Karlheinz Fingerle Perspektiven beruflicher Umweltbildung Berufe lernen für eine nachhaltige Entwicklung? Veröffentlicht in: Umweltproblematik und Berufsbildung Herausgegeben von Bernhard Bonz • Reinhold Nickolaus • Heinrich Schanz Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2002 (Berufsbildung konkret; Band 3) ISBN 3-89676-434-9 Seiten 46 bis 61 111 Inhaltsverzeichnis Vorwort 0 •• I Grundlagen beruflicher Umweltbildung 1 Bernhard Bonz / Heinrich Schanz Relevanz und Perspektiven beruflicher Umweltbildung - eine Einführung in den Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4 Klaus-Dieter Mertineit Ansätze und Positionen beruflicher Umweltbildung 16 Reinhold Nickolaus Diskrepanzen zwischen Umweltbewusstsein und umweltgerechtem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 --> Karlheinz Fingerle Perspektiven beruflicher Umweltbildung - Berufe lernen für eine nachhaltige Entwicklung? . . . . . . . . . . . .. 46 Klaus Beek Die moralische Dimensionen beruflicher Umweltbildung 11 Berufsfeldübergreifende Aspekte der beruflichen Urnweltbildung Konrad Kutt / Ursula Schnurpel Modellversuche zur beruflichen Umweltbildung Matthias Hilgers / Bernd Reschke / Ursula Schnurpel Berufliche Umweltbildung in der Aus- und Weiterbildung von Lehrenden . Petct Weinbrenner Umweltbildung in der politischen Bildung 62 82 99 113 IV Inhaltsverzeichnis Matthias Hilgers / Klaus-Dieter Mertineit Der Beitrag beruflicher Umweltbildung zur Ökologisierung der Organisation . Dankwart Gottschalk / Peter Hinrichsen / Dieter Jungk Aus der Praxis beruflicher Umweltbildung: Wege entstehen beim Gehen . 111 Beispiele aus der Praxis beruflicher Umweltbildung Franz-Josef Kaiser / Volker Brettschneider Umweltbildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung 129 142 156 Gerhard Drees / Günter Pätzold Berufliche Umweltbildung im Metallbereich als lernortkooperative Auf- gabe - Problemanalyse und Perspektiven aus Sicht der Berufsschule 168 Gerhard Faber Umweltwissen, Umweltbewusstsein, Umwelthandeln - eine Kausalkette für Elektrotechnik und Kraftfahrzeugtechnik . . . . . . . . . . . . .. 185 Hans Rich Umweltbildung in den Berufsfeldern Bautechnik, Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Barbara Fegebank Umweltbildung in den Berufsfeldern "Ernährung und Hauswirtschaft" sowie "Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Gartenbau" 209 Karin Stachelscheid Umweltbildung im Berufsfeld Körperpflege - ein Modellversuch Die Autorinnen und Autoren Sachwortregister 224 235 239 46 KARLHEINZ FINGERLE Perspektiven beruflicher Umweltbildung Berufe lernen für eine nachhaltige Entwicklung? 1 Dreißig Jahre "Umweltschutz und Berufsausbildung" . 2 Modellversuche zum Umweltschutz in der beruflichen Bildung 3 Bildung für die nachhaltige Entwicklung 4 Der Begriff "Nachhaltigkeit" . . . . . . . . . . . . 5 Fachliche Qualifikation: Schonen und Schädigen durch berufliches Handeln . 6 Beratung im Beruf und Beratung als Beruf - Die Zukunft der Berufsbildung . 46 48 51 55 57 60 1 Dreißig Jahre "Umweltschutz und Berufsausbildung" Die berufliche Umweltbildung in der Bundesrepublik Deutschland hat eine lan- ge Geschichte. Programmatisch wurde sie bereits im Umweltprogramm der Bun- desregierung vom 14. Okt. 1971 gefordert. 1 Zwei Jahre später wurde in der Zeit- schrift des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung die Frage gestellt, "ob es künftig nur einer relativ kleinen Gruppe [... ] übertragen sein soll, die Umwelt zu schützen, oder ob es nicht vielmehr ein gesellschaftliches und fachübergreifen- des Anliegen für alle Berufsbereiche ist, Bezüge zwischen den technischen, ge- sellschaftlichen, wirtschaftlichen und zivilisatorischen Problemen des Umwelt- schutzes herzustellen. Dann wären auch die weitgehend berufsbezogenen Aus- bildungsziele- und -inhalte in den Ordnungsunterlagen der beruflichen Erstaus- bildung entsprechend zu ergänzen.v ' In den achtziger Jahren (1984) hatten sich dann diejenigen durchgesetzt, die überzeugt waren, dass in allen beruflichen Erstausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz Qualifikationen zum Um- weltschutz vermittelt werden müssen." Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung bekräftigte dies einige Jahre später (1988 und 1991) in der 1 Umweltprogramm der Bundesregierung. Bundestags-Drucksache VI/2710 vom 14. Oktober 1971. Zitiert nach: Bundesregierung [Hrsg.]: Umweltschutz. Das Umweltprogramm der Bundesregie- rung. Mit einer Einführung von Hans-Dietrich Genscher. - 3. ergänzte Aufl. - Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Kohlhammer, 1976; hier besonders der Abschnitt "Bildung und Ausbildung", S. 59 bis 61 2 Lechtenberg, Dieter: Stern, Ingeborg; Benner, Hermann: Umweltschutz und Ausbildungsordnun- gen. In: Zeitschrift für Berufsbildungsforschung (1973), 3, S. 11-15; Zitat: S. 14f. 3 Paul, Volker; Noack, Michael; Scholz, Dietrich: Die Berücksichtigung des Umweltschutzes in der Ordnungsarbeit des Bundesinstituts für Berufsbildung. Berlin: BIBB, 1984 Perspektiven beruflicher Umweltbildung 47 Weise, dass bei der Entwicklung und Neuordnung der Ausbildungsberufe "Be- lange des Umweltschutzes" einbezogen werden." Für den schulischen Teil hatte die Kultusministerkonferenz schon 1980 Grund- sätze und Ziele der Umwelterziehung bcschlossen.i Sowohl die Empfehlung "Umwelt und Unterricht" der Kultusministerkonferenz, als auch der Beschluss des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung beschrieben die Aufgabe, die Naturgüter nur so zu nutzen, dass die Lebensgrundlagen der ge- genwärtig lebenden Menschen und nachfolgender Generationen erhalten blei- ben. Lange bevor das damalige Bundesministerium für Bildung und Wissen- schaft .Llmweltbildung" propagierte und unter diesem neuen Etikett (erneut") förderte (1986/87),7 ließ die UNESCO-Verbindungsstelle im Umweltbundesamt Unterrichtsmaterialien und Lehrerhandreichungen zur Umwelterziehung ent- wickeln - zum Beispiel die "Unterrichtsmaterialien zum Thema Ökologie/Um- weltschutz für den Sozialkundeunterricht an berufsbildenden Schulen" und die 4 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Zukunftsaufgabe Umweltbildung. Stand und Perspektiven der Umweltbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: BMBW, 1991. (Reihe Bildung - Wissenschaft - Aktuell; Heft' 3/91). Hier: Umweltschutz in der beruflichen Bil- dung - Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom 4./5.2.1998. Ergänzende Empfehlung vom 30.1./1.2.1991, S. 15f. 5 Kultusministerkonferenz (Hrsg.): Umwelterziehung in der Schule - Bericht der Kultusminister- konferenz - vom 25.2.1982. [Neuwied:] Luchterhand, [1982] (Veröffentlichungen der Kultusmini- sterkonferenz: Dokumentationsdienst Bildungswesen; Sonderheft). Hier: Umwelt und Unterricht - Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 17. Okt. 1980, S. 3f. 6 Bereits in den siebziger Jahren hatte das BMBW zwei Modellversuche zu "Umweltschutz und Öko- logie" (1971-1975) und "Umweltschutz als Erziehungsaufgabe" (1976-1979) an der Theodor- Heuss-Schule in Baunatal bei Kassel gefördert. Der erste Modellversuch war mit seiner fachinte- grierenden Umwelterziehung seiner Zeit weit voraus. Mit dem Argument des zu sichernden Trans- fers der Ergebnisse auf andere Schulen wurde die Aufgabe aber im zweiten Modellversuch auf die Entwicklung und Erprobung von Unterrichtsreihen für einzelne Schulfächer reduziert. Diese Mo- dellversuche lieferten jedoch keine Beiträge für berufliche Schulen. Vgl.: Herrmann, Ernst; Rei- chenbach, Reinhard; Rupprecht, Erhard: Der Modellversuch "Ökologie/Umweltschutz" - an der Theodor-Heuss-Schule in Baunatal. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Umwelt- schutz als fachübergreifendes Curriculum. Redaktion: Dieter Schmidt-Sinns. Bonn 1974. (Schrif- tenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung; Heft 99), S. 100-132. Engelhardt, Edith; Her- mann, Ernst; Hölzel, Angelika [u. a.]: Umweltschutz - Ökologie. Wiesbaden: HIBS, 1979. (Son- derreihe der Veröffentlichungen des Hessischen Instituts für Bildungsplanung und Schulentwick- Jung; Heft 6) 7 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Zukunftsaufgabe Umweltbildung [so Anm. 4]. Hier als Ergebnis einer im September 1986durchgeführten Arbeitstagung das im August 1987veröffentlichte "Arbeitsprogramm Umweltbildung des Bundesministers für Bildung und Wis- senschaft", S. 6-10. M UNESCO-Verbindungsstelle für Umwelterziehung im Umweltbundesamt (Hrsg.): Unterrichts- materialien zum Thema Ökologie/Umweltschutz für den Sozialkundeunterricht an beruflichen Schulen. [Im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellt vom Institut für Berufspädagogik der Uni- versität Hannover. Leiter der Projektgruppe: Dieter Jungk.] Berlin: Umweltbundesamt, [1985]. 8 Bände. [Erarbeitet in den Jahren 1983 und 1984.] 48 KARLHEINZ FINGERLE "Lehrerhandreichung zum Thema Ökologie und Umweltschutz für das Berufs- feld Agrarwirtschaft im Berufsgrundbildungsjahr" 9. 2 Modellversuche zum Umweltschutz in der beruflichen Bildung Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung beschloss 1987 einen Kriterienkatalog zur "Einbeziehung von Umweltfragen in das Bildungswesen" und förderte auf dieser Grundlage auch Modellversuche in der schulischen Berufsbildung." Im Rahmen des Förderbereichs "Umweltschutz in der beruflichen Bildung" wurden vom BMBW Modellversuche gefördert, die vom Bundesinstitut für Berufsbildung betreut wurden." Diese Modellversuche wurden im Auftrag des BMBF bilanziert (1997) .12 Für die sog. Wirtschaftsmodellversuche wird das Ergebnis vorsichtig positiv bewertet: "Modellversuche zum Umweltschutz in der beruflichen Bildung sorgen für eine stetige Verankerung der Umweltbildung. Sie sind ein Beleg für die Umsetzbar- keit der Vorschriften in den Ausbildungsrichtlinien, wenn auch die Verankerung der Umweltbildung in der Praxis für jeden Modellversuch in gewisser Weise 'ein- malig' und immer Teil eines komplexen Innovationsprozesses ist." 13 Allerdings wird bemerkt, dass begleitende Maßnahmen zur Qualifizierung für den Erfolg erforderlich seien und dass ohne institutionalisierte Fortbildung ein Transfer der Versuchsergebnisse kaum eintreten könne. (Ebd.) Gute Ausbildungspraxis ist, wie in dieser Evaluationsstudie festgestellt wird, eine notwendige Voraussetzung 9 UNESCO-Verbindungsstelle für Umwelterziehung im Umweltbundesamt (Hrsg.): Lehrerhand- reichung zum Thema Ökologie und Umweltschutz für das Berufsfeld Agrarwirtschaft im Berufs- grundbildungsjahr. [Im Auftrag des Umweltbundesamtes und in Abstimmung mit der Kultusmini- sterkonferenz erstellt von der Agrarsozialen Gesellschaft, Göttingen . Projektleitung und Redakti- on: Ernst Otto Bendixen.] Berlin: Umweltbundesamt, 1986. 2 Bände. [Vorgelegt im Jahr 1985.1 ro Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Zukunftsaufgabe Umweltbildung [so Anm. 4]. Hier: Kriterienkatalog des Förderbereichs "Einbeziehung von Umweltfragen in das Bil- dungswesen" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung vom 28.4.1987, S. 13 f. 11 Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung. Der Generalsekretär. Bähr, Wilhelm H.; Holz, Heinz (Hrsg.): Was leisten Modellversuche? Berlin: IFA ..Verlag, 1995. (Innovationen in.der Berufsbil- dung) - Hier das Kapitel"Umweltschutz in der Berufsbildung" , S. 471-641 .. 12 Haan, Gerhard de; Jungk, Dieter, Kutt, Konrad [u. a.]: Umweltbildung als Innovation. Bilanzie- rungen und Empfehlungen zu Modellversuchen und Forschungsvorhaben. Heidelberg: Springer, 1997 13 Ebd., S. 134 Perspektiven beruflicher Umweltbildung 49 guter beruflicher Umweltbildung." - Für die Schulversuche wird eher negativ re- sümiert, dass "von einer Institutionalisierung und damit auch von einer curricu- laren Verankerung [... ] bei den wenigen Modellversuchen nur in Ausnahmefäl- len gesprochen werden" kann." Jedoch wird vermutet, dass die Aufnahme der Inhalte und Methoden der beruflichen Umweltbildung in neueren Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien durch die Modellversuche gefördert sein könnte. Fortbildung sei eine Voraussetzung für eine Akzeptanz der Innovationen - auch der nicht unmittelbar Beteiligten. - Die Autoren des Evaluationsberichts for- dern den Aufbau eines Netzwerkes zum Erfahrungsaustausch." Wer die berufli- che Umweltbildung in Schule und Betrieb zukünftig fördern will, sollte die im Bericht erkannten Defizite beheben. In den Empfehlungen der Evaluationsuntersuchung wird die Forderung erho- ben, Umweltbildung "kulturell" zu wenden, d. h. die starke Konzentration auf "naturwissenschaftliche Erkenntnisse, technische Problemlösungsstrategien, sparsamen Umgang mit Naturressourcen und Minimierung von Schadstoffein- trägen" !7 zu überwinden und stärker "kultur-, sozial-, politik- und wirtschafts- wissenschaftliche Disziplinen" für eine Umweltbildung einzubeziehen, die den Weg der nachhaltigen Entwicklung sucht." 