sich allerdings im größeren Raum ausbreiten. So ist das Einkaufszentrum Pacific Mall mit dem zugehörigen Geschäftsviertel Market Village im Norden Torontos an der Stadtgrenze zur Vor- stadt Markham zu nahezu 100% mit chinesischen Geschäften, Restaurants und Imbissen besetzt, in Markham selbst geben von ca. 200.000 Einwohnern über Typen und Definitionen kultureller Cluster 40 60.000 Menschen an, chinesischer Herkunft zu sein. Hier handelt es sich trotz größerer räumlicher Ausdehnungen um ein relativ vollständiges Cluster, wobei der Anteil infrastruktureller Einrichtungen und politischer Beteiligung verhält- nismäßig gering ist. In Torontos nordwestlicher Nachbarstadt Brampton sind von 325.000 Einwohnern immerhin 63.000 Zuwanderer südasiatischer Herkunft aber nur 5.000 chinesi- scher Herkunft. In Brampton wurde 1995 der Hindu Sabha Tempel fertiggestellt, um den sich ein Wohngebiet mit Häusern für die besser verdienende Mittelschicht gruppiert, in dem nach Auskunft ortsansässiger Bewohner ausschließlich Famili- en indischer Herkunft leben. In unmittelbarer Nachbarschaft des Tempels entsteht zurzeit die Jaipur Gore Plaza, eine von mehreren indischen Malls im Großraum Abb. 25: Pacific Mall, Ein- gangsbereich Abb. 26: Pacific Mall, Gas- tronomiebereich Kulturelle Cluster in Toronto 41 Toronto, mit der sich dann das kulturelle Cluster vervollständigen wird. Dieses Beispiel zeigt, dass durch die Vervollständigung eines kulturellen Clusters im suburbanen Raum eine gewisse Homogenisierung unterstützt wird, was durch- aus die Gefahr der Abschottung zwischen den verschiedenen kulturellen Gruppen herbeiführen könnte. Die kulturellen Cluster unterscheiden sich wie oben beschrieben in ihrer Größe, ihrer Gestalt, ihren Geschichten und Bedeutungen. Entsprechend unterscheiden sich die Einflüsse der kulturellen Gruppen auf den Raum stark. Sie prägen den Stadtraum, abhängig von ihrem Gewicht an residentiellen, ökonomischen oder infrastrukturellen Konzentrationen, auf verschiedene Art und Weise. Abb. 27: Hindu-Sabha-Tem- pel in Brampton Abb. 28: Hindu-Siedlung in unmittelbarer Nähe zum Tempel in Brampton Typen und Definitionen kultureller Cluster 42 Residentielle kulturelle Cluster Kulturelle Zugehörigkeiten der Bewohner von Nachbarschaften lassen sich durch die fast lückenlose letzte statistische Erhebung der Stadt Toronto aus dem Jahr 2001 herleiten. Ein Teil der statistischen Erhebungen befasst sich mit dem Immi- grationshintergrund sowie den kulturellen und sprachlichen Zugehörigkeiten der Bewohner einer Nachbarschaft. Erfasst wurden in diesem Rahmen u.a. - die häufigsten Sprachen, die im häuslichen Bereich gesprochen werden (Anzahl Personen und Prozent), - die Zeiträume der Zuwanderung (in Prozent), - die Nationalität der häufigsten neuen Zuwanderergruppen (Anzahl Personen), - die ethnische Herkunft (doppelte Nennung möglich), - Angaben über die ‚visible Minority’, die sichtbare Minderheit aufgrund äußerer Merkmale/ Hautfarbe (in Prozent) (City of Toronto 2003/2004). In ähnlicher Weise sind statistische Erhebungen aus dem Jahr 1996 und 2001 für die Provinz Ontario dokumentiert, was die an Toronto angrenzenden Vorstädte (z.B. Mississauga, Brampton, Markham) betrifft, die ihre enormen Wachstums- schübe der vergangenen 10 Jahre vor allem neuen Immigrationswellen aus China und Südasien, aber auch der Suburbanisierung älterer Zuwanderergruppen (Itali- ener, Chinesen) zu verdanken haben (Statistics Canada o.J.). Da sich diese Angaben auf die geografischen Einheiten der Nachbarschaftsbezir- ke oder auf die administrativen Einheiten der ‚wards’ (Stadtbezirke) beziehen, lassen sich auf dieser Ebene kulturelle Cluster sehr gut dokumentieren. Für klei- nere Einheiten, die nur einige Blöcke oder Straßenzüge umfassen, gibt es dagegen keine statistischen Kennziffern. Vergleicht man nun die Angaben zur Sprache mit denen zur kulturellen Herkunft (ethnic origin), stellt man oft große Differenzen fest. Im Nachbarschaftsbezirk Niagara (Downtown Toronto) sprechen beispiels- weise gerade 570 von 11.115 Einwohnern zu Hause portugiesisch. 1.445 Be- wohner geben aber als kulturelle Herkunft portugiesisch an. Immerhin 13% der Gesamtbevölkerung dieses Nachbarschaftsbezirkes identifizieren sich also noch mit dem ursprünglichen Herkunftsland (von sich selbst oder der Eltern), auch wenn sie sich vorwiegend in englischer Sprache verständigen. Da die Angabe zur kulturellen Herkunft eine subjektive Selbstzurechnung ist (unabhängig davon, aus welchem Land ein Zuwanderer tatsächlich kommt) kann auf diese Art und Weise eine Zuwanderergruppe gar nicht oder nur marginal in Erscheinung treten. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sich bestimmte Zuwande- Kulturelle Cluster in Toronto 43 rergruppen sehr schnell als Kanadier identifizieren und dann auch kanadisch als kulturelle Zugehörigkeit angeben, während andere sich sehr viel länger mit ihren kulturellen Wurzeln identifizieren. Die bauliche Struktur der Nachbarschaften lässt in der Regel keinen Rückschluss auf den kulturellen Hintergrund der Bewohner zu, vielmehr ist die bauliche Struktur typisch nordamerikanisch: Kleine Wohnstraßen gehen orthogonal von den axialen Geschäftsstraßen ab, meist Doppel- oder Einzelhäuser, in ihrer Größe abhängig von dem sozialen Status ihrer Erbauer, in ihrem Baustil jedoch unab- hängig von der kulturellen Herkunft ihrer Bewohner. Es gibt dennoch Zeichen kultureller Vorlieben, die sich in der Gestaltung des Vorgartens, der Veranda oder der Fenster- und Türöffnungen zeigen. So legen die älteren portugiesischen Be- wohner ihre Vorgärten gern als dekorative Ziergärten an, während ihre chinesi- schen Nachbarn der jüngeren Generation ihre Vorgärten zum Anbau von asiati- schem Gemüse und Kräutern nutzen (University of Toronto, Protokoll). Zu finden sind religiöse Symbole wie ein kleiner Buddha, Kacheln mit christlichen Figuren oder Symbolen, manchmal auch Nationalflaggen am Giebel oder im Fenster. Abb. 29 - 32: Zeichen religiöser Zugehörigkeit an den Eingangstüren von Bewohnern portugiesischer (o.links) und indi- scher (o. mitte) Herkunft, traditionelle portugiesische Holztür (o. rechts), Buddhastatue in einem Vorgarten (un- ten). Residentielle kulturelle Cluster 44 Abb. 33: Vorgarten in Little Italy Abb. 34: Vorgarten in Chinatown Abb. 35: Mann portugiesischer Herkunft auf seiner Veranda, Little Portugal Kulturelle Cluster in Toronto 45 Abb. 37: Vorgarten in der Nähe vom Gerrard India Bazaar Abb. 38: Vorgärten von Nachbarn portugiesischer und chinesischer Her- kunft, Little Portugal Abb. 36: Vorgarten in Litt- le Portugal Residentielle kulturelle Cluster 46 Kulturelle Infrastruktur und politischer Einfluss kultureller Gruppen Infrastrukturelle Ausprägungen kultureller Vielfalt komponieren in vielerlei Hin- sicht die Gestalt und Ästhetik der Stadträume. In den Nachbarschaftsbibliotheken finden sich in Gebieten, in denen viele Inder wohnen, Bücher in Hindu, in den durch Chinesen geprägten Nachbarschaften Bücher in chinesischer Sprache. In Zeitungsläden repräsentieren sich beispielsweise die über 30 verschiedenen Kul- turgruppen aus Südasien durch 16 Zeitungen in Punjab, sechs in Englisch, zwei in Urdu und einigen in Hindi und Gujara. Die Radiostation Canadian Multicultural Radio strahlt u.a. Sendungen in Punjab, Tamilisch, Urdu und Hindi aus. Zahlreiche Einrichtungen des täglichen Lebens zeugen von der kulturellen Zuge- hörigkeit der Bewohner. An Schulen und Kindergärten hängen Aushänge in zwei, manchmal drei oder mehr Sprachen. Es gibt jüdische Grundschulen und Colleges, Nachmittagsschulen für das Erlernen der Muttersprache. Man stößt auf Kirchen, Synagogen, Tempel und Moscheen. Neben den 50 Moscheen für Muslime ver- schiedenster Herkunft gibt es in Toronto 20 Gurudwaras (Sikh-Tempel) und über 50 Hindu-Tempel. Kulturelle Cluster in Toronto 47 Abbildungen. 39-42 (linke Seite): Synagoge in Kensington Market (o. links) Ho-Nghien-Tempel in der Nähe des Gerrard India Bazaar (o. rechts) Ukrainische Baptistenkirche in Little Portugal (u. links) Kanadisch-türkisch-islamisches Zentrum in der Pape Avenue (u. rechts) Obwohl auch in Toronto bei Partizipationsprozessen im Rahmen der Stadtent- wicklung die Vertreter der kulturellen Gruppen oft sehr schwach vertreten sind, ist die kulturelle Vielfalt über kulturell geprägte Infrastrukturen im gesamten Stadtgebiet sichtbar. „Zeugen für die ethnische Vielfalt in der Greater Toronto Area sind durch um- fangreiche Veränderungen in städtischen, suburbanen und auch landwirtschaft- lichen Landschaften sichtbar. Vielfalt zeigt sich in neuen Landnutzungen durch spezifische Gebäude, durch Entwicklungsgebiete für kommerziell genutzte Ge- biete, durch residentielle Nachbarschaften und Gottesdiensthäuser. Diese Verän- derung hat sich durch den formellen Prozess vollzogen – ethnorassische Grup- pen (ethnoracial groups) kommen nicht zu öffentlichen Veranstaltungen, um den Planungsprozess zu beeinflussen, stattdessen nutzen sie traditionelle Mittel für Planungs- und Entwicklungsgenehmigungen. (...) In den meisten Fällen verän- dern ethnorassische Gruppen die regionale Landschaft durch den traditionellen Planungsprozess.“ (Milroy; Wallace 2002: 29) Allein die Möglichkeit, sich als Einwanderer sofort selbstständig zu machen und ein Geschäft zu eröffnen, eröffnet Chancen auch der politischen Teilhabe, z.B. durch die Mitgliedschaft in einer Business Improvement Area, die starken Ein- fluss auf die räumlich-ästhetische Gestaltung des Quartiers ausübt. Nach drei Jah- ren Aufenthalt die Staatsangehörigkeit angeboten zu bekommen und damit das volle Wahlrecht zu besitzen, ermöglicht selbstverständlich auch, sich selbst als politischer Entscheidungsträger aufstellen zu lassen, was sich an der Herkunfts- palette der Abgeordneten auf allen Regierungsebenen deutlich zeigt. Der Ge- sundheitsminister Kanadas, Ujjal Dosanjh ist wahrscheinlich der prominenteste kanadische Politiker indischer Abstammung. 10 weitere indische Mitglieder gibt es im kanadischen Parlament, darunter auch Dr. Ruby Dhalla, die erste indische Frau, die jemals eine solche Position erreicht hat. Kulturelle Infrastruktur und politischer Einfluss kultureller Gruppen 48 Kulturelle Cluster ökonomischer Prägung Die Sichtbarkeit kultureller Ökonomien trägt wesentlich zur dynamischen Stadt- gestalt Torontos bei. Chinatown, Gerrard India Bazaar oder Little Italy sind ein- prägsame Formationen, in denen sich kulturelle Ökonomien räumlich konzentrie- ren und gepflegt werden. Geschäfte, soziale Institutionen, kulturelle Zeichen und Individuen bilden räumlich erfahrbare kulturell geprägte Orte, die sowohl für die städtische Ökonomie Torontos insgesamt als auch für die jeweiligen kulturellen Gemeinschaften bedeutsam sind. Abb. 43: Polnische Apotheke in der Roncesvalles Avenue/Parkdale Abb. 44: Jüdische Geschäfte in der Bathurst Street Kulturelle Cluster in Toronto 49 Abb. 46: Käseladen in Little Italy Abb. 47: Gemüse- und Obstla- den in Little Portugal Abb. 45: Gemüsegeschäft in Chinatown Kulturelle Cluster ökonomischer Prägung 50 Meist sind es Kleinstunternehmer und Dienstleister als Einmann- oder Familienunternehmen: Gemüsehändler, Bäcker, Friseure, Schneider, Imbissver- käufer, Blumenhändler, Apotheker, Ärzte, Masseure. Sie prägen das kulturelle Cluster auf verschiedenen Ebenen und bilden die Ressourcen für die produktive Stadtentwicklung: - Versorgung der verschiedenen kulturellen Gemeinschaften mit speziellen Lebensmitteln und kulturellen Gütern, - Stärkung des Einzelhandels auch in Gebieten mit einem eher sozial schwachen Milieu, - Möglichkeit der Selbstständigkeit für Zuwanderer und Schaffung von Arbeitsplätzen, - Prägung eines vielfältigen abwechslungsreichen Stadtbildes, - Vermarktung der kulturellen Vielfalt als touristische Attraktion. Für den Erfolg und die Dimension der Entwicklung der Geschäftsviertel bzw. -straßen sind verschiedene Faktoren maßgebend (vgl. Qadeer 2000): Zum einen sind es die Chancen und Möglichkeiten, die sich aus den äußeren Bedingungen ergeben: Die Nachfrage nach bestimmten Lebensmitteln, die Konzentration kul- tureller Gemeinschaften in der Stadt, die Bedingungen des Arbeitsmarktes und der Politik, wie Einwanderungsbestimmungen, Steuern, Lizenzen usw. Wie sich in Toronto an Beispielen wie Little Italy oder GreekTown zeigt, können Lebens- stile bestimmter kultureller Gruppen in das Verhaltensrepertoir der anderen kul- turellen Gruppen aufgenommen werden. Bestimmte Milieus lieben Cafés mit Cappuccino und Restaurants mit Pasta oder griechischen Salaten. Der indische Curryladen und der Friseur aus der Karibik sind nicht nur für Kanadier mit in- dischem oder karibischem kulturellen Hintergrund interessant, sondern für viele andere Gruppen. Ein zweiter wichtiger Faktor sind Ressourcen der spezifischen kulturellen Grup- pen: das soziale Netzwerk, die Orientierung der kulturellen Gemeinschaft in Bezug auf Bildung und Lebensstil, vorhandene soziale Institutionen und Bera- tungseinrichtungen, nicht zuletzt die geografische Konzentration der kulturellen Gemeinschaft vor Ort und die Tradition der Unternehmensführung des jeweiligen Kulturkreises. „Informationen über Genehmigungen, Gesetze, Managementpra- xis, verlässliche Zulieferer und erfolgreiche Geschäftsstraßen kommen typischer- weise aus dem Netzwerk der Geschäftsinhaber und durch verschiedene indirek- te Verbindungen mit ihren kulturellen Communities. Die Struktur eines solchen Netzwerks differiert und ist abhängig von den Charakteristiken der Gruppen. Ei- Kulturelle Cluster in Toronto 51 nige Gruppen haben sehr hierarchisch organisierte Familien und einen starken Sinn für familiäre Loyalität und Verpflichtung, andere haben diffuser organisierte Familien. Ritualisierte Ereignisse und groß angelegte Zeremonien eröffnen zu- sätzlich Chancen, an Informationen zu kommen. Einige Gruppen haben speziel- le Verbände und Medien, um Informationen zu streuen.“ (Aldrich & Waldinger 1990: 127). Den dritten entscheidenden Faktor bilden die sozialen und individuellen Ressour- cen des Unternehmens. Ausbildung, Berufserfahrung, Vermögen, Einkommen, der sozioökonomische Status, die Familienstruktur und das Humankapital sind die wichtigsten Komponenten auf dieser Ebene. In den meisten Fällen haben sich die Geschäftsstraßen und -viertel, wie die der Chinesen und der Italiener, einst gebildet, um auf die jeweilige Zuwanderergrup- pe und ihre speziellen kulinarischen oder kulturellen Vorlieben in der Nachbar- schaft zu reagieren. In vielen Fällen ist zu beobachten, dass die kulturelle Prägung dieser Gebiete fortbesteht, auch wenn die Zuwanderergruppe zum großen Teil in die Vorstädte abgewandert ist wie in Little Italy. Das ehemalige Viertel, das einst möglicherweise annähernd ein vollständiges Cluster aus Bewohnern, Ökonomi- en, religiösen und kulturellen Einrichtungen bildete, bleibt dann ein Identitätsfak- tor des Kulturkreises: Man sucht das Gebiet zum samstäglichen Einkaufen auf, es gibt Straßenfeste oder eine Kirche oder ein Tempel, den man zu bestimmten Festtagen besucht. Das Beispiel Little India zeigt, dass die residentielle Konzentration einer spezifi- schen kulturellen Gruppe nicht zwangsläufig die Voraussetzung für die Bildung eines kulturellen Clusters sein muss, sondern im Gegenteil, die Prägung eines Viertels durch kulturelle Ökonomien zu der allmählichen Bildung eines auch re- sidentiell geprägten Clusters führen kann. Das Beispiel Little India Die Zuwanderer südasiatischer Herkunft bilden mit 10% neben den chinesischen Zuwanderern die größte Einwanderergruppe in Toronto. Die meisten von ihnen sind seit den 1990ern eingewandert – der Zuwandererstrom aus Indien und Süda- sien hält an. Allein 2003 wanderten 25.000 Inder und 12.000 Pakistani ein. Die ersten Zuwanderer aus Südasien waren Sikhs, die 1890 in Vancouver neben chinesischen Zuwanderern für den Bau der kanadischen Nationalstraße einge- setzt wurden. Erst in den späten 1960ern lebten ca. 500 Menschen indischer Ab- stammung in Toronto. In den 1970ern waren es schon 5.000, im Jahre 2004 war Kulturelle Cluster ökonomischer Prägung 52 ihre Zahl auf 500.000 gestiegen. Laut der Volkszählung 2001 leben in Kanada ca. 1.000 000 Menschen südasiatischer Herkunft (Statistics Canada 2005c) – die meisten kommen ursprünglich aus Indien, gefolgt von Pakistan, Sri Lanka, Bang- ladesch. Ebenso gemischt wie die Herkunftsländer sind die beruflichen und ge- sellschaftlichen Zugehörigkeiten. Menschen südasiatischer Herkunft arbeiten in Toronto als Geschäftsleute, Professoren, Ingenieure, Ärzte oder Taxifahrer. 75% von ihnen wanderten als gut ausgebildete Fachkräfte ein, über ein Drittel ist unter 24 Jahre alt (Melwani 2004). Die Zuwanderergruppe aus Südasien hat die Stadtlandschaft in den letzten Jahr- zehnten unübersehbar geprägt. „In all diesen Städten sind Little Indias und Little Sri Lankas in Einkaufsstraßen entstanden. Man könnte sie auch Little South Asias nennen, weil die meisten Kulturen dieser Region vertreten sind. An vielen Orten vermischen sich die En- klaven, so dass es möglich ist, Hindu-Tempel-Accessoires zu erstehen, Curry aus Sri Lanka, Hallal Fleisch und fünf Samosas für $1 – alles im selben Einkaufszen- trum.“ (Melwani 2004) Eine beeindruckende kulturelle Prägung durch die indische Community hat die Gerrard Street East zwischen Coxwell Avenue und Greenwood Avenue erfahren. Ein Initial für die Entwicklung der Geschäftsstraße war Anfang der 1980er Jahre die Gründung eines Bollywood-Kinos im India Centre in der Gerrard Street East. Der Publikumsverkehr regte den Einzelhandel an und aus dem früher anglo-kel- tisch geprägten Arbeiterquartier entwickelte sich zunächst ein rein gewerbliches Little India. Abb. 48 Gerrard India Bazaar, Indisches Zentrum, früher Bollywood-Kino Kulturelle Cluster in Toronto 53 1982 gründeten Geschäftsleute des Quartiers eine Business Improvement Area, in der heute über hundert Geschäfte und Restaurants entlang der Gerrard Street organisiert sind. Die Geschäftsstraße mit dem offiziellen Namen Gerrard India Bazaar ist damit das größte Geschäftsviertel südasiatischer Dienstleister in Nor- damerika. Sariboutiquen, Gold- und Juwelengeschäfte, Lebensmittel- und Obst- geschäfte, indische Restaurants, pakistanische Imbisse und allein fünf Paanshops wechseln sich ab. Zahlreiche Bollywood-DVD-Läden und Musikshops geben den perfekten akustischen Hintergrund für die visuellen Eindrücke von kostbaren Goldstickereien in den Schaufenstern der Boutiquen und Maßschneidereien und die Gerüche nach Koriander und gebratenem Mais. Wie andere Geschäftsviertel organisieren auch die indischen und pakistanischen Geschäftsleute Festivals, um die Kulturen der Herkunftsländer zu pflegen, die Community zu stärken und natürlich auch Kunden zu gewinnen. So findet jähr- lich das ‚Festival of South Asia’ statt, auf dem Tanz- und Musikgruppen eine Bühne finden und die Geschäfte kulinarische und handwerkliche Kostbarkeiten einem größeren Publikum anbieten können. Mit der Entwicklung der Geschäftsstraße verändert sich auch die Bewohner- struktur des Viertels. Fast alle ihm bekannten Geschäftsleute des Gerrard India Bazaar leben in unmittelbarer Umgebung, so ein pakistanischer Paan-Verkäufer. Die statistischen Erhebungen der Stadt Toronto von 2001 lassen ähnliches vermu- ten: In dem Nachbarschaftsbezirk Greenwood-Coxwell gab es im Quartier 1996 neben 815 chinesischen Neuzuwanderern insgesamt 450 aus Südasien (Pakistan 255, Sri Lanka 70, Indien 70, Bangladesch 55). Während die Zuwanderung der Chinesen im Quartier im Jahr 2001 auf 490 zurückging, ist die Zahl der neuen Zuwanderer aus Südasien mit 435 nahezu konstant geblieben (Pakistan 225, In- dien 140, Bangladesch 40). Der Anteil der Bevölkerung südasiatischer Herkunft ist von 1996 bis 2001 von 5,3% auf 8,4% gestiegen und macht damit nach der chinesischen Zuwanderergemeinschaft die zweitgrößte Gruppe von Zuwanderern im Quartier aus. Am Beispiel von Torontos Little India wird deutlich, dass kulturelle Cluster auch durch Impulse entstehen können, wie in diesem Fall der Betrieb des Bollywood Kinos. Der Gerrard India Bazaar entstand, ohne dass die pakistanischen und indischen Kunden in der unmittelbaren Nachbarschaft lebten, durch eine neue Geschichte für die Stadt, dem Traum vom Lifestyle des Bollywoodkinos. Heute sieht man in den Bollywoodfilmen, die in Toronto gedreht werden, die Gerrard Street mit ihrem reichhaltigen Warenangebot im Hintergrund – eine Spiegelung der Spiegelung. Kultur und kulturspezifische Ökonomien geben den Impuls für die Entstehung eines kulturellen Clusters mit residentiellem Charakter in einer Nachbarschaft und umgekehrt. Das Beispiel Little India 54 Abb. 49: Gerrard India Ba- zaar, Gerrard Street Abb. 50: Gerrard India Bazaar, Gerrard Street, indisches Bekleidungsgeschäft Abb. 51: Gerrard India Ba- zaar, pakistanischer Paan-Verkäufer Kulturelle Cluster in Toronto 55 Eine Besonderheit des Beispiels der Gerrard Street liegt vor allem in der friedli- chen gemeinsamen Organisation der Geschäftsinhaber pakistanischer und indi- scher Herkunft unter einem gemeinsamen Dachverband. Hier zeichnet sich ab, wie das gemeinsame Leben und die Organisation verschiedener kultureller Grup- pen, die in ihren Ursprungsländern seit Jahrzehnten in nicht lösbare Konflikte verstrickt sind, in einer Stadt fast stellvertretend zur produktiven, gemeinsamen und zielführenden Entwicklung führen können. Kulturelle Cluster sind transitorisch Unter Einfluss der genannten Faktoren haben die kulturell geprägten Ökonomi- en stabilisierenden Einfluss auf die kulturellen Communities und die umgebende Nachbarschaft. Andererseits schafft die Konzentration und Verdichtung kulturel- ler Geschäfte an einem spezifischen Ort Idiome und Marken für die Geschäfts- viertel. Die Prägung dieser Orte durch die kulturell geprägten Ökonomien ist wie die durch residentielle Cluster nie statisch. Sie richtet sich nach der Dyna- mik der Einwandererwellen, ihrem sozioökonomischen Status, den Netzwerk- strukturen und ihrem Geschäftssinn. Insofern sind ökonomische wie residenti- elle Cluster immer transitorisch. Für eine kürzere oder längere Zeit entwickeln sich auf diese Art und Weise lokale Milieus, die einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Ortes haben. In Toronto ist ein solcher dynamischer Prozess derzeit auf der Eglinton Street West zu beobachten. Im Besonderen zwischen der Marlee Avenue im Osten und der Dufferin Street im Westen finden sich auffällig viele karibische Geschäfte. Hierzu zählen viele Barbershops, Bankdienstleistungen für den Geldtransfer zwischen der Karibik und Kanada, einige (Reggae-) Musikgeschäfte, Lebens- mittelgeschäfte, karibische Imbisse und Catering-Services. Die Musikgeschäfte und einige Boutiquen drücken ihre Liebe zum Reggae durch laute Beschallung ihres Ladenlokals und des Bürgersteiges aus. Was an Geschäften/Dienstleistun- gen nicht als karibisch zuzuordnen ist, ist sehr international (italienisch, portugie- sisch, griechisch, philippinisch, thailändisch, chinesisch, arabisch). Im Allgemei- nen wirken die Geschäfte so, als würden sie eher Leute mit geringem Einkommen ansprechen. Neben vielen afrokanadisch/karibischen Menschen nutzen viele An- gehörige anderer Kulturen das Angebot auf der vitalen Straße. In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war die Eglinton Street West im untersuchten Abschnitt zu einem großen Teil italienisch geprägt, im Ostteil auch jüdisch. Während die italienische Prägung insbesondere westlich der Duf- ferin Street noch sehr deutlich wird, ist es östlich der Dufferin nun die karibische Kulturelle Cluster sind transitorisch 56 Kultur, die den Stadtraum maßgeblich prägt. „Als ich hierher kam (1962), gab es eine Menge jüdische und italienische Leute. Dann wurde es ein Mix aus allen Leuten, die hierher kamen. Jetzt haben wir allmählich viele Leute aus Westindien. (...) In 15 Jahren werden es andere sein.“ (Melvin Crooks, Barber on Eglinton West; in Heath-Rawlings 2004) Das noch sehr junge karibische Cluster bildet den Kern der 1999 (wieder-)ge- gründeten York-Eglinton Business Improvement Area. Das Unterfangen der Ge- schäftsleute, eine gemeinsame Strategie für ihre Straße zu finden, gestaltet sich nicht ohne Konflikte: Die Mehrheit der Geschäftsleute ist aus der Karibik und will deshalb das Geld des Geschäftsverbandes für karibische Festivals ausgeben, der derzeitige Vorsitzende möchte aus Eglinton-West ein International Village machen, das seine Internationalität offensiv vermarktet. Eine dritte Fraktion, ge- führt von einem Italo-Kanadier findet sich nicht mehr in der Gesellschaft wieder und würde sich gern mit dem westlichen Teil abspalten, um eine eigene Business Improvement Area zu gründen (Heath-Rawlings 2004). Wie die verschiedenen kulturellen Gruppen diesen Ort prägen, drückt sich in den Schaufensterauslagen, der Musik, die aus den Lautsprechern kommt, den Ge- rüchen, den Farben und dem Leben auf der Straße aus. Dass der Prozess der Veränderung sich nicht ohne Konflikte vollziehen kann, versteht sich von selbst. Veränderung bedeutet häufig schmerzlich Abschied von dem Gewohnten und Vertrauten zu nehmen. „Die Beziehung des eigenen zum fremden Ort, die gegen- seitige Abschottung, Aggressivität oder Toleranz in dieser Beziehung ist eine der wesentlichen Determinanten einer übergeordneten Entwicklung des Raumes.