Ayaß Das Arbeitshaus Breitenau Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde, Heft 23 Hrsg.: Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e. V. Kassel 1834 Schriftleitung: Helmut Burmeister, Arensberg 8, 3520 Hofgeismar Nationalsozialismus in Nordhessen- Schriften zur regionalen Zeitgeschichte, Heft 14 Hrsg.: Gesamthochschule Kassel, Fachbereich 1 Redaktion: Dietfrid Krause-Vilmar Dr. phil. Wolfgang Ayaß, geb. 1954 in MarbachIN., 1976-1981 Studium der Sozialarbeit und der Sozialpädagogik in Kassel, 1982-1985 Sozialarbeiter in einem Heimfür Wohnungslose in Karlsruhe, 1985-1988 Studium der Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft in Kassel, Magister Artium, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gesamthochschule Kassel, Promotion mit vorliegender Arbeit am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Gesamthochschule Kassel. Umschlag: Stephan von Borstel Vertrieb: Jenior & Pressier, Lassallestr. 15, 3500 Kassel 1. Auflage 1992 ISBN: 3-88122-670-2 ISSN: 0175-1840 Copyright Gesamthochschule Kassel, Fachbereich 1, Gesamthochschulbibliothek Wolfgang Ayaß Das Arbeitshaus Breitenau Bettler, Landstreicher, Prostituierte, Zuhälter und Fürsorgeempfänger in der Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau (1874-1949) Gesamthochschule Kassel Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. Kassel 1992 Inhalt Vorbemerkung Einleitung 13 Fragestellung 13 Forschungsstand 16 Quellenlage 22 Die strafrechtliche Arbeitshausunterbringung 25 Geschichte der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung 25 Die Praxis der Arbeitshaushaft 34 Arbeitshäuser als Gefängnisse für die Armen 38 Der Diskurs über Arbeitshäuser im Kaiserreich 44 Die fürsorgerechtliehe Arbeitshausunterbringung 55 Die geschlossene Armenarbeitshausunterbringung von Unterstützungsempfiingern 55 Die Landarmenhäuser 57 Die Zwangsarbeitshausunterbringung durch Verwaltungsentscheidung 62 Die Gründung der Anstalt Breitenau 69 Der Bezirkskommunalverband Kassel als Träger 69 Das Gebäude 71 Die Insassen 78 Korrigendinnen und Korrigenden 79 Männliche Korrigenden 84 Wohnungslose Männer 87 Zuhälter 108 Korrigendinnen 120 Prostituierte 124 Wohnungslose Frauen 137 Landarme 141 Landarme Männer 146 Landarme Frauen 153 "Arbeitsscheue und säumige Nährpflichtige" 156 Das Personal 160 Aufseher und Aufseherinnen 160 Der Oberaufseher 169 Der Direktor 171 Die Arbeit 178 Zwangsarbeit als Besserungsmittel 178 Gutswirtschaft und Regiebetriebe 184 Außenarbeitskolonnen 186 Industrieproduktion 191 Die Arbeitsprämie 193 Anstaltsleben in Breitenau 199 Aufnahmeritual 199 Tagesablauf 204 Verpflegung 208 Verbote und Strafen 210 Sonntagsleben 218 Krankheit und Tod 222 Flucht 225 Entlassung 228 Reformversuche in der Weimarer Republik 241 Breitenau am Ende des Ersten Weltkriegs 241 Die Diskussion um ein Bewahrungsgesetz 245 Kritik im Kommunallandtag und die neue Hausordnung 251 Pädagogische Neuerungen 255 Die Anstalt in der Krise 259 Die Anstalt Breitenau im Nationalsozialismus 262 Breitenau als Konzentrationslager für politische Gegner der Nationalsozialisten 262 Die Bettlerrazzien vom September 1933 264 Das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" 266 Zwangssterilisationen 275 Verstärkte Einweisungen durch die öffentliche Fürsorge 282 Die Aktion "Arbeitsscheu Reich" 287 Das Justizlager Rodgau 294 Nutzung der Anstalt als Arbeitserziehungslager, Konzentrationssammel- lager, Frauengefängnis und Fürsorgeerziehungsheim 301 Haftbedingungen und Aufenthaltsdauer der Korrigenden 306 Lebenslängliche Internierung 313 Asylunterbringung 317 Die Arbeitshäuser und der nationalsozialistische Mordapparat 319 Arbeitshaushaft wegen Arbeitsvertragsbruchs 322 Nachkriegszeit 328 "Kriegsbedingte Entlassung" 328 Das Arbeitshaus Breitenau als Frauenbewahranstalt 333 Schließung des Arbeitshauses Breitenau durch die Militärregierung 338 Das Ende der Arbeitshausunterbringung 1967/74 342 Schluß 346 Chronologie 350 Quellen und Literatur 352 Nachweis der Schaubilder und Faksimiles 391 Tabellen 392 Abkürzungen ALR BA BayHStA BGBI BSHG Gestapo GS GStA Hrsg HStA JWG KZ LWV MBliV MdI NF Nr NSDAP RAnz RdErl RFV RGBI RKPA RM RMBliV RS S SA Sp StA StGB SS UWG VD ZStA ZStdUV Allgemeines Preußisches Landrecht 1794 Bundesarchiv Koblenz Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bundesgesetzblatt Bundessozialhilfegesetz Geheime Staatspolizei Gesetzsammlung für die Königlich Preußischen Staaten Geheimes Staatsarchiv Herausgeber Hauptstaatsarchiv Jugendwohlfahrtsgesetz Konzentrationslager Landeswohlfahrtsverband Ministerialblatt für die Innere Verwaltung Ministerium des Innem Neue Folge Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Deutscher Reichs-Anzeiger und Preußischer Staats-Anzeiger Runderlaß Reichsfürsorgepflichtverordnung Reichsgesetzblatt Reichskriminalpolizeiamt Reichsmark Reichsministerialblatt für die Innere Verwaltung Rückseite Seite Sturmabteilung der NSDAP Spalte Staatsarchiv Strafgesetzbuch Schutzstaffel der NSDAP Unterstützungswohnsi tzgesetz venereal disease Zentrales Staatsarchiv Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Vorbemerkung Die vorliegende Studie wurde 1991 vom Fachbereich Gesellschafts- wissenschaften der Gesamthochschule Kassel (Universität) als Dissertation angenommen. Sie wurde mit dem Wissenschaftspreis 1990 des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. ausgezeichnet. Die Dissertation wurde von Prof. Dr. Florian Tennstedt und Prof. Dr. Peter- Christi an Witt begutachtet. Darüber hinaus hat Prof. Dr. Dietfrid Krause- Vilmar die Arbeit in allen Phasen ihrer Entstehung engagiert betreut. Die Friedrich-Ebert-Stiftung förderte das Promotionsvorhaben durch ein Stipendium. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen gab einen Druckkosten- zuschuß. An dieser Stelle will ich allen Beteiligten, insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der benutzten Archive und Bibliotheken herzlich danken. Besonderer Dank gilt Helmut Bunneister. Wolfgang Ayaß Einleitung Fragestellung Am Morgen des 1. Oktober 1874 marschierten achtunddreißig Häftlinge der im preußischen Regierungsbezirk Kassel gelegenen Strafanstalt Ziegenhain unter Bewachung zum Bahnhof Treysa. Um 840 Uhr bestiegen sie zusammen mit ihren Bewachern den Zug in Richtung Kassel. 1 Die Häftlinge waren keine Schwerverbrecher, sondern harmlose Vagabunden, die von Polizisten aufge- griffen und von Amtsrichtern gemäß § 361 Strafgesetzbuch zu einer kurzen Haftstrafe wegen Bettelei oder Landstreicherei verurteilt worden waren. In einer der Ziegenhainer Strafanstalt angeschlossenen Zwangsarbeitsanstalt muß- ten die Vagabunden während einer mehrmonatigen korrektionellen NachhaJt, die sich direkt an die eigentliche Haftstrafe anschloß, unter Gefängnisbe- dingungen Zwangsarbeit leisten. Diese auf Grundlage des § 362 StGB ausge- sprochene korrekiionelle NachhaJt sollten die Häftlinge nun in einer speziell für diesen Zweck neu eingerichteten Korrektionsanstalt, dem Arbeitshaus Breiten- au, verbüßen. An der Bahnstation Gensungen, zwanzig Kilometer südlich von Kassel, nahmen die Aufseher der neuen Anstalt die Korrigenden in Empfang und eskortierten sie in einem über zweistündigen Fußmarsch zu ihrer künftigen Haftanstalt.I Schon aus einiger Entfernung konnten sie in einer breiten Flußaue zwischen Fulda und Eder deren Umrisse erkennen: die wuchtige, die wenigen Gebäude der Umgebung überragende, damals noch turmlose, über sieben- hundert Jahre alte Basilika des ehemaligen Benediktinerklosters Breitenau, des- sen Gelände von einer vier Meter hohen Ringmauer umgeben war. Durch das Verriegeln der Tore hinter den achtunddreißig Eingelieferten wurde die neue Corrections- und Landarmen-Anstalt zu Breitenau formlos ihrer Bestimmung übergeben. 3 Vgl. Verhandlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, An- lage 37, Sp. 8; StA Marburg, Bestand 165, Nr. 2175, S. 3. 2 StA Marburg, Bestand 165, Nr. 2175, S. 55. 3 Eine Namensliste dieser 38 Korrigenden befindet sich im Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 133, S. 2. 13 Vor allem wohnungslose Menschen, die Ärmsten der Armen, wurden im Rahmen einer repressiven Armenpolitik in den Arbeitshäusern festgehalten. 1895 bestanden im Deutschen Reich 47 Arbeitshäuser; über drei Jahrzehnte später gab es immerhin noch 26 Anstalten.f Erst 1969 verschwand die Arbeitshausunterbringung aus dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland. Breitenau war kein besonderes Arbeitshaus. Es existierten größere, tradi- tionsreichere, aber auch modernere Anstalten. Zudem war Breitenau ein relativ unbekanntes Arbeitshaus. Im zeitgenössischen Diskurs über Arbeitshäuser blieb Breitenau gesichtslos. Während sich Direktoren, Anstaltsärzte und Seelsorger anderer Arbeitshäuser immer wieder in Fachzeitschriften zu Wort meldeten, schwieg man in Breitenau. Auch in vergleichenden Arbeitshausuntersuchungen fehlt die Breitenauer Anstalt fast immer. Die Suche nach Bildern, Grundrissen oder Beschreibungen in den einschlägigen Handbüchern des Gefängniswesens und der Anstaltsarchitektur blieb erfolglos. Den Autoren dieser Werke er- schienen jeweils andere Arbeitshäuser interessanter. Die seltenen Beschrei- bungen von Arbeitshaushaft in Romanen beziehen sich ebenfalls nicht auf Brei- tenau.> Die zeitgenössische Fachliteratur übergeht das Arbeitshaus Breitenau fast vollständig. Lediglich Bertha Kunreuther stützt sich in ihrer 1918 erschienenen wirtschaftswissenschaftlichen Dissertation "Untersuchungen über das Landstreicher- und Bettlertum in Preußen", ohne daß der Titel dies zu er- kennen gibt, hauptsächlich auf Breitenauer Quellen. Die vorliegende Arbeit behandelt nicht die gesamte Geschichte der Anstalt Breitenau, sondern beschränkt sich auf die Untersuchung der strafrechtlichen und fürsorgerechtliehen Arbeitshausunterbringung in dieser multifunktional ge- nutzten Anstalt. Der Untersuchungszeitraum endet daher im Jahre 1949, als das Arbeitshaus Breitenau durch die amerikanische Militärregierung geschlossen wurde. Die Anstalt wurde danach hauptsächlich als Fürsorgeerziehungsheim genutzt. Heute befindet sich ein offenes psychiatrisches Krankenhaus auf dem Gelände. 4 Vgl. Robert von Hippel, Die strafrechtliche Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu. Eine Darstellung des heutigen Deutschen Rechtszustandes nebst Reform- vorschlagen, Berlin 1895, S. 132; vgl. Verzeichnis der Deutschen Arbeitshäuser und der in denselben eingerichteten gewerblichen Betriebe und der Betriebsformen nach dem Stande vom 1. Oktober 1926, in: Blätter für Gefängniskunde. Sonderheft zu Bd. 58, Heidelberg 1927. 5 Vgl. Hedwig Hard (d.i. Hans Reinhard), Beichte einer Gefallenen, Berlin 21906; vgl. Ernst Schuchhardt, Sechs Monate Arbeitshaus. Erlebnisse eines wandernden Arbeiters, Berlin 1907. 14 Eine Gesellschaft offenbart sich in ihrer Einstellung zu ihren Randgruppen. Die Frage, ob gesellschaftliche Außenseiter eingegliedert, geduldet oder ra- dikal ausgeschlossen werden sollen, stellt sich immer wieder neu. Die Tren- nungslinie ist überaus veränderlich und unterliegt permanenten gesell- schaftspolitischen Auseinandersetzungen. In der vorliegenden Arbeit soll am Beispiel des Arbeitshauses Breitenau die dort umgesetzte repressive Armenpolitik in ihrem Spannungsfeld zwischen Für- sorge und Strafvollzug aufgezeigt werden. Durch die Analyse der Entwicklung der strafrechtlichen Verfolgung von Bettelei, Landstreicherei, Prostitution und Zuhälterei soll sowohl ein Beitrag zur historischen Kriminologie wie zur Sozialgeschichte subproletarischer Schichten geleistet werden. Insbesondere bei der Analyse der Entwicklung der strafrechtlichen und fürsorgerechtliehen Einweisungsbestimmungen wird dabei weit über eine enge Schilderung der Breitenauer Anstalt hinausgegangen. Mein Hauptinteresse gilt den Häftlingen der verschiedenen Insassengruppen, ihrem sozialen Hintergrund, ihren Haftbedingungen und dem Leben innerhalb der Anstalt. Der Versuch, Anstaltswirklichkeit und das Leben der Insassen nach Behördenakten zu rekonstruieren, stößt auf die Schwierigkeit, daß diese Akten die Anstalt und die in ihr gefangenen Menschen aus der Perspektive des Personals beschreiben. Das Anstaltsleben schlägt sich daher nur stark gefiltert und gebrochen in den Akten nieder. Auch die personenbezogenen Fallakten der Anstalt vermitteln in der Regel nur sehr lückenhafte Informationen über die In- sassen und deren Lebensweg. 6 Von besonderem Interesse ist, ob sich in den 75 Jahren von 1874 bis 1949 in Breitenau die Behandlung der Inhaftierten überhaupt nennenswert geändert hat. Wie entwickelten sich die Insassenzahlen? Wie veränderte sich die soziale Zusammensetzung der Gefangenen? Gab es Reformen und wer betrieb sie? Gab es Brüche in der Kontinuität? Schließlich muß eingeschätzt werden, ob und in- wieweit die Entwicklung der Anstalt von politischen und ökonomischen Verhältnissen außerhalb beeinflußt wurde. Von Breitenau hörte ich zum erstenmal vor über zehn Jahren. Damals hatte eine Projektgruppe der Gesamthochschule Kassel in den Anstaltskellem meh- rere tausend Akten eines 1933-1934 und 1940-1945 in der Anstalt errichteten, fast vergessenen nationalsozialistischen Konzentrationslagers entdeckt. 7 Im 6 Zur Auswertung personenbezogener Fallakten der Sozialbürokratie vgl. Siegfried Müller, Aktenanalyse in der Sozialarbeitsforschung, Weinheiml Basel 1980. 7 Vgl. Jutta Dillmannl Dietfrid Krause-Vilrnar/ Gunnar Richter (Hrsg.), Mauern des Schwei- gens durchbrechen. Die Gedenkstätte Breitenau, Kassel 1986, S. 109; vgl. Achtzig Jahre 15 Laufe der intensiven langjährigen Forschungen über das Konzentrationslager Breitenau erwies sich die Untersuchung der Gesamtgeschichte der Anstalt zu- nehmend als Desiderat. Das Verhältnis des Konzentrationslagers Breitenau zur Gesamtanstalt, die Frage, ob es in Kontinuität oder Widerspruch zur Ge- schichte des Arbeitshauses stand, ist eine wichtige Frage meiner Untersuchung. Für die Zeit des Nationalsozialismus gilt es zu klären, in welchem Verhältnis die alten Formen staatlicher Asozialenbekämpfung zu den von den National- sozialisten entwickelten Verfolgungsformen standen, insbesondere zu der in den Konzentrationslagern vollstreckten kriminalpolizeiliehen Vorbeugungshaft gegen "Asoziale". Schließlich müssen Funktion und Stellenwert des Arbeits- hauses Breitenau im Gesamtkontext der nationalsozialistischen Verfolgungs- maschinerie eingeschätzt werden. Forschungsstand Der Forschungsschwerpunkt über die Geschichte der deutschen Arbeits- häuser liegt bislang unübersehbar im 17. und 18. Jahrhundert, in der Ent- stehungszeit der ersten Anstalten. Es bleibt das Verdienst des Kriminalisten und Göttinger Universitätsprofessors Robert von Hippel (1866-1951), bereits 1898 die Pionierrolle des Amsterdamer Tuchthuis von 1595 erkannt zu haben, das als Vorbild der ersten deutschen Arbeitshäuser diente.f Im Rahmen der historischen Kriminologie interessierte an den Zucht- und Arbeitshäusern in erster Linie der Aspekt der Entstehung der modemen Freiheitsstrafe in diesen Anstalten. Wilhelm Traphagen beschrieb bereits 1935 die "pädagogische Funk- tion" der ersten Arbeitshäuser, in denen er vor allem die Umsetzung des Ar- kommunale Selbstverwaltung im Regierungsbezirk Kassel 1867-1947. Im Auftrag der Kommunalverwaltung bearbeitet von Dr. Eduard Becker, Kassel 1949, S. 89. 8 Robert von Hippel, Beiträge zur Geschichte der Freiheitsstrafe, in: Zeitschrift für die ge- samte Strafrechtswissenschaft 18 (1898), S. 419-494 u. S. 608-666; vgl. ders., Die ge- schichtliche Entwicklung der Freiheitsstrafe, in: Erwin Burnke (Hrsg.), Deutsches Gefängniswesen. Berlin 1928, S. 1-15; vgl. ders., Die Entstehung der modernen Frei- heitsstrafe und des Erziehungs-Strafvollzugs, Eisenach 1931; vgl. Albert Krebs, Die For- schungen Robert von Hippels über die Entwicklung der modernen Freiheitsstrafe und ihre Bedeutung für das deutsche Gefängniswesen. in: ders., Freiheitsentzug. Entwicklung von Praxis und Theorie seit der Aufklärung, Berlin 1978, S. 181-205; vgl. Thorsten Sellin, Pio- neering in Penology. The Amsterdam Houses of Correction in the Sixteenth and Seven- teeruh Centuries, Philadelphia 1944. 16 beitserziehungsgedankens des Humanisten Juan Luis Vives verwirklicht sah.? Nachhaltigen Einfluß übte die 1939 erschienene Monographie von Georg Rusche und Otto Kirchheimer "Punishment and Social Structure" aus, die lange als Standardwerk der historischen Kriminologie galt. I0 Rusche und Kirch- heimer stellten die Entwicklung der Zucht- und Arbeitshäuser in den spezifischen Zusammenhang merkantilistischer Wirtschaftspolitik und griffen damit eine These des österreichischen Sozialisten Max Adler auf, der bereits 1924 in "Fabrik und Zuchthaus" den in diesen Anstalten auf nicht zur Fabrikarbeit bereite Arbeitskräfte ausgeübten außerökonomischen Zwang als konstitutiv für die Ausbildung des Kapitalismus ansah.I! Die ökonomische Rolle der Arbeitshäuser steht auch im Mittelpunkt der 1970 erschienenen Arbeit von Helga Eichler, die die Entstehungsgeschichte der Zucht- und Arbeitshäuser der mittleren und östlichen Provinzen Brandenburg- Preußens untersucht. Die Autorin charakterisiert die ökonomische Funktion der von ihr untersuchten Anstalten als eine spezifische Übergangsform zwischen feudaler und kapitalistischer Produktionsweise.l- Christian Marzahn hat für seine 1980 veröffentlichte Studie "Das Zucht- und Arbeitshaus" zwar keine eigene Quellenforschung betrieben, bietet aber einen Überblick über die zeit- genössische und moderne Arbeitshausliteratur.J'' Marzahn sieht in den Arbeits- häusern die "Kerninstitution frühbürgerlicher Sozialpolitik" im Übergang zum Industriezeitalter. In Gesamtdarstellungen über die Geschichte der Armut haben die Zucht- und Arbeitshäuser mittlerweile ihren festen Platz. Analog zum Erkenntnisinteresse der Kriminologen galt der Blick der Sozialhistoriker in erster Linie der Früh- zeit der Arbeitshäuser. Dementsprechend werden sie von Catharina Lis und Hugo Soly (1979), Christoph Sachße und Florian Tennstedt (1980, 1983), 9 Wilhelm Traphagen. Die ersten Arbeitshäuser und ihre pädagogische Funktion, Diss. Göttingen 1935. 10 Georg RuschelOtto Kirchheimer, Punishment and Social Structure, New York 1939, deutsch: Sozialstruktur und Strafvollzug, Köln 1974; vgI. Gustav Radbruch, Die ersten Zuchthäuser und ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund, in: ders., Elegantiae juris crimina- !is. Vierzehn Studien zur Geschichte des Strafrechts, Basel 21950, S. 116-129. 11 Max Adler, Fabrik und Zuchthaus, Leipzig 0.1. (1924). 12 Helga Eichler, Zucht- und Arbeitshäuser in den mittleren und östlichen Provinzen Branden- burg-Preußens. Ihr Anteil an der Vorbereitung des Kapitalismus. Eine Untersuchung für die Zeit vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Wirt- schaftsgeschichte, 1970, Teil I, S. 144. 13 Christian Marzahn, Das Zucht- und Arbeitshaus. Die Kerninstitution friihbürgerlicher Sozialpolitik, Bremen 0.1. (1980); erneut veröffentlicht in ders.z Hans Günther Ritz (Hrsg.), Zähmen und Bewahren. Die Anfange bürgerlicher Sozialpolitik, Bielefeld 1984. 17 Wolfram Fischer (1982), Bronislaw Geremek (1988) durchweg im Rahmen des Wandels der Armenfürsorge in der Frühen Neuzeit diskutiert. 14 Die zahlreichen Studien über einzelne Arbeitshäuser beziehen sich ebenfalls fast ausschließlich auf das 17. und 18. Jahrhundert.P Die wenigen historio- graphischen Arbeiten über deutsche Arbeitshäuser im 19. und 20. Jahrhundert erscheinen dagegen fast bedeutungslos. Die 1983 veröffentlichte medizinische Dissertation von Martin Gunga über "Medizin und Theologie in der öffent- lichen Sozialfürsorge des 19. Jh. am Beispiel des Landarmen- und Arbeits- hauses Benninghausen 1820-1945" liefert nur wenige über die von ihm unter- suchte Anstalt hinausreichende Erkenntnisse. Darüber hinaus existiert lediglich über das württembergische Arbeitshaus Vaihingen eine kleine, aber angesichts des Forschungsstands um so wichtigere Studie über die Funktion dieser Anstalt während des Nationalsozialismus. 16 Ohne die von Hannes Stekl verfaßten Arbeiten sähe im deutschen Sprach- raum der Forschungsstand für den hier in Frage kommenden Zeitraum völlig unzureichend aus. Insbesondere die 1978 veröffentlichte Monographie über "Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser 1671-1920" bot wertvolle Hinweise. Dieses Werk hat in Bezug auf die deutschen Arbeitshäuser noch kein gleich- wertiges Gegenstück gefunden. 17 Die Forschungslage suggeriert fast, die Arbeitshäuser hätten im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland keine Rolle mehr gespielt. Dabei erlebte die zwangsweise Arbeitshausunterbringung in der Form der korrektionellen Nach- haft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bislang völlig un- 14 Vgl. Catharina Lis/ Hugo Soly, Poverty and capitalism in pre-industrial Europe, Hassocks 1979, S. 116-129; vgl. Christoph Sachße/ Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfür- sorge in Deutschland. Vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg, Stuugart/ Berlin/ Köln/ Mainz 1980, S. 112-124; dies., Bettler, Gauner und Proleten. Armut und Armenfür- sorge in der deutschen Geschichte, Reinbek 1983, S. 103-106; Wolfram Fischer, Armut in der Geschichte, Göttingen 1982, S. 44-49; Bronislaw Geremek, Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa, München/ Zürich 1988, S. 257-284. 15 Siehe Literaturverzeichnis. 16 Friedrich K. Grieb/ Ernst A. Schmidt, Das Württembergische Arbeitshaus für Männer in Vaihingen. Ein Vorbericht, in: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen an der Enz, Bd. 4, Vai- hingen 1985, S. 89-112. 17 Hannes Stekl, Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser 1671-1920. Institutionen zwischen Für- sorge und Strafvollzug, München 1978; vgl. ders., Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser. Zur Geschichte multifunktionaler Vollzugseinrichtungen, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 1978, Heft 2, S. 17-28; vgl. ders., "labore et farne" - Sozialdisziplinierung in Zucht- und Arbeitshäusern des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Christoph Sachße/ Florian Tennstedt (Hrsg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung, Frankfurt 1986, S. 119- 147. 18 beachteten Höhepunkt. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden jährlich mehr als zwanzigtausend Menschen zwangsweise in Corrections-Anstalten eingeliefert. 18 Einige Arbeitshäuser zählten weit über tausend Gefangene in ihren Mauern. Solche Größenordnungen kannte man in den ersten zwei Jahrhunderten der Arbeitshausgeschichte nur selten. 19 Sehr viel besser sieht dagegen der Forschungsstand über die Sozialgeschichte wohnungsloser Menschen aus, dem Hauptklientel der Arbeitshäuser. Für das 18. und frühe 19. Jahrhundert ist hier insbesondere die Arbeit von Carsten Küther "Menschen auf der Straße" (1983) zu erwähnen.J" Über Wanderarbeiter und Wandererfürsorge in Kaiserreich liegen mehrere von Jürgen Scheffler ver- faßte Aufsätze vor. 2 1 Für das 20. Jahrhundert sind zunächst die Arbeiten von Klaus Trappmann über die Sozialgeschichte der wohnungslosen Bevölkerung in der Weimarer Republik von Interesse. Die von Trappmann 1982 konzipierte Ausstellung "Wohnsitz: Nirgendwo" löste ein nachhaltiges Echo aus.22 In der Folge stellten sich die Verbände der Wandererfürsorge bzw. Nichtseßhaften- hilfe kritisch ihrer eigenen Verbandsgeschichte. Der vom Zentralverband Deut- scher Arbeiterkolonien herausgegebene Jubiläumsband "Ein Jahrhundert Arbeiterkolonien" hebt sich wohltuend von früheren, apologetischen Selbstdar- 18 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8051, S. 21. 19 Vgl. Helga Eichler, 1970, S. 146 f. 20 Carsten Küther, Menschen auf der Straße. Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983; vgl. Ernst Schubert, Anne Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhundert, Neustadt a.d. Aisch 1983; vgl. Rudolf Weber, Deutsches Armen- und Bettelwesen im 18. Jahrhundert. Sozialpädagogisches Quellenstudium und Begriffsklärung. Diss. Köln 1986. 21 Vgl. Jürgen Schefller, Die Vagabundenfrage. Arbeit statt Almosen. Herbergen zur Heimat, Wanderarheitsstätten und Arbeiterkolonien, in: Künstlerhaus Bethanien (Hrsg.), Wohnsitz: Nirgendwo. Vom Leben und vom Überleben auf der Straße, Berlin 1982, S. 71-90; ders., "Darnpfdöscher", "Dagglöhner" und "Monarchen". Technischer Wandel, Arbeitsmarkt und Arbeiterschaft in der Landwirtschaft Schleswig-Holsteins 1870-1914, in: Reiner Paetaul Holger Rüdel, Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein im 19. und 20. Jahr- hundert, Neumünster 1987, S. 179-215; ders., Protestantismus zwischen Vereinswohltä- tigkeit und verbandlicher Wohlfahrtspflege: Innere Mission und Wandererfiirsorge in West- falen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Westfälische Forschungen 39 (1989), S. 256-282; ders., "Weltstadt" und "Unterwelt". Urbanisierung, Armenpolitik und Obdachlosigkeit in Berlin 1871-1914, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 26 (1990), S. 158-181. 22 Klaus Trappmann (Hrsg.), Landstrasse, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen, Berlin 1980; Künstlerhaus Bethanien (Hrsg.), Wohnsitz: Nirgendwo. Vom Leben und vom Überleben auf der Straße, Berlin 1982. 19 stellungen der Wandererfürsorgeverbände ab. 23 Wichtige, bislang verstreute Materialien und Dokumente vereinigt der von Jürgen Scheffler anläßlich des einhundertjährigen Jubiläums des Deutschen Herbergsvereins herausgegebene Sammelband "Bürger & Bettler" .24 Wolfgang John stellte 1988 erstmals Ur- sachen und Geschichte der Nichtseßhaftigkeit vom Mittelalter bis zur Gegen- wart in einer Längsschnittuntersuchung dar. 25 Schwieriger erwies sich die Forschungslage bezüglich der Sozialgeschichte der Prostituierten, der nach Bettlern und Landstreichern wichtigsten Insas- sengruppe der Arbeitshäuser. An sozialgeschichtlich verwertbaren Ver- öffentlichungen über Prostitution in Deutschland sind die Arbeiten von Richard J. Evans (1976), Regina Schulte (1984), Karin Walser (1985), Gaby Zürn (1986), Lynn Abrams (1988) und Sybille Leitner (1988, 1990) zu nennen.I" In der fast unübersehbaren zeitgenössischen und modemen Literatur zur Prostitu- tion finden sich für den für die vorliegende Arbeit interessierenden Zeitraum zwar häufig Angaben über die polizeiliche Kontrolle von Prostituierten und die 23 Zentralverband Deutscher Arbeiterkolonien (Hrsg.), Ein Jahrhundert Arbeiterkolonien. "Arbeit statt Almosen" - Hilfe für Obdachlose Wanderarme 1884-1984, Bielefeld 1984; vgl. Georg Steigertahl (Hrsg.), Die Herberge. Die wechselnden Aufgaben des Deutschen Her- bergswesens in den Jahren 1854-1954, Bielefeld 1954. 24 Jürgen Scheffler (Hrsg.), Bürger & Bettler. Materialien und Dokumente zur Geschichte der Nichtseßhaftenhilfe in der Diakonie, Bd. I, 1854 bis 1954, Bielefeld 1987. 25 Wolfgang John, Ohne festen Wohnsitz. Ursachen und Geschichte der Nichtseßhaftigkeit und die Möglichkeiten der Hilfe, Bielefeld 1988. 26 Richard J. Evans, Prostitution, State and Society in Imperial Gerrnany, in: Past and Present 70 (1976), S. 106-129; Vera Konieczka, Prostitution im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M.I Tübingen 1980; Regina Schulte, Sperrbezirke, Tugendhaftigkeit und Prostitution in der bür- gerlichen Welt, Frankfurt 1984; Karin Walser, Prostitutionsverdacht und Geschlechter- forschung. Das Beispiel der Dienstmädchen um 1900, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 99-111; Gaby Zürn, "A. ist Prostituiertentyp ". Zur Ausgrenzung und Vernich- tung von Prostituierten und moralisch nicht-augepaßten Frauen im nationalsozialistischen Harnburg. in: Projektgruppe für die vergessenen Opfer des NS-Regimes (Hrsg.), Verachtet, verfolgt, vernichtet, Hamburg 1986, S. 128-151; Lynn Abrams, Prostitutes in Imperial Germany, 1870-1918: Working Girls or Social Outcasts?, in: Richard J. Evans (Ed.), The German Underworld. Deviants and Outcasts in German History, Londonl New York 1988, S. 189-209; Sybille Leitner, 'Vermessene Frauen'. Das Sozialprofil der Münchner Pro- stituierten, in: Friedrich Prinzl Marita Krauss (Hrsg.), München - Musenstadt mit Hinter- höfen. Die Prinzregentenzeit 1866-1912, München 1988, S. 158-162; dies., Großstadtlust. Prostitution und Münchener Sittenpolizei um 1900, in: Wolfgang Hardtwigl Klaus Tenfelde (Hrsg.), Soziale Räume in der Urbanisierung , Studien zur Geschichte Münchens im Ver- gleich 1850 bis 1933, München 1990, S. 261-276; vgl. Frances Finnegan, Poverty and prostitution. A Study of Victorian prostitutes in York, Cambridge 1979; vgl. Anita Ulrich, Bordelle, Strassendirnen und bürgerliche Sittlichkeit in der Belle Epoque, Zürich 1985; vgl. Linda Mahood, The Magdaleries. Prostitution in the nineteenth century, Londonl New York 1990. 20 Praxis der Dirnenlisten, die bei Kontrollübertritt drohende strafrechtliche Verfolgung und Arbeitshauseinweisung wird jedoch kaum thematisiert.I" Die freiwillige oder zwangsweise Arbeitshausunterbringung von Für- sorgeernpfängern in kommunalen Armenhäusern bzw. Landarmenhäusern und Zwangsarbeitsanstalten war bislang in Deutschland nur selten Forschungs- gegenstand. In erster Linie ist hier die 1984 veröffentlichte Dissertation von Angelika Baumann über "vorindustriellen Pauperismus und Einrichtungen der Armenpflege in Bayern um 1800" von Interesse.P' Darüber hinaus ist allenfalls ein bereits 1936 erschienener Aufsatz über die Geschichte des Landarmen- hauses Kreuzburg und die Schilderung eines Armenarbeitshauses in der Arbeit von Claudia Schott über die Armenfürsorge in der Reichsabtei Salem zu nen- nen.29 Angesichts des Forschungsstands über die deutschen Arbeitshäuser im 19. und 20. Jahrhundert erschien es notwendig, zunächst eine einzelne Anstalt zu untersuchen. Dazu war es notwendig, die gesamte, multifunktional genutzte Breitenauer Anstalt, mit ihren vielen Haupt- und Nebennutzungen, im Blick zu behalten. Am Beispiel der Breitenauer Anstalt soll sowohl die konkrete Entwicklung dieser Anstalt wie auch die allgemeine Diskussion über den gesellschaftspolitischen Stellenwert der Arbeitshäuser als Gefängnisse für die Armen aufgezeigt werden. Angesichts dieser AufgabensteIlung erwies es sich als unumgänglich, den gesamten Zeitraum des Breitenauer Arbeitshauses von der Gründung 1874 bis zur Schließung 1949 zu untersuchen. 27 Vgl. A Bibliography of Prostitution, New York 1977; vgl. Friedrich W. Stallberg, Biblio- graphie zur Soziologie der Prostitution, Bremen 1982. 28 Angelika Baumann, "Armuth ist hier wahrhaft zu Haus ... " Vorindustrieller Pauperismus und Einrichtungen der Armenpflege in Bayern um 1800, München 1984. 29 August Scholz, Geschichte des Landarmenhauses KreuzburglOppeln, in: Schriftenreihe der Vereinigung fiir oberschlesische Heimatkunde, H. 16, 1936, S. 16; Claudia Schott, Armen- fürsorge, Bettelwesen und Vagantenbekämpfung in der Reichsabtei Salem, Bühl 1978, S. 45-57; vgl. Gert Paul Tröger, Geschichte der Anstalten der geschlossenen Fürsorge im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben insbesondere während des 19. Jahrhunderts, Mün- chen 1979, S. 51-54; von besonderem methodischem Interesse war die Arbeit von Marcel Mayer über die Anstaltsunterbringung in der Schweizer Stadt SI. Gallen, vgl. Marcel Mayer, Hilfsbedürftige und Delinquenten. Die Anstaltsinsassen der Stadt SI. Gallen 1750- 1798, Diss. Basel 1987, SI. Gallen 1987. 21 Quellenlage Es erscheint nur auf den ersten Blick paradox, daß die Überlieferung über die 'Ränder' der Gesellschaft sich in erster Linie in den Aktenbeständen des 'Zentrums', in Fürsorge- und Strafakten, in den Akten der Anstalten und Ge- fängnisse finden läßt. 30 Die Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau eignet sich für eine exemplarische Untersuchung eines Arbeitshauses des 19. und 20. Jahrhunderts und seiner Insassen nicht zuletzt aufgrund der erfreulich günstigen Quellenlage. Der im Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen vorhandene Bestand umfaßt mit über zehntausend Faszikeln die wichtigsten Akten der Anstalt seit ihrer Gründung im Jahre 1874. Bei den Sachakten ergaben sich nachweisbare Verluste lediglich durch 1930 und 1937 vorgenommene Vernichtung von AIt- akten. 3 1 1937 wurden als erhaltenswert eingeschätzte Akten an das Staatsarchiv Marburg abgeliefert. 32 In diesem vergleichsweise kleinen Bestand sind zentrale Quellen wie Insassenaufnahmebücher aus der Zeit des Kaiserreichs gerettet worden.P Die Mehrzahl der erhaltenen Akten sind personenbezogene Fallakten der auf strafrechtlicher Grundlage untergebrachten Korrigenden bzw. der auf für- sorgerechtlicher Grundlage freiwillig oder unfreiwillig eingewiesenen Fürsorgeempfänger. Ebenfalls erhalten sind personenbezogene Fallakten von Schutzhäftlingen der NS-Zeit und von Fürsorgezöglingen.34 Bei den personenbezogenen Fallakten der Insassen sind erhebliche Verluste zu ver- zeichnen, deren Ursache im einzelnen nicht festgestellt werden konnte. Von den Fallakten, die für die von 1874 bis 1918 eingelieferten 9 173 Korri- gendinnen und Korrigenden angelegt wurden, sind nur noch einzelne vorhan- den. Auch von den 743 eingelieferten Landarmen sind für diesen Zeitraum nur 30 Vgl. Jean-Claude Schmitt, Die Geschichte der Außenseiter, in: Jacques Le Goff/ Roger Chartier/ Jacques Revel (Hrsg.), Die Rückeroberung des historischen Denkens, Frank- furtIM. 1990, S. 235. 31 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 41, S. 104-147; dort befindet sich auch eine Liste der kassierten Akten. 32 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 41, S. 252, S. 261. 33 StA Marburg, Bestand 231 [Landesarbeitsanstalt und Landesfürsorgeheim Breitenau]. 34 Die über dreitausend personenbezogenen Akten der Schutzhäftlinge befinden sich im Archiv der in einem Gebäude der Anstalt eingerichteten Gedenkstätte Breitenau, vgl. Dietfrid Krause-Vilmar, Der Fall "Gedenkstätte Breitenau". Ein Beitrag zum Datenschutzproblem bei NS-Akten, in: Geschichtswerkstatt. Heft 18, Hamburg 1989, S. 69-72. 22 vereinzelt Akten erhalten geblieben. Für die Jahre 1919 bis 1932 geben die veröffentlichten Statistiken die Einweisung von 1 001 Korrigendinnen und Korrigenden an. In den vorhandenen Fallakten lassen sich für diesen Zeitraum jedoch nur 235 Einlieferungen nachweisen. Es ist also aus der Weimarer Re- publik nur etwa ein Viertel der Fallakten erhalten geblieben. Für die Jahre 1933 bis 1945 sieht die Quote der erhaltenen Fallakten sehr viel besser aus. Vom Jahresbeginn 1933 bis zur Befreiung der Anstalt durch US-Truppen am 30. März 1945 wurden nach den Eintragungen des Aufnahmebuchs 1023 Kor- rigendinnen und Korrigenden aufgenommen. Für 915 dieser Aufnahmen (= 89,4 %) sind die entsprechenden personenbezogenen Akten vorhanden. Für 108 Aufnahmen, die 99 namentlich festgestellte Personen betreffen, fehlen die Akten. Die Daten der erhaltenen Aufnahmebücher wurden mit dem Statistikpro- gramm SPSS/PC + ausgewertet. Diese Aufnahmebücher enthalten Angaben über die Einlieferung von fast siebentausend Korrigenden bis 1945. Ein Auf- nahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel von 1875 bis 1919 einge- lieferten Korrigendinnen ist vollständig erhalten geblieben. Die Aufnahme- bücher der männlichen Korrigenden sind erst ab 1885 vorhanden. Bei den Landarmen sind im Zeitraum von 1877 bis 1918 insgesamt 718 Aufnahmen er- faßt. In den Aufnahmebüchem sind gewöhnlich Name, Einlieferungs- und Entlassungsdatum, Geburtstag, Geburtsort, Ehestand, Religion und Beruf verzeichnet. Der für eine gruppenbezogene Auswertung so wichtige konkrete Einlieferungsgrund ist leider erst nach der Jahrhundertwende erfaßt worden. In allen Fällen, in denen eine personenbezogene Fallakte erhalten ist, wurden noch Angaben über Einweisungsgrund, Entlassungsgrund, Anzahl der Vor- strafen und Arbeitshausaufenthalte, Fluchten, Gnadengesuche, Zwangssterilisa- tionen und Entmündigungen zusätzlich aufgenommen. In der vorliegenden Ar- beit können dadurch erstmals Sozialdaten der Insassen eines Arbeitshauses detailliert ausgewertet werden. Im Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen befindet sich neben dem Aktenbestand der Anstalt Breitenau noch ein vergleichsweise kleiner Bestand des Bezirkskommunalverbandes Kassel, dem Träger der Anstalt. 35 Darüber hinaus finden sich im Staatsarchiv Marburg außer in dem schon erwähnten Be- stand Breitenauer Anstaltsakten (Bestand 231) noch in den Beständen des 35 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband Kassel]. 23 Landeshauptmanns (Bestand 220), des Oberpräsidenten der Provinz Hessen- Nassau (Bestand 150) und der Preußischen Regierung Kassel, Abteilung des Innem (Bestand 165), wichtige Sachakten, die die Anstalt Breitenau betreffen. 24 Die strafrechtliche Arbeitshausunterbringung Geschichte der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung In den Zucht- und Arbeitshäusern, die sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent ausbreiteten, flossen vier Entwicklungsstränge zusammen: die lange Tradition der Hospitäler als Institutionen stationärer Ar- menpflege, der Arbeitserziehungsgedanke, der die Armenfürsorge immer mehr dominierte, die beginnende Ablösung von Todes- und Körperstrafen durch die mo- deme Freiheitsstrafe als Mittel des Strafvollzugs, schließlich das neu entstehende Interesse an Nutzung verfügbarer Ar- beitskräfte im Dienste merkantilistischer Wirtschaftsförderung. I Als erstes Arbeitshaus nennt die Fachliteratur übereinstimmend die im Jahre 1555 im Londoner Schloß Bridewell eingerichtete Arbeitsanstalt. 2 Wie viele spätere Armenarbeitsanstalten ist Bridewell mit einem Hospital zu vergleichen, in dem versucht wurde, den Arbeitserziehungsgedanken durchzuführen. Als "Ur-Institution" bürgerlicher Sozialpolitik, wie Christian Mahrzahn schreibt, können die Arbeitshäuser kaum bezeichnet werden.f Für einen solchen Bezugs- punkt kämen eher die sehr viel älteren, städtischen Hospitäler des Mittelalters in Frage. Es ist kein Zufall, daß das Londoner Bridewell in frühen Quellen als hospital bezeichnet wird und verwaltungsmäßig den anderen Londoner Spitä- lern angeschlossen war. 4 Als totale Institutionen waren die Arbeitshäuser keine völlige Neuschöpfung, sondern konnten an die aus klösterlicher Tradition her- I So bei Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1980, S. 115; vgl. dies., 1983, S. 103-107. 2 Vgl. Joanna Innes, Prisons for the poor, English bridewells, 1555-1800, in: Francis Snyderl Douglas Hay (Ed.), Labour, Law, and Crime, Londonl New York 1987, S. 42-122. 3 Vgl. Christian Marzahn, 1980, S. 3. 4 Vgl. Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen 31965, S. 188; vgl. Gustav Radbruch, 1950, S. 118; vgl. Claudia Schott, 1978, S.45. 25 aus entstandenen bürgerlichen Hospitäler der Städte anknüpfen. Die Spitäler waren, wie die späteren Arbeitshäuser, Sammelinstitute für Versorgungs- bedürftige aller Art. Geschichtliche Frühformen der Arbeitshäuser sind in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters anzusetzen, als versucht wurde, Bettler zu zwingen, sich ständig im Spital aufzuhalten und in den Spitälern Arbeitsge- legenheiten eingerichtet wurden. 5 Das entscheidend Neue der Zucht- und Ar- beitshäuser war nicht, daß die Armen dort arbeiten mußten, sondern daß sie durch diese Zwangsarbeit gebessert werden sollten.P Der umfassende Erzie- hungsanspruch kann als die eigentliche Innovation angesehen werden. Als erstes Zucht- und Arbeitshaus des europäischen Kontinents gilt das 1595 in einem ehemaligen Kloster in Amsterdam eröffnete Tuchthuis.l Robert von Hippel sah in der Amsterdamer Anstalt erstmals die modeme Freiheitsstrafe verwirklicht. Hier habe ein grundlegender Wandel im gesamten Strafvollzug begonnen.f Die Gründung der ersten deutschen Zucht- und Arbeitshäuser er- folgte in direktem Bezug auf das Amsterdamer Vorbild. 9 Bereits 1604 ersuchte der Bremer Senat um eine Abschrift der Amsterdamer Anstaltsordnung. Im Jahre 1609 erfolgte in Bremen die Gründung des ersten deutschen Zucht- und Arbeitshauses. Es folgten Lübeck 1613, Hamburg 1620 und Danzig 1629. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verbreiteten sich die neuen Anstalten in ganz Deutschland. Im Jahre 1786 sollen bereits sechzig Zucht- und Arbeits- häuser bestanden haben. In Preußen wurden 1687 in Magdeburg und Spandau Arbeitshäuser gegründet. Insgesamt sind bis zum Ende des 18. Jahrhunderts allein in Preußen fünfunddreißig Gründungen nachweisbar. 10 5 Vgl. Bronislaw Gerernek, 1988, S. 258 u. S. 265. 6 Vgl. Wilhelm Traphagen, 1935, S. 63. 7 Vgl. Robert von Hippel, 1931, S. 4; vgl. Thorsten Sellin, 1944; die Amsterdamer Hausord- nung ist abgedruckt bei Robert von Hippe!, 1931, S. 39. 8 Vgl. Robert von Hippel, 1928, S. 10; zur Frühgeschichte der Zucht- und Arbeitshäuser vgl. Rudolf Quanter, Deutsches Zuchthaus- und Gefängniswesen von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 1905, S. 115-143. 9 Vgl. Miracvla San-Raspini, Das ist Kurtze und historische Beschreibung der Wunderlichen Mirsekel oder Wunderwerckl so in der weitberhümbten Kauff- und HandeiStatt Amsterdaml an einem Orth auff dem heiligen Weg gelegenl so gemeinlieh das ZuchtHaus genannt wirdtl an vielen fiirgangenl und noch täglich fiirgehen. Mit zugefiigter Beschrei- bung eines wunderbaren Miracke1s1 so von der heiligen Iustitia geschehen. Alles auß Niderländischer Verzeichnuß in Hochteutscher Spraach beschrieben, 0.0. 1613. 10 Vgl. Robert von Hippel, 1931, S. 66; zur Bremer Zuchthausordnung vgl. ebenda, S. 72-76; vgl. Carl Eberhard Wächter, Über Zuchthäuser und Zuchthausstrafen, Stuttgart 1786, S. 16 f; vgl. H. B. Wagnitz, Historische Nachrichten und Bemerkungen über die merkwürdigsten 26 Viele Zucht- und Arbeitshäuser sind von den Intentionen ihrer Gründer im Zusammenhang mit merkantilistischer Wirtschaftsförderung beziehungsweise der damit zusammenhängenden Peuplierungspolitik zu sehen. In einem lang- wierigen, widersprüchlichen Prozeß ersetzte man die althergebrachte Ab- schiebungspolitik gegen Vagabunden durch den vom Peuplierungsgedanken getragenen Wunsch, die brachliegende Arbeitskraft der Vagabunden stattdessen nutzbringend einzusetzen. Aus dieser merkantilistischen Programmatik ist häufig geschlossen worden, die Zucht- und Arbeitshäuser hätten tatsächlich einen erheblichen Anteil an der Ausbildung des Kapitalismus gehabt und durch "außerökonomische Gewalt" die fehlenden Arbeitskräfte für den entstehenden Kapitalismus geliefert.l ! Der österreichische Sozialist Max Adler behauptete bereits 1924, die Manufakturen hätten einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitskräfte aus den Arbeitshäusern bezo- gen. "Man brauchte Arbeitshände, Industrieroboter. Wo anders sollte man diese Menschen und diesen Arbeitsgeist heranzüchten können als im Zucht- und Arbeitshaus?" Ähnlich wie Max Adler argumentierten später auch Georg Rusche und Otto Kirchheimer in ihrem kriminalsoziologischen Standardwerk "Punishment and Social Structure" .12 Tatsächlich fehlt jedoch bisher der Nachweis, daß ehemalige Insassen der Zucht- und Arbeitshäuser nach ihrer Entlassung in größerer Anzahl als freie Arbeiter in Manufakturen und Fabriken gearbeitet haben. Der Arbeiterrnangel der frühen Manufakturen bezog sich zudem vor allem auf qualifizierte Fach- kräfte, während ungelernte Handlanger in der Regel genügend vorhanden waren.U Völlig unhaltbar ist die von Angelika Kopecny aufgestellte Behaup- tung, aus den Arbeitshäusern sei "die erste Generation" der Manufaktur- und Fabrikarbeiter entlassen worden.H Sowohl freie Lohnarbeit wie auch Manu- Zuchthäuser in Deutschland, Bd. I Halle 1791, Bd. 2 Halle 1792; vgl. Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1980, S. 113 f. II So insbesondere Helga Eichler, 1970; Christian Marzahn, 1980; konträr dazu Joanna Innes, 1987. 12 Max Adler, 1924, S. 66; vgl. Georg Ruschel Duo Kirchheimer, 1974, S. 62; vgl. auch Christian Marzahn, 1980, S. 67; vgl. ausführlich Bernhard Stier, Fürsorge und Disziplinie- rung im Zeitalter des Absolutismus. Das Pforzheimer Zucht- und Waisenhaus und die badische Sozialpolitik im 18. Jahrhundert, Sigmaringen 1988, S. 22-24. 13 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesel1schaftsgeschichte. Erster Band. Vom Feuda- lismus des Alten Reichs bis zur Defensiven Modemisierung der Reformära 1700-1815, München 1987, S. 200. 14 Angelika Kopecny, Fahrende und Vagabunden. Ihre Geschichte, Überlebenskünste. Zeichen und Straßen, Berlin 1980, s. 126. 27 fakturen existierten lange vor den ersten Arbeitshäusern.I> Unbestritten bleibt jedoch die davon sorgfältig zu unterscheidende Tatsache, daß aus den Zucht- und Arbeitshäusern häufig ganze Gefangenenabteilungen für Manufakturen zur Verfügung gestellt wurden und einzelne Arbeitshäuser selbst als Manufakturen anzusehen sind.I'' Florian Tennstedt und Christoph Sachße sprechen daher von einer fast symbiotischen Beziehung zwischen Manufaktur und Zwangsarbeits- anstalten. 17 Der direkte ökonomische Nutzen der frühen Arbeitshäuser ist sowohl hin- sichtlich der Wirtschaftlichkeit als auch der Beschaffung qualifizierter Ar- beitskräfte eher als gering anzusehen. Programmatik merkantilistischer Wirt- schaftspolitik und Wirklichkeit der Anstalten unterschieden sich erheblich.If Auch darf die Bedeutung der Zwangsarbeitsanstalten zur Erziehung gesetzes- treuer, arbeitsamer Untertanen nicht überschätzt werden, schon allein weil die frühen Anstalten aufgrund ihrer begrenzten Aufnahmekapazität nur einen ge- ringen Teil der Armutspopulation erfaßten.l? Der eigentliche gesellschafts- politische Nutzen dürfte in den indirekten Wirkungen gelegen haben. Mit der Errichtung der Zwangsarbeitsanstalten gewann eine neue gesellschaftliche Norm ihren sichtbaren Ausdruck. Müßiggang wurde als unerträglich ge- brandmarkt. Die Bestrafung der "Faulen" sollte die "Fleißigen" positiv be- stärken. Die Verfolgung einiger tausend "Arbeitsscheuer" sollte Millionen Menschen als warnendes Beispiel dienen. 20 Eine Abgrenzung von Waisenhäusern, Armenhäusern, Armenarbeits- und Zwangsarbeitshäusern ist häufig nicht eindeutig möglich. Die Quellen- 15 Vgl. Joanna Innes, 1987, S. 47. 16 Vgl. Stephanie Reekers, Die Manufakturen in den Zucht- und Fabrikenhäusern Westfalens im 18. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 31 (1981), S. 34-72; vgl. die Beispiele bei Wemer Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. I, Berlin 1902, S. 823. 17 Vgl. Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1980, S. 122. 18 Vgl. insbesondere Bernhard Stier, 1988, S. 213; vgl. Stephanie Reekers, 1981, S. 63; vgl. Jürgen Kocka , Weder Stand noch Klasse. Unterschichten um 1800, Bonn 1990, S. 157; vgl, Pieter Spierenburg, Prisoners and Beggars. Quantitative Data on Imprisonment in Holland and Hamburg, 1597-1752, in: Historical Social Research 15 (1990), No. 4, S. 36- 38. 19 Vgl. Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1980, S. 122. 20 Vgl. Catharina Lisl Hugo Soly, 1979, S. 117; vgl. Wemer Conze, Arbeit, in: Otto Brunnerl Wemer Conzel Reinhart Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 165, S. 173; vgl. Lisgret Militzer-Schwenger, Armenerziehung durch Arbeit. Eine Untersuchung arn Beispiel des württembergischen Schwarzwaldkreises 1806-1914, Tübingen 1979, S. 157. 28 bezeichnungen geben keinen sicheren Hinweis auf die tatsächliche Funktion der Häuser. Idealtypisch sind folgende Anstaltsformen unterscheidbar: Die Armen wohnen außerhalb der Anstalt und kommen freiwillig zum Arbeiten in die Einrichtung. Die Armen wohnen und arbeiten in der Anstalt, haben aber freien Aus- gang in der Freizeit. Die Armen wohnen und arbeiten formal freiwillig in der Anstalt, haben aber keinen oder nur streng reglementierten Ausgang. Zwangsweise Unterbringung aufgrund Verwaltungsentscheidung. Zwangsweise Unterbringung aufgrund Richterspruch. In den Quellen werden solche Einrichtungen Zuchthaus, Werkhaus, Ar- beitshaus, Armenhaus oder Korrektionsanstalt genannt, ohne daß allein aus der Bezeichnung eine Zuordnung zu einem der genannten Anstaltstypen ableitbar wäre.21 Als Arbeitshaus werden recht unterschiedliche Anstalten bezeichnet. Häufig nahm ein- und dieselbe Anstalt im Laufe ihrer Geschichte verschiedene Bezeichnungen an. 22 Die Ursache für die begriffliche Unklarheit liegt darin, daß einzelne Anstalten fast immer mehrere der genannten Funktionen gleich- zeitig vereinigten. Auch die preußischen Anstalten des 19. Jahrhunderts - und mit ihnen die Breitenauer Anstalt - wurden durchweg gleichzeitig als formal freiwillige Armenarbeitsanstalt für Armenunterstützungsempfänger mit Land- armenstatus und als Zwangsarbeitsanstalt zur Vollstreckung der korrektionellen Nachhaft genutzt. Die häufig beschworene Ausdifferenzierung der Anstalten kommt in Wirklichkeit bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht zum Abschluß. Ihr Charakter als multifunktionale Sammelanstalten in der Tradition mittelalter- licher Hospitäler bleibt über Jahrhunderte erhalten.23 Ob die nach dem Vorbild des Amsterdamer Tuchthuis von 1595 entstandenen deutschen Zucht- und Arbeitshäuser als Vorläuferinstitutionen der Arbeits- häuser des 19. und 20. Jahrhunderts anzusehen sind, ist seit langem umstritten. Insbesondere Robert von Hippel, die große kriminalhistorische Autorität auf dem Gebiet der Arbeitshausunterbringung, bestritt wiederholt eine solche 21 Zur Begriffsgeschichte vgl. Ernst Romfeld, Zur Geschichte der ältesten Zucht-Häuser, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 26 (1906), S. 1-4. 22 Vgl. insbesondere Claudia Schott, 1978, S. 49. 23 Vgl. beispielsweise Martin Eckel, Das Kasseler Werkhaus 1782-1823. Zur Geschichte des Kasseler Armenwesens, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landes- kunde 75/76 (1964/65), S. 431-443. 29 Kontinuität (1889, 1895), während E. Sichart (1888), Hugo Grobleben (1907) und insbesondere spätere Autorinnen und Autoren wie Hannes Stekl (1978), Lisgret Militzer-Schwenger (1979) und Christian Marzahn (1980) eher geneigt sind, lange Entwicklungslinien zu ziehen,24 Eine direkte institutionelle Ver- bindung der einzelnen Arbeitshäuser des 19. Jahrhunderts mit den Zucht- und Arbeitshäusern des 17. und 18. Jahrhunderts läßt sich allerdings mit Sicherheit verneinen. Bei den im Kaiserreich bestehenden Arbeitshäusern handelte es sich fast ausschließlich um Gründungen des 19. Jahrhunderts. Nur fünf der 47 im Jahre 1895 genutzten deutschen Arbeitshäuser waren überhaupt vor 1800 ge- gründet worden. Das älteste im Kaiserreich bestehende Arbeitshaus war die 1791 gegründete brandenburgische Anstalt in Straußberg. Es folgten 1793 Tapiau (Ostpreußen), 1797 Prenslau (Brandenburg), 1798 Ueckermünde (Vor- pommern) und 1799 Neustettin (Hinterpommern). 25 In einem Anstalts- reglement aus dem Jahre 1799 werden Ueckermünde und Neustettin als An- stalten bezeichnet, "worin Bettler und Vagabonden zur Sicherheit des Publi- kums und ihrer eigenen Besserung aufgenommen, ernähret und beschäftigt, auch möglichst zu bessern und arbeitssamen Menschen gemacht werden kön- nen" .26 Eine wichtige Zäsur in der Entwicklung der Arbeitshäuser bildete das All- gemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Auf Anregung von Carl Gottlieb Svarez fand die Arbeitshausunterbringung in Form der korrekiio- nellen Nachhaft Eingang in diese große Gesetzeskodifikation. 27 Das Allge- meine Landrecht sah in § 4 des 20. Titels, also im Strafrechtsteil, Ar- 24 Vgl. Robert von Hippel, Die korrektionelle Nachhaft. Freiburg i.Br. 1889; ders., Die straf- rechtliche Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu, Berlin 1895; Hugo Grobleben, Die juristische Natur der korrektionellen Nachhaft. in: Der Gerichtssaal 70 (1907), S. 208; Christian Marzahn, 1980, S. 3; E. Sichart, Polizeiliche Verwahrungsan- stalten und Arbeitshäuser, in: Franz von Holtzendorffl Eugen von Jagemann (Hrsg.), Handbuch des Gefängnisswesens, Bd. 2, Hamburg 1888, S. 266; Hannes Stekl, 1986, S. 119- 147; ders., Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser 1671-1920, 1978; ders., Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser, 1978, S. 17-28; vgl. Lisgret Militzer-Schwenger, S. 103. 25 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 128 f; Elisabeth Meißner nennt 1794 als Gründungsjahr von Tapiau, vgl. E1isabeth Meißner, Die Besserungsanstalt zu Tapiau als erstes preußisches Arbeitshaus moderner Richtung, Diss. Berlin 1940. 26 Land-Armen-Reglement für Vor- und Hinterpommern, GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8054, S. 53. 27 Vgl. Oskar Adolf Bayer, Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches und Entwurf eines Strafvollzuggesetzes, Würz- burg 1929, S. 41; zur Entwicklung der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung grund- legend: Johanna Jahn, Zur Geschichte der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung in Deutschland, Diss. Mainz 1966. 30 beitszwang für Bettler vor. Die konkrete Form der Zwangsarbeit blieb dort allerdings völlig unbestimmt. Die in den §§ 1 024 und 1 160 des 20. Titels eingeführte Arbeitshaushaft galt dagegen explizit nur für Prostituierte und Diebe.28 Gegen Bettler und Landstreicher - dem Hauptklientel der Arbeits- häuser - war nach dem Allgemeinen Preußischen Landrecht noch keine richter- liche Einweisung zur Arbeitshaushaft möglich.I? Sie konnten allerdings, wie schon zuvor, direkt von den Polizeibehörden in die bestehenden Landarmen- und Arbeitshäuser eingeliefert werden.I" Ihre Haftdauer blieb dort zeitlich un- begrenzt, die Anstaltsleitungen mußten den zuständigen Regierungspräsidenten halbjährlich Führungsberichte zustellen, auf deren Grundlage über eine eventu- elle Entlassung entschieden wurde.U Erst das preußische "Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen" von 1843 ermöglichte auch gegen Wohnungslose ge- richtlich verhängte Arbeitshaushaft: "Wer geschäfts- oder arbeitslos umher- zieht, ohne sich darüber ausweisen zu können, daß er die Mittel zu seinem red- lichen Unterhalt besitze oder doch eine Gelegenheit zu demselben aufsuche, hat als Landstreicher Gefängniß nicht unter sechs Wochen oder Strafarbeit bis zu sechs Monaten verwirkt. Nach ausgestandener Strafe ist der Ausländer aus dem Lande zu weisen, und der Inländer in eine Korrektionsanstalt zu bringen. "32 Im Gegensatz zum mit mindestens sechs Wochen Haft vergleichsweise hohen Strafmaß gegen Landstreicher wurden Bettler nur mit Haft von höchstens sechs Wochen bestraft. Der stets ortsfremde Landstreicher wurde härter bestraft als der gegebenenfalls einheimische Bettler. Wegen bloßer Bettelei konnte eine Einweisung ins Arbeitshaus nur bei wiederholter Verurteilung ausgesprochen werden. Die Haftdauer in den Korrektionsanstalten wurde nicht von den Strafrichtern festgelegt, sondern war von der Landespolizei "nach den Umstän- 28 Zur Arbeitshaushaft gegen Diebe vgl. GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 7887, S. 159; Nr. 7885, S. 25-26; die richterliche Einweisung wurde erstmals 1799 in einer Zirkularverordnung ge- regelt, vgl. Johanna Jahn, 1966, S. 42. 29 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Textausgabe, Frankfurt/M.I Berlin 1970, S. 663-713; vgl. Robert von Hippel, 1889, S. 11-17. 30 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8054, S. 1-110. 31 Vgl. Königliche Allerhöchste Verordnung betreffend des im vormaligen Kloster Benning- hausen im Lipstädter Kreise des Regierungs-Bezirks Amsberg für die ganze Provinz West- falen errichtete Landarmen- und Arbeitshaus. d.d. Berlin den 15le n December 1820, GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8054, S. 44; vgl. Alf Lüdtke, "Gemeinwohl", Polizei und "Festungspraxis" . Staatliche Gewaltsamkeit und innere Verwaltung in Preußen, 1815-1850, Göttingen 1982, S. 228-238. 32 Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen. Vom 6. Januar 1843, in: GS 1843, S. 19. 31 den zu ermessen". Länger als drei Jahre durfte jedoch kein Arbeitshausgefan- gener festgehalten werden. Die preußischen Gesetzesbestimmungen von 1843 gingen nahezu unverän- dert in die §§ 117 bis 120 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 ein, wobei allerdings das Strafmaß für Bettelei und Landstreicherei gleichgesetzt wurde. Beide Delikte konnten nun mit Haft zwischen einer Woche und drei Monaten geahndet werden.33 Prostituierten drohte in § 146 des preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 Haft bis zu acht Wochen und zusätzlich Ar- beitshaushaft bis zu einem Jahr. Mit dem preußischen Strafgesetzbuch von 1851 war die für die straf- rechtliche Arbeitshausunterbringung in Frage kommende Deliktgruppe end- gültig abgegrenzt. Eine richterliche Verurteilung wegen unerlaubter Prostitu- tion, Bettelei, Landstreicherei, Obdachlosigkeit, Müßiggang oder Arbeitsscheu bildete die unabdingbare Voraussetzung für die Verhängung von Arbeits- haushaft. Nur in den Jahren 1900 bis 1933 kam noch das Zuhälterdelikt dazu. Den Delikten war gemeinsam, daß man sie im fehlenden Arbeitswillen be- gründet sah. Mit Ausnahme der Zuhälterei waren es Delikte, die keine Ein- zelpersonen schädigten. Im Gegensatz zum Allgemeinen Landrecht war nach dem preußischen Straf- recht von 1851 keine Arbeitshausunterbringung verurteilter Diebe mehr mög- lich. Eine erhebliche Abmilderung des Strafmaßes nahm das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870 vor. Die Haftstrafen wegen Bettelei, Land- streicherei und Prostitution wurden in § 361 auf zwischen einem Tag und sechs Wochen festgelegt. Außerdem wurden die genannten Delikte von Vergehen zu Übertretungen herabgestuft. Die Richter konnten gemäß § 362 StGB gleich- zeitig mit der Haftstrafe eine "Überweisung an die Landespolizeibehörde" ver- hängen, die dadurch berechtigt wurde, die Delinquenten bis zu zwei Jahren in Arbeitshäusern festzuhalten. 34 Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 übernahm die beiden Paragraphen wörtlich und ließ den Strafrahmen bestehen. Vom preußischen Gesetz von 1843 bis zum Erlaß des "Gesetzes gegen ge- fährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Bes- serung" von 1933 blieb die als korrektionelle Nachhaft bezeichnete straf- 33 Preußisches Strafgesetzbuch von 1851, in: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten 1806-1865, Bd. 1, Berlin 31866, S. 230. 34 Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund. Vom 31. Mai 1870, in: BGBl, 1870, S. 265 f. 32 rechtliche Arbeitshausunterbringung in ihren Grundzügen unverändert.P Erst ab 1934 bis zur Schließung der Arbeitshäuser im Jahre 1969 konnten Straf- richter die Arbeitshauseinweisungen unter Wegfall der zuvor üblichen "Überweisung an die Landespolizeibehörde" direkt vornehmen. Trotz Änderungen im Detail, vor allem hinsichtlich Strafdauer und in Bezug auf erfaßte Personengruppen, blieb das bereits im Allgemeinen Preußischen Landrecht eingeführte Prinzip strafrechtlicher Arbeitshausunterbringung bis zur Schließung des letzten deutschen Arbeitshauses im Jahre 1969 erhalten: Ergrei- fen der Delinquenten durch Polizisten, Verurteilung durch Strafrichter zu einer begrenzten und im Vergleich zur korrektionellen Nachhafi relativ kurzen Freiheitsstrafe mit der Möglichkeit, die Verurteilten "nach ausgestandener Strafe" für gewöhnlich sehr viel längere Zeit in ein Arbeitshaus zu sperren. Da die Gründung der Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau, wie unten noch ausgeführt wird, eine direkte Folge der preußischen Annexion Kur- hessens im Jahre 1866 war, soll an dieser Stelle abschließend kurz ein Blick auf die Behandlung von Bettlern und Landstreichern im Kurfürstentum Hessen ge- worfen werden. Die Bestrafung erfolgte hier bis zur preußischen Annexion auf Grundlage einer kurfürstlichen Verordnung aus dem Jahre 1823. 36 Einheimi- sche Bettler erhielten, sofern sie am Wohnort gebettelt hatten, bei der ersten Bestrafung einen Tag Gefängnis, bei der zweiten Bestrafung drei Tage Gefäng- nis, bei der dritten Verurteilung jedoch Gefängnis oder Zwangsarbeitshaus zwischen acht Tagen und drei Monaten, einschließlich einer körperlichen Züchtigung als "Willkomm". Bei weiteren Bestrafungen sollte die Einsperrung im Zwangsarbeitshaus auf unbestimmte Zeit erfolgen und so lange dauern "bis das Betragen daselbst eine dauernde Besserung mit hinreichender Wahrschein- lichkeit hoffen läßt". 35 Vgl. Johanna Jahn, 1966, S. 47. 36 Verordnung vom 298le n November 1823, enthaltend Maasregeln der Sicherheitspolizei we- gen der erwerbs- oder heimathslosen und dergleichen verdächtigen Personen, sowie der Reisenden und Fremden, in: Sammlung von Gesetzen für Kurhessen 4 (1823), S. 57-64; vgl. Ludwig Bödicker, Die allgemeinen polizeilichen Anordnungen für den Stadtkreis Cassel, in Verbindung mit den Übertretungen des Strafgesetzbuchs und anderen ein- schlagenden gesetzlichen Vorschriften, Cassel 1871, S. 59-62; zur Bettlergesetzgebung in der Landgrafschaft Hessen-Kassel vgl. Jürgen Menzler, Die Bettelgesetzgebung des 17. und 18. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Landes Hessen. Dargestellt unter Berücksichtigung des Einflusses der Aufklärung für die Landgrafschaften Hessen-Kassel und Hessen-Darm- stadt, die Freie Reichsstadt Frankfurt arn Main und die Fürstentümer Nassau-Oranien, Nassau-Weilburg und Nassau-Usingen, Diss. Marburg 1967, S. 17-34. 33 Landstreicherei und Bettelei außerhalb des Heimatorts bestrafte man in Kur- hessen dagegen sehr viel härter. Acht Tage Gefängnis bereits bei der ersten Verurteilung, einen Monat Zwangsarbeitshaus bei der zweiten Verurteilung und schließlich drei Monate Zwangsarbeits- oder Zuchthausstrafe einschließlich Prügel bei Einlieferung bei der dritten Verurteilung. "Die Gerichte können auch erkennen, daß der Landstreicher, welcher mit Zuchthaus-Strafe belegt wird, nach Abbüsung derselben zur Verfügung der Polizei-Direktion in der Art zu stellen sey, daß dieselbe ihn im Zwangsarbeitshause so lange beschäftigen lassen dürfe, bis er gegründete Hoffuung zur Besserung geben werde." Dieses Verfahren ähnelt auffällig der zwei Jahrzehnte später im Preußischen "Gesetz gegen Bettler, Landstreicher und Arbeitsscheue" von 1843 festgeschriebenen korrektionellen Nachhajt.37 Die kurhessische Verordnung von 1823 kannte allerdings keine zeitliche Begrenzung der Zwangsarbeitshausunterbringung. Nachdem ein Kasseler Werkhaus mit Zwangsarbeitshausabteilung bereits 1823 geschlossen wurde, fungierte ab 1843 bis zur Eröffuung der Breitenauer Anstalt eine Abteilung der Strafanstalt Ziegenhain als Zwangsarbeitshaus für Kurhessen. 38 Die Praxis der Arbeitshaushaft Bei Gründung der Breitenauer Anstalt im Jahre 1874 war die in den Ar- beitshäusern vollstreckte korrektion elle Nachhajt ausschließlich zulässig nach einer strafrichterliehen Verurteilung wegen Landstreicherei, wegen Bettelei (falls die Angeklagten innerhalb der letzten drei Jahre schon einmal wegen die- ses Delikts verurteilt worden waren oder unter Drohung bzw. mit Waffen ge- bettelt hatten), bei Armut (falls die Gerichte sie durch Spiel, Alkoholmißbrauch oder Müßiggang verursacht sahen), bei gewerbsmäßiger, polizeiwidriger Pro- stitution, bei unterstellter Arbeitsscheu und bei Obdachlosigkeit. Die genannten Delikte wurden in § 361 StGB als Übertretungen mit Haft bis zu sechs Wochen 37 VgJ. Robert von Hippel, 1889, S. 30-32. 38 Vgl. Martin Eckel, Das Kasseler Werkhaus 1782-1823. Zur Geschichte des Kasseler Armenwesens, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 75/76 (1964/65), S. 441; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 3970; vgl. Hans Bennecke, Bemerkungen zur Kriminalstatistik des Großherzogtums Hessen, besonders zur Statistik des Bettels und der Landstreicherei, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechts- wissenschaft, 1890, S. 336; vgl. K. Krohnel R. Uber, Die Strafanstalten und Gefängnisse in Preußen, Berlin 1901, S. 424. 34 geahndet. Von diesem ohnehin begrenzten Katalog möglicher Einweisungs- gründe spielten jedoch bei Männern nur Bettelei und Landstreicherei und bei Frauen Prostitution eine nennenswerte Rolle. Im Jahre 1896, dem ersten Jahr für das eine nach Einweisungsgründen differenzierende Statistik vorliegt, waren in Preußen 90 Prozent der in Arbeitshäuser eingewiesenen Männer we- gen Bettelei bzw. Landstreicherei und 76 Prozent der Frauen wegen unerlaubter Prostitution verurteilt worden. 39 § 362 StGB bestimmte, daß bei einer Verurteilung aufgrund eines der oben genannten Delikte des § 361 StGB der Delinquent oder die Delinquentin nach verbüßter Strafe der Landespolizei "überwiesen" werden könne. Diese "Überweisung an die Landespolizeibehörde" sprachen die Richter gleichzeitig mit dem Urteil aus. "Die Landespolizeibehörde erhält dadurch die Befugniß, die verurtheilte Person entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterzu- bringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. " Der Strafrahmen der Übertretungsdelikte des § 361 StGB reichte, betrachtet man Haft und korrektionelle Nachhaft zusammen, von einer einzigen Nacht im Polizeigefängnis bis zu sechs Wochen Haft plus zwei Jahre Arbeitshaus, also zusammen 772 Tagen Freiheitsentzug. Der Gesetzgeber ließ den Richtern einen ungewöhnlich großen Ermessensspielraum, denn die Überweisung an die Landespolizeibehörde war, mit der oben schon erwähnten Einschränkung bei erstmaliger Verurteilung wegen Bettelei, stets zulässig, aber andererseits nie notwendig.40 Die Überweisungsquote war von Amtsgericht zu Amtsgericht verschieden und, so unterstellten die Betroffenen, oft nur von der Laune der Richter abhängig.f! 1883 wurden in Preußen durchschnittlich 21 Prozent der wegen Bettelei und Landstreicherei verurteilten Personen an die Landes- polizeibehörde überwiesen. Württemberg wies mit nur 1,8 Prozent die niedrig- ste, Bremen mit 71,9 Prozent die höchste Überweisungsquote auf. 42 Allgemein war als Landespolizeibehörde die der Ortspolizei vorgesetzte In- stanz definiert. In Preußen fungierten die Regierungspräsidien als Landes- polizeibehörde.43 Die Regierungspräsidien entschieden nach Aktenlage und 39 Statistik der zum Ressort des Königlich Preussischen Ministeriums des Innern gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse für den 1. April 1896/97, Berlin 1898. 40 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 44; vgl. ders., 1904, S. 131. 41 Vgl. Constantin Liebich, Obdachlos. Bilder aus dem sozialen und sittlichen Elend der Arbeitslosen, Berlin 21901, S. 180; vgl. Bennecke, 1890, S. 377-379. 42 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 39; GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8054, S. 115. 43 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 74; vgl. Haußmann, Landespolizeibehörde, in: Oskar Karstedt (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 1924. 35 ohne die Gefangenen je zu Gesicht zu bekommen, ob und gegebenenfalls wie lange eine Arbeitshausunterbringung erfolgen sollte. 44 Es handelte sich bei der Arbeitshausunterbringung letztendlich um eine Verwaltungsentscheidung für die der Gerichtsbeschluß der "Überweisung an die Landespolizeibehörde" lediglich die rechtliche Voraussetzung schuf. Keine der beiden Instanzen fühlte sich für die Entscheidung allein verantwortlich, man schob sich stattdessen die Verantwortung gegenseitig zu. 45 In der juristischen Fachdiskussion blieb es im übrigen immer umstritten, ob das seltsame Konstrukt der korrektionellen Nach- haft als Strafe, Nebenstrafe oder polizeiliche Maßregel anzusehen sei. 46 Träger der Arbeitshäuser waren in Preußen die Landarmenverbände. § 38 des 1871 in Kraft getretenen preußischen Ausführungsgesetzes zum Unterstützungswohnsitzgesetz verpflichtete die Landarmenverbände, die in ihrem Bezirk von der Landespolizeibehörde zur Arbeitshaushaft bestimmten Personen unterzubringen.f? An der Arbeitshausunterbringung waren in Preu- ßen drei voneinander unabhängige Instanzen beteiligt: die Justiz, die Re- gierungspräsidien als Landespolizeibehörde und schließlich die von der pro- vinziellen Selbstverwaltung gebildeten Landarmenverbände als Betreiber der Anstalten. Ob und gegebenenfalls wie lange die von den Richtern überwiesenen De- linquenten ins Arbeitshaus gebracht wurden, konnte die Landespolizeibehörde in eigenem Ermessen bestimmen. Weder die Justiz noch die Landarmenver- bände als Träger der Arbeitshäuser hatten Entscheidungsgewalt über die Unter- bringungsdauer. Die Quote der von den Landespolizeibehörden tatsächlich in die Ar- beitshäuser Eingewiesenen war regional höchst unterschiedlich. In Preußen schwankte sie von 1877 bis 1884 zwischen 81 und 95 Prozent der von den 44 Vgl. Hugo Grobleben, 1907, S. 205; vgl. Beseler, Über die Mittel zur Unterdriickung der vagabondirenden Bettelei, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 11. und 12. November 1881 zu Ber!in, Ber!in 1882, S. 118. 45 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 46. 46 Vgl. Hugo Grobleben, 1907, S. 201-286; vgl. Robert von Hippel, 1889, S. 96-115; vgl. Kar! Sturm, Die Landstreicherei, Breslau 1909, S. 67-72; vgl. Oskar AdolfBayer, 1929, S. 44. 47 Gesetz, betreffend die Ausfiihrung des Bundesgesetzes über den Unterstützungswohnsitz. Vom 8. März 1871, in: GS, 1871, S. 139. 36 Richtern "überwiesenen" Personen und hing nicht zuletzt von der Aufnahme- kapazität der zuständigen Anstalt ab. 48 Verurteilte Vom Gericht an Von der Landes- Tatsächlich in Preußen die Landes- polizeibehörde Eingewiesene § 361,3 u.4 polizeibehörde ins Arbeitshaus in % der StGB Überwiesene Eingewiesene Verurteilten [877 77 7[2 [4092 [2908 16,6 % [878 92685 [6528 [456[ [5,7 % [879 115 84[ [9679 [7307 [4,9 % [880 119269 [9972 [7262 [4,4 % 1881 132 123 22225 19139 14,4 % 1882 118245 21 106 19275 16,3 % 1883 101 128 21276 18934 18,7 % 1884 76426 17334 16502 21,5 % Im genannten Zeitraum ist in Preußen etwa jede fünfte bis siebte wegen Bettelei oder Landstreicherei verurteilte Person schließlich in ein Arbeitshaus gebracht worden. Die Quote der "Überweisungen" lag bei Landstreicherei sehr viel höher als bei Bettelei. Im Jahre 1885 wurden in Preußen von 15 883 wegen Landstreicherei verurteilten Personen 7 729 an die Landespolizeibehörde über- wiesen, dagegen nur 8 310 von 58 523 wegen Bettelei verurteilter Personen.f? Die Dauer der Arbeitshausunterbringung war innerhalb der in § 362 StGB festgelegten Schranke von maximal zwei Jahren in das Ermessen der Landes- polizeibehörde gestellt und wurde von dieser völlig willkürlich gehandhabt. 50 So wies der Regierungsbezirk Wiesbaden seine Korrigenden zunächst nur für 48 Vgl. Hans Bennecke. 1890, S. 352; vgl. Schellmann, Die Überweisung an die Landespolizeibehörden, in: 62. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängniß-Ge- seilschaft, Düsseldorf 1888, S. 86; GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 7888, S. 39. 49 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8052, S. 8-12. 50 Vgl. Müller, Die Ausführung der den Landespolizei-Behörden in §. 362 des Strafgesetz- buches zuerkannten Befugniß zur Unterbringung der nach Vorschrift des §. 361 Nr. 3-8 verurtheilten Personen in einem Arbeitshause, in: 47. Jahresbericht der Rheinisch-Westfäli- schen Gefängnis-Gesellschaft, Düsseldorf 1875, S. 45-51; vgl. Düll, Nach welchen Grund- sätzen soll die Dauer der korrektionellen Nachhaft bemessen werden?, in: Blätter für Ge- fängniskunde 37 (1903), S. 205-227; ZStA Potsdam, Bestand 30.01, Nr. 6331, S. 45-55; Bestand 15.01, Nr. 14021, S. 14-67, S. 136-142. 37 drei Monate nach Breitenau ein, während der Regierungsbezirk Kassel für die- selbe Anstalt grundsätzlich mindestens sechs Monate Arbeitshaushaft ver- hängte.>! Erst ein Ministerialerlaß von 1885 führte zumindest in Preußen zu einer gewissen Vereinheitlichung. Danach sollten in der Regel bei erstmaliger Korrektionshaft sechs Monate Arbeitshaus verhängt werden. Bei Rückfall sollte dann jedesrnal eine Steigerung bis zur gesetzlichen Höchststrafe von zwei Jahren vorgenommen werden.52 Je nach Führung des Korrigenden oder der Korrigendin war eine nachträgliche Verlängerung, aber auch eine Verkürzung der festgelegten Haftzeit möglich. Der Erlaß von 1885 bestimmte außerdem, daß die Arbeitshaushaft bei allen an die Landespolizeibehörde "Überwiesenen" in der Regel auch tatsächlich vollstreckt werden sollte. Ausnahmen durften le- diglich bei schwangeren Frauen und völlig Arbeitsunfähigen gemacht werden. Solange ein Delinquent auch nur zu leichtesten Haus-, Feld- und Garten- arbeiten fähig war, sollte die Arbeitshaushaft nicht ausgesetzt werden. Diese Regelungen konnten 1889 durch einen von Preußen initiierten Bundes- ratsbeschluß auf das gesamte Deutsche Reich ausgedehnt werden. 53 Dieser Bundesratsbeschluß beendete außerdem die bis dahin gängige Praxis, nur Bür- ger des jeweiligen Bundesstaats in die Korrektionsanstalten zu bringen, wäh- rend man, ganz in der Tradition der alten Bettlerschübe, alle Landesfremden kurzerhand auswies. 54 Arbeitshäuser als Gefängnisse für die Annen In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bestanden in Deutschland etwa fünfzig Arbeitshäuser, über die Hälfte davon in Preußen. Die Anstalten hatten eine Aufnahmekapazität von mehr als 22 000 Korrigenden und Korrigen- 51 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 90 RS. 52 Circular an die König!. Regierungspräsidenten, Königl. Regierungen ect. vom 22. Oktober 1885, betreffend die Regelung der Festsetzung der korrektionellen Nachhaft nach allge- meinen Grundsätzen, in: MBliV 46 (1885), S. 237-240, ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 14021, S. 9-12. 53 Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs, Jahrgang 1889, Bd. I, Nr. 54; GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 7888, S. 91-99; ZStA Potsdam, Bestand 30.01, Nr. 6331, S. 45-48. 54 VgJ. Beseler, 1882, S. 118. 38 dinnen.55 Eine unveröffentlichte Aufstellung aus dem Jahre 1882 nennt für Preußen die Anstalten Benninghausen, Brauweiler, Breitenau, Breslau, Frank- furt/Oder, Glückstadt, Graudenz, Greifswald, Groß-Salze, Moringen, Halle, Himmelsthür, Konitz, Kosten, Landsberg, Lübben, Neustettin, Prenzlau, Rummelsburg, Schweidnitz, Stralsund, Straußberg, Tapiau, Tost, Uecker- münde, Wunstorf und Zeitz. Außerhalb Preußens bestanden 1882 Anstalten in Coswig (Anhalt); Kislau (Baden); St. Georgen, Kaiserslautern, Rebdorf, Niederschönfeld, Speyer (Bayern); Wolfenbüttel (Braunschweig); Bremen; Fuhlsbüttel (Hamburg); Die- burg (Hessen-Darrnstadt); Detmold (Lippe-Detmold); St. Annen (Lübeck); Güstrow (Mecklenburg-Schwerin); Strelitz (Mecklenburg-Strelitz); Meiningen (für Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen und Reuss ältere Linie), Vechta (für Oldenburg und Schaumburg-Lippe); Hohn- stein, Radeberg, Sachsenburg, Waldheim (für Sachsen und Schwarzburg- Rudolstadt); Eisenach (für Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha und Reuss jüngere Linie); Vaihingen und Rottenburg (Württemberg).56 Am Jahresende 1887 befanden sich in den deutschen Korrektionsanstalten 14325 Korrigenden und 2612 Korrigendinnen, davon 11 405 bzw. 1 945 in den preußischen Anstalten. Für diesen Stichtag werden für die Berliner Ar- beitsanstalt Rummelsburg, dem größten deutschen Arbeitshaus, 1 437 Männer und 172 Frauen gemeldet. Die Anstalt mit der zweithöchsten Belegung war Brauweiler bei Köln mit 1082 Männern und 246 Frauen. Im Jahre 1888 wur- den im Deutschen Reich insgesamt 13 512 Männer und 2680 Frauen in Arbeitshäuser eingeliefert, für die beiden folgenden Jahre werden geringfügig niedrigere Ziffern genannt. Am Jahresende 1890 befanden sich 11 231 Männer und 2 262 Frauen auf strafrechtlicher Grundlage in Arbeitshäusern.I" Die Arbeitshäuser waren gefürchtet. Namen wie Brauweiler, Benninghausen, Kislau, Moringen, Rummelsburg, aber auch Breitenau hatten einen schrillen Klang weit über ihr jeweiliges Einzugsgebiet hinaus. "Du kommst nach Brei- 55 Die Zahlenangaben der Quellen schwanken geringfügig, weil manchmal Nebenanstalten ge- sondert gezählt wurden. Vgl. Franz von Holtzendorffl Eugen von Jagemann (Hrsg.), Handbuch des Gefängnisswesens, Bd. 2, Hamburg 1888, S. 274; vgl. