1-1 I RSCIIIIAGHN SPRHNGSTOFBPRODUKTION IH .... DRI-.l-THN RHICH" B~~ Le~tf~d~~ ~~~ B~k~~du:=Jrg des GEJ1A.ncles e:i....er e'..e ..._~:J_gftn Spreragstoffa.b:rik.L- _ Autoren< i.nn.en) : Christe1. Bukowsk:i * Arldrea. Ha.rtJ:l1snn '* U~e Petersen * Dieter Vaupe~ * Christiane Wiechmann (Px~..k:t.:ruppoe (I:LI ac.hlwlge.-a > HESSISCHES INSTLTlFr FUR BILDUNGSPLANUNG UND SCHULENTWLCKL1JNG CHIBS) in Zuss...nunena.rbei t zui t: dez- "Projek1;Jllf%"uppe Hirsc/7.hagez,·· deo_I:'"' Gesamthochsohu~e Kasse~ Fachbereich J.. Kasse~ und Wiesbaden ~99~ rlirscbhgtn ßJ)tutStoffp'Dduttillfl i. -Drtttrn ll'eicb- Ein Ll!ltfadelJ zar Erkundung des 6elindes einer ,1Ie'.Iligen Sprengstu1hllrU: Cilristel "'ftSU, AmIn) lIilJ'taann, Uft htlrsen, li.tr" Vn,el, &IlrisUlne IUKhPnrt IProJekt;ra". Hirscbhi9!ft) Hessnclles Institut für BildUDgsphnung und ScllUJent.ictluttq IHltsl, lI'ieshden • J"1 IS!lO HIß21-l'I-2 Herausgeber: Hessisches Institut fUr Bildunasplanung und Schulentwicklun. (HIBS) * Bodenstedt.traPe 7 * Postfach 31 05 * 6200 Wissbaden * Telefon 0611 / 34 20 Diese Veröffentlichungen werden im Auftrag des Hessischen Kul- tusministers herausgegeben: sie stellen jedoch keine verbind- liche, amtliohe Verlautbarung des Ressisohen Kultusllinisters dar, sie wolle vielmehr die Diskussion UII die behandelten The- aen anregen und zur Weiterentwicklung des hesslschen scnu twe- sens beitragen. Dem Lande Hessen (Ressisches Institut für Bildungsplanuna und Schulentwicklung) sind an den abgedruckten Beitragen alle Rechte der Veröffentlichung, Verbreitung. Übersetzung und auoh die Binspeicherung und Ausgabe in Datenbanken vorbehalten. ISBN 3-BB327-194-2 2. (erweiterte) Auflage 1991 Titelfoto: Christel Bukowski f············· " I~ ------ Seite VOR8EHERKUNGEN ................................••........•• 5 Anregungen zur Arbeit mit dem Leitfaden 7 STATION 1: VRRWALTUNGSGHBAUDR - Uberblick über das Gesamt- gelände 12 Planung und Aufbau der Fabrik 12 Rechtlicher Aufbau 13 Produktion und Arbeit in der Fabrik 15 En tw Lc k l ung se i t 1945 17 Ha ter ia! ien 20 STATION 2: FULLSTATION - Produktion und Arbeitsbedingungen 22 Froduk t i.on s ab Lauf 22 Arbe i tsbed Lngurigen 25 Gesundhei t s s o haden 29 Exp los ionen 32 Materialien 33 STATION 3: PRHSSHNGHBAUDB - Produktion und Arbeits~edin- gungen 42 Produ k t ionsab lauf 38 Arbe i tsbed Lrigurigen 42 Iiemon t age nach 1945 45 Ha t e r i a l i en 47 STATION 4: SCHLBIFSCHLAHHHALDB - Folgen der Sprengstoff- produkt ion 49 Abwasser- und Abfallbeseitigung bis 1945 ~. 49 Nutzung n a c h 1945 53 Materialien 57 WEITERE STATIONEN - Bin Kurzüberblick 70 Kohlehochbunker 70 Kühlteich/Wasseraufbereitung 72 Den i tr ierung 73 Oberirdisches Rohrleitungsnetz 74 Kan t Ln engeb äud e 74 STATION 5: LAGER VEREINSHAUS - AußenkomBando des Konzen- trationslagers Buchenwald 76 Das Lager Vereinshaus 76 Bedingungen im Lager Hessisch Lichtenau 78 Entwicklung nach Kriegsende · 81 Materialien ö4 S1'A'l'ION 6: LAGER NALDHOF - Ein "Hus t e r Lager " für d eu t aehe Dienstverpflichtete 90 Beschreibung des Lagers 9U Das Leben im Lager 81 Ha ter ial ien 96 WEITERE LAGER - Hin Kurzüberblick 97 Lager Lenoirstift 97 Lager Herzog 98 Lager Teichhof 100 Lager Friedrichsbrtick 102 Lager Föhren 102 Lager Esche und Lager Steinbach 103 Siedlung Fürstenhagen 104 Materialien " 105 ANHANG 11,0 Presseberichte über die Projektgruppe Hirschhagen 111 Schriftverkehr der P~ojektgruppe Hirschhagen 124 Die Fabrik als Kulturdenkmal 135 Foto-Impressionen von Hirschhagen-Rundgängen 137 Gebäudeverzeichnis 143 Abktirzungsverzeichnis 150 Quellen- und Literaturverzeichnis 151 ANLAGE: Erläuterte Karte ... "1 ---------- 1 r-" --.- ".--.-.-..--..-- --- ----.---.-- - ---..-- --- - -..- -- - --.-- -- - -...... . - . VORBEMERK.UNGEN Schon wieder Nat ionalsoz ial ismus , hat denn das nie e Ln Ende, kann man die Vergangenheit nicht endlich ruhen lassen?! Ein Stoßseufzer, der sich, ob hörbar oder unhörbar, manchem entringen wird, der unser Heft - nun in seiner zweiten Auflage - in die Hände bekommen hat. Hd r s e hhagen , das heu t ige Industr iegeb iet der nordhess i- sehen Kleinstadt Hessisch Lichtenau, war früher Standort einer der größten Sprengstoffabriken des "Dritten Reiches". Es lag und liegt verborgen vor den Blicken der Außenwelt. Wer auf der Bundesstraße von Kassel Richtung Hessisch Lichtenau fährt, der wird ni~gends darauf hingewiesen, daß linkerhand, oben auf dem Berg und mi t ten im Wald die Uberreste einer ehemal Lgen Rü- stungsfabrik zu finden sind. Aufmerksam geworden auf Hirschhagen und seine Vergangen- hei t sind wir - eine Gruppe von LehramtsstudentInnen der Ge- samthochschule Kassel durch das Buch "Sprengstoff aus Hirschhagen" und durch Seminarveranstaltungen des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Gesamthochschule Kassel. Bei einem Rundgang durch das Gelände waren unsere persön- lichen Empfindungen gemischt. Wir dachten an die Geschehnisse, die sich in diesen Gebäuden während der Nazizeit ereignet hat- ten und er innerten uns daran J un ter we lehen Bed Lngurigen Men- sehen dort arbeiten mußten. Gleichzeitig ging eine eigentümli- che Faszination von den Gebäuden aus, die noch nach mehr als 40 Jahren geheimnisvoll mitten im Wald stehen. Nachdem wir das Gelände erkundet hatten, überlegten wir, wie es mögl ich ist, in teress ierten Gruppen und Einze lpe rsonen den Zugang zu Hirschhagen zu erleichtern. Das Resu 1tat ist der hier vor 1iegende Le i t f ad en , der es ermögl ichen so 11, die ehemal ige Hun i t ionsfabr ik zu erkunden, und sich eine Vorstellung zu machen von den Lebens- und Ar- bei t sbed Lngungen der Menschen, die dort arbei teten bzw . zum größten Teil dort arbeiten mußten. Das Werk lieferte mit Bomben, Granaten und Minen nicht nur dem nationalsozialistischen Angriffskrieg die tödlichen Waffen der Verwüstung und Vernichtung, es hinterließ darüber hinaus Spuren am Standort sowie im Denken und Fühlen der Beteiligten. Aus dem "ruhigen Lande t äd t c hen " wurde ein Industriestandort. Hunderte starben bei Explos ionen und Unfällen oder bezahlten die Arbei t mit ihrer Gesundhe i t. Tausende deutscher und aus- ländischer Arbeitskräfte, die oftmals in jungen Jahren zur Ar- beit in der Fabrik verpflichtet und/oder gezwungen wurden, ha- ben hier eine lebensgeschichtliche Prägung erfahren. Noch aus der Nachkriegszeit wurden bis heute infolge gif- tiger Produktionsrückstände Probleme der Trinkwasserversorgung weitergeschleppt. Bei den Behörden war schon sei t den 60er Jahren das Problem der giftigen Rückstände auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik bekannt, doch unternommen wurde wenig. Viel- mehr erlaubte man einem dort ansässigen Unternehmen, die Rückstandshalde der Hunitionsfabrik mit Schleifschlämmen aus der Kunstste inprodukt ion zu überspü len (s . Stat ion 4 ). Nach dem Hot to: ..Schlamm drüber" - eine Form der Ver g angen he i tsbe- wältigung, die in der bundesrepublikanischen Gesellschaft ge- 5 radezu typisch ist - glaubten die Behörden dem Problem gif- tiger Abfälle Herr zu werden. Nicht nur den Behörden, sondern auch den Firmen, die Frü- her und auch heute Rüstungsgüter produzieren, bereitet der Um- gang mit der jüngeren deutschen Geschichte Schwierigkeiten. So antwortete die Firma Dynamit Nobel auf eine Anfrage, ob noch authentisches Aktenmaterial vorhanden sei: tI ••• müssen wir vor den Kriegsauswirkungen kapitulieren, denen unsere Archive wei- testgehend zum Opfer gefallen sind." Der Leitfaden erscheint nun in einer zweiten - völlig neu überarbeiteten - Auflage. In die Uberarbeitung sind die Erfah- rungen eingeflossen, die wir bei zahlreichen Führungen und Er- kundungen mi t Schu lklassen, Jugend- und Erwachensenengruppen sowie Einzelpersonen, insbesondere im letzten Jahr, gemacht haben. Darüberbinaus sind eine größere Zahl von Leitfaden- Benutzern - nach dem Zufallsprinzip ausgewählt - gebeten wor- den, einen von uns aufgestellten Fragebogen zu beantworten und uns auf diese Weise ihre Kritik und Anregungen für die Uberar- be i t ung unseres Konzeptes mi tzu te i len. Wir haben uns bemüht, diese Anregungen, dort wo sie auch uns sinnvoll erschienen (und das war in den meisten Fällen so), aufzunehmen. Wir haben versucht, den Le i tfaden insgesamt übers icht 1i- eher zu g e s t a I ten (Dokumen t e , Sk izzen, Uberschr iften u. a. m. ) und damit benutzbarer zu machen. Einige neue Fotos sowie bild- 1 iahe Darste Llungen zum Produkt I on s ab lauf in der Fü 118 tat ion sind aufgenommen worden. Zusätzlich haben wir aussagekräftige, bisher unveröffentlichte Dokumente, in dieser Neuauflage abge- druckt. Auch dem Wunsch, weitere Zeitzeugenberichte in unsere Darste llung und in den Ha ter ia1 ien te i 1 einzubauen, sind "ir naohgekommen. Insbesondere sind einzelne Aussagen von deut- schen Dienstverpfl ichteten, aber auch die des ehemal igen Fa- br ikd irektors Dr. P. im Spruchkammerverfahren , nun im Le i tfa- den zu finden. Sie ergänzen und vervollständigen die bisheri- gen subjektiven Aussagen von Zeitzeugen und machen dabei gleichzeitig die Interessengebundenheit der jeweiligen Aussa- gen deutlich. Auch die beigefügte Karte wurde neu gestaltet. Ergänzt ha- ben wir den Leitfaden durch einen Anhang, in dem - neben dem Gebäudeverzeichn is - Presseber iohte über die Arbe i t der "Pro- jektgruppe Hä r schhagen " zu finden sind, ebenso wie Fotos von Rundgängen, Auszüge aus dem Schriftverkehr der Projektgruppe sowie Hinweise auf den Denkmalschutz in Hirschhagen. Allerdings - nicht alle Anregungen konnten und wollten wir realisieren, etwa die, das Schienennetz für Rundfahrten zu nutzen und eine Huseumsbahn anzukaufen. Auch die Kr i t ik von rechts, die wir in ausführ 1icher Form er h ie 1ten , haben wir nicht einbezogen, wenn uns etwa geraten wird: "Sämtliche Leit- faden einstampfen, die Arbeit ist eine Schande für eine deut- sche Hochschule." Trotz der Änderungen und Ergänzungen bleiben unser schon in der ersten Auflage formulierten Zielsetzungen bestehen: Es geht uns darum, daß kein Schlußstrich unter die Ver- gangenheit gezogen wird. Für die Menschen, die in Hirschhagen arbeiten mußten und für die Region ist die NS-Zeit immer noch gegenwärtig. Die Geschichte sollte jeden einzelnen heraus- fordern, Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. 6 Wir möchten mi t diesem Le i tfaden Gesc h iahte, Po 1 i ti kund vor allem den damit verbundenen Unterricht spannender und er- lebbar machen. Geschichte hat mit der Gegenwart zu tun. Kennt- nisse von Jahreszahlen, po 1 i t ische Fakten und Zususammenhänge sind wichtig, bleiben aber abstrakt. Die Uberreste der frühe- ren Hunitionsfabrik in Hirschhagen dagegen sind begehbar und begreifbar. Die Aussagen der Menschen, die dort arbeiten muß- ten, die Schi lderung der Lebensumstände geben einen Eindruck davon, was sich an diesem Qrt abgespielt hat. Sie berühren, so zeigt unser bisherige Erfahrung, mehr als bloße Zahletl und Fakten, sie graben sich in das Gedächtnis ein. Der Lernort Hirschhagen ist eine Chance, sich offensiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen ) Fragen zu stellen und an Tabus zu rühren. Wir glauben, daß wir mit diesem Leitfaden eine Möglichkeit bieten, Zugänge zu den Hinterlassenschaften des "Dritten Reiches" zu finden, sei es auf schulischer Ebene, in der Erwachsenenb i Ldung , in Parte ien, Gewerkschaften oder aus privatem Intertesse. Für Anregungen und Kritik, die sich aus der Arbeit nlit dem Leitfaden ergeben, sind wir sehr dankbar. Unsere Anschrift: Projektgruppe Hirschhagen Fachbereich 1 der GhK z. Hdn. Dr. D. Vaupel Heinrich-Plett-Str. 40 3500 KASSEL ANREGUNGEN ZUR ARBEIT HIT DHM LEITFADEN Der vorliegende Leitfaden zur Erkundung des Geländes der ehemaligen Sprengstoffabrik Hessisch Lichtenau und der dazuge- hörigen Lager soll die Möglichkeit eröffnen, das heute als In- dustriegebiet genutzte Gelände einer der ehemals größten Sprengstoffabriken des gesamten Deutschen Reiches, aktiv zu erkunden. Das Fabrikgelände, auf dem eine Tochterfirma der Dy- namit AG von 1938 bis 1945 Vernichtungswaffen für den Zweiten We 1tkr ieg produz ierte , ist heu te ein Ortste i 1 der nord hess i- sehen Kleinstadt Hessisch Lichtenau und trägt den Namen tlHirschhagen". Hirschhagen liegt 25 km östlich von Kassel, ist über die Bundesstraße 7 in Richtung Eschwege zu erreichen. Am Ortsausgang von Fürstenhagen weist ein Wegweiser links der Straße auf das "Industriegebiet Hd r ao hagen " hin, das man nach kurzer Fahrt durch ein Mischwaldgebiet erreicht. In diesem Heft wird e in Rundweg, c . a , 5 km lang, du reh dieses Gebiet beschrieben. Dieser Rundweg ist auf der beilie- genden illustrierten Karte gekennzeichnet. Vier Stationen wer- den ausführ 1 ich d arg e s t e 11 t , um exemp lar isch etwas über die Geschichte und Gegenwart dieses Geländes zu vermitteln. Die Beschreibung und die in den Kapiteln angebotenen Materialien liefern keine fertigen Ergebnisse, sondern sollen bei der selbständigen Erkundung unterstützen. Es können Einblicke ge- wonnen werden in: - die wesentlichen Produktionsbereiche, - den Aufbau und die Entwicklung der Fabrik, - die Bedingungen, unter denen Tausende, oft unter Zwang, dort arbeiteten und 7 - die Auswirkungen, die die Ans ied Lung der Fabr ik bis heu te auf die Region Hessisch Lichtenau hat. Der Rundweg umfaßt die Stationen Verwaltungsgebäude (Sta- tion 1, S. 12ff), Füllstation (Station 2, S. 22ff), Pressenge- bäude (Station 3, S. 38ff) und Schleifschlammhalde (Station 4, s. 49ff). Die Darstellungen der einzelnen Teilkapitel sind wie folgt aufgebaut: - vorangestellt ist jeweils ein aktuelles Foto zur Identifi- zierung des "Ortes", - ein zusammenfassender Text gibt die wichtigsten Informatio- nen über die jeweilige Station wieder, erklärt einzelne Produktionsabläufe,1 historische Sachverhalte, beschreibt Ar- bei t sbed Lngungen . Elemente daraus können vor Ort anhand der noch vorhandenen steinernen Zeugen (wieder)entdeckt bzw. nachvollzogen werden, - ergänzende Materialien (Fotos, Dokumente, Zeitzeugenberichte usw.) bieten Möglichkeiten zur weiterführenden selbständigen Auseinandersetzung, um zu eigenen lnterpretat ionen und Er- gebnissen zu kommen. Für Gruppen, die mehr erkunden bzw. un tersuchen wolIen, bieten die Karte und das Gebäudeverzeichnis sowie Kurzbe- sehre Lbungen we i terer Produkt ionsbere iche ein ige An ha I tspunk- te, die aufgegriffen werden können. Der Aufenthalt in Hirschhagen und .d i e Erkundung des un- abgesicherten Geländes birgt trotz der vordergründigen "Abenteuerspielplatz-AtmosphäreH Gefahren in sich, auf die hier ausdrücklich hingewiesen wird: offene Kanäle und Schäch- te, scharfkan t ige Hetall- und Beton te i 1e, einsturzgefährdete Bunker, unabgesicherte Treppenaufgänge u.s.m.. Wir möchten alle Leitfaden-Benutzer dringend darauf aufmerksam machen, daß Geländebesichtigungen in Hirschagen nur unter verantwortlicher Betreuung durchgeführt werden so 11 ten. Benutzt werden soll ten ausschließlich öffentliche Wege. Die Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG), als Eigen- tümer in eines Te i Is des Ge ländes , hat uns mi t Sehre i ben vom 18.12 .1989 (s. Anhang ) darauf h i.ng ew iesen , daß sich au f dem ehemaligen Werksgelände "gesprengte Bunker und Ruinen befin- den, bei denen Unfa11gefahren nicht auszuschließen sind". Die IVG schreibt weiter: "Als Eigentümer dieser Grundstücke weisen wir unter Berücksichtigung der besondern Gefahrenmomente dar- auf hin, daß diese Bereiche aus Sicherheitsgründen nur mit un- serer schriftlichen Genehmigung betreten werden dürfen." Deswe i teren te i 1 t uns der Regierungspräs iden t in Kasse 1 mit Schreiben vom 15.12.1989 mit (s. Anhang), daß es sich bei den im Rundgang beschriebenen Objekten um vorwiegend dem Ver- fall preisgegebene ungesicherte Bausubstanz handel t. "Das Be- treten ist lebensgefähr 1ich 1 da im Fa! 1 eines Unfa lls Hi 1- ferufe nicht gehört werden. Die noch vorhandenen Erdbecken und Keller sind zum Teil noch mit Nitrotoluolverbindungen verunreinigten Schlammen oder wassergefährdenden Flüssigkeiten gefüllt." Wir möchten Sie bitten dies bei einem Rundgang in Hirsch- hagen zu bedenken. Bei einem Verlassen der öffentlichen Stra- ßen besteht eine erhebliche Gefahr. Für entstehenden Schäden können wir keine Haftung übernehmen. Falls Sie vorhaben soll- ten, privates Gelände zu betreten (z.B. die Schleifschlamm- 8 halde oder das Pressengebäude 367), so ist es uner Läß I ich, sich mi t den j ewei 1 igen Eigentüme,rn in Verbindung zu setzen. Neben dem Rundgang durch die Fabrik werden zwei ehemalige Arbeitslager ausführlich beschrieben, die in die Erkundung mit einbezogen werden können: das als "Hu s t e r l age r " gel tende Wald- hof (heute Wohnsiedlung), in dem vor allem deutsche Dienstver- pflichtete untergebracht waren und das Gelände des ehemaligen Barackenlagers Vereinshaus (heute Schulgelände), das gegen Kriegsende zum Konzentrationslager-Außenkommando wurde und der Unterbringung von jüdischen Zwangsarbeiterinnen diente. Kurz- darstellungen der übrigen Lager sind angefügt. Weiterführende Literatur ist am Ende dieses Leitfadens zu finden. Zur Geschichte und Gegenwart d er Lichtenauer Fabrik sei auf zwei Publikationen aus der Schriftenreihe "National- sozialismus in Nordhessen" hingewiesen, die in vielen hessi- sehen Schulbibliotheken als Klassensätze vorhanden sind: "Sprengstoff aus H'ir s ohhagen " von Wolfram König und Ulrich Schneider sowie "Das Außenkommando Hess. Lichtenau des Konzen- trationslagers Buchenwald 1944/45" von Dieter Vaupel. Für den Einsatz im Unterricht zu empfehlen ist auch eine Schu lfunk- sendung aus dem Jahr 1988 zum 'I'hema "Zwangs a rb e Lt e r im Dritten Reich - Hessisch Liehtenau", in der ehemalige Zwangsarbeite- rinnen ausführlich zu Wort kommen. Die zahlreichen Archivalien im Lichtenauer Stadtarchiv er- öffnen die Möglichkeit, sich inhaltlich vertiefend mit der Ge- schichte der Sprengstoffabrik Hessisch Lichtenau ausein- anderzusetzen. Die Archivalien können dort - der Benutzerord- nung entsprechend - eingesehen und ausgewertet werden (Stadt Hessisch Lichtenau, Hauptverwaltung, Postfach 1160, 3436 Hes- sisch Lichtenau, Tel. 05602/2061-65). Im Hessischen Staatsar- chiv in Harburg bef indenen sie h Dokumen t e , mit de ren Hilfe Produktion und Arbeit in dem Werk untersucht werden können. In der Gedenkstätte Breitenau/Guxhagen ist eine .g r öß e r e Anzahl von Individualakten vorhanden, mit denen Querverbindungen nach Hirschhagen herzustellen sind. Die Geschichtswerkstatt Hes- sisch Lichtenau/Hirschhagen hat damit begonnen, eine Ausstel- lung zu erstellen, für die bisher allerdings noch kein dauer- hafter Platz gefunden worden ist (Geschichtswerkstatt Hessisch Lichtenau/Hirschhagen, Büro, Erwin Richter, Waldhof 33, 3506 Helsa-Eschenstruth, Tel. 05602/3316). Ein Rundgang in Hirschhagen kann selbstverständlich kein Ersatz für eine ausführliche Bearbeitung des Themas National- soz ial ismus se in . Eine Erkundung J und dam i tein anderer Zu- gang, kann jedoch Anregungen zur vertiefenden Auseinander- setzung und zu weiterführenden Fragestellungen bieten. Es er- öffnen sich Hög I ichke i ten, n ic ht nu r abst rakten ..ver kopften" Lernens, sondern des Begehens und Begreifens. Es lassen sich eine Reihe von historsch-politischen Frage- stellungen/Problemen im Anschluß an einen Rundgang in Hirsch- hagen, oder auch zur Vorbereitung eines solchen Rundganges be- arbeiten. Eine Hilfe können die in den einzelnen Kapiteln an- gebotenen Materialien sein. Einige Fragestellungen seien hier kurz genannt: - Rüstungsprogramm/Beschäftigungsprogramm: Aufbau von Rü- stungsbetrieben zur Kriegsvorbereitung und Arbeitsbeschaf- fung, 10 Zwangsa.rbei t: Verwertung; Ausbeutung von t1enscheu in der rra- tionalsozialistischen Kr i egsp r odu k t i on : Hierarchie der Le- bens- und Arbeitsbedingungen, System der Konzentrationslager: Zusammenspiel von Fabrik, Lager SS und dem KZ Buchenwald, - Ro I Le von SS, Gestapo, Werkschutz: Unterdrückung, Mißhand- lung, Terror, Angst, - Wiedergutmachung/Entschä.digung für Haft, Zwan g s a r b e i t : Wel- che Berecht igung haben WLed e r gu t ma c hungs f o r d e r ungen der Be- troffen? Ist eine WiedergutmachuJlg überhaupt no t wend i gy mög « lieh/ s i nnvo l L? , - Ve r an two r t ungv Sc hu Ld : Reaktionen der Bürger auf das täglich vor Augen geführte Leiden von Hunderten - von Hilfeleistung über Nichtbeachtung bis zur HLß harid Lurig . Wie kamen diese Haltungen zunstande? gibt es heute ähnliche Haltungen? Welche Gefahren liegen darin?, Kapitalverflechtung am Beispiel Dyn am i t Nobel f r u he r und heute, - Vergangenheltsbewä.ltigung: Die Gesehichte von Fab r i k und La- gern wird 40 Jahre lang liegengela.ssen. Welche (}riillrle gibt es dafür? Ist es he u t e noch sinnvoll/wichtig, sieh damit auseinanderzusetzen? Welchen Zu s ammen han g gibt es zwischerl der "Versehmutzung der Köpfe" und der Ve r s c hmu t aung des Wass'ers? Uber die direkte Beschäftigung mi t H'i r s c hhagen hinaus, hoffen wir Anregungen zu geben, im eigenen Ort Fragen zu stel- . len, Nachforschungen durchzuführen, um au c h dort Spuren in die nationalsozialistische Ve r g angen he i t f r e i au Leg en . ~oto: Buk.DWS~·l 11 STATION 1: VERWALTUNGSGEBÄUDE Uberblick über d~s Ges~~tge1ä~de Das Verwaltungsgebäude (heute im Besitz der Firma Reolit) lag außerhalb des umzäunten Werksgeländes, direkt neben dem Haupteingang. Auf der anderen Straßenseite befand sich das Wachhäuschen (heute Post). Foto: Bukowski PLANUNG UND AUFBAU DER FABRIK Mit dem Bau der Sprengstoffabrik Hessisch Lichtenau begann man Anfang 1936. Die Planungen gehen auf das Jahr 1935 zurück, als die Nat ionalsoz ial isten g eme insam mi t Kre isan der deu t- sehen Wirtschaft begannen, Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung zu ergreifen. Im Zuge dieser Maßnahmen suchte man im gesamten Deutschen Reich Standorte für neue Rüstungsfabriken . Das Ge- biet des heutigen Hessisch Lichtenauer Ortstei1es Hirschhagen bot mehrere Standortvorte LI e : gün s t ige in f rastru kture 11e Be- dingungen, keine unmittelbare Nähe einer Großstadt, ein dich- tes Mischwaldgebiet mit Möglichkeiten der Tarnung, problemlose Energieversorgung durch nahegelegene Braunkohlebergwerke und " ')IL ein Reservoir an Arbeitskräften im strukturschwachen Raum. Der Lichtenauer Bürgermeister, gleichzeitig Kreisleiter der NSDAP, bemühte sich von Beginn an, die Entscheidung für den Standort Hessisch Lichtenau positiv zu beeinflussen. Von der Dynamit AG wurde der Stadt bereits im November 1935 in einem Schreiben mitgeteilt, daß "die Planung Hessisch-Lichtenau zur Zeit den zuständigen Stellen im Kriegsministerium zur Prüfung und Genehmigung vorliegt." 1 Das Werk Hessisch Lichtenau begann am 1. Juni 1938, nach zweijähriger Bauzeit, mit der Produktion. Barackenlager wurden während der Bauphase zur Unterbringung der auswärtigen Arbei- ter in den umliegenden Ortschaften errichtet. Neben Großfirmen (Hochtief, Siemens, AEG u.a.) waren nahezu alle Baufir~en der Region, die sich z. T. zu Arbeitsgemeinschaften zusammenge- schlossen hatten, am Aufbau des Sprengstoffwerkes beteiligt. Dies führte zu einem Wirtschaftsaufschwung in Hessisch Lich- tenau und Umgebung. RECHTLICHBR AUFBAU2 Die Planungen nahm die ..Dynamit-Akt ien-Gese Ilschaft vor- mals Alfred Nobel und Co" (DAG) im Auftrag des Oberkommandos des Heeres (OKH) vor. Das Werk wurde mit einem Aufwand von mehr als 100 Millionen Reichsmark errichtet. Eigentümer und Bauherr war die ..Montan Industr iewerke GmbH 11 (Mon tan) , eine reichseigene Gesellschaft, der das Werk nach Fertigstellung und Abnahme durch das OKH übergeben wurde. Die DAG ~ der be- deutendste deutsche Sprengstoffproduzent, war eng mit den I.G. Farben-Konzern verbunden und durch ihn kontrolliert (die l.G.F. besaß 61 % der DAG-Aktien). Als Betreiber trat die "Fabrik Hessisch Lichtenau Gesell- schaft mit beschränkter Haftung zur Ver~ertung chemischer Er- zeugnisse" ("Verwertchemie"), eine 100-prozentige Tochterfirma der DAG, auf. Grund und Boden sowie Fabrikationsanlagen (Anla- gevermögen ) waren im Bes i tz der Mont an , also Re ichse igen tum, während die Maschinen und Rohstoffe (Umlaufvermögen) der Verwertchemie gehörten. Durch diese Rechtskonstruktion trat der Staat nicht selbst als Rüstungsproduzent auf, nahm aber den Unternehmen einen Teil ihres Risikos ab. Der rechtliche Aufbau hat bis heute Auswirkungen. Dies gilt besonders für die ökologischen Folgeschäden aus der Produktion (S. 48ff), aber auch bei der Abwehr von Entschä- d igungsansprüchen ehemal iger Zwangsarbe i ter innen 3 sp ie I te der rechtlich-organisatorische Uberbau eine Rolle. 1 Sta Heli. Schriftverkehr DAS/Monatan. 2 Vgl. Vaupel, 1990, S. 41ff. 3 Vgl. Vaupel, 1990; Sa a. Press; Lutz/Meyer; ~erencz. 13 Das Kontanschema Das OKH war in der Chemieindustrie insbesondere an der Anlage von Kontanbetrieben zur Herstellung von chemischen Kampfstof- fen, Schießpulver und Sprengstoff interessiert. Dafür wurde ein "Kontanschema" entwickelt, das auch für Hessisch Lich- tenau Anwendung fand <••• >. Das Kodell läßt sich folgender- maßen skizzieren: Das OKH beauftragt eine Gesellschaft, einen Rüstungsbetrieb zu planen und zu errichten. Die Finanzierung wird vom Reich übernommen, wodurch eine reichseigene· Anlage entsteht. In einem abzuschließenden Kantelvertrag verpflich- tet sich die Gesellschaft, eine Tochterfirma einzusetzen. Die fertiggestellte Anlage wird der Montan übergeben, die sie wiederum an die Betriebsgesellschaft verpachtet. Schaubild: Kontanschema als rechtlich-organisatorischer Uber- bau der Fabrik Hessisch Lichtenau Plan.r. und Erb~uer ~--------------------- be~uttragt o K H Auftr~ggeb&r a. i I I I I I 14J IJJ, .... lCl I L. I iJ IJJ I :::i I I I I .. MONTAN Eigentümer und Bauherr -------------------~ verpachtet Ä I I, I ~..., ""I~L. I :) GI I 11 .... I .;,t. NIL. :J I lD '0 I > o I L.I'O a. t c , ::i !, I I VERWERTCHEMIE Betreiber l HUS: vaupel, 11;0, S, 44; das Schaubild orientiert sich an König/Schneider, S. 34 14 PRODUKTION UND ARBEIT IN DER FABRIK Die Fabrik hatte eine Gesamtfläche von 233 Hektar. Bis Kriegsende wurden 399 Werksgebäude errichtet. Das mit Sta- cheldraht umzäunte Gelände war von einem weitverz~eigten Stra- ßennetz durchzogen und besaß einen eigenen Gleisanschluß - 17 km Gleislänge sowie eine Seilbahn zur Zeche Hirschberg. Durch zwei Kraftwerke war die Fabrik von der öffentlichen Stromversorgung unabhängig. Durch die gezackten Dachkanten sollte ein Erkennen ,des Werkes aus der Luft nicht möglich sein. An den Kanten brachte man zusätzlich Hal terungen für Bäume und Büsche an (vom links). Fota: 3ukowski 15 .. Großen Wert legte-man auf die Tarnung des Geländes, indem man Dächer bepflanzte und zum Teil un t e r Lr d as che Bunker an- legte. Es g~b umfangreiche Geheimhaltungs- und Sicherheits- vorschriften; Werkschutz, 5S und Gestapo sollten die Ein- haltung dieser Vorschriftep kontrollieren. Die Betriebsführung arbeitete Hand in Hand mit der Gestapo. Hergestellt und abgefüllt wurden in der Verwertchemie-Fa- brik zwei Sprengstoffarten: Trinitrotoluol (TNT oder Tri) und Trinitrophenol (Pikrin). Einen dritten, Nitropenta, verfüllte man nur. TNT wurde im flüssigen Zustand in Füllstationen in Bomben, Granaten und Tellerminen abgefüllt (5. 22ff). Das granulierte Pikrin wurde verpreßt und als Treibmittel für Ge- schosse (z. B. Gewehrmunition) verwandt ($. ,38ff). Der Produktionsausstoß erhöhte sich im Laufe der Kriegs- zeit, vor allem nach der Wende des Kriegsgeschehens im Winter 1941/42 ganz beträchtlich. Wurden im Geschäftsjahr 1938/39 erst 5.479 Tonnen TNT produziert, so stieg der Ausstoß 1942/43 auf 29.170 Tonnen. 4 Das bedeutet, daß in diesem "Re ko edd ahr " durchschnittlich 81 Tonnen TNT pro Tag hergestellt wurden. Al- lein für die TNT Produktion brauchte man neun Millionen Liter Wasser täglich. Bei Pikrin ist, wenn auch auf einem niedrigerem Niveau, ein noch stä~kerer prozentualer Anstieg bis Kriegsende zu verzeichenen: Von 156 t in 1939/40 steigerte man sich auf 2.074 Tonnen in 1944/45.:5 Das Werk gehörte zu den größten Sprengstoffproduzenten des Deutschen Reiches. Zur Arbeit in Hessisch Lichtenau wurden in den ersten Jah- ren freiwi 11 ige und d ienstverpf 1ichtete deu tsche Arbe i tskräf- te, zunächst aus der Region, später auch aus entfernteren Ge- genden: herangezogen. Mit zunehmender Kriegsdauer kamen immer mehr ..angeworbene" Arbe i tskräfte aus den besetzten Geb ieten, zwangs r e kru t ierte Zivi larbe i ter , Kr iegsgefangene und schl ieß- lieh seit 1944 Strafgefangene und KZ-Insassen zum Arbeitsein- satz. Ende 1944 betrug der Ausländeranteil fast 54 Prozent. s Die Zahl der Arbeitskräfte stieg seit Kriegsbeginn ständig an. Im April 1939 verzeichnete die Verwertchemie rund 750 Ar- beiter(innen) und Angestellte, im April 1941 schon 3100 und Anfang 1945 'Wurden 4400 Arbe i tskräfte eingesetzt, davon 2400 Frauen. Zu diesen uGefolgschaftsmitgliedern H kamen noch 800 bis 1000 Re ichsarbe i tsd ienst (RAD) -Angehör ige und 2000 Bauar- beiter, die auf dem Fabrikgelände bei verschiedenen Firmen be- schäftigt waren.? Zur Unterbringung der Arbeitskräfte entstand um die Fabrik ein Kranz von Lagern. Es wurden neun Lager für Arbeiter(innen) errichtet. Die Bedingungen in den Lagern waren sehr unter- schiedlich und hingen vom Status der jeweils dort unterge- brachten Gruppe ab. Während insbesondere sowj et ische Kriegs- gefangene und jüdische KZ-Gefangene unter elen~en Bedingungen in primitiven Holzbarackenlagern hausen mußten (S. 76ff), leb- ten deutsche Dienstverpflichtete in der damals als "Muster- lager" geltenden Siedlung Waldhof (S. 90ff). • PA König/Schneider. Geschäftsberichte Verwertche'l~. 5 Ebenda. • BAl. Bestand R3, Gefolgschaft nach Nationalitäten. 7 König/Schneider, S. 97. 16 ~Wwk. e~~r 0or~t" Ü&ER.S(~T~SKlllE überslchtsskizze: Werk mit dazugerßrigen Lagern HlAV. übernahlebericht Die allgemeinen Arbeitsbedingungen in der Fabrik (S. 25ff u . S. 42ff) lassen sich folgendermaßen beschreiben: "Die Ar- beit in Hirschhagen ~ar nicht nur in physisch leichte und schwere e ingetei 1 t , sondern un terschied sich in erster Lin ie in gefährliche und weniger gefährliche Tätigkeit. Alle Ar- beitsplätze ~aren der allgemeinen Luftvergiftung durch Chemi- kalien unterworfen ( .... ) Gefährlicher ;Jar die Arbeit in den TNT und P ikr insäure-Betr Leb sgruppengebäuden , der Spal tan Lage , den Füllstationen und den Pressengebäuden. Hier kamen die Arbei ter( innen) mi t Chemikalien in Berührung. Diese Gebäude ~aren zudem besonders explosionsgefährdet."a BNTWICKLUNG SRIT 1945 In April 1945 beschlagnahmte die amerikanische Militärre- gierung das Areal der Sprengstoffabrik. Die Werksanlag~n ~ur­ den demontiert und das Gelände enttarnt. Das Potsdamer Abkom- men hatte festgelegt, daß alle Anlagen, die ausschließlich zum Z~ecke der Kriegsführung bestimmt ~aren, zerstört werden soll- ten. 148 Bauwe r ke auf dem Werksge lände ~urden im Zuge der • :benda~ s. 3S. 17 Entmilitarisierungsmaßnahmen zerstört. Gesprengt wurden alle Sprengstofflager, Pressengebäude und fast alle Bauten, die der Harste llung bzw. Abfüllung von Sprengstoffen dien t en , sofern diese nicht schon durch Explosionen vernichtet worden waren. Ein ehemaliges Produkt i onsgebäude J zum Wohnhaus umgebaut. Foto: Vaupel Kurze Zeit später begann eine Besiedelung des Geländes durch standortsuchende Unternehmen. Mehr als 200 Gebäude waren intakt geblieben. Dies ermöglichte in dem gut erschlossenen Gelände mit günstiger Verkehrslage und Gleisanschluß, die An- siedelung von Industriebetrieben. Diese Entwicklung setzte sich in den folgenden Jahrzehnten fort. Die Gebäude, in denen ehemals mehrere tausend Menschen Kriegsmaterial produzierten, dienen nun als Produktionsgebäude, Lagerhallen und Wohnhäuser. 18 Im Jahr 1984 waren von den 225 Gebäuden im Lichtenauer Ortste i 1 Hirschhagen 103 Gebäude gewerb I ic h genu t z t , 12 dienten sowohl Gewerbe- als auch Wohnzwecken, 65 waren reine Wohngebäude (davon 19 Nebengebäude) und 45 standen leer. B Ende 1983 hat te Hirschhagen 173 Einwohne r , 1-0 heu te sind be iden rund 30 Gewerbebetrieben etwa 600 Menschen beschäftigt.1-1- Ehemaliges Kantinengebäude (Nr. 653), das heute als Autowerkstatt genutzt ~ird. • Ebenda, S. 23. 10 Ebenda, S. :4. 11 700 Jahre Hessisch Lichtenau, S. 271. 19 ISTATION 2: FULLSTATION Füllstation Gebäude 412, Vorbereitung: Sprengskörperrohlinge wrden hier zur Füllung mit flüssigem TNT vorbereitet und durch einen Heißluft-Kanal zum direkt anschließenden Gießhaus transportiert. Das ehemals viergeschos- sige Gießhaus ist heute nicht mehr vorhanden. In der rechten Bildmitte Re- ste des Kühlkanals, die Verbindung zwischen Gießhaus und Fertigungsgebäude. Foto: Bukowski PRODUKTIONSABLAUF Seit Juni 1938 wurde in der Sprengstoffabrik Hessisch Lichtenau Tr in i troto Luo 1 (TNT oder Tr i) hergeste 11 t. Von den Produktionsgebäuden, die links und rechts der heutigen Daimler Straße im Zentrum des Werkes lagen, stehen heute n~r noch sehr ~9nige. 22 SPRENGSTOFF-REZEPT1 Man nehme Toluol (CaH5CH3) und eine Mischsäure aus Schwefel- säure (H2S04) und Salpetersäure (HN03), mische dies, und es entsteht (Mono-Nitrierung): KNT = Kono-Nitro-Toluol. Dies wasche man mehrmals, mische es wieder mit Mischsäure, und es entsteht (Di-Nitrierung): DNT = Di-Nitro-Toluol. Dies erneut mit Mischsäure mischen und er entsteht (Tri-Nitrierung): Roh-TNT = Tri-Nitro-Toluol. Dies mehrmals waschen und wieder trocknen, sodann granulieren. In den ersten Jahren wurde der granulierte Sprengstoff in Kisten verpackt und versandt. Mit der Fertigstellung der bei- den Füllstationen konnte dieser Sprengstoff direkt im Werk weiterverarbeitet werden. Das Granulat wurde in den Füllsta- tionen durch Erhitzen verflüssigt und in Granaten, Bomben und Tellerminen abgefüllt. Die beiden Füllstationen, "Ost" und "West", umfaßten die gleichen Gebäudegruppen: 2 Füllstation Ost Füllstation West Hüllenlager 408/410 409/411 'Vorbere i t.ungageb äud e 412 413 Gießhaus 414 415 Kühlkanal 416 417 Fertigungsgebäude 418 419 Ausschnitt aus dem Werksplan : Füllstationen Ost und West. König/Schneider L la.zoll, S. 7. 2 rijDig/~chn~id~r, Sr 64. 23 Sorengstoff- 1ager (436) Bericht von Frau L. vom 28.12.84: "Ein r; esengroßer Kes se1, in dem der sogenannte Tri, flüssiger Sprengstoff, fast zum Kochen ge- bracht wurde, beherrschte den Raum. Dann wurde dieser heiße Tri in S Ztr.-Bomben gegossen, in T~11enninen, Wurfgranaten oder wa~ gerJde hergestellt wurde. !eh w~r ein paarmal in de~ Füll- s~el1e, hei8e~ Dampf, die Arbei- ter sahen be~pritzt aus, hatten groBe Schürzen und t'ührten mit langen Stöcken in d1eser Hasse, damit sich beim Erkalten keine Blasen bildeten." Frau L., eine ehemalige Arbeiterin beschreibt ihre Tätigkeit folgender- maßen: MMeine Halle 418 war ein großer rechteckiger Raum. Durch einen langen unterirdischen Kanal kamen von der Füllstelle auf Schienen die Wa~en mit den gefüllten 5 Ztr.-8omben zu uns nach 418. Immer 6 Stück standen auf einem Wagen. Meine Aufgabe war es, den an der 80mbenwand heruntergelau- fenen Tri mit einem Spaehtel ab- zukratzen, dann muSten wir Mädchen die Sc~rauben fUr die F1Ugel der 80mben vordrehen, die Männer zo- gen sie dann mit Schraubenziehern fest. Dann wurden die Ringe für das Zünd loch in Ölpapier einge- packt und oben auf die Flügel ge- hängt." 24 Hüllenlager (408/410) ! Vorbereitungs- gebäude (412) (414), I~ , Fertigungs- gebäude (418) Die Sprengkörperrohlinge wurden in den Bunkern 408/410 gelagert und von hier aus zur Füllstation transportiert. Sprengkörperrohlinge wurden hier an- geliefert, ausgepackt und auseinan- dergeschraubt. Auf Schienen laufende Handwagen nah- men die Rohlinge auf, die zum Füllen oben geöffnet waren. Die Hüllen wurden in einem Heißluft- kanal auf die Temperatur des flüs- sigen TNT erhitzt und ... ... im Gießhaus mit dem Sprengstoff gefüllt. im anschließenden AbkühlungsprozeB ~ar die Explosionsgefahr besonders groß. Der Sprer.gstoff mußte daher langsam abkühlen. Zu diesem Zweck wurden die Wagen mit dEn gefüllten Bomben von Arbeitern durch einen unterirdischen KUhlkanal gesch~ben. Hierbei handelte es sich um eine ver- winkelte B,tonkonstruktion mit beid- seitig gezackten Innen~änden, in der sich eine eventuelle Explosion fangen sollte, um ein Übergreifen auf andere Gebäude zu verhindern. Außerdem bedeckte eine dicke Erd- schicht den Kühlkanal. Der Kühlkana\ endete im Fertigungs- gebäude und verband somit zwei Hälf- ten der Füllstation. nämlich die vor- dere (Vorbereitungsgebäude/Gie8haus) mit der hinteren (Fertigungsgebäude). Im fertigungsgebäude wurden die Bom- ben außen von Sprengstoffresten ge- säubert, die Pulveroberfläche mit Bienenwachs oder ähnlichem versie- gelt, dam;t ke":ne Feuchtigkeit ein- dringen konnte. Bombenköpfe und Bombenschwänz~ angeschraqbt. ARBEITSBEDINGUNGEN Die Arbe i t in den Fü Ll s t a t ionen gehörte zu den gefähr- 1ichs ten im Werk überhaupt. Einerse i ts exist ierte eine stän- dige, allgegenwärtige Exp~osionsgefahr, andererseits führte der Umgang mit den Chemikalien bei vielen Be s c hä f t Lgt en zu Vergiftungserscheinungen mit oft bleibenden gesundheitlichen Folgeschäden. Darüberhinaus waren die körperlichen Belastungen an einigen Arbeitsplätzen sehr hoch. Die jüdischen Gefangene Sara G. berichtet: "Zuerst arbei- tete ich in der Gießerei, wenn ich richtig erinnere, in Werk- statt No. 3. Ich erinnere mich aber mit Sicherheit, daß ich meistens die Nachtschicht verbrachte. ( ... ) Dann mußte ich von einem großen Kessel die kochende chemische Masse mit einem primitiven Eimer entnehmen und vorsichtig einfüllen. Etliche Male litt ich unter Verbrennungen, wenn es zurückspritzte, Eine weitere Arbeit in der Füllstation war das manuelle Offenhalten der Bomben. Die heiße Masse mußte mit einem Messingstab sorgfältig umgerührt werden damit eine gleichmäßige Abkiihlung erfolgte und keine Luftblasenentst~den. Die Arbei ter( innen) waren dabei a. T. schutzlos den giftigen Dämpfen ausgesetzt. Beim Hochspri~zen des heißen TNT konnte es zu schmerz- haften Verletzungen kommen. Mo1t 25 denn (eine) Lederschürze bekam ich nicht, so wie die Arbeiter bekamen. ( ... ) Hie und da hat mich der deutsche Meister kon- trolliert, aber die meiste Zeit, in der Nachtschicht, war ich ganz alleine dort. Den Wagen mit den Grananten schob man zu mir here in . Meine ständ Lge , pan isc he Angst von dieser Ze i t J spüre ich noch heute in mir."a Deutsche Arbeiter(innen) berichten, daß ihnen bei der ge- sundheitsschädigenden Arbeit Schutzkleidung zur Verfügung ge- ste 11 t wurde. Diese hie 1 ten sie allerd Lrigs für unzure ichend . Eine Dienstverpflichtete : "Vorsichts-Schutzmaßnahmen bestanden aus Staubmaske ( ... ), Le inenhandschuhe, Kopf tücher , zwe i tei- l ige Arbe i ts-Anzüge aus grobem La inen I Ho Lz s o huhe mi t Leder- kappe und Fußtücher!"4 Diejenigen, die an besonders belasteten Im Gießhaus wurde der flüssige Sprengstoff '!'NT mitGießgefäßen in die Rohlinge eingefüllt. Diese gesundheitsschädigende Arbeit lrorde teilweise auch ohne Schutzkleidung durchgeführt. Wolf s PA ~aup!l. Brief Sarah A•• 4 PA Vaupel. Bericht Hilda ~ •• 26 Arbei tsp lätzen tä t ig waren, bekamen außerdem e Ln e sogenann te "Giftzulage" : jeden Tag einen halben Liter Milch und Vitamin- tabletten. Die Bedingungen im Werk hatten zur Folge, "daß Beschäf- tigte der Arbeit immer wieder fernblieben und I minderwertige Arbe i ts 1e Ls t ungen ' erbrac ht wurden .... :s Gegen s ogen ann te ' Ar- beitsverweigerer' und "Bummelanten' wurden von der Werkslei- tung einschneidende Haßn ahme n ergriffen. "Die Arbeiter und Ar- b e i t e r i.nn e n sollen bei kleinsten Ve r g e hen damit bedroht worden sein, der Ge s t ap o überstellt b z o . in das Arbeitserziehungsla- ger Breitenau 8 eingewiesen zu ~erden."7 Gebäude 408, Hüllenlager: Hier wurden die Sprengkörperrohlinge gelagert. Foto: BukoMSki S König/Schneider, s. es. • Brei tenau/6uxhagen "ar sei t 1940 Arbei tsp.rziehungslager; heute befindet sich auf dei Lagergel ände eine 6edenkstätte. 