19 Dreizehn Themen werden für eine 14 Da diese auch durch eine Kooperation der Lernorte gefördert werden kann, wäre bei einer Neu- auflage der Modellversuche ein besonderes Kontingent an Förderungsmitteln für sog. Zwillings- modellversuche bereitzustellen, in denen koordiniert in Schule und Betrieb neue Ansätze berufli- cher Umweltbildung erprobt werden könnten. Zwillingsmodellversuche sind solche Modellversu- che, für die für kooperierende Lernorte zugleich BLK- und BIBB-Fördermittel bereitgestellt wer- den. Zur Kooperation der Lernorte in der Berufsausbildung vgl.: Drees, Gerhard; Pätzold, Gün- ter: Umweltbildung in Schule und Betrieb. Frankfurt a. M.: Gesellschaft zur Förderung Arbeits- orientierter Forschung und Bildung, 1997. 15 Haan, Gerhard de; Jungk, Dieter, Kutt, Konrad [u.a.]: Umweltbildung als Innovation [so Anm. 12], S. 141 16 Ebd. 17 Ebd., S. 175 18 Ebd.,S. 176 19 Eine Begründung für die Beachtung der kulturellen Dimension liefert auch Andreas Fischer: "Letztendlich läuft die Wahrnehmung von Umweltprobleme auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur hinaus und macht Umweltbildung im Kern zu einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Umweltwahrnehmung, da Umweltprobleme vor allem Probleme der sozialen und gesellschaftlichen Organisation darstellen. Mit anderen Worten heißt das, daß das, was als Um- weltproblem verstanden wird, nicht nur im Verhältnis zur Natur, sondern vor allem in bezug auf die gesellschaftlichen Konventionen verstanden wird." (Fischer, Andreas: Wege zu einer nachhaltigen beruflichen Bildung. Theoretische Überlegungen. Bielefeld: W. Bertelsmann, 1998, S. 71.) - So neu, wie die Verfechter der kulturellen Wende behaupten, ist diese Einsicht zwar nicht. Doch ist es richtig, dass diese Einsicht noch wenig verbreitet ist. - Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, hier Belege aus der Kunstgeschichte aufzulisten. Ich gebe daher hier nur wenige Hin- weise auf andere Veröffentlichungen: Trümmer, Gerhard: Natur im Kopf. Die Geschichte ökolo- gisch bedeutsamer Naturvorstellungen in deutschen Bildungskonzepten. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1990.2., überarb. und eTW. Aufl., 1993. - Markl, Hubert (Hrsg.): Natur und Ge- schichte. München; Wien; Oldenbourg, 1983. (Schriften der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stif- tung; Bd. 7) - Ein aktueller Beitrag über die gewerblich-technische Berufsbildung liefert ebenfalls 50 KARLHEINZ FINGERLE solche Umweltbildung aufgelistet, die mit Ausnahme der technischen Aspekte in der beruflichen Umweltbildung bisher kaum behandelt worden seien." Ob und wie die berufliche Umweltbildung die dreizehn Themen in Schule und Betrieb aufgreifen kann, muss noch geklärt werden. Doch ist Berufsbildung nicht nur Spezialausbildung. Sie kann und sollte durch Kritik und Überwindung der Spezialisierung bildend wirken." Die fachliche Qualifizierung als Aufgabe der Berufsausbildung kann und darf daher kein Argument gegen eine aspekthaf- te Berücksichtigung dieser Themen in jeder Berufsbildung sein: "Dreizehn besonders wichtig erachtete Themen künftiger Umweltbildung sind: • die Formen der Energiegewinnung und des Energieverbrauchs - insbesondere für Heiz- systeme, • das Mobilitätsverhalten - insbesondere der Gütertransport und der Individualverkehr im Freizeitbereich, • industriell bearbeitete Lebensmittel, die FIeischproduktion und Nahrungsmittelkon- sum, • der Wohnungsbau - insbesondere Wohnformen und Baustoffe, • die Strategien der generellen Effizienzrevolution in der Ressourcennutzung im Wirt- schaften und in der Distribution, • die Ethiken der Gerechtigkeit, • der Erwerb von Vernetzungs- und Planungskompetenzen sowie Formen der Teilhabe (Partizipation) an der Entfaltung einer Kultur der Nachhaltigkeit, • die Reflexion auf die heutigen Lebensstile und Leitbilder nachhaltiger Lebensstile, • der Zusammenhang zwischen Ökologie, Wirtschaften und Zeit, • der Zusammenhang zwischen Ökologie, Gesundheit und Risikowahrnehmung. • Leitbilder und andere Kommunikationsstrategien zur Etablierung von ökologischer, ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit, • die Bedeutung der Ästhetik für veränderte Konsum- und Lebensformen, Argumente für die geforderte kulturelle Wende: "Gewerblich-technische Berufsbildung vermit- telt weitestgehend eine vom Menschen reduzierte 'Wenn-Dann-Natur', mit der man umgehen und die man beherrschen kann. Solange sie jedoch nur einen, nämlich den naturwissenschaftlich-tech- nischen Maßstab zur Naturbewertung vermittelt, kann sich bei den Auszubildenden kaum eine Einsicht in die Notwendigkeit eines rücksichtsvollen Naturumgangs entwickeln. "(Vogel, Thomas: Zum Naturverständnis in berufsbezogenen Curricula gewerblich-technischer Berufsbildung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 96 (2000) 3, S. 419-432: Zitat: S. 429. 20 Ebd., S. 178f. 21 Als ein früherer Mitarbeiter der Wissenschaftlichen Begleitung und späteres Mitglied der Assozi- ierten Wissenschaftlergruppe Berufs- und Wirtschaftspädagogik des Kollegschulversuchs Nord- rhein-Westfalen halte ich "Bildung im Medium des Berufs" für möglich. Perspektiven beruflicher Umweltbildung 51 • die Verflechtung zwischen lokalen Arbeits- und Lebensverhältnissen und der Dritten Welt." 22 Ein Aufgreifen dieser Themen in der Berufsbildung könnte auch in der Berufs- ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz in einer den Jugendlichen und jun- gen Erwachsenen angemessenen Weise eine Reflexionskultur fördern, die vielen handlungsorientierten Unterrichten gegenwärtig fehlt. Nur Unterricht und Aus- bildung, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen helfen, ein (multiperspekti- ves) Bild von der Welt und ihren Aufgaben und Erwartungen in dieser Welt und ein Bild von sich selbst in derWeltzu entwickeln, halte ich für bildend. Mit einem anderen Akzent fordern unter der Überschrift "Reflexion statt Umerziehung" auch Gerhard de Haan und Dorothee Harenberg die Förderung der Reflexion: "Eine Schule, deren Bildungsziel die Herausbildung autonomer Persönlichkei- ten ist, muß Reflexion und selbständige, verantwortliche Entscheidungsfindung des Einzelnen fördern und sollte auf 'Dressurakte' mit schicken und glänzenden Belohnungen und auf Umerziehungsprogramme verzichten." 23 Zumindest alle diejenigen, die seitenweise Schlüsselqualifikationen und Schlüsselkompetenzen auflisten, die in Schule und Betrieb erworben werden müssten, sollten einräu- men, dass in dem hier beschriebenen Sinn auch Berufsausbildung bildend sein kann und soll. 3 Bildung für die nachhaltige Entwicklung "Bildung für die Nachhaltigkeit" sei ein "sich derzeit erst konsolidierendes Para- digma, das die klassische Umweltbildung ablöst," schreibt Gerhard de Haan in einem Dokument der Forschungsgruppe Umweltbildung der Freien Universität Berlin. 