“ (Ipsen 2002: 340). Die Auseinandersetzung der Geschäftleute der Eglinton Street West zeigt, dass durch die Möglichkeit, sich als kulturelle Gruppe offensiv im Stadtraum zu zeigen, ihn zu prägen und Orte zu entwickeln, zum Austausch zwi- schen den Kulturen beigetragen wird. Im besten Falle können auch Konflikte geklärt werden, wenn dafür kommunikative bzw. kooperative Strukturen vorhan- den sind, wie die Organisationsform der Business Improvement Areas, in der alle Geschäftsinhaber gleichberechtigte Mitglieder sind und die Möglichkeit haben, verantwortlich über die zukünftige Entwicklung mitzubestimmen. Wie die Geschäftsverbände der kulturellen Ökonomien haben vielfältige Ver- knüpfungen und Verbindungen auf nachbarschaftlicher Ebene einen starken Einfluss auf die Integration der Zuwanderer und ihre produktive Einbindung in die Stadtentwicklung. Auf dieses für Toronto bezeichnende System aus Nachbar- schafts- und Community-Netzwerken werden wir im nächsten Kapitel ausführ- lich eingehen. Kulturelle Cluster in Toronto 57 Abb. 53: Frisörladen in der Eglinton Street West Abb. 54: Laden für religiösen Bedarf von Rastafaris in der Eginton Street West Abb. 52: Eglinton Street West Kulturelle Cluster sind transitorisch 58 Business Improvement Areas (BIA) Eine Business Improvement Area (BIA) ist eine Gemeinschaft aus Grundbesitzern und Ge- schäftsinhabern eines Stadtbezirks, die gemeinsam mit der Unterstützung der Stadt Toron- to ein Selbsthilfeprogramm zur Stimulierung des Einzelhandels durchführt. Alle BIAs in Toronto sind unter dem Dachverband Toronto Association of Business Improvement Areas (TABIA) organisiert. In den USA und anderen Provinzen Kanadas haben sich ähnliche Modelle als erfolgreiche Methoden zur Revitalisierung innerstädtischer Geschäftsquartiere entwickelt. Ihre Entstehung geht zurück auf die Initiative von Gewerbetreibenden in To- ronto im Jahre 1970. Eine Gruppe von Laden- und Grundbesitzern im Stadtteil Bloor West Village schloss sich zusammen, um ihren Einzelhandelsstandort aufzuwerten und damit die Ansiedlung eines Einkaufszentrums in nächster Umgebung zu verhindern. Die Stadt Toronto unterstützt die Gesellschaften unter anderem mit Moderation in der Startphase, bei der Strategieentwicklung und beim Finanzierungsmanagement. In einem vom Land Ontario herausgegebenen Handbuch werden alle erforderlichen Schritte zur Gründung erläutert, Finanzierungsmodelle vorgeschlagen, Partizipationsmethoden emp- fohlen, Aufgaben und Rollen beschrieben (Government of Ontario 2004). Die notwendi- gen finanziellen Mittel werden von den Grundeigentümern und Geschäftsinhabern als eine Art Zwangsabgabe eingefordert und mit der Grundsteuer durch die Stadt eingezogen. Die eingezogenen Gelder werden in voller Höhe der jeweiligen Gesellschaft zurückgegeben, die sowohl über die Höhe der Abgaben, als auch über die Verwendung der Mittel selbst entscheidet (MSWKS 2001). Neben der Verschönerung des Straßenbildes und einem ge- meinsamen Marketingkonzept soll ein Netzwerk aus Beziehungen und Partnerschaften mit lokalen Gruppen der Community (Schulen, Kirchen, Bürgerinitiativen usw.) und Instituti- onen entwickelt werden. Im Stadtgebiet von Toronto gibt es gegenwärtig 50 solcher Geschäftsverbände. Von diesen sind fünf aufgrund ihres Namens eindeutig kulturell geprägt: Corso Italia, Gerrard India Bazaar, GreekTown on the Danforth, Korea Town und Little Italy versprechen spezifische kulinarische und kulturelle Angebote und Dienstleistungen. Die Gründungsgeschichten der Verbände sind unterschiedlich und berufen sich zwar zum großen Teil, aber nicht zwangs- läufig, auf die historische oder gegenwärtige Konzentration der zugehörigen Einwande- rungsgruppen. Auch unterscheiden sie sich in ihrer räumlichen Erscheinung und Konzen- trationsdichte der Ökonomien. Einige kulturelle Ökonomien in höheren Konzentrationen haben sich zwar in BIAs organisiert, was sich aber (noch) nicht in deren Namensgebung niederschlägt. So befindet sich eine eindeutige auf der Eglinton West, deren Unternehmer sich in der BIA York-Eglinton mit diversen Unternehmern anderer Herkunft organisieren. Ähnlich ist es in der BIA Roncesvalles Village, die sich selbst als ein Geschäftsviertel „mit freundlichem polnischem Akzent“ beschreibt (TABIA 2005). Kulturelle Cluster in Toronto 59 Abb. 56: Geschäftsstraße in KoreaTown Abb. 55: Karte der Business Improvement Areas in der Innenstadt Business Improvement Areas 60 61 Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt „This Community protected - Neighbourhood watch“ heißt es auf Schildern an fast jeder Straßenecke im Stadtgebiet Torontos, was soviel heißt wie: Diese Nach- barschaft hat ein Auge auf das Geschehen im öffentlichen Raum. Was ist eine Community und wie definiert sich eine Neighbourhood? Community Centers, Community Schools, Community Agencies – der Begriff Community scheint allgegenwärtig im Stadtgebiet Torontos. Er bezeichnet sowohl Gruppen, die sich über ihre soziale Zugehörigkeit definieren (nach Herkunft, Kultur, Spra- che, Religion, sexueller Orientierung, Lebensstil usw.) als auch Einrichtungen und Initiativen, die sich eindeutig auf ein räumlich fassbares Gebiet beziehen (Schulen, Bibliotheken, Gemeinschaftshäuser usw.). Der Begriff Neighbourhood wird sowohl für die Definition einer sozialen Zugehörigkeit im räumlichen Kon- text verwendet als auch für eine geografische, räumlich eingegrenzte Einheit im Stadtraum. Für die Integration und Einbindung der Immigranten in Toronto haben sowohl die Community-Einrichtungen, die sich für ihre Bedürfnisse und Interessen ein- setzen, als auch die Nachbarschaften, in denen sie leben und ihre alltäglichen Le- benserfahrungen machen, einen großen Stellenwert. Sie bilden die Grundbaustei- Abb. 57: Neighbourhood watch - Hinweisschild 62 ne der Stadtgesellschaft und bestimmen wesentlich das kulturelle Leben und die soziale Integration. Auch die produktive Bewältigung der starken Immigration in diese Stadt beruht zu einem großen Teil auf dieser Stadtorganisation. In diesem Kapitel werden die politische Rolle und die Förderung stabiler Nachbar- schaften und ihrer Communities untersucht. Die Beispiele einer Nachbarschafts- initiative für die Beratung von Zuwanderern, einer Schule mit großem Eltern- und Lehrerengagement, der Nachbarschaftsbibliotheken, eines Community- Kunst-Projekts und Initiativen der Freiwilligenarbeit erläutern den Stellenwert von Nachbarschaft und Community-Einrichtungen für den produktiven Umgang mit Zuwanderung in der Stadt Toronto. Die Community als Basis für gemeinschaftliches Handeln Der Begriff Community stammt von der romanischen Sprachfamilie ab: lat. com- munitatem, im Nominativ communitas, meint Gemeinschaft, aber auch Allge- meinheit. Das zugehörige Adjektiv communis übersetzen wir mit gemeinsam. Im englischsprachigen Raum werden mit dem Begriff Community zahlreiche Arten von Gemeinschaften beschrieben, die sich verschiedenartig definieren: 1.) Örtlich, das heißt, eine Gruppe von Menschen lebt am selben Ort unter einer gemeinsamen Regierung. In diesem Zusammenhang kann Community auch das Gebiet meinen, in dem solch eine Gruppe lebt. 2.) Community kann auch eine Gruppe von Menschen bezeichnen, die ein ge- meinsames Interesse haben (religiöse Gemeinschaften, Wirtschaftsorganisatio- nen etc. bzw. eine Gruppe von Menschen, die sich deutlich von der übrigen Ge- sellschaft unterscheidet (Gay Community, Black Community etc.). 3.) Mit Community wird auch der Gemeinschaftssinn für eine bestimmte Sache oder Interessen beschrieben, ohne dass damit eine bestimmte Gruppe von Indivi- duen gemeint ist. 4.) Community meint in anderen Zusammenhängen auch die Allgemeinheit, die Gesellschaft bzw. die Identifizierung damit. (Houghton, Mifflin 2000) Der Begriff Community beschreibt in Kanada insbesondere in dem Feld der Stadt- entwicklung und der Nachbarschaftsentwicklung meist eine bestimmte Gruppe von Menschen, die sich über örtliche, soziale oder kulturelle Gemeinsamkeiten identifizieren und dies als Grundlage für ein Handeln im Sinne der Gemeinschaft bzw. des Allgemeinwohls nutzen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 63 auch das Wort Kommunikation auf communis zurückzuführen ist, aus dem das la- teinische Wort communicare gebildet wurde, was wörtlich übersetzt etwas teilen, gemeinsam machen, sich austauschen bedeutet. Diesen Hintergrund gilt es zu beachten, wenn wir die politische, soziale und ge- sellschaftliche Bedeutung der Communities in Toronto betrachten. Der Umgang mit dem Begriff Gemeinschaft, gar verstärkt mit den Adjektiven stabil, gesund oder lebendig (strong, healthy, vital, vibrant) ist in Deutschland nicht so unver- fänglich wie in Kanada, Nordamerika oder im übrigen Europa. Die Begriffe Gemeinschaft und Gemeinschaftssinn werden aufgrund der deutschen Ge- schichte schnell mit dem Begriff Volksgemeinschaft assoziiert. Großen Einfluss auf den Gebrauch des Gemeinschaftsbegriffes hatte Tönnies mit seinem erstmals 1887 erschienenen Buch ‚Gemeinschaft und Gesellschaft‘, in dem er die sozialen Beziehungen innerhalb einer durch gewachsene Strukturen und Zugehörigkeitsgefühl ge- prägten Gemeinschaft (Familie, Nachbarschaft, Volk) denen in der Gesellschaft gegenü- berstellte (Tönnies 1887). Was von Tönnies als soziologische Beschreibung der modernen Welt gedacht war, entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg zu dem politischen Kampf- begriff Volksgemeinschaft: Gegen die anonyme, von ökonomischen Nutzenüberlegungen, egoistischem Individualismus und Parteienstreit bestimmte Gesellschaft sollte die Gemein- schaft des Volks verwirklicht werden. „Der weit verbreiteten und schon im Ersten Weltkrieg deutlich spürbaren ideologischen Strömung einer Volksgemeinschaft fiel mit Beginn der nationalsozialistischen Machtüber- nahme eine zentrale Funktion bei der Etablierung ihres totalitären Herrschaftssystems zu. „Gemeinnutz geht vor Eigennutz - mit derartigen Parolen stieß die Volksgemeinschaft als Ausdruck von Einigkeit und Einheitlichkeit auf eine breite Identifikationsbereitschaft in der Bevölkerung.“ (DHM 2005) Der eigentliche Ansatz Tönnies wurde nach der Vereinnahmung des Gemeinschaftsbegriffs durch die Nationalsozialisten in Deutschland zunächst nicht weiter verfolgt. Tönnies ver- trat die Auffassung, dass der Wandel von Gemeinschaft zu Gesellschaft in der modernen Zeit der Urbanisierung den Verlust von nachbarschaftlicher und familiärer Solidarität ver- ursacht, dem er genossenschaftliche Verbindungen entgegensetzen wollte. Erst in den 1960er/1970er Jahren wurden nachbarschaftliche Netzwerke in Großstädten wieder zum Thema, als die Sanierung rückständiger Viertel in europäischen Großstädten diskutiert wurde (Zapf 1969). Während hier Begriffe wie nachbarschaftliche Unterstüt- zungsnetzwerke und spezifische Milieus für einige Zeit wesentlich die Diskussion um Sa- nierungsstrategien prägten, wurde mit dem Begriff Gemeinschaft nach wie vor zurückhal- tend umgegangen. Die Community als Basis für gemeinschaftliches Handeln 64 In den letzten Jahren lässt sich außerhalb der soziologischen Debatten feststellen, dass sich der englische Begriff Community allerdings auch in Deutschland etab- liert. Gerade in den virtuellen Welten des Internets haben sich auch auf deutschen Internetseiten unzählige Communities rund um spezifische Themenfelder gebil- det wie Sport, Politik, Kultur und Technik, nicht zuletzt auch in den weit verbrei- teten Flirtkontaktbörsen. Der Begriff hat sich im digitalen Raum auch schon für städtische oder regionale Plattformen des Austauschs durchgesetzt. So präsen- tieren sich Dortmunder Bürger mit der Internetplattform Dortmund Community - Die Seite für Dortmunder Bürger und Gäste (Dortmund Community 2005), vie- le Interessengruppen vernetzen sich als Communities auf Seiten, die sich lokal oder nach Interessengebieten zuordnen lassen. Derr englische Begriff Communi- ty wird hier anscheinend leichter, da historisch unbelastet, für ein Bedürfnis der sozialen Zugehörigkeit oder zur Vernetzung von Gleichgesinnten nach Interes- senlagen genutzt. Möglicherweise hilft die (vielleicht vorübergehende) Nutzung des englischsprachigen Begriffes Community bei einem unbefangenen Umgang mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Für den positiven und kreativen Umgang mit der kulturellen Vielfalt in Toronto ist die Integration der Zuwanderer in und durch vorhandene Communities, aber auch die Akzeptanz ihrer kulturspezifischen Communities und deren Einbindung in die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Das oben beschriebene Ge- meinschaftsgefühl, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, ist durchaus eine wichtige Grundlage für den produktiven Umgang mit kultureller Vielfalt im Stadtentwick- lungsprozess. In diesem Bericht übernehmen wir den englischsprachigen Begriff Community im Sinne der oben angegebenen Definitionen. Stabile Nachbarschaften Hamm definiert Nachbarschaft als „eine soziale Gruppe, deren Mitglieder pri- mär wegen der Gemeinsamkeit des Wohnortes miteinander interagieren.“ (Hamm 1973: 18). Nachbarschaft setzt also eine tatsächliche Interaktion voraus und ist nicht nur bestimmt durch das Wohnen in räumlicher Nähe. Dennoch lässt die Nachbarschaft einen anderen Grad der Distanzierung bzw. der Unverbindlich- keit zu als die Zugehörigkeit zu einer Community. Nachbarschaften gelten als vergleichsweise distanziert, „es existieren keine festen Normen, und die Basis des Zusammenlebens erscheint gerade wegen der unausweichlichen räumlichen Nähe mit den zwangsläufigen Berührungspunkten labil. (...) Völlige Fremdheit den Nachbarn gegenüber würde jedoch auf eine andere Weise Unsicherheit schaf- fen, denn es würde die Vertrautheit mit der unmittelbaren Wohnumgebung ein- schränken.“ (Diewald 1991: 111) Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 65 Neben dieser sozialen Bedeutung von Nachbarschaft bezeichnet der Begriff in Toronto auch geografisch eingegrenzte, administrative Einheiten. Toronto ist flä- chendeckend in Neighbourhoods unterteilt; hier lebt jeder Einwohner in einer offiziellen Neighbourhood. (Siehe Abb. 57, S. 66) In der Studie der für die Strong Neighbourhoods Task Force Toronto angefer- tigten Studie ‚Why Strong Neighbourhoods Matter’ werden vier Möglichkeiten genannt, den Begriff Nachbarschaft zu definieren (Freiler 2004: 8ff.): 1. Definition über ihre Funktionen. Nachbarschaft wird als ein Gebiet für all- tägliche Handlungsroutinen betrachtet. Hierzu zählen Einkaufsmöglichkeiten, das Angebot von sozialen und institutionellen Einrichtungen (Beratungsstellen, Schulen, Büchereien) und Sozialkontrolle. 2. Definition über geografische Grenzen. Die Stadt Toronto definiert Nach- barschaften als administrative Einheiten und Fördergebiete. Die Grenzen dieser Nachbarschaftsbezirke entsprechen nicht immer den natürlichen Nachbarschaf- ten und auch nicht der Identifikation ihrer Bewohner. 3. Definition über das Maß der Homogenität. Homogenität kann das Ergebnis freiwilliger Wahl sein (Menschen wollen aufgrund gemeinsamer Werte oder ihres kulturellen bzw. sprachlichen Hintergrundes miteinander leben) oder ist das Er- gebnis von Notwendigkeiten (z.B. weil es preiswerten Wohnraum gibt). 4. Definition über Lebenserfahrungen. Nachbarschaften müssen nicht notwen- digerweise objektive Merkmale haben, die auf den Erfahrungen und Definitionen aller Bewohner beruhen. Sie können deshalb auch subjektiv von den dort leben- den Menschen definiert werden. Neben der für die kanadische Gesellschaft so wichtigen Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Communities ist die Nachbarschaft wichtiger Indikator für das Ge- fühl von Sicherheit und Geborgenheit, und auch für eine gewisse Lebensqualität, was sich an Einkaufsmöglichkeiten und der Nähe infrastruktureller Einrichtun- gen messen lässt. Gleichzeitig bildet die Nachbarschaft aber auch eine ortsbezo- gene Gemeinschaft im Sinne der Community. In Toronto bezeichnet sich eine gut funktionierende Nachbarschaft durchaus auch als Community, wenn sich dadurch der Gemeinschaftssinn der Nachbarn ausdrücken soll. Wie sich eine spezifische Nachbarschaft sozialräumlich definiert, hängt einerseits von der Betrachtungs- weise ab, den Erfahrungen und der Geschichte ihrer Bewohner. Andererseits nutzt die Stadt Toronto den Nachbarschaftsbegriff, um sich in geografisch relativ überschaubaren Gebieten auf eine lokale Stadtentwicklungspolitik einzulassen und hat dafür ein Netz aus administrativen Neighbourhoods über das gesamte Stadtgebiet gelegt. In diesem Bericht übersetzen wir den Begriff Neighbourhood Stabile Nachbarschaften 66 Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 67 Abb. 58: Aktuelle Karte der Neighbourhoods in Toronto Stabile Nachbarschaften 68 im administrativen, geografischen Sinn deshalb mit Nachbarschaftsbezirk im so- zialen und symbolischen Sinn mit Nachbarschaft. Das Stadtgebiet Torontos wurde 2001 in 140 Nachbarschaftsbezirke unterteilt. Die Grenzen der Nachbarschaftsbezirke decken sich nicht immer mit denen der Stadtbezirke (wards), sondern richten sich nach sozialen Übereinstimmungen und räumlichen Bedingungen. „Die Profile der Nachbarschaftsbezirke wurden entwickelt, um der Regierung und den Community-Einrichtungen bei ihrer lokalen Planung zu helfen, indem sie sozioökonomische Daten in einem handhabbaren geografischen Gebiet zur Verfügung stellen. Nicht alle Menschen definieren Nachbarschaften in der glei- chen Weise. Für die Zwecke der statistischen Berichte wurden diese Nachbar- schaftsbezirke auf Grundlage der Volkszählungsbezirke (Statistic Canada Census Tracts) gebildet.“ (City of Toronto o.J.) Basierend auf den Statistic Canada Census Tracts wurden 2001 unter Berücksich- tigung verschiedener Kriterien die Grenzen der als Nachbarschaftsbezirke iden- tifizierten Gebiete festgelegt. Grundlage bildeten eine Karte der Stadtentwick- lungseinrichtungen für Wohngebiete (Urban Development Services Residential Communities), basierend auf Planungsgebieten der Stadtverwaltungen, und exis- tierende Nachbarschafts-Planungsbiete für die öffentliche Gesundheitspflege (Public Health neighbourhood planning areas). Keine der Nachbarschaftsbezirke besteht aus nur einem Volkszählungsgebiet. Ein Nachbarschaftsbezirk hat 7.000 bis 10.000 Einwohner. Die kombinierten Volkszählungsgebiete wurden aus ne- beneinander liegenden Volkszählungsgebieten zusammengesetzt, die einen ähnli- chen Prozentsatz an Haushalten mit geringem Einkommen aufwiesen. Außerdem wurden existierende Grenzen berücksichtigt wie Serviceeinrichtun- gen in Gemeinden, natürliche Grenzen wie Flüsse oder Schluchten sowie durch Menschen gemachte Grenzen wie Autobahnen, Straßen oder Gleisanlagen. Die Nachbarschaftsbezirke sollten klein genug bleiben, um Serviceeinrichtungen zu kombinieren und dem Gebiet anzupassen. Die Gesamtzahl der Nachbarschaftsbe- zirke sollte schließlich für Datenerhebungen und Berichte handhabbar sein. Diese Nachbarschaftsbezirke sind die geografischen Grenzen für die Profile der Nach- barschaftsbezirke (Neighbourhoods Profiles), die als Grundlage für Indikatoren und Strategien für die Entwicklung stabiler Nachbarschaften in der Stadt Toronto genutzt werden (City of Toronto o.J.). „Die Definition der 140 Nachbarschafts- bezirke brauchte zwei Jahre - unter Einbeziehung von Konsultationen der Com- munities und Absprachen mit den wesentlichen Abteilungen der Stadt Toronto (Polizei, Büchereien, Parks und Erholung, Planung etc.) (...) Auf der Grundlage der 140 Profile für die Nachbarschaftsbezirke kann man jetzt genauere Profile Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 69 entwickeln, in denen die Erfahrungen und theoretischen Überlegungen zur Ent- wicklung stabiler Nachbarschaften berücksichtigt werden.“ (GHK 2005: 18) Nachbarschaftsbezirke und Stadtentwicklung in Toronto Aufgrund der Definition vergleichbarer durchschnittlicher Haushaltseinkommen entstanden Nachbarschaftsbezirke mit einer teilweise sehr homogenen sozialen Struktur wie Forrest Hill oder Rosedale, die in Toronto für ihre privilegierte Be- wohnerschaft bekannt sind. Einige Nachbarschaftsbezirke wurden nach den ge- genwärtigen oder früheren Einwanderungsclustern benannt wie Little Italy oder Chinatown. Andere, wie die Wohnsiedlungen Regent Park oder St. Jamestown, wurden auch aufgrund ihrer baulichen Struktur als Nachbarschaftsbezirk identi- fiziert. Die sozioökonomische Mischung der Bewohner ist bei Revitalisierungs- planungen ein wichtiges Zielkriterium. Die Ziele für das aktuelle Stadtumbauprojekt Regent Park (siehe Kapitel Steue- rung durch interkulturellen Dialog) machen die Richtung der gesamten Stadtent- wicklungspolitik deutlich: Stärkung der Nachbarschaft, Schaffung von mehr Be- ratungsangeboten und -einrichtungen, Straßen mit Infrastruktur und Geschäften sowie die soziale Mischung der Bewohnerschaft sollen bewirken, dass Regent Park sich zu „einem erfolgreichen Nachbarschaftsbezirk der Stadt Toronto, ei- ner sicheren und lebenswerten Community mit den Vorzügen und Chancen eines typischen Nachbarschaftsbezirks in Toronto entwickelt“ (TCHC, Protokoll a). Vorbild ist der Nachbarschaftsbezirk St. Lawrence in Downtown Toronto. Die Siedlung wurde Ende der 1970er Jahre gebaut. Im Zielplan wurde von Anfang an festgehalten, dass dort unterschiedliche sozioökonomische Schichten und Kul- turgruppen wohnen sollten. Daher gibt es dort sowohl öffentlich geförderte Woh- nungen als auch Wohnungseigentum (TCHC, Protokoll b). Auch im aktuellen Stadtentwicklungsplan (Official Plan) für die Stadt Toronto aus dem Jahre 2002 sind Nachbarschaftsbezirke ein wichtiges Thema. Die Struk- tur und das Erscheinungsbild bestehender Nachbarschaftsbezirke soll bewahrt und beschützt, die Infrastruktur aus Communities und nachbarschaftliche Verant- wortung gestärkt werden. Hier wird zwischen Neighbourhoods und Apartment Neighbourhoods unterschieden. Mit Neighbourhoods sind hier anscheinend Sied- lungen mit Reihenhäusern und Vorgärten im nordamerikanischen Stil gemeint, während Apartment Neighbourhoods aus mehrgeschossigen Wohnungsbausied- lungen bestehen. „Die Entwicklung der Nachbarschaftsbezirke wird beständig das Ziel verfolgen, Nachbarschaftsbezirke und Stadtentwicklung in Toronto 70 die existierenden räumlichen Charakter der Gebäude, der Straßen und der öf- fentlichen Räume zu respektieren und zu erneuern.” (City of Toronto 2002: 29). Der Schutz der räumlichen Prägungen der Nachbarschaftsbezirke ist neben der intensiven ökonomischen und städtebaulichen Entwicklung von ausgewiesenen Innenstadtzonen und der Entwicklung der wichtigen Verkehrsachsen der dritte Fokus des Stadtentwicklungsplans. Dieses Vorgehen wird in Toronto politisch jedoch auch kritisch betrachtet. Die Bewahrung der Nachbarschaftsbezirke in ihrem Erscheinungsbild und ihrer bau- lichen Struktur verhindere ökonomische Entwicklungsimpulse in Downtown Abb. 59: Apartment-Nachbar- schaft St. Jamestown Abb. 60: Wohnstraße im Nachbarschaftsbezirk Riverdale Nähe Gerrard India Bazaar Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 71 Toronto einerseits und fördere Gentrifizierungsprozesse in begehrten Nachbar- schaftsbezirken im Innenstadtbereich. Ob die Unterstützung von Einrichtungen für Gesundheit, Bildung, Erholung und Kultur als Bestandteil der offiziellen Stadtentwicklungspolitik die Chancen- gleichheit für alle Bewohner herstellen kann, ist fraglich. Deutlich wird aber, dass hier auf lokaler Ebene Verantwortung gestärkt und gefördert werden soll: „Community- und Nachbarschaftsvorzüge werden aufgewertet wo sie gebraucht werden und zwar durch a) Verbesserung und Vergrößerung der Parks, der Erho- lungseinrichtungen, der Bibliotheken, des öffentlichen Nahverkehrs und anderer öffentlicher Einrichtungen und b) durch die Installierung neuer bzw. Verknüp- fung bestehender Gemeinschaftseinrichtungen, für die sozialen Bedürfnisse, die Gesundheits- und Erholungsbedürfnisse der Nachbarschaftsbezirke.” (City of To- ronto 2002: 30) Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften In dem Bericht ‚Poverty by Postal Code’ der Non-Profit-Organisation United Way of Greater Toronto aus dem Jahre 2004 wird eine Situation wie in vielen anderen Städten dokumentiert: Auch in Toronto gibt es Nachbarschaftsbezirke, in denen es hohe Armutskonzentrationen gibt. Kinder und Jugendliche, allein erziehende Mütter, neue Zuwanderergruppen oder ältere Menschen sind typischer Weise in diesen Nachbarschaftsbezirken überrepräsentiert. Insbesondere bei Konzentra- tionen von Armut in mehreren aneinandergrenzenden Nachbarschaftsbezirken wird befürchtet, dass sich hier Probleme multiplizieren könnten. Indikatoren sind höhere Kriminalitätsraten, Rassenkonflikte, antisoziales Verhalten sowie Ge- sundheitsunterversorgung bei den Individuen (United Way of Greater Toronto, The Canadian Council on Social Development 2004). Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, investiert die Stadt in Forschungsprojekte, Fallstudien und Diskussionsgremien. Ziel ist der Aufbau stabiler Nachbarschaftsbezirke (Strong Neighbourhoods) im gesamten Gebiet der Greater Toronto Area. Die Strong Neighbourhoods Task Force ist eine gemeinsame Initiative der Stadt Toronto und United Way of Greater Toronto mit dem Ziel, stabile Nachbarschaf- ten zu schaffen (building strong neighbourhoods). Sie besteht aus 22 Führungs- personen der Regierung, der Communities, des Arbeitnehmersektors und Unter- nehmersektors. Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften 72 Storefront in Scarborough - Bringing Services Closer to Home Die Gemeinde Scarborough liegt im Osten der Stadt Toronto und wurde im Zuge der Städtefusion zu einem ihrer größten Stadtteile. Heute hat Scarborough knapp 600.000 Einwohner und ist der schnellst wachsende Bezirk Torontos. Seit dem Jahr 2000 sind 35.000 Einwohner dazugekommen (6% Wachstum), gut die Hälfte aller Einwoh- ner sind Immigranten, 60% sind people of colour, 42% unter 24 Jahre alt. Die Krimi- nalitätsrate, insbesondere bei den jungen Menschen, ist hoch. Im ärmeren Osten (z.B. im Nachbarschaftsbezirk Morningside) gibt es hohe Konzentrationen von tamili- schen und karibischen Neuzuwanderern. Hier leben sehr viele junge, allein erziehende Mütter, elternlose, jugendliche Flüchtlinge und Immigranten und Familien mit gerin- gem Einkommen oder in Armut, weil der Eigenheimtraum abbezahlt werden muss. Der Nachbarschaftsbezirk ist infrastrukturell unterversorgt, Einkaufsmöglichkei- ten sind knapp und es fehlen ausreichende Anbindungen an öffentliche Verkehrsmittel. 1999 trafen sich Beratungseinrichtungen, Mitglieder der Communities und verschiedene Gruppierungen, um eine Lösung für die wachsenden Probleme und das Beratungsdefizit in East Scarborough zu finden. Darunter waren viele Initiativen, die bereits in der City To- ronto etabliert waren und dort Beratungsarbeit für Zuwanderer, Jugendliche und Familien leisteten. Aus dieser Kooperation wurde das Community-Center Storefront gegründet und im Febru- ar 2001 in der Morningside Mall eröffnet. Mehr als 40 Beratungseinrichtungen kooperie- ren seither in diesem Projekt und stellen einmal in der Woche Mitarbeiter zur Verfügung, die vor Ort Beratungsangebote in den Bereichen Einwanderung, Gesundheit, Sicherheit, Senioren, Recht und Mietrecht anbieten. Es wird viel Wert darauf gelegt, aktivierenden Kontakt zu Bewohnern und Gruppen vor Ort zu knüpfen. So entstand eine Gruppe für äl- tere tamilische Menschen auf Initiative einer tamilischen Mitarbeiterin, die per Telefon und Abb. 61: Wohnstraße in Scar- borough im Bau Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 73 persönlich Kontakt mit isoliert lebenden Landsleuten aufnahm. Heute treffen sich regel- mäßig 30 bis 40 tamilische Menschen, die sich vorher nicht kannten und gesellschaftlich isoliert waren. Freiwilligenarbeit ist eine wichtige Grundlage für die Initiative. Freiwillige kommen aus dem Quartier und spielen eine aktive Rolle bei der Initiativarbeit. Auf diese Art und Weise können die Menschen in ihrer Muttersprache kontaktiert werden und kommen über die Freiwilligen in Kontakt mit der Initiative. Beratungen für Zuwanderer können so in den Sprachen Arabisch, Englisch, Französisch, Rumänisch, Italienisch, Spanisch, Tamilisch, Hindi, Urdu und Punjab angeboten werden. Finanziert wird das Projekt ausschließlich durch Fördergelder (Bundesregierung, In- dustry Canada und Spenden von Kirchen und Stiftungen). Gegenwärtig ist die Zukunft der Initiative ungewiss: Die staatlichen Förder- gelder sollen um 50% reduziert werden, die Mall wird nicht saniert und soll abgerissen werden. (East Scarborough Storefront, Pro- tokoll) Abb. 63: Mädchen vor Info- wand in der Initi- ative Storefront Abb. 62: Flipchart mit Ta- gesprogramm der Initiative Storefront Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften 74 In Projekten und Studien untersucht die Strong Neighbourhoods Task Force Ar- mut, Unterbeschäftigung und Integration neuer Immigranten und den Mangel an Serviceleistungen in den Nachbarschaftsbezirken. Auf Grundlage der Untersu- chungsergebnisse werden Instrumente entwickelt, um Nachbarschaftsbezirke bei dem Ausbau ihrer Stärken zu helfen und die Lebensqualität zu verbessern. Hier- für werden zur Zeit ein Aktionsplan und ein Investitionsplan für stabile Nachbar- schaftsbezirke in Toronto erstellt. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Pro- gramm stehen verschiedene Investitionsprogramme für Communities, die durch alle drei Regierungsebenen (Bundesregierung, Provinz Ontario, City of Toronto) getragen und koordiniert werden sollen. Die Unterstützung des Gemeinschafts- sinns und die Förderung der Selbstverantwortung der vielfältigen Interessen- und Betroffenengruppen und deren konstruktive Einbindung werden als Vorausset- zungen für eine produktive Stadtentwicklung bewertet (SNTF 2005). Im Forum Governments and Neighbourhoods: Finding New Ways To Work To- gether, das die Neighbourhood Task Force im Juni 2005 in Toronto-Scarborough veranstaltete, forderte der Politikwissenschaftler Neil Bradford, University of Western Ontario: Politische Ziele sollten verfolgt werden, die den Communities, den organisierten Gemeinschaften einer Nachbarschaft – ob kultureller, ethni- scher oder ökonomischer Art, eine wesentliche Rolle beim Aufbau stabiler Nach- barschaftsbezirke geben. Dabei sind nach Bradford folgende politische Prinzi- pien maßgebend: Erstens Inklusion: die Einbindung der Communities und zwar ortsbasierend aber nicht ortsgebunden. Zweitens Vielfalt: Communities vor Ort unterstützen Interessengemeinschaften – hier ist vor allem die Repräsentierung spezifischer kultureller Gemeinschaften zu beachten. Drittens Zusammenarbeit: Bindung und Nutzen des Sozialen Kapitals (SNTF, Protokoll; vergl. Bradford 2004). Auf derselben Veranstaltung stellte Caryl Arundel ihre im März 2005 abgeschlos- sene Forschungsstudie Putting Theory into Practice: Asset Mapping in Three To- ronto Neighbourhoods vor, in der es um die Vitalisierung von Nachbarschaftsbe- zirken durch die Aktivierung von produktiven Communities geht. Für Arundel ist die stabile Nachbarschaftsentwicklung vom Zugang ihrer Individuen zu kulturel- len, versorgenden und bildenden Gemeinschaften abhängig. Entscheidend für die Qualität der Nachbarschaft sei die Erreichbarkeit von geeigneten Communities, deren Leitung, die Präsenz der Angebote und die positive Wahrnehmung der Ein- richtung (Arundel et al. 2005). Auf dem Hintergrund des Leitbildes ‚Vielfalt ist unsere Stärke’ der Stadt Toronto gibt es kaum Vorbehalte gegen die räumliche Homogenität kultureller Gruppen. Die Stärkung dieser kulturell homogenen Communities wird im Gegenteil als Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 75 wichtige Voraussetzung für deren Integrationsbereitschaft und -fähigkeit bewer- tet. „Homogenität braucht keine Behinderung zu sein für die Chance soziales Kapital zu binden, zu verknüpfen oder zu verlinken. Toronto hat von den kulturell geprägten Communities gelernt, die erfolgreich ihre internen Gruppenverbindun- gen genutzt haben, um ihre sozialen und ökonomischen Positionen zu verbes- sern.“ (Freiler 2004: 13) Die Infrastruktur aus Communities auf Nachbarschaftsebene ist auch in Toron- to gerade in den von Armut betroffenen Gebieten oft nicht ausreichend, jedoch als Herausforderung durch die Regierung und Fachleute identifiziert. Förderpro- gramme auf allen drei Regierungsebenen unterstützen die Entwicklung und die Vernetzung von Nachbarschafts- und Communityeinrichtungen. In ‚The Role of Community Infrastructure in Building Strong Neighbourhoods’ definiert Rothman folgende sechs Kategorien von Community-Infrastrukturen, deren Aufbau und die Rolle, die diese Infrastrukturen bei der Entwicklung stabi- ler Nachbarschaften spielen (Rothman 2005). Die Physische Lebensqualität muss sichergestellt werden durch Gesundheitsein- richtungen (auf Communitybasis und öffentlich), Notfall- und Kriseninterventi- on (inklusive Lebensmittelbanken, Feuerwehr, Notarzt) sowie Sozialwohnungen, preiswerte Wohnungen, und Notwohnungen für Obdachlose. Für die Persönlichkeitsentfaltung sorgen Beratungsstellen für Einwanderer und Flüchtlinge, Einrichtungen für Kinder und Familien (einschließlich Kinderbe- treuung und Familienzentren, Erholungs- und Wellnessangebote, Community- kunst und -kultureinrichtungen, öffentliche Schulen, Bibliotheken, Schulen für höhere Bildung und für Erwachsenenbildung. Gemischte Serviceeinrichtungen für spezielle Personengruppen wie Frauen, Ho- mosexuelle, Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Senioren, Ureinwohner Kanadas, Immigranten und Flüchtlinge, kulturell geprägte Gruppen und Rassen- minderheiten. Manche dieser Einrichtungen bedienen je nach Personengruppe mehrere Nachbarschaftsbezirke. Wichtig ist deren Erreichbarkeit und die Präsenz vor Ort. Einrichtungen zur Rechtsberatung und -vertretung sollten ebenfalls in jedem Nachbarschaftsbezirk vertreten sein, da die sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Community komplex sind und oft viele Dimensionen von Ungleichheit widerspiegeln. Hierzu gehören Verbraucherberatung, Rechtsbera- tungsnetzwerke, Organisationen für bürgerschaftliches Engagement, (Schulbei- räte, Beiräte für die Sozialplanung und Nachbarschaftsvertretungen), offizielle Rechtsvertretungen (z.B. Bewohnervertreter). Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften 76 Die Nachbarschaftliche Ökonomie bildet eine weitere Kategorie im Nachbar- schaftsbezirk. Hierzu gehören Business Improvement Associations, kleine Ge- schäfts- und Kooperationsgemeinschaften, Beschäftigungs- und Arbeitsberatung, sowie ressourcenbildende strategische Einrichtungen (Stärkung der individuellen Entwicklung, allgemeine ökonomische Entwicklung, sozioökonomische Initiati- ven). Im Kontext der räumlichen Entwicklung schließlich ist es für eine stabile Nach- barschaft wichtig, sichere Orte zu haben, die ästhetisch ansprechen und zur sozi- alen Interaktion zwischen Bewohnern und Interessenvertretern motivieren: Parks und öffentliche Räume, Zugänglichkeit von Häusern, Straßen und Plätzen für Behinderte, öffentlicher Personenverkehr, Sicherheit (Polizei, Sicherheitsinfor- mationen, Kriminalitätsprävention) (Rothman 2005: 4ff.). Rothman erläutert weiter, dass die Lebensqualität gerade in den von Armut be- troffenen Nachbarschaftsbezirken entscheidend von dem Zusammenspiel aus Serviceeinrichtungen, Programmen und sozialen Netzwerken all dieser Katego- rien abhängig ist und deshalb die entsprechenden Community-Serviceeinrichtun- gen, am besten in Form von Communityzentren, gefördert werden müssen. „Zu fördernde Community-Einrichtungen auf Nachbarschaftsebene sind öffentliche Schulen, Bibliotheken und Community- oder Nachbarschaftszentren. Diese ge- förderten Einrichtungen sind idealerweise in ästhetisch ansprechenden Gebäuden installiert, die einen Anker bilden. Sie übernehmen einen ganzheitlichen Blick auf die Community und teilen, erforschen und antworten auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft.“ (Rothmann 2005: 6) Abb. 64: Bild im Hausflur der Community School St. Jamestown Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 77 Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften Nelson Mandela Park Public School Öffentliche Schulen, insbesondere Grundschulen, spielen für die Nachbarschaften in Toronto eine zentrale Rolle. Eine Community-School fungiert nicht selten als Anker für die gesamte Community-Struktur eines Nachbarschaftsbezirkes. Eltern engagieren sich als Freiwillige in diversen schulischen Aktivitäten, die sich nicht nur auf gesellige Zusammenkünfte reduzieren. Dies funktioniert nicht von selbst, sondern wird von den Schulen aktiv eingefordert. Die Nelson Mandela Park Public School im Nachbarschaftsbezirk Regent Park stellt einen fest eingestellten Lehrer mit einem Teil seiner Arbeitszeit für Außenkontakte von seinen Lehrverpflichtungen frei. Joe Leibovitch, ein sog. outreach teacher, ist mit der Hälfte seiner Stelle zuständig für die Verbindung der Schule in das Quartier. Er betreut etwa 150 freiwillige Helfer (volunteers) z.B. von der Heilsarmee, der University of To- ronto und Eltern, welche die Lehrer in ihrer Arbeit unterstützen. Zudem arbeitet er mit dem Elternbeirat zusammen, in welchem etwa 30-40 Eltern der insgesamt 500 Schüle- rinnen und Schüler regelmäßig partizipieren. Übersetzer sind ausgesprochen wichtig, um die Eltern zur Teilnahme zu motivieren. Dies können in diesem Fall auch ältere Kinder sein. Bei Angelegenheiten, die eine Schülerin oder einen Schüler betreffen, wird aber grundsätzlich auf externe Übersetzer zurückgegriffen. Für die Eltern ist die Schule die zentrale Anlaufstelle im Quartier – auch für Proble- me, die nicht unmittelbar mit der Ausbildung ihrer Kinder verknüpft sind. Aus diesem Grunde wird auf ständige Verbindung und den Austausch mit den Eltern sehr viel Wert gelegt. In einem Elternzentrum werden z.B. Kurse zur Ernährung angeboten. Im Gegen- zug übernehmen Eltern freiwillige Unterstützungsfunktionen für die Lehrer während der Unterrichtsstunden, oder indem sie im Unterricht etwas über ihre kulturellen Sitten und Gebräuche erzählen. Das Erlernen der Muttersprache (heritage language program) findet nach Schulschluss statt, hierfür bleibt die Schule mit Unterstützung der Community län- ger geöffnet. Die Eltern werden motiviert, zu Hause zu lesen - auch in ihrer Mutterspra- che, da ihr Lesen dem Kind ein Vorbild ist. Insgesamt wird das Lesen als eine wichtige Fähigkeit erachtet, die durch zahlreiche Bücher mit Geschichten in unterschiedlichen Sprachen in der gut ausgestatteten Schulbibliothek gefördert wird. Dieses Engagement ist kein institutioneller Bestandteil des kanadischen Schulbetriebs. Die Schulbehörde be- steht darauf, dass der reguläre Lehrplan mit den zur Verfügung stehenden 33,5 Lehrkräf- ten eingehalten wird. Es ist vielmehr Ausdruck einer schulpolitischen Orientierung, die nicht nur von der Schulleitung getragen wird, sondern auch in der Lehrerschaft beschlos- sen und verankert ist und nicht zuletzt mit beachtlicher Unterstützung durch den Nach- barschaftsbezirk einschließlich der Wohnungsgesellschaft durchgesetzt werden kann. (Nelson Mandela Park Public School, Protokoll ) 78 Die Bibliothek als Kommunikationszentrum In Toronto wird den Bibliotheken als Informations- und Bildungsort eine zentrale Rolle für die Integration von Immigranten beigemessen. Bereits beim Absolvieren der Einwande- rungsformalitäten werden sie eingeladen, diese Ressource zu nutzen. Bibliotheken bieten Beratung, Sprachkurse, Computerlehrgänge und ein umfangreiches Angebot zum Spracherwerb von Englisch als Zweitsprache (English as second language) in Form von Büchern, Videos, Kassetten und DVDs. In 30 Zweigstellen wird in Koope- ration mit den Sozialarbeitern der Nachbarschaftsbezirke Beratung für Neuankömmlinge angeboten. Informationen über diese Angebote werden in 18 Sprachen übersetzt und in Form von Handzetteln und Info-Broschüren herausgegeben. Vorbildlich ist die Arbeit mit Literatur in den Muttersprachen der Kunden. Die Zentralbib- liothek hat Bestände in 138 Sprachen. Auf der zentralen Ebene der Toronto Public Library werden Medien aller Formate für insgesamt 40 Sprachen zusammengestellt. Sie sind dafür jeweils in Einheiten zu 150 Medien zusammengefasst und kategorisiert. Somit lassen sich diese Bestände, die durch die jeweiligen Zweigstellen rotieren, leicht auf Wanderschaft schicken. Einzelne Zweigstellen bieten spezielle Veranstaltungen entsprechend der Her- kunftskulturen ihrer Nachbarschaft an: Die Programme befassen sich mit nationalen, religiösen oder kulturellen Traditionen. Re- gelmäßig werden Märchenerzählungen in den Sprachen der Herkunftsländer in den Bibliotheken veranstaltet. An einem Sto- rytelling Telefon, bekommen Kinder per Telefon Märchen in ihrer Herkunftssprache erzählt. Für das Bibliothekspersonal gibt es ein besonderes Fortbildungsprogramm, in dem alle Mitarbeiter in die vielfältigen kulturellen Servicemöglichkeiten des Bibliothekssystems eingewiesen werden. Mit Hilfe eines zentralen Übersetzungsdienstes können aktuelle Ver- ständigungsprobleme gelöst werden. Im Bibliotheksentwicklungsplan Toronto 2004 – 2007 sind u.a. folgende Schwerpunkte verankert: • Besondere Angebote in sozial defizitären Nachbarschaftsbezirken (ruhige Lesebe reiche, erweiterte Öffnungszeiten, Alphabetisierungskurse, Arbeitsberatung, Com putertraining). • Angebote für neue Zuwanderer (Informationen, Beratung, Sprach- und Überset zungsangebote, Sprachkurse, Arbeitsberatung). Die Bibliotheken sehen als ihre wichtigste Funktion ihren Beitrag zur Stadtentwicklung und zur Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls und der Identifizierung mit dem Nach- barschaftsbezirk. (Bibliotheken, Protokoll) Abb. 65: Stadtteilbibliothek Scarborough Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 79 Auf politischer und fachlicher Ebene herrscht in Toronto allgemein Übereinstim- mung darüber, dass stabile Nachbarschaften gestärkt werden sollen und welche sozialen und räumlichen Bedingungen dafür erfüllt sein müssen. Freiler definiert in ihrer Studie ‚Why Strong Neighbourhoods Matter’ stabile Nachbarschaften über: • Inklusivität – Aktives Engagement der Communities, demokratische Pro zesse, Starkes Gefühl von Zugehörigkeit, offene Gesellschaft, Tolerierung von Unterschieden. • Lebendigkeit – Lebendiges Straßenleben (Cafés, Geschäfte, Dienst- leistun gen), Möglichkeiten für Communityaktivitäten (z.B. Straßenfeste), Sinn für Ortsidentität und Stolz. • Zusammenhalt – Sinn für gegenseitige Verantwortung und Unterstützung (z.B. auf die Kinder der Anderen achten), Vertrauen (keine Angst haben, die Tür offen sthen zu lassen), Vereinbarungen über Konfliktlösungen. • Sicherheit – Subjektives Gefühl der Sicherheit (die Leute haben das Ge- fühl, überall hingehen zu können und fühlen sich im öffentlichen Raum wohl), objektive Sicherheitskriterien (keine Kriminalität, keine Luft verschmutzung oder Kontaminierung, sichere Gebäude). (Freiler 2004: 14f.) Für die fruchtbare Entwicklung dieser Stadtentwicklungsstrategien auf Nachbar- schaftsebene unter schwierigen sozialen und ökonomischen Bedingungen sind in Toronto die lange Tradition von bürgerschaftlichem Engagement und ein ausge- prägter Gemeinsinn, der schon frühzeitig z.B. in der Schulausbildung gefördert wird, wichtige Grundlagen. Die Menschen in Toronto sind wie selbstverständlich in Communities eingebun- den, in denen sie sich für gemeinsame Interessen oder für die Belange anderer Mitbürger einsetzen. Dieses gemeinschaftliche Denken und Handeln drückt sich in zahlreichen Gruppierungen aus, die teilweise organisiert, teilweise aber auch auf Basis von Vereinbarungen über rein kommunikative Verhaltensweisen funk- tionieren. Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften 80 Art Starts Neighbourhood Cultural Centre Art Starts wurde 1992 mit dem Ziel gegründet, durch Kreativitätsförderung und Kunst- projekte Nachbarschaftsbeziehungen zu stärken und zu pflegen. Seit einigen Jahren ist das Projekt in einem großen Laden in der Oakwood Avenue beheimatet. Der Nachbarschafts- bezirk Oakwood ist bekannt als kulturell und sprachlich stark durchmischtes Viertel, was sich auch an den Teilnehmern der Projekte zeigt: Sie kommen aus Somalia, Eritrea, Gha- na, dem früheren Jugoslawien, Irland, Portugal, Italien, Griechenland, Spanien, China, Sri Lanka, Vietnam, den Philippinen, Trinidad und weiteren Ländern. Ihre Ziele und Leitlinien haben die Mitarbeiter von Art Starts in einem Manifest niedergeschrieben. Das Angebot richtet sich vor allem an Kinder zwischen 6 und 14 Jahren sowie an Eltern mit jüngeren Kindern. Art Starts wird als beispielhaftes Community-Art-Projekt im ‚Kul- turellen Entwicklungsplan für eine kreative Stadt‘ der Stadt Toronto (Culture Plan for a Creative City) erwähnt und konstant durch die Kulturämter der Stadt Toronto und der Pro- vinz Ontario gefördert. Weitere projektbezogene Förderungen erhält das Projekt durch die Bundesregierung, Lotterieeinnahmen und Stiftungen. Monatlich wechselnd, werden professionelle Künstler aus den Bereichen Theater, Musik und Bildende Kunst engagiert, die nachmittags Kurse anbieten, wie HipHop und Stepptanz oder Projekte initiieren. Die Künstler haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe und kommen aus der Stadt oder der Region Toronto. Regelmäßig nehmen an den professionell organisierten Projekten etwa 25 – 40 Kinder teil. Ein Team besteht aus ein bis zwei Künst- lern, einem Programmmanager und einem Assistenten, bei Bedarf auch aus mehr Perso- nen. Alle werden für ihre Arbeit bezahlt. Im Rahmen der Kunstprojekte werden Trainee- programme durchgeführt: Begabte Teilnehmer der Projekte werden im nächsten Jahr nicht selten als Assistenten, Koordinatoren oder Programmmanager eingestellt. Starr Jacobs, als Programmmanagerin, die zweite feste Kraft von Art Starts, war einst Teilnehmerin in ei- nem Mutter-Kind-Projekt. Die Projekte finden entweder im Art Starts-Laden, bei Kooperationspartnern der Nachbar- schaft, wie Bibliotheken und Schulen, oder im öffentlichen Raum statt. Immer stehen im Mittelpunkt die Förderung der Teilnehmer und der Mitarbeiter und die Verknüpfung mit der Nachbarschaft. So wurden in Kooperation mit der Business Improvement Association der Oakwood Avenue Kunstbanner hergestellt, die jetzt die Geschäftsstraße schmücken und die Art-Community präsentieren. Im Cy Townsend Park, in unmittelbarer Nähe zum Laden, wurde im Rahmen von Workshops ein Community Totem als permanentes Out- doorkunstwerk aufgestellt. Es besteht aus 500 Keramiktafeln, die Kinder und Erwachsene aus der Nachbarschaft mit Symbolen gestaltet haben, die sie mit ihrer ursprünglichen Hei- mat verbinden. Art Starts möchte expandieren. Zur Zeit wird mit der Stadt Toronto über die Gründung einer Filiale im Stadtteil Scarborough verhandelt (Art Starts, Protokoll). Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 81 .BOJGFTU "SU4UBSUTJTUFJOGPSUMBVGFOEFT VOBCHFTDIMPTTFOFT8FSLÚõFOUMJDIFS,VOTU EBT&SHFCOJTFJOFTHFNFJOTDIBGUMJDIFO1SP[FTTFT JOEFOWJFMF.FOTDIFOJOWPMWJFSUTJOE &TJTUFJOF$PMMBHFBVT$PMMBHFOJO3BVNVOE;FJU 6OTFS(FGàIMGàSEFO0SUJTUVOTFSF*EFOUJUÊU %JFTF4USB•F EJFTF4USB•FOFDLF EJFTFT/FCFOFJOBOEFS o"GSJLBOJTDI *UBMJFOJTDI 8FTUJOEJTDI 1PSUVHJFTJTDIo "MMEJFTFIJTUPSJTDIFO*SPOJFO EJFVOT[VTBNNFOVOEBVTFJOBOEFSCSJOHFO 8JSCFSàISFOFJOBOEFS XFJMVOTFSF,BOUFOSPITJOE 8JSTUSFJGFO'JMUFSEFS,VOTUXFMUVOEEFS.FEJFOXFMUàCFS VNVOTFSF/BDICBSTDIBGU[VTFIFO VNEFOBOEFSFO[VTFIFO 6N[VTFIFO XBTBMMFTFIFO XFOOTJFBOFJOFN.PSHFO JO5PSPOUPBVTJISFS5àSIJOBVTUSFUFO 8JSCFTDISFJCFOOJDIU XBTXJSTFIFO TPOEFSOXJSCFTDIÊGUJHFOVOTEBNJUJOFJOFN1SP[FTT EFSTJDIUCBSNBDIU ,àOTUMFSVOE$PNNVOJUZLSFJFSFOHFNFJOTBN0SUVOE*EFOUJUÊU /BIF[VKFEFSJOVOTFSFS$PNNVOJUZ LPNNUWPOJSHFOEXPBOEFSTIFSVOECFmOEFUTJDIJOFJOFNÃCFSHBOH %JF"SCFJU EJFXJSUVO FSLMÊSUVOTFSF&JOJHLFJU VOEWFSTDIMFJFSUOJDIUVOTFSF6OUFSTDIJFEF &JO[JHBSUJHLFJUVOE,ÊNQGF 8JSIFCFOEJF(SFO[F[XJTDIFO,àOTUMFSVOE#FUSBDIUFSBVG 8JSNBDIFOBMMF,VOTU VOEXJSBMMFLÚOOFOCF[FVHFO oXJSTDIFOLFOVOEXJSXFSEFOCFTDIFOLU 'àSVOTJTU,VOTUEJSFLUF"LUJPO EJFEJSFLUF#F[JFIVOH[XJTDIFO,àOTUMFSVOE$PNNVOJUZ 6OTFS;JFMJTUFT LSFBUJW QPMJUJTDIVOETQJSJUVFMM[VXBDITFO OFVF.ÚHMJDILFJUFOBVG[VEFDLFO ,àOTUMFS[VTFJO VOENJUVOEJONJUUFOVOTFSFSVSCBOFO$PNNVOJUZ,VOTU[VNBDIFO (Art Starts 2005) Die Rolle der Community-Infrastruktur beim Aufbau stabiler Nachbarschaften 82 Abb. 66: Schaufenster des Art Starts-Ladens Abb.67: Community Totem Abb. 68: Banner an der Oak- wood Avenue Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 83 Volunteering – organisiertes Freiwilligenengagement Bedingung für die erfolgreiche Communityarbeit ist in den meisten Fällen die so genannte Freiwilligenarbeit (Volunteering). Welche Website der Initiativen man auch aufsucht, meist gibt es einen Button mit der Aufschrift Volunteering, der auf eine Seite mit Informationen für potenzielle, freiwillige, ehrenamtliche Mit- arbeiter führt. Die kanadische Regierung unterstützt die Canadian Volunteer Initiative (CVI), zu der im Jahre 2002 die Organisationen Volunteer Canada (gegründet 1977) und Imagine Canada (gegründet 1974) fusioniert sind. In Kanada gibt es mehr als 180.000 Freiwilligenorganisationen. Etwa 6,5 Mio. Menschen engagieren sich im Non-Profit-Sektor (CVI 2005a). Engagement von Freiwilligen ist bereits Be- standteil der schulischen Ausbildung in Toronto. Die Schüler der höheren Schu- len absolvieren im Rahmen ihrer Ausbildung entweder einige Wochen im Jahr oder wöchentlich einige Stunden als Freiwillige in einer Communityeinrichtung. Insbesondere in Beratungseinrichtungen für Immigranten, in Nachbarschaftsor- ganisationen des Sozialen Wohnungsbaus, in Kindergärten und Grundschulen sind mehrsprachig aufgewachsene, junge Freiwillige wichtige Mitarbeiter, weil sie einen entscheidenden Beitrag zur Aktivierung und Bedienung der neuen Zu- wanderer leisten, die die englische Sprache noch gar nicht oder nicht routiniert beherrschen. Auch die Pflege öffentlicher Parks und der unzähligen Gemeinschaftsgärten (Community Gardens) in Toronto basieren zu einem beträchtlichen Teil auf dem Engagement von freiwilligen Helfern. Entscheidend ist, dass Engagement von Freiwilligen in Kanada einen hohen gesellschaftlichen Wert hat, der auch öffent- lich gewürdigt und zelebriert wird. Beispielsweise ist jedes Jahr eine Woche im April zur Woche der Freiwilligen (National Volunteer Week) erklärt, in der die Freiwilligen gewürdigt werden, Projekte vorgestellt und natürlich neue Freiwil- lige rekrutiert werden können. Kanada beteiligt sich aktiv an jedem 5. Dezember eines Jahres am durch die United Nations ausgerufenen Internationalen Freiwil- ligentag, an dem „die Freiwilligen der ganzen Welt gewürdigt und gefeiert wer- den.“ (CVI 2005b). Die Canadian Volunteer Initiative hat auf ihrer Website eine Theorie für Freiwilligenarbeit veröffentlicht, um Organisationen bei der Rekru- tierung und dem Management der Freiwilligenarbeit zu unterstützen. In den über 200 Freiwilligenzentren Kanadas werden außerdem Workshops und Trainings zum Thema angeboten. Volunteering - organisiertes Freiwilligenengagement 84 Freiwilligenengagement für einen Park Der 161 ha große High Park befindet sich im Südwesten Torontos. Der High Park Commu- nity Advisory Council (HPCAC) ist eine Gruppe aus individuellen Parknutzern und Inter- essensvertretern, die sich seit 1993 für die Pflege und den Erhalt des Parks einsetzen. Die Initiative ist von der Stadt Toronto seit 1995 offiziell als Gremium und als gemeinnützige Organisation anerkannt. Die Gruppe sieht ihre Aufgaben in der - Förderung des permanenten öffentlichen Einsatzes und der verantwortlichen Mithi lfe bei dem Erhalt des Parks für heutige und zukünftige Generationen. - Stärkung des öffentlichen Einflusses auf die Parkpolitik und Entwicklungsziele des Beauftragten für Wirtschaftsentwicklung, Kultur & Tourismus der Stadt Toronto. - Förderung der Einbindung von Freiwilligen in Parkinitiativen. - Förderung der öffentlichen Aufmerksamkeit und Verantwortung für den Park. Partner der Initiative sind die städtischen Abteilungen Parks und Erholung (City of Toronto Parks and Recreation Division) sowie Kultur (City of Toronto Culture Division), das Mu- seum Colborne House, und weitere High Park-Initiativen. Das Gremium besteht aus Anwohnern, Interessenvertretern der Bereiche Erholung und Naturschutz sowie Geschäftsleuten. Der Bürgermeister und städtisches Personal sind nicht stimmberechtigte Mitglieder. Die Treffen finden etwa fünf- bis sechsmal im Jahr statt und sind öffentlich, die Partizipation von Anwohnern und Interessierten ist ausdrücklich er- wünscht. Die Arbeit der Gruppe teilt sich in zwei ständige Gremien auf, das Natur- und Umwelt-Komitee (Natural Environment Committee) und das Komitee für gebaute Umwelt und Sicherheit (Built Environment and Safety Committee). Zusätzlich unterstützt ein Pro- grammkommitee sechs Freiwilligenprogramme für den Park: Veranstaltungen für Kinder, ein Programm für Jugendliche (High Park Youth connecting People and the Environment), die K-9-Gruppe aus Hundebesitzern und Läufern, die Parkaufsicht, ein Trainingsprogramm für Freiwillige (Volunteer Stewardship Program) und Spaziergänge. Auf Initiative der High-Park-Community-Organisation wurde 1998/1999 mit Hunderten von freiwilligen Eltern, Lehrern, Kindern und Jugendlichen unter der Leitung eines pro- fessionellen Landschaftsarchitekten im High Park ein Abenteuerspielplatz auf der Grund- lage von Ideen der Kindergarten- und Schulkinder gebaut (HPCAC, Protokoll ; HPCAC 2005). Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt 85 Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung In einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft ist der Austausch zwischen unter- schiedlichen kulturellen und sozialen Gruppen zwangsläufig. Der Verkäufer am Gemüsestand kommt aus der Türkei, der Kellner, der den Cappuccino und das Eis abkassiert, aus Italien, die Kassiererin im Supermarkt und der Automechaniker aus Osteuropa, ein Großteil des Pflegepersonals im Krankenhaus und der Alten- pflegestätte aus Asien, die Putzfrau aus Polen oder Kasachstan und diejenige, die im Morgengrauen die Mülltonnen leeren, kommen aus einer den Meisten frem- den sozialen Schicht. In diesem Kapitel soll es vorwiegend nicht um die funktio- nale Form des Austausches gehen, obgleich dieser für die Funktionsfähigkeit und Produktivität einer Stadt oder eines Landes sicher wichtig ist. Soll der Austausch als produktive Ressource zu einer zukünftigen Stadtentwicklung beitragen, so muss er über die funktionale Verknüpfung hinausreichen. Der Austausch muss die Abkapselung der Vielfalt überwinden und in deren Ver- knüpfung Elemente schaffen, die für neue Anforderungen zukünftiger Entwick- lung produktiv genutzt werden können. Die Produktivität der Städte, ihre Anpas- sungsfähigkeit an neue, bislang unbekannte Erfordernisse, war stets das Ergebnis der Nutzung der vielfältigen Ressourcen und Fähigkeiten in Folge von Zuwande- rung – und in deren Folge des regen Austausches zwischen den Kulturen. Innova- tionen als die eigentliche Schubkraft städtischer Entwicklung entstehen, zumin- dest auch, als eine Zusammensetzung von Elementen verschiedener Kulturen. Besonders sinnfällig wird dies in der Mode, den Koch- und Essgewohnheiten oder der Musik. Das Leitbild Torontos, die kulturelle Vielfalt als Stärke zu in- terpretieren, setzt den Austausch zwischen den dort lebenden Kulturen voraus. Segregierte oder gar isolierte Parallelgesellschaften stellen keine Ressource der Entwicklung dar. Auch in Toronto ist es nicht selbstverständlich, dass die Zuwanderer die englische Sprache verstehen oder gar schriftlich beherrschen. Die Arbeitslosigkeit und da- mit die sozialstaatliche Abhängigkeit innerhalb bestimmter kultureller Gruppen ist hoch, es kommt zu Reibereien und offenen Konflikten zwischen unterschied- lichen Gruppen, die residentielle Konzentration von Neuankömmlingen und die Ausbreitung deren kultureller und ökonomischer Infrastruktur wird als Verdrän- gung wahrgenommen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Probleme in Folge der Zuwanderung als schwierige, aber lösbare Aufgaben im Rahmen einer bewusst angestrebten Zuwanderung betrachtet werden, die für die Entwick- lung der Stadt zwingend ist. 86 Wir möchten den Austausch zwischen den unterschiedlichen kulturellen Gruppen Torontos im Weiteren an einigen Beispielen illustrieren und die uns wesentlichen Funktionsmechanismen für den Erfolg der Problemlösung herausarbeiten. Schule als Ort des kulturellen Austausches Wie jedes Zuwanderungsland muss auch Kanada darauf achten, dass die Zuge- wanderten befähigt werden, in der Landessprache zu kommunizieren. Besonde- re Aufmerksamkeit genießt die Erziehung der Kinder und hier insbesondere die Schule, wo über das ESL-Programm (english as a second language = Englisch als Zweitsprache) die Sprachfähigkeiten der Kinder der Zuwanderer gefördert wird. Auf deren geringe Sprachkompetenz wird nicht mit Selektion und Abschiebung in separierte Klassen oder in die Sonderschule reagiert, sondern im Rahmen des Curriculum werden entsprechende Sprachkurse angeboten, die deren Fähigkeiten verbessern sollen. Die gleiche Zielsetzung haben die ELD-Programme (english literacy development), die ebenfalls die Sprach- und Lesefähigkeit der Kinder stärken sollen. Ergänzt wird das Erlernen der englischen Sprache durch die sog. heritage langu- age programs (HLP), die das Erlernen der eigenen Muttersprache fördern. Auf- bauend auf den für das kanadische Schulsystem grundlegenden Arbeiten von Jim Cummins, der sich auf zahlreiche weitere empirische Studien stützt, kann man davon ausgehen, dass Mehrsprachigkeit in der frühen Kindheit nicht nur das Er- lernen weiterer Sprachen erleichtert, sondern darüber hinaus positive Auswirkun- gen auf die verbalen und nonverbalen Fähigkeiten hat, sowie die kognitive Flexi- bilität und das divergente Denken stärkt (Baker; Hornberger 2001: 51ff., 252ff.; ein ausführlicher Überblick findet sich in Cummins; Danesi 1990). War in den 1980er Jahren durch das heritage language program das Erlernen der Muttersprache noch weitgehend in das schulische Curriculum integriert, so hat in den 1990er Jahren ein politischer Umschwung in Kanada dazu geführt, dass die Einbindung in das schulische Curriculum nicht mehr zwangsläufig ist, sondern durch ehrenamtliche Helfer erfolgt, zu denen auch ältere Schüler oder Eltern ge- hören können. Zwar wird der Unterricht in den Räumen der Schule angeboten, er wird jedoch immer weniger als notwendiger und integraler Bestandteil der Erziehung der Kinder begriffen. Das Ausmaß der institutionellen Integration die- ser Sprachausbildung wird nun wesentlich durch schulpolitische Prioritäten der jeweiligen Provinzen und, dies sollte nicht vernachlässigt werden, durch die Grö- ße und Einflussnahme der jeweiligen kulturellen Community bestimmt, wenn sie ein Interesse daran hat, dass die Muttersprache ihrer Herkunftsländer weiterhin präsent sein soll (York University, Protokoll). Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung 87 Abb. 69: Schulklasse in Toronto Der Austausch der Kulturen findet zudem über das volunteering statt, welches in kanadischen Schulen einen großen Stellenwert hat. Dabei handelt es sich um den vielfältigen Einbezug von freiwilligen Helfern, insbesondere der Eltern, in den Schulbetrieb. Diese Unterstützungsfunktion bezieht sich nicht allein auf die vielfältigen gesellschaftlichen Aktivitäten in Form von Schul- und Klassenfesten, sondern umfasst auch die Mithilfe beim Unterricht, wo es den Eltern ermöglicht wird, über ihre Religion, ihre kulturellen Riten und Sitten ihrer Heimatländer zu berichten (Nelson Mandela Park Public School, Protokoll). Der Junge oder das Mädchen nebenan sieht nicht nur anders aus, er oder sie hat eine andere Mutter- sprache, glaubt an einen anderen Gott und die kulturellen Riten des Alltags sind zudem unterschiedlich. Diese Konfrontation mit dem Fremden verstärkt nicht die Distanz, sondern verwandelt sie in einen integralen Bestandteil der alltägli- chen Normalität von Schulkindern. Und in dieser alltäglichen Normalität ist die kulturelle Unterschiedlichkeit zwangsläufig jeglichem Austausch zwischen den Schülerinnen und Schülern wie auch mit dem Lehrpersonal immanent. Die Ver- ankerung in der eigenen Kultur, so die stets präsente These, schafft die notwendi- ge Sicherheit für die Offenheit und den Austausch mit dem Fremden. Auf den ersten Blick scheint dieses Bild, welches wir in den besuchten Schulen in Toronto gewonnen haben, sich diametral von dem deutschen Schulalltag zu un- terscheiden. Jedoch unterscheidet sich die aktuelle Schulpolitik in Kanada nicht wesentlich von der deutschen Realität. Auch dort opponieren verschiedene Pro- vinzen gegen die zentralen Richtlinien, auch dort werden, gerade mit Zunahme der kulturellen Vielfalt, die Ausgaben für den muttersprachlichen Unterricht als Geldverschwendung kritisiert, negative Auswirken auf das Erlernen der curricu- laren Kernfächer befürchtet und eine Überforderung der Schüler prognostiziert. Schule als Ort des kulturellen Austausches 88 Und gleichermaßen gibt es in beiden Ländern die latente Angst vor der ‚Balka- nisierung‘, der Aufweichung der kulturellen Grundfesten einer als kulturell mo- nolithisch verstandenen Gesellschaft (Baker; Hornberger 2001: 251; Cummins; Danesi 1990). Die zahlreichen empirischen Ergebnisse über die positiven Aus- wirkungen auf die schulischen Fähigkeiten der Kinder, die positiven Auswirkun- gen, die aus der bewussten Konfrontation mit dem Fremden im schulischen All- tag resultieren, sind uns Grund genug, die Notwendigkeit des muttersprachlichen Unterrichtes gegen den aktuellen politischen Mainstream in der Schulpolitik zu betonen. Abschließend möchten wir auf einen weiteren Punkt verweisen, der die Relevanz von Zweisprachigkeit deutlich macht. Im Gegensatz zu den frühen Formen der Zuwanderung Anfang des letzten Jahrhunderts, haben wir es heute immer häufiger mit dem Phänomen der Transmigration zu tun: Die grenzüberschreitende Wande- rung wird immer seltener als ein einmaliger, abschließbarer Prozess vollzogen. Vielmehr halten Zuwanderer auf vielfältige Weise die Verbindung zu Menschen und Institutionen in der Region ihrer Herkunft, einschließlich der wiederholten, zeitweisen Lebensführung dort (Pries 1998, 2000; Appadurai 1998). Community als Form des kulturellen Austausches In den Ausführungen zur Schule als Ort des Austausches dürfte deutlich gewor- den sein, welche zentrale Rolle in Toronto die Community für das soziale Zusam- menleben im Quartier spielt. Eltern engagieren sich in einem besonderen Maße als Freiwillige in diversen schulischen Aktivitäten. Dies funktioniert nicht von selbst, sondern wird von den Schulen aktiv eingefordert. Teilweise stellen Schu- len nach interner Abstimmung und gegen die Vorgaben der Kultusbürokratie fest eingestellte Lehrer mit einem Teil ihrer Arbeitszeit für derartige Außenkontakte von ihren Lehrverpflichtungen frei. Insofern spielt die Schule häufig eine zentrale Rolle als Mittelpunkt des Austausches, auch für die Eltern der dort unterrichteten Kinder. Auf Grund der kulturellen Vielfalt innerhalb der Communities und Nachbar- schaften beschränkt sich der Austausch hier nicht auf den Dialog mit weitgehend Gleichgesinnten. Der Austausch muss sich den Spannungen stellen, die aus den unterschiedlichen Normen, Interessen und Befindlichkeiten der beteiligten kultu- rellen Gruppen in Bezug auf die Schulausbildung ihrer Kinder, den kulturspezi- fischen Regeln des gegenseitigen Umgangs, bestimmten Empfindsamkeiten usw. resultieren. Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung 89 Die Konfrontation mit den jeweils fremden kulturellen Vorstellungen und In- teressen ist jedoch nicht allein auf die Schulen beschränkt. Ob es sich um die Community in den Gebäuden bestimmter Wohnungsbaugesellschaften oder die Community in einer der zahlreichen Nachbarschaften handelt, stets sind die Men- schen konfrontiert mit anderen Menschen, deren Muttersprache ihnen nicht nur fremd ist, sondern diese Fremdheit auch deren kulturelle Normen, Interessen und Lebensstile umfassen kann. Wir haben diese Variante des kulturellen Austausches innerhalb der Community, die aus den weit reichenden Partizipationsmöglichkei- ten resultieren, beispielhaft am Tenant Participation System (TCHC 2005f) der Toronto Community Housing (TCHC) und der St. Lawrence Neighbourhood As- sociation (SLNA) untersucht und in dem Kapitel Steuerung durch interkulturellen Dialog ausführlich dargelegt. Die durch die intensive Partizipation ermöglichte Auseinandersetzung mit fremden Vorstellungen, Normen und Interessen anderer Mieterinnen und Mieter wird in der St. Lawrence Neighbourhood Association zu- dem potenziert, da hier diverse Ladenbesitzer, Kleingewerbetreibende usw. ihre spezifischen Interessen artikulieren. ‚Art starts’ ist aktuell eines der erfolgreichsten kunst(pädagogischen) Projekte in Toronto mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf der Kinder- und Jugendarbeit. Auch hier stehen nach Aussage der leitenden Managerin (Art Starts, Protokoll) die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen den Kulturen mit dem Ziel des Aufbaus stabiler Nachbarschaften und Communities explizit im Zentrum deren Arbeit. Im monatlichen Wechsel werden professionelle Künstler aus den Berei- chen Theater, Musik und Bildende Kunst engagiert, die Kurse anbieten (z.B. Hip- Hop, Steptanz etc.) oder Projekte initiieren (z.B. im Rahmen eines Sommercamps in den Schulferien). Die Künstler haben die unterschiedlichsten kulturellen Hintergründe und kom- men aus der Region Toronto. Das Projekt, welches 1992 gegründet wurde, ist ausführlich im Kapitel Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt beschrieben. Mit der gleichen Intention arbeitet auch das Kuddelmuddel-Theater (Jumblies Theatre). Das Oral History Museum als Form des kulturellen Austausches Untergebracht in einer Villa auf dem Universitätscampus erweist sich das Oral History Museum der Multicultural History Society (MHSO) als soziales Gedächt- nis der Einwanderungsstadt Toronto. Die Multicultural History Society wurde 1976 von Wissenschaftlern, Bibliothekaren, Archivmitarbeitern etc. gegründet Community als Form des kulturellen Austausches 90 und wird vom Land Ontario gefördert. Sie arbeitet mit allen Universitäten des Landes zusammen. Mit einem kleinen Stab von Professionellen wurde ein riesi- ges Archiv von Interviews, Fotos und Dokumenten aufgebaut, die entweder im eigenen Haus, mehrheitlich aber in den großen Archiven Torontos lagern. Nach außen tritt die Organisation durch ihr Bulletin in Erscheinung, die Zeitschrift Polyphony, durch Publikationen, durch Ausstellungen, die sie an anderen Orten zeigt, durch kleine Ausstellungen im eigenen Haus, durch Veranstaltungen, durch museumspädagogische Arbeiten und, seit Herbst 2004, durch das Oral History Museum. Einer der größten Schätze des Museums sind nach Aussage der Leiterin seine Ar- chive, insbesondere das Tonarchiv. Über 9000 Stunden Interviews mit Angehöri- gen von 60 in Toronto lebenden kulturellen Gruppen sind bereits gesammelt und werden nach und nach digitalisiert (Oral History Museum Protokoll). Das gespro- chene Wort als Medium schließt hier gerade diejenigen ein, die durch die Schrift- sprache eher ausgeschlossen oder üblicherweise zum Objekt der Forschung wer- den. Das Projekt „Telling lives“ animiert Menschen unterschiedlicher Herkunft, von sich und ihren Familien zu erzählen und damit aktiv zu partizipieren. In digital aufgenommenen Interviews von 5 bis 10 Minuten Dauer können Besu- cherinnen und Besucher Begebenheiten aus ihrem Leben erzählen. Das Museum bringt so die Vielstimmigkeit (multivocality) Torontos zum Klingen. Die Muse- umsmacher machen damit deutlich, dass ihnen die Erinnerungen der Menschen genau so wichtig sind wie (offizielle) Bild- oder Textdokumente oder wissen- schaftliche Werke: „Mündliche Geschichte ist die Visitenkarte der Multikuturel- len Historischen Gesellschaft (Multicultural History Society) geworden, ein Sym- bol der Bereitschaft, die Erinnerungen der Einwanderer als ebenso stichhaltiges wie archivarisches Material zu begreifen und Individuen von verschiedenartigen Communities als Produzenten von Geschichte zu erkennen.“ (OHM 2005) Der zweite große Schatz des Museums ist sein über Jahrzehnte aufgebauter Trä- ger- und Freundeskreis, der zum einen über die umfangreiche ehrenamtliche Ar- beit von Professionellen, z.B. der Vertreterinnen und Vertreter der Communities, die Sammlung und ihre Bewahrung möglich machte, der zum anderen eine Ver- trauensposition in vielen Communities schaffte, ohne die die vielen Interviews und die zahlreichen Schenkungen von Fotos, Dokumenten oder Sammlungen un- denkbar wären. Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung 91 Lebensstil als Form des kulturellen Austausches Eine weitere Form des kulturellen Austausches findet über einen Lebensstil statt, der die kulturelle Vielfalt der Stadt als Reservoir von reizvollen Anregungen und Optionen begreift. Auf den ersten Blick dem funktionalen Austausch arbeits- teiliger Gesellschaften vergleichbar, geht es hier nicht allein um den Konsum bestimmter Produkte oder Dienstleistungen, sondern um die Zelebrierung eines bestimmten Images, welches die jeweiligen Produkte und Dienstleistungen prägt. Die Realisierung dieses Lebensstils ist nicht auf einen bestimmten Ort fixiert, sondern findet, je nach anvisiertem Ziel und Zweck an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten statt. Die Anzeige eines amerikanischen Reiseun- ternehmens bringt das Image in seiner für Toronto typischen Art treffend auf den Punkt: „Sie können die Espressobars auf Little Italy‘s College Street besuchen, können auf der Danforth Avenue spät nachts Mezes (griechische Tapas) haben oder den Atem des globalen Handels des Kensington-Marktes schnuppern, wo es europäischen Käse und Wurstgeschäfte gibt, gleich um die Ecke neben einer karibischen Bude mit Meeresfrüchten und einem südamerikanischen Empanada- Verkäufer.“ (Lonely Planet 2005) Wenn die Stadt Toronto mit dem Image ‚Vielfalt ist unsere Stärke‘ nach außen wirbt, so macht sie deutlich, dass sie die kulturelle Vielfalt in Folge der Zuwan- derung als positives Merkmal, als Stärke und nicht als Problem begreift. Diese Wertschätzung von Zuwanderung ist vielmehr Grundlage dafür, dass das multi- kulturelle Bild der Stadt in Toronto extensiv nach außen vermarktet wird. China- town, Little India, Little Portugal, GreekTown, Koreatown usw. werden nicht nur im touristischen Angebot der Stadt vermarktet, sondern bis in die zweisprachigen Namensschilder der Straßen deutlich akzentuiert. Die kulturelle Vielfalt dient hier als Standortfaktor in der Städtekonkurrenz um Touristen wie auch um die Ansiedlung von internationalen Firmen, für die Internationalität eine Ressource darstellt: Benötigt man eine Übersetzung in eine nordindische Sprache oder einen Kontakt zur äußeren Mongolei, so ist dies relativ einfach zu organisieren. Daher ist der Besuch eines der bekannten ‚ethnischen Dörfer‘ ein integraler Bestandteil einer Städtereise nach Toronto, obwohl diese in ihrer aktuellen kulturellen und sozialen Zusammensetzung kaum mehr diesem Image entsprechen. Vielfalt ist jedoch auch intern von Relevanz, als sie sich mit bestimmten Le- bensstilen verbindet, die in dem Konsum und dem Genuss des Fremden sich ze- lebrieren. Konsum und Genuss beziehen sich dabei nicht nur auf den Genuss italienischer Speisen und Getränke, sondern auf einen Lebensstil, dem das Etikett ‚mediterran‘, ‚asiatisch’ oder ‚orientalisch’ entspricht. Dieser Lebensstil findet in Toronto vielfältige Ausformungen. Lebensstil als Form des kulturellen Austausches 92 Abb. 70: Taste of Italy In seiner italienischen Variante okkupiert er die College Street zwischen Bathurst Street und Shaw Street, wo die italienische Wohnbevölkerung nur noch eine Min- derheit ausmacht: „Hip, raffiniert und mit dem Wunsch nach dem Anderswo, ist Little Italy Torontos Hauch von Europa entlang der College Street West. Stets be- lebt durch Menschen, präsentiert sich das Gebiet mit einem verwirrenden Angebot von coolen Cafes, einzigartigen Geschäften und guten Restaurants.“ (Toronto’s neighbourhoods 2005). In den nach außen orientierten Restaurants und Bars, den wenigen italienischen Geschäften und Dienstleistungen wird dies offensichtlich – und insbesondere an den Wochenenden und bestimmten katholischen Feierta- gen im Juni, wo große Teile der italienischen Community und die Anhänger des italienischen Lebensstils sich zum Stelldichein dort treffen. Sei es die griechische Kultur der GreekTown in der Danforth Street – „Auf der Danforth durch GreekTown zu bummeln, ist zu jeder Uhrzeit eines von Torontos besonderen gesellschaftlichen Vergnügen. Ganze Familien spazieren entlang und halten an, um mit Freunden zu plaudern oder in einem Café auf dem Bürger- steig ein Getränk oder eine Kleinigkeit zu genießen.“ (TABIA 2005) – oder die Exotik eines Little India auf der Gerrard Street zwischen Coxwell Avenue und Greenwood Avenue – „Spazieren sie die bunte Gerrard Street in Toronto entlang und sie sehen Hunderte von Sari-Boutiquen, Goldschmuckgeschäfte, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte und nicht weniger als fünf Paan-Läden! Dies ist auch weiterhin das lebhafteste Little India. Sie werden einen Mikrokosmos sehen von Sikhs in Turbanen aus Südasien, Frauen mit Hijabs, Menschen aus Sri Lanka, Muslime aus vielen anderen Ländern neben Indern, Pakistanern und Banglade- schies sowie Arabern und Afghanen.“ (Little India 2005) – oder die chinesisch- asiatischen Varianten (z.B. Chinatown East, Chinatown West und Markham/Mil- Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung 93 Abb. 71: Community Garten in Regent Park liken), die sich nicht nur auf deren Lebens- und Nahrungsmittel bezieht, sondern zugleich philosophische und religiöse Anschauungen mit einschließt. Stets steht das Erleben fremder Kultur mit ihren vielfältigen Genüssen etc. im Zentrum. Der Genuss kulturell fremder Lebensstile lässt sich auch in den vielfältigen Va- rianten von Community-Gärten (FoodShare 2005; Rosol; Weiß 2004) erfahren. Mehr als 120 dieser Gärten sind in Toronto inzwischen vorwiegend in städtischen Parks oder auf dem Gelände von öffentlichen Einrichtungen angesiedelt. So ka- men z.B. in dem Projekt von FoodShare ‚Seeds of Our City‘ (Samen unserer Stadt) vorwiegend Frauen zusammen, die individuell oder auch gemeinschaftlich Gemüse und Kräuter ihrer jeweiligen Herkunftsländer anbauen. Bei den gegenseitigen Besuchen der Gärten wurden nicht nur Samen und Erfah- rungen ausgetauscht, sondern auch die produzierten Nahrungsmittel, die daraus zubereiteten Gerichte und die zahlreichen Geschichten aus den jeweiligen Her- kunftsländern. Torontos Caribana Festival, eines der weltweit größten Straßenfeste, ist gleicher- maßen ein Synonym für den intensiven Austausch zwischen den Kulturen. Dieses Fest, welches stets in der zweiten Julihälfte stattfindet, zieht jährlich über eine Million Besucher an und bedarf einer intensiven Vorbereitung. Es handelt sich dabei vorrangig nicht um eine exotische Präsentation kultureller Vielfalt, son- dern ist vielmehr Ausdruck einer hybriden Verschmelzung unterschiedlicher kul- tureller Ausdrucksformen. Auf der Karnevaltradition von Trinidad und Tobago basierend, mischen sich im Ursprung von Caribana die Fackeln, Trommeln und afrikanischen Zeremonien der Sklaven mit den kostbaren Fantasiekostümen der Lebensstil als Form des kulturellen Austausches 94 Abb. 72: Kultureller Austausch Plantagenbesitzer. Die aufwendige Herstellung dieser Kostüme wird auch noch heute an die kommende Generation weitergegeben. In den gemischten Tanz- und Musikgruppen verschmelzen bis heute kulturelle Einflüsse aus zahlreichen Län- dern dieser Welt zu einem einzigartigen Konglomerat, welches dieses Festival auszeichnet (Caribana 2005). Eine beeindruckende Erfahrung während eines Torontobesuches ist, neben dem Niederschlag der Vielfältigkeit der Kulturen im baulich-räumlichen Ensemble der Stadt und ihren Festen, die Präsenz der unzähligen kulturell gemischten Gruppen selbst auf den oberen Hierarchieebenen im Managementbereich. In unseren zahl- reichen Gesprächen mit Repräsentanten von Schulen, Hochschulen, Wohnungs- baugesellschaften, Museen usw. waren wir fast durchgängig konfrontiert mit Menschen mit unterschiedlichsten Migrationshintergründen. Dies gilt gleicher- maßen auch für den Stadtrat der Stadt Toronto (Toronto Council 2005). Der kulturelle Austausch in der sozialen Hierarchie reduziert sich in Toronto nicht auf eine Einbahnstraße, er findet gleichermaßen von unten nach oben statt: Un- tergebene treffen auf Vorgesetzte mit Migrationshintergrund, Kinder oder Schüler auf Erzieherinnen bzw. Lehrerinnen anderer Kulturen. Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung 95 Abb. 73 - 76: Szenen beim Beachvolleyball in Toronto Ebenso differenziert zeigte sich die kulturelle Vielfalt bei den sportlichen und kulturellen Freizeitaktivitäten in den Parks und Freiflächen der Stadt. Ein illuste- res Beispiel dafür ist der Dufferin Grove Park in Downtown Toronto. Sieht man von der weitgehend multikulturellen Zusammensetzung der Fußball-Bundesliga- Vereine ab, der kulturellen Vielfalt in den Eishockey- und Leichtathletikvereinen der größeren Städte, so dominiert im Bereich der individuellen Freizeitaktivitäten in Deutschland weiterhin die kulturelle Separierung. Und nicht zuletzt prägt das offizielle Motto Torontos ‚Vielfalt ist unsere Stärke‘ selbst den privatesten Bereich der Menschen. In einem nicht zu übersehenden Ausmaß sind im öffentlichen Stadtraum kulturell gemischte Paare aller Alters- gruppen ubiquitär präsent. Lebensstil als Form des kulturellen Austausches 96 97 „Ein Dialog hat etwas von gemeinschaftlichem Teilhaben, bei dem wir nicht gegeneinander spielen, sondern miteinander. In einem Dialog gewinnen alle.“ (Bohm 1998: 37) Dialogprozesse sind die stärkste Form des kulturellen Austausches. Ist der Pla- nungsbereich interkulturell geprägt, so muss sich eine dialogische Steuerung daran messen lassen, inwieweit sie die interkulturelle Vielfalt in ihr Handeln einbezieht. Im Folgenden wird die Unternehmenspolitik der städtischen Woh- nungsgesellschaft Torontos in ihren zentralen Gechäftsbereichen Wohnen und Stadterneuerung als Experiment für die Steuerung durch interkulturellen Dialog dargestellt. Es soll beispielhaft nachgezeichnet werden, wie ein öffentliches Woh- nungsunternehmen versucht, das Management städtischer Großwohnsiedlungen mit einer interkulturell zusammengesetzten Bevölkerung partizipativ zu gestal- ten. Dass sich das größte Wohnungsunternehmen der Metropole Toronto mit einer heterogenen und problembelasteten Mieterschaft einer dialogischen Steuerung verschreibt, die die interkulturelle Vielfalt ausdrücklich repräsentiert, ist auch in Kanada die Ausnahme, wie eine empirische Untersuchung der Planungspraxis Torontos nachweist (Milroy; Walace 2002: 7). Wir stoßen hier auf ein beachtens- wertes Novum, das es sich näher zu betrachten lohnt. Profil des Unternehmens Die Toronto Community Housing Corporation (TCHC) ist die größte Anbieterin von öffentlich geförderten Wohnungen in Kanada. 164.000 Menschen leben in den 58.000 Wohneinheiten des Unternehmens über die gesamte Region Torontos verteilt. Das sind 6% der Bevölkerung von Toronto, Bewohnerinnen und Bewoh- ner aus allen Teilen der Welt, die insgesamt mehr als 100 Sprachen sprechen. Um ein bewohnernahes Management zu ermöglichen, wurde der Wohnungsbestand in 27 Wohnbezirke (Community Housing Units) untergliedert. Die Wohnungsgesellschaft entstand 2002 durch Zusammenlegung der Woh- nungsbaugesellschaften der Stadt und der Region Toronto. Die Stadt Toronto ist nunmehr alleinige Gesellschafterin. Die Wohnungsgesellschaft beschäftigt 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Abbau staatlicher Förderung des Sozialen Steuerung durch interkulturellen Dialog – Wohnungsbau und Stadterneuerung als Experiment 98 Wohnungsbaus in Kanada und der schrittweise Übergang der Verantwortlichkeit auf die Stadt Toronto stellen das Unternehmen vor große Probleme. 30% der Bewohnerinnen und Bewohner des Unternehmens leben bereits gegenwärtig von Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe. Auf der Warteliste für Sozialwohnun- gen stehen überwiegend Empfänger staatlicher Transferleistungen (61%). Da sich für gering Verdienende die Mieten nach den Einkommen richten, bedeutet das in Zukunft eine gravierende Verringerung der Mieteinnahmen für die Gesell- schaft, die gegenwärtig fast ausschließlich aus einkommensabhängigen Mieten (rent-geared-to-income) bestehen und etwas mehr als die Hälfte des Budgets des Unternehmens ausmachen (TCHC 2005a). Der Wohnungsbestand der Gesellschaft hat ein durchschnittliches Alter von 33 Jahren, die ältesten Wohngebäude sind 48 Jahre alt. Schlechte Bausubstanz und ein aufgelaufener Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf haben zur Ent- scheidung geführt, einige Gebiete von Grund auf zu erneuern. So wird z.B. im Nachbarschaftsbezirk Regent Park das gesamte Wohngebiet mit 2.100 Wohnein- heiten abgerissen und komplett erneuert. Ausländische und eigene Erfahrungen bilden die Orientierung. Vor allem der Nachbarschaftsbezirk St. Lawrence steht hier für eine soziale Wohnungspolitik, die es trotz Aufwertungsdruck auch gering Verdienenden ermöglicht, preiswerte Wohnungen in zentraler Stadtlage zu be- wohnen (GHK International 2003). Wir werden weiter unter den Prozess betrach- ten, wie aus der Monostruktur einer Wohnsiedlung mit ausschließlich Sozialwoh- nungen ein sozial-strukturell gemischtes, urbanes Gebiet mit Läden, Gewerbe und Dienstleistungen werden soll, ohne dabei die angestammte Bevölkerung zu verdrängen. Die städtische Wohnungsgesellschaft befindet sich seit ihrer Neugründung 2002 auf dem Weg einer grundlegenden Erneuerung ihrer Unternehmensstrukturen und Arbeitsweisen. Ziel ist eine partnerschaftliche Form der Unternehmensführung, die als Steuerung durch Dialog bezeichnet werden kann. Im Jahresbericht 2004 verpflichtet sich das Unternehmen, „in Zusammenarbeit mit der Mieterschaft, den wichtigen Serviceeinrichtungen und anderen Interessengruppen, starke und stabile Wohnviertel zu schaffen.“ (TCHC 2004a). Dies ist vergleichbar dem Ziel des deutschen Stadterneuerungsprogramms Soziale Stadt, nachhaltige und selbst- tragende Strukturen zu schaffen. Steuerung durch interkulturellen Dialog 99 Steuerung durch Dialog als Grundpfeiler der Unternehmenspolitik Wir sprechen von Steuerung durch Dialog, wenn Stadtentwicklungsprozesse oder ein Unternehmen unter maßgeblicher Beteiligung der relevanten Akteure im Handlungsbereich gesteuert werden. Wenn Bürgerinnen und Bürger, Mieterin- nen und Mieter an solchen Entscheidungsprozessen mitwirken, so ist dies nicht mehr die klassische Bürgerbeteiligung, die sich in der Äußerung von Anregungen und Bedenken erschöpft, sondern diese Form der Bürgermitwirkung ist orientiert an Partnerschaft und Mitverantwortung. Das Management gibt zwar nicht die Verantwortung ab, lässt aber die Unternehmensentscheidungen wirksam beein- flussen. Auf dem Arnsteinschen Partizipationskontinuum wird Partnerschaft und Teilhabe an Entscheidungen als bedeutungsvolle Partizipation gewertet (Arnstein 1969). In Stadtentwicklungsprozessen bedeutet dies, dass die beteiligten Bürgerinnen und Bürger spürbar auch auf die Gestaltung ihres Wohngebiets Einfluss nehmen können. Einfluss und Entscheidungskompetenzen sind jedoch nur die formale Seite, im Kern geht es um das Abgleichen und Verhandeln von Interessen aller Beteiligten (Becker; Löhr 2000: 2). Dies ist ein dialogischer Prozess, der seine ganz eigenen Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktlösungsstrukturen entwickeln muss. Wo unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen, bedarf es in- terkultureller und kultursensibler Kommunikationsstrukturen und Arbeitsweisen, um die Vielstimmigkeit der Beteiligten hörbar zu machen (Healey 2002: 1788). Auf diese kann man nicht einfach zurückgreifen, sondern sie müssen in einem Lernprozess quasi erst erfunden, erprobt und weiterentwickelt werden. Ein moti- vierendes Lernmilieu, das alle Teile eines Unternehmens oder eines Systems ein- schließt, ist eine der Grundbedingungen. Erfolg misst sich dann daran, ob Lernen möglich ist und sich Verständnis und Verständigung entwickeln. In interkulturel- len Zusammenhängen misst sich der Erfolg daran, ob die Vielfalt der kulturellen Gruppen wirksam repräsentiert ist. „Das Entscheidende im Dialog zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Kulturen ist oft die Geste.