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr, Die deutschen Arbeitshäuser, ein Beitrag zur Lösung der Vaga- bonden-Frage, Halle a.d.S. 1885, S. 2; vgl. Hans Bennecke, 1890, S. 391; vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 132. 56 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8051, S. 22; in Elsaß-Lothringen wurde die Arbeitshaushaft in sechs Bezirksgefängnissen vollstreckt. Siehe auch eine Aufstellung aus dem Jahre 1881 in ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 1314, S. 54. 57 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 118, S. 45. 39 tenau", berichtete Anstaltspfarrer Hollstein, war in den ersten Jahrzehnten der Anstalt für viele "das Schlimmste, was ihnen außer der Todesstrafe widerfahren konnte".58 Als Ende der dreißiger Jahre behördenintern erwogen wurde, die Breitenauer Arbeitsanstalt zugunsten des badischen Arbeitshauses Kislau zu schließen, gab das Argument des Breitenauer Anstaltsleiters, der abschreckende Name Breitenau sei unersetzbar, den Ausschlag für das Weiterführen der Ar- beitsanstalt am alten Ort. Auch die Kasseler Bezirkskommunalverwaltung ar- gumentierte damals ähnlich: "Der Name Breitenau ist im Kasseler und Frank- furter Bezirk zu einem Begriff geworden. Wenn noch etwas geeignet ist, auf die arbeitsscheuen und ähnliche Elemente abschreckend einzuwirken, dann ist es die Anstalt Breitenau. "59 In erster Linie sollten die Arbeitshäuser abschrecken. Dem Besserungsge- danken der Arbeitshäuser kam dagegen im wesentlichen nur theoretische Be- deutung zu. Zwischen programmatischer Zielsetzung und tatsächlichen Zustän- den klaffte in den Arbeitshäusern stets eine breite Lücke. Der Hauptadressat der Arbeitshauspädagogik befand sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der Mauem der Arbeitshäuser. Der allgemein als hoch eingeschätzte Ab- schreckungseffekt des Arbeitshauses gegenüber unteren sozialen Schichten machte den eigentlichen gesellschaftspolitischen Wert der Korrektionsanstalten aus. Insofern traf die einhellige Kritik der Fachöffentlichkeit an den verheeren- den Zuständen in den Anstalten und den ausbleibenden Besserungserfolgen nicht den Kern des Problems, denn die Korrektionsanstalten konnten nicht schlimm genug sein, um den gewünschten Abschreckungseffekt zu erreichen. Abgesehen von der zeitlich befristeten "Unschädlichmachung" dürfte der inten- dierte Haupteffekt der Arbeitshäuser nicht in wie auch immer definierter Besse- rung oder Umbildung des Charakters der Insassen, sondern in der Disziplinie- rung potentiell bzw. vermeintlich gefährlicher Randgruppen gelegen haben. Diese Disziplinierung blieb nicht abstrakt, sondern läßt sich in ihrer Auswir- kung konkret fassen. Prostituierte wurden durch die Furcht vor dem Arbeits- haus in die sittenpolizeiliche Kontrolle gezwungen. Fürsorgeempfängern, die sich weigerten die unbezahlte Fürsorgepflichtarbeit auszuführen, konnten die Beamten der Fürsorgeämter mit Arbeitshaus drohen. Die Wanderarbeiter und Wohnungslosen führte die Angst vor polizeilichem Zugriff den stationären und halbstationären Einrichtungen der Wandererfürsorge als Klienten zu. Die kur- zen Haftstrafen des § 361 StGB reichten dazu als Drohung allein nicht aus. 58 Vgl. Hollstein, Kloster Breitenau!, o. 0., o. 1. (nach 1927), S. 1. 59 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [BezirksverbandJ, Nr. 141, Bd. I, S. 139-141. 40 Gleichgültig nehme der erfahrene Bettler oder Landstreicher die Verurteilung zu einigen Tagen oder Wochen Haft hin, beschrieb Robert von Hippel 1895 die Erfahrung der Strafrichter, "aber Angst und Jammer beginnt, sobald die korrektionelle Nachhaft droht". 60 Einmütig berichtet die zeitgenössische Fachliteratur, daß Arbeitshäuser weit gefürchteter als Gefängnisse waren.P! Die Gründe dürften in der schlechteren Verpflegung, dem überaus harten Arbeitszwang und der nur in den Arbeits- häusern möglichen Haftverlängerung aus disziplinarischen Gründen gelegen haben. In vielen Einzelheiten des Haftalltags waren die Gefangenen der Kor- rektionsanstalten schlechter gestellt als die der Justizgefängnisse. Die Berufung auf Haftbedingungen der Gefängnisse spielte seitens der Arbeitshausgefange- nen, aber auch in verwaltungsinternen Auseinandersetzungen, eine große Rolle.62 In den Arbeitshäusern, konnte man im Lehrbuch der Gefängniskunde von 1889 unverblümt lesen, sei alles Willkür, "die je nach den Umständen zwischen fast komischer Gemütlichkeit und roher Mißhandlung hin und her schwankt".63 Gegenüber den Arbeitshausinsassen stand der Sicherungszweck im Vor- dergrund. Die "Korrektion", die Besserung der Insassen, blieb leere Pro- grammatik. Von Jarotzky, langjähriger Direktor des Arbeitshauses Brauweiler, sah dies schon 1913 recht nüchtern: "Wenn der erziehliche und bessernde Ein- fluß der Arbeitsanstalten nicht allzuhoch einzuschätzen ist, so ist doch anderer- seits zu bedenken, daß die Arbeitsanstalt einen großen Teil jener Leute, welche durch ihr vagabundierendes Leben das Nationalvermögen jährlich um viele tausende Mark schädigen, von der Landstraße fernhält und in einer für die All- gemeinheit segensreichen Weise mit produktiven Arbeiten beschäftigt, und ge- rade hierin dürfte die Bedeutung der Arbeitsanstalt liegen. "64 Allerdings darf man den Wert der produktiven Arbeiten, die die Gefangenen durchführen muß- ten, nicht allzu hoch veranschlagen. Die Arbeitsanstalten waren in der Regel 60 Robert von Hippel, 1895, S. 191; vgl. Haußmann, Arbeitshäuser, in: Oskar Karstedt (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 1924. 61 Vgl. E. Sichart, Bestrafung des Bettels und der Landstreicherei, in: Zeitschrift für die ge- samte Strafrechtswissenschaft 13 (1893), S. 11; vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 192; vgl. Alfred Amschl, Die Scheu vor dem Arbeitshause, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 5 (1900), S. 297; vgl. Wilhelm Traphagen, 1935, S. 5. 62 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 30, S. 57. 63 K. Krohne, Lehrbuch der Gefängniskunde. Stuttgart 1889, S. 194. 64 Vgl. v . Jarotzky, Die Rheinischen Provinzial-Anstalten in Brauweiler, in: Chr.J. Klurnker, Deutsche Versorgungsanstalten und Heime für Alte, Sieche und Invalide. Deutsche Armen- und Arbeitsanstalten, Halle a.d.S. 1913, S. 19. 41 Zuschußbetriebe, die kaum in der Lage waren, von ihrer eigenen Wirtschafts- kraft zu existieren.65 Für das Arbeitshaus Breitenau mußte die Bezirks- kommunalverwaltung Kassel alljährlich erhebliche Mittel zuschießen. Lediglich im Nationalsozialismus warf die Anstalt Gewinn ab. 66 Die geschlossene Unterbringung in den Arbeitshäusern litt unter dem Di- lemma, daß sie für leichtere Fälle unnötig, für schwerere Fälle aber aus- sichtslos erschien. Das konkrete Vorgehen lag völlig im Ermessen des einzel- nen Richters. Strafrichter, die an das Besserungskonzept der Arbeitshäuser glaubten, schickten vorwiegend junge, ihrer Ansicht nach noch rettbare Va- gabunden und Prostituierte in die Arbeitshäuser. Dagegen haben Richter, die in den Arbeitshäusern hauptsächlich den Sicherungszweck sahen, eher alte, noto- rische Vagabunden und gerichtsbekannte Prostituierte hinter die An- staltsmauern verbannt. Die Korrigenden und Korrigendinnen der Arbeitshäuser bildeten daher einen äußerst inhomogenen Personenkreis. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr beschrieb 1884 in einem Bericht an die Jahreskonferenz des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit die Insassen der Korrektionsanstalten wie folgt: "In derselben Anstalt befindet sich neben dem alten, entkräfteten Weibe, das sich zur Stillung des Hungers sein Brod erbettelt hat, das gerade mannbar gewordene Mädchen, die tiefgesunkene, meistenstheils vollständig sieche Dirne. Dieselbe Anstalt nimmt den kaum erwachsenen, noch nicht confirrnierten Knaben auf, ebenso wie den abgelebten Greis, den eben aus dem zum wiederholten Malen besuchten Zuchthause entlassenen Sträfling, und den erst vor einigen Monaten nach Beendigung der Lehrzeit auf Wanderschaft gegangenen Handwerksburschen, welchen Noth und Unerfahrenheit zum dritten Male wegen Bettels vor den Strafrichter führte. Der routinierte Land- streicher hat vielleicht nur drei Monate, der Gelegenheitsbettler die doppelte Zeit in der Anstalt zu verbringen. "67 Zu den bunt zusammengewürfelten Korrigenden kamen zusätzlich oft noch weitere Insassengruppen. Nur etwa ein Drittel der deutschen Arbeitshäuser des Kaiserreichs nahm ausschließlich Korrigenden und Korrigendinnen auf. Die meisten Arbeitshäuser, insbesondere die preußischen, dienten darüber hinaus zur Aufnahme weiterer deklassierter Personengruppen, vor allem von Orts- 65 Vgl. Robert von Hippel, 1931, S. 35. 66 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 148; Nr. 111, S. 408; Nr. 10352, S. 375. 67 Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr, 1885, S. 12. 42 und Landarmen.68 Entsprechend unterschiedlich lauteten die konkreten Be- zeichnungen der Anstalten. Das Arbeitshaus Glückstadt nannte sich schlicht "Korrektions-Anstalt", Groß-Salze "Arbeits- und Landarmen-Anstalt" , Kislau "Polizeiliches Arbeitshaus", Tapiau "Ostpreussische Provinzial-Bes- serungsanstalt", Konitz "Westpreussische Provinzial-, Besserungs- und Land- armen-Anstalt", Kosten "Arbeits- und Landarmenhaus" , Moringen "Landeswerkhaus" und Brauweiler "Rheinische Provinzial-Anstalten". Die Breitenauer Anstalt plante man sogar von Anfang an als Korrektions- und Landarmenanstalt. Die auf juristischer Ebene so penibel auseinanderge- haltene Differenzierung in freiwillige bzw. fürsorgerechtliche Armenarbeits- anstalten einerseits und Zwangsarbeitsanstalten zur korrektionellen NachhaJt andererseits egalisierte sich somit weitgehend durch die Zusammenfassung rechtlich unterschiedlicher Anstaltstypen in gemeinsamen Anstalten. Die nahe- zu wahllose Einlieferung verschiedener Insassengruppen, die innerhalb der Anstalten oft nur formal in gesonderte Abteilungen getrennt waren, ließ eine individuelle Behandlung nicht zu und förderte eine problematische Nivellierung nach unten. Wie mittelalterliche Hospitäler fungierten die Arbeitshäuser als Sammelanstalten für die verschiedensten Marginalgruppen. Auf abstrakter Rechtsebene war die Ausdifferenzierung verschiedener Anstaltstypen aus dem alten Hospital weit fortgeschritten. Doch dann erfolgte - auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage - wieder Unterbringung in ein- und derselben großen Sam- melanstalt.69 Die tatsächliche Praxis der Anstalten hinkte der Rechtsent- wicklung um Jahrhunderte hinterher. "Ich komme mir immer vor, als befinde ich mich in einem Hause, das zugleich Arbeits-, Armen- und Irrenhaus sei. Man sucht augenscheinlich alles, was sich bettelnd auf den Straßen umher- treibt, in einem Raum zusammenzusperren und so auf einige Zeit unschädlich zu machen", schrieb ein Anstaltspfarrer eines Arbeitshauses noch 1894.7° 68 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 137-140, vgl. die Reportage über das Berliner Arbeits- haus von Gustav Rasch, Berlin bei Nacht, Berlin 1871, S. 129-141. 69 Über das Berliner Arbeitshaus vgl. hierzu insbesondere Rud. Leubuscher, Ärztlicher Bericht über das Arbeitshaus im Jahre 1851, in: Deutsche Klinik 4 (1852), S. 87-91. 70 ütto Fleischmann, Vorschläge zur Reform der Arbeitshäuser, in: Blätter für Gefängnis- kunde 28 (1894), S. 188. 43 Der Diskurs über Arbeitshäuser im Kaiserreich In der gesamten zeitgenössischen Fachliteratur des Kaiserreichs ist nicht ein Autor zu finden, der die Arbeitshäuser vorbehaltlos verteidigt. Juristen, Für- sorgefunktionäre, die Direktoren, Ärzte und Pfarrer der Anstalten entwickelten eine in der Form oft vehemente Kritik, die inhaltlich jedoch zumeist nur Teil- aspekte behandelte und in den Reformvorschlägen halbherzig blieb. Kritik von Ärzten und Psychiatern Unter den Wohnungslosen sammelten sich Alte und Kranke, Kriegs- und Ar- beitsinvalide, Krüppel, Epileptiker, Alkoholkranke und unversorgt gebliebene Geisteskranke. Die Tatsache, daß diese Menschen von den Richtern ohne Be- rücksichtigung ihrer strafrechtlichen Unzurechnungsfähigkeit bzw. ihrer Arbeitsunfähigkeit unterschiedslos in die Korrektionsanstalten geschickt wur- den, bildete die Grundlage einer nie widerlegten Kritik von Ärzten und Psychiatern an der gesetzwidrigen Einweisung dieser Personen in die Arbeits- häuser. 71 Schon 1872 hatte der Psychiater Koster bei Vagabunden einen hohen Prozentsatz "verkanntes Irresein" festgestellt.V Sie seien seiner Ansicht nach in den Straf- und Korrektionsanstalten "stets falsch beurteilt". Koster schätzte die Quote der Geisteskranken in den Arbeitshäusern auf sechs bis acht Prozent der Insassen. 1886 untersuchte der Psychiater Emanuel Mendel fünfundachtzig von damals etwa eintausend Korrigenden des Berliner Arbeitshauses und diagnostizierte sechs Geisteskranke, fünf Schwachsinnige, acht Epileptiker und vierzehn Per- sonen mit chronischen körperlichen Krankheiten. Diese Menschen seien nur deswegen im Arbeitshaus, weil ihnen krankheitsbedingt nichts anderes übrig blieb, als ihr Leben mit Betteln zu fristen. Mendel forderte gründliche 71 Vgl. Richard Snell, Alkoholismus in Korrektionsanstalten, in: Der Alkoholismus 1 (I 900), S. 84-86. 72 Vgl. Koster, Über Irresein der Vagabonden und Bummler, in: Allgemeine Zeitschrift fiir Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin 30 (1872), S. 331. 44 gerichtsärztliche Untersuchungen vor der Einweisung ins Arbeitshaus und gegebenenfalls Dauerunterbringung in den Irrenhäusern.73 Zwei Jahre später legte Sanitätsrat Nathan Lissner, der Anstaltsarzt des Arbeitshauses Kosten, einen Bericht über "die Arbeitsfähigkeit der Arbeits- häusler" vor. In expliziter Abgrenzung von Mendel betonte Lissner nicht die Geisteskrankheiten, sondern die körperlichen Defekte der Korrigenden. Von den 2293 von Oktober 1886 bis September 1887 in die Anstalt Kosten einge- wiesenen Männern bezeichnete Lissner 357, also jeden sechsten, als nur sehr eingeschränkt arbeitsfähig bzw. sogar völlig arbeitsunfähig. Auch Lissner for- derte eingehende ärztliche Untersuchungen der Korrigenden. 74 Die über Sieb- zigjährigen wollte er überhaupt nicht mehr in Korrektionsanstalten einweisen. Bei den Sechzig- bis Siebzigjährigen sollte die Arbeitsfähigkeit in jedem Ein- zelfall genau untersucht werden. Aus dem Arbeitshaus Moringen berichtete Anstaltsarzt Kühn 1891 über die Ergebnisse seiner in fünfzehn Dienstjahren an insgesamt zehntausend Korrigen- den vorgenommenen Untersuchungen. Nach seiner Einschätzung befanden sich unter ihnen etwa acht Prozent Geisteskranke, die sich allerdings oft dem An- staltsbetrieb anpaßten und deswegen nicht weiter auffielen. Es widerspreche seinem Humanitäts- und Rechtsgefühl, diese Menschen fortwährend von Ge- fängnis zu Gefängnis zu stoßen. 75 Kühn forderte, die strafrechtliche Zu- rechnungsfähigkeit bereits im Strafverfahren in jedem Einzelfall eingehend zu prüfen. Ein nachhaltiges Echo löste die im Jahre 1900 vorgelegte Studie des Bres- lauer Psychiaters Kar! Bonhoeffer aus. Bonhoeffer hatte 404 wegen Bettelei und Obdachlosigkeit verurteilte Männer, die im Breslauer Zentralgefängnis ihre Haftstrafe verbüßten, untersucht und bei zwölf Prozent Unzu- rechnungsfähigkeit im Sinne des § 51 StGB diagnostiziert. Insgesamt seien so- gar fünfundsiebzig Prozent der inhaftierten Bettler und Landstreicher nur ver- mindert zurechnungsfähig.?" Bei diesen Menschen sei die Arbeitshaushaft 73 Vgl. E. Mendel, Über die Vagabundenfrage vom gerichtsärztlichen Standpunkte, in: Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medicin und öffentliches Sanitätswesen NF 46 (1887), S. 280. 74 Vgl. Lissner, Die Arbeitsfähigkeit der Arbeitshäusler. ein Beitrag zur Vagabondenfrage, in: Blätter für Gefängniskunde 23 (1888), S. 4. 75 Vgl. Adolf Kühn, Über die Geisteskrankheiten der Corrigenden. Ein weiterer Beitrag zur Kenntniss der Beziehungen zwischen Irresein und Gesetzesübertretung, in: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 12 (1891), S. 348. 76 Vgl. Karl Bonhoeffer, Ein Beitrag zur Kenntnis des großstädtischen Bettel- und Vaga- bondenturns, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 21 (1900), S. 57. 45 sinnlos. Stattdessen sollten sie zwangsweise in Irrenanstalten, Altersheime oder Einrichtungen der Wandererfürsorge eingewiesen werden.I? Unter direktem Bezug auf Bonhoeffers Veröffentlichung legte der Heidel- berger Psychiater Kar! Wilmanns 1902 eine psychiatrische Untersuchung über die "Psychosen der Landstreicher" vor. 78 Wilmanns schilderte im einzelnen die vielfältigen Diagnosen von 108 Männern und 12 Frauen, die aus dem badischen Arbeitshaus Kislau als Geisteskranke der Wieslocher psychiatrischen Klinik zugeführt worden waren. Im Mittelpunkt der Diagnosen stand eine Gruppe von Erkrankungen, die Wilmanns als Dementia praecox zu- sammenfaßte.I? In seiner 1906 vorgelegten Habilitationsschrift diagnostizierte Wilmanns diese Krankheit bei 52 von 85 Patienten, die von 1890 bis 1904 aus dem Arbeitshaus Kislau nach Wiesloch überwiesen worden waren. Kar! Wilmanns vermutete, daß zehn Prozent der Insassen der Arbeitshäuser an "fort- schreitender Verblödung" leide. 80 Auch Anstaltsarzt Otto Mönkemöller stellte 1908 bei den Korrigendinnen des hannoverischen Frauenarbeitshauses Himmelsthür sechzehn Prozent Unzu- rechnungsfähige fest. 81 Adolf Riebeth gab in einer ein Jahr später veröffent- lichten Studie dieselbe Größenordnung unzurechnungsfähiger Korrigenden an. Riebeth hatte sämtliche 107 männlichen Insassen des Arbeitshauses Prenzlau untersucht. Nur 37 bezeichnete er als psychisch normal. Er sah 18,7 Prozent der Insassen als völlig unzurechnungsfähig und insgesamt 65,4 Prozent als vermindert zurechnungsfähig an. Für den Vollzug der Arbeitshaushaft kämen also gerade 34,6 Prozent der von ihm untersuchten Korrigenden in Frage. 82 77 Ebenda, S. 61. 78 Vgl. Karl Wilmanns, Die Psychosen der Landstreicher, in: Centtalblau fiir Nervenheilkunde und Psychiatrie 25 (1902), S. 729-746. 79 Vgl. Karl Wilmanns, 1902, S. 739. 80 Vgl. Karl Wilmanns, Ergebnisse einer Untersuchung geisteskranker Landstreicher, Leipzig 1906. Diese Schrift ging vollständig ein in ders., Zur Psychopathologie des Landstreichers. Eine klinische Studie, Leipzig 1906. 81 Vgl. OUo Mönkemöller, Korrektionsanstalt und Landarmenhaus. Ein soziologischer Beitrag zur Kriminalität und Psychopathologie des Weibes, Leipzig 1908, S. 130; vgl. ders., Psychiatrie und Seelsorge in der Frauen-Korrektionsanstalt, in: Zeitschrift fiir Religions- psychologie I (1907), S. 146-162. 82 Vgl. Riebeth, Über den geistigen und körperlichen Zustand der Korrigenden, in: Monats- schrift fiir Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 5 (1909), S. 691. 46 Die konkreten medizinisch-psychiatrischen Diagnosen dieser Unter- suchungen zeigten ein überaus widersprüchliches Bild. 83 Neben Schwierig- keiten im Umgang mit einer sich erst entwickelnden psychiatrischen Diagnose und Terminologie war das Sampie der untersuchten Personen jeweils unter- schiedlich gewählt und oft nicht repräsentativ. Auffällig ist jedoch das große Interesse der Ärzte und Psychiater an durch eigene Untersuchungen ge- wonnenen empirischen Forschungsergebnissen. Insgesamt war die Psychiatrie weit davon entfernt, eine bestimmte Geistes- krankheit als Hauptursache für Vagabundage oder Prostitution anzusehen. Insbesondere der Nachweis einer speziellen "Vagabundenpsychose" gelang nie.84 In einem war man sich jedoch einig: Ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Korrigendinnen und Korrigenden war in den Arbeitshäusern völlig fehl am Platz und konnte dort auch beim besten Willen nicht "gebessert" werden. Auf- grund verkannter Geisteskrankheiten und nicht ernstgenommener körperlicher Handikaps, die in den Anstalten allenfalls als Renitenz, Faulheit oder Simula- tion zur Kenntnis genommen wurden, bevölkerten diese Menschen völlig sinn- los die Arrestzellen der Arbeitsanstalten. 85 Eine prinzipielle Kritik an der Arbeitshausunterbringung hat keiner der hier zitierten Ärzte und Psychiater entwickelt. Ihr Hauptziel blieb, die als haftun- fähig eingeschätzten Korrigendinnen und Korrigenden aus den Arbeitsanstalten herauszunehmen und - nötigenfalls durch Entmündigung - zur dauernden "Verwahrung" psychiatrischen Kliniken, Heil- und Pflegeanstalten sowie ge- schlossenen Fürsorgeheimen zuzuführen. 86 83 Vgl. Mönkemöller, Das Landstreichertum und die Maßnahmen zu seiner Bekämpfung de lege und de lege ferenda, in: Klinik für psychische und nervöse Krankheiten 9 (1914), S. 313-316. 84 Ebenda S. 316; zur rassenhygienischen Pervertierung dieser Diskussion vgl. Friedrich Stumpfl, Geistige Störungen als Ursache der Entwurzelung von Wanderern, in: Der nicht- seßhafte Mensch, München 1938, S. 275-308. 85 Vgl. Otto Mönkemöller, 1914, S. 229. 86 Vgl. Karl Wilmanns, Das Landstreichertum, seine Abhilfe und Bekämpfung, in: Monats- schrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform I (1904/05), S. 618-620; vgl. Ar- beitshaus und Landstreichertum, nach den Verhandlungen der 17. Versammlung der hessi- sehen Vereinigung für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie in Dieburg am 14. Februar 1914, in: Klinik für psychische und nervöse Krankheiten 9 (1916), S. 347 f. 47 Wenig Kritik aus Fürsorgekreisen Eher moderat fielen zumindest im 19. Jahrhundert die Forderungen von Seiten der Armenpflege aus. Der Deutsche Verein für Armenpflege und Wohl- tätigkeit, ein Expertenkartell führender Fürsorgefunktionäre, hatte die "Vagabonden-Frage" seit seiner Gründung im Jahre 1880 immer wieder auf den Tagesordnungen seiner Versammlungen stehen.f? Die Frage der Arbeits- häuser diskutierte man ausführlich auf der Jahrestagung 1884. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr legte dort einen detaillierten Bericht über die Zu- stände in den deutschen Arbeitshäusern vor. Er forderte die Verkleinerung der Anstalten, Trennung der "Besseren" von den "völlig Verderbten", Einführung der Prügelstrafe in allen Arbeitshäusern, Kontrolle der Entlassenen, verbesserte Ausbildung der Aufseher und den Verzicht auf die Einweisung der Arbeits- unflihigen. 88 Die Vorlage eines Vorentwurfs für ein neues Strafgesetzbuch veranlaßte den Deutschen Verein 1911, auf seiner 31. Jahresversammlung seine Vorstellungen zu präzisieren.V Nach heftiger Debatte, in der allein der Frankfurter Fürsorge- experte Christian Jasper Klurnker entschieden für eine Entkriminalisierung der Vagabundage eintrat, verabschiedeten die versammelten Fürsorgevertreter eine Resolution, in der sie eine eklatante Verschärfung der Strafvorschriften forder- ten. Bettelei, Landstreicherei und Arbeitsscheu sollten nicht mehr als Über- tretung mit bis zu sechs Wochen Haft, sondern als Vergehen mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Bei Rückfälligkeit innerhalb eines Jahres sollte grundsätzlich und ausnahmslos Arbeitshausunterbringung verhängt wer- 87 Der Verein wurde in der Weimarer Republik in Deutscher Yerein für öjfencliche und private Fürsorge umbenannt; vgl. Emil Münsterberg, Generalbericht über die Tätigkeit des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit während der ersten 25 Jahre seines Bestehens 1880- 1905, Leipzig 1905, S. 30-33; vgl. Beseler, Maßregeln zur Unterdrückung der Bettelei, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen in der Armenpfleger- Konferenz zu Berlin am 26. und 27. November 1880, S. 3-8; vgl. Beseler! Bokelrnann, Über die Mittel zur Unterdrückung der vagabondirenden Bettelei, in: Stenographischer Be- richt über die Verhandlungen des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 11. und 12. November 1881 zu Berlin, Berlin 1882, S. 115-190; vgl. Elvers, Der Unterstützungswohnsitz und das Landarmenwesen mit Rücksicht auf die vagabondirende Bettelei, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 7. und 8. Oktober 1882 zu Darmstadt, Berlin 1883, S. 88-174; vgl. Rudolf Elvers, Zur Vagabondenfrage. Zwölf Thesen und ein Entwurf zu einem Reichsgesetz, Berlin 1882. 88 Vgl. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr, 1885, S. 33 f. 89 Vgl. von Frankenbergl Drechsler, Die Behandlung der Bettler, Landstreicher und Ar- beitsscheuen, Leipzig 1911, S. 72. 48 den. Zusätzlich sollte die Höchstdauer der Arbeitshaushaft von zwei auf fünf Jahre ausgedehnt werden.P? Es blieb einem Gastdelegierten aus der Schweiz vorbehalten, sein Entsetzen darüber zu äußern, daß ausgerechnet ein Armen- pflegertag unter dem Zeichen der Strafverschärfung stehe. Innerhalb der Diskussion über die Zukunft der deutschen Arbeitshäuser war dieser rigorose Standpunkt der Fürsorgeverteter jedoch nicht überraschend. Die Einschätzung, daß die Arbeitshaushaft im Durchschnitt eher zu kurz als zu lang sei, insgesamt zu spät und zu selten verhängt werde, war zu dieser Zeit noch einhellige Meinung der Fachwelt.P! Erst in der Weimarer Republik stellte der Deutsche Verein die Arbeitshäuser prinzipiell in Frage und forderte den Ersatz der Arbeitshäuser durch sogenannte Bewahranstalten, in denen unter der Regie der Fürsorge eine zeitlich unbestimmte und gegebenenfalls lebenslängliche Unterbringung stattfinden sollte. 92 Die Position der von Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) geprägten speziellen Wandererfürsorge zur strafrechtlichen Verfolgung der Vagabundage und damit zur Frage der Arbeitshäuser blieb ambivalent. Auf der einen Seite trug der von der Wandererfürsorge betriebene rasche Ausbau von Ver- pflegungsstationen, Wanderarbeitsstätten, Herbergen zur Heimat und Arbeiter- kolonien insbesondere in den achtziger Jahren erheblich zum Rückgang straf- rechtlich sanktionierbarer Wohnungslosigkeit bei. 93 Wandernde Arbeiter soll- ten nach dem Willen der Wandererfürsorge in ein System von Wanderstraßen, halbstationären und stationären Einrichtungen mit Arbeitszwang ("Arbeit statt Almosen") hineingepreßt werden. Man beseitigte die Wohnungslosigkeit nicht, sondern versuchte, die "Wanderarmen" zu organisieren und zu reglementieren. Wohnungslose, die sich dem Reglement der "Wanderordnung" anpaßten, waren - versehen mit einem von der Wandererfürsorge ausgestellten Wanderbuch als Legitimationspapier - als "geordnete Wanderer" vor dem Vorwurf der Landstreicherei einigermaßen sicher. 94 Andererseits betonten 90 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der 31. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit am 20. und 21. September 1911 in Dresden, Leipzig 1912, S. 145. 91 Vgl. Quo Fleischmann, 1894, S. 193; vgl. Otto Mönkemöller, 1908, S. 187. 92 Vgl. Arbeitshaus und Strafrecht, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffent- liche und private Fürsorge 8 (1927), S. 256-258. 93 Vgl. Friedlich von Bodelschwingh, Das Wanderarbeitsstättengesetz und zwei Paragraphen des deutschen Reichsgesetzes, Bethel 1907; vgl. Hubert Kolling, Vom "Armenhaus" zur "Wanderarbcitsstäue". Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Stadt Marburg im 19. und 20. Jahrhundert, Marburg 1989. 94 Vgl. Jürgen Scheffler, 1989, S. 256. 49 Vertreter der Wandererfürsorge immer wieder die Notwendigkeit einer straffen polizeilichen Verfolgung aller arbeitsscheuen Vagabunden, worunter sie alle Wohnungslosen verstanden, die sich dem System der "Wanderordnung" nicht unterwerfen wollten. 95 Anzeigen von als arbeitsscheu eingeschätzen Klienten bei der Polizei war für die christliche Wandererfürsorge kein Tabu. Straf- rechtliche Verfolgung und Arbeitshauseinweisung blieb für die Wandererfür- sorge Bodelschwinghscher Prägung eine notwendige und erwünschte Ergänzung des Hilfeangebots. 96 Wesentlich schärfer verlief die Diskussion über die Strafbarkeit von Pro- stitution und Zuhälterei. In der in den neunziger Jahren geführten breiten ge- sellschaftlichen Debatte über Sittlichkeit und Moral spielte die Frage der strafrechtlichen Bekämpfung von Zuhälterei und Prostitution eine zentrale Rolle. 97 In von Hanna Bieber-Böhm formulierten "Vorschlägen zur Be- kämpfung der Prostitution" hatte der Bund deutscher Frauenvereine 1895 in einer Petition an den Reichstag die Umwandlung der Arbeitshäuser in Zwangs- erziehungsanstalten "unter Leitung gebildeter Frauen" gefordert. Die kurzen Haftstrafen gegen Prostituierte gemäß § 361 Nr. 6 StGB sollten abgeschafft und durch "zwangsweise Unterbringung aller wegen Unsittlichkeit inhaftierter Personen in Erziehungsanstalten auf 1-2 Jahre" ersetzt werden. Als Sofortmaß- nahme schlugen die Frauenverbände sogar eine Verschärfung der gängigen Strafpraxis vor. Bereits bei wegen unerlaubter Prostitution erstverurteilten Frauen sollte möglichst häufig Arbeitshaushaft verhängt werden. 98 95 Vgl. Jürgen Scheffler, Vom Herbergswesen für Handwerksgesellen zur Fürsorge für wan- dernde Arbeiter: Herbergen zur Heimat im Zeitalter der Industrialisierung, 1854-1914, in: ders. (Hrsg.), 1987, S. 18; vgl. Florian Tennstedt, Alleinstehende Wohnungslose in der Geschichte des Fürsorgerechts - ein 100jähriger Weg, in: Materialien zur Wohnungs- losenhilfe, Heft 8, Bielefeld 1989, S. 12. 96 Vgl. Welche Maßnahmen sind zu treffen, um die arbeitsscheuen Elemente von unseren Herbergen fern zu halten?, in: Der Wanderer 33 (1916), S. 6; vgl. Walther, Die Bedeutung des Arbeitshauses für die Wandererfürsorge, in: Der Wanderer 49 (1932), S. 293-296. 97 Vgl. Richard 1. Evans, 1976; zur Stellung der Sozialdemokratie zur Prostitution vgl. Richard J. Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, Berlin! Bonn 1979, S. 251-255. 98 Hanna Bieber-Böhm, Vorschläge zur Bekämpfung der Prostitution. (Angenommen vom "Bund deutscher Frauenvereine" als Anlage zu einer Petition an den Reichstag, die Auf- hebung der gewerbsmässigen Prostitution betreffend), Berlin 1895; zur Kritik vgl. Katharina Scheven, Warum erachtet die Föderation die Prostitution nicht als strafbares Ver- gehen!, in: Der Abolitionist 3 (1904), S. 84; vgl. Anna Pappritz, Die Teilnahme der Frauen an der Sittlichkeitsbewegung, in: Helene Lange! Gertrud Bäumler (Hrsg.), Handbuch der Frauenbewegung, 11. Teil, Berlin 1901, S. 174-176; vgl. Richard 1. Evans, The Feminist Movement in Germany 1894-1933, London 1976, S. 42-44. 50 Im schroffen Gegensatz dazu war die Entkriminalisierung der Prostitution für die um die Jahrhundertwende auch in Deutschland Fuß fassende Aboli- tionistische Bewegung das ureigenste Anliegen. Der deutsche Zweigverein der Internationalen Abolitionistischen Pöderationj", eine kleine pressure-group ra- dikaler Feministinnen und fortschrittlicher Ärzte, forderte durch Streichung des § 361 Nr. 6 StGB die Abschaffung der kurzen Haftstrafen gegen Prostituierte wie auch der durch eine Verurteilung aufgrund dieser Strafbestimmung erst möglichen Arbeitshausunterbringung. l OO Auf Initiative der Abolitionistinnen sprach sich die Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine 1902 füreine Streichung des § 361 NT. 6 StGB aus und brachte damit der von Hanna Bieber-Böhm vertretenen Richtung eine sichtbare Niederlage bei. IOI Anna Pappritz, neben Katharina Scheven die zentrale Figur der deutschen Abolitionistinnen, schrieb 1907 zur Frage der Arbeitshäuser: "Wir soll- ten ... das Prinzip der Strafe ausschalten und das Prinzip der Erziehung be- folgen, denn es handelt sich fast immer um unreife, unfertige Personen, die erst systematisch zur Arbeit herangebildet werden müßten. Dementsprechend dürf- ten derartige Anstalten auch nicht den Charakter von Gefängnissen tragen, denn es gilt vielmehr, gebrochene und schwankende Existenzen aufzurichten, stall sie durch das beständige Wachhalten des Furcht- und Sündegedankens noch mehr zu deprimieren." 102 99 1875 in England gegründete Bewegung zur Beseitigung der Reglementierung der Prostitu- tion, vgl. Ellen Scheuner, Die Gefährdetenfürsorge, Berlin 1930, S. 150 f; vgl. Richard 1. Evans, 1976, S. 122-124. Der deutsche Vereinsname lautete Deutscher Verband zur Förde- rung der Sittlichkeit, ab 1920 Bund für Frauen und Jugendschutz, das Verbandsorgan Der Abolitionist erschien 1902 bis 1933; vgl. Florian Tennstedt, Alfred Blaschko - das wissenschaftliche und sozialpolitische Wirken eines menschenfreundlichen Sozialhygieni- kers im Deutschen Reich, in: Zeitschrift für Sozialreform 25 (1979), S. 646-655; zur Stellung der Abolitionistinnen in der deutschen Frauenbewegung vgl. Richard J. Evans, The Feminist Movement in Germany 1894-1933, London 1976, insbesondere S. 162-168. !OO Vgl. Katharina Scheven, 1904, S. 71-76 u. S. 83-87; zur Auseinandersetzung mit Hanna Bieber-Böhm vgl. Anna Papp ritz, 190 I, S. 181; vgl. Anna Papp ritz/ Katharina Scheven, Die positiven Aufgaben und strafrechtlichen Forderungen der Föderation, Dresden 21909, S. 21; vgl. Anna Papp ritz, Die abolitionistische Föderation, in: dies., Einführung in das Studiumder Prostitutionsfrage, Leipzig 1919, S. 237. 101 Vgl. Richard J. Evans, The Feminist Movement in Germany 1894-1933, London 1976, S. 50. 102 Anna Pappritz, "Die Welt von der man nicht spricht!" (Aus den Papieren einer Polizei-Be- amtin), Leipzig 21907, S. 46. 51 luristendebatten zur Strafrechtsreform Die zeitgenössische Literatur zur "juristischen Natur der korrektionellen Nachhaft" ist kaum zu überschauen. Die seit der Jahrhundertwende geführte Diskussion über eine grundlegende Strafrechtsreform, mit ihren vielen offi- ziellen und inoffiziellen Entwürfen und Gegenentwürfen, bot Anlaß für eine kritische Bestandsaufnahme mit dutzenden Kongreßbeschlüssen, individuellen Stellungnahmen und wenig ergiebigen Dissertationen. 103 Dieser Diskurs blieb fast ausschließlich auf einer allgemeinen rechtsdogmatischen Ebene stehen und berührte kaum die konkreten Verhältnisse in den Arbeitshäusern, die die meisten Autoren aus eigener Anschauung überhaupt nicht kannten. Eine Aus- nahme bildete freilich Robert von Hippel, einer der wenigen Autoren, der von der Wirksamkeit der Arbeitshäuser überzeugt war. 104 Robert von Hippel legte 1895 eine detaillierte und materialreiche Studie über die "strafrechtliche Be- kämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu" vor. Seine aus profunder Kenntnis des Arbeitshausalltags entwickelten Reformvorschläge be- stimmten die Diskussion bis weit in die Weimarer Republik hinein. Nach seinen Vorstellungen sollte die Arbeitshausstrafe als Hauptstrafe ins Strafge- setzbuch aufgenommen werden und damit die allgemein als sinnlos einge- schätzte kurze Haftstrafe vor der Überweisung ins Arbeitshaus wegfallen. Die Anstalten sollten aus der provinziellen Selbstverwaltung herausgenommen und 103 Einen guten Überblick über die Entwürfe bietet Rudolf Ploß, Das Arbeitshaus nach dem Reichsstrafgesetzbuche, den Strafgesetzentwürfen und dem Entwurf eines Strafvollzug- gesetzes, Leipzig 1928, S. 73-83; vgl. Adolf Adrian, Das Arbeitshaus in der deutschen Strafrechtsreform, Diss. Frankfurt 1925; Rolf Dietz, Das Arbeitshaus de lege lata et de lege ferenda, Diss. Würzburg o.J. (1925); v , Engelberg, Das Arbeitshaus, seine gegenwärtige Gestaltung in den einzelnen Bundesstaaten und seine Verwendung im künftigen Strafge- setzbuch, in: Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung 19 (1912), S. 481-530; Gennat, Freiheitsstrafen und sichernde Massnahmen im Vorentwurfe zum deut- schen Strafgesetzbuche, in: Blätter für Gefängniskunde 44 (1910), S. 525-569; Lenhard , Die Sicherungsmaßnahmen gegen liederliche und arbeitsscheue Rechtsverletzer, gewerbs- und gewohnheitsmäßige Verbrecher nach den Entwürfen für ein künftiges Deutsches Straf- gesetzbuch, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 36 (1915), S. 473-483; Hellrnut Meyer, Die Verwertung des Arbeitshauses im künftigen Strafrecht, Diss. Göttingen 1922; Fritz Mommer, Das Arbeitshaus und seine Gestaltung nach den Entwürfen zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Diss. Erlangen 1931; Julius Siegel, Das Arbeitshaus nach dem geltenden Recht und nach den Entwürfen zu einem Strafgesetzbuch, Diss. Erlangen 1924; Herbert Schiefeibein, Das Arbeitshaus in der Strafrechtsreform, Diss. Göttingen 1930; Wilhelm Schneider, Das Arbeitshaus nach dem Vorentwurf und dem Gegenentwurf. Diss. Erlangen 1912; Paul Leonhard Völcker, Das Arbeitshaus. Eine dogmatisch-kritische Studie, Diss. Würzburg 1919. 104 Vgl. Robert von Hippel, Zur Vagabundenfrage, Berlin 1902, S. 31. 52 als Staatsanstalten geführt werden. Von Hippel griff damit inhaltlich einen Vorschlag auf, den Hugo Wehr, Landesdirektor der Provinz Westpreußen, bereits 1886 im preußischen Abgeordnetenhaus vorgetragen hatte. 105 Die überaus unterschiedlichen Anstaltsreglements sollten einander angeglichen und die Landarmen aus den Anstalten entfernt werden. Arbeitsunfähige und Personen unter 18 Jahren sollten nicht mehr in die Arbeitshäuser eingewiesen werden. Die vereinzelt noch mögliche Prügelstrafe wollte Robert von Hippel abschaffen. Die Einführung einer "bedingten Entlassung" sollte eine Kontrolle der Entlassenen möglich machen. 106 Die deutsche Sektion der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung nahm die Kernpunkte dieser Vorschläge bereits wenige Wochen nach ihrer Veröffentlichung in ihren Forderungskatalog auf. 107 In der Strafrechtsreformdiskussion meldeten sich auch vereinzelt Ar- beitshausdirektoren als Vertreter der Praxis zu Wort. Hervorzuheben sind hier insbesondere die Stellungnahmen des Direktors des Arbeitshauses Brauweiler H. von Jarotzky, dessen Vorschläge aber im wesentlichen darauf abzielten, den Betrieb und die Verwaltung der Arbeitshäuser zu erleichtern. Von Jarotzky sprach sich dafür aus, die Arbeitsunfähigen und die Zuhälter aus den Ar- beitshäusern zu entfernen, die Arbeitshausstrafe als Hauptstrafe im Strafgesetz- buch zu etablieren und die Höchststrafe auf vier Jahre auszudehnen. Durch Übertragung der Befugnis über die Festsetzung der Korrektionshaft vom Regierungspräsidenten auf den Landeshauptmann, dem in Preußen der Betrieb der Arbeitshäuser sowieso unterstand, sollte die Verwaltung vereinfacht wer- den. 108 In der Diskussion der Juristen tauchte vereinzelt die Forderung nach voll- ständiger Schließung der Arbeitshäuser auf. E. Sichart plädierte 1893 für die Abschaffung der Arbeitshaushaft und wollte stattdessen Bettelei und Land- streicherei als normale Hauptstrafe mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft 105 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preussischen Hauses der Abge- ordneten. 16. Legislaturperiode, 14. Sitzung, 6.2.1886, S. 356-357. 106 Vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 233-263. 107 Vgl. v. Hippel, Erscheinen die Bedingungen des Reichsstrafgesetzbuchs über die korrek- tionelle Nachhaft reformbedürftig?, in: Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung 5 (1896), S. 377-423. 108 Vgl. H. v. Jarotzky, Die Arbeitsanstalt und ihre Stellung in dem Vorentwurf zu einem deut- schen Strafgesetzbuch, Brauweiler 1910, S. 85; vgl. auch von Falken, Das Arbeitshaus in dem Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1919, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 43 (1922), S. 356-365; vgl. von Falken-Plachecki, Das Arbeitshaus und seine Zukunft, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 41 (1921), S. 724-754. 53 wissen. 109 Hugo Grobleben wollte 1907 sogar Bettlerbestrafung und Arbeits- haushaft völlig abschaffen und stattdessen die wohnungslose Bevölkerung zwangsweise in die Kolonien verfrachten lassen. 110 Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands trat seit 1906 für die Ab- schaffung der Arbeitshäuser ein. In einer auf dem Mannheimer Parteitag an- genommenen, von Hugo Haase eingebrachten Resolution zur Strafrechtsreform wurde der Wegfall der Bestrafung von Bettelei, Landstreicherei und Obdach- losigkeit gefordert. Zusätzlich forderte der Parteitag die Abschaffung der "Überweisung an die Landespolizeibehörde" und damit die Beseitigung der Ar- beitshäuser in ihrer bestehenden Form.U! Die Fachdiskussion nahm diese Po- sition der Sozialdemokratie nicht zur Kenntnis. Sie wird an keiner Stelle der Arbeitshausliteratur erwähnt. 109 Vgl. E. Sichart, 1893, S. 13. 110 Vgl. Hugo Grobleben, 1907, S. 283. 111 Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutsch- lands. Abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 26. September 1906, Berlin 1906, S. 142, S. 375, S. 378. 54 Die fürsorgerechtliche Arbeitshausunterbringung Die geschlossene Armenarbeitshausunterbringung von Unterstützungs- empfängern Im Gegensatz zu England bildete die geschlossene Unterbringung von Armen in Arbeitshäusern in Deutschland nicht die Regel. 1 Versuche, Armenarbeitshausunterbringung grundsätzlich bei allen Unterstützungs- empfängern durchzuführen, blieben regional begrenzt.2 Die zuständigen Armenbehörden konnten allerdings die Form der Hilfe frei bestimmen. Ob die Unterstützung als offene Hauspflege oder als geschlossene Anstaltspflege ge- währt wurde, lag im alleinigen Ermessen der Fürsorgebehörden.J Nach den Ergebnissen der Reichsarmenstatistik von 1885 wurden im Geltungsbereich des Unterstützungswohnsitzgesetzes 1 063 158 Personen (= 3,3 % der Bevölke- rung) von den Ortsarmenverbänden und zusätzlich noch 38 131 Personen (= 0,1 % der Bevölkerung) von den Landarmenverbänden unterstützt. Davon betreuten die Ortsarmenverbände 266 058 Personen (= 20 % der Unterstütz- ten) in geschlossener Pflege. Von den Landarmenverbänden wurden 22358 Personen (= 58,7 % der von den Landarmenverbänden Unterstützten) in geschlossener Pflege versorgt. 4 Zu den englischen Armenarbeitshäusern vgl. M. A. Crowther, The Workhouse System 1834-1929. The history of an English social institution, Cambridge 1981; vgl. Anne Digby, Pauper Palaces, London 1978; vgl. Indoor Paupers by One ofThem, London 1885. Vgl. Fr. Bitzer, Die Bezirks-Armen-Arbeitshäuser im Königreiche Sachsen, mit besonderer Rücksicht auf die Verhältnisse in Württemberg und mit Beifügung der hier bestehenden Vorschriften über Gemeinde-Arbeitshäuser, Stuttgartl Oehringen 1864; vgl. ders., Über öffentliche Arbeitsanstalten für Anne. Vortrag gehalten in der 41. General-Versammlung der Rheinisch-Westfälischen Gefängniß-Gesellschaft, Coe1n 1868; vgl. ZilIer, Über die Ein- richtung von Bezirks (Kreis-) Armenhäusern, in: Armenpfleger-Kongress 1885, Nr. 9, S. 2. Gesetz, betreffend die Ausführung des Bundesgesetzes über den Unterstützungswohnsitz, vom 8. März 1871, in: GS, 1871, S. 130, § 1; vgl. Armenordnung für die Residenzstadt Kassel, Kassel 1881, S. 14; zur geschlossenen Armenunterbringung vgl. Christoph Sachße/ Florian Tennstedt, 1980, S. 244-257. 4 Statistikdes Deutschen Reichs, NF Bd. 29, S. 28", S. 33". 55 In Deutschland hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insge- samt die offene Pflege in der Form des Elberfelder Systems durchgesetzt.P Hinter der offenen Hauspflege stand jedoch die geschlossene Unterbringung als beliebig einsetzbares Sanktionsmittel und Ultima ratio der Fürsorgebehörden.6 Adolf Buehl, der einflußreiche Direktor der Hamburger Armenanstalten, sprach sich 1903 für die offene Pflege als gewöhnliche Unterstützungsform aus, hielt aber gleichzeitig die geschlossene Anstaltsunterbringung "als Druck- und Erziehungsmittel " für unentbehrlich. 7 Für die geschlossene Unterbringung von Armenunterstützungsempfängern hat sich in Deutschland kein eindeutig abgrenzbarer Anstaltstyp herausgebildet. Die Armenverbände unterhielten eine Vielzahl offener, halboffener bzw. ge- schlossener Heime, Asyle und Armenhäuser mit und ohne Arbeitsgelegen- heiten. 8 Die Übergangsformen vom primitiven, unbeaufsichtigten, offenen Dorfarmenhaus zur geschlossenen, straff geführten großstädtischen Zwangsar- beitsanstalt waren überaus vielfältig. Gemeinsam war den Armenhäusern und Armenarbeitshäusern nur, daß die Insassen dort in den meisten Bundesstaaten nicht zwangsweise festgehalten werden durften. Nicht obrigkeitlicher Zwang, sondern mangelnde Alternativen, dem Elend zu entgehen, band die Unterstüt- zungsempfänger an die Armenhäusern. Bei Verzicht auf Armenunterstützung konnten alleinstehende Unterstützungsempfänger. solange sie nicht entmündigt waren, jederzeit ihre Entlassung aus der Anstalt beantragen. Gegen ihren 5 Vgl. Christoph Sachße/ Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 2, Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871 bis 1929, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz 1988, S.23. 6 Zusammenstellung der in Deutschland bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über die Be- schäftigung der Armen seitens der Annenverbände, sowie über die Bildung von Ge- sammtannenverbänden und Landannenverbänden, in: Annenpfleger-Kongreß 1885, Nr. 10, Anlage I. 7 Vgl. Adolf Buehl, Die geschlossene Annenpflege, Leipzig 1903, S. 10; ebenso Beseler in der Einleitung zu Georg Osthoff, Die Armen-Arbeitshäuser. Anlage und Einrichtung der- selben, Leipzig 1882, S. 12. 8 Zusammenstellung der Mitteilungen über die in Deutschland lind der Schweiz bestehenden öffentlichen Armenhäuser und die Einrichtung der Bezirks-, Verbands- und Landarmen-Be- schäftigungsanstalten, in: Armenpfleger-Kongreß 1885, Nr. 10, Anlage 11; vgl. Osthoff, 1882; vgl. die Beschreibung der Armenabteilung des Berliner Arbeitshauses Rummelsburg bei Hans R. Fischer, Unter den Armen und Elenden Berlins, Berlin 1887, S. 48-52; vgl. Gustav Behnke, Armen-Versorgungs- und Armen-Arbeitshäuser, in: Handbuch der Archi- tektur, 4. Theil, 5. Halb-Band, 2. Heft, Darmstadt 1891, S. 145-148; vgl. Lisgret Militzer- Schwenger, 1979, S. 106; vgl. Claudia Schott, 1978, S.45-57; vgl. Detlev Duda, Die Hamburger Armenfürsorge im 18. und 19. Jahrhundert, Weinheim/ Basel 1982, S. 162- 175; vgl. Gert Paul Tröger, 1979, S. 51-53. 56 Willen konnten in erster Linie Personen untergebracht werden, deren Ange- hörige Armenunterstützung erhielten. Hier überschnitt sich die - formal frei- willige - geschlossene Armenhausunterbringung mit der zwangsweisen behörd- lichen Arbeitshausunterbringung. Die kommunale Fürsorge sah in der geschlossenen Unterbringung als "höchst unangenehmer Unterstützungsart'f eine notwendige Ergänzung zur gewöhnlich in offener Pflege gewährten Armenunterstützung. Die geschlossene Annenpflege, berichtete der Direktor der Hamburger Armenanstalten 1903 auf einem Kongreß des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohtätigkeit, sei für alte und kranke Personen nicht zu entbehren, insbesondere aber nicht als "Zucht- und Zwangsmittel gegenüber arbeitsscheuen, unbotmäßigen, unwirt- schaftlichen, trunksüchtigen oder mit sonstigen sittlichen Defekten behafteten Personen" .10 DieLandarmenhäuser Die Reichspolizeiordnung von 1530 legte fest, daß "eine jede Stadt und Commun ihre Armen selbst ernehren und unterhalten" solle. II Diese Pflicht je- der Gemeinde, die von ihr aufgenommenen Personen bei Verarmung zu ver- sorgen ("Heimatprinzip"), blieb in Deutschland bis Mitte des 19. Jahrhunderts Grundprinzip kommunaler Armenfürsorge. Das Heimatprinzip implizierte, daß eine Gemeinde sich gegenüber allen nicht in den Gemeindeverband aufge- nommenen Hilfsbedürftigen für unzuständig erklären konnte. Die Ausweisung fremder Bettler wurde bereits im Spätmittelalter praktiziert und war normales Element städtischer Sozialpolitik.R Innerhalb der Gedankenwelt des Heimat- prinzips galt die Abschiebung fremder Hilfsbedürftiger nicht als Hilfever- weigerung, sondern als Rückkehrhilfe an den unterstützungspflichtigen Heimat- 9 So Adolf Buehl, 1903, S. 11. 10 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der 23. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit am 24. und 25. September 1903 in Elberfeld, Leipzig 1903, S. 76. 11 Römischer Kayserlicher Majestät Ordnung und Reformation guter Policey, im Heiligen Römischen Reich, zu Augspurg Anno 1530. auffgericht, in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Frankfurt 1747, Bd. I, S. 343. 12 Vgl. Bronislaw Geremek, 1988, S. 242. 57 ort. Die Bettlerschübe hatten das Heimatprinzip als juristischen Hintergrund. 13 Das Heimatprinzip als Strukturmerkmal der Armenfürsorge erschwerte Fürsorgemaßnahmen gegenüber mobilen Bevölkerungsschichten erheblich. Die im Heimatprinzip immanente Hilfeverweigerung für alle Fremden produzierte und verfestigte geradezu eine mobile Annutsbevölkerung. Das preußische Armengesetz von 1842 ersetzte mit dem dort eingeführten Unterstützungswohnsitzsystem das bis dahin gültige Heimatrecht.H Der Für- sorgeanspruch wurde nun mit dem tatsächlichen Wohnsitz einer Person in Ver- bindung gebracht. Der Unterstützungswohnsitz war damit ein von Geburtsort oder Gemeindezugehörigkeit unabhängiger Rechtsbegriff.U Ein Unter- stützungswohnsitz konnte durch Geburt, Heirat oder - als wesentliche Ände- rung gegenüber dem Heimatprinzip - auch durch mehrjährigen gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gemeinde erreicht werden. Armut sollte dort versorgt wer- den, wo sie entstanden war. Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz (UWG) von 1871 brachte, sieht man von einigen Modifikationen ab, eine Ausdehnung der preu- ßischen Regelung von 1842 auf das Deutsche Reich. Lediglich in Bayern und in Elsaß-Lothringen bestand das alte Heimatrecht zunächst weiter. Nach dem UWG wurde ein Unterstützungswohnsitz durch ununterbrochenen, unterstüt- zungsfreien zweijährigen Aufenthalt in einer Gemeinde erreicht. Bei Abwesen- heit ging der Unterstützungswohnsitz nach zwei Jahren wieder verloren. Für Fürsorgeleistungen von Personen mit Unterstützungswohnsitz mußte der mit der politischen Gemeinde zumeist identische Ortsannenverband aufkommen. Für alle Personen ohne Unterstützungswohnsitz, die sogenannten Landannen, waren die Landarmenverbände als überörtliche Träger subsidiär zahlungs- pflichtig. Die Landarmenverbände wurden in Preußen im allgemeinen auf Provinzebene eingerichtet. In Ostpreußen bildete jeder Kreis, in Hessen-Nassau 13 Vgl. Christoph Sachße/ Florian Tennstedt, 1980, S. 110; vgl. Jürgen Kocka, Weder Stand noch Klasse. Unterschichten um 1800, Bonn 1990, S. 105; vgl. Johann Jakob Cella's frey- müthige Gedanken über Landesverweisungen, Arbeitshäuser und Bettelschube, Anspach 1784, S. 37-44. 14 Gesetz über die Verpflichtung zur Armenpflege. Vom 31. Dez. 1842, in: GS, S. 280, zur Entstehungsgeschichte vgl. Harald Schinkel, Armenpflege und Freizügigkeit in der preu- ßischen Gesetzgebung vom Jahr 1842, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschafts- geschichte 50 (1963), S. 459-479. 15 Vgl. Rudolf Elvers, 1882, S. 26; vgl. Hermann Rehm, Heimatrecht, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 2. Auflage, Bd. 4, Jena 1900, S. 1173-1175; vgl. Christoph Sachße/ Florian Tennstedt (Hrsg.), 1983, S. 174. 58 jeder Regierungsbezirk einen Landarmenverband.J'' Das flächendeckende System von Orts- und Landarmenverbänden schuf zumindest theoretisch ein Hilfesystem, in dem jede hilfsbedürftig werdende Person überall im Geltungs- bereich des Unterstützungswohnsitzgesetzes Fürsorgeleistungen beantragen konnte, ohne daß eine rechtliche Möglichkeit bestand, sie an ihren Heimatort zurück zu verweisen. Die Frist für den Erwerb eines Unterstützungswohnsitzes war identisch mit der Frist für den Verlust. Diese Regelung stellte sich bald als entscheidende Schwachstelle des Unterstützungswohnsitzgesetzes heraus. Bei Ortswechsel konnte eine Person nur dann einen Unterstützungswohnsitz behalten, wenn sie sichdirekt und ohne Zeitverlust an den neuen Wohnort begab und dort minde- stens zwei Jahre lang blieb.I? Angesichts der hohen Mobilität in der In- dustrialisierungsperiode blieb ein derart eingeschränktes Mobilitätsmuster pure Fiktion. Für die hochmobile Fabrikarbeiterschaft blieb der vorübergehende Verlust des Unterstützungswohnsitzes fast unvermeidbar. Zum Risiko wurde das Unterstützungswohnsitzsystem für Personen, die einen neuen Wohnort in- nerhalb der Zweijahresfrist wieder verließen, weil sie so ihren alten Unterstüt- zungswohnsitz verloren, ohne einen neuen erhalten zu haben. Das System des Unterstützungswohnsitzes benachteiligte insbesondere mobile Industriearbeiter, Wanderarbeiter und landwirtschaftliche Saisonarbeiter. Die armenrechtliche Absicherung der Mobilität wirtschaftlich gesicherter Personen, die allenfalls im Abstand von mehreren Jahren den Wohnort wechselten, wurde allerdings im Vergleich zum Heimatprinzip eher begünstigt. Es liegen keine statistische Angaben darüber vor, welcher Anteil der Gesamtbevölkerung durch die hohe Mobilität während der Industrialisierung den Unterstützungswohnsitz verlor und somit gegebenenfalls als landarm be- handelt wurde. Eine von Victor Böhmert 1886 veröffentlichte Untersuchung über das Armenwesen in siebenundsiebzig deutschen Städten ergab, daß dort zwölfProzent der von der Armenpflege unterstützten Männer und drei Prozent derunterstützten Frauen als Landarme galten. Bei 72 Prozent der unterstützten Männer und 90 Prozent der unterstützten Frauen war der Unter- 16 Vgl. die Auflistung der 188 Landarmenverbände des Deutschen Reichs bei Emil Münster- berg, Das Landannenwesen, Leipzig 1890, S. 1-6; vgl. Carl Rocholl, System des Preußi- schen Armenpflegerechts, Hamm 1864, S.90-155; zu den Aufgaben der Land- armenverbände vgl. Andreae, Das Landarmenwesen in der Provinz Hannover, in: Sechzig Jahre Hannoversche Provinzialverwaltung, Hannover 1928, S. 139-149. 17 Vgl. Elvers, 1883, S. 108; vgl. ders., 1882, S. 22. 59 stützungswohnsitz mit dem Wohnort identisch.P Landarme bildeten innerhalb der Armutspopulation nur eine kleine Minderheit, die zeitgenössisch als unter- ste Schicht der Armutsbevölkerung galt. Die Einweisung von Armenunterstützungsempfängern mit Landarmenstatus in Landarmenhäuser bildete nur einen Sonderfall der geschlossenen Armenfür- sorge. Die Rechtsgrundlage entsprach der Armenhausunterbringung von Orts- armen. Die in Preußen im Laufe des 18. Jahrhunderts gegründeten Landarmenhäuser hatten bereits im armenrechtliehen Teil des Allgemeinen Preußischen Land- rechts von 1794 (ALR) eine konkret umrissene Funktion. Sie sollten diejenigen Armen aufnehmen, für die weder Privatpersonen, noch Korporationen oder Kommunen aufkamen.I? Insbesondere sollten die Landarmenhäuser zur Auf- nahme von fremden Bettlern dienen, bei denen die Abschiebung über die Grenze nicht ratsam oder aussichtslos erschien.20 Die Bettler sollten in den Landarmenhäusern, soweit es Gesundheit und Kräfte gestatteten, zu "nützlichen Arbeiten" angehalten werden und so lange in der Anstalt bleiben, bis sicherge- stellt sei, daß sie für ihren Unterhalt selbst aufkommen konnten.U Im ALR wurde somit, ein halbes Jahrhundert vor dem preußischen Armengesetz von 1842, von der strikten Durchsetzung des Heimatprinzips abgerückt und die Existenz von Landarmen anerkannt, für die sich keine heimatrechtlich zuständige Kommune finden ließ. 22 Ein vorsichtiges Abrücken vom Heimatprinzip läßt sich bereits in einem Edikt Friedrich Wilhelms I. von 1725 nachweisen, in dem inländischen Bettlern befohlen wurde, sich "an den Ort ihrer Heimat, alwo sie gebürtig, oder doch einige Jahre gewohnet und sich sonst genähret gehabt, zurückzubegeben" .23 Hier trat bereits neben die 18 Vgl. Victor Böhmert, Das Armenwesen in 77 deutschen Städten und einigen Landannen- verbänden, Dresden 1886, S. 126. 19 ALR, Zweiter Teil, 19. Titel, § 16; vgl. dazu: Königliche Allerhöchste Verordnung, betref- fend das in dem vormaligen Kloster Benninghausen im Lipstädter Kreise des Regie- rungsbezirks Amsberg für die ganze Provinz Westfalen errichtete Landannen- und Arbeits- haus, d.d. Berlin , den 15len December 1820, GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8054, S. 44-48. 20 ALR, Zweiter Teil, 19. Titel, § 17. 21 ALR, Zweiter Teil, 19. Titel, § 18 und 19. 22 Vgl. E. Loening, Annenwesen, in: G. von Schönberg (Hrsg.), Handbuch der Politischen Oekonornie, Bd. 3.2, Tübingen 41898, S. 407. 23 Wie die Wahren Armen, Versorget und verpfleget, die Muthwilligen Bettler Bestrafet und zur Arbeit angehalten, auch überhaupt keine Bettler gesehen noch geduldet werden sollen. De dato Berlinl den 21. Junii 1725, § 15. 60 "Heimat" eine nachgeordnete Unterstützungspflicht für Gemeinden, in denen die Mittellosen einige Jahre ihren Wohnsitz hatten. In der Regel richtete jeder Landarmenverband für sein Gebiet nur eine oder zwei große Landarmenanstalten ein. In Preußen waren sie durchweg mit den ebenfalls von den Landarmenverbänden betriebenen Korrektionsanstalten ver- bunden. Buehl nennt 1903 für Preußen zwanzig Landarmenanstalten mit zu- sammen 2 840 Insassen.24 Die Landarmenverbände sahen in den Landarmenhäusern in erster Linie ein Abschreckungsmittel. Die hannoverische Provinzialverwaltung schrieb 1890, allein die Androhung der Unterbringung in einer Landarmenanstalt wirke dis- ziplinierend, weil sie "die hülfsbedürftigen, nicht selten ihre Hülfsbedürftigkeit übertreibenden Personen zu angestrengterer Erwerbsthätigkeit anspornt und sie veranlaßt, ihre übertriebenen Ansprüche auf Unterstützung zu ermäßigen oder ganz fallen zu lassen".25 Der Landarmenverband Pommern berichtete ebenfalls 1890, daß in den Landarmenanstalten Neustettin und Ueckermünde Personen untergebracht waren, "welche irgend eine wohlwollende Rücksichtnahme nicht verdienen". Dies seien in erster Linie Vagabunden, "liederliche Frauenzimmer" und Personen, die durch "Faulheit, Simulation oder Frechheit eine Unter- stützung oder Erhöhung derselben erzwingen wollten". 26 Ein Beamter der Bezirkskommunalverwaltung Kassel berichtete, er habe 1884 die in offener Hauspflege unterstützten Landarmen überprüft und in allen Fällen, in denen er die Hilfsbedürftigkeit bezweifelte, eine Einweisung ins Landarmenhaus Breitenau verfügt. Bei Weigerung der Hilfeempfänger wurde die Unterstützung eingestellt. Auf diese Weise seien innerhalb weniger Jahre 32 landarme Unterstützungsempfänger aus dem Leistungsbezug aus- geschieden.27 Die Landarmenunterbringung hatte, wie die geschlossene Armenunter- bringung insgesamt, ein Doppelgesicht. Einerseits bekamen die Fürsorge- verbände die wenigen tatsächlich Eingewiesenen in totalen Institutionen voll- ständig unter ihre Kontrolle, andererseits verloren sie jede Einflußnahme auf diejenigen, die angesicht der angedrohten Anstaltseinweisung auf Für- sorgeleistungen ganz verzichteten. 24 Vgl. AdolfBuehl, 1903, S. 21. 25 Vgl. Emil Münslerberg, 1890, S. 19. 26 Vgl. Emil Münsterberg. 1890, S. 17. 27 Vgl. Emil Münslerberg, 1890, S. 48; vgl. die Kontrollberichte des hannoverischen und rheinischen Landarmenverbandes bei Emil Münsterberg. 1890, Anlage 3 u. 3a, S. 143-169. 61 Da die Zahl der Landarmen in den preußischen Arbeitsanstalten in der Regel sehr viel geringer war als die der Korrigenden, blieben die Landarmenab- teilungen ein nur wenig beachtetes Anhängsel der Arbeitsanstalten. Die ge- forderte Gruppentrennung blieb auf dem Papier stehen, allenfalls nachts fand eine Trennung in verschiedenen Schlafsälen statt. Im Tagesbetrieb der Korrek- tions- und Landarmenanstalten waren die Landarmen meist nur durch eine be- sondere Anstaltskleidung oder durch ein L an der Mütze erkennbar.P Die Aufnahme von Landarmen bildete einen der Hauptkritikpunkte an den Zuständen in den preußischen Arbeitshäusern.Z? Robert von Hippel sah in der Verbindung von Zwangsarbeitsanstalt und freiwilliger Armenanstalt einen un- erträglichen Zustand, der nur aus der historischen Entwicklung erklärbar sei. Die Zwangsarbeitshausunterbringung durch Verwaltungsentscheidung Die in Preußen nach einem Ergänzungsgesetz zum Armengesetz von 1842 seit 1855 mögliche armenpolizeiliche Zwangseinweisung Obdachloser, "Arbeitsscheuer" und "säumiger Nährpflichtiger" in eine Arbeitsanstalt fand keinen Eingang in das Unterstützungswohnsitzgesetz von 1871. 30 Bis zum Erlaß der Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 bestand auf Reichsebene keine gesetzliche Grundlage für eine Zwangsunterbringung von Armenunterstützungsempfängern. In einzelnen Bundesstaaten existierten jedoch recht unterschiedliche Gesetze und Verordnungen mit deren Hilfe "Arbeitsscheue" auf dem Verwaltungsweg in Arbeitsanstalten zwangseinge- wiesen werden konnten. Diese polizeilich-administrative Arbeitshausunter- bringung zielte vor allem auf Personen, die ihrer Unterhaltspflicht gegenüber Angehörigen nicht nachkamen. § 361 Nr. 5 StGB ermöglichte Haft und anschließende Arbeitshausein- weisung von Spielern, Alkoholikern und Müßiggängern, die sich selbst oder 28 Vgl. Lissner, 1888, S. 15. 29 Vgl. Robert von Hippe1, 1895, S.246; vgl. Riebeth, 1909, S.699; vgl. Haußmann, Arbeitshäuser, in: Oskar Karstedt (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 1924; vgl. von Falken-Plachecki, 1921, S. 742; gegen eine Trennung von Korrigenden und Landacmen war Otto Mönkemöller, 1908, S. 232. 30 Gesetz zur Ergänzung der Gesetze vom 3 J. Dezember 1842 über die Verpflichtung zur Ar- menpflege und die Aufnahme von neu anziehenden Personen. Vom 21. Mai 1855, in: GS, 1855, S. 311-315. 62 ihre Angehörigen "in einen Zustand geraten ließen, in welchem ... fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß". Eine größere Rolle bei der Be- kämpfung von "Müßiggängern" spielte diese Strafbestimmung jedoch nicht. Im Jahre 1900 wurden in ganz Preußen mit Hilfe dieser Strafbestimmung nur 90 Männer und 7 Frauen in Arbeitshäuser eingewiesen. Auch zehn Jahre später waren es in Preußen nur 106 Männer und 7 Frauen. § 361 Nr. 7 StGB schließlich erfaßte "arbeitsscheue" Fürsorgeempfänger, die sich beharrlich weigerten, die unbezahlte Fürsorgepflichtarbeit zu leisten. Aufgrund dieser Bestimmung wurden im Jahre 1900 in Preußen jedoch nur sechs Personen und zehn Jahre später nur vierzehn Personen in Arbeitshäuser gesperrt.U Fürsorgeempfänger konnten die juristischen Voraussetzungen für eine Verurteilung aufgrund dieser Paragraphen schon allein durch "frei- williges" Ausscheiden aus dem Unterstützungsbezug kurz vor dem betreffenden Gerichtstermin beseitigen. Erfaßt wurden allenfalls "säumige Nährpflichtige", jedoch diese auch nur dann, wenn ihnen Spiel- oder Alkoholsucht bzw. Müßig- gang nachgewiesen werden konnte. In der Praxis, darüber waren sich Fürsorgeexperten und Juristen einig, ver- sagten diese Strafbestimmungen gegenüber den "Arbeitsscheuen" völlig. 32 We- gen der Schwierigkeiten, mit Hilfe dieser Bestimmungen die strafrechtliche Arbeitshauseinweisung einer Person zu erreichen, unterließen die Fürsorgebe- hörden solche Strafanzeigen weitgehend, um, wie Hermann Luppe im Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften von 1918 schrieb, "nicht noch durch ständige Freisprechungen und minimale Strafen ihr Ansehen herabzu- setzen und zum Mißbrauch der Arrnenpflege geradezu anzureizen" .33 Die öffentliche Fürsorge verzichtete notgedrungen auf den umständlichen, zeitraubenden und wenig erfolgversprechenden "indirekten Weg" über die 31 Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innem gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse und der Korrigenden, betreffende Jahrgänge; vgl. R. v. Hippel, Verhütung und Bestrafung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu, in: 77. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft zu Düsseldorf 1904, S. 134-138; vgl. Willy Soltau, Der armenpolizeiliche Arbeitszwang im öffentlichen Ar- menwesen, Diss. Rostock 1910. 32 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 10962, S. 204, S. 209-210; vgl. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 11. und 12. November 1881 zu Berlin, Berlin 1882, S. 198 f; vgl. v. Frankenberg/ Drechsler, 1911, S. 19. 33 Vgl. H. Luppe, Arbeitsanstalten und Arbeitszwang, in: Handwörterbuch der Kommunal- wissenschaften, Jena 1918, Bd. 1, S. 103. 63 Strafgerichte und setzte auf den "direkten Weg" der Arbeitshauseinweisung durch die Verwaltungsbehörden. 34 Während bei der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung durch das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 eine für das gesamte Deutsche Reich geltende Rechtsgrundlage geschaffen worden war, blieben die Rechtsgrundlagen der polizeilich-administrativen Arbeitshausunterbringung überaus uneinheitlich.F' Das Königreich Sachsen spielte eine Sonderrolle. Hier war die geschlossene Zwangsunterbringung von Armenunterstützungsempfängern ungewöhnlich weit verbreitet. Auf der Rechtsgrundlage der alten sächsischen Armenordnung von 22. Oktober 1840 waren die Armenpolizeibehörden befugt, "Arbeitsscheue" gegen ihren Willen in den von den Gemeinden und Bezirksverbänden errichte- ten Anstalten festzuhalten. Erst 1895 wurde in Sachsen die behördliche Zwangsarbeitshausunterbringung auf Personen beschränkt, die für sich selbst oder ihre Angehörigen Armenunterstützung bezogen. 36 In Oldenburg konnten nach einem Landesgesetz von 1870 "Trunkenbolde", Fürsorgeempfänger (wegen Arbeitsverweigerung oder "schlechtem Betragen") und Frauen, die für uneheliche Kinder Armenfürsorge empfingen und trotzdem erneut schwanger wurden, zwangsweise in die Arbeitsanstalt Vechta einge- liefert werden.I? In Württemberg konnten durch ein 1889 verabschiedetes Ausführungsgesetz zum Unterstützungswohnsitzgesetz Personen, die für sich selbst oder für die Ehefrau bzw. Kinder unter vierzehn Jahren Unterstützung bezogen, auf unbe- stimmte Zeit in Arbeitsanstalten eingewiesen werden. 38 Eine ähnliche Regelung wurde 1890 für Mecklenburg-Schwerin erlassen. Erst nach der Jahrhundertwende folgten Anhalt, Elsaß-Lothringen, Hamburg, Bremen und Lübeck mit vergleichbaren Landesgesetzen. In Bayern und Baden wurden erst 34 Vgl. H. Luppe, 1918, S. 103; vgl. A. Quehl, Arbeitszwang fiir Arbeitsscheue und säumige Nährpflichtige, in: Reichsbote, 3.5.1912. 35 Vgl. Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1980, S. 246-247; zu den außerpreußischen Re- gelungen des armenpolizeilichen Arbeitszwangs vgl. Lohsei Samter, Zwangsmaßregeln ge- gen Arbeitsscheue und gegen säumige Nährpflichtige, Leipzig 1909, S. 10-16 u. S. 45-58; vgl. Fr. Schlosser, Ausübung der Armenptlege bei Arbeitsscheuen und säumigen Nähr- pflichtigen nach dem Gesetz über die Änderung und Ergänzung der Ausfiihrungsgesetze zum Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 23. Juli 1912, Berlin 1913, S. 58- 75. 36 Vgl. Fr. Schlosser, 1913, S. 58; vgl. Lohse, 1909, S. 10; vgl. Rumpelt, Arbeitshaus, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 1, Jena 1890, S. 667-670. 37 Vgl. Lohsc, 1909, S. 49. 38 Ebenda. 64 1914 gesetzliche Möglichkeiten geschaffen, Fürsorgeempfänger gegen ihren Willen in Arbeitsanstalten unterzubringen. 39 Das preußische "Arbeitsscheuengesetz • In Preußen galt ab 1871 der Grundsatz, daß eine zwangsweise Arbeits- hausunterbringung nur über eine strafrechtliche Verurteilung zur "Korrektionshaft" möglich war. Erst das 1912 geschaffene "Gesetz über die Abänderung und Ergänzung der Ausführungsgesetze zum Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz" führte in Preußen die mit Einführung des Unterstützungswohnsitzgesetzes 1871 abgeschaffte Arbeitshausunterbringung durch Verwaltungsentscheidung wieder ein. Das neue Gesetz, kurz "Arbeits- scheuengesetz" genannt, ermöglichte Arbeitshauseinweisung von "säumigen Nährpflichtigen" und "Arbeitsscheuen, welche wegen Müßiggangs, Leichtsinns oder Trunksucht und dergl. der Armenpflege anheimfallen". 40 "Wer selbst oder in der Person seiner Ehefrau oder seiner noch nicht 16 Jahre alten Kinder aus öffentlichen Armenmitteln unterstützt wird, kann gegen seinen Willen auf Antrag des unterstützenden oder des erstattungspflichtigen Armenverbandes durch Beschluß des Kreis- (Stadt-) Ausschusses für die Dauer der Unter- stützungsbedürftigkeit in einer öffentlichen Arbeitsanstalt oder in einer staatlich als geeignet anerkannten Privatanstalt untergebracht werden", bestimmte das Arbeitsscheuengesetz. 41 Die Arbeitshauseinweisung gemäß Arbeitsscheuen- gesetz erfolgte ohne Hinzuziehung von Richtern auf dem Verwaltungsweg. Das preußische Arbeitsscheuengesetz ging wesentlich auf Initiative des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit zurück. 42 Das Problem der "säumigen Nährpflichtigen" war seit Gründung des Vereins häufiger als ir- gend ein anderes Thema auf den Jahreskongressen behandelt worden. Bereits 39 Für Anhalt, Gesetz vom 27.4.1904; Elsaß-Lothringen, Gesetz vom 8.11.09; Hamburg, Ge- setz vom 11.9.07; Bremen, Gesetz vom 21.1.11; Lübeck, Gesetz vom 9.12.11; Bayern, Gesetz vom 21.8.14; Baden, Gesetz vom 8.7.14; vgl. Rumpelt/ Luppe, Arbeitshaus, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Auflage, Bd. I, Jena 1923, S. 745. 40 Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz über die Abänderung und Ergänzung der Aus- führungsgesetze zum Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz, in: MBliV. 73 (1912), S.228. 41 Gesetzüber die Abänderung und Ergänzung der Ausführungsgesetze zum Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz. Vom 23. Juli 1912, in: GS, 1912, S. 195. 42 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 10962, S. 204-207; ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 1293, S. 149; vgl. Rudolf Elvers, 1882, S. 40; vgl. Fr. Schlosser, 1913, S.2; vgl. Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1980, S. 247. 65 auf ihrem zweiten Kongreß im Jahre 1881 forderten die Fürsorgevertreter eine gesetzliche Möglichkeit, zahlungsunwillige Unterhaltspflichtige "ohne vor- gängige gerichtliche Prozedur durch eine Verwaltungsprozedur, welche mit den Garantien des Schutzes gegen etwaige Willkür ausgestattet ist, zur Arbeit in- nerhalb oder außerhalb eines Arbeitshauses anzuhalten". 43 In der Diskussion über die Einführung des verwaltungsrechtlichen Arbeitszwangs in Preußen wurde regelmäßig auf die in der preußischen Armengesetzgebung seit 1855 mögliche und zum Bedauern von Kommunalpolitikern durch das Unter- stützungswohnsitzgesetz von 1871 wieder abgeschaffte armenpolizeiliche Arbeitshausunterbringung Bezug genommen. 44 Der 1912 zunächst dem preußischen Herrenhaus vorgelegte Regierungsent- wurf für ein Arbeitsscheuengesetz ging auf einen 1909 von der Zentrums- fraktion des preußischen Abgeordnetenhauses eingebrachten Antrag zurück. 45 In den Debatten des schließlich von beiden Häusern mit großer Mehrheit ange- nommenen Gesetzes spielten hauptsächlich verfassungsrechtliche Bedenken eine Rolle. 46 Der renommierte Kriminalpolitiker Franz von Liszt, seit 1908 Land- tagsabgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei, lehnte das Gesetz ab, weil es auf "schlimmste Weise in die persönliche Freiheit des einzelnen" eingreife.t? Ein solcher Eingriff sei nur durch ein Strafgesetz möglich, für das der preußische Landtag keine Kompetenz habe. Ähnliche Bedenken äußerten auch die National-Liberalen. Prinzipielle Einwände erhob auch die sozial- demokratische Fraktion. Der Preußische Landtag habe kein Recht, das Gesetz zu verabschieden; der vorgelegte Entwurf sei ein absichtlicher Bruch der 43 Vgl. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des deutschen Vereins für Ar- menpflege und Wohlthätigkeit am 11. und 12. November 1881 zu Berlin, Berlin 1882, S. 191-206; ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 1293, S.3; die Resolution wurde 1893 zum wiederholten Male ausdrücklich bekräftigt, vgl. LohseI Samter, 1909, S. 3-5; vgl. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der 29. Jahresversammlung des Deut- schen Vereins für Annenpflege und Wohltätigkeit am 23. und 24. September 1909 in München, S. 61. 44 aStA Berlin, Rep.84a, Nr. 10962, S.211; Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 405, Nr. 2702, S. 62-84; ZStA Potsdarn, Bestand 15.01, Nr. 1293, S. 3; vgl. Zwangsmaßregeln gegen Arbeitsscheue, in: Die Post, 2.10 .1909. 45 Zur Entstehung des Arbeitsscheuengesetzes vgl. aStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 10962, S. 192- 230; Nr. 10963, S. 6-150; ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 1320; vgl. Fr. Schlosser, 1913, S. 4-6. 46 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeord- neten, 21. Legislaturperiode, V. Session, 1912/13, S. 2750-2793, S. 6470-6508, S. 6525- 6532, S. 6688-6705; vgl. Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, I. Session, 40. Sitzung, 18.4.1912, Bd. 284, S. 1222 D. 47 Ebenda, S. 6525. 66 Reichsgesetze. Der Entwurf stärke die Verwaltungsbehörden widerrechtlich auf Kosten der Justiz, das Gesetz sei "reaktionär im wahrsten Sinne des Wortes". Kar! Liebknecht bezeichnete die Vorlage im Landtagsplenum als "gesetzgeberischenVandalismus" und "Ausnahmegesetz gegen die Ärmsten der Armen".48 Mit den Stimmen des Zentrums, der Freikonservativen und der Konservativen wurde das Arbeitsscheuengesetz schließlich vom preußischen Abgeordnetenhaus angenommen. Die Zwangsunterbringung des Arbeitsscheuengesetzes war ein reines Verwaltungsverfahren ohne Richter und Verteidiger. Eine Entscheidung konnte allenfalls im Verwaltungsstreitverfahren angefochten werden. Vor der Ent- scheidung sollten die Betroffenen gewöhnlich angehört werden. Die Un- terbringungsbeschlüsse konnten aber auch ohne Wissen der Betroffenen in deren Abwesenheit gefaßt werden. Aus einem Unterbringungsbeschluß des Stadtausschusses Frankfurt vom September 1913 gegen einen in Breitenau in- haftierten "Arbeitsscheuen": "Der Genannte, geb. am 18. April 1870 zu Hannover, hat vor längerer Zeit seine Familie, bestehend aus Frau und 3 Kin- dern, verlassen und sich seitdem nicht um sie gekümmert. Da die Frau nicht im Stande ist, allein für ihren und ihrer Kinder Unterhalt aufzukommen, muß sie seit vielen Jahren laufend im Wege der öffentlichen Armenpflege unterstützt werden. G. geht schon seit langer Zeit keiner regelmäßigen Arbeit nach, son- dern treibt sich bettelnd und vagabundierend in der Welt umher. G. ist zur Zeit unbekannten Aufenthaltes, er hat hier seinen Unterstützungswohnsitz ... Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der Aktenlage steht fest, daß G. ein arbeitsscheuer Mensch ist, welcher seine aus Frau und drei Kindern be- stehende Familie, entgegen seiner Unterhaltspflicht nicht versorgt, sondern die Versorgung der Armenbehörde überläßt. "49 Die Haftzeit in einer Arbeitsanstalt durfte in Preußen höchstens ein Jahr betragen, danach mußten die Betroffenen, bevor eine eventuelle erneute Zwangsunterbringung erfolgen konnte, für mindestens drei Monate freigelassen werden.50 Da alleinstehende Fürsorgeempfänger. die, um der Arbeits- hauseinweisung zu entgehen, auf Fürsorgeleistungen verzichteten, auch nach 48 Ebenda, S. 2791, S. 6698, S. 6693; vgl. Gegen den armenrechtlichen Arbeitszwang, in: Vorwärts, 28.4.1912,4. Beilage; vgl. Zwang zur Arbeit, in: Volksblatt für Halle und den Saalkreis, 21.2.1912. 49 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 29; siehe auch Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8048, S. 2. 50 Vgl. Rumpelt! Luppe, Arbeitshaus, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Jena 41923, Bd. I, S. 745. 67 den Bestimmungen des Arbeitsscheuengesetzes nicht eingesperrt werden konn- ten bzw. sogar unter Umständen wieder aus der Arbeitsanstalt entlassen werden mußten, spielte das Arbeitsscheuengesetz hauptsächlich gegenüber "säumigen Nährpflichtigen" eine Rolle. Vereinzelt wurden "säumige Nährpflichtige" sogar ins Arbeitshaus eingewiesen, obwohl sie einen Arbeitsplatz nachweisen konn- ten. 51 51 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8059, S. 9; Nr. 8057, S. 2; Nr. 8082, S. 2; Nr. 9159, S. 8. 