Endbericht der Begleitforschung Wasserspuren - Wasser sichtbar machen Hann. Münden Registriertes Projekt der Weltausstellung Arbeitsgruppe Empirische Planungsforschung - Universität . Gesamthochschule Kassel Endbericht der Begleitforschung Wasserspuren - Wasser sichtbar machen Hann. Münden Registriertes Projekt der Weltausstellung Verfasser: Arbeitsgruppe Empirische Planungsforschung (AEP) Universität . Gesamthochschule Kassel Mönchebergstraße 17 34109 Kassel Prof. Dr. Detlev Ipsen Dipl.-Ing. Astrid Wehrle Kassel, Januar 2001 Auftraggeber: Stadt Hann. Münden Böttcher Straße 3 34335 Hann. Münden 4Inhalt Vorwort ................................................................................. 6 I Kooperative Planung Zusammenfassende Ergebnisse des Zwischenberichts ..... 8 1 Stadtökologie und Partizipation.................................... 9 1.1 Wasserspuren auf öffentlichen Plätzen Ökologische Ästhetik durch kooperative Planung................ 9 1.2 Deep Participation ....................................................... 10 1.3 Warum ökologische Ästhetik? ......................................... 10 1.4 Das Projekt ‚Wasserspuren‘ ............................................. 11 1.5 Wasserspuren als integrierende Praxis ............................. 12 1.6 Ziele der Begleitforschung ............................................. 12 1.6.1 Methoden und Arbeitsschritte ........................................13 1.6.2 Forschungsleitende Fragen............................................. 14 2 Ort und Identität ....................................................... 15 2.1 Bürger und Stadt.......................................................... 15 2.2 Die Plätze und ihre räumliche Ausgangssituation .............. 16 2.3 Bürger und Plätze ........................................................ 18 3 Praxis der ‚Deep participation‘ .................................... 20 3.1 Kooperative Planung – der Prozeß ..................................20 3.2 Entwürfe – Konzepte .................................................... 21 3.3 Die soziale Reichweite der Beteiligung ............................ 23 3.4 Institutionalisierung der dauerhaften Beteiligung ............. 25 3.5 Herstellung von Öffentlichkeit ....................................... 27 3.6 Deep Participation – ein Modell, aber nicht für jeden Fall Resümee der Ergebnisse des Zwischenberichts .................. 29 5II Ökologische Ästhetik ................................................. 31 4 Die Plätze im Urteil der Bürger ................................... 32 4.1 Die Beziehung der Bürger zu den drei Plätzen - Ausgangslage .............................................................. 33 4.2 Neue Gestalt- und Funktionsqualität der Plätze durch das Projekt ‚Wasserspuren‘ ....................................35 4.3 Das kritische Urteil der Bürger ....................................... 40 4.3.1 Methodische Übersicht zu den abschließenden Untersuchungen ........................................................... 40 4.3.2 Fragen und Interpretationen ..........................................40 4.4 Kenntnis der neugestalteten Plätze ................................. 41 4.5 Plätze und Beurteilungen ..............................................42 Der Rathausplatz.......................................................... 42 Der Zwischenplatz ........................................................ 43 Der Kirchplatz.............................................................. 44 Die Marktverlegung ...................................................... 45 Die Neuorganisation des öffentlichen Nahverkehrs ............ 46 Die Grünplanung .......................................................... 46 5 Bürger und Besucher .................................................. 47 6 Bürgerakteure und Urteil ........................................... 52 6.1 Rückblickende Bewertung des Beteiligungsverfahrens ........ 54 Resümee ................................................................... 56 Anhang ...................................................................... 60 Beteiligte Bürger Übersicht der Materialien und Zeitpunkt der Erhebung Literatur 6Vorwort Am 31. Oktober 2000 wurden die Pforten des EXPO-Ausstellungsgelände in Hannover geschlossen. Über Erfolg oder Mißerfolg des Ereignisses ist man sich uneins. Einerseits herrscht Enttäuschung über den mangelnden Zu- schauerzuspruch vor allem während der ersten Monate der Weltausstel- lung, andererseits aber auch Begeisterung für ein ‚Fest der Völker‘ bei vielen, die die Ausstellung besuchten. Ob die EXPO die inhaltlichen Erwar- tungen erfüllt hat, die man an das Motto Mensch, Natur, Technik stellen kann, ist fraglich. Nachdem die Pforten geschlossen wurden, wird Bilanz gezogen. Über die Ausstellung selbst, aber auch bei den vielen dezentralen registrierten Pro- jekten, die an vielen Orten in der Welt anläßlich der EXPO in Hannover initiiert oder weiterentwickelt wurden. Die Bedeutung der EXPO war hier- bei weniger materiell (nur selten flossen Gelder der EXPO-Gesellschaft in die einzelnen Projekte), sondern vor allem ideell; die Registrierung als EXPO-Projekt ließ auf Anerkennung und öffentliches Interesse hoffen. Das EXPO-Projekt in Hann. Münden ist ein solches Projekt und im Gegen- satz zur Ausstellung in Hannover wird es seine Pforten nicht schließen, sondern weiter das Leben der Bürger dieser Stadt beeinflussen. Die Umge- staltung der Stadtplätze war ein nahezu drei Jahre dauernder Planungs- und Bauprozeß, bei dem Bürger der Stadt eine außerordentliche Rolle spiel- ten. Das Verfahren sollte nicht nur einen Beitrag zu einem neuen Planungs- verständnis liefern, sondern auch die Stadtkultur positiv beeinflussen. In diesem Endbericht, der auf den Ergebnissen der projektbegleitenden Forschungen beruht, wird das gesamte Verfahren nochmals kurz skizziert. Teil I (Kapitel eins bis drei) resümiert in verdichteter Form die Ergebnisse des Zwischenberichts, der im April 1999 veröffentlicht wurde. Der Schwer- punkt des Zwischenberichts lag bei dem Beteiligungsverfahren. Dieses Verfahren gliederte sich in drei Phasen: die Vorbereitung, die Workshops und die anschließende Planungsphase mit Rückkopplungstreffen zwischen Planern, Künstlern und Bürgerbegleitgruppe. Er setzt sich vor allem mit der Bürgerbeteiligung und den Bedingungen eines Gelingens oder Mißlin- gens auseinander. Diejenigen, die an einer weitergehenden Darstellung interessiert sind, möchten wir auf den Zwischenbericht selbst verweisen; denjenigen, denen der Zwischenbericht vertraut ist, mögen diese Seiten zur Erinnerung dienen. Teil II (Kapitel vier bis sechs) stellt die Ergebnisse unserer abschließen- den Untersuchungen dar. Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse der letzten repräsentativen Telefonbefragung unter der Bürgerschaft Hann. Mündens vorgestellt. Der Augenmerk liegt auf den neu entstehenden Beziehungen der Bürger zu den Plätzen. Welcher erster emotionaler Eindruck entsteht bei den Bür- gern, was wird kurz nach der offiziellen Übergabe bereits gemocht, was eher abgelehnt? 7Dieser Blick skizziert die Anfänge der Meinungsbildung unter den Bürgern der Stadt. Wie wir von unseren früheren Untersuchungen wissen, gab es vor dem Projekt ‚Wasserspuren‘ einen relativ breit angelegten ‚common sense‘ zu Funktion und Bedeutung der Plätze. Auch die Bewertung der Plätze war bis auf den Kirchplatz recht konsistent. Wird sich dies gleich nach der Übergabe wieder einstellen? Das fünfte Kapitel wendet sich den Platznutzern zu. Es fahndet nach Über- einstimmungen und Unterschieden bei der Beurteilung der einzelnen Plät- ze. Es will Sichtweisen und Perspektiven identifizieren, die sich mögli- cherweise danach unterscheiden, ob man aus Hann. Münden bzw. den zugehörigen Gemeinden stammt oder als Besucher, also Außenstehender die Plätze betrachtet. Das sechste Kapitel läßt schließlich die Bürgerakteure zu Wort kommen. Wie ist ihre Beziehung zu den Plätzen, an deren Gestaltung sie fast drei Jahre mitgewirkt haben, wie sind sie mit dem Realität gewordenen Ergeb- nis zufrieden? Darüber hinaus wollten wir von ihnen erfahren, wie Sie das Beteiligungsverfahren – nunmehr rückblickend – beurteilen. Den Schluß bildet ein zusammenfassendes Resümee. Wir wollen uns an dieser Stelle nochmals bei all denjenigen bedanken, die uns den Einblick in das Verfahren, in ihre Meinungen und Urteile erst ermöglicht haben. 8I Kooperative Planung Zusammenfassende Ergebnisse des Zwischenberichts 91 Stadtökologie und Partizipation 1.1 Wasserspuren auf öffentlichen Plätzen Ökologische Ästhetik durch kooperative Planung Die nachhaltige Stadtentwicklung und der ökologische Stadtumbau sind aktuelle Themen der gegenwärtigen Planungsdebatte. Sie sind dies eben- so wie die Suche nach neuen Verfahren, die die gefühlsmäßige Bindung der Bürger an ihre Stadt und ihre Einbeziehung bei Planungsmaßnahmen erhöhen. Entsprechende Diskussionen und Forschungen finden auf natur- wissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher und nicht zuletzt auf ingenieurwissenschaftlicher Ebene statt. Wohin der Weg dabei gehen soll, ist jedoch nach wie vor umstritten. Ist Ökologie bezahlbar? Stehen Ökologie und städtisches Leben im Wider- spruch? Unter welchen Bedingungen können Städter den ökologischen Stadtumbau in Angriff nehmen? Wie kann Ökologie zu einem Leitbild zu- künftiger Städte werden? Das heißt – ganz ohne populistisch zu sein – wie kann sich Ökologie in den Köpfen der Städter als sinnhaftes Projekt fest- setzen? Die Stadt Hann. Münden stellte sich diesen Fragen mit dem Projekt ‚Wasser- spuren - Wasser sichtbar machen‘, das als dezentrales Projekt der Weltaus- stellung EXPO 2000 registriert wurde. Die drei innerstädtischen Plätze um Kirche und Rathaus wurden unter besonderer Berücksichtigung des Was- sers neu gestaltet. Ökologische Aspekte kamen ebenso zum Tragen wie der Erfahrungswert des Wassers; die Raumgestaltung durch Wasser berücksich- tigte visuelle und akustische Elemente. Gleichzeitig wurden Erfahrungen mit einer neuen Planungskultur erprobt. Von einem externen Moderator, der dennoch mit der Stadt und ihren Gege- benheiten vertraut ist, wurde ein Verfahren geleitet, bei dem Planer, Künstler und Bürger in gemeinsamen Arbeitsgruppen Planungsvorschläge entwik- kelten, die von einer Jury aus externen Fachjuroren und örtlichen Politi- kern begutachtet wurden. Dabei sollten nicht nur qualitativ hochwertige Entwürfe entstehen, sondern sich auch Kooperationen zwischen den be- teiligten Planern und Künstlern entwickeln. Die Bürger, so erhofften sich die Initiatoren des Verfahrens, können so nicht nur in die Konzept- und Planungsentwicklung eingebunden werden, sie werden vielmehr selbst zu Akteuren und damit auch zu Multiplikatoren der Planungsidee. Die Arbeitsgruppe Empirische Planungsforschung (Universität • GH Kassel) erhielt den Auftrag, dieses EXPO-Projekt wissenschaftlich zu begleiten und aus diesem Experiment verallgemeinerbare Schlüsse zu ziehen. Für uns Wissenschaftler bot sich damit die einmalige Chance, diesen Prozeß zeit- gleich zu verfolgen, die einzelnen Schritte von den ersten Ideen bis zur Umsetzung zu beobachten, die Akteure in unterschiedlichen Phasen zu befragen und die politischen sowie verwaltungstechnischen Ziele und Pro- blemlagen eines derartigen Prozesses zu analysieren. Es stellt sich die spannende Frage, wie kann sich Ökologie in den Köpfen der Städter als sinnhaftes Projekt festsetzen? Das Projekt ‚Wasserspuren - Wasser sichtbar machen‘ will beim Umbau der innerstädtischen Plätze nicht nur öko- logische Aspekte und den Erfahrungs- wert des Wassers berücksichtigen, son- dern auch eine neue Planungskultur erproben. Dieses EXPO-Projekt wurde wissen- schaftlich begleitet um aus diesem Experiment verallgemeinerbare Schlüs- se zu ziehen. 101.2 Deep Participation Wir haben für die Art und Weise, wie der Planungsprozeß durchgeführt wurde, einen Begriff geprägt: deep participation. ‚Deep participation‘ heißt, daß die Bürger an der Planung nicht nur beteiligt sind, sondern in aktiver Teilnahme den Prozeß, die Entwurfsarbeit und das Ergebnis mitbestim- men. Sie beurteilen und bewerten nicht nur die Vorstellungen von Politik und Planung, sondern gestalten diese Vorstellungen mit. Dies bedeutet, daß die beteiligten Bürger durch ihre Teilnahme qualifiziert werden und ihre Interessenlage damit auch eine fachliche Sicht erhält. Durch diese Form der Partizipation wird die Sichtweise der Bürger als eine professio- nelle Dimension, neben anderen (Rechtsfragen, Ökonomie, Entwurfslehre usw.) in den Planungsprozeß eingeführt. Ob und wie dies gelingen konnte, wo Grenzen und Probleme einer derarti- gen Planungskultur liegen, waren die leitenden Fragen des begleitenden Forschungsvorhabens. 1.3 Warum ökologische Ästhetik? Vorweg einige wenige Sätze zur Theorie eines ästhetisch-ökologischen Stadtumbaus. Daß sich unser Verhältnis zur natürlichen Umwelt ändern muß, ist heute ein breit getragener gesellschaftlicher Konsens. Zu offen- sichtlich sind die Schäden einer intensiven Ressourcennutzung und die Folgen von Emissionen und Abfall für die menschliche Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden. Und dennoch sind die Schritte in diese Rich- tung langsam und zäh. Der Grund dafür ist, daß eben dieses Naturverhältnis ein Kernelement der Moderne ist, in der wir leben, unter der wir leiden und die wir schätzen. Die weitgehende Beherrschung der Natur und ihre radi- kale Nutzung als Ressource sind Voraussetzung der jetzigen Form der Arbeits- und Konsumgesellschaft. Nehmen wir als ein Beispiel den Komfort, der das alltägliche Leben kenn- zeichnet. Viel von dem, was den Komfort des Stadtlebens ausmacht, steht uns erst seit 30 Jahren zur Verfügung. Natürlich gab es technische Vorläu- fer und manches war schon im 19. Jahrhundert in wohlhabenden Haushal- ten vorhanden. Aber jedem sein eigenes Zimmer, in jeder Wohnung ein Bad, oft noch zusätzlich eine Dusche, getrennt davon ein Klo und nicht selten eine Gästetoilette, das ist für die meisten noch durchaus neu. Das heißt aber: Wenn dieser Massenkomfort im Widerspruch zur Belastbarkeit des Naturhaushaltes steht, dann gefährdet die ökologische Debatte einen gerade erst gewonnenen Status. Allein schon dies könnte einen Umstand erklären, den man als morali- schen Bruch bezeichnen kann. Auf der einen Seite wird die Bedeutung einer gesunden und intakten Umwelt betont. Neben der Beseitigung der Arbeitslosigkeit steht die Lösung der Umweltprobleme an oberster Stelle der Prioritätenliste. Auf der anderen Seite wissen wir von uns selbst und Deep participation heißt, daß Bürger die Vorstellungen von Politik und Pla- nung mit gestalten. Die Sichtweise der Bürger wird als eine professionelle Dimension neben anderen in den Pla- nungsprozeß eingeführt. Das heutige Naturverhältnis ist ein Kernelement der Moderne, deswegen sind Schritte in eine neue Richtung langsam und zäh. Wenn der Massenkomfort im Wider- spruch zur Belastbarkeit des Natur- haushaltes steht, dann gefährdet die ökologische Debatte einen gerade erst gewonnenen Status. 11können dies auch allgemein beobachten, daß wir täglich und in großem Ausmaß Verhaltensweisen an den Tag legen, durch die die Biosphäre in zunehmenden Maße Belastungen ausgesetzt wird. Das beginnt morgens mit der warmen Dusche, es ist die bequeme Fahrt mit dem Auto zur Arbeit, es ist der Kauf hygienisch verpackter Lebensmittel, die preiswert sind, weil Kunstdünger eine früher nicht gekannte Intensität der Bodennutzung möglich macht, und es endet abends in der von der Zentralheizung gemüt- lich gewärmten Wohnung. Wenn wir jedes Mal an die Folgen unseres Ver- haltens, an die Bedingungen der Produktion und der Verteilung der Waren denken würden, wäre dieses Leben wenig angenehm. Moralische Appelle verstärken unsere Neigung, die paradoxe Situation zu verdrängen. Unser Verhalten erreicht Ziele, die wir wollen und hat Effekte, die wir nicht wünschen. Der Widerspruch läßt sich nicht auflösen, aber verringern, wenn auch nur Schritt für Schritt und langsam. Ökologische Ästhetik soll dabei behilflich sein, den Wert der Natur im Sinn zu behal- ten, so wie uns die Warenästhetik alltäglich, z.B. in der Werbung, den Wert der Waren vor Augen führt. Indem wir Natur als ‚schön‘ begreifen oder durch Ästhetik auf ihre Belastung hingewiesen werden, bleibt sie als ein Element in der paradoxen Organisation der Moderne erhalten. Da Was- ser nicht ein, sondern das zentrale Lebensmittel ist, können Wasserspuren im Einzelnen das Allgemeine erfahrbar machen. 1.4 Das Projekt ‚Wasserspuren‘ Das Projekt ‚Wasserspuren‘ knüpfte konzeptionell an das ‚historische Ge- dächtnis‘ der Stadt an. „Hann. Münden hat wie kaum eine andere Stadt in Deutschland über Jahr- hunderte von seiner Lage an den drei Flüssen Fulda, Werra und Weser profi- tiert. Die Flüsse rahmen den mittelalterlichen Stadtkern von europäischem Rang mit 700 Fachwerkhäusern, Stadtmauern und -türmen ein. … Die Flüs- se, das Wasser gaben die Stelle vor, an der Münden vor mehr als 800 Jahren gegründet wurde. Dem Wasser verdankt die Stadt ihre Entwicklung, ihren Reichtum.“ (EXPO-Antrag der Stadt Hann. Münden) Das Wasser war aber auch über Jahrhunderte eine ständige Gefahr für die Stadt, ihre Bewohner und ihren Reichtum. Hochwassermarken an wichti- gen Gebäuden der Stadt erinnern an die Macht des Wassers. Auch deshalb wurde ‚Wasser‘ als Thema der Stadt für den Schlußpunkt der Stadtsanierung und als EXPO-Beitrag gewählt. Wie auch immer die Umgestaltung der zentralen Plätze aussehen würde, sie sollte den vitalen Bezug der Menschen zum Wasser erfahrbar und die Gefährdung des Wassers durch die Art unserer Nutzung nachvollziehbar machen. Es ist ein ästhetisches Konzept, durch welches ‚Wasserspuren‘ sichtbar gemacht und „neue spielerische Formen“ geschaffen werden sollen. „Über Wenn wir jedes Mal an die Folgen un- seres Verhaltens, an die Bedingungen der Produktion und der Verteilung der Waren denken würden, wäre unser Le- ben wenig angenehm. Ökologische Ästhetik soll dabei behilf- lich sein, den Wert der Natur im Sinn zu behalten. Die Flüsse waren immer auch eine Be- drohung. Hochwassermarke an der Ecke des Rathauses. 12Jahrhunderte gegen Feuer oder Straßenverschmutzung und zur Energie- gewinnung eingesetzt, soll Wasser in künstlerisch-technischen Formen als Grund-, Regen- und Schmutzwasser im Alltagsleben der Bürger eine Rolle erhalten. Damit wird das Wasser als Träger aller Lebensprozesse in unser Alltagsblickfeld zurückgeholt.“ (Antrag der Stadt Hann. Münden) Die städtische Politik formulierte die Absicht, daß die innerstädtischen Plätze „auf Dauer und über die EXPO hinaus ein sichtbares Zeichen für einen neuen Umgang mit dem Lebenselement Wasser durch die Bürger und Besucher sein“ werden. (Antrag der Stadt Hann. Münden) 1.5 Wasserspuren als integrierende Praxis Dieser neue Umgang bezog sich nicht nur auf das Lebenselement Wasser, sondern auch auf den Weg, wie man zur Neugestaltung der Plätze kommen wollte. Zu Zeiten, in denen vielerorts praktisch und theoretisch über Zivilge- sellschaft als ein Gegenentwurf zur Politikverdrossenheit der Bürger und zur Arroganz der Macht nachgedacht wurde, schlug die Stadt Hann. Mün- den einen Weg ein, der mit dem Begriff der Partizipation nur äußerst unzureichend beschrieben ist und den wir – um ihn davon zu unterschei- den – mit dem Begriff ‚deep participation‘ bezeichnen. In einem Verfahren, das zunächst von Politik- und Verwaltungsspitze ini- tiiert wurde, wurden nicht nur umfangreicher planerisch ‚etablierter‘ Sach- verstand hinzugezogen, sondern die Bürger als Sachverständige und mit- planende Akteure betrachtet. Gleichzeitig wurde auf politischer Ebene versucht, eine möglichst breite Unterstützung quer durch alle Parteien zu erzielen. Diese Aktivitäten entwickelten sich nicht von ungefähr. Eine breite Interesseneinbindung der Bürgerinnen und Bürger bereits in der Planungs- phase ist eine Investition in die Zukunft. Die Verbundenheit der Bürger mit den Plätzen ist höher, Beschädigungen und Vandalismus sind eher zu begrenzen. Nicht zuletzt aber profitiert die politische Kultur einer Stadt davon, daß Politik und Verwaltung ihre Diskursbereitschaft unter Beweis stellen. 