24 Nun weiß man seit Thomas S. Kuhns Arbeit über die "Struktur wissen- schaftlicher Revolutionen", der selbst Max Planek zitiert, dass die Vertreter ei- nes alten Paradigmas in den seltensten Fällen das neue übernehmen, weil man sie nicht überzeugen kann, sondern die Vertreter der alten Richtung "allmählich 22 Haan, Gerhard de; Jungk, Dieter, Kutt, Konrad [u.a.]: Umweltbildung als Innovation, [so Anm. 12], S. 178f. 23 Haan, Gerhard de; Harenberg, Dorothee: Nachhaltigkeit als Bildungsaufgabe. Möglichkeiten und Grenzen schulischen Umweltlernens. In: [Themenheft:] Nachhaltige Entwicklung == Der Bürger im Staat 48 (1998) 2, S. 100-104, Zitat: S. 102 24 Haan, Gerhard de: Bildung für Nachhaltigkeit: Schlüsselkompetenzen , Umweltsyndrome und Schulprogramme. Berlin: Freie Universität Berlin, Forschungsgruppe Umweltbildung, 1998. (Forschungsgruppe Umweltbildung; Papers 98-144), S. 3. - Zur Reflexionskompetenz vgl. auch: Haan, Gerhard de; Harenberg, Dorothee: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Gutachten zum Programm. Bann: Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförde- rung, 1999. (Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung 72), S. 26 und 57. 52 KARLHEINZ FINGERLE aussterben"." Die für die "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" veröffent- lichten Vorschläge, Gutachten und Orientierungsrahmen lassen jedoch erken- nen, dass mit der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung die bisherigen Ansät- ze der Umweltbildung nicht vollständig verworfen, sondern (in einem Hcgel- sehen Sinn) im neuen Rahmen aufgehoben werden sollen." 27 Ich will an dieser Stelle auf eine Kritik der Auffassung verzichten, dass eine Wen- de von den "grünen" und naturwissenschaftlich-technischen Themen zu den kul- turellen Themen erforderlich sei. Sie könnte zeigen, dass die kulturelle Dimensi- on in den früheren Konzeptionen schulischer Umwelterziehung immer schon enthalten war " - allerdings in. der deutschen Adaptation von internationalen Empfehlungen randständig wurde. In den amtlichen Empfehlungen, insbeson- dere des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (1988 und 1991), jedoch war der kulturelle Aspekt selten oder gar nicht zu finden." Leitbilder für eine nachhaltige Entwicklung, die Interessen der Länder der Drit- ten Welt und der Interessen an der Erhaltung der Natur und Umwelt im weite- sten Sinne, einschließlich der sozialen, kulturellen, ökonomischen Aspekte zu verbinden suchten, wurden der Bedeutung nach seit Ende der sechziger Jahre in der UNESCO entwickelt (in der Vorbereitung des Mensch-und-Biosphäre- 25 Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1967, S. 201 26 Haan, Gerhard de: Harenberg, Dorothee: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. [so Anm. 24]. - Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung - Orientierungsrahmen. Bonn: Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 1998. (Materialien zur Bildungsplanung 69) 27 Auch für Andreas Fischer führt die Nachhaltigkeitsidee zu einem Paradigmenwechsel: "Nachhal- tigkeit macht beim technologischen Verständnis nicht halt, sondern bricht eher mit diesem Para- digma. Von einem Paradigmenwechsel zu sprechen ist berechtigt, weil die neuen Probleme im Be- reich wissenschaftlichen und kulturellen Handeins mit den bis dato genutzten Modellen der Er- kenntnisgewinnung und Problernbearbeitung. mit gängigen Methoden von Wissenschaft und Technik oder mit 'traditionellen' Verhaltensweisen nicht mehr bewältigt werden können." (Fi- scher, Andreas: Wege zu einer nachhaltigen beruflichen Bildung [so Anm. 19], S. 223) Er sieht in den bisherigen Ansätzen der beruflichen Umweltbildung bis auf einige "innovative Einzelaktivitä- ten (vor allem in Modellversuchen [... ]) [... ] - im ganzen gesehen- nur Marginalien". (Ebd., S. 119) Für Reinhold Hedtke war die bisherige "berufliche Umweltbildung eine Sache der Belie- bigkeit" .(Hedtke, Andreas: Die Mobilisierung des subjektiven Faktors. Lehrerfortbildung und ökologische Modernisierung der beruflichen Bildung. In: Hedtke, Reinhold: Ökologische Kom- petenz - Umweltbildung für Lehrende. Bielefeld: W. Bertelsmann, 1997, S. 20-48; Zitat: S. 32) 28 Man lese zum Beispiel: The Belgrade Charter. AGlobaI Framework for Environmental Educati- on. In: Connect. Unesco-UNEP Environmental Education Newsletter. Paris: Unesco. 1 (1976) 1, S. 1-9. 29 Kaum bekannt ist zum Beispiel, dass Bayern im Jahr 1981 eine "Handreichung zur Denkmalpflege als Umwelterziehung an bayerischen Schulen" veröffentlichte, die auch ein Kapitel "Die Behand- lung der Denkmalpflege an beruflichen Schulen" mit Unterrichtsmodellen für Zimmerer- und Maurerklassen enthielt. Perspektiven beruflicher Umweltbildung 53 Programms);" Die World Conservation Strategy (1980) beschrieb erstmals ein Programm "Towards sustainable development". 31 Die von der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete Agenda 2132 wird von amtlicher Seite 33 und auch von vielen Päd- agogen als Vorgabe für Bildung und Ausbildung für eine nachhaltige Entwick- lung angesehen. Das bereits zitierte für die BLK geschriebene Gutachten von Gerhard de Haan und der von der BLK beschlossene Orientierungsrahmen kön- 30 Die Unesco führte im September1968 in Paris die Biosphären-Konferenz durch, in deren Folge das internationale und interdisziplinäre Programm "Der Mensch und die Biosphäre" im Jahr 1970 be- gründet wurde. Dieses Programm hatte zwar seinen Schwerpunkt in der Biosphärenforschung. Doch enthielt die Resolution 2.313 der Unesco vom 23. Oktober 1970 schon die Aufforderung, die erzieherischen Aspekte zu berücksichtigen. Vgl.: Erdmann, Karl-Heinz; Nauber, Jürgen: Bio- sphärenreservate - Instrument zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur- und Kul- turlandschaften. In: Erdmann. Karl-Heinz; Nauber, Jürgen (Hrsg.): Beiträge zur Ökosystemfor- schung und Umwelterziehung. Bonn: Deutsches Nationalkomitee für das UNESCO-Programm "Der Mensch und die Biosphäre" (MAß) und Deutsche UNESCO-Kommission (DUK), 1992, S. 15-24. Hier der Text der Resolution 2.313, S. 16. 