68 Die Gründung der Anstalt Breitenau DerBezirkskommunalverband Kassel als Träger Die Planung des Breitenauer Arbeitshauses war unmittelbare Folge der An- nexion Kurhessens nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 und derEinführung des preußischen Strafgesetzbuchs bzw. der beabsichtigten Ein- führung des Unterstützungswohnsitzsystems in der neuen preußischen Provinz Hessen-Nassau.! Die Unterhaltung von Korrektionsanstalten und Landarmen- häusern war in Preußen Aufgabe der Landarmenverbände und damit Ange- legenheit provinzieller Selbstverwaltung, d.h. der von den Kreistagen bzw. Sladtverordnetenversammlungen bestimmten Provinziallandtage.I In der 1868 gebildeten Provinz Hessen-Nassau bestand eine in Preußen einmalige Beson- derheit: auf der Ebene der beiden Regierungsbezirke der Provinz, Kassel und Wiesbaden, wurden Kommunallandtage eingerichtet. Aufgaben, die in anderen preußischen Provinzen von den Provinzialverbänden wahrgenommen wurden, fielen in Hessen-Nassau in den Zuständigkeitsbereich der Bezirkskommunal- verbände Wiesbaden und Kassel. Der ansonsten in Preußen geltende Grundsatz, daß der provinzielle Staatsverwaltungsbezirk gebietsmäßig mit dem kom- munalen Selbstverwaltungsbezirk der Provinz zusammenfiel, galt in der Pro- vinz Hessen-Nassau nicht.i' Als Verwaltungsorgan des Bezirkskommunalver- Vgl. Thomas Klein, Hessen-Nassau, Von der Annexion zur Integration, in: Blätter für deut- sche Landesgeschichte 121 (1985), S. 285. 2 Vgl. Georg-Christoph von Unruh, Die nonnative Verfassung der kommunalen Selbstver- waltung, in: Jeserich! Pohl! Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, Stutt- gart 1984, S. 572. Vgl. Fritz Stier-Sornlo, Handbuch des kommunalen Verfassungsrechts in Preußen, 2. Hälfte, Mannheim! Berlin! Leipzig 21928, S. 609. Zur provinziellen Selbstverwaltung vgl. Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1950, S.588-604. Zur kommunalständischen Verfassung im Regierungsbezirk Kassel vgl. G. A. Grotefend, Handbuch der Provinzial-, Kreis- und Kommunalverwaltung in Hessen- Nassau, Marburg 1878, S. 4-19; vgl. Friedrich Renner, Die Kreis- und Provinzial-Ordnung fiir die Provinz Hessen-Nassau vom 7. und 8. Juni 1885 und ihre Bedeutung für die Selbst- verwaltung des Regierungsbezirks Cassel, Cassel 1886; vgl. Systematische Zusam- menstellung der für die Verwaltung des Bezirksverbandes des Regierungsbezirks Cassel geltenden Gesetze, Verordnungen, Reglements und sonstigen Bestimmungen, Cassel 1900, S. VI; vgl. Thomas Klein, Hessen-Nassau, in: Grundriß zur deutschen Verwaltungsge- schichte, Reihe A: Preußen, Bd. 11, Marburg 1979, S. 288; vgl. Landeswohlfahrtsverband 69 bandes fungierte der Ständische Verwaltungsausschuß (ab 1895 Landesaus- schuß), an dessen Spitze der Landesdirektor (ab 1901 Landeshauptmann) als Wahlbeamter stand. Bei der Annexion Kurhessens hatte der preußische Staat den kurhessischen Staatsschatz beschlagnahmt, der 1867 dem kommunalständischen Verband des neugeschaffenen preußischen Regierungsbezirks Kassel zurückgegeben wurde. 4 Der preußische König bestimmte bei der Rückgabe jedoch den künftigen Be- stimmungszweck dieses Vermögens. Außer für Straßenbau, Landesbibliotheken und Landeskrankenanstalten sollte der ehemalige kurhessische Staatsschatz zum Bau bzw. zur Unterhaltung eines Arbeitshauses zur Vollstreckung der korrek- tionellen Nachhaft und eines Landarmenhauses verwendet werden.P Eine zwin- gende Notwendigkeit, beide Anstalten zusammenzufassen, bestand nicht. Ent- sprechend der Praxis preußischer Provinzen, schufen die Kommunalstände des Regierungsbezirks Kassel 1874 mit der Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau eine Doppelanstalt, die beide Aufgaben erfüllte. Es dauerte sieben Jahre bis die Kommunalstände im Regierungsbezirk Kassel die Anweisung des preußischen Königs in die Tat umsetzten. Offensichtlich hatte man in Kassel kein besonderes Interesse an kostspieligen Arbeits- und Armenanstalten. Zunächst mußte sich 1868 ohnehin erst der Kommunallandtag und der ständische Verwaltungsausschuß als dessen Verwaltungsgremium konstituieren.f Außerdem bestand aus der Sicht der Kasseler Kommunalstände kein dringender Handlungsbedarf, denn für die strafrechtliche Arbeits- hausunterbringung standen in Ziegenhain und Kassel gegen Bezahlung staat- liche Strafanstalten zur Verfügung. Die geforderte Errichtung eines Land- armenhauses erschien ebenfalls nicht notwendig, weil das Armenrecht des ehemaligen Kurfürstentums Hessen mit dem dort verankerten Heimatprinzip zunächst unangetastet blieb. Erst mit dem Unterstützungswohnsitzgesetz von 1871 wurde im Regierungsbezirk Kassel das dort zuvor unbekannte Hessen (Hrsg.), 150 Jahre Ständehaus. Parlamentarische Tradition in Hessen. Selbstver- waltung im Kommunalverband, Kassel 1986, S. 17. 4 Vgl. Thomas Klein, Hessen-Nassau: Vom Oberpräsidialbezirk zur Provinz, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 35 (1985), S. 205; zum kurhessischen Staatsschatz vgl. Heinrich Heffter, 1950, S. 478-480. 5 Allerhöchster Erlaß vom 16. September 1867, Betreffend die Überweisung des vormals Kurhessischen Staatsschatzes an den kommunalständischen Verband des Regierungsbezirks Cassel, in: Amtsblatt für den Bezirk der Königlichen Regierung zu Cassel, 1867, S. 808 f. 6 Vgl. Georg-Christoph von Unruh, 1984, S. 572; vgl. Achtzig Jahre kommunale Selbstver- waltung im Regierungsbezirk Kassel, Kassel 1949, S. 7 f. 70 'preußische Institut des Unterstützungswohnsitzes" eingeführt, nach dem zwischen Orts- und Landarmen unterschieden wurde. 7 In seiner zweiten Sitzungsperiode im Herbst 1869 befaßte sich der Kasseler Kommunallandtag erstmals mit den von der preußischen Zentralverwaltung geforderten Anstalten. Die Abgeordneten nahmen eine Beschußvorlage des ständischen Verwaltungsausschusses an, der dem Kommunallandtag empfohlen hatte, von der Errichtung einer Arbeitsanstalt Abstand zu nehmen, "weil durch die für den norddeutschen Bund in Aussicht genommene Veränderung der Ge- setzgebung auf dem Gebiete des Strafrechts die gesetzliche Grundlage für das, auch von der Wissenschaft nicht unangefochtene Institut der correctionellen Haft zumindest in Frage gestellt sei". 8 Mit diesem Beschluß hatten die Kom- munalslände das Dickicht der bürokratischen Verzögerung des Baus der Ar- beits- und Landarmenanstalt verlassen und sich auf das ungeschützte Feld des offenen Widerspruchs begeben, auf dem bei den bestehenden Kräftekonstella- tionen die vollständige Niederlage unvermeidlich war. Knapp zwei Jahre spä- ter, im Mai 1871, mußten die Kommunalstände in Kassel, ohne den oben zi- tierten Beschluß formal aufgehoben zu haben, klein beigeben, nachdem der preußische Staat die Unterbringungsmöglichkeit der Korrigendinnen und Kor- rigenden in den staatlichen Strafanstalten gekündigt hatte. Der ständische Verwaltungsausschuß beschloß daraufhin, "hinsichtlich der Herstellung einer Landannen- und einer Correctionsanstalt ... ein Provisorium zu schaffen". 9 Man schuf in Breitenau ein Provisorium, das bis heute als Anstalt genutzt wird. Das Gebäude Bei der Suche nach geeigneten Gebäuden - ein Neubau kam aus finanziellen Erwägungen nicht in Frage - stieß die Bezirkskommunalverwaltung schnell auf das leerstehende, 1113 gegründete, ehemalige Benediktinerkloster Breitenau, dessen ummauerter Gebäudekomplex brauchbar erschien. Im Krieg 1870/71 hatte Breitenau für einige Wochen als Kriegsgefangenenlager für 750 französi- Die kurhessische Verordnung vom 29.11.1823 wurde durch § 74 des Preußischen Aus- führungsgesetzes zum Unterstützungswohnsitzgesetz aufgehoben, in: GS, 1871, S. 150. Verhandlungen des Communallandtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1869, Anlage 16. StAMarburg, Bestand 150, Nr. 303, S. 180. 71 ~._' \ 72 " I, , P • • < • I'(r \ \ sehe Soldaten gedient und sich somit als Gefangenenlager bewährt.I'' Aus- schlaggebend dürfte letztendlich die außerordentlich günstige Lage Breitenaus am Schnittpunkt der beiden durch Hessen führenden Eisenbahnlinien gewesen sein. Nur vier Kilometer nördlich von Breitenau trafen sich in Guntershausen die über Marburg führende Main-Weser-Bahn und die über Bebra führende Kurfürst-Friedrich-Wilhelm-Nordbahn. Sowohl von Kassel wie von Bebra war Breitenau über die Bahnstation Guxhagen direkt zu erreichen, während aus Richtung Marburg der Bahnhof Guntershausen bzw. die später eröffnete, eben- falls nur drei Kilometer von der Anstalt entfernte Bahnstation Grifte in Frage kam. Sowohl für die von Kassel aus durchgeführte Dienstaufsicht wie für die Einlieferung der Insassen konnte man außerhalb von Kassel kaum einen verkehrsgünstiger gelegenen Ort finden.U Gleichzeitig lagen die Gebäude aber in der breiten Aue zwischen Eder und Fulda faktisch auf einer Halbinsel und waren in den ersten Jahren von Guxhagen und Grifte aus nur über Fähren zu erreichen. Dadurch wurden Fluchten zwar nicht verhindert, aber doch er- heblich erschwert. In Sichtweite der Klostergebäude liegt, nur durch die Fulda getrennt, das Dorf Guxhagen. Mit seinen damals etwa eintausend Einwohnern bot es die für Ausbau und Betrieb einer großen Anstalt notwendige Infrastruk- tur wie Post- und Telegraphenstation, Handwerker und Händler. 12 Der Aufkauf eines alten Gemäuers zur Nutzung als Arbeitsanstalt war nicht ungewöhnlich, da Neubauten von Arbeitshäusern eher eine Ausnahme waren. 13 Nur vereinzelt projektierte man, wie bei der Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gebauten Berliner Arbeitsanstalt Rummelsburg, vollständig neue Anlagen, meistens nutzte man wie in Kislau und Vaihingen leerstehende Schlösser oder wie in Benninghausen und Hadamar alte Klöster. 14 Auch das berühmteste und mit fast zweitausend Plätzen neben der Berliner Rummelsburg größte Arbeitshaus Deutschlands, das 1809 von Napoleon gegründete Arbeits- haus Brauweiler bei Köln war in einem ehemaligen Benediktinerkloster unter- 10 StAMarburg, Bestand ISO, Nr. 381, S. 50. 11 Bericht des ständischen Verwaltungs-Ausschusses an den Communallandtag, 1874, Sp. 6. 12 Vgl. Georg Landau, Beschreibung des Kurfiirstenthums Hessen, Zweite Ausgabe, Kassel 1867, S. 267. 13 Zur Arbeitshausarchitektur vgl. Theodor von Landauerl Heinrich Wagner, Sonstige Straf- und Besserungs-Anstalten. Zwangs-Arbeitshäuser, in: Josef Durm (Hrsg.), Handbuch der Architektur, IV, 7. Halbband, Darmstadt 1887, S. 361-379. 14 Vgl. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr, 1885, S. 2. 73 gebracht.U Die Nutzung alter Schlösser wie im Beispiel des englischen Bride- weIl oder aufgehobener Klöster wie in Arnsterdam blieb über Jahrhunderte Mu- ster der Arbeitshausarchitektur. Die Entwicklung der Gefängnis- und Zucht- hausarchitektur im 19. Jahrhundert, mit dem Bau von Anstalten mit Strahlen- pian, wie in den Zuchthäusern Bruchsal und Wehlheiden, schlug nicht auf die Arbeitshäuser durch. 16 Im Mai 1872 beschloß der ständische Verwaltungsausschuß in Kassel, sich mit dem vom Landesdirektor entwickelten Projekt einer Doppelanstalt im ehe- maligen Kloster Breitenau einverstanden zu erklären und den Landesdirektor zu ermächtigen, die bereits aufgenommenen Kaufverhandlungen mit dem Regie- rungspräsidium in Kassel fortzuführen. 17 Für nur achttausend Taler erwarb die Bezirkskommunalverwaltung mit einem auf den 31. Dezember 1872 datierten Kaufvertrag die Gebäude des ehemaligen Benediktinerklosters Breitenau.If Der kommunalständische Verband verpflichtete sich im Kaufvertrag ausdrücklich, die in der alten Klosterkirche vorhandenen "Denkmäler und Ornamente" zu er- halten und die sich damals in der alten Zehntscheune des Klosters befindende Kirche der Gemeinden Breitenau, Guxhagen, Büchenwerra und Ellenberg in die Basilika zu verlegen. Im Sommer 1873 begannen die Umbauarbeiten, für die mit 60000 Talern ein Vielfaches des Kaufpreises angesetzt werden mußte, weil das Anwesen völ- lig heruntergekommen war.J? Kernstück der gekauften Anlage war die romanische Klosterbasilika aus dem 12. Jahrhundert.I" 15 Vgl. Ristclhueber, Historisch-statistische Beschreibung des Land-Arbeitshauses zu Brau- weiler, Köln 1828; vgl. von Jarotzky, 1913, S. 12. 16 Vgl. Robert von Hippel, 1928, S. 14. 17 StA Marburg, Bestand 150, Nr. 304, S. 54. 18 Eine Abschrift des Kaufvertrags befindet sich in Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksvcrband], Nr. 113, S. 29 f. 19 Bericht des ständischen Verwaltungs-Ausschusses über die Verwaltung des Landarmen- und Corrigendcnwesens im Regierungsbezirk Cassel in den Jahren 1873 und 1874, in: Ver- handlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Sp. I. 20 Zur Baugeschichte der Basilika bzw. des Klosters Breitenau vgl. Ernst Happel, Romanische Bauwerke in Niederhessen, Cassel 1906, S. 21-31; vgl. Hollstein, Kloster Breitenau!, 0.0., 0.1.; vgl. Reinhardt Hootz, Kloster Breitenau, Diss. Marburg 1952; ders., Neue For- schungen zur Bau- und Kunstgeschichte des Klosters Breitenau, in: Hessische Heimat 7 (1957/58), H. 6, S. 12-17; vgl. M. Marcard, Kloster Breitenau, in: Heimat-Schollen 10 (1930), S. 29-36; vgl. W. Stock, Die Benedictiner-Klosterkirche zu Breitenau in Hessen, in: Zeitschrift des Architecten- und Ingenieur-Vereins für das Königreich Hannover 4 (1858), Heft I, S. 117-128; vgl. Ernst Wenzel, Das Kloster Breitenau und seine Pfeiler- basilika, in: Handbuch des Kreises Melsungen für 1928; vgl. Christoph Weber, Aus der 74 Das Kloster war 1113 von Werner von Grüningen gegründet und seit 1119 von zwölf Hirsauer Mönchen unter Abt Drutwin betrieben worden. Die nach Hirsauer Vorbild gebaute Pfeilerbasilika selbst konnte gegen Ende des 12. Jahrhunderts fertiggestellt werden. Mit der Säkularisation des Klosters gingen im Jahre 1527 Gebäude und Ländereien in den Besitz von Landgraf Philipp dem Großmütigen über. Bereits in den folgenden Jahrzehnten wurden die Seitenschiffe abgebrochen und in die alte Basilika fünf Zwischendecken eingezogen, um sie als Fruchtspeicher und Pferdestall nutzen zu können. 21 Weitere schwere Eingriffe brachten unter Landgraf Moritz dem Gelehrten durchgeführte Umbauten und die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs. Als der kommunalständische Verband 1872 die Gebäude übernahm, waren sie schon dreieinhalb Jahrhunderte nicht mehr als Kloster genutzt. Im Rahmen von umfangreichen Bauarbeiten, die insgesamt die Zerstörungen der Basilika noch verstärkten, trennte man die Chorräume durch eine massive Mauer ab und brach die vermauerten, Anfang des 16. Jahrhunderts ein- gebauten, gotischen Spitzbogenfenster wieder auf. Einige Wochen bevor die ersten Korrigenden eingeliefert wurden, konnten die Bürger der umliegenden Gemeinden im August 1874 ihre neue Kirche weihen.2 2 Das Langhaus teilte man durch vier massive Zwischengeschosse, die als Schlaf- und Werkräume für die Korrigenden dienen sollten, so daß sich in- nerhalb der alten Basilika des Benediktinerklosters nunmehr in ein- und dem- selben Gebäude gleichzeitig eine Strafanstalt und eine Kirche befanden. Im Westteil zerstörte der Einbau eines Treppenhauses die alte Gebäudegliederung in, wie der Kunsthistoriker Reinhardt Hootz schrieb, "barbarischer Weise".23 Hootz kommt in seiner 1952 vorgelegten Dissertation über die Klosterbasilika zu dem Ergebnis, daß durch die Errichtung der Anstalt der alten Kirche und den Resten der Klostergebäude insgesamt schlimmster Schaden zugefügt wor- den sei.24 Die Zerstörungen setzten sich auch nach Gründung der Anstalt fort. Vergangenheitvon Breitenau und Guxhagen, in: Hessischer Gebirgsbote 44 (1938), S. 4-7; vgl. Evangelisches Pfarramt Guxhagen-Breitenau (Hrsg.), Kloster Breitenau, Melsungen o. J. (1987). 21 Vgl. Reinhardt Hootz, 1957/58, S. 13; StA Marburg, Bestand 150, Nr. 381, S. 50; vgl. ErnstWenzel, 1928. 22 Verhandlungen des Cornmunal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1874, Anlage 37, Sp. 4. 23 Reinhardt Hootz, 1957/58, S. 13. 24 Vgl. Reinhardt Hootz, 1952, S. 12; siehe auch "Beschreibung der 1871 noch vorhandenen Baudenkmäler und Ornamente" in Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 113, S. 37. 75 e- , • • • -- ) , t '; 76 Der im Jahre 1900 über dem Hauptportal gebaute Glockenturm zerstörte die Erinnerung an das Hirsauer Vorbild, das zwei getrennte Türme erfordert hätte.25 Die letzten gotischen Deckengemälde überstrich man schließlich in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts bei einer Renovierung der Kirche. Insge- samt konnte von den Gebäuden nur die Klosterbasilika als künftiges Haupt- gebäude für die männlichen Korrigenden und die Zehntscheune für Beamten- wohnungen bzw. Büros genutzt werden. Das Frauenhaus und das Landarmen- haus wurden in den ersten Jahren nach Eröffnung der Anstalt an der Stelle abgerissener baufälliger Gebäude errichtet. 25 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 63, S. 49. 77 Die Insassen Der Kasseler Kommunallandtag hatte Breitenau von Anfang an als Dop- pelanstalt konzipiert, als Korrektions- und Landarmenanstalt. Innerhalb dieser Doppelnutzung lag insbesondere im Kaiserreich der unübersehbare Schwer- punkt bei der Korrektionsanstalt, d.h. bei der strafrechtlichen Arbeits- hausunterbringung. Die auf fürsorgerechtlicher Grundlage untergebrachten Männer und Frauen stellten immer nur eine kleine Minderheit der Insassen. Von 1874 bis 1918 betrafen 88 Prozent der Hafttage der Gesamtanstalt Korrigendinnen und Korrigenden, also die nach einem Gerichtsurteil zur korrekiionellen Nachhaft Eingewiesenen. Die Landarmen (die anstaltsintern Pfleglinge genannt wurden), die ab 1903 vereinzelt untergebrachten Für- sorgezöglinge und die ab 1913 zwangseingewiesenen "Arbeitsscheuen und säumigen Nährpflichtigen" (anstaltsintem: Häuslinge) fielen demgegenüber kaum ins Gewicht. Schaubild 1 Anstalt Breitenau Gesamtbelegung 1874-1941 (ohne &hutzhAftlinge) 160 140 120 100 60 60 40 20 0 1 1 1 6 6 6 7 6 6 5 0 5 1 6 9 o 1 6 9 5 1 9 o o 1 1 9 9 o 1 5 0 Jahr 1 9 1 5 1 9 2 o 1 9 2 5 1 9 3 o _ Korr-igenden ~ Für:~wrgezOglinge 78 ~ Landarme C33 Strafgefangene ITJ Arbeitescheue Korrigendinnen und Korrigenden Schaubild 2 Korrektionsanstalt Breitenau HafUage 1874-1942 Hafllage in Tausend 160..,-----------------------------------, 110 120 100 60 60 10 20 1 1 1 I 1 I 1 I 1 8 8 8 9 9 9 9 9 9 B 9 9 0 0 1 I 2 2 5 0 5 0 5 0 5 0 5 Jahr _ lIll.nner ~ Frauen 1 1 9 9 3 4 5 0 Die Breitenauer Anstalt mußte grundsätzlich sämtliche Korrigendinnen und Korrigenden des Regierungsbezirks Kassel aufnehmen. Außerdem brachte man gegen Bezahlung eines Pflegesatzes jahrzehntelang auch Korrigendinnen und Korrigenden aus den Regierungsbezirken Wiesbaden und Sigmaringen, aus Waldeck-Pyrrnont, Schwarzburg-Rudolstadt bzw. nach 1920 aus Thüringen in Breitenau unter. Die größte Gruppe der von außerhalb des Regierungsbezirks Kassel Eingelieferten bildeten Korrigenden des Regierungsbezirks Wiesbaden. I Von 1883bis 1906 brachte der Regierungsbezirk Wiesbaden seine Korrigendinnen und Kor- rigenden in der zunächst als Arbeitshaus konzipierten späteren Heil- und Ptlegeanstalt Hadamar unter. Der starke Rückgang der Breitenauer Korrigendenzahlen im Jahre 1883 79 Dauer der Arbeitshaushaft In den ersten Jahren nach Gründung der Breitenauer Anstalt wies das Kasse- ler Regierungspräsidium als Landespolizeibehörde die Korrigendinnen und Korrigenden zunächst auf unbestimmte Dauer nach Breitenau ein. Auf Grund- lage eines Vorschlags der Anstaltsleitung wurde dann nach einigen Wochen die endgültige Haftdauer im Rahmen der gesetzlich möglichen Zweijahresfrist fest- gelegt. Dieses Verfahren konnte das Breitenauer Personal - im Laufe des Jahres 1878 nahm man schon 432 Korrigendinnen und Korrigenden auf - nicht be- wältigen. "Zur Vereinfachung des Geschäftsgangs" bestimmte daher das Kasseler Regierungspräsidium ab 1878 die Haftdauer bereits bei der Ein- weisung.I Das Regierungspräsidium Kassel erklärte noch 1884, daß es bei nichtpreußischen Deutschen in der Regel eine vergleichsweise kurze korrekiio- nelle Nachhaft verhänge, weil die außerpreußischen Staaten Deutschlands gegen Landesfremde überhaupt keine Arbeitshaushaft vollstreckten, sondern die Betroffenen kurzerhand auswiesen.I Eine Zirkularverfügung des preußi- schen Innenministers von 1885 legte schließlich fest, daß bei erstmaliger Ein- weisung in der Regel sechs Monate Arbeitshaushaft verhängt werden sollten. Bei wiederholter Einweisung konnte dann eine schrittweise Steigerung bis zur Höchststrafe von zwei Jahren erfolgen.f "Sechs Monate Arbeitshaus" - wie Ernst Schuchhardt bezeichnenderweise seinen 1907 erschienenen Bericht über das Arbeitshaus Groß-Salze betitelte - galten als Standardstrafe für alle erstmals Eingewiesenen.P Die tatsächliche Unterbringungszeit dauerte jedoch auch bei den erstmalig Eingewiesenen häufig weit länger. Immerhin die Hälfte der männlichen Korrigenden des Kaiserreichs mußte - hauptsächlich wegen Haftverlängerungen aufgrund schlechter Führung - auch bei erstmaliger Ein- weisung länger als sechs Monate in Breitenau bleiben. Fünf Prozent der erst- mals eingewiesenen Männer mußten sogar die zweijährige Höchststrafe ab- sitzen. Die durchschnittliche Haftdauer betrug fast zehn Monate. Bei erstmals war auf die Überführung von 61 Mannern und 17 Frauen nach Hadamar zurückzuführen; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 122, S. 19, S. 55; Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 403, Nr. 1314, Nr. 560, Nr. 488, 23.11.l884. 2 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 27, S. 10. 3 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 27, S. 38. 4 Anweisung über Festsetzung der korrektionellen Nachhaft und über das bei der Entlassung der Korrigenden zu beobachtende Verfahren, in: MBliV 46 (1885), S. 239. 5 Vgl. Ernst Schuchardt, 1907; vgl. Düll, Nach welchen Grundsätzen soll die Dauer der kor- rektionellcn Nachhaft bemessen werden?, in: Blätter für Gefängniskunde 37 (1903), S. 205- 227. 80 eingewiesenen Frauen betrug die durchschnittliche Haftzeit sogar knapp zwölf Monate. Immerhin fünfzehn Prozent der erstmals in ein Arbeitshaus einge- wiesenen Frauen mußten volle zwei Jahre in Breitenau bleiben." Die durchschnittliche Haftdauer aller nach Breitenau eingewiesenen männ- lichen Korrigenden, die später regulär entlassen wurden, betrug im Kaiserreich 13,4 Monate und änderte sich im Laufe der Jahrzehnte kaum. Bei Frauen lag die durchschnittliche Haftzeit mit 13,7 Monaten geringfügig höher. Haftdauer der männlichen Korrigenden in Breitenau 1885 bis 1918: bis 6 Monate 7bis 12Monnate 13 bis18 Monate 19 bis24 Monate nicht ermittelt 732 858 576 667 1 25,8 % 30,3 % 20,4 % 23,5 % Haftdauer der Korrigendinnen in Breitenau 1875 bis 1918: bis 6 Monate 7 bis 12 Monate 13 bis 18 Monate 19 bis24 Monate nicht ermittelt 242 253 156 270 ° 26,3 % 27,4 % 17,0 % 29,3 % Länger als zwei Jahre, berechnet ab dem letzten Tag der höchstens sechs- wöchigen Haftstrafe, durfte kein Korrigend in einem Arbeitshaus festgehalten werden. Über diese Zweijahresfrist hinaus durfte auch keine disziplinarische Haftverlängerung verhängt werden, ja nicht einmal wegen Fluchten versäumte Haftzeiten nachgeholt werden. Auswertung der Aufnahmebücher StA Marburg, Bestand 231; für die Berechnung der Haft- dauer wurden alle außergewöhnlichen Entlassungsanlässe wie Tod, Flucht, Ausweisung, Krankenhauseinweisung, Einziehung zur Armee und allgemeine Amnestie nicht beriick- sichtigt. 81 Kinder und Jugendliche Die untere Altersgrenze für eine Arbeitshausunterbringung bildete die bei zwölf Jahren beginnende Strafmündigkeit; ein Höchstalter existierte nicht. Bis 1900 meldeten die Breitenauer Jahresberichte Jahr für Jahr die Einweisung von manchmal nur zwölf, dreizehn oder vierzehnjährigen Kindern. Im Jahre 1881, dem Jahr mit der stärksten Belegung in Breitenau, wurden 22 männliche und 5 weibliche Jugendliche eingeliefert." Im Bewußtsein der Direktion bildeten die eingelieferten Kinder und Jugendlichen ein besonderes Problem. Häufig wur- den sie in den Jahresberichten ausführlich einzeln charakterisiert. Im Jahresbericht 1875 berichtete die Direktion von einem nicht einmal 15 Jahre alten Tischlerlehrling, der wegen Mißhandlungen durch seinen Lehrherrn weggelaufen war und wegen Bettelns oder Landstreichens zu zwei Jahren Ar- beitshaushaft verurteilt worden war. 8 Über ein 13jähriges, wegen Prostitution eingewiesenes Mädchen schrieb Direktor Nettelbeck 1878: "Die Verderbtheit dieses Mädchens zu beschreiben, ist fast unmöglich, während meiner lang- jährigen Dienstzeit ist mir trotz seiner Jugend, ein solch durchtriebenes, schlechtes Subjekt noch nicht vorgekommen ... Sie erklärt mit Frechheit, seit dem lOten Jahre habe sie schon geschlechtlichen Umgang mit Männern gehabt ... Dieses Mädchen ist nach allen Vorstellungen so schlecht und die Schlechtig- keit so tief .eingewurzelt, daß ich behaupte, sie wird nie besser, sondern steter Bewohner der Correctionsanstalten, Gefängnisse und Zuchthäuser sein." 9 Arbeitsbeschränkte Ein größeres Problem als die Kinder und Jugendlichen bildeten jedoch die vielen alten, gebrechlichen, arbeitsbeschränkten Korrigenden. Immer wieder lieferten die Regierungspräsidien über siebzigjährige Männer und Frauen nach Breitenau ein. 1O Der älteste nach Breitenau eingelieferte Korrigend war 87 Jahre alt. Männer mit doppelten Leistenbrüchen, Arm- und Beinamputierte, ja sogar Blinde sollten in Breitenau durch Zwangsarbeit gebessert werden. Das Problem der Arbeitsunfähigen bestand in Breitenau vom ersten Tag an. Unter den am 1. Oktober 1874 Eingelieferten befand sich auch ein 65jähriger, 7 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60. 8 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 18. 9 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 75. 10 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 27, S. 164. 82 todkranker Mann. Um seine Entlassung zu veranlassen, verfaßte der Anstalts- arzt ein Gutachten, das dem Kasseler Regierungspräsidium zugestellt wurde: 'Der Corrigend Heinrich B., 65 Jahre alt, ist von sehr decripider Constitution. Er hat das Aussehen eines Mannes zwischen 70 und 80 Jahren. Seine Gestalt klein, mager, seine Bewegung ohne Energie und zitternd. Er ist in höchstem Grade harthörig, leidet an Emphysme der Lunge mit chronischem Bron- chialkatarrh und hat einen doppelten Leistenbruch, der durch ein doppeltes Bruchband zurückgehalten werden muß. Es ist nicht anzunehmen, daß B. noch im Stande ist, sich selbst seinen Lebensunterhalt durch Handarbeit zu ver- dienen. "11 Obwohl schon fast zwei Drittel der auf neun Monate festgelegten Arbeits- haushaft verbüßt waren, lehnte das Regierungspräsidium die vorzeitige Ent- lassung des alten Mannes ab, "da aus der vom Arzt bescheinigten Unfähigkeit desselben, sich seinen Lebensunterhalt durch Händearbeit zu erwerben, eine Unmöglichkeit der Vollstreckung einer Korrektionsnachhaft durch Anhaltung zu leichten Arbeiten noch nicht zu folgern ist". Der Korrigend starb einige Wochen später in der Anstalt. Die Kontroverse zwischen dem Breitenauer Anstaltsarzt und dem Kasseler Regierungspräsidenten berührte ein strukturelles Problem und eine zentrale Streitfrage der Arbeitshausunterbringung. Völlig Arbeitsunfähige, darüber be- stand Einigkeit, hatten im Arbeitshaus nichts zu suchen. Aber wie sollte man mit den vielen arbeitsbeschränkten Korrigenden umgehen? Wintzingeroda- Knarr stellte 1885 in seiner oben bereits zitierten Untersuchung fest, daß in den Arbeitshäusern zahlreiche Insassen nicht mehr arbeitsfähig seien. Viele Korri- genden wären in einem Altersheim besser aufgehoben als im Arbeitshaus.R Am Beispiel der arbeitsunfähigen und damit in der Logik der Arbeitshauspäda- gogik auch besserungsunfähigen Korrigenden ließ sich das Besserungspostulat der Arbeitshäuser leicht ad absurdum führen. Die Anstaltsleitungen hätten die arbeitsbeschränkten Insassen, die in ihren Augen den allgemeinen Arbeitsbetrieb nur behinderten und die wirtschaftliche Effizienz der Anstalten beeinträchtigten, lieber heute als morgen entlassen. Die arbeitsbeschränkten Insassen seien "eine Plage der Arbeitsanstalten", klagte 1888 der Direktor des Arbeitshauses Brauweiler.U Den einweisenden Gerich- ten und Landespolizeibehörden dagegen, für die der Sicherungszweck der Ar- II Archivdes LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Ne. 3970. 12 Vgl. Levin Freiherr von Wintzingeeoda-Knorr, 1885, S. 9. 13 Vgl. Schellmann, 1888, S. 91. 83 beitshäuser im Vordergrund stand, genügte es dagegen vollkommen, wenn die arbeitsbeschränkten Insassen hinter Schloß und Riegel saßen und dort notdürf- tig beschäftigt wurden. Ein Bundesratsbeschluß von 1889 entschied die Streitfrage - wie nicht anders zu erwarten - im Sinne des Sicherungszwecks. Danach sollte ein Korrigend erst dann wegen Arbeitsunfähigkeit aus einem Arbeitshaus entlassen werden, wenn er selbst leichteste Arbeiten nicht mehr ausführen konnte. 14 Ob der Betreffende noch in der Lage war, auf dem freien Arbeitsmarkt unterzukommen, sollte bei der Entscheidung über eine Arbeitshausunterbringung keine Rolle spielen. Männliche Korrigenden Von 1877 bis 1883 wurden Jahr für Jahr etwa dreihundert im Regierungs- bezirk Kassel verhaftete Männer nach Breitenau eingeliefert. Ab 1884 setzte ein drastischer Rückgang der Einweisungen ein. Zehn Jahre später wird letztmals eine Einweisungsziffer von über einhundert Männem pro Jahr verzeichnet. Der überaus dramatische Rückgang der Einweisungen aus dem Regierungsbezirk Kassel nach 1884 wird in Relation zur Bevölkerungsentwicklung noch deutlicher. 1880 kam im Regierungsbezirk Kassel eine Arbeitshauseinweisung auf 1 346 männliche Einwohner. Zwanzig Jahre später betrug das Verhältnis nur noch eine Einweisung auf 6237 männliche Einwohner. Bei der Volkszählung des Jahres 1880 zählte man im Regierungsbezirk Kassel 246 320 ortsanwesende Männer im Alter von über fünfzehn Jahren. Der Kasseler Regierungspräsident lieferte im genannten Jahr 296 Männer nach Breitenau ein, d.h. auf 832 über fünfzehnjährige ortsanwesende Männer kam immerhin eine Arbeitshauseinweisung.P 14 Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs, 1889, Bd. I, Nr. 54; zur Kritik an diesem Bundesratsbeschluß vgl. von Falken, 1922, S. 363. 15 Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 57, S. 16; Bd. 150, S. 220; Bd. 57, S. 121. 84 Schaubild 3 Korrektionsanstalt Breitenau Einweisungen von Männern aus dem Regierungsbezirk Kassel 1875-1941 Zahl 350-..---------------------------------, 300 250 200 150 100 50 1 1 1 1 1 1 1 I 1 1 1 1 1 6 6 6 6 9 9 9 9 9 9 9 9 9 6 6 9 9 0 0 1 1 2 2 3 3 4 0 5 0 5 0 5 0 5 0 5 0 5 0 Jahr Einweisungsgründe Weder die Breitenauer Aufnahmebücher noch die veröffentlichten preu- ßischen Statistiken liefern vor 1896 quantifizierbare Angaben über die indivi- duellen Einweisungsgründe der Korrigenden. Die von 1896 bis 1915 eingewie- senen männlichen Korrigenden verteilen sich laut einer vom preußischen Innen- ministerium veröffentlichten Statistik auf folgende Einweisungsparagraphenlv: 16 Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innem gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse, betreffende Jahrgänge. 85 Männliche Korrigenden 1896-1899, Arbeitshaus Breitenau: Landstreicherei und Bettelei, § 361 Nr. 3 u. 4 Müßiggang, § 361 Nr. 5 Arbeitsscheu, § 361 NT. 7 Obdachlosigkeit, § 361 NT. 8 464 6 °4 97,9 % 1,3 % 0,0 % 0,8 % Männliche Korrigenden 1896-1899, sämtliche preußischen Arbeitshäuser: Landstreicherei und Bettelei, § 361 NT. 3 u. 4 Müßiggang, § 361 NT. 5 Arbeitsscheu, § 361 NT. 7 Obdachlosigkeit, § 361 NT. 8 39218 324 40 2729 92,7 % 0,8 % 0,1 % 6,4 % Männliche Korrigenden kamen vor der Jahrhundertwende fast ausschließlich wegen Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit in die Arbeitshäuser. Erst nachdem ab 1900 auch Zuhälter zur Arbeitshaushaft verurteilt werden konnten, verschoben sich die Prozentziffern etwas. Männliche Korrigenden 1900-1915, Arbeitshaus Breitenau: Landstreicherei und Bettelei, § 361 Nr. 3 u. 4 Müßiggang, § 361 NT. 5 Arbeitsscheu, § 361 Nr. 7 Obdachlosigkeit, § 361 Nr. 8 Zuhälterei, § 181a 1475 20 8 62 282 79,9 % 1,1 % 0,4 % 3,4 % 15,2 % Männliche Korrigenden 1900-1915, sämtliche preußischen Arbeitshäuser: Landstreicherei und Bettelei, § 361 Nr. 3 u. 4 Müßiggang, § 361 NT. 5 Arbeitsscheu, § 361 NT. 7 Obdachlosigkeit, § 361 Nr. 8 Zuhälterei, § 181a 92836 1654 136 12347 3 153 84,4 % 1,5 % 0,1 % 11,2 % 2,9 % Die in den folgenden Kapiteln vorgenommene getrennte Darstellung der Korrigenden nach Einweisungsgründen mag etwas künstlich erscheinen, weil innerhalb der Breitenauer Anstalt der Einlieferungsgrund für die Behandlung 86 der Insassen weitgehend keine Rolle spielte. Mit Ausnahme einiger in einem Zellenbau untergebrachter Zuhälter schliefen und arbeiteten die Insassen ge- meinsam. Arbeitshausunterbringung bedeutete einheitliche Zwangsbehandlung ganz unterschiedlicher Menschen. In den nächsten Kapiteln werden die Insassen dennoch nach den in den Aufnahmebüchern genannten Einweisungsgründen differenziert, um deutlich zu machen, daß sehr verschiedene Personengruppen in den Arbeitshäusern weitgehend unterschiedslos zusammengesperrt wurden. Eine undifferenzierte Auswertung der für Männer seit 1885 und für Frauen seit 1875 vorliegenden Sozialdaten der Aufnahmebücher würde gerade diese Unter- schiede verwischen. Eine Differenzierung nach konkreten Einweisungsgründen des aus den Breitenauer Aufnahmebüchern gewonnenen Datenmaterials über insgesamt 3 811 Einweisungen männlicher Korrigenden während des Kaiser- reichs ist jedoch nur für die Jahre 1902 bis 1918 möglich, weil nur in diesem Zeitraum der jeweilige Einweisungsparagraph vermerkt wurde. 17 Wohnungslose Männer Von den 1 793 zwischen 1902 und 1918 nach Breitenau eingewiesenen männlichen Korrigenden wurden 1400 (= 78,1 %) wegen Landstreicherei, Bettelei oder Obdachlosigkeit bzw. einer Kombination dieser Vorwürfe einge- liefert. 18 'Wer als Landstreicher umherzieht", bestimmte das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 in § 361 Nr. 3, konnte mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft wer- den. § 361 Nr. 4 StGB bedrohte Bettelei mit demselben Strafmaß. Bestraft werden konnte, "wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausschickt, oder Personen, welche seiner Gewalt und Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, vom Betteln abzuhalten unterläßt" . 17 Nach 1918 ist der Einweisungsgrund eines Korrigenden nur aus der eventuell vorhandenen personenbezogenen Fallakte ersichtlich. 18 Wegen Bettelei, Landstreichecei und Obdachlosigkeit Eingewiesene werden hier zusammen als •Wohnungslose' dargestellt, die genannten Delikte als • Betteleidelikte' zusarn- mengefaßt. 87 Schaubild 4 Korrektionsanstalt Breitenau Einlieferungsmonate von Wohnungslosen Zahl 200 150 100 50 o 2 3 4 5 7 Monat 8 9 10 11 12 Die Verurteilungsziffem von Bettelei und Landstreicherei hingen stark von Konjunkturlage und Jahreszeit ab. Immerhin zwei Drittel der Verurteilungen fielen auf das Winterhalbjahr.I? Im Januar verurteilten die Amtsrichter durch- schnittlich fast dreimal so viele Menschen wegen Bettelei oder Landstreicherei wie im Juli oder August. 20 Straffreiheit wegen einer Notlage konnten die Verhafteten nicht reklamieren, da es in Deutschland existenzielle Not eigentlich nicht geben konnte, weil Hilfsbedürftige aufgrund § 28 des Unterstützungswohnsitzgesetzes an jedem 19 So von 1884 bis 1888 im Großherzogtum Hessen, vgl. Hans Bennecke, 1890, S. 376; vgl. W. Bloch, Bettel. Kriminalität, in: Die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben während der Jahre 1900 ff. Fünfter Band. Die Krisis auf dem Arbeitsmarkte, Leipzig 1903, S. 274. 20 Vgl. Victor Böhmert, Sächsische Bettler- und Vagabunden-Statistik von 1880 bis 1887, in: Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Bureaus 34 (1888), S. 17. 88 Ort Armenfürsorge beantragen konnte. 21 Strafrechtliche Bettlerverfolgung wurde immer unter der Prämisse eines angeblich funktionierenden Fürsorge- systems gesehen. Daß insbesondere kleinere Gemeinden Fürsorgeleistungen für Wohnungslose rundweg ablehnten, stand auf einem anderen Blatt. 22 Die über das Jahr unterschiedlich verteilten Verurteilungsziffern wegen Bettelei und Landstreicherei schlagen sich auch in einer ungleichen Verteilung der Einlieferungen nach Breitenau nieder. Da die der Arbeitshaushaft voraus- gehende Haftstrafe zwischen einem Tag und sechs Wochen betragen konnte, spiegelt die Verteilung der Einweisungsmonate den Zeitpunkt der Verhaftung nur stark abgeflacht wider. Deutlich bleibt dennoch, daß in den Erntemonaten die geringsten Einweisungen von Wohnungslosen nach Breitenau erfolgten, während der Beginn des Winters im Dezember die weitaus meisten Einlieferun- gen brachte. Von den 144 wohnungslosen Männern, die als Beruf Tagelöhner angaben, wurden immerhin 25 im Dezember eingeliefert. Im Erntemonat Ok- tober wurden dagegen nur 9 Tagelöhner eingeliefert. Verhaftet wurden Wohnungslose in der Regel, weil sie der Polizei direkt in die Arme liefen, seltener nach Denunziationen aus der Bevölkerung.23 Nach einer Nacht in Polizeigewahrsam führte man sie zum Verhör. Aufgrund lan- despolizeilicher Bestimmungen in Verbindung mit § 453 Strafprozeßordnung konnten Haftstrafen bis zu 14 Tagen in Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden, Mecklenburg, Braunschweig, Hamburg, Lübeck und Bremen direkt von den Polizeibehörden per polizeilicher Strafverfügung verhängt werden. Verur- teilungen zur Arbeitshaushaft waren in diesem verkürzten Verfahren allerdings ausgeschlossen. 24 Nur eine Minderheit der Verhafteten wurde - meist trupp- weise - vor die Strafrichter der Amtsgerichte geführt. Die Praxis war recht unterschiedlich. In Sachsen gelangten in den achtziger Jahren des 19. Jahr- hunderts etwa 40 Prozent der wegen Bettelei oder Landstreicherei Beschuldig- ten vor den Amtsrichter, in Baden dagegen nur sechs bis sieben Prozent. 25 Gaben die Beschuldigten vor dem Strafrichter die Tat zu, konnten sie gemäß 21 Vgl. K. Mörchen, Die Wanderarmen und der § 28 V.W.G., in: Die Verteilung der Armen- lasten, Leipzig 1902, S. 97-126. 22 Vgl. O. Märker, Vagabundennoth, Arbeiterkolonien und Verpflegungsstationen, Heilbronn 1887, S. 4-6. 23 Vgl. Proletarierleben, in: Vorwärts, Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands, Nr. 84 vom 20. Juli 1877. 24 Vgl. Die Einrichtungen zur Bekämpfung des Vagantenthums in Württemberg, in: Blätter für das Armenwesen 35 (1882), S. 172. 25 Vgl. Victor Böhmert, 1888, S. 16; vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 49. 89 § 211 Strafprozeßordnung auch ohne Einholung der Vorstrafenregister verur- teilt werden. Da auch in diesem Fall die gefürchtete Arbeitshausunterbringung nicht verhängt werden durfte, beeilten sich erfahrene "Kunden", die vorge- worfenen Betteleidelikte schleunigst zuzugeben. Das Verfahren dauerte dann oft nicht einmal eine Minute. In größeren Amtsgerichten lagen die notwendigen Protokolle und Urteile bereits gedruckt vor, die Richter unterzeichneten lediglich die Urteile. 26 Bettelei und Landstreicherei waren Übertretungen, die zwar wie Verbrechen und Vergehen im individuellen Vorstrafenregister vermerkt, jedoch von der Reichskriminalstatistik nicht erfaßt wurden.Z? Die Reichskriminalstatistik weist weder die Verurteilungen gemäß § 361 StGB noch die Arbeitshauseinwei- sungen gemäß § 362 StGB aus. Für Preußen existiert lediglich von 1895 bis 1915 eine bereits wiederholt zitierte Arbeitshausstatistik. Ebenfalls für Preußen ist durch die von W. Starke 1884 veröffentlichte Zusammenstellung der "Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854-1878" die Zahl der wegen Bettelei, Landstreicherei und Arbeitsscheu eingeleiteten Untersuchungen be- 26 Dies berichtet der Amtsrichter E. Dosenheimer, Vorschläge zur Bekämpfung des Bettels und der Landstreicherei, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 5 (1908/09), S. 658; vgl. Carl Haslinde, Die Landstreicherei und ihre Bekämpfung, Diss. Greifswald 1918, S. 24 f; vgl. Hans Bennecke, 1890, S. 378; vgl. Schellmann. 1888, s. 80; vgl. Hugo Grobleben, 1907, S. 278; einen Prozeß wegen Bettelei schildert Hans Ostwald, Vagabunden, FrankfurtlM.I New York 1980, S. 198-208; vgl. die Schilderung von Massenverurteilungen im Schnellverfahren in Berlin: Das Gericht der Verlorenen, in: Vorwärts, Nr. 97, 27.2.1924. 27 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8053, S. 4; an Regionalstatistiken liegen vor für Sachsen: Victor Böhmert, 1888; für das Großherzogtum Hessen: Hans Bennecke, 1890; für Bayern: Ferdinand Knoblauch, Bettel und Landstreicherei im Königreich Bayern von 1893-1899. Eine kriminalststistische Studie nach amtlichem Material bearbeitet, München 1910; ent- ~egen dem Titel liefert Knoblauch nur undifferenziertes Zahlenmaterial über sämtliche Ubertretungen des § 361 StGB; die für einzelne Länder aufgestellten Statistiken über Be- strafungen wegen Bettelei und Landstreicherei sind mit größter Vorsicht zu betrachten, weil in ihnen die in einigen Ländern möglichen Aburteilungen durch polizeiliche Strafverfügung gemäß § 453 StPO nicht immer erfaßt sind; vgl. Robert von Hippel, 1895, S. 41, S. 278; ausgezeichnet und ungewöhnlich detsilliert dagegen die sächsische Bettler- und Va- gabundenstatistik von 1880 bis 1887 bei Victor Böhmert, 1888, S. 14-27; vgl. dazu ins- besondere W. Bloch, 1903, S. 265-280; für Österreich vgl. Hugo Herz, Die Vagabundage in Österreich in ihren Beziehungen zur Volkswirtschaft und zum Verbrechertume, in: Zeit- schrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung 14 (1905), S. 571-626; siehe auch ZStA Potsdam, Bestsnd 15.01, Nr. 1315, S. 3; zur Kriminalstatistik im 19. Jahrhundert vgl. Helmut Graff, Die deutsche Kriminalstatistik. Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1975; vgl. Herbert Reinke , Kriminalität als "zweite" Wirklichkeit von Tätigkeitsnachweisen der Justizverwaltung: Bemerkungen zu Kriminalstatistiken des 19. Jahrhunderts als Materia- lien einer historisch orientierten Kriminologie, in: Kriminologisches Journal, 2. Beiheft 1987, S. 176-184. 90 kannt, wobei das Jahr 1865 mit 11 640 Fällen die niedrigste und das Jahr 1856 mit 20414 Fällen die höchste Ziffer aufwies. 28 Für das gesamte Deutsche Reich liegt lediglich für die Jahre 1877 bis 1884 eine auf Anordnung Bismarcks vom Reichsamt des Innem nach Angaben der Bundesstaaten zusammengestellte Statistik vor. 29 Bestrafungen wegen Bettelei und Landstreicherei im Deutschen Reich30: 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 Bestrafungen § 361 Nr. 3 u. 4 219514 280518 316 846 320548 319259 278040 242473 203478 davon mit Einweisung ins Arbeitshaus 15575 17678 21229 21269 23379 24482 23752 21259 Nehmen wir das Jahr 1880 als herausragendes Beispiel. In jenem Jahr ver- hängten die Richter 320548 Bestrafungen wegen Bettelei oder Landstreicherei. Bei einer ortsanwesenden Bevölkerung von 45234061 Menschen kamen im genannten Jahr auf je 10 000 Einwohner 70,9 Verurteilungen. Im Durchschnitt derJahre 1877 bis 1884 betrug die Quote 60,3 Verurteilungen auf 10 000 Ein- wohner. Die ungeheure Dimension der Betteleidelikte wird auch deutlich in der Relation zu anderen Delikten. Im Jahre 1882 kamen an den deutschen Amts- und Landgerichten insgesamt 2011 997 Strafsachen durch Urteil oder Strafbe- fehl zum Abschluß, sämtliche Forst- und Feldrügesachen, Übertretungen, Ver- 28 Vgl. W. Starke, Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854-1878, Berlin 1884, S. 115. 29 Vgl. Hans Bennecke. 1890, S. 373; vgI. Statistik der Bestrafungen der Bettler und Land- streicher im Grossherzogthum Hessen in den Jahren 1877-1884, in: Mittheilungen der Grossherzoglich Hessischen Centralstelle fiir Landesstatistik. Nr. 352, 1886, S. 17-24; aStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8050, Nr. 8051; ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 1314, S. 10, S. 45, S. 166; vgI. E. Hirschberg, Die Arbeitsscheu und ihre Statistik, in: Soziale Pra- xis 5 (1895), Sp. 34-38; fiir die Jahre 1885 bis 1887 siehe GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8052, S. 8-12; ZStA Potsdam, Bestand 15.ü1, Nr. 1315, S. 27. 30 ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 1314, S. 207. Die aufgefiihrte Zahlenreihe enthält aus einigen kleinen Bundesstaaten sowohl gerichtliche wie polizeiliche Bestrafungen. Die Zif- fern der tatsächlichen gerichtlichen Bestrafungen liegen daher etwas niedriger. 91 gehen und Verbrechen zusammengenommen.U In diesem Jahr betrug die Zahl der Übertretungen wegen Bettelei und Landstreicherei 278 040 Fälle. Bet- teleidelikte bildeten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts den häufigsten Anklagegrund. Mit den Übertretungsdelikten Bettelei, Landstreicherei und Ob- dachlosigkeit stand die Armut unmittelbar vor Gericht. Von insgesamt 29 819 von der Berliner Polizei im Jahre 1880 verhafteten bzw. in Polizeigewahrsam genommenen Männern waren nicht weniger als 14 644 wegen Bettelei und weitere 8558 wegen Obdachlosigkeit sistiert worden.32 Noch 1909 stellte der Kieler Oberstaatsanwalt fest, daß insbesondere in den kleinen Amtsge- richtsgefängnissen die meisten Gefangenen Bettler und Landstreicher waren. 33 Bettelei, Landstreicherei und Obdachlosigkeit waren Massendelikte, die ein- drucksvoll die Not im Kaiserreich dokumentieren. Obdachlosigkeit war in § 361 Nr. 8 StGB ebenfalls mit Haft bis zu sechs Wochen bedroht. Bestraft werden konnte, "wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, daß er solches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht hat". Die "polizeiliche Unterkommensauflage" wurde vor allem in größeren Städten, insbesondere Berlin, eingesetzt und diente dazu, wohnungs- lose Menschen aus der Stadt zu vertreiben. Einer Verurteilung konnten Betrof- fene, die in der jeweiligen Stadt bleiben wollten, allenfalls dadurch entgehen, daß sie sich ihre erfolglose Wohnungssuche von Wohnungsverrnittlern schrift- lich bestätigen ließen.34 Die oben zitierte Reichsstatistik weist für den Zeitraum 1877 bis 1884 im Jahr 1882 mit immerhin 17 572 Verurteilungen wegen Obdachlosigkeit die höchste Ziffer auf. Wegen Bettelei, Landstreicherei und Obdachlosigkeit Inhaftierte stellten von der Gründung bis zur Aufhebung des Arbeitshauses Breitenau die über- wiegende Mehrheit der männlichen Korrigenden. Im 19. Jahrhundert wurde ein männlicher Insasse nur ganz selten mit einer anderen Begründung nach Brei- tenau zwangseingeliefert. 31 Vgl. Kriminalstatistik für das Jahr 1882, in: Statistik des Deutschen Reichs, NF Bd. 8, S. 7. 32 Verwaltungs-Bericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin für die Jahre 1871- 1880, Berlin 1882, S. 472-485. 33 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8053, S. 43-44. 34 Zur Kritik vgl. Robert von Hippel, 1904, S. 135; vgl. Friedrich von Bodelschwingh, 1907, S. 4; zur Polizeipraxis vgl. Richtlinien der Berliner Kriminalpolizei bzgl. § 361 Nr. 8 StGB, GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8053, S. 159 f; Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 407, Nr. 287, S. 50; Nr. 292, S. 18; vgl. E. K. Werber, Asozialenbehandlung bei der Polizei, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 2 (1926/27), S. 291. 92 Hinsichtlich der formalen Haftgriinde erscheinen die männlichen Breitenauer Korrigenden als recht homogene Population. Es wäre allerdings abwegig dar- aus abzuleiten, die Breitenauer Arbeitshausgefangenen hätten sich aus einer festumrissenen auch außerhalb der Anstaltsmauern defmierbaren sozialen Gruppe rekrutiert. Den Menschen, auf die die Strafverfolgungsbehörden mit dem Vorwurf Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit zugriffen, war nur gemeinsam, daß sie wohnungs- und mittellos auf den Straßen lebten. Dariiber hinaus kann kein fester sozialer Zusammenhang und insbesondere kein Gruppenbewußtsein festgestellt werden. Nicht zuletzt deswegen waren Woh- nungslose kaum in der Lage, ihre Interessen organisiert zu vertreten. Die ohne- hin seltenen Versuche, Wohnungslose in die organisierte Arbeiterbewegung einzubinden, scheiterten durchweg. Eine Ausnahme bildete allenfalls die Ende der Weimarer Republik von einigen Sozialrevolutionären, meist verarmten Intellektuellen und Künstlern, gegriindete "Bruderschaft der Vagabunden". 35 Die immer wieder vertretene Ansicht, es hätte einmal eine "geschlossene Land- streicherkultur" mit eigener "Kundensprache", eigenen Liedern, Bettlerzinken und geheimen Wegen gegeben, gehört ins Reich der Sozialromantik und verallgemeinert Beobachtungen, die - wenn überhaupt - allenfalls bei kleinen Teilpopulationen gemacht werden konnten.I'' Subkulturelle Zusammenhänge lassen sich bestenfalls, zeitlich und regional eng abgegrenzt, bei regelmäßig wiederkehrenden Ernteeinsätzen etwa beim Spalter Hopfenzupfen oder bei der Getreideemte auf Fehmarn und im Dithmarschen nachweisen.J? Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein führte Arbeitslosigkeit häufig unmittelbar oder mit geringer zeitlicher Verzögerung auch zu Obdachlosigkeit. Arbeitslose, die als Wanderarbeiter ihr Glück versuchten, dürften das Hauptkontingent der wohnungslosen Bevölkerung gestellt haben. Dazu kamen landwirtschaftliche Saisonarbeiter, die außerhalb der Saison vom Betteln leben mußten, unterbe- schäftigte Tagelöhner und Haftentlassene. 38 Auf den Straßen sammelten sich schließlich Kriegs-, Arbeits- und Altersinvaliden, außerdem viele Menschen 35 Vgl. Klaus Trappmann (Hrsg.), 1980; vgl. Künstlerhaus Bethanien, 1982. 36 Vgl. Angelika Kopecny, 1980; vgl. Alexander Lippingl Björn Grabendorff, Lieder der Landstraße, FrankfurtIM . 1984, S. 13 f. 37 Vgl. Jürgen Scheffler, "Dampfdöscher", "Dagglöhner" und "Monarchen". Technischer Wandel, Arbeitsmarkt und Arbeiterschaft in der Landwirtschaft Schieswig-Hoisteins 1870- 1914, in: Rainer Paetaul Holger Rüdel, Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig- Holstein im 19. und 20. Jahrhundert, Neumünster 1987, S. 206-212; vgl. Hans Horn, Die Kriminalitätder Hopfenzupfer von Spalt, Diss. Heidelberg 1924. 38 Vgl. Jürgen Scheffler, "Dampfdöscher", "Dagglöhner" und "Monarchen", 1987, S. 179- 215. 93 mit Geisteskrankheiten und psychischen Störungen, die unversorgt auf den Straßen dahinvegetierten. Freiwillige Aussteiger aus der bürgerlichen Gesell- schaft dürften den geringsten Prozentsatz der Wohnungslosen gestellt haben. Auf den Straßen und in den Nachtasylen der Städte sammelte sich das Elend. Es waren eher Hinausgeworfene als Aussteiger. 39 Auf dieses bunte Sammelsurium von Marginalen griffen die staatlichen Ver- folgungsbehörden mit dem stereotypen Vorwurf "Bettler" oder "Landstreicher" zu. Keine andere Bestimmung des Strafgesetzbuchs kriminalisierte so unmittel- bar materielle Armut. Wohnungslose gerieten schon allein aufgrund ihrer so- zialen Lage in die Mühlen der Justiz. Was überhaupt unter strafbarem Betteln oder unter strafbarer Landstreicherei verstanden wurde, ob beispielsweise die Postkarten- und Schnürsenkelverkäufer als Bettler oder ob arbeitslose Wanderarbeiter bzw. wandernde Handwerksburschen als Landstreicher anzu- sehen seien, darüber schwieg sich das Gesetz aus. 40 Wie wollte ein Tagelöhner oder landwirtschaftlicher Wanderarbeiter den Nachweis bringen, daß er nicht als Landstreicher umherzog? Die Zahl der Wohnungslosen im Kaiserreich blieb umstritten. Bei Volks- zählungen wurden sie nicht erfaßt. Konkretes Zahlenmaterial bietet allenfalls die gut dokumentierte Inanspruchnahme von Fürsorgeeinrichtungen und die er- staunlicherweise sehr viel schlechter belegte Delinquenz der Wohnungslosen.U Die zeitgenössischen Angaben über Wohnungslosenzahlen beruhen durchweg auf groben, wenig belegten Schätzungen, bei denen in der Regel aus regiona- lem Zahlenmaterial über unterstützte Personen, Übernachtungen oder Ver- haftungen die tatsächliche Wohnungslosenzahl einer Region geschätzt und die so ermittelte Ziffer dann auf das gesamte Reichsgebiet hochgerechnet wurde. 42 39 Vgl. Hans R. Fischer, 1887; vgl. Peter Bonn, Aus dem Nachtasyl. Wahrheitsgetreue Ge- schichten aus den Leben der Obdachlosen und Gescheiterten, Leipzig 1912; vgl. Paul Grulich, Dämon Berlin. Aufzeichnungen eines Obdachlosen, Berlin 1907. 40 Vgl. E. Sichart, 1893, S. 2; vgl. M. Bertsch, Über Landstreicherei und Bettel. Reichsstraf- gesetzbuch § 361 Nr. 3 und 4, Diss. Tübingen 1893, S. 27-69; vgl. Max Josef Erbig, Die strafrechtliche Bekämpfung des Bettels, Diss. Würzburg 1920, S. 13-59; vgl. Richard KorrelI, Dogmatisches über den Begriff der Landstreicherei und ihrer Bestrafung, Diss. Heidelberg 1912; vgl. Josef Forck, Das Betteln unter Drohungen nach Tatbestand und Rechtsfolgen, Diss. Rosteck 1919, S. 8-20; vgl. Carl Haslinde, 1918, S. 21; vgl. Karl- Heinz Osang, Der Begriff der Landstreicherei, Diss. Hamburg 1933, S. 11-38; das forrnaljuristische Verfahren bei der Aburteilung beschreibt detailliert P. Stelling, Über das Umherziehen als Landstreicher, Hamburg 1891. 41 Vgl. die Berechnungen von Wolfgang lohn, 1988, S. 264. 42 Vgl. O. Märker, 1887, S. 9; vgl. Otto Krause, Arbeitslosigkeit, Bettelei und Wanderver- pflegung, Leipzig 1893, S. 17. 94 In denachtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde häufig eine Größenordnung von zweihunderttausend "Wanderern" genannt. 43 Im öffentlichen Bewußtsein existierte neben der "socialen Frage" auch die lebhaft debattierte "Vagabonden- Frage" als sozialpolitisches Problem erster Ordnung.44 Es ist schwer abzuschätzen, wie groß die Gefahr für Wohnungslose war, in eine Arbeitsanstalt eingeliefert zu werden. Friedrich von Bodelschwingh ver- mutete 1904, daß pro Jahr durchschnittlich einer von zehn Wohnungslosen ins Arbeitshaus kam.45 Bei einer durchschnittlichen Haftdauer von über einem Jahr hätte dies bedeutet, daß mindestens zehn Prozent der wohnungslosen Be- völkerung in Arbeitshäusern gefangengehalten wurde. Wichtiger als die tatsächliche Inhaftierungsquote erscheint die große Rechtsunsicherheit. Wohnungslose Menschen lebten faktisch illegal. Jedes Auftauchen eines Polizisten konnte zur Festnahme führen, und das Ergebnis der eventuellen Gerichtsverhandlung blieb völlig unkalkulierbar. Jede Vor- führung eines Wohnungslosen vor ein Strafgericht konnte im Arbeitshaus enden. Ob ein wegen Bettelei oder Landstreicherei Angeklagter mit einigen Tagen Haft davonkam oder ob zusätzlich eine "Überweisung" ins Arbeitshaus ausgesprochen wurde, lag völlig im Ermessen des Gerichts. Unter Umständen konnte ein Wohnungsloser viele Jahre auf der Straße leben, ohne ins Ar- beitshaus zu kommen. Manchmal erhielt ein Wohnungsloser mehrere Dutzend kurze Haftstrafen wegen Betteleidelikten, bis er zum ersten Mal ins Arbeitshaus geschickt wurde, in anderen Fällen geschah dies schon bei der zweiten oder dritten Verurteilung. Eine 1911 im hannoverischen Arbeitshaus Moringen bei 209 Korrigenden durchgeführte Analyse der Vorstrafenlisten ergab durch- schnittlich 5,7 einschlägige Vorstrafen (bei einer Spannweite von 1 bis 23) vor 43 Vgl. Rudolf Elvers, 1882, S. 7; vgl. Fr. von Bodelschwingh, Die Ackerbau-Kolonie "Wilhelmsdorf" nach ihren bisherigen Erfahrungen, Bielefeld 1883, S. 10; vgl. Huzel, Das System der communalen Naturalverpflegung armer Reisender zur Bekämpfung der Wan- derbettelei, Stuttgart 1883, S. 3; vgl. Otto Krause, Wie viel giebt es Vagabunden? Eine Studie erzgebirgischer Bettler-Verhältnisse, Annaberg 1885; Wolfgang lohn errechnete al- lerdings weit höhere Größenordnungen, vgl. Wolfgang lohn, 1988, S. 288. 44 Vgl. die Debatten im preußischen Abgeordnetenhaus vom 28.11.1882 bzw. 4.12.1882; Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 15. Legislaturperiode, I. Bd., S. 165-175 u. S. 235-254. 45 Vgl. die Rede von Friedrich von Bodelschwingh über die Fürsorge für arbeitssuchende Wanderer im Preußischen Abgeordnetenhaus am 17. luni 1904, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 20. Legislaturperiode, I. Session1904/05, S. 6061. 95 der ersten Arbeitshauseinweisung.v' Die zeitgenössische Fachliteratur berich- tete von Einzelfällen, in denen Wohnungslose erst nach über einhundert Vor- strafen wegen Bettelei in ein Arbeitshaus gesperrt wurden. In Breitenau kamen die meisten der von 1902 bis 1918 eingewiesenen Woh- nungslosen bereits zum wiederholten Mal in ein Arbeitshaus. Nur knapp 35 Prozent der Eingelieferten waren erstmalig Eingewiesene.47 erste Einweisung zweite Einweisung dritte Einweisung vierte Einweisung fünfte Einweisung sechste Einweisung siebte Einweisung achte Einweisung neunte Einweisung zehn und mehr Einweisungen nicht ermittelt 440 266 147 113 77 56 44 36 31 51 140 34,9 % 21,1 % 11,7 % 9,0 % 6,1 % 4,4 % 3,5 % 2,9 % 2,5 % 4,0 % Die hohe Quote wiederholt Eingelieferter zeigt, daß die insgesamt recht heterogene Wohnungslosenpopulation einen harten, vollständig deklassierten Kern hatte. Immerhin 17,3 Prozent der in Breitenau eingesperrten männlichen Wohnungslosen war bereits mehr als fünfmal in einem Arbeitshaus. Der jüngste Korrigend des hier untersuchten Sampies der Jahre 1902 bis 1918 war gerade 16 Jahre alt, der älteste immerhin 76 Jahre. Das Durchschnittsalter betrug fast 43 Jahre, die stärkste Altersklasse stellten die 40- bis 50jährigen. Arbeitshauseinweisung wegen Betteleidelikten traf ver- 46 Vgl. v . Frankenberg/ Drechsler, 1911, S. 67; vgl. Düll, 1903, S. 215; vgl. Franz Exner, Die mittellosen Wanderer vor den Strafgerichten, in: Der nichtseßhafte Mensch, München 1938, S. 91. 47 In den im StA Marburg, Bestand 231, vorhandenen Aufnahmebüchern konnte zwischen 1902 und 1918 bei 1400 Männem der Einweisungsgrund Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit nachgewiesen werden. Die statistischen Angaben dieses Kapitels beziehen sich auf dieses SampIe. Bei den Angaben über Schulbildung, Beruf, Ehestand und Kinder- zahl wurden bei wiederholter Einlieferung derselben Person nur die Angaben der ersten Einweisung berücksichtigt (I 212 Fälle). 96 WtgtnBeltelei in Breitenau inhafti ert. . . , • 97 stärkt Männer, die den Höhepunkt ihrer Arbeitsfähigkeit bereits überschritten hatten, nach den besten Jahren ihres Arbeitslebens. unter 20 Jahre 20 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 59 Jahre 60 bis 69 Jahre 70 Jahre und älter nicht ermittelt 35 188 329 386 341 98 6 17 2,5 % 13,6 % 23,8 % 27,9 % 24,7 % 7,1 % 0,4 % Nur 6,5 Prozent der wegen Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit eingewiesenen Männer waren verheiratet. 77,9 Prozent waren ledig geblieben; weitere 15,7 Prozent waren bereits verwitwet, geschieden oder lebten dauernd getrennt von der Ehefrau. Männer im Alter von über vierzig Jahren, die nicht - oder nicht mehr - durch eine Ehe gebunden waren, stellten mit 55 Prozent die Mehrheit der wegen Betteleidelikten nach Breitenau Eingewiesenen. Nur 15,3 Prozent waren Vater von einem oder mehreren Kindern. Die in Breitenau inhaftierten Wohnungslosen waren überwiegend ohne familiäre Bindungen. Auch die erhaltenen Fallakten geben nur in Ausnahmefällen Hin- weise auf bestehende Kontakte zu Verwandten durch Briefverkehr oder Be- suche. Um zumindest zu einer gewissen Einschätzung über die Mobilität der Woh- nungslosen zu kommen, wurde der im Aufnahmebuch der Anstalt verzeichnete Geburtsort in eine Karte des Deutschen Reichs eingetragen. Bei 723 von 1902 bis 1918 von Amtsgerichten des Regierungsbezirks Kassel verurteilten und nach Breitenau eingewiesenen Wohnungslosen ließ sich der Geburtsort feststellen. Von ihnen waren immerhin 151 Männer (= 20,9 %) in Orten des Regierungsbezirks Kassel geboren. 526 Männer stammten aus den übrigen Gebieten des Deutschen Reichs. Bei 46 Männern handelte es sich um im Ausland geborene, die, falls sie keine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, in der Regel nach Verbüßung der Arbeitshaushaft abgeschoben wurden. 48 48 Bei wiederholter Einlieferung derselben Person wurde nur die Angabe der ersten Einwei- sung berücksichtigt. Es stammten aus den Verwaltungsbezirken Königsberg 14, Gumbinnen 8, Danzig 4, Marienwerder 7, Stadt Berlin 5, Potsdarn 5, Frankfurt/Oder 12, Stettin 6, Köslin 5, Posen 8, Bromberg 3, Breslau 22, Liegnitz 18, Oppeln 27, Magdeburg 12, Merseburg 29, Erfurt 23, Schleswig 1, Hannover 9, Hildesheim 12, Osnabrück 1, Aurich I, Münster 6, Minden 6, Arnsberg 20, Kassel 151, Wiesbaden 22, Koblenz 3, Düsseldorf 98 Geburtsorte der zwischen 1902 und 1918 im Regierungsbezirk Kassel zu Ar- beitshaushaft verurteilten wohnungslosen Männer: 9 3 20 ~812 23 151 '6,69 22 16 11 3 12 8 2 1 3 12 29 10 18 5 10 2 8 12 18 5 22 ) 4 14 8 Die Karte zeigt, daß die Mobilität der Wohnungslosen geringer war, als man zunächst vermuten sollte. Die Geburtsorte gruppieren sich deutlich um den in 21,Köln8, Trier 4, Aachen 7, Oberbayern 2, Niederbayern 2, Pfalz 3, Oberpfalz I, Ober- franken 3, Mittelfranken 8, Unterfranlcen 11, Schwaben 2, Dresden 10, Leipzig 10, Zwickau 13, Bautzen 2, Neclcarlcreis 7, Schwarzwaldkreis 2, Jagstlcreis I, Freiburg 2, lörrach I, Kerlsruhe I, Heidelberg 2, Mosbach I, Starkenburg 12, Oberhessen 16, Rhein- hessen 3, Meclclenburg-Schwerin 2, Sachsen-Weimar 17, Braunschweig 3, Sachsen- Meiningen 21, Sachsen-Altenburg 3, Sachsen-Koburg-Gotha 11, Anhalt 8, Schwarzburg- Rudolstadt 2, Schwarzburg-Sondershausen 4, Waldeclc 4, Reuss jüngere Linie 3, Schaum- burg-Lippe I, Lippe I, Lübeck I, Bremen I, Hamburg I, aus dem Ausland 45. 99 der Mitte der Karte eingezeichneten Regierungsbezirk Kassel, in dem die rur diese Auswertung herangezogenen Männer verhaftet worden waren. Die Aus· wertung der Geburtsorte läßt keine Wanderungsrichtung etwa von Ostdeutsch· land nach Westdeutschland erkennen. In den Aufnahmebüchern ist in der Rubrik über die Schulbildung bei der Hälfte der wohnungslosen Männer die höchste in diesen Büchern vorhandene Stufe angegeben. Bei 50,1 Prozent lautet die Eintragung "kann lesen, schreiben, rechnen". Bei weiteren 47,2 Prozent der Männer ist "kann lesen und schreiben" angegeben. Nur "kann lesen" findet sich bei 0,8 Prozent der Män· ner. Bei weiteren 1,9 Prozent findet sich in der Rubrik über die Schulbildung keinerlei Eintrag. Die Breitenauer Aufnahmebücher verzeichnen durchgängig eine Berufsa gabe der Eingewiesenen, die vermutlich auf der vom Personal nicht nach· geprüften Angabe der Insassen beruhte. Dabei bleibt zunächst unklar, ob es sich bei der genannten Berufsbezeichnung um den ursprünglich erlerntenoder den zuletzt ausgeübten Beruf handelte. Der zu unterstellende Wunsch nach einer akzeptablen Selbstdarstellung läßt jedoch die Vermutung zu, daß die In· sassen die höchste in ihrem Leben erreichte Berufsqualifikation angaben, auch wenn die letzte Ausübung des Berufs unter Umständen schon viele Jahre zu· rücklag. Dafür spricht insbesondere, daß bei eingewiesenen Männern bei wie· derholter Einlieferung fast immer derselbe Beruf verzeichnet wurde. Bei den zwischen 1902 und 1918 nach Breitenau eingewiesenen männlichen Wohnungslosen war' Arbeiter' die häufigste Berufsangabe. 289 von 1 212 Per- sonen (= 23,8 %) gaben diese unspezifizierte Berufsbezeichnung an.49 Bel weiteren 144 Personen (= 11,9 %) lautete die Eintragung der Aufnahmebücher 'Tagelöhner'. Durch diese Sammelangaben bleibt bei immerhin 35,7 Prozenl der wegen Betteleidelikten eingewiesenen männlichen Korrigenden unklar, auf welche konkrete Tätigkeit sich die Berufsangaben bezogen. Insbesondere bei der Berufsangabe 'Tagelöhner' bleibt offen, ob es sich um landwirtschaftliche Arbeiter oder etwa um Bauhilfsarbeiter handelte. Häufigste konkrete Berufsee zeichnung ist' Schlosser' in 52 Fällen. Weitere häufig genannten Berufe sind 'Metzger' bzw. 'Schlachter' in 42 Fällen, 'Schuhmacher' in 40 Fällen, 'Bäcker' in 34 Fällen, 'Schreiner' in 30 Fällen, 'Maurer' bzw. "Bauarbeiter' in 32 Fällen, 'Schneider' in 28 Fällen und -Kaufmann' in 25 Fällen. 49 Bei wiederholter Einweisung derselben Person wurde nur die Angabe der ersten Aufnahme berücksichtigt. 100 Brtil~nau warseinfünftes Arbeitshaus... 101 Um die Angaben der Breitenauer Korrigenden mit der Berufsgliederung der männlichen Erwerbsbevölkerung vergleichen zu können, wurden die Berufsan- gaben der Aufnahmebücher mit dem Erhebungsinstrumentarium der Berufs- zählung von 1907 erfaßt. Bezüglich der bei der Berufszählung 1907 gebildeten Berufsgruppen ergibt sich folgende Verteilungö': Berufsgruppen Breitenau Berufszählung 1907 Deutsches Reich 0,1 % 6,4 % 0,3 % 5,2 % 1,7 % 0,9 % 27,7 % 0,7 % 5,1 % 3,5 % 6,0 % 4,6 % 0,7 % 0,4 % 2,8 % 0,7 % 1,1 % 4,0 % 4,7 % 3,8 % 0,6 % 10,1 % 0,9 % 0,3 % 4,0 % 0,0 % 0,7 % 2,6 % 9,2 % 1,3 % 0,1 % 0,0 % 1,9 % 0,9 % 1,9 % 5,2 % 8,8 % 6,0 % 0,6 % 8,7 % 0,8 % 0,0 % 49 °8 32 111 16 1 °23 11 23 63 107 73 7 106 10 ° Landwirtschaft, Gärtnerei und Tierzucht Forstwirtschaft und Fischerei Bergbau, Hütten und Salinenwesen, Torfgräberei Industrie der Steine und Erden Metallverarbeitung Maschinen, Instrumente, Apparate Chemische Industrie Forstwirtschaftliche Nebenprodukte, Leuchtstoffe Textilindustrie Papierindustrie Lederindustrie Industrie der Holz- und Schnitzstoffe Nahrungs- und Genußmittel Bekleidungsgewerbe Reinigungszwecke Baugewerbe Polygraphische Gewerbe Künstlerische Gewerbe Fabrikanten, Fabrikarbeiter, Gesellen und Gehilfen deren nähere Erwerbstätigkeit zweifelhaft bleibt 311 25,7 % Handelsgewerbe 48 4,0 % Versicherungsgewerbe ° 0,0 % Verkehrsgewerbe 12 1,0 % Gast- und Schankwirtschaft 16 1,3 % Häusliche Dienste, Lohnarbeit wechselnder Art 168 13,9 % 50 Statistik der Deutschen Reichs, NF 209, S. 7·-10·; NF 211, S. 124, die Vergleichszahlen der Berufszählung von 1907 beziehen sich auf hauptberuflich Erwerbende männlichen Ge- schlechts. 102 Militär-, Hof-, bürgerlicher und kirchlicher Dienst 11 0,9 % Ohne Beruf und Berufsangabe 6 0,5 % 7,7 % Die Berufsangaben der wegen Betteleidelikten nach Breitenau eingewiesenen Männer weichen erheblich von der Berufsgliederung der männlichen Erwerbs- personen des Deutschen Reichs ab. Da 'Arbeiter' in der Systematik der Berufs- zählung von 1907 in die Berufsgruppe 'Fabrikaten, Fabrikarbeiter, Gesellen und Gehilfen' eingeteilt wurden bzw. 'Tagelöhner' in 'Häusliche Dienste, Lohnarbeit wechselnder Art' sind diese Berufsgruppen in den Breitenauer An- gaben arnhäufigsten vertreten, was einen Vergleich der Breitenauer Ziffern mit den Ergebnissen der Berufszählung des Deutschen Reichs erheblich erschwert. Trotz dieser Einschränkung zeigt sich, daß die Berufsgruppen Metallver- arbeitung, Holz- und Schnitzstoffe, Nahrungs- und Genußmittel, Bekleidungs- gewerbe bei den wegen Betteleidelikten nach Breitenau eingewiesenen Männern häufiger auftraten als bei den männlichen hauptberuflich Erwerbstätigen. Die oben erstellte Auswertung nach Berufsgruppen abstrahiert völlig von der sozialen Stellung der Betroffenen. Bauhilfsarbeiter, gelernte Maurer und selb- ständige Bauunternehmer werden dabei in dieselbe Berufssparte eingetragen. Im folgenden soll versucht werden, aus der Berufsangabe der Breitenauer Kor- rigenden auf deren soziale Herkunft zu schließen. Für diese Erhebung wurde unterstellt, daß alle unspezifizierten Berufsangaben wie 'Arbeiter' und 'Tage- löhner' sich auf ungelernte Kräfte bezogen. Wurde in den Aufnahmebüchern ein Berufkonkret benannt (z.B. 'Schlosser') wurde unterstellt, daß es sich um einen tatsächlich erlernten Beruf handelte. Ambulantes Gewerbe (z.B. Hausierer) ungelernte Arbeiter (z.B. Tagelöhner) gelernte Arbeiter und Handwerker Meister Freie Berufe(z.B. Musiker) Beamte Untere Angestellte (z.B. Handlungsgehilfen) Akademiker Kaufleute Selbständige Landwirte Leitende Angestellte Ohne Angabe Armenunterstützungsempfänger 9 538 616 °8 1 16 °29 °1 3 1 0,7 % 43,6 % 50,5 % 0,0 % 0,7 % 0,1 % 1,3 % 0,0 % 2,4 % 0,0 % 0,1 % 0,2 % 0,1 % 103 Unternehmer o 0,0 % Arbeitshauseinweisung infolge einer Verurteilung wegen Betteleidelikten war Arbeiterschicksal. 94,1 Prozent der wegen Bettelei, Landstreicherei oder Ob- dachlosigkeit nach Breitenau eingewiesenen Männer waren gelernte oder unge- lernte Arbeiter aus Industrie, Handwerk oder Landwirtschaft bzw. waren vor ihrer sozialen Entwurzelung Arbeiter gewesen. Die in Breitenau gefangenen Wohnungslosen hatten oft bereits dutzende Verurteilungen wegen Bettelei und Landstreicherei erleben müssen. Bettelei, Landstreicherei und Obdachlosigkeit waren Dauerdelikte, weil die Richter keine Einzeltat, sondern eine kriminalisierte Überlebensform bestraften. Ob die Strafe letztendlich wegen Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit ausge- sprochen wurde, blieb dem Zufall überlassen.51 Da Bettelei als konkret faß- barer Tatbestand leichter nachzuweisen war, taucht diese Begründung häufiger auf. Häufig lautete das Urteil auch auf Haft wegen "Bettelei und Landstrei- cherei", Daneben fmden sich in den Vorstrafenlisten immer wieder Delikte, die in direktem Zusammenhang mit der Wohnungslosigkeit standen. Wollte sich ein Wohnungsloser ohne Fahrkarte in einem Wartesaal der Eisenbahn wärmen, konnte das als Hausfriedensbruch bestraft werden. Hausieren ohne Wanderge- werbeschein machten die Richter zum Gewerbevergehen. Aus Hunger begingen Obdachlose Straftaten wie Diebstahl, Wilderei und Betrügereien. Schließlich weisen die Vorstrafenlisten häufig Delikte auf, die erst im direkten Zusammen- hang mit der polizeilichen Verfolgung entstanden: falsche Namensangabe bei Überprüfung, Bannbruch, unerlaubte Rückkehr und nicht selten Beleidigung bzw. Widerstand gegen Beamte bei der Festnahme. Wie eng Wohnungslosigkeit und Kleinkriminalität zusammenhingen, zeigt das Vorstrafenregister eines 1937 nach Breitenau eingelieferten Hausierers.52 Bei diesem Hausierer standen die reinen Betteleidelikte nicht einmal im Mittel- punkt, wie dies bei den meisten wegen Bettelei und Landstreicherei einge- wiesenen Korrigenden der Fall war. 51 Vgl. Hermann Baumgärtner, Die Straffälligkeit der mittellosen Wanderer, in: Der nicht- seßhafte Mensch, München 1938, S. 132. 52 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8648. 104 1926 Gewerbevergehen 1927 Betteln 1927 Hausfriedensbruch 1927 Unterschlagung 1928 Betteln 1930 Betrug 1932 Gewerbevergehen 1933 Verkauf ohne Wandergewerbeschein 1934 Hausieren nach 19 Uhr 1934 Betrug 1935 Betteln 1935 Verkaufohne Gewerbeschein 1937 Betteln 1937 Betteln 6 Tage Haft 10 Tage Haft 16 Tage Gefängnis 7 Tage Gefängnis 14 Tage Haft 6 Wochen Gefängnis 2 Tage Haft 2 Tage Haft 10 Tage Gefängnis 2 Wochen Gefängnis 4 Wochen Haft 5 Tage Haft 6 Wochen Haft 6 Wochen Haft und 13 Monate Arbeitshaus. Die Breitenauer Korrigenden hatten in der Regel, wie die Direktion gern schrieb, "unzählige Vorstrafen", die sich bei genauerer Analyse jedoch fast immer als wenig gehaltvoll erwiesen. Die langen Vorstrafenlisten, mit durch- schnittlich immerhin 27 Eintragungen, setzten sich überwiegend aus Über- tretungen zusammen, weniger aus Verbrechen und Vergehen. Natürlich be- fanden sich in Breitenau auch heruntergekommene Schwerverbrecher, die nach jahrelanger Zuchthaushaft wohnungslos geblieben waren. Doch sie blieben eher Ausnahme. Rein numerisch nehmen sich die Vorstrafenregister der einge- wiesenen Wohnungslosen allerdings recht stattlich aus: keine Vorstrafen 1bis 10 Vorstrafen 11 bis 20 Vorstrafen 21 bis 30Vorstrafen 31 bis 40 Vorstrafen 41 bis 50 Vorstrafen 51 bis 60 Vorstrafen 61 bis 70 Vorstrafen 71 bis 80 Vorstrafen 81 bis 90 Vorstrafen 91 bis 100 Vorstrafen 18 282 332 269 156 94 61 41 29 23 8 1,4 % 21,2 % 25,0 % 20,2 % 11,7 % 7,1 % 4,6 % 3,1 % 2,2 % 1,7 % 0,6 % 105 101 und mehr Vorstrafen nicht ermittelt lose/Wo 17 70 1,3 % Mehr als achtzehn Jahre seines Lebens war der 1869 geborene Tagelöhner Josef W. in Arbeitshäusern gefangen. Seine erste gerichtliche Strafe erhielt er als Siebzehnjähriger wegen Diebstahls. Er wird nicht viel gestohlen haben, denn das Gericht verurteilte ihn nur zu einem einzigen Tag Gefängnis. Josef W. war bei den Eltern in einem Dorf im Kreis Westerburg aufge- wachsen; Geschwister hatte er keine. Als er sechzehn Jahre alt war, starb seine Mutter. Sein Vater war Tagelöhner. Auch Josef W. erlernte keinen Beruf und bezeichnete sich ebenfalls als Tagelöhner. Ob er überhaupt eine Schule regel- mäßig besucht hatte, bleibt unklar. Lesen und Schreiben hatte er jedenfalls nicht gelernt. Nicht einmal seinen Namen konnte er schreiben; er mußte mit drei Kreuzen unterzeichnen. Im Alter von 21 Jahren verurteilte ihn ein Amts- richter seines Heimatkreises erstmals wegen Bettelei. Der Richter zeigte sich nachsichtig; Josef W. erhielt nur drei Tage Haft. Bei seiner sechsten Bestrafung wegen Bettelei sieben Jahre später überwies ihn das Amtsgericht Hadamar ins Arbeitshaus. Er erhielt die für erstmals Ein- gewiesene übliche Strafe von sechs Monaten, die "sechs Frösche", wie die Ar- beitshausgefangenen diese Strafmaß nannten. 53 Seine zweite Arbeitshaushaft dauerte neun Monate, seine dritte zwölf Monate, seine vierte Einweisung war zunächst auf achtzehn Monate festgesetzt. Erst bei seiner fünften Arbeitshaus- einweisung mußte er die Höchststrafe von vierundzwanzig Monaten absitzen. Josef W. war ein recht seßhafter Mensch, der nach jeder Haftentlassung wie- der an seinen Geburtsort zurückkehrte. Während bei mobileren Bettlern und Landstreichern oft ein- oder zweidutzend Bettlerstrafen zwischen zwei Arbeitshauseinweisungen lagen, wiesen die Wallmeroder Amtsrichter den ihnen nur allzugut bekannten "unverbesserlichen" Josef W. ab 1899 immer wieder rücksichtslos ins Arbeitshaus. Josef W. wurde in den Arbeitshäusern nicht "gebessert". Seine Lebens- situation war nach der Entlassung stets dieselbe wie vor der Verhaftung. Als ungelernter Tagelöhner war er immer wieder aufs Betteln angewiesen. Obwohl er sich mit Ausnahme der Haftzeiten offensichtlich immer in seiner Heimat- region aufgehalten hatte, konnte er schon bei seiner zweiten Arbeits- 53 Vgl. Richard Groß, Sprache, Zeichen und Poesie der Landstraße. Lexikon der Land- streichersprache, 2. verbesserte Aufl., Schwerin i.M. 1919. 106 hauseinweisung keinen Unterstützungswohnsitz mehr nachweisen. Hätte er nach einer Arbeitshausentlassung in seinem Heimatort Armenunterstützung be- antragt, wäre er als wohnungsloser Landarmer in ein an ein Arbeitshaus ange- schlossenes Landarmenhaus eingewiesen worden. Darauf konnte Josef W. allerdings verzichten. Innerhalb der Arbeitshäuser war Josef W. keinesfalls ein angepaßter Häft- ling. Immer wieder erhielt er Disziplinarstrafen wegen Widerworten gegen Aufseher, aber auch wegen Nachlässigkeit bei der Arbeit und Zankereien bzw. Schlägereien mit Mitgefangenen. Bei seiner dritten und bei seiner fünften Ar- beitshauseinweisung erhielt er deswegen zwei bzw. drei Monate Haft- verlängerung. Im Alter von 66 Jahren wies ihn das Amtsgericht Wallmerod 1935 zum nunmehr neunten Mal in ein Arbeitshaus ein. Im Nationalsozialismus war für 'unverbesserliche Asoziale" kein Platz mehr. Über sieben Jahre, bis zu seinem Tod im Jahre 1942, blieb der längst arbeitsunfähige und von der Direktion als 'Wrack" bezeichnete Josef W. in Breitenau gefangen. Das Vorstrafenregister des 1869 geborenen Tagelöhners Josef w.54 : 1886 Schöffengericht Wallmerod Diebstahl I Tag Gefängnis 1890 Amtsgericht Wallmerod Betteln 3 Tage Haft 1890 Amtsgericht Wallmerod Betteln I Woche Haft 1894 Amtsgericht Horchheim Betteln 5 Tage Haft 1894 Schöffengericht Hadamar Betteln 14 Tage Haft 1896 Schöffengericht Wall merod Betteln I Woche Haft Beleidigung 14 Tage Gefängnis 1897 Schöffengericht Hadamar Betteln 14 Tage Haft und Überweisung, Regierungspräsidium Wiesb. 6 Monate Arbeitshaus Hadamar 1899 Schöffengericht Wallmerod Betteln 17 Tage Haft 1899 Schöffengericht Wallmerod Betteln 12 Wochen Haft und Überweisung, Regierungspräsidium Wiesb. 