1.6 Ziele der Begleitforschung Warum sollte überhaupt eine Begleitforschung stattfinden? Neben Grün- den, die mit der Bewilligung des Projektes zusammenhängen, gab es ei- nen zentralen Punkt, diese Form der Beteiligung – die ‚deep participation‘ – zu untersuchen. Es gibt nur wenig Erfahrung damit und die Erfahrungen, die es gibt, sind selten systematisch betrachtet worden. Wir hatten hier das Glück einen Beteiligungsprozeß fast von Beginn an, vor allem aber im Zeitraum der Bürgerbeteiligung selbst, beobachten zu können. Wir konnten die unmittelbar Beteiligten selbst und die Bürger der Das von der Stadt Hann. Münden ge- wählte Verfahren ist eine ‚deep par- ticipation‘ - eine tiefgehende Beteili- gung der Bürger. Nicht zuletzt profitiert die politische Stadtkultur von einer aktiven Einbin- dung der Bürger. Die Begleitforschung sollte den Prozeß beobachten und die Erfahrungen resü- mieren. 13Stadt in repräsentativer Auswahl befragen. Wir konnten Workshops und Arbeitssitzungen beobachten, wir konnten die Planungsergebnisse und die jeweiligen Zwischenschritte kennenlernen. Ziel unserer Beobachtungen war es, Elemente, die ein Gelingen oder Miß- lingen eines solchen Prozesses beeinflussen, zu identifizieren. Wir wollten sehen, wer mit einem solchen Beteiligungsverfahren angesprochen wer- den kann und wer dabei außen vor bleibt, welche Bindungskräfte ein Betei- ligungsprozeß erreichen kann und wie die Zufriedenheit der Akteure mit dem Ergebnis ist. Wir wollten aber auch sehen, wie sich ein solcher Prozeß an die Öffent- lichkeit vermittelt, welche Rolle die Beteiligten bei der Vermittlung spie- len (gibt es sogenannte Multiplikatoreneffekte?), auf welche Bedingun- gen das Projekt in der Bevölkerung stößt, wie es verfolgt wird und wie schließlich das gebaute Ergebnis beurteilt wird. 1.6.1 Methoden und Arbeitsschritte Die Begleitforschung unterschiedet nach prozeßorien- tierten Forschungen und wirkungsorientierten Forschun- gen. Um den Prozeß zu verfolgen, haben wir einerseits eine große Zahl von Veranstaltungen beobachtet. Dies wa- ren z.B. die erste Vollversammlung bei der erstmals Bürger, Planer und Künstler aufeinandertrafen, die Work- shops, die Rückkopplungstermine zwischen Planern, Künstlern und Bürgern im Anschluß daran, mehrere öf- fentliche Präsentationen der unterschiedlichen Projekt- phasen sowie einige Veranstaltungen politischer Gre- mien bzw. Anhörungen. Andererseits haben wir in ge- wissen zeitlichen Abständen Befragungen der Akteure durchgeführt. Allein die beobachteten Veranstaltungen summieren sich auf die stolze Zahl von 29. Kaum einer der Initiatoren hätte sich dies zu Beginn des Projektes vermutlich vor- gestellt. Darin nicht enthalten sind interne Termine der Bürgerbegleitgruppe, Arbeitstreffen der Planer und Künstler oder Sitzungen der Verwaltungsabteilungen. Nicht nur die große Zahl von Terminen mag manch ei- nen erstaunen. Besonders bemerkenswert ist die Tatsa- che, daß es Bürger dieser Stadt gibt, die sich ca. drei Jahre für das Projekt engagierten und an der Mehrzahl dieser Termine teilnahmen. Die Methoden der Begleitforschung orientieren sich eng an den For- schungszielen und dem Ablauf der einzelnen Projektabschnitte. Untersuchungsdesign der Begleitforschung EXPO-Projekt „Wasser sichtbar machen“ Hann. Münden 1. Prozeßorientierte Forschungen Fragestellungen: * Soziale Reichweite der Beteiligung * Entstehung/Verhinderung von Kreativität Methoden: * Beobachtung der Workshops u.a. Aktions* und Beteiligungsmuster Förderung bzw. Restriktion kreativer Prozesse * Kurzfragebögen für Workshopteilnehmer (soziale Zusammensetzung) * Interviews und Gespräche mit Akteuren (wer wird zum Handelnden, wie werden kreative Prozesse gesehen) * Presseauswertung 2. Wirkungsorientierte Forschungen Fragestellungen: * Identität/Bezug Mündener Bürger mit/zur Stadt, speziell Innnenstadt und die zu entwickelnden Plätze sowie Natur, speziell Wasser * Verhältnis der Bürger zur Natur in der Stadt Methoden: * Repräsentative Telefonbefragung zu Beginn des Projektes, nach Abschluß der Planungsphase sowie nach Abschluß der Bauphase * Passantenbefragung * Platzbeobachtung 141.6.2 Forschungsleitende Fragen Die Begleitforschung, die im Auftrag der Stadt aber ohne jede inhaltliche Vorgabe durchgeführt wurde, stellte sich sechs forschungsleitende Fragen: Wie steuert man einen als sehr offen geplanten Prozeß, der nicht nur Beteiligungsprozeß, sondern gleichzeitig auch Entwurfs- und Planungs- prozeß, politischer und verwaltungstechnischer Prozeß ist? Wie kann ein Projekt öffentlich werden und welche Öffentlichkeit erreicht es? Welche Rolle spielen die Bürger in diesem Prozeß? Diese Frage stellt sich nicht nur für diejenigen, die unmittelbar und aktiv am Planungsprozeß beteiligt waren, sondern für alle Bürger der Stadt. Welche soziale Reichweite kann ein Beteiligungsverfahren haben, wie es im Rahmen des Projekts ‚Wasserspuren‘ durchgeführt wurde? Welche ge- sellschaftlichen Gruppen bleiben ausgegrenzt? Wie gehen Planer und Künstler mit der für sie größtenteils ungewohnten Situation um? Welche Bedingungen fördern und behindern Kooperation? Welche Bedeutung hat die Konkurrenz? Wie kann die Moderation in einem derartigen Verfahren den Spagat zwi- schen nüchterner Neutralität und engagiertem Interesse vollziehen und welchen Einfluß hat der gewählte Weg auf das Verfahren selbst? Wie beurteilen die beteiligten Bürger und die Bürger der Stadt das reali- sierte Ergebnis? Forschungsleitende Fragen 152 Ort und Identität 2.1 Bürger und Stadt Jede Planung und vor allem jede Bürgerbeteiligung ist in ein bestimmtes Milieu eingebettet. Bei dem Bau eines Jugendzentrum wurde in der Stadt Hann. Münden schon vor einigen Jahren die erfolgreiche Erfahrung einer aktiven Beteiligung, in diesem Fall von Jugendlichen gemacht. Diese Be- teiligung hat das Jugendhaus zu ihrem Haus gemacht. Es sind aber nicht nur einzelne konkrete Erfahrungen, durch die Planung bestimmt wird, son- dern die Stimmung in einer Stadt. Eine der Möglichkeiten, etwas über die Stimmung zu erfahren, ist es, die Bürger danach zu fragen, wie gerne sie in ihrer Stadt leben. Diese Frage haben wir schon in einigen anderen Städten und Gemeinden bei anderen Gelegenheiten gestellt, so daß uns hier ein Vergleich möglich war. Grund- sätzlich kann man bei dieser Frage meist einen relativ hohen positiven Zuspruch feststellen, so daß eigentlich die kleinen Nuancen, d.h. die Aus- sagen: „Ich lebe nicht so gerne hier“ bzw. „es ist mir nicht so wichtig hier zu leben“ von Interesse sind. Ein Vergleich mit der Stadt Kassel soll dies veranschaulichen. Kassel liegt in einem mittleren Feld der Beliebtheitsskala der von uns befragten Städte. Und schon im Vergleich zu einer ‚mittelbeliebten Stadt‘ wird deutlich, daß Hann. Münden sowohl bei der Antwort „es ist mir nicht so wichtig hier zu leben“ besonders aber bei der Antwort „ich lebe nicht so gerne hier“ besser abschneidet. Aber es ist wohl nicht die Größe bzw. Überschaubarkeit Hann. Mündens, die zu diesem starken Ergebnis führt und auch nicht nur die Schönheit der Landschaft. Bei einer Untersuchung in Spangenberg, in seiner Schönheit von Stadt und Landschaft Hann. Mün- den in nichts nachstehend, sagten auf die ähnlich gestellte Frage nur 27% der Bürgerinnen und Bürger, es sei sehr gut oder gut, in Spangenberg zu leben. Die Hann. Mündener Bürger leben gerne in ihrer Stadt und heben sich bei ihrem positiven Zuspruch deutlich von anderen Städten und Gemeinden ab. Hann. Münden ist als Wohnort bei den Bürgern sehr beliebt und die Verbundenheit zur Stadt ist hoch; es sollte folglich ein elementarer Aspekt der politischen Kultur einer Stadt sein, dies zu pflegen oder zu fördern, denn die Verbundenheit mit einer Stadt ist ein Indikator für die politische und zivilgesellschaftliche Kultur. Was man nicht beeinflussen kann, weil politische Parteien oder einzelne Interessengruppen die Kontrolle über die Stadt haben, kann man sich nur schwerlich aneignen. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hann. Münden haben einen intensi- ven und differenzierten Bezug zu ihrer Stadt. Bei der ersten repräsentati- ven Telefonbefragung, die noch vor Beginn des Wasserspurenprojekts durch- geführt wurde, fragten wir die Interviewpartner, was sie Freunden, die nicht aus Hann. Münden stammen, zeigen würden. Über die Hälfte aller 43,9% 47,9% 1,8%6,4% Wie gerne leben Sie in Hann Münden (1997) fühle mich sehr verbunden lebe ganz gerne hier lebe nicht so gerne hier nicht so wichtig 29,7% 55,6% 6,5% 8,2% Wie gerne leben Sie in Kassel fühle mich sehr verbunden lebe ganz gerne hier lebe nicht so gerne hier nicht so wichtig Die Hann. Mündener Bürger leben ger- ne in ihrer Stadt und heben sich in ihrem positiven Zuspruch deutlich von anderen Städten und Gemeinden ab. 16genannten Orte bzw. Gebäude befinden sich in der Innenstadt. Es sind fast ausschließlich architektonische und kulturelle Objekte, unter denen das Rathaus einen besonderen Platz einnimmt. Die Land- schaft und verschiedene Orte am Wasser werden – al- lerdings mit deutlichem Abstand – ebenfalls gerne ge- zeigt. Als einzelne Orte ragen die Tillyschanze, von der man einen schönen Blick über die Stadt und die umgebende Landschaft hat, sowie der Weserstein an der Nordspitze des Tanzwerders heraus. Man ist sich der Bedeutung – gerade in der Wirkung auf Fremde – der drei wichtigen Faktoren durchaus bewußt: das Stadtbild, die Landschaft und die Flüsse. Die ‚Außendarstellung‘ der Stadt durch die Bürger und Bürgerinnen ist auf relativ wenige, bestimmbare Orte bzw. Objekte der Stadt, der Landschaft oder an den Flüssen zentriert. Es herrscht ein weitgehender ‚common sense‘ darüber, was für Fremde sehenswert ist. Wenn man aber danach fragt, was die Bürger und Bürgerinnen in ihrer Stadt persönlich schön finden, offenbart sich ein sehr differenziertes, pri- vates Bild der Stadt. Bei der Frage nach dem schönsten Platz werden über sechzig (!) verschiedene Orte genannt, wobei Rathausplatz und Kirchplatz die Spitzenpositionen einnehmen. Wir haben daraus geschlossen, daß für die Bürger dieser Stadt, die Innen- stadt und mit ihr auch die zentralen Plätze eine hohe Bedeutung haben und zwar in doppelter Hinsicht: einerseits für die Repräsentation der Stadt nach außen, also Fremden gegenüber, aber auch für die Bürger selbst; sie sind Teil ihrer Identität als Bürger dieser Stadt. Es war also wirklich eine gute Idee, bei einer Neuplanung einen öffentlichen Diskurs – in welcher Form auch immer – zu führen. Verallgemeinert man diese Indikatoren, so läßt sich das Milieu gleichge- wichtig als Differenzierung bzw. Individualisierung und Integration be- schreiben. Zusammen mit der weitverbreiteten positiven Grundhaltung gegenüber der Stadt ist dies eine günstige Grundlage für Bürgerengagement und Beteiligung. 2.2 Die Plätze und ihre räumliche Ausgangssituation Die Neugestaltung bezog sich auf die zentralen Plätze der Stadt: den hi- storischen Marktplatz, der sich vor dem Rathaus befindet, einen zu Planungsbeginn namenlosen Zwischenplatz und den Kirchplatz. Die drei Plätze sind in ihrer Größe und Gestaltung sehr verschieden. Im Norden liegt der Platz vor dem Rathaus, der historische Marktplatz, der – wie der Name bereits nahelegt – einst Schauplatz des Marktes war, zu Beginn der Planungen aber vor allem Repräsentationszwecken diente. 1801601401201008 06 04 02 00 9 2 1 2 4 9 103 2 5 5 0 9 6 3 2 5 5 6 9 102 176 Sonstige Orte Nichts/Zuhause bleiben Landschaftl. Umgebung Tillyschanze Weserliedanlage Orte am Wasser Weserstein Innenstadt (Konsumorientierung) Fachwerk/einzelne Objekte Schloß Rathaus Innenstadt (Kulturorientierung) Was zeigt man in der Stadt Umgebung Innenstadt Wasserorte Es herrscht ein weitgehender ‚common sense‘ darüber, was für Fremde sehenswert ist: die Innenstadt, die Landschaft und das Wasser. Innenstadt und zentrale Plätze haben in doppelter Hinsicht eine hohe Be- deutung: einerseits für die Repräsen- tation der Stadt nach außen, anderer- seits für die Bürger selbst; sie sind Teil ihrer Identität als Bürger dieser Stadt. Die Plätze um Kirche und Rathaus bil- den bis heute den kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunkt des städ- tischen Lebens. 17Er ist mit dem Rat- haus, dem mittägli- chen Glockenspiel und der umgeben- den Häuserkulisse besonders für Tou- risten ein spezieller Anziehungspunkt in der Stadt. Im Som- mer nutzt der Rats- keller die Platzmit- te, um Tische und Stühle für die Bewirtung herauszustellen, ansonsten ist der Platz frei. Durch die Lotzestraße gelangt man zu dem Platz zwischen Rathaus und Kirche. Diese enge Gasse nahmen vor der Umgestaltung auch alle Busse, die durch den Stadtkern fuhren. Der Platz hatte keinen eigenen Namen und das charakterisierte seine Situation vielleicht am deutlichsten. Er war eine Art Durchgangs- bzw. Abstellraum. Er war Durchgangsraum für Pas- santen, die Ziele jenseits des Raumes hatten, sowie für die Busse, die diesen innerstädtischen Punkt anfuhren, um Passagiere aufzunehmen oder aussteigen zu lassen. Er war Abstellraum für Taxen, Fahrräder, pausierende Busse und letztlich auch für die wartenden Passagiere des öffentlichen Nahverkehrs. Wurde kein Bus erwartet, war der Platz vor allem leer. Im östlichen Teil des Kirchplatzes öffnet sich der Raum zur Langen Straße. Hier gibt es Cafés, die den Platz nutzen, um im Sommer Tische herauszu- stellen. Hier befand sich zu Planungsbeginn ein Brunnen, dessen Gestal- tung zwar vielfach kritisiert wurde, der aber durchaus genutzt wurde, sei es, um sich einmal niederzulassen oder auch um mit dem Wasser zu spie- len. Wenige Bänke luden mit Blickrichtung zur Langen Straße zum Verwei- len ein. Die große Fläche des Kirchplatzes südlich der Kirche war unterschiedlich gepflastert bzw. geteert und fast völlig freigehalten. Der Platz wurde häufig überquert, aber auch – sehr zum Ärger einiger Bürger – zum Fuß- ballspielen, Skaten oder Fahrradfahren genutzt. Das Bild veränderte sich an den zwei Markttagen während der Woche. Dann standen östlich der Kirche vor allem Blu- menstände und andere offene Verkaufsstände und süd- lich der Kirche größere, meist in Fahrzeugen befindli- che Marktgeschäfte. Der Zwischenplatz vor der Umge- staltung – vor allem eine Halte- stelle. Der Rathausplatz, Sommer 1997 – vor der Umgestaltung. Der Kirchplatz vor der Umgestal- tung – die große Fläche ist fast völlig freigehalten. 182.3 Bürger und Plätze Die Plätze um Kirche und Rathaus sind ebenso wie die bei- den öffentlichen Gebäude selbst zu Beginn des Projektes für die Hann. Mündener Bürger auf eine ganz spezifische Weise wichtig. Sie sind Teil einer Identität, die sowohl nach außen gezeigt wird, als auch für sie selbst wirksam ist. Die Innenstadt zeigt man seinem Besuch gerne, und das Rat- haus ist neben der Tillyschanze das am häufigsten genannte Einzelbauwerk. Der Rathausplatz und der Kirchplatz sind die am häufigsten genannten Plätze, wenn man nach Hann. Mündens schönstem Platz fragt. Das Urteil über den Kirch- platz ist aber durchaus geteilt. Er belegt auch den dritten Rang bei der Nennung der häßlichsten Plätze. Politik und Verwaltung nennen besonders den Rathausplatz gerne „die gute Stube Hann. Mündens“, wobei diese For- mulierung offenläßt, ob der tiefere Bedeutungsgehalt im Präsentationswunsch nach außen oder im persönlichen Wohlbefinden der Bürger liegt. In unserer ersten Telefon- umfrage empfinden über 70% der Mündener Bürger den Rathausplatz immerhin als angenehm. Auch der Kirchplatz ist noch über der Hälfte der Bürger angenehm. Der Platz zwischen Rathaus und Kirche hingegen kann sich nur einer verminderten öffentlichen Beachtung erfreuen. Er ist knapp 45% der Mündener gleichgültig und nur wenig mehr als 15% empfinden ihn angenehm. Der Rathausplatz wird von den Bürgern tatsächlich als der repräsentative, für die Außendarstellung wichtigste Platz gesehen, insofern deckt sich ihre Sichtweise mit der von Politik und Verwaltung. Die Bewertung des Platzes ist stark mit dem Rathaus als Gebäude verbunden: Die wichtigste positive Qualität sehen die Bürger im Rathaus selbst und seiner zum Platz gerichteten Fassade. Andere Aspekte (die Pflasterung des Platzes, die umgebenden Häuser, Glockenspiel, Eisenbart-Aufführungen) liegen dahin- ter deutlich zurück. Sie beziehen sich auf Elemente, die die Kulisse dieses städtischen Raumes mitgestalten, oder beschreiben den Rathausplatz als eine Bühne des städtischen Lebens. Auch beim Kirchplatz sind die Gebäude auf und um den Platz – die Kulisse dieses Stadtraumes – wichtig. Hinzu kommt die Bedeutung des Kirchplat- zes als Ort des Marktes, der vor den Neuplanungen auf diesem Platz statt- fand, und – im Gegensatz zum Rathausplatz – die Rolle des Raumes als Aufenthaltsort für die Bürger. Die Ausführung des Platzbelages (viel Teer, teilweise Verbundpflaster) wird dagegen kritisiert. Weil offensichtlich viele Bürger diesen Platz als einen Aufenthaltsort für sich selbst sehen, fühlen sie sich durch andere Nutzergruppen dann und wann gestört und empfinden den Platz zuweilen auch als unsauber. 120100806040200 105 18 21 24 25 27 32 35 43 Sonstiges / k. Angaben Wallanlagen Zu Hause bleiben Lange Straße / Einkauf Weserstein Tillyschanze Weserliedanlage Kirchplatz Rathausplatz Der schönste Platz 1801501209060300 174 31 11 12 12 13 15 17 18 27 gibt es nicht, k. Angaben Sonstiges div. Orte Tanzwerder div. Orte an Flüssen Schloßplatz Hinterhöfe, Hintergassen div. Industrieanlagen Kirchplatz div. Orte Wallanlagen Bahnhofsbereich Der häßlichste Platz 70,9% 8,2% 20,9% Wie empfinden Sie den Rathausplatz? angenehm unangenehm gleichgültig 54,5% 18,5% 27% Wie empfinden Sie den Kirchplatz? angenehm unangenehm gleichgültig Die schönsten und häßlichsten Plätze. 19Es ist der Platz, bei dem am häufigsten der Wunsch nach ‚mehr Grün‘ geäußert wird. Der Platz zwischen Kirche und Rathaus war zum damaligen Zeitpunkt fast der Hälfte der Bürger gleichgültig. Seine wesentliche positive Qualität wurde in seiner Bedeutung als Ort des öffentlichen Nahverkehrs gesehen. Der Wunsch nach Veränderung der Plätze wurde sehr deutlich, wohin die Veränderungen gehen sollten, blieb allerdings offen und heterogen. Relativ viele Bürger wünschten sich auf den Plätzen mehr Grün (allerdings geht auch hier die Spannweite von Bäumen, Grünflächen, Blumenbeeten oder -kübeln bis hin zum Blumenschmuck für die umliegenden Häuser) und mehr Sitzgelegenheiten, die nicht an die umliegende Gastronomie gebunden sind. Das für die Umgestaltung als zentrales Gestaltungselement vorgesehene Thema ‚Wasser‘, spielte zwar eine gewisse Rolle, trat aber hinter anderen Themen deutlich zurück. 15,5% 39,7% 44,8% Wie empfinden Sie den Zwischenplatz? angenehm unangenehm gleichgültig Der Platz zwischen Kirche und Rat- haus ist vielen Bürgern gleichgültig. 