31 IUCN (Hrsg.): World Conservation Strategy. Living Resource Conservation for Sustainable De- velopment. Prepared by the International Union for Conservation of Nature and Natural Resour- ces (IUeN) with the advice, cooperation and financial assistance of the United Nations Environ- ment Programme (UNEP) and the World Wildlife Fund (WWF) and in collaboration with the Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) and the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (Unesco). Gland (Schweiz), 0.1. [1980]. Dt. Übersetzung: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.): Weitstrategie für die Er- haltung der Natur. Ausgearbeitet von der Internationalen Union zur Erhaltung der Natur und der natürlichen Lebensräume (IUCN) mit der Beratung, Zusammenarbeit und finanziellen Unter- stützung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und des World Wildlife Fund (WWF) und in Zusammenarbeit mit der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Ver- einten Nationen (FAO) und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Bonn: BMELF, 1980. - Obwohl der Schwerpunkt derWeltstrategie bei Maßnahmen zur Erhaltung der Natur lag, waren in dieser Strategie die intra- und die intergenera- tionelle Gerechtigkeit und wirtschaftliche und soziale Fragen zentrale Aspekte. Nicht nur das Überleben der Natur, sondern auch das Überleben und Zukunft der Armen sollten Ziele für die Maßnahmen "auf dem Wege zu einer dauerhaften Entwicklung" sein. (Ebd., dt. Übers., S. 201f.) - Ich muss einräumen, dass ich selbst bei meiner ersten Lektüre dieser Weltstrategie die Bedeu- tung des "sustainable developmcnt" nicht erkannte. So zitierte ich im Jahre 1981nur eine im Rück- blick eher bedeutungslose Stelle zur Verortung in den Schulfächern oder als selbständiges Fach. (Fingerle, Karlheinz: Umwelterziehung: Empfehlungen und Unterrichtsmodelle. Zu einem KMK-Beschluß und neueren Veröffentlichungen. In: Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 1, S. 145-158; hier: S. 150.) 32 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Konferenz der Ver- einten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente - Agenda 21. Bonn: BMU o. J. Hier besonders der Abschnitt: "Förderung der Schulbildung, des öf- fentlichen Bewußtseins und der beruflichen Aus- und Fortbildung, Punkte 36.1-36.27, S. 261 bis 267. 33 Vgl. z. B.: Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erster Bericht zur Umweltbildung. [Zugeleitet mit Schreiben des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie vom 28. Oktober 1997] Drucksache 13/8878 [vom] 30. 10.97. Hier be- sonders der Abschnitt ,,111. Neuorientierung der Umweltbildung. 1. Anstoß durch die Vereinten Nationen", S. 7. 54 KARLHEINZ FINGERLE nen als mögliche Konkretisierungen des Leitbildes für das Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden. Sie sind prinzipiell auch für be- triebliche Berufsbildung auslegbar, wenn man beachtet, dass das Leitbild "nach- haltige Entwicklung" verschiedene Konkretisierungen zulässt. Während viele Auslegungen des Leitbildes in der Bundesrepublik Deutschland die entwick- lungspolitische Herausforderung aussparen oder "kleinreden" , verspricht der Vorschlag Gerhard de Haans und Dorothee Harenbergs, sich an den Hauptsyn- dromen des globalen Wandels des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregie- rung "Globale Umweltveränderungen" zu orientieren, ein Aufgreifen der ökolo- gischen, sozialen und ökonomischen Probleme der Entwicklung sowohl in der Dritten Welt als auch der Industriestaaten unter den Kriterien der inter- und in- tragenerationellen Gerechtigkeit." Dagegen erscheint mir die Argumentation Andreas Fischers, dass Globalität vermutlich in einem inneren Widerspruch zur Ökologie stehe," und die Abwehr des entwicklungspolitischen Arguments mit einer Kritik an der BUND I Misere- or-Studie aus dem Wuppertal-Institut " nicht konsensfähig. Hier werden quanti- tative Indikatoren für eine gerechte Nutzung der Ressourcen der Welt mit den Leitbildern für ein gutes Leben verwechselt. Andreas Fischer sagt zur BUNDI Misereor-Studie: "Diese Argumentation konzentriert sich auf rein quantitative Fragen. Unberücksichtigt bleiben qualitative wie soziale und psychologische Aspekte.v " Wer in der BUND/Misereor-Studie 38 die Abschnitte "Gut leben statt viel haben" und "Internationale Gerechtigkeit und globale Nachbarschaft" (im Kapitel "Leitbilder") und den Abschnitt "Ausgleich zwischen Norden und Süden" (im Kapitel "Zusammenhänge") liest, wird feststellen, dass der Vorwurf Fischers falsch ist. Es geht nicht um die Reduktion "auf ein reines Verteilungs- problem", wie Fischer behauptet 39. Die passende Antwort auf den Vorwurf Fi- schers ist schon in der BUND/Misereor-Studie zu finden: "Gleichheit, so ist zu antworten, ist nicht Gleichförmigkeit. Nicht Uniformität ist gemeint, sondern die Vielfalt des Gleichen; nicht Gleichartigkeit der Ansprüche und Bedürfnisse, vielmehr ihre Gleichwertigkeit. Nicht einmal das gleiche Quantum an materiellen Gütern muß das Ziel der Gleichheit zwischen Men- schen sein, wohl aber die Gleichheit der Lebens- und Entwicklungschancen. 34 Haan, Gerhard de; Harenberg, Dorothee: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung [s. Anm. 24], S. 23-25 35 Fischer, Andreas: Wege zu einer nachhaltigen beruflichen Bildung.[s. Anm. 19], S. 66 36 Ebd., S. 67f. 37 Ebd., S. 68 38 BUND [Bund Umwelt und Naturschutz]; Misereor (Hrsg.): Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Um- welt, Energie. [Autoren: Reinhard Loske u.a.] Basel; Boston; Berlin: Birkhäuser, 1996 39 Fischer, Andreas: Wege zu einer nachhaltigen beruflichen Bildung.[s. Anm. 19], S. 67 Perspektiven beruflicher Umweltbildung 55 Chancengleichheit ist darum heute die politische Gestalt der Gerechtigkeit zwischen Norden und Süden. ,,40 Diese Ausführungen sollten auch bei der Konkretisierung der Vorstellungen zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung leitend sein. Der Beschluss der Kul- tusministerkonferenz vom 28.02.1997 i. d. F. vom 20.03.1998 ,,'Eine Welt/Dritte Welt' in Unterricht und Schule" 41 ist auch für die zukünftige berufliche Umwelt- bildung unter dem Leitbild d~r nachhaltigen Entwicklung eine orientierende Vorgabe. Die in diesem Beschluss genanntenThemenschwerpunkte "Krisen und bewaffnete Konflikte" und "Migrationsproblematik" stellen übrigens eine not- wendige Verbindung zwischen Umweltbildung und der Erziehung zum inneren und äußeren Frieden her. 42 Berufliche Umweltbildung unter dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung sollte die globalen Aspekte nicht nur bei einzelnen Partnerschaften mit Schulen der Dritten Welt oder in Projekten zur Berufsbil- dungshilfe der Gesellschaft fürTechnische Zusammenarbeit aufgreifen. Um dies in einer Weise zu ermöglichen, die globale Zusammenhänge in konkreten beruf- lichen Situationen aufdeckt und aufgreift, sind didaktische Entwürfe erforder- lich, die nicht auf eine Warenkunde exotischer Rohstoffe und Handelswaren re- duziert werden dürfen, sondern die ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekte sichtbar werden lassen. 