9 Monate Arbeitshaus Hadamar 1901 Amtsgericht Wallmerod Betteln 3 Tage Haft 1901 Schöffengericht Wallmerod Betteln 6 Wochen Haft und Überweisung, Regierungspräsidium Wiesb 12 Mon. Arbeitshaus Hadamar und zwei Monate Verlängerung 1904 Amtsgericht Wallmerod Betteln 3 Tage Haft 54 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9599. 107 Betteln 1905 Strafkammer Limburg Regierungspräsidium Wiesb. 1908 Schöffengericht Wal1merod Regierungspräsidium Wiesb. 1910 Schöffengericht Wal1merod Regierungspräsidium Wiesb. 1923 Landgericht Limburg Regierungspräsidium Wiesb. 1930 Amtsgericht Wallmerod Regierungspräsidium Wiesb. 1935 Amtsgericht Wal1merod Gestorben 1942 im Arbeitshaus Breitenau. Zuhälter Sittlichkeitsverb. I Jahr Zuchthaus Landstreicherei 4 Wochen Haft und Überweisung, 18 Mon. Arbeitshaus Hadamar Betteln 5 Wochen Haft und Überweisung 24 Mon. Arbeitshaus Breitenau Betteln 3 Wochen Haft und Überweisung, 21 Mon. Arbeitshaus Breitenau und drei Monate Verlängerung Sittlichkeitsverb. 18 Monate Zuchthaus Landstreicherei 12 Wochen Haft und Überweisung 24 Mon. Arbeitshaus Breitenau 3 Wochen Haft und Überweisung, 15 Mon. Arbeitshaus Breitenau Landstreicherei 6 Wochen Haft und Einweisung ins Arbeitshaus Breitenau Seit 1881 ging die Unterbringung von Korrigendinnen und Korrigenden in Breitenau kontinuierlich zurück. Im Jahre 1900 erreichten die verbüßten Haft- tage gerade noch 19 Prozent des Jahres 1881, dem Jahr mit der stärksten Be- legung in Breitenau. Die im Jahre 1900 vorgenommene Ausweitung der Ar· beitshaushaft auf den neugeschaffenen Straftatbestand Zuhälterei brachte der Anstalt bis zum Ersten Weltkrieg eine Stabilisierung der Häftlingsziffem. Zuhälterei ist erst seit 1900 ein vom Strafgesetzbuch erfaßtes Delikt. Zuvor waren Zuhälter nicht kriminalisiert und konnten allenfalls über den Kuppelei- paragraphen belangt werden. 55 Der im Jahre 1891 vor dem Berliner Schwur- gericht verhandelte Mordprozeß Heinze gab den Anstoß zur Einführung der von Sittlichkeitsvereinen schon lange vehement geforderten strafrechtlichen Ahndung der Zuhälterei. Den Eheleuten Heinze, einem 27jährigen Zuhälter 55 Vgl. Paul Herr, Der Begriff des Zuhälters, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechts- wissenschaft 21 (1901), S. 805; vgl. Michael Bargon, Prostitution und Zuhälterei. Zur kri- minologischen und strafrechtlichen Problematik mit einem geschichtlichen und rechts- vergleichenden Überblick, Lübeck 1982. 108 und einer wegen Kontrollübertritt vielfach vorbestrafen, 15 Jahre älteren Pro- stituierten, war vorgeworfen worden, im Norden Berlins einen Nachtwächter ermordet zu haben. In der Schwurgerichtsverhandlung waren die Zustände in Berliner Zuhälterkreisen ausführlich beleuchtet worden.P'' Unter ausdrück- lichem Bezug auf diesen aufsehenerregenden Mordprozeß forderte Kaiser Wil- helm 11. in einem Erlaß vom 22. Oktober 1891 das preußische Staatsministe- rium zu gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Zuhälterturns auf. Der Mordprozeß Heinze habe gezeigt, "daß das Zuhältertum, neben einer ausgedehnten Prostitution in den großen Städten, sich zu einer gemeinen Ge- fahr fürStaatund Gesellschaft entwickelt hat". 57 Nach jahrelangen parlamentarischen Beratungen konnte schließlich im Jahre 1900 mit der lex Heinze der neugeschaffene § 181a StGB in Kraft treten: "Eine männliche Person, welche von einer Frauensperson, die gewerbsmäßig Unzucht treibt, unter Ausbeutung ihres unsittlichen Erwerbes ganz oder teilweise den Lebensunterhalt bezieht, oder welcher einer solchen Frauens- person gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz in Bezug auf die Ausübung des unzüchtigen Gewerbes Schutz gewährt oder sonst förderlich ist (Zuhälter), wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft". Handelte es sich um den Ehemann der Prostituierten, war Bedrohung oder Gewalt im Spiel, betrug die Gefangnisstrafe mindestens ein Jahr. In allen Fällen konnten die Richter eine 'Überweisung an die Landespolizeibehörde" mit dem Ziel einer sich an die Ge- fängnisstrafe anschließenden Arbeitshausunterbringung aussprechen. 58 Für eine Verurteilung wegen Zuhälterei genügte bereits der Nachweis, von einer Pro- stituierten Geld angenommen zu haben. Bedenklich war zudem die im deutschen Strafrecht zuvor ungewöhnliche wörtliche Benennung eines Tätertyps 56 Vgl. Wilhelm Fischer, Der Mordprozeß Heinze, Heilbronn 1903, S. 189. 57 Reichsanzeiger, 22.10.1891; vgl. Richard 1. Evans, Prostitution, State and Society in Imperial Germany, 1976, S. 119. 58 Gesetz, betreffend Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuchs. Vom 25. Juni 1900, in: RGBI., 1900, S. 301-303; zur Entstehungsgeschichte vgl. OUo Müller, Die lex Heinze, Diss. Freiburg 1900; vgl. Sally Jaffa, Der Begriff des Zuhälters im Reichsstrafgesetzbuch, Berlin 1902; vgl. R. Schmidt-Emsthausen, Die Zuhälterei im deutschen Reichsstrafrecht, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 24 (1904), S. 184-186; vgl. Willy Hartung, Der Zuhälterparagraph (§ 181a St.G.B.), in: Der Gerichtssaal 72 (1908), S. 312- 325; vgl. Robert Bloch, Der Zuhälterparagraph (§ 181a) im Reichsstrafgesetzbuch und im Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Diss. Heidelberg 1913; vgl. Carl H. Wemer, Die lex Heinze und ihre Geschichte, Diss. Freiburg 1935; zu den gesell- schaftspolitischen Hintergründen der lex Heinze vgl. R. 1. V. Lenman, Art, Society, and Law in Wilhelmine Gennany: the Lex Heinze, in: Oxford German Studies 8 (1973), S. 86- 113. 109 CZuhälter') als Ersatz für eine abschließende Definition einer konkret benann- ten Straftat. 59 Der Berliner Milieukenner Hans Ostwald hatte schon früh darauf aufmerksam gemacht, daß der in der Diskussion um die lex Heinze ange- nommene Typ des gewalttätigen, gemeingefährlichen Zuhälters, der die Prosti- tuierte zwangsweise festhalte und das von ihr gewünschte' Ehrlichwerden' ver- hindere, mit den tatsächlichen Verhältnissen wenig zu tun habe. 60 Ostwald wies auf die hohe Bedeutung der erotischen Beziehung zwischen Zuhältern und Prostituierten hin. 6 1 Spätere empirische Untersuchungen, die durchweg auf Grundlage von Straf- akten verurteilter Zuhälter durchgeführt wurden, bestätigten die zunächst be- lächelten Thesen Ostwalds. Der Kriminologe Hans von Hentig wies 1927 in einem lebhaft diskutierten Aufsatz mit dem Titel "Eigenartige Formen der Zu- hälterei" erstmals auf den Typ des "genommenen Zuhälters" hin. 62 In vielen zuhälterischen Verhältnissen dominiere die oft ältere Prostituierte. In der kriminalpsychologischen Forschung über Zuhälter wurde seither immer wieder auf den hohen Stellenwert der affektiven Beziehung zwischen Prostituierten und Zuhältern hingewiesen. Inzwischen ist von der kriminologischen Forschung allgemein anerkannt, daß der in der Diskussion um die lex Heinze postulierte typische Zuhälter eine Fiktion des Strafrechts war. 63 Der aktive, ge- walttätige Zuhälter, dessen Existenz natürlich nicht bestritten werden konnte, sei nur eine von mehreren Erscheinungsformen. Eine große Rolle spielten auch eher passive, in der Fachliteratur oft als "willensschwach" und "asozial" 59 Vgl. Clemens Amelunxen, Der Zuhälter. Wandlungen eines Tätertyps, Harnburg 1967, S. 7; vgl. Jürgen Fock, Das Problem des Zuhälterturns. Diss. Berlin 1965, S. 4. 60 Vgl. Hans Ostwald, Zuhälterturn in Berlin, Berlin/ Leipzig o.J. (= Großstadtdokumente Bd. 5), S. 58-67; vgl. Hans Ostwald. Ausbeuter der Dirnen, Leipzig O.J. (= Das Berliner Dir- nentum, Bd. 10), S. 25. 61 Dies bestätigte bereits die erste empirische Untersuchung über verurteilte Zuhälter von R. Bloch, Die soziale Gefährlichkeit des Zuhälterturns. in: Monatsschrift für Kriminal- psychologie und Strafrechtsreform 11 (1914/15), S. 194; vgl. Berndt van der Laan, Das Zuhälterturn in Mannheim. Diss. Heidelberg 1933, S. 470-475. 62 Hans von Hentig, Eigenartige Formen der Zuhälterei, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaf 14 (1927), S. 129-135; zur Diskussion vgl. Bd. 18 (1927) und insbesondere Bd. 19 (1928) der Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. vgl. Jürgen Fock, 1965, S. 27-32. 63 Vgl. Berndt van der Laan, 1933, S. 475-496; vgl. Jürgen Fock, 1965, S. 32; Vgl. Friedrich-Christian Schroeder, Neue empirische Untersuchungen zur Zuhälterei, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 61 (1978), S. 62-67; vgl. Hans Groß/ Friedrich Geerds, Handbuch der Kriminalistik, Berlin 1°1977, Bd. I, S. 358. 110 charakterisierte Männer.64 Als gemeinsames Charakteristikum der verschiedenen Zuhältertypen wurde ihre"Arbeitsscheu" angesehen. 65 Nach dem Ersten Weltkrieg stellten die Zuhälter durch den fortwährenden Rückgang der Arbeitshaushaft bei Wohnungslosen einen immer größeren Anteil der männlichen Insassen der Arbeitshäuser. Während der Weimarer Republik war in Breitenau jeder vierte männliche Korrigend ein Zuhälter. Im Februar 1929 standen 39 wegen Betteleidelikten eingewiesenen Korrigenden immerhin 21 Zuhälter gegenüber.66 Die seit dem Bundesratsbeschluß von 1889 gängige Praxis, bei erstmaliger Einweisung grundsätzlich sechs Monate Arbeitshaushaft zu verhängen, wurde 1920 gegenüber Zuhältern aufgegeben. Zuhälter erhielten auch bei erstmaliger Arbeitshaushaft durchweg höhere Strafzeiten.67 Die Zuhälter zählten in Breitenau bald zu den, wie die Direktion schrieb, 'schwierigsten Elementen unter den Anstaltsinsassen" .68 Tatsächlich waren die höchst agilen Zuhälter kaum mit den eher angepaßten Bettlern und Land- streichern vergleichbar. Sie waren im Durchschnitt weit jünger als die Woh- nungslosen und stammten durchweg aus den großstädtischen Prostitu- tionszentren Frankfurt und Wiesbaden, in geringer Zahl auch aus Kassel. Die Zuhälter waren, wie die Direktion bald bemerken mußte, den Breitenauer Auf- sehern 'mündlich, schriftlich und juristisch" weit überlegen.s? Wenn wegen Belleleidelikten Eingewiesene aufbegehrten, verweigerten sie normalerweise die Arbeit oder beschimpften den nächstbesten Aufseher. Die Sachlage war ge- wöhnlich klar und der Korrigend wanderte für Tage oder Wochen in die Arrestzellen. Die Zuhälter stellten sich geschickter an und verlegten sich aufs Beschwerdenschreiben, was für das Breitenauer Personal wegen des damit ver- bundenen Schriftwechsels sehr viel unangenehmer war. Die angerufene Be- schwerdeinstanz konnte nicht hoch genug sein. Einzelnen Zuhältern gelang es sogar, ihreBeschwerden direkt an das Reichsinnenministerium zu senden.70 64 Vgl. Alexander Elster, Zuhälter, in: ders.l Heinrich Lingemann (Hrsg.), Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. 2, Berlin und Leipzig 1936, S. 1156-1159; vgl. Rolf Borchers, Zuhälter in Hamburg 1956-1960. Ein kriminologischer Beitrag zur Strafrechtsreform, Diss. Hamburg 1967, S. 71; vgl. Iürgen Fock, 1965, S. 107. 65 Vgl. AlexanderElster, 1936, S. 1156. 66 StAMarburg,Bestand 231, Nr. 4,15.2.29. 67 ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 14021, S. 250-296. 68 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 101. S. 145. 69 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9743, S. 3 RS. 70 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 4189; Nr. 4179. 111 Während die wegen Betteleidelikten Eingewiesenen in der Regel schon dut- zende Obdachlosenasyle, Wanderarbeitsstätten, Herbergen zur Heimat, Arbeiterkolonien, Gefängnisse und Arbeitshäuser durchlaufen hatten und durch die dort erlebten Demütigungen längst einschlägig sozialisiert waren, paßten sich die Zuhälter nicht ohne weiteres an. Mit den bis dahin in Breitenau ange- wandten disziplinarischen Maßnahmen war diese neue Korrigendengruppe nicht in den Griff zu bekommen. Explizit mit der verstärkten Einlieferung von Zu- hältern begründete die Direktion im Jahre 1905 die zuvor nicht notwendig er- achtete Bewaffnung der Aufseher mit Revolvern. 71 "Die Zuhälter zählen zu den gefährlichsten Elementen unter den Anstalts- insassen: äußerst gesetzeskundig und mundfertig kritisieren sie im Arbeits-, Speise- und Schlafsaal alle Anordnungen der Aufseher, ihr ganzes Tun und Trachten ist auf Erlangung der Freiheit gerichtet. "72 Eine Trennung der Zu- hälter von den übrigen Insassen sei dringend notwendig. Die Zuhälter ver- führten andere Häftlinge zur Disziplinlosigkeit und hätten, berichtete die ver- zweifelte Anstaltsleitung dem Kasseler Kommunallandtag, "die Anstalt re- volutioniert".73 Das Aufsichtspersonal sei aufgrund wiederholter Beschwerden und Strafanzeigen wegen Mißhandlung vollständig in die Defensive geraten. Die Disziplin werde immer lockerer. "Der gute Ruf der Anstalt Breitenau geht dahin, bisher war die Anstalt gefürchtet, jetzt ist sie für die Zuhälter nur mehr ein Sanatorium, leider begrenzt durch die Eisengitter. "74 Direktor Schmidt schilderte das Treiben der Zuhälter in dunkelsten Farben, beschwor die Gefahr einer bislang in Breitenau nie erlebten Massenflucht. Man müsse "täglich auf eine Revolte gefaßt sein". Die großen, nachts unbeaufsichtigten Gemein- schaftsschlafsäle seien "Brutstätte aller Schlechtigkeiten". 75 Aufgrund des Hilferufs der Direktion beschloß der Kasseler Kommunallandtag 1911 den Neubau eines dreistöckigen Zellenbaus mit acht Arbeitszellen pro Stockwerk und drei zusätzlichen Strafzellen im Untergeschoß. Der Zellenbau sollte, wie Direktor Schmidt betonte, nach den Regeln moderner Gefängnisbauten ausgeführt werden. 76 "Das Zusammenleben dieser Zuhälter mit anderen 71 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, 30.10.1905. 72 Bericht des Landesausschusses über die Ergebnisse der Verwaltung des Bezirksverbandes für den Zeitraum vom 1. April 1904 bis dahin 1909, in: Verhandlungen des Kommunal- landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1910, Anlage 34, Sp. 20. 73 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1910, Sp. 93. 74 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9743, S. 4. 75 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9743, S. 1-4. 76 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9743, S. 13. 112 DuZtlknlHlu 113 Korrigenden birgt ... die größten Gefahren für die Sittlichkeit, die Disziplin und das Gesamtverhalten in dem Anstaltsleben in sich. Der modeme Nachhalt vollzug fordert bei solchen Verhältnissen gebieterisch 'Einzelhaft'. -77 Damit ein einzelner Aufseher den gesamten Zellenbau als perfekten Disziplinarapparal überwachen konnte, hatte der Neubau keine durchgehenden Stockwerke, sondern nur 90 cm breite eiserne Seitengalerien im Zuchthausstil, die einen Durchblick über alle Stockwerke hinweg freiließen.P Um die Isolation mög- lichst vollkommen durchführen zu können, erhielten die Zellentüren kleine Klappen, um selbst bei der Essenausgabe das Öffnen der Türen überflüssig zu machen.I? Im Januar 1912 konnte der Zellenbau erstmals belegt werden. Daraufhin sei in Breitenau wieder Ordnung, Sicherheit und Ruhe eingekehrt, meldete die Direktion erleichtert. 80 Mit der Errichtung des Zellenbaus etablierte die Bezirkskommunalver- waltung in Breitenau faktisch ein Zweistufensystem, denn in den neuen Zellen- bau sperrte man nicht nur Zuhälter ein, sondern auch "sonstige unbotmäßige Elementev.U Die überwiegende Mehrheit der männlichen Korrigenden blieb weiterhin in den großen Schlafsälen der ehemaligen Klosterbasilika unterge- bracht und wurde in landwirtschaftlichen Außenkolonnen beschäftigt. Für alle Fluchtverdächtigen und Aufmüpfigen konnte die Direktion nun ohne Begrün· dung jederzeit strenge Einzelhaft mit Beschäftigung innerhalb der Zelle ver- hängen. 82 Die erhaltenen Aufnahmebücher geben für die Jahre 1904 bis 1918 in 302 Fällen 'Zuhälterei I als Einweisungsgrund nach Breitenau an. 83 Diese Zuhälter waren bei Einlieferung nach Breitenau durchschnittlich erst 29 Jahre alt. Nur 5 Prozent waren über 40 Jahre alt. 77 Verhandlungen des Kornrnunallandtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1911, Anlage 14, Sp.3_ 78 Verhandlungen des Kornrnunallandtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1911, Anlage 14, Sp. 4; vgl. Michel Foucault, ÜbelWachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt 1977, S. 224. 79 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1911, Anlage 14, Sp , 5. 80 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 64, S. 269. 81 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 64, S. 286 RS. 82 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 64, S. 267 RS_ 83 StA Marburg, Bestand 231, die statistischen Angaben dieses Kapitels beziehen sichaufdie- ses Sampie von 302 Fällen. Für die Auswertung von Schulbildung, Berufsangabe, Ehestand und Kinderzahl wurde bei wiederholter Einweisung derselben Person nur die Angaben der ersten Einweisung berücksichtigt (279 Fälle). 114 unter 20Jahre 20 bis 29Jahre 30 bis 39Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 59Jahre nicht ermittelt 3 165 118 12 3 1 1,0 % 54,8 % 39,2 % 4.0 % 1,0 % Die Breitenauer Zuhälter waren seltener als die wegen Betteleidelikten ein- gewiesenen Korrigenden ledig geblieben. 73,8 Prozent waren bei ihrer ersten Einweisung ledig, 16,0 Prozent waren verheiratet. 10,2 Prozent waren ge- schieden, lebten getrennt oder waren bereits verwitwet. 89,3 Prozent der Brei- tenauer Zuhälterwaren kinderlos. Nur 7,1 Prozent hatten ein Kind, weitere 3,6 Prozent hatten zwei Kinder. Die Zuhälter waren in der Regel aus bestehenden sozialen Zusammenhängen beraus verhaftet worden. Sie hatten zum Zeitpunkt der Verhaftung definitions- gemäß eine Beziehung zu einer Frau. In der Regel waren sie nicht wohnungs- los, nicht selten hatten sie auch eine Arbeitsstelle. Sie hatten Kontakte zu Freunden bzw. Verwandten und daher häufiger als andere Breitenauer Insassen Briefwechsel und Besuch. Sonntags tauchten in Breitenau manchmal ganze Zu- bältercliquen auf, die einen inhaftierten "Kollegen" besuchen wollten. Zuhälter galten in Breitenau grundsätzlich als fluchtverdächtig. Im hier un- tersuchten Sarnple gelang immerhin 24 von 302 eingewiesenen Zuhältern eine dauerhafte Flucht, die vielen gescheiterten Fluchten nicht einmal be- rücksichtigt. Vor der Errichtung des Zellenbaus gehörten Fluchtversuche von Zuhältern zur Tagesordnung. Im Sommer 1910 gelang drei Zuhältern sogar eine halsbrecherische nächtliche Flucht über das hohe Dach der Kloster- basilika.84 Trotz der in der Fachliteratur durchgängig geübten Kritik an der Arbeits- bausunterbringung von Zuhältern85 waren diese im gewissen Sinn die einzige lnsassengruppe, bei der die Arbeitshaushaft überhaupt die beabsichtigte bes- sernde Wirkung zeigte. Zwar wurden Zuhälter im Arbeitshaus genausowenig 84 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 9743, S. 6. 81 Vgl. insbesondere H. von Jarotzky, 1910, S. 59-74; vgl. von Fa1ken- Plachecki, 1921, S. 741; vgl. Robert von Hippel, Das Arbeitshaus, in: Vossische Zeitung, Morgenausgabe, 14. Juni 1921; vgI. Georg Steigertahl, Zwangsfürsorgerische Maßnahmen gegenüber erwach- senen Personen. Ein Beitrag zur Geschichte des Arbeitshauswesens und zum Problem der Bewahrung, Berlin 1926, S. 42; vgl. ders., Über die Bestrafung von Zuhältern, in: Monats- schrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 18 (1927), S. 641. 115 wie andere Korrigenden positiv beeinflußt, da sie aber durch die lange Gefäng- nishaft bzw. Arbeitshaushaft in der Regel für einige Jahre aus dem Verkehr ge- zogen waren, gelang es ihnen nach ihrer Haftentlassung kaum, im Zuhäl- termilieu wieder Fuß zu fassen, weil sich dort längst andere etabliert hatten. Da Zuhälterei hauptsächlich ein Delikt junger Männer war, "besserten" sich die ins Arbeitshaus eingewiesenen Zuhälter allein dadurch, daß sie während der Haft- zeit einige Jahre älter wurden und danach zumindest für das Delikt Zuhälterei nicht mehr in Frage kamen. Im Gegensatz zu den wegen Betteleidelikten Ein- gewiesenen kamen Zuhälter deswegen in der Regel nur einmal in eine Arbeits- anstalt. Eine wiederholte Einweisung in ein Arbeitshaus läßt sich nur bei knapp 16 Prozent nachweisen. 86 erste Einweisung zweite Einweisung dritte Einweisung nicht ermittelt 221 34 7 40 84,4 % 13,0 % 2,7 % Die Haftdauer der wegen Zuhälterei Eingewiesenen war mit fast 14 Monaten durchschnittlich 1,3 Monate länger als die Haftdauer der wegen Bettelei- delikten eingewiesenen Männer. bis 6 Monate 7 bis 12 Monate 13 bis 18 Monate 19 bis 24 Monate 35 121 47 28 15,2 % 52,4 % 20,3 % 12,1 % Die Vorstrafenlisten der Breitenauer Zuhälter waren durchschnittlich wesentlich kürzer als die der anderen Korrigenden, da bei ihnen die vielen kurzen Haftstrafen der Übertretungsdelikte nur selten verhängt worden waren. Die überwiegende Mehrheit hatte nur wenige Vorstrafen, die allerdings in der Regel wegen Vergehen und Verbrechen verhängt und mit entsprechend langen Haftzeiten geahndet worden waren. 86 Auch in der Weimarer Republik betrug der Prozentsatz der erstmalig nach Breitenau ein- gewiesenen Zuhälter 88 Prozent; der hohe Prozentsatz erstmalig Eingewiesener kam also nicht dadurch zustande, daß Zuhälterei erst im Jahre 1900 strafbar wurde. 116 keine Vorstrafen I bis 10Vorstrafen 11 bis20 Vorstrafen 21 bis30 Vorstrafen mehr als 30 Vorstrafen nicht ermittelt 26 178 57 16 5 20 9,2 % 63,1 % 20,2 % 5,7 % 1,8 % Geburtsorte der zwischen 1904 und 1918 im Regierungsbezirk Kassel zu Arbeitshaushaft verurteilten Zuhälter: Bei den von Gerichten des Regierungsbezirks Kassel zwischen 1902 und 1918 zu Arbeitshaushaft verurteilten 80 Zuhältern ließ sich in 78 Fällen der Geburtsort feststellen. 57 von ihnen (= 70 %) waren im Regierungsbezirk Kassel geboren. Immerhin 31 Zuhälter stammten direkt aus der Stadt Kassel. Nur 21 Zuhälter stammten aus Gebieten des Deutschen Reichs außerhalb des 117 Regierungsbezirks Kassel. 87 Die Breitenauer Zuhälter waren damit die Korri- gendengruppe mit der mit Abstand geringsten Mobilität. Sie waren - wie zu erwarten - weit weniger mobil als die Wohnungslosen, aber auch überraschend weniger mobil als die in Breitenau gefangenen Prostituierten. Die in den Aufnahmebüchern angegebene Schulbildung lautete bei 76,2 Pro- zent der Zuhälter "kann lesen, schreiben, rechnen". Bei 22,7 Prozent ist "kann lesen und schreiben" angegeben. Kein Eintrag findet sich nur bei 1,1 Prozent der Zuhälter. Bei den in den Aufnahmebüchern angegebenen Berufen fällt zunächst der hohe Anteil der Kellner auf. Nicht weniger als 38 von 280 (= 13,6 %) wegen Zuhälterei Eingewiesene gaben diesen Beruf an. Mit der Tatsache, daß Zu- hälterei eine großstädtische Erscheinung ist, korrespondiert das im Vergleich zu den eingewiesenen Bettlern stärkere Auftreten städtischer Dienstleistungs- berufe wie Kellner, Kutscher und Kaufleute. 'Arbeiter' wird in 32 Fällen ge- nannt; 'Schlosser' in 24 Fällen, 'Kutscher' bzw. "Fahrbursch' wird in 13 Fällen genannt, 'Bäcker' in 11 Fällen, 'Metzger' bzw. 'Schlachter' ebenfalls in 11 Fällen. Wie oben bei den wegen Betteleidelikten Eingewiesenen soll auch bei den Zuhältern versucht werden, aus der Berufsangabe auf die soziale Herkunft zu schließen: Ambulantes Gewerbe Ungelernte Arbeiter Gelernte Arbeiter und Handwerker Meister Freie Berufe (darunter 5 'Zuhälter') Beamte Untere Angestellte Akademiker Kaufleute Selbständige Landwirte Leitende Angestellte Unternehmer 5 58 179 o 11 I 1 o 24 o o o 1,8 % 20,7 % 63,9 % 0,0 % 3,9 % 0,4 % 0,4 % 0,0 % 8,6 % 0,0 % 0,0 % 0,0 % 87 Bei wiederholter Aufnahme wurde nur die Angabe der ersten Einweisung berücksichtigt. Es stammten aus den Verwaltungsbezirken Danzig 2, Stadt Berlin I, Magdeburg I, Erfun 2, Schleswig 1, Hannover 1, Münster 1, Minden 1, Amsberg I, Kassel 57, Wiesbaden 1, Koblenz I, Düsseldorf 1, Pfalz 1, Mittelfranken 1, Unterfranken 2, Neokarkreis I, Sachsen-Weimar I, Sachsen-Koburg-Gotha I Person. 118 Ohne Angabe 1 0,4 % Die Ende der zwanziger Jahre geführte Fachdiskussion über die Existenz verschiedener Zuhältertypen läßt sich an den im Breitenauer Aktenbestand noch vorhandenen personenbezogenen Fallakten ansatzweise nachprüfen. Soweit die insgesamt achtundfünfzig aus der Zeit der Weimarer Republik noch vor- handenen Akten überhaupt Angaben liefern, zeichnen sie von den Zuhältern tatsächlich keineswegs ein homogenes Bild. Natürlich waren darunter "typische Zuhälter", die Frauen mit Gewalt zur Prostitution gezwungen hatten. Wie oben bereits beschrieben, genügte für eine Verurteilung wegen Zuhälterei jedoch be- reits, "Unzuchtsgeld" von einer Prostituierten entgegengenommen zu haben. Beaufsichtigung der Prostituierten, Bedrohung oder Gewaltanwendung mußte nicht nachgewiesen werden. Strafbar war somit auch eine erklärtermaßen frei- willig gewährte Geldzahlung einer Prostituierten an ihren Partner. 88 Nicht alle der in Breitenau als Zuhälter einsitzenden Männer entsprachen daher dem öf- fentlichen Bild vom brutalen Zuhälter. Im Einzelfall war nur ein obdachloses Pärchen, das von den Prostitutionseinkünften der Frau lebte, in die Mühlen der Justiz geraten. Aus einem Urteil des Landgerichts Frankfurt: "Der Angeklagte hat ... öfters gebettelt und Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Da der Angeklagte wegen seines geringen Einkommens zeitweise nicht das Schlafgeld bezahlen konnte und auch nicht immer in der Lage war, sich zu beköstigen, hat die Zeugin von ihrem durch die Gewerbsunzucht erlangten Geld Schlafgeld und Beköstigung für den Angeklagten bezahlt ... Er hat somit den unsittlichen Er- werb derZeuginausgebeutet. "89 Für die weitere Entwicklung der deutschen Arbeitshäuser erwies sich die Aufnahme von Zuhältern ab 1900 als folgenreiche Fehlentscheidung. In den Männerabteilungen der Arbeitshäuser befanden sich dadurch zwei Insassen- gruppen, die sich in jeder Beziehung erheblich voneinander unterschieden. Obwohl die Zuhälter nur eine starke Minderheit der männlichen Korrigenden stellten, bestimmten die ihnen gegenüber für notwendig erachteten Sicherungs- maßnahmen auch die Haftbedingungen anderer Insassengruppen weitgehend. Für alleBestrebungen, innerhalb der Arbeitshäuser den fürsorgerischen Aspekt stärker zu betonen, bildete die Einlieferung der Zuhälter einen schweren Rück- schlag. Zu Beginndes 20. Jahrhunderts wurde mit Hinweis auf die Gefährlich- keit der Zuhälterder Gefängnischarakter der Arbeitshäuser zunächst verstärkt. 88 Vgl. Bemdtvan der Laan, 1933, S. 10. 89 Archiv des LWV-Hesseo, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9487. 119 Korrigendinnen Ein Jahr nachdem die ersten männlichen Korrigenden nach Breitenau ein- geliefert worden waren, konnte die Anstalt für die Frauen sämtlicher In- sassengruppen ein eigenes Frauenhaus eröffnen. Am 1. Oktober 1875 über- führte man neun, durchschnittlich 26 Jahre alte Korrigendinnen aus der Arbeitshausabteilung einer Kasseler Strafanstalt nach Breitenau. Sieben von ihnen waren wegen "Gewerbsunzucht' und zwei wegen Landstreicherei ver- urteilt worden.P? Die erste Korrigendin, die das Personal in das Aufnahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel eingelieferten Korrigendinnen eintrug, war die 32 Jahre alte Anna A. Sie war wegen verschiedener Delikte bereits siebzehn Mal vorbestraft und mußte in Breitenau wegen "Landstreicherei und Unfug" eine zwölfmonatige Arbeitshaushaft verbüßen, die wegen schlechter Führung um drei Monate verlängert wurde. Anna A. war unverheiratet und hatte eine dreijährige Tochter. Sie konnte weder lesen noch schreiben.P! Es wurden weit weniger Frauen als Männer in die Arbeitshäuser ein- gewiesen. Im Kaiserreich betrafen nur 16,8 Prozent aller Einweisungen ins Arbeitshaus Breitenau Frauen, die mit Ausnahme der Jahre 1917-1922 und 1943-1949 nur eine Minderheit der Breitenauer Insassen bildeten. Während des Kaiserreichs bezeichnete das Breitenauer Personal die in- haftierten Frauen durchweg als "Weiber". Erst 1920 verbot die Direktion diese Bezeichnung, weil damit im gewöhnlichen Sprachgebrauch meistens eine schlechte Person bezeichnet werde. 92 Wie bei den männlichen Korrigenden erreichten die Arbeitshauseinweisun- gen von Frauen in Breitenau in der ersten Hälfte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts einen später nicht wieder erreichten Höhepunkt. 93 Danach gingen die Einweisungsziffem kontinuierlich zurück. Lediglich während des Ersten Weltkriegs stieg die Zahl inhaftierter Prostituierter noch einmal steil an. Bereits ab 1900 konnten verurteilte Prostituierte von den Landespolizeibehörden stall ins Arbeitshaus auch in Fürsorgeheime eingewiesen werden. Nachdem mit der faktischen Freigabe der Prostitution im Jahre 1927 der wichtigste Ein- 90 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 21. 91 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 21. 92 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10412, S. 139. 93 Vgl. die Einweisungsziffern für das Arbeitshaus Himmelstür bei Otto Mönlcemöl1er, 1908, S. 17. 120 lieferungsgrund für Frauen wegfiel, kamen nur noch einzelne Frauen zur Ver- büßung einer Arbeitshaushaft nach Breitenau. Die Einweisungsgründe der Korrigendinnen wiesen eine völlig andere Struktur als die männlicher Korrigenden auf. Während Männer überwiegend wegen Bettelei oder Landstreicherei in die Arbeitshäuser gesperrt wurden, stand beiFrauen der Prostitutionsvorwurf im Mittelpunkt. Schaubild 5 Korrektionsanstalt Breitenau Einweisungen von Frauen aus dem Regierungsbezirk Kassel 1875-1941 Zahl 60 60 40 20 I B 9 o I B 9 5 I 9 o o I I 9 9 o 1 5 0 Jahr I 9 I 5 1 9 2 o 1 9 2 5 I 9 3 o I 9 3 5 I 9 4 o DieEinweisungsgründe der Frauen sind in Breitenau wie bei den männlichen Korrigenden erst ab 1896 statistisch erfaßt. 121 Korrigendinnen 1896-1915, Arbeitshaus Breitenau: Landstreicherei und Bettelei, § 361 Nr. 3 u. 4 Müßiggang, § 361 Ne. 5 Prostitution, § 361 Ne. 6 Arbeitsscheu, § 361 Nr. 7 Obdachlosigkeit, § 361 Ne. 8 56 4 469 1 9 10,4 % 0,7 % 87,0 % 0,2 % 1,7 % Korrigendinnen 1896-1915, sämtliche preußischen Arbeitshäuser: Landstreicherei und Bettelei, § 361 Nr. 3 u. 4 Müßiggang, § 361 Ne. 5 Prostitution, § 361 Ne. 6 Arbeitsscheu, § 361 Ne. 7 Obdachlosigkeit, § 361 Nr. 8 3403 128 16051 32 1696 16,0 % 0,6 % 75,3 % 0,2 % 8,0 % Mit Ausnahme des hannoverischen Arbeitshauses Himmelstür waren in Preußen männliche und weibliche Korrigenden stets in denselben Anstalten, je- doch in streng getrennten Abteilungen, untergebracht. 94 Während die Trennung verschiedener Insassengruppen in den Arbeitshäusern, insbesondere in den vergleichsweisen kleinen Frauenabteilungen, hauptsächlich auf dem Papier stehenblieb, versuchte das Personal die Trennung von Männem und Frauen absolut zu gestalten. Schon das Breitenauer Bauprogramm von 1874 bestimmte, die Trennung nach Geschlechtern habe einen strengeren Charakter, 94 Zu in Arbeitshäusern untergebrachten Frauen vgl. H. Stursberg, Die Prostitution in Deutschland und ihre Bekämpfung, Düsseldorf 1886, S. 59-70; Otto Mönkemöller, 1908; ders., Die Kriminalität der Korrigendin, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 5 (1908), S. 506-536; Robert von Hippel, 1895, S. 265-268; Ema Runkel, Der Einfluß des Arbeitshauses auf die weibliche Kriminalität, Diss. Göttingen 1926; Luzie Heinrich, Erzieherisches Wirken in einem Arbeitshaus, in: Mädchenschutz 3 (1926), S. 1-5; Orth, Erziehungsarbeit an den weiblichen Insassen des Arbeitshauses Brau- weiler, in: Die Wohlfahrtspflege in der Rheinprovinz 3 (1927), S. 207-209; Löw, Die Be- kämpfung der Geschlechtskrankheiten in der Arbeitsanstalt, in: Die Wohlfahrtspflege in der Rheinprovinz 3 (1927), S. 156-158; L. Schemmel, Herkunft und Persönlichkeit von 400 Insassinnen des Arbeitshauses Aichach, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 27 (1936), S. 161-169; Carla Fratzscher, Der Vollzug von Arbeitshaus- und Sicherungsverwahrung an Frauen in den Lübecker Gefangenenanstalten, in: Zeitschrift fiir Strafvollzug 10 (1961), S. 79-81; Lerke Gravenhorst, Soziale Kontrolle abweichenden Verhaltens. Fallstudien an weiblichen Insassen eines Arbeitshauses, Frankfurt 21972; für das Arbeitshaus Breitenau vgl. Bertha Kunreuther, 1918, S. 84-88. 122 als die Trennung der Landarmen von den Korrigenden.P Jeder Kontakt zwi- schen männlichen und weiblichen Anstaltsinsassen war streng verboten und wurde gegebenenfalls disziplinarisch hart bestraft. Männer und Frauen sollten sich nicht einmal aus der Feme sehen. Ein ehemaliger Breitenauer Häftling erinnert sich, daß die Aufseher beim morgendlichen Antreten der Ar- beitskolonnen auf dem Anstaltshof beim Erscheinen von weiblichen Häftlingen sofort "kehrt um!" riefen. Die Männer mußten dann mit dem Gesicht zur Wand stehen bis die Frauen außer Sichtweite waren. Gleichzeitig wird jedoch berichtet, daß Männer und Frauen sich gegenseitig in den vis ä vis gelegenen Schlafsälen heimlich beim Umkleiden beobachten konnten.j" Im übrigen fanden Häftlinge verschiedenen Geschlechts stets Mittel und Wege zum Aus- tausch von Kassibern. Eine Zeitlang diente hierfür die Anstaltsschusterei als für beide Geschlechter erreichbare geheime Poststation. 97 Obwohl die Breitenauer Frauenabteilung nach der Jahrhundertwende meist unterbelegt war, konnte sich die Verwaltung nicht zu einer völligen Schließung der Frauenabteilung durchringen, weil mit Ausnahme der Küche die gesamte Hauswirtschaft, die Wäscherei und das Instandsetzen der Anstaltskleidung aus- schließlich in den Händen weiblicher Gefangener lag. Insgesamt verkomplizierte die gemeinsame Unterbringung von Männern und Frauen den AnstaItsbetrieb erheblich. Für die Frauenabteilung mußten eigens Aufseherinnen eingestellt werden. Ständig mußte darauf geachtet werden, daß männliche und weibliche Insassen vollständig getrennt blieben. Da im Arbeitsbetrieb Frauenkolonnen manchmal von männlichen Aufsehern beauf- sichtigt wurden, lassen sich auch sexuelle Übergriffe von Aufsehern auf weib- liche Anstaltsinsassen nachweisen. 98 Die weiblichen Insassen bereiteten dem Breitenauer Anstaltspersonal größere Disziplinschwierigkeiten als die männlichen Korrigenden.P? "Die Faulheit, Frechheit und Unbotmäßigkeit dieser Weiber läßt sich nicht beschreiben, es 95 Bauprogramm für die zu Breitenau herzustellende Corrigenden- und Landarmen-Anstalt, in: Verhandlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Unteranlage I, Sp. 17. 96 Gespräch mit Gustav K., 14.8.1987; siehe auch Archiv des LWV- Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 9783, 26.6.1930. 97 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8962. 98 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 59, S. 60; Nr. 9514, S. 22. 99 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 60 RS, S. 98 RS; zu den Dis- ziplinschwierigkeiten mit Korrigendinnen vgI. Georg Steigertahl, Die Bekämpfung asozialer Elemente durch die Nachhaftstrafe, in: 41. Jahrbuch der Gefängnisgesellschaft für die Pro- vinzSachsenund Anhalt, Halle 1925, S. 97. 123 sind bis jetzt alle Disziplinarstrafen erfolglos geblieben", klagte Direktor Nettelbeck bereits im Jahresbericht 1878 über eingelieferte Frauen. 1OO Gegen Frauen verhängte die Direktion erheblich häufiger als gegen Männer Dis- ziplinarstrafen und die gefürchteten Haftverlängerungen. Von 1886 bis 1918 wurde bei 26 Prozent der Männer, aber bei nicht weniger als 60 Prozent der Frauen die Haftzeit verlängert. Es wäre jedoch voreilig, diesen eklatanten Unterschied allein mit einer geschlechtsspezifisch größeren Unangepaßtheit der Korrigendinnen erklären zu wollen. Da die Frauen fast ausschließlich innerhalb der Anstaltsmauem in geschlossenen Räumen beschäftigt wurden, sind bei ihnen als Renitenz geahndete Haftpsychosen häufiger aufgetreten als bei den hauptsächlich mit landwirtschaftlichen Außenarbeiten beschäftigten Männem. Außerdem bleibt unklar, ob die Frauen tatsächlich undisziplinierter waren oder nur vom Personal härter bestraft wurden. Prostituierte Wegen •Gewerbsunzucht ' bzw.• Kontrollübertritt ' verurteilte Frauen stellten die überwiegende Mehrheit der nach Breitenau eingelieferten Korrigendinnen. Von 1896 bis 1915 wurden 469 von 539 eingelieferten Frauen (= 87 %) wegen Prostitution nach Breitenau gebracht. 101 § 361 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs von 1871 bedrohte "eine Weibsperson, welche, polizeilichen Anordnungen zuwider, gewerbsmäßig Unzucht treibt' mit bis zu sechswöchiger Haft. Diese Formulierung erwies sich jedoch schnell als zu ungenau, insbesondere weil Prostitution in Orten straffrei blieb, in denen keine konkreten polizeilichen Anordnungen zur Reglementierung der Prosti- tution verfügt waren. Der Wortlaut des Gesetzes ließ die Interpretation zu, daß Prostitution grundsätzlich straffrei blieb und sich Prostituierte lediglich aufer- legten polizeilichen Anordnungen fügen müßten. Eine Novelle zum Reichs- strafgesetzbuch von 1876 beseitigte diese Unsicherheit. Nun war eine "Weibs- person" mit Haft bedroht, "welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Siche- rung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes 100 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 81 RS. 101 Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innern gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse, 1896-1915. 124 erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt" .102 Jetzt war Prostitution eindeutig grundsätzlich strafbar. Nur wenn die Prostituierten sich in die sittenpolizeiliehen Dirnenlisten einschreiben ließen und die überaus strengen Vorschriften beachteten, blieb Prostitution geduldet. 103 Diese Vorschriften gegen die freiwillig oder auf bloßen Verdacht hin zwangsweise unter sittenpolizeiliehe Überwachung gestellten Frauen CKontrollmädchen') waren so eng, daß ein strafbarer' Kontrollübertritt' kaum vermeidbar war, wenn eine der Kontrolle unterstellte Frau nur halbwegs am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollte. Die Reglementierungsvorschriften 'WUrden für jede Stadt gesondert erlassen und bestimmten neben den gesund- heitspolizeilichen Vorgaben in erster Linie die Straßen und Stadtgebiete, die als Sperrgebiete von Prostituierten grundsätzlich nicht betreten werden durften. In Kassel durften eingeschriebene Prostituierte nach einer 1897 gültigen Vor- schrift die Obere Königsstraße, den Friedrichsplatz, die Schöne Aussicht, die Karlsaue, den Fürstengarten und das Tannenwäldchen nicht betreten. 104 Außerdem war Prostituierten gewöhnlich der Besuch von Theatern, Kon- zerten, Museen und Ausstellungen untersagt. Ferner schränkten die Vor- schriften den Aufenthalt in Gaststätten, Cafes, Lokalen und öffentlichen Parkanlagen stark ein oder verboten ihn ganz. Ob der Besuch eines verbotenen Gebiets mit einem' Unzuchtsgang' verbunden war, blieb dabei völlig unerheb- lich. Frauen, die als Prostituierte arbeiteten, sollten vollständig aus dem öffent- lichen Leben ausgeschlossen werden. Außerdem reglementierten die Vor- 102 Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, RGBI., 1876, S. 112; vgl. Ellen Scheuner, Die Ge- fährdetenfürsorge, Berlin 1930, S. 102; zur Rechtsgeschichte der Bestrafung der Prostitu- tion vgl. Robert Schmölder, Die Bestrafung und polizeiliche Behandlung der gewerbs- mäßigen Unzucht, Düsseldorf 1892; vgl. ders., Die Prostituierten und das Strafrecht, München 1911; vgl. A. Korn, Strafrechtsreform oder Sittenpolizei? (Zu § 361 Nr. 6 des Reichsstrafgesetzbuchs), Leipzig 1897; vgl. Alix Westerkarnp, Gesetzliche Bestimmungen, in: Anna Pappritz (Hrsg.), Einführung in das Studium der Prostitutionsfrage, Leipzig 1919, S. 47-98; vgl. Hilde Schrakarnp, Die Strafrechtliche Bekämpfung der gewerbsmässigen Un- zucht und ihrer Nebenerscheinungen, Diss. Münster 1928; vgl. Carl Brintzer, Straf- rechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Prostitution. Eine rechtshistorische Un- tersuchung, Diss. Kiel 1933. 103 Vgl. Robert Schmölder, Die gewerbsmäßige Unzucht und die zwangsweise Eintragung in die Dirnenliste, Berlin 1894, S. 13-16; vgl. Eva Lewin, Das moderne Prostitutionswesen. Eine verwaltungsrechtliche und sozialpolitische Studie unter besonderer Berücksichtigung preussischer Verhältnisse, Diss. Tübingen 1925, S. 57 f; vgl. Michael Bargon, 1982, S. 73; StA Marburg, Bestand 175, Nr. 186; vgl. Sybille Leitner, 1990, S. 270 f. 104 StAMarburg, Bestand 175, Nr. 186,4.1.1897, Nr. 193, S. 25. 125 schriften genauestens die eigentliche Ausübung der Prostitution. 105 Den einge- schriebenen Frauen war untersagt, Männer anzusprechen oder sich am Fenster ihrer Wohnung zu zeigen. Grundsätzlich kriminalisiert waren alle Frauen, die als Prostituierte arbei- teten, ohne in die polizeilichen Listen eingeschrieben zu sein. Dies betraf in erster Linie die vielen Gelegenheitsprostituierten und alle minderjährigen Frauen, die - weil nicht sein kann, was nicht sein darf - grundsätzlich nicht unter sittenpolizeiliche Kontrolle gestellt wurden. Nur eine Minderheit der als Prostituierte arbeitenden Frauen war in die poli- zeilichen Dimenlisten eingeschrieben. Das Dunkelfeld war mindestens zehnmal so groß.I06 Speziell ausgebildete Beamte der Sittenpolizei kontrollierten in Straßen und Lokalen, ob die Vorschriften eingehalten wurden. Außerdem fahn- deten sie nach Frauen, die sie für heimliche Prostituierte hielten. 107 Verdächtig waren alle Frauen, die mit verschiedenen Männem Verabredungen trafen, insbesondere wenn sie kein geregeltes Einkommen nachweisen konnten. Wegen Prostitutionsverdacht festgenommene Frauen wurden nach einer Nacht im Polizeigefängnis am nächsten Morgen verhört und bei Verdacht auf Geschlechtskrankheiten ärztlich untersucht. Erstmals aufgegriffene Frauen 105 Vgl. die Berliner Polizeivorschriften zur Regelung der Prostitution von 1902 bei Wilhelm Hammer, Zehn Lebensläufe Berliner Kontrollmädchen, Berlin! Leipzig l8 0.1., S. 22-26; vgl. Verwaltungs-Bericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von BerJin für die Jahre 1871- 1880, BerJin 1882, S. 500-502; vgl. die von 1876 bis 1922 in Hamburg gültige Polizeivor- schrift, abgedruckt bei Alfred Urban, Staat und Prostitution in Hamburg vom Beginn der Reglementierung bis zur Aufhebung der Kasernierung (1807-1922), Hamburg 1927, S. 86- 88; vgl. die Münchener Vorschriften bei Carl Brintzer, 1933, S. 114; siehe auch Sybille Leitner, 1990, S. 272 f; für Wiesbaden Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 405, Nr. 8962, S. 10 f; für Hannover, Frankfurt, Köln, Magdeburg, Erfurt vgl. StA Marburg, Be- stand 175, Nr. 193, S. 202-222; materialreich H. Stursberg, 1886, S. 31-36; vgl. Camillo Karl Schneider, Die Prostituierte und die Gesellschaft, Leipzig 1908, S. 22-25; vgl. Ellen Scheuner, 1930, S. 104; vgl. Paul Kampffmeyer, Die Prostitution als soziale Klassen- erscheinung und ihre sozialpolitische Bekämpfung, Berlin 1905, S. 61-67; vgl. Abraham Flexner, Die Prostitution in Europa, Berlin 1921, S. 410-431. 106 Vgl. Paul Hirsch, Verbrechen und Prostitution als soziale Krankheitserscheinungen. Berlin 1907, S. 121; vgl. Lynn Abrams, 1988, S. 193; vgl. Ellen Scheuner, 1930, S. 146; vgl. Röschmann, Prostitution, in: Julia Dünner (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 21929, S. 504; vgl. Abraham Flexner, 1921, S. 26 f. 107 Vgl. H. Stursberg, 1886, S. 38; vgl. Max Hagemann, Sittenpolizei, in: Fritz Stier-Somlol Alexander Elster (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. 5, BerJin! Leipzig 1928, S. 502-505; vgl. Abraham Flexner, 1921, S. 134; vgl. Verwaltungs-Bericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin für die Jahre 1871-1880, Berlin 1882, S. 498- 506; zum Aufgabengebiet der Sittenpolizei vgl. Gustav Roseher, Großstadtpolizei, Harn- burg 1912, S. 255-259. 126 wurden in der Regel nur verwarnt, wiederholt aufgegriffene Frauen zwangs- weise unter sittenpolizeiliche Kontrolle gestellt. Gegebenenfalls erfolgte die Vorfiihrung vor die Strafrichter. 108 Wie bei an- geklagten Bettlern und Landstreichern dauerten bei Prostituierten die Ge- richtsverhandlungen in der Regel nur wenige Minuten. Der Berliner Kammer- gerichtspräsident schilderte 1925 eine Massenverhandlung gegen dreißig wegen Prostitutionsverdachts angeklagte Frauen, die insgesamt gerade fünfzehn Mi- nuten dauerte: "Die Angeklagten, die meist schon vor Gericht gestanden haben, geben nach Aufruf sogleich ohne Aufforderung ihre Personalien an. Nach kur- zem Frage- und Antwortspiel zwischen Richter und Angeklagten wendet sich jener an den Amtsanwalt, der meist ohne Begründung und kaum verständlich einen Strafantrag - vorwiegend auf 1-2 Tage Haft - stellt. Noch bevor der Richter unmittelbar darauf das Erkenntnis verkündet, haben sich die Ange- klagten vielfach wieder in den Hintergrund der umfriedeten Anklagebank zu- rückgezogen und beantworten von dort die Frage des Richters 'zufrieden?' oder ähnlich, gewöhnlich mit 'ja'. Die ganze Verhandlung hat etwas Schab- lonenhaftes, Automatisches an sich ... "109 Prostituierte in Breitenau Das Aufnahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel in das Arbeitshaus Breitenau eingelieferten Korrigendinnen gibt für die Jahre 1902 bis 1918 in 140 Fällen Prostitution als Einweisungsgrund an. 110 Die Hälfte dieser Frauen war unter 25 Jahre alt. Das Durchschnittsalter lag bei 29 Jahren. Die älteste wegen Prostitution eingewiesene Frau war 57 Jahre alt. 108 Das Verfahren ist ausführlich geschildert bei Abraham Flexner, 1921, S. 129-131; vgl. P. Martell, Polizei und Sittenkontrolle, in: Archiv für soziale Hygiene und Demographie 2 NF (1926/27), S. 465-468. 109 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8053, S. 165 RS; Über Verurteilungsziffern wegen "Gewerbsunzucht" oder "Kontrollübertritt" aufgrund des Paragraphen 361 Nr. 6 StGB lie- gen reichsweit keine Statistiken vor. 110 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 21; die Zahlenangaben dieses Kapitels beziehen sich auf dieses Sampie von 140 Aufnahmen. Bei der Auswertung der Angaben für Ehestand, Kin- derzahl, Schulbildung, Beruf und Geburtsort wurden bei wiederholten Aufnahmen nur die Angaben bei der ersten Aufnahme berücksichtigt (109 Fälle). 127 bis 20 Jahre 20 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 59 Jahre nicht ermittelt 5 86 31 11 6 1 3,6 % 61,9 % 22,3 % 7,9 % 4,3 % Die wegen Prostitution eingelieferten Frauen waren im Untersuchungs- zeitraum weit weniger Dauerkunden der Arbeitshäuser als die Hauptgruppe der Insassen, die männlichen Bettler und Landstreicher. Fast die Hälfte der Frauen wurde erstmals in eine Arbeitsanstalt eingeliefert. erste Einlieferung zweite Einlieferung dritte Einlieferung vierte Einlieferung fünfte Einlieferung sechste Einlieferung siebte Einlieferung nicht ermittelt 60 25 12 14 2 8 2 17 48,8 % 20,3 % 9,8 % 11,4 % 1,6 % 6,5 % 1,6 % Im Gegensatz zu den Bettlern und Landstreichern hat es bei den in den Jahren 1902 bis 1918 nach Breitenau eingewiesenen Prostituierten nur einen sehr kleinen harten Kern gegeben, auf den Polizisten und Richter immer wieder zugriffen. Zwei Drittel der wegen Prostitution nach Breitenau eingewiesenen Frauen waren überhaupt noch nie oder nur einmal zuvor in einer Arbeitsanstalt. Die Ziffern bestätigen die von A. Flexner und E. Grabe bereits in den zwanzi- ger Jahren vertretene und jüngst von Lynn Abrams bekräftigte These, daß es aus dem Prostitutionsmilieu durchaus wieder Wege zurück ins bürgerliche Leben gab. 11I Die Durchschnittsdauer der Arbeitshaushaft der regulär entlassenen Prosti- tuierten betrug 12,2 Monate. Zwei Drittel der Frauen waren spätestens nach einem Jahr wieder aus Breitenau entlassen. 111 Vgl. Abraham F1exner, 1921, S. 19; vgl. E. Grabe, Spätschicksale von Fürsorgezöglingen und Prostituierten, in: Archiv für Kriminologie 75 (1923), S. 171-200; vgl. Lynn Abrams, 1988, S. 197; vgl. Sybille Leitner, 1988, S. 162. 128 bis 6 Monate 7bis12 Monate 13 bis 18 Monate 19 bis24 Monate 40 39 17 25 33,1 % 32,2 % 14,0 % 20,7 % Keine Breitenauer Korrigendengruppe erhielt so häufig diziplinarische Haft- verlängerungen wie die Prostituierten. Bei 26,4 Prozent der in den Jahren 1902 bis 1918 eingelieferten Prostituierten verlängerten die Regierungspräsidien auf Antrag der Direktion die Haftzeit. Bei den wohnungslosen Männer betrug die Verlängerungsquote im genannten Zeitraum 13,1 Prozent; bei Zuhältern 13 Prozent; bei wohnungslosen Frauen 16,2 Prozent. 66,6 Prozent der wegen Prostitution eingelieferten Frauen waren bei ihrer ersten Breitenauer Einweisung ledig; verheiratet waren 24,1 Prozent. 9,3 Pro- zent der Frauen waren bereits verwitwet, geschieden oder getrennt lebend. 78,9 Prozent der Frauen waren kinderlos, 14,7 Prozent hatten ein Kind. Mehr als ein Kind hatten nur 6,4 Prozent der eingewiesenen Prostituierten. DieAngaben über die Schulbildung lauten "kann lesen, schreiben, rechnen" bei 47,5 Prozent, "kann lesen, schreiben" ebenfalls 47,5 Prozent. Keine An- gabe findet sich bei 5,0 Prozent der wegen Prostitution eingewiesenen Frauen. Ähnlich wie Bettler und Landstreicher konnten auch die Breitenauer Pro- stituierten recht lange Vorstrafenlisten mit durchschnittlich 27 Eintragungen vorweisen, die sich jedoch hauptsächlich aus Übertretungen gemäß § 361 Nr. 6 StGB zusammensetzten.112 keine Vorstrafen I bis 10 Vorstrafen II bis20 Vorstrafen 21 bis30 Vorstrafen 31 bis40 Vorstrafen 41 bis 50 Vorstrafen 51 bis60 Vorstrafen 61 bis70 Vorstrafen 71 bis80 Vorstrafen 81 bis90 Vorstrafen 91 bis 100 Vorstrafen 6 51 26 13 11 9 2 2 3 2 2 4,3 % 37,5 % 19,1 % 9,6 % 8,1 % 6,6 % 1,5 % 1,5 % 2,2 % 1,5 % 1,5 % 112 Vgl.Mönkemöller, 1908; Mönkemöllers Untersuchung der Vorstrafenlisten von 1 920 Kor- rigendinnen des Arbeitshauses Himmelstür differenziert leider nicht nach Ein- weisungsparagraphen. 129 über 100 Vorstrafen nicht ermittelt 9 4 6,6 % Bis zur faktischen Freigabe der Prostitution im Jahre 1927 lebten Frauen, die als Prostituierte arbeiteten, entweder als' geheime Prostituierte' vollständig il- legal, oder waren als 'Kontrollmädchen' in ihren Lebensäußerungen so einge- schränkt, daß sich der strafbare' Kontrollübertritt' kaum vermeiden ließ. Kon- flikte mit der Polizei und gegebenenfalls Anklage drohten täglich. In München wurden 1907 jährlich durchschnittlich 2,5 Strafverfahren gegen eine registrierte Prostituierte eingeleitet.l U Wie bei angeklagten Wohnungslosen hatten die Richter bei vor Gericht stehenden Prostituierten völlig freie Hand, ob sie im Anschluß an eine Haftstrafe wegen' Kontrollübertritt' oder' Gewerbsunzucht' eine Überweisung an die Landespolizeibehörde zwecks Arbeits- hausunterbringung aussprachen. Bei immerhin sechs der von 1902 bis 1918 nach Breitenau eingewiesenen Prostituierten verhängten Richter auch gegen zu- vor völlig unbestrafte Frauen eine Arbeitshauseinweisung, die bei anderen Frauen erst nach ein oder zwei Dutzend Übertretungen sittenpolizeilicher Vor- schriften ausgesprochen wurde. Im Jahre 1880 wurden von der Berliner Sittenpolizei insgesamt 12 872 Frauen sistiert, von denen 7 593 Frauen gemäß § 361 Nr. 6 StGB bestraft wurden. 459 Frauen, d.h. jede 28. der ursprünglich aufgegriffenen Frauen, wurden zur Arbeitshaushaft verurteilt. 114 Aus München liegen ähnliche Ziffern vor. Dort kamen 1891 auf 246 gerichtliche Verfahren wegen "Gewerbsunzucht' nur 16 Arbeitshauseinweisungen.Uf Der Mediziner Arthur Hermann Hübner hat 1907 die Vorstrafenlisten von vierundsechzig in eine Berliner psychiatrische Anstalt eingelieferten Prostituierten ausgewertet. Die vierundsechzig Frauen hatten insgesamt 1 966 Strafen erhalten, davon allein 1 700 Strafen wegen unerlaubter Prostitution. Insgesamt wurden dabei 36 Arbeitshausunterbringungen verhängt, d.h. nur jede 47. Verurteilung wegen Prostitution war mit einer Arbeitshauseinweisung verbunden.U? 113 Vgl. Sybille Leitner, 1990, S. 273. 114 Verwaltungsbericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin für die Jahre 1871-1880, Berlin 1882, S. 506. 115 Vgl. Sybille Leitner, 1990, S. 271. 116 Vgl. Arthur Hermann Hübner, Über Prostituierte und ihre strafrechtliche Behandlung, in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 3 (1907), S. 646. 130 Auch der Kölner Arzt Kurt Schneider fand in den Lebensgeschichten von siebzig in den Jahren 1913/14 zur Zwangsbehandlung wegen Geschlechtskrank- heiten in die Kölner Universitätsklinik eingewiesenen Prostituierten zwar durchweg Vorstrafen wegen' Gewerbsunzucht' oder' Kontrollübertritt' , aber nur zwölfLebensläufe mit Arbeitshausunterbringung.U? Diezitierten Untersuchungen zeigen, daß der Konflikt mit Polizei und Straf- recht zum Alltag von Prostituierten gehörte, eine Arbeitshauseinlieferung je- doch vergleichsweise selten stattfand. Haupteffekt der strafrechtlichen Be- drohung der Prostituierten war das Hinabdrücken in einen von großer Unsicherheit geprägten entrechtete Status. Die Gefahr einer Arbeits- hauseinweisung drohte täglich, auch wenn die tatsächliche Einlieferung relativ selten vorgenommen wurde. Im Lebenslauf von Prostituierten spielte die Arbeitshausunterbringung insgesamt keine große Rolle. Insofern erfüllte die Reglementierung auch beim riesigen Dunkelfeld der nicht in die Dirnenlisten eingeschriebenen Prostituierten durchaus ihren Zweck. Die - bezogen auf die Gesamtzahl aller Prostituierten - seltenen Arbeitshausstrafen sollten die Frauen dazu zwingen, sich entweder den sittenpolizeiliehen Vorschriften zu fügen oder soverdeckt zu arbeiten, daß ihre Tätigkeit weder für gesittete Bürger noch für die Polizei ruchbar wurde. 118 Bezogen auf die Minderheit der polizeibe- kannten, in die sittenpolizeiliehen Listen eingeschriebenen Prostituierten spielte das Arbeitshaus allerdings eine nicht zu unterschätzende Rolle. Am 18. Juni 1888 waren in Kassel laut Angabe des Polizeipräsidiums 128 Frauen unter sittenpolizeiliehe Kontrolle gestellt. Davon waren 46 Frauen in Kassel an- wesend, bei 49 Frauen war der Aufenthalt unbekannt und 33 Frauen sollen sich inStrafanstalten, Arbeitshäusern und Asylen aufgehalten haben. Am genannten Stichtag befanden sich von den 128 in die Kasseler Dirnenliste einge- schriebenen Frauen immerhin zwölf als Korrigendinnen in Breitenau.U? Zeitgenössische Untersuchungen über die berufliche und soziale Herkunft von Prostituierten im Kaiserreich betonten immer wieder den hohen Anteil von Dienstmädchen und Kellnerinnen. 120 Auch in neueren Arbeiten ist daraus eine 117 Vgl. Kurt Schneider, Studien über Persönlichkeit und Schicksal eingeschriebener Prosti- tuierter, Ber1in 1921; vgl. auch E. v. Grabe, 1923, S. 185. 118 Vgl. Kurt Schneider, 1921, S. 124; vgl. Regina Schulte, 1979, S. 182. 119 StAMarburg, Bestand 175, Ne. 193, S. 94, nach Vergleich mit dem Frauenaufnahmebuch, Bestand 231, Ne. 21. 120 Vgl. Alfred Blaschko, Die Prostitution im 19. Jahrhundert, Berlin 1902, S. 24; vgl. Bonhoeffer, Zur Kenntnis des großstädtischen Bettel- und Vagabondentums, Zweiter Bei- trag: Prostituierte, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 23 (1903), S. 109; vgl. Eva Lewin, 1925, S. 21; vgl. Paul Kampffmeyer, 1905, S. 115-120; vgl. Paul Hirsch, 131 besondere Gefährdung von Dienstmädchen und Kellnerinnen abgeleitet worden.R! Karin Walser hat 1985 darauf hingewiesen, daß der hohe Dienst- mädchenanteil unter den Prostituierten lediglich die tatsächliche Be- rufsverteilung der in Frage kommenden Altersgruppen widerspiegelte. Von einer überdurchschnittlichen Gefährdung der Frauen dieser Berufe könne daher keine Rede sein. 122 Die Berufsangaben des Breitenauer Frauenaufnahmebuchs sind im Zu- sammenhang dieser Kontroverse wenig ergiebig. Bei wiederholten Ein- weisungen derselben Frau wechseln die im Frauenaufnahmebuch verzeichneten Berufsangaben recht häufig, weil es letztendlich dem Breitenauer Büropersonal überlassen blieb, ob eine eingelieferte Prostituierte als 'liederliche Dime', 'Ehefrau' oder' Arbeiterin' in die Bücher eingetragen wurde. 67,9 Prozent der Berufsangaben der in den Jahren 1902 bis 1918 eingewiesenen Prostituierten lauten 'liederliche Dime', 'Dime' oder 'Prostituierte'. 'Ehefrau' wird in 7,3 Prozent der Eintragungen genannt. Häufigste Berufsbezeichnung, die auf eine frühere Berufstätigkeit schließen läßt, ist mit 14,7 Prozent' Dienstmagd' bzw. , Dienstmädchen'. 'Arbeiterin' bzw. "Fabrikarbeiterin' wird bei 8,3 Prozent der Frauen genannt; 'Schneiderin' und 'Waschfrau' taucht je einmal als Be- rufsangabe auf. Die konkrete Bezeichnung für eine Prostituierte lautet im Frauenaufnahmebuch von 1875 an durchgängig 'liederliche Dime'. 1895 taucht erstmals die Bezeichnung 'Prostituierte' auf. Bis 1918 wechselt dann die Bezeichnung zwischen 'Prostituierte' und 'Dime'. Bei 105 von Amtsgerichten des Regierungsbezirks Kassel von 1902 bis 1918 wegen Prostitution nach Breitenau eingewiesenen Frauen konnte der Geburtsort festgestellt werden. Immerhin 62 Frauen (= 59,0 %) waren im Re- gierungsbezirk Kassel geboren, 15 von ihnen in der Stadt Kassel. Nur 41 Frauen stammten aus den übrigen Gebieten des Deutschen Reichs. Zwei Frauen waren in Österreich geboren. 123 Die Karte zeigt, daß die Geburtsorte sich 1907, S. 96-99; vgl. Hans Haustein, Die Prostitutionsfrage als sozialökonomisches Problem, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 1 (1925/26), S. 308. 121 Vgl. Regina Schulte, 1979, S. 69-88. 122 Vgl. Karin Walser, 1985, S. 99-111; vgl. Sybille Leitner, 1988, S. 161. 123 Bei wiederholter Aufnahme wurde nur die Angabe der ersten Aufnahme berücksichtigt. Es waren geboren in den Verwaltungsbezirken Marienwerder 1, Frankfurt/Oder I, Posen I, Merseburg 1, Erfurt 5, Hildesheim 3, Minden I, Amsberg I, Kassel 62, Wiesbaden 3, Koblenz 1, Unterfranken 2, Leipzig I, Schwanwaldkreis I, lagstkreis 1, Starkenburg 2, Oberhessen 3, Mecklenburg-Schwerin 1, Sachsen-Weimar 4, Sachsen-Koburg-Gotha 2, Waldeck I, Schaumburg- Lippe I, Bremen 1, Hamburg 1, Unterelsaß 2, in Österreich 2 Personen. 132 deutlich um den in der Mitte der Karte eingezeichneten Regierungsbezirk Kassel gruppieren. Bei den wegen Prostitution nach Breitenau eingelieferten Frauen handelte es sich mehrheitlich offensichtlich nicht um völlig entwurzelte Frauen. Auffällig ist, daß die Mobilität der nach Breitenau eingewiesenen Zu- hälter geringerwar als die der Prostituierten. Geburtsorte der zwischen 1902 und 1918 im Regierungsbezirk Kassel wegen Prostitution ins Arbeitshaus Breitenau eingewiesenen Frauen: ~' 31 1 112 5fb,1I3 2 Eine im Jahre 1900 im Zusammenhang mit der lex Heinze verabschiedete Novelle des § 362 StGB bestimmte, daß die Landespolizeibehörden bei Pro- stituierten anstelle von Arbeitshausunterbringung auch Zwangseinweisung in Besserungs- und Erziehungsanstalten verhängen konnten. Als Besserungsan- 133 stalten kamen neben den "Magdalenen-Asylen" insbesondere die Klöster "Zum guten Hirten" in Frage, die 1918 immerhin etwa viertausend Plätze für "ge- fallene Mädchen" boten. Genutzt werden konnten aber auch die vielen Heime privater und kirchlicher Wohlfahrtsorganisationen, wie die des Katholischen Fürsorgevereins, der in den dreißiger Jahren gut einhundert Heime mit etwa sechstausend Plätzen betrieb. 124 Eine Heimunterbringung auf der Grundlage des § 362 StGB durfte, wie die eigentliche Arbeitshausunterbringung, zwei Jahre nicht überschreiten. Die Unterbringungszeit wurde jedoch von den Lan- despolizeibehörden in der Regel für einen längeren Zeitraum angesetzt als eine ursprünglich vorgesehene Arbeitshaushaft. So hatte das Regierungspräsidium Wiesbaden 1923 eine zwanzigjährige Prostituierte ursprünglich für sechs Monate nach Breitenau eingewiesen, die Arbeitshaushaft dann aber zugunsten einer einjährigen Unterbringung in einer Erziehungsanstalt ausgesetzt. 125 Die Herausnahme von als noch rettbar eingeschätzten jungen Prostituierten aus den Arbeitsanstalten und deren Einweisung in Fürsorgeanstalten dokumen- tiert, daß um die Jahrhundertwende sowohl Gesetzgeber wie Fürsorgeexperten vom Besserungsgedanken der Arbeitshäuser nicht mehr vollkommen überzeugt waren. Nach jahrzehntelangem Kampf der Abolitionistischen Bewegungl-" und lan- gem parlamentarischem Tauziehen wurde 1927 die Prostitution weitgehend le- galisiert.F? Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. Februar 1927 galt allgemein als Kompromiß zwischen völliger Freigabe und 124 Vgl. Ellen Scheuner, 1930, S. 157-158; vgl. Paul Kampffmeyer, 1905, S. 111-114; vgl. H. Stursberg, 1886, S. 82-92. 125 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9749, S. 3-4; Nr. 118, S. 168. 126 Vgl. Veritas (d.i, Irma v . Troll-Borostyäni), Die Prostitution vor dem Gesetz. Ein Appell an's deutsche Volk und seine Vertreter, Leipzig 1893; vgl. Alfred Blaschko, 1902; vgl. Katharina Scheven, Die Übel der Reglementierung der Prostitution, Dresden 31903 (= Abolitionistische Flugschriften, Heft 2); Anna Pappritz, 1907, S. 46; zu Differenzen zwischen Abolitionisten und Sozialdemokratie vgl. Paul Kampffmeyer, 1905, S. 71; vgl. Max Quarck, Gegen Prostitution und Geschlechtskrankheiten, Berlin 1921; vgl. Mechthild Deutelmoser/ Birgit Ebert, "Leichte Mädchen", hohe Herren und energische Frauen. Die Hambuger Frauenbewegung im Kampf gegen Prostitution und Doppelmoral 1896-1906, in: Jörg Berlin (Hrsg.), Das andere Hamburg, Köln 1981, S. 140-161; vgl. Florian Tennstedt, 1979, S. 646-655. 127 RGBl., 1927, Teil I, S. 61; vgl. Anna Papp ritz, Die Reglementierung, eine vergangene Form der Prostitutionsbekämpfung. in: Freie Wohlfahrtspflege 2 (1927), S. 204-213; vgl. Eva Lewin, 1925, S. 80 ff; vgl. Max Quarck, Gegen Prostitution und Geschlechtskrankhei- ten. Zur Durchfiihrung des Gesetzes vom 18. Februar 1927, Kiel 0.1.; vgl. Max Hagemann, Prostitution, in: Alexander Elster/ Heinrich Lingemann (Hrsg.), Hand- wörterbuch der Kriminologie, Berlin/ Leipzig 1936, S. 414-419. 134 der längst gescheiterten straffen Reglementierung der Prostitution. 128 Die Auf- sicht über die Prostituierten wurde von der Sittenpolizei auf die kommunalen Gesundheitsämter übertragen. Medizinische und fürsorgerische Prophylaxe sollte die polizeiliche Repression ersetzen. 129 Die Reglementierung und polizeiliche Erfassung in Dimenlisten fiel vollständig weg. Damit wurde ins- besondere die Situation der vielen heimlichen Prostituierten und der Gelegenheitsprostituierten verbessert. 130 Nach § 361 Nr. 6 StGB strafbar war jetzt nur noch Prostitution an bestimmten Orten, oder falls Frauen sich in Sitte und Anstand verletzender Weise öffentlich prostituierten.131 Die Möglichkeit einer Arbeitshausunterbringung in Anschluß an eine Verurteilung wegen Pro- stitution blieb unverändert bestehen. Da jedoch nach dem neugefaßten § 361 Nr. 6 8tGB nur noch sehr eingeschränkt abgeurteilt werden konnte, war ab 1927 strafrechtliche Arbeitshausunterbringung aufgrund des Prostitutions- vorwurfs faktisch abgeschafft. Von 1927 bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten weist der Breitenauer Aktenbestand nur eine Einweisung wegen Prostitution nach. Aufgrund einer erneuten Verschärfung der Strafbarkeit der Prostitution im Jahre 1933 erlebten die Einweisungen von Prostituierten mit bis 1938 insgesamt 35 Einlieferungen wieder einen gewissen Aufschwung, ohne daß jedoch die Einweisungsziffern des Kaiserreichs erreicht wurden. 132 Elisabeth D. Zwei Drittel der nach Breitenau eingelieferten Prostituierten kam zum ersten oder zweiten Mal in ein Arbeitshaus. Häufigere Einlieferungen waren bei den Prostituierten weit seltener als bei den wohnungslosen Männem. 128 Das Scheitern der Reglementierung ist hervorragend geschildert bei A. Blaschko, Prosti- tution, in: A. Grotjahnl J. Kaup (Hrsg.), Handwörterbuch der sozialen Hygiene, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 184-189; vgl. Hans v. Pezold, Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten als Komprorniß, in: Archiv für soziale Hygiene und Demographie 2 NF (1926/27), S. 468; vgl. Richard J. Evans, Prostitution, State and Society in Imperial Gennany, 1976, S. 112-115; vgl. Abraham Flexner, 1921, S. 275-296. 129 Vgl.Christoph Sachßel Florian Tennstedt, 1988, S. 31. 130 Vgl. Gaby Zürn, 1986, S. 132. 131 Vgl. Kurt Wespe, Die rechtliche Regelung der Prostitution, Diss. Hamburg 1930; vgl. Leopo1d Schäfer, Prostitution und Rechtsprechung, Berlin 1933. 132 Diese Verschärfung wurde vom Reichsministerium des Innem bereits in den letzten Jahren der Weimarer Republik betrieben, siehe ZStA Potsdam, Bestand 15.01, Nr. 27217/8, S. 93; Gesetzzur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften. Vom 26.Mai 1933, RGBl., 1933, Teil I, S. 297; vgl. Max Hagemann, 1936, S. 418 t. 135 Die Kasseler Prostituierte Elisabeth D. bildete eher eine Ausnahme. Sie er- lebte in einem Zeitraum von drei Jahrzehnten sechs Einweisungen nach Breitenau.P'' Elisabeth D. war gerade zwanzig Jahre alt, als 1895 ein Kasseler Amtsrichter gegen sie die erste Überweisung an die Landespolizeibehörde verfügte, die ihrerseits die in Breitenau zu verbüßende Arbeitshaushaft auf sechs Monate festlegte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die junge Frau bereits zwölf Vorstrafen, davon zehn wegen "Gewerbsunzucht", weshalb die Breitenauer Bürobeamten in Akten und Aufnahmebüchern "liederliche Dime" als Berufsbezeichnung einsetzten. Die Breitenauer Aufseherinnen hatten mit Elisabeth D. ihre liebe Not. Wäh- rend ihres ersten Aufenthalts erhielt die Zwanzigjährige immerhin 16 Dis- ziplinarstrafen, mit insgesamt 32 Tagen Arrest, unter anderem wegen "frechen Widerspruchs", lautem Sprechen im Schlafsaal und zu geringer Arbeitsleistung. Die Direktion beantragte deswegen beim Regierungspräsidenten Haftver- längerung. Die Begründung: "Die Hausordnung hat sie wiederholt nicht be- folgt, an Reinlichkeit war sie nicht zu gewöhnen und bei der Arbeit zeigt sie eine ebenso große Faulheit und Gleichgültigkeit als sie bei allen anderen Ge- legenheiten sich nur in frechen Redensarten bewegt. Zur Erreichung des Correctionszwecks ist jedenfalls eine wesentliche Nachhaftverlängerung nötig". Die Verlängerung betrug zwölf Monate, das Doppelte der ursprünglichen Strafe. Auch während der Haftverlängerung verstieß Elisabeth D. wiederholt gegen die Hausordnung, so daß eine zweite Verlängerung von nunmehr sechs Monaten verhängt wurde. Eine nochmalige Verlängerung war nicht mehr mög- lich, weil die gesetzliche Höchststrafe von vierundzwanzig Monaten erreicht worden war. Nach zweijähriger Haft wurde Elisabeth D. mit 13,59 Mark Entlassungsgeld freigelassen, nachdem sie zuvor wie jede zur Entlassung an- stehende Korrigendin schriftlich ermahnt wurde, "sich in Zukunft eines recht- schaffenen Wandels zu befleißigen". Schon zwei Jahre später wurde sie wieder nach Breitenau eingeliefert. Die inzwischen 24jährige konnte jetzt schon eine Vorstrafenliste mit 32 Ein- tragungen, davon 27 wegen Prostitution vorweisen. Während der auf zwölf Monate angesetzten Arbeitshaushaft wurde sie wegen "Zankerei" mit ihren weiblichen Mitgefangenen und - was schwerer wog - wegen verbotener Kontaktaufnahme mit männlichen Gefangenen bestraft. Um die Höchststrafe von vierundzwanzig Monaten nicht allzu schnell auszuschöpfen, ging der Re- gierungspräsident diesmal bei den Haftverlängerungen behutsamer vor. Zwei- 133 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 3984. 136 mal verlängerte man die Haft um je vier Monate, dann um drei und schließlich verlängerte man die Haftzeit auch noch um den letzten gesetzlich möglichen vierundzwanzigsten Monat. Elisabeth D. war nur sechs Monate in Freiheit bis sie zum dritten Mal, diesmal zunächst für achtzehn Monate nach Breitenau eingeliefert wurde. Auch diesmal erhielt sie wegen schlechter Führung fünf Monate Verlängerung. Bis zur vierten Breitenauer Einweisung vergingen über neun Jahre, von denen sie allerdings zwei Jahre im hannoverischen Arbeitshaus Himmelstür verbringen mußte. Die vierte Einweisung lautete 1912 auf einundzwanzig Monate, die fünfte 1923 auf fünfzehn Monate. Im Aufnahmebogen dieser fünften Ein- weisung schrieb der Anstaltspfarrer: "Will sich endlich bessern", setzte aber, da er wohl selbst nicht so recht an diese Beteuerung glauben wollte, ein Frage- zeichen hinter diese Äußerung. Während der vierten und fünften Einweisung hatte Elisabeth D. keine Disziplinarstrafen mehr erhalten. Im Entlassungsbe- richt des fünften Breitenauer Aufenthalts wird Führung und Fleiß sogar als "gut" bezeichnet. 1925 wurde Elisabeth D., die inzwischen 144 Vorstrafen erhalten hatte, zum sechsten und letzten Mal wegen unerlaubter Prostitution nach Breitenau ein- geliefert. Als man sie im Sommer 1926 entließ, hatte die inzwischen 51jährige seit 1895 insgesamt zwölf Jahre und fünf Monate in Arbeitshäusern zugebracht, außerdem wegen verschiedener Delikte noch fast zweieinhalb Jahre in Gefängnissen. Die etwa 130 kurzen Haftstrafen wegen Prostitution sind hierbei nicht berücksichtigt. Imbei ihrer letzten Entlassung angefertigten Führungsbericht schrieb die Di- rektion an den Polizeipräsidenten in Kassel: "Führung: gut. Während ihrer 1. und 2. Unterbringung in der hiesigen Anstalt wurde die Nachhaft wegen tadel- hafter Führung wiederholt verlängert. " Daß die erste Einweisung 31 Jahre und diezweite 25 Jahre zurücklag, vergaß die Anstaltsleitung hinzuzufügen. Wohnungslose Frauen Innerhalb der ohnehin kleinen Breitenauer Frauenabteilung bildeten die mit dem Vorwurf Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit eingewiesenen Frauen nur eine kleine Minderheit. Von 535 in den Jahren 1896 bis 1915 ein- gewiesenen Frauen wurden nur 65 (= 12,1 %) wegen dieser Delikte nach 137 Breitenau gebracht. Das Breitenauer Frauenaufnahmebuch gibt für die Jahre 1902 bis 1918 bei 37 Aufnahmen Bettelei, Landstreicherei oder Ob- dachlosigkeit als Einweisungsgrund an. 134 Die Frauen waren bei der Aufnahme in die Anstalt durchschnittlich 43 Jahre alt. bis 20 Jahre 20 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 59 Jahre 60 bis 69 Jahre nicht ermittelt 2 4 6 10 6 5 4 6,1 % 12,1 % 18,2 % 30,3 % 18,2 % 15,2 % Die Zahl der Vorstrafen war mit durchschnittlich elf Strafen vergleichsweise gering. Zwei Frauen hatten überhaupt keine Vorstrafen; 21 Frauen zwischen einer und zehn Vorstrafen. 18 Frauen, also fast die Hälfte, kam zum ersten Mal in eine Arbeitsanstalt. Bei acht Frauen war es die zweite, bei fünf die dritte Einweisung. Die Bettlerinnen machten der Breitenauer Direktion vergleichsweise geringe Disziplinschwierigkeiten. Nur bei sechs der siebenunddreißig Einweisungsfälle (= 16,2 %) mußte die Arbeitshaushaft wegen schlechter Führung verlängert werden. Die Verlängerungsquote lag damit deutlich unter der von inhaftierten Prostituierten des hier untersuchten Zeitraums, bei denen in 26,4 Prozent der Einweisungsfälle eine Verlängerung ausgesprochen wurde. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitshaushaft lag bei den dreiunddreißig regulär Entlassenen bei 13,3 Monaten und war damit gut einen Monat länger als bei den Prostituierten. bis 6 Monate 7 bis 12 Monate 13 bis 18 Monate 19 bis 24 Monate 12 5 6 10 36,4 % 15,2 % 18,2 % 30,3 % 134 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 21; die folgenden Angaben beziehen sich auf dieses Sampie (37 Fälle). Für die Auswertung von Berufsangabe, Schulbildung, Ehestand und Kinderzahl wurden bei wiederholter Einweisung derselben Frau nur die Angaben der ersten Ein- weisung berücksichtigt (29 Fälle). 138 Bei 28 wegen Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit in den Jahren 1902 bis 1918 von Gerichten des Regierungsbezirks Kassel verurteilten und nach Breitenau eingewiesenen Frauen ließ sich der Geburtsort feststellen. 16 von ihnen waren im Regierungsbezirk Kassel geboren. Nur 12 Frauen stamm- ten aus anderen Gebieten des Deutschen Reichs. 135 Während bei den in Brei- lenau inhaftierten wohnungslosen Männern nur jeder fünfte aus dem Re- gierungsbezirk Kassel stammte, war mehr als die Hälfte der wohnungslosen Frauen in dem Regierungsbezirk geboren, in dem sie verhaftet wurden. Geburtsorte der im Regierungsbezirk Kassel zwischen 1902 und 1918 wegen Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit in das Arbeitshaus Breitenau eingewiesenen Frauen: A?') 45~2 135 Beiwiederholter Aufnahme wurde nur die Angabe der ersten Aufnahme berücksichtigt, Es warengeboren im Verwaltungsbezirk Gumbinnen I, Hildesheim I, Kassel 16, Oberbayern 1, Mittelfranken I, Dresden I, Oberhessen I, Rheinhessen 2, Sachsen-Weimar I, Braun- schweig I, Sachsen-Koburg-Gotha 1 Person. 139 Die häufigste Berufsangabe der wohnungslosen Frauen ist in acht Fällen , Arbeiterin', dreimal wurde "Händlerin' bzw. "Hausiererin• angegeben, zwei- mal 'Dienstmagd', viermal "Tagelöhnerin' , viermal wurde als Berufs- bezeichnung 'Ehefrau' angegeben, zweimal 'Prostituierte' und einmal 'ohne Gewerbe'. Bei fünf Frauen gibt das Frauenaufnahmebuch 'Zigeunerin' als Berufsbezeichnung an. Dies ist im übrigen einer der wenigen Hinweise des ge- samten Breitenauer Aktenbestandes auf eine Zugehörigkeit von Insassen zu den Volksgruppen der Sinti und Roma. Bei keiner Breitenauer Insassengruppe fielen die Angaben über die Schul- bildung so dürftig aus, wie bei den wohnungslosen Frauen. "Lesen, schreiben, rechnen" konnten sieben Frauen, "lesen und schreiben" dreizehn Frauen, nur "kann lesen" ist bei einer Korrigendin vermerkt. Bei immerhin acht der neunundzwanzig Frauen ist kein Eintrag über Lese- und Schreibfertigkeiten zu finden. Nur zehn der wegen Betteleidelikten eingewiesenen Frauen waren ledig geblieben; ebenfalls zehn waren verheiratet, während neun geschieden oder verwitwet waren. Zehn der neunundzwanzig Frauen waren kinderlos geblieben. Auch von 1919 bis 1945 findet sich nur in 15 von 109 erhaltenen Fallakten eingewiesener Frauen die Begründung Bettelei oder Landstreicherei. Von den fünfzehn Frauen zogen fünf mit einem Mann bzw. als Angehörige von Sinti- und Romafamilien umher. Bei zwei Frauen handelte es sich um wohnungslose Prostituierte, die von den Richtern nur über die Hilfsbegründung "Land- streicherei" verurteilt werden konnten. Nur vier der fünfzehn Frauen zogen nach Auskunft der Akten als alleinstehende wohnungslose Frauen umher. Elf der fünfzehn Frauen wurden zum ersten Mal ins Arbeitshaus eingewiesen. Zwischen 1896 und 1915 wurden 2 005 Männer, jedoch nur 65 Frauen we- gen Bettelei, Landstreicherei oder Obdachlosigkeit nach Breitenau eingelie- fert. 136 Im Breitenauer Arbeitshaus kam im genannten Zeitraum auf einund- dreißig männliche Wohnungslose nur eine wohnungslose Frau. Der Frauenanteil der Wohnungslosen im Kaiserreich war gering, es werden durchweg Prozentziffern von unter zehn Prozent genannt. Victor Böhmert er- mittelte bei den in den Jahren 1880 bis 1887 in Sachsen wegen Bettelei oder Landstreicherei bestraften Personen einen Frauenanteil zwischen 4,5 und 6,6 Prozent. 137 Vermutlich trat Obdachlosigkeit in geschlechtsspezifischen Erschei- 136 Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innern gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse, 1896-1915. 137 Vgl. Victor Böhmert, 1888, S. 18; vgl. Georg Steigertahl, 1926, S. 21; zu wohnungslosen Frauen vgl. Hans Ostwald. Wandernde Frauen, in: Frankfurter Zeitung, 30.12.1927; vgl. 140 nungsformen auf. Während Männer vor Einführung der Arbeitslosenver- sicherung bei Arbeitslosigkeit, materieller Not und Obdachlosigkeit fast zwangsläufig zu Vagabunden wurden, blieb für Frauen in derselben Lebenssituation noch Prostitution als Überlebensforrn. 138 Als alleinige Er- klärung reicht dies sicher nicht aus. Wichtiger erscheint, daß Frauen von vomeherein seltener in die kritischen Lebenssituationen gerieten, in denen Männer obdachlos wurden. Der weitgehende Ausschluß der Frauen aus dem öffentlichen Leben, ihre traditionelle Bindung an Heim und Herd, ihre gerin- gere Mobilität und ihre niedrigere Delinquenz bildeten einen gewissen Schutz vorKrisensituationen, die in sozialer Entwurzelung enden konnten. 