203 Praxis der ‚Deep participation‘ 3.1 Kooperative Planung – der Prozeß Der gesamte Prozeß der kooperativen Planung kann in drei Abschnitte unterteilt werden. 1. Phase – Vorbereitung und Hinzuziehung externen Sachverstandes 2. Phase – Aktive Kooperation in der Planung 3. Phase – Begleitung des weiteren Planungs- und Entwurfsprozesses durch die Bürger. Die dritte Phase wurde noch ergänzt mit kooperativen Umsetzungsaktionen wie z.B. eine Zeltaktion, bei der Bürger und Besucher der Stadt einzelne Steine des Platzbelages gestalten konnten. Die ‚Planungsfamilie‘ bestand aus eingeladenen Planungsbüros und Künst- lern 1, den Bürgerinnen und Bürgern 2, die an der Planung aktiv teilge- nommen haben, der Verwaltung und dem Rat und seinen zuständigen Aus- schüssen. An zentraler Stelle steht der Moderator 3, der vermittelnd und wenn notwendig steuernd den gesamten Prozesses integrieren sollte. Wenn man will, kann man die Begleitforschung hinzurechnen, da die Ergebnisse frühzeitig rückgekoppelt werden sollten, um kritische Entwicklungen zu vermeiden. Die Vorbereitungsphase diente dem Aufbau dieser ‚Familie‘ und der Struktu- rierung eines Rahmens für den Planungsablauf. Bereits sehr früh wurden die Bürger – zunächst über die örtliche Presse, dann aber auch durch Informationsveranstaltungen – auf die Umgestaltung hingewiesen und über die Möglichkeit des eigenen aktiven Eingreifens informiert. Kurz vor der ersten Vollversammlung (als diejenigen Bürger zusammentrafen, die als Akteure in den Planungsworkshops beteiligt sein wollten) wußte ein gu- tes Drittel aller Hann. Mündener von der auf sie zukommenden Umgestal- tung. (Ergebnisse der 1. Telefonbefragung, September 1997) In dieser ersten Phase wurde in gemeinsamen Gesprächen zwischen den Verantwortlichen der Stadt und dem Moderator, teilweise unter Hinzu- ziehung der Begleitforscher, ein grober Rahmen für das Verfahren entwik- kelt. Den organisatorischen Kern des Prozesses bildeten Workshops, auf denen Ideen und Entwürfe erarbeitet, diskutiert und einer Jury 4 vorge- stellt wurden. Für die Workshops wurden Planer und Künstler eingeladen, die mit den Bürgern Gestaltungskonzepte und Entwürfe formulieren soll- ten. Informationsveranstaltungen für die nicht am Verfahren direkt beteiligte Bür- gerschaft, Pressearbeit und Beratungen in den politischen Gremien umlagern die- sen Kern. In der zweiten Phase waren es die Planer und Künstler, die die Bürger in den akti- ven Planungsprozeß einbanden. Jeweils Zeitphasen des Beteiligungsverfahrens. 1. Phase (1994 - 1997) Projektantrag Hinzuziehen externen Sachverstandes Information der Öffentlichkeit 2. Phase (1997 - 1998) Aktive Kooperation Bürger-Planer-Künstler 3. Phase (1998 - 2000 ) Kritische Begleitung der Planer-Künstler- Planungen durch die Bürger Beteiligung bei baulicher Umsetzung 1 Es waren die Planungsbüros: Atelier Dreiseitl/Überlingen; Bendfeldt, Schröder, Franke/ Schwerin; Birkigt-Quentin/Adelebsen; Kontor Freiraum/Hamburg; Planung Landschaft Freiraum PLF/Kassel; sowie die Künstler Andres Bosshard/Zürich; Diether Heisig/Hannover; Jens und Werner Kalkmann/ Bodenburg; Wolfgang Rossdeutscher/ Sohlen ü. Magdeburg; Ulrich Westerfrölke/ Kehlberg-Köttelbach. 2 Ausführliche Liste im Anhang des Endberichts. 3 Prof. Burkhardt, Planungsbüro Laage und Partner, Hamburg. 4 Die Jury wurde durch die Verantwort- lichen der Stadt und den Moderator zusammengestellt. Sie bestand aus zwei Fachplanern: Prof. Wilkens/Kassel; Prof. Schwertfeger/Hannover bzw. in dessen Vertretung beim zweiten Workshop Dipl.-Ing. Pax/Hannover; und fünf Sachgutachtern aus Politik und Verwaltung Hann. Mündens: Frau Winkelmann/GHMÜ; Herr Gemm CDU; Herr Prof. Faulstich/SPD; Herr Dr. Lütcke/Stadtdirektor; Herr Hoffarth/Bürgermeister. An den Jurysitzungen nahmen außer- dem Herr Meyer als Baudirektor und Herr Albers als Stadtkämmerer und Vertreter des Stadtdirektors beratend teil. Der Moderator leitete die Sit- zungen zeitweise, die Begleitfor- schung nahm beobachtend teil. 21im Gespann (ein Planerteam - ein Künstler) erarbeiteten sie in den Work- shops mit den Bürgern einen Entwurf. Insgesamt wurden so fünf Gruppen gebildet, in denen Planer, Künstler und Bürger zusammenarbeiteten. Durch die fünf Gruppen sollte der interne Wettbewerb gefördert werden, wobei die Konzeption keine gegenseitige Ausschließung der Gruppen intendier- te, sondern darauf setzte, daß sich im Verlaufe des Verfahrens Kooperations- modelle zwischen den teilnehmenden Planern, Künstlern und Bürgern ent- wickeln würden. Die zweite Phase war der Zeitraum, in dem sowohl die Bürger als auch die Planer und Künstler sich mit einigen für sie meist neuen Arbeits- und Umgangsweisen konfrontiert sahen. Für die Bürger bot sich die Gelegen- heit einer aktiven Planungsteilhabe, und zwar gleich zu Beginn eines Ent- wurfsprozesses. Sie waren Sachverständige in eigener Sache und zugleich mitplanende Akteure. Die Planer und Künstler konnten sich das Wissen und die Interessen der Bürger für ihre Entwurfsarbeit unmittelbar erschlie- ßen. Gleichzeitig wurden sie in die für die meisten ungewohnte Rolle versetzt, ein solches Team zu moderieren und in Teilen auch zu steuern. Es war für sie ebenfalls ungewohnt, die ersten Entwurfsschritte in einem öffentlichen Forum und in Kooperation mit Dritten zu tun. Die dritte Phase ist durch eine Veränderung des Arbeitsstils gekennzeich- net. Bislang hatten die Bürger aktiv planerisch, sozusagen mit dem Stift oder dem Modell in der Hand, mit den Planern und Künstlern an einem Tisch gesessen und entworfen. Es war eine aktive Planungsteilhabe, bei der die Bürger als gleichberechtigte Partner einen Beitrag zum Gesamt- entwurf leisteten. Jetzt veränderte sich ihre Rolle. Die Bürger waren jetzt sehr viel weniger selbst Planer, denn die Weiterentwicklung des Entwurfs und der einzelnen künstlerischen Objekte verlagerte sich in die Planungs- büros und Künstlerateliers. Die dort entwickelten Ideen wurden den Bür- gern präsentiert und mit ihnen kritisch diskutiert. Im Gegensatz zu soge- nannten Bürgeranhörungen, die normalerweise bei größeren Planungs- verfahren üblich sind, hatten die Bürger einen wesentlich höheren Ein- fluß. Es war eine aktive Planungsbegleitung, die sich eher der Rolle eines Bauherren annähert, als der eines einfachen Bürgers, der seine Bedenken äußert. Sowohl von Seiten der Politik und Verwaltung als auch von Seiten der Planer und Künstler wurde diese Rolle der Bürger nicht nur akzeptiert, sondern auch gewünscht. 3.2 Entwürfe – Konzepte Bei der von uns durchgeführten ersten repräsentativen Telefonbefragung in Hann. Münden war der Wunsch nach Gestaltungsmomenten, die Wasser thematisieren oder zum Gegenstand haben, zwar vorhanden, aber nicht zentral. Das EXPO-Projekt jedoch machte es zum wesentlichen Inhalt. Das Team, dem das von der Jury ausgewählte Planungsbüro angehörte, hatte bereits frühzeitig die Leitidee entwickelt, die Plätze entlang einer Für die Bürger bot sich bei den Work- shops die Gelegenheit, aktiv an der Planung selbst zu partizipieren. Bei den Rückkopplungsterminen war es eher eine aktive Begleitung der Pla- nung. Die Rolle der Bürger näherte sich der eines Bauherren an. 22ideellen Falllinie des Wassers von einem ‚Hochpunkt‘ (Ecke Lange Straße/ Kirchplatz) über die sogenannte ‚Fläche‘ (zwischen Rathaus und Kirche) zu einem ‚Tiefpunkt‘ (Ecke Ziegelgasse/Markt) zu konzipieren. Eine Entwick- lungsdynamik über die beiden Endpunkte hinaus – also Herleitung des Wassers z.B. von einem wieder- zugewinnenden Feuerlösch- teich und Weiterführung zur Schlagdspitze – war ange- dacht. Auf Basis dieser Über- legung wurden während des ersten Workshops gestalteri- sche Ideen entfaltet. Die Zeit bis zum zweiten Work- shop nutzten alle Planungs- büros und Künstler zur Überar- beitung der Entwürfe. In dem schließlich ausgewählten Team wurde die Idee der Höhenent- wicklung verfestigt, gleichzei- tig machte sich insbesondere diese Gruppe – wie von der Jury empfohlen – Gedanken darüber, wie einzelne Elemen- te anderer Teams in den Ent- wurf aufgenommen werden könnten und entwickelte hier- für an vier Punkten konkrete Vorschläge. Diese nicht nur auf dem Plan präsentierte Offen- heit für Kooperation war für die Jury eines der Argumente, sich für dieses Planungsbüro zu entscheiden, nachdem sich herauskristallisierte, daß für die Planer insgesamt kein Ko- operationsmodell entwickelt werden konnte. Die Künstler hingegen hatten sich auf dem 2. Workshop zu einer Arbeits- gemeinschaft gruppiert, so daß die Jury keinen Zwang sah, eine Auswahl zu treffen. Sie unterstützte vielmehr die Idee, ein gestalterisches Gesamt- konzept für den Platz zu entwickeln, das freiraumplanerische und künstle- rische Aspekte integrierte. Dieses Gesamtkonzept wurde innerhalb des folgenden knappen Jahres mit weiterer Unterstützung durch die nach den Workshops gebildete Bürger- begleitgruppe entwickelt. Planungsstand im März 1998. Wesent- liche Elemente der Gesamtplanung sind hier bereits entwickelt. Büro Bendfeld • Schröder • Franke in Kooperation mit den Künstlern und Bürgern. Höhe Fläche Tief 23Die künstlerischen Objekte, die Bestandteil des Gesamtkonzeptes sind, wurden auf dessen Basis neu entwickelt und gestaltet und kennzeichnen die drei Stationen – Höhe, Fläche und Tief. Gleichzeitig sollen sie die Funktionen der jeweiligen Plätze (Ruhe, Aktion, Markt) unterstreichen. 3.3 Die soziale Reichweite der Beteiligung Um die Bürger in den Entwicklungsprozeß einzubeziehen und für die Pla- nungen relevante Anforderungen festzustellen, setzte man auf die aktive Beteiligung der Bürger in Workshops. Durch diese Verfahrensentscheidung war klar, daß nur eine begrenzte Zahl der Bürger sich schließlich für eine Mitarbeit im Projekt entscheiden würde und – wegen der Arbeitsweise – auch nur eine beschränkte Zahl teilnehmen kann. Dies führte dazu, daß nicht die Bürger Hann. Mündens in ihrer Repräsentativität vertreten wa- ren, sondern ganz bestimmte Bürger mit vielleicht auch ganz partiellen Interessen. Diese Bürger wurden über Pressemitteilungen, Informationen der politischen, kulturellen und sozialen Organisationen so- wie zwei Informationsveranstaltungen im Frühjahr 1997, bei denen das Projekt ‚Wasserspuren‘ vorgestellt wurde, für die Mitarbeit interessiert. Bei der Auftaktveranstaltung im Sep- tember 1997 kamen all jene Bürger zusammen, die sich für die aktive Mitarbeit interessierten, um die übrigen Beteiligten ken- nenzulernen. Auf dieser Veranstaltung wurden von der Moderation auch kleine Personen- fragebogen verteilt, die von den Bürgern, die sich für die Mitarbeit inter- essierten, ausgefüllt wurden. Diese Bögen sowie eigene Nacherhebungen bei Personen, die erst später hinzukamen, bilden die Basis der folgenden Charakterisierung. 38 Personen stellten Informationen zu ihrer Person zur Verfügung. Diese sind in etwa identisch mit den Bürgern in den verschiedenen Veranstal- tungen des Beteiligungsverfahrens. Einige wenige ‚durften‘ nicht teilneh- men, weil sie zu stark an Interessen gebunden waren bzw. öffentliche Positionen bekleideten, sehr wenige konnten aus persönlichen Gründen letztlich nicht teilnehmen, obwohl sie für die Teilnahme vorgesehen wa- ren (z.B. wegen Krankheit oder Urlaub), oder nahmen nur an einzelnen Veranstaltungen teil. Wir betrachten jedoch die Gesamtheit derer, die ihr Interesse bekundeten, da dies am besten Aufschluß darüber gibt, welche Bürger sich ohne größere Werbungsbemühungen – fast kann man sagen spontan – für die Teilnahme interessierten und auch dauerhaft dabeiblie- ben. Etwa ein Drittel der Interessierten haben ihren Wohnsitz in den umliegen- den Ortsteilen Hann. Mündens, etwa zwei Drittel in der Kernstadt. Von diesen wohnen allerdings lediglich sechs Interessierte in der Altstadt und niemand unmittelbar an den Plätzen, die neugestaltet werden sollten. Die Entscheidung für die mit Work- shops führte dazu, daß ganz be- stimmte Bürger mit vielleicht auch ganz partiellen Interessen vertreten waren, nicht aber die Bürger Hann. Mündens in ihrer Repräsentativität. Lediglich sechs Interessierte wohnen in der Altstadt und niemand unmittel- bar an den Plätzen, die neugestaltet werden sollten. Die erste Vollversammlung im Septem- ber 1997. Die an der Teilnahme bei den Work- shops interessierten Bürger wurden befragt. 2422 Männer und 16 Frauen interessierten sich für die aktive Mitarbeit am Projekt ‚Wasserspuren‘. Durch das Auswahlverfahren und kurzfristige Absa- gen glich sich dieses Verhältnis auf etwa 1:1 aus - mit einem leichten Übergewicht der männlichen Teilnehmer. Die Altersdurchschnitt der Teilnehmer und Interessen- ten war höher als der der Hann. Mündener Bevölkerung und die Teilnehmer waren vor allem in zwei Altersgrup- pen zu finden: den 12-18 jährigen und den 36-65 jähri- gen. Es waren einerseits relativ junge Menschen, meist Schüler, die nicht nur durch ihre Lehrer motiviert wur- den, sondern als kunstinteressierte Jugendliche einer aktiven Gruppe angehörten. Andererseits waren es Per- sonen aus der mittleren Altersgruppe der Stadt, fast im- mer berufstätig, aber dennoch mit Zeit und Engagement für ‚ihre Stadt‘. Am deutlichsten zeigt sich die Spezifität der Teilnehmer, wenn man die Berufe der Interessierten betrachtet. Knapp 40% sind in Ausbildung oder bilden als Lehrer selbst aus. Sie beschäftigen sich mit der Vermittlung bzw. Aufnahme von Wissen und Fähigkeiten, sie interagieren mit ihrer Um- und Mitwelt. Knapp 30% sind planerisch oder gestalterisch kreativ tätig, ob nun vom Schreibtisch aus, z.B. als Architekt, oder in der handwerklichen Arbeit, z.B. als Bildhauer. Sie haben nicht nur Wissen, sondern auch praktische Erfahrung, d.h. vor allem Kompetenz in gestalterischem Arbeiten, die es ihnen sicher leichter als anderen macht, an Workshops dieser Art teilzunehmen. Die verbleiben- den 30% sind bereits Pensionäre oder üben unterschied- liche Berufe als Handwerker oder Freiberufler aus, sie haben neben (Lebens-)Erfahrung spezielle Fähigkeiten, aus denen sie Selbstbewußtsein schöpfen können. Die Berufstätigen in dieser letzten Teilgruppe sind meist zu- sätzlich z.B. in Vereinen engagiert. Einige wenige Teil- nehmer machten keine Angaben zu ihrem Beruf. 13 Personen erwähnten, daß sie Mitglied in einem Verein, einer Interessensgruppe o.ä. sind, in größerer Anzahl sind dies geschichtliche und kulturelle bzw. künstlerische Arbeitskreise. Leider ist es weder im Vorfeld noch im Verlauf des Projektes ‚Wasserspuren‘ gelungen, eine größere Anzahl ausländischer Mitbürger für die Mitarbeit zu interessieren. Das ist umso bedauernswerter, weil sie einen relevanten Anteil der Bevölkerung der Kernstadt Hann. Mündens (8,4% - 1997) sowie der Anwohner der Plätze stellen. Nur eine ausländische Schülerin nahm an den Workshops teil. Dies ist sicher eine Schwäche des Prozesses. 50,0 45,0 40,0 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0 5,0 0,0 0 0 11,5 29,4 6,5 8,8 24,0 50,0 39,7 5,9 9,4 5,9 8,4 -11 12-18 19-35 36-65 66-75 76 u.m. Altersverteilung Bürgerakteure und Bevölkerung Hann. Münden in % Bürger-Akteure Mündener Bevölkerung Die Altersverteilung der Teilnehmer bzw. Interessenten weicht deutlich von der Gesamtbevölkerung ab. Sie sind auf hohen z.T. professionel- len Niveau an ihrer Stadt interessiert. Tabelle: Herkunft der Teilnahmeinteressierten nach Berufsgruppen Berufsgruppe Anzahl Berufsbezeichnung Schüler 9 Lehrer 5 Pensionäre/Rentner 4 Planer/Architekten .4. Architekt, Dipl.-Ing., Architekt und Stadtplaner, Dipl.-Ing. FH Landschaftsarchitekt Handwerk 9 davon - gestalterisch/kreativ (7) Dipl.Des. Goldschmiedin, Gartenbautechniker, Grafikerin (Hausfrau), Grafiker (Heraldiker), Restaurator (Grafik-Designer),Steinbildhauer, Steinmetz-Bildhauermeister - sonstige (2) Elektromeister, Schlosser Diverse .4. Journalist, Student soz.päd., Softwareentwickler, Dipl. Wirt. Ing. keine Angaben 3 Summe 38 Die männlichen Teilnehmer hatte ein leichtes Übergewicht. 253.4 Institutionalisierung der dauerhaften Beteiligung Ein wesentlicher Scheidepunkt im Ablauf des Projektes ‚Wasserspuren‘ war der Zeitraum nach den beiden Workshops. Es galt für die bislang beteilig- ten Bürger einen Übergang von der aktiven Planungsteilhabe zum weite- ren Verlauf des Projektes zu finden. Unsere schriftlichen Befragungen unter den Bürgern, die an den Workshops beteiligt waren, verdeutlichten, daß zu diesem Zeitpunkt die Präferenz für den im eigenen Team entwickelten Entwurf ungemein hoch war. Wir frag- ten nach dem ersten Workshop, wie den aktiv beteilig- ten Bürgern die Arbeiten der einzelnen Arbeitsgruppen gefiel. In einer Bewertungsskala von 0 (‚gefällt mir gar nicht‘) bis 12 (‚gefällt mir sehr gut‘) schnitt der eigene Teamentwurf, verglichen mit den Durchschnittswerten aller übrigen Teamentwürfe, fast immer doppelt so gut ab. Lediglich ein Team bildete bei diesem Bewertungs- verhalten eine Ausnahme. Die durchschnittliche Bewer- tung der übrigen Teamentwürfe entsprach in diesem Team der Bewertung des eigenen Entwurf. Nach dem zweiten Workshop, d.h. nachdem entschieden war, welches Büro mit der Freiraumplanung beauftragt werden sollte und daß dieses Büro mit den Künstlern ein Gesamtkonzept erarbeiten würde, fragten wir da- nach, welchen Teamentwurf die Bürger favorisiert hätten. Nur knapp 30% hätten sich für den von der Jury gewählten Entwurf entschieden. Drei der übrigen vier Entwürfe konnten immer jeweils über 20% der Stimmen auf sich vereinigen. Auch hier bestimmte die Bindung zur eigenen Gruppe die Entscheidung mit, zwar nicht mehr ganz so deutlich, aber immer noch erkennbar. Auf der anderen Seite konnte man in dieser Befragung auch eine gewisse Lösung vom Team feststellen. Nur ein Fünftel der teilnehmenden Bürger konnte die Entscheidung der Jury für das Freiraumplanungsbüro ganz oder teilweise nicht nachvollziehen. Ihnen war der vorgelegte Entwurf zu we- nig konkret oder in seiner Konzeption der geneigten Ebene (vom Hoch zum Tief) in der praktischen Umsetzung, d.h. im Raum, nicht nachvoll- ziehbar (Stichwort: Reißbrettspiel). Zur Akzeptanz bei der Mehrheit der Bürger hat vor allem die Offenheit gegenüber allen Planern und Künstlern beigetragen. Einigen gefiel schlicht- weg der Entwurf oder sie fanden ihn schlüssig bzw. konsensfähig. Die Entscheidung der Jury, alle Künstler zu beteiligen, war umstrittener. Knapp die Hälfte konnte dies in Teilen oder gar nicht nachvollziehen. Die Gründe dafür waren hauptsächlich inhaltlicher Art („finde einige Künstler nicht akzeptabel“) oder organisatorischer Art („zuviele Künstler“). 12,0 10,0 8,0 6,0 4,0 2,0 0,0 AG 1 AG 2 AG 3 AG 4 AG 5 Bewertung der AG-Entwürfe (Skala 0-12) Eigener Entwurf Übrige Entwürfe Nach dem ersten Workshop war die Präferenz der Bürger für den Entwurf ‚ihres‘ Teams sehr hoch. 16 14 12 10 8 6 4 2 0 ja unentschieden nein Akzeptanz der Jury-Entscheidungen Für Planer Für alle Künstler Nach dem zweiten Workshop gibt es eine sehr differenzierte Akzeptanz der jeweiligen Juryentscheidungen. Nur knapp 30% der Bürgerakteure hätten sich für den von der Jury ge- wählten Entwurf entschieden. 