“ (SAID 2004: 29) Voraussetzung einer Politik des Dialogs in einem Wohnungsunternehmen ist die Anerkennung und Wertschätzung der Unterschiedlichkeit von Menschen mit un- terschiedlichen Lebensstilen und Werten sowohl im eigenen Unternehmen wie in der Mieterschaft. Das städtische Wohnungsunternehmen Torontos macht in diesem Punkt die kanadischen Grundwerte der Antidiskriminierung und Gleich- behandlung, wie sie in der Verfassung Kanadas verankert sind (vgl. das Kapitel Vielfalt ist unsere Stärke), zu den Prinzipien seiner Unternehmenspolitik. Entspre- Steuerung durch Dialog als Grundpfeiler der Unternehmenspolitik 100 chend wird Vielfalt nicht auf nationale Herkunft oder Sprachgruppen beschränkt, sondern umfasst alle kulturellen und individuellen Lebensstile, ausgedrückt über Merkmale wie Alter, Bildung, sexuelle Orientierung, geistige und körperliche Behinderungen, Religion, Lebensstil und Wertorientierung. Anerkennung der Vielfalt gilt nicht nur für die heterogene Bewohnerschaft des Unternehmens, son- dern ebenso für die interkulturelle Zusammensetzung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unsere Gesprächspartnerinnen und -partner im Unternehmen waren z.B. über- wiegend nicht britisch-kanadischer Herkunft, sondern sie selbst oder ihre Eltern stammten aus Italien, Lateinamerika, Somalia und anderen Teilen der Erde. Die hiermit verbundene Sprachvielfalt wird vom Unternehmen als hoher Wert erach- tet. Die Anerkennung der Vielfalt äußert sich auf jeden Fall auch darin, dass alle wichtigen schriftlichen Informationen in mehreren Sprachen, z.B. Bengali, Chi- nesisch, Somali, Spanisch, Tamil, Vietnamesisch und Französisch abgefasst wer- den. Auf Versammlungen und bei Beratungen stehen Dolmetscher zur Verfügung. Diese werden nach Möglichkeit, häufig gegen ein Honorar, aus der Bewohner- schaft rekrutiert. Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau Die Organisationsentwicklung umfasst alle Ebenen des Unternehmens: Vorstand, Geschäftsführung, Abteilungsleiter, Sekretärin, Wohngebietsmanager, Gebiets- beauftragte und die Bewohnerinnen und Bewohner. Zur Unterstützung der Verän- derungen wurde ein umfassendes Trainings- und Fortbildungssystem eingeführt. 2004 fanden die ersten Trainingskurse für Mitarbeiter des Unternehmens und Mietervertreter statt, um beiden bei der Rollenfindung in ihren neuen Aufgaben als lokale Entscheidungsträger zu helfen. Ziel des Trainings war es, bei Mitar- beitern und Bewohnern Verständnis für ihre neuen Rollen und Verantwortungen sowie die sich bietenden Möglichkeiten aber auch die Sachzwänge zu wecken, wenn es darum geht, gemeinsam an Aufgaben und Strategien zu arbeiten. Durch die Fortbildungsanstrengungen im Unternehmen ist es inzwischen mög- lich, Trainerinnen und Trainer häufig aus den Reihen der Mitarbeiter selbst zu rekrutieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmen ihren Bedarf an Schulungen inzwischen selbst und entwickeln ihre eigenen Schulungspläne. Zur Fortbildung gehört auch die Teilnahme an Tagungen und Veranstaltungen. Um kennenzulernen, wie anderswo mit der Demokratisierung öffentlicher Aufgaben experimentiert wird, wurden 2004 drei Repräsentanten aus Porto Alegre (Brasi- lien) zu einem von der Wohnungsgesellschaft in Kooperation des Ontario Insti- Steuerung durch interkulturellen Dialog 101 tute of Studies in Education (OISE) veranstalteten internationalen Symposium eingeladen. Die Stadt Porto Alegre ist inzwischen international über ihre Erfolge in der Demokratisierung der kommunalen Haushaltsplanung bekannt. Seit 1989 wirken an der Entscheidung über den Investitionsplan der Millionenstadt zahl- reiche Bürgerorganisationen, Bürgerinnen und Bürger in einem dezentralen Ent- scheidungsprozess mit (siehe folgenden Kasten). Aufgrund der Begegnungen mit den Vertretern aus Porto Alegre auf dem Symposium entsandte die Wohnungsge- sellschaft anschließend eine Delegation aus Mietern, Vorstand und Mitarbeitern des Unternehmens auf das Sozialforum nach Porto Alegre. Als Ergebnis dieses Austauschs wurde eine Partnerschaft mit der Stadtentwicklungs- und Wohnungs- abteilung der Stadt Porto Alegre eingegangen. Der Bürgerhaushalt von Porto Alegre In Porto Alegre, der 1,3 Mio. Einwohner zählenden Stadt im südlichsten Bundes- staat Brasiliens, Rio Grande do Sul, bestimmen seit 1989 die Bürgerinnen und Bürger über den Investitionshaushalt maßgeblich mit. Das ausgeklügelte Beteili- gungsverfahren hat die politische Kultur in Porto Alegre grundlegend verändert. Inzwischen hat das Beispiel Schule gemacht. Allein in Brasilien demokratisieren 70 weitere brasilianischen Städte ihre Haushaltsplanung nach dem Vorbild Porto Alegres. Doch auch andere Länder, wie Argentinien oder Südafrika, orientieren sich an der partizipativen Haushaltsplanung Porto Alegres. Inzwischen ist das Modell weltweit bekannt geworden, und seine Erfolge wurden durch internationale Organi- sationen bestätigt. Auf der Habitat II in Istanbul wurde der Bürgerhaushalt von Porto Alegre als eine der weltweit bedeutsamsten Beispiele für Partizipa- tion und Bürgerengagement gewürdigt (vgl. Herzberg 2002). Abb. 77: Mieterin und Delegier- te für das Sozialforum in Porto Alegre Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 102 Partizipation und Dialog Partizipation im Vorstand und bei der Finanzplanung Bei der Frage, ob Partizipation und Dialog bedeutungsvoll sind oder lediglich ein Mittel der Beschwichtigung darstellen (vgl. Arnstein 1969), muss gefragt wer- den, ob die Beteiligten an wesentlichen Entscheidungen beteiligt sind. Die Frage lautet: Wer sitzt an dem Tisch, an dem wesentliche Entscheidungen getroffen werden? Die entscheidenden Stellen in einem Unternehmen sind zweifellos der Vorstand und die Finanzplanung. Es zeigt sich, dass die Partizipation der Mie- terinnen und Mieter der städtischen Wohnungsgesellschaft tatsächlich um die- se strategischen Stellen des Unternehmens organisiert ist: Im 13-köpfigen Vor- stand bestimmen je eine Mieterin und ein Mieter über die Unternehmensziele mit (TCHC 2004b). Der Investitionshaushalt des Unternehmens mit einem Volumen von 9 Mio. C$ wird seit drei Jahren mit einer breiten Mieterbeteiligung nach dem Vorbild des Bürgerhaushalts von Porto Alegre festgelegt. Partizipation bei Investionen im Wohnquartier Seit 2004 entscheiden Mieterinnen und Mieter, unter ihnen ein Jugendlicher, auch über Investitionen in den Wohnquartieren mit, die aus dem Sozialen Investions- fond des Unternehmens (Social Investment Fond) mit einem Volumen von 1 Mil- lion C$ pro Jahr gefördert werden (TCHC 2005b). Abb.78: Mitglieder des Vor- standes der städti- schen Wohnungsge- sellschaft Torontos Steuerung durch interkulturellen Dialog 103 Partizipation über den förmlich gewählten Mieterbeirat Weitere Partizipationsmöglichkeiten ergeben sich über den förmlich gewählten Mieterbeirat (tenant participation system), dessen 360 Mitglieder die Mieterin- teressen auf der Ebene des Wohnbezirks (Community Housing Unit) vertreten (TCHC 2005c). Die Regelungen für den Mieterbeirat sind in einem Verhaltens- kodex festgelegt (TCHC 2005d). Probleme ergeben sich hierbei zum Teil in der Frage der ausgewogenen Vertretung. Im Nachbarschaftsbezirk Regent Park z.B. vertreten zur Zeit 10 Repräsentanten die insgesamt 7.500 Bewohnerinnen und Bewohner. Gegenwärtig sind neun davon muslimische Bengali. Die Direktorin für Mietangelegenheiten und soziale Dienste führte dies auf das hohe Engage- ment und die gute Vernetzung der bengalischen Community zurück. Sie sah diese kulturell unausgewogene Vertretung als eine Herausforderung für die Weiterent- wicklung der Mieterpartizipation an (TCHC, Protokoll a). Partizipation am Geschäfts- und Maßnahmenplan des Unternehmens Seit 2004 haben Mieterinnen und Mieter auch bei der Aufstellung, Durchführung und Evaluation des Geschäfts- und Maßnahmenplans (Community Management Plan), dem wichtigsten Steuerungsinstrument des Wohnungsunternehmens, Sitz und Stimme. Bei der Umsetzung des Geschäfts- und Maßnahmenplans sind die gewählten Mietervertreter an den Maßnahmen und Initiativen in dem jeweiligen Wohnbezirk beteiligt, für die sie gewählt sind. Der Geschäfts- und Maßnahmen- plan leitet die Richtung der Unternehmenspolitik für jeweils drei Jahre. Bereits an der Entwicklung des ersten Geschäfts- und Maßnahmenplans nach der Gründung der Gesellschaft (Community Management Plan 2003-2005) nahmen mehr als 6.000 Bewohner, Mitarbeiter, Fachleute, Bürgerinnen und Bürger teil. Der zur Zeit gültige, zweite Managementplan für den Zeitraum 2005 bis 2007 nimmt die Erfahrungen der beiden Vorjahre auf und konkretisiert die vom Vorstand vorgege- bene strategische Richtung. Der Community Management Plan bildet die Grund- lage für alle Planungsprozesse einschließlich der Baufinanzierung und Planung, der Vermögensplanung und der bewohnerorientierten Planung. Er wird durch ei- nen Investitionsplan unterstützt, evaluiert und fortgeschrieben (TCHC 2005e). Partizipation in Initiativen Über die förmliche Mieterbeteiligung und die Mitwirkung in Entscheidungsposi- tionen hinaus und durch diese eröffnen sich vielfältige praktische Beteiligungs- möglichkeiten im Rahmen informeller Zusammenschlüsse und Gremien. Im Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 104 Bezirk Regent Park haben sich z.B. Mitglieder der Bangladesch-Community im Keller eines Wohnhauses ein bescheidenes Zentrum mit Gebetsraum, Clubraum, Sport- und Fitnessraum eingerichtet. Ein leergefallener Lagerraum wird von Jugendlichen für ihren Jugendclub ge- nutzt. An der Kirche befindet sich ein Gemeinschaftsgarten (community garden), einige Vorgärten werden von Mietern bewirtschaftet. Im Erdgeschoss eines Wohngebäudes betreiben Bewohnerinnen eine food bank (Verkauf billiger Lebensmittel). Solche Initiativen können unbürokratisch vom Gebietsmanager unterstützt werden. Der Gebietsmanager von Regent Park ver- tritt die Philosophie des community building, die auch das Unternehmen leitet, d.h. kulturelle Gruppen müssen gestärkt werden (community building), um fried- lich miteinander zu leben und ihre Stärken für die Allgemeinheit nutzbar zu ma- chen (TCHC, Protokoll a). Partizpation der Jugend Eine besonders wichtige Zielgruppe sind Kinder und Jugendlichen, die einen beträchtlichen Teil der Bewohner darstellen. Kinder und Jugendliche werden motiviert sich zu engagieren und ein starkes Selbstbewusstsein zu entwickeln; die Jugendlichen werden von Wohnungsunternehmen auch bei der Arbeitsplatz- suche und bei der Weiterbildung unterstützt. Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, erhalten Hilfe bei der Konfliktbewältigung. Es gibt im Geschäftsbereich der Wohnungsgesellschaft ein Jugendforum (Toronto Commu- nity Housing Youth Conference) und neuerdings eine Zeitung für die Zielgruppe der Jugendlichen. Um die Jugendlichen zur Teilnahme zu motivieren, veranstal- tet das Wohnungsunternehmen Wettbewerbe mit interessanten Preisen. So wur- de eine junge Mieterin wegen ihres prämierten Aufsatzes über das Jugendforum ausgewählt, an der Delegation nach Porto Alegre teilzunehmen. Aufgrund der Zusammenarbeit mit Schulen war während der Erkundungsphase im Rahmen der Revitalisierungsstudie für Regent Park die künftige Umgestaltung des Gebiets Thema im Schulunterricht. Dort entwickelten Tutoren mit den Schülern den Fra- genkatalog, mit dem die Schüler ihre Freunde, Familienangehörigen und Nach- barn zur Erneuerung des Wohnbezirks befragten. Die Ergebnisse der Befragung wurden von den Schülern auf einer Versammlung öffentlich vorgetragen (The Regent Park Collaborative Team 2002: 73). Steuerung durch interkulturellen Dialog 105 Partizipation bei der Erneuerung des Nachbarschaftsbezirks Regent Park Die grundlegende Erneuerung des Nachbarschaftsbezirks Regent Park wird spä- ter einmal die Bewährungsprobe für das dialogische Steuerungsmodell der Woh- nungsgesellschaft darstellen. Noch ist der Prozess erst am Anfang, so dass wir uns hier im Wesentlichen auf die Darstellung des Zustandekommens des Erneu- erungsplans (revitalization plan) und auf die wichtigsten Steuerungsstrukturen für die Umsetzung des Plans beschränken müssen. Wir machen eine weitere Ein- schränkung, indem wir hier den Schwerpunkt der Darstellung auf die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner legen. Regent Park ist eine der ältesten und größten Projekte des Sozialen Wohnungs- baus in Kanada. Errichtet wurde die Siedlung zwischen 1948 und 1959 anstelle eines von der Stadtregierung als Slum deklarierten Gebietes am östlichen Rand der Innenstadt Torontos. Die Gestaltung der Siedlung ist durch die englische Gartenstadtbewegung Ebe- neezer Howards inspiriert: eine weitgehend autofreie Siedlung, in der sich die Wohngebäude in eine grüne Parklandschaft streuen. Der nördliche Teil besteht aus zwei- und dreigeschossigen Wohnblocks, im süd- lichen Teil befinden sich auch einige Wohnhochhäuser. Im Gegensatz zu den umgebenden Quartieren ist Regent Park als reine Wohnsied- lung konzipiert. Als einzige infrastrukturelle Einrichtungen wurden Jahre nach Fertigstellung der Siedlung ein Community-Zentrum und ein Gesundheitszen- trum errichtet. Heute leben etwa 7.500 Menschen in den 2.087 Wohnungen in Regent Park. Planungskonzept und Gebäudetypen entsprach zur Zeit seiner Er- richtung den Vorstellungen des modernen Massenwohnungsbaus. Abb. 79: Regent Park am öst- lichen Rand der In- nenstadt Torontos. Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 106 Abb. 80 Regent Park, Dar- stellung des Archi- tekten J. E. Hoare Abb. 81: Regent Park, nördlicher Teil Abb. 82: Regent Park, südlicher Teil Steuerung durch interkulturellen Dialog 107 Doch das Planungskonzept hat sich nicht bewährt. Zudem haben sich der Zustand der Gebäude und das Wohnumfeld im Laufe der Zeit drastisch verschlechtert und es gibt einen enormen Bedarf an Instandhaltung und Modernisierung. Für den schlechten Zustand des Gebiets und das entsprechend negative Image werden in erster Linie der monostrukturelle Siedlungscharakter von Regent Park ohne aus- reichende Infrastruktur, Geschäfte, Cafés, Restaurants, Büros und andere Dinge, die ein städtisches Gebiet kennzeichnen, verantwortlich gemacht. Als besonders negativ werden immer wieder seine Insellage und die mangelhafte innere Erschließung bewertet, d.h. dass das Wohngebiet einerseits durch große Straßen von der umliegenden Stadt abgeschnitten ist und andererseits im Gebiet eine kleinteilige Erschließung durch Straßen, Wege und Plätze fehlt, wodurch kein lebendiges Straßenleben zustande kommt und die fehlende soziale Kontrolle den öffentlichen Raum unsicher macht. Da die Großsiedlung ausschließlich aus Sozialwohnungen besteht und nur gering Verdienende Zugang zu einer Sozialwohnung haben, konzentriert sich in Regent Park eine Armutsbevölkerung. War Regent Park von Beginn an eine Siedlung für ärmere Menschen, so nahm im Lauf der Jahrzehnte die kulturelle Vielfalt signifi- kant zu. Der Anteil an Neuzuwanderern ist dabei besonders hoch. Größere kultu- relle Gruppen unter den Einwohnern kommen dabei aus Somalia, Bangladesch, dem Kongo, Vietnam, China und Lateinamerika (The Regent Park Collaborative Team 2002). Neben vielen Problemen wird das dichte Netz an sozialen und kulturellen Einrich- tungen und vielfältigen (Bewohner)Initiativen als positiv bewertet und über eine hohe Verbundenheit der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Wohngebiet berichtet (Rowe 2004: 20). Besonders neu Zugewanderte haben starke kulturelle Bindungen im Wohngebiet entwickelt und möchten auch nach der Erneuerung im Gebiet bleiben (The Regent Collaborative Team 2002: 10). Der städtebauliche Planungsprozess zur grundlegenden Erneuerung begann 2001 mit einem Gutachten, in dem neben kanadischen Erfahrungen auch Erfahrungen aus USA und Australien ausgewertet wurden. Die Empfehlungen wurden auf der Grundlage von Befragungen aller relevanten Akteure in Regent Park, darunter auch die Steuerungsgruppe für die Erneuerung und die Organisationen der Mie- ter, erarbeitet. Die Erneuerung sieht ein urbanes Wohn- und Gewerbegebiet vor. Die Zahl der Bewohner soll von jetzt 7.500 auf 12.500 steigen. Die städtische Wohnungsgesellschaft wird nach der Erneuerung nur noch eine unter anderen Eigentümerinnen sein. Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 108 Der Plan sieht den Abriss sämtlicher Wohngebäude vor. Durch Neubau und Nachverdichtung sollen unterschiedliche Gebäudetypen mit Sozialwohnungen und Wohnungen für den freien Markt entstehen. Entsprechend soll die Bewoh- nerschaft aus unterschiedlichen sozialen Schichten bestehen. Der Prozess der Erneuerung soll sich über einen Zeitraum von 10-12 Jahren erstrecken, so dass jeweils nur ein geringer Teil der Bewohner – meist in den angrenzenden Nach- barschaftsbezirk St. Jamestown – temporär ausquartiert werden muss. Allen wird freigestellt, anschließend wieder nach Regent Park umzusiedeln. Mit dem Abriss des ersten Wohnblocks soll noch in diesem Jahr begonnen wer- den. Baubeginn für das erste Gebäude ist Frühjahr 2006. Kritische Stimmen zu dieser Radikalsanierung befürchten Verdrängung durch Aufwertung des Gebiets und das Zerstören sozialer Netze und politischer Zusammenschlüsse, wenn Per- sonen das Gebiet verlassen (NOW 2004; Purdy 2005). Die Erneuerung wird von einer Steuerungsgruppe koordiniert, in der die Bewoh- ner über Mitglieder ihrer Vertretungsorgane mitentscheiden. Da eine breite Be- teiligung von Mieterinnen und Mietern nur zu erreichen ist, wenn diese auf eine persönliche und auf ihren Alltag bezogene Weise angesprochen werden, wurden aktive Vermittlerinnen und Vermittler (animators) aus der Bewohnerschaft rek- rutiert. Diese Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen Kulturen sprachen insge- samt acht verschiedene Sprachen. Ihre Aufgabe war es, Tür-zu-Tür-Befragungen durchzuführen und den Diskussionsprozess so zu führen, dass alle Themen zur Sprache kamen, die den Bewohnern am Herzen lagen, auch wenn sie erst einmal nicht unmittelbar planungsrelevant erschienen. Die Vermittler erhielten eine spezielle Ausbildung in Gesprächsführung und Moderation und konnten sich bei den Befragungen und Moderationen von Dis- kussionsrunden auf gemeinsam entwickelte Gesprächsleitfäden und Kernfragen stützen. Durch eine solche bewohnerorientierte Vorgehensweise wurden hunderte von Teilnehmern an den Workshops und Gesprächen zur Entwicklung des Erneu- erungsplans gewonnen (Meagher, Boston 2003). Um die intensive Beteiligung zu ermöglichen, hatte die Wohnungsgesellschaft entsprechend Zeit und Geld vorge- sehen (TCHC, Protokoll a). Steuerung durch interkulturellen Dialog 109 Leitlinien %JF#FXPIOFSWPO3FHFOU1BSLIBCFO EJFTF-FJUMJOJFOGàSEJF&SOFVFSVOHNJUHFTUBMUFU 1 Erneuerung des Nachbar- schaftsbezirks Regent Park 7 Schaffung eines sauberen, hy- gienischen und umweltfreund- lichen Nachbarschaftsbezirks 2 Wiedereinführung fußgängerfreund- licher Straßen und Grünflächen 8 Beibehaltung der Anzahl an Sozial- wohungen (rent-geared-to-income) 3 Sicherheit und Zugänglichkeit des Nachbarschaftsbezirks 9 Möglichst geringe Belastungen für die Bewohner bei der Umsetzung 4 Einbeziehung der Bewohnerinnen und Bewohner in den Prozess 10 Entwicklung einer finanziell verantwortlichen Strategie 5 Nutzung der kulturellen Viel- falt, Jugend, Fähigkeiten und Energien als Ressource 11 Schaffung eines erfolgreichen Nachbarschaftsbezirks in Toronto 6 Schaffung eines vielfältigen Nach- barschaftsbezirks mit vielfältigen Wohnformen, Arbeitsmöglichkeiten, Einrichtungen und Dienstleistungen 12 Verbesserungen für ganz Regent Park während der Erneuerung „Wir sind uns sicher, dass sich die Lebensqualität für die Bewohner von Regent Park und die umliegenden Quartiere durch die Erneuerung dramatisch verbessern wird. Ihr habt uns gezeigt, dass wir der positiven Veränderung für das Leben der Bewohner und für die Stadt einen Schritt näher gekommen sind.“ Diane MacLean, Vorsitzende des Erneuerungskomittees, Regent Park Bewohnerrat (RPRC) am 7. Mai 2003 Abb. 83: Mieterbeteiligung bei der Erneuerungsplanung von Regent Park Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 110 Neben ihrer Mitwirkung bei der Erneuerungsplanung über die Steuerungsgruppe entwickeln die Mieter und das Unternehmen über den Bewohnerrat (Regent Park Resident Council (RPRC)) eine weitere Planungsressource. Der 2002 gegründete Bewohnerrat kann als eine Art Kompetenzteam für die Entwicklung von Regent Park bezeichnet werden. Er wurde von dem bereits bestehenden Mieterrat (te- nant participation system) legitimiert und wird von der Wohnungsgesellschaft als kompetenter Ansprechpartner in allen wichtigen Fragen bei der Entscheidungs- vorbereitung einbezogen. Die Aufgabe des Bewohnerrats besteht in der Unterstützung der Mieterinnen und Mieter bei der Artikulation von Bedürfnissen und Interessen zu den Entwick- lungszielen der Wohnungsgesellschaft und er vertritt die Mieterschaft zum Teil in Gremien. So entschied die Vorsitzende des Regent Park Resident Council in Vertretung der Mieterschaft in der 5-köpfigen Jury mit über den Gewinner des Architektenwettbewerbs für die erste Planungsphase der Erneuerung von Regent Park (TCHC 2005, Protokoll c). Die Vorsitzende des Bewohnerrats ist auch Mit- glied der Steuerungsgruppe für die Erneuerungsplanung. Als Instrument für die Artikulation der Mieterinteressen entwickeln diese unter der Koordination des Bewohnerrats einen Aktions- und Maßnahmenplan (Com- munity Plan) mit folgenden Schwerpunkten: • Learning Community – Verringerung der Fehlstunden der Schüle - rinnen und Schüler, Umgang mit neuen Technologien, Sprachförde- rung, Alphabetisierung, Erwachsenenbildung, Erhöhung der Übergänge zu höheren Schulen und Weiterbildung • Working Community – Beratung und Qualifizierung für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gründung kleiner Unternehmen • Healthy Community – Ernährungsprogramme, Gesundheitsvorsorge, Ge- sundheitserziehung • Settlement Community – Verringerung der sozialen und wirtschaftlichen Barrieren für Zuwanderinnen und Zuwanderer • Needs of Youth – Förderung der Jugend Auch das Zustandekommen des Community Plans erfolgt durch alltagsorien- tierte Einbeziehung der Mieterschaft in mehreren Stufen. Im Juni diesen Jahres konnten wir die Arbeitsweise in der Praxis beobachten. Die Bewohner sollten ihre Stellungnahme zu den Entwürfen des Community Plans abgeben. Hierzu veranstaltete der Bewohnerrat einen Planungstag im Gemeinschaftszentrum von Steuerung durch interkulturellen Dialog 111 Regent Park, einem im Wohngebiet gelegenen Ort, der von den Bewohnerinnen und Bewohnern auch sonst besucht wird. Die Entwürfe waren auf der Grundlage von Tür-zu-Tür-Gesprächen mit den Bewohnern erstellt worden. Jetzt hingen die Entwürfe auf englischsprachigen Plakaten an den Wänden. Die Bewohnerinnen und Bewohner waren aufgefordert, ihre Stellungnahme zu den Entwürfen abzu- geben, indem sie weitere Aspekte und Ideen hinzufügten und über die Vergabe von Klebepunkten Prioritäten setzten. Der Planungstag war eine formlose Veranstaltung und wirkte wie eine Art Tag der offenen Tür. Der lange Zeitraum von 15:00 bis 21:00 Uhr machte es möglich, die eigene Stellungnahme entsprechend den individuellen Zeitplänen abzugeben: Man konnte mal eben vorbeischauen oder sich noch ein wenig länger aufhal- ten, weil man jemand getroffen hatte, weil man ein Anliegen bei der anwesenden Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft oder dem Lehrer loswerden wollte, der ebenfalls mal kurz vorbeigekommen war oder weil einem die eine oder andere Initiative interessierte. Auch die Kinder hatten ihren Spaß, spielten und malten. Die Atmosphäre war ungezwungen, lebhaft und bunt. Eine Nachbarschaftsini- tiative warb Freiwillige. Wer das Beitrittsformular ausfüllte (in acht Sprachen), nahm an einer Verlosung mit verlockenden Preisen teil. Wer eine Arbeit oder eine Weiterbildung suchte, konnte hierzu einen Fragebogen ausfüllen und an die Job- und Qualifikationsbörse, eine der praktischen Initiativen des Bewohner- rats, weiterreichen. Die Kunst & Kultur-Gruppe des Bewohnerrats machte eine schriftliche Umfrage zu kulturellen Aktivitäten. An diesem Nachmittag waren vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche anwesend, punkteten, ergänzten und sprachen miteinander oder tauschten sich mit den Moderatoren oder den ebenfalls anwesenden Mitgliedern der Wohnungsgesellschaft aus. Sie repräsentierten die kulturelle Vielfalt des Wohngebiets. Der persönliche Kontakt und das gesprochene Wort hatten Vorrang bei der Mei- nungsbildung. Innerhalb der ersten drei Stunden hatten sich 140 Personen in die Anwesenheitslisten eingetragen. Ein Mitglied des Bewohnerrats wünschte sich eine höhere Beteiligung. Wie dem auch sei, es hat sich auch hier erwiesen: Par- tizipation lässt sich durch reale Mitwirkungschancen und Menschen zugewandte Beteiligungsformen fördern, trotzdem bleibt Partizipation eine knappe Ressource (TCHC, Protokoll d; Extavour; Green; Kirsh 2004). Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 112 Entwurf des Aktionsplans – Teil Zuwanderung (Auszug) Bewohnerrat Regent Park - Stellungnahme der Bewohnerinnen und Bewohner Themen Probleme Derzeitige Aktivitäten Mögliche Maßnahmen Englisch als Zweitsprache Auch nach Be- endigung eines Sprachkurses sind Bewohner nicht in der Lage, sich auf Englisch zu ver- ständigen, sei es bei der Arbeit, im Geschäft oder im Alltag Sprachkurse (ESL) bei: Toronto Women`s Neighbourhood Link Little Trinity Anglican Church Dixon Hall – Learning Centre Regent Park Duke of York Nelson Mandela Park Public School SEAS Centre Salvation Army Immigrant & Refugee Services Gerrard K Club 220 Oak Street Lord Dufferin Public School St. Luke’s United Chruch Church Street C.C. Hamilton Apartment Building Woodgreen Immigrant Services Yonge Street Konversationskurse Aufbaukurse Fachspezifische Sprach- kurse (Medizin, Arbeits- welt) Schreibkurse Abendkurse Sprachkurse per Internet von zu Hause aus ESL-Kurse mit Berufs- vorbereitung Genügend Raum für praktische Übungen Einheitliche Einschreibe- formulare für alle Kurse, um die Einschreibung / Bedürfnisse zu verfolgen Evaluierung der Sprach- programme durch Bewohner Herkunfts- sprache Fehlen von Sprachunterstüt- zung – Dol- metscher und Übersetzer SEAS Centre (bieten an: Mandarin, Vietna- mesisch, Philippinisch) Regent Park Women & Families – Sprachkurse Bengali Übersetzung/Dolmet- schen wird angeboten von: SEAS Centre (und weitere) Organisationen sollten Sprachanwälte haben Mehr Übersetzungsdiens- te Frauengruppe zur Auf- rechtherhaltung erworbe- ner Sprachkenntnisse und zur Weitergabe an die Kinder Steuerung durch interkulturellen Dialog Abb. 84: Entwurf des Aktionsplans 113 Dialogform des Handelns und der Konfliktlösung Reale Mitwirkungschancen entstehen nicht allein durch Gewährung von Partizi- pationsangeboten. Sie werden entweder von aktiven Gruppen durchgesetzt und/ oder es bedarf einer breit gefächerten Unterstützung der Artikulationsfähigkeit und Förderung von Partizipationskompetenz. Zum ersten Punkt können wir im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine Aussage treffen. Was jedoch die Frage der Unterstützung der Artikulationsfähigkeit und Förderung von Partizi- pationskompetenz betrifft, finden sich zahlreiche Beispiele auf allen Ebenen des Handelns dafür, dass das städtische Wohnungsunternehmen die Wichtigkeit der Dialogform des Handelns erkannt hat. Die Dialogform des Handelns, die den persönlichen Kontakt, die Kommunikation in der Alltagssprache, und das heißt in einer vielsprachigen Bewohnerschaft auch in der Muttersprache erfordert, wird überall praktiziert. So findet die Zusammenarbeit zwischen den Mietervertretern und den Mitarbeitern der Wohnungsgesellschaft kontinuierlich und meist im per- sönlichen Kontakt statt. So treffen sich z.B. die Manager der 27 Wohnbezirke des Unternehmens (housing manager) wenigstens einmal im Monat mit den Delegier- ten der Mieterschaft in Gebietsversammlungen (building meetings). Wenigstens einmal pro Jahr wird eine Versammlung mit allen Mietern eines Wohnbezirks abgehalten (TCHC, Protokoll d). Wiederholt wurden dialogische Methoden zur Entwicklung von Unternehmenszielen und Maßnahmen einge- setzt, z.B. ein Open Space-Forum im Oktober 2003, auf dem die Mietervertreter zusammen mit den Mitarbeitern des Unternehmens und anderen Akteuren zwei Tage lang Grundlagen für die Unternehmenspolitik entwickelten (TCHC 2005h: 4). Eine Stärken-Schwächen-Potential-Analyse wurde, wie oben dargestellt, mit Hilfe von eigens geschulten aktiven Vermittlerinnen und Vermittlern aus der Mieterschaft erarbeitet. Weitere Beispiele wurden im Text dargestellt. Bedeut- sam für den Dialog erscheint auch, dass an vielen Veranstaltungen und Festen Mitarbeiter des Unternehmens und die Bewohner gemeinsam teilnehmen, so dass sich hier beiläufige Kontakte und Möglichkeiten des Austauschs ergeben (TCHC, Protokoll a und Protokoll d). Es lohnt sich zum Schluss einen Blick auf die Kon- fliktlösungsmechanismen zu werfen. Unterschiedliche Standpunkte werden, so unsere Gesprächspartnerin, in den gemeinsamen Sitzungen oder im persönlichen Gespräch mit dem Ziel der Einigung ausdiskutiert. Bei unlösbaren Mieterkontro- versen wird den Betreffenden eine professionelle Mediation empfohlen, die von diesen auch angenommen werden muss (TCHC 2005, Protokoll d). Organisationsentwicklung und Kompetenzaufbau 114 Langfristige Planung Die Erprobung neuer Steuerungsformen mit einer breiten Beteiligung aller Ebe- nen des Unternehmens, der vielfältigen externen Einrichtungen und nicht zuletzt der Bewohnerinnen und Bewohner sind Schritte hin zum Fernziel der Selbst- verwaltung einzelner Wohnquartiere. Das Wohnungsunternehmen plant, seinen Wohnungsbestand von 58.000 Wohnungen zu dezentralisieren und dort, wo dies möglich ist, in Selbstverwaltung zu überführen. Eine kürzlich durchgeführte Un- tersuchung zeigte, dass die Bewohnerschaft in verschiedenen Wohngebieten an der Selbstverwaltung ihres Wohngebiets interessiert ist. Zwei Pilotprojekte sollen in den nächsten Jahren erproben, wie die Selbstverwaltung funktionieren könnte (TCHC 2005c: 73). Was macht das Beispiel so interessant? „Change is a good thing when everyone is involved.