139 Landarme Wie die meisten preußischen Arbeitshäuser diente die Breitenauer Anstalt nicht nur zur strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung, sondern fungierte zugleich als Landarmenanstalt. Eine gesetzliche Verpflichtung, beide Anstalts- typen zusammenzulegen, existierte nicht. Es waren reine "Zweckmäßigkeits- Rücksichten" , wie es im Breitenauer Bauprogramm hieß.140 Die Vereinigung der Landarmenhäuser mit den ebenfalls von den Landarmenverbänden be- triebenen Korrektionsanstalten diskriminierte die Landarmen zudem in der Öf- fentlichkeit als Arbeitsscheue. Die geschlossene Landarmenunterbringung er- hielt dadurch unverblümten Strafcharakter, der durch die Tatsache verstärkt wurde, daß nicht alle Landarrnen in die geschlossenen Landarmenanstalten ein- gewiesen wurden. Aus dem Regierungsbezirk Kassel wurde 1887 berichtet, daß in die Landarmenanstalt Breitenau "nur bescholtene oder der Arbeitsscheu ver- A.Schneble, Momente aus dem weiblichen Vagantenleben, in: Freiburger Tagespost, 7.2.1929; vgl. A. Fuchs, Frauen auf der Landstraße, in: Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.), Frauenarbeit und Beruf, Frankfurt!M. 1979, S. 103-106. 138 Kritisch zu diesem Ansatz Wolfgang lohn, 1988, S. 43. 139 Vgl. Thomas Meier/ Rolf Wolfensberger, Nichtsesshaftigkeit und geschlechtsspezifische Ausprägungen von Annut, in: Anne-Lise Head/ Brigitte Schnegg (Hrsg.), Annut in der Schweiz (17.-20. Jh.), Zürich 1989, S. 33-42. 140 Verhandlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Unteranlage I, Sp. 14. 141 dächtige" Personen, sowie Menschen mit "übertriebenen Ansprüchen an die öf- fentliche Armenpflege" geschickt wurden. 141 Eine Unterbringung im Landarmenhaus dauerte definitionsgemäß nur so lange, wie öffentliche Armenunterstützung in Anspruch genommen wurde. Im Gegensatz zu den Korrigenden waren die Landarmen formal freiwillig in der Anstalt, da sie auf die Gewährung von Fürsorge verzichten konnten und da- durch die Rechtsgrundlage der Unterbringung wegfiel. I42 "Zur Aufnahme in das Landarmenhaus sind diejenigen Landarmen und Ortsarmen befähigt, hin- sichtlich derer es für geeignet erachtet wird, die öffentliche Unterstützung, so lange dieselbe in Anspruch genommen wird, mitte1st Unterbringung in einem Armenhause ... zu gewähren", hieß es im Regulativ für das Breitenauer Land- armenhaus von 1877 .143 Die Landarmen spielten in der Breitenauer Anstalt nur eine untergeordnete Rolle. Bis 1919 waren gewöhnlich nur zwanzig bis dreißig männliche und, strikt von ihnen getrennt, fünf bis zehn weibliche Insassen in der Land- armenabteilung untergebracht. Die Aufnahmebücher für Landarme verzeichnen bis zum Ende des Kaiserreichs insgesamt 525 Aufnahmen von Männern und 110 Aufnahmen von Frauen. In geringer Zahl brachte man in Breitenau auch Ortsarme unter, wobei "ortsarm' in diesem Zusammenhang nicht bedeutete, daß diese Personen aus der näheren Umgebung der Anstalt stammten, sondern daß sie einen Unter- stützungswohnsitz nachweisen konnten und vom zuständigen Ortsarmenverband gegen Bezahlung eines Tagespflegesatzes eingewiesen worden waren. 144 Als Ortsarme nahm die Anstalt von 1877 bis 1919 nur 83 Personen auf, die in Breitenau in jeder Beziehung wie die Landarmen behandelt wurden. 145 141 Dehn-Rothfelser, Provinz Hessen-Nassau, in: F. Frhr. von Reitzenstein (Hrsg.), Die länd- liche Armenpflege und ihre Reform, Freiburg i.B. 1887, S. 111. 142 Vgl. von Jarotzky, 1913, S. 31-33. 143 Regulativ über die innere Einrichtung und Verwaltung des communalständischen Land- armenhauses zu Breitenau, in: Verhandlungen des Comrnunal-Landtags für den Regie- rungsbezirk Kassel, 1877, Anlage 6, § 4. 144 Im Jahre 1888 60 Pf für Gesunde und 80 Pf für Kranke, Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 28, S. 12. 145 Aufnahme-Buch für Landarme Männer 1877-1919, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 27; Aufnahme-Buch Landarme Weiber 1877-1919, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 28; Auf- nahme-Buch für Orts-Arme 1877-1919, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 26. 142 Die unmittelbare Verwaltung des Landarmenhauses war mit der Verwaltung der Korrektionanstalt identisch. 146 Hinsichtlich Trägerschaft, Dienstaufsicht, Haushaltsplan, Leitung, Personal, dem Guts- und Arbeitsbetrieb und der Ver- pflegung der Insassen haben wir zweifellos eine gemeinsame Anstalt vor uns. Trotzdem betonte die Verwaltung, vor allem in der Darstellung der Anstalt nach außen, den Charakter der Doppelanstalt und unterschied formal zwischen Korrigenden und Landarmen. Die Bezirkskommunalverwaltung erließ für die Korrektionsanstalt und die Landarmenanstalt jeweils getrennte Regulative und Hausordnungen. Die Anstaltskleidung der Landarmen unterschied sich in Farbe und Schnitt von der Uniform der Korrigenden. In Breitenau trugen die Korri- genden graue, die Landarmen dagegen blaue Anstaltskleidung.H? Man brachte zumindest die männlichen Korrigenden und Landarmen so gut es ging in ge- trennten Gebäuden unter. Reglements und Hausordnungen bestimmten sogar eine in der Praxis nicht durchgeführte vollkommene Trennung der Landarmen von den Korrigenden. Die Hausordnung für das Landarmenhaus von 1877 ver- bot den Landarmen, überhaupt mit den Korrigenden zu sprechen. 148 Im Anstaltsalltag sind solche Bestimmungen dann aber eher pragmatisch gehand- habt worden. Zumindest für den Arbeitsbetrieb läßt sich eine strenge Gruppen- trennung nicht mehr nachweisen. Das Regulativ für das Landarmenhaus von 1877 wies die Aufseher an, die Landarmen "unbeschadet des zur Erhaltung ihres amtlichen Ansehens erforderlichen Ernstes mit Freundlichkeit und Milde zu behandeln". Die Beamten sollten beachten, daß die Aufnahme der Land- armen keine Strafe darstellte. Den Armenunterstützungsempfängern solle ein Asyl geboten werden "in welchem sie bei Fleiß und Arbeitsamkeit, gesittetem Betragen und bescheidener Führung befriedigende Lebensbedingungen zu fin- den, erwarten dürfen" .149 Trotz dieser Bestimmungen unterschied sich der An- staltsalltag der Landarmen kaum von dem der Korrigenden. Sie mußten Anstaltskleidung tragen, erhielten dieselbe Verpflegung wie die Korrigenden und wurden in einem Massenschlafsaal untergebracht. Nicht einmal Kranke und Sterbende konnten in ein besonderes Zimmer gelegt werden. 150 Noch 1914 146 Regulativ über die innere Einrichtung und Verwaltung des communalständischen Land- armenhauses zu Breitenau, 1877, § 3. 147 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 188, S. 14 RS. 148 Hausordnung für das Landarmenhaus zu Breitenau, in: Verhandlungen des Communal- Lsndtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1879, Anlage 3, Unteranlage 59, Sp. 25. 149 Ebenda, S. 12. 150 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 112, Bd. I, S. 75. 143 wurde bei einer allgemeinen Revision der Anstalt moniert, daß das Landarmen- haus einen "ziemlich öden Eindruck" mache. 151 Die Landarmen genossen allerdings einige symbolische Privilegien gegen- über den Korrigenden. Sie mußten von den Aufsehern mit 'Ihr' angesprochen werden, während bei den Korrigenden bis 1912 das degradierende 'du' erlaubt war. 152 Die auf fiirsorgerechtlicher Grundlage Untergebrachten waren außer- dem von der bei männlichen Korrigenden vorgeschriebenen "Beschneidung des Haupthaares und Abnahme des Bartes" ausgenommen. Den Landarmen war ge- stattet, an Sonn- und Feiertagen unbeaufsichtigt Spaziergänge "im viertel- meiligen Umkreis" der Anstalt zu unternehmen, wofür spezielle Erlaubnis- karten ausgegeben wurden, mit denen die Anstaltspforte passiert werden durfte. Bei diesen Sonntagsspaziergängen war "jedes Ansprechen der Mildthätigkeit und jeder Besuch von Wirtshäusern, Bier- oder Brantweinschenken" streng ver- boten. 153 Trotz dieses Verbots wurde es für die Anstaltsleitung zum ärgerlichen Dauerproblem, daß die Landarmen von ihren Ausflügen regelmäßig völlig betrunken zurückkehrten, weil sie sich Geld für Alkoholika zu- sammengebettelt oder Anstaltsbrot gegen Schnaps eingetauscht hatten. 154 Infolge eines Beschlusses des Kommunallandtags konnte ab 1899 auch gegen Landarme Arrest als Disziplinarstrafe verhängt werden, während zuvor allenfalls Essensentzug möglich war. 155 Der Versuch Arreststrafen für Landarme einzuführen, scheiterte 1889 zunächst am Einspruch des Oberpräsidenten.P'' Der Kommunallandtag unterlief diesen Einspruch, indem man den trotzdem eingeführten Arrest verschämt "Absonderung" nannte. Um den angeblichen Unterschied zum gegen Korrigenden verhängten Arrest deutlich zu machen, blieb eine zuvor für Korrigenden genutzte Arrestzelle aus- schließlich für diese"Absonderung" vorbehalten. 157 Die"Absonderung" von Landarmen konnte bis zu vierzehn Tagen dauern, das Essen konnte dabei auf 151 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 58; Nr. I, S. 4 RS, Nr. 188,S. 144. 152 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10411, 20.1.12,10.2.12. 153 Hausordnung für das Landarmenhaus zu Breitenau, in: Verhandlungen des Communal- Landtags fiir den Regierungsbezirk Kassel, 1879, Anlage 3, Unteranlage 59, Sp. 23. 154 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10412, S. 74; Nr. 9536, S. 9. 155 Verhandlungen des Kommunal-Landtags fiir den Regierungsbezirk Cassel, 1890, Bd. I, Sp. 50; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 64, S. 25; Verhandlungen des Kommunal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1899, Sp. 50. 156 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10412, S. 60. 157 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10412, S. 66. 144 drei Viertel der üblichen Menge begrenzt werden. Direktor Schmidt berichtete im Jahresbericht 1899, er sei dadurch in den Lage, "die widerspenstigen und aufreizenden Elemente" unter den Landarmen zur Raison zu bringen. ISS Auch die Landarmen unterlagen in Breitenau striktem Arbeitszwang, der sich aus der allgemeinen Arbeitspflicht von Fürsorgeempfängern ergab. Ar- beitsverweigerung von Fürsorgeempfängern konnte aufgrund von § 361 NT. 7 StGB mit Haft und Arbeitshauseinweisung strafrechtlich verfolgt werden. Die oft arbeitsbeschränkten Landarmen beschäftigte man in Breitenau zumeist mit häuslichen Arbeiten wie Kartoffelschälen und Gemüseputzen. "Die Leistungs- fähigkeit derselben ist gleich null", schrieb Direktor Nettelbeck im Jahres- bericht 1877.159 Mitunter erhielten Landarme Vertrauensposten im Anstaltsbetrieb. So wurde 1880 ein einarmiger Landarmer zur Aufsicht im Viehstall eingesetzt, um die dort beschäftigten Korrigenden bei der Arbeit einzuweisen. Ebenfalls in den achtziger Jahren versahen Landarme den Pfortendienst der Anstalt. 160 Eingewiesene Landarme konnten, bei Verzicht auf jede weitere Armen- unterstützung, jederzeit ihre Entlassung verlangen.J''! 1877 beantragte bereits im ersten Monat nach Eröffnung des Landarmenhauses ein 56jähriger Metall- dreher nach nur sieben Unterbringungstagen seine Freilassung. "Wenn er ar- beiten solle", zitierte ihn die Direktion im Jahresbericht, "bliebe er nicht in der Anstalt, dann könne er sich auch noch außerhalb seinen Unterhalt er- werben" ,162 1mJahre 1879 beantragten vier von vierzehn eingewiesenen Land- armen ihreunverzügliche Entlassung, 1m Jahresbericht 1879 charakterisierte sie Direktor Nettelbeck: 'I. Johannes F., 30 Jahre alt, war sehr gut im Stande sich seinen Unterhalt zu erwerben, 2. Johannes L., 60 Jahre alt, ein herumziehender Uhrmacher, wurde kurze Zeit nach der Entlassung als Corrigend eingeliefert, er hätte sich seinen 158 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 64, S. 25; im Landarmenhaus Himmelstür konnten härtere Strafen verhängt werden, vgl. OUo Mönkernöller, 1908, S. 228. 159 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 59; Nr. 64, S. 132 RS, S. 258 RS. 160 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 115, S. ISO RS. 161 Vgl. dazu das Formular in Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8479, S. 29; Nr. 8686, S. I. 162 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 57. 145 Unterhalt erwerben können, aber der Hang zum Herumziehen ist zu vorherrschend bei ihm. 3. Conrad M., 58 Jahre alt, machte allerlei Versprechungen vom Unter- kommen pp. wurde aber bald wiedergebracht, ein ebenso fauler als auch lügenhafter Mensch. 4. Elisabeth H., 52 Jahre alt, war ein vollständig gesundes Frauenzimmer, die sich ihren Lebensunterhalt selbst erwerben konnte, gab selbst an, daß sie in Folge des Brandweintrinkens so heruntergekommen sei, daß sie die Unterstützung aufgesucht habe, es wäre ihr aber klar geworden, daß sie ohne Brandweintrinken recht gut arbeiten könne." 163 Eine rechtlich fragwürdige Ausnahme vom Prinzip der formal freiwilligen Arbeitshausunterbringung von Unterstützungsempfängern bildeten unter- haltspflichtige Personen, deren Angehörige Armenunterstützung erhielten. Diese Personen wurden vereinzelt auch gegen ihren Willen in der geschlosse- nen Armenpflege festgehalten. So lehnte der Landesdirektor im Jahre 1884 ein Entlassungsgesuch eines auf Kosten des Ortsarmenverbandes Hanau un- tergebrachten 69jährigen Tagelöhners ab, weil eines seiner Kinder Armen- unterstützung erhielt. 164 Der Tagelöhner blieb bis zu seinem Tod im Sommer 1885 in der Breitenauer Landarmenabteilung. Landarme Männer Die 514 in den Aufnahmebüchern verzeichneten Aufnahmen landarmer Männer zwischen 1877 und 1919 bezogen sich aufgrund wiederholter Auf- nahmen auf nur 362 verschiedene Personen. Hinsichtlich der Aufenthaltsdauer lassen sich drei Grundmuster unterscheiden: Einmalige Aufnahme mit Entlassung innerhalb weniger Monate. 103 der 362 im Kaiserreich aufgenommenen landarmen Männer haben das Brei- tenauer Landarmenhaus innerhalb von sechs Monaten wieder verlassen, ohne später erneut aufgenommen zu werden. 163 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 60, S. 95. 164 StA Marburg, Bestand 171, Nr. 253. 146 Aufenthalt bis zum Tod. 119 der nur einmal Aufgenommenen blieben bis zum Tod in der Anstalt, wobei 51 Männer sogar innerhalb Jahresfrist starben. Hierunter fielen insbesondere wegen Entlassungsunfähigkeit als Landarmeübernommene bettlägerige Korrigenden. Fünf Männer starben erst nach über zehnjährigem ununterbrochenem Aufenthalt im Land- armenhaus. Die längste Unterbringungsdauer betrug 19 Jahre. Häufiger Wechsel zwischen Freiheit und Landarmenhaus. 13 Männer wurden dreimal, 8 viermal, 4 fünfmal, 2 sechsmal und jeweils 3 sieben bzw. achtmal nach Breitenau eingewiesen. Schaubild 6 Landarmenhaus Breitenau Einweisungen von Männern 1877-1919 Zahl 30 .~-----------------------------, 25 20 15 10 I B 9 o I B 9 5 Jahr I 9 o o I 9 o 5 I 9 I o I 9 1 5 147 Der permanente Wechsel zwischen Freiheit und Landarmenhaus läßt sich bei einigen Insassen anhand der Aufnahmebücher nachzeichnen. Der bei seiner ersten Landarmenhausunterbringung 69jährige Johann M. wurde zwischen 1891 und 1898 insgesamt achtmal ins Landarmenhaus Breitenau eingeliefert. Johann M. starb 1902 fast achtzigjährig in der Anstalt. Zwischen seinen An- staltsaufenthalten befand er sich manchmal nur wenige Wochen in Freiheit. Johann M. befand sich im Landarmenhaus Breitenau: 16.11.1891 bis 7.4.1892 5 Monate 27. 6.1892 bis 26. 2.1893 8 Monate 10. 2.1894 bis 15. 6.1894 4 Monate 12.7.1894 bis 21. 6.1895 11 Monate 27.7.1895 bis 20.5.1896 10 Monate 23.7.1896 bis 05.6.1897 10 Monate 02.7.1897 bis 28.3.1898 9 Monate 15.10.1898 bis 06.11.1902 49 Monate. Für die Anstaltsverwaltung war die wiederholte Aufnahme von Landannen, die manchmal bereits nach wenigen Tagen erneut ihre Entlassung beantragten, nur lästig, weil diese nur "Schreibereien" verursachten, aber gleichzeitig im Arbeitsbetrieb kaum Leistung lieferten. Die Direktion forderte wiederholt Maßnahmen, um die Landarmen gegebe- nenfalls zwangsweise zurückhalten zu können. Die Kasseler Bezirkskom- munalverwaltung wies dies mit Hinweis auf die eindeutige Rechtslage stets zu- rück. 165 "Mit beginnendem Frühjahr", klagte die Direktion, "kommen alljähr- lich die Landarmen in großer Zahl u. bitten um Entlassung. In den seltensten Fällen sind diese Gesuche begründet; die Antragsteller wollen nur Veränderung ihrer Lebensweise, ernähren sich im Sommer vom Betteln, arbeiten wohl auch hier und da zur Aushilfe gegen Kost u. eine etwaige geringe Vergütung bringen sie in gewohnter Weise durch. Wenn sie dann körperlich wieder so herunter sind, daß sie niemand mehr beschäftigen will, oder wenn der Winter in Sicht ist, melden sie sich wieder beim Landarmen-Verband. "166 Schaubild 7 zeigt, daß die Landarmen tatsächlich zum überwiegenden Teil im Frühjahr entlassen wurden. 167 165 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 28, S. 14-16 RS. 166 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 28, S. 13 RS. 167 Für das Schaubild 7 wurden nur die 305 Entlassungen in Freiheit herangezogen. 148 Schaubild 7 Landarmenhaus Breitenau Entlassungsmonate der Männer 1877-1919 Zahl 60 60 40 20 3 5, 6 7 Monat e 9 \0 II 12 Diein Breitenau untergebrachten landarmen Männer stammten nur zum klei- nen Teil aus hochmobilen Bevölkerungsschichten. Die Mehrheit der als Land- arme eingewiesenen Männer war im Regierungsbezirk Kassel geboren. Bei 352 der 362 männlichen Landarmen ließ sich der Geburtsort bestimmen. Bei 268 von ihnen (= 76,1 %) gibt das Aufnahmebuch "Landarme Männer" einen Ort des Regierungsbezirks Kassel als Geburtsort an. Nur 76 Männer stammten aus anderen Gebieten Deutschlands, 8 Männer waren im Ausland geboren. 168 Das 168 Bei wiederholter Aufnahme wurde nur die Angabe der ersten Aufnahme 'berücksichtigt, Es waren geboren im Verwaltungsbezirk Königsberg 3, Marienwerder I, Stadt Berlin 2, Pots- dam 4, Frankfurt/ Oder 1, Köslin 2, Posen 2, Bromberg 1, Breslau 3, Oppeln 1, Magde- 149 zeitgenössische Bild vom heimatlosen Landannen, der als wurzelloser Wande- rer durch das gesamte Reich vagabundiert und mehr oder weniger zufällig einem beliebigen Landarmenverband zur Last fällt, war eine Fiktion. 169 Drei Viertel der in Breitenau untergebrachten Landarmen waren Einheimische des Kasseler Regierungsbezirks, die durch Wohnungsverlust oder Wohnortwechsel ihren Unterstützungswohnsitz verloren hatten. Geburtsorte der zwischen 1875 und 1918 in die Landarmenanstalt Breitenau aufgenommenen Männer: 3 4~~288 2 3 ~Il 3 1 2 3 3 2 4 burg 3, Merseburg 3, Erfurt 2, Schleswig I, Hannover 1, Lüneburg 1, Münster I, Minden 3, Arnsberg 4, Kassel 268, Wiesbaden 3, Koblenz 2, Düsseldorf 6, Oberbayern I, Ober- pfalz 1, Oberfranken I, Mittelfranken 1, Unterfranken I, Dresden I, Zwickau I, Neokar- kreis 2, Lörrach 1, Heidelberg 1, Oberhessen 3, Sachsen-Weimar 2, Sachsen-Meiningen 1, Sachsen-Koburg-Gotha 2, Anhalt I, Schwarzburg-Rudelstadt 3, Waldeck I, im Ausland 8 Personen. 169 So bei Emil Münsterberg. 1890, S. 68. 150 Die landarmen Männer waren bei ihrer ersten Einlieferung durchschnittlich 57 Jahre alt. Der jüngste Landarme war bei der Aufnahme gerade 14 Jahre alt, der älteste 84 Jahre. Die Hälfte der erstmals eingelieferten männlichen Land- armen war über 59 Jahre alt. Die am stärksten besetzte Altersklasse war die der 60- bis69jährigen, in der sich fast ein Drittel der Aufgenommenen befand. unter 20Jahre 20 bis29 Jahre 30 bis 39Jahre 40 bis49 Jahre 50 bis59 Jahre 60 bis69 Jahre 70 bis79 Jahre über 80Jahre nicht ermittelt 5 7 24 57 87 113 61 1 7 1,4 % 2,0 % 6,8 % 16,1 % 24,5 % 31,8 % 17,2 % 0,3 % Diese Altersangaben beziehen sich auf den Tag der ersten Einlieferung. Die Altersstruktur an einem bestimmten Stichtag ergibt daher wesentlich höhere Werte. So waren die elf am 1. Januar 1890 anwesenden landarmen Männer durchschnittlich 68 Jahre alt. Fünf von ihnen waren über siebzig Jahre alt. Die Breitenauer Landarmenabteilung war nichts anderes als ein primitives Alters- heim für Hilfsbedürftige. Bei ihrerersten Einweisung waren 58,4 Prozent der landarmen Männer ledig, 30,4 Prozent waren bereits verwitwet, weitere 0,9 Prozent waren geschieden oder lebten getrennt. Nur bei 10,3 Prozent der landarmen Männer bestand eine Ehe. 71,7 Prozent der Männer gaben an, keine Kinder zu haben. 9,0 Prozent der landarmen Männer hatte ein Kind, 8,7 Prozent zwei Kinder. Drei oder mehr Kinder sind bei 10,5 Prozent der landarmen Männer verzeichnet. Die Schulbildung wurde bei 70,8 Prozent mit "kann lesen und schreiben" an- gegeben, "kann lesen, schreiben, rechnen" mit weiteren 15,3 Prozent. Nur "kann lesen" wurde bei 6,2 Prozent der Männer eingetragen, während bei 7,1 Prozent der Männer überhaupt kein Eintrag über Schulbildung zu finden ist. Im Aufnahmebuch "Landarme Männer" ist für die Jahre 1877 bis 1918 bei 118 von 362 aufgenommenen Männem (= 32,6 %) 'Tagelöhner' als Beruf angegeben. In weiteren 34 Fällen lautet die Eintragung 'Arbeiter'. Häufigste konkrete Berufsbezeichung ist' Schneider' in 16 Fällen, "Dienstknecht' bzw. 151 'Knecht' wird in 14 Fällen, 'Schuhmacher' in 9 Fällen, 'Kaufmann' und 'Schreiner' in jeweils 8 Fällen genannt. Bei immerhin 92 Prozent der eingewiesenen Landarmen handelte es sich um gelernte oder ungelernte Arbeiter: Ambulantes Gewerbe Ungelernte Arbeiter Gelernte Arbeiter und Handwerker Meister Freie Berufe Beamte Untere Angestellte Akademiker Kaufleute Selbständige Landwirte Leitende Angestellte Unternehmer Ohne Angabe Kinder 1 0,3 % 176 48,6 % 157 43,4 % ° 0,0 % ° 0,0 % ° 0,0 % 9 2,5 % ° 0,0 % 10 2,8 % 1 0,3 % ° 0,0 % ° 0,0 % 6 1,6 % 2 0,6 % 161 der 362 nach Breitenau eingelieferten landarmen Männer starben in der Anstalt. Dabei fällt auf, daß ein recht hoher Anteil bereits in den ersten Mona- ten nach der Aufnahme starb. Offensichtlich wurden viele Landarme bereits krank in die Anstalt eingeliefert. Gestorbene Landarme wurden auf dem Brei- tenauer Anstaltsfriedhof beerdigt, während die Leichen von Korrigenden der Anatomie in Marburg zugeführt werden konnten. Dieses für das Selbst- wertgefühl der Landarmen gegenüber den Korrigenden sicher nicht zu unter- schätzende Privileg wurde 1890 abgeschafft. Danach lieferte die Anstaltsleitung auch die Leichen verstorbener Landarmer an die Marburger Anatomie ab, so- fern nicht "ein aus eigenem Antrieb geäußerter Wunsch" des Verstorbenen ent- gegenstand. 170 170 Verhandlungen des Kommunal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1890, Sp. 50; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8479, S. 66. 152 Landarme Frauen Schaubild 8 Landarmenhaus Breitenau Einweisungen von Frauen 1877-1918 Zahl 10-r-------------------------------, I 6 6 o I 6 6 5 I 6 9 o I 6 9 5 Jahr I 9 o o I 9 o 5 I 9 I o I 9 I 5 DieZahl der in Breitenau untergebrachten landarmen Frauen fiel weit hinter die der landarmen Männer zurück. Von 1877 bis 1918 wurden nur 89 Frauen mit fiirsorgerechtlichem Landarmenstatus eingewiesen, davon 78 Frauen nur einmal, 6 zweimal, 3 dreimal und jeweils eine Frau vier bzw. fünfmal. Der bei den Männem recht häufige Wechsel zwischen Freiheit und Landarmenhaus spielte bei den landarmen Frauen nur eine geringe Rolle. Nur 5 der 89 Frauen 153 sind mehr als zweimal in die Breitenauer Landarmenabteilung eingewiesen worden. Wie bei den landarmen Männem lassen sich auch bei den landarmen Frauen verschiedene Aufenthaltsmuster unterscheiden: Einmalige Aufnahme mit Entlassung innerhalb weniger Monate. 27 der 78 einmalig aufgenommenen Frauen haben das Breitenauer Landarmen- haus bereits innerhalb von sechs Monaten auf eigenen Wunsch wieder verlassen. 22 der 78 nur einmal aufgenommenen Frauen blieben bis zum Tod in der Anstalt. Die längste Aufenthaltsdauer betrug 9,5 Jahre. Neun der insgesamt 89 Frauen wurden von Breitenau aus in eine Heil- und Pflegeanstalt überwiesen. Geburtsorte der zwischen 1875 und 1918 In die Landarmenanstalt Breitenau aufgenommenen Frauen: 154 Die Quote der innerhalb des Regierungsbezirks Kassel geborenen landarmen Frauen war etwas geringer als bei landarmen Männem. Bei 85 der 89 Frauen ließ sich der Geburtsort verifizieren. 61 Frauen (= 71,7 %) waren im Gebiet des Regierungsbezirks Kassel geboren. Sieben Frauen stammten aus dem Aus- land. Nur 18 Frauen stammten aus Gebieten des Deutschen Reichs außerhalb des Regierungsbezirks Kassel.J"! Die landarmen Frauen waren, wie die land- armen Männer, keineswegs durch das Deutsche Reich vagabundierende, ent- wurzelte Menschen. Ihre Armut und Hilfsbedürftigkeit war überwiegend im Regierungsbezirk Kassel entstanden. Das durchschnittliche Alter der landarmen Frauen betrug bei der ersten Ein- weisung fast 48 Jahre und lag damit um neun Jahre niedriger als das der land- armen Männer. Die jüngste Frau war 15 Jahre, die älteste 78 Jahre alt. Die Hälfte der Frauen war älter als 48 Jahre. Die stärkste Altersklasse war die der 50- bis 59jährigen. unter 20 Jahre 20bis 29 Jahre 30bis 39 Jahre 40bis 49 Jahre 50bis 59 Jahre 60bis69 Jahre 70bis 79 Jahre nicht ermittelt 4 6 20 13 22 10 8 6 4,8 % 7,2 % 24,1 % 15,7 % 26,5 % 12,0 % 9,6 % 58,1 Prozent der landarmen Frauen waren ledig geblieben. 27,9 Prozent waren bei ihrer ersten Einlieferung bereits verwitwet. Nur bei 14,0 Prozent der Frauen bestand eine Ehe. Fast zwei Drittel der landarmen Frauen (66,3 %) hatte keine Kinder geboren. 14,5 Prozent hatte ein Kind, 13,3 Prozent zwei Kinder und 6,0 Prozent drei und mehr Kinder. Die im Aufnahmebuch "Landanne Weiber" dokumentierte Schulbildung fällt weit hinter die der männlichen Landarmen zurück. Bei nur 55,4 Prozent wurde "kann lesen und schreiben" angegeben. Weitere 7,2 Prozent konnten "lesen, schreiben, rechnen". Bei 7,2 Prozent der landarmen Frauen wurde lediglich Lesefertigkeit vermerkt. Bei nicht weniger als 30,1 Prozent der eingewiesenen 171 Bei wiederholter Aufnahme wurde nur die Angabe der ersten Aufnahme berücksichtigt. Es waren geboren im Verwaltungsbezirk Bromberg I, Liegnitz I, Merseburg 2, Erfurt 2, Hildesheim I, Münster I, Kassel 61, Unterfranken 4, Oberhessen 3, Sachsen-Weimar 2, im Ausland 7 Personen. 155 weiblichen Landarmen befindet sich in der Rubrik über die Schulbildung kein Eintrag. Der im Aufnahmebuch bei den insgesamt 89 aufgenommenen Frauen am häufigsten genannte Beruf ist "Tagelöhnerin ' in 22 Fällen. Zusammen 22 mal wird 'Dienstmagd', 'Dienstmädchen' oder 'Dienstbote' genannt. In fünf Fäl- len lautet der Eintrag' Arbeiterin'. Bei zusammen 16 Frauen verzeichnet das Aufnahmebuch 'Ehefrau' oder 'Witwe' als Beruf. Vier Frauen gaben 'Näherin' als Beruf an. Bei drei Frauen wurde' Prostituierte' ins Aufnahme- buch eingetragen. Jeweils einmal wird 'landwirtschaftliche Arbeiterin', 'Privatlehrerin' und 'Wirtschafterin' genannt. Bei 14 Frauen fehlt jede Be- rufsangabe. "Arbeitsscheue und säwnige Nährpflichtige" Ab 1913 weisen die Breitenauer Statistiken mit den Arbeitshäuslingen eine neue Insassengruppe nach. l 72 Es handelte sich um seßhafte Fürsorgeempfän- ger, die von örtlichen Armenverwaltungen auf der Grundlage des 1912 geschaffenen preußischen"Arbeitsscheuengesetzes" zwangseingeliefert worden waren. Bis zum Sommer 1914 sind siebenunddreißig Männer und vier Frauen als "Arbeitsscheue" bzw. "säumige Nährpflichtige" nach Breitenau eingeliefert worden. Es waren hauptsächlich großstädtische Armenbehörden, die sich des neuen Gesetzes bedienten. 1?3 Aus dem Regierungsbezirk Kassel kamen elf Personen, davon sieben aus der Stadt Kassel. Aus dem Regierungsbezirk Wiesbaden wur- den dreißig Personen eingeliefert, davon vierzehn aus Frankfurt und neun aus Wiesbaden. Von 1913 bis 1918 sind auf Grundlage des preußischen Arbeitsscheuengesetzes insgesamt 104 Männer und 24 Frauen als Arbeitshaus- linge nach Breitenau eingewiesen worden. 172 Vor 1914 wird in den Quellen der Begriff Arbeitshouslinge bzw. Häuslinge insbesondere von höheren Dienststellen häufig auch für die Landarmen und, um die Konfusion ZU vervollständigen, gelegentlich sogar für die Korrigenden verwandt. Zudem waren die Breitenauer Bezeichnungen nicht mit denen anderer Arbeitshäuser identisch. 173 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 53, S. 37. 156 Schaubild 9 Arbeitsanstalt Breitenau Einweisungen von "Arbeitsscheuen" und "Säumigen Nährpflichtigen" 1913-1939 Zahl 1 9 I 5 I 9 Z o 1 9 Z 5 Jahr I 9 3 o I 9 3 5 Formal wurde für die"Arbeitsscheuen" innerhalb der Breitenauer Anstalt zu- sätzlich zur Korrektionsanstalt und zum Landarrnenhaus eine Arbeitsanstalt eingerichtet. 174 Die Hausordnung für diese Arbeitsanstalt übernahm im we- sentlichen die Vorschriften der für die Korrigenden gültigen Hausordnung. 175 Ausdrücklich wurde bestimmt, daß die für die Korrigenden erlassene Tages- ordnung auch für die" Arbeitsscheuen" gelte. Als Strafen konnte die Direktion den Entzug von Büchern und den Entzug der Verfügung über die Arbeitsprärnie bzw. sogar Streichen bereits verdienter Prämien verhängen. Wie 174 Der Begriff der Arbeitsanstalt gemäß Arbeitsscheuengesetz ist zu unterscheiden von der Korrektionsanstalt gemäß § 362 StGB, vgl. v. Falken, 1922, S. 356. 175 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10412, S. 2; zu den "Arbeitsscheuen" allg. Nr. 53. 157 bei den Korrigenden war auch Essensentzug als Strafe möglich. Bis zu sechs Tage mußten die Bestraften unter Umständen bei Wasser und Brot darben. Schärfste Strafe war vierwöchige "einsame Einsperrung in einem hellen Ge- mach" mit tageweisem Essensentzug. 176 Die männlichen ..Arbeitsscheuen" wurden im Giebelraum des Landarmen- hauses, die wenigen weiblichen "Arbeitsscheuen" zusammen mit den weib- lichen Landarmen im Frauenhaus untergebracht.U? Die"Arbeitsscheuen" er- hielten dieselbe blaue Anstaltsuniform wie die Landarmen. 178 Die urspriinglich vorgesehene völlige Trennung der "Arbeitsscheuen" von den Korrigenden ließ sich auf Dauer nicht durchführen. Schon 1916 werden im Breitenauer Jahresbe- richt gemeinsame Arbeitskolonnen beider Insassengruppen erwähnt. 179 Die Bestimmungen des preußischen Arbeitsscheuengesetzes gingen 1924 in- haltlich in § 20 der Reichsfürsorgepflichtverordnung (RFV) ein. 180 Während der Weimarer Republik wiesen die Fürsorgebehörden insgesamt etwa ein- hundert Personen als "Arbeitshäuslinge" nach Breitenau ein, so daß dieser Häftlingsgruppe auch in diesem Zeitabschnitt nur eine untergeordnete Be- deutung zukommt. 181 Die Ausweitung der Arbeitshausunterbringung auf eine weitere zwangsweise untergebrachte Insassengruppe betonte den Strafaspekt der Arbeitshäuser. Gleichzeitig wurde der multifunktionale Charakter der Arbeitshäuser verstärkt. Die Anstalt Breitenau war ab 1913 gleichzeitig Korrektionsanstalt zur straf- 176 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 10412, S. 2 RS. 177 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 64, S. 298 RS; Nr. 147, S. 50; Nr. 188, S. 148. 178 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 64, S. 299. 179 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 64, S. 299; Nr. 147, S. 56. 180 Vgl. Sperling, Der polizeiliche Arbeitszwang, in: Ein deutsches Reichsarmengesetz, Münchenl Leipzig 1913, S. 67-93); vgl. A. Schott, Arbeitszwang (RFV. § 20), in: Julia Dünner (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 21929, S. 92 f; vgl. Günther Roestel, Arbeitshaus, in: Hermann Althausl Wemer Betcke (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, 3. Auflage, Berlin 0.1. (1939); vgl. Calow, Vagabundentum und Gesetz- gebung, in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohl fahrt 34 (1925), Sp. 688; vgl. Hans Muthesius, Fürsorgerecht, Berlin 1928, S. 110; vgl. Arbeitshausunterbringung auf Grund der RFV in Preußen, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und pri- vate Fürsorge 14 (1933), S. 109; Eduard Becker macht fälschlicherweise aus den gemäß Arbeitsscheuengesetz und später gemäß RFV Eingewiesenen zwei verschiedene Insassen- gruppen, vgl. Achtzig Jahre kommunale Selbstverwaltung im Regierungsbezirk Kassel 1867-1947, 1949, S. 88 f. 181 Zu den nach § 20 der RFV in ein Arbeitshaus Eingewiesenen vgl. Walther, Die Provinzial- Arbeitsanstalt Schweidnitz (Schlesien) und die ihr angeschlossenen Anstalten, in: Der Wan- derer 46 (1929), S. 81 f. 158 rechtlichen Arbeitshausunterbringung gemäß § 362 StGB, Arbeitsanstalt zur Arbeitshausunterbringung gemäß dem preußischen Arbeitsscheuengesetz und Landarmenhaus zur fürsorgerechtliehen Armenarbeitshausunterbringung. 159 Das Personal Die Aufseher und Aufseherinnen Aufgabenbereich der Aufseher und Aufseherinnen war die Bewachung der Insassen und deren Beaufsichtigung auf den Arbeitsstellen innerhalb und außer- halb des Anstaltsgeländes. Darüber hinaus hatten die Aufseher den Tagesablauf des allgemeinen Anstaltslebens zu organisieren und auf die Einhaltung der Hausordnungen und Reglements zu achten. Außerdem sollte das Personal den Insassen als Vorbild dienen. Ein Aufseher habe sich, so eine Dienstanweisung von 1874, "steter Vorsicht und ruhiger Besonnenheit zu befleißigen. Er soll niemals durch unangemessenes tadelhaftes Benehmen, sei es in oder außer dem Dienste, denen Ärgerniß und böses Beispiel geben, die in der Anstalt und zwar unter seiner Mitwirkung zu strenger Ordnung angehalten und gebessert werden sollen. In seiner Kleidung hat er sich reinlich und anständig zu halten, und vor allen Dingen stets nüchtern, wachsam und pünktlich zu sein" .1 Soziale Herkunft der Aufseher Die bei Eröffnung der Anstalt 1874 eingestellten Aufseher waren mehrheit- lich zuvor bereits im öffentlichen Dienst tätig, drei als Bahnbedienstete, einer als Bürodiener. Später gelang es der Direktion nur noch selten, Beamte oder Angestellte zum Eintritt in den Dienst der Korrektionsanstalt zu bewegen. Aus den achtziger Jahren sind Angaben über die vorherige Tätigkeit der fünf damals beschäftigten männlichen Aufseher erhalten. Der in Guxhagen geborene Jakob Kramm, der 1875 als 25jähriger in den Anstaltsdienst getreten war, verdingte sich zuvor als Tagelöhner. Der ebenfalls in Guxhagen geborene Georg Christian Bartholomai war Maurer. Adam Gerlach aus Deute arbeitete, ebenso wie Adam Werner aus Guxhagen, als Tagelöhner. Eine Ausnahme bildete le- diglich Philipp Habicht, der zehn Jahre als Soldat gedient hatte und nun als Dienst-Instruction für die Aufseher in der Cerreetions- und Landarmen-Anstalt Breitenau, in: Verhandlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Unteranlage 6, Sp. 85. 160 Zivilversorgungsberechtigter bevorzugt in den Beamtendienst übernommen wurde.2 Drei Tagelöhner, ein Maurer und ein ehemaliger Soldat als Aufseher über hunderte Korrigenden und Landarme - von qualifiziertem Personal konnte nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Die mangelnde Qualifikation und Aus- bildung des Personals - die Zustände in anderen Arbeitshäusern waren kaum besser - sahen auch Verfechter des Arbeitshausgedankens als einen der dunkel- sten Punkteder deutschen Arbeitshäuser an. Soweit die Anstaltsakten für die Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Re- publik Hinweise auf die frühere Tätigkeit von Aufsehern geben, zeigt sich, daß das männliche Aufsichtspersonal sich beinahe ausschließlich aus Arbeitern und Bauern der benachbarten Dörfer rekrutierte. Neunmal wird landwirtschaftliche Tätigkeit genannt, siebenmal Tagelöhner bzw. Arbeiter. Vier Aufseher arbei- teten zuvor als Maurer, und insgesamt elf übten verschiedene Handwerksberufe aus. Vorhergehende Tätigkeit im Staatsdienst bildete die Ausnahme. Nur zweimal wird Soldat als Berufsbezeichnung genannt, je einmal Polizist, Bahn- beamter und Oberaufseher einer anderen Arbeitsanstalt. 3 Die männlichen Aufseher waren größtenteils in Guxhagen oder den benach- barten Dörfern geboren. Als idealtypische Aufseherfigur könnte man den in einem Dorf unweit der Anstalt geborenen, militärdiensttauglichen 'gedienten I Bauern, Tagelöhner oder Handwerker bezeichnen. Den Breitenauer Insassen blieb die ländliche Herkunft ihrer Aufseher nicht verborgen; die Beschimpfung eines Aufsehers als "Bauer" war gang und gäbe. 4 Wie sämtliche StelIen des öffentlichen Dienstes, waren die Breitenauer Auf- seherstellen zunächst zivilversorgungsberechtigten ehemaligen Soldaten anzu- bieten. Es fanden sich jedoch nur selten Bewerber aus diesem Kreis bereit, den anstrengenden Aufseherdienst anzutreten.P Die gewöhnliche Wehrpflicht hatten allerdings fast alle Aufseher geleistet, einige hatten es bis zum Unteroffizier ge- bracht. Da die Anstalt in vielen Einzelheiten wie eine Kaserne organisiert war, dürften in der Armee erworbene Erfahrungen eine besondere Ausbildung der StAMarburg, Bestand 231, Nr. 8. Diese Berufsangaben befinden sich oft zufällig an verschiedenen Stellen der Akten. Etwa vorhandene Angaben aus der Zeit des Nationalsozialismus wurden fiir diese Aufstellung nichtberücksichtigt, weil hier andere Einstellungskriterien galten. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 4200. Reglement über die innere Einrichtung und Verwaltung der Kommunalständischen Cor- rections-Anstalt zu Breitenau, in: Verhandlungen des Communal-Landtags fiir den Re- gierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Unteranlage 3, Sp. 35; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9764, S. 42 RS; vgl. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr, 1885,S. 5. 161 Aufseher zumindest teilweise ersetzt haben. Die Aufgaben der Aufseher ent- sprachen weitgehend den Führungsaufgaben von Unteroffizieren. Die dreige- teilte militärische Hierarchie zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mann- schaften spiegelte sich in den Arbeitshäusern in der Hierarchie zwischen Di- rektor, Aufsehern und Insassen wider. Die Anlehnung an Militärhierarchie und Kasernenreglement gab den Aufsehern, aber auch den Insassen, eine gewisse Rollensicherheit. 6 Das Spannungsfeld zwischen dienstlicher Unterordnung, schlechter Be- zahlung, fehlender Ausbildung und übergroßer Machtbefugnis über sozial Dis- kriminierte führte bei den überforderten Aufsehern zu einer Überbetonung der Ordnungsbefugnisse. Bereits 1876 mußte die Direktion Hilfsaufsehern wegen Mißhandlungen von Korrigenden kündigen." Berichte und Beschwerden über Schläge von Aufsehern lassen sich in den Akten vom ersten bis zum letzten Jahr des Arbeitshauses Breitenau nachweisen. 8 Au/seherinnen Für die vergleichsweise kleine Frauenabteilung wurde 1875 zunächst eine, in den neunziger Jahren noch eine zweite Aufseherin eingestellt. Zumindest bis 1926 wohnten die Aufseherinnen direkt im Frauenhaus.? Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen stammten die Aufseherinnen durchweg nicht aus der Re- gion um Breitenau. Eine Ausnahme bildete lediglich die 1884 in Breitenau ge- borene Katharina Steinmetz, die mit 32 Dienstjahren bedeutendste Aufseherin der Anstalt. Sie war Tochter eines bereits in den ersten Jahren der Anstalt in den Aufseherdienst getretenen ehemaligen Tagelöhners und hatte als Kind noch Gründungsdirektor Nettelbeck und den langjährigen Oberaufseher Bartholomäus erleben können. Als 29jährige Witwe, mit zwei zu versorgenden Kindern, begann sie 1913 als Aufseherin in der Anstalt, in der zu diesem Zeit- punkt bereits ihr Vater und dessen Bruder als Aufseher arbeiteten. 6 Vgl. die Beschreibung des Berliner Arbeitshauses Rummelsburg bei Hans R. Fischer, 1887, S.55. 7 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 39. 8 Beispielsweise Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.8915, 2.4.1941; Nr. 160, S. 146; Nr. 10400, S. 31; Nr. 10414, 10.7.1901; Nr. 9994/9993. 9 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 97, S. 156. 162 Bezahlung Gewöhnlich begannen Aufseher ihren Dienst in Breitenau als im Tagelohn angestellte Hilfsaufseher.I'' Ihr Tageslohn betrug 1878 zwei Mark, bis 1915 hatte sich der Tagesverdienst auf 2,65 Mark gesteigert. Bei einer vierzehn- stündigen Arbeitszeit bekamen die Hilfsaufseher gerade 19 Pfennig pro Stunde. Die normalen Arbeiterstundenlöhne der Gegend betrugen zu dieser Zeit vierzig bis fünfzig Pfennig. 11 Als für das Dorf Guxhagen größter Arbeitgeber hatte die Anstalt trotzdem nie Schwierigkeiten, Hilfsaufseherstellen zu besetzen, denn beim Freiwerden etatmäßiger Aufseherposten und einigen Jahren Bewährung übernahm der Bezirksverband immer wieder Hilfsaufseher in den begehrten unkündbaren Beamtendienst. Ein Anspruch auf Beförderung bestand jedoch nicht, es dauerte manchmal über ein Jahrzehnt, bis ein Hilfsaufseher verbeam- tet wurde. 12 Bei Dienstvergehen kündigte die Direktion Hilfsaufsehern recht schnell.L' Durch kurzfristige Einstellung und Entlassung von Hilfsaufsehern konnte die Anstalt ihren Personalstand problemlos an die schwankenden und nicht voraus- sehbaren Insassenzahlen anpassen. 14 Innerhalb der Kasseler Bezirkskommunalverwaltung zählten die Breitenauer Aufseher zu den am schlechtesten bezahlten Beamten. Nur die Wärter der Landeshospitäler und Irrenheilanstalten waren niedriger eingestuft. 15 Eine Ge- haltsliste aus dem Jahre 1886 weist den Direktor mit einem Jahresgehalt von 3 450 Mark aus. Der Oberaufseher erhielt 1 200 Mark, die beamteten Auf- seher, sofern sie in der Anstalt wohnten, 900 Mark und eine Aufseherin 800 Mark Jahresgehalt. Die Hilfsaufseher konnten, sofern sie das gesamte Jahr be- schäftigt wurden, was keineswegs selbstverständlich war, höchstens 730 Mark verdienen.l'' Die Aufseher der Außenarbeitskolonnen erhielten zusätzlich täg- lich eine Mark "Kommandogeld" als Aufwandsentschädigung. Mietfreies Wohnen auf dem Anstaltsgelände bzw. in anstaltseigenen Be- amtenwohnungen unweit der Anstalt und der ab 1897 gewährte Zuschuß zur 10 Vgl. allg. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 160. 11 Archivdes LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 98, S. 62. 12 Archivdes LWV-Heasen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9764, S. 42; Nr. 98, S. 18 RS. 13 Archivdes LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 160. S. 124; Nr. 60, S. 39. 14 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 160; Nr. 60, S. 39. 15 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 98, S. 16. 16 StAMarburg, Bestand 231, Nr. 18, 1886. 163 vorgeschriebenen Dienstuniform bildeten allerdings eine gewisse Verbesserung der niedrigen Binkünfte.l? Zudem bot die Einbindung in den Anstaltsbetrieb den Aufsehern und Aufseherinnen vielfältige offizielle, halboffizielle und ille- gale Möglichkeiten, ihr eigenes Haushaltsbudget zu schonen, beispielsweise durch die private Nutzung der Arbeitskraft der Insassen gegen geringes Entgelt, die Herstellung und Reparatur von Schuhen in der Anstaltsschusterei oder das zunächst nur geduldete, später offiziell genehmigte, kostenfreie Ausbacken privaten Brots in der Anstaltsbäckerei. 18 Andererseits bedeutete für die Aufseher das Wohnen auf dem ummauerten Anstaltsgelände eine faktische Kasernierung und Verfiigbarkeit auch in der ohnehin knapp bemessenen Freizeit. Das Reglement von 1874 bestimmte sogar ausdrücklich, daß die Beamten ohne Genehmigung des Direktors sich nicht über Nacht aus dem Ort entfernen durften. 19 Ihre durch Unkündbarkeit gesicherte Stellung und ihren Pensionsanspruch mußten die Breitenauer Beamten mit geringer Besoldung und extremer Dienst- zeitbelastung erkaufen. Trotz schlechter Bezahlung bedeutete der Eintritt in den krisensicheren Dienst der Bezirksverwaltung für die hauptsächlich aus der Dorfarmut stammenden Aufseher eine deutliche Verbesserung ihrer sozialen Lage, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß ein Gefängniswärter kein hohes Sozialprestige genoß. Arbeitszeit Die Arbeitsbedingungen der Aufseher waren in erster Linie durch eine extrem lange Arbeitszeit bestimmt. Noch 1901 klagte Direktor Schmidt, sein Personal habe einen sehr anstrengenden und aufreibenden Dienst, der im Winter täglich 14 Stunden und im Sommer sogar 15 Stunden betrage.ö' Aus dem Jahre 1913 wird berichtet, daß der Aufseherdienst frühmorgens um 440 Uhr begann und bis abends 19 Uhr dauerte.U Die für Außenkommandos ein- geteilten Aufseher waren, manchmal wochenlang, rund um die Uhr im Dienst und durften ihre Kolonne nicht einmal nachts verlassen. Zu Beginn der 17 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, 18.2.1897. 18 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9785, 9.1.28; Nr. 159, S. 219-222; Nr. 59, S. 189; Nr. 59, S. 37. 19 Reglement über die innere Einrichtung und Verwaltung der kommunalständischen Cor- rections-Anstalt zu Breitenau, 1875, Sp. 36. 20 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, 17.12.01. 21 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10414. 164 Weimarer Republik verkürzte sich die Arbeitszeit der Aufseher erheblich, ohne jedoch den Achtstundentag auch nur annähernd zu erreichen. Die Aufseher mußten nun offiziell 54 Stunden pro Woche arbeiten. 22 Die tägliche Dienstzeit dauerte einschließlich Pausen von 6 Uhr bis 18 Uhr. Urlaub, freie Tage oder anderer Ausgleich für die extreme Dienstzeit- belastung wurde den Aufsehern im 19. Jahrhundert nicht gewährt. Nicht ein- mal der Sonntagsdienst wurde mit Freizeit abgegolten. Noch 1917 hatten die Aufseher je nach Dienstalter nur jeden zweiten bis vierten Sonntag dienstfrei. 23 Ab Sommer 1914 erhielten die Aufseher erstmals einen freien Nachmittag pro Woche. 24 1922 hatte sich dann eine Regelung durchgesetzt, die dem Aufsichts- personal innerhalb von zwei Kalenderwochen vier freie Tage gewährte, von denen einer auf einen Sonntag fallen mußte. 25 Im Jahre 1920 erhielten Auf- seher vierzehn Tage Jahresurlaub, Hilfsaufseher je nach Dienstalter sechs bis zehn Tage.26 Uniform Wie alle Bedienstete der Bezirkskommunalverwaltung trugen die Breitenauer Aufseher die für Unterbeamte vorgeschriebene Uniform aus einem dunkel- blauen Rock mit gleichfarbigem Kragen und blanken Knöpfen mit der Auf- schrift "Communalstäade zu Kassel' (ab 1895 "Bezirksverband Kassel') sowie einer dunkelblauen Tuchmütze mit Kokarde.T' Nach der Jahrhundertwende steckte man die Breitenauer Aufseher in abgelegte Offiziersmäntel aus Heeres- beständen, von denen die Achselstücke und Militärknöpfe entfernt und letztere durch versilberte Metallknöpfe mit dem Bezirksverbandswappen ersetzt wur- den.28 Als Rangabzeichen diente ein Stern für Hilfsaufseher, zwei Sterne für Aufseher und drei Sterne für den Oberaufseher. Während die vorherige Uniform dem allgemeinen Standard preußischer Unterbeamten entsprach, bedeutete die Ausstaffierung des Aufsichtspersonals 22 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 14, S. 69; Bestand [Bezirksverband], Nr. 117, S. 4; StA Marburg, Bestand 231, Nr. 4, 30.1.1930. 23 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 98, S. 133. 24 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10414,29.6.14. 25 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 14, S. 69. 26 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 14, S. 28 RS. 27 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, S. 17 f; vgl. Bemd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, FrankfurtIM. 1986, S. 42. 28 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815,10.12.1901. 165 mit abgeschabten Offiziersuniformen, die zudem noch mit anstaltsintemen Rangabzeichen ausgestattet waren, eine auf den ersten Blick seltsame Ver- kleidung, die jedoch ihren tieferen Sinn hatte. 29 In erster Linie sollte damit der Kasernencharakter der Anstalt unterstrichen werden. Da sowohl Aufseher wie Insassen aus unteren Sozialschichten stammten, mußte zwischen ihnen eine künstliche Distanz geschaffen werden, für die sich die allgemein bekannte und mit hohem Sozialprestige ausgestattete Offiziersuniform als Symbol geradezu anbot. Allerdings war eine Offiziersuniform - sozial gesehen - für die meisten Aufseher einige Nummern zu groß. Die Aufseher hatten aufgrund Herkunft und Vorbildung in der Armee in der Regel nur Mannschaftsdienstgrade, höchstens jedoch Unteroffiziersränge bekleidet. Im Breitenauer Arbeitshaus durften dieselben Männer dann in Offiziersuniform auftreten, aber dort keine Soldaten, sondern nur verachtete Vagabunden und Prostituierte befehligen. In der Weimarer Republik ersetzte man die Offiziersuniform durch einfache blaue, später dann feldgraue Uniformen mit Mütze, wobei für Hilfsaufseher die Mütze als - allerdings unverzichtbares - Hoheitszeichen genügte. 30 Natürlich erließ die Direktion auch für die Aufseherinnen eine genaue Be- kleidungsvorschrift. Die weiblichen Aufsichtskräfte mußten einen "dunkelblauen, bis an den Hals anschließenden Rock aus Wollstoff mit ein- fachem weißen Überschlagkragen, eine schwarze wollene Schürze und eine weiße Haube mit gleichfarbigem Bande" tragen.U Waffen In der Gründungsphase hatten die Aufseher Zündnadelkarabiner mit Ba- jonetten erhalten, die hauptsächlich bei der Bewachung von Außenkolonnen getragen wurden. Die Dienstvorschriften schränkten den Waffengebrauch je- doch stark ein. 32 Nur bei tätlichem Angriff auf Aufseher, gemeinschaftlicher Revolte oder bewaffneter Flucht durfte von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden. Hinter einem unbewaffnet flüchtenden Korrigenden herzuschießen, ließen die Instruktionen nicht zu. Diese Vorschrift scheint eingehalten worden 29 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, 17.12.1901. 30 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815,14.3.22,15.9.28. 31 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815,11.5.22. 32 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, S. 38; Nr. 9815, S. 4; Dienst- Instruction für die Aufseher in der Corrections- und Landarmen-Anstalt Breitenau, 1875, Sp. 88; Reglement über die innere Einrichtung und Verwaltung der kommunalständischen Corrections- Anstalt zu Breitenau, 1875, Sp. 36. 166 zu sein, in den Akten und Jahresberichten wird im Kaiserreich und der Weimarer Republik kein Schußwaffengebrauch erwähnt. Die Direktion konnte 1905 berichten, die im Laufe der Jahre völlig unbrauchbar gewordenen Ge- wehre seien nie zur Anwendung gekommen und deswegen schon 1894 aus- rangiert worden.33 Völlig unbewaffnet traten die Aufseher den Insassen trotzdem nicht gegen- über, denn zur Uniform der Aufseher gehörte ein kurzer stumpfer Degen ("Seitengewehr"), während der Oberaufseher sogar mit einem großen Füsiliers- säbel mit Portepee auf dem Anstaltsgelände herumstolzieren durfte.I" Viele Jahre hatte diese schußwaffenlose Ausrüstung genügt, bis die Direktion 1906 - nach der Einlieferung der ersten Zuhälter - die Beschaffung von sechs Armeerevolvem für unumgänglich hielt und Nachtwächter, Zellenbauaufseher und Aufseher der Außenkommandos damit ausrüsten ließ.35 Bis 1921 hatte man die Waffenausrüstung der Anstalt wieder mit 25 Karabinern verschiedener Modelle vervollständigt.36 Die normale Bewaffnung des Tagesdienstes innerhalb der Anstalt beschränkte sich jedoch nach wie vor auf den 'Seitengewehr" genannten kurzen Degen. Erst in der Zeit des Nationalsozialismus wurden auf Antrag der Direktion sämtliche Aufseher mit Pistolen ausgerüstet, Schießübungen veranstaltet und das Verbot aufgehoben, auf unbewaffnet Flüchtende zu schießen.v? Im Jahres- bericht 1937 wird erstmals in der Geschichte der Anstalt Schußwaffengebrauch erwähnt. Ein Aufseher hatte einem zwangsuntergebrachten Fürsorgeempfänger bei einem Fluchtversuch in den Arm geschossen.V Strafen Im Kompetenzbereich des Direktors lag die Verhängung von Disziplinar- strafen gegenüber Aufsehern, die von Verweisen über die Streichung freier Tage bis zu empfindlichen Geldstrafen reichten.I? Diese Geldstrafen konnten 33 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, S. 38. 34 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, S. 36. 35 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9815, S. 38 RS; Nr. 9871, S. 6 RS; StA Marburg, Bestand 231, Nr. 5, S. 18. 36 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9815,18.4.1921. 37 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815, 10.5.1935, 5.6.1937. 38 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 118, S. 89. 39 Vgl. Dienst-Instruction für die Aufseher in der Cerreetions- und Landarrnen-Anstalt Brei- tenau, 1875, Sp. 94. 167 mit bis zu zehn Mark die Höhe mehrerer Tageslöhne erreichen. So erhielt ein Aufseher, der sich auf einem Außenkommando so sehr betrunken hatte, daß er nicht mehr allein in die Anstalt zurückgehen konnte, eine Geldstrafe von drei Mark. Mit Geldstrafen ahndete die Direktion aber auch das unabsichtliche Ver- schütten einer Kanne Milch oder das Zerbrechen von Geschirr. Zuspätkommen von fünf Minuten zog in der Regel den Verlust eines freien Tages nach sich. Bestraft wurde auch 'Insubordination' gegenüber dem Oberaufseher, worunter schon einfache Widerworte verstanden wurden. 40 Eine Strafliste der Aufseher enthält von 1913 bis 1928 insgesamt dreißig Be- strafungen mit einem Strafmaß vom Verweis bis zur Geldstrafe von fünf Mark. Die Hälfte der Strafen bezog sich auf Nachlässigkeit bei der Bewachung der In- sassen und fahrlässige Begünstigung von Fluchten. In Einzelfällen bestrafte der Direktor aber auch - leider nicht näher erläuterte - "ungebührliche Behandlung" von Insassen. Mit fünf Mark Geldstrafe wurde 1926 ein Hilfsaufseher belegt, der ein Arbeitskommando verlassen und die Aufsicht seinem Schwiegervater übertragen hatte. Im gleichen Jahr bestrafte Direktor Baetz eine langjährige Aufseherin mit einer Verwarnung, weil sie den Wunsch einer Korrigendin, den Direktor zu sprechen, nicht weiterleitete. 41 Distanz zu den Insassen Das Aufrechterhalten der Distanz von Personal und Insassen gehörte für die Direktion zum unerläßlichen Herrschaftsmittel. Noch 1927 entließ die Di- rektion einen Gehilfen der Anstaltsmühle, weil er sich mit einer entlassenen Korrigendin "herumgetrieben" hatte. 42 Gewöhnlich achteten aber die Aufseher selbst penibel auf Statusunterschiede zu den Insassen. So beschwerte sich 1913 ein Hilfsaufseher bitter, weil er im Außenkommando in der Landesheilanstalt Haina dieselbe Verpflegung wie die ihm unterstellte Korrigendenkolonne er- hielt, obwohl frühere Aufseher ein besseres Essen bekommen hatten. 43 Das Breitenauer Personal behandelte die Anstaltsinsassen als Menschen zweiter Klasse. "Frechheit" gegenüber einem Aufseher bestrafte man in der Regel härter als den Schlag eines Korrigenden ins Gesicht eines Mitge- fangenen. 40 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10230, S. 29; Nr. 10314, S. 46; Nr. 10262, S. 23; Nr. 10245. 41 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9871. 42 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1927. 43 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9813, 4.5.13. 168 So gut es ging versuchte man die Welt des Personals und die Welt der In- sassen getrennt zu halten, was natürlich nicht durchgängig gelang. Auf die ähnliche soziale Herkunft von Insassen und unteren Personal rängen wurde be- reits hingewiesen. Insbesondere bei unerfahrenen Hilfsaufsehern drohte immer wieder die Gefahr der Fraternisierung mit Insassen. In Einzelfällen wurden Hilfsaufseher, die gegenüber Insassen nachlässig gewesen waren, von diesen erpreßt.44 Darüber hinaus läßt sich sogar nachweisen, daß die Anstalt ihr Personal manchmal direkt aus den zur Entlassung anstehenden Insassen rekrutierte. Schon 1875 beschäftigte Direktor Nettelbeck einen Korrigenden in seinem Büro und behielt ihn gegen eine Vergütung von zwei Mark täglich auch nach der Entlassung aus der Arbeitshaushaft. 45 Für die vielfältigen Schreib- und Abschreibarbeiten beschäftigte das Anstaltsbüro immer wieder Korrigenden der in Frage kommenden Berufe. 1915 behielt die Direktion wieder einen Kor- rigenden, einen gelernten Buchhalter, nach dessen Freilassung als Bürogehilfen in der Anstalt. 46 Die Jahresberichte 1929 und 1930 vermerken die Einstellung von jeweils einem entlassenen Korrigenden als Schweinefütterer, von denen allerdings der eine sofort und der andere nach wenigen Wochen das Weite suchte.f? Bei Bürogehilfen und Aushilfskräften des Gutsbetriebs, in den unter- sten Personalrängen, verwischte sich de facto die gewünschte klare Abgrenzung zwischen Personal und Insassen. Der Oberaufseher Leiter des unmittelbaren Anstaltsbetriebs war der Oberaufseher. Er fungierte als direkter Vorgesetzter der Aufseher und Hilfsaufseher und war für deren Diensteinteilung verantwortlich. Außerdem unterstanden ihm die Werkstätten, die Küche und insbesondere die Kleider- und Effektenkammer. Für etwaige Fehlbestände in Küche und Kleiderkammer haftete der Oberaufseher persön- lich. Das konkrete Verhalten von Aufsehern und Insassen sowie das gesamte 44 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9813. 45 Verhandlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 20, Unteranlage I. 46 SIAMarburg, Bestand 231, Nr. 25. 47 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresberichte 1929 und 1930. 169 innere Anstaltsleben kannte der Oberaufseher weitaus besser als der hauptsäch- lich mit Verwaltungsaufgaben belastete Direktor. Die Dienstinstruktion für den Oberaufseher von 1874 bestimmte: "Der Ober- Aufseher hat durch sein gesamtes Verhalten in und außer dem Amte der Achtung und des Ansehens, die sein Beruf erfordert, sich stets würdig zu be- weisen und hierin dem Aufsichtspersonal zum Vorbild zu dienen. Er muß sich deshalb einer leidenschaftslosen Ruhe, der größten Wahrheitsliebe und Ge- wissenhaftigkeit befleißigen und dem ihm unterstellten Personal sowie den De- tinirten gegenüber Unpartheilichkeit, Besonnenheit, Umsicht, Energie und, wo es darauf ankommt unerschrockenen Muth zeigen, auch stets den obersten Zweck der Anstalt, die thunlichste moralische Besserung der Corrigenden vor Augen behalten. "48 Wilhelm Mohr, ehemaliger Vizefeldwebel und Stationsassistent des Bahn- hofs Guxhagen, hatte 1874 das Glück, als erster Oberaufseher in den Dienst der neuen Korrektionsanstalt treten zu können. Er blieb nur knapp zwei Jahre in Breitenau, weil er bereits 1876 von der Bezirksverwaltung als Oberwärter in die Irrenanstalt Marburg versetzt wurde. 49 In den folgenden Jahren hatte die Verwaltung bei der Besetzung der OberaufsehersteIle keine glückliche Hand. Mohrs Nachfolger mußte 1878 krankheitsbedingt entlassen werden. Drei weitere Oberaufseher bewährten sich ebenfalls nicht und wurden schon nach jeweils wenigen Wochen ersetzt. 50 Mit dem daraufhin eingestellten Oberauf- seher Scholz glaubte man schließlich einen geeigneten Mann gefunden zu haben. Er wurde jedoch nach fünfjähriger erfolgreicher Tätigkeit vom Bezirks- kommunalverband Wiesbaden für die 1883 eröffnete Korrektionsanstalt Hadamar abgeworben.51 Mit Johannes Bartholornäus ernannte die Bezirkskommunalverwaltung 1884 erstmals einen bereits im Dienst der Anstalt stehenden Beamten zum Oberauf- seher. Bartholornäus hatte 1874 gerade 26jährig als einer der ersten Aufseher in Breitenau begonnen und kannte die Anstalt seit ihrem Gründungstag. Zuvor hatte er als Bürodiener einer Kasseler Behörde sein Brot verdient.52 Johannes Bartholornäus blieb über zweieinhalb Jahrzehnte Oberaufseher der Korrektions- 48 Dienst-Instruction für den Ober-Aufseher der Corrections- und Landarmen-Anstalt zu Brei- tenau, in: Verhandlungen des Communal- Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Unteranlage 5, Sp. 69 f. 49 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 38 RS. 50 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 69 f. 51 Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 403, Nr. 488, Jahresbericht 1883, S. 7. 52 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 8. 170 und Landarmenanstalt Breitenau. Sein Karrieremuster blieb auch für spätere Oberaufseher typisch. Im Gegensatz zu den Direktoren, die immer von außer- halb kamen, rekrutierten sich die Oberaufseher von nun an - mit einer Aus- nahme - aus den Anstaltsaufsehern, wobei für diese wichtige, mit großer Macht ausgestattete Position, nur erfahrene Aufseher in Frage kamen, die durchweg schon über ein Jahrzehnt im Breitenauer Anstaltsdienst arbeiteten. Die Position des Oberaufsehers bot den Aufsehern, die ihrerseits größtenteils verbeamtete Hilfsaufseher waren, die Möglichkeit zum beachtlichen beruflichen Aufstieg, dem alIerdings langjährige Bewährung im Hilfsaufseher- und Aufseherdienst vorhergehen mußte. Der begehrte Oberaufseherposten bot besitzlosen Guxhagener Bürgern die Möglichkeit zum Aufstieg von im Tagelohn beschäftigten Hilfsaufsehern zu beamteten Vorgesetzten des gesamten Aufsichtspersonals und Verantwortlichen über hunderte Anstaltsinsassen. Eine leichte Aufgabe war die Tätigkeit eines Oberaufsehers sicher nicht. Der Oberaufseher mußte rund um die Uhr auf dem Anstaltsgelände erreichbar sein und sein offizieller Dienst dauerte laut einer nie aufgehobenen Dienstanweisung aus dem Jahre 1874 tagtäglich "vom Morgen-Aufschluß der Corrigenden bis zur Beendigung des von ihm entgegen zu nehmenden Abend-Rapportes" .53 Der Direktor DerDirektor fungierte als unumschränkter Gesamtleiter der Anstalt. Er ver- trat die Anstalt nach außen, leitete die Verwaltung, den Guts- und Arbeits- betrieb, war Vorgesetzter des gesamten Personals (mit Ausnahme des Arztes und der Seelsorger) und schließlich der gefürchtete "Herr Direktor" für die In- sassen. Als patriarchalischer Leiter residierte der Direktor mit seiner Familie in einer Dienstwohnung auf dem Anstaltsgelände. Die Dienstinstruktion für den Direktor von 1874 bestimmte: "Da der Erfolg der ganzen Wirksamkeit des ersten Beamten der Anstalt wesentlich von der Achtung abhängt, welche sein persönliches Verhalten erzeugt, so wird dem Inspector vor Allem ein tadelIoser Lebenswandel und die gewissenhafte Haltung in seinem amtlichen und außer- 53 Dienst-Instruction für den Ober-Aufseher der Cerreetions- und Landarmen-Anstalt zu Brei- lenau, 1875, Sp. 71. 171 amtlichen Verfahren, sowie eine unermütlich besonnene Thätigkeit zur Pflicht gemacht. "54 Die Anstaltsleiter Friedrich Wilhelm Nettelbeck Louis Schmidt Baetz Josef Schrötter Heinrich Klimmer Georg Sauerbier Wilhelm Engelbach Dr. Otto Alter 1874-1892 1892-1913 1913-1931 1931-1933 (kommissarisch) 1933-1940 1940-1945 1945-1949 1949-1956 Keiner der Direktoren konnte eine spezielle Qualifikation zur Leitung einer Arbeitsanstalt nachweisen. Trotzdem waren die meisten Direktoren Fachleute im weiteren Sinn und konnten zumindest auf Verwaltungserfahrung zurück- greifen. Gründungsdirektor Nettelbeck arbeitete zuvor als "Inspector und Rendant" der Breslauer Strafanstalt, hatte also Erfahrung in der Leitung einer großen Anstalt. 55 Nettelbeck leitete das Breitenauer Arbeitshaus mit harter Hand ohne jedes pädagogisches Verständnis. Noch 1886 sprach er vom "Strafanstaltsdienst" in Breitenau.V' Seine Jahresberichte waren von Haß und Mißtrauen gegen die Anstaltsinsassen geprägt. Unangepaßte Insassen be- schimpfte er als "durchtriebene, listige, in allen Schlechtigkeiten erfahrene Subjecte", angepaßte Insassen dagegen als "Heuchler".57 Die Korrigenden be- säßen weder "Ehr noch Schamgefühl", an deren Stelle sei "Faulheit, Lüge, Frechheit und Schamlosigkeit im höchsten Grade" getreten. Schuld daran sei "teils der Hang zum Saufen und dadurch Müßiggang, sowie schlechte Er- ziehung" .58 54 Instruction für den Inspector der Cerreetions- und Landarmen- Anstalt zu Breitenau, in: Verhandlungen des Communal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1875, Anlage 37, Unteranlage 4, Sp. 53. 55 Archiv des LWV-Hessen. Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60. S. 5 RS. 56 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 211. 57 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 6 RS, S. 60 RS. 58 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 97 RS. 172 Im Sommer 1886 unternahm ein Korrigend einen Angriff auf Direktor Nettelbeck, an dessen Folgen Nettelbeck lange zu leiden hatte. Der Korrigend wurde wegenMordversuchs zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. 59 Als Nettelbeck 1892 in Pension ging, ernannte die Bezirkskommunal- verwaltung Louis Schmidt zu seinem Nachfolger. Schmidt leitete zuvor die hessische Arbeiterkolonie Neu-Ulrichstein, eine stationäre Einrichtung der Wandererfürsorge, und kannte das Schicksal wohnungsloser Menschen, die den weitaus größten Anteil der Breitenauer Insassen stellten, bereits aus eigener Berufserfahrung.s'' Schmidt blieb zweiundzwanzig Jahre in Breitenau und war der Direktor mit der längsten Dienstzeit in der Breitenauer Anstaltsgeschichte. Direktor Schmidt schlug gegenüber den Insassen einen moderateren Ton an und entwickelte ein gewisses pädagogisches Gespür, etwa wenn er Aufseherbe- schwerden über renitente Insassen als Selbstbezichtigungen unfähiger Aufseher einschätzte. Schmidt hielt sich insbesondere bei Verhängung von Arreststrafen merklich zurück und setzte dagegen auf die disziplinierende Wirkung von Haftverlängerungen. Der nach Schmidts Tod 1913 eingesetzte Direktor Baetz hatte sich im Ge- gensatz zu seinen Vorgängern innerhalb der Bezirkskommunalverwaltung hochgedient und war zuvor Hospitalrentmeister in der ebenfalls der Kasseler Bezirksverwaltung unterstehenden Landesheilanstalt Haina. Um ihm die nö- tigen Kenntnisse über Arbeitshäuser zu vermitteln, schickte man ihn vor seinem Dienstantritt in Breitenau für vier Wochen zu einem Hospitationspraktikum ins westfälische Arbeitshaus Benninghausen.P! In die Dienstzeit von Direktor Baetz fiel die noch zu schildernde Reformperiode der Anstalt. Als Baetz 1931 nach langer Krankheit starb, ließ die Bezirkskommunalverwaltung den Direktionsposten der zu diesem Zeitpunkt fast leerstehenden Anstalt für zwei Jahre unbesetzt. Die Direktionsaufgaben versah provisorisch der Breitenauer Bürobedienstete Josef Schrötter, der diese Funktion schon während der Krank- heit des letzten Direktors ausgeübt hatte. 62 Erst im Oktober 1933, als die Anstalt mittlerweile mit politischen Schutz- häftlingen und aufgrund der Bettlerrazzien der Nationalsozialisten mit neu- eingelieferten Korrigenden wieder gut belegt war, besetzte die Bezirks- kommunalverwaltung den Direktionsposten erneut. Heinrich Klimmer, der 59 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, S. 215 RS. 60 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], NT. 63, S. 86. Zur Geschichte und Funk- tion der Arbeiterkolonien vgl. Zentralvorstand Deutscher Arbeiterkolonien (Hrsg.), 1984. 61 Archivdes LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 64, S. 302. 62 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 1,29.9.31. 173 : ; : . , / .-;- .... ..-:- - - .. - -- 1'';,.. Georg Sauerbie/?. ProvinzialgüludirtMo;:. , und IttJmmissOt'ischuUIItr dQrlantfnar6rilsanSlaH BrUfrnav. woJmhafiln Breitenau .. . -- .... . - -.. . - . '. ' ':'. Eigenhändige Unf.r6'Chril't aes Jnhabflrs. .1 '1 I Kasu/, d"n 24.Juni,g~ /Ne pdiuilichtln DiMSfs!u lw w",oft ~eute aus ber (Iorreetious~ unb llonbor1l1C11~2luftaTt entlal\en merben foll, [o tuutbe betfeHle oorfd]rifts1l1iilJin uorncfiif)rt unb if)1l1 fold]es betount ßell\n~t. SDellllelbell murbcn uod] erfolnter l8ilitit1lun bie uod] bent .l)iuterlenuuns~iBlott bel' lJlerlonnl'2fden H)m onne!)örinen CSencnltiiube ausgeliefert, über bereu (Impfong er unter bem l8etoei~nill quittirt ~ot. Eobonn murbe berlelbe alTes (hufles ermo~ut, fidj in ,8ufnnlt eines ted)tld)a[ieneu lffianbefs Ou bef(eiflinen. 5)ieranf befragt, ob er nod) irgcnb eiue l)'otbetltllg nn bie 2luftoH on ntndjeu ~abe, Itffäde berleIbe; idj ~obe olles mir (lje~örine uub CSebiif)rC1lbe empfangen, \0 ball idj feinerlei 2Inlptiid]e n1C~r nn bie 2(ul:olt ,u mod]C1I ~abe. 6itjlieiJlidj iuurbe berielbe ongelUiejeu, lil~ uodj ~~ ......~_ ... ßefrtli~em SDomicile Ou begeben uub i~1ll gleidj3eitig ber 91eiiepolJ mit bem eruftTid)etl ~ebruten eillge~änbigt, uou ber llorgeldjriebeueu 9leilc~~loute unb ßeitbefthumuug uidjt a&!Uloeidjen, besgleidjen lidj alles lBetteIns OU enl~oHen, bei l8ermeibung ber in ben @eleten fellgeletten {Strafen. l8. g. u. 229 Krankenhauseinweisung, vereinzelt auch wegen Überführung in Fürsorge- heime. Im gesamten Aktenbestand der Jahre 1919 bis 1945 mit insgesamt 1 258 Einweisungen finden sich gerade fünf Fälle, in denen die festgesetzte Haft verkürzt wurde. Ganz selten wurden auch Korrigendinnen und Korrigen- den zur Bewährung "bedingt entlassen" .115 Weder durch angepaßtes Verhalten noch durch gute Arbeitsleistung ließ sich eine vorzeitige Entlassung erreichen. Insofern registrierte weder das Personal noch die einweisende Behörde die - wie auch immer definierte - Besserung der Insassen. Diszipliniertes Verhalten verbesserte bestenfalls die Situation eines Häftlings während der Haftzeit innerhalb der Anstalt, die festgesetzte Haftdauer konnte dadurch jedoch nur im absoluten Ausnahmefall verkürzt werden. Wer sich dem Anstalts- und Arbeitsbetrieb fügte, ohne Murren das vorge- schriebene Arbeitspensum leistete und sich keine größeren Disziplinarvergehen zuschulden kommen ließ, konnte damit rechnen, am festgelegten Tag freige- lassen zu werden. Zuvor mußte allerdings der Anstaltsarzt die Entlassungs- fähigkeit bescheinigen, eventuell festgestellte Krankheiten mußten die Insassen noch in der Anstalt auskurieren. 116 Unter Umständen bot man alten oder ge- brechlichen Korrigenden auch die Übernahme ins Landarmenhaus an. l l7 Am Entlassungstag händigten die Aufseher die bei der Ankunft abgenommenen Kleider, Habseligkeiten, Legitimationspapiere und einen Entlassungsschein aus. Die zur Entlassung anstehenden Korrigenden wurden befragt, wohin sie sich begeben wollten. Das Anstaltsbüro stellte einen Zwangspaß, von den Vagabunden "Totenschein" genannt118, mit vorgeschriebener Reiseroute zu diesem Ort aus. 119 "Sodann wurde derselbe allen Ernstes ermahnt, sich in Zu- kunft eines rechtschaffenen Wandels zu befleißigen". Jeder Korrigend mußte vor der Entlassung ein Formular mit dieser erbaulichen Aufforderung unter- schreiben. Diese Ermahnung war das letzte Relikt des noch im 18. Jahr- hunderts in den Arbeitshäusern üblichen Durchprügelns, dem "Abschied" der 115 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.4723; Nr. 4043; Nr.63, S. 177; GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 7889; zur Entlassungspraxis des Arbeitshauses Hadamar siehe Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 403, Nr. 490. 116 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8211. 117 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 64, S. 10. 118 Vgl. Hans Ostwald. Rinnsteinsprache. Lexikon der Gauner-, Dirnen und Landstreicher' sprache, Berlin 1906. 119 Vgl. Levin Freiherr von Wintzingeroda-Knorr, 1885, S. 27. 230 lIrrllllllbdf in bcr liurrrhfionß- uub l'nubnnutu-Au"lIff }U ~rdtl'II11Il, um ~ t.!.tl r' 19~f ;Pa~ ~ottillenb )f----' y.?~ /? lIad) IIbAebii[llet fortcftionellct .\}nft ~eute anß ber srotteftionß~~rnftart entlaffcn uerben [oll, fo murbe b- felbe uotfdjrift13l11öUilJ ootoefiilJtt unb ilJ-' foldjet' befannt gelllad)l. ~l\H(fclliell murben lWd) erjolgter ~utdjfud)nnlJ bie nad) bein ~intetlegnng~~ ['[olt bet !l\etfonnluttcn if,- 3ugelJötigen @elJenftönbe an13geliefetl, übet beten ~lIlpfann " nutet bem lIlcqcidjni1l quittiert ~at. eiobann murbe b""felbe alle1l ~tnfte13 ermuhnt, fid) in 8ufunft eine§ ted)t~ r~ojienen llliunbcl§ 3U befleiUigen. ~ierauf Iieftllgt, ob . \Il;l'lijd)r (jjrjcljid)h' I 11 I n.I ~~\rldJiirlinlllln in brr (iorrrrliDJI')lIlIjlnlt II unter ~lluntllic brß U·kifJr0. I~~ 7. ...-/" ~lr"I'lir[)li!JI(·r (Irll1rr{10,\ IUr in lllld) brr n;/~~ lilllllliillllg . .. ~(lIfinbr br~ IlliHJinrlt llntrrtonuuruö llnel) /~f:~brr lilltln\iIlIl!J. I 239 , , ~I. ~(rhcif.Svriil1lic bei ber liUUOjjllllll II haur \lIli:'Ot"ltlljft 1l(-3 ~lll.'ikillittt'l 11. an ~ot ~\iil"!ll'nl1riitl'ralllt Ilbndllubt ~h'iollbfrc ~l'IIIL'rrlllllll·n. ~(IIfß'ftdll ~- Q3rcitclIRlI, nfvator nnb J>irißcnt ?lll 240 Refonnversuche in der Weimarer Republik Breitenau am Ende des Ersten Weltkriegs 1917 trug das Personal erstmals in der Geschichte der Anstalt mehr Frauen als Männer in die Aufnahmebücher ein. Während des Ersten Weltkriegs waren die Einweisungsziffem männlicher Korrigenden in Breitenau stark zu- rückgegangen. Arbeitsfähige Männer wurden kaum noch eingeliefert. Durch Einberufungen zum Heer und die große Zahl der Kriegstoten, aber auch durch den dadurch hervorgerufenen allgemeinen Arbeitskräftemangel war die Zahl der wohnungslosen Männer, der Bettler und Landstreicher geringer geworden. 'Der größere Teil dieser durch Alkohol und unregelmäßige Lebensweise ohne- hin geschwächten Leute wird unter den Entbehrungen während des Krieges zu- grunde gegangen sein", vermutete Direktor Baetz.! Gleichzeitig griffen die Be- hörden auf die Übriggebliebenen verschärft zu und konnten gegen "arbeits- scheue Wanderer" sogar militärische Sicherheitshaft verhängen. 2 Während die Einweisungen männlicher Korrigenden zurückgingen, stiegen die Einweisungen von Korrigendinnen stark an. Der auffällige Anstieg der Einlieferungen von Prostituierten während des Kriegs wurde von der Direktion mit präventiven Maßnahmen gegen einen vermuteten wehrkraftzersetzenden Sitlenverfall erklärt. Im Jahresbericht 1917 schrieb die Direktion, die erhöhte Einweisung von Korrigendinnen habe ihre Ursache in der schärferen Verfol- gung der sittenpolizeiliehen Übertretungen seitens der Polizei und Gerichte so- wie 'in der Zusammenarbeit von Polizei und Militärverwaltung bei der Fest- nahme solcher Dirnen, deren Unschädlichmachung im gesundheitlichen Inter- esse derMilitärpersonen gelegen ist". 3 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 79. Vgl. Die Maßnahmen der stellvertretenden Generalkommandos gegen arbeitsscheue Wanderer, in: Der Wanderer 33 (1916), S. 51. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 79; vgl. Verfügung vom 15. Juli 1918 betr. Fürsorgernaßnahmen für sittlich gefallene oder gefährdete Frauen und Mädchen, in: MBliV. 79 (1918), S. 183-186. 241 Der Krieg wirkte sich bald auch auf das innere Anstaltsleben in Breitenau aus. Schon 1915 erhielten die Breitenauer Insassen nicht mehr die in den Speiseregulativen vorgeschriebenen Lebensmittel, sondern mußten mit Er- satznahrungsmitteln verpflegt werden. Der Jahresbericht 1916 spricht bereits von "harten Entbehrungen" der Insassen, die so gravierend waren, daß die Anstaltsleitung davon absah, Korrigenden zu bestrafen, die wegen Unterer- nährung ihr Arbeitspensum nicht mehr erreichten.f Die Lebensmittelknappheit verschärfte sich 1917 durch eine Mißernte im anstaltseigenen Gutsbetrieb. Die Sterblichkeit innerhalb der Anstalt schnellte dramatisch in die Höhe. 1916 starben elf Insassen, 1917 neunzehn Insassen und 1918 zehn Insassen. Bei den männlichen Korrigenden betrug die Sterblichkeit im Jahre 1916 4,3 Prozent, im Jahre 1917 17,6 Prozent und im Jahre 1918 17,8 Prozent, obwohl sich die Verpflegungssituation der Anstalt 1918 aufgrund geringerer Belegung etwas entspannt hatte. 5 Sterbeziffern in dieser Höhe hatte Breitenau seit Jahrzehnten nicht mehr gekannt. Um nicht zu verhungern, versuchten die Insassen bei den Außenkolonnen an Nahrungsmittel heranzukommen. Die meisten der 1917 ausgesprochenen Disziplinarstrafen wurden wegen Entwendung von Obst und Feldfrüchten verhängt.P Aufgrund einer allgemeinen Amnestie vom 3. Dezember 1918, die durch Ministerialerlaß vom 9. Januar 1919 auch auf die Arbeitshäuser ausgedehnt wurde, erlangten Ende Januar 1919 alle Korrigendinnen und die meisten männlichen Korrigenden vor Ablauf ihrer Strafzeit die Freiheit. 7 "So sah sich die Anstalt zu Anfang Februar 1919 unerwartet fast aller Arbeitskräfte beraubt u. war zwecks Aufrechterhaltung der Betriebe, insbesondere des Gutsbetriebs, gezwungen, dem Aufsichtspersonal diejenigen Arbeiten zuzuweisen, welche vordem größtenteils von Häftlingen ausgeführt worden waren", klagte die Direktion im Jahresbericht 1918. 8 Von den Ereignissen der Novemberrevolution wurde Breitenau nicht direkt berührt. Die Breitenauer Direktion konnte erleichtert berichten, die Anstalt sei 4 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 40 RS, S. 67, S. 54. 5 Gemessen in Gestorbene pro einhundert Haftjahre. 