26Das zeigt, daß die Loslösung von der Arbeit in einem Team und die Öff- nung zu einer neuen Kooperation ein Prozeß war, der viele Facetten auf- wies. Die Ergebnisse zeigen aber auch, wie differenziert die Bürger damit umgehen. Sie mußten sich ja nicht nur von dem bislang inhaltlich Erarbei- teten, sondern zugleich von der bis dahin eingeübten Arbeitsweise, d.h. der aktiven Planungsteilhabe am Entwurfstisch, lösen. Zwar war gesichert, daß es immer noch einen großen Einfluß durch die Bürgerbegleitgruppe geben wird, aber die Verfahrensweise würde sich doch wesentlich unter- scheiden. Daß dieser Prozeß gelingen konnte, deutete sich aber bereits an. Besonders zuversichtlich stimmte das Einver- ständnis fast aller Bürger (nur einer war in dieser Frage unentschieden), die Bürgerbeteiligung in Form eines Beirats bzw. einer Begleitgruppe fortzuführen. Bis auf zwei Unentschiedene wollten sich auch alle daran be- teiligen und zwar insbesondere in der Beiratsfunktion und bei der Gestaltung. Etwas geringer war das Interes- se an der Realisation und den Entscheidungsfindungen und nur wenige sahen ihre Aufgabe in der Vermittlung des Projektes an Dritte. Eine weitere Befragung unter den aktiven Bürgern fand im Juli 1998 statt, in einer Phase, als bereits mehrere Begleitgruppentermine durchgeführt worden waren, somit bereits gewisse Erfahrungen mit dieser Beteiligungs- form gesammelt werden konnten. Mittlerweile differenzierten sich die Bürger hinsichtlich ihrer aktiven Teilnahme. Es gab einen ‚harten Kern‘, der nahe- zu jede Veranstaltung wahrnahm, seien es nun Begleittermine mit den Planern oder Künstlern, Ausschußsitzungen oder Präsentationen. Dane- ben entwickelte sich ein weiterer Kreis, der nach der aktiven Teilhabe nun manchmal andere Prioritäten setzte, bzw. (z.B. wegen Berufstätigkeit) setzen mußte. Einige wenige beendeten ihre Mitarbeit nach Ende der ak- tiven Planungsteilhabe. Einzelne Bürger, die an den Workshops aus per- sönlichen Gründen nicht teilnehmen konnten oder sich besonders für die Umsetzungsphase interessierten, kamen neu hinzu. Diese Feststellung ist für das Verfahren insofern wichtig, als sie etwas über die Bindungskraft einer ‚deep participation‘ aussagt. Man muß sich bewußt machen, daß eine dauerhafte Mitarbeit von Bürgern an einem Projekt über einen so langen Zeitraum (bis zur Fertigstellung und feierli- chen Übergabe der Plätze waren es letztlich ca. drei Jahre) nicht selbst- verständlich ist. Dies erfordert ein starkes Engagement und die bewußte Entscheidung, ein solches Projekt und die Arbeit daran für einen bestimm- ten Zeitraum Teil des eigenen Lebens werden zu lassen. Die Bindungskraft eines Projektes – auch das muß man sich vergegenwärtigen – erhöht sich natürlich mit dessen positiver Entwicklung. Daß diese Bindung in weiten Teilen gelungen ist, hat sicherlich auch mit dem von den beteiligten Bür- gern positiv empfundenen Verlauf des Projektes zu tun. 706050403020100 64,7 58,8 35,3 17,7 41,2 Beirat Gestaltung Entscheidung Vermittlung Realisierung Interessen der weiteren Mitarbeit (in %) Fast alle Bürger, die an den Work- shops teilnahmen, wollten sich auch an der Begleitgruppe beteiligen. Während der Begleitphase differen- zierten sich die Bürger hinsichtlich ih- rer aktiven Teilnahme. Die dauerhafte Mitarbeit erfordert ein starkes Engagement von den Bürgern. 27Man muß bei einem solch langen Zeitraum der Mitarbeit also auf jeden Fall mit einem abnehmenden Interesse bzw. Zeitbudget einzelner Teilneh- mer rechnen. Insofern war es auch richtig, die Beteiligungsform von einer aktiven Planungsteilhabe in eine Begleitgruppe zu transformieren. Den- noch gibt es zu der Begleitgruppe auch kritische Anmerkungen. Dort waren und sind vor allem Bürger, die bereits zuvor an den beiden Workshops beteiligt waren, neue Personen kamen kaum hinzu. Wir haben die Befragung vom September 1998 auch einmal differenziert nach Mitgliedern der Begleitgruppe, die auch bei dem Begleittermin an- wesend waren, und nach Mitgliedern, die zu diesem Zeitpunkt, i.d.R. aus persönlichen Gründen, verhindert waren, betrachtet. So ergeben sich zwei Personengruppen, wobei wir die erste mit dem ‚harten Kern‘ und die zwei- te mit dem ‚erweiterten Personenkreis‘ der Bürgerbegleitgruppe synonym setzen möchten.5 Die Personen der ersten Gruppe waren alles in allem recht zufrieden mit der Organisation und der Arbeit in der Begleitgruppe. Sie hielten die Arbeit in der Begleit- gruppe für ‚einigermaßen‘ bis ‚sehr zufriedenstellend‘. Das gleiche galt für ihren Informationsstand über die Pla- nungen, ihre Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen, den Kontakt zu Planern und Künstlern sowie der Verwaltung; besonders gut wurden die Kontakte der Bürger unter- einander beurteilt. Die zweite Gruppe hingegen wich in einigen Punkten ab. Die Zufriedenheit mit der Arbeit und die Kontakte zur Verwaltung wurden deutlich schlechter beurteilt. Besonders schlecht schnitt die Be- urteilung der eigenen Einflußmöglichkeiten ab. Auch der Beurteilung der ersten Gruppe, daß der zu diesem Zeitpunkt vorliegende Entwurf als guter Kompromiß zu werten sei, wollte die zweite Gruppe nur mit kleineren Einschränkungen, in einem Fall gar nicht, folgen. 3.5 Herstellung von Öffentlichkeit Zu Beginn der Planungsarbeit im September 1997 wußte erst ein Drittel der Bürger – vor allem aus der Presse, daß die Plätze umgestaltet werden sollten. Im Juli 1998 waren die Planungsworkshops durchgeführt, es hat- ten mehrfach Treffen der Begleitgruppe mit den Planern und Künstlern Bewertungsskala der Zufriedenheit: 1 … sind/ist sehr gut, 2 … sind/ist einigermaßen gut, 3 … sind/ist eher schlecht 3210 1,88 2,29 1,7 1,86 1,7 2,43 1,6 1,79 1,75 2,14 1,5 1,71 Zufriedenheit mit Arbeit Informiertheit Einflußmöglichkeiten Kontakte zu Planern + Künstlern Kontakte zu Verwaltung + Politik Kontakte untereinander Zufriedenheit der Bürgerbegleitgruppe mit der Arbeit harter Kern erweiterter Kreis 5 Diese Gleichsetzung beinhaltet eine gewisse Unschärfe, da sich in den gebildeten Gruppen ‚harter Kern‘ und ‚erweiterter Personenkreis‘ per Zufall auch Personen der jeweils anderen Gruppe sein könnten. Dies ist dann der Fall, wenn jemand, der sonst immer da ist, ausnahmsweise an diesem Termin verhindert war bzw. jemand, der nur selten kam, diesen Termin nun gerade wahrnahm. Diese Unschärfe war nicht auszu- schließen, da wir keine „Beteiligungskontrollen“ durchführten, sie hat auf das Ergeb- nis unserer Betrachtung, d.h. die festgestellten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen eine abschwächende Wirkung. 28stattgefunden und der jeweilige Planungsstand war des öfteren in der Presse und bei Ausstellungen vorgestellt worden. Wir nutzten diesen Zeit- punkt, um unsere zweite repräsentative Telefonbefragung durchzuführen. Uns interessierte, wie bekannt das EXPO-Projekt mitt- lerweile ist. Es war immerhin 61% der Befragten be- kannt und konnte damit seinen Bekanntheitsgrad in er- freulichem Umfang steigern. In beiden Telefonbefragun- gen konnten wir feststellen, daß die Presse die wesent- liche Rolle bei der Vermittlung eines solchen Projektes spielt. Ein zu Beginn des Projektes erhoffter Multiplika- toreneffekt durch die aktiv beteiligten Bürger blieb hin- gegen aus. Noch vor dieser 2. Telefonbefragung hatte eine studentische Mitarbeiterin unserer Forschungsgruppe eine Presseanalyse der bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Zeitungsmeldungen zu dem Projekt durchgeführt und war zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis gekommen. Allein durch die Pres- se informiert konnte man sich schwerlich ein Bild vom Projekt machen. Unklar blieben vor allem zwei Punkte: - Wie genau es zu der Idee der Beteiligung an der EXPO 2000 gekommen ist. - Wer nun wirklich beteiligt ist: zu oft seien Namen von Planern oder Künstlern genannt worden, die sich später nicht wieder finden. Deshalb war es für uns interessant zu erfahren, was durch die Informati- onsvermittlung bei den Bürgern angekommen ist. Relativ enttäuschend war, daß ein knappes Drittel der- jenigen, die etwas vom Projekt wußten, gar nichts in- haltliches dazu nennen konnte oder wollte. Die Antwor- ten, die von den übrigen gegeben wurden, teilten sich folgendermaßen auf: 18% beurteilten das Projekt, wo- bei darunter nur wenige positive Einstellungen zum Aus- druck kamen, 13% der Antworten lagen regelrecht falsch, man meinte, die Leitung des Projekts liege bei Jan Hoet, es ginge um Innenstadtbegrünung und anderes. 21% vermischten etwas Zutreffendes mit etwas anderem nicht zutreffenden und knapp die Hälfte nannte etwas, das tatsächlich in Zu- sammenhang mit dem EXPO-Projekt Wasserspuren stand. Die Vermittlungsqualität ist in Anbetracht der kritischen Analyse unserer Studentin noch relativ hoch. Insgesamt allerdings ist dies ein Feld, das Freiraum für Gedanken über Verbesserungen eröffnet. Aus Sicht einer (nicht vorinformier- ten) Mitarbeiterin konnte man allein durch die Presse nur ungenügende In- formationen über Sinn und Nutzen des Projektes bekommen. 50,040,030,020,010,00,0 47,7 21,1 13,0 18,3 'wahr' 'halbwahr' 'falsch' Beurteilung Telefonbefragung II - Art der inhaltlichen Aussagen (in %) Die Vermittlungsqualität ist in Anbe- tracht der kritischen Analyse unserer Mitarbeiterin noch relativ hoch. 100,090,080,070,060,050,040,030,020,010,0 Anzahl in % 7/1998 9/1997 Tel I und II - Informiertheit der Bevölkerung in % Kenntnis Keine Kenntnis Knapp ein Jahr nach unserer ersten Befragung hat sich das Verhältnis von Informierten zu Nicht-Informierten nahezu umgekehrt. Die Presse erwies sich als die Hauptinformationsquelle. 293.6 Deep Participation – ein Modell, aber nicht für jeden Fall Resümee der Ergebnisse des Zwischenberichts Der Beteiligungsprozeß, den wir beobachten konnten, wurde von uns ‚deep participation‘ genannt. Dies ist ein ‚Arbeitsbegriff‘ – auf Deutsch läßt er sich nur schwer fassen, am ehesten mit den Worten ‚tiefgehende‘ oder ‚dichte‘ Beteiligung. Diese Umschreibungen betonen die qualitative Seite der Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern an der Planung und dem Ent- wurf eines städtebaulichen Vorhabens. Dicht ist die Verschränkung von Bürgern, Planern, Künstlern, Politikern und Verwaltung. Die Bürger geben ein Stück ihres Alltagswissens um die städtische Situation und werden auf der anderen Seite durch den gemeinsamen Entwurf geschult, in gewisser Hinsicht professionalisiert. Politik und Verwaltung halten sich aus den gestalterischen Entscheidungen weitgehend heraus, setzen eher Rahmen- bedingungen und überprüfen die Durchführbarkeit der Vorschläge. Die abschließende politische Entscheidung für oder wider bleibt aber ebenso selbstverständlich wie die politische Verantwortung bei den gewählten Vertretern der Stadt. Der Prozeß einer ‚deep participation‘ ist relativ offen. Das ermöglicht un- gewöhnliche Kombinationen und eröffnet die Chancen des Wechsels von Inhalt und Form. Zugleich führt die Offenheit nicht selten zu Irritationen. Schnelle Informationsvermittlung ist notwendig, um diese Irritationen nicht zu groß werden zu lassen. Es ist aber auch kaum denkbar, einen solchen Prozeß strikt zu organisieren ohne den eigentlichen Gewinn dieses Verfah- rens, die Mobilisierung inhaltlicher Kreativität, zu riskieren. Aus diesem Grunde ist die Rolle eines engagierten Moderators, der nicht nur vermittelt, sondern auch steuert, ein notwendiger Bestandteil dieses Verfahrens. Er bietet Orientierung und Angriffspunkt zugleich. Unsere Untersuchung macht eine Reihe von Bedingungen, Grenzen und Gefährdungen deutlich, die mit einer ‚deep participation‘ verbunden sind. Vor allem aber ist zu betonen, daß dieses ungewöhnliche Verfahren ge- glückt ist und viele Bestandteile in sich trägt, die auf andere Situationen zu übertragen sind. Da es sich in dieser Form für Deutschland um ein Pionierverfahren handelt (die Stadterneuerung in Rotterdam in den 70er Jahren kann man sicher als einen wichtigen Vorläufer betrachten), gilt freilich auch, daß noch mehr Erfahrungen mit diesem Verfahren gesam- melt werden müssen. Doch schon jetzt lassen sich auf Grund unserer Un- tersuchungen wichtige Eckpunkte für ein Gelingen benennen: • Das Verfahren wird sich nur für Projekte eignen, die für die Entwicklung einer Stadt ein besonderes Gewicht haben. Für den ‚Alltag‘ dürfte es kaum möglich sein, die hohe Motivation und Ausdauer bei allen Betei- ligten, besonders aber bei den Bürgerinnen und Bürgern zu erzeugen, die erst den Erfolg garantieren. • Die teilnehmenden Bürger sind eine Auswahl besonders interessierter Menschen. Ihr Bezug zur Stadt kann dabei sehr unterschiedlich sein, 30aber häufig ist ihr Interesse auf hohem Niveau (seien dies historische Kenntnisse oder handwerkliches Können). Sie üben oder übten häufig Berufe aus, deren wesentlicher Bestandteil gestalterisch-kreatives Ar- beiten ist. Sie haben deshalb auch eine professionelle Kompetenz. • Gerade weil es sich um eine ‚Bürgerelite‘ handelt, muß der Bezug zur ‚normalen‘ Bürgerschaft dauerhaft und professionell hergestellt wer- den. Öffentliche Veranstaltungen und eine ausgeprägte Pressearbeit sind wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg. • Eine ‚engagierte Moderation‘ ist integraler Bestandteil einer ‚deep participation‘. Sie braucht ihren Handlungsspielraum, um erfolgreich wirken zu können, umso wichtiger ist es deshalb, sich über deren Gren- zen zu verständigen. • Die Toleranz von Politik und Verwaltung ist eine wesentliche Bedin- gung für diese Form der Beteiligung. Sie schafft einerseits durch poli- tische Entscheidungen die Voraussetzungen und ermöglicht durch eine zeitweilige Zurückhaltung auf der Verwaltungsebene eine relativ unge- störte Entwicklung des kreativen Prozesses. Gleichzeitig müssen Poli- tik und Verwaltung auch eine gewisse Überzeugungsoffenheit haben, d.h. für in dem Prozeß entwickelte Gedanken, die möglicherweise bis- herigen Vorstellungen widersprechen, zugänglich sein. • Aber auch die Planer und Künstler müssen eine neue Offenheit zeigen. Im Dialog mit den Bürgern gilt es, sich mit deren Wissen, Können und Wollen auseinanderzusetzen und bereit zu sein, übliche Planungspfade zu verlassen. 31 II Ökologische Ästhetik 324 Die Plätze im Urteil der Bürger Die Neugestaltung der Innenstadtplätze durch das Projekt ‚Wasserspuren‘ war nicht ohne Wagnis. Die Innenstadtplätze, so konnten wir bei unserer ersten repräsentativen Telefonbefragung noch vor Beginn der Workshops im September 1997 feststellen, waren für die Bürger Hann. Mündens von zentraler Bedeutung. Sie sind der öffentliche Raum, in dem sich ein Ensem- ble mit öffentlichen (Kirche, Rathaus) und privaten (Wohn- und Geschäfts- häusern) Gebäuden präsentiert, die z.T. von herausragendem historischen Rang sind. Die Innenstadt mit eben diesen Gebäuden spielt eine doppelte Rolle für die Bürger Hann. Mündens. Sie ist wichtiger repräsentativer Ort, d.h. ein Ort, den man Fremden zeigt, an dem sich die Stadt Hann. Münden also nach außen darstellt, und sie ist zugleich nach innen wirksam, d.h. sie ist wichtiger Bestandteil der Identität der Stadt und ihrer Bürger. Einzelne Ergebnisse unserer ersten Telefonbefragung konnten dies verdeutlichen. Die Bürger Hann. Mündens sind der Stadt sehr verbunden. Fast 92% der Befragten gaben zu diesem Zeitpunkt an, mit der Stadt sehr ver- bunden zu sein bzw. ganz gerne hier zu leben. Obwohl auf die Frage „Wie gerne leben Sie in …?“ generell mit hohem Zuspruch zu rechnen ist, liegt Hann. Münden im Vergleich mit anderen Orten an der Spitzenposition. In der Großstadt Frankfurt liegt der vergleichbare Wert bei ca. 80% (AEP 1993), in der Stadt Kassel bei 85% (AEP 1996) und in Spangenberg, einer etwas kleineren Stadt, die aber durchaus Parallelen mit Hann. Münden hat, bei einer etwas an- ders formulierten Fragestellung bei nur knapp 64% (AEP 1995). Besonders die Aussage, die den höchsten Zuspruch ausdrückt („Ich fühle mich mit … sehr verbunden“) wird in Hann. Münden häufig genannt. Die Rolle der Innenstadt als repräsentativ bedeutsamer Ort läßt sich an einem weiteren Ergebnis ablesen. Über die Hälfte der Befragten (53,3%) würden Besuchern die Innenstadt zeigen, wobei das Rathaus eine beson- ders herausragende Stellung hat. Daß die Innenstadt und die Plätze um Kirche und Rat- haus aber auch nach innen hin, d.h. auf die Identität der Bürger mit ihrer Stadt, wirksam sind, veranschau- licht die Frage nach dem schönsten Platz der Stadt. Zwar zeigen sich die Hann. Mündener als ausgeprägte Indivi- dualisten – es wurden insgesamt über 60 verschiedene Plätze genannt – dennoch sind es Rathausplatz und Kirchplatz, die als einzelne die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten. Die positive Einstellung zur Stadt und die der Innenstadt und den Plätzen zugewiesene hohe Bedeutung waren auf der einen Seite eine gute Voraus- Die Hann. Mündener sind der Stadt sehr verbunden. Dies zeigt ein Ver- gleich mit anderen Städten. * Das Ergebnis für Spangenberg wurde folgen- dermaßen vergleichbar gemacht: Die Noten sehr gut (Einzelwert 4,3%) und gut (Einzelwert 23,4%) wurden in der Aussage „Ich fühle mich sehr verbunden“ zusammenge- faßt; die Note befriedigend entspricht der Aus- sage „Ich lebe ganz gerne hier“. Eine für Spangenberg eher günstige Interpretation. Die Innenstadt ist ein wichtiger reprä- sentativer Ort und zugleich Bestand- teil der Identität der Stadt und ihrer Bürger. Die Innenstadtplätze waren für die Bürger Hann. Mündens vor der Umge- staltung von zentraler Bedeutung. 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 40,2% 27,7% 49,4% 30,7% 55,6% 29,7% 43,9% 47,9% "Schulnoten" für Spangenberg* Wie gerne leben Sie in Frankfurt Wie gerne leben Sie in Kassel Wie gerne leben Sie in Hann Münden Wie gerne leben Sie in …? (nur Spitzenwerte) in % lebe ganz gerne hier fühle mich sehr verbunden 120100806040200 105 18 21 24 25 27 32 35 43 Sonstiges / k. Angaben Wallanlagen Zu Hause bleiben Lange Straße / Einkauf Weserstein Tillyschanze Weserliedanlage Kirchplatz Rathausplatz Der schönste Platz (Anzahl der Nennungen) Die Plätze um Kirche und Rathaus sind auch nach innen wirksam. 33setzung für das Projekt „Wasserspuren“. Sie boten eine realistische Basis für das Engagement einzelner Bürger in dem Projekt. Eine gestalterische Veränderung im Stadtzentrum mußte aber auch berücksichtigen, daß es sich wegen der doppelten (nach innen und nach außen wirksamen) Be- deutung der Innenstadt um einen sensiblen Ort handelt. Die gestalteri- schen Ergebnisse würden sich sicherlich einer kritischen Überprüfung durch die Bürger stellen müssen. 4.1 Die Beziehung der Bürger zu den drei Plätzen - Ausgangslage Die drei Plätze, die im Rahmen des Wasserprojekts umgestaltet wurden, Rathausplatz, Kirchplatz und der Platz zwischen Kirche und Rathaus, wur- den vor Beginn der Planungen von den Bürgern zwar als Bestandteil eines Ensembles gesehen, aber dennoch höchst differenziert betrachtet. Der Rathausplatz war wie schon gesehen ein wichtiger Ort. Er wurde bei der Frage nach dem schönsten Ort Hann. Mündens am häufigsten genannt. Er wurde sehr häufig Besuchern gezeigt, und er wurde von einer großen Mehrheit der Bürger (ca. 71%) als angenehm empfunden. Indem wir weitergehend danach fragten, was die Bürger an diesem Platz mögen bzw. nicht mögen, fächerten wir die zunächst auf ein pauschales Gefühl reduzierende Fragestellung nach angenehm, un- angenehm oder gleichgültig wieder auf. Dabei konnten wir folgende Beziehung skizzieren: Das Verhältnis der Bürger zum Rathausplatz wurde zu diesem Zeitpunkt ganz wesentlich durch die Bauwerke, die den Platz rahmen, bestimmt. Das Rathaus als Einzelgebäude hatte dabei eine herausragende Bedeutung. Der Rathausplatz war wie ein Bühnenbild; er bildete die Kulisse, vor der sich verschiedene öffentliche Aktivitäten abspielen konnten. Sie hatten sehr häufig repräsentativen und touristischen Charakter wie das Glockenspiel und das Eisenbartspiel, der Platz konnte aber auch die Kulisse für ganz besondere persönliche Ereignisse wie z.B. eine Hochzeit sein. Der Zwischenplatz, d.h. der Platz zwischen Rathaus und Kirche, wurde zum damaligen Zeitpunkte völlig anders gesehen. Zwar war er Bestandteil des gesamten Ensembles dennoch entzog er sich im großem Umfang der Wahr- nehmung der Bürger. Fast der Hälfte der Befragten (45%) war dieser Platz gleichgültig; er war irrelevant, das drückte sich auch darin aus, daß er noch nicht einmal einen Namen hatte. Bedeutung erlangte er lediglich in funktionaler Hinsicht, er war Ort des öffentlichen Nahverkehrs. Aber auch diese zentrale Nutzung als Bushaltestelle und Umsteigeplatz war umstrit- ten. Sie wurde sowohl als positiver als auch als negativer Aspekt des Plat- zes genannt, wobei die Ablehnung deutlich überwog. Die Gestaltungs- qualität wurde z.T. drastisch kritisiert. Der Platz wirke „trist, trostlos, lieb- los“ er sei „nichtssagend, unstrukturiert“ und „es gibt nichts, das annä- Das Projekt „Wasserspuren“ hatte eine realistische Basis für das Engage- ment einzelner Bürger, mußte aber auch berücksichtigen, daß es sich um einen sensiblen Ort handelt. 