7 Vaupei, lQ90, S. ~1. 27 In der Sprengstoffabrik arbei taten verschiedene Gruppen von Arbeitskräften: Freiwillige, Angeworbene und Zwangsver- pflichtete. An den konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen in Hessisch Lichtenau läßt sich nachweisen, daß sie je nach ihrer Gruppenzugehörigkeit eine unterschiedliche Behandlung erfuh- ren. Ulrich Herbert kennzeichnet die Situation der verschiede- nen Gruppen der Fremdarbei ter und Kriegsgefangenen im Deut- schen Reich folgendermaßen: "Am präzisesten feststellbar sind dabei die Kriterien von , Rasse' und 'Volkstumszugehörigkeit 1'. So~ohl was die Lebens- mittelrationen, die Ausstattung der Unterkünfte, die Arbeits- zeiten und -löhne sowie die Beschäftigung an qualifizierten Arbeitsplätzen betraf, als auch in bezug auf die sicherheits- polizeilichen Bestimmungen Strafsystem, Umgang mit Deut- schen, Mißhandlungen etc. - waren die Westarbeiter schlechter als die d eu tschen, aber deutlich besser als die Arbeiter aus dem Osten geste 11 t; daraus entwickelte s t ch eine Hierarchie, bei der die französichen Zivilarbeiter vor denen aus anderen westlichen Ländern (Belgien, Niederlande) rangierten, darunter die Arbeitskräfte aus den zum Teil mit Deutschland verbündeten oder von ihm abhängigen südeuropäischen Ländern (Ungarn, Rumä- nen, Slowenen, Griechen, Serben, Kroaten), darunter die Arbei- ter aus der Ts_chechos Lowake i (dem sog. ' Protektorat Böhmen und Mähren"), darunter die Polen, und ganz untern r-ang i e r t en die Arbeiter aus der So~jetunion sowie seit Sommer 1943 auch die italien ischen Mili tärin ternierten; wobei noch gewisse Abstu- fungen zwischen Ukrainern und Russen auf der einen, zivilar- beitarn und Kriegsgefangenen auf der anderen Sei te feststell- bar sind." 8 Gegen Kriegsende ~urde die Lage der im Werk Hessisch Lich- tenau Beschäftigten immer unterträglicher. Vor allem polnische und sowjetische Arbeiter(innen) sowie jüdische KZ-Gefangene hatten darunter zu leiden. Bei minimaler Ernährung wurden sie zu den gefährlichsten und schwersten Arbeiten herangezogen. Uber d ie so~jet ischen Arbe i ter innen berichtet eine Deutsche: "Die Russinnen wohnten mindestens 4 km vom Werk entfernt in einem Barackenlager. In Holzschuhen, Lappen an den Füßen, und in Werksanzügen marschierten sie jeden Morgen und Abend diese Strecke, auch bei grimmiger Kälte und Schnee. Es war furchtbar ( ... ). Die Räume (im Lager) waren kühl und düster, die doppel- stöckigen Betten notdürftig ( ... ). Viele Russinnen wurden krank oder starben an Tuberkulose."s Der Einsatz von Ausländern in Rüstungsfabriken warf einige nicht unerhebliche Problem.e auf: "Auf der einen Seite standen die kriegswirtschaftlichen Erfordernisse, die die Ausländerbe- schäftigung zwingend notwendig machten, auf der anderen Seite sprachen politische und ideologische Bedenken gegen den ~Ausländereinsatzl' wie die Furcht der Sicherheitsbehörden vor politischer Infiltration der deutschen Bevölkerung durch die Ausländer und noch mehr vor den hier drohenden "b Iu t Lä ctien ' Gefahren." 1 0 • Herbert, 1986, S. 36. • PA Vaupel. Bericht Toni L•• 10 Herbert, 1985, S. 11. 28 GESUNDHEITSSCHADHN Der Umgang mi t dem Sprengstoff TNT barg sowohl be i der Produktion als auch der Abfüllung neben den akuten Ver- letzungsgefahren eine Reihe gesundheitlicher Folgen in sich. Das Einatmen der giftigen Dämpfe führte oft zu Schwindel und Ohnmacht. Die ersten äußeren Erscheinungen der Vergiftung zeigten sich in der Verfärbung der Haare und der Haut. Sarah A., die in der Füllstation Sprengkörper mit flüssigem TNT füllte, berichtet: "Nach einiger Zeit färbte sich die Haut von den Giften grün-gelb, auch nahm die Ubelkei t von dem stark riechenden Dampf, ständig zu. Sicher sind auch alle diese Zu- stände auf den Hunger und den leeren Hagen zurückzuführen. "11 Die Dienstverpflichtete Toni L. schreibt: "Meine Aufgabe war es, den an der Bombenwand heruntergelaufenen Tri mit dem Spachtel abzukratzen. ( ... ) Bereits nach kurzer Zeit bekam ich kastanienfarbiges Haar, die Unterwäsche wurde rot; das kam vom Tri-Staub."12 Füllstation, Gebäude 418, Fertigungsgebäude: Die mit TNT gefüllten Spreng- körper wrden hier gesäubert, versiegelt und montiert. Im Hintergrund links der Kühlkanal und das Vorbereitungsgebäude. Foto: Bukowski 11 PA Vaupel. Brief Sarah ~., 12 PA Vaupel. Bericht Toni L•• 29 Die Arbeiterinnen wurden aufgrund dieser Verfärbungen als "Kanarienvögel" bezeichnet. König/ Schneider stellen fest: "Daß die meisten F'rau en über die Gefährlichkeit ihrer Arbeit in den Abfü llsta t ionen im Unklaren ge lassen wurden, wird aus den gleichlautenden Aussagen mehrerer Gesprächspartner er- sichtlich. Die Zeugen betonen, daß viele Frauen diese Verfär- bungen für besonders attraktiv hielten und auch die Männer 'es schön fänden'." 13 Neben den äußeren Erscheinungen wurden vor allem Leber und Lunge durch den Umgang mit TNT geschädigt. Für den Umgang mit TNT gilt laut eines Gutachtens des Hygiene Insitutes Gelsen- kirchen folgendes: "Bekannt sind akute gewebliche Vergiftungen bei Aufnahme von Nitroverbindungen durch die unverletzte Haut, bei direkter Berührung oder durch Einatmen von Dämpfen und Ni- trokörper enthaltenden Stäuben, wodurch Ekzeme, Anämien (Methämoglobinbildung) und Leberstörungen entstehen können." 1 4 IArbl1atische Bitro- und AIlinoverbindungen sind starke Blut- gifte (aus: lalzoN, S. 8) Die roten Blutkörperchen (Erythrocyten) bestehen im ~esent­ lichen aus Strukturprotein (Stromatin) und dem Blutfarbstoff Hämoglobin, der den Transport des lebenswichtigen Sauer- stoffs im Bltit übern immt . Aroma tische Ni tro- und Aminover- bindungen wirken nicht direkt als Blutgifte, sondern sie' werden vom Organismus in PhenvLhvdr-az Ln umgewandelt. Letz- teres reagiert zum e inan mi t dem Häaog l ob in und Sauerstoff zum Hämoglobin und sog. Verdoverbindungen, was sichtbar zur Zellverfärbung führt (rotbraun bis grün). Zum anderen t-lird das Strukturprote in Stromatin , das die Ze lle zusammenhält, zerstört. Derart geschädigte Zellen werden leicht Beute der Freßzellen (Phagocyten). Medizinisch wird von einer Phagocy- tose der Erythrocyten gesprochen. Längere Einwirkungen von aromatischen Nitro- und Aminoverbindungen auf Mensch und Tier führen daher in fast allen Fällen zur Anämie (Blut- armut), deren extreme Form die Leukämie (Blutkrebs) dar- stellt. Die heutigen Auswirkungen der früheren TNT-Produktion (Vor-, Zwischen J End- und Umwandlungsprodukte ) auf Mensch und Um- welt sind (aufgrund der geringeren Dosis) vermutlich wesent- lich kleiner als es bei den damaligen Produktionsbedingungen der fall war. Allerdings liegen über diesen uNiedrigkonzen- trationsbereich" kaum Untersuchenungenvor. Vorsichtshalber ist der Grenzwert für aromatische Nitroverbindungen und Amine sehr niedrig bei 0,1 Mikrogramm. pro Liter festgelegt worden. Eindeutig dagegen ist der Befund beim Dinitrotoluol (ONT) , einem Zwischenprodukt der TNT-Herste llung. Es wurde eindeutig als zellverändernd und krebserregend kl~ssifiziert und erhielt deshalb auch keinen unteren Grenzwert der Tole- rierbarkeit. 13 König/Schneider, S. 86. 14 litt n. König/Schneider, S. 85. 30 Die Krankheit verursachte zunächst keine Schmerzen, bei den Betroffenen machte sich lediglich ein allgemeines Schwä- chegefühl bemerkbar. Aufgrund dieses Krankheitsverlaufs kam in vielen Fällen jede Hilfe zu spät, da die Krankheiten schon zu weit fortgeschritten waren. Während des Krieges schickte der Werksarzt häufig ganze Gruppen von Werksangehörigen mit Leber- vergiftungen nach Kassel in das Stadtkrankenhaus. Viele Frauen und Männer, Gi ie für einen längeren Zeitraum in der Spal tan- Lage , den Füllstationen oder Pressengebäuden arbeiten mußten, behielten schwere Gesundheitsschäden zurück. Gefährlich w~r auch das EinRaggonieren und der Transport von Bomben, Granaten und Minen. Eine der tausend Jüdinnen, die seit Sommer 1944 im Werk eingesetzt wurden, beschreibt diese Arbeit: ..Ich mußte schwerste körperliche Arbeit leisten, und ich wurde wie ein Pferd vor einen mit Granaten gefüllten Wagen gespannt, den ich barfuß im Schnee auf Schienen vollbeladen von der auf einem Berg gelegenen Fabrik in die Ebene herunter- ziehen mußte und dann nach dem Ab laden wieder leer den Berg hinauf." 1 5 "Schließlich wurden die Granaten auf flache, v Le r r äd r Lge Eisenwagen geladen und auf Schienen durch ein Eisentor ge- Elektrokarrengebäude an einer Verladerampe. Hier wurden die ferig verpack- ten Bomben, Granaten und Minen verladen und mit Eisenbahnwaggons abtrans- portiert. Foto: BukoNSki 1~ ~6-Alt Saarburg. E-Akte Gertrud ~., S. 74. 31 bracht; diese Schienen führten etwa 100 Meter hügelab, wo sich eine weitere Eisentür nach draußen öffnete, die aber immer ge- schlossen war und j ed e sma l geöffnet werden mußte. Der Wagen kam in den Lage r r aum , wo er entladen wurde; dann, ein paar Tage später, wurden die Eisenbahnwaggons beladen. Alles mußte mit großer Schnelligkeit erledigt werden. Eine Granate wog 20 Kilo und wir mußten lernen, zwei zur gleichen Zeit zu handha- ben."16 Beim Verladen der schweren Bomben konnte es zu schmerz- haften Verletzungen kommen. Eine Jüdin berichtet: "Oft ist eine Bombe umgekippt und dann fiel alles herunter ( ... ). Von den Beschädigungen hatten wir fast alle schwarze Fußnägel, wir hatten große Schmerzen, bis sie abgefallen sind. "17 Eine an- dere Zwangsarbeiterin bestätigt: "Einmal ist mir eine Granate auf den Fuß gefallen, aber ich mußte weiterarbeiten ohne ärzt- liche Hilfe, bis die Wunde von selbst geheilt war. lt 1 8 EXPLOSIONEN Die Arbeit in der Sprengstoffabrik barg eine ständige Be- drohung durch Unfälle und Explosionen in sich. Im Bereich der Füllstation~n ~am es zu mehreren größeren Explosionen mit ver- heerenden Auswirkungen. Während der Produktionszeit starben bei solchen Unfällen im gesamten Werk mindestens 185 Menschen. Allein in der Zeit von April 1943 bis März 1944 ereigneten sich zwei Explosionen in der Füllstelle West und eine in der Füllstelle Ost. Bei diesen drei Explosionen kamen insgesamt 149 Menschen ums Leben. Die folgenschwerste Explosion ereignete sich in der Füll- stelle West. Ein Bericht aus dem Tagebuch der Rüstungsinspek- tion vermittelt einen Eindruck von der Gewalt der Detonation und der Gefährdung unter der die arbeitenden Menschen auf dem Fabrikgelände standen: "Am 31.3.1944 ereignete sich in der Füllstelle II der Fabrik Hessisch-Lichtenau des Ges. m. b. H. zur Verw. chem. Erzeugnisse gegen 15.17 Uhr eine schwere Explosion, durch welche zwei Gebäude (T-Minen-Gießhalle sowie Misch- und Giesskesselhaus) völlig zerstört wurden ein- schließlich des S-förmigen Zwischenbaues zu den anschließenden Kühlkanälen verschwunden sind. Von den Kühlkanälen stürzte je ein kurzes Stück ein. Die übrigen Gebäude erlitten durch Druck- oder Sogwelle z. T. durch Wurfstücke von Apparaten und Eisenkonstruktionsteilen der Kesselbühne Beschädigungen. Zur Explosion gekommen sind zusammen etwa 9,6 to Sprengstoff. ( ... ) Durch die Explosion wurden insgesamt 71 Personen getö- tet. ( ... ) Außerdem 'Wurden 7 Personen schwer verletzt. ( ... ) Leichter verletzt wurden 52 Personen. u 1.9 Eine Identifizierung der Todesopfer war nicht möglich. Nach Aussagen von Augenzeugen ist von den Toten lediglich ein Ringfinger gefunden worden. Die Namen der Vermißten konnte man mit Hilfe der Kontrollkarten herausfinden, die von jedem Ar- beiter bei Schichtbeginn an der Wache abgegeben werden mußte und ihnen beim Verlassen des Werkes wieder ausgehändigt wurde. Die Särge die den Familien der Explosionsopfer zugestellt wur- den, sollen mit Sand und Steinen gefüllt und verschweißt wor- den sein. 2 o 1. YV Jerusalel. Bericht Bertrud D•• 17 PA Vaupel. Br~ef Rona "•• 32 L8 PA Yaupil. Brief Esther F•• L9 BA/"AF. RM-21, Kriegstagebuch 1944. 20 König/Schneider, S. 95. Materia.l:i.en Die Dienstverpflichtete Toni L. erlebte die Explosion~ die sich BJI 25. Hai 1943 in der Füllstelle Ost t!!reignete~ VOJ/1 Lager Lenoirstift sus: "Das Unglück ereignete sich n soh t s , alll Tag fVäre es noch furchtbarer gewesen. Hi t ten in der Nacht vurden wir durch eine fürchterliche Detonstion gefVeckt. Wir dachten sofort an einen Bonbenengr i r t", durften kein Licht anmachen und taste- ten nach unserem Köfferchen.. welches immer gepackt war. Es war ein heilloses Durcheinander. Wir rannten auf den Balkon~ konnten aber keine Flugzeuge hören. Auf e insis l rief jemand ,im Werk brerm t t s : . Dann sahen v i r es auch} eine rie$ige Flamme sm dunklen HimlDel. Wären in dieser Nacht feindliche Flieger am Himmel gewesen .. sie hätten veh l l oe Bomben werfen können .. der ganze Kaufunger Wald wäre in die Luft geflogen. Am anderen Horgen war das ganze Gebiet abgesperrt. ( ... ) Uns bot sich vor Ort ein grausiges Bild: der unterirdische Gang.. von der Füllstelle kommend, war völlig eingestürzt~ Betonhallen waren vom Erdboden versohvunden , dort hing ein Fuß in den A·sten J überall lagen Körperteile verstreut - es ~ar furchtbar! ( ... ) Zuerst ging das Gerücht UJIl, die Explo- sion sei Sabotage ge~esen~ doch da ich auch die Geheimkorre- spondenz erledigte, konnte ich die Berichte lesen: für den flüssigen Sprengstoff brauchte msn AmJlJonsalpeter.. und der Jlar zu dieser Zei t knapp. Han ersetzte den Amllonsalpeter künstlich .. mit dem Nachteil .. daß eine geringe Ubertemperatur berei ts eine Explosion auslösen konnte. So muß es floh1 in dieser Nacht gewesen sein. " PA Vaupel. Bericht Lindenthai. Die Folgen der bislang nachweisbaren Unfälle und Explosionen In der Fahnk Hess. Lichtenau. 37" F~rtl~un~~~talt.: f ~rolk Zundladungen Au.~aßder Zerstörunlen ~r. Funktion Allpmeiaetl XhHeuböhe Anuh' der Gelöteten Verletzte Dana. in.'I. weibI. DeulKhe A..~inder inse- minnl. b. 9.1938 II.SOUhr II tA·- 1I k.A. mlJ ~::.IO. 19-W w-l k.A. k.A. oS ml 17 3.1941 11.30Uhr 17 w l l k.A. k.A. k.A. m-l .. 5.1941 '-.00Uhr - / 7 5.1941 S.ISUhr - 4. 8.1941 S.30Uhr - 10. ~. 19013 0.30Uhr ()J w~3 11 ;:: k.A. ml0 zs. 5.1943 I.20Ubr 15 '49 3 I:! 53 mb 31. 3.1944 IS.1SUhr 71 w10S 16 5~ hO m~7 ::. 6. 194-& k.A. k.A. k..A. k.A. k.A. 1'-. 8.1944 ml zs. 1.1945 ml k.A. König/Schneider, S. 94f1. TNT·Sitnerhaus 337 nlT·~itrieranlage JIJ Füllstelle II ..lIS \\'~Sl Jt~ ..lIJ Füllstetle lOst ..lt3 Fullsretle11 ·115 West 351 Piknn-Nitnerhaus Vergiftung in Tri-Station ..l~o ProduktaonsausfaU Feuer Fabnk Eschensttuth 6O b i ndurigen : Hono-, Di - und Tr in i tro t o I u o I (1 mg"./l töd1 i Oll für Fische) sowie den stark gefäl'bten orgsn i s o hen S;3"ul'eI7: Dini tro- sulfo$§ure~ Dinitrobenzoes§ure (letztere sind nioht so giftig) bev i r k en in den Vorflutern eine dunlce I r o t:e Färbung, die sich viele Kilometer unterhalb bemerkbar machten. Daneben waren saure Kondensate der Sch~efelsäure_Konzentration abzuleiten. Die Lasse konnte in keiner Weise diese konzentrierten Mengen ver s rbe i ten. Auf Veranlassung der Behörden fühl-te die Firma die Neu tir s I i s s t i on der Abwässer durch Kal kbeherid1ung duroh , s t u t ensee i s e in säurefesten Becken. Der dort abgesetzte noch TNT-hal tige Schlamm wurde auf Drehfi 1 tern getrocknet und mög- lichst außerhalb des Gruridvesee rbe r e i otis gelagert" FVas n i ch t: immer gelang. Trotzdem ver die Lasse noch so stark b e l e s z e t: , daß sich die Firma en t s onI oß , eine 21 km lange Le i t ung bis zur Fulda (Einleitung dicht unterhalb der Lasse) zu erstellen. In der unteren Fu Id s ue r en somit die Abv äeeer der Stadt .. der Spinnfaser und des Sprengstoffrverkes vorha.nden; die letztereil störten den biologischen Abbsu bis h ine i n in die Oberveser i tis s sensu r ti r e t en von Wasserasseln und Wa.sseregeln bei t'eh l err- dem F i schl eben) . In Hirschhagen wurden diese hochsauren und giftigen Ab- wasser mit Ätzkalk vermischt, um sie auf diese Weise zu neu- tralisieren. Bei diesem Vorgehen wurde der eingesetzte Ka I k als Gipsschlamm abgefiltert und auf einer Halde am Brandplatz gelagert. 4 Es kam jedoch immer wieder vqr, daß Abwässer völlig ungeklärt in die Losse gelangten, was dazu führte, da~ aus dem Bach eine Kloake wurde. "Die Losse war nach Augenzeugenberich- ten bis zum Kriegsende ein 'stinkender, braungelber Bach', dessen Wasser sämtliche (Strom- )Mühlen zersetzte und in dem keinerlei Leben mehr auszumachen war."5 Sämtliche brennbaren Rückstände aus der Sprengstoffher- stellung und -verwertung, die vernichtet werden sollten, wur- den bis zum Produktionsende auf den Brandplatz der Fabrik ge- bracht und dort, soweit möglich, verbrannt. Den Brandplatz be- grenzten zwei rechteckige Betonplatten, umgeben von hohen Erd- wällen. Südlich des Platzes lagerten die Rückstände der Ver- brennung souie alle nichtbrennbaren Abfälle der Fabrik, wobei die Rückstandshalde auf sandigem Boden, direkt im Quellgebiet des Rohrgrabens , ange legt war. e Der Brandp La t z und die Rück- standshalde sind heute überdeckt von den Schleifschlämmen aus der KunSsteinproduktion der Firma Reolit. 3 f4 Vaupel. :rlnnerungen Jr. J@it~rt. • \onlg/Schneider, 5. 73. , :~en(jc1. 3. 75 • • FQ r.cnlg/Sc~neljer. Gut3C"t~n 1?8a~ s. :! .. 51 Aber nicht nur die Umwelt war von den Giftstoffen der TNT- und Pikrin-Produktion betroffen, sondern auch die Menschen, die Sprengstoff herstellen oder verarbeiten mußten t s , dazu St3.tion 2 und 3). Deshalb dachte sich die Werksleitung eine ähnlich wirkungsvolle Maßnahme wie bei der Abwassersanierung auch für die ArbeiterInnen aus: "Sämtliche Werke nehmen an der Vitamin-Aktion der DAF (Deutsche Arbeitsfront) teil. Einmal soll durch dieses Vitamin das Auftreten von Mangelkrankheiten vermieden werden, andererseits erwarten wir durch diese Maß- nahme eine Hebung der allgemeinen Widerstandskraft und insbe- sondere in Giftbetrieben eine kompensierende Wirkung gegenüber der physiologischen Einwirkung bestimmter chemischer Stoffe. Aus diesen Gründen wird in diesen Betrieben die Verabreichung von Vitaminen laufend fortgesetzt."? Gerippe eines ehemaligen Kesselhauses. Fot~: 'Jaupel 52 NUTZUNG NACH 1945 Die Am e r i kan er leiteten 1945 ein Liquidationsverfahren ge- gen das Vermögen der DAG und der Verwertchemie ein. Dies hatte zur Folge, daß es heute keinen Re ch t sn a c hf o Lg e r f u r die V·er- wertchemie gibt, der für die entstandenen und noch immer be- stehenden Umweltschäden haftbar gemacht werden könnte. Die größte Firma, die sich in Hirschhagen niederließ, ist das Betonsteinwerk Reolit. Bei der Produktion fallen große Mengen von Schleifschlämmen und Betonmilch an. Reolit erhielt die \}enehmigung, ihre Schleifschlämme in das alte Kanalisa- tionssystem zu pumpen und den Brandplatz sowie die Rück- standshalde zu überspülen. Dies geschah in der Hoffnung, daß die Schleifschlämtne die Rückstände aus der Sprengstoffproduk- tion neutralisieren und ein Eindringen der Schadstoffe in das Grundwasser verhindern könnte. Hirsch11agens versteckte Lage begun s t i g t e die Ansiedelung von umweltbeeinträchtigenden Industriebetrieben, wie die Firma Rühl-Chemie, die wegen Umweltverschmtltzung stillgelegt wurde und die Waggon-Verwertungsfirma Trapp, die bis Ende 1984 Eisenbahnwaggons unter freiem.Himmel verbrannte. 8 Hinweisschild auf das Industriegebiet Hirschhagen an der Abzweigung von der Bundesstr~e 7 in Fürstenhagen. Fota: eUKO"5~.i 8 \~OnlglSchnelaer. S. 16bff. 53 Viele Bewohner Hirschhagens, die ehemalige Werksgebaude zu Wohnhäusern umnutzten, schätzen besonders die Ruhe und die durchgrünte Lage. Für die wenigen Kinder ist das frühere Werksgelände der Sp r e ng s t o f f ab r Lk ein g r oß e r Abenteuerspiel- platz, auf dem sie gelernt haben, mit den täglichen Gefahren zu leben und umzugehen. Das heutige Hessisch Lichtenauer Industriegebiet Hirschha- gen 1 i egt in einem Tr in kwasse rsc hu t z g eb ie t . Bere i ts ä m Jahr 1967 konnten erstmals geringe Hengen von Nitrokörpern aus der Sprengstoffproduktion im Trinkwasser des Brunnens Hirschhagen 111 nachgewiesen werden. Dieser Brunnen mußte 1973 geschlossen werden, da das Wasser zu stark mit Nitrokörpern verunreinigt war. a ~ Auf die Giftrückstände in Hirschhagen waren die Behörden bereits 1963 aufmerksam gemacht worden, als ein Hund in eines der offenen Absetzbecken fiel und an Vergiftung starb. Seit 1964 veranlaßten die Behörden regelmäßige Untersuchungen der Trinkwasserbrunnen Hirschhagen 1-111. 1 0 Es dauerte jedoch bis 1977 bevor man dieses Becken räumen ließ. In der Ziwischenzeit konnten sich Schadstoffe weiter ungehindert im Grundwasser des Trinkwasserschutzgebietes Hirschhagen ausbreiten. Im Jahr 1984 sind die Behörden durch Klärbecken, das erst 1984 geräumt wurde. , :be~a~. s. ~31f~ ;.a. Sc~nela2r. S. i0f~ •• 10 5chnel~er. 3. 11. 54 Ergebnisse einer an der Gesamthochschule Kassel erstellten Di- plomarbeit aufgeschreckt worden. Die Autoren Wolfram König und Ulrich Schneider haben das Industriegebiet untersucht und durch die Publizierung ihrer Ergebnisse eine breite 6ffentli- ehe Diskussion in Gang gesetzt. Die Reaktionen gingen von "Land: Wasser"lersorgung gesichert" (HNA vom 19.6.84) bis zu der Behauptung "Sprengstoff im Kaffee" (Die Zeit vom 14.2.86). Erste Gutac hten, die den tatsäe hl ic hen San Le r ungsbed a r f er kunden so 11 ten , wu rden in Au ftrag gegeben.].]. In einem der Gutachten heißt es: "Eine Sanierung kann immer nur der Versuch sein, das Neueindringen von Schadstoffen in den tieferen Un- tergrund, also in das Hauptgrundwasserstockwerk zu verhindern. Es wird nicht möglich sein, die bereits im Grundwasser befind- lichen, und sich über e t wa 15 Quadratkilometer ausgebreiteten Schadstoffe zu entfernen. Dies muß der natürlichen Grundwas- sererneuerung überlassen bleiben. ... Brunnen, die das Gebiet entwässern, müßten 220 m tief sein. Diese Brunnen würden eine von oben eindringende Verunreinigung abfangen und langfristig zu einer Sanierung führen. Die Konsequenz wäre allerdings, daß die Brunnen für lange Zeit (die nächsten 20 bis 30 Jahre, möglicherweise länger) betrieben werden müßt:en."J.2 Das be- deutet, daß bis zum Jahr 2000 die Sanierung des Grund~assers noch nicht abgeschlossen sein wird. Andere Gutachten weisen darauf hin, daß Schadstoffe noch frei zugänglich in Bunkern lagern, das gesamte Kanalsystem der ehemaligen Spr~ngstoffabrik soll durch die Rückstände aus der Produktion in fester und, gelöster Form kontaminiert sein. 13 Außerdem führen Teile des Kanalsystems ständig kontaminiertes Wasser aus dem Bereich der TNT-Herstellung in Richtung Kühl- teich/ Hirschhagener Teiche ab. 1 4 Voraussichtlich werden die größten Probleme bei der Sa- n ierung des Brandp latzes und der Rüc kstandshalde au f tauc hen J da diese unter der bis zu 12 m dicken Schicht von Schleir- schlämmen der Fa. Reolit liegen. Uber Kosten und Dauer einer Sanierung gibt es bisher keine klaren Aussagen. So meint der Leiter der Abteilung Wirtschaft und Technik beim RP in Kassel, Rudolf Cerny, daß eine Sanie- rung Jahrzehnte dauern werde und einen Kostenumfang von bis zu 100 Mio DM erreichen könnte.1~ Eine Studie, die im Auftrag des Hess ischen Hin ister iums für Umwe 1 t und Reaktors ic her he i t er- stellt wurde, nennt die Summe von mindestens 70 Hillonen. Al- lein zur Grundwasserüberwachung und zur Erkundung von Alt- lasten hat das Land se i t 1984 schon 2,5 Mio DM ausgegeben. 18 "Die durch die ehem. Rüstungsfabrik Hessisch Lichtenau her- vorgerufenen Umweltschäden haben die öffentliche Hand bislang rund 23 Hio. Hark gekostet." Erst die breite öffentliche Diskussion über Hirschhagen in den letzten Jahren hat bewirkt, daß die Behörden zu d e r Ein- sicht gekommen sind, es liege ein Sanierungsbedarf vor. Es er- scheint symptomatisch für den gesamten Umgang mit den Hinter- lassenschaften der Nazi-Zeit, daß bis zu einer ernsthaften Auseinandersetzung 40 Jahre vergehen mußten. 11 z~ jen Untersuchungs- und 3anierungsaadnahten 1n 1irsc~hag~n ~UST.: 5c~nelder. 5. 20fT. 12 PA ~önlg/Schnelder. RalboN, aut3chten. 3. 15t. 13 HNA val 17.11.31. 14 :benda. L' nNA 101 ~9.j.38. 1. 1NA 10; :0.5.38. 55 Im Oktober 1990 wurde zwischen dem Hessischen Umweltmini- sterium und der Eigentümerin des Geländes, der Industrie-Ver- ~altungsgesellschaft m.b.H. (Rechtsnachfolgerin der rechseige- nen Montan Industriewerke G.m.b.H.), ein Vergleich geschlos- sen: Insgesamt 25 Mi llonen Mark bekommt das Land Hessen von der IVG für die Sanierung des Geländes der ehemaligen Rü- stungsfabriken in Hirschhagen und Stadtallendorf. Daß damit die zu e r va r t end en Kosten bei W,eitem nicht abgedeckt sein wer- den, ist schon jetzt abzusehen. Der eigentliche Verursacher der Umweltschäden, die Dynamit AG b zw . deren Tochterfirma Verwertchemie, haben sich juri- stisch völlig aus der Verantwortung ziehen können, da sie nach Kriegsende liquidiert wurden. Der Vergleich mit der IVG setzt das Verursac herpr in z ip, n a ch dem die Umwe 1tsünder im v o I l.en Schadensumfang herangezogen werden müßten, außer Kraft. Alle Ansprüche sind mit dem Vergleich zu Lasten der Steuerzahler und der Pr i vate igen tümer der Grundstücke abge g o 1ten. Die IVG und die Dynamit Nobel AG brauchen keinerlei Verantwortung mehr filr die Eo Lg e s o häd en der Sprengstoffproduktion in Hirschhagen zu libernehmen. 56 Von unserem RedaktioDsmit.lied Hanne. Krill Materialien Der schwarze Pilz von Hirschhagen DI. K••••I.rStaat••nwalt.chaft .rmittelt g.g.n .In Unt.rnehm.n, d•• ausrangl.rt. Eisenbahnwaggons unter freiem Himmel verbrennt t Kalet. im November Wu sich der Werbetexter wohl dabei gedacht hat. als er für ein Plakat des Städtchens Hes- sUlch-Lichtenau den hübschen Slogan vom ..mil- den RelZkllma" erfand? Die Realität kann es kaum gewesen sein, die den Mann zu dieser Bot- schaft verleitet hat. Immerhin befaßt sich inzwi- schen die Staatsanwaltschaft im nahen Kassel mrt dem ,.Reazklima",das die Gegend um die rund 14000 Einwohner zählende Klemstadt im Zonen- ra.ndpbiet anpblich für smoaep1acte Touristen aus der Großstadt so attraktiv macht. Unter dem Aktenzeichen 134 UJ. 18793/84 betreibt der Kas- seler Staatsanwalt Michael Geidies derzeit ein ..Ermittluncsverfahren wegen des dringenden Tatverdachts der unzulässigen Luftverunremi- ·lltll"' • &!A ist Dienstag, kurz vor neun Uhr. Der Ort ist noch in Nebelschwaden gehüßt. Hier, im Lichte- Dauer Ortateil Hinchhagen. nur wenige Kilome- ter vom Stadtkern entfernt, betreibt der Frank- furter Schrott-Großhincller Walter Trapp im hü- ,eligen WaJdcebiet nahe dllf Grenze zur DDR seit 13 Jah..,n eme Niederluwng mit 15 Beschäftig- ten. Einen beHeren Platz hätte der Unternehmer kaum finden kannen. Du Firmentelinde liegt ID1tten im Trinkw....reinzugsbereich der Stadt. ist aber deDDClCh .anz offiziell als Industriegebiet auapwiesen. Allzu neugierip Spaziergingttr. die sich dem Dicht umzäunten Gelände im Wald von Osten her nihern. werden von großen WatnIChll- dem ,.bremst: "Achtun. Le"enspfahr. Kein Durchcanl"', Nach allem, wu über den norieren- den Schrotthandel des Unternehmers Trapp mittlerweile so an die Öffentlichkeit .edrungen ist. md diele Warnunc durchaus erutaenom- menwerden. Eine DieseUokomoäve bucsiert sieben Eisen- bahnwagona aod du Firmenplände. WeDip Minuten zuvor hatte sich der seltsame Bummel- zu. vom Bahnhof im Lichtenauer Ortsteil Wal- burg/Hessen-Nassau aus in Bewegun. gesetzt. Auf diesem Geisterbahnhof warten noch etwa 80 weitere W8IIons auf die Verschtottun•• An dem Zug, der inzwischen auf dem Firmenaelinde in Hirschhagen im treien zum Stehen .ekomm. ist, machen sich Arbeiter zu schaffen: Sie koppeln die Lokomotive ab, hantieren mit Eimern, in de- nen sich eine dunkle Flüsai.keit befindet, und ziehen sich zurück. Qualm - zunächst in dünnen Schlieren, dann in immer dichteren Wolken - hünt den ZUI em. Wenig spiter verdunkelt ein riesiger. schwarzer Rauchpilz. eier sich erst Stun- den spitet verflüchtigen wird, den Himmel übel' dem Hirschha.ener Industriepbiet. "Waggon-VerbrennUDl"" nennen Eingeweihte dieSe ebenso simple wie umweltfeindliche Art d.. Ausachlachtens auspdienter Eisenbahn..,- IOns. Mit diesem Verfahren haben sich die Schrotthindler in früheren Zeiten. als die Aua- sicht auf schnell verdientes Geld noch allemal umweltpolitische Skrupel verdrin.en durfte. den aufwendi.en und teufen manuellen Ausbau der InneneiDri~htung erspart. DieSorge d.s Bürgerm.lst.rs Die Jnnenau=stattur-. der ReiJezugwqe~ be- steht überwie.end aua PVC und anderen Kunst- stoffen. Wenn dieM brennen. entstehen Gifte.... die schon mal.wie Chemiker wiIM", die Wirkunc von Kampf.....n entwickeln könr.en. wie sie im Ersten Weltkrieg eincesetzt wurden: ChJorgu und Phos.en zum BeispieL Bei der unkontrollier- ten Verbrennunc ist SOlar di~ Bilttuna clioxiD- ähnlicher Stoffe Dic:htauagnc:hlo.uen. Beim Ver- brennen von Polyurethan-Lacken (PU) - bevor- zugta Farbmischuna der B~sbahn - bildet sich unter anderem die für die Atmunporgade geCährliche Slausiure. daneben steipn' große Menaen Ruß in de4 HimmeL Dieser Rv.B enthält so.en&1.l.Dte aromatbche Kohlenw....rstnff•• Benzpyren W1ddeuen Nebenprodukte .twa.die als starke ~blerzeua.r.-lten. Wie groß die Gitt.toffmenae ist, die bei der Wagon-VerbrennUDI im Lic:htenauer Or'tsteü Hirschhagen fut til1ic:h frei 9'ird. zeilt eiD B1ic:k in Unterlagen d.r Bu.nd.esbahn über die ,.Ermitt- lung d.r Brand1ut bei ~iMzup"':l". Dem- nach .ehen beim Anzünd.n eines einzipn Sc:hnellzuP&U01Ul der "Baureih. lMüm-e3. repräsentativ für Reisezugwacen mit höherer Brandlast"', 1,1 Tonnen PVC und 400 KiloIramm , PU-Lade in Flammen auf. Rund eine halbe Tonne Spritzubest. der zur Scha1Uso1ieruna in jedem dieser Wagons verarbeitet wurde UDdder un- gebändigt als heimtückischer Venanacher von Lunpnkrebs gilt, wird zumindest tei1weiJe bei der Verbrennunc mit ins Freie gewirbelt. Kein Wunder also. daß die Wagon-Verbrennunc unter freiem Himmel seit Inkrafttreten da Bund..- immissionsschutzpsetzeI strikt verboten i.I't. Auch im Bundesland Heuen. Doch lerade dort. wo Sozialdemokraten mit. Unterstützun, d.r Grünen regieren und auch für die KontroUe der Umweltcesetze zustIDdic sind, sergen immer wieder amtliche Aumahmepneh- migunpn dafür. c:la8 die Oeeetze zum Schutz der Umwelt umglUlpn werden können. Eine solche Ausnahmegenehmigung kann auch die Firma Trapp vorweisen. Der Kasseler ReCierunppräsi- dent hat sie am a. Dezember Un5 unterschrieben - nicht ohne ein paar Auflacen zu machen. Die Wa,lOns. so ließ er dem Unternehmer Trapp mit- tellen, ,.dürfen nur vor 11 Uhr angezündet wer- den", Zum Entflamm.n der Wagons dürfteD "nur Hol%woUe, Holz oder Schweißbrenner'" verwen- det wvden. Stoffe wie Benzin oder Öl seien für diesen Zweck nicht erlaubt. Schließlich erteilte du K.uaeler Relierungspräsidium dem Schrott- Großhändler noch eine Anweiftng. die nicht lNf den. Grünen im hessi8chen Landtag reichllch kurios vorkommt: .Vor d.m Ausbrennen der Waaona sind alle breonbaren Stoffe außer Holz auszuräumen." Als ob sich die Firma dann nicht .leich du Anzünden der Wag,ons spaNll könnte. Mimsterialrat Bemhard Six, d.r für die Ge- werbeaufsicht zustlDdice Mann im hessi8c:hen Ministerium für Arbeit, Umwelt und Soziale.. ist auch heute noch felaente. davon überze\llt. daß im lDdustriepbiet Hirsc:hhaaen alles mit rechten Dingen zupht: .Uu lie.en keine ADbalt8punkte vor•.daß pgen die Auftacen verstoßen wird." Deren Einhaltune, versichert Sis, _.wird re••l- mißJckontl'oWert"'. So auspzeichnet, -wie du der Ministerialrat fest behauptet, kann die Kontrolle jedoch kaum funktionieren. Auch die t.ndtapgruppe der Grü&en mac inzwisehen nicht mehr daran glau- ben, dd es alleine Holz sein sou. du beim Auabrennen der E1aenbahnwaaons so ein- drueksvolle Rauchaipal. erzeuet. Im Sommer di....Jahree brach die Gruppe deshalb zur on.- besichälUbl auf und mußte verstört eine .,dicke. pechachwarze und stark nach verbranntem Kunststoff stinkende Muchfahne" beobachten, die vom ~psc.~en GeliDde .en Himmel' zoc. Teilnehmer die..r 8esichtilUJlpfahrt erinDern sic.h DOCh heute .anz pnau. daß dort EWenbahn.- wagou braDllten, die ..offe~ht1ich unter freiem Him..ne1 ancezündet und enteecen den Au11acenvor dem Anzü.n(:en Dicht auaae.chJ8dl- tel worden waND". FraDz Jakob, GI'I1Der im heui!cht-Jl LaDcttac. zog aus seiDen Beobachtunpn \llMtrzüCUCh Kouequenzen. Er zeicte -ile Firma Trapp wepn Umwe1tvene:hmutzune an. AUch im Landtq brach. ehr Abgeordnete du heikle Thema zur Sprache. Die LaDdearegi.1'UDI fr ..... der Politi- ker, ob da beim Ausbrennen der Waggona mitten iD der freien Natur und ohne die geriDpten SchuavorkebruDpn Dicht vi.lIeicht doch eiD paar liftiIe Stoffe' freigesetzt werden. die der BevöIkeI'UDl geflhrlir.h werden könnten. Auf die Antwort wartet Jakob seit mehr ala zwei Mona- ten. Seine ADfrap bitte sich der Abgeordnete spa- ren k6D.nen.Du ,laubt zumindest Bemd Aufder- heide. der 40jährip Aaistent der Ge8Chifta- führuna in der Frankfurter Trapp-Zentrale. Jo"" Schü.l1er. der Betriebsl.iter der Trapp-Nleder- 1asaunI in Hirlchhqen, hat ihn alarmiert, weil ihm die Frapn von Reportern al1mähllch auf die Nerven gincen. H.rr Jakob, Alt AuiateDt Auf- derbeicle. hitt.- nUf bei ihm nachzufrapn brau- chen. WD zu erfahre... daß bei der VOll seiDer Fir- ma praktizierten Art der Waaon-Verbl'ftllUDI' ..ungefähr.soviel Qualm entsteht, wie ihn 30 0lle- M .Kamine produzieren. Wir haben dafür die Ge- nehmiguJll der zuständigen SteUen und werden rege1mißic kontrolliert... Die Frap nach ein Autlaceii jedoch. die .iDgeha1ten werden mÜSMll, will Autsteni Aufderheide.1iebet' nicht beantwor- ten. "KeiD Kommentar'". ist fortan seine Antwort auf alle FraceIL Die ftelienm. in Wiesh8den in seit miDde- stena zwei Jahren über die VOrcÜll9 in HeuiIeh- Liehteneu im Bilde. DamaJa nimlic:h wandte sich ein KonlturNnt der nrma Trapp aus Bayern di- rekt an BundesiDnenminister Friedricll Zimmer- mat&ll mit der Bitte, die Wagon-V.rbrenn\IDI unter freiem Himmel, die in Bayern lInpt verb0- ten ist. aus GrilDdEJn .s gerechtenWe~ endlich auch in Hessen zu unterbi.nclen. -Wu ..KEINKOMMENTAR"zu FnIgeft 1ItICJ& Umwelt- aelaUlZ-Äujltlgm: Wenift 11ft Üf" WaggonW" breftnung in J:lincl&h4gen Gi/farof/e jmg••tztr _ine direJd:en EIDfluAJD6allchkeiten an~ mußte der Mbüter ~n: Vollzul UDd Kon- trolle des B",fd..immjssionuchutzpM__ lie- pn in der ZuatIDcIlckeit der eiDzelDeD 8uDdes- linder. Dennoch nahm Zimmermann den Sach- verhalt zum Anlaß. die Zusti.ncüpnBehörden in H...n auf du Problem hiDzuwei8en. ,.Ich ..- davon aus". teilte der Bonner 1Dnenminister dem TraflP-Konkurreni:en aus Bayel'll scbriftIich mit, ..daßdieM Oberpl"ilfunl inKürze erfo1et... Das war am 22.Dezember1182.Jetzt, tut zwer Jahre spit.er. kommt diese 0berprüfuDc viel- leicht doch noch in GUlI - durch du Ermitt- lunpverfahren der Kaueter Staatsanwalt8chaft. An kon.lueten Erpbnissen siDd nicht nUf die Grünen iDtereuiert. Auch Inco Geialer. der BUr- germeister von Hessilch-Lichtenau. will jetzt ..präziM KlAarheit haben über das, was da in Hirsch.hapn wirklich vor sich pht. Wir kimpfeD hier um jeden Arbeitsplatz. Aber Vorranc hat Öl ElDhaltuDI der Umweltpeet:ze UDddie Gesu.ad- Mit der 8evöUterunc". saat der CDU-Politiker. der um deD guten Ruf seiner Stadt als Auafluea- ziel für Woc:heDeDd-TouriateD \IDÄ Urlauber baDI*o 57 Dienstag. 28. Februar 19~. Nr 50 Frankfurter Rundsctlau· Seite 15 HESSEN Hessisch Lichtenau: Giftiges ErbederaltenSprengstoff-Fabrik Die Rückstande aus der PrOduktion der ehemaligen Sprengstoff-Fabnk Hil'SChhqen in Hesslscn Llentenau (Werra-Me,ßner-Krels) waren In den 60er Jahren ausemander;. scnoben und mit Sctllelfschlamm aus einem Betonsteinwerk überdeckt worden. (8tld: K6n•• Sclftne....) Seit20Jahren verseuchtes Grundwasser HESSISCH LICHTE:":Al: Unter die Rubnk .P!1asterh-Pohtik" fassen die Schweizer aB Jene Maßnahmen zusarn- men, mit denen nur Symptome kuriert, nicht aber Ursachen beseitrgt werden. Daß diese fragwurdlge Art der Politik keine Spezrahtät der Eldgen05l:len 1St. laßt sich auch 10 :"ordhesl:len belegen Seit Jahren hat man In der Stadt Hes- sisch Lichtenau und Im benachbarten Helsa (beide Werra-Meißner-Krersj er- hebliche Probleme mit der Wasserver- sorgung. weil glftlge Rückstände aus PJner wahrend des Krieges betriebenen Sprengstotf-Produktron in das Grund- wasser- gelangen. Statt das ehemalige Fabrikauonsgelande gleich gezielt nacn den GiftablaKerungen zu durchforsten, be~chränkten sich die Verantwortlichen bisher im wesentlichen darauf. neue Brunnen zu erschließen und - da auch dieses Wasser vergiftet ist - eine teure und aufwendige Filteranlage zu mstal- lieren. Daß man die Wurzel allen L1>els in den vergangenen Jahren trotz der dro- henden Gesundheitsgefährdung der Burger nicht zu fmden versuchte. hat seinen Grund; Keiner fühlte sich bisher so recht verantwortlich für das glftice, teure Erbe aus der Kriegszeit. ~fit der Geschichte der ehemaligen Sprengstotf-Fabrik und den noch heute spurbaren Folien haben Sich Wolfram Komg und Ulrich SchneIder, Studenten der Gesamthochschule Kassel (GhK), befaßt. Die Ergebnisse konnten unter Umständen mit dazu beitragen, das lei- dige Problem langfristig zu lösen: Sie haben alte Lagepläne und anderes Matenal zusammengetragen. den Pro- duktionsablaut rekonstruiert und an- hand von Fotos zu belegen versucht. wo auch heute noch Giftstoffe lagern oder lagern konnten. 