“ (Wandel ist gut, wenn er alle einschließt.). Dieser Titel eines Berichts über die Beteiligung der Mitarbeiter bei der Umstrukturierung des kanadischen Hotelkonzerns Delta Chelsea (Galt 2005) könnte ebenso passend die Haltung beschreiben, die das Steuerungsmo- dell der städtischen Wohnungsgesellschaft Torontos kennzeichnet: die positive Einstellung zu grundlegenden Veränderungen und der konsequente partizipative Ansatz, der die von vielen Kulturen geprägte Mieterschaft ebenso einbezieht wie die Mitarbeiter der eigenen Organisation, und der auch traditionelle Machtposi- tionen im Vorstand und bei der Finanzplanung des Unternehmens für die Mie- terpartizipation öffnet. Wird das Wohnungsunternehmen sein anspruchsvolles, dialogisches Steuerungsmodell auf Dauer durchhalten können? Die Direktorin für Mieter- und Serviceangelegenheiten verweist auf den Lernprozess und die im Prozess entstehenden Strukturen. Mit dem Verfolgen des Ziels einer learning community – eines lernenden Unternehmens – sei ein Lernmilieu für den Wandel entstanden. Dennoch sei die neue Steuerungsform eine immense Herausforde- rung. Es sei mühsam, eingefahrene Haltungen und tradierte Vorstellungen auf- zugeben und das Schwierigste sei, sich selbst zu ändern. „Das Problem sind wir selbst“, resümiert die Direktorin ihre Erfahrung mit der Umgestaltung des Steu- erungsmodells (TCHC, Protokoll a). Noch ist es zu früh einzuschätzen, ob das Steuerungsmodell auch auf lange Sicht erfolgreich sein wird. Die Beobachtungen und Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der städtischen Wohnungsge- sellschaft, mit Mietern und Mietervertretern und dem Bewohnerrat haben jeden- falls den Eindruck hinterlassen, dass Steuerung durch Dialog bei der städtischen Wohnungsgesellschaft Torontos nicht nur auf dem Papier steht, sondern das Ver- Steuerung durch interkulturellen Dialog 115 hältnis zwischen Unternehmen und Bewohnern tatsächlich leitet. Die Wertschät- zung der kulturellen Vielfalt der Bewohnerschaft als Ressource für die Ziele des Unternehmens ist überall sichtbar: in der medialen Darstellung, der mehrspra- chigen schriftlichen und mündlichen Informationsvermittlung, der Rekrutierung von Mieterinnen und Mietern mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund als aktive Vermittler in allen Fragen des Wohnens, der Förderung kulturspezifscher Bedürfnisse und nicht zuletzt in der interkulturellen Zusammensetzung der Mit- arbeiter des Unternehmens auf allen Ebenen. Um den Erfolg langfristig einschät- zen zu können, müssen wir weitere Untersuchungen abwarten. Hierzu wird auch die kontinuierliche Evaluation des neuen Partizipationssystems im Hinblick auf Wirksamkeit und Transparenz dienen, die das städtische Wohnungsunternehmen selbst beschlossen hat. Gemeinsam mit Interessenvertretern soll ein Rahmenwerk festgelegt werden und ein Austausch mit anderen Organisationen in Kanada und in anderen Ländern stattfinden. Was macht das Beispiel so interessant? 116 Beobachtungen zur Metakultur 117 Dimensionen der Metakultur Damit kulturelle Vielfalt und Komplexität produktiv werden kann, ist es neben der Existenz kultureller Cluster und dem Austausch der Kulturen hilfreich, viel- leicht sogar notwendig, dass die verschiedenen Kulturen einer Stadt etwas Ge- meinsames teilen. Gibt es Regeln des Verhaltens, Werte, gemeinsame Praktiken? Was verbindet die Vielfalt der Kulturen? Dieses ‚Gemeinsame’ nennen wir eine Metakultur. Die Identifikation mit einer Stadt ist ein Ausdruck metakultureller Erfahrungen, Werthaltungen und Regeln, bei denen es sich gerade nicht um die Anpassung der verschiedenen Kulturen an eine dominante Mehrheitskultur handelt, sondern um einen Punkt der kulturellen Gemeinsamkeit jenseits der eigenen, partikularen Kulturen. Die Metakultur selber ist ein theoretisches Konstrukt und als solche nicht unmittelbar zu beobachten. Um empirische Hinweise, Indikatoren für die Existenz von Metakultur zu gewinnen, ist es zum einen wichtig, die Beobach- tungsregeln zu definieren, zum anderen wird die Suche zumindest erleichtert, wenn man sich plausible Beobachtungsebenen oder Dimensionen vorstellt, die grundsätzlich Hinweise auf die Wirksamkeit von Metakultur geben können. Um die Beobachtungsregeln zu bestimmen, wählen wir Ausschlusskriterien. Es handelt sich nicht um eine Metakultur, wenn sich in ihr nur eine oder wenige Kulturen ausdrücken. Das heißt aber nicht, dass die Metakultur nicht auf eine oder einige kulturelle Ursprünge zurückgeführt werden kann. Wichtig ist, dass sich möglichst alle oder zumindest die Mehrheit der Kulturen einer Stadt in dieser Kultur widerspiegelt. Es kommt also nicht auf den Ursprung einer metakulturel- len Äußerung an, sondern auf die gemeinsam geteilte Überzeugung, dass sie ein Teil von jedem Bewohner, jeder Bewohnerin selbst ist. Bei der Bestimmung von Beobachtungsbereichen oder Dimensionen beziehen wir uns zunächst auf die Theorie der Arbeitsteilung von Emile Durkheim. Angesichts der wachsenden Arbeitsteilung in den neu entstehenden industriellen Städten des 19. Jahrhunderts in Europa wird darin die These formuliert, dass es die gegen- seitige Vernetzung und Abhängigkeit in arbeitsteiligen Strukturen ist, die eine neue Form der Integration entstehen lässt. Es sind die Regeln der arbeitsteiligen Beziehungen, die weniger auf Strafe und mehr auf den Schadensersatz abzielen, wenn Regeln nicht eingehalten werden. Die gemeinsame Weltanschauung, die Beobachtungen zur Metakultur 118 sich zum Beispiel in der Teilhabe und Mitgliedschaft in einer Religionsgemein- schaft ausdrückt, wird gleichzeitig als Integrationsmechanismus weniger wich- tig. Die Verfolgung und Bestrafung von Ketzern und Ungläubigen ist damit für die Integration in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auch nicht mehr zentral. Dies schließt, wie wir wissen, nicht aus, dass es immer wieder zu Auseinandersetzun- gen darüber kommt, ob es nicht doch ein Glauben oder eine Ideologie sein müsse oder solle, die Gesellschaft integriert. Es kann dann zu schweren Verwerfungen kommen, bei der sich repressive Strukturen entwickeln. Die Theorie von Durkheim schließt auf der anderen Seite die Integration einer Gesellschaft über eine Reihe von Werten keineswegs aus, sondern beruht gerade- zu darauf. Grundlage der Arbeitsteilung ist es, Verschiedenartigkeit und Vielfalt als Grundlage von Lebensentwürfen zu akzeptieren. Toleranz ist ein Wert, der nicht jedes beliebige Verhalten zulässt, sondern die Vielfalt der kulturellen Werte und Praktiken akzeptiert und begrenzt. Das Recht auf die kulturelle Entfaltung des Anderen setzt dem Recht zur Entfaltung der eigenen Kultur eine Grenze. Die Entwicklung von Toleranz und die Betonung eines Diskriminierungsverbotes sind vielleicht sogar die wichtigste Dimension der Metakultur. Die Entwicklung einer Metakultur beruht auf der Entwicklung einer gemeinsam zugänglichen Form von Kommunikation und Information. Beide Formen sind auch instrumentell und praktisch zu verstehen, mehr jedoch geht es um das Ver- stehen des Anderen als ein Teil des Gemeinsamen. Neben Werten, Regeln und der Sprach- und Kommunikationskompetenz sind ze- remonielle Praktiken eine Dimension der Metakultur. Zeremonielle Praktiken ge- ben der Zugehörigkeit zu einer Stadt einen Ausdruck und machen die emotionale Dimension der Metakultur deutlich. Dies macht zum Beispiel Sportereignisse in Städten so bedeutsam. Im Sport treffen sich alle im Wettkampf vereint. Auch Stadtfeste und andere kollektive Praktiken gehören zur Dimension der zeremoni- ellen Praktiken, in der sich Metakultur äußern kann. Es können aber auch Stadt- feste sein oder von Vielen geteilte Praktiken des alltäglichen Lebens. Schließlich gibt es Orte, in denen sich die Identität einer Stadt bündeln kann. Orte sind zugleich die raum-zeitliche Konkretisierung der zeremoniellen Prakti- ken und können Symbol der städtischen Gesellschaft als Ganzes sein. Gegenwärtig und geradezu offiziell äußert sich die Metakultur in dem Motto der Stadtpolitik, das schon verschiedentlich genannt wurde. ‚Vielfalt ist unsere Stär- ke‘ formuliert nicht nur, dass die Unterschiede der Herkunft, des Aussehens und der Lebenspraktiken akzeptiert werden, sondern dass Politik und Gesellschaft in Toronto in der Vielfalt eine Ressource der Stadtentwicklung sehen. In einem klei- Beobachtungen zur Metakultur 119 nen Video betont der Oberbürgermeister der Stadt, dass man Stolz auf die Vielfalt in dieser Stadt ist, dass sich der globale Zusammenhang in der Stadt widerspiegelt und sie zugleich mit der Welt vernetzt. Torontos Motto ‚Vielfalt unsere Stärke’ stellt die neue Stadt dar und repräsentiert die Verbindung von sieben Kommunen zu einer gemeinsamen Kraft sowie die Vielfalt der 2,5 Millionen Einwohner der Stadt. Kurze Geschichte des Mottos ‚Vielfalt unsere Stärke’ „Torontos Motto ‚Vielfalt unsere Stärke’ stellt die neue Stadt dar und repräsentiert die Verbindung von sieben Kommunen zu einer gemeinsamen Kraft sowie die Vielfalt der 2,5 Millionen Einwohner der Stadt. Warum wurde es geschaffen? 1997 fusionierten die Städte Etobicoke, Scarborough, North York, York und Toronto, der Stadtbezirk East York und die Metro-Toronto-Regierungsebene, um die neue Stadt Toron- to zu bilden. Diese Fusion erforderte die Schaffung eines neuen Mottos und eines neuen Wappens. Wie wurde es geschaffen? Per Fragebogen wurde in der Öffentlichkeit nach Vorschlägen für das neue Motto und das Wappen gesucht. Der Fragebogen wurde während des Julis 1998 im City’s Civic Center, unter den Stadträ- ten, in den Büchereien und Community Centers verteilt sowie auf die Webseite der Stadt Toronto gestellt. Mehr als 1.100 Antworten kamen zurück. Die erste offizielle Verwendung des Mottos war im Jahre 1998, als es als Motto für das neue Wappen verwendet wurde. Das Wappen wurde am 30. Oktober 1998vom Stadtrat genehmigt“ City of Toronto (2005b). Abb. 85: Das Motto und sein Symbol als Kern der Metakultur in Toronto Dimensionen der Metakultur 120 Die Anerkennung der Vielfalt verlangt zugleich nach Regeln, die eine Diskri- minierung auf Grundlage von Herkunft, Aussehen und Lebensstil als gesell- schaftlich nicht akzeptabel verdeutlichen. Es geht dabei weniger um mögliche Straftatbestände als um die Allgegenwart einer Diskussion, um Offenheit, das Zurückdrängen von Vorurteilen und die Bereitschaft, Konflikte und Probleme zu lösen. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich das Antidiskriminierungsgesetz in den community centers der Nachbarschaften findet. Hier geht man hin, um sich beraten zu lassen, hier werden die Aktionen der Nachbarschaft diskutiert, hier finden sich Kindergärten. Und hier geht man täglich an dem Plakat vorbei, auf dem die Regeln des Diskriminierungsverbotes formuliert sind. Sprache, Kommunikation, Transparenz sind Grundlagen für die Entwicklung der Metakultur und zugleich ein Teil von ihr. In der Sprache äußert sich die Chance des Verstehens. Für alle Zuwanderer ist die Kenntnis der englischen Sprache in Toronto Vor- aussetzung für die kanadische Staatsbürgerschaft. Sicher muss man an diesem Beispiel diskutieren, ob damit nicht eine Anpassung der vielen Kulturen an die angelsächsische Kultur erzwungen wird. Der Anpassungsdruck wird durch zwei Faktoren relativiert. Zum einen wird als Leitidee und in der Praxis das kulturelle Erbe der vielen Kulturen gepflegt. Cultural heritage zeigt sich im muttersprachli- chen Unterricht, in der Ausstattung der lokalen Nachbarschaftsbibliotheken und in der vielsprachigen Präsenz im Stadtraum, auch an Straßennahmen, Schildern und Reklametafeln. Die Botschaft ist: englisch ist unsere Lingua franca, aber zu unserer Kultur gehören alle Sprachen. Zugleich ist Englisch schon lange nicht mehr die Sprache der Angelsachsen, sondern Weltsprache nur dem Lateinischen Abb. 86: Regeln der Nicht-Dis- kriminierung in einem Community Center Beobachtungen zur Metakultur 121 im Frühmittelalter vergleichbar. Auch dies könnte den Eindruck relativieren, die eigene Kultur der ‚Britischen‘ anpassen zu müssen. Die Informationsoffenheit ist freilich nicht nur eine Funktion der Sprachkennt- nisse, sondern vor allem eine Methode, die Offenheit und Zugänglichkeit von Informationen zu organisieren. Dies spiegelt sich in der Breite, Aktualität und Findbarkeit der Informationen im Internet, es findet sich aber auch in jedem Bus. Wie komme ich an Informationen, dort findet man die Wege. Der räumliche Ausdruck der Vielfältigkeit findet sich in seiner einfachsten Form in der Gleichzeitigkeit der Vielfalt im Straßenbild oder bei Werbetafeln. Es gibt Straßen, die nicht so sehr einer Kultur zuzurechnen sind als vielmehr der kultu- rellen Vielfalt. Hier reihen sich dann ein griechischer Laden neben einem japani- schem Restaurant und einem jüdischen Buchladen auf. Abb. 88: Wege zur Mobilität Abb. 87: Hinweise auf die Gleich- wertigkeit der unter- schiedlichen Sprachen bei einem Sprachin- stitut für Englisch Dimensionen der Metakultur 122 Beobachtungen zur Metakultur 1 Canada Trust (Bank) 15 CSI Cybertech Systems (Computerge- schäft, englisch und arabisch beschriftet) 2 ungarisch-kanadisches Kulturzentrum; Mátyás Cellar (ungarisches Restaurant) 16 Amalia Jewellers Ltd. (Juwelier mit peruanischem Maskottchen) 3 Centro Naturista Guatavita (brasi- lianische Naturprodukte) 17 Nimbus Total Water Treatment; Santo‘s Unisex Hair Stylists (portugiesischer Friseursalon) 4 Corvina Printing & Design (unga- risch-kanadischer Druckshop) 18 Looking Good Beauty Supply (kos- metische Produkte und Mode) 5 Mi Tierra Restaurant (kolumbianische und lateinamerikanische Küche) 19 Macelleria Atlas (italienische Metzgerei) 6 Leerstand 20 Mercadito - Little Town Café & Restaurant (ve- nezuelanische Küche und kontinentale Küche) 7 Leerstand (Werbung für das Reise- büro Budapest Travel 2000) 21 22 Da Gianni & Maria Trattoria (italienisches Restaurant) 8 Trillium Convenience Fast Foods & Take Out und Pinoy Foods (phillipinischer Supermarkt und Imbiss) 23 Alitours (Reisebüro) 9 Atlas One Café 24 St. Clair Fruit Market Groceries & Flo- wers (Obst- und Gemüseladen) 10 Javad‘s Buy and Sell (iranischer Trödelladen) 25 Ivy‘s of Jamaica Beauty Salon (jamaikanischer Schönheitssalon); Coffee Shop (griechisch) 11 El Palenque II (mexikanisches Restau- rant); Huaraz (Productos Latinos) 26 Mattress & Furniture (Matratzen- und Möbelgeschäft) 12 Möbelgeschäft 27 Whimz (Schulmappen, Spielzeug etc.) 13 The Medical Spot - Health Care Recycling Specialists 28 Café Neo 14 New Niagara Chinese Food Restaurant Ta- vern (kanadisch-chinesisches Restaurant) 29 Discount Junction (Sonderpostenmarkt) 1 2525 123 Dimensionen der Metakultur 30 Zemra Bar Lounge 46 Filippo‘s (italienische Gaststätte) 31 Arlington Super Variety (Kiosk) 47 Leerstand (ehemals Fresh Fruits & Vegetables) 32 Milk & Variety Lotto Centre (kleiner Supermarkt) 48 Coin Laundry (Waschsalon) 33 St. Clair Flowers (Blumengeschäft) 49 Pain Perdu - Boulangerie Patisserie 34 George Tracey (Polsterei) 50 Leerstand (ehemalige Gaststätte) 35 Kamal Discount Plus (karibische und kanadi- sche Lebensmittel und religiöse Produkte) 51 Ali Baba Antiques & Repair und Persi- an Rugs (iranischer Trödelladen) 36 Jameson Dry Cleaners & Alterations (Textilreinigung) 52 Dave‘s Gourmet Pizza Restaurant 37 Noche Caliente Piano Bar 53 Nagelsalon, Kids’ Kuts (Frisör für Kinder) 38 39 Orrizonte Restaurant & Pizzeria 54 Real Caribbean Restaurant (karibisch) 40 41 Northern Karate Schools (Kampfsportschule) 55 Gerry‘s Fast Foods - Jamaican Dis- hes (jamaikanischer Imbiss) 42 Acapella (Bekleidungsgeschäft) 56 Leerstand (ehemaliger Quick Mart); McDonald‘s Restaurant 43 Nama Sushi (japanisches Restaurant) 57 Queen‘s Dairy Family Restaurant (Fast-Food) 44 St. Clair Delicatessen (ungarische Delikatessen) 58 Violet’s Coffee House & Restaurant (kana- disch-chinesisch-philippinische Küche) 45 Eglinton Florist 43 58 Abb. 89: Hillcrest Village, Gewerbe an der Nordseite der St. Clair Avenue 124 Es ist der Markt, das Interesse an Umsatz und Kunden, der Symbole der Meta- kultur schafft. Da man nicht nur Kunden aus Westindien gewinnen will, zeigt man die Offenheit des Geschäftes. Die Gesichter der Kunden des Friseurladens zeigen die Bandbreite aber auch das Gemeinsame seines Geschäftes. Der Friseur und die Kunden haben Interesse an einer modischen Frisur. Mit anderen Worten: Metakultur kann auch bedeuten, dass sich gemeinsame Lebensstile entwickeln, Vorlieben für Kleidung, Essen oder Musik. Manchmal verdichtet sich dies dann in bestimmten Milieus. So hat – man kann dies beinahe weltweit beobachten – die so genannte Kreative Klasse nicht nur eine Vorliebe für soziale und kulturelle Vielfalt, sondern auch für italienische Speisen und Cappuccino. Abb. 90 Nebeneinander und doch verbunden Abb. 91: Wo früher schottische Einwanderer lebten, sind heute Chinesen. Beobachtungen zur Metakultur 125 Eine latente, man könnte auch sagen strukturelle Form der Metakultur bildet sich räumlich aus, weil die Kulturen im Stadtraum wandern. In das jüdische oder por- tugiesische Quartier infiltrieren Chinesen und später Vietnamesen oder die euro- päische Mittelschicht. So bilden sich Raumschichten aus, die aus der Diachronie der kulturellen Prägungen eine vielfältige Raumphänomologie schaffen. Zumin- dest wer gelernt hat, den Raum zu lesen, wird jüdische Symbole finden, wo jetzt ein Nachbarschaftszentrum ist und auch die Zeichen einer christlich kirchlichen Zwischennutzung sind noch zu erkennen. Aber auch Straßennamen und ihre ak- tuellen Übersetzungen erzählen über die kulturellen Schichen der Stadt. Viele Städte haben Wahrzeichen: Plätze, Straßen, Parkanlagen, besondere Archi- tekturen. Auch Toronto hat ein Wahrzeichen, das relativ jung ist, wie die ganze Stadt: Einen Fernsehturm, den viele Menschen gerne besuchen, um einen Über- blick über die Stadt zu gewinnen. Das wäre nichts Bemerkenswertes zu dem Thema der Metakultur, wenn nicht ein Band der Nationen und Kulturen an der Aussichtsplattform angebracht wäre, wo sich jede Sprachgruppe dieser Stadt fin- det und immer wenn eine neue Gruppe aus anderen Teilen der Welt in Toronto ankommt, wird dort ein kleines Schild mit dem Namen montiert. Die Metakultur als Vielfalt verstanden, präsentiert sich den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und den Besucherinnen und Besuchern und schafft so ständig ein Bewusstsein für das Stadtentwicklungskonzept. Dimensionen der Metakultur 126 Resümee 127 Die Recherchen in Toronto haben vor Augen geführt, dass der theoretische Rah- men des Forschungsvorhabens viel versprechend ist. Die Produktivität der kul- turellen Vielfalt hängt offensichtlich von der Existenz und Akzeptanz kultureller Cluster ab, es muss Gelegenheiten geben, durch die es zu einer Interaktion zwi- schen den Kulturen kommt. Die Metakultur und ihre Symbole sind wichtig, damit es einen gemeinsamen Identitätsanker bei aller kultureller Vielfalt gibt. Da sich dieses Organisationsmuster nicht einfach administrativ herstellen lässt, braucht es breitgefächerte Formen der Partizipation und Dialoge zwischen Politik, Ver- waltung, Wirtschaft und zivilen Gruppen und Organisationen. Zugleich wurde in Bezug auf die Beobachtungen und Interviews mit Akteuren in Toronto auch deutlich, dass eine Reihe von Differenzierungen und Konkretisie- rungen notwendig sind. Kulturelle Cluster sind in den seltensten Fällen vollstän- dig. Sie beziehen sich entweder mehr auf die infrastrukturelle Versorgung und ethnische Ökonomie oder auf das Wohnen, seltener explizit nur auf die Kultur im engeren Sinn. Kulturelle Cluster sind zudem immer heterogen, manchmal wirkt die Namensgebung, wie z.B. im Falle von GreekTown, auch wie eine soziale Konstruktion. Wie klein kann die Gruppe sein, die für den Namen einer Nachbar- schaft steht? Müssen es mindestens 10% der Bewohner einer Nachbarschaft sein, wie das in GreekTown der Fall ist? Verändert ein größerer oder kleinerer Anteil die Bedeutung eines kulturellen Clusters? Kulturelle Cluster entstehen sowohl naturwüchsig als auch geplant, wobei die Ge- schäftsleute einer Gegend dabei eine gewichtige Rolle spielen. Kulturelle Clus- ter sind immer transitorisch. Die sozialen Aufsteiger der früheren Zuwanderer- gruppen ziehen in die Vororte, Wellen neuer Einwanderungsgruppen infiltrieren die Wohnungen in diesen Gebieten und bedrängen die ursprünglichen Gruppen in ihrer Dominanz. Konflikte sind dabei nicht ausgeschlossen. Die somit zwangsläufige Heterogenität eines kulturellen Clusters zwingt die kul- turellen Gruppen zum Dialog. Dies scheint auf den ersten Blick irritierend, da es gerade für Deutschland Hinweise gibt, dass die soziale Mischung nicht zwangs- läufig den Kontakt stärkt. Weil die Nachbarschaften in Toronto eine weit größere, auch politische Rolle spielen als es in Großstädten Deutschlands die Regel ist, müssen die unterschiedlichen kulturellen Gruppen kommunizieren und potenti- elle Konflikte regeln. Schulen und Initiativgruppen, Nachbarschaftszentren und kleine Bibliotheken organisieren den Dialog. Ständig präsente Werbung für die kulturelle Vielfalt als Stärke und Identitätsmerkmal und die sehr alltägliche Pra- Resümee 128 xis der Antidiskriminierung stützen die Beziehung zwischen den Kulturen. Hinzu kommt die mit großem Nachdruck betriebene Partizipation in der Nachbarschaft. Die Metakultur ist in Toronto deutlicher erfahrbar als wir erwartet hatten. Sie findet sich in dem Leitbild der Stadt, in Symbolen, auf gemeinsamen Festen und in der Entwicklung von Lebensstilen wieder, wie das im Fall von Little Italy oder auch GreekTown explizit wurde. Allerdings werden wir der Frage nachgehen müssen, ob dieses Leitbild einen Mittelschichten-Bias hat und die Differenz der sozialen Lagen eher verbirgt als überbrückt. Nachholend muss auch die Rolle der Communities als räumliche Nachbarschaften noch recherchiert werden. Wir hatten nicht angenommen, dass die Millionenstadt Toronto durchgehend nach diesem Prinzip organisiert ist und müssen den Stel- lenwert für die Stadtpolitik insgesamt und die Binnenwirksamkeit noch genauer bestimmen. Es könnte sich herausstellen, dass die Communities die wesentliche Basis für eine Politik der kulturellen Vielfalt sind, da über die Kommunikation in den Nachbarschaften die unterschiedlichen Interessen und mögliche Konflikte ausgehandelt werden. Klarer muss auch noch der Unterschied zwischen kulturellen Clustern in den re- lativ dichten und urbanen Innenbereichen und in den extensiveren, suburbanen Räumen bestimmt werden. Es gibt bei der chinesischen und der indischen Ge- meinschaft Hinweise, dass es im suburbanen Raum zu einer viel ausgeprägteren Homogenität einzelner Kulturen im räumlichen Sinne kommt. War dies auch in den inneren Bereichen Torontos so, kann es gleichsam als ein Übergangphäno- men gelten oder sind hier raumstrukturell unterschiedliche Faktoren wirksam? Schwerpunkt der nächsten Arbeitsschritte ist aber, die Anknüpfungspunkte und Widersprüche zur Lage in Berlin-Neukölln herauszuarbeiten. Dabei können wir uns neben den Materialien, die wir schon gesammelt haben und den Protokollen der Gruppeninterviews und Gespräche, die wir gemacht haben (einige liegen noch vor uns) auch auf die Vorarbeiten der Schader-Stiftung stützen, die eine Vielzahl praktischer Ansätze in ganz Deutschland zusammengestellt hat. Wir haben im Moment den Eindruck, dass sich viele Parallelen finden lassen, dass es aber bei der Zusammenführung zu einem langfristig wirkenden Konzept noch viel zu tun gibt. Vor allem aber ist unser Forschungsansatz nicht so ausgelegt, dass wir als Wissenschaftler ein Konzept erdenken, sondern dass sich erst in der Diskussion mit den Akteuren und den aktiven Bewohnern die Handlungs- und Wirklichkeits- Wirksamkeit eines Konzeptes herstellen lässt. Resümee 129 Literatur und Quellen Literatur und Quellen 130 Literatur: (Englischsprachige Zitate wurden von den Verfassern ins Deutsche übersetzt.) Aldrich, Howard; Waldinger, Roger (1990): Ethnicity and Entrepreneurship. Annual Re- view of Sociology, 1990, 16, pp. 111-135. Appadurai, Arjun (1998): Globale ethnische Räume. In: Ulrich Beck (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 11-40. Arnstein, Sherry (1969): A Ladder of Citizen Participation. In: Journal of the American Institute of Planners, July 1969, pp. 216-224. Arundel, Caryl; Clutterbuck, Peter; Cleverly, Shelley (2005): Putting Theory into Practice: Asset Mapping in Three Toronto Neighbourhoods. 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TCHC, Protokoll a: Interview mit Evelyn Murialdo, Director Tenant & Community Ser- vices Unit, Toronto Community Housing Corporation, 17.06.2005. TCHC, Protokoll b: Interview mit Nancy Evans, Community Housing Manager der To- ronto Community Housing Corporation für den Nachbarschaftsbezirk St. Lawrence, 22.06.2005. Protokolle Toronto-Aufenthalt 136 TCHC, Protokoll c: Vorstellung der Architektenentwürfe Erneuerungsprojekt Regent Park, 23.06.2005 TCHC, Protokoll d: Besuch des Planning Day des Regent Park Resident Council (RPRC), 22.06.2005 University of Toronto: Stadtgeografischer Rundgang und Interview in Toronto mit Prof. Gunter Gad, 20.06.2005. York University: Interview mit Ass. Prof. Connie Mayer, Faculty of Education, 24.06 Abbildungen: „Vielfalt ist unsere Stärke“ -die kanadische Einwanderungspolitik Abb. 1: Stadtlogo ‚Vielfalt unsere Stärke‘ im öffentlichen Raum. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 2: Herkunft der Einwanderer nach Kanada nach Weltregionen 1946 bis 1996. Aus: Jansen, Clifford; Lam, Lawrence (2003): Immigrants in the Greater Toronto Area: A Soci- odemographic Overview, p. 66. In: Anisef, Paul; Lanphier, Michael (ed.): The World in a City. Toronto, Buffalo, London: University of Toronto Press, pp. 63-131. Abb. 3: Die drei Kategorien der Einwanderung in der Business-Klasse. Tabelle erstellt nach: CIC (Citizenship and Immigration): Who is a Business Immigrant? www.cic.gc.ca/ english/business/index.html: 10.08.2005. Abb. 4: Das kanadische Punktesystem. Einwanderer können in 6 verschiedenen Feldern Punkte sammeln. Tabelle erstellt nach: CIC (Citizenship and Immigration): Six Selection Factors and Pass Mark. www.cic.gc.ca/english/skilled/qual-5.html: 10.08.2005. Abb. 5: Herkunft der Zuwanderer in die Stadtregion Toronto zwischen 1991 und 2001. CIC (Citizenship and Immigration Canada) (2005): The Monitor – Year-End Figures for 2004, Spring 2005. Entwicklung der Stadt Toronto und die Geographie ihrer kulturellen Gruppen Abb. 6: Stadt Toronto, Greater Toronto Area (GTA) und Toronto Census Metropolitan Area. Quelle der Hintergrundkarte: City of Toronto. www.city.toronto.on.ca/toronto_inter- national/location.htm: 25.07.2005. Abb. 7: Nachbarschaften verschiedener Kulturen in Toronto 1900 bis 1970. Aus: Murdie, Robert A.; Teixeira, Carlos (2003): Towards a Comfortable Neighbourhood an Appropriate Housing: Immigrant Experiences in Toronto. In: Anisef, Paul; Lanphier, Michael (ed.): The World in a City. Toronto, Buffalo, London: University of Toronto Press; p. 143. Abb. 8: Verteilung ausgewählter kultureller Gruppen im Großraum Toronto im Jahre 2001: Quelle: Sandeep Kumar und Mohammad Qadeer. Abb. 9: Wohnstraße westlich der Innenstadt. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 10: Typische Geschäftsstraße in Toronto: St. Clair Avenue West. Foto: Holger Weichler. Literatur und Quellen 137 Protokolle Toronto-Aufenthalt Abb. 11: Suburbane Siedlungsstruktur im Westen Torontos. Foto: Holger Weichler. Abb. 12: Wohnstraße in Markham, nördlich von Toronto. Foto: Holger Weichler. Abb. 13: Hochhaussiedlung in Thorncliffe Park. Foto: Holger Weichler. Abb. 14: Anteil der Haushalte unter der Armutsgrenze in Toronto 1981 – 2001. Quelle: United way of Toronto – Poverty by Postal Code. www.unitedwaytoronto.com: 6.8.2005. Kulturelle Cluster in Toronto Abb. 15-20: Straßenschilder in Toronto. Oben links: Little Italy, Quelle: http://www.tas- teoflittleitaly.com/media/Lflag.jpg: 01.09.2005. Oben rechts: Little India, Foto: Johanna Debik. 2. Reihe links: Chinatown, Foto: Detlev Ipsen. 2. Reihe rechts: Koreatown, Foto: Detlev Ipsen. Unten links: GreekTown, Foto: Holger Weichler. Unten rechts: Portugal Vil- lage, Foto: Holger Weichler. Abb. 21: Hauptgeschäftsstraße in Chinatown. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 22: GreekTown, Danforth Avenue, Reisebüro. Foto: Johanna Debik. Abb. 23: GreekTown, Danforth Avenue, Freisitz eines griechischen Restaurants. Foto: Johanna Debik. Abb. 24: Logo der Business Improvement Area Greektown on the Danforth. Aus: www.greektowntoronto.com. Abb. 25: Pacific Mall, Eingangsbereich. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 26: Pacific Mall, Gastronomiebereich. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 27: Hindu-Shaba-Tempel in Brampton. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 28: Hindu-Siedlung in unmittelbarer Nähe zum Tempel in Brampton. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 29 – 32: Zeichen religiöser Zugehörigkeit an den Eingangstüren von Bewohnern por- tugiesischer und indischer Herkunft, traditionelle portugiesische Holztür (obere Zeile von links nach rechts). Unten: Buddhastatue in einem Vorgarten. Fotos: Detlev Ipsen. Abb. 33: Vorgarten in Little Italy. Foto: Johanna Debik. Abb. 34: Vorgarten in Chinatown. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 35: Mann portugiesischer Herkunft auf seiner Veranda, Little Portugal. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 36: Vorgarten in Little Portugal. Foto: Johanna Debik. Abb. 37: Vorgarten in der Nähe vom Gerrard India Bazaar. Foto: Johanna Debik. Abb. 38: Vorgärten von Nachbarn portugiesischer und chinesischer Herkunft, Little Portu- gal. Foto: Johanna Debik. Abb. 39: Synagoge in Kensington Market. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 40: Ho-Nghien-Tempel in der Nähe des Gerrard India Bazaar. Foto: Johanna Debik. Abb. 41: Ukrainische Baptistenkirche in Little Portugal. Foto: Detlev Ipsen. 138 Literatur und Quellen Abb. 42: Kanadisch-Türkisch-Islamisches Zentrum in der Pape Avenue. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 43: Polnische Apotheke in der Roncesvalles Avenue. Foto: Johanna Debik. Abb. 44: Jüdische Geschäfte in der Bathurst Street. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 45: Gemüsegeschäft in Chinatown. Foto: Johanna Debik. Abb. 46: Käseladen in Little Italy. Foto: Johanna Debik. Abb. 47: Gemüse- und Obstladen in Little Portugal. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 48: Gerrard India Bazaar, Indisches Zentrum, früher Bollywood-Kino. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 49: Gerrard India Bazaar, Gerrard Street. Foto: Johanna Debik. Abb. 50: Gerrard India Bazaar, Indisches Bekleidungsgeschäft. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 51: Gerrard India Bazaar, Paan-Verkäufer. Foto: Johanna Debik. Abb. 52: Eglinton Street West. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 53 Frisörladen in der Eglinton Street West. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 54 Laden für religiösen Bedarf von Rastafaris in der Eglinton Street West. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 55: Karte der Business Improvement Areas in der Innenstadt. Aus: http://www.toron- to-bia.com/resources/handbook/SectionA2.pdf: 6.8.2005 Abb. 56: Geschäftsstraße in KoreaTown. Foto: Holger Weichler. Nachbarschaften und Communities als Bausteine der Stadt Abb. 57: Hinweisschild ‚Neighbourhood watch’. Foto: Holger Weichler. Abb. 58 und Titelblatt: Aktuelle Karte der Neighbourhoods in Toronto aus dem Jahr 2004. Aus: http://www.toronto.ca/toronto_facts/maps.htm: 10.8.2005. Abb. 59: Apartment-Nachbarschaft St. Jamestown. Foto: Holger Weichler. Abb. 60: Wohnstraße im Nachbarschaftsbezirk Riverdale Nähe Gerrard India Bazaar. Foto: Johanna Debik. Abb. 61: Wohnstraße in Scarborough im Bau. Foto: Johanna Debik. Abb. 62: Flipchart mit Tagesprogramm der Initiative Storefront. Foto: Johanna Debik. Abb. 63: Mädchen vor Infowand in der Initiative Storefront. Foto: Johanna Debik Abb. 64: Bild im Hausflur der Community School St. Jamestown. Foto: Johanna Debik. Abb. 65: Stadtteilbibliothek Scarborough. Foto: Dorothea Kolland. Abb. 66: Schaufenster des Art Starts-Ladens. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 67: Community Totem. Foto: Dorothea Kolland. Abb. 68 Banner an der Oakwood Avenue. Foto: Dorothea Kolland. 139 Protokolle Toronto-Aufenthalt Kultureller Austausch als produktive Ressource der Stadtentwicklung Abb. 69: Schulklasse in Toronto. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 70: Taste of Italy. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 71: Community Garten in Regent Park. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 72: Kultureller Austausch. Foto: Herbert Glasauer. Abb. 73 bis 76: Szenen beim Beachvolleyball in Toronto. Fotos: Herbert Glasauer. Steuerung durch interkulturellen Dialog Abb. 77: Mieterin und Delegierte zum Sozialforum nach Porto Alegre. Aus: TCHC, Annu- al Review 2004, p. 4. Abb. 78: Die Mitglieder des Vorstands der städtischen Wohnungsgesellschaft Torontos. Quelle: TCHC, Annual Review, p. 18. Abb. 79: Regent Park am östlichen Rand der Innenstadt Torontos. aus: http://www.toronto. ca/toronto_facts/maps.htm: 10.8.2005. Abb. 80: Regent Park, Darstellung des Architekten J. E. Hoare (The Regent Park Collabo- rative Team 2002: 7). Abb. 81: Regent Park (nördlicher Teil). Foto: Holger Weichler. Abb. 82: Regent Park (südlicher Teil). Foto: Detlev Ipsen. Abb. 83: Mieterbeteiligung bei der Erneuerungsplanung von Regent Park. http://www.re- gentpark.ca/pdfs/Regent%20Park%20Booklet%20-%20Finalcopy.pdf, p. 4: 10.8.2005. Abb. 84: Entwurf des Aktionsplans. Quelle: Regent Park Resident Council (2005). Beobachtungen zur Metakultur Abb. 85: Das Motto und sein Symbol als Kern der Metakultur in Toronto. aus: http://www. toronto.ca/protocol/coatofarms.htm: 12.8.2006. Abb. 86: Regeln der Nicht- Diskriminierung in einem Community Center. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 87: Hinweise auf die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Sprachen bei einem Sprachinstitut für Englisch. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 88: Wege zur Mobilität. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 89: Hillcrest Village, Gewerbe an der Nordseite der St. Clair Avenue (Doppelseite). Karte: City of Toronto, Fotos: Detlev Ipsen, Holger Weichler Abb. 90: Nebeneinander und doch verbunden. Foto: Detlev Ipsen. Abb. 91: Wo früher schottische Einwanderer lebten, sind heute Chinesen. Foto: Detlev Ipsen. Teil IV Von Toronto nach Berlin-Neukölln Anknüpfungspunkte für ein produktives Miteinander in kul- tureller und sozialer Vielfalt. Universität Kassel 2006 b - II Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Von Toronto nach Berlin-Neukölln. Anknüpfungspunkte für ein produktives Miteinander in kultureller und sozialer Vielfalt. 1. Einleitung und Intention Das Forschungsprojekt „Orte der Kulturen“ legte vor kurzem einen Bericht über die Einwanderung in Toronto vor. Am Beispiel von Toronto haben wir auf der Grundlage von Literaturrecherchen, Interviews und Beobachtungen vor Ort versucht, den theoreti- schen Rahmen unserer Studie mit empirischem Material zu konfrontieren. Die für uns bedeutungsvollste Erkenntnis war, wie sich Orte der Kulturen konkret und alltäglich als räumliche Nachbarschaften organisieren und darstellen. Diese Entwicklung ist zumindest für Toronto auch neu. Erst vor kurzem wurde die Gliederung der Stadt in überschaubare Nachbarschaften abgeschlossen. Nachbarschaften bilden nun den Mittelpunkt von Infra- strukturen wie Schulen, Nachbarschaftszentren, kulturell spezifi schen religiösen Gebäu- den, besonderen Geschäften und Dienstleistungen. Es kann nun nicht darum gehen, die Erfahrungen aus Toronto ohne wenn und aber auf Berlin-Neukölln zu übertragen. Die Idee ist, Anknüpfungspunkte und Verbindungsstücke zu identifi zieren oder Unter-schiede und Widersprüche deutlich zu machen. Welche möglichen Anknüpfungspunkte lassen sich aktuell identifi zieren? Nach Jahrzehnten der stillschweigenden Hoffnung, arbeitsmarktpolitische Erfordernisse befriedigen zu können, ohne die infrastrukturellen und politischen Rahmenbedingungen für eine dauerhafte Zuwanderung zu schaffen, wurde mit dem kürzlich vorgelegten Zu- wanderungsgesetz der aktuellen Einwanderungsrealität Rechnung getragen. Deutsche Städte mit deutlicher Zuwanderung haben darauf mit kommunalen Integrationskonzepten reagiert. Unter dem Titel ‚Vielfalt fördern - Zusammenhalt stärken‘ hat auch Berlin ein Integrationskonzept vorgelegt, welches sich im Kern stark an Torontos Konzept der Pro- duktivität kultureller Vielfalt orientiert. Damit eröffnet sich vor Ort die Möglichkeit stär- ker die positiven Aspekte von Zuwanderung in den Blick zu nehmen - ohne die Probleme und Schwierigkeiten zu negieren. Handelt es sich bei dem Integrationskonzept um eine bedeutungslose Etikette im Rahmen des Stadtmarketing oder lassen sich erste Schritte einer derart formulierten Politik fi nden, die für die Entwicklung von Neukölln genutzt werden könnten? Die Entdeckung von Nachbarschaften und kleinen Quartieren für die Integration der städ- tischen Gesellschaft fi ndet sich zumindest in Ansätzen im Quartiersmanagement. Könn- ten diese, über die internen kulturellen Unterschiede hinaus, Orte für die Entwicklung gemeinsamer Strategien des Zusammenlebens und der politischen Artikulation gegenüber dem Senat der Stadt sein? Findet man dort, wo das Quartiersmanagement arbeitet, An- satzpunkte für die Organisation von derartigen Nachbarschaften. Neben möglichen An- knüpfungspunkten sind aber auch die Unterschiede deutlich. Das Quartiersmanagement soll in einem begrenzten Zeitrahmen dabei helfen, Probleme in sozialen Brennpunkten zu verringern. Es ist aber nicht darauf angelegt, auf die Dauer kleinteilige soziale Räume zu schaffen. Wie müsste das Quartiersmanagement ausgestattet sein, wenn man die Bildung von Nachbarschaften als langfristiges Ziel vor Augen hat. Wenn wir in Neukölln erste Zusammenschlüsse von Geschäftsleuten einzelner Straßen fi nden, ist diese Form der Selbstorganisation und Interessenvertretung vergleichbar mit den ‚Business Improvement A-reas‘ in Toronto? Wo liegen die Unterschiede, wohin kann und sollte sich diese Organisationsform entwickeln? Welchen Beitrag könnten diese zur Selbstorganisation des Quartiers leisten? b - III Um diese Fragen zu klären, werden wir auf die vielen Gespräche und Interviews zurück- greifen, die in Neukölln bereits durchgeführt wurden. Weitere Interviews werden offene Sachfragen klären und kritische Aspekte identifi zieren müssen. Auch das Bild der Quartie- re, die Ästhetik der Vielfalt im Raum wird noch zu analysieren sein. Wir haben viel Bild- material aus Toronto mitgebracht, haben schon etliches zu Berlin-Neukölln und werden dies über den Sommer ergänzen und aufbereiten. Vor allem aber planen wir eine Zukunftskonferenz, in der die offenen Fragen, die Unter- schiede und das Ähnliche und somit die möglichen Anknüpfungspunkte in Diskussionen herausgearbeitet werden sollen. Die Thesen, die dieser Studie zu Grunde liegen, sollen in der intensiven Diskussion getestet, verändert, zurückgewiesen oder weiter entwickelt werden. Die Zukunftswerkstatt ist in diesem Sinn sowohl ein wissenschaftliches Instru- ment, um Erkenntnisse zu prüfen, als auch ein praktisches, um Handlungsperspektiven zu entwickeln. Auf die Anforderungen und Probleme des Bezirks wird bereits in vielfältiger Weise durch Institutionen und Einrichtungen alltäglich reagiert. Insofern verstehen wir die Zukunftswerkstatt als Ort der Diskussion und Ermittlung mittel- und langfristiger Per- spektiven für ein durch kulturelle Vielfalt geprägtes Neukölln. 2. Einwanderungsstadt Berlin Die Entwicklung von Städten ist ohne Zuwanderung nicht möglich. Ob es sich um Ver- triebene, Arbeitsmigranten, Flüchtlinge oder Aussiedler handelt, stets war der Zug in die Städte verbunden mit der individuellen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dies gilt glei- chermaßen für Berlin, welches durch vielfältige Zuwanderungsprozesse seit Jahrhunder- ten geprägt wurde und wird. 2.1 Vielfalt fördern - Zusammenhalt stärken Auf diese Tatsache hat der Senat im August 2005 mit einem umfassenden Integrations- konzept unter dem Titel ‚Vielfalt fördern - Zusammenhalt stärken‘ reagiert. Der Senat geht von der Prämisse aus, dass das von Einwanderung geprägte Berlin „eine offensive Zuwanderungspolitik braucht, um den Austausch mit der Welt zu aktivieren, um Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft der Stadt, um die Erfahrungen anderer zu bereichern und um Menschen und Standort interkulturell kompetent zu machen.“ (Der Beauftragte für Integration und Migration 2005: 4) Im „Wettstreit um Investitionen und Arbeitsplätze“ muss Berlin durch Innovationsbereitschaft und „Offenheit gegenüber der Vielfalt moder- ner Lebensweisen“ Standortentscheidungen für sich positiv beeinfl ussen. Zuwanderung wird in diesem Kontext zu einer „wesentlichen Ressource“, da die Zuwanderer neben ihrer „fachlichen Qualifi kation auch kulturelle Anregungen“ einbringen und somit das Ferment bilden, welches die „Stadtgesellschaft dynamisiert“. (ebenda, S. 4) „Vielfalt be- deutet Stärke - dieser Grundsatz einer modernen Unternehmenskultur gilt auch für Berlin. Migran-ten/innen tragen zu dieser Stärke bei. (ebenda, S. 5)“ Das positive Leitbild reagiert zugleich auf die problematischen Indikatoren, die die bishe- rige Entwicklung kennzeichnen: Dies sind zum einen die „wachsende Kluft zwischen den Bildungsabschlüssen von Kindern mit Migrationshintergrund und der Vergleichsgruppe“, eine „mehr als doppelt so hohe Arbeitslosenquote unter den Ausländer/innen verglichen mit der gesamten Wohnbevölkerung“ wie auch „erkennbare Abgrenzungen und Abschot- tungstendenzen“. (ebenda, S. 5) Die politischen Versäumnisse der Vergangenheit und die daraus resultierenden schwie- rigen Rahmenbedingungen zwingen die Politik, in der Umsetzung des Leitbildes einen Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - IV langen Atem zu entwickeln. Vielfalt und Zusammenarbeit sind dabei sich bedingende Faktoren. Das Konzept ‚Vielfalt‘ verweist darauf, dass „Berlin eine Stadtgesellschaft mit vielen Lebenswelten ist“, „reduziert nicht nur auf ethnische Vielfalt“ und dieser Prozess der „Pluralisierung ein unumkehrbarer Prozess moderner Gesellschaften ist.“ (ebenda, S. 6) Die Unterschiedlichkeit der Lebensstile und Lebensbedingungen beinhaltet zugleich das „Potenzial für soziale Verwerfungen“. Daher bedarf das Konzept ‚Zusammenhalt gestalten‘ einer aktiven und fördernden Politik und kann sich „nicht in der toleranten Anerkennung kultureller Vielfalt erschöpfen“. Aus diesem Grunde ist der Integrations- begriff zu präzisieren: „Übertragen auf die Ebenen konkreter Lebenswelten bedeutet In- tegration, dass Einzelpersonen oder ganze Gruppen gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Artikulation ihrer Interessen erhalten und vor individueller und kollektiver Ausgrenzung geschützt werden. Integrationspolitik ist im Kern Herstellung von Chancengleichheit. ... Teil des Integrationsprozesses ist die Ver- ständigung über gemeinsame Integrationsziele und Grundwerte, die allen Bürger/innen als Grundlage für das Zusammenleben in der Vielfalt anerkennen. Der Rahmen für diese Verständigung ist die Verfassung und die darin festgelegten Grundwerte: Grundrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung.“ (ebenda, S. 5f.) Die Grundsätze und Ziele der Berliner Integrationspolitik sollen als vielschichtiger Pro- zess umgesetzt werden: Erstens durch soziale und wirtschaftliche Integration im Sinne von Chancengleichheit beim Zugang zu den gesellschaftlichen Kerninstitutionen, zwei- tens durch rechtliche Integration, d.h. Möglichkeiten der politischen Partizipation, Zugang zu einem gesicherten Aufenthaltsrecht und Erwerb der Staatsbürgerschaft, drittens durch kulturelle und gesellschaftliche Integration durch den Erwerb der Sprache der Aufnahme- gesellschaft, Identitätsbildung in Bezug auf die Aufnahmegesellschaft und die Herkunfts- gruppe und viertens durch interkulturelle Öffnung der Aufnahmegesellschaft gegenüber den Migrantinnen durch eine offene, akzeptierende und demokratische Haltung. Die Neuausrichtung der Berliner Integrationspolitik begreift Integrationspolitik als prio- ritäre Querschnittsaufgabe, als zielgruppenorientiert und als partizipativ, indem sie durch Netzwerkbildung die Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisation und Nichtregie- rungsorganisationen erhöht und die Partizipationsmöglichkeiten der Migrantinnen durch Zugang zu den politischen Entscheidungsgremien verbessert. Die neue Ausrichtung der Berliner Integrationspolitik ist durch 12 Essentials gekenn- zeichnet: 1. Erfolgreiche Integrationspolitik bezieht die Betroffenen ein. 2. ... schafft Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Erwerb. 3. ... defi niert neu den Bildungsauftrag von Kita und Schule und Weiterbildung. 4. ... schafft eine neue Aufnahme- und Willkommenskultur. 5. ... schafft eine neue Kundenorientierung in der Berliner Verwaltung und den so- zialen Diensten. 6. ... stärkt den Zusammenhalt im Stadtraum. 7. ... fordert die Gleichstellung der Geschlechter ein. 8. ... anerkennt den Islam und bekämpft den Islamismus. 9. ... schützt vor Diskriminierung und stärkt die Demokratie. 10. ... nutzt die interkulturellen Potenziale für die Internationalität Berlins. 11. ... gibt Flüchtlingen eine Perspektive. 12. ... stärkt Kooperation und strategische Ausrichtung. Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - V 2.2 Migration nach Berlin Es ist das erste Mal, dass die Stadt Berlin mit einem derartigen Integrationskonzept offen- siv auf den Zuzug von Arbeitsmigranten, Aussiedlern und Flüchtlingen reagiert. Zuwan- derung wird damit bewusst als Produktivfaktor für die Stadtentwicklung begriffen und nicht länger als ein durch Probleme gekennzeichnetes Politikfeld begriffen oder schlicht ignoriert. Zuwanderung hat in Berlin eine lange Geschichte. Bereits im 17. Jahrhundert haben Hu- genotten und jüdische Zuwanderer wie keine andere Immigrantengruppe das Gesicht der Stadt mitgestaltet und zeigen nachdrücklich das Potenzial einer offensiven Einwande- rungspolitik für die Stadtentwicklung. In Brandenburg-Preußen hatten die zugewanderten Hugenotten weit reichende, positive Auswirkungen auf Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft und Sprache. Kenntnisse und Fertigkeiten der Einwanderer beeinfl ussten neben Wissen- schaft und Kunst vor allem das Handwerk. Die Zuwanderer eröffneten nicht nur neue Be- rufszweige, sondern gründeten auch die ersten Manufakturen. Das führte u. a. zur Quali- tätssteigerung der einheimischen Produktion sowie zur Vergrößerung des Warenangebots. Berlin wurde im 18. Jahrhundert das Zentrum der jüdischen Textilmanufakturen. Damit wurde der Grundstein für die führende Stellung der Berliner Modebranche zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelegt. Zuwanderung nach Neukölln und relevante Anteile von Menschen mit Migrationshin- tergrund sind keineswegs Erfahrungen jüngeren Datum. Heute noch sichtbare Zeichen fi nden sich im sog. Böhmischen Dorf um den Richard-Platz. Friedrich Wilhelm I von Preußen hatte zu Beginn des 18. Jahrhunderts der verfolgten böhmischen Brüdergemeinde im damaligen Rieksdorf politisch-religiöses Asyl geboten. Weniger sichtbar ist dagegen die massive Zuwanderung von Arbeitssuchenden in Folge der industriellen Entwicklung, die die Grundlage für diesen im letzten Jahrhundert politisch sehr aktiven ‚roten‘ Stadtteil bildete. Diese aus heutiger Sicht positiven Entwicklungen waren in den jeweiligen Epochen kei- neswegs frei von Widersprüchen, Störungen und offenen Konfl ikten zwischen den auto- chthonen und allochthonen Bevölkerungsgruppen. Die Konfrontation mit dem ‚Fremden‘ Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Abb. 1: Straße im böhmischen Dorf b - VI ist selbst dann nicht konfl iktfrei, wenn es sich bei den Flüchtlingen um die „Brüder und Schwestern“ aus dem Osten handelt. Die unübersehbare Präsenz eines hybriden italieni- schen Lebensstil in unserem Alltag lässt die xenophoben Ängste vergessen, die die Zuwan- derung italienischer Gastarbeiter in den 1950er und 1960er Jahren prägte: Die Bedrohung durch kommunistische Unterwanderung, die Übertragung von ansteckenden Krankheiten und die Gefährdung der ‚deutschen Fräuleins‘ in Folge des ‚sexuellen Notstandes‘ in den Betriebsunterkünften der sog. „Makkaronis“ (Rieker 2000, von Oswald 2002). Heute ist Berlin die Stadt mit den meisten Bewohnern ohne deutschen Pass in Deutschland. Die am 31. Dezember 2004 in Berlin mit Hauptwohnung gemeldeten 450.900 Ausländer kommen aus insgesamt 183 Staaten (Statistisches Landesamt Berlin 2005). Prozentual liegt Berlin jedoch hinter süddeutschen Großstädten wie München, Frankfurt oder Stutt- gart. Das Besondere an Berlin ist nicht nur der hohe absolute Ausländeranteil, sondern die Größe der Zuwanderergemeinden einerseits und andererseits deren extrem unterschied- liche Verteilung auf die beiden Stadthälften: Die Konzentration von Ausländern ist im Weststeil der Stadt deutlich höher als im Osten. (vgl. Kapphan 2000: 137) Wie in anderen bundesdeutschen Städten, verteilen sich die Menschen mit Migrations- hintergrund nicht gleichmäßig über das Stadtgebiet. Da es sich bei den Zuwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund überwiegend um Mitglieder aus unteren sozialen Schichten handelt, fi nden wir sie überproportional vertreten in Stadtteilen, die das Habitat eines Arbeiterstadtteils kennzeichnet. Es sind insbesondere diese Stadtteile, die die resi- dentielle Integration der Menschen mit Migrationshintergrund leisten und die Konfronta- tion mit dem Fremden im Alltag meistern müssen. Die viel beschworene residentielle Inte- gration wird in Stadtbezirken wie Neukölln geleistet, nicht in Dahlem oder Wilmersdorf. Die Quote der nichtdeutschen Staatsangehörigen variiert dabei zwischen 3,2 % in Mar- zahn-Hellersdorf und 27,3 % in Berlin-Mitte. Durch die Neuordnung der Bezirke in 2001 weisen nun die Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg hohe Ausländeranteile auf. In diesen beiden, je aus Ost- und Weststadtteilen fusioniert, leben die Ausländer jedoch fast ausschließlich in den alten Westbezirken Wedding, Tiergarten und Kreuzberg. Auffällig ist weiterhin, dass in den Innenstadtbezirken (Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln) deutlich mehr Ausländer als in den Außenstadtbezirken leben. Dies ist u.a. auf den güns- tigen Wohnraum in diesen Bezirken zurückzuführen, wobei zudem in Neukölln zwischen Nord und Süd unterschieden werden muss, da im Süden Neuköllns im Vergleich zum Norden nur sehr wenig Ausländer leben. Mehr als ein Viertel aller am 1. Januar 2004 in Berlin melderechtlich registrierten Aus- länder stammen aus der Türkei (120.684 Personen). Dies entspricht 3,6% der Gesamt- bevölkerung. Mit 32.291 Personen bzw. 7,3 % aller Ausländer bilden Bürger polnischer Herkunft die zweitstärkste Gruppe (1,0 % aller Einwohner), gefolgt von 26.226 Personen (5,9 %) aus Serbien und Montenegro (0,8 % aller Einwohner)1. Während die Zuwanderer der 1960er und 1970er Jahre, Türken, Italiener und Griechen, in den Altbaugebieten des ‚Westens‘ Wohnungen fanden, sind in den 1990er Jahren die Zu- wanderer, v.a. aus den GUS-Staaten, meistens in die Siedlungen des Sozialen Wohnungs- baus und in die Plattenbausiedlungen Ost-Berlins gezogen. Daher konzentrieren sich vor allem in den Großwohnsiedlungen deutschstämmige Aussiedler. Im Bezirk Marzahn ma- chen sie etwa 10% der Bevölkerung aus (Häußermann, Kapphan 2002: 210). Die Konzentrationen von Zuwanderern sind zeitlich relativ stabil. Bislang zogen kaum Ausländer vom Westteil in den Ostteil der Stadt (vgl. Amann, von Neumann-Cosel 1997: 41). Daher leben bis heute nur wenige Menschen mit italienischer, griechischer oder tür- kischer Herkunft im Osten der Stadt. Die Statistischen Gebiete, in denen ein Viertel oder mehr aller Einwohner Ausländer 1 vergl. http://www.satistik-berlin.de/aktuell/ms/ms2005/aufsatz0705a.pdf:28.10.05 Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - VII sind, liegen ausnahmslos im westlichen innerstädtischen Bereich, und zwar in den Be- zirken (vor der Gebietsreform) Wedding, Kreuzberg, Tiergarten, Schöneberg, Neukölln und Charlottenburg. Dies sind gleichzeitig auch die Bezirke mit den insgesamt höchsten Ausländerpopulationen. In ihnen sind zusammen 253.932 Ausländer registriert, das sind 57,2% aller in Berlin lebenden Ausländer. Unter den Statistischen Gebieten hat das Gebiet ‚Mariannenplatz‘ in Kreuzberg mit 40,6 % den höchsten Ausländeranteil, gefolgt vom Ge- biet ‚Karl-Marx-Straße‘ in Neukölln (39 %) und vom Gebiet ‚Leopoldplatz‘ in Wedding (38,9 %). Die residentielle Konzentration von Bewohnerinnen ohne deutschen Pass auf der Ebene von Statistischen Gebieten und kleinräumigeren Vierteln schlägt sich zudem nieder in Quartieren, die von bestimmten Gruppen mit ähnlichem kulturellem Hintergrund geprägt werden. Dort bilden sie zusammen mit den bereits eingebürgerten ehemaligen Migran- tinnen und Migranten gleicher Nationalität, ihren Kindern und Enkelkindern, kulturelle Cluster. Diese Cluster können weitgehend residentieller Natur sein, oder eine mehr oder minder auf die jeweilige Kultur ausgerichtete Infrastruktur aufweisen. 