70,9% 8,2% 20,9% Wie empfinden Sie den Rathausplatz? angenehm unangenehm gleichgültig Der Rathausplatz bildet die Kulisse, vor der sich verschiedene öffentliche und ganz besondere persönliche Akti- vitäten abspielen. 15,5% 39,7% 44,8% Wie empfinden Sie den Zwischenplatz? angenehm unangenehm gleichgültig Der Zwischenplatz war fast der Hälfte der Befragten gleichgültig. Der Rathausplatz ist 71% angenehm. 140120100806040200 16 72 39 26 74 42 44 66 127 keine Angaben/nichts Sonstiges div. Aufenthaltsqualitäten städtische öffentliche Bühne Pflasterung Dr. Eisenbart-Spiel Glockenspiel am Rathaus umgebende Häuser, Kulisse Rathaus, Fassade Positive Qualitäten des Rathausplatz 34hernd den Versuch macht schön zu sein“. So kann es nicht verwundern, daß neben den 45%, denen der Platz gleichgültig war, weitere 40% den Platz als unangenehm empfanden, für einen zentralen städtischen Platz eine deutliche Aufforderung hier etwas zu tun. Der Kirchplatz schließlich polarisierte die Bürger. Er nahm den zweiten Rang als Einzelplatz bei den schönsten Plätzen ein, aber auch den dritten Rang bei den häßlichsten Plätzen. Diese Polarisierung zeigte sich auch in der Frage nach dem pauschalen Gefühl gegenüber dem Platz. Zwar empfan- den etwas über die Hälfte (54,5%) den Platz angenehm, aber mehr als einem Viertel (27%) war er auch gleichgültig. Die Kirche und andere am Platz liegende Gebäude bildeten auch hier eine positiv empfundene Kulisse; verschiedene Aufenthaltsqualitäten, Dinge also, die den Aufenthalt für den Einzelnen angenehm machen wie Sitzbän- ke oder andere Sitzmöglichkeiten, keine störenden Au- tos, daß der Platz sonnig sei und offen und freundlich wirkt, wurden gelobt. Auf der anderen Seite wurde die gestalterische Qualität des Platzes, seines Pflasters und die Bepflanzung häufiger kritisiert. Ganz wichtig für den Kirchplatz war auch seine Funkti- on als Markt. Er war der Ort, an dem Erzeuger der nähe- ren Umgebung ihre Produkte anboten, aber auch über- regionale Angebote bereitgehalten wurden. Der Markt als typisch städtisches Ereignis brachte hier nicht nur Anbieter und Käufer zusammen, sondern war gleichzei- tig eine spezifische Form städtischer Öffentlichkeit. Durch diese verschiedenen sehr persönlichen Nutzun- gen und der besonderen Rolle, die die Befragten diesem Platz als Aufenthaltsort für die Bürger zuwiesen, ent- stand auf diesem Platz auch ein Problem, das auf den übrigen Plätzen so nicht gesehen wurde: eine relativ große Gruppe der Befragten fühlte sich durch andere Nutzer und auch durch Spuren anderer Nutzer (wie z.B. Müll) gestört. Für das Projekt Wasserspuren war das bisherige Verhältnis der Bürger zu den Plätzen also keine ganz einfache Ausgangsposition: Ein Rathausplatz, der bei weiten Teilen der Bevölkerung sehr beliebt ist, eine starke repräsen- tative und identitätsstiftende Bedeutung hatte und auch in seiner Gestal- tung sehr akzeptiert wurde. Ein Zwischenplatz, der sich der Wahrnehmung vieler bislang entzog und von den übrigen nicht besonders gemocht wur- de. Ein Kirchplatz, der von einer knappen Mehrheit zwar angenehm empfun- den wurde, der aber wegen seiner starken Bedeutung als Ort des Aufent- halts der Bürger auch umstritten war. Als Ort des Marktes erfüllte er eine weitere wichtige Funktion. 54,5% 18,5% 27% Wie empfinden Sie den Kirchplatz? angenehm unangenehm gleichgültig Das bisherige Verhältnis der Bürger zu den Plätzen bot für das Projekt ‚Was- serspuren‘ keine einfache Ausgangs- position. 100806040200 90 53 46 8 8 34 30 27 41 keine Angaben Sonstiges Platzbelag allg. zuwenig unkommerz. Sitzgel. Mangel an Aufenthaltsqualitäten zuwenig/falsche Bepflanzung Mangel an Gestaltqualitäten Müll, unsauber Beläst. d. Nutzergruppen Negative Qualitäten des Kirchplatzes (Anzahl der Nennungen) 806040200 22 74 33 75 72 28 42 58 77 keine Angaben Sonstiges umg. kommez. Angebote Markt div. Aufenthaltsqualitäten städt. öffentl. Bühne Brunnen umgeb. Häuser/Kulisse Kirche incl. Details Positive Qualitäten des Kirchplatzes (Anzahl der Nennungen) Der Kirchplatz im Urteil. 354.2 Neue Gestalt- und Funktionsqualität der Plätze durch das Projekt ‚Wasserspuren‘ Die Planungen und in der Folge die Umgestaltungen, die durch das Projekt ‚Wasserspuren‘ durchgeführt wurden, hatten zwei wesentliche Ziele. Zum einen sollte das Thema ‚Wasser‘ aufgenommen und gestalterisch umge- setzt werden, zum anderen sollte die ästhetische Qualität der Plätze und die Nutzbarkeit für die Bürger der Stadt verbessert werden. Aufgrund der Ausgangssituatio in einigen Bereichen eine nicht ganz einfache Aufgabe. Betrachtet man die Neugestaltung der Plätze, läßt sich folgendes feststel- len: Der Rathausplatz wurde in sehr zurückhaltender Form gestalterisch neu formuliert – orientiert sich aber dennoch an traditionellen Bildern. Die Wasserspuren finden sich in dezenter Form am Rande des Platzes und haben eher eine aus der ‚Ruhe‘ her wirkende Kraft. Neben dieser ruhigen äußeren Gestal- tung, die der repräsentativen Bedeutung angemessen ist, hat der Platz aber zwei höchst abrupte funktionelle Veränderun- gen zu verkraften. Zum einen ist der Rathausplatz jetzt auch Ort des Nahver- kehrs. Am Rande des Platzes gegenüber dem Rathaus wurde eine Ein- und Aus- stiegshaltestelle errichtet. Mit viel Glas gestaltet wirkt sie vor den Häusern, wenn keine Busse vorgefahren sind, unauffäl- lig. Wenn die Busse vorfahren, ist die Funktionsveränderung jedoch deutlich spürbar. Die zweite wichtige funktionelle Veränderung erfuhr der Platz, durch die Verlegung des Marktes, der zuvor auf dem Kirchplatz stattfand, auf den Rathausplatz. Diese Verlegung hatte zwei besondere Begleitumstände, die die Entscheidung interessant machen. Zum einen war der Rathausplatz in früheren Zeiten der traditionelle Marktplatz, d.h. die Umverlegung ist im eigentlichen Sinne eine ‚Rückverlegung‘ an seine historische Stätte. Zum anderen war die Umverlegung des Marktes ein Ergebnis längerer Diskussionen während der Planungsphase. Zu Beginn des Entwurfsprozesses war es zunächst Konsens, daß der Markt auf seinem damaligen Standort, dem Kirch- platz, bleiben sollte. Seine Umverlegung war tabu. Daß dies dennoch möglich wurde, war Ergebnis eines gro- ßen Engagements einzelner beteiligter Bürgerakteure. Die Verlegung des Marktes wurde zum Thema, weil die für den Kirchplatz favorisierte Gestaltungsform mit ei- ner weiteren Nutzung des Platzes durch den Markt kol- lidierte. Den Markt auf seinen historischen Ort zurück- zubringen wurde als Chance gesehen. Anhand räumli- Das Projekt ‚Wasserspuren‘ hatte zwei wesentliche Ziele. ‚Wasser‘ auf den Plätzen zum Thema zu machen sowie die ästhetische Qualität und die Nutz- barkeit der Plätze zu verbessern. Die Bushaltestelle wirkt – ohne Busse – sehr unauffällig. 36cher Skizzen wurde erprobt, ob die Marktstände ausreichend Platz haben würden. Nachdem die Entscheidung bei den Workshops für die Markt- verlegung gefallen war, wurde diese Entscheidung auch intensiv mit den Marktbeschickern erörtert und abgestimmt. Der Zwischenplatz hat die umfangreichsten gestalterischen und funktio- nellen Änderungen erfahren. Bereits vor der Neuplanung war klar, daß die Busse von dem Platz verschwinden werden. Die Verlagerung des Zentralen Omnibusbahnhofes (ZOB) an den Bahnhof war quasi einer der Anstöße dafür, das gesamte Ensemble neu zu gestalten. Aber wie kann ein bislang wenig beachteter und wenig geliebter Platz eine neue Bedeutung erlangen? Die Antwort des Wasserspurenprojekts ist spektakulär. Es wurde eine ‚Themenplatz‘ geformt, wie er in deutschen Städten selten anzutreffen ist und der bewußt seine Modernität in Kon- trast zum historischen Umfeld setzt ohne es zu entwerten. Zentrales Element ist ein Wasserbecken mit minimalem Wasserstand, in dem durch Strömung aber auch Wind und Licht ‚Wasserbilder‘ entstehen. Am Rande und im Becken laden Elemente aus geometrischen Formen ein, das Wasser durch eigene Bewegungen in Schwingung zu versetzen und ‚eigene Bilder‘ zu formen. Ganz schnell haben die Kinder Hann. Mündens und der Besucher diese einladende Geste angenommen. An schönen Tagen planschen sie im Bek- ken ohne müde zu werden. Wenn früher die Eltern den Berührungsängsten ihrer Kinder mit Wasser mittels einem „Wasch dir endlich die Hände“ ein Ende setzen wollten, so hört man an diesem Platz allenthalben den ver- zweifelte Ruf: „Komm endlich aus dem Wasser“. Die Kinder haben das An- gebot zu spielen, planschen, sich abzukühlen, zu probieren und experimen- tieren mit Überschwang angenommen. Der Platz wird zu einer ‚Spielwiese‘ im städtischen Raum. Obwohl wir dies nicht systematisch untersucht ha- ben, haben wir aufgrund unserer Platzbeobachtungen den Eindruck, daß die Zahl der Kinder und Jugendlichen auf diesem Platz ebenso wie übri- gens auf dem Kirchplatz in großem Umfang zugenommen hat. Die häufig beklagte Überalterung Hann. Mündens drückt sich hier jedenfalls nicht mehr aus, gerade am Zwischenplatz entwickelt sich ein neues Miteinander der Jüngeren, die spielend das Wasserbecken nutzen und der Älteren, die Es wurde eine ‚Themenplatz‘ geformt, der bewußt seine Modernität in Kon- trast zum historischen Umfeld setzt, ohne es zu entwerten. Die Kinder haben das Angebot zu spielen, planschen, sich abzukühlen, zu probieren und experimentieren mit Überschwang angenommen. Der Zwischenplatz hat die umfang- reichsten gestalterischen und funktio- nellen Änderungen erfahren. 37um das Becken stehen und sitzen und ihnen meist amüsiert zuschauen. Manchmal hat man den Eindruck, daß es fast zu wenige Bänke für die Zuschauer des Spektakels gibt. Diese Neudefinition des städtischen Rau- mes ist wie gesagt weitgehend. Sie kann natürlich auch für Konfliktstoff sorgen, so daß man auf die Neubewertung sicher gespannt sein darf. Aber – und das ist das Interessante an diesem neu entstandenen Platz – er hat noch eine zweite Seite: eine ruhige, andächtige, kontemplative. Wenn das große Treiben sich beruhigt, wenn die Kinder in der Schule sind, das Wetter nicht ganz so gut ist oder die Abendstunden anbrechen, dann sieht man Menschen bedächtig um das Becken wandeln, still oder in einem ruhigen Gespräch mit dem Begleiter, dann sitzen Menschen auf den Bän- ken oder am Rand des Beckens und schauen ruhig oder fasziniert. In die- sen ruhigen Zeiten des Platzes kommen auch die am südlichen Rand des Beckens stehenden Stelen mit Lautsprechern und Beleuchtung zur Gel- tung. Sie verwandeln mit ihren Klängen und Lichtreflektionen vor allem abends den Platz in einen mystischen Raum. Obwohl es möglicherweise nicht die Intention der Planung war, formt die Gestaltung des Raumes eine interessante Kopplung zwischen dem Profa- nen (repräsentiert durch das Rathaus) und dem Sakra- len (repräsentiert durch die Kirche). Der Kirchplatz hat für die gesamten Wasserspuren eine spezifische Bedeutung. Auf diesem Platz ist der Auftakt des Wasserspiels. An der Ecke zur Langen Straße empfängt deshalb ein Brunnen mit imposanter Geste. Auch er wurde von den Kindern in Windeseile okkupiert, weil er mit seinen bron- zenen Düsen zur Weiterverteilung des Wassers einlädt. An der Schnittstelle von der Einkaufsstraße zum Platz Der Zwischenplatz hat noch eine zweite Seite: eine ruhige, andächtige, kontemplative. Der Kirchplatz empfängt an der Ecke zur Langen Straße mit einer imposan- ter Geste. 38ist dies eine prekäre Situation. Der ein oder andere Passant wird schon mal naß, die meisten tragen es aber mit Humor. Auch hier stehen viele ältere Perso- nen, die dem Trei- ben zuschauen und darauf achten, nicht in den Trefferradius der Wasserstrahlen zu kommen oder ihnen auszuweichen. Ein Wechselspiel zwischen jung und alt. Neben dieser großen Geste gleich in der vorderen Ecke des Platzes wirkt er im übrigen sehr offen – ähnlich wie es der Platz vor der Umgestaltung war, allerdings gibt die Neugestaltung dem Platz eine klar lesbare Fassung und durch die neue Pflasterung eine manifeste Homo- genität. Der hintere Teil des Platzes ist gegenüber dem quirligen Auftakt wesentlich ruhiger gestaltet. Fünf bild- hauerische Stelen unterschiedlicher Höhe haben oben einen Quell und an der zur Kirche gerichteten Seiten Düsen, aus denen das Wasser manchmal spitzt, manchmal sprühend einen Wassernebel verteilt und manchmal kein Wasser kommt. Das austretende Wasser wird in einem flachen rechteckigen Becken gesammelt, das in die Platzfläche eingelas- sen ist. Abends erzeugt die Beleuchtung der Stelen ein interessantes Spiel von Wasser, Stein und Licht. Die gestalterische Konzeption war auch eine wichtige Ursache für die bedeutend- ste funktionelle Änderung auf diesem Platz. Der Markt, der seit etlichen Jah- ren seinen festen Platz auf dem Kirch- platz hatte, wurde auf den Rathausplatz verlegt, da besonders die filigran wir- kenden Stelen vermutlich allzuschnell durch die an- und abfahrenden Markt- autos beschädigt worden wären. Der Markt war für die Bürger vor der Umge- staltung ein wichtiger Aspekt des Plat- zes, so daß wir auch hier gespannt sein konnten, wie die Bürger auf diese Ver- änderungen reagieren. Die gesamte Umgestaltung folgt einer Partitur. Sie führt von einem ‚Hoch‘ auf dem Kirchplatz (der Auftakt am Brunnen Kirchplatz/Ecke Lange Straße gefolgt von in unterschiedlichen Höhen gefaßte Stelen) über die ‚Szene‘, Der Kirchplatz wirkt offen. Der hintere Teil ist sehr ruhig gefaßt. 39d.h. das sich in der ‚Fläche‘ befindende Wasser auf dem Zwischenplatz, zu einem ‚Tief‘ auf dem Rathausplatz (Abfluß an der nordwestlichen Ecke). Die Kopplung erfolgt durch eine gestreute Spur von besonders gestalteten Pflastersteinen, die z.T. von Bürgern, z.T. von einem Künstler geschaffen wurden. Das gesamte Wasserspiel, d.h. der Wasserfluß und die akustischen Effekte, werden durch eine Computeranlage gesteuert. Durch un- terschiedliche Aktionen können die Passan- ten mit dem Wasserspiel interagieren. Bei- spielsweise gibt es auf dem Kirchplatz ei- nen Bewegungsmelder; die von ihm regi- strierten Bewegungen beeinflussen die Wasserbewegung der Stelen. Dieser Einfluß ist nicht offensichtlich und immer wieder sieht man Menschen, die versu- chen dem Zusammenhang zwischen ihrer Aktion und dem Wasserfluß auf die Spur zu kommen. Direkter können Einflüsse am Wasserbecken auf dem Zwischenplatz durch mechanische Einwirkung auf die installierten Metall- platten erzeugt werden. Die Sounds an den Stelen am Rande des Beckens wirken dagegen wieder wie von unsichtbarer Hand gesteuert. Die ideelle Höhenentwicklung, also die Fallinie des Wassers vom Startpunkt, dem Hoch am Kirchplatz, über die Fläche zum Tief auf dem Rathausplatz, ist bei einem zwanglosen Besuch schwer erfaßbar, es setzt Wissen oder eine intensive (paralle- le) Auseinandersetzung mit allen drei Plätzen voraus. Die um- fangreiche Technik, die hinter dem Wasserspiel steht, hat si- cher auch ihre Tücken. Bereits beim Start mußte man feststel- len, daß umfangreiche Abstimmungsarbeiten erforderlich wur- den und auch, daß das ein oder andere nicht funktionierte. So ist es natürlich schade gewesen, daß gerade der optische Takt- stock des Wasserspiels, die Säule am Brunnen auf dem Kirch- platz nicht funktionierte. Auch wenn man die sichtbare Seite der Gestaltung sehr posi- tiv sieht, steht doch ein Fragezeichen hinter dem hohen tech- nischen Background, der für die Inszenierung notwendig ist. Denn wie alle technischen Systeme ist dieser für Fehlfunktio- nen anfällig, außerdem vollzieht sich die Dramaturgie doch wieder in hohem Umfang hinter dem Rücken des naiven Be- trachters. Die Neugestaltung hat zum Teil massive Funktions- und Nutzungsänderungen auf den Plätzen erwirkt. Sie ist zweifellos anspruchsvoll und ästhetisch im wesentlichen gelungen. Wenn man davon ausgeht, daß die bisherige Ge- staltung und Ästhetik der Plätze, besonders des Rathausplatzes und in Teilen des Kirchplatzes, gemocht wurde und daß vor allem der Markt auf dem Kirchplatz eine besonders beliebte bisherige Nutzung war, so kann man auf die Reaktionen des Publikums gespannt sein. Die ideelle Höhenentwicklung des Wasser, verdeutlicht an einem Plan aus den Workshops. (Die Fallinie des Wassers ist rot gekennzeichnet) Die Neugestaltung ist anspruchsvoll und ästhetisch im wesentlichen gelun- gen. Die Partitur der Wasserspiele. (Schema von Andres Bosshard) 404.3 Das kritische Urteil der Bürger Wie also schlagen sich all diese Neuerungen im Urteil und in einzelnen Bewertungen der Bürgerschaft nieder? Bevor wir auf die Ergebnisse unse- rer letzten Untersuchungsreihe zu sprechen kommen, vorab einige metho- dische Anmerkungen. 4.3.1 Methodische Übersicht zu den abschließenden Untersuchungen Unsere abschließenden Untersuchungen setzten zum Zeitpunkt der Platz- übergabe an die Bürger ein. Der frühe Zeitpunkt wurde gewählt, um relativ spontane Äußerungen besonders auf unsere Fragen zur Gestaltung der Plätze zu erhalten. Natürlich fanden bereits vor der Platzübergabe Debatten über die Neugestaltung statt, doch nun war das gebaute Ergebnis zum ersten mal auch in ‚Besitz‘ nehmbar, begehbar, benutzbar. Der Meinungsbildungs- prozeß war im Gange und die Positionen im Begriff sich zu bilden. Wir führten vom 3. bis 7. Juni 2000 die letzte repräsentative Telefonbe- fragung unter der Bevölkerung Hann. Mündens durch. Ebenfalls ab dem 3. Juni aber über einen etwas längeren Zeitraum fand eine Straßenbefragung auf den neugestalteten Plätzen statt. Wir verwendeten den gleichen Frage- bogen, der um einige wenige Antworten erweitert wurde. Die Auswahl der Befragten war zufällig. Unter ihnen finden sich sowohl Bürger als auch Besucher der Stadt, so daß wir diese Befragung zur Identifikation unter- schiedlicher Sichtweisen und Bewertungen heranziehen konnten. Eben- falls im Juni wurde unter den beteiligten Bürgerakteuren – allerdings schrift- lich – eine letzte Befragung durchgeführt. Auch hier bildete der Fragebo- gen der telefonischen Befragung die Basis, die mit spezifischen Fragen zur rückblickenden Beurteilung des Beteiligungsverfahrens ergänzt wurden. In der repräsentativen Telefonbefragung wurden 353 Personen befragt. An der Straßenbefragung nahmen 274 Personen teil. Auf die schriftliche Bürger- akteursbefragung antworteten 19 Personen. 