4 Der Begriff "Nachhaltigkeit" Dass eine Konkretisierung der Ziele der beruflichen Umweltbildung unter dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung sehr schwierig ist, ist unter anderem da- durch begründet, dass um die Auslegung des Begriffs "nachhaltige Entwicklung" und die Umsetzung der Agenda 21 verschiedene wissenschaftliche Fachrichtun- gen konkurrieren und verschiedene politische Gruppen streiten. Die didakti- schen Reduktionen, die uns die Politiker, Pädagogen und Wissenschaftler lie- fern, führen oft in die Irre. Die frühere Vorsitzende der Gesellschaft für berufli- che Umweltbildung schrieb: 40 BUND; Misereor: Zukunftsfähiges Deutschland [so Anm. 38], S. 269 41 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: ,,'Eine Welt/Dritte Welt' in Unterricht und Schule." Beschluß der Kultusminister- konferenz vom 28.02.1997 i. d. Fassung vom 20.03.1998. [Zitiert nach einem von der KMK verviel- fältigtem Typoskript. ] 42 Kriege und Wanderungen wegen der Zerstörung der Lebensgrundlagen und die Zerstörung der Umwelt durch Kriege und durch Armut sind nicht nur Bedrohungen einer fernen Zukunft. Die "Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung" war der Titel eines dreibändigen Handbuchs, das aber den im Titel benannten Zusammenhang nur in wenigen Beiträgen behandelte: Calließ, Jörg: Lob, Reinhold E. (Hrsg.): Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung. 3 Bände. Düsseldorf: Schwarm, 1987/1988. 56 KARLHEINZ FINGERLE "Der Gedanke der Nachhaltigkeit geht auf eine Kultur zurück, in der sich Men- schen als Teil der Umwelt begriffen haben, in der Umwelt eine Mitwelt war, die nicht verstanden, sondern erfahren und erlebt wurde." 43 Dies ist falsch. Das Prinzip der Nachhaltigkeit (ohne Verwendung dieses Wortes) kam erstmals auf, als der große Holzverbrauch der Sudhäuser in Reichenhall um 1500 so organi- siert wurde, dass trotz Salzgewinnung der Waldbestand bewahrt werden konn- te." Die nachhaltige Wirtschaftsweise im Waldbau wurde im neunzehnten Jahr- hundert entwickelt und durchgesetzt als Antwort auf die Devastierung der Wäl- der durch viele Formen der handwerklichen und industriellen Holznutzung und durch die Waldweide, die keine Naturverjüngung aufkommen ließen. Nachhal- tigkeit war das Programm der Sanierung des zerstörten Waldes - allerdings um den Preis des Produktionsforstes, oft in der Form einer Fichtenmonokultur." Wer sich ein Bild davon machen will, schaue sich die Landschaftsmalerei der da- maligen Zeit an." Die "Umwelt als Mitwelt der Menschen" als Deutung des Be- griffs Nachhaltigkeit führt uns also in die Irre. Aber auch die deutliche Erinne- rung daran, dass der Begriff Nachhaltigkeit der Forstwirtschaft zu verdanken ist, hilft für die Leitbilddiskussion nicht viel weiter: "Das Prinzip ist alt. Es lautet: von den Zinsen leben, nicht vom Kapital. ,,47 "Was Nachhaltigkeit bedeutet, weiß jeder Forstmann: nämlich daß er nicht mehr Holz schlagen darf, als seit dem letztenmal nachgewachsen ist." 48 Wer sich genau informiert, wird finden, dass auch unter Forstleuten Vorstellun- gen über eine ordnungsgemäße Forstwirtschaft differieren. Karolus Heil weist darauf hin, dass (forst-)politische Auseinandersetzungen nicht neu seien. So sei- en zum Beispiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Ausfluss des Prinzips der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft trotz Protest die Elche in Ostpreußen als Feinde des "grünen Waldes" radikal dezimiert, teilweise total abgeschossen 43 Bieler-Baudisch, Hilde: Fünf Jahre sind nicht genug. In: Zeitschrift für berufliche Umweltbildung 6 (1996) 4, S. 1 44 Plochmann, Richard: Mensch und Wald. In: Stern, Horst [u. a.] (Hrsg.): Rettet den Wald. [München:] Kindler, 0.1. [1979], S. 157-197~ Zitat: S. 170 45 Vgl. ebd., S. 194f. - Zundel, Rolf: Einführung in die Forstwissenschaft. Stuttgart: Ulmer, 1990. (UTB für Wissenschaft; Uni-Taschenbücher. Band 1557), S. 70 46 Makowski, Henry; Buderath, Bernhard: Die Natur dem Menschen untertan. Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei. München: Kindler, 1983. Hier das Kapitel "Zwischen Waldeslast und Waldeslust", s. 93-144 47 Merkei, Angela: Vorwort. In: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit (Hrsg.): Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland. Bericht der Bun- desregierung anläßlich der VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York. Bonn: Bundesumweltministerium , o. J. [Verabschiedet vom Bundeskabinett am 19. Februar 1997], S. 3 48 Wehling, Hans-Georg: Nachhaltige Entwicklung. In: Nachhaltige Entwicklung [so Anm. 23], S.65 Perspektiven beruflicher Umweltbildung 57 worden." In einem Glossar aus dem Jahr 1984 wird zwar ein aktualisierter Be- griff der Nachhaltigkeit gegeben: "In der Forstwirtschaft: Das Streben und die Forderung nach stetiger und optimaler Bereitstellung sämtlicher materiellen und immateriellen Waldleistungen zum Nutzen gegenwärtiger und zukünftiger Ge- nerationen. ,,50 Doch über die Frage, ob den Forsteigentümern für die sog. Wohl- fahrtswirkungen des Waldes ein Ausgleich gezahlt werden sollte, wird gestritten. International ist zwar das von der Forstwirtschaft in Deutschland entwickelte Prinzip der Nachhaltigkeit bekannt, wird aber in der Gegenwart nicht beachtet. Während die öffentliche Aufmerksamkeit gelegentlich auf die Vernichtung des Regenwaldes gerichtet wird und damit auf den Verlust unwiderbringlicher Natur- ressourcen und des Lebensraums von einheimischen Völkern, wird meist überse- hen, dass auf der nördlichen Erdhalbkugel die borealen Nadelwälder gefährdet und großflächig vernichtet werden. Auch hier ist die Gefährdung derWälder eine Bedrohung der dort lebenden Menschen." Soviel zur Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft und den globalen Zusammen- hang: Wir können daraus lernen, dass die Beschwörung des Prinzips der Nach- haltigkeit weder ausreicht, um ein Leitbild für die Ausbildung der Forstwirte und Forstingenieure zu liefern, noch uns bei der Konkretisierung eines Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung sehr viel weiter führt. 