1m Auftrag des Oberkommandos des Heeres hatte die Dynamit AG 10 den Jahren 1936 brs 1938 10 Hirschhagen - heute Stadtteil von Hessisen Lichtenau - erne Sprengstotf-Fabnk bauen las- sen. Das rund 200 Hektar groüe Wald ge- biet auf einer Anhohe, rm Westen durch rl~s Lossetal. rm Osten durch das Her- aesbachtal begrenzt. bot gute Tarnmoa- hebketten und ausreichenden Platz tur Hunderte von Gebäuden. Bunker. Pro- duknons- und Abtlillhaller.. Spreng- stoff- und Säurelager, Kläranlagen. Werkstätten, Versorgungsanlagen. Neben Dienstverptlichteten und .,Frelwilligen" wurden In dieser Fabrik später auch Kriegsgef.lngene und Zwangsarbeiter eingesetzt. Dort mußten auch Jene jüdischen Frauen arbeiten. die - wie die FR am 16. Februar dieses .lahres berichtete - aus dem Konzen- trauonstager Buchenwald nach Hessisch Lichtertau verlegt worden waren. Lance Zeit waren die bel der Produk- tion des Sprengstoffes .,Trinitrotoluol" dntallenden Abwässer ungeklärt in die Losse geleitet worden. Oie festen Rück- ..tände. ebenfalls mit hochglttigen Che- mikalien durchsetzt. wurden semerzen auf einer Halde am nördlichen Rand des Geländes gelagert. 1945. als die Amerikaner sämtliche Werkanlagen demontierten und teil- weise sprengten. wurden vermutlich auch größere Mengen ~ifti:;er Chermka- l:en unter den Tnimmern begraben. 1951 libernahm die bundeseigene In- rltlstrieverwaltungs-Gesellsdlaft (IVGl das Gelände samt der rund 200 ver- bhebenen Gebäude. Während diese von der IVG m den ersten Jahren nur ver- mietet wurden. ist der ~roßte Teil in- ZWischen verkauft worden. Verschiedene Industrle- und Gewer- hf'betnebe haben sich seither in Hirsdl- hagen mit insgesamt rund 600 Arbeits- platzen angeSiedelt. und ZWischen den Fabrikgebäuden, Tt'Ümmerresten· und Ruinen, befinden sldl sogar Wohnhäu- ser: UmJtebaute Bunker, zum Teil noch mit gras- oder baumbewachsenen Dächern - ein ..richtiger'" Abenteuer- ~plelplatz tür die rund 30 dort lebenden Kinder, keinesfalls jedoch em ungefihr- licher. Schon Anfan~ der 60er Jahr wurden PTStmalsSpuren von .,Nitrotoluol-Verbin- riun~en" im Trlnkwas!'er entdeckt. Als in den Foliejahren die Werte stetig an- stiegen, sah man Sich .n Hessisch Lieh- tenau Anfang der 70er Jahre gezwun- gen. dreI Brunnen stillzulegen. Diese Brunnen rund einen Kilometer vom In- dustriegebiet entfernt am Fuße der An- höhe gelegen hatten die Hessisc:h Lieh- tenauer bis dahin mit Trinkwasser ver- sorgt. Vier neue Brunnen wurden gebohrt - srenernensbalber 10 noch größerer Entfernung und zudem Jenseits der Lose. Die Hoffnung, damit Wieder eID- wandfreies Wasser zu haben. erfü!lte Sich trotz der hohen Aufwendungen nicht. Im "neuen" Wasser landen SIch ebentaU.. Nitrotoluol-Verbindungen - Schadstoffe, denen die Gutachter krebs- erregende Wirkung zuscnreicen. EJ !ei nicht ..smnvoU". erklärte auch das Bundesgesundheitsamt, auf dieses Grundwasser zuruckzugrerfen, denn dle Nftrokorper-Verbmdungen soien deut- lich überschntten. Die Gutachter hatten glelC'hwohl eine Losung parat: Mit einer Aktivkohleülter-Antage. so be~chetnlgte das Hygrene-Jnsntut Gelsenkirchen. sei es Wieder mogheh...ein geeignetes. ce- Von den Bunkern der ehemaligen Sprang- stoff-Fab"k wurden auch elftlge zu Wohn- "'ausern umgebaut. (8I1d: Fett) sundheuüch unbedenxncbes Trinkwas- ser anzubieten", Unter diesen Voraus- setzungen stimmte auch das Bundesge- sundheltsamt zu, das \Vasser "ois auf weiteres" zu verwenden - obwohl ..aus umwelthYliemschen Grunden das Roh- wasser in 3emer derzeItigen Beschaffen- heit für eme TrmkwaiServersorgung eigentlich mcht getngnet ist " Rund 5.5 Millionen Mark hat die Stadt Hessisch Lichtenau bis heute für die Er- satzwa8ser-Versorgung zahlen müssen. ohne die Kosten für die ständigen Kon- trollen und die Auswechslung der Fil- ter: Monatlich z~hen 2000 und 3000 Mark müsse die Stadt dafür zahlen. sagt Bürgermeister Ingo Geisler. Diese finanziellen Aufwendungen machen sich auch beun Wasserprels be- merkbar. Wenn c;iie Lichtenauer heute ihren Wasserhahn aufdrehen. müssen :ue tlir jeden Kubllaneter des elgentlich mcht zum Trlnken ceelaneten Wassers drel Mark bezahlen. Viele der rund 6000 Einwohner im be- nachbarten Heba werden wohl oder ubel noch eine Zeitlanl verunrelnlgtes Wasser akzeptieren müssen: Drei Brun- nen der Gemeinde sind durch Nitroto- luol-Verbindunlen verunreinilt. und auch sie müssen stillge1elt werden. be- stätIgt Bürgermetstee Ludwi. Dann. Für neue Quellen und Leitungen. aus denen erl)L im Sommer wieder relnes Wasser laufen wird. hat die Gemeinde schon über eine Million Mark zahlen müssen. Daß man von der eidcenössigen ~t.ethode der Symptomkuriererei bisher schon einmat ablewicben ist. mal letzt- lich einem Hund zu verdanken sein: Er war m ein altes Sammelbecken auf dem Gelände der Fabrik cefallen und dar- aufhin verendeL Es veclUllen dann Immer noch eir. paar Jahre. bIS - li7'1 - die liftlge Brühe aus dem Becken In ~ine Sondennull-DeJ)t'nle transporuert wurde. Die Kosten dafür - l"'Jnd 325000 Mark - übernahm zunächst emmal das Land Hessen. Wie es scheint. wird man in dieser HinSicht jetzt - annahernd 20 Jahre nach Bekanntwerden des Problems - ein zweites Mal aktiv: Vier weitere Bek- ken sollen leereepumpt werden. besta- ngten sowohl Jas Wiesbadener Umwelt- nurustertum als auch das Kasseler Reglerunispräsidium. Zwar sei der In- halt dieser Becken weitaus weniger 1"!1it Schacbtotfen durehsetzt als der im er- sten Becken. lIeichwob! sollen die Rückstande - vonor&llch - In eIne Sot\dermull-Depome transportien wer- den .• Ein krttlscher Berelch ist nach An- Sicht der GhK.-Stucienten auch die ehe- maliae Ruckstandshalde der Sprenl- stotf-Fabnk. Ahnlicbe VermutUDIen hegen auch die Behörden. aber - 10 nieil es bisher - die alten Ablacerunlen seien 10 den 60er Jahren auseinanderge- scn.ben und mit dem Schleilscblamm einer dort an.säui&en Betonstein-Ftrma überdec:kt worden. Das von den Studenten zusammenge- tragene Material - und hier vor allem die Luftaufnahmen - scbeinen die These von den nicht autfindbaren Rückständen zu widerlegen: Der Ver- gleich zwischen alten und neueren Fotos läßt die Annahme zu. daß sicb unter dem Schleifschlamm auch heute noch die alte Halde befindet - eine Inlorma- non, die den zuständilen Stellen neu war. Während die Zeche zunächst vom Land Hessen, von Helsa und Hessisch Lichtenau gezahlt worden ist. scheint jetzt auch die Industrieverwaltungsge- sellschaft (IVG) - gewIssermaßen als Rechtsnachfolgerin der Sprenastof!- Firma - zur Kasse lebeten zu werden. Nach langen. zähen Auseinandersetzun- gen um die rechtliche Situation hat sich die bundeseigene Gesellschaft jetzt laut ümweltministerium bereit erklärt. sowohl die Kosten für die Räumung des ersten Beckens zu libernehmen als auch tür die Entsorgung der vier anderen Becken aufzukommen. Geschätzte Kosten dieser •Vorsorgemaßnahme" : rund elr~Million Mark. Außerdem Wird mit der IVG über eme Beteiligung an den Kosten für die Erschließung neuer Brunnen und den Bau neuer Leitungen verhandelt. "Wir werden ~o lange kampfen. bis wir eine Entschadi.ung bekommen". kündi&te Bürgermeister Dann aus Hel~a an. ANNE RtEDEL 58 Frankfurter Runoscnau vom 2&.2.84 Nordhessisches Waldgebiet / Umwelt-Hypothek "Sprengstoff" aus Hirschhagen Von unserem Redaktionsmitgited Werner Keller FAST 40 JAHRE nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg~s bestimmen immer noch die Reste von Bunkern der Sprengstoffabrik das Bild in Hirschhagen. Zum Teil wurden sie für Gewerbezwecke hergerichtet, zum Teil aber auch als Wohnhäuser ausgebaut. -~---- (Foto: bf) 59 H.... Licht.neu. "Hirschha- gen" ist der Name eines ausge- dehnten Waldgebietes im Dreieck zwischen Hess. Lichte- nau, Großalmerode (Werra- Meißner-Kreis) und Helsa (Kreis Kassel) - und seit genau einem Jahr in dieser Region ein Reizwort. Nachforschungen über KZ Es war im Spätherbst 1983,als der Lehrer Dieter Vaupel aus Spangenberg (Schwalm-Eder- Kreis) seine Nachforschungen über das Außenkommando Hess. Lichtenau des Konzentra- tionslagers Buchenwald veröf- fentlichte: In den Jahren t944/ 45, so hatte er herausgefunden, waren bis zu tausend Jüdinnen aus osteuropäischen Ländern im damaligen Sprengstoffwerk in Hirschhagen als Arbeitskräfte eingesetzt. Die Berichte lösten Betroffenheit und auch Empö- rung aus. Hess. Lichtenaus Bür- germeister Ingo Geisler (CDU) fürchtete um das Ansehen sei- ner um Fremdenverkehr be- mühten Stadt (14000 Einwoh- ner). Vaupels Nachforschungen Igingen weiter - mit Unterstüt- zung der Stadt. Examensarbeit I Im Frühjahr 1984 sorgte danneine Examensarbeit mit dem be- ziehungsreichen Titel "Spreng- stoff aus Hirschhagen" für neue Schlagzeilen: Die Kasseler Di- plomanden Wolfram König und Ulrich Schneider (Gesamthoch- schule) hatten versucht, die Entstehung und Arbeitsweise der einstigen Rüstungsschmiede nachzuvollziehen. Dabei stießen sie auf eine Fülle ungelöster Umweltprobleme, die das t945/ 46 demontierte Werk der Regi- on Hess. Lichtenau/Helsa zu- rückließ. Giftige Rückstände Konkret geht es um zum Teil giftige Produktionsrückstände, die sich unter anderem bela- stend auf das Trinkwasser aus- wirken. Für die Behörden brachte die umfangreiche Ar- beit der Studenten nach eige- nem Bekunden nicht viel Neues - immerhin kam hinter die Be- mühungen um eine Sanierung des Gebietes Hirschhagen öf- fentlicher und politischer Druck. Die Parteien, vor allem auch die Grünen, nahmen sich des Themas an. Eine Bürgerin- itiative kämpft für giftfreies Trinkwasser. Eine neue Dimension erhielt das Umweltproblem Hirschha- gen, als der Rauch einer Wag- gonverbrennungsanlage die An- wohner des Gebietes zusätzlich belästigte. Der kleine Betrieb, eine Privatfirma, beseitigt aus- rangierte Waggons der Bundes- bahn. Ein riesiger, schwarzer Rauchpilz steigt öfter über Hirschhagen auf. Setzt er Gift- stoffe durch bestimmte Materia- lien frei, die verbrannt werden? Krebserregende Stoffe? Eine Frage, für die sich Ge- nehmigungsbehörden, Stadt, aber inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Kassel inter- essieren. Im Zuge eines neuen Genehmigungsverfahrens für den Betrieb wurden Befürchtun- gen laut, daß beim Verbren- nungsvorgang krebserregende Stoffe in die Umwe!t geraten könnten, die die Bevölkerung der Region gefährden. Während es die örtliche SPD bei einem Katalog kritischer Fragen beließ. wurde von den Grünen nicht lange gefackelt: Ihr Landtagsabgeordneter Franz Jakob erstattete vor einigen Wochen Strafanzeige wegen un- zulässiger Luftverunreinigung. Die Strafverfolgungsbehörden warten auf Gutachten von Fach- behörden, ehe sie eine Wertung zu dem Fall abgeben. Bürgermeister Geisler macht zwar deutlich, daß man für jeden Arbeitsplatz (das Unternehmen hat etwa 15 Beschäftigte) im Zo- nengrenzgebiet dankbar sein müsse - aber Vorrang hat auch für ihn die Einhaltung der Um- weltgesetze und die Gesundheit der Bevölkerung. Dessen ungeachtet sieht sich der Bürgermeister von Hess. Lichtenau immer wieder den bohrenden Fragen von Bürgern und politischen Gruppen im Hinblick auf die Beschaffenheit des Trinkwassers in der Stadt ausgesetzt, das mit Trinitroto- luol-Rückständen aus dem frü- heren Sprengstoffwerk Hirsch- hagen belastet ist. Allerdings wird das Wasser ständig kon- trolliert - die Belastung liegt un- ter den gesetzlichen Grenzwer- ten. Auch das Bundesgesund- heitsamt hat keine Einwände ge- gen den Genuß als Trinkwasser, fordert aber langfristig eine neue Versorgungslösung. Das Problem könnte in den 90er Jahren akut werden - viele Millionen Mark wären zur Lö- sung erforderlich. Vorerst be- müht man sich im Rathaus, die Einwohner zu beruhigen: "Auch meine Familie trinkt das Wasser seit Jahren", erklärte der Bür- germeister jüngst in einer Bür- gerversammlung. Derzeit gibt es in Hirschha- gen, das Gewerbe- und W ohn- gebiet ist und in dem Dutzende alter Bunker des Munitionswer- kes genutzt werden, umfangrei- che Untersuchungen, um weite- ren Schadstoffen auf die Spur zu kommen. Rund tausend Tonnen verseuchten Schleifschlammes werden derzeit auf der früheren Kläranlage des Werkes geholt und zur Sondermülldeponie Ho- heneggelsen (bei Hildesheim) geschafft. Aus .der Sicht der Politiker kann dies nur ein Anfang sein. \.iann die schwere Hypothek, die das "Dritte Reich U in Hess. Lichtenau zurückließ, einmal abgetragen sein wird, steht da- hin. Dienstag, 15. November 1988,Nr 267 Ein Erbe, das Generationen zu schaffen macht Nach 40 Jahren wird das Grundwasser von Rückständen der Sprengstoff-Fabrik gereinigt tFR-Bilder: Anne Riedei) brik in Hirschhagen (und StadtaJlendorf) war seinerzeit im Auftrag des Oberkom- mandos des Hee~s von der Dyn •• mit..Aktien-Geselischaft enicht.et worden - auf einem von der reichseigenen Mon-' tan Induatriewerke GmbH gekauften und an eine Tochter der Dynamit AG ver· pachteten Gelände. Der Bund lehnt jede Kostenbeteililun, ab, obwohl Gelände und Werksanl..en nach dem Krieg in seinen Besitz übergin- gen. und "der Name Montan. Industrie- wer.k~ I GmbH, •... ledigJN:p i"..l~q$,U.ie­ verwaltungslesellschaft (IVG) umgewan- delt" wurde•. heißt es in dem hessischen Altlasten-Bericht. Auf behördliche ZahlunRsbescheide hat die {VG mit Widersprüchen reagiert. In· zwischen wird vom Land Hessen. das die bisherigen Miltel vorgestreckt hat. ein Vergleich angestrebL Mit dem Ausgane dieser Verhandlungen steht oder fällt die weitere Sanierung in Hirschhacen, denn "Voraussetzung für altf! MaGnahmen" ist nach den Worten Zachs eine Einigung mit der IVG. ANNE RJEDEL gearbeitet", sagt er. Die giftigen Rück- stände müssen nach seiner Aulfassung abgetragen oder ..gesichert- werden. So wie es jetzt in den alten Kanälen gesche- he. die von SprengstoUrückstinden gerei- nigt werden sollen. ..Mittel- und langfristig"" wollen die Sa· nierungsexperten noch ..ge;ielt- kontami· nierten Boden abgraben, entseuchen und auch die brisante Hatde ..sichern": Nach den Worten Zachs wird derzeit erforscht.. ob Bakterien oder andere KJeinlebew4!-' .sen .dle unler einer 12 Meter dicken SChleifschlamm-SChicht liegenden' Sprengslorrrückstände ..abbauen" kön. nen, Diese Lösun8 wird im Re~ienangs­ präsidium gegenüber einem Abbau der Halde favorisiert. Mit dem Transport der Schadstoffe auf eine Sondermün-Deponie "würde die Gefahr nur verlagern". sagte zach. Was möglicherweise "verla.erf' wird. sind die immensen Kosten der Sanie- rune: Es wird darüber gcstritten. wer heute die Verant.wortung und damit die Finanzierung trägt. Die SprenlstoU-Fa- HIRSCHHAGEN. E~ i~t VIt'1 ,:rpredflt worden über Hirschhaeen. Uber die Spren~st.offrückslände, die d83 Grund- wasser seit mehr als 40 Jahren verseu- ehen und darüber, wie das giftige Erbe aus der ehemaligen Sprengstoff-Fabrik beselti~twerden kann. Jetzt. uber 40 Jah- re nach Krregsende, wird in Hirschhagen rmt dem BAU von Anla~en begonnen. die das belastende Grundwasser retnigen sol- len. Bis diese Arbeiten beendet sind. wird wohl noch viel verseuchtes Wasser lau- fpn: Erst im nächsten Sommer sollen die W8Sserreml~un~s-Anlagen fertiggestellt sem, und auch dann wird auf dem riesi- ~en. rund zwei Quadratkilometer ~roßen Waldareal keine Ruhe einkehren, Auf den mrttel- und langfristigen Plänen steht unter anderem noch der Abbau von verseuchtem Boden oder auch die Same- rung einer Halde. auf der - durch Schleifschlemm verdeckt - riesige Men- gen von Sprengstoff·Rückständen vermu- tet werden. Ein Ende der Sanierung ist also nicht absehbar und auch die Kosten aller Rei- nigun~s· und Sicherungsmaßnahmen können derzeit nur ~eschäizt werden: 80 bis 70 Millionen Mark sind bisher veran- schlagt, und wer d-ie Altlasten-Zeche Die stillgelegte Kläranlageder ehemaligen Sprengstoffabrik. letztlich zahlen wird. ist auch noch unge- wiß: Das Land streitet sich darüber noch mit der Industrteverwertungsgesetlschaü (tVG) all' Rechtsnachfolgerin der ehema- ligt'n Spren~sto({-Fabrik. llis zu 5000 Menschen produzierten da- ' mals dort in rund 400 Bunkern Spreng- stott, Die brisanten Abfälle dieser Pr0- duktion sind es. die nach und nach ins Grundwasser sickern und es verseuchen. Bei den angrenzenden Gemeinden schlu~ sich das direkt in den Kassen nieder: Mehrere Millionen Mark mußten sie in den ver~8ngenen Jahrzehnten schon für neue Brunnen und (als auch daraus kon- taminiertes Wasser floß) fiir aulwendige PUter- und Reinl~ungsanlagen ausgeben. Das ßund~lI;lCe~u.\dheitsamt fand die Aktivkohle-Filtration zwar kurz- und mit- ~lfristig rür ausreichend. langfristi~ sah es darin jedoch "keine befriedi~ende Basis" 1\15 (auch durch eine St\Adie der heiden ehemali~enStudentenundjp.tzi­ ~~n Architekten lind Stadtplaner Wolf- ram König und Ulrrch Schneider] die Jt:r- kennt.nis wuchs. daß die Krie~s-AIUost brisanter als angenommen ist. wurde be- schlossen. ..konsequent" an die Sache heraneugehen: Das Geländc wurde unter die l.upe genommen. die Produktionsab- läufe neehvollzogen, Boden und Wa5SE'r ge7.iclt nach Ablagen..angen untersucht. P.t- 5000 Menschen produzierten damals in rund 400 Bunkern Sprangstoll. Unser Bild zeigt .geSl- liehe mit mehr oder weniger Riltigen cherte- Res'e der Hitschhagener Fabrik. Rückständen gefüllte Becken geräumt. Bei den jetzt begonnenen Arbeiten w;rd zunächst der Untergrund ..hydrau- lisch saniert": Das mit Schadstoffen bela- stete Grundwasser 5011. so erklärt es der zuständige Abtalldezernent im Kasseler Reglerungsprasidium. Horst Zach. durch deruit errichtete Leitungen zu einer Fil- teranlaae Rcpumpt und nach der Reini· gung wieder eingeleitet werden. Die hydraulische Sanierung ist olfen- sichUich mcht die beste Lösung: Sie set ..als Soforlmaßnnhme hilfreich", heißt es :in einem jün~st vom hessrscben Um- 'weltmimstertum herausgegebenen Altla· -sten-Bencht, aber als allernigo Maßnah- me für eine Von~anierung sei sie oft nicht ausreiehend" 085 kontamierte Wasser muß so lange obgepumpt werden. \Vi~ Schadstoffe nachsickern. Und das kann nach Schätzung emes Outachters Jahrzehnte "im Zweifel über 100 Jahre dauern, Die ~eplante Grundwasser-Fll- lration reicht auch nach Ansicht Königs, der sich mit Hirschhaeen auch in offiziel· .. lern Auftro~ beschäftigte. nicht aus: tOl)omilwird nur an den Symptomen her- umgedoktert und nicht an den Ursachen Fran~furrer Runds~hau vom 15&11.98 60 Mittwoch, 24. Oktober 1990. Nr 248 HESSEN Frankfurter Rundschau ~Ieich: 25 Millionen für Sanierung von Rüstungsaltlasten HESSISCH-LICHTENAU. Der um- strittene Vergleich, wonach das Bun- desunternehmen Industrieverwer- tungsgesellschaft (IVG) für die Sanie- rung der hessischen Rüstungsalt1a- sten 25 Millionen Mark zahlen wird, schlägt hohe Wellen: Die Kritiker sprechen von einem "ungeheuerlichen Skandal", der nicht nur zu Lasten des Landes Hessen, sondern 'auch anderer Bundesländer gehe. Im Vergleich, dessen Ergebnis Um- weltminister Weimar als "deutlichen Erfolg für das Land" bewertet, sehen unter anderem die Grünen im Land- ta-g eine "Billigst-Lösung". Nicht für das Land sei das "Maximum des Mög- lichen" (Weimar) herausgeholt wor- den, sondern für die IVG. Auch der ministeriellen Feststellung. daß Hessen als erstes Bundesland eine unternehmerische Beteiligung 'in der Sanierung von Rüstungsaltlasten er- reicht habe, wird widersprochen. Die Kritiker: In einem "abgekarte- ten Spiel" mit dem Bund habe Weimar die IVG per Vergleich aus der vollen Verantwortung für die Rüstungsaltla- sten entlassen, dem Unternehmen da- mit gleichsam einen "Persilschein" ausgestellt, damit letztlich das Verur- sacher-Prinzip ausgehebelt und ande- ren Bundesländern die Durchsetzung von Ansprüchen gegen die IVG er- schwert werde. Das sehen nicht nur die Grünen im Landtag so, ähnliche Kritik hat unter anderem auch der Altlasten-Experte und Diplom-Inge- nieur Wolfram König von der Gesamt- hochschule Kassel (GhK) erhoben. Umweltminister Karl-Heinz Weimar hat den Vergleich mit der IVG Anfang dieser Woche dagegen erneut gerecht- fertigt: Die Vereinbarung sei "völlig in Ordnung", sagte Weimar in Hirschha- gen (Hessisch-Lichtenau). einem durch Rückstände von ehemals dort produziertem Sprengstoff verseuchten Gebiet. Wichtig sei ihm gewesen, "zü- gig" die erforderlichen Sanierungs- maßnahmen zu realisieren - statt jahrelang einen Rechsstreit mit der IVG zu führen. Im übrigen habe der SPD-gefül\rte "Wasserverband Losse- tal" parallel eine Vereinbarung getrof- fen, wonach das Bundesunternehmen auch nur zehn Prozent der zu erwar- tenden Kosten für die .Ersatzwasser- beschaffung" im Bereicb Hirschhagen zahlen werde. Der mit dem Land geschlossene Vergleich, der laut Weimar "zur Ver- meidung langwieriger Rechtsstreitig... keiten" unterschrieben wurde, war nach Überzeugung der Kritiker unnö- tig: Das Land hätte einen Rechtstreit mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gewonnen, sagt König. Mit dem Ver- gleich sei die Chance, das Unterneh- men nach einem womöglich (zumin- dest teilweise) gewonnenen Prozeß in voller Höhe oder jedenfalls mit weit Das Land geschädigt? mehr als 25 Millionen Mark für die Sanierung der verseuchten Grund- stücke zahlen zu lassen, "be'W\Jßt" ver.. tanworden. Statt dessen hätte das Land Hessen nach Ansicht der Grünen zusammen mit dem Land Niedersachsen und den neuen Bundesländern (in der ehemali- gen DDR gibt es ebenfalls erhebliche Altlasten aus der Rüstungsproduktion im 2. Weltkrieg) gemeinsam unter an- derem gegen die IVG vorgehen müs- sen. Insgesamt geht es dabei um viel: Bundesweit sind laut König rund 50 Standorte der chemischen Rüstungs- industrie der IVG beziehungsweise deren Vorgängerin bekannt, davon rund 20 in der Ex-DDR. Allein in Hirschhagen (Hessisch-Lichtenau) wird die Sanierung, über die sich Wei- mar jetzt informierte, voraussichtlich rund 70 Millionen Mark kosten. Dort hatten die Montan-Industriewerke (heutige IVG), von Zwangsarbeitem Sprengstoff herstellen lassen. Rück ... stände aus dieser Produktion haben das Gelände weiträumig verunreinigt. Anliegende Kommunen. deren Wasser IVG aus demSchneider dadurch verseucht wurde, haben be- reits rund 20 Millionen Mark für Fil- teranlagen und "Ersatzwasserbeschaf- fung" ausgegeben. Weitere sieben Millionen Mark sind bis jetzt in die Vorbereitung der Sa- nierungsmaßnahmen des riesigen Waldgeländes geflossen. Die Säube- rung des vergleichbaren Geländes in Stadtallendorf (siehe auch nebenste- henden Bericht) wird nach bisherigen Schätzungen 140 Millionen Mark ko- sten. Für die Sanierung beider Altla- sten wurden der IVG bereits Lei- stungsbescheide in Höhe von über 20 Millionen Mark (im wesentlichen nur für Sicherungsmaßnahmen) ins Haus geschickt. Sie sind mit dem Vergleich aufgehoben worden und damit "vom Tisch". Durch die Zahlung von 25 Millionen Mark ist die IVG nicht nur an diesen beiden Standorten "aus dem Schnei- der". Auch für die Altlastensanierung auf den IVG-Grundstücken in Kassel- Lohfelden und -Waldau sowie in L'p- pcldsberg an der ntedersächsiscben Grenze kann sie aufgrund des Ver- gleichs nicht mehr zur Kasse gebeten werden - unabhängig davon, was die Untersuchungen dort ans Tageslicht bringen werden und was die Sanie- rung kosten wird. Einen Grund dafür, daß ein solch riskanter Vergleich geschlossen wur- de. sieht der Altlasten-Experte König unter anderem in der Tatsache, daß die "militärische und strategisch be- deutsame" IVG zu 55 Prozent dem Bund gehört: Wenn das Unternehmen per Gerichtsurteil zur Erstattung sämtlicher Sanierungskosten in riessen verurteilt worden wäre, hätte daraufhin eine Flut von Ansprüchen aus anderen Bundesländern die IVG überrollt. Weimar vertritt in diesem Zusam- menhang die Ansicht, daß die Steuer- zahler in jedem Fall belastet würden - indirekt, weil die IVG schließlich ein Bundesunternehmen sei. oder direkt, wenn (wie jetzt) öffentliche Mittel für die Sanierung bereitgestellt werden müssen. Wieviel Geld die Sa- nierung auch immer kosten wird: Von der IVG wird in Hessen niemand wei- teres Geld verlangen können: Mit der Zahlung von 25 Millionen wurden nicht nur sämtliche Ansprüche des Landes abgegolten. Das Land hat die IVG gleichzeitig von sämtlichen An- sprüchen der Kommunen, irgendwel- cher Verbände, .,natürlicher" und ,juristischer" Personen freigestellt, und zwar für die Vergangenheit und dieZukunfl Mehr noch: Wenn die Sanierungsko- sten ganz oder teilweise Hessen er- stattet werden oder die IVG aufgrun~ einer gesetzlichen Neuregelung als nicbt sanierungspflichtig gilt, wird das Unternehmen die Vergleichssumme sogar zurückerhalten - ohne Zinsen. Die Wiesbadener Grünen haben ge- stern angekündigt. den Vergleich aus- führlich im Landtag zu erörtern. So sollen die Landesminister erklären, warum sie "die einvernehmliche Vox:- gehensweise aus dem Jahre 1986", wo- nach der Klageweg beschritten wer- den sollte, "verlassen haben, obwohl der Klageerfolg für Hirschhagen posi- tiv beurteilt wird". Im übrigen wollen sie wissen. warum der Vergleich eine Klausel enthält, nach der das Land nicht einmal - wie sonst üblich - den Wertzuwachs "abschöpfen" kann, wenn die jetzt verseuchten Grund- stücke nach der (weitgehend mit öf- fentlichen Mitteln finanzierten) Sanie- rung an Wert gewonnen haben. Bei der Information des Haushalts- ausschusses im Landtag habe diese Klausel gefehlt, behaupten die Grü- nen. Der Passus sei offensichtlich "als besonderes Geschenk des Landes an die IVG erst in letzter Minute" aufge- nommen worden. Allein dieser "Vertu- schungsversuch" gegenüber dem Landtag zeige, so die Grünen. daß die beiden Minister die Interessen des Landes "wissentlich geschädigt ha- ben". ANNE RIEDEL 61 Geschichtliche Entwicklung 0" 1936 begann die Firma Dynamit Nobel-Actien- N Gesellschaft im Auftrage des Oberkommandos des Heeres mit dem Bau eines Sprengstoffwerkes in der Gemarkung Hirschhagen der heutigen Stadt Hessisch Lichtenau. Der Betrieb zur Herstellung von Sprengstoff stand unter der Kontrolle der Montanindustrie GmbH (Montan), die als damalige Reichsgesellschaft die Interessen des Dritten Reiches vertrat. Die fertigen Fabrik- anlagen verpachtete das Dritte Reich an die. GmbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse. einer Tochtergesellschaft der Dynamit Nobel- Acnen-Gesetlschaft. Nach nur zweijähriger Bauzeit begann 1938die Sprengstoffproduktion. Hergestellt ~urde zunächst Trinitrotoluol mit einer maximalen Tagesleistung von 81 Tonnen. Für diese Produk- tion wurden rund 9 Millionen Liter Wasser pro Tag benötigt. Das Abfüllen des Sprengstoffes in Granaten, Bomben und Tellerminen gehörte zu den gefähr- lichsten Arbeiten im Werk. Von daher geschah dies in zwei voneinander getrennt gelegenen Füllstationen. Zwischen April 1943 und März 1945 kam es hier zu insgesamt vier Explosionen. Ab 1939 produzierte das Sprengstoffwerk. auch " Trinitrophenol (Pikrinsäure) mit einer Spitzenlei- stung von 2.075Tonnen pro Jahr. Dieser Spreng- stoff diente als Treibmittel für Geschosse und Gewehrmunition Die bei der Sprengstoffherstellung anfallenden Abfallsäuren wurden ab 1940 in einer Denitrie- rungs- und Konzentrationsanlage aufbereitet.~um bei den sich verschlechternden Transportbedin- gungen den mangelnden Rohstoff zurück- zugewinnen. Zu Beginn der Sprengstoffherstellung wurde d~n mit hochgiftigen Nitroverbindungen verunreinig- ten Abwässern keine besondere Bedeutung beigemessen. Diese gelangte.n zunächst in die. Losse und später über eine eigene A~was~erl~l. tung von Hirschhagen nach Kassel direkt In die Fulda. Innerhalb des Werksgeländes war eine getrennte Abwasserableitung in mehreren Kanalsystemen erforderlich, um Explosionen durch Vermischen von Chemikalien zu vermeiden. Erst ab 1941 konnte eine Kläranlage in Betrieb geno~men werden. die vorwiegend mit Hilfe von Ätzkalk die Abwässer neutralisierte. Drei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner in Hessisch Lichtenau endete die Sprengstoffpro- duktion im Jahre 1945. Die Siegermächte beschlagnahmten die Werksanlagen und unter- stellten sie der Kontrolle der amerikanischen Militärregierung. Aufderen Befehl hin begann 1946die Demontage des Werkes. Hierbei gelangten nach Berichten von Zeitzeugen die noch im Werk lagernden Chemikalien und Sprengstoffreste in den umge- benden Boden. Auch bei der Sprengung von Bunkern breiteten sich giftige Abfälle in die Umgebung aus. Diese unsachgemäße Entsorgu~g von Schadstoffen während der Demontagearbei- ten führte zu den wesentlichen Verunreinigungen des anstehenden Grundwassers im Raum Hes- sisch Lichtenau. 1949 ging die Verwaltung des Werkes durch Verordnung der Militärregierung an das Land Hessen über, Erst 1951 übernahm der Bund das Vermögen und wandelte die Firmenbezeichnung .•Montanindustriewerk" in .,Industrieverwal- tungsgesellschaft" (IVG) um. Nach Beendigung der Demontagearbeiten siedelten sich in Hirschhagen Finnen an. da hier die vollständige Erschließung eines ehemaligen Industriebetriebes genutzt werden konnte. Die IVG verwaltete das Gelände und verpachtete die Grundstücke mit den Gebäuden. 1966 begann die Privatisierung der Grundstücke. Im gleichen Jahr übereignete die IVG die Abwasseranlagen und das Straßennetz der Stadt Hessisch Lichtenau. Die EAM (Elektrizitäts-AG Mitteldeutschland) kaufte das Stromnetz des Werkes. Die Deutsche Bundesbahn übernahm 1968die vorhandenen Bahnanlagen. Die Gesamtfläche des ehemaligen Rüstungsbe- triebes betrug 233 Hektar; hiervon waren bis 1970 rd. 196 Hektar verkauft. 1963wurde man durch gezielte Probennahme und Untersuchungen auf Rückstände von der Spreng- stoffproduktion auf die heute bekannten Konta- minationen aufmerksam. In einem Betonbecken (Becken 9(4) wurde durch Zufall eine nach Marzipan riechende Flüssigkeit entdeckt. Hier- bei handelte es sich um hochkonzentrierte Trinitrotoluolschlämme. Dieses Becken erhielt ein Dach gegen das Eindringen von Oberflächen- wasser und Ausschwemmen von Schadstoffen. Östlich der ehemaligen Betriebskläranlage befindet sich eine Halde. bestehend aus Neutrali.. sationsrückständen. Diese sollte durch Abdecken mit Schleifschlamm des Kunststeinwerkes Reolit gegen ein Ausspülen von Schadstoffen in das Grundwasser gesichert werden. Trotz der genann- ten Sicherungsma8nahmen trägt nach einem Gutachten des Hessischen Landesamtes für Bodanforschung das Betonbecken und die zugeschüttete Halde zur Verunreinigung des Grundwassers bei. Das Betonbecken 904 wurde daher 19n im Auftrage des Landes Hessen und das Becken 217 durch die IVG geräumt und der Inhalt als Sondermüll auf der Deponie Hoheneggelsen beseitigt. Ab Januar 1964begann man mit der analytischen Untersuchung des Trinkwassers aus dem Brunnen Fürstenhagen I bis 111, da eine Verunreinigung der zur öffentlichen Trinkwasserversorgung im Betriebsgelände gelegenen ehemaligen Werks- brunnen befürchtet wurde. Erst 1967stellte das Chemische Institut der Universität Marburg erstmals geringe Mengen von Nitrokörpern im Trinkwasser eines Brunnens fest. Dieser mußte 1973infolge der auf6.7 #Jogll gestiegenen Nitrokör- per-Konzentration stillgelegt werden. Von da an fand man auch erstmalig Nitrokorper in den Brunnen I und Il der Gemeinde Helsa. Um die Wasserversorgung im Raum Hessisch Lichtenau dennoch sicherstellen zu können. erhielt das Wasserwerk Kirschberg 41iefbrunnen. 1974 wurden jedoch auch hier Nitrokörper im Trinkwasser festgestellt. Der neu erschlossene Trinkwasserbrunnen Weilburg ist seit 1968in Betrieb. Zur Zeit wird das Trinkwasser im Hochbehälter Mühlberg mit dem aus dem Wasserwerk Kirschenberg gewonnenen Trink- wasser gemischt. In Aktivkohlefiltern werden Restschadstoffe aus dem Trinkwasser vor Abgabe an den Verbraucher herausgefiltert. Die Neufassung der Hirschbergquelle 1984 ermöglichte ein weitgehendes Abschalten der belasteten Brunnen I und 11 der Gemeinde Helsa. Maßnahmen zur Erkundung des Bodens und des Grundwassers 1984 begann mittels Peilsondierungen im Bereich der Schleifschlammhalde die systematische Erkundung des Bodens und des Grundwassers. Aufgrund der zwischenzeitlich bekanntgeworde- nen Betriebsverhältnisse im ehernaligen.Spreng- stoffwerk muß man vermuten. daß diffuse Quellen eine permanante Grundwasserverunrei- nigung bewirken. Weiteres Indiz für diese Annahme ist die hohe Schadstoffkonzentration in dem Hangwasseraustritt am Randedes noch nicht mit Schleifschlamm gefüllten Beckens (Rote Quelle). Die Planungsgemeinschaft König! Schneidet:' erhielt den Auftrag zur systematischen Erkundung möglicher Kontaminationsstandorte und Zusammentragen von Informationen durch Sichten alter Akten und Pläne aus der Bau- und Produktionszeit. Aus dem 1986erstellten Gutach- ten geht hervor. daß eine Fülle von mutmaßlichen Kontaminationsherden vorhanden ist. Die übersichtlich aufgezeigten Lagerstätten wurden durch Einbeziehen der ehemaligen Kanalsysteme und gefvndenen Beckeninhalte weiterhin untersucht. Diese Studie und die hydrogeologi- sehen Gutachten des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung sind heute eine wesentliche Arbeitsgrundlage für gezielte Sanierungsmaßnah- -men. 19N3 entdeckte die Forstverwaltung einen weiteren Werksbrunnen (Brunnen Helsacr Tor) nördlich des Schadensgebietes. Die ursprungliehe Annahme. daß es sich um einen Schluckbrunnen zum Versenken von Abfällen handelte. konnte durch die eingehende Untersuchung mit beglei- tender Analytik widerlegt werden. Bohrprogramme Aufgrund der mit dem Brunnen HelsaerTor gewonnenen Erkenntnisse wurde auf Vorschlag des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung ein weiterer Brunnen im Rohrbachtal bis 260 m unter Gelände abgeteuft. Ein Dauerpumpversuch dieser im mittleren Buntsandstein befindlichen Brunnen ergab eine mögliche Dauerentnahme von J(JO rrr'Wasser pro Stunde Die Analytik zeigte eine Verunreinigung im Spurenbereich. Beim Abteufen des o. g. Brunnens (Rohrbach I) stellte man in eincrTiefe von rd. )0 munter Gelände ein schwebendes Grundwasserstock- werk fest. In das hier anstehende Grundwasser wurde ein zweiter Brunnen (Rohrbach 11) mit einer Teufe von 45 m unter Gelände niederge- bracht. Damit können mögliche Verunreinigun- gen im mittleren Grundwasserstockwerk erfaßt werden. Die Analytik des geförderten Wassers zeigte einen auffallend hohen Gehalt an aromati- schen Aminen (rd. 2()Jl,gll). Die Belastung mit Nitrotoluolen liegt bei rd. 2 #Jogli und ist damit als niedrig einzustufen. In dieses Grundwasserstockwerk wurden noch zwei weitere Brunnen im Bereich der Dairnler- straße abgeteuft. Das Ergebnis der durchgeführ- ten Pumpversuche liegt jedoch noch nicht vor. Zur Erkundung der von der ehemaligen Abfall- halde ausgehenden Gefahren für das Grundwas- ser wurden von 1985 bis 198622 Untersuchungs- bohrurigen maximal 25 m tief niedergebracht. um das obere Grundwasserstockwerk untersuchen zu können. Das hier anstehende Grundwasser ist mit Nitrotoluolcn stark belastet. Die auf Empfehlung des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung durchgeführten Dauerpump- Bisherige Sanierungskosten. für die das Land die Ersatzvornahme übernommen hat (Stand August 1989): 29700 515700 142900 19250U 2422(KJ 1045(X) 307xon 1226 XOO ..SOOO IU fl{)t) tll980U - Dauerpumpversuch Brunnen HelsaerTor und Rohrbach I Stromversorgung Ver- und Entsorgungsleitungen Gebäudesanierung Wasseraufbereitungsanlage Einrichtung der Förderbrunnen Kanalaufnahme und Reinigung Bodenzwischenlager Räumung Becken neben Gebäude 5{)4 Studien. Forschungsvorhaben Sonstige Maßnahmen und Unter- suchungen die notwendigen Anschlußleitungen verlegt und die Wa~T"dufbereitungsanlage installiert. Ein ehemaliger Bunker dient nach Umbau als Betriebsgebäude . Die darin aufgestellte Sanie- tungsanlage wird seit September 198<) betrieben. Parallel zu den oben genannten Maßnahmen wurde mit der Reinigung und Aufnahme der alten Kanalisation begonnen. Von den vermuteten rund 7 km langen Betriebskanälen sind ungefähr 6 km Leitung gereinigt. m-iteiner Fernsehkamera untersucht und das Ergebnis dokumentiert Diese Arbeiten sind sehr aufwendig und kostenin- tensiv. da die Schächte überwiegend mit Schleif- schlamm verfüllt sind und nur von Hand mit schwerem Atemschutzgerät und besonderer Schutzkleidung ausgeräumt werden können. Zum Aufsuchen und Freilegen der Schächte waren bereits Halden bis zu "4 m Höhe umzuset- zen. Verkehrssicherungen durch Ersatz der überwiegend fehlenden Schachtabdeckungen und Angleichen der Schächte an das umgebende Gelände notwendig geworden, Dazu kommt das Ausräumen der Kanalhaltungen . wobei der zwischenzeitlich verfestigte Schlamm mir Kanal- fräsen entfernt werden muß. Das zur Kanalreini- gung genutzte Spülwasser wird wegen der besonders hohen Kontamination einer besonde- ren Aufbereitung über Aktivkohle zugeführt. Zutage geförderte Feststoffe werden in einem dafür hergerichteten Becken zwischengelagert. 655300 313000 692300 69900 19800 500()()O 251 lOt) 26 RU() ;Zg0700 Grundwassergüteüberwachung Vorbereitungen zur Grundwasser- entnahme Rcobachtungsbrunnen im Lussetal Dauerpumpversuch Wasserwerk Kirschenberg Reinigung Becken 904 Bohr- und Brunnenbauarbeiten im Schadensgebiet - Räumung und Ausbau Brunnen HclsaerTor - Brunnen Rohrbach I - Brunnen Rohrbach 11 - Grundwassermeßstellen Schleif- schlammhalde - Grundwassermeßstel1en Daimlerstraße 427600 Summe 6 67~ ()O() Die Kosten der getrennt zu finanzierenden und abzurechnenden Ersatzwasserbeschaffungen liegen z.