4.3.2 Fragen und Interpretationen Unser Hauptinteresse bei der abschließenenden repräsentativen Telefon- befragung richtete sich auf die Bewertungen der einzelnen Plätze. Wir wollten sehen, wie die Bürger die neuen Plätze pauschal (neu)beurteilen, aber auch, was ihnen an den einzelnen Plätzen gefällt bzw. mißfällt. Um die Antworten vergleichen zu können, haben wir einige in unserer ersten Telefonbefragung bereits gestellte Fragen wiederaufgenommen. Es waren die Frage danach, wie der Platz empfunden wird, eher angenehm, unange- nehm oder gleichgültig und die Frage nach maximal drei Dingen, die sie an dem Platz mögen, sowie maximal drei Dingen, die sie an dem jeweili- gen Platz nicht mögen. Zuvor wurden sie gefragt, ob sie den Platz schon Abschließende Untersuchungen – Methodenset – 1. Telefonbefragung Zeitraum: 3.-7.Juni 2000 Teilnehmer: 353 Personen 2. Straßenbefragung Zeitraum: 5 Tage zwischen dem 3.-10.Juni 2000 Teilnehmer: 274 Personen 3. schriftl. Akteursbefragung (nur Bürgerakteure) Zeitraum: Juni 2000 Teilnehmer: 19 Personen Die abschließenden Untersuchungen wählten den Moment, zu dem der Mei- nungsbildungsprozeß begann und die Positionen im Begriff waren, sich zu bilden. Methodenset der abschließenden Untersuchungen. Die (Neu-)Bewertungen der Plätze in der Telefonbefragung wurden mit der ersten Befragung verglichen. 41gesehen haben, so daß wir bis zur letzten Frage nach dem, was gemocht bzw. nicht gemocht wird, einen mehrstufigen Filter hatten. Denn danach wurden nur diejenigen Personen gefragt, die den Platz gesehen hatten und denen er nicht gleichgültig war. Indem wir die Menschen fragten, ob sie bereits auf dem jeweiligen Platz waren, konnten wir vermeiden, daß vom Hörensagen übernommene oder vorgefaßte Meinungen ohne Kenntnis der Orte Eingang finden. In unserer ersten Telefonbefragung spielte diese Problematik keine Rolle, da die Plätze allen Befragten bekannt waren, da aber die letzte Telefonbefragung mit dem Zeitpunkt der Platzübergabe stattfand, konnten wir eine Kenntnis der Plätze nicht voraussetzen. Indem wir außerdem diejenigen nicht weiterbefragten, denen der Platz gleichgültig war, grenzten wir den Kreis der Antwortenden auf Personen ein, die auch einen (positiven oder negativen) emotionalen Bezug zum Platz haben. Bei unserer ersten Befragung sind wir ebenfalls so verfahren. So kommen wir zu einem Set von unterschiedlichen Antworten. Diese Ant- worten wurden bei der ersten Telefonbefragung in z.T. für die Plätze un- terschiedliche Kategorien zusammengefaßt. Bei der letzten Telefonbefra- gung haben wir für alle Plätze die gleichen Kategorien gewählt, um auch unterschiedliche Wertigkeiten zwischen den neugestalteten Plätzen er- kennen zu können. Einen ersten merkbaren Unterschied zwischen erster und letzter Befra- gung konnten wir bereits bei der Zusammenfassung der einzelnen Aussa- gen in Kategorien feststellen. Bei der ersten Befragung tauchten bei der Beschreibung von Dingen oder auch Atmosphären recht häufig gleiche Begriffe auf, bei der letzten Befragung waren die gewählten Ausdrücke hingegen sehr abwechslungsreich. Das Auftaktobjekt an der Ecke Lotze- straße wurde z.B. mit folgenden Begriffen umschrieben: „Brunnen, Fächer- brunnen, Wasserfächer, Wasserflöten, Springbrunnen, Wasserspeier, Wasser- turm“. Dieses Beispiel veranschaulicht, daß die öffentliche Meinungsbil- dung zum Zeitpunkt unserer Befragung tatsächlich noch voll im Gang ist. Es gibt noch keine (weder in positiver noch negativer Hinsicht) gemeinsa- men ‚Begriffe‘, eine eher persönliche Sichtweise steht auf jeden Fall im Vordergrund. 4.4 Kenntnis der neugestalteten Plätze Durch den sehr frühen Zeitpunkt der Befragung hatten wir damit gerechnet, daß einige Bürger noch nicht auf den neugestalteten Plätzen waren. Dies trifft auch auf ein knappes Viertel der Bürger zu. Sie hatten alle bzw. einzelne Plätze noch nicht gesehen. Es wurden nur diejenigen Personen nach den Dingen, die sie mögen bzw. nicht mögen gefragt, die den Platz gesehen hatten und die einen emotio- nalen Bezug zu dem Platz hergestellt hatten. Die Antworten wurden in für alle Plät- ze gleiche Kategorien zusammenge- faßt, um unterschiedliche Wertigkei- ten zwischen den neugestalteten Plät- zen erkennen zu können. Für die Beschreibung von Dingen und Atmosphären wurden sehr abwechs- lungsreiche Ausdrücke gewählt. Es gibt noch keine gemeinsamen ‚Begrif- fe‘ – eine persönliche Sichtweise steht im Vordergrund. 80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 72,2% 66,0% 73,7% Rathausplatz Zwischenplatz Kirchplatz TEL III - Wieviel % haben den jeweiligen Platz gesehen 42Positiv formuliert heißt das: - Den Rathausplatz hatten 72,2% der Befragten gesehen, - den Zwischenplatz/die Szene hatten 66,0% der Befragten gesehen, - den Kirchplatz hatten 73,7% der Befragten gesehen. Damit bildet sich zu dem (frühen) Zeitpunkt der Befragung, wenn auch nur eingeschränkt, ein vor der Umgestaltung etabliertes Wahrnehmungs- muster nochmals ab, das dem Zwischenplatz eine untergeordnet Rolle zu- ordnet. Dennoch haben aufgrund des Interesses an den neuen Plätzen und des Angebots der Übergabefeierlichkeiten, vielleicht aber auch aufgrund alltäglicher alter oder bereits neuer Nutzungsgewohnheiten in relativ kur- zer Zeit sehr viele Bürger die Plätze persönlich in Augenschein genom- men. 4.5 Plätze und Beurteilungen Ganz allgemein kann man sagen: die Umgestaltung der Innenstadtplätze kann sich in den Augen der Bürger se- hen lassen! Jeweils eine Mehrheit der Befragten, die die Plätze bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatten, fan- den diese angenehm. Der Rathausplatz Der Rathausplatz, der vor der Umgestaltung bereits von den weitaus meisten Bürgern angenehm empfunden wur- de, hat bei diesem ersten Stimmungsbarometer gegen- über unserer Befragung vor der Umgestaltung zwar et- was an Zuspruch verloren, liegt aber immer noch auf höchstem Niveau. Mehr als ein Viertel der Urteilenden lobt aus einer all- gemeinen Perspektive heraus die neue Gestaltung des Platzes. Darunter befinden sich Aussagen, die sich umfassend („Ich mag alles“) oder in gewissen Hinsichten („klare Gestaltung“) auf die Gestaltung oder die Ästhetik („Neugestaltung sehr schön“, „Einteilung sehr schön“) des Raumes beziehen, aber auch Aussagen, die den Raumeindruck hervorhe- ben („Großzügigkeit“, „Offenheit“, „Einfachheit“) Knapp 10% stellen bei dem, was sie mögen, einen ausdrücklichen Bezug zum Wasserspurenprojekt („Wasserspuren sind toll“), zum Wasser oder zu einzelnen markanten Elementen des Projektes („Wasserlauf“, „Einzelsteine im Pflaster“) her. Es bildet sich abgeschwächt ein altes Wahrnehmungsmuster ab, das dem Zwischenplatz eine untergeordnete Rolle zuordnet. Sehr viele Bürger hatten die Plätze in relativ kurzer Zeit persönlich in Au- genschein genommen. Jeweils eine Mehrheit findet die neu- gestalteten Plätze angenehm. 80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 64,6% 55,6% 60,2% Rathausplatz Zwischenplatz Kirchplatz TEL III - 6/2000: Ich empfinde den …platz angenehm (in%) Der Rathausplatz hat beim ersten „Stimmungsbarometer“ etwas an Zu- spruch verloren. 80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 70,9% 64,6% Telefonbefragung I (1997) Telefonbefragung III (2000) TEL I und TEL III: ich empfinde den Rathausplatz angenehm (in%) 43Ebenfalls ein starkes Viertel erwähnt das Pflaster, seine Beschaffenheit, Ästhetik oder Nutzbarkeit. Die bei der ersten Befragung dominanten Antworten, die sich auf Gegebenes beziehen, angefangen vom Rat- haus selbst über einzelne andere Häuser, das Glocken- spiel oder die Eisenbart-Aufführungen, treten bei der letzten Befragung deutlich in den Hintergrund. Das ist einerseits naheliegend, da nach der Umgestaltung der Blick vielleicht eher auf das Neue fokussiert ist, die Häufigkeit der Nennungen tritt aber auch nicht soweit in den Hintergrund, daß man vermuten muß, daß das Neue das Alte „erschlägt“. Zwar sind einige Bürger ge- nau dieser Ansicht („paßt nicht ins Stadtbild“, „zu mo- dern“, „historischer Unfug“) aber der Umfang dieser Kritik hält sich doch in Grenzen. Eine andere Ebene der Kritik richtet sich auf das Atmo- sphärische des Raumes: „zu kalt“, „zu glatt“, „zu öde“ lauten die Aussagen, die sich unmittelbar auf den Rathausplatz beziehen, „es fehlt die Belebung in der Stadt“, „Lärm und Krach“ sind einige der hier seltenen eher unspezifischen Kritikpunkte. Der Zwischenplatz Der Zwischenplatz konnte den erhofften Umschwung in Wahrnehmung und Beurteilung erzielen. Nachdem vor der Umgestaltung nur eine überschaubare Minderheit diesen Platz angenehm fand, waren es nach der Umge- staltung mehr als die Hälfte der Befragten. Die positiven Gründe für diesen Umschwung sind deut- lich bei den Dingen, die an dem neuen Platz gemocht werden ablesbar: es ist das Wasser bzw. die Gestaltung des Wassers auf diesem Platz, was besonders gemocht wird. Zur Beschreibung dessen, was gemeint ist, werden die vielfältigsten Be- griffe gebraucht: „Wasseranlage“, „Wasserspur“, „ Wasserteppich“, „Wasser- spiele“, „Brunnen“, „Wasserplatte“, „Wassertreppe“, „Wasserfläche“, „Ter- rasse“ usw. Es werden auch die Bewegung, die Farbe und Spiegelungen des Wassers genannt. Die abendliche Stimmung, die Wassergeräusche und ganz praktische Nutzen, wie daß man seine Füße kühlen kann, werden erwähnt. Auch die Atmosphäre des neuen Platzes findet großen Anklang: es ist das „Flair“ und „Ambiente“, der Platz ist „hell und freundlich“ mit „viel Le- ben“, er wirkt „jetzt freundlicher und wärmer“. Er ist „Treffpunkt“, „attrak- tiv für Touristen“ und „Anziehungspunkt für Bürger“, „lädt ein zum Verwei- 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 10,6% 20,2% 26,1% 9,6% 26,6% Der Markt Das historisch Gegebene Das Pflaster Gestaltung etc. durch Wasserspuren Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck TEL III - Hauptnennungen, was am Rathausplatz gemocht wird (in %) Die positiven Aussagen zum neu- gestalteten Rathausplatz überwie- gen in der Telefonbefragung. Der Zwischenplatz konnte einen Um- schwung in Wahrnehmung und Beur- teilung erzielen. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 10,8% 11,7% 18,9% Das Pflaster Soziale Atmosphäre/Kommunikation Die Grüngestaltung TEL III - Hauptnennungen, was am Rathausplatz nicht gemocht wird (in %) 80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 15,5% 55,6% Telefonbefragung I (1997) Telefonbefragung III (2000) TEL I und TEL III: ich empfinde den Zwischenplatz angenehm (in%) 44len“ und ist „gut zum Hinsetzen“. Es ist „angenehm, wenn das Wasser läuft“ und es ist (sehr häufig genannt) „für Kinder prima“. Dem großen Zuspruch auf der einen Seite stehen auch kritische Stimmen gegenüber. Aus einer so grundlegen- den funktionellen und gestalterischen Neudefinition des städtischen Raumes resultieren natürlich Reibungsflä- chen. Kritik kommt an der Größe des Beckens („zu gi- gantisch“, „läßt wenig Platz für andere Sachen“, „zu viel Wasser“). Die Gestaltung wird auf einer allgemeinen Ebene kritisiert („Wasserspiele sind uninteressant“, „Wassergestaltung gefällt nicht“) oder einzelne Details wie die „Säulen stören“. Die z.T. intensive Nutzung empfinden einige auch als störend: es sind „zuviele Leute“, „Kinder laufen überall herum“, die Anlage würde zu einer „halben Badeanstalt“ und es „wird nachts zu laut“. Man befürchtet in der Zu- kunft Verschmutzung oder Zerstörung („zu empfindlich“) und fragt sich, ob die „Pflege der Anlage gewährleistet ist“. Der Kirchplatz Der Kirchplatz, den vor der Umgestaltung über die Hälfte der Bürger ange- nehm fanden, konnte diesen Anklang auf knapp 60% ausbauen. Es wird die gesamte Gestaltung gemocht, die Optik „Sieht schön aus“ oder der Platz ist „einfach toll“, es gefällt die „Aufteilung“ oder der „Aufbau des Platzes“, man lobt die „Abwechslung“ aber auch Raumeindrücke wie die „Offenheit“, das „Geräumige“ und die „schönen großen Flächen“. Noch ausgeprägter als bei den übrigen Plätzen sind aber die Argumente, die auf Wasser und einzelne Elemente der Wassergestaltung Bezug nehmen. Das „Wasser lok- kert auf und erfrischt“. Die „künstlerische Gestaltung“ wird als Gesamtes gelobt und Fächerbrunnen, Stelen so- wie Bürgersteine als einzelne Objekte genannt. Der „Was- serfächer sieht gut aus“, und wird „in Aktion“, d.h. wenn die Kinder dort spielen, gemocht. Die „Wasserflöte“, „schwarzen Spritzen“ und „Figuren“ werden erwähnt. Die „Skulpturen sind witzig“ bzw. „sehr gelungen“. Auch die „Stelen“ oder „Wassersäulen“ finden Anklang. „Die vier Granitblöcke“ seien „farblich sehr schön, ange- nehm“, sie sind „toll wegen dem Überraschungseffekt, wann das Wasser kommt“, sie „fallen nicht aus dem Rah- men“. Außerdem werden im Zusammenhang mit dem Kirchplatz häufiger die Bürgerbeteiligung und die von den Bürgern gestalteten Steine angesprochen. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 14,8% 16,5% 19,8% Die Grüngestaltung Ordnungstörung durch Wasserspuren Gestaltung etc. durch Wasserspuren TEL III - Hauptnennungen, was am Zwischenplatz nicht gemocht wird (in %) Aus der grundlegenden funktionellen und gestalterischen Neudefinition des Zwischenplatz resultieren deutlich er- kennbar auch Reibungsflächen. Der Kirchplatz konnte seinen noch et- was Anklang ausbauen. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 10,8% 14,2% 14,2% 33,5% Soziale Atmosphäre/Kommunikation Atmosphäre durch Wasserspuren Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck Gestaltung etc. durch Wasserspuren TEL III - Hauptnennungen, was am Zwischenplatz gemocht wird (in %) 80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 54,5% 60,2% Telefonbefragung I (1997) Telefonbefragung III (2000) TEL I und TEL III: ich empfinde den Kirchplatz angenehm (in%) 45Hierzu passend ist es auch, daß das Pflaster, das dem Platz seine fassende und in der Fläche ruhig wirkende Gestalt gibt, relativ häufig positiv er- wähnt wird. Bei den Dingen, die nicht gemocht werden, sind es eben- falls das Wasser bzw. einzelne Elemente der Wassers- puren, die die Liste anführen. Neben eher allgemeinen Äußerungen wie „Wasserspiele passen nicht“ oder „Wasserspiele müßten nicht sein“ ist es vor allem der Fächerbrunnen, der in die Kritik ist. Die „Wasserfälle“ seien „nicht schön“, Die „große Brunnenanlage“ ist eher „nicht akzeptabel“ oder „gefährlich für Kinder (spitze Teile)“. Am häufigsten wird aber der Taktgeber, „der Messingturm“, „die große Stange“, „das Ofenrohr“ be- mängelt. Die Marktverlegung Die Verlegung des Marktes scheint insgesamt keine gro- ße Diskussion wert zu sein. Aufgrund der vor der Planung bestehenden Tabuisierung des Themas hätte man erwar- ten können, daß die Entscheidung für die Umsiedlung des Marktes auf den Rathausplatz kritisch diskutiert wird. Da der Markt schon einige Zeit vor der offiziellen Platz- übergabe am neuen Standort stattfand, kann davon aus- gegangen werden, daß den Befragten die Umverlegung bekannt ist. Aber sowohl bei den Aussagen zum Rathaus- platz – dem neuen Standort des Marktes – als auch bei den Aussagen zum Kirchplatz – dem alten Standort des Marktes – ist die Marktverlegung ein marginales ‚nicht- mögen‘-Themenfeld. So kann man die knapp 11%, die den Markt am neuen Standort loben als Zeichen einer breiteren Akzeptanz und Zustimmung in der Bürgerschaft werten. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 21,9% 12,3% 21,9% Die Grüngestaltung Ordnungstörung durch Wasserspuren Gestaltung etc. durch Wasserspuren TEL III - Hauptnennungen, was am Kirchplatz nicht gemocht wird (in %) Die Verlegung des Marktes scheint auf breite Akzeptanz und Zustimmung in der Bürgerschaft zu stoßen. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 10,3% 23,3% 28,8% 48,6% Soziale Atmosphäre/Kommunikation Das Pflaster Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck Gestaltung etc. durch Wasserspuren TEL III - Hauptnennungen, was am Kirchplatz gemocht wird (in %) Die Aussagen zum Kirchplatz sind deutlich geprägt durch die Wasser- spuren. Der Taktgeber, das „Ofenrohr“ – Bei einigen ruft es Kritik her- vor, bei anderen weckt es die Neugierde. 46Die Neuorganisation des öffentlichen Nahverkehrs Auch die Neuorganisation des öffentlichen Nahverkehrs: d.h. die Verlage- rung des zentralen Omnibusbahnhofs an den Bahnhof und die Einrichtung einer Haltestelle am Rande des Rathausplatzes, erregt die Gemüter wenig. Nur fünf Personen bemängeln den Wegfall der Haltestellen auf dem Zwischenplatz. Zwei Personen fühlen sich durch die Einrichtung der Halte- stelle am Rathausplatz gestört, weitere zwei haben den neuen Haltepunkt wohl noch nicht bemerkt, denn sie sagen, daß er weg wäre. Alles in allem ein Umfang an kritischen Äußerungen, die, betrachtet man den Umfang an positiven Äußerungen zur Gestaltung der jeweiligen Plätze, tolerabel sind. Die Grünplanung Bei allen drei Plätzen wird in bemerkenswerten Umfang „zu wenig Grün“ bemängelt. Dies wird entweder in die- ser Allgemeinheit formuliert bzw. speziell als Wunsch nach mehr Bäumen oder Blumen(rabatten) geäußert. Dies war und ist ein Dauerthema in Hann. Münden. Bereits vor der Umgestaltung wurde der Mangel an Bäumen und Blumen für alle Plätze, beim Rathausplatz allerdings nicht so ausgeprägt, kritisiert. So war „mehr Grün“ auch der Hauptwunsch der Bürger für die geplante Umgestaltung der Plätze. Diesem Wunsch folgte die Neugestaltung ganz offensichtlich nicht. Ihr liegt eine andere Interpretati- on des städtischen Raumes zugrunde, die Hann. Mün- den in seinem Kern als ‚steinerne Stadt‘ sieht und nicht als Parkanlage. Diese in Widerspruch zum ‚Bürgerwunsch‘ stehende Sichtweise war auch Thema auf den Workshops und einigen Rückkopplungsterminen zwischen Planer bzw. Künstlern und Bürgern und wurde auch hier widersprüchlich diskutiert. Der Wunsch der Bürger nach mehr Grün bleibt also weiterhin bestehen und wird aus Anlaß der Umgestaltung nochmals kritisch formu- liert. Die Motivationen für die ‚pauschalen‘ emotionalen Urteile sind – wie gese- hen – sehr divergent. Dennoch ist der Einfluß der Wasserspuren deutlich wahrnehmbar. Die emotionalen Urteile sind ebenso wie die einzelnen Din- ge, die gemocht oder nicht gemocht werden, so wenige Tage nach der Übergabe der Plätze vorläufig. Sie sind Ausgangspunkt eines spannenden Meinungsbildungsprozesses, der sicher noch einige Zeit dauern wird und dessen Fortentwicklung bei Gelegenheit unbedingt noch einmal erhoben werden sollte. Weiter virulent bleibt der Wunsch vieler Mündener nach mehr Bäu- men oder Blumen in ihrer Innen- stadt. Die neue Bushaltestelle am Rande des Rathausplatzes wird kaum kritisiert. Auch wenn die ‚pauschalen‘ emotiona- len Urteile sehr divergent sind, der Einfluß der ‚Wasserspuren‘ auf diese Urteile ist deutlich wahrnehmbar. 