52 5 Fachliche Qualifikation: Schonen und Schädigen durch berufliches Handeln Wer die hier angesprochenen Probleme weiter verfolgt, erkennt aber bald, dass ökologische, ökonomische und soziale Probleme lokal und global sehr eng mit- einander verflochten sind und viele Wirtschaftszweige und Berufe betroffen sind. In der Berufsausbildung wird man eine Sensibilität für solche "Verhängnis- se" entwickeln müssen, auch wenn eine Fachausbildung arbeitsteilig immer nur für Teillösungen qualifizieren kann. 49 Heil, Karolus: Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit - neuer Wein in alten Schläuchen? Bemer- kungen über die Perspektiven eines nicht mehr ganz neuen Leitbegriffs in der Planung. In: Infor- mationen zur Raumentwicklung - (2000) 1, S. 22, Anm. 4 50 Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, Dachverband wissenschaftlicher Gesellschaf- ten der Agrar-, Forst-, Ernährungs-, Veterinär- und Umweltforschung (Hrsg.): Begriffe aus Öko- logie, Umweltschutz und Landnutzung. München; Laufen: ANL, 1984. (Akademie für Natur- schutz und Landschaftspflege: Informationen 4), S. 25 51 Vgl. Ow, Stephanie von: Die Wälder des Nordens. In: Naturschutz heute 27 (1995) 1, S. 38-40 52 Vgl. auch die Ausführungen Andreas Fischers zur forstwirtschaftliehen Herkunft des Terminus "Nachhaltigkeit" und seine abschließende Bewertung: "Die Übernahme des forstwirtschaftliehen Begriffs birgt allerdings die Gefahr der Simplifizierung in sich. Denn letztlich bezieht sich das Kon- zept auf einen relativ klar abgegrenzten Gegenstandsbereich, der sich im engeren Sinne als eine "Ein-Gut-Welt' beschreiben läßt. [... ] Die Frage der Gerechtigkeit bleibt ebenso unberücksichtigt wie die übergreifende Suche nach einer veränderten Art und Weise des Wirtschaftens [...[." (Fi- scher, Andreas: Wege zu einer nachhaltigen beruflichen Bildung [so Anm. 19], S. 22f., Zitat: S. 23 58 KARLHEINZ FINGERLE Trotz der Einsicht, dass Bildung für eine nachhaltige Entwicklung sich grund- sätzlich nicht auf einen fachlichen Teilaspekt verengen darf, ist Qualifikation für eine fachlich gute Berufsarbeit zentral für jede Berufsarbeit. Nur wenn zum Bei- spiel die Wärmedämmung am geneigten Dach oder die Installation einer Solar- thermieanlage fachgerecht ausgeführt werden und die Gewerke optimal zusam- menarbeiten, so dass eine lange Nutzung mit hohem Wirkungsgrad möglich wird, kann ein Beitrag geleistet werden, Ressourcen nicht zu verschwenden. - In der Agenda 21 wird gefordert: "Die berufliche Ausbildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwick- lung der menschlichen Ressourcen und für die Erleichterung des Übergangs in ein nachhaltige Welt. Sie soll eine berufsspezifische Orientierung aufweisen, auf die Besei- tigung vorhandener Wissenslücken und vorhandener Defizite in der fachlichen Qualifi- kation ausgerichtet sein, um dem Einzelnen die Arbeitsplatzsuche zu erleichtern, und sich mit Umwelt- und Entwicklungsarbeit zu beschäftigen. Gleichzeitig sollen Ausbil- dungsprogramme ein stärkeres Bewußtsein für Umwelt- und Entwicklungsfragen als wechselseitigen Lernprozeß fördern. " 53 Doch die fachlichen Beiträge sind nicht zwangsläufig ein Beitrag zur Schonung der Umwelt und nachhaltigen Entwicklung. Wichtig für jede Art von beruflicher Umweltbildung ist die Einsicht, dass auch die fachlichen Beiträge zum Umwelt- schutz und zur nachhaltigen Entwicklung die natürliche, soziale und kulturelle Umwelt der Menschen schädigen oder zerstören können. Auch sollte die berufli- che Umweltbildung zur Einsicht befähigen, dass bei Investitionen in die Produk- te oder Dienstleistungen für die Schonung der Ressourcen und den Umwelt- schutz die Angebote verschiedener Anbieter verglichen werden müssen. Dienst- leistungen und Technologie, die weniger schädliche Seiteneffekte und größere Wirkungen erzielen, sollten auch aus ökonomischen Gründen bevorzugt wer- den, wenn sich für sie im sozialen und kulturellen Kontext Akzeptanz gewinnen lässt. 54 53 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Konferenz der Ver- einten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente - Agenda 21 [so Anm. 32], Punkt 36.12, S. 265 54 So wirft auch der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen dem im Jahre 1999von der Bundes- regierung initiierten 100000-Dächer-Programm zur Installation von Photovoltaikanlagen eine Fehlallokation der Mittel vor: "Das lOOOOO-Dächer-Programm erzeugt hier ein Ungleichgewicht zuungunsten der anderen Technologien mit der Folge, dass durch die verfrühte Nutzung einer teu- ren Option zur CO2-Vermeidung und durch unzureichende Nutzung günstiger Optionen nicht nur finanzielle Mittel unterhalb der möglichen Effizienz eingesetzt werden, sondern der Klimaschutz auch verteuert wird." (Der Rat von Sachverständigen fürUmweltfragen: Umweltgutachten 2000. Stuttgart: Metzler-Poeschel, 2000, Tz. 760, S. 326f.) - Das ist selbstverständlich keine grundsätz- Perspektiven beruflicher Umweltbildung 59 Die Nutzung regenerativer Energien kann ein Beitrag zum sparsamen Umgang mit fossilen Energieträgern sein und zur Reduzierung des Treibhauseffekts bei- tragen. Wenn die zusätzlich genutzte Energie allerdings nicht alternativ, sondern additiv genutzt wird, zum Beispiel durch den Betrieb zusätzlicher elektrischer Geräte, ist im Blick auf das Ziel nachhaltiger Entwicklung nichts erreicht. - Die Installation einer Solarthermieanlage oder einer Photovoltaikanlage kann ein Beitrag zum sparsamen Umgang mit fossilen Energieträgern sein. Doch wäre in den meisten Fällen eine Investition vorhandener Mittel in die Wärmeisolierung eines Hauses angemessener. Die Nutzung regenerierbarer Energie aus Wasser- kraft kann ein Beitrag zum sparsamen Umgang mit fossilen Energieträgern sein. Doch historische und aktuelle Beispiele zeigen, dass die Gewinnung elektrischer Energie aus Wasserkraft oft nur um den Preis gewaltiger Naturzerstörung mög- lich ist. So scheiterte im Jahre 1905 eine Kampagne gegen ein Großenergiepro- jekt, das Wasserkraftwerk bei Laufenberg am Rhein. Damit waren "die einst be- rühmten Stromschnellen und Katarakte komplett zerstört. ,,55 Laufwasserkraftwerke der Gegenwart werden oft so gebaut, dass insbesondere bei geringer Wasserführung die natürliche Wanderung der Wassertiere verhin- dert wird oder die TIere sogar durch die Turbinen getötet werden. Unter der Be- hauptung, einen Beitrag zur Verringerung des Treibhauseffektes zu leisten, wer- den Gebirgsbäche und Wildflusslandschaften verbaut und unwiderbringlich zer- stört. 