6 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 80 RS. 7 StA Marburg, Bestand 231, Nr.21; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 103, S. 107; StA Marburg, Bestand 231, Nr. 20. Eine Namensliste der Amne- stierten nennt 11 Männer und 25 Frauen, Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 27, S. 187, S. 188; eine andere Quelle nennt nur 8 Männer und 20 Frauen, Nr. 122, S. 68; die Korrigenden des Arbeitshauses Moringen wurden ebenfalls am 1.2.1919 amne- stiert, vgl. Koepchen, 1928, S. 157. 8 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, Jahresbericht 1918, S. 103. 242 vor "willkürlichen Zugriffen aus Anlaß der Novemberereignisse des Jahres 1918" verschont geblieben.? 1918 befanden sich ohnehin nur noch wenige Korrigenden und Korrigen- dinnen in der Anstalt, Anfang April 1918 nur noch 45 Frauen und 32 Männer. Bis Ende Januar 1919 fiel die Zahl der Korrigenden durch Verhungern, routinemäßige Entlassungen und zurückgegangene Einweisungen auf 22 Frauen und 18 Männer. IO Die Korrektionsanstalt wurde nach der Amnestie jedoch nicht geschlossen. Drei männliche Korrigenden waren von der Amnestie ausgenommen, weil sie wegen Zuhälterei eine Hauptstrafe von mehr als einem Jahr erhalten hatten. Sie verließen Breitenau erst nach regulärer Verbüßung ihrer Strafen im Laufe des Jahres 1919. 11 Im Sommer 1919 weisen die Tageslisten über mehrere Wochen hinweg lediglich einen einzigen männlichen Korrigenden aus. Der 38jährige Georg Z. war als Zuhälter nicht unter die Amnestie gefallen. Verbittert schrieb er ein - abgelehntes - Gnadengesuch: "Habe zusehen müssen, wie alle hiesigen Insassen durch Amnestie oder durch Gnade des Herrn Regierungspräsidenten die Freiheit wieder erlangten, so daß ich nunmehr alleiniger (männlicher, W.A.) Insasse der Anstalt Breitenau bin." 12 Nach der Amnestie verging nicht einmal eine Woche, bis am 7. Februar 1919 bereits wieder zwei Korrigendinnen eingeliefert wurden. Bis Ende 1920 war die Zahl der Korrigendinnen langsam aber stetig auf neunundzwanzig Frauen gestiegen. 13 Die Zahl der männlichen Korrigenden betrug zu diesem Zeitpunkt sechzehn Personen. Während der gesamten Novemberrevolution war die Korrektionsanstalt Breitenau aufnahmebereit gewesen und hatte nicht einen einzigen Tag völlig leergestanden. Der Zusammenbruch der Belegungsziffer war in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die Gerichte - sofern sie überhaupt noch tätig waren - sich 1918 und 1919 scheuten, Menschen zur Arbeitshaushaft zu ver- urteilen. Der Amnestie vom 3. Dezember 1918 kam demgegenüber nur un- tergeordnete Bedeutung zu. Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen der Arbeitshausunterbringung brachte die Novemberrevolution nicht die geringste Änderung. An den Haftbedingungen 9 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 103. 10 StA Marburg, Bestand 231, Nr. 20. 11 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 107; Nr. 122, S. 68. 12 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 4707, S. 11. 13 StAMarburg, Bestand 231, Nr. 20. 243 der Breitenauer Insassen änderte sich zunächst ebenfalls nichts. Personal und Direktion blieben im Amt; die Hausordnung von 1874 blieb mit der 1902 ver- fügten Strafverschärfung weiterhin gültig. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis die politischen Veränderungen nach Ende des Kaiserreiches auch in die Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau wirksam wurden. Die Zahl der Arbeitshausgefangenen lag in der Weimarer Republik weit unter den Ziffern des Kaiserreichs. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Ver- mutlich ging die Wohnungslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg stark zurück. 14 Der Krieg hatte den in Frage kommenden Personenkreis stark dezimiert. Außerdem ermöglichte die 1918 geschaffene Erwerbslosenhilfe erstmals eine gewisse materielle Absicherung der Arbeitslosigkeit, dem wichtigsten Risiko aller Lohnarbeiter. Hinzu kam, daß die Arbeitshäuser immer stärker ins Schuß- feld der Kritik gerieten und die Richter sich zunehmend scheuten, Menschen in die als veraltet eingeschätzten Arbeitshäuser einzuweisen. Direktor Baetz er- klärte sich 1923 den Rückgang der Breitenauer Korrigendenzahlen folgender- maßen: "Kriegsverluste, Abgang infolge von Unterernährung, Schutz der Dirnen durch die Besatzungstruppen, Verminderung der Polizeiorgane, Arbeitslosenunterstützung, mildere Aburteilung durch die Gerichte. "15 Der freigewordene Anstaltsraum wurde in Breitenau, wie auch in den Ar- beitshäusern Brauweiler und Kislau, zur Unterbringung von Justizgefangenen genutzt.J'' Von 1920 bis Ende März 1926 wurden in das "Strafgefängnis Brei- tenau" insgesamt 874 Strafgefangene eingewiesen. Die höchste Belegung wies das Jahr 1921 mit durchschnittlich 120 Justizhäftlingen auf, die im Hauptge- bäude und im Zellenbau untergebracht wurden. 17 14 Vgl. insbesondere Wolfgang lohn, 1988, S. 313-318. 15 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 118, S. 153; vgl. Georg Steigertahl, Arbeitshaus und Arbeitsstrafen. in: Fritz Stier-Sornlo/ Alexander Elster (Hrsg.), Hand- wörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. I, Berlinl Leipzig 1926, S. 273. 16 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 55, S. 6; Nr. 10414, 6.6.21; Nr. 118, S.140. 17 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. 2, S. 291; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 55. 244 Die Diskussion um ein Bewahrungsgesetz Nach der Novemberrevolution schienen die Tage der korrekiionellen Nach- haft gezählt. Insbesondere Fürsorgekreise propagierten jetzt die Ersetzung der ohnehin längst multifunktional genutzten Arbeitshäuser durch sogenannte Verwahr- oder Bewahranstalten, in denen strafrechtliche und fürsorgerechtliche Arbeitshausunterbringung durch einheitliche "zwangsfürsorgerische Maß- nahmen gegenüber erwachsenen Personen" ersetzt werden sollte.P' In der Fachdiskussion fungierte der Begriff 'Verwahrung' bzw. später dann ver- harmlosend 'Bewahrung' als terminus technicus für 'geschlossene Fürsorge'. Fürsorgerisch begründete Zwangsbehandlung sollte Verwahrloste und Unan- gepaßte auf den Weg des rechtschaffenen Bürgers zurückführen. In den Bewahranstalten sollten die unausgebildeten Gefängniswärter der Arbeitshäuser durch qualifizierte Fürsorgerinnen ersetzt und gleichzeitig die Zwangsarbeit zur Arbeitstherapie transformiert werden. Mit den geplanten Bewahranstalten glaubte man, einen angemessenen Ersatz für die viel kritisierten Arbeitshäuser gefunden zu haben, ohne dadurch den nach wie vor für notwendig gehaltenen behördlichen Zugriff auf"Asoziale" aufgeben zu müssen. Im Bewahrungsgedanken flossen überaus unterschiedliche Strömungen zu- sammen: die Forderung nach Entkriminalisierung von Vagabundage und Pro- stitution, bei gleichzeitig weiterhin möglichem Zugriff auf diesen Per- sonenkreis seitens der öffentlichen und privaten Fürsorge, das Bestreben der Arbeitshauspraktiker, die stets als zu kurz einge- schätzte Arbeitshausunterbringung zumindest bei einem Teil der Insas- sen durch Dauerintemierung zu ersetzen, das gestärkte Selbstbewußtsein der öffentlichen und privaten Fürsorge, die sich sicher war, für ihr Klientel besser sorgen zu können als Richter und Verwaltungsbehörden, 18 Vgl. Georg Steigertah1, Zwangsfiirsorgerische Maßnahmen gegenüber erwachsenen Per- sonen, Berlin 1926; ders., Grundriß der Anstaltsfiirsorge, Berlin 1933; vgl. Lackmann. Das Arbeitshaus als Bewahrungsanstalt, in: 100. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft (1929), S. 94-97; vgl. Curt Bondy, Arbeitshaus und Bewahrungsan- stalt, in: Zeitschrift fiir die gesamte Strafrechtswissenschaft 50 (1930), S. 530; vgl. Szajkowski, Von der Bettleranstalt zum Bewahrungshaus, in: Soziale Praxis 39 (1930), Sp. 417-422 u. Sp. 465-469. 245 ein sozialpädagogischer Optimismus, der Fürsorgerinnen und Ärzte glauben machte, auch schwierige psychosoziale Probleme der Klienten lösen zu können. Die lange und überaus verwickelte Bewahrungsdiskussion läßt sich nur schwer in ein aus der politischen Diskussion entlehntes Rechts-links-Schema einordnen.J? Bewahrungsbefürworter fanden sich in durchaus unterschiedlichen politischen Lagern. Zu den Befürwortern eines Bewahrungsgesetzes gehörten auch Frauenrechtlerinnen wie Anna Pappritz. Die Bewahrungsdiskussion konnte ihre Dynamik nicht zuletzt aufgrund der Tatsache entfalten, daß ihre Protagonisten sich von einem Bewahrungsgesetz eine weitgehende Entkrimina- lisierung von Vagabunden und Prostituierten versprachen, ohne diesen Per- sonenkreis als Klientel der Fürsorge zu verlieren. Die Diskussion komplizierte sich zusätzlich, weil die Bewahrung für eine Teilgruppe der als bewahrungsbe- dürftig eingeschätzten Personen, nämlich die Arbeitshausinsassen, eine partielle Verbesserung der Unterbringungsbedingungen gebracht hätte, während viele andere durch ein Bewahrungsgesetz erst interniert worden wären. Der Kreis der vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge als bewahrungs- bedürftig eingeschätzten Personen war mit acht- bis zehntausend Personen jedenfalls weitaus umfassender als die 3 498 Menschen, die sich am 1. Juli 1925 in deutschen Arbeitshäusern befanden. 20 19 Zur Bewahrungsdiskussion vgl. Detlev 1. K. Peukert, Grenzen der Sozialdisziplinierung. Aufstieg und Krise der deutschen Jugendfürsorge 1878 bis 1932, Köln 1986, S. 263-301; vgl. Angelika Ebbinghaus, Helene Wessei und die Verwahrung, in: dies., Opfer und Tä- terinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus, Nördlingen 1987, S. 152- 173; zur Bewahrungsdiskussion im Nationalsozialismus vgl. Patrick Wagner, Das Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder. Die Kriminalpolizei und die "Vernichtung des Verbrechertums", in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 6, Berlin 1988, S. 75-100; zur Stellung der SPD vgI. Helene Simon, Das Problem der Bewahrung, in: Soziale Praxis 35 (1926), Sp. 457-460 u. Sp. 518-521 u. Sp. 551-555; dies., Bewahrung als Aufgabe der Wohlfahrtspflege, in: Arbeiterwohlfahrt 2 (1927), S. 609-615 u. S. 641-646; ablehnend dagegen Erna Magnus, Zur Problematik eines Be- wahrungsgesetzes, in: Arbeiterwohlfahrt 8 (1933), S. 104-112; zur Stellung der Frauenbe- wegung vgl. Anna Pappritz, Zum Reichsbewahrungsgesetz, in: Die Frau 32 (1924/25), S. 270-272; dies., Gefährdetenfürsorge und Bewahrung, in: Deutsche Zeitschrift für Wohl- fahrtspflege I (1925/26), S. 255-258. 20 Vgl. Weitere Vorarbeiten zum Bewahrungsgesetz, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 9 (1928), S. 4; vgl. Hartmann. Erhebungen zur Frage des Bedürfnisses nach einer Bewahrung Asozialer, in: Zentralblatt für Jugend- recht und Jugendwohlfahrt 17 (1926), S. 169-173; vgl. Wittelshöfer, Die statistische Er- hebung zur Vorbereitung eines Bewahrungsgesetzes, in: Volkswohlfahrt, 1930, S. 743-750. 246 Der Gedanke einer Dauerinternierung des Klienteis der Arbeitshäuser läßt sich schon lange vor den Bewahrungsdiskussionen der Weimarer Republik nachweisen. Wenn die Mehrzahl der Arbeitshausinsassen sowieso rückfällig wird, wozu soll man sie dann überhaupt entlassen, lautete die zynische Argu- mentation. Der Mannheimer Regierungsrat von Engelberg schlug schon 1896 auf einer Tagung der deutschen Sektion der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung vor, unverbesserliche Arbeitshausinsassen lebenslänglich zu in- ternieren.U Der Psychiater Karl Bonhoeffer forderte im Jahre 1900 die Zwangsunterbringung alter Landstreicher in Siechenhäusern, ohne sie zuvor durch langwierige Gerichtsverfahren entmündigen zu müssen. 22 Der Amts- richter E. Dosenheimer propagierte 1908 lebenslängliche Internierung "gemein- gefährlicher Bettler und Landstreicher" .23 Otto Mönkemöller, Anstaltsarzt im hannoverischen Frauenarbeitshaus Himmelstür, erhob im selben Jahr die For- derung, unverbesserliche Korrigendinnen "für immer der Außenwelt zu entzie- hen".24 Bei Prostituierten forderte Henriette Arendt als Quintessenz ihrer langjährigen Tätigkeit als Stuttgarter Polizeiassistentin Zwangsunterbringung der "traurigen Gestalten" in geeigneten Anstalten "zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutze des Gemeinwohls" .25 Mit der Herausnahme einzelner Personengruppen aus den nach wie vor be- stehenden Arbeitshäusern konnte die Fürsorge vergleichsweise frühe An- fangserfolge erzielen. Bereits im Jahre 1900 war für verurteilte Prostituierte eine gesetzliche Möglichkeit geschaffen worden, die Arbeitshaushaft ersatz- weise in geschlossenen Fürsorgeheimen zu vollstrecken, bei Mädchen unter 18 Jahren war dies sogar zwingend vorgeschrieben. In Preußen schuf das Gesetz für die Fürsorgeerziehung Minderjähriger von 1900 die Möglichkeit, statt Arbeitshaushaft Fürsorgeerziehung zu verhängen.J'' Reichsweit wurde bei Jugendlichen unter 18 Jahren die "Überweisung an die Landespolizeibehörde" , d.h. die Arbeitshausunterbringung und die ersatzweise Unterbringung in Für- 21 VgI. Vierte Versammlung der Landesgruppe Deutsches Reich, in: Mitteilungen der Inter- nationalen Kriminalistischen Vereinigung 5 (1896), S. 379, S. 403. 22 VgI. Karl BonhoefTer, 1900, S. 61. 23 VgI. E. Dosenheimer, 1908/09, S. 668. 24 Otto Mönkemöller, 1908, S. 195. 25 VgI. Henriette Arendt, Menschen, die den Pfad verloren, Stuttgart 1907, S. 31. 26 Gesetz über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger. Vom 2. Juli 1900, in: GS, 1900, S. 264. 247 sorgeanstalten, erst durch das Jugendgerichtsgesetz von 1923 endgültig be- seitigtP Seit 1916 war mit einer von der Wandererfürsorge initiierten und später als "Bielefelder System' bezeichneten Regelung auch für wegen Betteleidelikten verurteilte Erwachsene eine Möglichkeit geschaffen worden, in bestimmten Fällen auf freiwilliger Basis die Arbeitshaushaft in den von der Wanderer- fürsorge betriebenen Arbeiterkolonien zu vollstrecken. 28 Der hierfür vorge- sehene Personenkreis blieb jedoch begrenzt, nur geringfügig vorbestrafte oder als willensschwache 'große Kinder' bezeichnete Personen kamen für diese Regelung in Frage. 29 Eine Konferenz der preußischen Landesdirektoren sprach sich 1917 gegen diese Aufwertung der Arbeiterkolonien aus. Besserung von Landstreichern sei in den offenen Arbeiterkolonien regelmäßig nicht zu errei- chen. Die Landesdirektoren forderten, diese Personen "dauernd zu be- wahren" .30 Der Gedanke eines besonderen Bewahrungsgesetzes wurde erstmals auf einer vom städtischen Wohlfahrtsamt in Frankfurt im Oktober 1918 veranstalteten Tagung der Gefährdetenfürsorge vorgetragen. Agnes Neuhaus, Vertreterin des Katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder, führte dort vor über 250 Fürsorgepraktikern aus: "Was wir brauchen ist ein Verwahrungs- gesetz für geistig Minderwertige ... Für manche geistig minderwertige Für- sorgezöglinge könnte die Verwahrung direkt an die Fürsorgeerziehung an- schließen. "31 Bewahrung sollte auf Erwachsene ausgedehnte Fürsorgeerziehung sein. Agnes Neuhaus, die als profilierteste katholische Fürsorgefunktionärin von 1919 bis 1930 Zentrumsabgeordnete im Reichstag war, avancierte auf politischer Ebene zur zentralen Figur der Bewahrungsdiskussion. Im Reichstag 27 RGBI., 1933, Teil I, S. 136, § 9. 28 Vgl. DerWanderer34 (1917), S. 26-44. 29 Verfügung vom 23.11.1916 betr. Fürsorge für Wanderarme, in: MBliV., 1917, S. 7 f; aus- gedehnt auf Prostituierte durch Verfügung vom 15.7.1918, betr. Fürsorgernaßnahmen für sittlich gefallene oder gefährdete Frauen und Mädchen, in: MBliV., 1918, S. 183-186; vgl. von LilienthaI, Zum Kampf gegen Bettel, Landstreicherei und Prostitution, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 39 (1918), S. 71-73; Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 403, Nr, 509, S. 119-151; zur Praxis des "Bielefelder Systems" vgl. GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8053, S. 92-124; zur Praxis in Hamburg vgI. Gaby Zürn, 1986, S. 13. 30 Leitsätze über das Verfahren gegen willensschwache, zur Nachhaft verurteilte Wanderarme, Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 403, Nr. 509, S. 141 f. 31 Gefährdetenfürsorge und Sittlichkeits-Gesetzgebung. Bericht über eine Tagung am 10. und 11. Oktober 1918 in Frankfurt a.M., Frankfurt 1919, S. 55; vgl. Willi-Kurt Schmidt, Das Bewahrungsgesetz im neuen Recht und seine Beziehung zum Strafrecht, Diss. Halle 1937, Bonn 1937, S. 17. 248 reichte sie 1921, 1925 und 1928, teilweise in direkter Absprache mit dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Vorlagen für ein Be- wahrungsgesetz ein. 32 Wichtigster Vertreter des Bewahrungsgedankens seitens der Fürsorge- praktiker war der Direktor der Hamburger Wohlfahrtsanstalten Georg Steiger- tahl, ein ehemaliger Arbeitshausdirektor. Steigertahl hatte von 1920 bis 1925 das Arbeitshaus Groß-Salze geleitet und fungierte danach bis 1950 in Hamburg als Gesamtleiter eines mehrere tausend Insassen umfassenden Anstaltssystems. Mit dem riesigen Versorgungsheim Farmsen unterstand ihm eine der größten Anstalten Deutschlands. Steigertahl propagierte die Zusammenfassung von Arbeitshäusern und allen anderen Anstalten der geschlossenen Fürsorge zu Bewahranstalten. Nach einer Einweisung durch das Vormundschaftsgericht sollte die jeweilige Anstaltsleitung innerhalb eines Stufensystems von halb- offenen bis hin zu vergitterten Stationen völlig freie Hand haben. 33 SteigertahIs Vorschläge, seine unzähligen Artikel in Fachzeitschriften und seine ausge- dehnte Vortragstätigkeit bestimmten die Bewahrungsdiskussion über Jahr- zehnte. Dabei war von besonderer Bedeutung, daß es Steigertahl gelang, in den ihm unterstellten Anstalten durch eine überaus fragwürdige Entmündigungs- praxis die Bewahrung faktisch durchzuführen, so daß unter "Bewahrungs- gesetz' weithin eine Ausdehnung der Hamburger Verhältnisse auf das gesamte Deutsche Reich verstanden wurde. 34 Innerhalb der deutschen Fürsorge erschien der schnell populär gewordene Bewahrungsgedanke bald als Allheilmittel für die verschiedensten Sparten der Fürsorge, wie Jugendfürsorge, Gefährdetenfürsorge, Wandererfürsorge und städtische Wohlfahrtsämter.U Während der Weimarer Republik wurden im 32 Zur Biographie von Agnes Neuhaus (1854-1944) vgl. Maria Victoria Hopmann, Agnes Neuhaus. Leben und Werk, Mainz 1949; vgl. Angelika Ebbinghaus, 1987, S. 154-156; vgl. Agncs Neuhaus, Bewahrungsgesetz, in: Julia Dünner (Hrsg.), Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, Berlin 21929, S. 136-138; dies., Fürsorgeerziehung und Bewahrung, in: Die Wohlfahrtspflege in der Rheinprovinz 8 (1932), S. 188-190; dies., Entstehung und Bedeutung eines Bewahrungsgesetzes, in: Jugendwohl (1933), Nr. 10/11, S. 258-262. 33 Steigertahl, Gedanken über das Bewahrungsproblem, in: Deutsche Zeitschrift fiir Wohl- fahrtspflege 1 (1925), S. 348. 34 Vgl. Wolfgang Ayaß, Vom "Pik As" ins "Kola-Fu". Die Verfolgung der Bettler und Ob- dachlosen durch die Hamburger Sozialverwaltung, in: Projektgruppe fiir die vergessenen Opfer des NS-Regimes (Hrsg.), Verachtet, verfolgt, vernichtet, Hamburg 1987, S. 162- 166. 35 Vgl. Carola Kuhlmann, Erbkrank oder erziehbar? Jugendhilfe als Vorsorge und Aus- sonderung in der Fürsorgeerziehung in Westfalen von 1933-1945, Weinheiml Münster 1989, S. 42. 249 Reichstag nicht weniger als sieben Vorlagen für ein Bewahrungsgesetz einge- bracht, darunter auch ein Antrag der SPD. Über viele Jahre hinweg glaubte die deutsche Fürsorge, ihr unisono gewünschtes Bewahrungsgesetz werde inner- halb Jahresfrist in Kraft treten. Dies erschien durchaus realistisch, weil sich von den im Reichstag vertretenen Parteien einzig die KPD prinzipiell gegen das Gesetzesvorhaben aussprach. Durch das Bewahrungsgesetz solle, führte die KPD-Abgeordnete Arendsee im Reichstag aus, "ein großer Teil der Bevölke- rung vollkommen in ein Sklavenjoch gebracht werden" .36 Die Schwierigkeiten steckten jedoch im Detail. Über Trägerschaft der ge- planten Bewahranstalten, die Finanzierung und insbesondere aber über die kon- krete Abgrenzung des zu internierenden Personenkreises gab es selbst innerhalb der Fürsorge keine Einigung.J? Welcher Personenkreis sollte bewahrt werden? Wer sollte antragsberechtigt sein? Welche Institution die Einweisung aus- sprechen? Welche Unterbringungsfristen sollten gelten? Wer sollte die Kosten tragen? In diesen nicht unwichtigen Fragen unterschieden sich die vorgelegten Bewahrungsgesetzentwürfe erheblich. Aus Juristenkreisen kamen zudem prinzi- pielle Einwände. Überdies überschnitt sich die Bewahrungsgesetzdiskussion mit der geplanten Strafrechtsreform. Sollte das Arbeitshaus im neuen Strafrecht beibehalten werden? Sämtliche seit 1909 veröffentlichten Entwürfe für ein neues Strafgesetzbuch sahen das Arbeitshaus weiterhin vor. 38 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge und die SPD wollten dagegen die Arbeitshäuser ganz aus dem Strafrecht streichen. Die vielen Bewahrungsge- setzentwürfe ließen diese wichtige Frage durchweg unbeantwortet. In dieser ungeklärten Situation, in der die Arbeitshausunterbringung all- gemein als obsolet eingeschätzt wurde, die Einigung auf eine neue gesetzliche Regelung jedoch ausblieb, gingen die Einweisungsziffern der Arbeitshäuser immer weiter zurück. In Berlin wurden von den Richtern im ersten Halbjahr 1925 nur 76 von 2655 verurteilten Bettlern und 11 von 4 183 verurteilten 36 Verhandlungen des Reichstags, III. Wahlperiode 1924, Bd. 392, 290. und 291. Sitzung, 19. März 1927, S. 9738C; vgl. Fritz Fränkel, Zum Bewahrungsgesetz, in: Proletarische Sozial- politik 1 (1928), S. 153-156. 37 Vgl. Das Bewahrungsgesetz vom Standpunkt der Praxis, in: Nachrichtendienst des Deut- schen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 9 (1928), S. 417 f; zu den Vorarbeiten zum Bewahrungsgesetz vgl. ZStA Potsdam, Bestand 15.0 I, Nr. 1372. 38 Vgl. Johanna Jahn, 1966, S. 69-70; vgl. Rabe, Das Arbeitshaus als Bewahrungsanstalt, in: Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft 101 (1929), S. 60-70; vgl. Oskar Adolf Bayer, 1929, S. 47; vgl. Weitere Vorarbeiten zu einem Bewahrungsgesetz, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins fiir öffentliche und private Fürsorge 9 (1928), S. 365 f. 250 Prostituierten an die Landespolizeibehörde zwecks Arbeitshauseinweisung überwiesen.I? Dieser Trend setzte sich selbst während der Weltwirtschaftskrise fort, als durch die Massenarbeitslosigkeit die für Betteleidelikte in Frage kommende Population sprunghaft anstieg. Eine Notverordnung vom Oktober 1931 stellte die Ahndung von Übertretungen in das Ermessen der Polizei.40 Damit war die strafrechtliche Bettlerverfolgung faktisch aufgegeben worden. In den Jahren 1931 und 1932 sind aus dem gesamten Regierungsbezirk Kassel je- weils nur zwei Männer als Korrigenden nach Breitenau eingeliefert worden. In sämtlichen preußischen Arbeitsanstalten befanden sich am Jahresbeginn 1932 nur noch 1 080 Personen. 964 von ihnen waren wegen Bettelei oder Landstreicherei eingeliefert worden. Außerdem befanden sich noch 165 zwangsuntergebrachte Fürsorgeempfänger und weitere 372 zwangseingewie- sene Personen, meist entmündigte Alkoholiker, in den Arbeitsanstalten.U Kritik im Kommunallandtag und die neue Hausordnung Vor dem Hintergrund der Bewahrungsdiskussion geriet die Anstalt in Brei- tenau, die immer noch auf Grundlage der Regulative und Hausordnungen aus der Gründungszeit arbeitete, während der Weimarer Republik zunehmend ins Schußfeld der Kritik. Der Kasseler Kommunallandtag, der jahrzehntelang den Haushaltsvoran- schlag für Breitenau ohne größere Aussprache angenommen hatte, debattierte nun fast jährlich über Sinn, Zweck und konkrete Mißstände der Breitenauer Anstalt. Der Kommunallandtagsabgeordnete Ludwig Pappenheim (USPD) aus Schmalkalden wunderte sich bereits in der Haushaltsdebatte des Jahres 1921 darüber, daß im Haushaltsplan der Anstalt zwar jährlich 1 800 Mark für die Anstaltsgeistlichen, aber nur 100 Mark für einen Lehrer vorgesehen waren. Die Vorbildung der siebzehn Aufseher bestehe darin, daß sie beim Militär gewesen seien und "die Fertigkeit des langsamen Schritts vielleicht in hervorragender 39 GStA Berlin, Rep. 84a, Nr. 8053, S. 177-180; vgl. Im Arbeitshaus. Eine Einrichtung von zweifelhaftem Wert, in: Berliner Morgenpost, Nr. 31, 5.2.1926. 40 3. va des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6.10.1931, Reichsgesetzblatt, 1931, Teil 1, S. 563. 41 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [BezirksverbandJ, Nr. 160, S. 60. 251 Weise beherrschen". In einer Anstalt wie Breitenau brauche man stattdessen "1. Pädagogen, 2. Pädagogen und 3. nocheinmal Pädagogen".42 Ludwig Pappenheim blieb der einzige Politiker, der sich je um die Belange der Breitenauer Insassen kümmerte. Wenn sich in den folgenden Jahren die Verhältnisse in Breitenau etwas liberalisierten, dann ist dies größtenteils auf die unermüdlichen Aktivitäten dieses einen sozialistischen Kommunallandtagsabge- ordneten zurückzuführen. Ludwig Pappenheim argumentierte einfach, aber höchst wirksam. Die Korrigendinnen und Korrigenden, führte er wiederholt im Kommunallandtag aus, seien nicht zur Strafe in der Korrektionsanstalt, sondern "wie schon der Name sagt" zur Besserung.S' Die Strafe sei mit der vorgeschal- teten Haftstrafe bereits verbüßt. Einer solchen Argumentation konnten die Breitenauer Hausordnungen nicht standhalten, da sie bis in die Einzelheiten dem preußischen Gefängnisreglement entsprachen. Schon in der nächsten Sitzungsperiode stand im Kasseler Kommunallandtag eine Teilrevision der Hausordnung des Arbeitshauses auf der Tagesordnung. Die in die Defensive geratene Bezirkskommunalverwaltung schlug zunächst nur eine Modifikation der Arreststrafen vor, denn in Breitenau war immer noch die 1902 eingeführte wochenlange Dunkelhaft in Ketten bei Wasser und Brot möglich. Von dieser "Schmach vergangener Zeiten"44 hielt die Bezirksverwaltung jedoch nur die Ketten für veraltet, während sie ein abgestuftes Strafsystem mit Arrest bis zu sechs Wochen, Dunkelhaft und Essensentzug bei Wasser und Brot beibehalten wollte. Ludwig Pappenheim stellte zusammen mit Abgeordneten der KPD den Ge- genantrag, den Arrest auf vier Wochen und den Essensentzug auf zwei Drittel der normalen Kost zu beschränken. Dieser Antrag, der von SPD, USPD und KPD unterstützt wurde, wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Die Antragsteller hatten jedoch am Ende einer ungewöhnlich langen Debatte, die im Protokoll elf Druckseiten fiillt, das auf Dauer weit wirksamere Zugeständnis der Verwaltung erreicht, die Breitenauer Hausordnungen grundlegend zu überarbeiten. 45 Schon bevor diese neuen Hausordnungen ausgearbeitet waren, suspendierte der Landesausschuß im Sommer 1922 einige als veraltet angesehene Be- 42 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1921, Sp , 52-54. 43 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1925, Sp. 69; 1927, Sp. 49. 44 So Ludwig Pappenheim, Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1922, Sp. 193. 45 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1922, Sp. 189- 210. 252 stimmungen der alten Hausordnungen. Unterhaltungen zwischen Korrigenden wurden jetzt offiziell gestattet, die Fesselung bei Arreststrafen sowie der Dunkelarrest abgeschafft und die bereits seit längerer Zeit nicht mehr vorge- nommene Einteilung der Insassen in zwei Klassen nun auch formal auf- gehoben.46 Nacheinander erarbeitete die Verwaltung eine neue Ordnung für die Korrek- tionsanstalt und für das Landesfürsorgeheim, zusätzlich noch getrennte Haus- ordnungen für die Korrektionsanstalt, die Arbeitsanstalt und das Landes- fürsorgeheim.f? Der Erlaß dieser inhaltlich aufeinander abgestimmten neuen Anstaltsordnungen war Ausdruck einer vorsichtigen Reformära. Die Reformen änderten am Gesamtcharakter Breitenaus als geschlossener Zwangsarbeitsanstalt nichts; sie verbesserten jedoch die Haftbedingungen der dort Eingesperrten in vielen Einzelheiten. "Die Unterbringung soll ohne unnötige Härten die Hebung des Arbeits- willens und Gewöhnung an regelmäßige Beschäftigung zu erreichen suchen. Eine geistige und sittliche Hebung ist anzustreben. Das Ehrgefühl ist zu schonen und zu stärken", hieß es in der Ordnung für die Korrektionsanstalt von 1925. Die neue Ordnung der Korrektionsanstalt sah einige allerdings jederzeit widerrufbare Vergünstigungen vor, wie den Bezug von Tageszeitungen oder Büchern auf eigene Kosten und die Erlaubnis, die Unterbringungsräume und Zellen auszuschmücken. Außerdem gestattete man Schreiben, Zeichnen und Brettspiele.48 Beim nunmehr einstündigen Hofgang schaffte man den trostlosen Kreisgang ab und gestattete Bewegungsspiele. Die neuen Reglements schränkten die Willkür des Personals etwas ein. Die Korrigendinnen und Korrigenden mußten nicht mehr für jeden Brief einzeln um Erlaubnis betteln, sondern durften offiziell pro Monat je einen, weiterhin zensierten Brief erhalten und absenden. Besuch durfte jetzt alle sechs Wochen empfangen werden. Schließlich schrieben die neuen Ordnungen ein detailliertes 46 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 118, S. 152; Nr. 10282, 2.7.22; Be- stand 1 [Bezirksverband], Nr. 120, S. 7. 47 Ordnung für die Korrektionsanstalt zu Breitenau, in: Sonderbeilage zum Amtsblatt der Re- gierung Cassel, Ausgabe B, Nr.2, 9.1.1926; Ordnung für das Landesfürsorgeheim zu Breitenau vom 8. Mai 1925/30. März 1927, in: Amtsblatt der Regierung zu Kassel, Aus- gabe B, Nr. 24,18.6.1927, S. 141 f; Hausordnung für die Korrektionsanstalt in Breitenau, in: Amtsblatt der Regierung zu Cassel, 1925, S. 278-282; Hausordnung für das Landesfür- sorgeheim zu Breitenau, vom 26. Februar 1925, Bundesarchiv Koblenz R 36/1856; Haus- ordnung für die Arbeitsanstalt in Breitenau, 25.3.1925, Bundesarchiv Koblenz R 3611856; siehe auch Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10417. 48 Ordnung für die Korrektionsanstalt zu Breitenau, 1926, § 17. 253 Beschwerderecht fest. Das zuvor ohnehin unklar definierte und schon lange nicht mehr durchgesetzte Sprechverbot fiel endgültig zugunsten einer Regelung, die nur noch Gespräche verbot, die die Anstaltsordnung bzw. die Arbeitsleistung gefährdeten. Weiterhin untersagt blieben Karten- und Glücks- spiele, Alkohol, jeder Kontakt zu Häftlingen des anderen Geschlechts und das Verlassen des Anstaltsgeländes ohne Aufsicht. Schärfste Strafe, die die Direk- tion eigenverantwortlich aussprechen konnte, war jetzt vierwöchiger Arrest mit dem Entzug des Bettlagers und Beschränkung des Essens auf Wasser und Brot an zwei von drei Tagen. Die aus formalen Gründen gesondert erlassene "Hausordnung der Arbeits- anstalt" für die aufgrund § 20 Reichsfürsorgepflichtverordnung zwangsunterge- brachten "Arbeitsscheuen" übernahm die Bestimmungen für Korrigenden voll- ständig. Die Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 hatte das Prinzip des Un- terstützungswohnsitzes abgeschafft und damit die Unterscheidung in Orts- und Landarme aufgegeben. Die alte Landarmenanstalt war deswegen in Landes- fürsorgeheim umbenannt worden. Für die dort untergebrachten Für- sorgeempfänger galt wie schon zuvor für die Landarmen eine mildere Haus- ordnung. Die "Pfleglinge" durften jetzt eigene Kleidung tragen und mit Ge- nehmigung der Direktion Spaziergänge in der Umgebung der Anstalt unter- nehmen. Härteste Strafe gegen Pfleglinge blieb vierzehntägige, in Arrestzellen vollstreckte' Absonderung' mit Beschränkung des Essens auf drei Viertel der üblichen Menge. 1926 gestattete die Direktion männlichen Korrigenden erstmals, an Sonn- und Feiertagen jeweils drei Zigaretten zu rauchen. Ein Jahr später führte man als besondere Vergünstigung, wiederum nur für die Männer, die in den Akten vermerkte "erweiterte Raucherlaubnis" ein. Die Männer konnten nun pro Woche 50 Gramm Tabak aus dem Arbeitsverdienst erstehen. "Hiermit ist einem langersehnten Wunsche der männlichen Anstaltsbevölkerung Rechnung gegeben worden", vermerkte der Jahresbericht 1927. Die Vergünstigung der Raucherlaubnis fungierte gleichzeitig als Disziplinierungsmittel. Die "erweiterte Raucherlaubnis" konnte ein Korrigend nur erhalten, wenn er sich bei ausreichendem Arbeitsverdienst zwei Monate gut geführt hatte. 49 49 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 232; Nr. 9794, Jahresberichte 1926 und 1927; Nr. 133, S. 85. 254 Pädagogische Neuerungen Der Jahresbericht 1926 enthielt eine für Breitenauer Verhältnisse erstaunliche Meldung: "Aus erzieherischen Gründen wurde eine Anzahl Blumentöpfe ein- gekauft und mit Topfpflanzen bepflanzt den Anstaltsinsassen zur Wartung und Pflege übergeben. Diese Einrichtung erfreute sich bei den Insassen großer Be- liebtheit."50 Ab 1927 gestattete die Anstaltsleitung die in den Heimen und Anstalten der freien Wohlfahrtspflege längst üblichen typischen Anstaltsaktivitäten. Unter Leitung eines Korrigenden probte 1927 eine Singgruppe. Bei der Weihnachts- feier 1929 konnten die Insassen sogar mit kleineren Aufführungen erfreuen.P! Ebenfal1s 1929 ordnete die Direktion an, den Anstaltsinnenhof mit Bäumen und Ziersträuchern zu bepflanzen und Rasen einzusähen. "Der früher so öde Platz macht jetzt einen ansprechenden Eindruck", meldete der Jahresbericht 1929. Trotz eigener Baumschule mußten in Breitenau ein halbes Jahrhundert An- staltsleben vergehen, bis die Direktion auf diese Idee kam. Außerdem legte man einen Sportplatz für die Anstaltsinsassen an und beschaffte Sportgeräte. "Aus pädagogischen Gründen" wurde die zuvor übliche schriftliche Verrech- nung der Einkäufe mit der verdienten Arbeitsprämie abgeschafft und ein aus Blechmarken bestehendes speziel1es Breitenauer Anstaltsgeld ausgegeben. Schließlich modernisierte man die Unterkunftsräume. 1927 begann man, in die großen Männerschlafsäle im Hauptgebäude Trennwände einzuziehen. Für das Frauenhaus beschaffte man Tischdecken und Vorhänge. Mitte der zwanziger Jahre begann die Direktion, die in Breitenau durch- geführte Zwangsarbeit pädagogisch zu begründen. Im Jahresbericht 1927 be- findet sich erstmals eine Aussage über den konkreten pädagogischen Wert einer von Insassen durchgeführten Tätigkeit. Als der Landesausschuß beschloß, die chronisch defizitäre Baumschule aufzulösen, trat Direktor Baetz für deren Er- halt ein, "weil gerade auf diesem Gebiet eine ausgezeichnete Er- ziehungsmöglichkeit der Anstaltsinsassen durch Weckung ihrer Liebe zur Natur und deren Erzeugnissen liegt". 52 Diese Veränderungen zeigen, daß man in Breitenau ab Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr davon ausging, daß die Bettler, Landstreicher, Prostituierten 50 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1926. 51 Ebenda, Jahresbericht 1927 und 1929. 52 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1927. 255 und Zuhälter nur wegen fehlenden Arbeitswillens straffällig geworden waren und nichts anderes zu tun wäre, als diese Menschen durch einige Monate harter Landarbeit wieder an ein geordnetes, arbeitssames Leben zu gewöhnen. Die Ausgabe von Anstaltsgeld zum Üben des Umgangs mit Geld und die Erlaubnis, die Zellen und Schlafräume auszuschmücken, zielten auf das Einüben sozialer Verhaltensmuster, die die Korrigenden nach ihrer Entlassung in der rauhen Wirklichkeit umsetzen sollten. Die Sing- und Sportgruppen zielten eher auf die Erleichterung des Anstaltslebens, aber auch hier ist das Ziel einer sinnvollen Freizeitgestaltung nach der Entlassung nicht zu verkennen. Bei solchen Reformansätzen spielte der Hinweis auf Erfahrungen in Für- sorgeerziehungsheimen, die zu dieser Zeit den Arbeitshäusern weit voraus waren, eine wichtige Rolle. Allerdings wurde der Stand der Professiona- lisierung der Jugendfürsorge in den Arbeitshäusern nicht einmal ansatzweise er- reicht. 53 Insgesamt zeigen diese Reformen einen vorsichtigen Wandel der in Breitenau durchgeführten Besserungstechnologie, die zuvor darin bestanden hatte, den In- sassen zur Abschreckung das Leben in der Anstalt so unangenehm wie nur möglich zu machen und sie ansonsten zu möglichst ununterbrochener Arbeit anzuhalten. Die Ursachen für diese Veränderungen waren vielschichtig. Zum einen mußte man in Breitenau, schon allein um die Anstalt aus der öffentlichen Kritik herauszuhalten, wohl oder übel Zugeständnisse an die modeme Pädago- gik machen. Zum anderen hatte die während der Weimarer Republik durchge- führte erhebliche Verkürzung der Arbeitszeit der Insassen nun auch im of- fiziellen Tagesablauf Freizeit entstehen lassen, die sinnvoll genutzt werden sollte. Vorträge Ab 1922 wurden in Breitenau zur Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus der Insassen von anstalts fremden Referenten, aber auch befähigten Insassen, Vorträge gehalten. 54 Per Chiffreanzeige suchte die Direktion 1926 "geeignete Persönlichkeit (Herr oder Dame) zur Abhaltung von Vorträgen gemeinver- ständlichen Inhalts für bestrafte Personen". 55 Jeweils sonntags sollten die Re- 53 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.9814, 7.6.26; vgl. Hannes Stekl, Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser 1671-1920, München 1978, S. 174. 54 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 147, S. 199 RS, S.232; Nr. 154, S.180-181. 55 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9781, 6.7.1926. 256 ferenten und Referentinnen über ein Thema, das sie frei auswählen konnten, etwa ein bis eineinhalb Stunden sprechen. Erörterungen über religiöse Streit- fragen und über Politik sollten dabei allerdings unterbleiben. Aus den Be- werbern wählte sich die Direktion die nach ihrer Ansicht qualifiziertesten Männer und Frauen aus, darunter zwei promovierte Akademiker, eine Hauswirtschaftslehrerin und einen Studenten. Ab September 1926 konnten die Insassen regelmäßig sonntagnachmittags Vorträge hören. Löns als Mensch und Dichter; Florian Geyer; Gorch Fock; Ursachen der Revolution von 1848 - lautete im September 1926 das Vortragsangebot für die männlichen Insassen. Die Vorträge desselben Monats für die weiblichen Anstaltsinsassen, vor denen ausschließlich Frauen referierten, waren eher auf das ausgerichtet, was man für frauenspezifisch hielt: Mutterliebe; eine Lichtbilderreihe über Madonnenbilder; Konservierung von Nahrungsmitteln. Ein bunter Reigen solcher Vorträge belebte in den folgenden Monaten das triste Anstaltsleben. Die Themenauswahl war weit gefächert, wobei die ein- zelnen Referenten deutliche persönliche Schwerpunkte setzten. In der Ge- schichte des Arbeitshauses Breitenau markierten diese Vorträge eine wichtige Wende, weil man - unausgesprochen - eingestand, daß zur beabsichtigten Besserung der Korrigenden und Korrigendinnen weit mehr gehörte als nur stupider Arbeitszwang und allenfalls noch der ohnehin längst eingeschlafene Lese- und Schreibunterricht der Anfangsjahre. Mit dem Versuch, das allge- meine Bildungsniveau der Anstaltsinsassen zu heben, gab man zu, daß es außer dem unterstellten fehlenden Arbeitswillen noch andere Defizite zu beheben galt. Nach insgesamt etwa fünfzig Vorträgen fanden diese im April 1927 durch die Einführung der modernen Technik ihr abruptes Ende. Die Vorträge bildungsbürgerlicher Damen und Herren wurden durch die billigeren Sen- dungen eines neuen Radios ersetzt. 56 Fürsorgerinnen Sechs Jahre nach der oben zitierten Forderung des Kommunallandtagsab- geordneten Ludwig Pappenheim nach pädagogischem Personal stellte die Be- zirkskommunalverwaltung, "um die weiblichen Insassen sowohl bei der Arbeit als auch nach der Arbeit besser betreuen zu können", im August 1927 die erste als Fürsorgerin ausgebildete Mitarbeiterin ein. Arbeitsfeld der Fürsorgerin war 56 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9781,14.3.1927. 257 das Frauenhaus. Der Jahresbericht 1929 erwähnt unter Anleitung der Fürsorge- rin durchgeführte Näh- und Flickstunden, um die Mädchen "so auf ihren späteren Beruf als Hausfrau vorzubereiten".57 Die Fürsorgerinnen setzten sich bisher in Breitenau unbekannte Arbeitsschwerpunkte und kümmerten sich ins- besondere um die völlig vernachlässigte Entlassenenfürsorge. Sie nahmen Kon- takt mit den Eltern der Insassinnen auf, sicherten bei der Verhaftung zurückgelassenen Besitz, besorgten Kleidungsstücke für die Entlassung, betrie- ben aktive Arbeitssuche und machten sogar Hausbesuche bei entlassenen Korri- gendinnen.58 Die erste Fürsorgerin wurde bereits nach fünf Monaten, unter anderem wegen des Rückgangs der Zahl der Korrigendinnen infolge der Amnestie vom September 1927, in die Bezirkskommunalverwaltung nach Kassel versetzt. 59 Die ab 1929 wieder eingestellten Fürsorgerinnen wechselten häufig und ver- ließen die Anstalt teilweise schon nach wenigen Wochen. Der Einsatz modem ausgebildeter Pädagoginnen in der altertümlichen Anstalt funktionierte nicht reibungslos. Das Personal blieb lieber beim altbewährten Kasernenhofton, als sich mit dem Idealismus der jungen Fürsorgerinnen auseinanderzusetzen, deren große Fluktuation auf nicht gerade angenehme Arbeitsbedingungen schließen läßt. 60 Intrigen des alteingesessenen Personals gegen die Fürsorgerinnen beherrschten die Szene. Dazu kamen Kompetenzschwierigkeiten mit dem Direktor und der unvermeidliche Vorwurf, die Fürsorgerinnen seien zu weit- herzig und "willenloses Werkzeug" der Insassen.P! Zum Jahresende 1931 er- hielt die letzte Breitenauer Fürsorgerin - sie hatte es immerhin ein ganzes Jahr dort ausgehalten - im Rahmen des aIlgemeinen Personal abbaus "aus Arbeits- rnangel" ihre Kündigung. Nach etwas mehr als vier Jahren war das Zwischen- spiel pädagogisch ausgebildeter Fachkräfte in Breitenau beendet. 57 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9794, Jahresbericht 1929; Nr. 10319, S.63. 58 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 128, S. 57, S. 58, S. 69; vgl. hierzu Helmuth Schöbel, Vom "Ochsenkopf" zur Arbeitsanstalt. in: Berliner Wohlfahrtsblatt 8 (1932), S. 10; vgl. Orth, 1927, S. 207-209. 59 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1927; Nr. 106; Nr. 156, S. 4. 60 Zu den Schwierigkeiten der ersten Fürsorgerinnen in den Arbeitshäusern vgl. Steigertahl, Die Bekämpfung asozialer Elemente durch die Nachhaftstrafe, in: 41. Jahrbuch der Gefängnisgesellschaft für die Provinz Sachsen und Anhalt, Halle 1925, S. 98. 61 Siehe insbesondere Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 19319,2.10.30. 258 DieAnstalt in der Krise Ende der zwanziger Jahre geriet die Breitenauer Anstalt durch einen Zu- sammenbruch der Belegungsziffern in die schwerste Krise ihrer Geschichte. Zuerst kündigte die Justizverwaltung zum 1. April 1926 den Vertrag zur Unter- bringung von Strafgefangenen in der Anstalt. Dann wurden aufgrund der 1927 vorgenommenen weitgehenden Legalisierung der Prostitution nur noch wenige Frauen als Korrigendinnen eingewiesen. Einen weiteren Rückgang brachte 1928 die Absage des Thüringischen Innenministeriums, weiterhin Korrigenden und Korrigendinnen aus diesem Gebiet nach Breitenau einzuliefern, so daß in den Jahren 1929 bis 1932 die durchschnittliche Belegung der Gesamtanstalt bei nur noch etwa 75 Personen lag. 62 Am 7. März 1930 befanden sich in Breitenau gerade noch 37 männliche Korrigenden, davon nur 17 aus dem Regierungsbe- zirk Kassel, ferner einundzwanzig Fürsorgeempfänger. fünf zwangsweise untergebrachte"Arbeitsscheue" und dreizehn Fürsorgezöglinge.63 Ludwig Pappenheim berichtete 1929 im Kommunallandtag: "Die Landesar- beitsanstalt schwebt noch immer zwischen Himmel und Erde. Wir müssen das schon seit 3 Jahren feststellen, und solange das Bewahrungsgesetz nicht verab- schiedet ist, werden wir auch nicht erfahren, was aus dieser Anstalt wird. Das ist ein bedauerlicher Zustand. "64 Der Kommunallandtag beriet wiederholt über eine eventuelle Schließung der Anstalt, die vor allem von den konservativen Abgeordneten der Hessischen Ar- beitsgemeinschaft gefordert wurde.65 Der Kommunallandtag forderte 1929 den Verwaltungsausschuß auf, die finanziellen Auswirkungen einer Schließung zu prüfen und diese gegebenenfalls durchzuführen.v'' Die Verwaltung sprach sich für den Erhalt der Anstalt aus. Zwar erfordere diese Jahr für Jahr einen Zu- schuß in der Größenordnung von 60000 RM, aber auch nach einer Schließung blieben Folgekosten erhalten, wie die Ruhegehälter von über 33 000 RM und eine jährliche Zinsbelastung von etwa 15 000 RM. Die Unterbringung der In- 62 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1928, Anlage 8, Sp. I; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 49, S. 51. 63 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1930, Sp. 74. 64 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1929, Sp. 85. 65 Verhandlungen des Kornrnunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1930, Sp. 81; vgl. Das gibts in Hessen auch: Leere Räume, zu wenig Arbeitskräfte ... Abbau oder Ausbau des Landesfürsorgeheims Breitenau? , in: Kasseler Neuste Nachrichten, 6. November 1931. 66 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. I, 17.3.1930. 259 sassen in anderen Anstalten, so Landesrat Häring, verursache noch die gering- sten Schwierigkeiten, "aber was soll mit den wertvollen Gebäuden und der in Schuß befindlichen Landwirtschaft geschehen? Wir können sie doch nicht dem Verfall überlassen". 67 Den Breitenauer Anstaltsbeamten stellten die Redner dieser Schlie- ßungsdebatten im Kommunallandtag ein verheerendes Zeugnis aus. Im Ver- waltungsdienst der Bezirkskommunalverwaltung seien diese Leute nicht zu ge- brauchen und Ludwig Pappenheim riet entschieden davon ab, sie in die Jugenderziehungsanstalt Wabern zu versetzen, weil man dort pädagogische Fähigkeiten verlange.68 Die Gebäude mußten unterhalten, die Gutswirtschaft betrieben, die Pen- sionen und Schuldzinsen bezahlt und schließlich die für andere Arbeiten un- geeignete Beamtenschaft weiterbeschäftigt werden. Die Institution mußte also erhalten bleiben. Große Anstalten entwickeln ihre Eigendynamik, die Betreiber können sie nicht einfach aufgeben und müsssen sich deshalb gegebenenfalls neue Insassengruppen suchen. Im Gespräch war unter anderem, die Anstalt zur Umschulung arbeitsloser Fabrikarbeiter zu Landarbeitern zu nutzen. Außerdem machte man sich Gedanken darüber, ob in der Breitenauer Fürsorgeabteilung nicht eine größere Zahl entmündigter Alkoholiker interniert werden könnte.s? Um nach der Verabschiedung des immer noch erhofften Bewahrungsgesetzes Breitenau übergangslos als Bewahranstalt einsetzen zu können, betonte die Bezirkskommunalverwaltung verstärkt die Multifunktionalität der Anstalt. In Wirklichkeit, so Landesrat Häring im Kommunallandtag, diene die Anstalt Breitenau schon jetzt vielfältigen Zwecken: "Sie dient zunächst einmal als Altersheim für landeshilfsbedürftige Personen, die in der Fürsorge des Landes- fürsorgeverbandes stehen, aber auch für ortshilfsbedürftige Personen, und zwar überwiegend für solche, die schon in anderen privaten Siechenanstalten und Altersheimen untergebracht waren, dort aber z.T. wegen Verstoßes gegen die Anstaltsdisziplin entlassen worden sind, anderwärts schwer unterzubringen waren und in Breitenau eine Unterkunft fanden. Sie dient weiter für alle Per- sonen, die als Arbeitshäuslinge bezeichnet werden, die als säumige Nährpflich- 67 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1929, Sp. 87 f. 68 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1930, Sp. 78, Sp. 83. 69 StA Marburg, Bestand 150, Nr. 1842, S. 118; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.53, S. 83; entmündigte Alkoholiker waren vereinzelt schon seit 1913 in der Breitenauer Landarmenabteilung untergebracht worden. Sie wurden dort wie zwangs- untergebrachte Insassen behandelt. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 53, S. 23, S. 42; Nr. 118, S. 167. 260 tige gegenüber ihrer Familie oder sonstigen Angehörigen gelten ... Die Anstalt dient weiter der Durchführung der eigentlichen Korrigendenhaft, also Per- sonen, die der Landespolizeibehörde zur Durchführung einer Arbeitshaushaft überwiesen worden sind. Außerdem sind solche Fürsorgezöglinge in der An- stalt untergebracht, die in allen übrigen Erziehungsanstalten nicht verbleiben können, da sie immer wieder wegen disziplinarischer Verstöße entlassen werden mußten, und nun in Breitenau untergebracht werden müssen. ,,70 Auch 193] und 1932 blieb die Zukunft des, so Ludwig Pappenheim, "um- strittensten Instituts des Bezirksverbandes" ungeklärt. Soweit wie möglich wurde das Personal abgebaut und insbesondere die leicht kündbaren Hilfsauf- seher entlassen. Außerdem kündigte man der Fürsorgerin und ließ die Stelle des Ersten Oberaufsehers unbesetzt. Dem Arzt und den Seelsorgern kürzte man die Bezüge; der Bäckermeister erhielt seine Kündigung, wurde aber auf dem- selben Arbeitsplatz bei weit geringerem Lohn als Bäckergehilfe weiterbeschäf- tigt. Als 1931 Direktor Baetz starb, sparte der Bezirksverband sogar die DirektorensteIle ein und setzte den weit schlechter bezahlten Verwaltungs- beamten Josef Schrötter als provisorischen Leiter ein. 71 Ludwig Pappenheim konnte 1931 als Berichterstatter über den Haushalt der Anstalt im Kommunallandtag unwidersprochen erklären, "daß es besser wäre, wenn wir die Anstalt nicht hätten; denn sie macht uns in keiner Weise Freude".72 70 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1930, Sp. 76 f. 71 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 160, S. 417; Nr. 101, S. 376-378; Nr. 1,29.5.1931; Nr. 9762, S. 42; Bestand I [Bezirksverband], Nr. 118, S. 26; Nr. 139. 72 Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, 1931, Sp. 97. 261 Die Anstalt Breitenau im Nationalsozialismus Breitenau als Konzentrationslager für politische Gegner der National- sozialisten Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten lösten sich die Belegungs- und Finanzierungsprobleme der Anstalt schlagartig durch Inhaftierung von Schutzhäftlingen ab Juni 1933 und verstärkter Einweisung von Arbeits- hausgefangenen ab September 1933. Am 16. Juni 1933 wurde aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Bezirkskommunalverband und dem Polizeiprä- sidium Kassel im Hauptgebäude der Anstalt ein Konzentrationslager für politi- sche Schutzhäftlinge eingerichtet. I "Das Polizeipräsidium übernahm die Auf- sicht und Verwaltung des Lagers. Seitens der Anstalt wurde die Verpflegung, Unterkunft und Arbeitsbeschaffung durchgeführt", vermerkte die Anstalts- leitung im Jahresbericht 1933.2 Dieses frühe Konzentrationslager bestand bis zum 17. März 1934. In diesen neun Monaten sperrte das Polizeipräsidium Kassel hier insgesamt 470 politi- sche Häftlinge ein, wobei die durchschnittliche Belegung etwa 70 Häftlinge betrug.I Die Bewachung der Anstalt wurde durch eine SA-Abteilung, später durch eine SS-Abteilung ergänzt.f Man brachte die Schutzhäftlinge zunächst im weitgehend leerstehenden Hauptgebäude und später auch im Landarmenhaus in einer von den übrigen Insassen der Anstalt abgesonderten Abteilung unter. Auch bei der Arbeit bildeten die Schutzhäftlinge eigene Kolonnen. Insgesamt war die Schutzhaftabteilung jedoch Teil der Gesamtanstalt und weitgehend in StA Marburg, Bestand 165, Nr. 3838; diese Vereinbarung ist abgedruckt bei Dietfrid Krause-Vilmar, Das Konzentrationslager Breitenau 1933/34, in: Eike Hennig (Hrsg .), Hessen unterm Hakenkreuz, FrankfurtIM. 1983, S. 469. 2 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1933. 3 Es waren insgesamt 511 Einweisungen, die 470 verschiedene Personen betrafen, vgl. Dietfrid Krause-Vilmar (Hrsg.), Schutzhaftgefangene des Konzentrationslagers Breitenau 1933/34, Kassel 1987, S. VIII; die Bezirkskommunalverwaltung nannte 478 Gefangene, vgl. Bericht über die Ergebnisse der Verwaltung des Bezirksverbandes Hessen im Jahr 1933, S. 8. 4 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 112, Bd. 1, S. 47; Bestand 2 [Breitenauj, Nr. 9764, S. 239 RS. 262 den normalen Anstaltsbetrieb integriert. 5 Der Jahresbericht 1933 konnte melden, daß von den im Berichtsjahr entstandenen 51 955 Arbeitstagen 23 027 von den Schutzhäftlingen geleistet worden waren.P Eine Arbeitsprämie wurde den Schutzhäftlingen im Gegensatz zu den übrigen Insassen nicht gewährt. Zusätzlich zu den Einnahmen aus dem Arbeitsbetrieb ließ sich die Brei- tenauer Anstalt für die Schutzhäftlinge vom Polizeipräsidium Kassel einen Tagessatz in Höhe von einer Mark bezahlen. Im Rechnungsjahr 1933/34 nahm die Anstalt von verschiedenen Stellen insgesamt 130073 RM Unter- bringungskosten ein. Davon waren allein 35 177 RM, also mehr als ein Vier- tel, Unterbringungskosten für die Schutzhäftlinge.7 Die Einnahmen der Anstalt für die Schutzhäftlinge waren weit höher als die für sie geleisteten Ausgaben. Für das Kalenderjahr 1933, berichtete die Anstaltsleitung, habe man für die Schutzhäftlinge 30 108 RM eingenommen, für diese aber insgesamt nur 20 950 RM für Unterbringung und Verpflegung ausgegeben. 8 Die Errichtung eines Konzentrationslagers in einem Arbeitshaus war keine nordhessische Besonderheit. Auch in den Arbeitshäusern Benninghausen, Brauweiler, Kislau und Moringen befanden sich Internierungslager für politi- sche Gegner der Nationalsozialisten. Leerstehender Anstaltsraum konnte so problemlos genutzt werden. Die Inhaftierung in Arbeitshäusern für "Arbeitsscheue und Asoziale" mußte die politischen Häftlinge zusätzlich de- mütigen.f Die Breitenauer Schutzhäftlinge stammten fast alle aus dem Regierungsbezirk Kassel. Es handelte sich überwiegend um KPD-Mitglieder, sozialdemokratische Funktionsträger und profilierte Gewerkschafter.U' Unter den Schutzhäftlingen befand sich auch Ludwig Pappenheim, jener prominente Sozialdemokrat und Kommunallandtagsabgeordnete, der sich seit über einem Jahrzehnt vehement und hartnäckig für die Belange der Breitenauer Insassen eingesetzt hatte. Ludwig Pappenheim war schon am 25. März 1933 an seinem Wohnort in 5 Vgl. Dietfnd Krause-Vilrnar, 1983, S. 479 f. 6 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1933. 7 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 121, S. 250. 8 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 193, S. 312. 9 Siehe Liste der Konzentrationslager in: BGBl., Teil 1, Nr. 64 vom 24. September 1977, S. 1786-1852. 10 Vgl. Willi Beiz, Die Standhaften. Über den Widerstand in Kassel 1933-1945, Ludwigsburg 1960, S. 30; vgl. Dietfrid Krause-Vilrnar, Das Konzentrationslager Breitenau 1933/34, in: Die Grünen im Landtag (Hrsg.), Hessen hinter Stacheldraht. Verdrängt und vergessen: KZs, Lager, Außenkommandos, Frankfurt 1984, S. 6. 263 Schmalkaiden verhaftet worden und vom 21. Juli bis 17. Oktober 1933 in Breitenau inhaftiert. Wie für viele andere war für Ludwig Pappenheim die Haft im Konzentrationslager Breitenau nur Zwischenstation auf einem weiteren Leidensweg. Der Kasseler Polizeipräsident ordnete im Oktober 1933 seine Überführung in das Konzentrationslager Börgermoor an. Im KZ Börgermoor wurde Ludwig Pappenheim am 4. Januar 1934 ermordet. 11 Die Bettlerrazzien vom September 1933 Schon im Jahresbericht 1933 konnte die Breitenauer Direktion melden, die Belegung der Anstalt habe sich "seit der nationalsozialistischen Revolution in- folge der Auswirkung der Maßnahmen gegen das Bettlerunwesen wesentlich erhöht" .12 "Maßnahmen gegen das Bettlerunwesen" war eine vorsichtige Umschreibung für die größte Bettlerjagd. die Deutschland je erlebt hatte. Schon im Juli 1933 hatte das gerade gegründete Reichspropagandaministerium beim Innen- ministerium eine reichsweite Bettlerrazzia angeregt, weil man um den Erfolg des geplanten Winterhilfswerks fürchtete und glaubte, "daß Voraussetzung für ein Gelingen der Winterhilfe die Bekämpfung des übermäßig angewachsenen Bettelunwesens sei" .13 Durch einen Runderlaß des Innenministeriums schon Anfang September 1933 den Polizeibehörden angekündigt und propagandistisch ungewöhnlich gut vorbereitet, begann die Polizei am 18. September 1933 unter Mitwirkung von SA und SS eine . Bettlerwoche' , während der bis zum 25. September reichsweit Jagd auf wohnungslose Menschen gemacht wurde. 14 11 Vgl. Gesamthochschule Kassel (Hrsg.), Erinnern an Breitenau 1933-1945. Katalog zur Aus- stellung, Kassel 41984, S.17; vgl. Dietfrid Krause-Vilmar, 1983, S.482; vgl. Jutta Dillmannl Dietfrid KrauseVilmarI Gunnar Richter (Hrsg.), 1986, S. 204-207. 12 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794. 13 Bundesarchiv Koblenz, R 36/1034, 12.7.33. 14 Landesstelle Bayern des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Richt- linien für die Presse über die Aktion zur Bekämpfung des Bettelunwesens. Bayerisches HStA München, MInn 71575, 15.9.33; RdErl d. Mdl v . 2.9.1933 - 11 D 1094, RMBliV, 1933, S. 1033; über die Durchführung dieser Razzia in Kassel siehe: Geheimnisse der Bettlerzunft, in: Kasseler Post, 22.9.1933; vgl. Wolfgang Ayaß, 1986, S. 155; zur Ver- strickung der Fürsorge in diese Razzia vgl. Wolfgang Ayaß, Die Verfolgung der Nichtseß- haften im Dritten Reich, in: Zentralverband Deutscher Arbeiterkolonien (Hrsg.), 1984, S. 87 f. 264 Gesamtübersichten über Verhaftetenzahlen sind nicht veröffentlicht worden. Einzelzahlen aus Städten und Regionen lassen auf eine Größenordnung von über hunderttausend festgenommene Menschen schließen. So wurden beispiels- weise aus Württemberg 4800 und aus der Stadt Hamburg 1 400 Festnahmen gemeldet.15 Sieht man vom Einsatz der SA und SS als Hilfspolizei einmal ab, kann man an dieser' Bettlerwoche' , so ungewöhnlich sie auch war, formal nichts Unge- setzliches erkennen. Amtsrichter verurteilten die Festgenommenen nach § 361 Nr. 3 und Nr. 4 StGB zu den bekannten kurzen Bettlerhaftstrafen. Nach einigen Tagen Haft kamen die meisten wieder frei. Ein kleiner Prozentteil der Verhafteten - und bei der Größenordnung dieser Razzia waren dies mehrere tausend Menschen - wurde gemäß § 362 StGB zur korrektionellen Nachhaft in den Arbeitshäusern verurteilt. Die Landesarbeitsanstalt Breitenau vervielfachte infolge dieser Großrazzia im Laufe des Rechnungsjahrs 1933/34 ihre Häftlingszahl. Im Rechnungsjahr 1932/33 wurden nur 24 Korrigenden und Korrigendinnen nach Breitenau ein- geliefert. Im Rechnungsjahr 1933/34 hatten sich die Einweisungen mit 125 Ar- beitshaushäftlingen bereits verfiinffacht. Bei 36 von ihnen läßt sich als Ver- haftungsdatum ein Tag der "Bettlerwoche' vom September 1933 nachweisen. Alleinaus dem Amtsgerichtsbezirk Ziegenhain kam am 26. September 1933 ein Transport mit 22 Häftlingen in Breitenau an. Diese Häftlinge hatten am 19. September gerichtliche Haftstrafen von ein bis sieben Tagen mit an- schließender Überweisung ins Arbeitshaus erhalten. 16 Nach dieser Razzia waren die zuvor halb leerstehenden Arbeitshäuser restlos überfüllt.!? Allein in Württemberg lieferte die dortige Landespolizeibehörde fünfhundert Menschen ins Arbeitshaus Vaihingen ein. 18 Unter den im Zusammenhang mit dieser Razzia nach Breitenau Ein- gelieferten befand sich auch ein 71jähriger Mann, der bereits 95 Vorstrafen ausschließlich wegen Betteleidelikten erhalten hatte und schon zum vierten Mal ins Arbeitshaus gebracht wurde. Die Polizei griff in diesem Fall auf einen - im 15 Mailänder, Der Stand des Wandererverkehrs in Württemberg, in: Der Wanderer 54 (1937), S. 99; StA Harnburg. Sozialbehörde I, EF 6127,24.10.33. 16 Namensliste in Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9773, S. 106; Nr. 8154. 17 Vgl. Robert Meixner, 1935, S. 35. 18 500 "Kunden" im Arbeitshaus. Ordnung im württembergischen Wandererverkehr, in: NS- Kurier, Nr.l99, Morgenausgabe, I. Mai 1934; vgl. Friedrich K. Grieb/ Ernst A. Schmidt, 1985, S. 97. 265 doppelten Sinn - "alten Kunden" zu. Unter den Verhafteten dieser Razzia be- fanden sich jedoch auffällig viele Männer, die überhaupt nicht oder nur gering- fiigig vorbestraft waren. Die in den Akten enthaltenen 35 Vorstrafenlisten zeigen, daß zwei Drittel der im Zusammenhang mit der Razzia vom September 1933 Eingelieferten zum ersten Mal ins Arbeitshaus kamen. Immerhin sieben Strafregisterauszüge weisen überhaupt keine Verurteilungen wegen Bettelei oder Landstreicherei auf. Die Haftdauer der bei dieser Bettlerrazzia nach Breitenau gebrachten Menschen bewegte sich völlig innerhalb der auch schon zuvor üblichen Zeit- spannen. 23 Korrigenden (= 64 %) waren nach sechs Monaten wieder ent- lassen, nur bei fiinf Personen dauerte die Arbeitshaushaft länger als ein Jahr. Die gesetzliche Höchststrafe von zwei Jahren wurde nicht überschritten. Das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" Die Einfügung der §§ 42 a bis 42 n in das Strafgesetzbuch durch das zum Jahresbeginn 1934 in Kraft getretene "Gesetz gegen gefährliche Ge- wohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" brachte eine weitgehende Änderung der rechtlichen Grundlagen der Arbeits- haushaft und in der Folge tiefgreifende Veränderungen der Verhältnisse in der Landesarbeitsanstalt Breitenau. Die Rechtsgrundlage für die Arbeitshauseinweisung lautete nun laut § 42 d StGB: "Wird jemand nach § 361 Nr. 3 bis 5, 6a bis 8 zu Haftstrafe verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe seine Unterbringung in einem Arbeitshaus an, wenn sie erforderlich ist, um ihn zur Arbeit anzuhalten und an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. Dasselbe gilt, wenn je- mand, der gewohnheitsmäßig zum Erwerbe Unzucht treibt, nach § 361 Nr.6 zu Haftstrafe verurteilt wird. Wegen Bettelns ist die Anordnung nur zulässig, wenn der Täter aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit oder gewerbsmäßig ge- bettelt hat. Arbeitsunfähige, deren Unterbringung in einem Arbeitshaus ange- ordnet ist, können in einem Asyl untergebracht werden. "19 19 Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, in: RGBI., Teil I, 1933, S. 996; zur Entstehung vgl. ZStA Potsdam, Bestand 30.01, Nr. 5982; vgl. Leopold Schäfer! Otto Wagner! Josef Schatheutle, Gesetz gegen ge- 266 Auf formaler Ebene wurde endlich der vielkritisierte Zwischenschritt der "Überweisung an die Landespolizeibehörde" abgeschafft. Die Strafrichter konnten eine Arbeitshausunterbringung nun selbst definitiv anordnen und ins- besondere die Unterbringungsdauer festlegen. Man sparte sich die "unpraktische Doppelarbeit" , wie Ministerialrat Rietzsch aus dem Reichs- justizministerium schrieb. 20 Die Unterbringung im Arbeitshaus wurde damit endgültig Aufgabe des Strafvollzugs. Durch die Aufnahme der Arbeitshaushaft in die "Maßregeln der Sicherung und Besserung'S! erledigte sich auch der alte Juristenstreit, ob die Arbeitshausunterbringung Nebenstrafe oder Maßregel sei. Die Arbeitshausunterbringung, bestimmte ein Ausführungsgesetz, war nun von der Justizverwaltung zu vollziehen. Dies hatte zur Folge, daß die Justiz für die Unterbringungskosten in Breitenau aufzukommen hatte. Der Tagessatz be- trug 1,50 RM und wurde der Anstalt für sämtliche Korrigenden bezahlt, während zuvor nur für die aus anderen Regierungsbezirken eingewiesenen Kor- rigenden Ptlegekosten erhoben werden konnten. 22 Im Zusammenhang mit der in den folgenden Jahren ohnehin stark ansteigenden Belegungsziffer trug dies wesentlich zur wirtschaftlichen Sanierung der hochverschuldeten Breitenauer Anstalt bei. Die Anstalt kam ab 1935 ohne Unterhaltszuschuß aus; bis 1938 fährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung mit dem dazugehörenden Ausführungsgesetz, Berlin 1934; vgl. Franz Exner, Das System der sichernden und bessernden Maßregeln nach dem Gesetz v . 24. November 1933, in: Zeit- schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 53 (1933), S. 629-655, vgl. Hans Stöckinger, Die Unterbringung in einem Arbeitshaus als Maßregeln der Sicherung und Bes- serung, Diss. Würzburg 1935; vgl. Karl Schäfer, Das Reichsgesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung v . 24.11.1933 in Rechtssprechung und Vollzug, in: Die Innere Mission 30 (1935), S. 35-37; vgl. Gerhard Werle, Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, Berlinl New York 1989, S. 97-107. 20 Rietzsch, Das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933, in: Deutsche Justiz 95, (1933), S. 746. 21 Maßregeln der Sicherung und Besserung waren laut § 42 a StGB die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt. einer Trinkerheilanstalt bzw. Entziehungsanstalt oder im Arbeitshaus, ferner die Sicherungsverwahrung, die zwangsweise Kastration von Sexual- tätern, Verhängung von Berufsverboten und Reichsverweisung. 22 Gesetz zur Ausführung des Reichsgesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933, § 5, in: GS, 1934, Nr.42, 19.10.1934, S.404; Hessisches HStA Wiesbaden, Bestand 458a, Nr.583, Nr.584, Nr. 585; zu den Kostenregelungen vgl. Haidinger, Übersicht über den Vollzug der Maßregeln der Sicherung und Besserung in den einzelnen deutschen Ländern, in: Deutsche Justiz 97 (1935), 1. Halbjahr, S. 223. 267 268 waren die Schulden abgetragen; ab 1939 konnte die Hauptverwaltung des Bezirksverbands erhebliche Überschüsse der Anstalt verbuchen. 23 Nach dem alten § 362 StGB war eine Arbeitshausunterbringung wegen Bettelei nur bei Rückfall bzw. bei Bettelei unter Drohungen oder mit Waffen zulässig. Diese vom Tatbestand her klare Regelung ersetzte die "Maßregeln" durch die sehr viel unbestimmtere Einschränkung, daß eine Ar- beitshauseinweisung nur ausgesprochen werden durfte, wenn der Angeklagte aus Arbeitsscheu, Liederlichkeit oder gewerbsmäßig gebettelt hatte. 24 Wesentliche Neuerung der "Maßregeln" war jedoch die zeitlich unbe- stimmte, gegebenenfalls lebenslängliche Internierung.P "Die Unterbringung dauert so lange, als ihr Zweck es erfordert", legte § 42 f StGB fest. Nur bei erstmals ins Arbeitshaus eingewiesenen Personen galt weiterhin die alte gesetzliche Höchstfrist von zwei Jahren. Da die Mehrheit der Korrigenden aus wiederholt zu Arbeitshaushaft Verurteilten bestand, hatten die National- sozialisten so für den wohnungslosen Teil der Bevölkerung eine gesetzliche Möglichkeit zur lebenslänglichen Internierung geschaffen und für diesen Personenkreis das von der Fürsorge gewünschte Bewahrungsgesetz faktisch verwirklicht. Als "unwesentliche Änderung" der alten Regelung, wie Reichsjustizminister Franz Gürtner schrieb, konnte man dies wohl kaum be- zeichnen. 26 Die "Maßregeln der Sicherung und Besserung" von 1933 über- nahmen bezüglich der Arbeitshausunterbringung im wesentlichen die Bestim- mungen des 1927 vom Reichjustizministerium vorgelegten Entwurfs für ein neues Strafgesetzbuch. Bereits in diesem Entwurf war eine gegebenenfalls lebenslängliche Unterbringung von wiederholt Eingelieferten vorgesehen.Z? Fürsorgevertreter beurteilten, soweit sie sich noch äußern konnten, die neuen "Maßregeln der Sicherung und Besserung" durchweg positiv. Der Deutsche 23 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 155, S.5; Nr. 136, Bd. 1, S. 10; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9789, S. 192; Nr. 9789, S. 100; Nr. 10352; S. 375. 24 Vgl. Franz Kluge, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Maßnahmen der Siche- rung und Besserung (§§ 20 a, 42 a ff StGB.) Gewohnheitsverbrechergesetz, Berlin 1937, S. 60. 25 Vgl. Leopold Schäfer/ Duo Wagner/ JosefSchatheutle, 1934, S. 126. 26 Vgl. Franz Gürtner, Das neue Reichsgesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher, in: Archiv für Kriminologie 93 (1933), S. 200, ähnlich verharmlosend der Psychiater Hans W. Gruhle, Die Unterbringung der Asozialen in Heilanstalten, Trinkerheilstätten und Ar- beitshäusern, in: 52. Jahrbuch der Gefängnisgesellschaft für die Provinz Sachsen und An- halt, 1936, S. 47. 27 Vgl. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Berlin 1927, § 60; vgl. Oskar AdolfBayer, 1929, S. 47; vgl. Rabe, 1929, S. 66-70; vgl. Johanna Jahn, 1966, S. 69-70. 269 Wegen Bettelei und Landstreicherei in Breltenau inhaftierter Korrigend. 1943 im Alter von 73 Jahren in der AnstalJ gestorben. 270 Verein für öffentliche und private Fürsorge veröffentlichte in seinem Nach- richtendienst eine jubelnde Stellungnahme und glaubte, nun sei "der Weg für ein Bewahrungsgesetz frei". 28 Die Verbandsfunktionärin Hilde Eiserhardt schrieb in einer regionalen Fürsorgezeitschrift, die "Maßregeln" entsprächen "dringendsten Reformwünschen" und böten einen "wirksamen Schutz der Volksgemeinschaft".29 Ähnlich äußerte sich die Deutsche Zeitschrift für Wohl- fahrtspflege, die 1933 in einem namentlich nicht gekennzeichneten Artikel schrieb, die Reichsregierung habe Forderungen erfüllt, die nicht nur von Kriminalpolitikern, "sondern nicht weniger lebhaft auch von ärztlicher Seite und nicht zuletzt aus Kreisen der Fürsorge seit vielen Jahren erhoben worden sind" .30 Zu diesen alten Forderungen der Praktiker gehörte auch die Entfernung der Zuhälter aus den Arbeitshäusern, deren Einweisung nach den neuen "Maßregeln" nicht mehr möglich war.I! Für diese "gewalttätigen Menschen, die unter die passiven Naturen der Arbeitshäuser nicht passen"32, erhöhten die Nationalsozialisten den Strafrahmen der Hauptstrafe auf bis zu fünf Jahren Zuchthaus. Stattdessen fiel für Zuhälter die Arbeitshaushaft weg. Da die Ge- richte bereits verurteilte Zuhälter noch nach der alten Regelung behandelten, wurden auch nach dieser Gesetzesänderung noch zehn Zuhälter nach Breitenau eingeliefert. Der letzte Zuhälter verließ Breitenau erst im September 1937.33 Auch Robert von Hippel begrüßte als kriminologischer Spezialist auf dem Gebiet der Arbeitshausunterbringung und mittlerweile renommierter Universi- tätsprofessor die neuen "Maßregeln der Sicherung und Besserung". Mit dem Wegfall der "Überweisung an die Landespolizeibehörde" war eine seiner zentralen Forderungen verwirklicht. Durch die Herausnahme der Zuhälter sei das Arbeitshaus wieder "seiner wirklichen Bestimmung als Sonderanstalt zur 28 Vgl. Strafrechtliche Maßnahmen der Sicherung und Besserung, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 14 (1933), S. 278. 29 Vgl. H. Eiserhardt, Maßnahmen zur Bekämpfung des gemeingefährlichen und gemein- schädlichen Verhaltens, in: Die Wohlfahrtspflege in der Rheinprovinz 9 (1933), S. 373. 30 Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 9 (1933), S. 391. 31 Vgl. die Stellungnahme der Direktion des Arbeitshauses Vechta von Oktober 1933, ZStA Potsdarn, Bestand 30.01, Nr. 5982, S. 102. 32 So Kriminalrat Rietzsch aus dem Reichsjustizministerium, vgI. Rietzsch, 1933, S. 748; vgI. Begründung zu dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933, in: RAnz., 1933, Nr. 277, Erste Beilage, ZStA Potsdam, Bestand 30.01, Nr. 5982, S. 373. 33 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9270. 271 Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu zurückgegeben". Kritik übte Robert von Hippel allerdings an der Aufhebung der zweijährigen Höchstunterbringungsdauer.V In Breitenau stockte 1934 die Zuweisung von auf Grundlage der "Maßregeln" verurteilten Korrigenden zunächst, weil die Kostenfrage erst im Sommer 1934 geregelt werden konnte. Die Korrigenden blieben in dieser Zeit in den Justizhaftanstalten.35 Überlegungen des Justizministeriums, Breitenau zu kaufen, wurden nach einer Besichtigung der Anstalt wieder fallengelassen. 36 Ab Herbst 1934 stiegen die Einweisungen in Breitenau steil an. Die Breitenauer Anstalt war für männliche und weibliche Korrigenden der Oberlandesgerichtsbezirke Kassel und Frankfurt zuständig. Ab September 1935 wurden auch männliche Korrigenden des Oberlandesgerichtsbezirks Darmstadt nach Breitenau eingewiesen. Siebenundzwanzig dort zuvor im Philippshospital bei Goddelau gefangene Korrigenden wurden im Oktober 1935 nach Breitenau überführt. 37 Im Frühjahr 1935 wies der Reichsjustizrninister die Strafverfolgungsbehörden unmißverständlich an, rigoros gegen Obdachlose vorzugehen und sie so oft wie nur möglich zur Arbeitshaushaft zu verurteilen.Jf Die in etwa zwei Drittel der Breitenauer Fallakten enthaltenen Gerichtsurteile zeigen, wie schnell sich die Richter die nationalsozialistische Asozialenverfolgung zu eigen machten. Aus einem Urteil des Sondergerichts Darmstadt von 1934: "Der Angeklagte ist ein frecher, asozialer, arbeitsscheuer und hinterlistiger Mensch, der nur dann freundlich sein kann, wenn er reichliches Almosen empfangt. Ein solcher Mensch paßt natürlich nicht in die strengen Vorschriften zur Bekämpfung des Bettlerunwesens und er haßt den Staat, der ihn an Zucht und Ordnung ge- wöhnen will. Daraus ergibt sich der Grund für das gemeine und nichtswürdige 34 Vgl. Robert von Hippel, Zum Reichsgesetz vom 24. November 1933, in: Blätter für Ge- fängnislcunde 65 (1934), S. 7 f. 35 Bundesarchiv Koblenz, R 36/1859, 30.5.34, 4.5.34; Archiv des LWV-Hessen, Bestand [Bezirksverband], Nr. 141, Bd. I; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 30, S. 60. 36 ZStA Potsdam, Bestand 30.01, Nr. 9849, S. 3-9. 37 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1934; Nr. 9773; Nr.9745, S.4; Bestand I [Bezirksverband], Nr. 128, S.45; Namensliste in Nr. 141, Bd. 1, S. 76-79; weibliche Korrigenden aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Darmstadt wur- den in der bayerischen Strafanstalt Aichach untergebracht, Nr. 141, Bd. 1, S. 88; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9745, S. 4. 38 Richtlinien für das Strafverfahren. Allgerneine Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 13. April 1935, in: Amtliche Sonderveröffentlichungen der Deutschen Justiz, Nr. 7, Berlin 0.1., S. 165; vgl. ein Urteil mit ausdrücklicher Berufung auf diese Richtlinien in: Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9650. 272 • • _. • • L Wegen Bettelei und Landstreicherei ;11 Brei/mau inhaftiert. . . 273 Verhalten des Angeklagten. Ein Mensch solcher Veranlagung ist ein Schädling am deutschen Volkskörper und muß deshalb möglichst lange dem öffentlichen Leben femgehalten werden. "39 Die Richter stellten die vermeintliche Notwendigkeit der "Befreiung der Volksgemeinschaft von Volksschädlingen" immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Urteile. Aus einem Urteil des Amtsgerichts Kassel aus dem Jahre 1936: "Die umfangreichen einschlägigen Vorstrafen zeigen, daß der Angeklagte ein unbelehrbarer Bettler und Landstreicher ist. Durch die Zuerkennung der ge- setzlichen Höchststrafe und Anordnung in ein Arbeitshaus gern. § 42 d StGB mußte dem Angeklagten mit aller Schärfe klargemacht werden, daß für das von ihm an den Tag gelegte volksschädliche Verhalten in unserem Staate kein Platz mehr ist. "40 Ein weiteres Amtsgerichtsurteil aus dem Jahre 1936: "Mit allen gesetzlich gegebenen Mitteln war der Angeklagte dahin zu belehren, daß ein Bettler, der noch arbeitsfähig ist, einen Volksschädling darstellt, der im heutigen Reich keinen Platz hat. "41 Längst ging es nicht mehr um die Bestrafung eines wie auch immer definierten Delikts. Solche Urteile stellten die Existenzbe- rechtigung der Obdachlosen in Abrede und nahmen Argumentationsketten der späteren Vernichtungsaktionen vorweg. "Nach dem ganzen Eindruck, den der Angeklagte macht, gehört er jedenfalls zur Zeit nicht mehr in die Öffent- lichkeit. Diese muß vielmehr von ihm befreit werden", hieß es in einem Gerichtsurteil gegen einen Breitenauer Korrigenden.f- Die Allgemeinheit habe ein Recht darauf, "daß solche Elemente von der Landstraße verschwinden", schrieb das Amtsgericht Dieburg 1936 in einem Urtei1.43 Erschreckend ist auch, wie gutbezahlte Richter immer wieder die Armut der Obdachlosen unverfroren als alleinige Begründung für jahrelange Ar- beitshaushaft in Breitenau heranzogen: "... man fand ihn in Besitz von 9 einzel- nen Pfennigen. Nach allem hat das Gericht keinen Zweifel, daß der Angeklagte sich zweck- und ziellos im Lande herumtreibt und daß es ihm nicht darauf an- kommt, Arbeit zu finden. Auch beweisen die bei ihm vorgefundenen Kupfer- 39 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9453. 40 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8646. 41 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9173. 42 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8871. 43 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8449. 