475 Bürger und Besucher An fünf Tagen zwischen dem 3. und 10. Juni wurde auf den neu gestalte- ten Plätzen als 2. Säule der abschließenden Untersuchungen eine Straßen- befragung durchgeführt. Es galt zu prüfen, ob zwischen den Besuchern Hann. Mündens und den Bürgern der Stadt unterschiedliche Sichtweisen zu den Themen unserer Befragung vorliegen. Es wurden insgesamt 274 Passan- ten befragt, wovon ein Interviewpartner nur einzelne Fragen beantwortete, so daß in der Mehrzahl der Fragen 273 Teilnehmer zugrundeliegen. Die Passanten wurden zufällig ausgewählt. Sie sind zu 44% Besucher Hann. Mündens und zu 56% Bürger der Stadt bzw. der zugehö- rigen Gemeinden. Am 3. Juni, an dem auch die feierli- che Übergabe der Plätze stattfand, wurden überpropor- tional Bürger der Stadt bei der Befragung angetroffen, am Sonntag, dem 4. Juni, hingegen waren die Besucher stärker vertreten. Die Besucher sind nicht speziell we- gen den Eröffnungsfeierlichkeiten an diesen beiden Ta- gen gekommen, denn nur ganz wenige gaben dies als Grund für ihren Besuch an: Die meisten unternahmen einen Tagesausflug in die Stadt, was die Bedeutung Hann. Mündens als beliebter Ausflugsort unterstreicht. Der Anteil der (Kurz-)Urlauber ist gering, bedeutender sind diejenigen, die aus beruflichen Gründen in Hann Münden weilen. Die Besucher kommen übrigens ganz gerne nach Hann. Münden, ein Fünftel sagt gar, daß sie der Stadt sehr verbunden sind. Zwar wurden die Bürger nicht zum Grund ihres Aufent- halts befragt, aber 33 Personen äußerten sich spontan. Daraus große Schlüsse ziehen zu wollen, ist vermessen, aber es soll dennoch erwähnt werden, daß ca. 40% der sich spontan äußernden Bürger sich selbst als Tages- ausflügler bezeichneten, d.h. aus den umliegenden Ge- meinden kamen, 30% „zum Schauen“, aus Anlaß der Feierlichkeiten und der ‚Wasserspuren‘ gekommen wa- ren, lediglich 12% kamen zum Einkauf und 15% waren aus beruflichen Gründen in der Stadt. Die auf der Straße befragten Bürger Hann. Mündens ähneln sich in einigen statistischen Merkmalen den repräsentativ befragten Bürgern der Stadt. Die Verteilung der Nationalität und der Wohndauer sind ähnlich. Sie sind der Stadt aber noch intensiver verbunden. Die Altersgruppenverteilung entspricht mehr der Bevölkerungsstatistik (ohne die bis 11-Jährigen) als bei der Telefonbefragung; hinsichtlich Bildung und Beruf läßt sich eine höhere Schulbildung und ausgeprägtere Berufstätigkeit feststellen. Be- züglich einiger geäußerten ‚Meinungen‘ sind sie mit den repräsentativ Befragten vergleichbar. 100806040200 27 25 15 20 17 28 35 18 26 62 Samstag 10.6.2000 Donnerstag 8.6.2000 Mittwoch 7.6.2000 Sonntag 4.6.2000 Samstag, 3.6.2000 Straßenbefragung 2000: Besucher und Bürger (absolute Angaben) Besucher Bürger 70,0%60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% Sonstiges Wasserspuren Beruflich Urlaub Kurzurlaub Tagesausflug Straßenbefragung 2000: Aufenthaltsgrund der Besucher (in %) 5 % 1,7 % 18,8 % 0,8 % 7,6 % 68,1 % 70,0%60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% Sonstiges Beruflich Einkauf Wasserspuren Spass, Fest zum Schauen Tagesausflug Straßenbefragung 2000: Aufenthaltsgrund der Bürger (in %) 3,0 % 15,2 % 12,1 % 12,1 % 15,2 % 39,4 % 3,0 % 4,5 % - ist mir nicht so wichtig 2,8 % lebe nicht so gerne in … 45,5 % lebe ganz gerne in … 47,4 % fühle mich mit … sehr verbunden Straßenbefragung 2000: Wie gerne leben Sie in Hann. Münden (nur Bürger, in %) Interviews und Untersuchungstage. Die meisten Besucher machten einen Tagesausflug. Die auf der Straße interviewten Bürger sind Hann. Münden intensiv verbunden. 48Ihre Naturdistanz 6 ist ähnlich ausgeprägt und sie beurteilen die Bedeu- tung des Wassers in etwa gleich. Auch die Gewichtung einzelner Gründe, warum Wasser von Bedeutung ist, wie Tourismus, Freizeit oder Klima ist nahezu gleich; die Abweichungen bei den Bedeu- tungsgründen: Naturgewalt, Nahrungsmittel und Produk- tion sind eher zu vernachlässigen, wohingegen der Unter- schied beim Bedeutungsgrund Ökologie mit etwas mehr als 15%–Minus markant, aber nicht systematisch erklär- lich ist. Daß nun gerade – verglichen mit der Gesamt- bürgerschaft Hann. Mündens Bürger – diejenigen, die Wasser nicht mit Ökologie verbinden, kurz nach der Er- öffnung auf den Plätzen waren, kann zumindest überra- schen. Ein weiterer interessanter Unterschied besteht bezüg- lich der Kenntnis der Plätze. Die Bürger, die auf der Straße befragt wurden, kannten immer fast alle Plätze, d.h. sie nutzten die Gelegenheit ihres Aufenthalt in der Stadt zur Besichtigung der Plätze. Das ‚pauschale‘ Gesamturteil zu den jeweiligen Plätzen fällt ‚auf der Straße‘ ebenfalls anders aus als am Tele- fon. Zwar werden auch auf der Straße alle Plätze von über der Hälfte der befragten Bürger der Stadt ange- nehm empfunden, aber der Rathausplatz bekommt er- kennbar weniger Zuspruch als bei der Telefonbefragung, wohingegen der Kirchplatz mehr und der neue Zwischen- platz/‚die Szene‘ deutlich mehr Anklang finden. In dem, was an dem Plätzen gemocht wird bzw. nicht gemocht wird, gibt es viele Parallelen. Ein Unterschied zeigt sich für alle Plätze darin, daß die Telefonbefragten deutlich häufiger auf die neue Pflasterung zu sprechen kommen. Die Umverlegung des Marktes auf den Rathaus- platz wird auf der Straße häufiger gelobt und auf dem Zwischenplatz wird häufiger die durch die Wasserspuren entstandene positive Atmosphäre zur Sprache gebracht. Man sieht also: die auf der Straße angesprochenen Bürger der Stadt Hann. Mündens stehen und sprechen nicht unbedingt für die ‚Allgemeinheit der Stadt‘, sie bilden eine Teilgruppe der städtischen Öffentlichkeit, die aber als Nutzer der Plätze auch eine besondere Relevanz haben. 70,0%60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 14,4% 11,1% 26,3% 23,5% 32,6% 31,4% 39,7% 33,3% 45,6% 30,1% 43,9% 45,1% 69,4% 69,9% Produktion Nahrungsmittel Klima Naturgewalt Ökologie Freizeit Tourismus Worin begründet sich die Bedeutung von Wasser? Bürger Repräsentativ Bürger Straße 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 73,7% 93,5% 66,0% 94,8% 72,2% 90,3% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Kenntnis der Plätze Bürger Repräsentativ Bürger Straße 6 Als Indikator für Naturdistanz wählten wir die Häufigkeit, mit der man Wasser aus der Leitung trinkt. Zwar ist der Transport des Wassers in jeden Haushalt selbst schon eine gewisse ‚Naturferne‘. Doch das Trinken des ‚rohen‘ Wassers zeugt von einer relativ geringen Distanz zur ‚gering bearbeiteten Natur‘. 80,0%70,0%60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 60,2% 68,3% 55,6% 69,2% 64,6% 60,0% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Ist Ihnen der … angenehm? Bürger Repräsentativ Bürger Straße Die auf der Straße angesprochenen Bürger bilden eine Teilgruppe der städtischen Öffentlichkeit, die als Nutzer der Plätze eine besondere Re- levanz haben. 49Ihnen gegenüber werden die Besucher der Stadt gestellt, um unterschied- liche Sichtweisen, die man als Innen- und Außenansichten bezeichnen könnte, zu identifizieren. Auch hier nochmal – ohne es überstrapazieren zu wollen – ein paar wenige statistische Merkmale der beiden Gruppen. Die Geschlechter sind in beiden Gruppen etwa gleich verteilt und liegen bei etwa 50:50. Die Altersgruppen- verteilung unter den Besuchern ist äußerst einseitig. Knapp 65% sind zwischen 36 und 65 Jahren. Die Besu- cher der Stadt sind merklich häufiger berufstätig (54,9% zu 68,3%) und haben in der ‚Spitze‘ eine höhere Schul- ausbildung (Abitur: 28,1% zu 41%). Dem Wasser wird häufiger eine wesentliche Bedeutung zugesprochen (73,2% zu 81,7%), sie begründet sich bei den Besu- chern ausgeprägter als bei den Bürgern mit Tourismus (69,9% zu 74%) und Ökologie (30,1% zu 42,5%). In- teressant ist auch, daß die Naturdistanz der Besucher noch geringer ausgeprägt ist als die der Hann. Mündener. Die Bürger hatten, wie bereits oben beschrieben, be- reits in großer Mehrheit die einzelnen Plätze gesehen, unter den Besuchern hatten zum Zeitpunkt des Inter- views nur knapp die Hälfte bereits alle Plätze gesehen. Vielleicht fehlte ihnen die Zeit, vielleicht war ihr Blick aber auch selektiver. Für diese Vermutung spricht, daß die höchste Kenntnisqoute beim Zwischenplatz lag, der in den seltensten Fällen der erste Platz ist, auf den man bei einem zwanglosen Besuch stößt. Es ist (z.B. von Bahnhof kommend) eher der Kirchplatz bzw. (von den Parkplätzen kommend) der Rathausplatz und erst in zweiter Linie der Zwischenplatz. Die Besucher empfin- den alle drei Plätze in größerem Ausmaß als die Bürger, angenehm, die Rangfolge der Plätze ist allerdings gleich. Die Rangfolge lautet sowohl bei den Bürgern, die auf den Plätzen interviewt wurden, als auch den Besuchern der Stadt: Zwischenplatz - Kirchplatz - Rathausplatz. Sie ist damit genau umgekehrt zu der Rangfolge, die bei der repräsentati- ven Telefonbefragung zustande kam und bietet damit einen Spielraum der Interpretation: Möglicherweise wird bei der Telefonbefragung eine noch aus der Zeit vor der Umgestaltung wirksame Sichtweise reaktiviert, wäh- rend bei der in Augenscheinnahme und dem Erleben vor Ort bereits Öff- nungen für neue Sichtweisen spürbar werden. Diese Öffnungen wären dann bei den Besuchern, die für einen vorher-nachher-Blick weniger empfäng- lich sind als die Bürger, ausgeprägter. Und während sich bei den Dingen, die die Menschen an den Plätzen mögen bzw. nicht mögen doch deutliche Parallelen zwischen Telefonbefragten und auf der Straße Befragten Bür- gern der Stadt gibt, weichen die Besucher auch hier in wichtigen Punkten ab. 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 0,0% bis 11 Jahre 12-18 Jahre 19-35 Jahre 36-65 Jahre 66-75 Jahre 76 und älter Straßenbefragung 2000: Altersverteilung der Interviewpartner (in %) Besucher Bürger 0,8% 0,6% 4,9% 6,3% 23,4% 24,7% 64,7% 50,3% 5,0% 4,4% 0,8% 4,4% 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 73,3% 85,0% 60,0% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Straßenbefragung 2000: Plätze gesehen? (nur Besucher, in %) 80,0%70,0%60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 73,3% 68,3% 74,5% 69,2% 63,6% 60,0% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Straßenbefragung 2000: Empfinden Sie den …platz angenehm? (in %) Besucher Bürger Die Rangfolge der Plätze ist sowohl bei den Besuchern als auch bei den auf der Straße befragten Bürgern der Stadt genau umgekehrt wie in der re- präsentativen Telefonbefragung sie lautet: Zwischenplatz - Kirchplatz - Rathausplatz. Die Besucher sind für einen vorher- nachher-Blick weniger empfänglich als die Bürger. Die Urteilsbildung ist des- halb offener. 65% der Besucher zwischen 36 u. 65 J. 50Der Rathausplatz ist einem Fünftel der Besucher gleichgültig. Sie mögen wesentlich ausgeprägter als die Bürger die historischen Elemente des Plat- zes, wohingegen das neugestaltete Pflaster ebenso wie die Umverlegung des Marktes nicht die Bedeutung erlangt wie unter den Bürgern. Interessant auch, daß die Besucher nur in geringem Umfang etwas nicht an dem Platz mögen. Auch hier unterscheiden sie sich deutlich von den Bürgern, die (ähnlich wie in der Telefonbefragung) öfters die Grüngestaltung nennen. Hier scheinen sich unter den Bürgern sowohl ein Wissen um die Geschichte der Stadt (wo war der Markt, wie sah das Pflaster vorher aus?) als auch tradierte Haltungen (der alte Wunsch nach mehr Grün) Bahn zu brechen, wohingegen die Besucher dieses Wissen nicht haben, bzw. be- züglich der Grünplanung auch eine andere Sicht auf den Platz haben. Der Zwischenplatz ist sowohl für die Besucher als auch für die Bürger in der Straßenbefragung der beliebteste Platz, aber auch hier sind die Dinge, die sie mögen oder nicht mögen unterschiedlich ausgeprägt. Für die Besu- cher sind die Wasserspuren das Thema des Platzes, bei den Bürgern spie- len allgemeine ästhetische Gestaltungsaspekte eine ebenso große Rolle. Interessant auch, daß die Besucher neben all dem Treiben die historische Umgebung nicht ganz aus den Augen verlieren. Die kritischen Punkte sind bei beiden Gruppen nur schwach ausgeprägt und deutlich geringer als die Dinge, die an den Plätzen gemocht werden. Die meisten Dinge, die von den Bürgern mit einer gewissen Relevanz kri- tisiert werden, spielen für die Besucher keine Rolle. * Relevant sind Aspekte, wenn sie in einer der beiden Gruppen von mind. 10% der Befragten genannt wurden. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 6,8% 11,1% 19,0% 18,8% 7,9% 20,5% 12,7% 26,5% 41,3% 16,2% Soziale Atmosphäre/Kommunikation Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck Das Pflaster Der Markt Das historisch Gegebene Straße 2000: Was Sie am Rathausplatz mögen (relevante* Aspekte in %) Besucher Bürger 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 6,3% 11,1% 6,3% 11,1% 4,8% 17,9% Die Kosten Soziale Atmosphäre/Kommunikation Die Grüngestaltung Straße 2000: Was Sie am Rathausplatz nicht mögen (relevante* Aspekte in %) Besucher Bürger 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 11,2% ,2% 16,9% 9,0% 36,0% 23,9% 18,0% 22,4% 46,1% 29,1% Das historisch Gegebene Soziale Atmosphäre/Kommunikation Atmosphäre durch Wasserspuren Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck Gestaltung durch Wasserspuren Straße 2000: Was Sie am Zwischenplatz mögen (relevante* Aspekte in %) Besucher Bürger 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 12,5% 6,6% 6,8% 10,3% 5,7% 14,7% 6,8% 13,2% 3,4% 13,2% 13,6% 15,4% Soziale Atmosphäre/Kommunikation Gestaltung durch Wasserspuren Ordnungsstörung durch Wasserspuren Die Kosten Dialog Alt/Neu mißlungen Die Grüngestaltung Straße 2000: Was Sie am Zwischenplatz nicht mögen (relevante* Aspekte in %) Besucher Bürger Aufgrund der gleich gewählten Skala kann man gut erkennen, daß die posi- tiven Dinge die negativen überwiegen. Der Zwischenplatz ist besonders für die Besucher der Platz der Wasser- spuren. Kritik in relevantem Umfang kommt fast ausschließlich von den Bürgern. Sie ist sehr divergent und jeweils nur schwach ausgeprägt. 51Beim Kirchplatz sind sich Besucher und Bürger in einer Hinsicht einig: hier sind für beide Gruppen die Wasserspuren das Thema des Platzes, aber während ein relevanter Anteil der Bürger daran auch Kritik äußert, ist dies bei den Besuchern fast nicht der Fall. Auch hier bleibt übrigens einem stattlichen Anteil der Besucher der Blick für das Historische nicht verstellt und immerhin für jeden Zehnten ist der Dialog zwischen Altem und Neuem gelungen. Das Standardthema: ‚Mangel an Begrünung‘ wird auch für den Kirchplatz von den Besuchern nicht in dem Umfang aufgenommen wie von den Bür- gern. Was kann man aus dem Vergleich zwischen den Besuchern der Stadt und den Bürgern, die auf den Plätzen interviewt wurden, schließen? Zunächst folgendes: Den Besuchern sind die ‚Wassergestaltungen‘ des Pro- jektes Wasserspuren augenfälliger und sympathischer! Gerade deshalb wer- den sie im Zusammenhang mit dem Rathausplatz, wo diese sichtbaren Zeichen eher am Rande des Platzes liegen und weniger dominant sind, auch selten genannt. Sie mögen besonders auf dem Zwischenplatz nicht nur die gestalterischen Elemente, sondern auch die Atmosphäre, die auf dem Platz durch diese Gestaltung entstanden ist. Sie empfinden das – für einen bestimmten Anteil der Mündener relevante – Thema: Mangel an Grün wesentlich ungezwungener (lediglich beim Zwischenplatz, für den sie die ausgeprägteste Sympathie empfinden, wird es in ähnlichem Umfang thematisiert) und verlieren bei aller Neugestaltung nicht den Blick für das, was vergangene Jahrhunderte zum heutigen Bild der Stadt beigetra- gen haben. Möglicherweise sehen wir im Blick der Besucher auf die Neu- gestaltung der Innenstadtplätze die Umrisse des neuen ‚common sense‘, der sich unter den Bürgern der Stadt etablieren könnte. Die Beurteilung des Kirchplatz ist ge- prägt von den Wasserspuren. Während es bei den Bürger dazu auch kritische Stimmen gibt, hält sich die Kritik bei den Besuchern deutlich in Grenzen. Möglicherweise zeigt der Blick, den Besucher auf die Neugestaltung der Innenstadtplätze werfen, die Umrisse des neuen ‚common sense‘, der sich unter den Bürgern der Stadt etablie- ren könnte. 60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 11,1% 3,7% 15,9% % 11,1% 7,3% 17,5% 15,9% 23,8% 19,5% 58,7% 53,7% Dialog Alt/Neu gelungen Das historisch Gegebene Atmosphäre durch Wasserspuren Soziale Atmosphäre/Kommunikation Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck Gestaltung durch Wasserspuren Straße 2000: Was Sie am Kirchplatz mögen (relevante* Aspekte in %) Besucher Bürger 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 6,7% 10,1% ,7% 11,8% 3% 10,9% 8,0% 17,6% 10,7% 21,0% Dialog Alt/Neu mißlungen Die Kosten Ordnungsstörung durch Wasserspuren Gestaltung durch Wasserspuren Die Grüngestaltung Straße 2000: Was Sie am Kirchplatz nicht mögen (relevante* Aspekte in %) Besucher Bürger 526 Bürgerakteure und Urteil Zum Schluß wollen wir den Blick noch einmal auf die lenken, die das Projekt ‚Wasserspuren‘ ganz wesentlich zu etwas Besonderem gemacht ha- ben. Es sind diejenigen Bürger, die an den Workshops, der Bürgerbegleit- gruppe und auch bei der Umsetzung, d.h. der Gestaltung einzelner Ele- mente des Pflasters mitgewirkt haben. Wir haben sie Bürgerakteure ge- nannt und festgestellt, daß sie sich von der ‚durchschnittlichen‘ Bevölke- rung insbesondere hinsichtlich ihrer Altersgruppenverteilung und ihrer Berufe deutlich unterscheiden. Auch sie haben wir in unsere abschließen- de Untersuchung nochmals eingeschlossen und ihnen den selben Fragebo- gen wie den repräsentativ befragten Bürgern zur schriftlichen Beantwor- tung zugesandt. Außerdem haben wir ihnen einige Fragen zum Beteiligungs- verfahren gestellt, von denen wir uns nach dem definitiven Abschluß von Planung und Bauprozeß noch einmal eine ‚rückschauende‘ Betrachtung versprachen. 19 der angeschriebenen Bürgerakteuren haben sich an dieser letzten Befragung beteiligt. Zunächst interessierte uns auch hier: wie sehen die Bürgerakteure das ‚Werk‘, zu dem sie so viel beigetragen haben und das ohne sie ganz sicher anders entstanden wäre? Die nachfolgenden Resultate mögen zunächst einmal nicht überraschen. Alle antwortenden Bürgerakteure haben auch alle neuen Plätze bereits gesehen. Als ‚Mitgestalter‘ ist bei ihnen das Interesse an den neugestalteten Plätzen natürlich besonders ausgeprägt. Weil ihre Einbindung aber nicht bei der Planung endete, sondern auch die Umsetzungsphase und die feier- liche Übergabe der Plätze einbezog, war es ebenfalls durch die Anlage des Projekts bedingt, daß sie alle Plätze kennen. Die Bürgerakteure haben die gleiche Rangfolge der Plätze wie die auf der Straße Befragten, also Zwischenplatz - Kirchplatz - Rathausplatz. Allerdings finden sie in noch größerem Umfang die jeweiligen Plätze angenehm. Die- ses Urteil ist aber nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – Ergebnis einer kritiklosen Haltung dem eige- nen Werk gegenüber. Ganz im Gegenteil gibt es sehr konzentrierte und umfangreiche Aussagen zu den Din- gen, die auf den Plätzen gemocht bzw. nicht gemocht werden. In vieler Hinsicht liegen sie dabei ‚im Trend‘ der bisher betrachteten Meinungen, sind aber wie ge- sagt ausgeprägter. Natürlich sehen sie als am Verfahren beteiligte bei Kirch- platz und Zwischenplatz ganz stark die Wasserspuren als Basis der ‚gelungenen‘ Neugestaltung, beim Rathaus- platz werden hingegen eher ‚allgemein gestalterische Aspekte‘ gemocht. Außerdem werden zwei Themen, die wichtiger Gegenstand der Planungsdebatten waren, Die Bürgerakteure haben das Projekt ‚Wasserspuren‘ zu etwas Besonderem gemacht. Alle Bürgerakteure kannten die neuge- stalteten Plätze. 