· Z. bei ca. 18 Millionen Mark. Der Wasserbeschaffungsverband Lossetal und die Gemeinde Helsa haben bisher Landeszuwenduogen in Höhe von insgesamt 7 189000 DM erhalten. weitere Belastung des Untergrundes durch Auswaschen bzw, Ausspülen der Schadstoffe verhindert. Das mit Nitrotoluolen belastete Wa~scrwird in einer Aufbereitungsanlage über Aktivkohle behandelt. Die Feststoffe werden zwischengelagert. bis ein geeignetes Bodensanie- rungsverfahren zur Verfügung steht. Alle über dem Sanierungsrichtwert kontaminier- ten Bodenpassagen werden aufgenommen und die Entnahmestellen durch unbelastetes Material verfüllt Durch anschließende Rekultivie- rungsarbeiten soll der frühere Zustand wieder hergestellt werden. Zur Sanierung der kontaminierten Böden werden folgende Möglichkeiten erforscht: I Mikrobielle Behandlung des Bodens Z. Thermische Behandlung des Bodens in einer mobilen hzw. stationären Sanierungsanlage Seide Verfahren sind vor Ort einsetzbar. die Entscheidung hierüber muß jedoch den For- schunas- und Entwicklungsergebnissen vorbe- halten-bleiben. Die bisher durchgeführten Bohr- und Brunnen- ausbauarbeiten sind Voraussetzung für die Sanierung der Wasse rph ase , Zur Sanierung des obertlächennahen schweben- den Grundwasserstockwerkes wurden sechs Flachbrunnen als Förderbrunncn niedergebracht. Sanierungsmaßnahmen Das unter Hirschhagen in drei Grundwasserstock- werken anstehende Grundwasser ist unterschied- lich belastet. Das oberflächennahe Grundwasser- stockwerk wird ständig durch im Boden lagernde Schadstoffe kontaminiert. Hier ist eine Reinigung in Aktivkohlefiltern und anschließende Ableitung in den Rohrbach vorgesehen. Nach Vorlage des Gutachtens über die im Jahre 1989durchgeführ- ten Untersuchungsbohrungen wird über notwen- dige Maßnahmen des mittleren Grundwasser- stockwerkes zu befinden sein. Zur Verhinderunu einer weiteren Anreicherung des Kontaminati()f;~· bereiches im Hauptgrundwasserstockwerk ist die Schaffung eines Absenktrichters unter dem Schadensgebiet durch kontinuierliche Grundwas- serförderung aus den Brunnen HelsaerTor und Rohrbach geplant. Das hier geförderte Was.~er kann 'infolge der niedrigen Schadstoffbelastung ohne Aufbereitung in einen Vorfluter abgeleitet werden. Die nicht als öffentliche Abwasseranlagen genutzten Kanäle. Becken und sonstige Bau- werke werden zur Zeit gereinigt und die Inhalts- stoffe schadlos entsorgt, Dadurch wird eine Sanierungsziel Ziel der Sanierungsmaßnahmen iSt die Sicherung des Standortes, so daß keine Schadstoffe durch Grundwasser in andere Bereiche ausgetragen werden. die Dekontaminierung des örtlich anstehenden Grundwassers und Bodens und die schadlose Beseitigung der in Becken und Kanälen lagernden Schadstoffe. Sanierungsrichtwerte für derartige Verunreinigun- gen sind weder in der Literatur vorhanden noch durch gesetzliche Normen. Verwaltungsvorschrif- ten oder andere allgemein anerkannte Riebtsätze vorgegeben. Zur Festlegung von Sanierungszielen in Hessisch Lichtenau-Hirschhagen hält die Wasserwinschaftsverwaltung Sanierungsricht- werte an: 10 JLgje Liter Wasser und 10 mgje Kilogramm Boden. Dieser Wert ist als Summen- wert. addiert aus den Ergebnissen der untersuch- ten Einzelsubstanzen der Nitrotoluole anzusehen, Zur Sanierung des Schadensgebietes sind fol- gende Sanierungsschritte geplant: 1 Sanierung des Grundwassers 2. Reinigung der nicht als öffentliche Abwasser- anlagen genutzten Kanäle. Becken und sonstige Bauwerke 3. Abgraben und Behandeln oder Entsorgen von kontaminiertem Boden. versuche in fünf ausgewählten Brunnen zeigte ein Ansteigen der Kontamination nach 48 bis 72 Stunden Förderzeit auf die 60fache Konzentra- tion. Nach den hier gewonnenen Erkenntnissen wurden noch weitere Brunnen südlich der Schleifschlammhalde entlang der Daimlerstraße abgeteuft. Die detailliert durchgeführten Grundwasserer- kundungen haben gezeigt. daß zur Sicherung " gegen ein Abströmen von kontaminiertem Grundwasser aus dem Bereich des ehemaligen Sprengstoffwerkes mit den Brunnen Helsaer Tor und Rohrbach ein Absenktrichter unter dem gesamten Werksgetände hergestellt werden kann. Die notwendigen Vorarbeiten für diese Siehe- rungsmaßnahmen werden zur 'Zeit ausgeführt. Analytik Zunächst wurde das Grundwasser auf Nitrokör- per als maßgeblichen Summenparameter und später auch auf aromatische Amine untersucht. welche als Nachweis zur Erfassung aller aus der Sprengstoffproduktion herrührenden Rückstände angesehen werden. Die Analyse von Nitrotoluolen im Wasser ist seit längerer Zeit angewandte Praxis und wird nach entsprechender Vorbereitung unter Zuhilfe- I nahme von Eichsubstanzen in Gaschromatogra- phen durchgeführt. Für die Aufbereitung konta- minierter Bodenproben mußte noch mit erhebli- chem Aufwand ein Verfahren entwickelt werden. welches der gesamten Bodenuntersuchung gerecht wird, Toxikologie 1967 hat die Philipps-Universität Murburg geäußert. daß die im Wasser festgestellten Nitrokörper von< 0.1 ~gli ohne Einfluß auf die Brauchbarkeit des Wassers sind. Das Wasser könne daher ohne Bedenken für den menschli- chen Gebrauch verwendet werden. Ein Gutach- ten des Hygiene-Instituts Gelsenkirchen legt einen Gehalt an Nitrokörpern von maximal51Lg/1 (j'\ als Grenzwert bei dauernder Aufnahme für w Menschen aller Altersklassen fest. Eine ähnlich lautende gutachterliehe Äußerung des Bundesge- sundheitsamtes liegt vor. Hierin wird zusätzlich eine mittelfristige Aufbereitung des Trinkwassers über Aktivkohle und langfristig die Umstellung auf unbelastetes Rohwasser vorgeschlagen, Deutscher Bundestag 11.Wahlperiode Drucksache 11/4261 22. 03.89 Drucksache 11/4261 Deutscher Bundestag - 11 Wahlppnode Wir fragen die Bundesregierung: 1. Eriassungsstand 1.1 Welche Rüstungsaltlasten im Sinne der Vorbemerkung Sind der Bundesregierung bisher bekannt? chung u. a. mit krebserregenden Stoffen geführt. Aufgrund der weitgehend standardisierten Herstellungs- und FertIgungsmetho- den. der Betriebsbedingungen und der Nachknegsdemontage der Werke der chemischen Rüstungsindustne und der Muninonsan- stalten muß an allen betreffenden Standorten mit ähnlichen Umweltproblemen gerechnet weden. Eine besondere Tragweite bekommt des Problem der Rüstungsaltlasten durch die Tatsache, daß nach dem Krieg auf verschiedenen Flächen chemischer Rüstungsanlagen nicht nur Wohnsiedlungen. sondern ganze Stadtteile errichtet worden sind. Der Begriff .Rüstungsaltlasten· bezieht sich in diesem Zusarn- -menhanq nicht nur auf stillgelegte Bemebsflächen. sondern aus- drücklich auch auf traditionelle Rüstungsstandorte. die bis zum heutigen Tag von der chemischen Rüstungsindustrie genutzt wer- den (z. B. Leverkusen-Schlebusch oder Burbach-Würgendorf bzw. Aschau/lnn), da eine Sicherung und Sanierung der verbliebenen Rückstände vor Wiederinbetriebnahme der Werke rucht erfolgt ist und auch die Nachkriegsproduktion von Kampfmitteln zur Um- weltverseuchung geführt hat. Eine Vielzahl der Standorte chemischer Rüstungsproduktion befand sich über staatseigene Firmen im Besitz des ehemaligen Deutschen Reiches. Diese sind nach dem Krieg in das Eigentum der bundeseigenen •Industrie-Verwaltungsgesellschaft• (IVG) übergegangen, die 1986 teilprivatisiert worden ist. Sacttgebet 2129 Große Anfrage der Abgeordneten Frau Garbe, Frau Hensel, Frau Teubner, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN (Auszug) Gefährdung von Mensch und Umwelt durch kontaminierte Standorte der chemischen Rüstungsproduktion (Rüstungsaltlasten) Als Rüstungsaltlasten werden flächen der chemischen Rüstunqs- -produktion bzw. Munitionslagerungsstätten bezeichnet, die wahr- scheinlich oder nachgewiesenermaßen mit Kampfmitteln. wie Sprengstoffen, Pulver, Kampfstoffen, Brand- und Nebelstoffen sowie mit deren Vor- und Abfallprodukten verseucht sind. Welche Gefahren für Mensch und Umwelt nicht nur von Blind- gängern, sondern insbesondere auch von den chemischen Hinter- lassenschaften der Rüstungsproduktion ausgehen, ist erstmalig Ende der 70er Jahre im Zusammenhang mit dem Skandal um die Chemiefirma Stoltzenberg (Hamburg) bundesweit öffentlich ge- worden. Die daraufhin ergriffenen Maßnahmen des Bundes und der Länder konzentrierten sich jedoch allein auf die Erfassung des akuten Gefährdungspotentials durch chemische Kampfstoffe (Nervengase). Die Erhebungen erfolgten in erster Linie durch das Bundesarchiv und die Kampfmittelbeseitigungsdienste der Län- der. Mittelbare Gefahren, wie Boden- und Grundwasserverseu- chungen infolge der Herstellung, Verarbeitung und un- sachgemäßen Beseitigung aller übrigen Kampfmittel sowie deren Ausgangsstoffe. blieben dabei weitgehend unbenicksichtlgt. Die zuständigen Kampfmittelbeseitigungsdienste der Länder beschränken sich auch weiterhin ausnahmslos auf das Aufsuchen. Bergen und Verruchten von Explosivstoffen. Es ist weder ihre Aufgabe noch sind sie fachlich und .dusstattungsmäßig in der Lage, Boden- und Grundwasserkontaminationen durch chemi- sche Rückstände aus der Kamplmittelproduktion zu ermitteln. Die Ergebnisse einer umfassenden Gefährdungsabschätzung für das ehemalige Sprengstoffwerk Hessisch Lichtenau-Hirschhagen in 1986/87 verdeutlichten, welche bis dahin weitgehend unbekan- ten Gefahren für die Umwelt von derartigen Rüstungsaltlasten ausgehen. Neben chemischen Rückständen in alten Produk- tionsanlagen. Kanalsystemen und im Boden des Werksgelän- des, haben insbesondere ungesicherte Abfallablagerungen der Sprengstoffabrik zu einer weiträumigen Grundwasserverseu- 1.8 1.12 114 Wie werden die Standorte heute genutzt? Welche wprden ganz oder teilweise bewohnt. welche für militarische und welche für industrielle/gewerbliche Zwecke genutzt? Welche der letztgenannten Standorte werden für atomwirt- schaftliche Zwecke genutzt? An welchen Standorten sind Boden- und/oder Grundwasser- verunreinigungen mit Rückständen aus der KampfmIttelpro- duktion, -abfüllung und -lagerung bzw der müttanschen Nutzung festgestellt worden? Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß das Tochtenmtemehmen der IVG. die Industrieanlagen- Betriebsgesellschaft (IABG), Gutachten über das Gefähr- dungspotential von IVG-eigenen Rüstungsaltlasten erstellt? Drucksache 11/4261 Deutscher Bundestag - 11 WcthlJWriodt· Drucksache 11/4261 Deutscher Bundestag - tl WdhlpPflOdt' 2. Gelähidungspotential dei Rüstungsaltlasten 2.1 Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Gefährdungspotentiale der spezifischen Stoffe -aus der chemischen Kampfmittelproduktion. ·abfüllung und -lage- rung für Mensch und Umwelt vor? 2.3 An welchen dieser Standorte befinden sich auf oder in der Nähe des (ehemaligen) Werksgeländes Trinkwassergewin- nungsanlagen? 2.7 Kann die Bundesregierung eine direkte Gefährdung der Bewohner/innen ehemaliger Rüstungsaltlasten, wie z, B. in Stadtaliendorf, Espelkamp, Geretsried, Waldkralburg, Geesthacht, Hessisch-Lichtenau. Saarbrücken, Leverkusen. Hannover u. a. ausschließen? 2.8 An welchen bewohnten, kontaminierten Standorten sind bisher epidemologische Untersuchungen durchgeführt wor- den? Welche Krankheitsbilder treten aufgrund welcher Schadstoffbelastungen vermehrt auf? 3. Finanzierung/Recht In der Vergangenheit hat die Bundesregierung im Zuge der Beantwortung mehrerer Kleiner Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN zum Problembereich Rüstungsaltlasten (Druck- sachen 10/1251, 10/2209 und 11/775) sowohl eine Zustän- digkeit als irgendeine Mitverantwortung für die Untersu- chung und Sanierung der Rüstungsaltlasten verneint. Inzwischen wird langsam das ganze Ausmaß der Umwelt- verseuchung durch Rüstungsaltlasten offenkundig, wobei kein Bundesland von diesem Problem verschont bleibt. Gleichzeitig befindet sich eine Vielzahl dieser Standorte direkt im Besitz des Bundes (wie z. B. Kasernen- oder mili- tärische Übungsgelände) bzw. gehören der lndustrie-Ver- waltungsgesellschaft (lVG). die mehrheitlich im Besitz des Bundes ist (55 Prozent Bundesanteil). Der Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V schätzt allein die Untersuchunqs- und Sanierungskosten für die sich noch im IVG- Eigentum befindlichen Standorte auf 2 Milliarden DM. 3.1 Wie hoch schätzt dir Bundesregierung den Finanzbedarf für die Erkundung und Sanierung a) aller Rüstungsaltlasten. b} der Rüstungsaltlasten, die sich direkt im Eigentum des Bundes befinden, c) der Rüstungsaltlasten, die der IVG gehören? 3.3 Welche Rüstunqsaltlasten der Montan-Industriewerke GmbH (ab 1951 IVG) sind bislang ganz oder teilweise a) an die öffentliche Hand, b) an1Jntemehmen der chemischen Industne, c) an privat veräußert worden? 3.5 Im Auftrag der hessischen Landesregierung wurde 1986 von Prof. Dr. B. B. (München) ein Rechtsgutachten zur Rüstunqs- altlast Hessisch Uchtenau-Hirschhagen erstellt. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Gutachters, daß die IVG nicht nur als Zustendsstörer Iür die noch m ihrem Besitz befindlichen Flächen verantwortlich ist. son- dern auch für die inzwischen veräußerten Rnstunqsaltlasten als Handlungsstörer herangezogen werden kann? Wenn nein. warum nicht? 4. Entschädigung von Zwangsarbeitern/innen Allein die reichseigene Montan-Industriewerke GmbH (ab 1951 IVG) besaß am Ende des Zweiten Weltkrieges rd. 120 Rüstungswerke und hatte ein Anlagevennögen in Größe des IG-Farben-Komplexes. Für den Aufbau und den Be- trieb dieser Rüstungsfabriken wurden Zehntausende von Zwangsarbeitemlinnen eingesetzt. Tausende von ihnen starben bzw.leiden noch heute an den Gesundheitsschäden durch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Oie IVG hat bis heute noch keinerlei Entschädigung an die Uber- lebenden und Hinterbliebenen der Zwanqserbeiter/mnen gezahlt. 4.1 Wie hoch ist die Zahl der Überlebenden und Hinterbliebe- nen der in den Montan-Industriewerken GmbH einqesetz- ten Zwangsarbeiterlinnen? 4.2 Ist die Bundesregierung bereit. ihre Mitverantwortung Iur die Entschädigung der unmenschlichen Behandlung von Zwangsarbeitemlinnen in den Montanbetrieben anzuer- kennen? 4.3 Ist die Bundesregierung bereit. ihre Mehrheitsbeteiliqunq an der IVG zu nutzen. um auf den Vorstand dahin gehend einzuwirken, daß endlich angemessene Entschädiqunqslei- stungen bereitgestellt werden? 4.4. Welche Entschädigungsleistungen sind nach Auffassung der Bundesregierung für die ehemaligen Zwanqsarberter/mnen der Montan-Industriewerke GmbH aufzubringen? Bonn, den 22. März 1989 Frau Garbe Frau Hensel Frau Teubner Dr. UppeU (HanDover••Frau Oesterle-Scbwerin, Frau Dr. Vollmer und Fraktion STANDORTE EHEMALIGER RÜSTUNGFABRIKEN Land Standort frühere Eiqentümer frühere Betreiber heutige Nutzung Baden- Württemberg Bretzfeld/Adolzfurt keine Angaben Fa. Dynamit-Nobel AG industriell/gewerblich Cleebronn keine Angaben Fa, Dynamit-Nobel AG industriell/gewerblich Karlsruhe keine Angaben Fa. Dynamit Nobel AG und Wohnbebauung und Industriewerke Karlsruhe- gewerbliche Nutzung Augsburg Mannheim keine Angaben Fa. Rheinische Gummi- und industriell/gewerblich Celluloid-Fabrik Markdorf keine Angaben keine Angaben keine Angaben Rheinfelden keine Angaben ca. 1920-1930: industrieUJgewerblich Elektrochemische \Verke RheinfeIden bis 1952: IG-Farben Industrie AG Rottweil keine Angaben 1850-1890: Duttenhofer industrielUgewerblich Pulvermühle 1890-1926: Köln-Rottweiler Pulverfabriken 1926-1945: IG Farben Industrie AG Ulm keine Angaben nicht bekannt z.T.VVohnbebauung Ehern. Muna Deutsches Reich Deutsches Reich Bundeswehr (Truppenun- Haid/Engstingen terkunft, Standortübungs- platz und -schießanlage, Standort-Munitionsnieder- lage) Ehern. Muna Deutsches Reich Deutsches Reich Bundeswehr (Munitions- Urlau/Leutkirch depot Urlau) Ehern. Muna Deutsches Reich Deutsches Reich Bundeswehr (Gerätedepot Siegelsbach Siegelsbach - Kleine Fläche) und US-Slreitkräfte (VLM- US Siegelsbach-Restfläche) Ehern. Muna Deutsches Reich Deutsches Reich US-Streitkräfte Kupfer/Untermünkheim Ehern. Muna Freiherr von Gemmingen bis ca. 1939/40: Deutsches Bundeswehr Neckarzimmern (an Deutsches Reich Reich (Mun.lager) verpachtet) ab 1940: Fa. SKF (Herstellung von Kugellagern) (Untertageanlage (UTAH 66 Land Standort frühere Eigentümer frühere Betreiber heutige Nutzung Bayern Aschau Iv10ntanindustriewerke GmbH Gesellschaft zur Verwertung überwiegend gewerblich chemischer Erzeugnisse und industriell, wohnliche (Tochteruntemehmen Nutzung nur am Ostrand der DAG) der Werksanlage Bobingen Montanindustriewerke GmbH Gesellschaft mbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse gewerblich Ebenhausen Königlich Bayerische Pulverfabrik Reichertshofen, Montan- Industriewerke GmbH Gesellschaft zur Verwertung überwiegend gewerblich, chemischer Erzeugnisse mbH wohnliche Nutzung am (Tochterunternehmen Westrand des Werkes derDAG) Fürth-Stadeln Dynamit AG Dynamit AG überwiegend industriell -------_._--- -----------------,.------------------ Gendorf Montanindustriewerke GmbH Anorgana GmbH industriell Geretsried: Montaninduslriewerke GmbH - "Werk Wolfratshausen " - "Werk Geretsried" Montanindustriewerke GmbH Gesellschatt zur Verwertung gewerbliche Nutzung chemischer Erzeugnisse mbH sowie Wohnbebauung (Toch tergesellschqft der Dynamit AG) Deutsche Sprengchemie gewerbliche Nutzung GmbH (Tochteruntemehmen sowie Wohnbebauung der Westfälisch-Anhaltlichen- Sprengstoff AG (WASAG]) Hasloch Kaufbeuren Kraiburg (Waldkraiburg) München keine Angaben Montanindustriewerke GmbH Mon tanindustriewerke GmbH Montan-Industrie-Werke GmbH Pulverfabrik Hasloch, die zu industrielVgewerblich 60 % der Dynamit AG, zu 2S % der WASAG und zu 1S % der Ugnose..Sprengstoff AG gehörte Gesellschaft zur Verwertung gewerbliche Nutzung chemischer Erzeugnisse sowie Wohnbebauung mbl-l (Tochterunternehmen derDAG) Deutsche Sprengchemie gewerbliche Nutzung GmbH-(DSe) (Tochterunter- sowie Wohnbebauung nehmen der WASAG) Gesellschaft zur Verwertung industriell/gewerblich chemischer Erzeugnisse mbH (Tochterunternehmen derDAG) 67 Land Standort frühere Eigentümer frühere Betreiber heutige Nutzung Neumarkt i. d. Opf. sei t 1986 un terschiedliche Deutsche Pyrotechnische überwiegend gewerblich Eigentümer und Betrei- Fabriken sowie Wohnbebauung ber, in den 20er Jahren: Bayerische Sprengstoff- werke AG ab 1933:Deutsche Pyrotechnische Fabriken Werk Nürnberg keine Angaben DynamUAG städtische Dienststellen Schrobenhausen Montanindustriewerke ab 1942:Paraxol GmbH industriell GmbH (Tochtergesellschaft der Degussa) Truppenübungsplatz Deutsches Reich Reichsheer US-Übungsgelände und Straß Mob-Stp der Bundeswehr Weiden Montanindustriewerke Paraxol Gmbl-I Bundeswehr (Depot. GmbH (Tochtergesellschaft der Mietobjekt der IVG) Degussa) Land Standort frühere Eigentümer frühere Betreiber heutige Nutzung Berlin Zitadelle Spandau Deutsches Reich Heeresqasschutzleboratonum Kulturstandort der Gasschutzabteilung (Schule, Museum) im Heereswaffenamt "Lonal "-Gelände Kaiser-Wilhelm-Institut Ehern. Fa. Riedel deHaen.AG Montanindustriewerke GmbH unbekannt Fa. Riede} de Haen AG 194Q-1945:Fa.Lonal unbekannt Fa. Riedel de Haen AG industrielVgewerblich Universität industriell/gewerblich Bremen keine Angaben: siehe Antworten zu Fraqen 1.1 und 1.2 Hamburg ehern. "Chemische Fabrik ehemals Privatbesitz von Dr. Hugo Stoltzenberg" in Or. Hugo Stoltzenberg - Hamburg-Veddel und - Hamburg-Eidelstedt ehern. "Vanillin-Fabrik " Fa. Riedel de Haen AG in Hamburg-Billbrook 68 Chemische Fabrik Dr Hugo Stoltzenberg Fa. Riedel de Haen AG keine Angaben industriell Land Standort Truppenübungsplatz Höltiqbeum in Hamburg-Rahlstedt Hessen Werk Hessisch Lichtenau-Hirschhagen frühere Eigentümer Deutsches Reich Montanindustriewerke GmbH frühere Betreiber Deutsches Reich Gesellschaft mbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse heutige Nutzung Bundeswehr (Truppenübungsplatz) überwiegend gewerblich, z.T.VVohnbebauung gewerblichlz. T. Wohnbebauung Werk Stadtallendorf - \Verk Allendorf - Werk Herrenwald (WASAG-Werk) Montanindustriewerke GmbH Deutsches Reich Oberkommando Marine .Porstliskus H Gesellschaft mbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse Westfälisch-Anhaltliche teilweise Sprengstoff AG (WASAG..AG) - gewerblich VVohnbebauung Bundeswehr (Kasernen) Staatsbauamt Marburg Drucksache 11/6972 Deutscher Bundestag - 11. \Vahlperiode , S. 9{~. 69 · .. '" _....~ ..._..-- -_ ..-- .... ..-. _._- _...- .... -_..... _.- '---'-~--'~'--'-'--- .- .- - - '--' ..__.._._-_...--- --- ._.- ..._-_. '-"- - ... ..- .... .._-_.__.. --, \ WEITERE STATIONEN I Ei~ K~rzliberblick KOHLEHOCHBUNKER Kohlehochbunker, Gebäude 589. Er hatte eine wichtige Funktion zur Lagerung der Braunkohle. Foto: BlJkowskl Die Sprengstoffabrik hatte zwei eigene Kraftwerke, die das Werk mit Elektrizität versorgten. Es war damit von der öffent- lichen Stromversorgung vö Ll i g un ab hän g i g v v Zur Erzeugung der 1 ~gl. dazu (dnlg,Schnelder, 5. 3q u. 70. 7J elektrischen Energie benötigte man große Mengen von Braunko- hle, die von den angrenzenden Zechen Hirschberg und Glimerode geliefert wurden. "Das Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Kassel gibt den Tagesbedarf am 11.01.41 mit 250 Tonnen an, am 17.12.41 sind bereits 340 Tonnen täglich nötig."2 Trotz der Nähe der Zechen kam es immer wieder zu Problemen bei der Kohleversorgung, vor allem im Jahr 1940, da zu diesem Zeitpunkt die Gleisanlagen und Verlademöglichkeiten im Werk noch nicht genügend ausgebaut waren. Zur Lösung dieses Problems entschloß man sich, einen Koh- Le ho c hbun ke r zu bauen, der durch eine Seilbahn mit der Zeche Hirschberg verbunden war. Im Jahr 1941 wurde mit dem Bau die- ses Bunkers begonnen, 1943 kenn te er in Betr ieb genommen wer- den. Der noch heute vorhandene Kohlehechbunker liegt im öst- lichen Teil des Werksgeländes und ist eines der wenigen mehr- geschossigen Gebäude. Aus Gründen der Tarnung wurqe der Kohle- hochbunker grün angestrichen. Nach Fertigstellung des Gebäudes entspannte sich die Energie- Versorgungslage der Fabrik; die Kohle wurde im Hochbunker ge- lagert und nach Bedarf mit Hilfe der Werksbahn in der Fabrik ~I e r te i 1t. 0 i e beiden Kr a f t wer ke der Fab r i k ver füg t e n j ewe i 1s tiber einen kleineren Bunker, die der Zwischenlagerung der Ko- hle dienten. In den Kühlwasserteich leitete man während der Produktionszeit Regenwasser und leicht kontaminiertes Wasser ein. Das umzäunte Gelände befindet sich heute in Privatbesitz. Foto: Bukowski 2 Ebenda, 5, 70, 71 KüHLTEICH/WASSERAUFBEREITUNG Zur Herstellung von TNT benötigte man große Mengen Wasser. Auf d e m Werksgelände wurden drei verschiedene Wasserversor- gungssysteme installiert, die auf den jeweiligen Zweck abge- stimmt waren. - Zur Versorgung der Beschäftigten mit Trinkwasser wurden fünf Tiefbrunnen entlang der Lasse angelegt. - D~s Brauchwasser entnahm man mittels zweier Vorpumpwerke dem Hergesbach und dem Wedemannsbach. 3 Ein drittes Wasserversorgungssystem bediente die Gr oß v e r> braucher im Werk. Zu diesem Zweck war im Jahr 1940 der Kühl- teich angelegt worden. In den Kühlteich leitete man Re g env a s> Wasseraufbereitungsgebäude (Nr. 520), in dem man leicht kontaminiertes Was- ser behandelte. Foto: BukoMSkl ;'5 Ebenda. S. 43. 72 ser und schwach kontaminiertes Abwasser ein. Bevor dieses Was- ser wiederverwendet wurde, behandelte man es in der Wasserauf- bereitung (Geb. Nr. 520) und pumpte es anschließend in das dritte Versorgungsnetz. Der Kühlteich dient einem in Hirschhagen ansässigen Beton- steinwerk seit Jahren als Brauchwasserteich. DENITRIERUNG Das Denitrierungsgebäude war eine Klär- bzw. Wiederaufbereitungsanlage. Bei der Sprengstoffproduktion (Ni- t r i e r un g , s. Station 2) fielen Abfallsäuren in großen Heng en an. Diese wurden in verschiedenen Gebäuden zwischengelagert .4 Ab 1940 hat man einen Teil der angefallenen Abfallsäuren wie- der denitriert. Die so recycelten Ausgangsstoffe Salpeter- und Schwefelsäure konnten dem Produktionsprozeß erneut zugeführt werden. Dabei blieben allerdings "äußerst giftige Nitrostöffe zurück. die zusammen mit ihren Umwandlungsprodukten (aromati- sche Amine) heute eine große Umweltgefahr darstellen." 5 Im Denitrierungsgebäude (Nr. 313/343) wurden Abfallsäuren wiederaufbereitet (im Vordergrund das Feuerlöschbecken). Foto: Bukowski 4 Ebenda, S. 63. , lalzow, S. 7. 73 OBERIRDISCHES ROHRLEITUNGSNETZ Das oberirdische Rohrleitungsnetz prägte das Aussehen des gesamten Werksgeländes. Etwa alle 20 Heter standen Beton- oder Stahlpfeiler, an denen bis zu zehn verschiedene Leitungen be- festigt waren. Es gab Wasserdampfleitungen mit Wärmeisolie- rung, Säureleitungen sowie Druckrohre mit aufgesch~eisten Dampfleitungen. Durch diese waren die Gebäude der TNT- Gruppe mi t e i nand e r verbunden. Der erhitzte Sprengstoffbrei durfte in den Rohren nicht erkalten, da es sonst zur Explosion kommen konnte. Um dies zu vermeiden wurden die Druckrohre durch die aufgeschweisten Dampfleitungen vorher aufgeheizt. Die Betonpfosten , an denen sich ehemals das oberirdische Rohleitungsnetz befand, sind bis heute in vielen Bereichen erhalten geblieben. Foto: Bukowski KANTINENGEBÄUDE Ab 1942 stand für die Verpflegung eine Werkskantine (Nr. 653) zur Verfügung. Während der Pausen mußten die Produktions- gebäude von allen Arbeitern(innen) verlassen werden. Sie muß- ten sich auf genau vorgeschriebenen Wegen entweder in die Kan- tine, das "Wohlfahrtsgebäude tt oder in einen ihnen zugewiesenen Aufenthaltsraum begeben. Heute wird das Kantinengebäude als Autowerkstatt genutzt. 74 I STATION 5: LAGER -----------, VEREINSHAUS I A~ße~ko~~~~do des Ko~ze~tr~tio~sl~gersB~che~~~ld Heute prinnert ein l~H:St, f.!ps~t;;:t~r '_;0d~nJ(si.pilf vor dF="r ~~ch1J)p '"-llj ,~lrls t ruhe re L8gp r Verplnsh31Js~ in dr-m .in r}r.)n .f8hr~IJI J!:141.1/llr-, f..r-lJ);-;F.ttt,f hi. (,l~·fr:.H·.~(:'He untergebrachl warPll. DAS LAGER VEREINSHAUS1 Gegen Kriegsende, als keine anderen Arbeitskräfte mehr zur Verfügung standen, kam es in der Sprengstoffabrik Hessisch Lichtenau zum Einsatz von Konzentrationslagergefangenen . Tau- send als " a rbeitseinsatzfähig" eingestufte ungarische Jüdinnen wurden aus Auschwitz Güterwaggons nach Hessisch Lichtenau transportiert. Man brachte die Frauen und Mädchen (zwischen 12 und 50 Jahren) im "Lager Vereinshaus", am Rande der Stadt, unter. Es handelte sich um ein Barackenlager, das anfänglich der Unter- bringung von Bauarbeitern diente; später wohnten außer den deutschen und ausländischen Bauarbeitern noch französische Be- triebsarbei ter im Lager. Die Be Legung war zunächst für 700 76 Personen berechnet, diese Zahl ist jedoch später erheblich überschritten worden. Im Sommer 1944 wurde ein Teil des Lagers abgetrennt und der 55 zur Unterbringung der KZ-Gefangenen zur Verfügung gestellt. Im abgetrennten Teil pferchte die 55 seit dem 1.8. 1944 zwischen 790 und 1000 ungarische Jüdinnen auf engstem Raum zusammen. Die restlichen Baracken waren bis Kriegsende hauptsächlich mit französischen Arbeitern belegt. a a u , e s ehr e 1 b u n g • Die Wohnbaracke wird auf Holz!ahl:cst errichtet. Die aufgehenden Wände der Baracke sind aus Fachwerk mit Solzblanken verschalt. Das Dach ist doppelt vers~~alt und wird mit doppelter Pappe be- legt. Die Baracke wird am Stromnetz zur L1ehtversorgung und an der Heizung angeschlossen. Alles Ubrige ergibt s1~~ auf der Zeichnung. ~ I 1 • t.'2~ -~_.. -. 4.__.-----+-- I I f . ,. I .~~.~~._-­ . I ! . I I i I " ~ !. I ..-.:" .:~ .. /. ~7.:· I . .. t ; J ,. ... ... ..: . ,.,,~ ., .... "....- •. tl! -_._•. c..u-- -.-+----._ . i I~u r Grundriß, Seitenansicht und Baubeschreibung einer Holzbaracke des Lagers Vereinshaus. Sta Heli. Bauakten Um eine "KZ-mäßige lt Unterbringung zu ermöglichen wurde der abgetrennte Teil von der 5S umgerüstet: Es wurde ein Maschen- und Stacheldrahtzaun gezogen und an den vier Ecken des umzäun- ten Lagerteils wurden Laternen aufgestellt, um das Lager bei Dunkelheit besser bewachen zu können. In dem der 55 übergebe- nen Teil befanden sich außer den Wohnbaracken (etwa 10 mal 30 m) die L~gerküche, ein Waschraum, eine Waschküche, Lage~räume für Kleider und Lebensmittel, eine Krankenbaracke und eine Ba- racke für das SS-Wachpersonal. 77 BEDINGUNGEN IM LAGER HHSSISCH LICHTENAU2 Ihre Ankunft in Hessisch Lichtenau beschreibt Esther F. so: "Vom Bahnhof aus hat uns die 55-Wachmannschaft in das KZ- Lager Hessisch Lichtenau, ich kann mich dabei an ein großes Tor erinnern, gejagt. Dies geschah nicht ohne Prügel und die Beschimpfung 'Saujude' ."3 Das Essen der Gefangenen bestand bei schwerster Arbeit meist aus Wassersuppe mit Rüben oder Weißkraut und etwas Brot. Manchmal gab es einige Kartoffelstückehen . Die Lebensmittel wurden vom KZ Buchenwald zur Verfügung g e s t e 11t , dem das Au- ßenkommando aus verwaltungstechnischen Gesichtspunkten unter- stellt war. Durch die mangelhafte Ernährung wurden die körpe- reigenen Abwehrkräfte der Frauen geschwächt, die Infektionsan- fälligkeit erhöht unq Mangelkrankheiten traten auf. Die hygienischen Verhältnisse im Lager Ve'reinshaus waren zu Anfang deutlich besser als im KZ-Auschwitz J wurden aber - verbunden mi t der totalen Uberbe Legurig des Lagers - im Laufe der Zeit immer mangelhafter. Gertrud D.: ..Am fünften Tag wur- den d i e Duschräume abgeschlossen und man sagte uns, da wir Schweine seien, würden wir sie nicht sauber genug halten und hätten deswegen überhaupt keine Duschen verdient. Die Baracken waren üb e r he ä z.t und bald hatten wir Wanzen in den Schlafsäc- ken. Schlaf wurde nahezu unmöglich. lf 4 Die Jüd innen s o h I iefen auf einfachen Ho Lzp r i tschen, jede hatte für die Nacht eine Wolldecke. Eine Dienstverpflichtete, die mit den Jüdinnen zusammenarbeitete: "Ich weiß noch, daß sie erzählten, samstags sei Waschtag. Sie mußten dann ihre ge- samt~ Bekleidung waschen, hatten aber nichts zum wechseln, weil sie nur das besaßen, was sie am Körper hatten. Deshalb wickelten sie sich in der Zeit in ihre Decken ein." 5 Die Frauen waren in Lumpen gehüllt, an ihren nackten Füßen trugen sie Holzpantinen, die sie in Auschwitz bekommen hatten. Sie wickelten sich Stoffreste oder Zeitungspapier um die Beine und nahmen ihre Schlafdecken auf dem Weg zur Arbe i t mi t, um sich gegen die Kälte zu schützen. Als die Werksleitung merkte, daß die Arbe i ts le istung der Frauen bee in träc ht igt war, t-lenn sie halb erfroren im Werk ankamen, wurden sie, so der ehema- lige Le i ter der Sozial- und Wirtschaftsabtei Lung , ..mi t einem Mantel und zwei Paar Wollstrümpfen tt a ausgestattet. "Häftlingsnummer" und Anstecker der Fabrik Hessisch Lichtenau waren zur Kennzeichnung an der Kleidung der jüdischen ZwaQgsarbeiterinnen angebracht. PA Vaupel 2 Ausf. dazu: vaüpel, 1984 J 3. 47f f ; Vaupel, 19QO, S. 87ff. 3 ?A Vaupel. Brlef Esther r,. 4 fV Jerusalel. Berlcht 6ertrud 0•• ~ PA Vauoel. Gespräch Jlt Frau A•• • PA Vaupel. Gespräch Jit Herrn F., 78 Der Neg zur Arbeit "D.as L....sger srer ve i t en tfern t vom Arbe i tspla tz ~ wir muß ten e in e :::> trecke zu Fuß gehen, da.nn den Zug nehmen und d i e l~tzte S~~ecke ~ieder marschieren. Für mioh waren diese täg- l i chen Harsclle das Fürchterlichste. Ich 11 tt da.runter mehr als unter der schwierigsten Arbeit oder dem Hunger. Im Som- mer rieselte Sand und Kieselsteine in die auf bloßem Fuß ge- t regen en Ho Lsk Lumpen ; stehenbleiben und sie schü t teln ver unmöglich, es hagelte sofort Prügel. Meine Füße ~aren andau- ernd vund . Im Win ter vsr en es der Hangel en Kleidungsstüc- ken , die Ke I t:e , die Holzschuhe ohne Strült1pfe~ in denen man bergauf-bergab rennen muß t:e, die uns peinigten. Hsn mußte darauf eoh t en , daß die Holzschuhe nicht i111 Schnee s t eoken> bl i eben, es ha.gel t e ja. Prügel, venn man stehenbl ieb. nenotuas I nahm ich die Schuhe ab und lief eher ,bloßfüßig. "7 "Ich kann mich de r sn erinnern, daß einmal sehr viel Schnee lag~ und v i r kann ten n i tunseren Holzsohlenschuhen nicht so schnell gehen) v i e es die Wachmannschaft vo l I t:e . Die SS- Hannschaft und die SS-Aufseherinnen haben uns den ganzen Weg geprügelt und beschimpft. Hit Fußtritten und Prügeln haben sie uns zur Arbeitsstelle gejagt .. und da.nn mußten v i r noch zehn Stunden lang s rbei t en . Wir haben Angst gehabt auf dem Weg eurück ins La.ger. "8 "Ich vurde in dem Augenblick.. als ich mich srsrireriä des Har- sches gebüokt be t t:e , um von mei n en Holzschuh den behindern- den angesammelten Schnee zu entfernen} durch die SS-Frau Bohle aus ganzer Kraft n i t ihrem s chsreren Stiefel in die Wirbelsäule gehackt} so daß ich liegen blieb und ~ich nicht rühren konnte, und meine Ha.ftgenossinnen hoben mich auf und halfen mir zum Betrieb zu gelangen. "9 Die Jüdinnen wurden regelmäßig von der 58-Wachmannschaft schikaniert,10 indem sie - ganz gleich bei welcher Witterung - stundenlang Appell stehen mußten, bevor sie in die Baracken en~lassen wurden. Gefangene berichten über tägliche Beschimp- fungen, Prügel und Folterungen. Esther F.: "Die 55-Wachmann- schaft zusammen mit den SS-Aufseherinnen waren Sadisten, grob und haben jeden Moment ausgenutzt uns zu foltern, prügeln und beschimpfen. Die haben einen Sport daraus gemacht, wer grober und unmenschlicher ist. ( ... ) (Sie) haben jeden Moment aus- genützt, um uns zu foltern, zu prügeln und unsere Seele totzu- schlagen. "1.1. Die Frauen hatten kahlgeschorene Köpfe. Viele waren durch den Kontakt mit den Chemikalien im Gesicht und am Körper gelb bis grün verfärbt. Tag für Tag mußten sie bis zu 12 Stunden in der Fabrik arbei t en hauptsächlich in der Füllstation (s. Station 2) und den Pressengebäuden (s. Station 3). Hinzu kam 1 Bericht ~et 1 S,~ 11. a Brief Fuchs, 24,4,34. 9 3LEA München, E-Akte aolda C" 10 Vaupel, 1984, S. 79f t ; Vaupel 1990, S. 117ff. 11 PA Vaupel. Brief Esther F•• 79 der lange Weg zum Arbeitsplatz (5 km und mehr), den sie häufig zu Fuß zurücklegen mußten. Erst nach einiger Zeit wurden sie auf einem Teil der Strecke mit einem Güterwaggon transpor- tiert. Die Lichtenauer Bevölkerung durfte zwar keinen Kontakt zu den KZ-Gefangenen aufnehmen, konnte aber täglich, wenn die Frauen schwerbewacht zu Arbeit gehen mußten, deren erbarmungs- würdigen Zustand sehen. Es sind nur wenige Beispiele für ak- tive Hilfeleistungen (Zustecken von etwas Eßbarem oder von Be- kle idungsstücken) bekann t. Meist bestanden die Reakt ionen in Nicht-Beachtung, in einigen F'ä l Len sogar im Sich-Belustigen an dem merkwürdigen Äußeren der Frauen. Rosalya V., eine ehema- lige Gefangene, schreibt: "Sie haben so getan, als ob sie uns nicht gesehen hätten, als ob d ie Tatsache, daß wir zer lumpt, kahlgeschoren, geplagt daherwandeln, die natürlichste Sache von der Welt gewesen wäre." 1 2 Ungarische Jüdinnen bei der Ankunft an ihrem "Bestimmurlgsort" · Zeichnung: Belgiojoso Wie schnell unter den Bedingungen im Lager und in der Fa- brik die Arbeitskraft der Frauen erschöpft war, wird daraus deutlich, daß bereits am 27 .10 .1944, keine drei Monate nach Beginn des Arbei tseinsatzes 206 Gefangene zurück nach Ausch- wi t z -B irkenau tt überste 11 t" wurden. Ausgesondert wurden kranke und arbeitsunfähige Frauen. Der Transport in das Vernichtungs- lager war mit einem Todesurteil gleichzusetzen, keine der Frauen konnte überleben. 13 12 Brlef Rosalia ~alYl, yoll;t, veröf1. in: Va~pe~, 1988, 5. 69ff. 13 Vaupel, 1984, S. 8211; vaupel~ 1990~ S. 124f1. 80 Am 29.3.1945 evakuierte die 55 das Außenkommando vor den anrückenden amerikanischen Truppen. Die Gefangenen wurden zunächst per Bahn nach Leipzig transportiert, und dort begann unter Bewachung ein 14-tägiger Marsch, der von den überleben- den als Todesmarsch bezeichnet wird. Viele Frauen starben an Entkräftung, andere wurden I weil sie dem Tempo der KoLonn e nicht mehr' Fa Lgen kann ten, von 55-Leu ten erschossen. Der Marsch endete am 25.4.45 in Wurzen, wo die Uberlebenden durch amerikanische Truppen befreit wurden. 14 Evakuierung und Todes.arsch "Alle Insassen d es Lagers} 55-Soldaten} Häftlinge verließen das La.ger. Wir bildeten eine Marschkolonne und vurden über Felder} Wälder} verschiedene Ortschaften getrieben. ( ... ) Zu unserer Kolonne sohließen sich ~ährend des Harsches suoh an- dere Häftlingsgruppen . Ich erinnere mich) daß viele Häft- linge} die nicht ve i t ermsreoh i eren konnten} erschossen wur- den. Di e Namen der Täter und Opfer sind mir unbekann t. "1..5 "Ungefähr eine Woche vor dem 25. April 1945 hiel tien v i r Rast bei einem Bauernhof. Der Bauer kochte eben Ka.rtoffeln für seine Schve ine und eine unserer l1i thä"ftlinge~ ein junges Hädchen - ungefähr 18 Jahre alt - die aus Ozd stammte~ ver- suchte eine Kartoffel zu stehlen. ( ... ) Als sie zu stehlen versuchte} vurde sie von dem Unterscha.rführer bemerkt} er zog seine Pistole aus der Fiszo l en t s sche und feuerte auf sie. Sie starb sofort von dem Schusse. Dies geschah vor mir in einer En tfernung von drei - vier Metern. Nachdem da.s Op- fer auf den Boden fiel} sagte der Un t ereonerrührer : "Nehmt den H i s t: auf den H'i s t heu i'en ' .. "~8 "Im Zustand voLlkommener Erschöpfung vurden wir nach dem grauenvollen Todesmsr soh befrei t , mi t Schwellungen an Hän- den} Beinen und sm ganzen Körper und beim Ausziehen der Holzschuhe sind ganze Hautteile abgegangen. "~7 ENTWICKLUNG NACH KRIRGSXNDE Nach dem Krieg diente das Lager zunächst als Unterkunft für amerikanische Soldaten und für ehemalige polnische Zwangs- arbeiter. Ab Frühjahr 1946 war es Flüchtlingslager. Später wurden einzelne Baracken an örtliche Gewerbetreibende ver- mietet, so z . B. an eine Roßschlachterei und einen Fahrrad- händler. Ein Teil des Lagers diente in der Nachkriegszeit dem L ichtenauer Realgymnas ium als Unterrichtsraum. Mit te der ,50er Jahre wurden die letzten Holzbaracken abgerissen, die man z , T. an anderer Stelle wieder aufbaute. Hunderte von Jugendli- chen übernachteten im Jugendheim an den "Großen Steinen" im 14 Ausf. zu. Evakulerungs.arsch: Vaupel, Sr 97ft; Vaupel, 1990, Sr 134ff. 1~ ZSt LudNlgsburg, S. 119.1. ISt Ludwigsburg, S. 284. 