2.3 Migranten in Neukölln Im Kontext der Zuwanderung ist vor allem der Norden Neuköllns von Interesse. Er grenzt direkt an Kreuzberg und beherbergt etwa die Hälfte der etwa 300.000 Einwohner Neuköllns. Hier fi ndet sich ein ausgedehntes Altbauquartier mit überwiegend Ein- und Zweizimmerwohnungen. Weiterhin gibt es zwei Sozialwohnungsquartiere: die sog. High- Deck-Siedlung und die Rollbergsiedlung. Dieser Bereich Neuköllns weist große Defi zite im städtebaulichen (dichtes Altbauquartier mit geringem Freifl ächenanteil) und sozialen (überdurchschnittlicher Anteil von Erwerbslosen, Schulabbrechern, unterdurchschnittli- che Kaufkraft, hohe Fluktuation) Bereich auf. Hier liegt auch das Sanierungsgebiet ‚Cott- busser Damm Ost‘. Die Bebauung aus der Zeit um die Jahrhundertwende ist durch eine hohe Bebauungsdichte, eine hohe Bevölkerungsdichte und wenig Grün- und Freifl ächen gekennzeichnet. Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Abb. 2: Karl-Marx-Straße b - VIII Der Ausländeranteil Neuköllns betrug am 31.12.2004 21,9 % (Statistisches Landesamt Berlin), der Anteil im Norden liegt allerdings deutlich höher: 39 % im Quartier Karl- Marx-Straße und 8,3% in Rudow im Süden des Bezirks (Statistisches Landesamt Berlin 2005). Neben den Türken, die Ende 2002 über die Hälfte aller Ausländer stellten, fi nden sich hier zudem und in dieser Reihenfolge zahlenmäßig relevante Gruppen an Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien, Araber, Polen und Aussiedler aus den GUS-Staaten (Sonderauswertung des Statistischen Landesamtes 2002). Die unterschiedlich hohen Aus- länderanteile im Norden und Süden Neuköllns stehen zugleich für unterschiedlich hohe Raten an Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug. Auch wenn damit kein zwangsläufi ger Zusammenhang zwischen diesen Merkmal unterstellt werden soll, ist er doch zugleich Grundlage für eine starke Wanderungsbewegung von Nord nach Süd. Während die residentielle Konzentration von bestimmten Nationalitätengruppen häufi g weniger offensichtlich ist, und am sichtbarsten in den fremdländischen Namen auf den Klingelschildern wird, ist die Ausbreitung ihrer spezifi schen kulturellen Infrastruktur in Form von Imbissen, Geschäften, Dienstleistungsunternehmen, Cafés, Treffpunkten, Got- teshäusern u.a. kaum zu übersehen. In Berlin-Neukölln trifft dies insbesondere für den nördlichen Teil der Sonnenallee und weite Bereiche der Karl-Marx-Allee zu. 3. Neighbourhoods, Communities und Quartiere Wie können Menschen unterschiedlicher Herkunft in Neukölln in ihrer kulturellen Iden- tität gestärkt werden, ohne dass sie sich von ihrer Umgebung abschotten? Wie kann die Interaktion und der Dialog zwischen kulturellen Gruppen gefördert werden? Welche Be- deutung hat die Entwicklung stabiler Nachbarschaften für die Zukunft des Berliner Stadt- bezirkes, in dem 22% der Bevölkerung nicht in Deutschland geboren sind und ein noch größerer Teil einen Migrationshintergrund hat? Auf der Internetseite des Quartiersmanagements High-Deck-Siedlung in Neukölln heißt es: „Zu den wichtigen Arbeitsfeldern des Quartiersmanagements gehören: Beschäftigung, Bildung und Qualifi zierung, Integration und nachbarschaftliches Zusammenleben, Woh- nen und Wohnumfeld, soziale Infrastruktur (für Kinder, Jugendliche, Ältere), Stadtteilkul- tur und Gesundheit.“ (QM High-Deck-Quartier). In den Interviews mit Quartiersmana- gern des Berliner Bezirkes wurde deutlich, dass nachbarschaftliches Bewusstsein eine der wichtigen Voraussetzungen für eine produktive Quartiersentwicklung ist. In Toronto spielen Nachbarschaften eine weit größere politische Rolle als in Deutschland. Unterschiedliche kulturelle Gruppen müssen deshalb kommunizieren und potenzielle Konfl ikte regeln. Nachbar-schaftszentren, Community-Zentren, Bibliotheken und Kultu- rinitiativen organisieren den Dialog, Wissenschaft und Stadt befi nden sich in ständigem Austausch über den Prozess der Nachbarschaftsbildung und Nachbarschaftsstärkung. Können die zeitlich befristet installierten Quartiersmanagements Keimzellen für die Ent- wicklung von stabilen dauerhaften Nachbarschaften bilden? 3.1 Quartiersmanagement - Ort des interkulturellen Dialogs? In Berlin-Neukölln werden zur Zeit neun Quartiere mit dem Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“ gefördert. Fünf von diesen ausgewiesenen Gebieten sind erst im Jahre 2005 dazugekommen, die anderen (Reuterplatz, Rollbergsiedlung, Schillerpromenade und High-Deck-Siedlung) werden be- reits seit 2003 gefördert. Die jeweiligen Quartiersgrenzen orientieren sich zum großen Teil an den so genannten Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - IX „Verkehrszellen“, die im Jahr 2002 zur statistischen Erhebungszwecken aufgestellt wur- den, sind aber in ihrer Fläche bedeutend kleiner. In den 22 Verkehrszellen Neuköllns le- ben zwischen 800 (Volkspark Hasenheide) und 34.000 (Reuterplatz) Einwohnern. Die Quartiersmanagement-Gebiete (im weiteren kurz QM-Gebiete) haben zwischen 3.500 und 12.000 Einwohner. Eine Ausnahme bildet das Quartier Gropiusstadt mit ca. 24.000 Einwohnern, das größte der ausgewiesenen QM-Gebiete. Die drei QM-Gebiete für Groß- siedlungen (Gropiusstadt, Rollbergsiedlung, Dammwegsiedlung) richten sich in ihren Grenzen ausschließlich nach der Gebäudestruktur. Im Rahmen der jeweiligen Programme werden Fördergelder projektbezogen eingesetzt, u.a. auch für die Unterstützung von Mieterprojekten, Nachbarschaftstreffs, für Integrati- ons- und Beratungsangebote, räumliche Stadtteilentwicklung usw. Der Blick auf diese ausgewählten geförderten Quartiere ist aufgrund ihrer Identifi zie- rung über den Sozialindex (Sozialatlas Berlin) eher negativ belastet. Zwar wird durch die Quartiersmanagements an einer positiven Imagebildung für die jeweiligen Quartiere ge- arbeitet, insgesamt scheint man aber aus einer Perspektive der Problembeseitigung heraus zu wirken. Möglicherweise wäre eine fl ächenhafte Einteilung Neuköllns in ein Netz aus Nachbarschaftsbezirken eine Chance, sich von dieser negativ belasteten Identifi zierung über einen schlechten Sozialindex lösen und stattdessen die Entwicklung von produktiven Nachbarschaftsbezirken generell als stadtentwicklungspolitisches Ziel zu verfolgen. In Toronto dienten vor einigen Jahren ähnliche statistische Bezugseinheiten unter Einbe- ziehung weiterer harter und weicher (Sozial)Faktoren als Grundlage für die Bildung ei- nes Netzes aus Nachbarschaftsbezirken mit Einwohnerzahlen zwischen 7.000 und 10.000 Einwohnern. In diesen Nachbarschaftsbezirken werden umfangreiche Untersuchungen zur Infrastruktur durchgeführt (Gemeinschaftszentren, Schulen, gesundheitliche Versor- gung, Versorgung mit (kulturspezifi schen) Lebensmitteln, rechtliche Unterstüt-zung, Be- ratungsstellen für Zuwanderer usw.). Für die Entwicklung der Nachbarschaftsbezirke spielen die zahlreichen Community-Zen- tren und Nachbarschaftszentren eine wesentliche Rolle. Hier laufen die Fäden zusam- men, sind kulturelle Gruppen präsent, vernetzen sich, bekommen neue Zuwanderer erste Beratungsangebote, sind teilweise die Nachbarschaftsbibliotheken angesiedelt. Nachbar- schaftszentren sind die potenziellen und tatsächlichen Orte des Austausches zwischen den Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Abb.3: QM-Gebiete Quartiersmanagement-Gebiet Sanierungsgebiet Quartiersmanagement-Gebiet - neu b - X kulturellen und sozialen Gruppen. In diesem Austausch können die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Nachbarschaftsidentitäten herausgearbeitet und zudem Interessen gegenüber der Stadtpolitik formuliert werden. Nachbarschaftszentren oder Gemeinschaftsräume als räumliche Bezugspunkte sind auch in Neukölln zu fi nden, wie z.B. das Elele Nachbarschaftszentrum im Reuterkiez oder der Nachbarschaftstreff Mitten-Mang. Das Fortbestehen dieser Einrichtungen ist aber nicht selbstverständlich, immer abhängig von einzelnen Fördermaßnahmen und von dem Enga- gement einzelner Personen. In Neukölln könnten die ausgewiesenen QM-Gebiete Ausgangspunkt für die Entwicklung einer produktiven Netzstruktur von Nachbarschaftsbezirken bilden, die spezielle Belange ihrer Bürger und auch deren kulturellen Hintergrund berücksichtigt. Wichtigstes Poten- zial hierfür sind die zahlreichen Initiativen und Einrichtungen, die der Identitätsbildung kultureller Gruppen, ihrer Vernetzung und der Förderung des Gemeinschaftssinns dienen wie z.B. das Mädchenberatungszentrum MaDonna, die von griechischen Zuwanderern gegründete Initiative To Spiti und Beratungsstellen wie IMA e.V. (Integrative Migrante- narbeit). Aus den Gesprächen mit den Quartiersmanagern der Fördergebiete lässt sich schließen, dass die Aktivierung von Zuwanderern gleich welcher Herkunft, insbesondere aber der großen Zuwanderergruppen aus der Türkei und den arabischen Staaten, äußerst schwierig ist. Ähnliche Erfahrungen machen Lehrer und Lehrerinnen und Initiatoren von Beteili- gungsworkshops. Von eher unkomplizierten Beteiligungen von Menschen mit Migrati- onshintergrund berichten die Initiatoren von Projekten mit künstlerischem Ansatz wie die Initiative Behrenspeicher e.V.: Die Kids und Jugendlichen unterschiedlichster Herkunft aus dem Quartier beteiligen sich rege an den Projekten. Die Kunst überbrückt Hemm- schwellen, die Leute haben nicht das Gefühl, versorgt zu werden, sondern können krea- tiv werden. Besonders beliebt sind Musik- und Filmprojekte, bei denen die Jugendlichen „eine Bühne“ erhalten. Die Problematik der Aktivierung von Menschen der Zuwanderergruppen, insbesondere der neuen bzw. sozialstrukturell ärmeren, gibt es genauso in Toronto. Hier hat sich die Methode der Animierung durch eine Art „Scoutsystem“ bewährt: Erwachsene der jewei- ligen Kulturgruppen, die eine (An)Leitungsfunktion übernehmen, aber auch Jugendliche, werden als so genannte „Animateure“ in die Arbeits- und Planungsprozesse integriert, um in ihr soziales Umfeld hineinzuwirken und weitere Akteure zu akquirieren. Ansätze solcher Vorgehensweise lassen sich auch in Neukölln beobachten, wie z.B. bei dem Projekt Interkulturelles Elternzentrum des Quartiersmanagements Schillerstraße. Eine Arbeitsgruppe aus Eltern, Vertretern des Jugendamtes und lokalen Migrantenverei- nen arbeitet an Konzepten zur Verbesserung der Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen im Quartier. Innerhalb des Projektes soll das Modul der Stadtteilmütter für bessere Erreichbarkeit der Eltern und die Vermittlung von Sprach- und Sozialkompetenzen sorgen. 13 frisch ausgebildete türkische Stadtteilmütter konnten in- ner-halb eines knappen halben Jahres bereits ca. 60 Familien besuchen und mit ihnen ei- nen 10-wöchigen Kurs zu den verschiedensten Themen der Erziehung und Förderung von Kindern und Jugendlichen durchführen. Erinnert sei hier auch an den Comenius-Garten mit seinem pädagogischen Konzept und seinem vielfältigen Programm. Für die Entwicklung von stabilen Nachbarschaftsstrukturen kann auch auf die Erfahrun- gen mit speziellen Projekten aufgebaut werden, die das Kulturamt Neukölln durchgeführt hat: Beispielsweise geht es im Projekt ‚Neues aus Babylon‘ um die Vielfalt der Sprache. Ziel ist es, die Kulturen ins Bewusstsein zu rufen, aber auch die Bibliothekarinnen in die Kulturarbeit einzubinden. Die Stadtbibliothek wird besonders häufi g von muslimi- Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - XI schen Mädchen besucht, was hoffen lässt, diese in das Projekt einbinden zu können. Die positiven Erfahrungen mit der Erreichbarkeit von Zuwanderergruppen durch Stadtteilbi- bliotheken hat in Toronto zur Entwicklung eines kleinmaschigen Bibliotheksnetzes mit direktem Nachbarschaftsbezug geführt. Die Stadtteilbibliotheken leisten hier neben ih- rer Bildungsaufgabe teilweise einen erheblichen Beitrag als kommunikative Zentren für Nachbarschaften. 3.2 Infrastruktur und Dialog Im Zuge der sich in den letzten Jahrzehnten entwickelnden kulturell vielfältigen Bevölke- rungsstruktur Neuköllns entstand auch eine Infrastruktur im Bezirk, die Neuköllner Zu- wanderern und ihren Nachkommen zur Verfügung steht und die Anknüpfungsfelder für die zukünftige Stadtentwicklung bietet. Im Wesentlichen gibt es vier Themengruppen, bei denen man von kultureller Infrastruktur sprechen könnte: Ethnische Ökonomien, kultur- spezifi sche Beratungsangebote, religiöse Stätten und der kulturübergreifende Dialog. • Ethnische Ökonomien Im Segment Handel und Dienstleistungen hat sich in den letzten Jahren der Anteil an kul- turspezifi schen Unternehmen signifi kant erhöht. In den Interviews dienten vor allem die beiden Hauptgeschäftsstraßen Neuköllns, die Karl-Marx-Straße, sowie die Sonnenallee als Beispiele für kulturell geprägte Geschäftskonzentrationen. In der Karl-Marx-Straße werden von den Interviewpartnern dabei eher türkische Geschäfte wahrgenommen, wäh- rend der Sonnenallee ein zunehmend arabischer Charakter bescheinigt wird. Die „Interna- tionalisierung“ der Straße wird vielfach in Zusammenhang mit einem Bedeutungsverlust Nord-Neuköllns als Einzelhandelsstandort gesehen. Dabei spielen aber auch die Auswir- kungen der im Süden Neuköllns errichteten Gropius-Passagen auf den Einzelhandel Neu- köllns eine große Rolle. Geschäfte seien eher im „Billig-Segment“ angesiedelt. Dennoch wird der Karl-Marx-Straße attestiert, dass sie belebter sei als früher. Um 1980 sei das Stadtbild eher alt und grau gewesen. Seit 1990 wird die Straße zunehmend dominiert durch türkisch/arabische Geschäfte - und vor allem durch Männer türkischer und arabi- scher Herkunft. Und zugleich sei das Stadtbild durch die junge Generation lebendiger geworden: Auch Mädchen gehen in den letzten Jahren vermehrt in arabische Teestuben, die früher reine Männerdomänen waren. Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Abb. 4: Lebensmitel und Gemüse - nun etwas anders b - XII Mit den Organisationen AG Karl-Marx-Straße und AG Sonnenallee gibt es inzwischen Interessenvertretungen der ansässigen Geschäftsleute, die allerdings fast ausschließlich mit deutschstämmigen Geschäftsleuten besetzt sind. Eine neu gegründete IG (Interessen- gemeinschaft) Sonnenallee möchte versuchen die internationale Spannweite der Straße besser zu integrieren (Berliner Morgenpost 2005). Hier könnten sich möglicherweise An- knüpfungsfelder für die zukünftige Installierung von kulturell geprägten BIA’s (Business Improvement Areas) bzw. BID’s (Business Improvement Districts) entwickeln lassen. Zweimal die Woche fi ndet der über die Bezirksgrenzen hinaus bekannte Markt am May- bachufer statt, der häufi g fälschlicherweise dem unmittelbar angrenzenden Bezirk Kreuz- berg zugeschrieben wird. Er wird wegen seines internationalen, orientalischen Flairs und seines speziellen Angebotes geschätzt. Vermarktungsstrategien, die auf die Internationali- tät der Neuköllner Ökonomie eingehen, haben sich bis jetzt noch nicht durchsetzen kön- nen. Bei vielen Einwohnern Neuköllns mit Migrationshintergrund ist der Wille vorhanden, sich mit einem Gewerbe selbständig zu machen (vielfach wohl auch aus Mangel an anderwei- tigen Beschäftigungsmöglichkeiten). So fi nden z.B. die meisten Investorengespräche im Sanierungsgebiet Wederstraße mit Unter-nehmern mit Migrationshintergrund statt. Die Unternehmer suchen in Eigeninitiative nach geeigneten Grundstücken für ihre Geschäfte. Dabei ist die örtliche Nähe zu Landsleuten ein entscheidendes Kriteri-um, ebenso die niedrigen Mietkosten. Diese für den Bezirk wichtigen (Eigen)Initiativen treffen auf Wi- derstände bei alteingesessenen Unternehmern, wenn es z.B. um die Übernahme von deut- schen Traditionsbetrieben geht. • Kulturspezifi sche Beratung In Neukölln gibt es laut einer Aufstellung der Neuköllner Migrationsbeauftragten 60 Be- ratungsangebote für Migranten, die von verschiedenen Trägern angeboten werden. Diese teilen sich auf in Angebote von deutschen Trägern, wie kirchlichen Trägern und karitati- ven Organisationen sowie in Angebote von durch Migranten organisierte Initiativen, z.B. türkische Vereine. In einigen Fällen verbinden sich Angebote für eine spezifi sche kulturel- Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Abb. 5: Fleischerei und Bäckerei - der neue Stil b - XIII le Gruppe mit einem karitativen Träger, so auch im Fall des griechischen Beratungs- und Bildungsvereins To Spiti. Mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes (2005) orien- tierten sich viele zuvor auf eine kulturelle Gruppe konzentrierte Beratungseinrichtungen um und bieten ihre Angebote auch für andere kulturelle Gruppen an, da nur so die Zulas- sung für die eingeführten Integrationskurse für Neu-Zuwanderer zu bekommen ist. Die im Vergleich zu Kreuzberg in Neukölln vorhandene Vielfalt an angebotenen Initiativen und Projekten, die versuchen, trotz ungünstiger ökonomischer Rahmenbedingungen die Lebensqualität im Bezirk zu erhöhen, wird als ein Vorteil des Bezirks angesehen. • Religiöse Stätten Neukölln ist einer der Bezirke in Berlin mit der höchsten Dichte an Moscheen. 2003 gab es im Bezirk 16 Moscheen, 15 davon lagen im Ortsteil Neukölln, also im Norden des Bezirkes. Die Moscheen liegen in der Regel unauffällig innerhalb von Gebäuden oder Hinterhöfen und belegen Etagen in gemischt genutz-ten Gebäuden. Nur zwei Moscheen haben eigene Grundstücke und Gebäude und sind damit wahrnehmbar im öffentlichen Raum, die Sehitlik Moschee am Columbiadamm und die Al-Nur Moschee (Contextplan 2003). Die Moschee am Columbiadamm wird von der DITIP unterhalten und gehört da- mit zum Einfl ussbereich des türkischen Staates, die Al-Nur-Moschee steht in Verdacht verfassungsfeindlicher Aktivitäten und wird deshalb angeblich vom Verfassungsschutz beobachtet. In einigen Jahren könnte Neukölln auch Standort eines Hindutempels sein, für den sich der Tamilische Verein derzeit engagiert. Der Tempel soll eine identitätsstiftende Einrichtung für die derzeit in Berlin und Umgebung lebenden 5000 Tamilen aus Indien und Sri lanka sein. Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln Abb. 6: Sehitlik Moschee b - XIV • Kulturübergreifender Dialog Zur Vernetzung der verschiedenen Beratungsstellen und Initiativen gibt es in Neukölln verschiedene Gremien: Ein Migrationsbeirat, der eine beratende Funktion für die Bezirks- regierung wahrnimmt besteht seit vier bis fünf Jahren. Der Migrationsbeirat soll die ver- schiedenen Communities im Bezirk vernetzen. Neben 12 Vertretern ‚nicht-deutscher-Her- kunft‘, die aus Projekten und Vereinen rekrutiert werden stellen auch karitative Verbände, die in der Migrantenarbeit tätig sind, die Arbeitsagentur, die Polizei und die Fraktionen der Bezirksversammlung Mitglieder. Eine Kiez AG soll Projekte in der Jugendarbeit, Famili- enarbeit und das Jugendamt vernetzen. Des Weiteren gibt es den Internationale Arbeitskreis der evangelischen Kirche Neukölln. Der Internationale Arbeitskreis und ein Kulturbeirat bilden Plattformen für die Vernet- zung von Engagierten und Experten aus den Bereichen Kultur und Migration. Aus dieser Zusammenarbeit haben sich äußerst erfolgreiche Projekte entwickelt wie z.B. 48 Stunden Neukölln/Kiez international/bewegte Welten. 3.3 Stärkung des Engagements im Quartier • Aktionsfonds und Quartiersfonds In den Quartiersmanagementgebieten gibt es zwei bedeutende Instrumente, um die Quar- tiersbewohner in Projekte und Aktionen des Quartiermanagements einzubeziehen: Akti- onsfonds und Quartiersfonds. Aktionsfonds bieten den Bewohnern des QM-Gebietes fi - nanzielle Unterstützung für die Verwirklichung kleiner Projekte. Dabei werden Vorhaben, die den Zusammenhalt im Kiez fördern, Nachbarschaften stärken oder das Wohnumfeld verschönern, gefördert. Jährlich stehen dafür 15.000 EUR aus dem Programm „Soziale Stadt“ zur Verfügung, über deren Verwendung ein Beirat aus engagierten Bewohnern ent- scheidet. Eine wesentlich umfangreichere Ausstattung hatten die Quartiersfonds, die bei Einrichtung der QM-Gebiete vom Berliner Senat zur Verfügung gestellt wurden. 1 Million DM (511.000 EUR) war der Umfang dieser Fonds, die einmalig zur Verfügung gestellt wurden. Eine zufällig ausgewählte Jury aus Bewohnern der entsprechenden Quartiere ent- schied über die Vergabe der Gelder. Im Rahmen der Programme des Quartiersmanagements werden verschiedene Verfahren der Beteiligung von Quartiersbewohnern und Mietern angewandt. So existiert z.B. in der Neuköllner High-Deck-Siedlung ein Mieterbeirat. Da allerdings die Partizipation von Be- wohnern nicht an fi nanzielle Mitbestimmung für Aktionen und Projekte geknüpft ist, ist es schwer, die Leute zu motivieren sich zu beteiligen. Am Beispiel der städtischen Woh- nungsbaugesellschaft in Toronto (Toronto Community Housing Cooperation) hatten wir in unserem Bericht deutlich gemacht, dass die Mitbestimmung von Mietern und Entschei- dungen in Finanzfragen sich keineswegs ausschließen müssen. • Freiwilligenengagement Mit der Gründung der Bürgerstiftung Neukölln wurde 2005 eine bedeutende Initiative zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements gestartet. Die Stiftung fordert alle Bür- ger Neuköllns, unabhängig von ihrer Herkunft auf, sich für den Bezirk zu engagieren. Die Bürgerstiftung Neukölln führte u.a. unterstützt durch das Kulturamt Neukölln von Dezember 2004 bis Februar 2005 eine Veranstaltungsreihe zum Thema ‚Freiwillige Ar- beit – Bürgerengagement – Ehrenamt‘ durch, in der zu internationalen Gespräche mit Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - XV engagierten Migranten eingeladen wurde. Thematisch ging es hier um ehrenamtliches Engagement in den Herkunftsländern der Migranten. An vier Abenden wurden Inhalte, Organisation und Förderung freiwilliger Arbeit aus jeweils zwei verschiedenen Ländern besprochen (Iran-Kongo, Jugoslawien-Türkei, Russland/Frankreich, Indien-Irak). Im Jahr 2005 organisierte die Bürgerstiftung die Veranstaltung ‚Neukölln-Potentiale, Probleme und Perspektiven‘. Mit rund 300 engagierten Teilnehmern wurden zu verschiedenen The- mengebieten Arbeitsgruppen gebildet, auf deren Ergebnisse bei weiteren Arbeiten aufge- baut werden könnte: 1. Kinder und Jugendliche, Kita und Schule, 2. Frauen und Familie, 3. Älter werden, 4. Arbeit, 5. Wohnumfeld, 6. Wirtschaft, 7. Gesundheit, 8. Kultur, 9. Sport / Freizeit, 10. Flüchtlinge, 11. Spracherwerb (Senatsverwaltung für Gesundheit, Sozia-les und Verbraucherschutz 2005). 4. Was tun? Wie wir eingangs festgestellt haben, sehen wir drei wesentliche Anknüpfungspunkte für einen produktive Entwicklung Neuköllns als kulturell und sozial vielfältigen Bezirk: Zum einen hat sich Berlin mit der Vorlage eines Integrationskonzeptes unter dem Motto ‚Vielfalt fördern - Zusammenhalt stärken‘ die Möglichkeit eröffnet, aktiv und produktiv mit den Anforderungen von Zuwanderung umzugehen. Dies eliminiert nicht die proble- matischen Konsequenzen einer jahrzehntelangen Nichtbeachtung von Zuwanderung. Es ermöglicht jedoch den Blick zu schärfen für die möglichen Potenziale der Zuwanderung und die aktuellen Schwierigkeiten in ihrer Dimension und Brisanz zu relativieren. Die Entscheidung Berlins für eine offensive Zuwanderungspolitik bedeutet zugleich die Ver- pfl ichtung gegenüber denjenigen Stadträumen, die die Integration vorrangig im Alltag leisten müssen. Zum zweiten sehen wir erste Ansätze in der Entwicklung von räumlichen Nachbarschafts- beziehungen, die über die kulturellen Unterschiede hinaus die Gemeinsamkeiten von Not- wendigkeiten im sozialen Nahraum ins Auge fassen. Dazu gehören einerseits das Engage- ment der diversen Quartiersmanagements, die zahlreichen lokalen Initiativen und Vereine, die Zusammenschlüsse von Selbständigen u.a.. All diese Initiativen sind getragen von der Verantwortung für das Quartier und ermöglichen darüber die Entwicklung von Identität, die die Gemeinsamkeit der sozialen Lebenslagen ins Zentrum stellt und zugleich die kul- turellen Verschiedenheiten nicht negiert. Und drittens gibt es zahlreiche Organisationen, die als Treffpunkte, Netzwerkknoten und Interessenvertretung einzelner Gemeinschaften fungieren, auf die wir in diesem Bericht verwiesen haben. Diese drei Anknüpfungspunkte möchten wir ins Auge fassen, um in der breiten und inten- siven Diskussion vor Ort nach mittel- und langfristigen Optionen einer zukunftsfähigen Entwicklung Neuköllns zu suchen. Der Austausch über diese Entwicklung wird wesent- lich durch den Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen geprägt sein. Kultureller Austausch meint weder desinteressiertes Nebeneinander, konfl iktreiche Konfrontation noch exotische und kulinarische Folkloristik. Kultureller Austausch meint die Suche nach den produktiven Elementen und Synergien gemeinsamer zukünftiger Entwicklung auf der Grundlage kultureller Diversität und Fremdheit. Diese Suche speist sich aus der Gewiss- heit, dass das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen nie konfl iktfrei war und zu- gleich stets die Elemente für eine nachhaltige zukünftige städtische Entwicklung in sich birgt. Dafür lohnt es sich nachzudenken und zu streiten. Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln b - XVI Literatur: Amann, Renate; von Neumann-Cosel, Barbara (Hrsg.) (1997): Berlin - eine Stadt im Zei- chen der Migration. Darmstadt: VWP, Verl. für Wiss. Publ. Berliner Morgenpost (2005): Zwischen Wasserpfeife und Weinladen, 1.7.2005 Bezirksamt Neukölln von Berlin (2005): Angebote für Migranten in Neukölln, 3. Aufl age Contextplan (2003): Moscheen in Berlin Neukölln. Stadtstrukturelle Tragfähigkeitsunter- suchung. Ergeb-nisbericht Der Beauftragte für Integration und Migration: Vielfalt fördern - Zusammenhalt stärken. Das Integrationskonzept für Berlin. Berliner Beiträge zur Integration und Migration. Ab- geordneten haus Berlin, Drucksache 15/4208 vom 23. Aug. 2005 Häußermann, Hartmut; Kapphan, Andreas (2002): Berlin - Von der geteilten zur gespalte- nen Stadt? Sozi-alräumlicher Wandel seit 1990. Opladen: Leske + Budrich Kapphan, Andreas (2000): Die Konzentrationen von Zuwanderern in Berlin: Entstehung und Auswirkungen. In: Schmals, Klaus M. (Hrsg.): Migration und Stadt, Entwicklungen, Defi zite, Potentiale. Opla-den: Leske + Budrich Oswald, Anne von (2002): Volkswagen, Wolfsburg und die italienischen „Gastarbeiter“ 1962-1975. In: Friedrich-Ebert-Stiftung in Verbind. mit Institut für Sozialgeschichte e.V.: Archiv für Sozialgeschichte. 42. Band. Braunschweig, Bonn: Dietz, S. 55-79 QM High-Deck-Quartier: Hompage: www.high-deck-quartier.de QM Reuterquartier: Homepage: www.reuter-quartier.de QM Schillerpromenade: Homepage: www.qm-schillerpromenade.de Rieker, Yvonne (2000): Südländer, Ostagenten oder Westeuropäer? Die Politik der Bun- desregierung und das Bild der italienischen Gastarbeiter 1955-1970. In: Friedrich-Ebert- Stiftung in Verbind. mit Institut für Sozialgeschichte e.V.: Archiv für Sozialgeschichte. 40. Band. Braunschweig, Bonn: Dietz, S. 231-258 Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz (2005): Der Beauftrag- te des Senats für Integration und Migration: Neukölln – Potenziale, Probleme und Pers- pektiven eines Einwanderungsbezirkes, Dokumentation, Berlin Sonderauswertung des Statistischen Landesamtes 2002 Sozialatlas Berlin Statistisches Landesamt Berlin 2005 Teil IV - Von Toronto nach Berlin Neukölln