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 10,5% 72,2% 77,8% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Bürgerakteure 2000: Bedeutung der Gestaltung durch Wasserspuren (in %) 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 84,2% 89,5% 78,9% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Bürgerakteure 2000: Empfinden Sie den …platz angenehm? (in %) 53nochmals aufgegrif- fen. Ein Drittel der Bürgerakteure nennt die Umverlegung des Marktes auf den Rathausplatz als ei- nes der drei Dinge, die sie an dem Platz mögen, die Hälfte erwähnt das neue Pflaster. Besonders auffallend, wie selbstkritisch die Bürgerakteure gegenüber dem eigenen Werk geblieben sind, zeigt die Frage nach dem, was sie an dem jeweiligen Platz nicht mögen: jeweils ein knappes Drittel erwähnt die soziale Atmosphäre und die Grüngestaltung, ein weiteres knap- pes Drittel nimmt aber auch Bezug auf „historisch Gege- benes“, damit waren Gebäude gemeint, die gegenüber der Neugestaltung des Platzes jetzt eher schlecht ge- pflegt wirken, und für den neugestalteten Platz nicht mehr adäquate Einbauten wie die Eisenbart-Bühne. Die Kritik an der Grüngestaltung reflektiert die intensi- ven Diskussionen während der Planungsphase und zeigt, daß die Diskussion zu keinem abschließenden Konsens führte, denn auch unter den Bürgerakteuren besteht der Wunsch nach mehr Begrünung, seien es nun Bäume oder Blumen weiter. Besonders beim Kirchplatz wird dies häu- fig als kritische Bemerkung geäußert, wohingegen beim Zwischenplatz sich positive und kritische Aussagen zur Grüngestaltung die Wage halten. Die %-Werte in der Kategorie Sonstiges bei der Frage danach, was an den Plätzen nicht gemocht wird, zeigt uns, daß für einige Bürger der ‚Beteiligungsprozeß‘ mit der Übergabe der Plätze nicht endgültig abge- hakt ist; es sind Kritiken, die im zukünftigen Geschehen möglicherweise noch realisiert werden können. Zwei Punkte sollen hier erwähnt werden: ein von den Bürgern während des Verfahrens öfter angemahnter und im- mer noch fehlender Trinkwasserbrunnen und die Anordnung der Papierkör- be ganz speziell beim Kirchplatz. 80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 31,6% 52,6% 73,7% Der Markt Das Pflaster Gestaltung, Ästhetik, Raumeindruck Bürgerakteure 2000: Was mögen Sie am Rathausplatz (bes. relevante Aspekte, in %) 60,0%50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 5,6% 50,0% 27,8% 27,3% % 30,8% Kirchplatz Zwischenplatz Rathausplatz Bürgerakteure 2000: Grüngestaltung mögen oder nicht mögen (in %) mögen nicht mögen 0.0% Für die Bürgerakteure spielen beim Rathausplatz allgemeine gestalterische Aspekte eine Rolle. In der Kritik - Anordnung der Papier- körbe auf dem Kirchplatz. 50,0%40,0%30,0%20,0%10,0%0,0% 15,4% 30,3% 30,3% 30,3% Dialog Alt/Neu mißlungen Das historisch Gegebene Soziale Atmosphäre/Kommunikation Die Grüngestaltung Bürgerakteure 2000: Was Sie am Rathausplatz nicht mögen (relevante Aspekte, in %) 546.1 Rückblickende Bewertung des Beteiligungsverfahrens Die befragten Bürgerakteure waren fast alle bei den Work- shops (bis auf zwei) und an der Bürgerbegleitgruppe (bis auf einen) beteiligt. Die Beteiligung an den Aktivi- täten bei der Umsetzung waren geringer, hier waren vier Personen nicht beteiligt. Der Umfang der eigenen Be- teiligung wird besonders für die Workshops als intensiv beschrieben. Immerhin drei Viertel der Beteiligten wäh- len die beiden höchsten Bewertungen. In der Rückkop- plungsphase sehen sich selbst noch über 65% intensiv beteiligt und in der Umsetzungsphase sind es ca. 57%. Eine andere Rangfolge finden wir bei der Beurteilung der Einfluß- und Mitwirkungsmöglichkeiten. Dort sehen die Bürgerakteure bei der Umsetzung am häufigsten in- tensive Möglichkeiten, gefolgt von den Workshops und den Schluß bildet die Phase der Bürgerbegleitgruppe mit den Rückkopplungsterminen. Die Verteilung der Wertungen reflektiert aus Bürgersicht etwas, das wir im Rahmen des Zwischenberichts aufgrund unserer Beob- achtungen während der Rückkopplungstermine angespro- chen hatten. Wir formulierten damals sehr vorsichtig „ … außerdem konnten sich bei bestimmten Sachentscheidungen die Profes- sionellen oftmals durchsetzen. Und dies nicht, weil sie immer die besseren Argumente haben, sondern weil sie in den Sachfragen besser argumentieren können.“ (AEP, Zwischenbericht 1999, S. 32) Am Beispiel der Entschei- dung über die Wahl des Plattenbelags für den Rathausplatz wurde diese eher allgemeine Formulierung verdeutlicht: „Dennoch hatten die Bürger, obwohl sie sich im Vorfeld dieses Rückkopplungstermins auf einer Exkursion über verschiedene Plattenbeläge informiert hatten, hier im Umfeld vieler Experten: des Freiraumplaners, der Künstler, der verschiedenen Fachdienste, des Moderators, der selbst ja auch Architekt ist, einige Schwierigkeiten, eine eigene Meinung zu bilden und diese auch geltend zu machen, weil der ‚Fach- verstand‘ sich deutlich in den Vordergrund schob.“ (AEP, Zwischenbericht 1999, S. 32) Bei der offenen Frage nach einem persönlichen Resümee sprechen immer- hin vier Bürger relativ drastisch von einer „Alibifunktion“, die die Bürger- begleitgruppe hatte, ein weiterer sieht die „Entscheidungen so vorberei- tet, daß die Bürger leicht zustimmen konnten“, ein anderer ist der Mei- nung, daß die Präsenz der „Offiziellen“ noch zu stark war, ein letzter steht auf dem Standpunkt, daß der Wille der Bürgerbegleitgruppe nicht in allen Punkten umgesetzt wurde. Doch auch einige der Kritiker betonen, daß der Einblick in die Planung und die städtischen Probleme interessant war und letztlich auch eine ge- stalterische Verbesserung erreicht wurde. Die Einfluß- und Mitwirkungsmöglich- keiten in der Bürgerbegleitgruppe wird von einen Drittel der Beteiligten sehr gering eingeschätzt. Die Einblicke in die Planung und die städtischen Probleme war interessant. 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% % 31,3% 68,8% 31,6% 31,6% 36,9% 16,7% 27,8% 55,5% Umsetzung Begleitgruppe Workshops Bürgerakteure 2000: Einflußmöglichkeiten in einzelnen Phasen (in %) kaum Möglichkeiten mittlere Möglichkeiten intensive Möglichkeiten 100,0%80,0%60,0%40,0%20,0%0,0% 21,4% 21,4% 57,1% 5,6% 27,8% 66,7% 5,9% 17,7% 76,4% Umsetzung Begleitgruppe Workshops Bürgerakteure 2000: Beteiligung in einzelnen Phasen (in %) kaum beteiligt mittlere Beteiligung intensive Beteiligung 55Deshalb überwiegen auch die positiven persönlichen Resümees, die nicht nur das erreichte gestalterische Ergebnis, sondern gerade auch die persön- lichen Einblicke und Einflüsse im Rahmen des Beteiligungsverfahren beto- nen. Die positiven persönlichen Resümees überwiegen. 56Resümee Wir konnten über drei Jahre ein Beteiligungsverfahren forschend mit- verfolgen, beobachten und hinterfragen, das in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes war. Es war eine weitgreifende Beteiligung der Bürger von der ersten Entwurfsphase über eine sich anschließende, den gesamten Planungs- prozeß begleitende, Kooperation bis zur Fertigstellung der Plätze. In der Umsetzungsphase wurden einzelne Steine des Pflasters (über 100) von Bürgern gestaltet und stellen so auch für diese Menschen einen außerge- wöhnlichen Bezug zu den Plätzen her. Es war ein Prozeß, der auf Seiten der politisch Verantwortlichen in Rat und Verwaltung Hann. Mündens eine große Offenheit forderte, denn es war unsicher, ob dieser Versuch glücken würde, ob er zu einem gelungenen Entwurf führen wird und welche Quali- tät die neuen Plätze durch dieses Verfahren in gestalterischer und funk- tioneller Hinsicht haben werden. Auch wenn es kritikwürdige Aspekte gibt, denken wir, daß der Versuch im großen und ganzen erfolgreich war und die erhofften Ziele erreicht wur- den. Es ist geglückt, innerhalb der Workshops gemeinsam einen konsens- fähigen ersten Entwurf zu entwickeln. Es ist ebenfalls geglückt, eine Kon- zeption für die weitere Bearbeitung des Entwurfs mit Planern, Künstlern und Bürgerbegleitgruppe zu finden. Auf dem Weg zur Umsetzung gelang es nach anfänglichen Reibungsverlusten, daß die meisten Verwaltungsab- teilungen das Entstehen der neuen Plätze nicht nur fachlich begleiteten, sondern auch zu ihrer Sache machten. Wo dies nicht der Fall war (z.B. bei der Auseinandersetzung um einen speziellen Baum), wurde ein Beitrag des Projektes zur Stadtkultur sichtbar: denn wie selten ist es möglich, daß ein solcher Konflikt offen und vor allem unformell erörtert wird und sich, wie in diesem Fall, das von der Bürgerbegleitgruppe vehement vorgetrage- ne Interesse durchsetzen kann. Die Einbeziehung von Bürgern in einen Entwurfsprozeß wirkt zunächst aufwendiger als eine konventionelle Planung. Sie hat aber Vorteile, die sich auf lange Sicht zeigen werden. Die trotz kritischer Anmerkungen ins- gesamt hohe Akzeptanz der neugestalteten Plätze bei den Bürgern und besonders bei den Besuchern der Stadt sind ein Indikator dafür, daß es richtig war, diesen Aufwand zu betreiben. Die Erfahrungen aus diesem Versuch werden aber auch das Verhältnis von Bürgern und Politik bzw. Verwaltung bereichern: • das Wissen einzelner Bürger um die Stadt floß unmittelbar in die Ge- staltung ein; • die Bürger konnten erleben, daß sie sich mit ihren Ansichten und In- teressen erfolgreich in Entwurf und Planung einmischen können. Dies wird bei neuen bedeutsamen Projekten wieder motivierend sein, sich zu beteiligen; 57• in einem Planungsprozeß bis zur Fertigstellung involviert gewesen zu sein hat den beteiligten Bürgern viele neue Erfahrungen und Einsich- ten eröffnet. Dies ermöglicht ihnen auch zukünftig städtische Problem- lagen in solchen Prozessen besser nachvollziehen zu können. Ziel des Projekts war es, neben dem inhaltlichen Thema ‚Wasserspuren‘, auch eine neue Planungskultur zu entwickeln. Diese Bemühungen waren – wie man jetzt rückblickend sagen kann – in weiten Teilen erfolgreich. Besonders erfreulich war die Bereitschaft, diesen Prozeß kritisch beob- achten zu lassen, so daß aus dem Verlauf des Hann. Mündener Experi- ments einige bedeutsame Rückschlüsse gezogen werden können. 1. Ein solches Beteiligungsverfahren ist nicht so sehr für den planeri- schen Alltag geeignet, sondern eher für Projekte, die für die Entwick- lung und die Identität einer Stadt ein besonderes Gewicht haben. Die teilnehmenden Bürger sind eine Auswahl besonders interessierter und engagierter Menschen. Ihr Bezug zur Stadt kann sehr unterschiedlich sein. Ihr Interesse ist oft auf einem hohen Niveau. Meist haben sie auch professionelle Kompetenzen. 2. Gerade weil es sich bei den beteiligten Bürgern um eine Auswahl han- delt, muß der Bezug zur gesamten Bürgerschaft dauerhaft und profes- sionell hergestellt werden. Öffentliche Veranstaltungen und eine aus- geprägte Pressearbeit sind wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg. 3. Eine engagierte Moderation scheint ebenfalls integraler Bestandteil ei- ner ‚deep participation‘ zu sein. Sie benötigt einen Handlungsspiel- raum, um erfolgreich wirken zu können. Umso wichtiger ist es deshalb, sich im Gegenzug auch über deren Grenzen zu verständigen. 4. Die Toleranz von Politik und Verwaltung ist sicher die wesentlichste Bedingung für diese Form der Beteiligung. Sie schaffen durch politi- sche Entscheidungen die Voraussetzungen und ermöglichen durch zeit- weilige Zurückhaltung eine relativ ungestörte Entwicklung des kreati- ven Prozesses. Politik und Verwaltung sollten außerdem eine gewisse Überzeugungsoffenheit besitzen und für die im Prozeß entwickelte Ge- danken, die bisherigen Vorstellungen widersprechen, zugänglich sein. 5. Schließlich müssen auch die Planer und Künstler eine neue Offenheit zeigen. Im direkten Dialog mit den Bürgern müssen sie sich mit deren Wissen, Können und Wollen auseinandersetzen und bereit sein, übliche Planungspfade zu verlassen. Auch das gestalterische Ergebnis dieses Prozesses kann sich sehen lassen. Zwei der neugestalteten Plätze – Kirchplatz und Zwischenplatz – konnten sich in der Gunst des Publikums verbessern, letzterer bei geringer voraus- gehender Akzeptanz sogar deutlich. Nur der Rathausplatz hat an Zuspruch etwas verloren. Er war vor der Umgestaltung allerdings auch besonders beliebt. Wenn man bedenkt, daß bei Platzneugestaltungen oft ein drama- tischer Akzeptanzverlust eintritt, wie z.B. beim Kasseler Königsplatz, dann stimmen die Ergebnisse der repräsentativen Bürgerbefragung sehr zuver- sichtlich. Noch günstiger, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung, 58fällt das Urteil der Bürger und Besucher aus, die auf den Plätzen befragt wurden. Natürlich sind die Meinungen sowie die positiven und negativen Kritiken zu allen drei Plätzen vorläufig. Der direkt im Anschluß an die feierliche Platzübergabe gewählte Zeitpunkt der Befragungen impliziert die Vorläu- figkeit der gegebenen Antworten. Welches Urteil sich letztlich etablieren kann, wird man erst in ein, zwei oder auch fünf Jahren des Umgangs und der Nutzung der Plätze sehen. Vielleicht deuten sich im Urteil und dem kritischen Blick der Besucher aber bereits die Umrisse des neuen ‚common sense‘ gegenüber den neuen Plätzen an: • Kirchplatz und Zwischenplatz als Plätze der Wasserspuren und der Kom- munikation und speziell der Zwischenplatz als Raum der besonderen Atmosphäre, • der Rathausplatz mit seiner gelungenen Gestaltung als Ort, an dem vor allem die Geschichte Hann. Mündens lebendig wird und der die Kulisse für gesellschaftliche Ereignisse bietet. Bei soviel positiver Bilanz dennoch zwei kritische Einwände. Die z.T. deut- liche Kritik einzelner Bürger an der Arbeit in der Bürgerbegleitgruppe so- wie unsere eigenen Beobachtungen, daß die Fachleute relativ häufig in dieser Phase dominierten, fordert ein weiteres Nachdenken. Auf die wei- tere Einbeziehung der Bürger nach der konzeptionellen Entwurfsarbeit zu verzichten, würde die Beteiligung an einem wichtigen Punkt kappen und scheint uns nicht angemessen. Aus unseren Beobachtungen schlossen wir, daß u.a. das Tempo, mit dem manche Entscheidungen gefällt wurden, die beteiligten Bürger überrollte. Die Beobachtung eines Bürgerakteurs, daß die Entscheidungen so vorbereitet wurden, daß die Bürger leicht zustim- men konnten, sehen wir ähnlich. Es ist möglicherweise vor allem eines, nämlich Zeit, die fehlt. Man sollte also bei zukünftigen Projekten – ohne sie unnötig ausdehnen zu wollen – daran denken, daß Entscheidungspro- zesse auf Seiten der Bürger mehr Zeit erfordern. Das heißt nicht unbe- dingt, daß sie einige Wochen länger benötigen. Es kann schon genügen, die Entscheidungsdichte bei einzelnen Begleitterminen zu reduzieren: also nicht wie einmal geschehen z.T. parallel Entscheidungen zur Pflasteraus- wahl für die Traufkantenbereiche der historischen Gebäude, zur Gestaltungs- konzeption der Bushaltestelle, zur Auswahl der Bänke, zum Umgang mit den denkmalpflegerischen Funden und eine Debatte über einen zu fällen- den Baum einzufordern. Der zweite Hinweis bezieht sich auf die gestalterische Umsetzung des The- mas Wasserspuren. Der relativ direkten, offenen Art, wie sich die Wasser- spuren auf den Plätzen präsentieren, steht eine im Kellergeschoß des Rat- hauses untergebrachte hoch komplexe Steuerungstechnik gegenüber. Die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Steuerung des Prozesses sind mögli- 59cherweise nur ‚Kinderkrankheiten‘ und bald vergessen. Möglicherweise sind sie aber ein Hinweis darauf, daß ein zu komplexer Ansatz gewählt wurde, der mit einem zu hohen technischen Aufwand einhergeht. Eine Transpa- renz für die Nutzer der Plätze ist mit dieser Konzeption jedenfalls schwie- rig herzustellen, so daß diesen entweder die unbeschwerte Nutzung des Präsentischen oder aber das Faszinosum des Mystischen als Zugang zu den Wasserspuren bleibt. Trotz dieser beiden kritischen Anmerkungen zeigt das Projekt ‚Wasserspuren‘ daß sich mit einer ‚deep participation‘ eine Bürgerbeteiligung auf hohem Niveau realisieren läßt. Für komplexe Planungsaufgaben, besondere Orte und strittige Fälle können Lösungen mit großer Qualität und besonderem Identifikationspotential erarbeitet und umgesetzt werden. Beim Startschuß für das Wasser, eine Woche vor dem Eröffnungsfest, herrschte reges Interesse. Selbst die Reporter gingen für ein Interview ins Wasser. Wünsche werden wahr. Eine Schülerzeichnung zum Thema Wasserspuren 1997, darüber die neue Realität. Was der Schüler wohl dazu sagt …? 60 Anhang 61Beteiligte Bürger (in alphabetischer Reihenfolge) Reinhold Barth Lutz Beining Fritz Bormann Peter Bormann Claudia Bremer Wulf Essen Gelinde Fleisch Egon Frubrich Christliebe Fuhrmann Karl Heinz Funda Julia Grasdorf Marcel Grainer Renate Hartmann Manfred Hartmann Heinz Hartung Walter Henkel Sven Henzel Gouca Kalec Herbert Krüger Reinhard Langner Ursula Manke Britta Neumann Georg Mielenhausen Susanne Risch Helmut Saehrendt Elke Unckenbold Jakob Voß Klaus Wilhelm Doris Winkelmann Heide Winkelmann Pia Zojer (mit der Hoffnung niemanden vergessen zu haben) 62Übersicht der Materialien und Zeitpunkt der Erhebung Beobachtung 2. Juli 1997 Festakt zur Registrierung der EXPO, 20. Sept. 1997 1. Vollversammlung, 14.-16. Nov. 1997 1. Workshop, 6.-8. Febr. 1998 2. Workshop, 26. Febr. 1998 Kulturausschuß 9. März 1998 Bauausschuß, 21. März 1998 3. Workshop/1. Rückkopplung 20. Apr. 1998 2. Rückkopplung 9. Mai 1998 Ausstellung und Präsentation des Freiraum-Konzeptes 19. Juni 1998 3. Rückkopplung 16. Juli 1998 Ausstellung und Präsentation des künstlerischen Konzeptes 16. Juli 1998 Kulturausschuß 11. Sept. 1998 4. Rückkopplung 12. Sept. 1998 Ausstellung Gesamtplanung 31. Okt. 1998 5. Rückkopplung 5. Nov. 1998 Diskussionsrunde mit Marktbeschicker 30. Apr. 1999 6. Rückkopplung Juni 1999 Kontaktkunstaktion auf dem Kirchplatz Juni 1999 Wasserspurenfest 17. Sept. 1999 7. Rückkopplung 12. Nov. 1999 8. Rückkopplung 23. März 2000 Verlegeaktion Bürgersteine 24. Mai 2000 Startschuß mit politischer Prominenz für das Wasser 3. Juni 2000 Stadtfest Hann. Münden. Eröffnung des Wasserspurenprojekts und Einweihung der neugestalteten Innenstadtplätze. Telefonbefragung 11.-13. Sept. 1997 Telefonbefragung I, Zufallsstichprobe, 350 TN, davon 330 in Auswertung 20.-24. Juli 1998 Telefonbefragung II, Zufallsstichprobe, 350 TN, davon 342 in Auswertung 3.-7. Juni 2000 Telefonbefragung III, Zufallsstichprobe, 355 TN, davon 353 in der Auswertung Straßenbefragung 3.-10. Juni 2000 Straßenbefragung 2000, Passanten auf den Plätzen, 274 TN 63 Fragebogen an Akteure/Teilnehmer von Veranstaltungen 20. Sept. 1997 1. Vollversammlung, Kurzfragebogen während der Veranstaltung an die Teilnehmer 14.-16. Nov. 1997 1. Workshop, ca. eine Woche danach Fragebogen an Bürger, Planer, Künstler, Studenten 6.-8. Febr. 1998 2. Workshop, ca. eine Woche danach Fragebogen an Bürger 21. März 1998 3. Workshop, ca. eine Woche danach Fragebogen an Bürger Juli 1998 nach mehreren Rückkopplungsterminen, Fragebogen an die Bürger Juni 2000 nach Platzübergabe, Fragebogen an die Bürger Kurzstatements 14.-16. Nov. 1997 1. Workshop: Bürger, Planer, Künstler, Studenten, 6.-8. Febr. 1998 2. Workshop: Bürger, Planer, Künstler, Studenten, Intensivinterviews Febr. 1988 2. Workshop, offene Interviews mit Moderator und Baudezernent Febr.-März 1998 Interviews nach Gesprächsleitfaden mit allen Planern Febr.-März 1999 Interviews mit einzelnen Fachabteilungen der Verwaltung 64Literatur Arbeitsgemeinschaft der beteiligten Künstler: Wasserspuren - Wasser sichtbar machen. Ausstellungskatalog. Hann. Münden 2000. (Darin auch zwei Beiträge der Autoren). Bischoff, Ariane; Selle, Klaus; Sinning, Heidi: Informieren, Beteiligen, Kooperieren. Kommunikation in Planungsprozessen, eine Übersicht zu For- men, Verfahren, Methoden und Techniken. Dortmund 1995. Böhme, Gernot: Für eine ökologische Naturästhetik. 1989. Böhme, Gernot: Atmosphären. 1994. Braun, Ulrike: Der Stil der Ökonomie. Zum Beispiel Hannoversch Münden. Diplomarbeit am FB 13 der Universität Kassel. Kassel 1996. Heidenreich, Elisabeth / Glasauer Herbert: Alltag und sozialer Sinn. In: WasserKultur, Urbanität - Technik - Ökologie, Nr. 2 S. 24-26, Kassel 1994. 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