17 BLEA München, E-Akte Salda C•• 81 Lichtenauer Ortsteil Reichenbach in den Baracken, die ehemals der Internierung jüdischer Frauen gedient hatten. Heute befin- den sich auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Vereinshaus die Grundschule, die Förderstufe der Gesamtschule und ein Kinder- garten. l-- -J Das Foto zeigt einen Teil des Lagers Vereinshaus. Es entstand im Jahr 1952, als das Realgymnasium dort untergebracht war. PA Vaupel Fast 40 Jahre lang war das Schicksal der ungarischen Jü- dinnen in "Vergessenheit" geraten. Erst 1983 setzten Schüler der örtlichen Gesamtschule die öffentliche Diskussion über das Außenkommando in Gang. Mittlerweile hat man sich auch von städtischer Seite mit der MS-Vergangenheit auseinandergesetzt. Der Magistrat bildete eine Arbeitsgruppe und stellte zwei Hi- storiker ein, die umfangreiche Archivunterlagen zur Stadt- und Werksgeschichte zusammentrugen. Im April 1986 J 41 Jahre nach der Befreiung der Z~angsarbeiterinnenJ ließ die Stadt auf dem ehemaligen Lagergelände einen Gedenkstein zur Erinnerung an die Leiden der Jüdinnen aufstellen. In den Jahren 1986 und 1987 organisierte die "Geschichtswerkstatt Hessisch Lich- tenau/Hirschhagen" zwei Treffen ehemaliger Arbeiter(innen) der Fabrik, zu dem u.a. ehemalige KZ-Gefangene aus Ungarn, Israel und den USA anreisten. 82 Welche Bedeutung im Bewuß t s e i n der Betroffenen d er auf dem Lagergelände aufgestellte Gedenkstein hat} wird aus Äußerun- gen von Frauen .. die beim ersten "Etiene l i s en t r e t r en " in Hes- sisch Liohtenau ver en , d eu t l i ch , s I s sie d s s Lagergeliinde na.ch 41 Jahren wieder betraten: Henriette S.: "Wir sind stark b e riih r t , srenn wir d i e s err Ge- denkstein sehen. Der Gedenkstein ist für uns gemacht} d i e , die diese schweren Honate ilberlebt haben al~ H§ftlinge hier in Li eh tena.u. Iiir verden unseren Kemeredinnen erzä.hl en , fV8.S wir gesehen haben. ( ... ) Ibolya H.: "loh hätte niemals ge- dacht} daß so et~as hier für uns gemacht wird. Daß ein Denk- 013.1 hier für uns in L'i ch t eneu steht .. he t t:e ich nie gedacht. " Henriette S.: "Nein} das hä.tten wir nicht gedacht." Ibolya H.: "An sehr vieles hätte ich nicht gedacht} hätte ich nie erwartet e Alles d s s , Fl8.S v i r in den 1etzten Tagen erfahren haben." Henriette S.: "Wenn men das erste Ha.l nach so einer t r sur i s en Zei t wieder hier i s t , ich glaube} d snn ist es selbstverständlich} daß man stark berührt ist. Es ist glJt~ daß gerade die Jugend hier etwas getan hat. Der Gedenkstein steht vor einer Schule. Die Kinder sehen i hn .jeden Tag-} und sie können auch lesen und dann wissen sie.. was hier wa.r. Das veck t: Interesse." LboI yn H.: "Ja" die Jugend hat da.nn Inter- esse zu e r i'ehr en , was in dieser Stadt war in 1944,,/45. Sie fragt danach ß rvas hier im La.ger gewesen ist. "~B Ehemalige KZ-Gefangene 1987 auf dem früheren Lagergelände (heute Schul- grundstück) e Foto: Espelage 83 18 Gesorach Ilt ~he.aligen lwangsarbelterlnnen al j.l0.3b. Ehemalige an Lichtenau interessiert Hoffnung hat Haß verdrängt Auch Vera Auslander, die seit 40 Jahren in Haifa lebt, ist es schwergefallen, nach Lichte- nau zu kommen. Die lange Reise hat sie dennoch nicht bereut: "Ich bin froh, daß ich gekommen bin. Lichtenau hat ein schönes Gesicht, aber es war bitter in der Erinnerung". Ihr sei es wichtig, daB die Menschen sich geändert hätten. "Hätten wir solche Leute damals kennengelemt, wäre manches leichter gewesen", ist sie l1berzeult--NuJ1t.befk ste, daß die Jugend nooh besser werde. Den Deutschen g~enuberemp- findet sie keinen Haß mehr. "Es isft(tin armes Volk, das so etwas machen kann". -Der Pole Marian Szeptucho gehört ebenfalls zu denjenigen, die an dem Treffen teilnehmen. Durch die Kriegswirren war er I t 94 t in ein Lager nach Helsa gekommen, wo er dreieinhalb EIN BUCH überreichte der Russe Michael Semirjaga dem Vorsit-: Jahre arbeiten muBte. Auch er zenden der Geschichtswerkstatt, Jürgen Jessen (links). In der begrüßt die Veranstaltung, Mitte Martha Frank. (Fotos: gro) I Bittere Erinnerung Leben wiedergefunden. Die Ungarin macht keinen Hehl daraus, daß sie nach dem Krieg einen großen Haß gegen- über den Deutschen gehegt habe. Diese Einstellung habe sich im Laufe der Jahre jedoch gewandelt. "Das heutige Lichte- nau ist nicht mehr vergleichbar mit dem damaligen", meint sie. Ahnlich geht es auch ihrer Landsmännin Martha Frank. Die Kinder ihrer Peiniger - so merkte sie an - hätten heute eine andere Einstellung als ihre Eltern und die Gefahr erkannt. Man dürfe nicht übersehen, daß es auch rechtschaffene Leute b h be d be S· ZUM ERSTEN MAL seit Kriegsende sind die Schwestern Blanca igege en a un ge · ie ist Pudler und Aranja Adler wieder in Hess. Lichtenau. Obwohl i froh darüber, daß sie nun anders ihnen die Reise nicht leicht fiel, haben sie den Weg nicht bereut. als damals __erhobenen Haup- tes" Lichtenaus Straßen entlang geben könne. H.... Uchteneu (gro). "Wir müssen gemeinsam für den Frie- den kämpfen, damit es nie wie- der Zwangsarbeiter gibt" - die- sen Appell richtete der Russe Michael Semirjaga am Donners- tagabend unter Beifallder Zuhö- rer an die Teilnehmer des zwei- ten Zwangsarbeitertreffens in Hess. Lichtenau. Was der Rus- se, der auf Einladung der Ge- schichtswerkstatt zusammen mit seinem Landsmann Alex- ander Wassiljew von einem ähnlichen Treffen aus Hamburg nach Lichteneu gereist war, knapp und bündig mit einem Satz ausdrückte, ging vielen der ehemaligen Zwangsarbeiter und Dienstverpilichten der Muni- tionsfabrik Hirschhagen eben- falls durch den Kopf. Angetrie- ben von der Befürchtung, ihr schweres Schicksal könne in Vergessenheit geraten, haben sich viele zum ersten Mal seit 42 Jahren auf den weiten Weg von Ungarn, Israel oder den Verei- nigten Staaten nach Hess. Lieh- tenau gemacht, um an die dama- ligen Geschehnisse zu erinnern. Ganz bewußt gesucht wird aber auch das Lichtenau von heute. Da ist zum Beispiel Blanca Pudler aus Budapest, die zusam- men mit ihrer Schwester Aranja Adler 1944, kaum 15jährig, nach Hess. Uchtenau kam. Ge- peinigt von schrecklichen Bnn- 'qerungea,"ttt."_.t, ~ieec sein werde, wenn sie wieder bierher ·zurückkehre. Die Mög- lichkeit, mit anderen über die Zeit sprechen zu können. hat sie jedoch als Befreiung empfunden.. Dankbar war sie vor allem über das groBe Interesse, das Lichte- Dauer Schüler an ihrem Schick- sal bekundet haben. Nachdem sie lange Jahre daran gezweifelt habe. ob es überhaupt einen Sinn gehabt habe, zu überleben, habe sie nun den Glauben ans HNA 5,9.87 85 Wo Frauen einst Sprengkörper füllen mußten Ehemalige Zwangsarbeiter trafen sich nach über 40 Jahren In Hesslsch Lichtenau Vor allem die Jüdinnen schwiegen und wirkten dabei ruhig und gefaßt. als die Busse in den Wald von Hirschhagen ein- bogen. Andere Frauen - aber auch Män- ner - schienen eher freudig erregt in Er- wartung dessen, was sie in wenigen Mi- nuten wiedersehen würden. Eines verband die etwa hundert - auf Einladung der Bürgerinitiative Hirschha- gen angereisten - Deutschen, Hollandet. Franzosen und Ungarn: Alle hatten wäh- rend des Dritten Reiches in der ehemali- gen Munitionsfabrik von Hirschhagen, einem heutigen Ortsteil von Hessisch-- Lichtenau (\Verra-Meißner-Kreis), ar- beiten müssen. Die ehemaligen Zwangs- arbeiter, Dienstverpflichteten, KZ-Häft- linge und Kriegsgefangenen, die sich am Wochenende in Hessrsch-Lichtenau tra- fen, kamen zum Teil erstmals nach über vierzig Jahren wieder' an diesen Ort. Viele hatten in der Nacht vor der Be- sichtungsfahrt durch das Gelände der ehemaligen Sprengstoffabrik "wegen der schweren Erinnerungen" und der "Emo- tionen, die hochkommen", schlecht ge- schlafen, waren nervös und ergriffen. Ein gtoßer Teil aber schien das Treffen mehr als eine Art verspäteten "Betriebsaus- flug" zu betrachten. Der Vorschlag, wäh- rend der BUClfahr.t ejn ..Lied $\nZl1c;timmen~ wiurdt' cDll\a,..~ tlotii vet'W'Orien. Die Bürgerinitiative' hatte auch mehr zur "menschlichen Aufarbeitung" eingeladen, zu einem Treffen. bei dem "keiner ange- klagt werden" sollte. Die Sprengstoffabrik Hirschhagen - offiziell trug sie den Namen "GmbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse" - war leine der größten Fabriken dieser Art, die von den Nationalsozialisten betrieben wurden. Mit einem Aufwand von rund 100 Millionen Reichsmark entstanden ab 1936 in kürzester Zeit auf einem riesigen Waldgelände 400 Bunker und Gebäude. Der perfekt getarnte Aufbau und später auch die Produktion standen unter strengster Geheimhaltung. So hielt sich in der Bevölkerung lange das Gerücht, dort würde eine "Mohrenkopffabrik" ge- baut. ~rankfurt2r Rundsc~au 7.10cBb ß6 Bis zu 15000 Personen, etwa die Hälfte davon Frauen, waren während des Zwei- ten Weltkrieges in Hirschhagen mit kör- perlich ausgesprochen schwerer und ge- fährlicher Arbeit beschäftigt. Zwei Sprengstoffarten, TNT und Pikrinsäure, wurden dort hergestellt: Im "Rekordjahr" 1942/43 erreichte die Produktion rund 80 Tonnen TNT pro Tag. Das Füllen der Sprengkörper, das über- wiegend von Frauen ausgeführt wurde. gehörte zu den gefährlichsten im ganzen Werk, nicht zuletzt wegen der extrem ho- hen Explosionsgefahr. Durch den Um- gang mit den Chemikalien verfärbten sich Haut und Haare der Frauen gelb bis grün: ein Umstand, der ihnen den Beina- men "Kanarienvögel" eiabrachte, Die deutschen Frauen waren aus Ar- beitskräftemangel oder wegen ihrer "poli- tischen Unzuverlässigkeit" dienstver- pfiichtet worden. "Für Führer, Volk und Vaterland" mußten sie, untergebracht in neun umliegenden Arbeitslagern, in Hirschhagen arbeiten. Heute, nach über 40 Jahren, hat sich ein Teil der Erinnerungen schon ver- wischt: "Klar mußten wir schwer arbeiten und waren zum ersten Mal von zu Hause weg. Aber wir haben auch viel gelacht", erzählt eine Frau. "Schließlich waren wir 19.20 Jahre alt und haben hier ein Stück unserer Jugend verbracht." Vor allem die- jenigen, die in den Büros arbeiteten. ha- ben sogar einige angenehme Erinnerun- gen. "Wäre kein Krieg gewesen, ich hätte nichts auszusetzen gehabt", erzählt eine andere Frau. Andere hatten es schwerer: Eine Fran- zösin erzählt, wie deutsche Frauen über ihr, als sie 1942 in Hirschhagen ankam, einen Eimer mit schmutzigem Putzwas- ser ausschütteten: Sie als .Dreckfranao- se" sollte sauber werden. "Ich saß zwi- schen den Stühlen und mußte für etwas büßen, von dem ich gar nichts wußte", sagt sie - die wenig später die ständig steigende Anzahl von Türken und die daraus resultierenden Probleme in ihrer französischen Heimatstadt beklagt. An menschenunwürdigsten wurden die jüdische Zwangsarbeiterinnen behandelt. Im August 1944, als die Rüstungsproduk- tion auf Hochtouren lief, trafen etwa 900, ungarische Jüdinnen, zwischen 15 und 35 Jahren. in Hirschhagen ein. Sie kamen aus Auschwitz, wo sie wohl wegen ihrer ,.guten Kondition" ausgesucht wo rden waren. Untergebracht wurden sie in von Stacheldraht umzäunten Holzbaracken, die allerdings, weil nur für 700 Personen vorgesehen. völlig überbelegt waren. Als Kleidung hatten sie nur Lumpen. an den Füßen trugen sie - selbst im Winter - nur Holzpantinen und zu essen bekamen sie Wassersuppe mit Rüben und etwas Brot. .,Trotzdem war es für uns ein .Glück', nach Hirschhagen zu kommen. In- Auschwitz wären wir wahrscheinlich ebenso wie unser Familie vergast wor- den", sagt eine Ungarin. "Wir waren erst 20 Jahre alt, deshalb haben wir es wohl überhaupt nur ausgehalten", meint sie. Heute ist es ihr ein "inneres Bedürf- nis", an diese Stätten, an die sie nur schreckliche Erinnerungen hat, zurückzu- kehren. Auch in der Gedenkstätten- Auschwitz war sie. diesen Besuch würde sie indes auf keinen Fall wiederholen: "Dort ist heute alles verschönert: Wir mußten auf der harten Erde schlafen, es gab keine Unterlagen. und heute stehen dort Pritschen oder liegt Stroh:' Jeglicher Kontakt der deutschen Frauen mit den ausländischen Zwangsar- beiterinnen war in Hirschhagen damals strengstens verboten. Gleichwohl beka- men die Jüdinnen ab und zu etwas Eßba- res zugesteckt oder wurden angespro- chen. Auf der Fahrt und beim Gang durch das Gelände der ehemaligen Fa- brik im Hirschhagener Wald, als die war- me Herbstsonne fast versöhnlich schien, sprachen sie allerdings noch immer kaum miteinander. Angesichts des stattlichen Herrenhau- ses am Ortsrand, in dem damals neben den Angestellten des Werkes auch weibli- che (deutsche) Arbeiterinnen unterge- bracht waren, schwärmten etliche "Ehe- malige" über die einst schöne Innenaus- stattung und den herrlichen Park. Wäh- rend sich einige vor dem großen Ein- gangstor an die Zeit erinnerten..da sie in dem 'Gebäude wohnen durften,. blieben übrigens unter anderem die Jüdinnen im Bus sitzen. SABINE LIETZ (X) (X) Brief von Blanka Pudler, Budapest/Unprn vom 2.12.86 Im Nachstehenden möchte ich kurz das Schicksal von mir beziehungsweise von meinerSchwester zusammenfassen, so wie wir daserlebten. Wir beidewurden aus Lew(in 1944Ungarn, heute CS5R)nach Auschwitz im Juni 1944weggeschleppt. Nach unsererAnkunft wurde mein Vater sofort von uns mit den anderenMännern separatgestellt, meine Mutter wurde von Mengele selektiert und 3uf die .linke Seite- geschickt) und ich, da ich nicht im selbenViehwaggon mit meiner Schwester angekommen bin - blieb allein und habe verzweifelt und vergebens nach meiner Schwester gesucht. I Nachdem wir vollkommenenthaart und splitternackt in die Reihegestellt wurden, habe ich hinter mir - wie ein Wunder - die Stimme meiner Schwe- ster erkannt. Wir haben uns über das WiedersehJn riesig gefreut und krampfhaftaneinandergeklammert. Man hat uns - ungefähr1 000 Frauen - in eine einzige Holzbarackegetrieben, wo wir übereinanderauf dem Boden liegen mußten. Am darauffolgenden Tag unserer Ankunft sind einige 55- Soldaten und Aufseherinnen in unsere Baracke gekommen und fragten, wer von uns sein 16. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, die wird man näm- lich zu ihren Eltern gehenlassen. Da ich damals noch nicht ganz 15 Jahre ) war und ich mich nach meiner Mutter sehr sehnte, habe ich mich selbstver- ständlich gemeldet. Damals hatten wir noch keine Ahnung über die Tatsa- che.daß diesmit der Vergasung gleichzusetzen ist. Ich habe mich von meiner Schwester sehr schmerzhaft und unter vielen Triinen verabschiedet. Mit etwas Mitleid in den Augen sah uns eine polnischeBlockälteste an und trat zu mir.•Warumlügstdu?, fragte siemich.•Ich kenne dich und weiß.daß du schon mehr als 16Jahre alt bistl« Da trat eine von den SS-Aufseherinnen hin und fragte mich wieder: .Ist dasW4hr?« - Und ich antworteteihr instinktmä- ßig: .Ja, ich bin sogar schon 17Jahre alt.« .Warum hast du dann gelogenj«, fragte sie:gab mir zwei riesengroße Ohrfeigen'und stieß mich neben meine Schwester nieder. Vondiesem Moment an bis zu unsererBefreiung habe ich ständigin Angst gelebt. von meiner Schwester getrennt zu werden. Das ist die Erklärung für mein falsch angegebenes Geburtsdatum (KZ Nr, 20 003 Adler Blanks, gebe 18.6.1927), mein richtiges Geburtsdatum ist der 21.7.1929. Nachdem wir sieben schreckliche Wochen in Auschwitzverbrachten, hat man uns nach Lichtenaugebracht. Eigentlich haben wir uns über diese Ver.. setzung sehr gefreut. 19\ LagerLichtenauwarendie Umstände - hauptsäch- lieh am Anfang - viel besser als in Auschwitz und in der Fabrik zu arbeiten und dadurch Zeit zu gewinnen, bedeutete für uns eine eventuelle Chance zum Überleben. Es hat sich aber bald herausgestellt, daß die Arbeit in der Munitionsfabrik für uns täglich eine Lebensgefahr bedeutete. Unsere Arbeit war sehr schwer und gefährlich. Meine Schwester hat fast über unseren ganzen Aufenthalt in Lichtenau hinwegGranaten gefüllt, selbstverständlich unter deutscher Kontrolle. Dem- zufolge erkrankte sie bald nach dem Kriegan Lungentuberkulose und wurde jahrelang in Krankenhäusern behandelt, stand unter ständiger ärztlicher Behandlung und war arbeitsunfähig. Im Jahre 1956 ist sie in ihre Krankheit zurückgefallen und lag wieder monatelang im Krankenhaus. Ich selbst habe an den verschiedensten Arbeitsphasen teilgenommen. Oft hat man mich zur .Vorbereitung« geschickt. Dort hatte ich die Gelegenheit mit einer sehr sym.. pathischen, deutschen Dienstverpflichteten arbeiten zu können, deren Name mir leider unbekannt ist. Sie fühlte für mich großes Mitleid, tröstete mich und half mir, wo sie konnte. Manchmal gab sie mir sogar etwas zum Essen) obwohl ich weiß, daß sie auch nicht viel zum »Beißen« hatte. Ein Beweis dafür ist auch das nachstehende Liedchen, das ich von ihr gehört habe und seit so vielen Jahren nicht vergessen konnte: »Oh, du Gott verflucht, verdammtes Arbeitsamt, du hast uns nach Hessisch-Lichtenau verbannt. Wo die Wurstportionen. wiegen 7 Gramm, und wo nach dem Essen fängt der Hunger an.« Weiterhin habe ich auch im Bunker gearbeitet. Dort mußte ich den in die Granaten zu füllenden Sprengstoff mit Messingstäbchen sorgfältig rühren, damit eine gleichmäßige Abkühlung erfolgt, wodurch im Sprengstoff keine Luftblasen entstehen. Auf der Oberfläche bildete sich eine harte, eisartige Haut. Diese mußte man mit dem Stäbchenaufbrechen. Ich habe den bitter- lich schmeckenden. ungesunden Dampf einatmen müssen, das hat mich betäubt, und ich bin oft dann zur Besinnung gekommen. als mir der heiße Sprengstoff ins Gesicht spritzte. dadurch wurde mein Gesicht mit Brenn- wunden voll. Manchmal mußte ich am Ende des Laufbandes die zusammen- montierte, beinahe 30 Kilogramm schwere Granate ergreifen. Bei dieser · Arbeit habt. ich meine Hände oft schwer verletzt. Ich habe meinevereiterten Wunden immer versteckt. Ich wollte nicht krank sein, da ich wußte, daß das mit dem Tode gleichzusetzen war. Gelegentlich habe ich auch bei der Ein- waggonierung teilgenommen. Ich erinnere mich) wie uns die holländischen und französischen Zwangsarbeiter gebeten haben, die Geschosse zu beschädi- gen. Das haben wir - wenn immer wir die Möglichkeit dazu hatten - auch getan und haben damit oft unser Leben aufsSpielgesetzt. Unsere Lebensverhältnisse sind mit der Zeit immer schlimmer geworden. Unsere Versorgung warerbärmlich, die Behandlung immer unmenschlicher, besonders nach der Ankunft von Neumann,' Unterscharführer, nach Lichte- nau, ~r folterte uns sowohl körperlich als auch seelisch und hat auch die ganze SS-Mannschaft gegen uns gehetzt. Seine Lieblingswörter waren so gemein, wie ich sie noch nie zuvor gehört habe. Zum Beispiel: -Ich reiß' euch eure Arschlöcher bis zum Halskragenauflc Mit meinem Kinderkopf dachte ich manchmal nach, ob das überhaupt Menschen sind, die uns sowas antun können, Sie haben ebensolche Augen, Gesichter, Glieder wie die Menschen, benehmen sich doch überhaupt nicht menschlich. Wir hatte keine Möglichkeit, uns sauberhalten zu können, bekamen weder Seife noch warmes Wasser. So wurde mit der Zeit unser Lagerso voll mit Wanzen, daß die Insekten auch unser Essen bedeckten. Seitdemsage ich immer, daß ich nicht nur weiß, was eine Wanze ist, sondern ich weiß auch, wie sie schmeckt. Endlich hat die Lagerführerschaft beschlossen, die Baracken stufenweise zu desinfizieren. Ich werde es nie vergessen. Es wurde eben unsere Baracke desinfiziert, und wir mußten die Nacht im Lagerhof verbringen) als die Selektion von 206Frauen stattfand. Wir waren vollkom- men verwirrt und hatten wieder große Angst, voneinander getrennt zu wer- den. Leider wurden auch von unserer Stadt viele Frauen selektiert, und wir haben sie nie wiedersehen können. Der Zeitpunkt der Evakuation ist Ihnen bekannt. Dazu möchte ich noch hinzufügen: Wir wurden in solchem Maße in den Viehwaggons zusammen- gepfercht, daß man praktisch in den Waggons nur stehen konnte, und wenn jemand seinen Fuß anzuheben wagte, konnte er denselben nicht wieder zurückstellen. Unser Waggon wurde von einer äußerst sadistischen Aufsehe- rin bewacht. Ihr Name war Frau Dr, Bohle. Als wir in unsererverzweifelten Lage von unserer Handfläche einander eine bessere Zukunft gewahrsagt hat- ten, sagte sie zu uns: -Ihr glaubt noch an eine Zukunft? Das ist lächerlich, man ltei?.t euch doch schon das Krematoriuml« Die Umstände unseres Todesmarsches sind Ihnen\auch bekannt. Leider sind viele von uns in diesen Wochen gestorben. Es ist schwer zu bedenken, wie schreckliches war, im April Tag und Nacht ohne Essenund Trinken zu marschieren. Unsere Decke, die wir um uns hatten, war vollkommen ver- fault. Die als Kleidungdienenden Fetzen sind von unserem Körper während der ganzen Zeit nicht heruntergekommen. Und als wir nach der Befreiung die Kleider von unseren erschöpften Körpern heruntergezogen haben, ist damit auch unsere Haut - wie eine Schlangenhaut - heruntergekommen. Es hat jahrelanggedauert, bis wir uns mit der Ermordung unserer Eltern, dem Zerfall unseres Zuhauses abfinden, und bis wir uns ein neues Heim erschaf- fen konnten. Esquälen mich noch oft Alpträume von unserer gemeinsamen, grausamen Vergangenheit, und ich zittere vor Angst, wenn ich einen Schäferhund erblicke. LAGER WALDHOFSTATION 6: --, '---'------- 1 E in. .. M'-1 S t e r .1 a..ge::r .. fli:r deutsche Die~st~er~flichtete Das Gemeinschaftsgebäude des ehemaligen Lagers Waldhof dient heute als Al- tenheim. Foto: Buko..ski BESCHREIBUNG DES LAGERS1 Westlich des Werksgeländes, in ca. 1 km Entfernung, lag das Lager Waldhof. Noch heute sieht man~ wenn man aus Richtung Kassel von Helsa nach Eschenstruth fährt, links am Hang gele- gen" das ehemalige Veranstaltungs- und Kan t i n engeb äud e , das seit einigen Jahren als Altenheim genutzt wird. Die übrigen Gebäude sind Privatbesitz und dienen als Wohnhäuser. Das Lager wurde schon vor dem Kriege geplant. Es sollte der Unterkunft d.eu t s c he r Frauen dienen, die ihr "Pf Li c h t j ah r ' als ..Arbe i tsmaiden" in der L ichtenauer Fabr I k abso lvieren muß- ten oder die au f'g r und der "Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung" dienstverpflichtet worden waren. Nach dieser Ver- ordnung konnten alle Bewohner des Reichsgebietes zu Dienstlei- stungen von unbeschränkter Dauer herangezogen werden, ~enn sie 1 Vgl. Rothelann, S. 131: s.a. ~bnig/Schnelaer, S.102ff. 90 im Rahmen des Vierjahresplanes benötigt wurden. Das Gesetz w~rde im Oktober 1838, aufgrund des steigenden Arbeitskräfte- mangels, auf Frauen ausgedehnt. Man hatte bis dahin aus ideo- logischen Gründen noch auf eine Forcierung der Frauenarbeit ver z ichtet: Die Frau so 11 te Gebärer in und als Mu t ter Mit te 1- punkt der Familie sein. Noch im Februar 1937 stellte Hermann (1öring klar, "daß im Prinzip die Frau der Familie erhalten bleiben und nicht arbeiten soll." 2 Wirtschaftliche Gründe zwangen die Nationalsozialisten dazu, diese Position aufzuge- ben. Der Bau des Lagers begann im Jahr 1939, einzelne Gebäude wurden schon ab 1940 bezogen. Nach Fertigstellung sollten in Waldhof 1500 Frauen untergebracht werden. Der Bau des Lagers war 1942 mit der Fertigstellung des Gemeinschaftshauses abge- schlossen. Von den änderen Lagern unterscheidet sich Waldhof schon äuß e r 1 ich (nur das Lager Herzog, heu te .. Hessisch Lichtenau- West ", war ve r g 1e ic hbar gebau t): Die Häuser waren aus Ste in, hatten e.i n Satteldach und eine Fassade aus imitiertem Fach- werk. Das Lager bestand aus: 50 Unterkunftshäusern (in Hufeisenform ange o r dnet ) 1 Gemeinschaftshaus mit Küche I 1 San i tä tshaus I 1 Wasserreservoir ~l Wasserpumpstation I 1 Transformatorenhaus 1 Die Wohngebäude hatten jeweils eine Schlaf- und eine Woh- netage mit WC und Waschgelegenheit. Es gab einen großen Schla- traum mit vier Etagenbetten und zwei kleine Zimmer mit jeweils einem Etagenbett. Für alle gemeinsam befand sich in jedem Haus eine Gepäckkammer. DAS LEBEN IM LAGHR3 Zunächst lebten nur deutsche Dienstverpflichtete im Lager Waldhof . Im Ver laufe des Kr ieges kamen e inze Ln e Gruppen von Ausländer innen ( ..Westarbe i ter innen" ) hinzu. Se i tdem gab es eine strenge Trennung: Oie deutschen Frauen lebten im nördli- dhen, die anderen Nationalitäten - vor allem Französinnen - im südlichen Teil der Siedlung, durch den Rohrgraben voneinander getrennt. l Litt n. Herbert~ 198b, S. 15. 3 'Igl. Ebenda. 91 Straßenzug des Lagers Waldhof im Jahr 1943. Se=chlchts~er~statt Die deutschen Dienstverpflichteten wurden anders behandelt als ausländische Arbeiterinnen. Sie hatten eine Reihe von Ver- günstigungen, die den Ausländerinnen versagt blieben, waren aber auch Einschränkungen unterworfen. Zu den Vorzügen, die sie genossen, gehörte, daß ihre Zim- mer r e g Lnaß i g geputzt wurden. Die Ordnung in den Zimmern und die Wäsche wurden durch das Aufsichtspersonal des Lagers kon- trolliert. Normalerweise gab es jede Woche frische Handtücher und einmal im Monat neue Bettwäsche. Die Wäsche der Frauen wurde gesammelt und ins Waschhaus gebracht. Die san i tären Ein r ic h t un g e n und hyg i en isc hen Bed ingungen unterschieden sich erheblich von denen in anderen Lagern, wie etwa den Holzbarackenlagern Vereinshaus, Esche und Steinbach. Die Frauen hatten in Waldhof täglich Möglichkeiten zur Körper- p f 1e ge. V i e 1e nahmend i e Gel e g e n he i t wa h r , s ich na c h der Ar - beit im Werk zu duschen .. Darüberhinaus konnte man gegen ein geringes Entgeld im Kantinen- und Veranstaltungsgebäude baden. Die Verpflegung für die Arbeiterinnen wurde vom Werk ge- liefert und fiel, im Vergleich zu der in anderen Lagern übli- ehen , re ich 1 iche rau s , Für d i e.i e n i gen, die wä h ren d der Ar bei t in besonderem Maße gift igen Dämpfen ausgesetzt waren, gab es gegen Va r l age einer ,.Sondere i n s a tzbesc he in i gu ng ' ein e Gif tzu- lage in Form von Lebensmitteln, sowie täglich Tabletten und Milch. 92 Jede Woche fanden in einem der zum Werk gehörigen Lager, meist in Waldhof , "Vergnügungsveranstaltungen", wie z.B. Va- riete oder Kino, statt. Im Lager Waldhof wird gefeiert. Gescnlchtswer~statt Im Lager Waldhof gab es Regelungen, die von den Frauen eingehalten werden mußten. Jede Frau bekam einen Pas- sierschein, den sie bei der Ankunft im Lager vorzeigen mußte. Kam eine der Frauen nach 22 Uhr zurück, wurde der Schein ein- gezogen und erst am nächsten Tag wieder ausgehändigt, wobei die Strafe für die "Sü nd e r i n " bekanntgegeben wurde. Wer einen Urlaubsschein bekam, durfte länger ausbleiben oder die Nacht außerhalb verbringen. Diejenigen, die das Lager ohne Ur- laubsschein verließen, wurden nach ihrer Rückkehr im Strafhaus (Haus 7) eingeschlossen. Dort standen Pritschen, das Essen wurde durch die Tür hereingereicht. Das Lager hatte eine Sanitätsstation, in der kleinere Ver- letzungen behandelt werden konnten. Ärztliche und zahnärztli- che Behandlung gab es im Werk; die Werkskrankenstation befand sich im Lenoirstift (5. Weitere Lager). Der Weg zur Arbeit wurde von den Frauen täglich zu Fuß zu- rückgelegt. Sie liefen durch den von ihnen so benannten "Ka rp a t enwa Ld ? • Am Werkseingang, dem "Waldhofer Tor", mußten 93 sie ihre Ausweise vorzeigen, auf denen der von ihnen g en au einzuhaltende Weg zu ihrer Arbeitsstelle eingezeichnet war. Pförtnerhaus (Gebäude 552) am Waldhofer Tor. Hier wurden die Frauen vor Ar- beitsbeginn und nach Schichtende kontrolliert. Foto: Rlchtttr Der damalige Leiter der Sozial- und Wirtschaftsabteilung bezeichnete das Lager Waldhof als ein "mustergültiges Lager, das sehr schön geplant und vorbildlich eingerichtet war. Man hatte versucht, etwas Gutes zu schaffen um den Leuten das Le- ben zu erleichtern sie mußten ja täglich in den 'Spreng- s t o.t'f laden'. Das Werk war so aufgebaut, daß etwas ge 1e istet werden mußte und somit hatte man sich auch um die dort arbeitenden Menschen zu kümmern. "4 Waldhof galt, ebenso wie das Lager Herzog, als vorbildliches Arbeitslager, in dem etwas getan wurde, um den Frauen das Leben in der .. hessischen Ein- öde"~ so angenehm wie möglich zu machen. 4 ?A ~aupei. Sespr~ch lit Herrn F.. , litt n. ~onlg/Schne!der. S, 103, 94 Gesprächsnotiz von 7.4.81 nit der ehenaligen Dienstver-I pflichteten Frau H. Frau H. wurde mit 18 Jahren vom Arbeitsamt aus nach Hess. Lichtenau in die Hunitionsfabrik dienstverpfliohtet. Vorher hatte sie in einem Hilchgesohäft gearbeitet und dort von sich aus das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Ihr ~urde vom Arbeitsamt mi tgeteil t , daß jeder seinen Teil zum Kriegsablauf dazutun muß} ob er will oder nicht. Frau H. ~urde zugesichert~ daß sie nach 6 Honaten ~ieder entpflichtet ~ürde. Sie selbst ve r bis 1942 in Ke s s e L votintis r t , 1942 ließ sie sich freiwillig in Waldhof in einem der Siedlungshäuser unterbrin- gen. Auf dem Zimmer .. das ihr zugeteilt vurde , wohnten insde- samt 8 Personen. Die Unterbringungszahl pro Raum ~ar aber un- terschiedlich (2 - 8 Personen). Jedes Haus hatte einen Gemein- scha.ftsraum} der auch tagsüber für eventuellen Besuch zur Ver- fügung s t end . Dieser Raum ve r recht "wohnlich" eingerichtet. Die Schlafräume en tih i e I ten Stahldoppelbetten und Spinde. Der Kontakt zu den ZimlDerinsassen war unterschiedlich. Dieser be- ruhte auf der eingeteilten Schichtarbeit. Wechselschicht 6.00 Uhr - 14.00 Uhr Frühschicht 14.00 Uhr - 22.00 Uhr Normalschicht (Spät) 22.00 Uhr - 6.00 Uhr Nachtschicht (Regelung über Stechuhr in der Halle) Es wurde sucn an Samstagen ~ be«, Sonn- und Feiertagen gea.l·bei- tet. Im Lager Waldhof befanden sich ausschließlich deutsche Frauen~ die dienstverpflichtet waren. Oberhalb der Siedlung gab es 6 Baracken} in denen der /JIerkschu tz un tergebraoht ver . Diese männlichen Personen hatten die Aufgabe~ einmal die Siedlung zu oeveotien , ZUJ/1 a.nderen die Hun i t i ons i sbr i k nach außen und als Werkschutz innerhalb des Geländes. Der Werkschutz war be~aff­ riet: und trug sobuerse Uniform mi t einer Binde mi t der Auf- schrift "Werkschutz". Yermu t l i oh «er es keine SS~ da die Uni- form keine 55-Runen hatte. Das Lager Waldhof war durch eine Hauer uaeüun ti , und sm La.- gereingang ver ein Wachgebäude. Nach Dienstschluß ~ar es den Lagerinsassen freigestell t , sich i1l1 Lager frei zu bewegen ~ oder außerhalb des Lagers sich a.ufzuhal t en in einem Radius (Bezirke) von 50 km. Um 24.00 Uhr mußten alle ~ieder im Lager sein. Die Anwesenheit ~urde aber nicht kontrolliert. Für spä- tere "Heimkehrer" bestand die Höglichkeit über eine Hauer noch in das Lager zu kommen. In dem ersten Gebäude auf der rechten Seite (nach Helsa gese- hen) war die Lagerver~altung. Man mußte dort seine Essen-Be- zugskarte abgeben und erhielt hierfür Essensgutscheine für die Kantine. Als Berechnungsgrundlage diente die Schftlerarbeiterzu- lage. Dazu bekam man noch als Sonderration Zigaretten. Die Un- terbringung im Lager ~urde vom Lohn abgezogen. Die Gebäude un- terhalb der Siedlung (heute Altenheim) dienten als Kantine (großer Spei"sesaal)} Küone , Friseur und Badeanstalt. Der lieg zur Fabrik vurde eigenständig vorgenonaen . Nur die Unterhal tung n i t ausländischen Zivilarbei t ern war untersagt. Diese Personen veren "Fre iw i l l i s:" nach Deutschland gekoll1J11en~ um dort zu arbeiten. Sie waren in nahegelegenen Baracken untergebracht~ Auch sie hatten teilft1eise Ausgang} auch in 96a Gaststätten usw., nur mit dem Unterschied, daß sie kein Ge- spräch 111i t Deutschen rühren durften. Der beobachtete Verzehr von Getränken in Gaststät ten lä.ßt darauf schließen, daß sie auch entlohnt wurden. Oberhalb des Tores zur Hun-Fabrik stand ein Gebäude d es Werk- schutzes. Dort mußte jede die Sicherheitsbedingungen unter- schreiben und ebenfalls Streichhölzer und Zigaretten abgeben, die dort in Verwahrung genolDmen Flurden . Das Hi tnehmen letzt- lich aufgerührter Sachen war strafbar. Die Handhab~ng des Werkschutzes bei Personen .. die sich dieser Kontrolle entzogen bestand darin) s e Ib i g en Zigaretten und Feuer abzunehmen und für sich einzubehalten. Es waren alle die~ die zu spät zur Ar- beit kamen und versuchten, die Werkschutzkontrolle zu umgehen, um Zeit zu gewinnen) aber meistens abgefangen wurden. Frau H. schildert ihren ersten ~rbeitstag so) indem sie sah) v i e wahrscheinlich einen Tag zuvor geschehen .. die Reste einer explodierten Halle auf dem Gelände verstreut herumlagen. Eben- falls befanden sich darunter Körperteile. Der Aui'en thal t auf dem Fa.br ikgelände wird folgendermaßen dar- gestellt: Han ging vom Tor aus zu dem Usik l e i d eheus , such Frütis t üolcsreum (das Mittagessen vurde in Wsldhof eingenommen), von dort in die zugeteilte Arbeitshalle (Bunker). Der Besuch der Toilette vom Bunker aus mußte telefonisch angemeldet werden beim zu- ständigen Unteroffizier (Wehrmacht)" der für etwa drei Hallen verantwortlich war. Dieser erteilte dann einen Passierschein) der für einen bestimmten Weg vorgeschrieben ~ar. Das Aufsuohen des Umkleidehauses anstatt der Toilette wurde z.B. sofort no- t ier t: vom Werkschutz, dem' die Passierscheinkontrolle unterlag. Dieser hiel t solche Zwischenfälle auch protokollartig fest, mit der Begründung: "Wenn dort e t ves passieren sol l t:e , sind Sie d ren ": Da.s gesamte Febr i kge l ende war in Zonen e irige t e i I t • die je~eils nur von den arbeitenden Personen" in der ihnen zu- geteilten Zone betreten werden durrten. Frau H. arbeitet in Halle 409. Dort waren 40 Ausländer und 6 Deutsohe beschäftigt. Darunter veren holländische Zivilarbei- ter und über die Hälfte russisohe ß polnische und französisohe Kriegsgefangene. Ihre Arbeit bestand darin, Flügelraketen an bestimmten Stellen festzudrehen. Das Aufsichtspersonal bestand aus Zivilpersonen" Vorarbeiter und Heister. Die einzelnen Schichten arbeiteten in Akkord~ ohne Hehrbezahlung. Bei Nicht- einhaltung des Stücksolles wurde vom Vorarbeiter angedroht eine Versetzung in die Füllstation für die Personen einzurei- chen) die zu langsam arbeiten. Es ver bekannt" daß in der Füllstation die Arbe i t gesundhei tsschädlich ver . Die Personen dort hatten gelbe und grüne Haare) ebenfalls hatte ihre Unter- ft/s·sche die gleiche Farbe. Es v i rd a.ngenoJlJmen, daß dort kaum Deutsche gearbeitet haben. Der Vorgesetzte für die Produktion ver ein Vorarbei ter bew, Heister. Naoh einer Beanstandung dieser beiden Personen über zu geringe Produktion wurde Frau H. d ssre l s einem Oberleutnant vorgeführt. Dieser begutaohtete die Arbeit sm Fließband und stell te t'ee t , daß bei einer gewissenhaften Produktion keine größeren Mengen p r cdus i e r t: verden korm en , Frau H. kam dadurch zur Heeresabnahme in der gleiohen Halle. Die HeeresabnahJlle- Personen hatten rote Armbinden und bekamen gleichen Lohn v i e die anderen, waren aber dem Unteroffizier bev . Oberleutnant 96b direkt un t e r s t e Ll t . Der Heister be«, Yorerbe i ter v i ederum ver dem Mi 1 i tärpersonal un terstel1 t. Die Tätigkei t der Heeresab- nahme bestand d s r in , das Haterial zu prüfen. Ein Film vurde vorher als "Einarbei tiung " gezeigt} fti8.S geschehen tnirde, srenn die Hunition falsch zusammengebaut ~ird (Vernichtung der eige- nen Soldaten usw.). Diese Tätigkeit bestand nicht mehr darin~ hohe Stückza.hlen zu erreichen} sondern ausschließlich in der He t e r i e Lprü t ung , Ausschußmateria.l wurde zurückgeg·eben und von den dort Arbeitenden ~ieder erneut zusammengebaut. Die Te t i gke i t der Ausländer in der Halle war d i ese Ibe , aber nie bei der Heeresabnahme. Auch mußten die Ausländer die Halle reinigen. Eine Russin ver~eigerte einmal diese Tätigkeit. Dar- aufhin wurde vom Aufsiohtspersonal der Unteroffizier ange- rufen. Nach dessen Aufforderung kam sie der Arbeit immer noch n i ch t: nach und rempelte den Unteroffizier an. Daraufhin hat der Unteroffizier sie gesohlagen. Danach verblieb sie aber ue i ter in der Halle ~ mußte dann aber immer die Reinigung durchführen. Die Unterhaltung zwischen Deutschen und Ausländern war während der Arbeit streng verboten, ob~ohl teil~eise nebeneinander gearbei tet vurde , Von einem holländischen Kriegsfreiwilligen weiß Fra.u H. zu ber i ch t en , d'a.ß er und sein Bruder frei~illig nach Deutschland gekommen sind~ nachdem seine restliche Fami- 1ie nach einem Bombenangriff in Holla.nd verstorben war. Sein Bruder ~urde in einer Hunitionsfabrik bei Düsseldorf unterge- bracht, er in Hirschhagen . Im Briefverkehr mi t seinem Bruder schrieb er , daß er nach Diis se l dor i' fahren wollte, um ihn zu besuchen. Dieser Brief wurde von der Gestapo abgefangen. Die Reise vurde ihm nicht gest3.ttet} da sie über den Bereich von 50 km ging. Daraufhin versuchte er eine Sondergenehmigung zu bekommen} die ansonsten für Deutsche möglich ~ar. Selbige vurde ihm auch versagt. Er reiste ohne Genehmigung nach Düs- seldorf und erreichte sm nächsten Tag 2 Stunden verspätet sei- nen Arbeitsplatz. Noch sm gleichen Tag erschien die Gestapo in der Halle und nahm ihn fest. Uber den Verbleib seiner Person wurde nichts bekannt. Frau H. entschied sioh nach knapp einem halben Jahr Aufenthalt im Lager Waldhof u i ede r nach Kassel zu ziehen. Sie fuhr sei t: der Zeit mit dem Zug nach Fürstenhagen und erreichte die Hun- Fabrik über das Haupttor. Auf diesem Weg ~urden größere Grup- pen von Kriegsgefangenen an die Arbeit gerührt unter Be~achung von Wehrmachtsteilen. Rechts vor der Toreinfahrt ~ar die Hauptver~altungder Fabrik und auoh der Werksarzt. 1943 bekam Frau H. 14 Tage Bombenurlaub) da ihre Kasseler Woh- nung nach einem Angriff total ausgebombt ~urde. In dieser Zeit explodierte die Halle (409) in der sie dearbeitet hatte. Es soll viele Tote gegeben haben. Im allgemeinen lagerte in der Halle die Produktion von 2 Schichten (2 mal 600 Flügelraketen; manchmal auch ingesamt 1.800 Stück). Die Detonation der Halle soll bis Kassel hörbar gewesen sein. Der Fall vurde von der Gestapo un tersucht. Han vermu t e t et: mi t angrenzender Wahr- sohein l i ohke i t Sabotage. Im übrigen ver man grundss·tzlich a.n- gehalten jegliches ungewöhnliche Geräusch sofort zu melden. Frau H. wurde nach ce , einem Jahr entpfliohtet mit der Auf- lage~ keinen über ihre Tätigkeit zu un t err i ontien . Die Ent- pflichtung kam zustande} da sie schwanger ~ar. Oetzel/Wtndrlch, S. 7ff 96c ---------------_._----------- WEITERE LAGERl EIN KURZUBERBLICK. ..~. __... _._-_._-_.- Lenoirstift, ehemals "Lager" und Werkskrankenstation . rota: Bu~owskl LAGER LENOIRSTIFT Das Lenoirstift war ein ehemaliges Waisenhaus; später diente es als Reservelazarett. Die Werksleitung der Ver~ert­ chemie übernahm die drei Steingebäude 1940 von der Stadt Kas- sel. Ein Gebäude bewohnten Angestellte des Werkes, die beiden anderen dienten bis zum Spätherbst, dem Zeitpunkt der Fertig- ste llung des Lag.e rs Wald ho f , der Unte r b r ingung deu tsc her Ar- beiterinnen. Ab 1941 wurde eines der Häuser von weiblichen Angestellten belegt, in dem anderen war die Werkskrankenstation, in der auch die "Einstellungsuntersuchungen" durch den Werksarzt stattfanden. 