56 Sogar die Berufstätigen im sog. ersten Umweltschutzberuf Ver- und Entsorger können indirekt, wenn nämlich Wasser weiterhin verschwendet wird, zum Ver- siegen von Quellen, zur Austrocknung von Feuchtgebieten und sickerfeuchten Bergwäldern beitragen. Wer für eine nachhaltige Entwicklung ausbildet oder ausgebildet wird, muss sol- che Ambivalenzen aushalten und wird gezwungen, sich mit Technik und Natur unter soziologischer und ökokomischer Perspektive zu befassen. Dadurch kann die Einsicht vermittelt werden, dass Technik und Natur auch sozial und kulturell liehe Ablehnung der Photovoltaikanlagen, die zum Beispiel durchaus geeignete Mittel sein kön- nen, wenn dadurch die Verlegung von Kabeln auf langer Strecke vermieden wird. Auch bei der Neuordnung der Berufsausbildung der Elektrotechniker sollte die Photovoltaik ihren Platz im Ausbildungsrahmenplan und im Rahmenlehrplan für die Berufsschule haben. Doch gilt es auch die Einsicht zu vermitteln, dass in vielen Situationen der Bau einer Photovoltaikanlage nicht opti- mal für den Klimaschutz ist. 55 May, Helge: Rückbauen statt ausbauen. Die Zerstörung unserer Flüsse muß gestoppt werden. In: Naturschutz heute 31 (1999) 1, S. 26 u. 28; Zitat: S. 26 56 Falter, Reinhard: Die feindlichen Brüder. Über die Konflikte zwischen Umweltschutz und Natur- schutz sowie die ungenügend beachtete kulturelle Dimension des Naturschutzes. In: Naturschutz heute 27 (1995) 1, S. 22-24, Zitat: S. 23. - Gerosa, Klaus: Dem Himmel am nächsten: Die Berge. In: Schreiber, Rudolf L. (Hrsg.): Arche Noah 2000. Unsere Umwelt braucht unsere Hilfe. Stutt- gart: Pro Natura Verlag, 1982, S. 108 60 KARLHEINZ FINGERLE bestimmt sind." Die Suche nach Lebensstilen und Produktionsstilen, die eine Erhaltung und gerechte Nutzung der Lebensgrundlagen ohne nachhaltige Zer- störung ermöglichen, kann durch das vage und mehrdeutige Leitbild der nach- haltigen Entwicklung virulent gehalten werden. 58 6 Beratung im Beruf und Beratung als Beruf - Die Zukunft der Berufsbildung Schulische und berufliche Umweltbildung wird an konkreten Beispielen solche Einsichten vermitteln können und dabei nicht durch vorgefertigte Antworten die Suche behindern dürfen. Sie wird aber an ihre Grenzen stoßen, wo Verlierer-Ge- winner-Situationen auftreten. Von Lehrern und Ausbildern konnte ich kürzlich auf einer Tagung hören, mit welchem Interesse und Engagement Berufsschüler aus dem Bereich der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik in einem Projekt in Zusammenarbeit mit einer außerschulischen Einrichtung der Berufsbildung und Energieberatung einen Kunden hinsichtlich der Auswahl und der Installation ei- ner Solarthermieeinrichtung beraten und in diesem Projekt auch Fähigkeiten ler- nen und zeigen, die herkömmlich erst von den Meistern erwartet werden. Doch die Grenzen eines solchen Engagements wären vermutlich erreicht, wenn das Ergebnis einer solchen Beratung auch sein könnte, zunächst einmal auf die So- larthermieanlage zu verzichten und den Kunden eine Wärmedämmung der Au- ßenwände und des Daches zu empfehlen, für deren Ausführung andere Gewerke zuständig sind. Kunden sollten sich für Konsum- und Investitionsentscheidun- gen unter der Perspektive der nachhaltigen Entwicklung Berater suchen, die an- bieter- und herstellerneutral die technischen Vorteile und Nachteile abwägen und die sozialen und kulturellen Bedingungen der Nutzung von Techniken und Dienstleistungen nicht unberücksichtigt lassen. Der Staat und die Kommunalkörperschaften werden durch Planungsvorgaben, Gebote und finanzielle Anreize (zum Beispiel für die Sanierung alter Gebäude) Vorgaben schaffen müssen, die Konsum- und Investitionsentscheidungen leiten können. Dafür wird auch in Zukunft professionelle Beratung erforderlich sein, für die beruflich qualifiziert werden muß. Jedoch vermute ich, dass für eine 57 Vgl. zum Beispiel: Joerges, Bernward (Hrsg.): Technik im Alltag. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 755). - Für die Natur kann die Geschichte der Land- schaftsmalerei eine solche Einsicht vermitteln: Makowski, Henry; Buderath, Bernhard: Die Na- tur dem Menschen untertan [so Anm. 46]. )x Wie schwierig und zugleich auch perspektivenreich diese Suche ist, hat für das Thema "Nachhal- tigkeit und Konsum" Reinhold Hedtke gezeigt. (Hedtke, Reinhold: Nachhaltigkeit und Konsum. Sozialwissenschaftliche Konzepte und ihre Relevanz für die Lehrerausbildung. In: Fischer, Andre- as (Hrsg.): Herausforderung Nachhaltigkeit. Perspektivenwechsel in der Ausbildung von Wirt- schaftslehrer/innen. Frankfurt a.M.: Ges. zur Förderung Arbeitsorientierter Forschung und Bil- dung, 1999, S. 145-178.) Perspektiven beruflicher Umweltbildung 61 solche Beratung die vielen Umweltberater, die es jetzt schon gibt, nicht genü- gend qualifiziert sind. Wir brauchen für solche Beratungsangebote ebenso wie für viele andere berufliche Aufgaben "den sattelfest spezialisierten Generali- sten" .59 Auf allen Ebenen der Ausbildung und des Studiums werden diese den Umgang mit "Komplexität" lernen 60 und befähigt werden müssen, Ziele und Lö- sungen immer wieder in Frage zu stellen und Neues zu gestalten. Daraus ergeben sich Anforderungen, die in der gegenwärtigen Reformpraxis, die einen entge- gengesetzten Weg geht, wenig berücksichtigt werden: "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung, so wie sie in Kapite136 der Agenda 21skizziert ist, neben guter fachlicher Qualifikation in ho- hem Maße intellektuelle und kognitive Fähigkeiten verlangt. Insofern bedeutet Bil- dung für nachhaltige Entwicklung ein Aufbrechen der bisherigen überwiegend praxis- orientierten Ausrichtung der beruflichen Bildung." 61 Diese Schlussfolgerung halte ich für sehr überzeugend. In künftigen Modellver- suchen zur beruflichen Umweltbildung für eine nachhaltige Entwicklung und bei der Ordnung und Neuordnung der Berufsausbildung sollte sie beachtet werden. sc} Herlind Gundelach fordert - die Zukunftskommission der Freistaaten Sachsen und Bayern zitie- rend -, dass in Zukunft unser Bildungssystem solche "sattelfest spezialisierten Generalisten" aus- bilden solle. (Gundelach, Herlind: Nachhaltige Entwicklung und berufliche Bildung. In: Bundes- institut für Berufsbildung, Der Generalsekretär (Hrsg.): Berufsbildung - Kontinuität und Wandel. Festschrift zum 60. Geburtstag für Prof. Dr. Helmut Pütz. Bonn: BIBB, 2000, S. 201-208, Zitat: S.202. 60 Ebd., S. 207 61 Ebd.