274 münzen und der Umstand, daß der Angeklagte sonst ohne Mittel ist, daß er auf den Bettel ausgeht. "44 Von 1934 bis Ende 1940 (die späteren Ziffern wurden nicht veröffentlicht) verhängten Strafrichter laut Statistischem Jahrbuch auf Grundlage der "Maßregeln" insgesamt 7 956 Arbeitshausunterbringungen, die sich über diese Jahre folgendermaßen verteilten: 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1 832 1409 1413 1094 1026 706 476 In diesem Zeitraum sind in Breitenau insgesamt 825 Korrigenden und Korri- gendinnen aufgenommen worden. Falls die Zahlen des Statistischen Jahrbuchs vollständig sind, wären im Nationalsozialismus über zehn Prozent der Arbeits- hausgefangenen des Deutschen Reichs nach Breitenau eingeliefert worden. 45 Nach einer anderen, allerdings nur punktuellen Zahlenangabe wäre der Brei- tenauer Anteil geringer gewesen. Am 30. April 1938 sollen sich in den deut- schen Arbeitshäusern insgesamt 4 610 Korrigenden befunden haben. 46 An diesemTag wurden in Breitenau 273 Korrigenden gefangengehalten. Zwangssterilisationen Bei der Durchführung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nach- wuchses" von 1933 spielte die systematische "Durchkämmung von An- 44 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7892. 45 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, betreffende Jahrgänge; Roland Freisler nennt für die Jahre 1934 bis 1937 6 727 Arbeitshauseinweisungen, also 979 Personen mehr, vgl. Roland Freisler, Die Maßregeln der Sicherung und Besserung in Deutschland, in: Römi- scher Kongreß für Kriminologie, Berlin 1939, S. 25. 46 Vgl. Franz Exner, Erfahrungen mit den Maßregeln der Sicherung und Besserung, die eine Freiheitsbeschränkung beinhalten, in: Gesellschaft für Deutsches Strafrecht. Erste Tagung vom 27. bis 29. Oktober 1938 in München, Berlin 1939, S. 96. 275 staltsbeständen" eine herausragende Rolle. Bereits in Heil- und Pflegeanstalten, Heimen, Fürsorgeerziehungsanstalten oder Strafanstalten internierte Menschen waren deswegen von den Zwangssterilisisationen besonders bedroht. Schon bald nach Inkrafttreten des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zum Jahresbeginn 1934 machte sich die Breitenauer Direktion daran, die In- sassen nach "Erbkranken" zu durchforsten. Die Prüfung der "Erbgesundheit" wurde Entlassungskriterium, denn ab 1934 mußte der nebenamtliche Anstalts- arzt bei der obligatorischen Entlassungsuntersuchung nicht nur, wie schon Jahr- zehnte zuvor, feststellen, daß der Gefangene "gesund und entlassungsfähig" war, sondern noch zusätzlich auf dem Entlassungsformular vermerken: "Fällt nicht unter das Gesetz" .47 Weder Straffälligkeit noch Arbeitshausunterbringung bildeten für sich ge- nommen einen Sterilisationsgrund. Es mußte zumindest der Form halber eine der im "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" aufgeführten "Erbkrankheiten" diagnostiziert werden. Hielt der Breitenauer Anstaltsarzt eine Zwangssterilisation für notwendig, eruierte das Anstaltsbüro Lebenslauf und frühere Aufenthaltsorte. Dies diente einerseits dazu, den Kostenträger für den notwendigen Krankenhausaufenthalt festzustellen, vor allem aber um herauszubekommen, wo sich eventuell schon Fürsorge- bzw. Krankenakten, Gutachten oder Schulzeugnisse über den Sterilisationskandidaten befanden. Die Anzeigen schickte der Anstaltsarzt zusammen mit einem kurzen Gutachten an das zuständige Kasseler Erbgesundheitsgericht, zu dessen Termin der Arbeitshausgefangene von einem Breitenauer Anstaltsaufseher vorgeführt wurde. Die Zwangssterilisation selbst wurde dann in einem der Kasseler Krankenhäuser vorgenommen. Die Anzeigen des Anstaltsarztes beim Erbgesundheitsgericht konzentrierten sich deutlich auf die jüngeren Jahrgänge. Mehr als die Hälfte der sterilisierten Breitenauer Korrigenden war unter dreißig Jahre alt, während sich in den betreffenden Jahren nie mehr als zwanzig Prozent aller Untergebrachten in dieser Altersklasse befanden. Bei einigen Sterilisanden bestellte man zur reibungslosen Durchführung des Verfahrens einen Pfleger, wofür Aufseher, aber auch Bürger der benachbarten Gemeinde Guxhagen, bestimmt wurden. 48 Die Bestellung eines Pflegers bedeutete in erster Linie, daß der Gefangene zur Beschwerde gegen ein Urteil des Erbgesundheitsgerichts und damit zur An- rufung der zweiten Instanz nicht befugt war. Seine Zwangssterilisation galt als 47 Beispielsweise Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9541, Nr. 9656; siehe auch Nr. 201a. 48 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9353, Nr. 8793, Nr. 8687. 276 "freiwillige Sterilisation", weil sich die Pfleger als gesetzliche Vertreter den Sterilisationsanträgen zustimmend anschlossen. In den Jahren 1934 bis 1939 lassen sich in den erhaltenen Akten der Brei- tenauer Arbeitshausgefangenen einundzwanzig Anzeigen des Anstaltsarztes beim Kasseler Erbgesundheitsgericht nachweisen. Willkür und schlampige Dia- gnosen beherrschten die Szene. So hatte ein 31jähriger wegen "Arbeitsscheu" nach § 361 Nr. 7 StGB inhaftierter Familienvater vor dem Strafgericht ange- geben, er sei wegen Krampfanfällen arbeitsunfähig. Daraufhin beantragte das Darmstädter Fürsorgeamt, das diesen Prozeß betrieben hatte, beim Gesundheitsamt eine Zwangssterilisation wegen Epilepsie. Im Beschluß des Erbgesundheitsgerichts Kassel lautete die Diagnose jedoch auf "angeborenen Schwachsinn". Dort hieß es wörtlich: "(Zu) Mängeln auf intellektuellem Gebiet treten aber auch noch solche auf sittlichem Gebiet. S. ist ein arbeitsscheuer Mensch, der keine rechte Vorstellung von dem hat, was Verantwortungsgefühl und Pflichtbewußtsein von einem ordentlichen Volksgenossen erfordern. Es ist deshalb nicht zweifelhaft, daß S. an Schwachsinn leidet. "49 Die Zwangssterilisationsbeschlüsse des Erbgesundheitsgerichts Kassel gegen Breitenauer Korrigenden stützten sich fast immer auf ein Gutachten des Brei- tenauer Anstaltsarztes, zusätzlich auf Schulzeugnisse und auf den in den Zwangssterilisationsverfahren üblichen Intelligenztest bzw. auf eine vor dem Gericht vorgenommene mündliche Prüfung: "Nach dem Gutachten des Anstaltsarztes der genannten Anstalt und der von ihm vorgenommenen In- telligenzprüfung leidet der jetzt 40jährige Heinrich A. an angeborenem Schwachsinn. Heinrich A. stammt aus einer erblich belasteten Familie. 2 Ge- schwister und 3 Geschwisterkinder sind schwachsinnig. Heinrich A. selbst ist in der Schule in F. nur bis in die 6. Klasse gelangt und gilt als sehr be- schränkt ... Das Erbgesundheitsgericht hat Heinrich A. in der Sitzung vom 12.5.1937 eingehend geprüft und einen erheblichen Intelligenzausfall und Verlangsamung des Gedankenablaufs festgestellt. Bei den Leseproben versagte er vollständig. Er kann überhaupt nicht rechnen. Namentlich ist das Begriffs- und Urteilsvermögen deutlich abnorm herabgesetzt. Hierzu kommen unverkennbare psychopathische und die erblichen (sic!) asozialen Züge, wie sie sich aus den Vorstrafen ergeben, ferner die starke Familienbelastung. Es kann 49 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9299. 277 danach kein Zweifel sein, daß bei A. krankhafte Geistesschwäche und damit Schwachsinn vorliegt. "50 Aber auch wenn ein Arbeitshäusler diese im Stil des Schülerabfragens durch- geführte Prüfung vor dem Erbgesundheitsgericht bestand, hatte er keine Chance: "Nach dem dem Antrag beigefügten ärztlichen Gutachten leidet der Genannte an angeborenem Schwachsinn. Daß Schwachsinn vorliegt, haben die Ermittlungen des Erbgesundheitsgerichts bestätigt. Zwar hatte die mit T. vor- genommene Intelligenzprüfung kein besonders ungünstiges Ergebnis; das Schul- und allgemeine Lebenswissen kann noch im großen und ganzen als dem Durchschnitt der Umwelt, aus der T. stammt und in der er sich bewegt, ent- sprechend gelten. Immerhin zeigen sich auch hier gewisse Ausfälle, die als Ausdruck eines Schwachsinns anzusprechen sind. Augenfällig tritt der Schwachsinn auf dem Gebiet der Urteilsfähigkeit in Erscheinung. Diese Ur- teilsfähigkeit zeigt auch Auswirkungen auf die Willens- und Affektsphäre. T. versteht sein Leben nicht zu meistem, weil er die Notwendigkeit einer ord- nungsgemäßen Lebensführung nicht einsieht. Zur Arbeit ist er nicht zu ge- brauchen. Er ist triebhaft veranlagt. Er vermag es nicht, die erforderlichen Hemmungen hiergegen aufzubringen. Sein asoziales Verhalten hat ihn auch wiederholt straffällig werden lassen. Der Schwachsinn äußert sich demzufolge in erster Linie in der Form einer allgemeinen seelischen Verkümmerung der Persönlichkeit des T. Schwachsinn war demgemäß zu bejahen. "51 Soziale Beurteilung wurde hier, wie in vielen Sterilisationsbeschlüssen gegen Breitenauer Insassen, nur notdürftig hinter pseudomedizinischen Diagnosen versteckt. 52 Schulversagen, Vorstrafen, Arbeitsplatzverlust, Woh- nungslosigkeit, ja die Armut insgesamt wurden in diesen Urteilen des Kasseler Erbgesundheitsgerichts zur Erbkrankheit erklärt. "Rassenhygiene" wurde so Mittel einer radikalen Armenpolitik. Die grenzenlose Ausdehnung der Dia- gnose "angeborener Schwachsinn" führte zur Verstümmelung von Menschen, die sich nach Ansicht der beurteilenden Ärzte und Richter "im Leben nicht be- währt" hatten. Anstatt die Ursachen der Armut zu bekämpfen, versuchte man 50 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7644. 51 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9496. 52 Vgl. Andrea Brücks, Zwangssterilisation gegen "Ballastexistenzen", in: Projektgruppe fiir die vergessenen Opfer des NS-Regimes (Hrsg.), Verachtet, verfolgt, vernichtet, Hamburg 1987, S. 105. 278 die Armen auszurotten. Durch massenhafte Zwangssterilisation "belasteter Sip- pen" glaubte man, eine Endlösung der sozialen Frage erreichen zu können. 53 "Seit zehn Jahren treibt er sich als Landstreicher ohne feste Arbeit und ohne Heim in aller Welt herum. Dieses Wandern von Ort zu Ort ohne Sinn und Ziel ist ein deutliches Anzeichen seiner primitiven GeistesverfassungP", hieß es in einem weiteren Zwangssterilisationsbeschluß des Kasseler Erbgesundheits- gerichts gegen einen Breitenauer Korrigenden. Der Breitenauer Anstaltsarzt begründete seine Anzeigen durchweg mit "ange- borenem Schwachsinn". Ein in den Akten erhaltenes Gutachten dieses Arztes lautet in voller Länge: "Der Korrigend Franz L. wurde heute von mir ein- gehend auf seinen Geisteszustand hin untersucht. L. leidet ohne Zweifel an an- geborenen (sic!) Schwachsinn und Verfolgungswahn. Die Fragen des Intelligenzprüfungsbogens beantwortete er größtenteils falsch. Er glaubt von Personen, die er nicht kennt hypnohisiert (sie!) und mit elektrischen Strahlen bearbeitet zu werden. Er hört auch Stimmen, auch wenn niemand anwesend ist. L. fällt unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Ein Sterilisa- tionsantrag wird von mir gestellt werden. gez. Dr. O. "55 Diese Diagnose war selbst dem Erbgesundheitsgericht zu dilettantisch, das diesen Arbeitshausge- fangenen zur Begutachtung in die Landesheilanstalt Haina einwies und schließ- lich eine Sterilisation wegen Schizophrenie anordnete. Bei einem zwangsunter- gebrachten 26jährigen Fürsorgeempfänger lehnte das Kasseler Erbgesundheits- gericht den Antrag des Breitenauer Anstaltsarztes auf Zwangssterilisation sogar ganz ab. Die Richter konnten den in Breitenau diagnostizierten "angeborenen Schwachsinn" nicht feststellen. 56 53 Zu den Zwangssterilisierungen von "Asozialen" vgl. F. Dubitscher, Der moralische Schwachsinn unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 154 (1936), S. 442 f; vgl. Fred Dubitscher, Asozialität und Unfruchtbarmachung, in: Mitteilungen der kriminalbiologischen Gesellschaft 5 (1937), S. 99-110; vgl. Edmund Mezger, Inwieweit werden durch Sterilisierungsmaßnahmen Asoziale erfaßt?, in: Mitteilungen der kriminal- biologischen Gesellschaft 5 (1937), S. 81-97; vgl. Robert Müller, Zum Schwachsinns- begriff in der Praxis der Erbgesundheitsgerichte. in: Der Erbarzt, 1938, S. 149-151; vgl. Wemer Horlboge, Die Unfruchtbarmachung Asozialer gemäß dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, Diss, Berlin 1939; vgl. Christiane Rothrnaler, "Erbliche Belastung liegt sicher vor, ist nur nicht festzustellen": Zwangssterilisation in Harnburg. in: Mitteilungen der Dolrumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik 2 (1986), Heft 13/14, S. 66; grundlegend: Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Oplanden 1986. 54 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8793. 55 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8687. 56 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8335, S. 27. 279 Reichsweite Statistiken über zwangssterilisierte Arbeitshausinsassen exi- stieren vermutlich nicht. Nach einer auf einen Stichtag bezogenen Angabe be- fanden sich im Oktober 1936 insgesamt 4 040 männliche Arbeitshausgefangene in den Arbeitshäusern des Deutschen Reichs. Von ihnen waren bereits 4,7 Pro- zent zwangssterilisiert, bei weiteren 3,9 Prozent war die Sterilisation schon be- schlossen und bei 4,4 Prozent stand eine Entscheidung des Erbgesundheits- gerichts noch aus. Weit höher war die Quote der zwangssterilisierten Frauen. Von den insgesamt 267 in Arbeitshäusern untergebrachten Frauen waren 9,7 Prozent bereits zwangssterilisiert, bei 4,9 Prozent war die Sterilisation bereits beschlossen und bei weiteren 7,1 Prozent lief das Verfahren noch. 57 Bei den Breitenauer Gefangenen lassen sich nach 1939 keine Zwangs- sterilisationsanträge mehr nachweisen. Die Tätigkeit der Erbgesund- heitsgerichte wurde kriegsbedingt mehr und mehr eingeschränkt. Außerdem waren in Breitenau viele Neueingelieferte bereits zwangssterilisiert. Bei immer- hin 26 Korrigenden befindet sich ein entsprechender Vermerk in den Akten. August F. Der 28jährige August F. war aufgrund eines Urteils des Amtsgerichts Frank- furt vom März 1936 ins Arbeitshaus Breitenau eingewiesen worden, weil er in Frankfurt auf dem Eisernen Steg gestanden und um zu betteln einen Hut vor sich gehalten hatte. 58 Das Urteil lautete auf sechs Wochen Haft und Ein- weisung ins Arbeitshaus, wobei es das Gericht als strafverschärfend ansah, daß August F. sich gelegentlich als Krüppel oder Blinder verstellte, um seine Betteleinkünfte zu erhöhen. August F. stand nicht das erste Mal vor Gericht. Seit seinem 21. Lebensjahr war er insgesamt siebzehnmal wegen Bettelei und Landstreicherei verurteilt worden. Wegen anderer Delikte war er nie bestraft worden. Auf dem Brei- tenauer Aufnahmeformular vermerkte der Anstaltsarzt: "dement, sonst gesund und arbeitsfähig". Damit war das Urteil über August F. schon gesprochen. Es dauerte allerdings noch zehn Monate bis der Anstaltsarzt beim Erbgesundheits- gericht in Kassel seinen - wie immer mit "angeborenem Schwachsinn" be- gründeten - Zwangssterilisationsantrag stellte. Schon nach wenigen Tagen ant- 57 Vgl. Edgar Schmidt, Unterbringung im Arbeitshaus. Einige Erhebungen über die auf Grund § 42 d StGB im Arbeitshaus Untergebrachten, in: Blätter fiir Gefängniskunde 69 (1938/39), S.133. 58 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8095. 280 wortete das Erbgesundheitsgericht: "In der Erbgesundheitssache des Arbeiters August F. wird noch um Mitteilung gebeten, wo der Erbkranke zur Schule ge- gangen ist. War er in Fürsorgeerziehung? Wo? Ferner wird um Äußerung ge- beten, ob die Bestellung eines Pflegers notwendig ist. " Das Erbgesundheitsgericht bezeichnete August F. in diesem Schreiben schon als "Erbkranken", obwohl das Verfahren noch gar nicht eröffnet war. Von einem ordentlichen Gerichtsverfahren konnte also überhaupt keine Rede sein; das Urteil stand in der Regel schon vor der Verhandlung fest. Die Frage nach Schule und eventueller Fürsorgeerziehung diente dem Gericht einzig und allein dazu, belastendes Material für die Urteilsbegründung zu beschaffen. In dieser Urteilsbegründung wird neben dem Hinweis, daß August F. in der Schule dreimal sitzengeblieben war, dann auch ausführlich auf die beschafften Fürsorgeerziehungsakten Bezug genommen: "Aus den Fürsorgeerziehungsakten geht hervor, daß die Eltern zur Erziehung ihrer sieben Kinder nicht fähig ge- wesen sind, die Kinder wurden meist sich selbst überlassen, sie wurden oft unmenschlich von den Eltern behandelt." Schon die Fürsorgeerziehungsanstalt habebei August F. Schwachsinn mittleren Grades festgestellt. "Seit dem Jahre 1928/29hat sich F. dann auf Wanderschaft begeben. Er ist in den Jahren 1929 bis 1936 siebzehnmal wegen Bettelns und Landstreicherei von verschiedenen Gerichten bestraft worden, zuletzt ist er vom Amtsgericht in Frankfurt im März 1936 zu sechs Wochen Haft und gleichzeitig zu Arbeitshaus verurteilt worden. Auf Grund dieses Urteils befindet er sich jetzt in der Landesarbeitsanstalt in Breitenau. Schon die vom Anstaltsarzt in Breitenau vorgenommene lntelligenzprüfung läßt grobe Intelligenzdefekte bei August F. erkennen. Das Erbgesundheitsgericht hat F.... auch seinersei ts nochmals gehört und geprüft. Die Prüfung hat einen deutlichen Intelligenzrückstand auf allen Gebieten er- geben. Auffällig ist besonders die erhebliche Urteilsschwäche und die Kritik- losigkeit gegen sich selbst. Zusammen mit den zutage getretenen asozialen Zügen und der erheblichen ethischen Gleichgültigkeit ergibt sich das typische Bild einer ausgesprochenen Debilität (Schwachsinn geringeren Grades). "59 Das Gericht ordnete die Sterilisation an. Wenige Wochen nach seiner Zwangssterilisation im Stadtkrankenhaus Kassel stellte August F. ein Ent- lassungsgesuch. Die Stellungnahme des Breitenauer Anstaltsdirektors zu diesem Entlassungsgesuch lautete: "F. ist ein willen- und haltloser Mensch, der auf dem besten Wege ist, die Landstraße zu seiner zweiten Heimat zu machen. Er ist arbeitsscheu und faul und kann nicht den Willen zur geregelten Arbeit auf- 59 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8095. 281 bringen. Seine Versicherungen sind nicht ernst zu nehmen. Das Entmannungsverfahren ist bei ihm durchgeführt worden. In seinem und im In- teresse der Allgemeinheit ist die Unterbringung im Arbeitshaus auf die Dauer von 2 Jahren erforderlich." Ganz abgesehen von dem Umstand, daß der Breitenauer Anstaltsdirektor den Unterschied zwischen einer Sterilisation und einer Kastration nicht kannte, wirft dieses Schreiben ein bezeichnendes Licht auf den in Gang gesetzten Aus- grenzungsmechanismus. Im Urteil des Erbgesundheitsgerichts wurden die Vor- strafen noch als Begründung für die Zwangssterilisation angeführt, während der Anstaltsleiter dann umgekehrt die durchgeführte Zwangssterilisation als Begründung für die Ausdehnung der Arbeitshaushaft bis zur gesetzlichen Höchstdauer von zwei Jahren bei erstmaliger Unterbringung heranzog. In der Nachkriegszeit versuchte die Breitenauer Anstaltsleitung, die Be- teiligung ihres früheren Personals an der "Erbgesundheitspflege" zu ver- tuschen. Noch 1968 antwortete die Direktion auf eine Anfrage des Gesund- heitsamts Hanau über einen ehemaligen Arbeitshäusler, der vom Anstaltsarzt beim Erbgesundheitsgericht angezeigt worden war, die Sterilisation sei auf- grund eines Schreibens des Erbgesundheitsgerichts in Kassel vorgenommen worden. Daß dem Schreiben des Erbgesundheitsgerichts eine Anzeige des An- staltsarztes vorausging, verschwieg man lieber. 60 Verstärkte Einweisungen durch die öffentliche Fürsorge Mit dem schrittweisen Abbau der Arbeitslosigkeit nach Machtantritt der Nationalsozialisten verstärkten die Kommunen ihren Druck auf Armenfür- sorgeempfänger. In den einschlägigen Fachorganen propagierten Fürsor- gevertreter ab 1935 die Errichtung von "Lagern für geschlossene Fürsorge".61 60 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8332. 61 Vgl. Otto WetzeI, Die"Asozialen-Kolonie". Ein Großstadtproblem: Wohin mit den Aso- zialen?, in: Die nationalsozialistische Gemeinde 3 (1935), S.35-37; vgl. Graemer, Die "Bewahrungskolonie". Ein Großstadtbild: Wohin mit den die Allgemeinheit belastenden Volksgenossen", in: Die nationalsozialistische Gemeinde 3 (1935), S.210 f; vgl. Die Heidelberger Asozialen-Kolonie, in: Der Gemeindetag 29 (1935), S.643-645; vgl. Szajkowski, Die Behandlung der Asozialen. Die Stellung der Fürsorge, in: Der Ge- meindetag 29 (1935), S.635-639; vgl. Graemer, Wohin mit Arbeitsunwilligen, in: Der Gemeindetag 29 (1935), S. 639-643; vgl. Christoph von der Ropp, Die Kolonie der Aso- 282 Parallel zu diesen Projekten läßt sich ab 1935/36 verstärkt Arbeits- hauseinweisung und Lagerunterbringung auf der Grundlage von § 20 Reichsfürsorgepflichtverordnung nachweisen. In Bayern war sogar das Kon- zentrationslager Dachau als Arbeitsanstalt im Sinn der Reichsfür- sorgepflichtverordnung anerkannt. Die Fürsorgeämter konnten dadurch selb- ständig Einweisungen ins Konzentrationslager Dachau vornehmen. 62 Während der gesamten Weimarer Republik waren nur 80 Männer und 21 Frauen als "arbeitsscheue Fürsorgeempfänger" nach Breitenau zwangs- eingewiesen worden. Als Rechtsgrundlage diente hierfür seit 1924 § 20 der Reichsfürsorgepflichtverordnung, der die Bestimmungen des preußischen Arbeitsscheuengesetzes von 1912 inhaltlich aufnahm. 63 Diese in den letzten Jahren der Weimarer Republik kaum noch angewendete Internierungsmög- lichkeit wurde nun vor allem von städtischen Wohlfahrtsämtern intensiv genutzt. Schon 1934 wies die Stadtverwaltung Eisenach einen 33jährigen Arbeiter aufgrund einer fristlosen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als "arbeitsscheuen Fürsorgeempfänger" nach Breitenau ein: "Am 8.9.34 wurden Sie lt. Arbeitsbescheinigung wegen 'Faulheit während der Arbeit' fristlos entlassen. Schon mit Schreiben vom 22.7.34 und 23.7.34 wurden Sie verwarnt, weil Sie es ablehnten, die vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeit aufzunehmen. Jeder Empfänger öffentlicher Fürsorge ist verpflichtet, die zugewiesene Arbeit anzunehmen, wenn sie ihm nach dem Maße seiner Kräfte zugemutet werden kann. Die Entlassung erfolgte wegen Ihrer Arbeitsunwilligkeit. Durch die Entlassung sind Sie wieder hilfsbedürftig geworden und müssen öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen. "64 Im Mai 1935 berichtete der Kasseler Stadtverwaltungsrat Harms auf einer Tagung kommunaler Fürsorgeexperten über die Einweisungspraxis seiner Stadtverwaltung nach Breitenau. Bei "asozialen und politisch widersetzlichen" Unterstützungsempfängern beschränke man die Fürsorgeleistungen auf An- zialen. Strafanstalt oder Erziehungsanstalt. Ein Vorschlag und eine Kritik, in: Berliner Tageblatt, 17.2.1935; vgl. Gerhard Kniep, Die Behandlung "Asozialer", in: Berliner Kom- munale Mitteilungen 9 (1938), S. 224; vgl. Wolfgang Ayaß, 1986, s. 159-166. 62 Bayerisches HStA München, MInn 71576, 21.1.38; Bundesarchiv Koblenz, Slg. Schumacher/399. 63 Vgl. Hans Muthesius, Fürsorgerecht, Berlin 1928, S. 110 f; vgl. Menger, Das Verfahren bei Unterbringung in einer Arbeitsanstalt auf Grund des § 20 der Fürsorgepflichtverord- nung vom 13.2.1924, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 13 (1937/38), s. 286 f. 64 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 7670, s. 4; siehe auch Nr. 8368. 283 staltspflege in Breitenau. Die Einweisungen nach Breitenau hätten sich als "ausgezeichnetes Druckmittel" erwiesen. 65 Ab Frühjahr 1936 lieferten insbesondere das Kasseler und das Frankfurter Fürsorgeamt verstärkt Frauen nach Breitenau ein, die, wie die Breitenauer Direktion schrieb, "infolge ihres sittlichen Verschuldens in stärkerem Maße der öffentlichen Fürsorge anheimgefallen sind, jede Arbeit beharrlich verweigern und der Unzucht nachgehen". 66 Unter "Bezug von Fürsorgeleistungen" ver- standen die Kommunalverwaltungen nun nicht nur, wie zuvor in der Weimarer Republik, den laufenden Bezug von Armenunterstützung für eine Person oder deren Angehörige, sondern auch die Kosten einer freiwilligen oder zwangs- weisen Krankenhausbehandlung wegen Geschlechtskrankheiten. Dadurch ge- lang es den Fürsorgeämtern, als Prostituierte verdächtigte Frauen, die nie um Fürsorgeunterstützung nachgesucht hatten, als "arbeitsscheue Fürsorgeempfän- ger" in Breitenau einzusperren.s? Im Einzelfall genügten schon nicht bezahlte Krankenhauskosten von 35 Mark als Vorwand für mehrmonatige Arbeitshausunterbringung einer sich "herumtreibenden" jungen Frau. 68 Die positiven Errungenschaften des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927 wurden durch diese Praxis der Fürsorgeämter faktisch rückgängig gemacht. Die Hauptintention dieses Gesetzes war, durch Entkriminalisierung der Prostitution die medizinische Behandlung von Ge- schlechtskrankheiten zu einer angstfreien, nichtrepressiven Ver- trauensangelegenheit zwischen Arzt und Patientin zu machen. Im Na- tionalsozialismus mußten Frauen, die wegen Geschlechtskrankheiten behandelt wurden, dann damit rechnen, von Fürsorgeämtern als "arbeitsscheue Fürsorge- empfänger" in eine Arbeitsanstalt zwangseingewiesen zu werden. Die für Pro- stituierte seit 1927 faktisch abgeschaffte strafrechtliche Arbeitshausunter- bringung war lediglich durch die fürsorgerechtliche Arbeitshausunterbringung ersetzt worden. In einem Fall wurde eine Frau, die bereits 1925 nach einer richterlichen Verurteilung wegen Prostitution als Korrigendin nach Breitenau eingewiesen worden war, im Jahre 1936 nun von der Fürsorge als "hochgradig 65 StA Hamburg, Sozialbehörde I, VT 36.11, 10.5.35. 66 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 128, S. 45. 67 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7862, S.36; Nr. 7901, S.7; Nr. 7997, S. 6; Nr. 8011, S. 3; Nr. 8309, S. 2; zu den Einweisungen aus Frankfurt siehe Stadtarchiv Frankfurt, Wohlfahrtsamt, Nr. 106, S. 202-206. 68 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8688, S. 19. 284 arbeitsscheue und sittlich vollständig verwahrloste" Prostituierte zwangseingewiesen. 69 Bereits 1938 wurden in Breitenau untergebrachte Prostituierte vom Kasseler Fürsorgeamt als "asoziale Volksschädlinge" bezeichnet.I? Prostitution wurde nicht nur als sittliche Verwahrlosung definiert, sondern, vor allem nach Kriegsbeginn, zunehmend auch als Arbeitsverweigerung.U Aus einem Unter- bringungsantrag des Frankfurter Fürsorgeamts gegen eine 34jährige Frau, die wiederholt auf Kosten des Fürsorgeamts wegen Gonorrhö behandelt werden mußte: "Alle Besserungsversuche hatten bei der F. keinerlei Erfolg. Einen bürgerlichen Beruf hat sie nicht erlernt, und sie ist, seitdem sie sich hier in Ffm. aufhält, noch nie einer geregelten und anständigen Arbeit nachgegangen. Das Verhalten der F. ist für die öffentliche Fürsorge und die Volksge- meinschaft nicht mehr tragbar. Sie bedeutet für die Allgemeinheit eine ernst- liche gesundheitliche Gefahr. Die Unterbringung in eine öffentliche Arbeits- anstalt ist deshalb dringend geboten. "72 Jüdische Herkunft sah das Frankfurter Fürsorgeamt als strafverschärfend an. In einem vom Frankfurter Stadtrat Fischer-Defoy unterzeichneten Unter- bringungsantrag aus dem Jahre 1939 gegen eine 33jährige arbeitslose Haus- angestellte hieß es: "Sie hätte durchaus die Möglichkeit, als Hausangestellte in einemjüdischen Haushalt zu arbeiten. Durch ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse hätte sie alle Ursache, ein ordentliches Leben zu führen und nicht der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Behörden zur Last zu fallen. "73 1936 besuchten Bedienstete des Fürsorgeamts der Stadt Kassel wiederholt die Breitenauer Anstalt, um die von diesem Amt häufig genutzte In- temierungsmöglichkeit zu besichtigen.j" Allein im Rechnungsjahr 1936/37 brachte der Bezirksfürsorgeverband Kassel-Stadt 32 Frauen und 23 Männer zwangsweise in Breitenau unter. 75 Insgesamt wurden in diesem Jahr von ver- schiedenen Kommunen 50 männliche und 33 weibliche Personen nach Brei- tenau zwangseingewiesen. Die Unterbringungsdauer betrug in der Regel ein Jahr. Danach wurden die Untergebrachten von der einweisenden Kommunal- 69 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 8380. 70 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9401, S. 7 RS. 71 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 8531, S. 7; Nr. 8281, S. 9 RS. 72 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 8074, S. 7. 73 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 8752, S. 7 RS. 74 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9736, S. 240. 75 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 9794, Jahresbericht 1936. 285 verwaltung mit der Auflage "beurlaubt", sich sofort beim zuständigen Ar- beitsamt zur Arbeitsvermittlung zu melden. 76 Bisweilen sprachen Fürsorge- ämter bei einer solchen "Beurlaubung" unverhohlene Drohungen aus: "Sollten Sie wider Erwarten in ihre früheren Gewohnheiten zurückfallen, so lasse ich Sie schon heute darüber nicht im unklaren, daß der Staat über weit schärfere Erziehungsmaßnahmen verfügt, die dann gegen Sie angewendet werden müß- ten", schrieb das Frankfurter Fürsorgeamt im Dezember 1938 anläßlich der "Beurlaubung" eines 40jährigen Arbeiters aus Breitenau.I? Die Zwangsunterbringung durch Fürsorgeämter errreichte im Rechnungsjahr 1937/38 ihren Höhepunkt, als 105 "arbeitsscheue Fürsorgeempfänger" nach Breitenau eingewiesen wurden, eine größere Zahl als in der gesamten Weimarer Republik. Danach gingen die Einweisungsziffern dieser In- sassengruppe zurück. Neben dem tatsächlichen Rückgang der Zahl der Für- sorgeempfänger info1ge des rüstungsbedingten wirtschaftlichen Aufschwungs verringerten sich die Einweisungen nach Breitenau durch die ab Dezember 1937 mögliche Konzentrationslagereinweisung von "Asozialen" im Rahmen der krirninalpolizeilichen Vorbeugungshaft. Das Kasseler Fürsorgeamt nutzte bis Kriegsende sowohl die fürsorgerechtliche Arbeitshausunterbringung in Breitenau wie auch KZ-Einweisung mittels kriminalpolizeilicher Vor- beugungshaft. Noch 1944 lassen sich Zwangseinweisungen von Kasseler Für- sorgeempfiingem nach Breitenau belegen. 78 Die wenigen Privilegien, die in Breitenau untergebrachte Fürsorgeempfänger traditionell gegenüber den Korrigenden hatten, wurden im Nationalsozialismus abgeschafft. Ein geflüchteter Fürsorgeempfänger berichtete 1938 in einer Be- schwerde, daß der sonntägliche Ausgang grundsätzlich erst nach drei Monaten gewährt, aber auch oft ohne Grund verweigert werde. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Ausgang sogar ganz abgeschafft. 79 76 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.7984, S. 18; Nr.8132, S.22; Nr. 8002, S. Il. 77 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8534, S. 55; siehe auch Nr. 8985, S. 19; Nr. 9159, S. 33. 78 StA Marburg, Bestand 401, Ace. 1988/73, Nr. 73. 79 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 121, S. 43, S. 75; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8171, S. 20; Nr. 8552, S. 12. 286 Die Aktion" Arbeitsscheu Reich" Bis zum Sommer 1938 setzten die Nationalsozialisten bei der Unterdriickung von Fürsorgeempfängern, Wohnungslosen, Bettlern, Landstreichern und Pro- stituierten auf die althergebrachte Arbeitshaushaft, die allerdings durch den Erlaß der "Maßregeln der Sicherung und Besserung" mit der Möglichkeit zur lebenslänglichen Internierung erheblich verschärft worden war. Doch trotz dieser Verschärfungen trug diese Form der Asozialenbekämpfung noch immer die alten Merkmale: Ergreifen der Delinquenten durch die Polizei, Verur- teilung durch Amtsrichter, kurze Haft und sich anschließende korrektionelle Nachhaft in den Arbeitshäusern. Spätestens 1938, in einer Zeit des sich dramatisch verschärfenden Arbeits- kräftemangels, ging es den Machthabern darum, den letzten Rest der noch ar- beitslosen Bevölkerung voll und ganz in den Arbeitsprozeß zu integrieren, nötigenfalls mit Gewalt. Das Jahr 1938 brachte eine ganze Palette aufeinander abgestimmter Maßnahmen zur Arbeitskräftebeschaffung wie allgemeine Dienstpflicht, Meldepflicht für Schulabgänger und Pflichtarbeit für Empfänger von Arbeitslosenunterstützung. In dieser Phase unmittelbarer Kriegsvorberei- tungen, die einen verschärften Zugriff auf die Arbeitskraft der Bevölkerung brachte, durften sich nicht einmal körperlich abgebaute Landstreicher dem •Aufbauprozeß des Deutschen Volkes" entziehen. Jeder ohne festen Wohnsitz Lebende wurde jetzt als"Arbeitssaboteur" verfolgt. Eine vollständige Beseitigung der Bettler und Landstreicher wäre durchaus auch auf der alten strafrechtlichen Schiene mittels gegebenenfalls lebensläng- licher Arbeitshaushaft möglich gewesen. Im allgemeinen Gerangel um Ar- beitskräfte wollte die SS die unter den noch in Freiheit lebenden Wohnungs- losen vermuteten Arbeitskräfte nicht der Justiz überlassen. Die SS hatte die Ab- sicht, die "Asozialen" in den ihr unterstehenden Konzentrationslagern aus- zubeuten und schließlich durch mörderische Zwangsarbeit zu vernichten. Grundlage für die Verschleppung von "Asozialen" in Konzentrationslager bil- dete der "Grundlegende Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei" vom 14. Dezember 1937. 80 Dieser von Reichsinnenminister 80 Der Reichs- und Preußische Minister des Innern, Pol. S-Kr. 3 Nr. 1682/37- 2098, in: Reichssicherheitshauptamt - Amt V - (Hrsg.), Vorbeugende Verbrechensbekämpfung - Er- laßsammlung - . Bearbeitet von SS-Hauptsturmführer Kriminalrat Richrath im Reichssicherheitshauptamt, 0.0., 0.1. (Berlin 1943), S.41; im folgenden als Erlaß- sammlung Vorbeugende Verbrechensbekämpfung zitiert; vgl. Gerhard Werle, 1989, S. 489-492. 287 Frick unterzeichnete Grunderlaß brachte erstmalig eine reichseinheitliche Re- gelung der gegen "Berufsverbrecher" schon seit 1933 angewandten polizei- lichen Vorbeugungshaft. Wichtigste Neuerung war die Ausdehnung der Vor- beugungshaft auf "Asoziale" .81 Die Gestapoaktion vom Frühjahr 1938 Zunächst griff allerdings im Frühjahr 1938 auf Befehl Himrnlers die Gestapo auf" Arbeitsscheue" zu. 82 Bei dieser Verhaftungsaktion sind hauptsächlich bei den Arbeitsämtern aktenkundige "Arbeitsscheue" und die Fürsorgepflicht- arbeiter der Kommunen erfaßt worden. Die örtlichen Arbeitsämter wurden an- gewiesen, die ihnen bekannten "Arbeitsscheuen" festzustellen und den Staats- polizeistellen zu melden. Außerdem sollten die GestaposteIlen von sich aus Ermittlungen über die in ihrem Bezirk wohnenden "arbeitsscheuen Elemente" anstellen und sich mit Ortspolizei, Kriminalpolizei, Wohlfahrtsämtern sowie den Dienststellen der NS-Volkswohlfahrt in Verbindung setzen. In erster Linie sei es aber Aufgabe der örtlichen Arbeitsämter die"Arbeitsscheuen" festzu- stellen. Die ermittelten Personen wurden von der Gestapo in Schutzhaft ge- nommen und dem Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Bereits am 21. April, dem ersten Tag der Razzia, traf im Konzentrationslager Buchenwald der erste Transport mit 21 Verhafteten ein. 83 Im Mai 1938 stieg die Zahl der "Arbeitsscheuen" in Buchenwald steil an, am 12. Juni - dem Tag vor dem Be- ginn der noch zu schildernden Großrazzia der Kriminalpolizei - verzeichneten die Buchenwalder Häftlingsstatistiken bereits 1 930 "Arbeitsscheue Reich" .84 81 Zur Geschichte der Vorbeugungshaft vgl. die juristische Dissertation von Karl-Leo Terhorst, Polizeiliche planmäßige Überwachung und polizeiliche Vorbeugungshaft im Dritten Reich, Diss. Heidelberg 1985; vgl. auch die noch ganz im Geiste der "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" geschriebene Dissertation von Götz Leonhard, Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung im nationalsozialistischen Staat und ihre Lehren fiir die Zukunft, Diss. Mainz 1952; vgl. Nebe, Aufbau der deutschen Kriminalpolizei, in: Kriminalistik 12 (1938), S. 4-8. 82 Der Reichsfiihrer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, B. Nr. S-PP (ll E) - 7677137g, 26.1.1938, in: Erlaßsammlung Vorbeugende Verbrechens- bekärnpfung, S.46; vgl, Götz Leonhard, 1952, S. 48; vgl. Gerhard Werle, 1989, S. 522. 83 Bundesarchiv Koblenz, NS 4, Bu/137. 84 Bundesarchiv Koblenz, NS 4, Bu/137. Falk Pingel nennt als Größenordnung der Gestapo- aktion nur ca. I 500 Verhaftungen, vgl. Falk Pingel, Häftlinge unter SS-Herrschaft. Wi- derstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrationslager, Hamburg 1978, S. 71. 288 •Wl!'gen Landstreicherei in Breitenau inhaftiert... 289 Die Verhaftungen der Gestapo erstreckten sich auch auf Fürsorgeempfänger. die bereits in Arbeitsanstalten interniert waren. Am 14. März 1938 trafen sich in Berlin Ministerialrat Fritz Ruppert von der Fürsorgeabteilung des Reichs- innenministeriums und Ministerialrat Zindel vom Hauptamt Sicherheitspolizei zu einer Besprechung über den Arbeitseinsatz für "Zwecke des Vierjahres- plans" von bereits aufgrund § 20 Reichsfürsorgepflichtverordnung in Arbeitsanstalten zwangsuntergebrachten Fürsorgeempfängern. Zu der Be- sprechung zog man auch den Hauptreferenten Zengerling vom Deutschen Ge- meindetag hinzu. Die Herren vereinbarten einen Erlaß über die Herausgabe der in Arbeitsanstalten der Fürsorgeverbände untergebrachten Personen an die Gestapo.85 Die Leiter der Arbeitsanstalten wurden angewiesen, der Gestapo bis Anfang April 1938 eine Liste der aufgrund § 20 Reichsfürsorgepflicht- verordnung zwangsweise Untergebrachten zuzustellen und die betreffenden Personen an die Gestapo auszuliefern. In den Listen seien diejenigen Personen kenntlich zu machen, die zur Fortführung eines eventuell mit der Arbeits- einrichtung verbundenen landwirtschaftlichen Betriebs unentbehrlich seien. Die endgültige Entscheidung über die Auslieferung blieb jedoch der Gestapo vorbe- halten. Die Kasseler Bezirksverwaltung sandte diesen Erlaß Ende März 1938 nach Breitenau und ermächtigte die Anstaltsleitung, der Gestapo eine Insassen- liste zu übersenden. Dabei sei jedoch zum Ausdruck zu bringen, "daß diese Personen zur Bewältigung der land- und forstwirtschaftliehen Arbeiten der An- stalt restlos gebraucht würden" .86 Die Gestapo nahm daraufhin von einer Ver- legung Breitenauer Insassen Abstand, da diese dort "im Interesse des Vier- jahresplanes Verwendung finden". 87 Die "Juniaktion ' der Kriminalpolizei Unter dem Datum vom 1. Juni 1938 verschickte das Reichskriminalpoli- zeiamt einen von Heydrich unterzeichneten und als "streng vertraulich" gekennzeichneten Schnellbrief an die Kriminalpolizeileitstellen. "Da das Ver- brecherturn im Asozialen seine Wurzeln hat und sich fortlaufend aus ihm er- gänzt, hat der Erlass des RuPrMdI. v . 14. Dezember 1937 ... der Kriminal- polizei weitgehende Möglichkeiten gegeben, neben den Berufsverbrechern auch 85 Der Reichs- und Preußische Minister des Innern, Nr. VW I 4/38,7226,14.3.1938, Bundes- archiv Koblenz, R 36fl860. 86 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverwaltung), Nr. 141, Bd. I, S. 118 RS. 87 Dies ergibt sich aus einem Schreiben der Anstaltsleitung an das Bezirksfürsorgeamt Dietz vom 24.5.1938, Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8063, S. 12. 290 alle asozialen Elemente zu erfassen, die durch ihr Verhalten der Gemeinschaft zur Last fallen und sie dadurch schädigen. Ich habe aber feststellen müssen, daß der Erlaß bisher nicht mit der erforderlichen Schärfe zur Anwendung ge- bracht worden ist. Die straffe Durchführung des Vierjahresplanes erfordert den Einsatz aller arbeitsfähigen Kräfte und läßt es nicht zu, daß asoziale Menschen sich der Arbeit entziehen und somit den Vierjahresplan sabotieren. "88 In der Woche von 13. bis 18. Juni 1938 seien pro Kriminalpolizeileitstellenbezirk "mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen (asoziale) in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen". Landstreicher, Bettler, Zuhälter und Zigeuner zählte der Erlaß ausdriicklich auf. "In erster Linie sind bei der Anwendung der polizeilichen Vorbeugungshaft Asoziale ohne festen Wohnsitz zu berücksich- tigen" , hatte das Reichskriminalpolizeiamt in Richtlinien vom 4. April 1938 bereits festgelegt. 89 Die vorliegenden Zahlen einzelner Regionen zeigen, daß die unteren KriminalpolizeisteIlen oft weit mehr als die von Heydrich im Schnellbrief vom 1. Juni 1938 geforderte Mindestzahl von zweihundert "Asozialen" verhafteten. So ordnete die KriminalpolizeisteIle Frankfurt an, die Aktion sei nicht auf die in Heydrichs Erlaß genannten Personengruppen zu be- schränken, man solle vielmehr alle "arbeitslosen männlichen Asozialen" er- fassen. 90 Allein im Gebiet des zum Kriminalpolizeileitstellenbezirk Frankfurt ge- hörenden Kriminalpolizeibezirks Kassel verhaftete man 152 "asoziale" Männer.Pl Der jüngste der im Kasseler Kriminalpolizeibezirk verhafteten "Asozialen" war gerade achtzehn Jahre alt, der älteste 67 Jahre. Das Durch- schnittsalter lag bei 38 Jahren; die Hälfte war älter als 36 Jahre. In den For- mularen zur "Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft" gab die Kasseler Kriminalpolizei beispielsweise über einen 27jährigen Arbeiter an: "F. ist ein arbeitsscheuer Mensch. Er zieht planlos im Lande umher und lebt vom Betteln. Einer geregelten Arbeit ist er bisher noch nie nachgegangen. Die Allgemeinheit muß vor ihm geschützt werden. " 88 Reichskrirninalpolizeiarnt, Tgb. Nr. RKPA 6001/295.38, I. Juni 1938, Erlaßsammlung Vorbeugende Verbrechensbekämpfung . 89 Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. RKPA 6001 250/38, 4.4.1938, Richtlinien des Reichs- kriminalpolizeiamtes über die Durchführung der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung vom 4.4.1938, Erlaßsammlung Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, S. 71; vgl. Gerhard Werle, 1989, S. 523. 90 Staatliche Kriminalpolizei, Kriminalpolizeileitstelle Frankfurt, 4.6.1938, StA Marburg, Be- stand 180 (Hofgeismar), Nr. 3652. 91 StA Marburg, Bestand 165, Nr. 3982, Bd. 16, S. 547 f. 291 Fast gleichlautend die Begründung bei einem 45jährigen Kaufmann: "D. ist ein arbeitsscheuer Mensch, der einer geregelten Arbeit nie nachgegangen ist. Er lebt vom Betteln, lebt planlos im Lande umher und überläßt die Sorge für seine Unterhaltung der Allgemeinheit. " Die Insassen des Arbeitshauses Breitenau waren von der Verhaftungsaktion der Kriminalpolizei nicht direkt betroffen. Die Großrazzia bezog sich jedoch weitgehend auf einen Personenkreis, der zuvor gewöhnlich nach Breitenau ge- bracht wurde. So soUte der 31jährige Karl H. aus Kassel ursprünglich als ent- mündigter Alkoholiker in Breitenau zwangsuntergebracht werden. Der Mann wurde dann aber vor seiner Einlieferung nach Breitenau im Rahmen der Aktion "Arbeitsscheu Reich" verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. 92 Von den 152 im Kasseler Regierungsbezirk verhafteten "Asozialen" hatten mindestens sechs in den zurückliegenden Jahren Bekanntschaft mit der Brei- tenauer Anstalt machen müssen. So der bei seiner Verhaftung 41jährige Maurer Eugen D., der bis Mai 1936 eine einjährige Arbeitshaushaft verbüßte, zu der er von einem Amtsgericht im Zusammenhang mit seiner fünften Bestrafung wegen Bettelei bzw. Landstreicherei verurteilt worden war. 93 Ein weiterer Bettler, der 39jährige Wilhelm Q., saß von November 1935 bis Ende Oktober 1937 in Breitenau. Er hatte eine Vorstrafenliste mit neun Betteleidelikten vorzuweisen und war zuvor bereits einmal in einem Arbeitshaus gefangengehalten worden. Wilhelm Q. war ein kranker Mann und haftunfähig; er wurde wegen eines chronischen Magenleidens vorzeitig aus Breitenau entlassen und ins Stadt- krankenhaus Kassel überwiesen.P'l Sieben Monate später wurde er von der Kriminalpolizei als "Arbeitsscheuer" ins Konzentrationslager Buchenwald ver- schleppt. Die Gesamtzahl der verhafteten" Arbeitsscheuen" gab SS-Oberführer Ulrich Greifelt, Amtschef der Dienststelle "Vierjahresplan" im persönlichen Stab des Reichsführers-SS, mit "weit über 10 000" an. Angesichts der vorliegenden Teilzahlen ist dies eine durchaus glaubwürdige Größenordnung.F' 92 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 97, 3.6.1938. 93 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7943. 94 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9015. 95 Nürnberger Dokumente NO-5591, S. 10; Greifelt bezog sich allerdings sowohl auf die Gestapoaktion wie auf die Aktion der Kriminalpolizei; Kühnrich nennt die Zahl von II 000 Verhafteten, vgl. Heinz Kühnrich, Der KZ-Staat. Die faschistischen Konzentrationslager 1933-1945, Berlin 21980, S. 57; vgl. H. Buchheim, Die Aktion "Arbeitsscheu Reich", in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 11, Stuttgart 1966, S.189-195; vgJ. Wolfgang Ayaß, "Ein Gebot der nationalen Arbeitsdisziplin". Die Aktion "Arbeitsscheu 292 Nach der Aktion"Arbeitsscheu Reich" vom Sommer 1938 gingen in Brei- tenau die Einweisungszahlen von Korrigendinnen und Korrigenden rapide zu- rück.96 Einweisungen von Korrigendinnen und Korrigenden ins Arbeitshaus Breitenau: Männer Frauen 1933 92 1 1934 115 7 1935 156 15 1936 170 8 1937 132 8 1938 115 1 1939 58 5 1940 35 0 1941 34 1 1942 32 0 1943 16 4 1944 4 11 1945 1 2 Auch die Zahl der in Breitenau zwangsuntergebrachten Fürsorgempfänger fiel, nachdem sowohl das Kasseler wie auch das Frankfurter Wohlfahrtsamt einzelne Personen der Kriminalpolizei zur Verhängung der, für die Stadtver- waltungen kostengünstigeren, Vorbeugungshaft meldete. 97 Als das Kasseler Wohlfahrtsamt 1940 eine "asoziale Familie" auflöste, wurde der Ehemann als Vorbeugungshäftling in ein Konzentrationslager gebracht, die Ehefrau dagegen als "arbeitsscheue Fürsorgeempfängerin" nach Breitenau. 98 Bei dem 36jährigen Wilhelm R. und dem 56jährigen Karl L., die als "arbeitsscheue Fürsorge- Reich" 1938, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 6, Berlin 1988, S. 43-74. 96 Nach Aufnahmebuch 1895-1945, Archiv der Gedenkstätte Breitenau; der Rückgang der Breitenauer Ziffern deckt sich mit dem Rückgang der Einweisungszahlen im Arbeitshaus Vaihingen, vgl. Friedrich U. Griebl Ernst A. Schmidt, 1985, S. 95. 97 Bundesarchiv Koblenz, R 36/1864, 2.12.1940. 98 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8510, S. 12; siehe auch Nr.8501, S.8. 293 empfänger" in Breitenau zwangsuntergebracht waren, läßt sich nachweisen, daß sie 1939 auf Antrag des Frankfurter Fürsorgeamts in Vorbeugungshaft ge- nommen und von Breitenau aus in ein Konzentrationslager überführt wurden. 99 Nachdem auch die Polizei aufgegriffene Wohnungslose meist nicht mehr der Justiz zur Bestrafung zuführte, sondern als kriminalpolizeiliche Vor- beugungshäftlinge direkt in die Konzentrationslager einwies, verloren die alten Arbeitshäuser bei der Bettler- und Landstreicherbekämpfung ihre zentrale Rolle. 1939 sprachen die Richter im gesamten "Großdeutschen Reich" nur noch 706 Arbeitshauseinweisungen aus; 1940 sogar nur 476 Einweisungen. IOO Die Justiz ihrerseits brachte die wenigen Korrigenden, die sie noch in ihre Ver- fügungsgewalt bekommen konnte, ab Herbst 1938 nicht mehr in Arbeits- häusern, sondern in eigenen Lagern unter. Das Justizlager Rodgau Am 4. und 11. April 1939 wurden insgesamt 67 männliche Breitenauer Kor- rigenden in zwei Bahntransporten in das Justizgefangenenlager Rodgau bei Die- burg abtransportiert. 101 Dieses Lager war im April 1938 eingerichtet worden. Die Gefangenen fiihrten dort Meliorations- und Flußregulierungsarbeiten aus. 102 Das Lager war im Juni 1938 mit 500 Gefangenen belegt und sollte laut einem Brief des Staatssekretärs im Reichsjustizministerium Roland Freisler an die Generalstaatsanwälte zu einer Größenordnung von 3 500 Gefangenen aus- gebaut werden. 103 Zum Ausbau des Lagers zog die Justizverwaltung auch die ihr seit Erlaß der "Maßregeln der Sicherung und Besserung" unterstehenden Arbeitshaushäftlinge heran, die einen eigenen Lagerblock mit fünfhundert Ge- 99 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 8671; Nr. 9024. 100 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1940, I94lf42. 101 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9773, 9.5.1939; Namensliste in Nr. 133, S. 136; Nr. 9773, S. 107-109; 13 der Abtransportierten kamen später mit ihren Akten wieder nach Breitenau zurück; Bestand I [Bezirksverband], Nr. 141, Bd. I, S. 156. 102 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 118, S. 177. 103 Vgl. Lothar Bembeneck, Das Strafgefangenenlager Rollwald Nieder-Roden, in: Die Griinen im Landtag (Hessen), 1984, S. 145-152. 294 fangenen stellen mußten. 104 Da die Justiz seit 1934 die Verfügungsgewalt über die Korrigenden hatte und seitdem ohnehin für die Unterbringungskosten auf- kommen mußte, konnte sie diese ohne weiteres auch in justizeigenen Lagern oder Anstalten unterbringen. Der Bezirkskommunalverband Kassel und mit ihm die Breitenauer Anstaltsleitung waren deshalb machtlos, als der Kasseler Generalstaatsanwalt Ende März 1939 die Herausgabe von Korrigenden for- derte: "Ich bitte, von den zur Verfügung gehaltenen arbeitsfähigen, zum Ein- satz für Meliorations-, Flußregulierungs- und Entwässerungsarbeiten geeigne- ten Arbeitshausgefangenen der dortigen Anstalt 67 Arbeitshausgefangene als- bald in das Gefangenenlager Rodgau Lager II (Rollwald) bei Dieburg zu über- führen."105 In Breitenau war man von der Aufforderung zur Abgabe von Arbeitskräften nicht begeistert, weil aufgrund des allgemeinen Arbeitskräftemangels die Nach- frage von Bauern nach Arbeitskolonnen schon so groß geworden war, daß man den für die Anstalt lukrativen Arbeitskräfteanforderungen bei weitem nicht nachkommen konnte. Die Anstaltsleitung bat, von der Verlegung Abstand zu nehmen, denn "die hier untergebrachten Arbeitshausgefangenen werden aus- schließlich mit landwirtschaftlichen Arbeiten beschäftigt, was einmal für die Sicherstellung der Ernährung im Rahmen des Vierjahresplans dient und zum anderen Leute für die landwirtschaftlichen Arbeiten heranbildet, was wiederum der Landwirtschaft zu gute kommt" .106 Die Hinweise auf die "Sicherstellung der Ernährung im Rahmen des Vierjahresplanes" durch die Arbeitsanstalt Breitenaunutzten diesmal nichts. Die Anstalt mußte etwa ein Viertel ihrer Kor- rigenden (67 von 251) abgeben. Die Personen, die nach Rodgau abtransportiert wurden, konzentrierten sich deutlich bei den jüngeren Altersklassen. Das Durchschnittsalter der Abtransportierten lag bei 38 Jahren, während das Durch- schnittsalter sämtlicher männlicher Korrigenden der Anstalt zu diesem Zeit- punkt bei über 51 Jahren lag. Die Anstalt mußte ihre besten Arbeitskräfte an dasJustizlager Rodgau abgeben. 107 104 Diese 500 Korrigenden sollen laut einer Angabe des Reichsjustizministeriums ein Siebtel aller Arbeitshausgefangenen im Reich gewesen sein, vgl. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. ]]8, S. 179. 105 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 9773, 29.3.1939; ursprünglich waren bereits im November 1938 vom Generalstaatsanwalt Kassel 80 Gefangene angefordert worden, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 141, Bd. I, S. 149. 106 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 9773, 8.11.1938. 107 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [BreitenauJ, Nr. 9794, Jahresbericht 1939. 295 f, t - • Im Lager Rodgau aufgenommene Haftungsf otos Breitenauer Korrigeoden 296 Dieser Abtransport war Teil einer monatelang vorbereiteten Verlegungs- aktion aus Arbeitshäusern des gesamten Reichs. Im August 1938 hatte das Reichsjustizministerium die Generalstaatsanwälte in Breslau, Celle, Dresden, Düsseldorf, Kassel, Köln und Stuttgart aufgefordert zu überprüfen, wieviele Arbeitshausgefangene aus den Arbeitshäusern abgezogen werden könnten. "Im Hinblick auf die steigende Anforderung von Gefangenen zur Durchführung von volkswirtschaftlichen Arbeiten wird erwogen, im Gefangenenlager Rodgau neben Gefängnisgefangenen auch einen Teil der Arbeitshausgefangenen einzu- setzen, die in Anstalten anderer Verwaltungen auf Kosten der Justizverwaltung untergebracht sind. "108 Ebenfalls ab August 1938 wies die Justiz neuverurteilte männlicheKorrigenden in der Regel direkt nach Rodgau ein. 109 Nur die zu den dort durchgeführten mörderischen Arbeiten ungeeigneten bzw. völlig ausge- powerten Korrigenden schob die Justizverwaltung nach Breitenau ab. Das Ab- schieben von in Rodgau als "lagerunfähig neingeschätzten Korrigenden in die ursprünglich zuständigen Arbeitshäuser läßt sich auch für das württembergische Arbeitshaus Vaihingen nachweisen. 110 Erst 1942 gelang es der Breitenauer Di- rektion durch einen Vorstoß beim Generalstaatsanwalt in Frankfurt, die Kon- kurrenz des Lagers Rodgau zu beenden. Man erreichte, daß künftig wieder die wenigen neuverurteilten Korrigenden der zuständigen Oberlandesge- richtsbezirke direkt nach Breitenau eingeliefert wurden. 111 In den Jahren 1939 bis 1944 erklärte die Rodgauer Lagerleitung vierzig Kor- rigenden für "lagerunfähig" und schob sie nach Breitenau ab. Dreizehn von ihnenwaren ursprünglich von Breitenau aus nach Rodgau transportiert worden, die anderen hatten die Arbeitshaushaft direkt im Lager Rodgau begonnen. Währendaus Breitenau nur gesunde und arbeitsfähige Männer nach Rodgau ge- schickt werden durften, kamen von dort nur Kranke und Arbeitsunfähige zurück. 108 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9773, 23.8.1938; ebenfalls Bundes- archiv Koblenz, R 36/1857, 23.8.38. 109 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9749; Erlaß des Reichsministers der Justiz vom 23.8.38, m s 43196, Bestand 1 [Bezirksverband), Nr. 141, Bd. 1, S. 146; vgl. Friedrich K. Griebl Ernst A. Schmidt, 1985, S. 102. 110 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1939; HStA Stutt- gart, E 151 c 11,Bü 46, 16.12.41. 111 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9773, 8.5.1942. 297 Georg H. Unter den dreizehn aus dem Rodgauer Lager nach Breitenau zurückge- brachten Korrigenden befand sich auch der 50jährige Georg H.112 Er war Metzger, hatte sich aber seit zwei Jahrzehnten hauptsächlich als landwirt- schaftlicher Wanderarbei ter durchgeschlagen und ging, wenn es sein mußte, auch betteln. 1935 saß Georg H. schon einmal im Arbeitshaus Breitenau. Da- mals hatte ihn ein Dorfpfarrer bei der Polizei denunziert, als er in betrunkenem Zustand im Pfarrhaus um Brot bettelte. Als der Polizeidiener ihn festnehmen wollte , kam es zu einer heftigen Rauferei. Georg H. wurde wegen Widerstand und Landstreicherei mit sechs Wochen Haft und anschließender Arbeits- hausunterbringung bestraft. Obwohl Georg H. seit 1913 insgesamt neunzehn- mal wegen Bettelei und Landstreicherei vor Gericht gestanden hatte, war dies seine erste Arbeitshaushaft . Im Laufe der Jahre halle er noch einige Strafen wegen anderer Delikte erhalten, die durchweg mit seiner Obdachlosigkeit zu- sammenhingen, wie Zureisen ohne Erlaubnis, Verstoß gegen Paßvorschriften und , weil er ein Messer mit sich fiihrte , 'verbotenem Waffentragen" . Aus dem Rahmen fiel lediglich eine Bestrafung wegen Urkundenfälschung, die ihm sechs Monate Gefängnis einbrachte. Für die siebzehn Strafen wegen Betteleidelikten. die er von 1913 bis zum Beginn der verstärkten Bettlerverfolgung im September 19B erhalten haue, wurden zusammen einhundert Tage Haft ausgesprochen. Die Zeit, die er 1935 bei seiner ersten Verurteilung zu Arbeitshaushaft hinter Schloß und Riegel ver- bringen mußte, war mit vierzehn Monaten insgesamt langer als die gesamte Haftzeit seiner 28 Vorstrafen. Trotzdem halle Georg H. Glück. Weil er sich in Breitenau "hausordnungsgemäß" führte, kam er schon nach etwas mehr als einem Jahr wieder frei. Als er im Sommer 1936 mit 14,10 RM Entlassungsgeld wieder arbeits- und wohnungslos auf der Straße stand, merkte er bald, daß es in Deutschland nun kaum noch möglich war, sich als Wanderarbeiter ungehindert zu bewegen. Bewegungsfreiheit für • Wanderer ' gab es allenfalls noch in der Form des reglementierten ' geordneten Wandems' . Als ' geordneter Wanderer' galt, wer sich ein Wanderbuch besorgte und sich dort Übernachtungen und empfangene Fürsorgeleistungen eintragen ließ. Wanderbücher waren auf freiwilliger Basis schon seit Jahrzehnten in Gebrauch und ursprünglich aus den Wanderbüchern der wandernden Handwerksgesellen hervorgegangen. Die Wanderbücher wurden während des Nationalsozialismus 112 Archiv des LWV· Heucn, Bestand 2 [Breilenau). Nr. 8359. 298 Aus'dem Watu1erbuch von Georg H. 299 Schritt für Schritt zu einem Pflichtausweis für Obdachlose.U'' Sie wurden in einigen Reichsgebieten von den Polizeibehörden, in anderen von der kirch- lichen oder behördlichen Wandererfürsorge ausgegeben. Im November 1937 ließ sich Georg H. in der Wanderarbeitsstätte 'Roter Hamm' in Frankfurt, einer Fürsorgeeinrichtung für Obdachlose, ein solches Wanderbuch ausstellen. Ein Obdachloser, der sich seine Übernachtungen in Herbergen, Asylen und Obdachloseneinrichtungen regelmäßig abstempeln ließ, war als "geordneter Wanderer" zumindest bis zur Aktion" Arbeitsscheu Reich" im Sommer 1938 vor Bestrafung wegen Landstreicherei einigermaßen geschützt. Mit seinem Wanderbuch reiste Georg H. im südhessischen Raum herum. In Friedberg und Butzbach übernachtete er häufig, mußte aber diese Städte immer wieder ver- lassen, weil der Aufenthalt in den Obdachlosenasylen und Wandererfür- sorgeeinrichtungen in der Regel nur für ein bis drei Nächte gestattet war. Im Februar 1939 verhaftete ihn ein Polizist in Vilbel auf frischer Tat beim Betteln. Aus dem Urteil des Amtsgerichts Vilbel: "Der Angeklagte hat zwar bestritten, gebettelt zu haben, indem er angibt, er habe bei Metzgermeistern nach Arbeit gefragt und von ihnen immer eine verneinende Antwort, aber ein Stück Wurst erhalten. Der Zeuge (der Polizist, W.A.) hat ihn jedoch in ein Haus hinein- gehen sehen, wo er nach den Feststellungen des Zeugen nicht um Arbeit, sondern um eine Tasse Kaffee bat. Auch hat der Zeuge bei ihm Kupfermünzen im Betrag von etwa 0,50 RM gefunden, die in ein Tuch eingewickelt waren ... Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Angeklagte das Geld zu- sammengebettelt hat. " Das Urteil lautete auf sechs Wochen Haft und Arbeitshausunterbringung. Georg H. blieb nur wenige Wochen in Breitenau, bis er ins Gefangenenlager Rodgau überführt wurde. In einem Beurteilungsbogen des Lagers Rodgau wird seine Arbeitsleistung als "oberflächlich", sein Charakter als "hilflos, be- schränkt und haltlos" geschildert. Seine letzte Straftat zeige "seine grenzenlose Unverschämtheit und Gerissenheit". Zur Abschreckung sei eine längere Haft- zeit notwendig. Im Februar 1940, nach etwa einem halben Jahr in Rodgau, transportierte man ihn wieder nach Breitenau zurück, weil er die harten Erdarbeiten in Rod- gau nicht mehr leisten konnte. Georg H. war inzwischen ein todkranker Mann. Der Rodgauer Lagerarzt hatte hohen Blutdruck und Arteriosklerose festgestellt; bei seiner Rückkehr aus Rodgau wog er fast zehn Kilogramm weniger als bei seiner ersten Aufnahme in Breitenau. Auch in Breitenau erklärte ihn der Arzt 113 VgI. Wetz, Die polizeiliche Bedeutung des Wanderbuches, in: Kriminalistische Monalshefte 9 (1935), S. 49-52. 300 zunächst für arbeitsunfähig, später mußte er "leichte Hofarbeiten" verrichten. Noch 1940 erlitt Georg H. einen Schlaganfall. Trotzdem dachte man in Brei- tenau nicht daran, ihn in ein Krankenhaus zu bringen. Direktor Sauerbier schrieb 1941 in einem Aktenvermerk, Georg H. dürfe während der Kriegsdauer nicht aus der Anstalt entlassen werden. Zu diesem Zeitpunkt hätte ihm eine Entlassung auch nichts genutzt, denn die KriminalpolizeisteIle Dannstadt hatte im Rahmen der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durch die Polizei" an- geordnet, daß sie vor einer Entlassung benachrichtigt werden müsse. Bei Ent- lassung aus Breitenau wäre er in kriminalpolizeiliehe Vorbeugunghaft ge- nommen und in ein Konzentrationslager überführt worden. Bei einem Haftpriifungstermin im Januar 1942 schrieb die Direktion: "Georg H. ist ein Mensch mit zahlreichen Vorstrafen. In der hiesigen Anstalt ist sein Betragen schlecht. Seine Arbeitsleistungen lassen viel zu wünschen übrig. Der Zweck der Unterbringung kann längst noch nicht als erreicht angesehen werden. Eine Entlassung während der Kriegsdauer ist nicht möglich. " Unterdessen verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Georg H. immer mehr. Er schrieb verzweifelte, von der Anstaltsleitung zuriickgehaltene, Briefe an Verwandte, mit der Bitte um Zusendung von Lebensmitteln. Ab März 1942 lag Georg H. in der Breitenauer Krankenstation, wo er im Mai 1942 starb. Nutzung der Anstalt als Arbeitserziehungslager, Konzentrationssammet- lager, Frauengefängnis und Fürsorgeerziehungsheim Durch die Auswirkung der in den beiden vorhergehenden Kapiteln be- schriebenen Vorbeugungshaft gegen "Asoziale" und Unterbringung von Kor- rigenden in Justizhaftlagern ging die durchschnittliche Korrigendenzahl von 285 im Rechnungsjahr 1938/39 auf 150 im Rechnungsjahr 1940/41 zuriick. Zwar war die Anstalt immer noch überfüllt, im Vergleich zu den Vorjahren war die Belegung der Gesamtanstalt jedoch stark zuriickgegangen. Über die weitere Nutzung der Anstalt fanden bereits im Dezember 1939 Verhandlungen zwischen der Kasseler Bezirkskommunalverwaltung und der Staatspolizeistelle Kassel statt. Nach Rücksprache mit der SS-Reichsführung sollten in Breitenau Schutzhäftlinge untergebracht werden. In einem internen Vermerk hielt die Bezirkskommunalverwaltung fest, daß durch den Abtransport von Korrigenden 301 nach Rodgau Plätze zur Verfügung stünden, deren Belegung "im Interesse der Wirtschaftlichkeit" erwünscht sei. Ende April 1940 trafen in Breitenau die ersten Schutzhäftlinge ein. 114 "Im Sommer 1940 wurde auf Antrag der Geheimen Staatspolizei ein Ar- beitserziehungslager für Schutzhäftlinge hier eingerichtet", meldete der Jahres- bericht 1940. "Dieses Lager ist als Vorstufe eines Konzentrationslagers anzu- sehen. Untergebracht werden größtenteils Polen und Juden, außerdem befinden sich Deutsche und sonstige Ausländer dazwischen. Der Grund der Unter- bringung ist größtenteils Arbeitsverweigerung, Verlassen der Arbeitsstelle und Verstöße gegen die Volksgemeinschaft. "115 Die Anstalt Breitenau fungierte jetzt zusätzlich als Arbeitserziehungslager, in das vor allem ausländische Zwangsarbeiter aus Kriegsindustrie und Landwirtschaft, aber auch deutsche "Arbeitsbummelanten" eingeliefert wurden. 116 Ebenfalls ab 1940 nutzte die Gestapo Breitenau als Konzentrations- sammellager für Schutzhaftgefangene aus den GestaposteIlen Kassel (Männer und Frauen) und Weimar (nur Frauen), die für die Deportation in ein Kon- zentrationslager vorgesehen waren. Am 1. Oktober 1940 befanden sich bereits 84 männliche und 21 weibliche Schutzhäftlinge in Breitenau. An diesem Tag lebten außerdem 144 Korrigenden, 27 Fürsorgezöglinge, 65 formal freiwillige und 10 zwangs- weise untergebrachte Fürsorgeempfänger in der Anstalt.U? In den Jahren 1940 und 1941 stellten neben deutschen Gefangenen polnische Zwangsarbeiter den größten Teil der Breitenauer Schutzhäftlinge. Im Verlauf des Kriegs stieg dann der Anteil der sowjetischen Häftlinge ständig. In den beiden letzten Kriegs- jahren kam der überwiegende Teil der Gefangenen aus Polen und der Sowjet- union. Insgesamt wurden Schutzhaftgefangene fast aller europäischen Staaten in Breitenau für kurze oder längere Zeit gefangengehalten.Uf Von den insgesamt weit über achttausend Schutzhäftlingen. die vom Sommer 1940 bis Ende März 1945 nach Breitenau eingewiesen wurden, überstellte die 114 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 142, S. 103; Nr. 132, Bd. I, S.16. 115 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1940. 116 Vgl. Auerbach, Arbeitserziehungslager 1940-1944, in: Gutachten des Instituts für Zeitge- schichte, Bd.2, Stuttgart 1966, S. 196201; vgl. Wolfgang Franz Wemer, Die Arbeitser- ziehungslager als Mittel nationalsozialistischer "Sozialpolitik" gegen deutsche Arbeiter, in: Waclaw Dlugoborski (Hrsg.), Zweiter Weltkrieg und sozialer Wandel. Achsenmächte und besetzte Länder, Göttingen 1981, S. 138-147. 117 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9846, S. 8. 118 Vgl. Hanne Wiltschl Dietfrid Krause-Vilmar, 1984, S. 97. 302 Gestapo einen großen Teil nach mehrwöchiger •Arbeitserziehung" wieder an die Arbeitgeber, während etwa jeder fünfte Gefangene aus Breitenau in eines der großen Konzentrationslager deportiert wurde.U? Die Akten nennen vor- wiegend die Konzentrationslager Buchenwald und Ravensbrück, aber auch Mauthausen, Dachau, Sachsenhausen und Auschwitz. Durch die Errichtung des Arbeitserziehungslagers und Konzentrations- sammellagers in der Breiternauer Anstalt wurden Korrigenden und unter- gebrachte Fürsorgeempfänger zu auf die Gesamtanstalt bezogen relativ unbedeutenden Gruppen. In einem Zeitraum, in dem die Gestapo über acht- tausend Schutzhäftlinge nach Breitenau einwies, lieferte die Justiz nur 140 Kor- rigenden und Korrigendinnen ein. Da aber die Fürsorgeempfänger im National- sozialismus in der Regel ein Jahr, die Korrigenden gewöhnlich mehrere Jahre in Breitenau interniert blieben, während die Schutzhäftlinge nach wenigen Wochen entweder entlassen oder deportiert wurden, bildeten Korrigenden und zwangsuntergebrachten Fürsorgeempfänger jedoch eine starke Stammbeleg- schaftder Anstalt. Insbesondere in den beiden letzten Kriegsjahren war die Anstalt völlig über- belegt. Zeitweilig befanden sich über tausend Gefangene in Breitenau. Auf dem Dachboden der Klosterbasilika, in den Scheunen und Ställen wurden notdürftig Massenschlafsäle eingerichtet. In die Einzelzellen des Zellenbaus sperrte man bis zu sechs Personen. Krankheiten und Epidemien grassierten. Nachdem eine Paratyphusepidemie im Herbst 1936 noch glimpflich endete, forderte im Sommer 1944 eine Fleckfieberepidemie drei Tote unter den Insassen und einen Toten beim Personal.P? Von 1939 bis Kriegsende beerdigte man auf dem Anstaltsfriedhof insgesamt 174 Insassen, davon 83 Korrigenden, 48 Fürsorgepfleglinge und 43 Schutzhäftlinge.R! Außerdem wurden in diesem 119 Vgl. Gesamthochschule Kassel (Hrsg.), Erinnern an Breitenau 1933-1945. Katalog zur Aus- stellung, Kassel 41984; Hanne Wiltschl Dietfrid Krause- Vilmar, Das Arbeitserziehungs- und Konzentrationssarnmellager Breitenau 1940-1945, in: Die Grünen im Landtag (Hrsg.), 1984, S. 96-106; Jutta Dillmann/ Dietfrid Krause-Vilmarl Gunnar Richter (Hrsg.), 1986; vgl. Ulrike Puvogel (Hrsg.), Gedenkstätten fiir die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bonn 1987, S. 312-315. 120 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.9794; Nr. 9814, 9.10.1936; Nr. 8103; NT. 9178; Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 144, S. 8; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9825, S. 123. 121 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9831, S. 43-49. 303 Zeitraum die Leichen von mindestens 53 Breitenauer Insassen an die Anatomie der Marburger Universitätskliniken abgeliefert. 122 Während die politischen Schutzhaftgefangenen der Jahre 1933/34 in Brei- tenau von den übrigen Insassen getrennt untergebracht wurden, waren die Schutzhäftlinge der Kriegszeit vollständig in den normalen Anstaltsbetrieb integriert. Insbesondere im Arbeitsbetrieb vermischten sich die verschiedenen Insassengruppen. Eine Untersuchung anläßlich eines tödlichen Arbeitsunfalls eines Fürsorgezöglings ergab im Jahre 1941, daß an der betreffenden Arbeits- stelle Fürsorgezöglinge. zwangsuntergebrachte Fürsorgeempfänger und Schutz- häftlinge zusammengearbeitet hatten. 123 Die Behandlung der Schutzhäftlinge war allerdings noch schlechter als die anderer Insassen. Beispielsweise erhielten die Schutzhäftlinge keine Arbeitsprämie und durften auch in den Außen- kolonnen nur beschränkt eingesetzt werden. 124 Auf der Ebene der bürokratischen Verwaltung war die Integration der Schutzhäftlinge in den allgemeinen Anstaltsbetrieb vollkommen. Die Schutzhäftlinge wurden wie alle anderen Insassen in ein seit 1895 geführtes Aufnahmebuch eingetragen. Selbst bei der Aktenführung benutzte das An- staltsbüro weitgehend schon jahrzehntelang genutzte Formulare. Auch beim Anlegen der personenbezogenen Fallakte der Schutzhäftlinge verwendete das Anstaltsbüro die seit vielen Jahren für die "Arbeitsscheuen und säumigen Nährpflichtigen" vorgesehenen lilafarbenen Aktendeckel. Lediglich ein Stem- pelaufdruck "Schutzhäftling" zeigte den Unterschied an. Im Jahresbericht 1940 subsumierte man die von der Gestapo eingewiesenen Arbeitserziehungshäft- linge in den Statistiken unter die seit 1912 bestehende Kategorie Häuslinge, d.h. den"Arbeitsscheuen und säumigen Nährpflichtigen". Das Breitenauer Per- sonal sah in den eingewiesenen Schutzhäftlingen des Arbeitserziehungslagers zunächst lediglich eine Sonderform einer schon seit dem Kaiserreich bestehen- den Insassengruppe. Ab Sommer 1943 wurden in Breitenau auch weibliche Straf- und Unter- suchungsgefangene untergebracht. Anfang Juni 1943 wurden aus dem Berliner Frauengefängnis in der Bamimstraße fünfzig Frauen und aus dem Gerichtsge- 122 Nach Leicheneingangsbuch des Anatomischen Instituts der Philipps-Universitär Mar- burg/Lahn, Jahre 1939-1945. 123 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 135, Bd. I, S. 69; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8333, S. 51. 124 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 150, S. 182; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9816, S. 321 RS. 304 fängnis Frankfurt-Höchst einundfünfzig Frauen überwiesen.l-> Im September 1943 kam ein weiterer Transport mit 104 zuvor in Berlin inhaftierten Frauen an. 126 Im Oktober 1943 waren im Breitenauer Hilfsgefängnis bereits 157 Frauen untergebracht. Die Gefängnisabteilung wurde am 25. August 1944 wieder aufgelöst. Die zu diesem Zeitpunkt inhaftierten 107 Frauen wurden in das Justizgefangenenlager Föhren bei Fürstenhagen, Hessisch-Lichtenau, ver- legt. 127 Schon seit 1903 waren im Breitenauer Frauenhaus immer wieder männliche und weibliche Fürsorgezöglinge untergebracht worden. Es handelte sich um Zöglinge, die für gewöhnliche Erziehungsheime zu renitent erschienen oder als unerziehbar eingeschätzt wurden. 128 Diese zuvor nur vereinzelt genutzte Fürsorgeerziehung unter Gefängnisbedingungen erlebte ab 1938 in Breitenau einen großen Aufschwung. Allein im Rechnungsjahr 1939/40 lieferten die zu- ständigen Behörden 101 Mädchen und 23 Jungen in die Breitenauer Fürsorgeerziehungsabteilung ein, die eine Vorform der 1940 und 1942 von der SS errichteten "Jugendschutzlager" Moringen und Uckermark darstellte. 129 Nach Einrichtung der "Jugendschutzlager" wurde ein Teil der in Breitenau un- tergebrachten Jugendlichen in diese überführt. 130 Ende Juli 1942 lebten noch 35 weibliche und 17 männliche Fürsorgezöglinge in der gleichzeitig als Ar- beitserziehungslager und Konzentrationssammellager genutzten Breitenauer An- stalt. 13 1 125 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9835, S. 232 f. 126 Namensliste in: Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9835, S. 193; Bestand I [Bezirksverband], Nr. 172, S. 21-61; Nr. 132, Bd. 2, S. 285. 127 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9835, S. 20 RS; Namensliste S. 52; ebenfalls Nr. 9824, S. 40 ff; zum Lager Föhren vgl. Wolfram König/ Ulrich Schneider, Sprengstoff aus Hirschhagen. Vergangenheit und Gegenwart einer Munitionsfabrik. Kassel 1985, S. 49. 128 Verhandlungen des Kommunal-Landtags für den Regierungsbezirk Cassel, 1904, An- lage 14, Sp. 2-4; Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9783. 129 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresberichte; vgl. Michael Hepp, Vorhof zur Hölle, Mädchen im "Jugendschutzlager" Uckermark, in: Angelika Ebbinghaus (Hrsg.): Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus, Nördlingen 1987, S. 193 f. 130 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9732; Nr. 8322. 131 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9783, 26.9.31. 305 Haftbedingungen und Aufenthaltsdauer der Korrigenden Die Tendenz des Breitenauer Anstaltspersonals, das Schicksal der Insassen nur zynisch und menschenverachtend zu sehen, trat im Nationalsozialismus offen zu Tage. Im Jahresbericht 1934 führte die Direktion die Namen der ein- gegangenen Kühe des Gutsbetriebs einzeln auf, während die im Berichts- zeitraum gestorbenen acht Insassen anonym blieben. 132 Die vorgesetzte Be- hörde, der Kasseler Bezirksverband, bezeichnete 1937 die Insassen der Brei- tenauer Anstalt als "für das Deutsche Volk wertlos" .133 Im November 1937 trafen sich die Wirtschaftsbediensteten und Leiter der An- staltsgüter des Bezirksverbands. Ein Verbandsbediensteter hielt einen langen Vortrag über ein Kostendämpfungsprogramm bezüglich der von der Bezirks- kommunalverwaltung versorgten "Asozialen und Erbuntüchtigen". Die An- staltskosten sollten rigoros gesenkt werden. In erster Linie wollte man dies durch Senkung der Verpflegungskosten erreichen. Der Vierjahresplan er- fordere, daß die Anstalten zu Selbstversorgern würden. Hochwertige Lebens- mittel der Gutsbetriebe sollten verkauft, den Insassen dagegen billige und min- derwertige Lebensmittel verabreicht werden. "Leckerbissen" wie Butter, Schinken und Brötchen kämen für Anstaltsinsassen auf keinen Fall mehr in Frage. Außerdem sollte an der Wäsche bzw. der Heizung gespart und die Ver- waltung gestrafft werden. Dieses Sparprogramm wurde von der Bezirks- kommunalverwaltung selbst als "drastisch" eingeschätzt. Man habe sich das Ziel gesetzt, den Zweck der Anstalten mit Mitteln zu erreichen, "die dem erb- gesunden Teil unseres Volkes gegenüber verantwortet werden können" .134 In Breitenau wurden in diesem Zusammenhang die pro Insassen und Unter- bringungstag angesetzten Verpflegungskosten schrittweise von 48 Pfennig im Jahre 1934 auf 35 Pfennig im Jahre 1939 gesenkt. 135 Auf der anderen Seite unterwarf der Bezirkskommunalverband die Breiten- auer Insassen einem verschärften Arbeitszwang. Bereits 1938 dauerte die täg- liche Arbeitszeit im Sommer von 630 Uhr bis abends 19 Uhr oder sogar 20 Uhr. 136 Roland Freisler erhöhte im Oktober 1939 "auf die Dauer des 132 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresbericht 1934. 133 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9755, S. 168 RS. 134 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 25, S. 130-147. 135 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 128, S. 46, S. 70, S. 141. 136 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10412, S. 245 RS. 306 Kriegszustandes" die offizielle Routinearbeitszeit in den Gefängnissen und Arbeitshäusern auf täglich elf Stunden. 137 1942 arbeitete man in Breitenau so- gar wieder zwölf Stunden an sechs Tagen der Woche. 138 Während der Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise hatte die Brei- tenauer Anstalt die Vermietung von Arbeitskolonnen an fremde Arbeitgeber ganz eingestellt.P? Zur Emteperiode 1935 stellte Breitenau erstmals wieder landwirtschaftliche Arbeitskolonnen zur Verfügung. 140 In den folgenden Jahren stieg die Zahl der für fremde Arbeitgeber geleisteten Arbeitstage steil an. 141 Mit dem Einsetzen des rüstungsbedingten allgemeinen Arbeitskräftemangels konnte die Anstalt die von ihr geforderten Lohnsätze von einer Mark pro Ar- beitstag im Jahre 1936 auf vier Mark im Jahre 1940 erhöhen. 142 1941 leisteten die Gefangenen der verschiedenen Insassengruppen zusammen 35 280 Arbeits- tage bei fremden Arbeitgebern. Die Anstalt nahm dafür 138707 RM ein. Nur 6645 RM davon wurde den Häftlingen als Arbeitsprämie gutgeschrieben. 143 Die "Maßregeln der Sicherung und Besserung" von 1934 hatten das alte Prinzip zeitlich begrenzter Arbeitshaushaft abgeschafft. 144 Arbeitshausunter- bringung im Sinn der "Maßregeln" war unbestimmte Dauerverwahrung. Nur bei erstmaliger Unterbringung galt die zuvor gültige zweijährige Höchstfrist. Die Nationalsozialisten hatten sich so eine gesetzliche Möglichkeit geschaffen, die "schlimmsten Elemente für immer von der Gesellschaft fernzuhalten ", wie Robert Meixner 1935 in einer Dissertation über die deutschen Arbeitshäuser schrieb. 