1 Sowelt nlcnt naher angegeoen ~eZlenen sich die :usa~Be"fas;2nden ~us5agen auf riothetann, S. l~ft und ~o­ nlg/Scnnelder, s. 47ft und 102ff. 97 Hilda H. 1 eine ehe_aiige Arbeiterin l schreibt: ".481 11. Hai wurden v i r zum Lenoir-Stift gebracht. Dort vur> . den ~ir im einzelnen von Dr. Wust auf unsere Tauglichkeit(in ve l cher Ab t e i Lurig wir arbeiten mußten) un t e r such t , Auf «i i» I Fälle mußte ich mich total ausziehen. Dann mußte ich mich in eine Ecke s t e l l en , d enn uu rde ich von allen Seiten betrach- tet n i t bücken na.oh vorn und hin ten. Ich srsr bis dahin nie bei einem Arzt und schon ga.r nicht mit nackt ausziehen~ nur Kleinigkeiten. Dr. Wust hielt mich für tauglioh in die Tri- Presse. Die wöchentlichen ers t I i chen Neohun t ersuohungen sind mir heute noch in schlechter Eri nrierurig, ves die Per- versität und den Sadisten des Dr. Wust hervorhebt. Also wir mußten uns mit 30 Mädohen in eine Reihe aufstellen ... Ober- körper bis zum Nabel freimachen. Und folgendes passierte mir bei jeder Untersuchung: Dr. Wust schlug mir mit dem Handrük- k en sehr fest gegen meinen Bauch in Höhe des Nabels und sagte: 'Was ist mit hier?' Ich dachte er meint die Honatsre- gel und ich ant~ortete: Seit loh hier bin~ ist meine Periode ausgefallen. Und er schlug genauso heftig wieder zu und sagte: "Wenn Du im Hochgebirge bist} d snn ha.st Du da.s auch nicht. "'2 Kurz nach Kriegsende fanden in den Gebäuden des Lenoir- st iftes Juden Un ter kunft , die während der NS-Z e i t in einem Konzentrat ions Lage r inhaft iert waren (sogen. ..d isp 1aced p·er- sons" 3 ). Hamen t an wohnen im Leno i rst ift Auss ied ler aus Po Len und der Sowjetunion. LAGER HERZOG Offizie 11 hieß das Lager ..Bereitschaftslager Hess. Lä ch- tenau", im Ort nannte man es nach seinem Erbauer, dem Archi- tekten Herzog. Das Lager war für 1000 Personen geplant, während der Pro- duktionszeit waren jedoch bis zu' 1200 Menschen in den 22 Steinbauten untergebracht. Bis 1942 wohnten dort ausschließ- lich Deutsche; ein aus Kassel stammender Arbeiter berichtet: ..Wir wurden damals in das Lager ' Herzog', rechts, wenn man von Kassel kommt eingewiesen. Die festen Steinhäuser hatten je zwe i Eingänge und waren mi t acht Mann be legt. Mann deshalb, weil in diesem Lager nur Männer untergebracht waren ... "4 2 Dokulentatlon Ehela)igentreffen, S Zur SItuation der J~isplace~ persons a ausf, Jacobmever • .. Ebenda. 98 Ehemaliges Lager Herzog, heutiges Wohngebiet "Hessisch Lichtenau West". F:Jto: BU~OYfS~l Später lebten hier auch "Westarbeiter" (insbesondere Hol- länder und Franzosen), gegen Kriegsende kamen kleinere Gruppen po In ischer Arbe i ter hinzu. Ein Fran z os e , de r zuerst iln Baracken I age r Vere inshaus wohn te und dann nach Herzog umzog, schreibt: "Wir wurden ins Lager Herzog verlegt, worüber ich mich sehr freu te: Es war ein festes Gebäude mi t Zimmern zu 8 Personen, mit Ttlaschgelegenheit, Duschen, Toiletten angrenzend zu den Zimmern, Metallbetten, Bettlaken - in dieser Hinsicht war hier nichts einzuwenden. Wir trafen hier auf die Deutschen und Holländer der Fabrik. Der Lagerführer, ein belgisches 55-Mitglied, sprach perfekt französisch. Er war immer furchtbar stolz auf seine schwarze Uniform. Persönlich hatte ich nichts gegen ihn, aber einen meiner Kameraden hatte er einmal recht schändlich bestraft. Ich war also nun in der neuen "Villa" Lager Herzog, Bau 28, Eingang 3, Stube 2. Zentralheizung gab es zwar nicht, aber dafür hatten wir einen schönen Keramik-Ofen, der es uns sogar ermöglichte zu kochen . ... Das Lager verfügte sogar über ein kleines Fußballstadion, wo wir ein paar Mal uns sportlich betätigten." 5 Wie im Lenoirstift, so wurden auch im Lager Herzog nach Kriegsende heimatlose, vertriebene Juden untergebracht, die auf ihre Ausreise nach Palästina warteten. Hellte wer\den die Gebäude der "S .i ed Lurig Hess isc h L ic htenau West" als Wo hn häuser genutzt, das ehemalige Gemeinschaftsgebäude dient gewerblichen Zwecken. ~ Eclache~ 1n: Doku~entat~on :helaligentreft~n. 99 Holländische und französische Werkarbeiter, untergebracht waren. LAGER TEICHHOF die im Lager Herzog Das Lager Teichhof wurde Anfang 1940 als Holzbarackenlager errichtet, um weibliche deutsche Dienstverpflichtete unterzu- bringen. Nachdem sie in das Lager Waldhof umzogen~ stand Teichhof kurze Zeit leer und ~urde schließlich 1941 vom Reichsarbeitsdienst (RAD) zur Unterbringung der in der Fabrik mit Bauarbeiten beschäftigten "Arbeitsmänner" übernommen. Hehr als 1000 Mann teilten sich die 22 Holzbaracken. 100 Auf dem GBlände des früheren Lagers Teichhof befindet sich heute die Orthopädische Klinik und das Rehabilitationszentrum Hessisch Lichtenau. Foto: Buko"'S~l Reichsarbeitsdienst (RAD) Der freiwillige Arbeitsdienst. in der Jugendbewegung der Weimarer Republik entstanden, wurde erweitert und vom Staat übernommen. 1935 wurde er als 11 Re ichsarbe i tsd ienst 11 verbindlich: "Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihr~m Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Er soll die deutsche Jugend im Geiste des National- sozialismus zu Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauf- fassung, vor allem zu gebührenden Achtung der Handarbeit er- ziehen. "6 Die Arbeitsbedingungen der Arbeitsdienstl,er enthielten viele Elemente, die nach 1939 auch bei den aus- länd ischen Arbeitern in geball ter Form auftraten: "Militärischer Drill, Barackenlager, schlechte Verpflegung und Unterkunft, oft dazu noch lange Anmarschwege, das Ver- bot, die Arbeitsstelle zu verlassen, korrupte und sadisti- sche Vorgesetzte, das Fehlen jeglichen politischen und so- zialen Gegengewichts auf Seiten der Arbeiter".? o ~l ef f t 3. j7. 1 Hernert. 1985. J. 41. 101 Die orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau, die sich heu- te auf dem Lagergelände befindet, fand ihren Anfang in ehema- ligen Lagerbaracken. LAGER FRIEDRICHSBRüCK Das Lager Friedrichsbrück war Anfang 1940 als Behelfslager für 350 Personen errichtet worden. Zuerst war es von Bauarbei- tern belegt, die schon nach kurzer Zeit ins Lager Vereinshaus umzogen. Auch dieses Lager überließ man anschließend dem RAD. Nach dem Krieg wurden "das Lager Friederichsbrück und zwei Barac ken des Lagers Esc he a 1s Wo hn raum fü r F lüc htl Lnge f re i- gegeben ... "8 Keine der ur ap r ürig Li c hen Lagerbaracken ist er- halten geblieben. LAGER FOHREN Das Lager Föhren, 1939 errichtet, war zuerst von deut- schen, später auch von ausländischen Arbeitern bewohnt. Ab 1943 lebten dort zwischen 300 und 500 Ukrainerinnen. Unter ih- nen waren die jüngsten Arbeiterinnen, die von der Verwertche- mie im Werk zur Arbeit gezwungen wurden (10 bis 12jährige Mäd- chen) . Grabplatte des Massengrabes auf dem alten Lichcenauer Friedhof. 'ato: BUkOWSKl . s ~LVW, übernahleDerlcht. 4n1" 102 Die Grabplatte des Massengrabes auf dem alten Friedhof in Hessisch Lichtenau gibt darüber Auskunft, daß viele dieser jungen Frauen zu den Todesopfern bei Explosionsunglücken ge- hörten. Die Ukrainerinen lebten unter besonders menschenver- achtenden Bedingungen. Es gab wenig zu essen, die Frauen hat- ten mangelhafte Bekleidung und die Baracken waren verwahrlost. In einem offiziellen Bericht nach Kriegsende heißt es über das Lager Föhren: tt Sehr verfallen, abbruchre if ... Uberreste des Lagers sind heute nicht mehr vorhanden. LAGER ESCHE UND LAGER STEINBACH Das Lager Esche wurde 1939 für ursprünglich 1000 Menschen erbaut. Zu Anfang lebten Bauarbeiter in den Holzbaracken, spä- ter auch kurzzeitig deutsche Arbeiterinnen, die dann Ln das "Hu s t e r l age r ' Waldhof umzogen. Danach stand das Lager leer, bevor von 1942 bis Kriegsende Arbei ter des Betriebes Eschen- struth sowie Ukrainerinnen und sowjetische Kriegsgefange - ge- trennt voneinander - untergebracht waren. Bei einem Besuchem im November 1942 im Lager der "Ukrainer" und ..Russen" wies der Präs iden t des Landesarbei ts- amtes Hessen darauf hin, daß sowohl die Unterbringung in den Ba r ac ken als auch die Bekleidung der Arbei tskräfte ..noch man- I ches zu wünschen übrig läßt." s Ein Schriftverkehr der Fabrik Hessisch Lichtenau mit dem Landwirtschaftsamt Kassel gibt wei- tere Auskunft. Daraus ist zu entnehmen, daß es ein großes Pro- b 1em war, ausre ichende Bekle idung für die ,. Ostarbe i tar" und "Oe t a rb e i t e r i nn en " zu bekommen. Es wird von der So a i a Lab t e i> lung in einem Schreiben festgestellt: der Kleider- und Schuhwerkbestand ist in einer völlig unzulänglichen Ver- fassung; an warmen Wintersachen, Unterkleidung und Strümpfen fehl t es gänz 1 ich. tt a o Am Rande von Eschenstruth lag auch das 1943 aufgestellte Holzbarackenlager Steinbach. In diesem wohnten Arbeitskräfte der Fabrik Eschenstruth. Die 6 Wohnbaracken teilten sich etwa 300 Personen. Die Baracken der Lager Esche und Steinbach wurden nach Kriegsende abgebaut und in Volkmarsen (Krs. Waldeck) als Teil eines Flüchtlingslagers ~eu aufgestellt. • HSta ~bg. Bestand 401.39 Nr. 160a, RP Kassel, Bericht des PräSIdenten des Landesaroeltsiltes Hessen YOI 11.11.42. 10 Ebenaa, Schrelben der Fabrlk Hess. llchtenau YOI 0.11.42. 103 SIEDLUNG FüRSTENHAGEN Die Siedlung Eü r s t e n hag e n , 1939 fertiggestellt, war ein Angebot der Fabrik an ihre mittleren und höheren Angestellten, mit Familie in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu leben. Es ent- standen 15 dreigeschossige Mehrfamilienhäuser und ein Heim fUr ledige Angestellte. Kontrollen und Ausgangssperren gab es für die Bewohner der Siedlung nicht. Die Hieten waren für die Angestellten sehr gering. Dennoch zogen es viele vor, nicht in der Nähe der Fabrik zu wohnen, denn s I e wußten, daß die Siedlung dur c h Bombenangriffe und Explosionen besonders gefährdet war."~~ Die in Fachwerkbauweise errichtete Siedlung ist heute vo r> wiegend von Familien bewohnt, in einigen Gebäuden befindet sich das Krankenhaus Fürstenhagen. Siedlung Fürstenhagen heute, ehemalige Wohnhäuser von mittleren und leitenden Angestellten. Foto: aU~OWSkl 11 PA vaupel. 3esprach ~lt 4errn ~ .• 104 Hater ial ielJ. .- ~.... '-'-"'-' ._ _...... -"- • .. .. ••• •• _ --................ •• ••• ".m _ --_ _ ••••.•••_ ••••••_ _-- _.__••• - ••••- •• --••• ----•• -"..--- ------ 1 I Yerneh.ungsprotokoll aus der Spruchka••erakte des ehe.aligen stellvertretenden Hessisch Lichtenauer Nerksdirektors Dr. Erich B. va. 8. Hai 1945. "Erschienen ist d e r dienstverpfliohtete Rudolf N. und er- klärt folgendes. Ich bin sm 20.4.40 als Hilfsarbeiter in die Fabrik Hess. Lichtenau dienstverpflichtet worden. Im Juni 41 wurde ioh als Dolmetscher für die i t e I i en i s ohen Arbe i tel' e irureee t s t . Im Fe- brus r 42 vurde i ch als ka.ufm. Angestellter eingesetzt. Als Dolmetscher bei den Italienern mußte ich des öfteren erfahren~ daß die Arbeiter wiederholt Tritte und Sohlä.ge bekamen, vor allem war es der Werkschutzmann N. aus Q.. In meiner Te t:igkei tals Verwal tungsangestell t e r war ich eingesetzt zur Ube rweohurig der Bumnel en t en l i s t:e , Ich persön- lich war mit den Methoden der Bestrafung nicht einverstanden. Hen chme l war da.s so ergreifend für mich" daß mir das Weinen n eher war als das Lachen. Aber ich war gezwungen ~ e I I diese Haßnahmen durch den Druck der Direktion durchzuführen. Sove i t mir Fälle bekannt sind~ bin ich bereit, sie anzugeben. I eh weiß z. B. einen Fall: Ein Ho l l iinder s rbe i te t e im Tri- betrieb. Er be t t:e einen d r i ngenden Fall und beantragte VI-laub, ve l cher ihm abgelehn t wurde. Darum ersoh i en er einige Ta.ge nicht zur Arbei t und wurde infolgedessen sofort in das AI'- bei tshsus Brei t ensu überführt. Ich persönl ich, habe d i eeen Vor- fall als ungerecht a.ngesehen" Die Betriebslei tung hat mich demen tsprechend auch als verfehl t en Pla. tze angesehen ~ ve i 1 ich die Wünsche einer brutalen Behandlung nicht g~theißen konnte. Während meiner Tätigkeit wurden viele Deutsche beim Reichstreuhänder ~egen Arbeitsvertrsgsbruch angezeigt~ es kann fast 100 erreichen. Kurz vor der Besetzung fertigten sich einige Franzosen Hesser an im Werk zum Brotschneiden. Ich wurde als Dolmetscher in diesen Fällen herangezogen. Zwei Franzosen wurden aaf Grund dieser Handlungen der Gestapo überliefert~ was weiter mit ih- nen gesohehen ist~ entzieht sich meiner Kenntnis. Beide Hänner veren eehr tüchtige Arbei ter. /JIei tere Meldungen der Gestapo über ähnliche Fel l e sind des öfteren vorgekommen , auf welche ioh mich nicht entsinnen kann. Auch Russen wurden der Gestapo überliefert und wurden verschickt" Ube r den Yerbl e i b dieser Personen kann ich keine Angaben machen. Hätte ich den Methoden der Betriebsleitung keine Folge geleistet~ ~äre ich selbst der Gefahr ausgesetzt gewesen in das Konzentrationslager zu kom- men" All diese Fiille sind unter meiner Tätigkeit geschehen. lias un ter me i n en Vorgängern G.,t Assessor F. 'und S. geschehen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Pole L. erzählte mir selbst, daß er von Herrn S. unschuldig geschlagen worden i s t , wo ioh nur sagen kann~ daß L. ein anständiger Mann ~8r. HiHiHHHHiHi HHH ~Hn ::'~"::~'ti::.ii!iiiiiiii!!!iiij ii!ii! iiiii :::::::::::::::::: :::::: ::::: f!!i n:::::: nn :::: :::::::: iHH: iii ~~H~ gn ii ~ i ~ iii nnn nn nn ~ ifiii n~HH iiii!~ ~ ~ ::::::I::::: HHHU ifiiHiHHggiHHi :::::::: ::::::::::::::::::::: :::::::: ::::::::::::::::::;:: :::::::: ::::::::::::::::::::: :::::::: ::::::::::::::::::::: 105 --, ... ~!i ~ ! ... ... .... llill VOl' Weihna.chten vurde ich von Herrn B. i111 Lenoirstift an- g·erUfeJ1, daß FrL, Z. unentschuldigt an der Arbe i t: fehlt und wurde beauftragt der Polizei zu melden. Landjäger V. wurde be- auftragt, sie zur Arbeit zu holen. V. gab an~ Z. hätte angege- ben, ihre Hutter wäre kra.nk und /lJüßte zu Hause bleiben. Sie wurde noch einmal aufgefordert~ und dann hat sie Landjäger W. in da.s Gerichtsgefängnis n s ch Ka.ssel überführt. Sie vurde in Haft behalten bis zum 29.3.45. Immer wieder vurde mir vorgehe l ten eine größere Schärfe durchzuführen, den Bummelantenstand zu erniedrigen, immer wie- d e i wurde i oh von Dr. P. und L. beeur t r sgt , gegen die Bum- me I sn ten b ru ta.l er vorzugehen. He i n e r inneren Ube r eeugung wi- dersprach es, wenn die Ausländer bei schleohtem Wetter in Hol=schuhen und ungenilgender Kleidung arbeiten mußten, ob~ohl das LageI' über große Mengen an Schuhen und Kleidung- verfügte. L. war mein nächster Vorgesetzter) der auch die V.X. Abteilung leitete. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß nur unliebsa.me Elemente zur Wehrmacht abgeschoben wurden. Um ihr~ Stellung zu behalten, wurden Hiinner .. die körperlich für die Wehrmacht un- geeignet waren, der Wehrmacht überwiesen. Gesetzlich stand den ausländischen Arbeitern Ur I sub zu, welcher von der Direktion immer wieder gesperrt ~urde. Die Ar- bei ter kamen zu mir und beschwerten sich über diese Sperren. Ich fand es selbst eine Ungerechtigkeit, daß man diesen Leuten den Urlaub sperrte) und muß sagen, das war ein Vertrauensbruch der Direktion. Selbst bei einem Todesfall verweigerte nen den Urlaub eines eus l end i s chen Arbeiters und (er) wurde ens t s t t: dessen nach Bre i t ensu abgeschoben. fiie oft sind die Arbe i ter zu mir gekommen und haben geweint) und ich mußte ablehnen, ~eil die Direktion es einfach verlangte. Z. Zeit kann ich mich nicht mehr an i rgeridsee l che weiteren Fälle entsinnen, und i ch bin bereit nach weiteren überlegungen noch Fälle~ die mir noch in Erinnerung kommen, anzugeben. Nach meiner persönlichen Einschätzung ist Herr Dr. B. und Dr. P. e in rücksichtsloser Mensch" rviihrend er' eine Wohnung von 14 Zimmern hatte) mußte ich JDi t meiner Frau aus einer zwei Zimmer~ohnung ein Zimmer beziehen. Bei einer persönlichen Be- schwerde bei diesem genannten Herrn~ erklärte mir Dr. B., das /J!sl-k müß te bestehen und venn auch der Einzelne un tergehen müßte. Bei dieser Angelegenhei t erklärte mir der Dr. H. in seiner Eigenschaft als kaufm. Direktor~ als ich ihm vorhielt~ daß sie große WOhnUJ1gen besäßen.. daß ich mich doch nicht mi t ihm vergleichen konn t:e, denn er sei doch immer noch der Herr Reoh t s enve l t: D.r . H .. Ich bin im November in die Partei aufgenommen worden. Weltanschaulich war ich mit der Partei nie einverstanden. gez. N. 1III m ." 106 (13a) Co~~rg, den 29. C~t. 1947 - . - \ Betr.: Angelegenhei t Dr , B.'. und s.~ Bezug: Ipre Anfra,e vom 2rr.l~.47 An denHerrn Öffentlichen Kläger der Spruchkammer W1tzenhausen I ", I .f '," . > } . / Auf Ihre ~.nfrage vom 20.10.47 nöcht e ich Ihnen im fOilgenden Sinne ant- v-o r t.en i \ Die sozialen, Einrichtungen, SÖY'ohl ~ Werk als auch in den Lagern waren vorbildlich und -gut, sowie weitestgehendst ausgebaut. Für die soziale Betreuung cter Gefolgschaft bestand eine eigene Sozial-Abt. Es sei in wern.gen Sätzen ein kurzer i~briss über die sozLa.Ien B~ich- tun5en des Werkes gegeben. ~ Ein eieens vom Werk angestellter ~nd nur für das ~erk arbeitender A.zt stand der Gefolgschaft täglich laufend zur Verfügttng. Jedes Ge- f'o Lgschaf t snu, te1ied wurde bei Eintri t·t ins Werk vor Zuweisung in eine~ bestimmten Arbeitsplatz untersucht. Das Ergebnis der Unt~rsuchnng be- stimmte die Auswahl des Arbeitsplatzes. Ferner fanden ~1r die gesamte Gef'o Lgschaf't laufend Nachuntersuchungen s tatt. Diese Ricntlinien fan- den in eleicher Weise bei deutschen wie ausländ1schen·Gef~lgschaft5­ mitgliedern Anwendullg. Die Arzt-Abt. verfügte über ein eigenes me- dizinisches Laboratorium mit 2 1aborantinnen, ferner über ein vor- bildlich eingerichtetes Krankenrevier - man könnte-besser sagen Kran- kenhaus - mit ca. 100 Betten,~in dem Leutsche wie Auslänäer, ent- weder in grossen R~umen.oder bei ansteckenden Krankheiten in Einzel- zimmern untergebracht waren. Dieses Krankenhaus verfügte über ~1nen vorzüglich eingerichteten Behandlungsratim für den ArBt, dem neben eL~~r Oberschwe5ta~~mehrere,andereSchwestern ßUr ~e1te .standen. Aus- serdem verfügte jedes einzelne Wohnlager über ein 1m gleiohen Sinne e,ingeri,~htetes Krankenz-evf.er , in dem nur die leiohter Erkrankten für ein bis zwei Tage Auf'nahme fanden. Hier wa,ren neben S'chweste~ bei den Frauen offiziell ausgebildete Sanitäter bei den Männern· einge- setzt. Neben dem Ar z t übte ein Zahnarzt im Werk seine ·Prans· aus. Seine Sprechstunde war von Deutschen u. Ausländern sehr stark Qesucht. Nach Angaben ies Zahnarztes nahmen'sehr viele Gefolg8chafts~tg11eder,die jahrelane die Behandlung ihrer Zähne vernachlässigt hatten, die Zahn- station in An3pruch, Die Behandlung beSChränkte siC~ nicht etwa auf vorbeugende·Massnahm~n, sondern neben normalen Repa~aturenJ wie Ein- setzen von Flomb~n, wurden Zahnersatz und ganze Gebisse angefertigt. ~ef Zalmarzt beschäftigte in seinem.Laboratorium im Werk 2 Tec~~ker 3li t Eilfskräften~ UJl die anfs.llenden Arbeä ten auf dem Gebiet des '. Zalmersatzes bew~ltige~ zu kö~~en. . . Erholungsbedürftige Gefolgschafts~iteliederwurden vom Werk in ein dem Ko~zern gehäriges Kürheim in B~d Waldliesborn geschickt. Hier waren lallfend während des ganzenaJahres Gefolgschaftsmitglieder fUx rrindestens 14 Taee un7eTgehracht. 107 - 2 - , Das Werk s~lbst verfügte über guteingerichtete Wohlfnhrtsgebäude, in denen s~ch die Gefolgschaftsmitglieder urnkleideten"in den P3usen ihr Essen einnahmen und n~ch ~eendigu~g der Arbeitszeit sich wuscnen, bezw. Wannen- bezvr. Brausebäder nahmen. Hier erfolgte auch die A~s­ gabe eines zusätzlichen Mittagsessens an alle ~folgschaftsmitglieder, soweit sie nicht Selbstversorger waren und aus diesem Grunde keinen Ge brauch von der Verpflegung aus der Werksküche Dachen wollten. In den Lagern wiederUm standen den Gefolgschaftsmitgliedern Bade- einrichtungen i~ Form von Wannen - u. Brausebädern in eigens dazu errichteten Badehäusern zur Ver~jgung. 'Attsserdem hatten die, Lager eigene Friseurstuben, Schneider- u. Schusterwerkstätten, sowie eige- ne Wäschere~en, in denen die gesamte anfallende Wäsche gewaschen wurde • Zur Unte~haltung der Gefolgsch~ftsmitgliedergab es neben-der Werks- bücherei laufend Abende in den einzelnen Wohnlagern, an denen ent- weder.Filme oder Kabarett- oder Theater-Veranstaltungen geboten wur- den. Diese Vorfühnlngen fanden in den vorb11dlieh eingerichteten Geme~nschaftshäusernstatt, die neben dem grossen Geme1nschaftssaal mit allen neuzeitlichen Einrichtungen, wie Kühlräumen, elektrisch, bezv dampfbeheizten Herden und Kesseln, sowie grossen Lagerräumen für Lebensmittel versehen waren. Lie Küchen wiesen einen grösseren Umfang, Wie-ihn Hotelküchen von Stadthallen in grossen Städten haben, auf. In den Lagern wohnten Aus l.ander u , Deutsche zusammen. Es standen allen die bereits oben genannten Einrichtungen in gleieher Weise wie die Wohn- u. Schlafrä~e zur Verfügung. Es bedarf wohl keiner Erwä~~ung mehr, dass Deutsche wie Ausländer selbstverständlich die gleiche Ver pf'Legung e r lue Lten und. gemeinsam e Lnaahmen , Neben gleicher Ver- pflpgung u. Wo~nung erhielten die Ausländer, ausser den 1hnen~je nach Arbeitsplatz zustehenden Zulagekarten, den gleichen Lo~ wie die deutschen Gefolg5chaftsm1tgl~eder.Der LDhn selbst wurde höher gezahlt, als tariflich festgelegt Whr. Ausserdem erhielten die Ge- folg52haftsmit~liederzu Weihnachten und ~~ 1. Kai Gratifikationen ausgezc..hl t , '-' • Es k2~n daher schlechterd~ng5 nicht von unsozialen Verhältn1sse~ bei der DAG. gesprochen werden. Das wurde auch von amerikaniSchen Of- fizieren anerkaIL~t, die sol~he €inrichtungen bei ihrem Einblick in die verschiedensten Fabriken noch nicht vorgefunden hatten. Herr I~. Bell*- als stellvertretende Direktor des We~e8 leitete die Abt.: Betriebe, während Herr S~LII4&' als Betr1~bsle1ter eines dieser Betriebe Herrn ·Dr. B8II_. wieder ·unterstand. Verant- wortlich fUr die Vorgänge a~d 3ustände in ihren Betrieben waren die einzelnen Eetriebsleiter und in den Wohnlagern die einzelnen Lager- führer, '"elche dem Leiter der Sozial-Abt. unterstannen. Objektiv be- trachte~ kann ich mir nicht denken, dass Herr ~. 3~ oder Herr S~~ Ha~dlunge~ begingen oder\duldeten, welche zu unsqz1~len Zustanden geführt hätten. Weter bei dem Leiter der Sozial-Abt., noch bei nir sind seinerzeit neschwerden i~ dieser Hinsicht über!Herrn f'r. B.'" u , He~rn S~.. vorgebracht worüen , noch brachte Herr Dr. B~ neschwerne~ lib~r die ihm unterstellten Betriebsleiter wegen unsozialen Vprhnlte~s vor. Sollt~n sich dennoch Ver~ehlungen 108 - 3 - sei tens beider Herren herausges t e H t haben , so' kann es sich nur um l:.-inzelfälle hande Ln , die mit dem "ezk nichts zu tun haben und die offenbar persönlicher ~IL1tur sein '1lerd.en. Auch hierüber ist we- der :cl:l Leit er der Sozial-.~bt , noch' mir e twa s bekannt ge··/ord.en. ES ist ja im Leben so, dass ei~ jeder seine F-einde und Freunde hat. Es kann nun -.rbei ter und ;\nsestellte geben, (lie 8.US diesen oder jenen Gr~nde~ sowohl mit Herrn Dr. B. als auch mit Herrn S. nicht zufrir?(ip!l w:~ren. D3.s kann aber zutref11enienfalls unter An- t'uhrung des "::egriffes unsozLe.Le Verhältn1sse nicht dem lYerk zur Last gelegt werden, inwieweit d'n beiden Genannten, ist durch die Kammer zu orüfen und festzustellen. Ich gl~ube aber sicherlich sa- gen zu können, dass bei Kenntnis des Charak~ers beider Herren ihnen keine unsozi~len Hc.n'51ttnS€!1 nachgesagt werden können:. , .c.,;. '1/ 1) IV If/, ~ ANHANG _ -•• ······_····..1 ; I L ---------------------- --.-.J Presseberichte über die Projektgruppe Hirschhagen Schriftverkehr der Projektgruppe Hirschhagen Die Fabrik als Kulturdenkmal Foto-Impressionen von Hirschhagen-Rundgängen Gebäudeverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis 110 Ehemalige SprengstotTabrik GhK: Alles über Hirschhagen (Foto: Keller) ERKUNDUNG VOR ORT' Lehramtsstudenten der Gesamt- hochschule Kassel mit ihrem Mentor Dieter Vaupel (rechts) vor der sogenannten Fertigmacherei der Abteilung Pressen der Munitonsfabrik Hess. Lichtenau. Vorschlag von Vaupel: In dem noch gut erhaltenen Bau könnte eine Dokumenta- tionsstätte entstehen. Von Werner KellerH.... Llcht.neu I K••••I. Hirschhagen ist ein 200 Hektar großes W dldgebiet zwischen Hess, Lichterrau. GroßaJmerode und Helsa Sogar Einheimische kennen sich im Gewirr von über 200 Bunkern und demontierten Produkttonsanlagen leicht ver- irren. In Hirschhagen stand eine der großen Rüstungsfabriken des Dritten Reiches - gut ge- tarnt mit Bäumen und lür Flie- geraugen nicht elnsehbar. Vor acht Jahren waren es Di- plomanden der Gesamthoch- schule Kassel (Fachbereich Ar- chitektur), die die Hypothek der NS-Zeit in den Blickpunkt der Öffentlichk.eit rüJkten. Jetzt wollen GhK-Lehramtsstudenten Schulklassen, Jugendgruppen und anderen Interessierten den Zugang zu HIrschhagen - heute Industrie- und Wohngebiet - er- leichtern. Mit dem Namen Hirschhagen verbindet sich eine große Sprengstoffabrtk mit über 4 300 Beschältigten, aber auch ein KZ-Au8enkommando. das dort in den Jahren t 944/45 ein- geselzt wurde und dem bis zu tausend Jüdinnen aus Ungarn angehörten. Die Studenten-Gruppe unter leitung von Dleter Vaupel (Spangenberg) hat einen Leitf~­ den erarbeitet. der im Juni ge- druckt und Im September er- scheinen wird. Damit soll man sich eine VorteIlung davon ma- chen können, unter welchen Be- dingungen hier einst gelebt und gearblelet worden let. Das aus- gedehnte Gebiet soll man mit Hilfe des modifizierten allen Werksplanes und einem erläu- ternden Hefter erkunden kön- nen. Der Bedarf an Information ist groß, wie der GhK-Mitarbeiter und Doktorand Vaupel weiß, der ein Buch über das KZ·Au- 8enkommando Hess. lichtenau des Konzentrationslagers Bu- chenwald ieschrieben hat In je- der Woche sind es ein bis zwei Gruppen oder Schulklassen aus allen Teilen Hessens, die sich in Hirschhagen auf den Spuren der HNA Sonntagszeit von 14.~.89 jünQsten Geschichte bewegen. Anfragen interessierter Stu- diengruppen landen bei der Stadt, aber auch bei Vaupel oder bei der Geschlchtswerks» tatt Hess. Lichteneu. Vaupel tritt dafür ein, Htrschhagen nicht vor den Augen der öffent- lichkeit zu verstecken. Und die beteiligten Studenten meinen, daß kein Schlußstrlch unter die Vergangenheit gezogen werden dürfe. FüllstaUonen, Pressengebäu- de, Verladerampen, Verwal- tungsgebäude der Dynamit No- bel AG (..Verwertchemie") und Lager von Zwangsarbeitern werden für einen Erkundungs- gang auf der Karte dargestellt. Aber auch die Produktions- rückstände, die der Region ein giftiges Erbe hinterlassen ha- ben, sind zu sehen. Im umflDgllchen Erllute- run8.~eft wlrCl die GelChlchte des Werkes und dei KZ·Au8eD- kommandol dokumentiert. Die Bandbreite reicht vom Schrltt- wechsel der .Fabrlk He••. Lieh- tenau" bis hin zu den Namensli- sten der beschäftigten Zwangs" arheiter Eingang fand auch neu- es QuellenmalerlaI. Vaupel: ..Unser Ansatz ist weniger ein historischer als ein pldaogl- scher Wir wollen Leute dazu bringen, sich aktiv mit der Ge.. schichte auseinanderzusetzen. U 111 HNA Werra-Meißner Freitag, 13. Oktober 1989 Gelände-Rundgang Schüler. erleben Hirschhagen Heu. Uchteneu (bea). "Daß der Krieg schlimm ist, daran denkt eigentlich keiner", sagt der 15jährige Michael nach- denklich. 13 Schüler der Baunsbergschule in Baunatal wan- dern mit ihrem Klassenlehrer Wolfgang Hocke auf dem Gelände der ehemaligen Sprengstoff-Fabrik in Hirschhagen bei Hess. Lichtenau. Die Sonne taucht an diesem Tag die Gebäudegerippe, Blechhütten, Verladerampen und Bunker in ein warmes Licht: Trotzdem können sich die jungen Leute aus der 8. und 9. Klasse der bedrückenden Atmosphäre nict:t entziehen. doch gut behandelt werden", so die Reaktion des t5jährigen Detlev. •Wenn alle richtig menschlich gewesen wären, dann wäre das alles doch nicht passiert". Station Nummer drei: Kurzer- hand klettern die Schüler auf das Gerippe des ehemaligen Kesselhauses, wo die Säure ver- arbeitet wurde. Daneben ist der Feuerlöschteich zu sehen. Mir- ko versteht die Welt nicht mehr: "Das hat doch alles der Hitler angezettelt, der hat doch die Menschen gegen die Juden auf- gehetzt. Und WiU11m haben die sich denn nicht gewehrt?" Ja, natürlich sei das "alles ein Horrortrip", gibt Lars zu, aber die Zeit könne man nicht mehr zurückdrehen. "Was haben wirjungen Leute noch damit zu tun?", fragt sich der 14jährige. Nein, sie könne sich nicht vorstellen, "daß es nochmal so etwas geben wird", schüttelt die 16jährige Tanja entschieden den Kopf. Sie ist es auch, die am Ende des Rundgangs einen Wunsch hat: "Wir sollten dieser ungarischen Jüdin schreiben, die dort gearbeitet hat. Die kann doch mal in unsere Klasse kom- men und uns erzählen, wie das alles so war." Die Schüler haben inzwischen die letzte Station, die Schleif- schlammhalde, erreicht. Dieter Vaupel erklärt den jungen Leu- ten, wie sehr heute die TNT- Rückstände das Grundwasser in Hess. Lichtenau und in der Um- gebung belasten. Langsam löst sich die Spannung. Michael steht etwas abseits von seinen Schulkameraden. "Es ist furcht- bar, ich habe Angst", sagt der 14jährige. "Wenn ich das sehe, dann weiß ich jetzt, daß wir alle aufpassen müssen, daß nie wie- der so etwas passiert." Die Schülerinnen und Schüler sind mit dem Thema etnlgerma- Ben vertraut. Dieter Vaupel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamthochschule Kas- sel, hat ihnen Briefe jüdischer KZ-Insassinnen vorgelesen, die zwangsweise in Hirschhagen ar- beiten mußten. Mit ruhiger Stimme gibt er .an diesem Vor- w.i.ttag weitere Informationen. Bomben, Teilerminen und Handgranaten wurden von 1938 bis 1945 auf dem Gelände her- gestellt. Tausende von Zwangs- arbeitern mußten für die Her- stellung von TNT-Sprengstoff (Trinitrotoluol) u. a. Pikrinsäure in Füllstationen verarbeiten. Unter den Augen der Schüler breitet erdie große Werksgelän- de..Karte aus und zeichnet mit dem Zeigefinger die vier Statio- nen nach. Dann kann's losge- hen. Halt Nummer eins: Die Verladestation. Die Schüler staunen über die Rasterbauwer- se der Stahlbetonbauten, das Material, nicht die Menschen, überlebte die Explosionen. Sta- tion Nummer zwei: Das Ferti- gungsgebäude, Herzstück der Sprengstoff-Fabrik, das heute nicht mehr steht. Die früheren Werksgebäude rundum sind mit Bäumen und Pflanzen auf den Dächern getarnt. In seine Berichte flV:ht Dieter Vaupel immer wieder die Schicksale der vielen tausend- Zwangsarbeiter, Polen, Franzo- sen, Frauen und Männer ein. Er erzählt über die lebensgefährli- che Arbeit, über die Explosio- nen und die vielen Toten. Leber- schäden, Verätzungen der Haut und Ekzembildungen waren Folgen des Umgangs mit hoch- giftigen Stoffen. "Warum haben sie denn die Menschen hier mißhandelt und ihnen nur Wassersuppe zum Es- sen gegeben. Menschen müssen EINBUCK in das unterirdische Kanalsystem gewannen die Schüle- rinnen und Schüler während des Rundgangs. Dieter Vaupel gab dazu jede Menge Informationen. (Foto: bea) 112 STATrZEITUNG Ei"." anderen lupng zum Themallationslsozl.'lsmus bietetdie Projektgruppe Hirsc"".gen der Shk. Mithilfeeines LlllttHenszu, ehemaligen Spren,stotf8brikHirschha,." will dieProjektgruppe BesucherInnen desSeIIndes(Foto} .neAnre,ung zur Auseinan- dersetzung mit Fragen der Rüsfungsprodulttlon, Z"angurbelt oderauch Altlastenunierung geben. Mit dem.eitra,"Hlrschha- gen: Erinnern, aber ""ie?" beschreibt die Projektgruppe ihre Ar- beit. Hirschhagen: Erinnern, aber wie? In den vergangenen zweI Semestern entwickelten wir eine Gruppe von Lehr- amtssmcennmen gemeinsam mit dem Padagoglschen Mitarbeiter des Fachbe- reichs 1 der Gesamthochschule. einen .. Leitfaden" zur Erkundung derehemali- gen NS-Sprengstofffabnk In Hirschha- gen. Das Gelande des fniheren Rü- stunqspetnebes hegt ca. 25km östlich von Kas'zel und Istheute einOrtsteil der Kleinstadt Hessisch Lichtenau Dort mußten wahrend des NS-Zelt mehrere tausend Arbeitskrafte, darunter auslän- oscne Zwangsarbeiter und Konzentra- tlollslagergefangene. unter gefahrltchen und gesundheltsschadigenden Beom- gungen Bomben und Granaten tur den nationalsozialistischen Angriffskrieg produzieren. Aus der2eltdes National- sozialismus sind noch Viele derehemals fast 400 Produktionsgebäude erhalten geblieben. Drese "steinerne Zeugen" derVergangenheit sind heute z_T zu-ge- werblichen Zwecken genutzt oder zu Wohnhausern umgebaut worden. Fra- gen nach Formen derErinnerung andie Geschehntsse wahrend derNS-Zeft oe- scnamqen seiteIOlgen Jahren dieMen- schen der Region Hessisch Lichtenaus ebenso wieProbleme derTrinkwasser- verunrein,gung durch giftige Ruckstan- deaus derSp~engstoffproduktlon. Auf Hirschhagen artmerksam geworden Sind wir durch Seminarveranstaltungen des Fachbereichs ErziehungswIssen- schatten/Humanwissenschaften der Ghk zum Thema "Deutungen d~Natio- nalsozialismus" und durch das Buch ,.Sprengstoff aus Hirschhagen" Be, ei- nem ersten Rundgang durch das Gelan- de waren unsere Empfindungen ge- mischt, einKonglomerat aus Faszination und Abscheu. Die Faszination ging aus von den Gebäuden, die leer und doch geheimnisvoll mitten ir,n Wald stehen, eine Abenteuerspielplat2atmosphäre er- zeugen. Abscheu packte uns bei den Gedanken andieGeschehnisse, diesich in diesen Gebäuden während derNazi- zeitereignet hatten, beiderErinnerung daran, unter welchen Beomgungen Menschen dort arbeiten mußten. Nachdem wirdas Gelände erkundet und unsausführlich mit derGeschichte und Gegenwart derSprengstoffabrik ausein- andergesetzt hatten, überlegten wir wie es möglich ist, Hirschhagen in die Bil- dungsarbeit einzubeziehen und damit dem Bedürfnis Interessierter Gruppen (insbesondere SChulklassen) und Ein- zelpersonen. das Gelände kennenzuler- nen, entgegenzukommen. Es ging uns darum, einAngebot zuent- wickeln, das einerseits Informationen bereitstellt, andererseits Möglichkeiten zu e;genen Fragestellungen zu kom- men, eröffnet. Wir erarbeiteten einKon- zept, das in einem "Leitfaden zurErkun- dung des ehemaligen Fabrikgeländes der Sprengstoffabnk Hessisch LIchte- nau"umgesetzt wurde. Dieses 100Sp.i- ten umfassende Heft beschreibt einen Rundweg durch das Gelande von ca. 5 km Lange, der vier Stationen umfaßt Der Broschüre ist eine Karte des Fabrik- geländes beigefügt. in derdieser Rund- weg eingezeichnet Ist Für Gruppen, diemehr erkunden woUen, alsaufdem Rundweg vorgesehen, Sind Gebaudeverzelchnlse und Kurzbe- schreibungen weiterer Produktionsbe- reiche aufgenommen worden. Daruber- hinaus sind zwei ehemalige Arbeitsla- ger, die wenige Kilometer vom Werk entfernt liegen, ausführtich beschrie- ben Eine Erkundung In Htrschhagen bietet Möglichkeiten eines anderen Zugangs zum Thema Nationalsozialismus. Sie kann Anregung zurvertiefenden Ausein- andersetzung etwa mit Fragen derRü- stungsproduktion I der Zwangsarbe,t oder auch derAltlastensanierung geben. Der Lemort Hirschhagen bietet eine Chance, sich aktiv-handelnd mitderNS- Zelt undihren Folgen Auseinanderzuset- zen, Fragen zustellen und anTabus zu rühren. Es eröffnen sich hier Möglich- keiten des Begehens und Begreifens, nichtnur des abstrakten, 1t verkopftenu Lernens. Nach Fertigstellung des Leitfadens hat jetztdiepraktische Erprobung des Kon- zeptes begonnen. Mitglieder der Pro- jektgruppe Hirschhagen stehen jeden Mittwochvormittag zur Verfügung, um Erkundungen Hirschhagens zu organi- sieren bzw, den dortigen Besuch vor- und nachzubereiten. Der "Leitfaden" ISt zumSelbstkosten- preis zu erhalten belderProjektqruppe HIrschhagen der Ghk. Fb 1 Hemncn- Plett-Str 40. 3500 Kassel Projektqrupoe Hirschnaqen 113 HNA Kreis Kassel van 25.10.39 Ehemalige SprengstofTabrik Hirschhagen/GhK-Projekt Leitfaden gibt Einblicke Hess. Uchtenau/Ka.sel (bea], Der Leitfaden Iür die Erkundung der ehemaligen Sprengstoffa- brik Hirschhagen liegt vor: Un- ter der Leitung von Dieter Vau- pel (Spangenberg) hat eine Gruppe Lehramtsstudenten von der Gesamthochschule Kassel die Broschüre erarbeitet. Die vom Institut für Bildungspla- nung und Schulentwicklung herausgegebene Schrift richtet sich insbesondere an Jugend- gruppen und Schulklassen. Der Leitfaden soll Einblick ge- ben in die Arbeits- und Lebens- bedingungen, aber auch auf die Folgen des giftigen Erbes von heute aufmerksam machen. Das 200 Hektar große Waldgebiet der Fabrik kann mit Hilfe eines alten Werksplanes und eines Hefters erkundet werden. Der Leitfaden .Htrschhagen - Sprengstoffproduktion im ,Drit- ten Reich' mit einer Auflage von 500 Stück soll nach Auskunft von Dieter Vaupel zunächst im Unterricht ausprobiert werden, um ihn nach ersten Erfahrungen später noch einmal umzuarbei- ten. Vaupels Wunsch: Daß die Stadt Hess. Lichtenau und der Kreis die Publikation finanziell fördern könnten. Mit dem Leitfaden (100 Sei- ten) geht es der Kasseler Pro- jektgruppe keinesfalls um eine Zeigefinger- oder Schock-Pä- dagogik, erklärt Vaupel. Statt emotionaler Diskussionen bietet er sachliche Information und viele Quellentexte. Der Rundweg umfaßt die Sta- tionen Verwaltungsgebäude. Füllstation, Pressengebäude und Schleifschlammhalde. Dar- über hinaus werden die beiden ehemaligen Arbeitslager "Waldhofu und "Vereinshaus" ausführlich beschrieben. Den Kapiteln vorangestellt ist je- weils ein aktuelles Foto, ein zu- sammenfassender Text gibt die wichtigsten Informationen und erklärt Produktionsabläufe und Arbeitsbedingungen. Während in den 60er Jahren Generationen von Schülern mit Horrorbildern von Menschen- vernichtungslagern geschockt werden sollten und in den 70ern ein betont antifaschistischer Unterricht mit ausgiebigen Un- terrichtsreihen praktiziert wur- de. habe man in de., ausgehen- den 70ern festgestellt"welch ein erschreckendes Defizit" zu dem Thema bestanden habe, so Vau- pet Unter den Gesichtspunkten Lokalität und Subjektivität sei dann die NS-Zeit im Unterricht aufgearbeitet worden. Die Projektgruppe des GhK- Fachbereichs Erziehungs- und Humanwissenschaften besteht seit gut einem Jahr. Hervorge- gangen ist sie aus einem Semi- nar zum Thema "Deutung des Nationalisozialismus". Im Rah- men der Projektarbeit wurde Hirschhagen vorgestellt, nach dem Rundgang sei die Frage auf- gekommen, berichtet Vaupel, wie man Hirschhagen in die Bil- dungsarbeit mit einbeziehen und gleichzeitig dem Bedürfnis von Schulklassen, das Gelände kennenzulernen. entgegenkom- men könne. So entstand die Idee eines Leitfadens, in dem die Gruppe viele Ideen und persön- liches Engagement eingebracht hat. Seit Oktober bietet die Pro- jektgruppe Hirschhagen jeweils mittwochs von 9 bis 13 Uhr Füh- rungen an. es können auch meh- rere Gruppen geführt werden. Der Leitfaden ist in einer Aufla- ge von 500 Stück erschienen und kann bei der Gesamthoch- schule Kassel, Projektgruppe Hirschhagen. Fachbereich 1 der GhK, zu Händen Dieter Vaupel, Heinrich-Plett-Straße 40, in 3500 Kassel oder beim Hessi- sehen Institut für Bildungspla- nung und Schulentwicklung, Bodenstedtstraße 7, Postfach 31 OS, 6200 Wiesbaden bezogen werden. 114 Leitfaden zur Sprengstoffabrik DIe 8Mchlftlgung mit dem Nationalsozialismus, MInen Ursa· chen und Auswirkungen be,.Het noch Immer SChwierigkeiten und sorgt ..eh ... vor 'Or SprengatoU InDlsk....lonen••Erlnnern, aberw"'" tragt die Projektgruppe .HlnchhagenM der G...mthochachu- .. K....t, Aus Ihrer Arbeit Ist ein .Lelt..... zur Erkundung des ..... .....Igen F.brlkgellndM der SpntngstoUabr,k H...lsch Llcht u.. entst8nden, den die Gruppe em Montag, 27. November um 20 Uhr Im Hotel ,;zur lichten A...• In H...1schg LIchtenau vorstellt. Heute werden die Geblude der ten soll diese VerOffentlichung ehemaligen Nazl-8prengstoffab- eine ElnstlgstnOglichkeit und rlk zum Tell als Wohnhauser oder OrientierungshIlfe bieten. Das als Produktionsstatten verschle- Heft umta8t etwa 100Selten und denar Gewerbe genutzt. Vor fOnf- wurde In Zusammenarbeit mit zlg Jahren waren hier Zwangsar- dem Hesslschen Institut tor 811- belterlnnen und Zwangsarbelter dungsplanung und Schulent- beschlftlgt. Unter Atzend3n wicklung herausgegeben. Es Dampfen wurden Bomben u"d wird ein Rundweg durch das Ge- Munition prcduztert, was bel vi. linde beschrieben, Dokumente len Frauen zu Verflrbungen der stehen neben welterfOhrenden Haare und Gesundheitsschiden Auseinandersetzungen und Inter- fQhrte. pretatlonen. Um an die Thematik des Natie> nalsozlalismuß und seiner Erhlltllch Ist der .Lel~fdaden· Krtegsmaschinerie heranzufün- bei der Projektgruppe Hirschha- ren, hat die Projektgruppe ihren gen der GhK, Fachbereich 1, •Leitfaden- ecarbeitet. Schul- Heinrlch-f'lett-Straße 40 In Kas- klassen und anderen Interessier· set Extra Tip VaTI 26.11.89 Witzenhäuser Al.Igereine VaTI 22. /23 .11.89 GhK-Gruppe stellt sich vor Hel••,..... Lichtenau. Die Projektgruppe Hirschhegen der Gesamthoc1).schule Kassel will sich bei einer Veranstaltung am Montag, 2·7. November, um 20 Uhr im Hotel "Zur lichten Aue- in Hess. Uchtenau vorstellen. Erörtert werden soll nach Anga- benvon GhK-Mitarbeiter Dieter Vaupel die Konzeptiondes Leit- fadens. Mit Dias soU eine Füh- rung durch das Gelände des frü- heren Sprengstoffwerkes nach- vollzogen werden. Motto: .Erin- nern - aber wie?- Projektgruppe Hirschhagen Informationsabend 'war nur spärlich besucht He... Uchten&lU (00). Zu ei- nem Informationsabend hatte die .Projektgruppe Hirschha- gen" der Gesamthochschule Kassel die Bürger des Hess. Lichtenauer Ortsteiles Hirsch- hagen eingeladen. Mit Bedauern stellte man fest, daß der Einla- dung nur wenige Hirschhagener gefolgt waren. Bedauerlich deshalb, weil es das Ziel der Studenten war. das von der Projektgruppe im letz- ten Jahr ausgearbeitete Rund- gangskonzept durch das Gelän- de der ehemaligen Sprengstoffs- brik, das in einem "Leitfaden" umgesetzt wurde, mit den Be- wohnern des Ortsteiles zu dis- kutieren und deren Kritik und Anregungen entgegenzuneh- men. Begonnen hatte der Ver- sammlungsleiter Uwe Petersen damit, zunächst die Gruppe und ihr Vorhaben vorzustellen. In der anschließenden Dis- kussion wurde von Anwesen- den kritisch angemerkt, daß die Auseinandersetzung mit der na- tionalsozialistischen Zeit eine Belastung für den Ort sein kön- ne und zu Problemen bei der Ansiedlung von Industrie führe. Ein Bürgermachte den Vorwurf, es würde immer nur .miesge- macht" und man kümmere sich zu sehr um das Schicksal einzel- ner Gruppen, dabei würde ver- gessen, positive Entwicklungen herauszustellen. Dem hielt die Gruppe entgegen, daß es ihr nicht um Schuldzuweisungen, sondern um eine betont sachli- che Bearbeitung gehe, und sie als Lehrerstudenten eine päd- agogische Verantwortung im Umgang mit der NS-Thematik hätten. Dies wurde von den meisten der Anwesenden unterstützt, die die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der NS-Geschicb- te betonten, um damit auch neu- en rechtsradikalen Tendenzen unter Jugendlichen den Boden zu entziehen. Dabei sahen sie die Projektgruppe auf dem rich- tigen Weg. Allerdinas müsse man überlegen, wie die ableh- nende Haltung vieler Lichte- nauer zu durchbrechen sei. Die Forschung nach den Motiven einer solchen Abwehrhaltung bei der Bearbeitung der Hirsch- hagen-Thematik wurde als Not- wendigkeit erkannt. Dankbar war man für die offe- nen Äußerungen der wenigen anwesenden Hirschhagener, ae- ren schwierige Situation (.wir fühlen uns wie in einem Affen- käfig, wenn Besuchgruppen durch das Gelände gehen") man nachfühlen konnte. 115 Thema Nationalsozialismus: Lernort Hirschhagen EHEMALIGE VERLADERAMPE der NS-Sprengstoffabrik in Hirschhagen: Eine Projektgruppeder GhK hat jetzt einen Leitfaden zur Erkundungdes Geländeserarbeitet (siehe Bericht). Bild: dv GhK-PUBLIK 20. Dezember 1989 Die Umsetzung Nach FertigsteHung des Leitfa- dens hat jetzt die praktische Erpro- bung des Konzeptes begonnen. Mit- glieder der Projektgruppe Hirschha- gon stehen jeden Mittwochvormittag zur Vet1ügung, um Erkundungen _ zu organisieren bzw. den dortigen Besuch vor- und nach- zubereiten. Wir hoffen, daß von die- sem Angebot reger Gebrauch ge- macht wird, denn die kritische Aus- einandersetzung mit unserem Kon- zept kann helfen, es weiterzuentwik- kein. Der "Leitfaden" ist zum Selbstko- stenpreis zu erhalten bei der Pro- jektgruppe Hirschhagen der GhK, FB 1, oder beim Hessischen Institut für Bildungsplanung und Schulent- wicklung, Postfach 3105, 6200 Wiesbaden. Uwe Petersen tern soll, vorgestellt. Ein Text gibt die wichtigsten Informationen über hi- storische Zusammenhänge, Produk- tionsabläufe und Arbeitsbedingun- gen wieder. Ergänzende, unkom- mentierte Materialien - Dokumente und Aussagen ehemaliger (Zwangs) Arbeiterinnen - sollen Möglichkei- ten der weiterführenden Auseinan- dersetzung mit der Thematik und der eigenständigen Interpretation bieten. Für Gruppen, die mehr erkunden wollen, als auf dem Rundweg vorge- sehen, sind ein Gebäudeverzeichn:s und Kurzbeschreibungen weiterer Pnoduktionsbereiche aufgenonunen worden. Darübeminaus sind zwei ehemalig~ Arbeitslager, die wenige Kilometer vom Werk entfernt liegen, ausführ1ich beschrieben. Bne Erkundung in Hirschhagen bietet Möglichkeiten eines anderen Zuganges zum Thema Nationalso- zialismus. Sie kann Anregung zur vertiefenden Auseinandersetzung etwa mit Fragen der Rüstungspro- duktion, der Zwangsarbeit oder auch der Alttastensanierung geben. Der lemort Hirschhagen bietet eine Chance, sich aktiv-handelnd mit der NS-Zeit und ihren Folgen auseinan- derzusetzen, Fragen zu stellen und an Tabuszu rühren. Es eröffnen sich hier Möglichkeiten des Begehens und Begreifens, nicht nur des ab- strakten, "verkopften" Lernens. Sprengstoffabrik Hessisch Lichte- nau" umgesetzt wurde. Dieses 100 Seiten umfassende Heft - her- ausqeqeben vom Fachbereich 1 in Zusammenarbeit mit dem Hessi- sehen Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung - beschreibt einen Rundweg durch das Gelände von ca. 5 km Länge, der vier Statio- nen umfaßt. Der Broschüre ist eine Karte des Fabrikgeländes beigefügt, in der dieser Rundweg eingezeich- net ist. Jede Station (Verwaltungsgebäu- delWache, Füllstation, Pressege- bäude, Schleifschlammhakte) wird durch ein aktuelles Foto, welches das Auffinden der Gebäude er1eich- setzt hatten, überlegten wir, wie es möglich ist, Hirschhagen in die Bil- dungsarbeit einzubeziehen und da- mit dem Bedürfnis interessierter Gruppen (insbesondere Schulklas- sen) und Einzelpersonen, das Ge- lände kennenzulernen, entgegenzu- kommen. Das Konzept Es ging uns darum, ein Angebot zu entwickeln, das einerseits Infor- mationen bereitstellt, andererseits Möglichkeiten zu eigenen Fragestel- lungen zu kommen, eröffnet. Wir erarbeiteten ein Konzept, das in ei- nem "Leitfaden zur Erkundung des ehemaligen Fabrikgeländes der In den vergangenen zwei Seme-stern entwickelten wir, eine Grup- pe von Lehramtsstudentinnen, ge- meinsam mit dem Pädagogischen Mitarbeiter Dieter Vaupel einen "Leitfaden" zur Erkundung der ehe- maligen NS-Sprengstoffabrik in Hirschhagen. Das Gelände des frü- heren Rüstungsbetriebes liegt ca. 25 km östlich von Kassel und ist heute ein Ortsteil der Kleinstadt Hessisch Lichtenau. Dort mußten während der NS-Zeit mehrere tau- send Arbeitskräfte, darunter aus- ländische Zwangsarbeiter und Kon- zentrationslagergefangene, unter gefährlichen und gesundheitsschä- digenden Bedingungen Bomben und Granaten für den nationalsozia- listischen Angriffskrieg produzieren. Aus der Zeit des Nationalsozialis- , mus sind noch viele der ehemals HI, fast 400 Produktionsgebäude erhal- ten geblieben. Diese "steinernen Zeugen" der Vergangenheit sind heute z. T zu gewerblichen Zwek- ken genutzt oder zu Wohnhäusern umgebaut worden. Fragen nach Formen der Erinner.ung an die Ge- schehnisse während der NS-Zeit beschäftigen seit einigen Jahren die Menschen der Region Hes- sisch Lichtenaus ebenso wie Proble- me der Trinkwasserverunreinigung durch giftige Rückstände aus der Sprengstoffproduktion. Die Ausgangslage I Auf Hirschhagen aufmerksam ge- worden sind wir durch Seminarver- anstaltungen des Fachbereichs Er- ziehungswissenschaftlHumanwis- senschaften zum Thema "Deutun- gen des Nationalsozialismus" (Krau- se-VilmarlMessnerNaupel) und durch das Buch "Sprengstoff aus Hirschhagen" (König/Schneider). Bei einem ersten Rundgang durch das Gelände waren unsere Empfin- dungen gemischt, ein Komglomerat aus Faszination und Abscheu. Die Faszination ging aus von den Ge- bäuden, die leer und doch geheim- nisvoll mitten im Wald stehen, eine Abenteuerspielplatzatmosphäre er- zeugen. Abscheu packte uns bei den Gedanken an die Geschehnis- se, die sich in diesen Gebäuden während der Nazizeit ereignet hat- ten, bei der Erinnerung daran, unter welchen Bedingungen Menschen dort arbeiten mußlen. Nachdem wir das Gelände erkun- det und uns ausführlicher mit der Geschichte und Gegenwart der Sprenwstoffabrik auseinanderge- 116 Ehemalige SprengstofTabrik Hirschhagen IlNA~ler Zeitung van 19.1.,f" .... rtl!l I' '' Ic.,q ('><;p " r.C ' l (111 .\k"('ll'lp·;pll~Ch1't ,7hPlq<"'f'IlP K(l~~pl POC'"·t~c:h 11 ru h~ V"IOO KflSSPI Herrn Dr. Dieter Vaupel c/o Gesamthochschule Kassel Fachbereich 1 Heinrich-Plett-Straße 40 3500 Kassel Industrie Verwaltungs Gesellschaft AG • . Zweigste:ie Kassel Falderbaurnstraße 22 3500 Kassel lndustneoark Kassel·WaldC,iu Telefon (0561) 585045/46 Tel~te)( 5611 13 r IVGKAS Telefax (0561) 585045 Telegramm lvauge Kassel Ihrp Nachrlchl Unser Zelchp.n H;lU~rllf Datum 9. März 1990 Betr.: Hessisch Lichtenau-Hirschhagen Sehr geehrter Herr Dr. Vaupel, anläß1 ich der am 22.2.1990 in unserem Hause stattgefundenen Besprechung und mi. t Ihrem Schreiben von 5.2. 90 hatten Sie uns gebeten, das ungenutzte Gebäude 367 mit Schülergruppen betreten zu dürfen. Dieses, in mittelbarer Nähe der öffentlichen Straße gelegene Gebäude soll Ihren Ausführungen zu- folge zu Besichtigungszwecken als sog. Musterobjekt de+ ehenaligen Sprengstoff- fabrik dienen. Dem können wir unter folgenden Voraussetzungen zustimmen: IVG schließt jegliche Haftung nach privatem und öffentlichen Recht für Schäden aus, die im Zusamnenhang mit den Besichtigungen an Personen oder Sachen entstehen. Beschädigungen oder Veränderungen am Gebäude und dessen Urngriff sind untersagt. Diese Genehmigung bezieht sich ausschließlich auf das Gebäude 367. Das Betreten anderer Bereiche unserer Liegenschaften in Hirschhagen müssen wir nach wie vor untersagen. - 2 - VorSitzender des AufSIchtsrats' Dr. Manf,ed Lenrunqs Vorstand Or. tUf Gunter Nastetskt Otpl·Kim Fned Scharpenack Rechtsform AktIengesellschaft SItz' Bonn Arntsoencht Oonn HAB 4148 Telefon (02 28) 8 44 0 Tete,< 8 85 435 Telefax (0228) 84 41 07 Telegramm tvauge Bonn 2 tVG. Zanderstraße 5 5300 Bonn 2 Bankverbmdunqen Dresdner Bank AG. Bonn 2 074 655 (Bll 370 800 40) , Bank f Gememwrrtschaft AG. Bonn 1 014 173 900 (BLZ 380 101 11) Bayer Verertlsbank Munchen 280 780 (BlZ 700 202 70) Commerzbank AG, Bonn 111 966 800 (BlZ 380 400 07) Westdeut5che Landesbank Guozeotrale. Koln 214 460 rsrz 370500 00) Postqiro Köln 19402500 (BLl 370 100 50) 133 Industrie Verwaltungs Gesellschaft AG ....-_. nLltl 2 ?llIn Rflpl 'i"") 9 •3 .1990 ;1/' Herrn Dr. Dieter Vaupel Unsere Zf0lct1en Hol/sie Das Regierungspräsidium Kassel und das Hessische Institut für Bildungs- planung und Schulentwicklung, Wiesbaden, erhal ten eine Durchschrift di.eses SchreilJens mit der Bitte um Kenntnisnahme .. Mit freundlichen Grüßen Industrieverwaltungsgesellschaft Aktiengesellschaft Zweigstelle Kassel 134 i.j.~/· (Holtkamp) i.A. (wJirth) DIE FABRIK ALS KULTURDENKMAL Liste der Objekte, die auf Antrag der Unteren Denknlalschutz- behörde ,Eschwege in das Denkmalbuch des Landes Hessen einge- tragen werden sollen: 1 Auße r ha Lb der Orts Lage Kohlenhoqhbunker Borsigstraße (480) Verladerampe Borsigstraße (481) Elektrokarrengebäude Daimlerstraße o. Nr. Pressengebäude Daimlerstraße (312) Abfüllungsanlage Daimlerstraße (313) Denitrierungsgebäude Daimlerstraße (325) Säure lager Daimlerstraße (343) Denitrierungsgebäude Daimlerstraße (652) Wohlfahrtsgebäude Dieselstraße (551) Wache Dieselstraße (580) Verw~ltung Gutenbergstraße (408) Hüllenlager Gutenbergstraße (412) FüI Ls t a t ion Ost TNT Gutenbergstraße (444) Fertigmachungsgebäude Kepplerstraße (348) Säure lager Lä Lä en t ha Le traße o. Nr. Kohlenhochbunker Lilienthalstraße (O54) Spaltgebäude Lilienthalstraße (653) Kantine Lilienthalstraße (658) Feuerwache Den rechtsverbind 1ichen Status eines Kul turdenkmals im Sinne des Denkmalschutzgesetzes erhalten die Objekte jedoch erst nach der Publikation der Denkmaltopographie I Werra-Heißner- Kreis 11, Altkreis Witzenhausen und der damit verbundenen Be- nachrichtigung an den Besitzer. Die vorläufige Eintragung be- deutet allerdings bereits, daß in Zukunft an diesen Gebäude keine baulichen Veränderungen ohne Genehmigung der Denkmal- schutz-, bzw. Denkmalfachbehörde vorgenommen werden dürfen. 1 Die (••• , beziehen sich auf das 6ebäudeverzeichnis aus dei ubernah.ebericht des Trpuhänders der Montan Industrie GlbH für das land Hessen, .Dr. Falrk , 135 Gesetz zum Schutze der Kulturdenkmäler (Denkmalschutzgesetz) in der Fassung vom 5. September 1986 §11 Erhal tungspnicht (I) Eigentümer, Besitzer und Unterhat- tunflspflichtige von Kulturdenkmälern sind verpflichtet .. diese im Rahmen des Zumutba- ren zu erhalten und pfleglich zu behandeln. (2) Das Land sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände tragen hierzu durch Zu- schüsse nach Maßgabe der verfügbaren Ilaushaltsmittel bei. § 12 Durchsetzung der Erhaltung (I) Kommen Eigentümer, Besitzer oder sonstige Unterhaltungspflichuge ihren Ver- pflichtungen nach § 11 nicht nach und tritt hierdurch eine Gefährdung des Kulturdenk- mals ein, können sie von den Denkmal- schutzbehörden verpfllehtet werden, erfor- derliche Erhaltungsmaßnahmen durchzu- fuhren. (2) Erfordert der Zustand eines Kultur- denkmals zu seiner Instandhaltung, Instand- setzung oder zuseinem Schutz Maßnahmen, ohne deren unverzügliche Durchführung es gefährdet würde, können die Denkmal- schutzbehörden diejenigen Maßnahmen selbst durchführen, die zur Abwendurig ei- ner unmittelbaren Gefahr für den Bestand des Kulturdenkmals geboten sind. Eigentü- mer und Besitzer sind verpflichtet, solche Maßnahmen zu dulden. Eigentümer, Besit- zer und sonstige Unterhaltun8spnichtise können im Rahmen des Zumutbaren zur Er- steuunl der entstandenen Kosten herange- zOlen werden. , 13 Nutzuni von Kulturdenltmllem Werden Kulturdenkmller nicht mehr ent- sprechend Ihrer ursprOnllichen Zweckbe- 'timmunllenutzt, sollen die EtsentOmer ei- ne Nutzung anstreben. die eine mÖ8lichst weftlehende Erhaltun. der Substanz aufdie Dauer lewihrleistet. 114 Au,kunfts- und Duldungspflichten (I) Eigentümer und Besitzer von Kultur- denkmllern sind verpflichtet, die zur Enül- lunl der Aufgaben des Denkmalschutzes er- forderlichen Auskünfte zu erteilen. (2) Denkmalschutzbehörden und Denk- malfachbehörde sind nach vorheriger Bena- chrichtilung der Eigentümer und Besitzer berechtigt, Grundstücke zu betreten und Kulturdenkmäler zu besichtigen, soweit es zur Erfüllung der Aufgaben des Denkmal- schutzes erforderlich ist. Wohnungen dUrfen gesen den Willen des Besitzers nur zur Ab- 136 wendung drohender Gefahr für Kulturdenk- mäler betreten werden. Die Unverletzlich- keit der 'Wohnung nach Art. 13des Grundgc- setzes wird insoweit eingeschränkt § 15 Zugang zu Kulturdenkmälern Kulturdenkmäler oder Teile derselben sollen der Öffentlichkeit soweit wie möglich zugänglich gemacht werden, wenn der öf- fentliche Zutritt zugemutet werden kann. Die Denkmalfachbehörde soll mit dem Ei- gentümer solcher Denkmäler Vereinbarun- gen über den freien Zutritt treffen; dies gilt insbesondere dann, wenn für die Erhaltung des Denkmals öffentliche Mittel aufgewen- det werden oder aufgewendet worden sind. 116 Genehmigungspflichtige Maßnahmen (I) Der Genehmigung der Denkmal- schutzbehörde bedarf, wer ein Kulturdenk- mal oder Teile davon I. zerstören oder beseitigen, 2. an einen anderen Ort verbringen, 3. umgestalten oder instandsetzen, 4. mit Werbeanlagen versehen will. (2) Der Genehmigung der Denkmal- schutzbehörde bedarfferner, wer in der Um- Bebung eines unbeweglichen Kulturdenk- mals Anlasen errichten. verindern oder be- seitigen will. wenn sich dies auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des Kulturdenk- males auswirken kann. (3) Die Genehmigung soll nur erteilt wer.. den, wenn überwiegende Grunde des Ge- meinwohls dem nicht entgegenstehen. Eine Maßnahme an einerGesamtenlage (12Abs. 2 Nr. 1) ist zu genehmigen. wenn sie deren hi- storisches Erscheinungsbild nur unerheblich oder nur vorübergehend beeinträchtigt. § 17 Anzeigepnichtige Maßnahmen (I) Eigentümer und Besitzer haben Schä- den und Mängel, die an Kulturdenkmälern auftreten und ihren Denkmalwert und ihre Substanz beeinträchtigen, unverzüglich der Denkmalschutzbehörde anzuzeigen. (2) Wird ein bewegliches eingetragenes Kulturdenkmal veräußert, so haben Veräu- ßerer und Erwerber den Eigentumswechsel innerhalb eines Monats den zuständigen Denkmalschutzbehörden anzuzeigen. ~ 27 Bußgeldbestimmungen (1) Ordnungswidrig handelt. wer vorsätz- lich oder fahrlässig I. genehmigungspflicbtige Maßnahmen entgegen § 16,§ 2JSatz I oder' 22 Abs. 2 Satz lohne Genehmigung be,innt oder du rehführt oder einer von derzuständilen Behltrde mit der Genehmigung erteilten Auflage zuwiderhandelt; 2. entgegen § 12 Abs. 2 Satz 2 Maßnahmen der Denkmalschutzbehörde zur Abwen- dung einer unmittelbaren Gefahr rur den Bestand eines Kulturdenkmals nicht dul- det; 3. der Auskunftspflictu nach § 14Abs. I nicht nachkommt oder entgegen § 14 Abs. 2Satl I den Beauftragten der zuständigen Be- hörde das Betreten von Grundstücken oder Besichtigen von Kulturdenkmälern nicht gestattet; 4. entgegen § 11Abs, 2 den Eigentumswech- sel eines beweglichen eingetragenen Kul- turdenkmales nicht oder nicht rechtzeitig anzeigt; s. entgegen § 20 Abs. I Satz 1 einen Fund nicht unverzüglich anzeigt; 6. entgegen § 20 Abs. J den Fund oder die Fundstelle nicht his zum Ablaufeiner Wo· ehe nach der Anzeile In unverlndertem Zustand liDt; 7. den von der Denkmalfachbehörde erlas- senen, vollziehbaren Anordnungen zur Bergung, Auswertung und zur wissen- schaftlichen Bearbeiiung nach t 20 Abs. 4 zuwiderhandelt oder 8. einer Nutzungsbeschränkung nach I 23 Abs. 1zuwiderhandelt. (2) Ordnungswidrigkeiten nach Abs. I Nr. 2 bis 8 und Nr. I, mit Ausnahme der Zuwi- derhandlungen legen § 16Abs. I Nr. I. kön- nen mit einer Geldbuße bis zu filnfziltau- send Deutsche Mark geahndet Iwerden. Ord- nungswidrigkeiten nach Abs. I Hf. Jkönnen im Falle der ZuwiderhandluDI leien § 16 Abs. 1Nr I mit einer Geldbuße bis zu einer Million Deutsche Mark geahndet werden. (3) Verwaltungsbehörde im Sinne des §36 Abs. I Nr. I des Gesetzes über Ordnungswi- drigkeiten ist die untere I>enkmalschutzbc- hörde. (4) Ist eine Ordnungswidrigkeit nach Abs. I Nr. 1 begangen worden. so können die zur Vorbereitung oder Begehung gebrauchten oder bestimmten Gegenstände eingezogen werden. § 19des Gesetzes über Ordnungswi- drigkeiten ist anzuwenden. GEBÄUDEVERZBICHNIS Anlaqe 9 Abschrift: Ubernahmeberlcht des Treuhanders der Montan- Industrie GmbH fUr das Land Hessen Dr. falck, frankfurt/M 1946 Werk Hessisch-Llchtenau, Werk.gebäude Geb. Nr. früherer VeC'Wendungs- z,-,eck Abmessunqen: Gescho••• : BauweIse: 051 Säurelager 05) Generatoraniq. 054 Spaltgebäude 055 Waschgebäude 056 Kontaktanlage 059 Säure lager u. Warmwasserst. 010 Werkstatt 011 Betr.Ltr.Gebd. 27x24xl,5 20x8x8 44x15x12 25x37x16 60x24x10 24xl0x7,5 32x12x9 24x17xl 2 2 3 2 2 2 Beton-Rahmenbau Betonbau Zleqelst81nbau Beton-Rahmenbau B eton-Rahmenbau Zlegelstelnbeu 012 ~ufenthaltsqeb. 16xl1xl 2 013 Abort 015 Neutralisation 9x5xl,S 11x10x) 2 Steinbeclten 016 Kalklösest3tIon 12x9x9 2 10 1 P'~nta lager 104 ~lateriallaqer 105 Säure lager 106 Kläranlage 101 Nltrierhaus 20xl0x8 20x10x8 14x12x6 10x16x6 10x15x6 2 2 2 Beton-Rahmenbau Betonkuppelbau t08 Waschhaus 10x15x6 10C} AbfU llsäurl "Jt. 8x6x3, 5 '11 Sprengstofflaqer 6x5xJ 1'6 Sprenqstofflager 6x5x3 121 Pumpenhaus 1,Sx3,5xJ Zlegelstelnbau 122 Sprengstofflaqer 6x5y.3 getonkuppelbau 125 128 unbenutzt 129 1JO unbenutzt 150 Gaserzeuqunq 161 Verl.dera~pe 6x5x4 35x9x3 35x9xl 35x9x3 !:>xl0xr4,S 50xl0x5 Skelettbau Zleqelstetnbau Beton-Rahmenbau 171 Sprenqstofflager 12~6x3,5 Beton-Kuppelbau 172 173 174 181 Säurelager 181 Oenltrlerunq 186 Konzentration 181 Generatorhaus 190 Säurelaqer 196 LaboratorIUM 217 NeutralisatIon 12x6xl,5 12x6xl,5 12x6xl,5 25xl0x6 15x10x19 27x10x12 19x13x12 10xl0x6 24x14,5xl 16x8x8 Beton-Rahmenbau 223 Stickstoffanlaqe 12x8x5,5 251 Klstenlager 252 Packhaus 253 56x12x4 31x11x3,5 31x11x3,-S 254 Sprenqstofflager 15,5x5,5x4 Beton-I~1:::.. ••Bi.:r:sc:=hha.g~nt•• Mu.n.itiC>:rl.sfa.l::>:rik K Z - A'\.1ß ~ :rlKC)nl:ID.a.. rJ.d.C) Unterrichtsmaterialien für die regionalgeschichtliche Behandlung der Sprengstoff-Pabrik Hirschhagen bei Hessisch-Lichtenau geeignet für die Sekundarstufen I und 11 Hrsg. Geschichtswerkstatt Hessisch-Lichtenau Hessisch-Lichtenau/ Kassel 1992 Die Drucklegung dieser Materialsammlung wurde durch finanzielle Unterstützung des Hessischen Kultusministerium ermöglicht, Dem Leistungskurs Gemeinschaftskunde 12 I) Jg.1992/93 der Freiherr vom Stein- Schule Hessisch Lichtenau und ihrem Lehrer Herrn Karl Bachslettner ist für die unterrichtliche Erprobung dieser Materialien und die ergänzenden Anregungen zu danken. Im Rahmen der schulischen und außerschulischen Vorbereitungen auf einen Besuchen von Hirschhagen ist das Kopieren dieser Unterrichtsmaterialien ausdrücklich gestattete. In allen anderen Fällen liegt das Copyright bei dem Verfasser: Dr. Ulrich Schneider, Julienstr.6, 3500 Kassel herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Hessisch-Lichtenau, 1992 1A) Didaktische und inhaltliche Einführung 1. Vorbemerkung: Es ist nicht möglich, im Herbst 1992 eine Unterrichtseinheit zur Regionalgeschichte des Nationalsozialismus vorzulegen, ohne auf die gegenwärtige Welle rechtsradikaler und rassistischer Gewalt Bezug zu nehmen. Die Überfälle auf Ausländer, die Brandstiftungen, die Schändungen jüdischer Friedhöfe und von KZ- Gedenkstätten, die Pogrome a Ja Rostock und die Morde von Mölln zeigen, daß der Neofaschismus beileibe kein theoretische Problem ist. Und es ist auch nur sehr bedingt ein pädagogisches Prohlem, wenn Verbreellen gegen Menschen und Sachen begangen werden, selbst wenn die Mehrzahl der Täter junge Menschen unter 25 Jahren sind. Dennoch hat die Pädagogik, haben Schule und Unterricht einen nicht unwesentlichen Beitrag in der Sensibilisierung, in der Aufklärungsarbeit gegen diese Form von Antihumanismus zu leisten. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus kann dabei ein Zugang sein, um die Konsequenzen und Folgen rassistischer Politik den Schülern nahezubringen, ohne hier falschen Analogien das \Vortzu reden. Dabei ist es jedoch in pädagogischer Hinsicht entscheidend, daß die Jugendlichen einen tatsächlichen Bezug zu diesem Thema finden, so daß die Beschäftigung mit dieser Epoche deut- scher Geschichte für sie nicht denselben Stellenwert bekommt, wie die Beschäfti- gung mit dem 30jährigen Krieg. Eine Möglichkeit, diesen Bezug herzustellen, ergibt sich über den regional- geschichtlichen Zugang. Hier finden die Schüler die Wirksamkeit historischer Ereignisse in ihrein unmittelbaren Lebensumfeld wieder, Dabei sei die Ambivalenz dieses Ansatzes in wissenschaftstheoretischer Hinsicht nicht vergessen, Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich über die Möglichkeiten und Probleme eines regionalgeschichtlichen Zugangs zum Thema Natioualsozialismus r''Drittcs Reich" intensiver informieren möchten, seien in diesem Rahmen auf entsprechende Mate- rialien des HILFs verwiesen, In der curricularen Grundlegung des Geschichts- bZV/. Gemeinschaftskundeunter- richts ist diesem Ansatz jedoch bisher noch ungenügender Raum eingeräumt Auch fehlen - was für einen regionalgeschichtlichen Ansatz konstitutiv wäre - in den noch gültigen RRL und Kursstrukturplänen konkrete Hinweise auf die Nutzung außer- schulischer Lernorte. Im Gegensatz beispielsweise zu den Hamburger Lehrplänen, in denen das KZ Neuengamme, die Schule am Bullenhuser Damm U.3., als Orte der Realbegegnung mit Geschichte konkret angesprochen und ein Besuch empfohlen wird, sind solche pädagogische Hinweise ( - selbst bezogen auf die schon existieren- den hessischen Gedenkstätten Breitenau und Hadamar - ) nicht enthalten. Es wird aber allgemein auf die Möglichkeit, "den Lernort Schule für besondere Unterrichts- vorhaben zu verlassen" (RRL SI-GL, ~).13), verwiesen, Bei der gegenwärtigen Bearbeitung der [~RJ-, sind jedoch auch solche Aspekte in der Diskussion. 2Anders sieht es in der Diskussion urn außerschulische Lernorte in der Lehrerfortbil- dung aus: "Steine können zu beredten historischen Zeugen werden. Bewußt sehen, bewußt wahrnehmen und historisch bewerten kann man nur etwas, was man weiß. Dies gilt gerade auch für die museumspädagogische Thematisierung der NS-Zeit," formuliert Michael Imhof in der HILF -Dokumentation "Lernort Museum". Er plädiert daher für eine Integration dieser Lernorte in die schulischen Curricula. Dabei kann er sich auf praktische Beispiele der schulcurricularen Ausfüllung der Kursstrukturpläne stützen. Hier wird in mehreren Curricula die "Verbindung schuli- scher und außerschulischer Lernorte" explizit gefordert Exemplarisch kann dazu die Freiherr VORl Stein-Schule Hessisch Lichtenau genannt werden, die das Thema "Hirschhagen" verbindlich als regionalen Aspekt für die Behandlung des Themen- bereichs "Der Nationalsozialismus in seiner Bedeutung für die Gegenwart" festge- schriebenhat Neben diesen curricularen Hinweisen scheint es notwendig zu sein, darauf hinzuwei- sen, daß die vorliegende Unterrichtseinheit keinen starren Rahmen zur Behandlung des Themas liefert. Sie soll durch die vorgelegten Materialien Möglichkeiten zur Beschäftigung mit dem Thema "Hirschhagen" in der Sekl und der Sek 11 eröffnen. Die Dokumente sind SC) ausgewählt, daß sie bei entsprechend differenzierter Frage- stellung für beide Schulstufen geeignet sind. Je nach pädagogischer Zielstellung und didaktischer Planung der Unterrichtenden kann das Thema als regionale Spezifikation, als "Lernen am Beispiel" oder als An- satzpunkt für projektmäßige Bearbeitung gefaßt werden. Aufgrund dieser unter- schiedlichen Ausgangsfragen erschien es nicht sinnvoll, konkrete Lernziel bzw. Lernschritte oder methodische Vorgaben zu formulieren. Die Unterrichtenden ha- ben die Aufgabe, diesen Lernabsehtlitt sinnvoll in den längerfristigen Unterrichtsablauf zu integrieren. Aufgrund dieser Zielstellung und unter Berücksichtigung der' Realität des Unter- richtsalltags können und sollen in dieser UE nur die zentralen Fragestellungen the- matisiert werden, Je nach Zugang, Interesse und unterrichtlichem Schwerpunkt kann diese Einheit durch Materialien (vergleiche Liste am Sc111uß) ergänzt bzw, modifiziert werden. Ziel bzw. Bestandteil dieser Einheiten sollte der Besuch des Geländes der ehemaligen Sprengstoffwerke sein, bei dem eine Realbegegnung mit Geschichte stattfinden kann. Zum Verständnis der Vorgänge in Hirschhagen ist es dabei sinnvoll, zumindest die Dokumente 1 - 7 in Vorbereitung der Erkundung zu behandeln (3 - 4 Unterrichts- stunden sind mindestens notwendig). Die Dokumente 8 - 11 könnten dann auch im Rahmen der Auswertung des Besuches besprochen werden. Wenn die Unterrichtseinheit nicht als regionale Konkretion in einen chronologisch aufgebauten Geschichtsunterricht einordnet ist, wäre auch ein Einstieg über das Dokument 10 möglich, um Schülern, die immer stärker nur noch im "hier und jetzt" leben, ganz praktisch den Gegenwartsbezug historischer Entwicklungen vor Augen zu führen. Pädagogisch interessant kann es sicherlich auch sein, den Besuch in Hirschhagen an den Anfang einer UE zu stellen. Die wichtigsten sich aus der ReaJbegegnung erge- bende~ Fragen an de.ß Gegenstand können mit den hier vorgelegten Dokumenten bearbeitet werden. DIe am Schluß dieses Kapitels aufgelisteten Materialien bieten Stoff für differenzierte Vertiefungen, wie auch für Schülerreferate etc. Die Dokumente sind als Arbeitsmaterial für die Hand der Schüler gedacht, Daher wurden sie als kopierfähige Vorlagen aufbereitet Der Platz unterhalb der Texte ist für Arbeitsfragen der Unterrichtenden vorgesehen, Auch wenn die vorliegenden Materialien weitgehend aufbereitet sind, kann dies eine Vorbereitung durch die Lehrenden nicht ersetzen. Notwendig erscheint es beispielsweise, sich anhand der in dem Leitfaden (vgl. Materialhinweise b 2) und anderen Büchern enthaltenen Karten um eine "Verortung der Geschichte" zu bemü- hen. Gerade in Vor- bzw. Nachbereitung einer Exkursion nach Hirschhagen ist eine derartige Beschäftigung notwendig. 2. Sachinformation zum Sprengstoffwerk Hirschhagen I Hessisch- Lichtenau Anfang 1936 wurde in Hessisch-Lichtenau im Rahmen der faschistischen Kriegs- vorbereitung mit dem Bau einer der größten Sprengstoff-Produktionsstätten rm deutschen Reich begonnen. In einer verschachtelten Rechtskonstruktion finanzierte die Reichsregierung den Bau dieser Anlage und verpachtete sie an die Verwert- chemie, einer 100%-Tochter der von den IG Farben kontrollierten DAG. Damit übernahm der Staat die enormen Investitionskosten, während Produktion und Gewinnrealisierung in Privathänden verblieb. Der Aufbau dieser Fabrik, die von Anfang an auf mehrere tausend Arbeitskräfte ausgelegt war, brachte eine ein- schneidende Strukturveränderung für die - vorwiegend ländlich geprägte - Region. Dies war, auch wenn die exakte militärische Bedeutung nicht erwähnt wurde, in der Gegend bekannt (vgl, Dok 1), vor allem, da neben großen Baufirmen, wie Hochtief Essen oder Beton- und Monierbau, sämtliche Bau- und Handwerksbetriebe der Re- gion für den Aufbau eingespannt waren. Da in der Region nur eine begrenzte Zahl von Facharbeitern zur Verfügung stand, mußten von Anfang an Arbeitskräfte aus allen Teilen des deutschen Reiches ange- worben werden. So wurden neben den Produktionsanlagen, die auf 233 ha immerhin fast 400 Werksgebäude, zwei Kraftwerke, 17 km Gleisanlagen und ein weitverzweig- tes Straßennetz umfaßten, im großen Kreis um Hirschhagen 10 Lager hzw. Siedlun- gen zur Unterbringung von Arbeitskräften, zuerst für die Bauarbeiter (Lager Föh- 4rcn) und später für die Arbeiter der Fabrik, eingerichtet. Dazu gehörten die Sied- lung Fürstenhagen (für mittlere und höhere Angestellte der Fabrik), die Lager Waldhof n..<1 Vereinshaus (Dok.3), wie auch das Lager Herzog (Dok 6c). In Hirschhagen waren Arbeitskräfte aus 11 europäischen Ländern eingesetzt. Dabei gab es unter ihnen erhebliche Rangunterschiede. Die ersten in der Rangstufe waren die deutschen Arbeitskräfte in der Verwaltung, die Aufseher bzw, Spezialisten der Rüstungsindustrie. Doch ihre Zahl nahm durch Einberufungen etc. im Verlauf des Krieges kontinuierlich ab. (Dok2a, 2c) Unter den deutschen Arbeitskräften wurde der Anteil der Dienstverptlichteten und Reichsarbeitsdienstangehörigen (RAD) immer größer, Zwangs- bzw. dienstverpflichtet wurden besonders Frauen, deren An- teil an den Beschäftigten kontinuierlich zunahm (Dok.2a). Sie wurden zeitweilig oder dauerhaft der Rüstungsindustrie zugeführt, um den kriegsbedingten Personal- mangel zu kompensieren, Da jedoch mit diesem begrenzten Arbeitskräftepotential eine Ausweitung der Pro- duktion nicht realisierbar war, wurden seit Mitte 1940 ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt (Dok.2b). Dabei gab es auch hier eine deutliche Hierarchie: die West- arbeiter, Franzosen, Belgier und Holländer, die in ihren Ländern mehr oder weniger freiwillig angeworben worden waren, wurden in aller Regel besser behandelt (vgI. Dole. 6c), während die seit März 1942 verstärkt eingesetzten, ausgehobenen Ost- arbeiter, aus Polen, Bulgarien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, schlech- ter behandelt und zu gefährlicheren Arbeiten herangezogen wurden (Dok.5). Auch hier ist der steigende Anteil weiblicher Arbeitkräfte augenfällig (Dok.2c). Auf der untersten Stufe der Rangordnung standen Strafgefangene des Arbeitserziehungs- und Sammollagers Breitenau sowie die 1000 ungarischen Jüdinnen, die 1944 - als letztes Aufgebot - als Häftlinge des KZ Auschwitz nach Hirschhagen deportiert und als Außenkommando des KZ Buchenwald geführt wurden (vgl. Dok.6a,6b). Die Arbeits- und Lebensbedingungen unterschieden sich für die verschiedenen Gruppen beträchtlich. Besonders gefährliche Arbeiten (Dok4, 6b) mußten zumeist von Häftlingen und Ostarbeitern erledigt werden. Während Deutsche und West- arbeiter in der Regel entsprechende Schutzkleidung bekamen, waren Ostarbeiter und Häftlinge schutzlos den Giftstoffen ausgeliefert (Dok.6b). Auch die Dauer des Arbeitstages war unterschiedlich. Für die Ostarbeiter und Häftlinge gehörten nach den 10-12 Stunden Produktion noch lange Wegezeiten, das Lager Vereinshaus war am weitesten von Hirschhagen entfernt, und Zählappelle zum TagesabJauf (Dok, 7b). Dabei unterschied sich auch die Qualität der Lager bzw, der Unterbrin- gung deutlich nach Nationalität bzw. Gruppenzugehörigkeit der Arbeitskräfte. Während etwa sowjetische Frauen und die ungarischen Jüdinnen unter elenden Be- dingungen in einem primitiven Holzbarackenlager hausen mußten, war für die deut- schen Dienstverpflichteten die damals als "Musterlager" geltende Siedlung Waldhof neu errichtet worden. (Dok.3, 6c) Der Einsatz von KZ-Häftlingen war - neben der Behebung des unmittelbaren Arheitskräftemangels - für das Unternehmen und die SS ein lohnendes Geschäft Der Betrieb bekam billige Arbeitskräfte, die bei Arbeitsunfähigkeit wieder zurück- geschickt werden konnten, die SS kassierte den Ausleihbetrag von mindestens 4,00 RM täglich (Dok.7a, 7b). Die Zahl der Arbeitskräfte in Hirschhagen erreichte zeitweilig fast 7500 Personen. Sie arbeiteten im Baubereich (Ausbau und Wiederherstellung der Produktionsanla- gen) und in der unmittelbaren Sprengstoffproduktion bzw, -abfüllung, Hergestel1t und abgefüllt wurden in der Verwertchemie-Fabrik zwei Sprengstoffarten: Trinitro- toluol (TNT) und Pikrin (Trinitrophenol)-säure. Ein dritter, Nitropenta. wurde nur verfüllt. Dabei wurde das TNT als Sprengstoff in Bomben, Granaten und Teller- 5minen.verfüllt, da~ Pikrin dagegen als Treibmittel für Geschosse benutzt (Dok.4). Daß diese Produktion gefährlich und gesundheitsschädlich war, muß sicherlich nicht ~inzcln beg~ündet wer~en (Dok.4, 5a, 5b, 6b). Allein durch Unfälle und Explosionen In der Fabnk haben mindestens 185 Menschen ihr Leben gelassen. Bei dem schwer- st~n Unfall, am 31.3.44, wurden insgesamt 71 Personen getötet (Dok5a, 5b). BIs zum letzten Augenblick, bis zum Heranrücken der amerikanischen Truppen An- fang April 1945, wurde die Produktion aufrecht erhalten. Einzig die Frauen des KZ- Außenkommandos wurden am 29.März nach Leipzig transportiert und von dort auf "Todesmarsch" geschickt Am 25.April 1945 konnten die Uberlebenden dieses Mar- sches bei Wurzen von amerikanischen Truppen befreit werden, Nach dem Krieg wurden die Fabrikationsgebäude im Rahmen der Demilitarisi- ungsmaßnahmen von der amerikanischen Armee durch Sprengungen weitestgehend unbrauchbar gemacht Die in Hessisch-Lichtenau angetroffenen ausländischen Zwangsarbeiter wurden als "Displaced persons" behandelt und im laufe der Zeit in ihre Heimatländer zurückgebracht, Mit der teilweisen Zerstörung der baulichen Uberreste und dem Verschwinden der menschlichen Zeugen begann in Hessisch- Lichtenau ein historischer Verdrängungsprozeß, der die Erinnerung an die Vor- gänge in den Jahren 1936 bis 1945 weitgehend blockierte. Trotz Ansiedlung von Kleinbetrieben in dem Gebiet, trotz der Präsenz sämtlicher Lager im Stadtgebiet bzw. im Nahbereich und deren Nutzung in der Nachkriegszeit ( das Lager Vereins- haus wurde nach einem Umbau 1948 als Räumlichkeit für das Realgymnasium ge- nutzt I), konnte Bürgermeister Geisler noch im Februar 1984 behaupten, "die Be- völkerung wird zum größten Teil erst jetzt damit konfrontiert, daß sich um die Ecke etwas abgespielt hat" (Dok.8). Angestoßen durch Schülerarbeiten und Publikationen der Gesamthochschule Kassel (vgl. Materialien am Ende) begann sich die Gemeinde jedoch der eigenen Ge- schichte zu stellen, indem sie im Frühjahr 1986 einen Gedenkstein am Lager Ver- einshaus aufstellte (Dok.9) sowie in den letzten Jahren Forschungen zur Aufarbei- tung der Jahre 1933-1945 finanzierte. Auch beteiligte sie sielt an der Finanzierung der von der Geschichtswerkstatt initiierten und organisierten Begegnungen mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen 1986 und 1987. Mit diesen Begegnungen sollte ein Stück moralischer Wiedergutmachung, eine Versöhnung durch gemeinsames Erin- nern geleistet werden. (Dok.6d) Ein noch lange nicht abgeschlossenes Kapitel ist dabei sicherlich auch die Entschä- digung der Opfer von Zwangsarbeit, die Wiedergutmachung an ungarischen Frauen, aber auch die Bezahlung von vorerlthaltenen Löhnen für Ostarbeiter. Hier ist nicht allein historisch - moralische Wiedergutmachunggefordert, Daß die Sprengstoffwerke Hirschhagen auch zukünftig nicht in Vergessenheit gera- ten werden, dafür sorgen die ökologischen Altlasten, die schon lange (las Grund- wasser der Region hedrohen (Dok lü). Nachdem in den ersten Jahren die Giftstoffe nur versteckt wurden, scheint nun (1992) - nach langen. Diskussionen 'und ganz unterschiedlichen Konzeptionen zum Umgang mit dieser "ökologischen Zeitbombe", unterstützt durch enorme Landesmittel - ein Gesamtkonzept der Entsorgung und umweltpolitischen Sicherung von Hirschhagen in Sicht Die Kosten dieser \Sanierung geht zu Lasten der öffentlichen Hand, Die eigentlichen Verursacher der Umweltschäden, die Dynamit AG bzw. deren Tochterfirma Verwertehemie, haben sich juristisch völlig aus der Vcrantwortung ziehen können. (Dok.ll) 6Hinweis zu den vorliegenden Quellen: Wie bei allen historischen Dokumente ist es notwendig, mit quellenkritischen Methoden an die Materialien heranzugehen. Daß solch ein Ansatz auch für dieses Thema sehr produktiv sein kann, zeigt z.B. das Dokument öa), in dem auf der Liste der nach Hessisch-Lichtenau deportierten Frauen aus dem KZ Auschwitz vermerkt ist, welche Frauen arn 27.10.1944 nach Auschwitz zurückgeführt worden seien. Unter der Nummer 20003 befindet sich auch Blanka Adler, die im Dokument 6b) über ihre Erfahrungen in Hirschhagen berich- ten konnte. Ohne ins Detail gehen zu können, sei nur darauf verwiesen, daß es ihr - wie auch einzelnen anderen - gelungen war, von diesem Transport, der für die mei- sten Frauen die Rückführung zur Vernichtung bedeutete, ausgenommen zu werden. Auf der endgültigen Transportliste vom 31.0ktober 1944 (vgI. Vaupel, Außen- kommando, S. 84 f) ist ihr Name auch nicht mehr verzeichnet Für die faschistische Bürokratie war sie jedoch - wie das Dokument zeigt - bereits "ordnungsgemäß" zur Deportation registriert worden. Auch hinsichtlich des Dokuments 6b ist eine Anmerkung notwendig: Bei dem im Text genannten SS-Unterscharführer Neumann handelt es sich um eine Verwechslung. Gemeint war der SS-Oberscharführer Ernst Zorbach, der dem Außenkommando erst später zugeteilt wurde und der für eine Verschärfung der Verhältnisse sorgte. Dies bestätigten Dokumente sowie eine spätere Nachfrage bei Blanka Pudler. An diesen Beispielen läßt sich - vornehmlich Schülern der Oberstufe - die Problema- tik von Quellenarbeit in der historischen Forschung anschaulich verdeutlichen. 7C) Ergänzende Materialien, Texte und Medien. a) Wissenschaftliche Aufarbeitungen und Quellen zur Geschichte: 1. Espelage, Gregor, "Friedland" bei Hessisch Lichtenau, Geschichte einer Stadt und Sprengstoffabrik in der Zeit des Dritten Reiches in zwei Bänden, Bd.l: Ge- schichte der Stadt Hessisch Lichtenau bis 1945, Hessisch Lichtenau 1992 (geeignet besonders für Schülerreferate un-d Formen entdeckenden Lernens), 2. Magyar Isaacson, Judith, Befreiung in Leipzig, Erinnerungen einer ungarischen Jüdin, Witzenhausen 1991, (Eindrucksvoller Bericht über den Weg der ungarischen Frauen nach Hessisch Lichtenau und ihrer Verarbeitung in der Nachkriegszeit), 2a. Magyar Isaacson, Judith, Seed of Sarah, Memoirs of a Survivor, University of 11- linois Press 1990, (englischer Originaltext von 2, sprachlich so einfach, daß der Text im Oberstufenenglisch-Unterricht einsetzbar ist), 3. Schneider, Ulrichl König, Ralf, Sprengstoff aus Hirschhagen, Vergangenheit und Gegenwart einer Munitionsfabrik, Kassel 1985, (Dokumentation über Hirschhagen mit großem Gewicht und fundiertem Material zu den ökologischen Folgen der Sprengstoffproduktion. geeignet auch für naturwissenschaftlichen Unterricht), 4. 700 Jahre Hessisch-Lichtenau, ein ergänzender Beitrag zur Stadtgeschichte, Wit- zenhausen 1989(Kurze Zusammenfassung der Geschichte der Sprengstoffwerke und der Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge), 5. Vaupel, Dieter, Das Außenkommando Hess.Lichtenau des Konzentrationslagers Buchenwald 1944/45, Kassel 1984 (detaillierte Untersuchung zum Arbeitseinsatz der ungarischen Jüdinnen), 6. Vaupel, Dieter, Spuren die nicht vergehen, Eine Studie über Zwangsarbeit und Entschädigung, Kassel 1990 (eingebettet in eine allgemeine Untersuchung wird hier detailliert auf die Verhältnisse in Hirschhagen. sowie die nicht realisierte Wieder- gutmachung eingegangen - sehr materialreich), 7. Vaupel, Dicter, "Unauslöschbare Spuren" - Zwangsarbeiterinnen der Dynamit AG berichten nach mehr als vierzig Jahren, in: 1999 - Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21.Jhds.,H.4/88 (drei eindrucksvolle Erinnerungsberichte, gut für Schülerreferate zu benutzen), b) Pädagogische Projekte und Materialien: 1. Erinnern aber wie ? Dokumentation einer Projektwoche an der Freiherr-vom- Stein-Schule Hesstsch-Lichtenau, Sept 1987 (anregend wegen der Pressedokumen- tation und den Uberlegungen für eine Gedenkstättenarbeit in Hirschhagen) 2. Hirschhagen - Sprengstoffproduktion im "Dritten Reich", ein Leitfaden zur Er- kundung des Geländes einer ehemaligen Sprengstoffabrik, (Hrsg, vom HIBS und Projektgruppe "Hirschhagen" an der GHK) Kassel und Wiesbaden 1991 (2.Autlage) (Pflichtlektüre für jeden, der einen Besuch in Hirschhagen intensiver vorbereiten 8möchte. Hier finden sich konkrete Begehungsvorschläge mit entsprechenden histo- rischen Dokumenten) 3. Vaupcl, Dietcr, Lokale Spurensuche zur NS-(]eschichte, Schüler bringen Stein ins Rollen, in: Geschichtsdidaktik 2/87 4. Vaupel, Dietcr, Die Fabrik als Lernort. Hirschhagen als historische Stätte läßt Faszination und Abscheu über die NS-Zeit in Schülern zu, in: Prisma, Zeitschrift der GHK, Nr.44, 5. Schneider, Ulrich, Hirschhagen - Lernort außerschulischer und schulischer Ar- beit, in: Werkstattgeschichte, Bd.3 Umweltgeschichte, Harnburg 1992 c) weitere Medien zur Bearbeitung des Themas: 1. Ausstellung der Geschichtswerkstatt (Kern der Dauerausstellung zu Hirsch- hagen) - aufgeteilt in 2 Themenbereiche a) Bild- und quellenbezogene Dokumentation von Einzelschicksalen von Dienst- verpflichteten, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, Bilder zum Produktionsablauf und Alltag in Hirschhagen b) Wirkungsgeschichtliche Dokumentation - öffentliche (vor allein pressemäßige) Reaktionen auf Veröffentlichungen zu Hirschhagen, Reaktion von Betroffenen (besonders ausländischen Zwangsarbeiterlnnen) und Dokumentation der Begeg- nungeninHirschhagen 2. Film (auf Video): Christiane Beck, Hirschhagen, eil) Dokumentarspielfilm , Länge 45 min, (Die Geschichte Hirschhagens wird im Rahmen einer Spielfilm- handlung aufgenommen) 3. Schulfunk-Sendung: "Zwangsarbeit im Dritten Reich - Hessisch-Lichtenau" (mit zahlreichen Originalberichten ehemaliger Zwangsarbeiterinnen). 4. Dia-Serie: Hirschhagen - Sprengstoffproduktion im "Dritten Reich", (entstanden im Zusammenhang mit der HIBS-Projektgruppe Hirschhagen - vgl. b 2 - Leitfaden) 5. Für Arbeiten im Bereich der "Spurensicherung" bieten sielt die Bestände im Stadtarchiv von Hessisch-Lichtenau (aufbereitet durch Herrn Espelage), sowie die von der Geschichtswerkstatt und Dr. Dieter Vaupel gesammelten Unterlagen und Dokumente, die nach Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen dem Lern- ort Hirsehhagen zur Verfügung gestellt werden könnten, an. Ulrich Schneider Hirschhauen - Lernort außer- schulischer und schulischer Arbeit Im Februar 1984 wurde die beschauliche Gemeinde Hessisch-Lichrensu (Werra- Meißner-Kreis) zum ersten Mal von Presse- veröffentlichungen aufgeschreckt, die 3 uf ein lange Jahre verdrängtes Problem auf- merksam machten, die Existenz der eherna- ligen Sprengstoffwerke Hirschhagen. Bis dahin war es in der Region mehr oder weni- ger erfolgreich gelungen, die Vergangenheit dieses Ortes zu -vergessen-, eine Vergan- genheit, die sich mit folgenden kurzen Such- worten zusammenfassen läßt: - 19]6/37 entstand hier auf cmem Areal von 250 Hektar eine fast 400 Produktions- gebäude umfassende Sprcngsroff-Produk- rionssrärre, errichtet im Auftrag der Reichs- regierung und betrieben 31s l00%ig~ Toch- ter der IG-Farhen kontrollierten PAG. - In dieser Fabrik waren zeitweilig 7500 Menschen beschafrigt, darunter rausende zwangsverpüichrere Arbeitskräften aus 1 J europäischen Ländern, unter ihnen auch deutsche Männer und Frauen, ..W~star~l­ rer « (Franzosen, Niederländer und Belgier) und ..Osrarbeuer- (Polen und Sowjetbur- ger). - Als die Arbeitskräftesituation im Deut- schen Reich immer prekärer wurde, selek- tierte man etwa 1000 ungarische Jüdinnen aus Auschwitz für Hirschhagen. Sie wurden als Außenkommando Hessisch..Lichtenau des KZ Buchenwaids geführt. - Im Umkreis von Hirschhagen entstanden 10 Lager bzw. Wohnsiedlungen zur Unter- bringung der Arbeitskräfte. wobei die Qua- lität der Unterbringung der Bewertung der Arbeitskraft adäquat war (deutsche Dienst- verpflichtete lebten in Steinhiuscrn. die un- garischen KZ-Häftlinge in Holzbaracken). - Die Arbeitsbedingungen waren extrem schlecht, gefährlich und gesundheitsschäd- lich, wobei Ostarbeiter und Häftlinge die gefährlichsten Arbeiten zu verrichten hat- ten. Zahlreiche Explosionen forderten hun- derte von Menschenleben. - Die Produktion wurde bis zum März 1945 aufrecht erhalten. Erst mit den. Vor- matsch der amerikanischen Truppen wurde die Fabrik stillgelegt und im Zuge der [Je- rmlirarisierungsrnaßnahmen durch Spren- gungen zerstört. Diese Demontage der Sprengstoffproduk- tionssrätten haben jedoch das Problem des Ortes nicht beseitigt, sondern nur verlagert. Als Standort militärischer Altlasten sind auch hier alle typischen katastrophalen Fol .. gen zu verzeichnen: eine Vergiftung des Grundwassers in gesundheitsgefährdendem MaRe, die Konrarninierung von Grund und Boden etc .. Dennoch wurde das Gebiet nach dem Krieg als Gewerbegebiet ausgewiesen und genutzt. Über all dies begann In der Region 1984 eine breite 1)ISkusSIOIl, da durch zwei Ver- offenrlichungen der Gesamthochschule Kas- sei die Geschichte und die ökologischen Fol gt.'" der Sprengstoff-P..oduknon (Schnerder/ König, Sprengstoff aus I Iirschhageu) und Umweltgeschichte h.> I~T'~""'.~~~.r •r zu oesuniJen vollen ernfl!n pflanzenschutz Leverlcusen die Geschichte des Außenkommandos des KZ-8uchcnwalds [Vaupel, Das Außenkom- mando Hessisch-Lichtenau des Konzentran- onslagers Buchenwald 1944/45) detailliert dokumentiert worden waren. Von da an riß die Debatte über dieses Thema nicht mehr ab. Die Geschichtswerk- statt in Hessrsch-Lichtenau entstand und griff aktiv in diese Auseinandersetzung ein. Sie bemühte sich auf der Grundlage der vor- handenen Materialien um eine weitere Auf- arbeinmg der Geschichtet um eine Ausein- andersetzung mit den politischen Konse- quenzen für heute und um eine praktische Form der \1; iedergutmachung in Form von Begegnungsarbeit mit den ehemaligen Zwangsarbeitern und KZ·H~ftJingen.Der öffentliche Druck in der Stadt war so groß, daa die Gemeindevertretung im Frühjahr 1986 einen Gedenkstein für die ungarischen Jüdinnen errichten ließ und beschloßt eine eigene historische Aufarbeitung dieser ge- schichtliehen Zusammenhänge in Auftrag zu geben (Ein erstes Ergebnis dieser Aufar- beitung liegt nun, 1992, vor). Auch erste Begegnungen, z.B. ein Treffen der überlebenden ungarischen Frauen, konnten rrut aktiver Unterstützung der Ge- schichtswerkstatt realisiert werden. Seit Begmn der historischen Aufarbei- tung existieren auch Überlegungen für die Entwicklung eines - Lernortes Hirschha- gens •. Dies entspricht der inhaltlichen Be- sonderheit des Ortes, bietet er doch die Möglichkeit der Vermittlung der Vielschieb- tigkeir des deutschen Faschismus von der Normalität des Alltags (Schaffung von Ar- beitsplätzen durch Aufrüstung und regiona- le Strukturentwicklung) bis zum Terrorsy- stem (KZ-Außenkommando) in all seinen möglichen Schattierungen (-Aufbaupro- gramm«, Rtistungsindusuie und Kriegsvor- bereitung, Militarisierung der Arbeit, Ar- beitsdiensr, Pflichtarbeit und Zwangsarbei- ter, Ostarbeiter und KZ-Häftlinge). Dar- überhinaus bietet sich Hirschhagen auch für den Themenkomplexe Umgang mit der Ge- gehich te (Verdrängung in der Region, Altla- stenproblernatik, Versöhnung durch Begeg- nung) an. Hirschhagen als Lernort zeichnet sich vor allem dadurch aus, daR hier Geschichte in großer Anschaulichkeit begreifbar und begehbar ist. Die Überreste der Sprengstoff- Produktionsstätten, die Lager für Zwangs- arbeitet, KZ-Häftlinge und Dienstverpflicb- rere, samtliehe Orte des histönsehen Ge- schehens s:nd noch existent Ausgehend von diesen Möglichkeiten .....-urden bereits erste Schritte zur Entwick- lung eines Lernortes ergriffen. Unter Lei- tung von Dr.Dieter Vaupel entwickelte eine Studentengruppe an der GHK einen - Leitfa- den zur Erkundung des Geländes der Sprengstoffabrik Hessisch Lichtenau und der dazugehörigen Lager«. Dieser Leitfa- den, der im Auftt3g des HIBS (Hessisches Institut für Lehrerfortbildung) herausgege- ben wurde, bot die erste konkrete Anleitung zur Erkundung des historischen Ortes im Rahmen unterrichtlicher Exkursionen. Ein großes Problem der kontinuierlichen Entwicklung von Hirschhagen als Lernort SInd jedoch die praktischen Bedingungen, unter denen diese Arbeit stattfinden muß. Erstens fehlt es dem Träger, der Ge:------ schichtswerksrart, - abgesehen von zeirwei- hgen ABM-Stellen - an Personal. Führun- gen und Betreuungen von Besuchergruppen finden bisher auf ehrenamtlicher Basis statt. Selbst die Teilfreistellung eines Lehrers über die Gewährung von Abot dnungsstunden zur ..museumspädagogischen Betreuung- konnte bisher nicht durchgesetzt werden. Zweitens fehlt es gegenwärtig an geeig- neten Räumlichkeiten zur Besucherbetreu- eng auf dem Gelände. Nachdem ein Miet- verträg für eine Halle u.a. aufgrund man- gelnder Unterstützung durch die Stadt nicht verlängert werden konnte, steht z.Zt. nur ein Bauwagen als -mobile Aussrellung« und Treffpunkt zur Verfügung. Dennoch ist die Besucherresonanz erfreu- hch, sicherlich nicht zuletzt durch die öf- reneliehe Diskussion und die Arbeit der Pro- jektgruppe an der GfIK angeregt. Besonders Schüler- und jugendgruppen sind regelrnä- hlg auf dem Gelände anzutreffen. Auch Gruppen der politischen Erwachsenenbil- dung besuchen immer wieder Hirschhagen. ~icht zuletzt die ehemaligen Zwangsarbei- ter und Häftlinge selber gehören zu den Be- suchergruppen. Um den verschieden Stellen, wie Land- kreis, Staatlichem Schulamt, Regierungsprä- srdiurn unc' hcssische Landesregierung, die Bedeutung des Lernortes nahezubringen und eine bessere pädagogische Einordnung der eigenen Arbeit lU erreichen, wurde seit Anfang diesen jnhrcs daran gearbeitet, eine s.onzeptiou des Lernortes Hirschhagen zu entwickeln und entsprechende Unterrichts- rnaterialien zu erstellen. Die nun vorliegen.. de Unterrichtseinheit bietet zu den zentralen Themen der Hirschhagen-Problematik hi- storische Quellen und kurze Einordnungen. Darüberhinaus verweist sie auf Zugänge aus verschiedenen Fächern und Fragestellungen und benennt dazu entsprechende Literatur. So bietet selbst der Fremdsprachen-Unter- richt über die Lektüre von Zeitzeugenbe- richten in deren Originalsprache einen mög.. liehen Zugang zur Thematik, während in naturwissenschaftlichen Fächern besonders die AJtlastenproblematik thematisierbar wäre. Diese Materialien stellen eine prakti- sehe Hilfestellung für die Vorbereitung ei- nes Besuches mit Schulklassen und Jugend- gruppen dar und erleichtern den Pädagogen die Entscheidung, mit Gruppen Hirschha- gen zu besuchen. Eine entsprechende Besucherresonanz. d.h. der Nachweis eines Bedarfs, ist - so die Einschätzung - auch eine wichtige Voraus- setzung für eine längerfristig materielle Ab- sicherurig eines Lernortes Hirschhagen. Ein noch nicht gelöstes Problem ist auch, wie das Konzept eines Lernortes in die ge- genwärtig laufenden Bestrebungen der öko- logischen Sanierung von Hirschhagen inte- griert werden kann. Die - sicherlich drin- gende - Aufarbeitung der Altlastenproble- matik scheint im Bewußtsein mancher Ver- antwortliehen die historische Aufarbeirung in den Hintergrund zu drängen. Ein Licht- blick ist in dem Zusammenhang jedoch, daß eine ökologisch ausgerichtete Firma, die auf dem Gelände in Hirschhagen produziert, bereit ist, die Geschichtswerkstatt und das Projekt eines Lernortes zu unterstützen. Kontakt: Ulricb Schneider, [ulienstr.S, 3JOO Kassel. B) Dokumententeil Dokument I: Rechenschaftsbericht des Bürgermeisters Julius Goebel (NSDAP) von 1937 "Meinen Bemühungen ist es durch Unterstützung des Herrn Präsidenten der Industrie u.Handelskammer,Dr.Btaun (Kassel) sowie des Herrn Landrat weiter gelungen, daß außer des vorstehend genannten wehrpoli- tischen Bauvorhabens ein großes Betriebsunternehmen von gleicher Be- deutung einen Fabrikneubau in hiesiger Gegend errichtet Die Errich- tung dieses Unternehmens machte die Zusammenziehung großer Arbeitermassen, die nur teilweise aus den Nachbarkreisen gestellt wer- den konnten, erforderlich. Nach einer Feststellung des Arbeitsamtes, welches seit Beginn der großen Bauarbeiten in hiesiger Stadt einen besonderen Arbeitsvermitt- ler eingesetzt hat, sind seit Anfang Mai 1936 bei den fraglichen Arbeiten, einschließlich des erforderlich gewordenen Neubaues einer Bahnanlage rd3800 Arbeiter beschäftigt worden. Von diesen teils aus dem ganzen Reich hier beschäftigten Arbeitern sind etwa 700 bis 800 in Privatquar- tieren hier untergebracht Der Einwohnerschaft ist damit Gelegenheit gegeben, durch Zimmerab- vermietung Nebenverdienste zu erhalten, die sich zuletzt nicht ungünstig auf die Entwicklung des gesamten wirtschaftlichen Lebens unserer Stadt ausgewirkt haben. Wenn auch die Betriebsgrundstücke aus staatspolitischen Gründen nicht in den Gemeindebezirk verlegt werden konnten, so wird doch immerhin nach der Inbetriebnahme des Werkes einem großen Teil der Einwohner- schaft von Hessisch Lichtenau und Umgebung hier dauernde Arbeitsge- legenheit gegeben werden können. Außerdem wird dieses Werk, unter der Voraussetzung günstiger Ent- wicklung und vollständiger Inbetriebnahme, auf die Weiterentwicklung von Hess.Lichtenau von nicht zu unterschätzender Bedeutung sei"." (zit, nach: 700 Jahre Hessisch Lichtenau, ein ergänzender Beitrag, S.9/10) Auch wenn Goebel aus Gründen der militärischen Geheimhaltung mit keinem Wort die Sprengst~ff-Produktion erwähnte, war im Ort die Funktion der "Mohrenkopffabrik" bekannt Dokument 2: Statistik der Arbeitskräfte von 1939 - 1945 2a) Zahl der Arbeiterinnen und Arbeiter von 1939/40 bis 1944/45 Jahr Arbeiter Arbeiterinnen Angestellte gesamt 1939 750 1939/40 1372 232 66 1671 1940/41 1702 1238 275 3215 1941/42 1424 1005 276 2705 1942/43 keine Angaben 1943/44 1985 1532 326 3834 1944/45 1847 2322 303 4472 Aus: König/Schneider, Sprengstoff, S. 64, die Zahlen für 1944/45 entsprechen den Angaben der Statistik vom 31.12.44., Vaupel, BdII, 5.63. Anmerkung: Die enorme Steigerung der Arbeiterinnen zum Geschäftsjahr 1944/45 resultierte aus der Zuweisung von 1000 ungarischen Jüdinnen aus Auschwitz, die zum 2.8.44 nach Hess.Lichtenau kamen. 2b) Beispiele für den Einsatz von Zwangs- und Ostarbeitern: Jan, 1942 150Franzosen kommen nach Hirschhagen Febr.1942 525 männl. und 25 weibl französische Zivilarbeiter kommen an. März 1942 400 Männer und Frauen aus der Sowjetunion wurden gezählt Mai 1942 77 Holländer werden eingesetzt Okt, 1942 347 Tschechen kommen nach Hirschhagen Nov. 1942 62 Franzosen und 275 Holländer treffen ein Dez. 1942 41 Bulgaren kommen als Zwangsarbeiter nach Hess.Lichtenau, 2c) Arbeitskräfte Statistik vom 31.12.1944 männl, weiht absolut insg.Prozent Deutsche 1109 954 2062 46,13 % Ausländer 917 1492 2409 53,87 % davon: Ostarbeiter 102 637 739 16,53 % sonst zivil.Ausl., Juden u.Häftl, 815 855 1670 37,34 % Gesamtbelegschaft 2026 2446 4472 100,00 % Hinzukamen etwa 1000 Reichsarbeitsdienst-Verpflichtete (RAD)und ca. 2000 Bauarbeiter, die in der Region lebten. (vgL Schneider/König, S.64) Dokument 3: Die Unterkünfte a) Waldhof galt als Musterlager für gut 1000 deutsche Dienstverpflichtete. Es bestand aus 50 Steinhäusern, mit WC und Waschgelegenheit, dem Sanitätshaus und einem Gemeinschaftshaus mit Küche. b) Das Lager Vereinshaus: Hier waren ab Sommer 1944 bis zu 1000 ungarische Jüdinnen als KZ - Häftlinge in wenigen Holzbaracken untergebracht, Als Gemeinschaftseinrichtungen standen ein Wasch- und Toilettenraum, eine Krankenbaracke und die Lagerküche zur Verfügung. Dokument 4: Über die Produktion Hergestellt und abgefüllt wurden Trinitrotoluol (genannt Tri bzw. TNT) sowie Pikrin(säure)-Granulat TNT wurde in mehreren Arbeitsschritten hergestellt und in heißem, flüs- sigem Zustand im GießhauS in die Bomben, Granaten und Tellerminen verfüllt Diese Arbeit war aufgrund von Explosionsgefahr im Abküh- lungsprozeß und chemischer Dämpfe äußerst gefährlich und gesund- heitsschädlich. Die mit TNT gefüllten Sprengkörper wurden im Ferti- gungsgebäude VOll Sprengstoffresten gesäubert, versiegelt und montiert Pikrin(säure) wurde in verschiedenen Arbeitsschritten gekocht, gewa- schen, getrocknet und anschließend granuliert. Vor der Verarbeitung wurde sie im Gegensatz zum Tri nicht wieder verflüssigt, sondern granu- liert in den Pressengebäuden in Geschoßhülsen abgefüllt und unter ho- hem Druck verdichtet Pikrinsäure diente als Treibmittel für Geschossen. Die Sprengstoffmengen mußten genau abgewogen werden, da Überfül... lung beim Pressvorgang eine Explosion nach sich gezogen hätte. Wurden im Geschäftsjahr 1938/39 erst 5.500 To, Tri produziert, stieg der Ausstoß 1942/43 auf fast 30.000 To. Die Pikrinproduktion wurde von 1939/40 150 To. auf 2000 To. 1944/45 gesteigert Damit gehörte das Lichtenauer Werk zu den größten Sprengstoffprodu- zenten des Deutschen Reiches. DokumentS: a) Unfall in der Sprengstoffproduktion "Am 31.3.1944 ereignete sich in der Füllstelle 11 der Fabrik Hessisch- Lichtenau der Ges.m.b.H. zur Verw.chem.Erzeugnisse gegen 15.17 Uhr eine schwere Explosion, durch welche zwei Gebäude (T- Minen- Gieß- halle sowie Misch- und Gießkesselhaus) völlig zerstört wurden und ein- schließlich des S-förmigen Zwischenbaues zu den anschließenden Kühlkanälen verschwunden sind. Von den Kühlkanälen stürzte je ein kurzes Stück ein. Die übrigen Gebäude erlitten durch Druck- und Sog- wellen z. T. durch Wurfstücke von Apparaten und Eisenkonstruktions- teilen der Kesselbühne Beschädigungen, Zur Explosion gekommen sind zusammen etwa 9,6 to Sprengstoff (...) Durch die Explosion wurden ins- gesamt 71 Personen getötet (...) Außerdem wurden 7 Personen schwer verletzt (...) Leichter verletzt wurden 52 Personen." (Tagebuch Rüstungsinspektion, zit nach Leitfaden S.32) Unter den Toten waren 16 deutsche Arbeiter und 55 Ausländer, unter ihnen 1 Bulgare) 7 Franzosen, 9 Holländer, 3 Italiener, 4 Polen und 19 russische Zwangsarbeiter, davon 15 Frauen. b) Bericht einer Zeugin der Explosion vom 25.MaiI943: "Das Unglück ereignete sich nachts, am Tag wäre es noch furchtbarer ge- wesen.... Uns bot sich vor Ort ein grausiges Bild: der unterirdische Gang, von der Füllstelle kommend, war völlig eingestürzt, Betonhallen waren vom Erdboden verschwunden, dort hing ein Fuß in den Asten, überall la- gen Körperteile verstreut - es war furchtbar! ... Zuerst ging das Gerücht um, die Explosion sei Sabotage gewesen, doch da ich auch die Geheim- korrespondenz erledigte, konnte ich die Berichte lesen: für den flüssigen Sprengstoff brauchte man Ammonsalpeter, und der war zu dieser Zeit knapp. Man ersetzte ..den Ammonsalpeter künstlich, mit dem Nachteil, daß eine geringe Ubertemperatur bereits eine Explosion auslösen konnte. So muß es wohl in dieser Nacht gewesen sein. tt (Bericht der Dienstverpflichteten Toni LindenthaI, zit.nach: Leitfaden, S.33.) Dokument 6: a) Kopie der 1 Seite der Liste der Neuzugänge, in '!aupC'111~S.J(}1 b) Lebens- und Arbeitsbedingungen der jüdischen KZ-I-Iäftlinge: Bericht Blanka Adler, Häftlingsnummer 20003: "Nachdem wir sieben schreckliche Wochen in Auschwitz verbrachten, hat man uns nach Lichtenau gebracht Eigentlich haben wir uns über diese Versetzung sehr gefreut Im Lager Lichterrau waren die Umstände - hauptsächlich am Anfang - viel besser als in Auschwitz und in der Fabrik zu arbeiten und dadurch Zeit zu gewinnen, bedeutete für uns eine even- tuelle Chance zum Uberleben. Es hat sich aber bald herausgestellt, daß die Arbeit in der Munitionsfabrik für uns täglich eine Lebensgefahr be- deutete. Unsere Arbeit war sehr schwer und gefährlich. (...) Ich selbst habe an den verschiedensten Arbeitsphasen teilgenommen. Oft hat man mich zur "Vorbereitung" geschickt Dort hatte ich die Gelegen- heit mit einer sehr sympathischen, deutschen Dienstverpflichteten arbei- ' ten zu können, deren Name mir leider unbekannt ist Sie fühlte für mich großes Mitleid, tröstete mich und half mir, wo sie konnte. Manchmal gab sie mir sogar etwas zum Essen, obwohl ich weiß, daß sie auch nicht viel zum "Beißen" hatte. (...) Weiterhin habe Ich auch im Bunker gearbeitet, Dort mußte ich den in die Granaten zu füllenden Sprengstoff mit Messingstäbchen sorgfältig rüh- ren, damit eine gleichmäßige Abkühlung erfolgt, wodurch im Sprengstoff keine Luftblasen entstehen. Auf der Oberfläche bildete sielt eine harte, eisartige Haut Diese mußte man mit dem Stäbchen aufbrechen, Ich habe den bitterlich schmeckenden, ungesunden Darnpf einatmen müssen, das hat mich betäubt, und ich bin oft dann zur Besinnung gekommen, als mir der heiße Sprengstoff ins Gesicht spritzte, dadurch wurde mein Gesicht mit Brennwunden voll. Manchmal mußte ich am Ende des Laufbandes die zusammenmontierte, beinahe 30 Kilogramm schwere Granate ergrei- fen. Bei dieser Arbeit habe ich meine Hände oft schwer verletzt Ich habe meine vereiterten Wunden immer versteckt Ich wollte nicht krank sein, da ich wußte, daß das mit dem Tode gleichzusetzen war. Gelegentlich habe ich auch bei der Einwaggonierung teilgenommen. Ich erinnere mich, wie uns die holländischen und französischen Zwangsarbeiter gebe- ten haben, die Geschosse zu beschädigen. Das haben wir - wenn immer wir die Möglichkeit dazu hatten - auch getan und haben damit oft unser Leben aufs Spiel gesetzt Unsere Lebensverhältnisse sind mit der Zeit immer schlimmer geworden. Unsere Versorgung war erbärmlich, die Behandlung immer unmenschli- cher, besonders nach der Ankunft von Neumann,* Unterscharführer, nach Lichtenau. Er folterte uns sowohl körperlich als auch seelisch und hat auch die ganze SS-Mannschaft gegen uns gehetzt Seine Lieblingswörter waren so gemein, wie ich sie noch nie zuvor gehört habe. Zum Beispiel.Tch reiß' euch eure Arschlöcher bis zum Halskragen auf!"...." (Brief Blanka Pudler, geh. Adler, Budapest, vom 2.12.1986, * siehe Hinweise zu den vorgeliegenden Quellen) c) Bericht des französischen Zwangsarbeiters, Eclache, über seine Unterbringung: "Wir wurden ins Lager Herzog verlegt, worüber ich mich sehr freute: Es war ein festes Gebäude mit Zimmern zu 8 Personen, mit Waschgelegen- heiten, Duschen, Toiletten angrenzend zu den Zimmern, Metallbetten, Bettlacken- in dieser Hinsicht war hier nichts einzuwenden. Wir trafen hier auf die Deutschen und Holländer der Fabrik ... Der Lagerführer, ein belgiseher 55-Mann, sprach perfekt französisch. Er war immer furchtbar stolz auf seine schwarze Uniform. Persönlich hatte ich nichts gegen ihn, aber einen meiner Kameraden hatte er einmal recht schänd- lich bestraft. ... Ich war also nun in der neuen 'Villa' Lager Herzog, Bau 28, Eingang 3, Stube 2. Zentralheizung gab es zwar nicht, aller dafür hat- ten wir einen schönen Keramik-Ofen, der es uns manchmal ermöglichte zu kochen." (zit. nach Leitfaden 5.99) d) Bericht von einem Ehemaligen-Treffen 1987 in J'{~~:l,s,ah 'j(:hJf~U4.»'J ZUM ~R~lErt MJ\~ ~e,t. I~nf ~'i(~ndf' "'lnl.i dle Schwestern Blan Pudler und Aranja i\dlpr "':!'~Ijer In He is. Lichtenau. Obwo ihnen die Reh~~ nicht tpicht f\f!\, h~hpn ste den Weg nicht berei ...... Uchtenau (gro). "Wir Leben wiedergefunden. müssen gemeinsam für den Frte- Die Ungarin macht keinen den kämpfen, damit es nie wie- Hehl daraus, daß sie nach dem der Zwangsarbeiter gibt" - die- Krieg einen großen Haß gegen- sen Appell richtete der Russe über den Deutschen gehe~ Michael Semlrjag8 am Donners- habe. Diese Einstellung habe tagabend unter BeifaHder Zuhö- sich Im Laufe der Jahre jedoch rer an die Teilnehmer des zwei- gewandeiL "Das heutige Lichte- ten Zwangsarbeitertreffens in nau 1st nicht mehr vergleichbar Hess. Llcbtenau. Was der Rus- mit dem damaligen·, meint sie. se5 der auf Einladung der Ge- Ahnllcb geht es auch ihrer schlchtswerkstatt zusammen Landsmännin Martha Frank. mit seinem Landsmann Alex- Die Kinder ihrer Peiniger - so ander WassiUew von einem merkte sie an - hätten heute Ihnlichen Treffen aus Hamburg eine andere Einstellung als ihre nach Lichtenau gereist war. Eltern und die Gefahr erkannt. knapp und bündig mit einem Man dürfe nicht übersehen, daß Satz ausdrückte. ging vielen der es auch rechtschaffene Leute ehemaligen Zwangsarbeiter und ~egeben habe und gebe. Sie ist Dienstverpflichlen der Muni- froh darüber, daß sie nun anders Uonsfabrtk Hirschbegen eben- als damals .erhobenen Haup- falls durch den Kopf. Angetrte- tes· Uchtenaus Stra.ßen ent1an~ ben von der Befürchtung, ihr gehen könne. schweres Schicksal könne in Vergessenheit geraten, haben B'tt E . - sich viele zum ersten Mal seil 42 I ere 11nnerung .Jabren auf den weiten Weg von Ungarn. Israel oder den Verei- nigten Staaten nach Hess. Lieh- tenau iemacht. um an die dama- ligen Geschehnisse zu erinnern. Ganz bewußt gesucht wird aber auch das Uchtenau von heute. Hoffnung hat Haß verdrängt Ehemalige an Liclltenau interessiert Auch Vera Auslander, die seit 40 Jahren in Haifa lebt, ist es schwergelallen. nach Lichte- nau zu kommen. Die lange Reise hat sie dennoch nicht bereut: ..Ich bin froh, daß ich gekommen bin. Lichtenau hat ein schönes Da ist zum Beispiel Blanca Gesteht. aber es war bitter in der PudJer aus Budapest, die ausam- Erinnerung". Ihr sei es wichtig, men mit ihrer Schwester Aranja daß die Menschen sich geändert Adler t 944. kaum 15jähr1g. hAtten••HAtten wir solche Leute nach Hess. Lichtenau kam. Ge- damals kennengelernt, wäre peinigt von schrecklichen Enn- manches leichter gewesen·, ist 'qerungea-fWJ..._" ,Qq_t, lfiieee sie llbeneutt-· NUDb.fk sie, daß seiD werde, wenn sie wieder die Jugend noch besser werde. hierher 'zurückkehre, Die Mag.. Den Deutschen lZ~en'Überemp- Uchkeit, mit anderen über die findet sie keinen Haß mehre "Es Zeit sprechen zu können, hat sie lsJ.ein armes Volk, das 80 etwas ~dochals Befreiung empfunden. machen kann". Dankbar war sie vor allem über- -Der Pole Marian Szeptucho das große Interesse, das Lichte- gehört e~nfalls zu denjenigen, Dauer Schüler an ihrem Schick- die an dem Treffen teilnehmen, sal bekundet haben. Nachdem Durch die Kriegswirren war er sie lange Jahre daran gezweifelt 1941 in ein Lager nach HeJsa babe, ob es überhaupt einen gekommen, wo er dreieinbalb EIN eUCH überreichte d"r Rt:;~,p' Mtr-hael g~milja~::'. dem Vors Sinn lehabt habe. zu überleben, Jahre arbeiten mu8te. Auch er zenden der Geschlcht~wp.tJ:4)L,n. J(\rR~n .J""&~n tünks], In c habe sie nun den Glauben ans begrüßt die Veranstaltung. Mitte ~I~rt.h:\ Fr~'lk. (Fotos: gl (HNA 5.9.87, zit nach Leitfaden, S. 85) b) Gesamtabrechnung des Häftlingseinsatzes in Hess.Lichtenau: Abrechnung der Verwertchemie Hessiscb Lichtenau mit der SS Monat Tagwerke Arbeitsstunden Betrag (RM) August 1944 (ab 14.Aug. 1944) 12.567 138.237 50.268 September 1944 19.500 215.500 78.000 Oktober 1944 24.718 259.539 98.872 November 1944 19.899 218.889 79.596 Dezember 1944 16.453 172.757 65.812 Januar 1945 18.092 199.012 72.368 Februar 1945 17.863 187.562 71.452 März 1945 (bis 22. März.45) 13.888 152.768 55.552 Zusammen 142.980 1.544.264 571.920 Unter Tagewerke war die Zahl der tatsächlich eingesetzten KZ-Häftlinge mal der Zahl der Arbeitstage zu verstehen. Die Arbeitsstunden beinhalteten nur die tatsächlich am Arbeitsplatz verbrachten Stunden, ausschließlich Pausenzeiten und Zeiten für den An- und Abmarsch. (Berechnet von Vaupel auf der Grundlage der Forderungsnachweise. Quelle: Yaupel, Band 11,5.132) (Didaktischer Hinweis: Berechnen Sie die reale tägliche Arbeitszeit, berechnen Sie den durchschnittlichen "Stundenlohn") Dokument 8: Textin Vaupel I,S.110,Abb.35/HNA-Artikcl vom 11.2.84 (didaktischer Hinweis: Vergleichen Sie die Haltung der Öffentlichkeit noch einmal mit Dokument I) Dokument 9: I I Im Frühjahr 1986 errichtete die Stadt Hessisch Lichtenau diesen Gedenkstein "Zum ~enkcn an die unga~ische~ Jüdinnen, die hier v?m 2.8.1944 bis zum 29.3.1945 als Häftlinge im Außenkommando Hessisch Lichtenau des Konzentrationslagers Buchenwald leiden mußten." Dokument 10: "Seit 20 Jahren verseuchtes Grundwasser Seit Jahren hat man in der Stadt Hessisch Lichtenau und im benachbar- ten Helsa erhebliche Probleme mit der Wasserversorgung, weil giftige Rückstände aus einer während des Krieges betriebenen Sprengstoff-Pro- duktion in das Grundwasser gelangen. Statt das ehemalige Fabrikations- gelände gleich gezielt nach den Giftablagerungen zu durchforsten, be- schränkten sich die Verantwortlichen bisher im wesentlichen darauf, neue Brunnen zu erschließen und - da auch dieses Wasser vergiftet ist - eine teure und aufwendige Filteranlage zu installieren. (...) Lange Zeit waren die bei der Produktion des Sprengstoffes "Trinitrotoluol" anfallenden Abwässer ungeklärt in die Losse geleitet worden. Die festen Rückstände, ebenfalls mit hochgiftigen Chemikalien durchsetzt, wurden seinerzeit auf einer Halde am nördlichen Rand des Geländes gelagert 1945, als die Amerikaner sämtliche Werkanlagen de- montierten und teilweise sprengten, wurden vermutlich auch größere Mengen giftiger Chemikalienunter den Trümmern begraben. (...) Schon Anfang der 60er Jahre wurden erstmals Spuren von "Nitrotoluol- Verbindungen" im Trinkwasser entdeckt Als in den Folgejahren die Werte stetig anstiegen, sah man sich in Hessisch Lichtenau Anfang der 70er Jahre gezwungen, drei Brunnen stillzulegen. Diese Brunnen rund einen Kilometer vom Industriegebiet entfernt am Fuße der Anhöhe ge- legen hatten die Hessisch Lichtenauer bis dahin mit Trinkwasser ver- sorgt. (...)" (IUS Frankfurter Rundschau 28.2.19&4, nt, Dach Leidadca S. SI) Dokument 11: Kasseler Wissenschaftler: 25 Millionen DM sind viel zuwenig Kritik an. Altlasten-Vergleich Kassel (ach), Der .. zwischen sei nicht bloß Verwalterin der dem Land Hessen.und der'Bonner Grundstücke, sondern aufgrund Industrieverwaltungsgesell- •. der Einflußmöglichkeiten auf die schaft 'AG (IVG) geschlossene' Produktion auch als Verursa- Vergleich über die Kosten der cherin zu sehen und als solche Sanierung von Altlasten aus der für Schäden haftbar zu machen. Rüstungsproduktion im Zweiten Daher habe die IVG großes In- Weltkrieg habe "bundesweit fa- teresse daran gehabt, eine rich- tale Auswirkungen". Diese Ein- terliche Entscheidung zu ver- schätzung stammt von dem an hindern und einen Vergleich zu der Gesamthochschule Kassel - schließen. tätigen Altlasten-Spezialisten Die Kosten der Sanierung der Diplom-Ingenieur Wolfram Kö- Grundstücke in Hess. Lichten- ~g. Daß sich das Land "mit nur au-Hirschhagen (\Verra-Meiß- 25 Millionen DM abspeisen" las- ner-Krets) und Stadtallendorf se, obwohl die tatsächlichen Ko- (Kreis Marburg-Biedenkopf) sten für die Beseitigung der Um- werden vom Land auf 200 Mil- weltbelastungen um ein Vielfa- lionen DM geschätzt. Was bei ches höher seien, gehe n voll zu weitem nicht ausreichen dürfte, Lasten der Kommunen". weil die benötigten Sanierungs- Vor wenigen Tagen hatte Hes.. technolegten noch gar nicht zur sens Umweltminister Weimar die Verfügung stünden und erst Zahlung der 25 Millionen DM entwickelt werden müßten, gibt von .der IVG an das Land als König zu bedenken. .ordentlichen Vergleich" be- Dazu komme, daß Grundstük- zeichnet und betont, daß damit ke in Lippoldsberg sowie Lohtel- 'ein langwieriger Rechtsstreit den (heide Kreis Kassel) sowie verhindert worden sei. im Kasseler Stadtteil Waldau Bei diesem Rechtsstreit aber noch gar nicht untersucht wor- hätte das Land laut Rechtsgut- den seien; auch hier könnten achten gute Chancen gehabt, für noch gewaltige Sanierungsko- die gesamten Sanierungskosten sten entstehen. Vor diesem die IVG in Anspruch zu neh- Hintergrund set die Zahlung men, sagt König. Denn die Ge- von 25 Millionen DNI "ein seilschaft - Rechtsnachfolgerin schlechter Witz". der Montan-Industriewerke, die Kritik übt König, der auch im Zweiten Weltkrieg die Muni- Sprecher des Bundesarbeits- tionsproduktion organisierten - kreises Altlasten des Bundes für aus: HNA, vom 20.10.90 Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist, außer- dem daran, daß sich die IVG auch eigene Grundstücke auf Kosten der Steuerzahler sante- ren lasse und laut Vergleich nach einer Sanierung auch den Wertzuwachs der Grundstücke selbst abschöpfe. SPD: Fatale Folgen Weil es bundesweit um rund 50 ehemalige Standorte der Rü- stungsindustrie - davon etwa 20 in der ehemaligen DDR - gehe, seien auch wettere Bundeslän- der betroffen und hätten nun eine schlechtere Position für Verhandlungen mit der IVG über Sanierungkosten. kritisiert die SPD-Landtagsfraktion den Umweltminister. Das "Vorpre- schen Hessens" könnte auch für Forderungen nach einer Zwangsarbeiter-Entschädigung fatale Folgen haben:· Eine ge- richtliche Entscheidung, ob die IVG auch als Verursacherin der Umweltschäden haftbar zu ma- chen sei, hätte' nämlich auch Auswirkungen auf die Durch- setzung von Entschädigungs- zahlungen gehabt. Ohne ein Ur- teil zur Verursacherfrage dürf- ten Entschädigungen jedoch kaum durchzusetzen sein.