145 In der Praxis führte die unbestimmte Unterbringung dazu, daß selbst die erstmals Eingewiesenen häufig erst nach zwei Jahren Haft entlassen wurden. 137 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9773, 28.10.1939. 138 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9761, S. 241. 139 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 59, S. 192, S. 195, S. 235. 140 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 59, S. 195; Nr. 9794, Jahresbericht 1935; Bestand I [Bezirksverband], Nr. 150, S. 159. 141 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9794, Jahresberichte. 142 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9785, 25.3.37, 31.7.40. 143 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 128, S. 169. 144 Vgl. Zetzsche, Abkürzungs- und Verlängerungsmöglichkeit der Unterbringung im Ar- beitshause StGB § 42 f, in: Deutsche Rechtspflege, 1936, S. 290. 145 Robert Meixner, 1935, S. 77. 307 . . • . -, •> • ,., , I, t ~ Aus den Ausweispapieren eines 1938 in Breiteneu gestorbenen, wegen Bettelei inhaftierten Korrigenden 308 Dauer der Arbeitshaushaft in Breitenau bei erstmals in ein Arbeitshaus Einge- wiesenen146: Haftdauer 1920-1932 1934-1942 bis 0,5 Jahre 43 43,8 % 31 12,3 % 0,5 bis 1,0 Jahre 36 36,8 % 65 25,8 % 1,0 bis 1,5 Jahre 11 11,2 % 41 16,3 % 1,5 bis 2,0 Jahre 8 8,1 % 107 42,4 % über 2,0 Jahre 0 0,0 % 9 3,6 % Die selten verhängte Höchststrafe des Kaiserreichs und der Weimarer Re- publik war innerhalb weniger Jahre im Nationalsozialismus zur Regelstrafe ge- worden, die sogar gesetzwidrig in einer Reihe von Fällen noch überschritten wurde. Von den bei Kriegsbeginn in Breitenau gefangengehaltenen 189 Korrigendinnen und Korrigenden wurden 64 später ohne Auflagen, dagegen 42 nur "bedingt" entlassen. 42 Korrigenden starben in der Anstalt, weitere 11 zog man zur Wehrmacht ein. Immerhin 19 Korrigenden blieben die gesamte Kriegszeit bis zur Befreiung durch U'S-Truppen in Breitenau gefangen. Für alle wiederholt Eingewiesenen gab es ab 1934 keine routinemäßige Entlassung mehr, ihre Unterbringung war tendenziell lebenslänglich.Jf? Von den 132 bei Kriegsbeginn in Breitenau gefangenen, wiederholt Eingewiesenen sind nur 26 ohne Auflagen freigekommen, dagegen wurden 39 nur "bedingt" entlassen. Weitere 38 Korrigenden starben in der Anstalt. Die Auflagen bei bedingter Entlassung lagen im freien Ermessen des ein- weisenden Gerichts, das auch die Einhaltung der Auflagen kontrollierte. Für die Breitenauer Anstalt endete auch bei einer bedingten Entlassung am Ent- lassungstagjede Verantwortung. Die von den Gerichten ausgesprochenen Auf- lagenreichten von der Pflicht, eine beliebige Arbeitsstelle anzutreten und jeden Wohnungswechsel dem Gericht mitzuteilen, bis zum Zwang, jahrelang an einer bestimmten, zugewiesenen Arbeitsstelle zu bleiben, sich dort "einwandfrei" zu 146 Diese Daten wurden aus den vorhandenen personenbezogenen Fallakten gewonnen. Es wurden nur reguläre bzw. bedingte Entlassungen herangezogen. Das Jahr 1933 wurde nicht einbezogen, weil es zwar noch unter die alte gesetzliche Regelung, jedoch schon in die neuen politischen Verhältnisse fiel. 147 Zu denselben Ergebnissen für das Arbeitshaus Vaihingen vgl. Friedrich K. Grieb/ Ernst A. Schmidt, 1985, S. 98. 309 führen und sich monatlich persönlich bei der Polizei zu melden. 148 Das Gericht konnte eine bedingte Entlassung jederzeit widerrufen. Von 1934 bis 1945 war bei 26 Breitenauer Korrigenden die Rücknahme einer bedingten Entlassung Einlieferungsgrund. Prinzipiell wäre mit dem Instrument der bedingten Ent- lassung lebenslängliche Kontrolle der Entlassenen möglich gewesen. In der Praxis begrenzten die Gerichte jedoch die Dauer der Auflagen auf höchstens zwei Jahre. Bei den auf unbestimmte Zeit internierten Korrigenden forderten die Gerichte in größeren Abständen, meist ein oder zwei Jahre, von der Anstaltsleitung Füh- rungsberichte an, auf deren Grundlage über die weitere Unterbringung ent- schieden wurde. Da die Gerichte zumeist den Empfehlungen der Direktion folgten, erhielt diese eine zuvor nicht gekannte Machtbefugnis, denn faktisch entschied so die Breitenauer Direktion allein über eine eventuelle Entlassung. Mit ein oder zwei Sätzen "Bericht" hatte es die Direktion in ihrer Macht, die Arbeitshausunterbringung eines Korrigenden um Jahre zu verlängern. Das Leben der Korrigendinnen und Korrigenden lag in der Hand des Breitenauer Direktors. Die Berichte der Direktion bestanden aus stereotypen Formulierun- gen wie "der Zweck der Unterbringung ist noch nicht erreicht" und bezogen sich nur selten auf das konkrete Verhalten des Korrigenden in der Anstalt. Was Direktor Sauerbier als Zweck der Unterbringung ansah, zeigt ein Schreiben an ein Amtsgericht aus dem Jahr 1940. Der Zweck der Unterbringung des be- treffenden Korrigenden könne nur erreicht werden, "wenn die hiesige Unter- bringungszeit derartig lange dauert, daß er sich künftig nicht mehr danach sehnt in ein Arbeitshaus zu kommen" .149 Die Ungewißheit über die Haftdauer quälte die Korrigenden. Selbstmorde und Fluchtversuche häuften sich. Schon 1935 beantragte die Direktion unter ausdrücklichem Hinweis auf häufigere Fluchtversuche die Bewaffnung sämt- licher Aufseher mit Schußwaffen. "Nach der neuen Gesetzgebung wird die Zeitdauer der Unterbringung nach einer bestimmten Frist bzw. nach dem Er- folg der Unterbringung festgesetzt. Durch das neue Gesetz werden jetzt auch öfter Leute im besten Mannesalter überwiesen. Dies hat zur Folge, daß sich die zu Arbeitshaus verurteilten der Ungewissheit über die Dauer ihrer Unterbrin- gung durch Flucht entziehen wollen, wie dies in letzter Zeit wiederholt vorge- 148 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7922, Nr. 8087; zu den Auflagen bei bedingter Entlassung vg1. Otto Rudolf, Feststellungen zur Rückfälligkeit und Entlassungs- praxis, dargestellt an den nach § 42 d 5tGB ins Arbeitshaus Kislau eingewiesenen, in: Blätter für Gefängniskunde 71 (1940),5.64 f. 149 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8414. 310 Wegen Landsrreicherei von 1940 bis 1943 in Breuenau inhaftierter Korrigend 311 kommen ist. "150 Eine in diesem Zusammenhang erlassene und den Insassen be- kanntgemachte Dienstanweisung gestattete den Aufsehern erstmals in der Ge- schichte der Anstalt, auf flüchtende Korrigenden zu schießen. Das Personal veranstaltete hierfür wiederholt Schießübungen.J 51 Durch die unbestimmte Haftdauer blieben Gnadengesuche die einzige Hoff- nung der Arbeitshausgefangenen. Aus dem abgelehnten Gnadengesuch eines Korrigenden: "Es muß mir doch einmal mitgeteilt werden, wann ein Entlassungstag stattfindet, denn dieses Ungewisse mit der Entlassung, warten immer warten, oder es ist noch nicht erreicht, daß wir Sie entlassen können, wie das Amtsgericht mir immer mitteilt, da muß man ja Nerven haben, wie so ein Drahtseil. Ich ersuche doch nochmals das Amtsgericht, meine Entlassung aus Breitenau so bald wie möglich in Kraft treten zu lassen, denn für das Ver- gehen, das ich begangen habe, sperrt mich man doch nicht jahrelang in das Ar- beitshaus Breitenau ein ... "152 Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs stellte die Breitenauer Direktion in ihren Führungsberichten und Stellungnahmen zu Gnadengesuchen den Siche- rungszweck der Anstalt immer mehr in den Mittelpunkt ihrer Begründungen für eine Fortsetzung der Internierung von Korrigenden. 1942 lehnte die Di- rektion ein Gnadengesuch mit folgender Stellungnahme ab: "G. ist ein Mensch mit zahlreichen Vorstrafen, darunter ist die hiesige Unterbringung die 6. im Arbeitshaus. Er kann während der Kriegszeit nicht in die Freiheit entlassen werden. Derartig unsichere Kandidaten kann man jetzt nicht auf die Öffentlichkeit loslassen. "153 Im Herbst 1941 nahm eine Änderung des Strafgesetzbuchs den Amtsgerich- ten die Kompetenz über die Entlassungsentscheidung, die den General- staatsanwälten bei den Oberlandesgerichten übertragen wurde. 154 Ein Jahr später, im November 1942, ordnete Reichsjustizminister Thierack für die Kriegsdauer den Wegfall der regelmäßigen Haftprüfungstermine bei wieder- holter Unterbringung an. 155 150 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9815,10.5.1935. 151 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 127, S. 13 RS; Nr. 9794, Jahresbe- richt 1936; Nr. 9761,20.7.38; Nr. 9794, Jahresbericht 1938. 152 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8140. 153 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8207. 154 Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs. Vom 4. September 1941, § 8, in: RGBI., Teil 1,1941, S. 550. 155 Bundesarchiv Koblenz, R 22/949, S. 8. 312 Für die nicht erstmals in ein Arbeitshaus Eingelieferten bestand ab diesem Zeitpunkt kaum noch eine Chance, das Arbeitshaus zu verlassen. Das weitere Schicksal der am Jahresbeginn 1943 in Breitenau gefangenen 110 Korrigenden zeigt die Auswirkung dieser Anweisung des Reichsjustizministers. Entlassen nach Strafende In ein Konzentrationslager überführt Zur Wehrmacht eingezogen In die Landesheilanstalt Haina überführt In Breitenau gestorben 1945 durch Us-Truppen befreit Unbekannt 12 2 25 2 31 35 3 10,9 % 1,8 % 22,7 % 1,8 % 28,2 % 31,8 % 2,7 % Während des Zweiten Weltkriegs konnten allenfalls die erstmalig Unterge- brachten noch damit rechnen, in Freiheit entlassen zu werden. Lebenslängliche Internierung Das Arbeitshaus Breitenau hatte sich tiefgreifend gewandelt. Aus einer Anstalt, die - so zumindest die offizielle Intention - durch relativ kurzen, aber harten Arbeitszwang Bettler, Landstreicher, Prostituierte und Zuhälter bessern wollte, um sie nach vollzogener Korrektion wieder in die Freiheit zu entlassen, war eine Dauerbewahrungsanstalt für "asoziale Volksschädlinge" geworden, die nicht mehr gebessert, sondern lebenslänglich interniert werden sollten. 156 Die Arbeitshäuser waren während des Nationalsozialismus aus dem Mit- telpunkt des Unterdrückungsinstrumentariums gegen" Asoziale" nach und nach an dessen Rand gerückt. Konzentrationslagerhaft seit der Aktion "Arbeitsscheu Reich" 1938 und "Euthanasie"-Morde seit 1939 rückten stattdessen in das Zentrum des Vernichtungsfeldzugs gegen die "Ballastexistenzen ". Trotzdem blieb die Arbeitshaushaft bis zum Zusammenbruch des Nazire- gimes bestehen und diente zur Internierung von Korrigenden, die weder für die Wehrmacht bzw. deren Bewährungsbataillone noch für Lager wie Rodgau brauchbar erschienen. 1943 beklagte sich die Direktion bitter, daß die meisten 156 Vgl. Robert Meixner, 1935, S. 24. 313 Korrigenden, die überhaupt noch arbeitsfähig waren, zur Wehrmacht einge- zogen worden waren. 157 In Breitenau blieben nur alte und arbeitsbeschränkte Insassen zurück. Von 1933 bis 1942 stieg das Durchschnittsalter der Korrigenden Jahr für Jahr. 1933 hatte das Durchschnittsalter noch bei 37 Jahren gelegen, 1942 lag es bei 59 Jahren. Am 1. Januar 1942 war die Hälfte der Korrigenden über 61 Jahre alt. Altersverteilung der männlichen Korrigenden am 1. Januar 1942: 20 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 59 Jahre 60 bis 69 Jahre 70 bis 79 Jahre 1 6 15 22 41 21 0,9 % 5,7 % 14,2 % 20,8 % 38,7 % 19,8 % Von der Altersstruktur gesehen war das Breitenauer Arbeitshaus längst ein Altersheim geworden. Es war allerdings ein Altersheim mit hartem Arbeits- zwang. Die Sterblichkeit ging rapide in die Höhe. Von den am Jahresbeginn 1942 inhaftierten 106 Korrigenden starben 43 bis zur Ankunft der US-Truppen in der Anstalt. Insgesamt starben von 1933 bis 1945 98 Korrigenden in Brei- tenau. Ernst R. Im Juni 1940 standen in Hanau zwei Vagabunden vor Gericht. Das Urteil: "Die Angeklagten befinden sich seit Jahren auf Wanderschaft; sie arbeiten nur gelegentlich, im Übrigen ziehen sie von Ort zu Ort. Arbeitsbücher besitzen sie nicht: beide betteln. Der Angeklagte R. spielt Mundharmonika und andere In- strumente. Er spielt und singt gewerbsmäßig auf öffentlichen Straßen; von Kunst kann dabei keine Rede sein; die vorgängige Erlaubnis der Ortspolizeibe- hörde holt er nicht ein ... Es wird somit festgestellt, daß die Angeklagten fort- während handelnd als Landstreicher umhergezogen sind und daß R. außerdem gewerbsmäßig Musikaufführungen auf öffentlichen Straßen, ohne daß ein 157 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8087,21.9.43. 314 höheres Interesse der Kunst dabei obwaltete, ohne Erlaubnis der Orts- polizeibehörde dargeboten hat. "158 Das Urteil bedeutete für die beiden 59jährigen Vagabunden lebenslängliche Internierung. Ernst R., der Wandermusiker, starb 1943 in Breitenau, auch sein Gefährte wäre, hätten ihn nicht 1945 die Amerikaner befreit, vermutlich lebenslänglich in Breitenau geblieben. 159 Ernst R. hatte ursprünglich Bäcker gelernt, verdiente aber seinen Lebens- unterhalt schon seit vielen Jahren als Bettler und Wandermusiker. Wegen Bettelei, Landstreicherei und "grobem Unfug" war er insgesamt dreiund- zwanzigmal bestraft worden. Auch im Arbeitshaus Breitenau war er bereits einmal für zwölf Monate gewesen. Im Herbst 1934 hatte ihn das Amtsgericht Kassel eingewiesen. Damals verwendete er, wie das empörte Gericht festgestellt hatte, noch eine andere Bettelmethode: "In ungehöriger Weise gibt er seinem Bettel auf der Straße einen fröm- melnden Rahmen. Er bringt Worte aus der Predigt aus Anlaß der Beisetzung des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten von Hindenburg, bringt dann ein sogenanntes Gebet und schließt mit 'Amen I. Anschließend daran sagt er dann: 'Ich habe Euch aus der Hindenburgpredigt etwas vorgetragen und bitte um eine kleine Unterstützung'." Solche Bettelei, führte das Kasseler Amts- gericht weiter aus, könne gar nicht scharf genug bekämpft werden. Ernst R. erhielt sechs Wochen Haft und wurde nach Breitenau eingewiesen. Da es seine erste Arbeitshausunterbringung war, kam Ernst R. nach einem Jahr wieder frei, weil, wie die Direktion feststellte, "Führung und Fleiß" zu keinen Klagen Anlaß gaben. Zwar hatte Ernst R. wegen Mundharmonika- spielens im Schlafsaal eine Disziplinarstrafe erhalten, doch nahm man ihm dies offensichtlich nicht weiter übel. Bei seiner zweiten Unterbringung ab 1940 konnte er mit Nachsicht nicht mehr rechnen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Nationalsozialisten Hausierern undWandermusikern längst jede Existenzberechtigung abgesprochen. Als nach zwei Jahren der erste Haftprüfungstermin anstand, schrieb Direktor Sauerbier an den Generalstaatsanwalt in Kassel: "Ernst R.... ist, wie aus seinem Vorstrafenregister ersichtlich, ein typischer Bettler und Landstreicher. Der Zweck der jetzigen Unterbringung ist bei ihm viel zu kurz, als daß schon damit gerechnet werden könnte, daß der Zweck der Unterbringung erreicht sein könnte. " 158 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9110. 159 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8807. 315 Ernst R. (links) als Wandermusiker 316 Ein halbes Jahr nach diesem Haftprüfungstermin starb Ernst R. 62jährig in der Anstalt. Der Zweck der Unterbringung war jetzt erreicht. Asylunterbringung Mit Einführung der "Maßregeln der Sicherung und Besserung" lösten die Nationalsozialisten auch die alte Streitfrage der Arbeitshausunterbringung ar- beitsunfähiger Korrigenden. Zwar konnten die Richter völlig Arbeitsunfähige auch weiterhin nicht einweisen, falls die Arbeitsunfähigkeit eines Korrigenden aber erst während der Arbeitshaushaft auftrat, mußte nun deswegen keine Ent- lassung mehr vorgenommen werden. Stattdessen sahen die "Maßregeln" eine Unterbringung in einem "Asyl" vor. 160 Die Hoffnungen von Bewahrungsbefürwortern wie Georg Steigertahl, ihre Fürsorgeanstalten könnten nun als' Asyle' genutzt werden, erfüllten sich aller- dings nicht. 161 In vielen Arbeitshäusern erklärte man kurzerhand die eigene Anstalt zum 'Asyl' .162 In Breitenau wies man offenkundig arbeitsunfähige Korrigenden nun formal ins 'Asyl' ein, ohne an ihrer Unterbringung oder Be- handlung etwas zu verändern. Die Breitenauer "Asylunterbringung' war reiner Etikettenschwindel gegenüber den einweisenden Gerichten. Insbesondere be- deutete eine Asylunterbringung in Breitenau nicht, daß die betreffenden Korri- genden nun grundsätzlich von der Arbeit freigestellt waren. So starb bei- spielsweise 1943 der im 'Asyl' untergebrachte 77jährige Heinrich E. auf einem Außenarbeitskommando. 163 Insgesamt erklärte die Breitenauer Anstaltsleitung nach Absprache mit den einweisenden Gerichten von 1935 bis Kriegsende einundzwanzig Korrigenden 160 Vgl. Bracht, Bietet die neue Bestimmung des § 42 d StGB ein wirksames Mittel für Be- kämpfung der Bettelei?, in: Deutsche Justiz 97 (1935), S. 1527; vgl. Kohler, Zu § 42 d StGB, in: Deutsche Justiz 97 (1935), S. 1702; vgl. Robert Meixner, 1935, S. 14; vgl. Anton Brusis, Vier Jahre Arbeitshaus. Untersuchungen und Beobachtungen, insbesondere als Beitrag zur Frage des Asyls, in: Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsre- form 29 (1938), S. 513-527. 161 Vgl. Georg Steigertahl, Die Bedeutung des Asyls für die strafrechtlichen Maßnahmen der Sicherung und Besserung, in: Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege 10 (1934), S. 2. 162 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 141, Bd. 1, S. 53; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9773, S. 45. 163 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8016. 317 zu "Asylisteri'. Zwei Drittel von ihnen hatte der Arzt schon bei der Eingangs- untersuchung als nicht voll arbeitsfähig bezeichnet. Nur drei Asylunterge- brachte sind wieder in Freiheit entlassen worden. Elf Asyluntergebrachte sind in Breitenau gestorben, zwei zog man zur Wehrmacht ein, vier wurden 1945 von US-Truppen befreit. 164 Jakob K. Einer der vier 1945 befreiten' Asylisten' war der 1876 geborene Jakob K. Er war bereits im August 1935 nach Breitenau gekommen und fast ein Jahr- zehnt gefangengehalten worden. 165 Jakob K. kannte die deutschen Arbeitshäuser wie kein anderer. Bereits als 17jähriger wurde er 1893 für sechs Monate ins Arbeitshaus Hadamar einge- sperrt. Seitdem hatte er die Arbeitshäuser Dieburg, Brauweiler, Rummelsburg, Moringen, Straußberg und Glückstadt kennenlernen müssen. Bei elf Arbeits- hauseinweisungen war er insgesamt zwölf Jahre und sechs Monate eingesessen. Breitenau war sein achtes Arbeitshaus und seine zwölfte Korrektionshaft. Ins- gesamt hatte er im Laufe von vier Jahrzehnten etwa sechzig Strafen wegen Bettelei und Landstreicherei erhalten, lediglich einmal mußte er wegen Betrugs eine Haftstrafe von sechs Tagen verbüßen. Jakob K. war ein Vagabund par ex- cellence, der sich nicht einmal kleinere Eierdiebereien zuschulden kommen ließ. Wie sein Vorstrafenregister zeigt, war er in ganz Deutschland herumge- kommen. Schon bei der Aufnahme in Breitenau zeigte sich, daß der 60jährige ar- beitsbeschränkt war. Der Anstaltsarzt stellte Asthma fest und ordnete an, dem in der Personenbeschreibung als schwächlich charakterisierten Mann nur leichte Arbeit zuzuweisen. Im Januar 1936, nach sechs Monaten Arbeitshaushaft, er- kundigte sich das Amtsgericht Schlüchtem nach seiner Führung. Die Anstalts- leitung antwortete, Jakob K. führe sich "hausordnungsgemäß " und gebe zu keinen Klagen Anlaß. Man könne ihn aber nur mit leichten Arbeiten beschäf- tigen. Wegen seiner vielen Vorstrafen lehne man allerdings eine Entlassung ab. Daraufhin regte das einweisende Gericht die Asylunterbringung an. Die An- staltsleitung stimmte zu, worauf das Gericht im November 1937 mit der Be- gründung, Jakob K. sei nicht mehr arbeitsfähig, die Asylunterbringung an- ordnete. In Breitenau führte das Anstaltsbüro ihn nun als' Asylist', ansonsten 164 Bei einem Asylisten blieb die Entlassung unklar. 165 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 8650. 318 änderte sich nichts für Jakob K. Auf dem Deckel seiner Akte trug das An- staltsbüro die verräterische Bemerkung "gilt ab 25.11.37 als Asyl unterge- bracht" ein. Im Sommer 1941, nach mehr als sechs Jahren Haft in Breitenau, stellte der jetzt 65jährige ein Gnadengesuch beim einweisenden Amtsgericht. In seiner Stellungnahme schrieb Direktor Sauerbier: "K. ist ein typischer alter Land- streicher und Faulenzer, der nur mit leichten Arbeiten beschäftigt werden kann ... Selbst wenn K. noch arbeitsfähig wäre, würde ich bei seinem frechen Benehmen, das er hier ständig an den Tag legt, nicht befürworten, daß er ent- lassen wird." Handschriftlich erläuterte der Direktor auf dem Durchschlag des Schreibens das "freche Benehmen". Jakob K. sei der größte Faulenzer der An- stalt, der behaupte, er sei arbeitsunfähig, wenn er etwas arbeiten solle. Die An- staltsleitung kümmerte sich anstaltsintern überhaupt nicht darum, daß Jakob K. offiziell als arbeitsunfähig galt. Zwei Jahre später teilte Direktor Sauerbier bei einem Haftprüfungstermin dem Amtsgericht Schlüchtem mit: "Bei den vielen einschlägigen Vorstrafen des K. kann nicht damit gerechnet werden, daß der Zweck der Unterbringung noch jemals erreicht werden kann. Eine Entlassung, zumal während der Kriegszeit halte ich für nicht zu verantworten. " Diese beiden Sätze genügten dem Gericht, um die Arbeitshaushaft fort- zusetzen. Erst Monate nach Kriegsende, im November 1945, erkundigte sich das Gericht wieder nach dem Verbleib von Jakob K. Die Breitenauer Direktion antwortete, Jakob K. habe am 31. März 1945 "zusammen mit den anderen An- staltsinsassen unberechtigterweise die Freiheit erlangt". Neun Jahre und acht Monate - so lange wie kein anderer Korrigend - war Jakob K. in Breitenau ge- fangen. Außer Bettelei hatte man ihm nichts vorgeworfen. Die Arbeitshäuser und der nationalsozialistische Mordapparat Im März 1941 forderte Wemer Blankenburg aus der Kanzlei des Führers, eine zentrale Figur der "Euthanasie"-Morde 166, in einem als vertraulich ge- kennzeichneten Schreiben die Gauleitung Franken der NSDAP auf, ihm inner- halb von vier Wochen ein vollständiges Verzeichnis der sich in diesem Gebiet befindenden Arbeitshäuser und sonstiger Bewahrungseinrichtungen für 166 VgI. Ernst Klee, "Euthanasie" im NS-Staat. Die "Vernichtung lebensunwerten Lebens", Frankfurt 1983, S. 168. 319 "Asoziale und Antisoziale" zuzusenden. Insbesondere wollte Blankenburg wissen, ob in diesen Anstalten "auch nicht mehr behandlungsfähige Fälle von Geisteskrankheit sowie Idiotie bewahrt werden". 167 Schon ein halbes Jahr zu- vor hatte sich der "Euthanasie"- Gutachter Regierungsrat Rodenberg in einem mit seiner Privatadresse versehenen Schreiben beim Deutschen Gemeindetag "zur Bearbeitung eines dienstlichen Auftrags" über die Arbeitshäuser und deren Insassen erkundigL168 Die Arbeitshäuser waren ins Visier der zentralen Planung der "Euthanasie"- Morde geraten. Götz Aly konnte 1985 nachweisen, daß Arbeitshäuser tatsäch- lich von den Selektionen im Rahmen der "Euthanasie" erfaßt wurden. Im Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg hatte im Januar 1942 eine hochkarätig besetzte Kommission, die von zentralen Figuren der "Euthansie"- Morde wie Herbert Linden und Hans Heinze über den Zigeunerspezialisten Robert Ritter bis zum profiliertesten Asozialenforscher des Nationalsozialismus Wilhelm Kranz reichte, 940 Insassen mittels einem den "Euthanasie"-Melde- bögen ähnlichen "Meldebogen für Gemeinschaftsfremde" erfaßt und bei 314 Insassen für Tötung plädiert. 169 Für die Breitenauer Korrigenden läßt sich eine direkte Einbeziehung in die "Euthanasie"-Morde nicht nachweisen. Völlig auszuschließen sind Ab- transporte in die Mordanstalten allerdings nicht, weil im untersuchten Akten- bestand bei zehn Korrigenden weder in der Fallakte noch im Aufnahmebuch ein Entlassungsvorgang dokumentiert ist und weil bei 99 fehlenden Fallakten in 45 Fällen nicht geklärt werden konnte, warum diese Akten heute nicht mehr vor- handen sind. Ebenfalls nicht auszuschließen ist die Ermordung derjenigen Breitenauer Korrigenden, die aus Breitenau in eine psychiatrische Anstalt abgeschoben wurden. Zwischen 1933 und 1945 wurden immerhin 23 Korrigenden nach Haina und eine Korrigendin nach Merxhausen überführt, beides Anstalten, die direkt in die Mordaktion an psychisch Kranken einbezogen waren. 170 Ein be- wußtes und systematisches Selektieren der Breitenauer Korrigenden läßt sich jedoch dabei ausschließen, denn die Quoten der Überweisungen von Korrigen- den in psychiatrische Kliniken waren in Breitenau während des National- 167 Bundesarchiv Koblenz, NS 19/1578,8.3.41; Nürnberger Dokumente Nr. NO 871. 168 Bundesarchiv Koblenz, R 3611861,6.8.1940. 169 Vgl. Ernst Klee, 1983, S. 168; Vgl. Götz Aly, Medizin gegen Unbrauchbare, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. I, Berlin 1985, S. 45 f. 170 Vgl. Manfred Klüppel, "Euthanasie" und Lebensvernichtung am Beispiel der Landesheil- anstalten Haina und Merxhausen. Eine Chronik der Ereignisse 1933-1945, Kassel 1984. 320 sozialismus nicht höher als in der Weimarer Republik. Außerdem sind von den dreiundzwanzig psychiatrisierten Korrigenden nur fünf nach dem Beginn der "Euthanasie'l-Morde überführt worden. In einem leider undatiert gebliebenen Fernschreiben forderte Heinrich Himmler den SS-Obergruppenführer Best vom Geheimen Staatspolizeiamt auf, mit Staatssekretär Pfundtner vom Reichsinnenministerium zu vereinbaren, "daß sämtliche arbeitsfähigen männlichen Insassen der unter Provinzialselbstverwal- tung stehenden Arbeitshäuser an die Konzentrationslager abgegeben wer- den".171 Das Dokument gibt einen Hinweis darauf, daß im Rahmen der Ver- nichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern durch "Abgabe asozialer Gefangener an die Polizei" neben den Sicherungsverwahrten auch Korrigenden der Arbeitshäuser erfaßt wurden. Die "Vernichtung asozialen Lebens" war am 14. September 1942 Thema einer Besprechung zwischen dem kurz zuvor ernannten Reichsjustizrninister Thierack und Goebbels. "Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste", hielt Thierack in einer Gesprächsnotiz fest. l72 Vier Tage später legte Thierack in einer Besprechung mit Heinrich Himmler den Personenkreis fest. Thierack notierte: "Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausge- liefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers. Zunächst sollen die übelsten asozialen Elemente unter letzteren ausgeliefert werden. "173 In einer auf den 22. Oktober 1942 datierten geheimen Verfügung definierte der Reichsjustizrninister die zu erfassenen Personengruppen genauer. Bei Juden, "Zigeunern", Russen und Ukrainern sollten - völlig unabhängig von den ausgesprochenen Strafen - auch die Insassen der Arbeitshäuser erfaßt werden. 174 Im Gegensatz zu den Sicherungsverwahrten, die alle "an die Polizei abgegeben" werden sollten, fielen bei den Insassen der Arbeitshäuser 1942 nur bestimmte Personengruppen unter die Vernichtungsaktion. 171 Bundesarchiv Koblenz, NS 19/1542, S. 1. 172 ZStdUV, Ordner Nr. 246, Bild PS-682. 173 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 1947, Bd. XXVI, S. 201. 174 Der Reichsminister der Justiz, 22.10.42, IVa 1665142g, abgedruckt bei Adelheid Rüter- Ehlermannl H.H. Fuchsl C.F. Rüter (Hrsg.), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung Deut- scher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945-1966, Bd. IX, Arnsterdam 1972, S. 310/15. 321 Drei Wochen nach dieser Verfügung des Reichsjustizministers erhielt die Breitenauer Anstaltsleitung eine Aufforderung des Kasseler Gene- ralstaatsanwalts zur "Zusammenlegung asozialer Gefangener" im Zuchthaus Ziegenhain, das als Zwischenstation zur Verlegung der Gefangenen in die Kon- zentrationslager diente. Unter wörtlicher Übernahme der Rundverfügung des Reichsjustizministers forderte Generalstaatsanwalt Trautmann die Überführung aller Juden, "Zigeuner", Russen und Ukrainer beiderlei Geschlechts aus Brei- tenau. Von den am 1. Dezember 1942 in Breitenau gefangenen 113 Korrigendinnen und Korrigenden gehörte der 48jährige Eduard St. als "Zigeuner" vermutlich als einziger zu diesen Personengruppen. Er wurde am 3. Dezember 1942 nach Ziegenhain überführt. 175 Arbeitshaushaft wegen Arbeitsvertragsbruchs In den Kriegsjahren und spätestens in der militärischen Defensive nach der Niederlage von Stalingrad, als eine mögliche Kriegsniederlage allmählich ins Bewußtsein des Apparats gelangte, geriet vermeintliche oder tatsächliche Dis- ziplinlosigkeit bei Teilen der Bevölkerung ins Visier der Behörden. Die im Bewußtsein der Machthaber tiefsitzende Angst vor dem "Dolchstoß der Heimat" nach dem Muster von 1918 führte zu einem Kesseltreiben gegen De- faitisten, "Arbeitssaboteure" , "Miesmacher", "Meckerer" und alle, die nicht mehr an den "Endsieg" glauben wollten. Man versuchte, der politischen und moralischen Auflösungserscheinungen innerhalb der Jugend, die die durch Abwesenheit der einberufenen Väter und Lehrer, der Berufstätigkeit der Mütter und die allmähliche Desorganisation des Lebens vor allem in den zerstörten Großstädten entstandenen Freiräume zu nutzen wußte, mit verstärkter Für- sorgeerziehung und der Errichtung spezieller Jugend-KZ wie im Arbeitshaus Moringen und in Uckermark Herr zu werden. Die schon seit 1903 in Breitenau vereinzelt durchgeführte verschärfte Fürsorgeerziehung unter Gefängnisbe- dingungen erlebte nun vor allem gegen Mädchen ein zuvor nicht gekanntes Ausmaß. 176 175 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9431. 176 Vgl. Detlcv Peukert, Arbeitslager und Jugend-KZ: die Behandlung "Gemeinschaftsfremder" im Dritten Reich, in: ders.l Jürgen Reulecke (Hrsg.), Die Reihen fast geschlossen. Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm Nationalsozialismus, Wuppertal 1981, S. 413-434; vgl. 322 Gegen erwachsene" Arbeitsbummelanten" wurden die Arbeitserziehungslager errichtet, unter anderem, wie oben beschrieben, in Breitenau. Während die Gestapo die Einweisung in das Arbeitserziehungslager Breitenau ohne Ge- richtsurteil per Schutzhaftbefehl vornahm, läßt sich in Breitenau auch, wenn- gleich in sehr viel geringerem zahlenmäßigen Umfang, strafrichterliche Ar- beitshauseinweisung im Anschluß an eine Haftstrafe wegen "Arbeitsvertragsbruch" nachweisen. Die Justiz versuchte so, einen Personen- kreis in ihren Herrschaftsbereich zu bekommen, der in den letzten Kriegsjahren hauptsächlich im Zugriffsbereich der Gestapo lag. Aus einem Urteil des Amtsgerichts Kassel aus dem Jahre 1943 gegen eine 24 Jahre alte Frau, die wiederholt in den Fieseierwerken in Kassel am Arbeitsplatz gefehlt hatte: "Bei der Strafzumessung war zu berücksichtigen, daß die Ange- klagte offenbar sehr zum Bummeln neigt ... Eine empfindliche Strafe, die ihr den Ernst der auch ihr im Schicksalskampf unseres Volkes auferlegten Pflichten und Aufgaben zum Bewußtsein bringt, sie zur strengeren Selbstzucht und Pflichterfüllung zu einer geordneten Lebensweise erzieht, und zwar eine Ge- fängnisstrafe von neun Monaten, erschien eine angemessene und notwendige Sühne. Um die Wirkung dieser Strafe zu erhöhen, war die sofortige VoIl- streckung anzuordnen. Weiterhin erschien es notwendig, um das erwähnte Erziehungsziel auch für die Zukunft sicherzusteIlen, die Unterbringung der Angeklagten in einem Arbeitshaus gemäß § 42 d StGB neben der erkannten Strafe anzuordnen. "177 Arbeitshausunterbringung mit der Begründung "Arbeitsvertragsbruch" war im Strafgesetzbuch überhaupt nicht vorgesehen. Entsprechend abenteuerlich fielen die pseudojuristischen Begründungen der beteiligten Richter aus, die entweder eine Anzahl von Verordnungen aufführten oder, wie im FaIl der 22 Jahre alten Anneliese B., einfach behaupteten: "Die Angeklagte paßt in den Kreis der in § 42 d StGB erfaßten Personen, deren Gewöhnung an eine pflichtmäßige Arbeit nur durch das Arbeitshaus erreicht werden kann. ,,178 Erwin Rehn, Gedächtnisbericht über das SS-Sonderlager (Jugendschutzlager) Moringen und über das Außen lager Volpriehausen, in: Mitteilungen der Dokumentationsstelle zur NS-So- zialpolitik I (1985), Heft 9110, S. 91-102; Michael Hepp, Vorhof zur Hölle. Mädchen im "Jugendschutzlager" Uckermark, in: Angelika Ebbinghaus (Hrsg.), 1987, S. 191-217; Rudolf Kraus, Die Fürsorgeerziehung im Dritten Reich (1933-1945), in: Archiv für Wis- senschaft und Praxis der sozialen Arbeit 5 (1974), S. 161-210. 177 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8175. 178 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7730; zur Arbeitshausunterbringung wegen "Arbeitsvertragsbruch " vgI. ein Urteil des Amtsgerichts Berlin vom 29.10.42, in: Deutsche Justiz 11 (1943), S. 91. 323 Ähnlich die Begründung bei der 23jährigen Franziska R.: 'Sie stellt ihrer ganzen Persönlichkeit nach den gleichen Typ dar, wie er in § 42 d StGB ange- geben ist. Das Gericht hat deshalb auch keine Bedenken gehabt, in ent- sprechender Anwendung dieser Bestimmungen die Unterbringung in einem Ar- beitshaus anzuordnen ... "179 Die wegen Arbeitsvertragsbruchs als Korrigenden und Korrigendinnen nach Breitenau eingewiesenen Personen - von zehn Frauen und zwei Männern sind die Akten erhalten - stellten allerdings einen völlig anderen "Typ" dar und "paßten" ganz entgegen der Vorstellungen der Richter überhaupt nicht zu den bis dahin dort gefangenen Menschen. 1943/44 befanden sich in Breitenau als Korrigenden fast nur noch alte Männer, die weder für das Lager Rodgau noch für die Wehrmacht tauglich erschienen. Die am Jahresbeginn 1943 als Korri- genden in Breitenau einsitzenden 110 Menschen (109 Männer und eine Frau) hatten ein Durchschnittsalter von 56 Jahren, wobei zwei Drittel von ihnen über 50 Jahre alt waren. Bei den wegen Arbeitsvertragsbruch Verurteilten handelte es sich dagegen um eine völlig andere Gruppe. Zehn der zwölf ab 1943 mit der Begründung Arbeitsvertragsbruch Eingewiesene waren Frauen im Alter von 22 bis 29 Jahren. Aus den Urteilsbegründungen: "trieb sich herum ... wurde in verwahrlostem Zustand aufgegrif- fen ... legte in der schweren Kriegszeit einen liederlichen, arbeits- scheuen Lebenswandel an den Tag", 180 "hat sich sehr häufig herumgetrieben und wahllos dem Geschlechts- verkehr hingegeben ... war renitent" ,181 "ist ein liederliches, arbeitsscheues Mädchen, das in keiner Stelle lange aushält, sich gerne umhertreibt, ein liederliches, sittlich nicht einwand- freies Leben führt und zur Fristung ihres Lebensunterhalts bereits ver- schiedene Diebstähle beging", 182 "fehlte oft unentschuldigt, weigerte sich, an Sonntagen, an denen der ganze Betrieb lief, zu arbeiten ... trieb sich herum ... bot sich Soldaten zum Geschlechtsverkehr an", 183 179 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9088. 180 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7730. 181 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9088. 182 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8682. 183 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8343. 324 "blieb der Arbeit fern ... trieb sich herum ... neigt zum Bummeln und Herumtreiben" .184 Die Gerichtsurteile gegen die jungen Frauen lesen sich wie Berichte aus Für- sorgeerziehungsakten jener Zeit. Der vorgeworfene Arbeitsvertragsbruch sollte als Symptom einer insgesamt fehlentwickelten Persönlichkeit erscheinen. Die Arbeitshausunterbringung wurde mit denselben Schlüsselbegriffen wie die Für- sorgeerziehung begründet: ist verwahrlost, treibt sich herum, ist triebhaft, hat häufig wechselnden Geschlechtsverkehr. Die Arbeitshausunterbringung sollte bei diesen jungen Frauen eine bei Er- wachsenen gesetzlich nicht mögliche Fürsorgeerziehung ersetzen. Im Einzelfall handelte es sich schlicht darum, daß eine gerade volljährig gewordene Frau wegen Zwistigkeiten aus dem Elternhaus auszog, sich dann "herumtrieb" und bei der Arbeit fehlte. Unter den Bedingungen des totalen Kriegseinsatzes bauschten die angesichts der bedrohlich gewordenen militärischen Situation nervös gewordenen Behörden dies zu einer angeblich staatsbedrohenden Straftat auf.185 "Zivile Fahnenflucht", hieß es in einem der Urteile wegen Arbeitsver- tragsbruchs. 186 Hier zeigt sich, daß der NS-Apparat auch ohne den Erlaß des lange geplan- ten, aber immer wieder aufgeschobenen Bewahrungs- bzw. Gemeinschafts- fremdengesetzes durchaus in der Lage war, die mit diesen Gesetzentwürfen anvisierten Personen gruppen hinter Gitter zu bringen. MariaJ. Im Februar 1944 wies das Wohlfahrtsamt der Stadt Kassel die 26jährige Maria J. aus dem städtischen Karlshospital als Fürsorgepflegling nach Brei- tenau ein. Beim Regierungspräsidenten beantragte die Stadtverwaltung Ar- beitshausunterbringung gemäß § 20 Reichsfürsorgepflichtverordnung. Maria J. entstamme einer "belasteten Sippe". Sie treibe sich herum, habe mit verschiedenen Männem geschlafen, sich mit "zweifelhaften Elementen" ge- troffen, ihre Arbeitsstelle verlassen und sei charakterlich und körperlich völlig verwahrlost. "In dieser schweren Zeit ist es nicht zu verantworten, solche Elemente im freien Leben herumlaufen zu lassen. Sie bilden eine Gefahr für die 184 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8175. 185 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8682. 186 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8443. 325 Volksgesundheit wegen ihres wahllosen Geschlechtsverkehrs und geben ein schlechtes Beispiel für die anderen Volksgenossen. "187 Das Kasseler Wohlfahrtsamt berichtete außerdem an die Breitenauer An- staltsleitung: "Die Genannte führe ich Ihnen als Verwahrungsfall zu. Die J. ist eine Herumtreiberin aller erster Sorte. Seit dem Terrorangriff auf Kassel treibt sie sich herum. Fährt mal hier und dort hin und kehrt nicht wieder an ihre Ar- beitsstelle zurück. Der Arbeitgeber, die Fabrik Hessisch Lichtenau hat auf eine Wiedereinstellung verzichtet. Ein erneuter Arbeitsversuch wäre zwecklos. Sie gehört in ein Arbeitshaus als Dauerbewahrungsfall. "188 Gegen die junge Frau lief gleichzeitig beim Amtsgericht Kassel ein Er- mittlungsverfahren wegen Arbeitsvertragsbruchs. Die nur geringfügig vorbe- strafte Maria J. erhielt schließlich eine viermonatige Gefängnisstrafe mit an- schließender Arbeitshausunterbringung. Die Urteilsbegründung: "Die Ange- klagte ist das Kind einer kinderreichen Arbeiterfamilie. Sie hatte 14 Ge- schwister, von denen z.Zt. noch 10 leben. Nach der Schulentlassung war sie in verschiedenen Stellungen als Hausgehilfin tätig, in denen sie fast durchweg in längeren Zeiträumen durchhielt. Seit dem 11.3.42 wurde sie in Hess. Lichtenau als Chemiewerkerin dienstverpflichtet. Hier kam sie ihren Arbeitspflichten erst- malig nur sehr unregelmäßig nach. So fehlte sie unentschuldigt am 11.9.; 22- 23.11.42; 9-10.6.; 12.6.;13.-14.7.43 und seit dem 17.7.43 ganz. Seit dieser Zeit trieb sie sich umher, lebte ganz ihrem Vergnügen, wurde verschiedentlich von der Polizei aufgegriffen und zeitweilig im Karlshospital in Kassel unterge- bracht. Versuche, sie von hier aus zur ordentlichen Arbeit und geregelter Tätigkeit wieder zuzuführen, scheiterten wiederholt ... Nur eine empfindliche Freiheitsstrafe, die ihr das Gemeinschaftswidrige ihrer Haltung im Existenz- kampf unseres Volkes und die auch von ihr im totalen Kriegseinsatz auferlegten Pflichten und Aufgaben eindringlich zum Bewußtsein bringt, und zwar eine solche von vier Monaten, darüber hinaus eine dauernde straffe Erziehung zur Arbeit und Überwindung jeglicher eigensüchtiger Wünsche und Triebe im Rahmen eines Arbeitshauses durch Zuweisung in ein solches erschien deshalb notwendig und gerechtfertigt. " Die Gefängnisstrafe vollstreckte man in der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gefängnisabteilung in Breitenau. Nachdem die viermonatige Haft verbüßt war, mußte Maria J. als Korrigendin in Breitenau bleiben. Sie hat also die Anstalt 187 StAMarburg, Bestand 401, Acc. 1988/73, Nr. 73. 188 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8454. 326 Breitenau innerhalb eines Jahres als zwangsuntergebrachter Fürsorgepflegling, als Strafgefangene und als Korrigendin kennenlernen müssen - ein Beispiel für die Multifunktionalität der Anstalt. Im Mai 1946, ein Jahr nach Kriegsende, fühlte sich die Oberstaatsan- waltschaft in Kassel veraniaßt, in Breitenau anzufragen, ob die Chemiewerkerin Maria J. noch in Breitenau einsitze. Doch Maria J., antwortete die Direktion, "erlangte anläßlich der Inbesitznahme der Anstalt durch amerikanische Streit- kräfte am 31.3.1945 zusammen mit anderen Anstaltsinsassen die Freiheit. Über den derzeitigen Aufenthalt der J. ist hier nichts bekannt". Genaugenommen griffen die Richter seit 1943 mit der Arbeitshaushaft auf zwei unterschiedliche soziale Erscheinungen zu. Zum einen erfolgte der Zugriff auf das durch die Verfolgungsmaßnahmen allmählich obsolet werdende Problem der alten "Nichtseßhaftigkeit" durch Dauerinternierung der wenigen noch überlebenden und im Durchschnitt immer älter werdenden männlichen Bettler und Landstreicher, die sich weder in der "Arbeitsschlacht" noch auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs gebrauchen ließen. Andererseits verfolgten die Richter die neue "Nichrseßhaftigkeit" der sich "herumtreibenden" jungen Frauen, die sich vom Leben mehr versprachen als nur Knochenarbeit in der Rüstungsindustrie. Zahlenmäßig war die Verhängung der Arbeitshaushaft gegen die unangepaßt lebenden jungen Frauen bis Kriegsende noch unbedeutend. Für Breitenau kün- digte sich jedoch hier in der letzten Kriegsphase eine Entwicklung an, die erst in den Jahren nach Kriegsende zur vollen Wirkung kommen sollte. 327 Nachkriegszeit "Kriegsbedingte Entlassung" Am Jahresbeginn 1945 befanden sich insgesamt 423 Insassen in Breitenau, davon 308 Schutzhäftlinge, 68 Korrigenden, 32 Fürsorgepfleglinge, 7 zwangs- weise untergebrachte Fürsorgeempfänger und 8 Fürsorgezöglinge. 1 Die letzten Wochen vor der Befreiung der Anstalt durch US-Truppen waren von hekti- schen Insassenverlegungen gekennzeichnet. Noch im Februar 1945 wurden in Breitenau 431 Personen aufgenommen, davon 425 Schutzhäftlinge. 2 Am 13. und 17. März 1945 überführte man achtundzwanzig Fürsorgepfleglinge in die Landesheilanstalt Haina. 3 Noch am 29. März, zwei Tage vor Ankunft der US-Truppen, wurde frühmorgens ein Güterzug mit Schutzhäftlingen in Rich- tung Bebra in Marsch gesetzt. 4 Die Kasseler Gestapo hatte nach der Zerstörung Kassels durch alliierte Luft- streitkräfte im Oktober 1943 ihre Dienststelle in der alten Zehntscheune der Breitenauer Anstalt errichtet. Wenige Stunden vor Ankunft der US-Truppen er- schossen Gestapoangehörige in den frühen Morgenstunden des 30. März unweit der Anstalt achtundzwanzig Gestapogefangene, die erst im Laufe jener Nacht aus Kassel in die Anstalt gebracht worden waren. 5 Am Tag der Ankunft der amerikanischen Streitkräfte verzeichnet das für den Arbeitsbetrieb angelegte Rapportbuch insgesamt 619 Anstaltsinsassen, davon 540 Schutzhäftlinge, 64 Korrigenden, 3 zwangsuntergebrachte Fürsorge- empfänger, 6 Pfleglinge und 6 Fürsorgezöglinge. 6 Die US-Truppen ließen 1 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9822. 2 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9737, S. 224. 3 Namensliste in Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr.246, 13.3.45; Nr. 143, S. 19 r. 4 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10344, S. 378. 5 Vgl. Hanne Wiltschl Dielfrid Krause-Vilmar, 1984, S. 104; Bericht über die Exhumierung der 28 Ermordeten in: Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9828, S. 134 RS; Nr. 9831, S. 43 ff. 6 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9822. 328 sämtliche Gefangenen frei, verhafteten fünf Aufseher und den als stellvertreten- den Ortsgruppenleiter der NSDAP fungierenden Anstaltsbäcker.7 Die Bezirkskommunalverwaltung Kassel schrieb 1949 in einer aus Anlaß ihres achtzigjährigen Bestehens herausgegebenen Schrift: "Beim Zusammen- bruch, als die alliierten Truppen von der Anstalt Besitz ergriffen, wurden die Internierten (Schutzhäftlinge, W.A.) befreit, gleichzeitig aber auch die aso- zialen Elemente, die zu Recht als Korrigenden hier einsaßen, freigelassen. In den letzten Märztagen 1945 waren sie es, die die Anstalt plünderten, Innen- einrichtungen mutwillig zerstörten und die Vorräte und Kammerbestände voll- ständig ausraubten. "8 Kein Wort des Bedauerns über das den Korrigendinnen und Korrigenden zu- gefügte Leid. Stattdessen diffamierte die Bezirkskommunalverwaltung Opfer des Nationalsozialismus als "asoziale Elemente" und bezeichnet die im Einzel- fall fast zehnjährige Internierung von harmlosen Bettlern als "Recht". Die Be- hauptung, die befreiten Korrigenden hätten die Anstalt geplündert, gehört im übrigen in den Bereich der Nachkriegslegenden. In einem am 12. April 1945, also noch vor der Kapitulation des NS-Regimes und wenige Tage nach der Plünderung der Anstalt, verfaßten Bericht der Anstaltsleitung an den Ober- präsidenten wird dieser Vorgang völlig konträr geschildert: "Die Korrigenden, Verwahrfälle, Arbeitshäuslinge und schwer erziehbaren Fürsorgezöglinge mußten umgehend nach der Besetzung entlassen werden. Einige sind jedoch freiwillig zurückgeblieben und helfen noch, die dringend notwendigen Arbeiten in Gut und Gärtnerei zu verrichten. Durch Plünderung von Ausländern aus Guxhagen und Umgebung, sowie auch durch ortsansässige Deutsche sind der Anstalt schwere Schäden an Inventar, Materialien und Naturalien entstanden. "9 Nach dieser Quelle hatten ausländische Zwangsarbeiter und deutsche Bürger die Anstalt geplündert. Vermutlich hat man den geflüchteten Korrigenden die auf 92 000 RM geschätzten Plünderungsschäden nachträglich in die Schuhe ge- schoben, um eventuelle Nachforschungen abzublocken. 10 Die Korrigendinnen und Korrigenden stellten bei Kriegsende nur noch etwa zehn Prozent der Insassen der Gesamtanstalt. Beim Auswerten der per- sonenbezogenen Fallakten konnten 61 der 64 von den Us-Truppen befreiten 7 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9826, S. 480-481. 8 Achtzig Jahre kommunale Selbstverwaltung im Regierungsbezirk Kassel 1867-1947, Kassel 1949, S. 89 f. 9 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Ne. 9826, 12.4.1945. 10 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Ne. 139,28.1.1947. 329 Korrigendinnen und Korrigenden namentlich festgestellt werden. I I Die durch- schnittliche Haftdauer der befreiten Korrigenden betrug 45 Monate; ein Drittel von ihnen war bereits seit Kriegsbeginn in Breitenau gefangen. Die längste Haftdauer hatte der oben ausführlich geschilderte Jakob K. verbüßen müssen, der bereits seit August 1935 in Breitenau festgehalten wurde. 12 Die Hälfte der befreiten Korrigenden war über 60 Jahre, der älteste 78 Jahre alt. Drei Viertel der befreiten Korrigenden waren wegen Bettelei oder Landstreicherei einge- wiesen worden. Die sich in den Kriegsjahren immer mehr verstärkende Ten- denz, die Arbeitshaushaft zur Dauerinternierung obdachloser Menschen zu funktionalisieren, blieb also bis Kriegsende bestehen. Neben diesen alten Bett- lern und Landstreichern, den seit der Gründung der Anstalt typischen Insassen Breitenaus, sind durch die US-Truppen auch zwölf wegen Arbeitsver- tragsbruchs ins Arbeitshaus Eingewiesene freigekommen. Wie oben schon aufgezeigt, waren dies fast ausschließlich junge Frauen, die sich dem Arbeits- prozeß entzogen und sich "herumgetrieben" hatten. In den Akten der befreiten Insassen vermerkte das Anstaltsbüro: "kriegsbe- dingte Entlassung". Diese Formulierung sollte einen Hinweis darauf geben, daß - wie die Anstaltsleitung später häufig behauptete - diese Gefangenen nicht rechtmäßig freigekommen seien. Für die einweisenden Gerichte war es nicht selbstverständlich, daß die Kor- rigendinnen und Korrigenden beim Zusammenbruch der Naziherrschaft ent- lassen wurden. Bei fast allen befreiten Korrigenden fragten die Gerichte, teil- weise noch 1947, an, ob die Betreffenden noch in Breitenau seien und ob der Zweck der Unterbringung nun erreicht sei. Die Reaktion der neu eingesetzten Anstaltsleitung auf diese Anfragen war recht widersprüchlich. Häufig schrieb die Direktion, die befreiten Korrigenden seien "unberechtigterweise" freige- kommen und reduzierte dadurch die Befreiung der Überlebenden zu einer gewöhnlichen "Entweichung" .13 Teilweise antwortete man aber auch kommen- tarlos, der oder die Betreffende habe "bei Inbesitznahme der Anstalt durch US- Truppen die Freiheit erlangt". In anderen Fällen schrieb man, der Zweck der Unterbringung sei angesichts der langen Haftdauer bereits erreicht gewesen. 14 Über den seit Februar 1941 gefangengehaltenen Korrigenden August B. schrieb die Direktion 1947 an das 11 Die folgenden Angaben beziehen sich auf diese 61 Korrigendinnen und Korrigenden. 12 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8650. 13 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8071; Nr. 7975; Nr. 9370; Nr. 9611; Nr. 8744; Nr. 8443; Nr. 8829; Nr. 9833, S. 137. 14 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9105. 330 Landgericht Frankfurt: "Anläßlich der Inbesitznahme der Anstalt durch alliierte Streitkräfte erlangte der B. zusammen mit anderen Anstaltsinsassen unberechtigterweise die Freiheit. Über den Aufenthalt des B. war seitdem hier nichts bekannt. In Anbetracht dessen, daß B. während des Krieges nicht ent- lassen werden konnte, und volle vier Jahre hier einsaß, kann der Zweck der Unterbringung als erreicht angesehen werden." Der Frankfurter General- staatsanwalt ordnete daraufhin eine jederzeit widerrufbare "bedingte Ent- lassung" an. 15 Bei Entschädigungsleistungen im Rahmen der Wiedergutmachung national- sozialistischen Unrechts gingen die Breitenauer Korrigenden leer aus. Wie alle Menschen, die von den Nationalsozialisten aus sozialen Gründen verfolgt worden waren, fielen sie nicht unter das Bundesentschädigungsgesetz von 1953 und dessen Vorläuferregelungen.J'' Im Bundesentschädigungsgesetz gelten nur politisch, religiös, rassisch oder aus Gründen der Weltanschauung Verfolgte als entschädigungswürdig. KZ-Häftlinge, die als "Asoziale" verhaftet worden waren, sind keine Verfolgten im Sinn des Bundesentschädigungsgesetzes und haben bis heute keine Entschädigung erhalten. Auch die Korrigendinnen und Korrigenden der Arbeitshäuser, selbst wenn sie aufgrund der nationalsozialisti- schen "Maßregeln der Sicherung und Besserung" manchmal fast zehn Jahre ein- saßen, zählen im Entschädigungsrecht bis heute nicht zu den Verfolgten des Naziregimes. Die Behörden sahen in den Arbeitshausgefangenen auch in der Nachkriegszeit gewöhnliche Kriminelle, die, wie die Kasseler Bezirks- kommunalverwaltung in ihrer bereits zitierten Jubiläumsbroschüre aus dem Jahre 1949 schrieb, angeblich "zu Recht" gefangengehalten worden waren. Einige der überlebenden Korrigenden stellten nach dem Krieg Anträge auf Entschädigung.J? Den in Breitenau anfragenden Entschädigungsbehörden ant- wortete die Anstaltsleitung durchweg, bei den Betreffenden habe es sich um gewöhnliche Kriminelle oder "typische Landstreicher" gehandelt. 18 Noch im Mai 1946 schrieb die Anstaltleitung an die Kasseler Betreuungs- stelle für ehemalige politische Häftlinge über einen ehemaligen Insassen, der fast zehn Jahre in Breitenau wegen Bettelei gefangengehalten worden war: "Der 15 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7795. 16 Vgl. Thomas Lutz! Alwin Meyer (Hrsg.), Alle NS-Opfer anerkennen und entschädigen, Berlin 1987, S. 13; vgl. Romani Rose, Bürgerrechte fiir Sinti und Roma. Das Buch zum Rassismus in Deutschland, Heidelberg 1987, S. 46. 17 Vgl. insbesondere Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10344; Nr. 8088; Nr.8915. 18 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7795. 331 Obengenannte saß vom 19.5.1936 bis 30.3.1945 als Korrigend in der hiesigen Anstalt ein. Anläßlich der Inbesitznahme der Anstalt durch amerikanische Streitkräfte erlangte D. zusammen mit anderen Korrigenden unbe- rechtigterweise die Freiheit. Der hiesige Aufenthalt des D. - der nachweislich des Strafregisterauszuges 78 mal vorbestraft ist - entbehrt jeglichen politischen Hintergrundes. "19 Die oft langen Vorstrafenlisten der Breitenauer Korrigenden legen es auf den ersten Blick nahe, sie als gewöhnliche Kriminelle anzusehen. Nur ein Bruchteil der Gerichtsurteile weist eine eindeutige politische Tendenz auf. Trotzdem ist es falsch, die Haftzeit der Arbeitshausgefangenen im Nationalsozialismus als gewöhnliches Schicksal von KleinkriminelIen abzutun. Die 1934 eingeführte unbestimmte, tendenziell lebenslängliche Unterbringung war eine Neuerung der NS-Zeit. Die "Maßregeln der Sicherung und Besserung" waren Teil einer beab- sichtigten Endlösung der sozialen Frage, die sich aus einer Vielzahl von im Einzelfall nicht einmal koordinierten Einzelrnaßnahmen zusammensetzte, von denen die Zwangssterilisationen, die "Euthanasie"-Morde, die Aktion "Arbeitsscheu Reich", die Arbeitserziehungslager und die Arbeitshaushaft nur die bekanntesten sind. 20 Der Verhöhnung der Insassen seitens der Kasseler Bezirkskommunalver- waltung entsprach auf der anderen Seite eine auffallend milde Behandlung des Breitenauer Personals. Bereits im Dezember 1945 waren zehn politisch be- lastete Aufseher, die auf Betreiben der US-Besatzungsbehörden zunächst ent- lassen worden waren, wieder im Anstaltsdienst tätig. Man hatte die entlassenen Beamten kurzerhand als Arbeiter des Breitenauer Anstaltsguts wieder einge- stellt. 21 Über einen ehemaligen Breitenauer Korrigenden, der bei der Spruchkammer Melsungen belastende Aussagen über seine früheren Aufseher zu Protokoll ge- geben hatte, schrieb die Direktion: "W. gehört zu den asozialen Personen übel- ster Sorte, der um nicht erneut Unheil anzurichten, alsbaldigst einer Ver- wahrungsanstalt zugeführt werden müßte. "22 19 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7931. 20 Vgl. Wolfgang Ayaß, Den im Nationalsozialismus verfolgten Wohnungslosen wurde bislang jede Entschädigung verweigert. Sachverständigengutachten zur Anhörung des Innen- ausschusses des Bundestags am 24. Juni 1987 zur Entschädigung aller Opfer des Nationalsozialismus, in: Deutscher Bundestag, 11. Wahlperiode, Innenausschuß, Stenogra- phisches Protokoll über die 7. Sitzung des Innenausschusses, Anlage 6, S. 283-291. 21 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9830, S. 102. 22 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9640. 332 Anstaltsdirektor Georg Sauerbier, der bereits vor 1933 NSDAP-Mitglied und während des Zweiten Weltkriegs immerhin Leiter eines Arbeitser- ziehungslagers und eines Konzentrationssammellagers gewesen war, wurde von der Bezirkskommunalverwaltung erst entlassen, nachdem er im Juni 1945 von der US-Militärverwaltung verhaftet worden war. 23 Das Entlassungsschreiben bezog sich ausschließlich auf seine Mitgliedschaft in der NSDAP vor dem 1. April 1933, ein Fakt, der eine Entlassung zwingend vorschrieb. Seine Tätig- keit als Leiter des Arbeitshauses, des Arbeitserziehungslagers und des Konzentrationssammellagers sah man in der Kasseler Bezirksverwaltung eher positiv. In einem auf den 24. Juli 1945 datierten Zeugnisentwurf schrieb man: "Als Direktor der Landesarbeitsanstalt Breitenau hat es Herr Sauerbier vermöge seiner organisatorischen Begabung verstanden, durch geschickte Erweiterung der Belegungsfähigkeit der Landesarbeitsanstalt eine gesunde Wirtschafts- grundlage zu geben, die Arbeitskraft der Anstaltsinsassen in der günstigsten Weise für die umliegende Industrie und Landwirtschaft nutzbar zu machen und dadurch zu einer Senkung der Pflegegebühren im Interesse der einweisenden Verbände beizutragen. "24 In einem 1949 durchgeführten Entnazifizierungsverfahren wurden elf ehe- malige Breitenauer Aufseher und Anstaltsbedienstete in die Gruppe der Mit- läufer eingestuft. Der ehemalige Direktor Georg Sauerbier erhielt als Mitläufer 1 000 DM Geldstrafe. 25 Das Arbeitshaus Breitenau als Frauenbewahranstalt Auch in den ersten Nachkriegsjahren blieb der multifunktionale Charakter der Breitenauer Anstalt bestehen. Bis Jahresende 1945 nutzten die Alliierten die Anstalt zur Internierung von Nationalsozialisten, die zunächst von franzö- sischen, dann von amerikanischen Soldaten bewacht wurden. 26 Bereits im No- vember 1945 richtete die Hautklinik des Kasseler Stadtkrankenhauses im Brei- 23 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 119, S. 2; Nr. 118, S. 65. 24 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 119, S. 2. 25 Vgl. Hanne Wiltschf Dietfrid Krause-Vilmar, 1984, S. 104. 26 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 135, Bd. 2, S.253; eine Namensliste von Inhaftierten in Nr. 142, S. 131; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9828, S. 129; Nr. 9833, S. 118. 333 tenauer Frauenhaus eine Ausweichstation mit zunächst 60, später dann bis zu 200 Betten ein. Dieses VD-Hospital diente bis November 1951 zur Zwangsunterbringung geschlechtskranker Frauen, die zum Teil bei Razzien in US-Kasernen festgenommen worden waren.I? Mitte Januar 1946 beantragte der Kasseler Bezirksverband bei der Militärver- waltung in Kassel die Wiedereröffnung der Breitenauer Landesarbeitsanstalt. Der Beauftragte für den Strafvollzug in Kurhessen drängte seinerseits auf eine erneute Nutzung der Anstalt, da bereits einige Amtsgerichtsurteile vorlagen, die Arbeitshausunterbringung vorsahen. 28 Auch die Breitenauer Direktion hielt es für wünschenswert, wenn der Hauptbau der Anstalt wieder seinem, wie man schrieb, "ureigensten Zweck" dienen könne, weil man hiermit den Arbeits- kräftemangel der Gutswirtschaft der eigenen Anstalt, aber auch den der um- liegenden privaten Landwirtschaft beheben könne. 29 Im April 1946 konnte der Bezirksverband den einweisenden Gerichten mit- teilen, daß Breitenau wieder zur Aufnahme von Korrigenden bereitstehe. Noch im April kamen fünf Korrigendinnen an, während man den ersten männlichen Korrigenden erst Mitte Mai in die neuen Aufnahmebücher eintrug. Da sich im alten Frauenhaus der Anstalt das Geschlechtskrankenhospital befand, brachte man Korrigendinnen und Korrigenden in getrennten Stockwerken der alten Klosterbasilika unter. 30 Der Landeshauptmann schrieb im September 1946, Zweck der Landesarbeitsanstalt Breitenau sei, "die ihr zur Erziehung überwiesenen, in den meisten Fällen sozial abgeglittenen Personen, durch kon- sequente Anhaltung zur Arbeit wieder zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft zu machen". 31 Die neue Direktion war bestrebt, die Anstalt so schnell wie möglich wieder zu füllen. Im Mai 1946 forderte sie bei der Zentralverwaltung des immer noch bestehenden Justizgefangenenlagers Rodgau dreißig männliche und zehn weib- liche arbeitsfähige Korrigenden an. Direktor Engelbach fuhr persönlich nach Rodgau um zu erreichen, daß nur gesunde, arbeitsfähige Korrigenden mit handwerklichen Kenntnissen oder zumindest Landarbeiterfahrung überwiesen wurden.R Langsam aber stetig stieg die Zahl der Insassen der nach wie vor 27 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [BezirksverbandJ, Nr. 21; Hausordnung in Nr. 120, S. 51; Nr. 135, Bd. 2, S. 265. 28 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. 3, S. 376. 29 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. 3, S. 372. 30 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. I, S. 113; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400, S. 154; Nr. 9822; Nr. 10400, S. 175. 31 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [BezirksverbandJ, Nr. 115, Bd. 2; S. 220. 334 Langsam aber stetig stieg die Zahl der Insassen der nach wie vor Landesar- beitsanstalt und Laruiesfürsorgeheim genannten Anstalt. Neben Korrigenden und geschlechtskranken Frauen waren in den ersten Nachkriegsjahren auch heimatlose Jugendliche, Fürsorgezöglinge und ein Altersheim auf dem Anstaltsgelände untergebracht. Zum Jahresbeginn 1947 war die Anstalt mit 364 Insassen bereits wieder überfüllt. 33 Im Geschlechtskrankenhospital be- fanden sich 111 Frauen; Korrigenden und Korrigendinnen waren mit 94 Häft- lingen die zweitgrößte Insassengruppe. Außerdem befanden sich noch 83 Fürsorgezöglinge, 38 heimatlose Jugendliche und 42 Altersheimbewohner in der Anstalt. Nach altbewährtem Muster ging die Anstaltsleitung ab Sommer 1947 wieder dazu über, Kolonnen für Arbeiten außerhalb der Anstalt zusammenzustellen. Zu Arbeiten beim Wiederaufbau des Ständehauses in Kassel, dem Dienstsitz des Bezirksverbands, schickte man im Mai 1947 eine Kolonne Korrigendinnen. Einen Monat später stellte die Anstaltsleitung eine Außenkolonne zu landwirt- schaftlichen Arbeiten in der Domäne Alt-Wildungen. Auch bei der industriellen Produktion griff man wieder auf Firmen zurück, mit denen man bereits während des Nationalsozialismus Verträge abgeschlossen hatte. 34 Wie am Ende des Ersten Weltkriegs änderte sich auch am Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Trägerschaft der Einrichtung und der Rechtsgrundlage der Einweisungen nicht das geringste. Träger der Anstalt blieb der Bezirksverband, Rechtsgrundlage der Einweisungen von Korrigenden das 1934 in Kraft ge- tretene nationalsozialistische "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung". Am Jahresbeginn 1949 stellten die Korrigenden mit 200 von 334 Insassen der Gesamtanstalt bereits wieder die größte Insassengruppe. Breitenau war auf dem besten Weg, sich wieder als die alte Korrektionsanstalt zu etablieren. Die Sozialstruktur der Korrigendinnen und Korrigenden war allerdings völlig anders als in früheren Jahrzehnten. Die Landstreicher und Bettler alter Prä- gung, die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik die Anstalt haupt- sächlich bevölkerten, hatten ja nur im Ausnahmefall den Nationalsozialismus überlebt. Bis zur Auflösung der Arbeitsanstalt im Frühjahr 1949 lieferten die 32 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400, 17.5.46,23.5.46. 33 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9822. 34 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400, 16.5.47,9.8.47,23.6.47; Be- stand 1 [Bezirksverband], Nr. 150, S. 144 RS, S. 145. 335 Bis zur Auflösung der Arbeitsanstalt im Frühjahr 1949 lieferten die Gerichte insgesamt 673 Frauen und 103 Männer zur Arbeitshaushaft nach Breitenau ein. 35 Korri gendinnen Korrigenden 1946 179 21 1947 281 25 1948 195 46 1949 18 11 Von 1946 bis 1949 stellten die Korrigendinnen, die außer am Ende des Ersten Weltkriegs immer nur eine kleine Minderheit unter den Arbeitshaushäft- lingen gebildet hatten, 87 Prozent der Breitenauer Arbeitshaushäftlinge. Recht häufig handelte es sich dabei um junge Frauen, die mit Besatzungssoldaten zu- sammengelebt hatten. 36 Die deutsche Justiz versuchte mit dem alten Mittel der korrektionellen Nachhaft, diese spezielle Nachkriegserscheinung zu bekämpfen. Schon im September 1946 schrieb das an der Grenze zur sowjetischen Be- satzungszone liegende Amtsgericht Witzenhausen an die Breitenauer Anstalt: "Im Bezirk des hiesigen Amtsgerichts sind in letzter Zeit wiederholt Mädchen, besonders aus der russischen Zone, aufgetreten, die sich ein Jahr und länger ohne polizeiliche Anmeldung in den Grenzkreisen der amerikanischen Zone aufhalten, keiner geordneten Beschäftigung nachgehen, Unzucht treiben und sich von Männern, teilweise amerikanischen Soldaten unterhalten lassen. Um diesem Unwesen zu steuern und solche Mädchen, soweit erforderlich zur Ar- beit anzuhalten und an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, ist beabsichtigt, von der Unterbringung im Arbeitshaus im Rahmen der gesetz- lichen Bestimmungen vermehrt Gebrauch zu machen. "37 Mit den seit 1927 eingeschränkten Strafbestimmungen über Prostitution konnten diese Frauen nicht erfaßt werden. Solange keine Geschlechts- krankheiten nachgewiesen werden konnten, gab es keine gesetzliche Möglichkeit, sie zwangsweise festzuhalten. Die Richter bemühten nun unge- wöhnlich häufig die zuvor gegen Frauen fast nie angewandte Strafbestimmung wegen Landstreicherei, wobei im Einzelfall schon das illegale Passieren der 35 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9822, Nr. 10325. 36 Siehe insbesondere Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400. 37 Archiv des LWV-Hesscn, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400,27.9.46. 336 Grenzen der Besatzungszonen als "Landstreicherei' im Sinn von § 361 Nr. 3 StGB definiert wurde. 38 Mit dieser abstrusen Definition von Landstreicherei hätte man allerdings in den ersten Nachkriegsjahren hunderttausende Ausge- bombte, Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer und Vertriebene internieren können. Die in den Akten erhaltenen Gerichtsurteile beweisen, daß es im Grunde nicht um "Landstreicherei' ging, sondern um Bekämpfung der unangepaßten Lebens- weise dieser Frauen. Aus einem in dieser Beziehung typischen Amtsgerichtsur- teil gegen eine 1946 nach Breitenau eingewiesene Frau: "Die Angeklagte gehört zu den Mädchen, die sich zur Zeit unter Ausnutzung der Nachkriegsverhältnisse arbeitsscheu im Lande herumtreiben und von ge- werbsmäßiger Unzucht leben. Dieses Verhalten wiegt besonders schwer, weil sie nicht zu den heimatlosen Ostflüchtlingen gehört und nur aus Hang zu liederlichem Leben zur Dirne herabgesunken ist. Sie bildet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ... Sie hat jeden inneren Halt verloren. Eine Haftstrafe von 1 Monat war angemessen, um ihr mit aller Deutlichkeit klar zu machen, daß ein derartiges asoziales Verhalten in Zukunft nicht mehr geduldet wird. "39 Zusätzlich zu dieser mit "Landstreicberei' begründeten Haftstrafe sprach der Richter die Einweisung in die Landesarbeitsanstalt Breitenau aus. Das zitierte Urteil war kein Einzelfall. Ein Urteil des Amtsgerichts Homberg gegen eine 19jährige Frau zielte in dieselbe Richtung: "Die Angeklagte gab auch in der Hauptverhandlung zu, daß sie sich seit mehr als sechs Monaten un- angemeldet in Homberg herumtreibt, trotz wiederholter Aufforderung keine Arbeit aufgenommen hat und sich von fremden Männern ernähren läßt, denen sie sich wahllos geschlechtlich hingibt. Sie war daher gemäß § 361 Ziff 3 StGB zu bestrafen." Auch diese Frau erhielt wegen' Landstreicherei' sechs Wochen Haft mit anschließender Arbeitshausunterbringung.fv Die Arbeitshaushaft wurde hier im Kampf gegen die soziale Desintegration der deutschen Nachkriegsgesellschaft eingesetzt. 41 Die verurteilten jungen Frauen hatten ihre Sozialisation unter nationalsozialistischer Herrschaft bzw. im Zweiten Weltkrieg erlebt. Der Zusammenbruch zuvor gültiger Werte, die extreme materielle Not, Verlust von Angehörigen und Wohnraum zwangen diese Frauen zu einer Überlebensform, die Amtsrichtern und Fürsorgern als 38 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400,9.8.47. 39 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400,26.8.47, S. 3. 40 StAMarburg, Bestand 401, Ace. 1988/73, Nr. 73. 41 Vgl. hierzu Alan Kramer, "Law-abiding Germans'? Socia1 Disintegration, Crime and the Reimposition of Order in Post-war Western Germany, 1945-9, in: Richard 1. Evans (Ed.), 1988, S. 238-261. 337 Gipfel sexueller Verwahrlosung erschien. Die Ausdehnung der Arbeitshaushaft auf unangepaßt lebende junge Frauen hatte sich bereits in den Jahren 1943/44 mit der Einweisung von wegen Arbeitsvertragsbruchs verurteilten Frauen angekündigt. Unter der Hand und ohne die geringste Änderung der Rechtsgrundlage hatte sich die soziale Zusammensetzung der Insassen des Breitenauer Arbeitshauses grundlegend gewandelt. Aus einer Haftanstalt für Bettler und Landstreicher war ein Fraueninternierungslager ganz im Sinn des von der Fürsorge weiterhin gewünschten Bewahrungsgesetzes geworden. Schließung des Arbeitshauses Breitenau durch die Militärregierung Im Jahre 1948 inspizierten Beauftragte der Legal Division der amerika- nischen Militärregierung aus Marburg wiederholt Breitenau. Die Anstalt war zu diesem Zeitpunkt die einzige hessische Anstalt, in der Arbeitshaushaft voll- streckt wurde. Die Amerikaner waren über die Zustände im Breitenauer Arbeitshaus entsetzt und kritisierten insbesondere die seit 1934 mögliche Dauerunterbringung von wiederholt Eingewiesenen. Die Arbeitshausunter- bringung dauere zu lange und die Ermittlungen über die Führung der Insassen erfolge in viel zu großen Abständen. Der Anstaltsleitung warfen die Amerika- ner Untätigkeit vor, weil sich diese zu wenig für eine Entlassung der Insassen einsetze. Das gesamte Verfahren der Arbeitshausunterbringung bezeichneten die Beauftragten der Militärregierung als mittelalterlich. Es sei möglich, daß Personen für immer in einer Anstalt verschwänden, ohne daß jemand wüßte, wo sie geblieben seien. 42 Bei einer Inspektion im Oktober 1948 ließen sich zwei Angehörige der Militärverwaltung durch die Anstalt führen und sprachen auf dem Rundgang die Korrigendin Anne M. an. Ein Vermerk eines Anstaltsbediensteten gibt das Gespräch folgendermaßen wiederf-': Frage: "Wie lange sind Sie hier?" Antwort: "7 Monate. " Frage: "Warum sind Sie hier?" Antwort: "Wegen Grenzübertritt. " 42 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400, S. 75. 43 Aktenvermerk über diesen Besuch in Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400, S. 64. 338 Antwort: "Nichts." Einer der Amerikaner wandte sich an den begleitenden Anstaltsbeamten: "Sehen Sie, da wird ein Mensch unschuldig festgehalten. " Dem völlig verunsicherten Beamten fiel nichts Besseres ein, als zu erwidern: "Man kann ja nicht alles glauben, was die Mädchen sagen. " Der Amerikaner ließ nicht locker und befragte eine weitere Insassin: Frage: "Wie lange sind Sie hier?" Antwort: "13 Monate. " Frage: "Warum sind Sie hier?" Antwort: "Ich bin nur einmal mit einem amerikanischen Soldaten gegangen. " Frage: "Sonst haben Sie nichts gemacht?" Antwort: "Nein." Die US-Vertreter waren nun überzeugt, daß die meisten Insassen unschuldig in Breitenau festgehalten wurden und ließen sich auch nicht durch den hilflosen Hinweis des deutschen Beamten beeindrucken, daß in den Akten sich das alles ganz anders lese. Die Beauftragten der Legal Division der Militärregierung alarmierten den hessischen Justizminister und den hessischen Minister für Arbeit und Wohlfahrt in einem detaillierten Beschwerdeschreiben. Die Überprüfung der Un- terbringung seitens der Gerichte sei ungenügend, bei sorgfältiger Überprüfung müßte die Mehrzahl der Korrigenden entlassen werden. Man halte die Arbeits- hausinsassen nur deswegen so lange in Breitenau fest, um sie als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft zu nutzen. Außerdem wurde moniert, daß Fürsorgezög- linge in demselben Haus wie Korrigenden untergebracht waren. Eß- und Tages- räume seien nicht ausreichend vorhanden und die Freizeitgestaltung sei völlig ungenügend. 44 Aufgrund der Beschwerden der US-Legal Division führten die verantwort- lichen hessischen Ministerien ihrerseits Besichtigungen in Breitenau durch. Im Gegensatz zu den US-Behörden fand man die Breitenauer Anstalt im großen und ganzen in Ordnung. "In bezug auf die pädagogische Einflußnahme ist allerdings der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß etwas überalterte und wenig fortschrittliche Grundsätze und auch eine wenig lebendige und nicht sehr tatkräftige Erziehungshandhabung besteht. Es bleibt der Eindruck, daß man als einzige positiv erziehende Kraft die Zeit einschätzt, in der Meinung etwa, daß auch die schwierigsten Anstaltsinsassen schließlich - um einmal 44 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. I, S. 181. 339 wieder auf freien Fuß zu kommen - sich zusammennehmen und Mühe geben werden. "45 Der hessische Justizminister wies die Justizbehörden an, alle Fälle zu prüfen, in denen die Unterbringung länger als zwei Monate dauerte. Statt wie zuvor nur alle zwei Jahre, mußte nun alle zwei Monate ein Haftprüfungstermin vorgenommen werden. Bei über einjähriger Unterbringung wünschte der Minister Bericht. 46 Anstelle der zuvor üblichen stereotypen Standardformel ("Der Zweck der Unterbringung ist noch nicht erreicht") mußte die Breitenauer Anstaltsleitung nun ausführlichere, mehrere Sätze umfassende individuelle Führungsberichte für die einweisenden Gerichte schreiben. Um weiteren Kon- flikten mit der Militärregierung aus dem Weg zu gehen, entließen die Gerichte die meisten der über ein Jahr in Breitenau festgehaltenen Insassen. Wenige Wochen nach der oben geschilderten Inspektion der Anstalt durch Vertreter der amerikanischen Militärregierung erschien im November 1948 in der Kasseler Zeitung eine ganzseitige, offensichtlich lancierte, überaus kritische Reportage über Breitenau: "Es gibt keine unverschlossenen Türen in Breitenau. Wenn man zur Unterkunft der Frauen geht - sie wohnen in den ehemaligen Klosterräumen - dreht sich hart der Schlüssel im Schloß, ein riesiger Riegel wird aufgeschoben und gleich wieder vorgelegt. Kälte steht in der Dämmerung der langen Gänge. Kahl und schmucklos sind die Schlafräume. 28 Holzbetten stehen übereinander. Mit Strohsäcken und blau-weiß karierten Decken. Dumpfe, muffige Luft. Lastendes Zwielicht. Der Aspekt eines Gefängnis- ses. "47 Nie zuvor war in der Öffentlichkeit so kritisch über das Breitenauer Ar- beitshaus berichtet worden. Die Bevölkerung der Region sollte offensichtlich auf die Schließung des Arbeitshauses vorbereitet werden. Mitte Februar 1949 erhielten Kasseler Dienststellen und die völlig über- raschte Breitenauer Direktion Kenntnis von der beabsichtigten Aufhebung der Arbeitshäuser in der Amerikanischen Besatzungszone.P Das Gesetz Nr. 14 der Militärregierung des Amerikanischen Kontrollgebiets vom 1. Februar 1949 be- stimmte mit Wirkung vom 1. April 1949 die ersatzlose Streichung des 45 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. 1, S. 182. 46 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. 2, S. 170. 47 Karl Kraft, Es gibt keine unverschlossenen Türen in Breitenau, in: Kasseler Zeitung, 22.11.1948. 48 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 132, Bd. 2, S. 278; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9828, S. 11. 340 § 42 d StGB und des § 20 der Reichsfürsorgepflichtverordnung.s'' Damit war sowohl der strafrechtlichen wie auch der fürsorgerechtliehen Arbeitshausunter- bringung die Rechtsgrundlage entzogen. 74 Jahre nach seiner Gründung mußte das Arbeitshaus Breitenau geschlossen werden. In den letzten Märztagen entließ die Direktion nach und nach die Korri- gendinnen und Korrigenden. Am 31. März 1949 verließen die letzten Brei- tenauer Korrigenden, 25 Frauen und 15 Männer, die Anstalt. 50 Insgesamt sollen in der Amerikanischen Besatzungszone durch die Schließung der Ar- beitshäuser über zweitausend Personen freigekommen sein. 51 Das Arbeitshaus Breitenau wurde geschlossen. Die Anstalt Breitenau bestand jedoch weiter, denn das Gesetz der Militärregierung hatte nur die Zwangsein- weisung von Korrigenden und Fürsorgeempfängern verboten, die Trägerschaft und die Besitzverhältnisse der Anstalt jedoch nicht angetastet. In der Anstalt befand sich weiterhin das Geschlechtskrankenhospital und das Landesfürsorge- heim. Bereits am Tag der Schließung des Arbeitshauses meldete die Direktion, die Anstalt führe in Zukunft die Bezeichnung Landesfürsorgeheim Breitenau und diene der Unterbringung von Fürsorgepfleglingen.V Den weiteren Ar- beitsschwerpunkt sah man in der Unterbringung "gefährdeter" bzw. "asozialer" Frauen. Breitenau solle als Fürsorgeheim und als Bewahranstalt dienen. "Wenn später einmal ein Bewahrungsgesetz erlassen werden sollte, dann ist in dieser Beziehung schon eine gewisse Vorarbeit geleistet. "53 Im Oktober 1949 erhielt die Anstalt die Bezeichnung Landesfürsorgeheim Fuldatal, Guxhagen bei Kassel. 54 Über diese Namensänderung entbrannte schnell eine öffentliche Kontroverse. Die Gemeinde Guxhagen sprach sich gegen die Änderung aus. 55 Auch die Tageszeitung Kasseler Post kritisierte die Umbenennung. Die Begründung, "es ist in den letzten Jahren so viel Häß- liches, ja Unrecht in Breitenau geschehen, daß dieser Name verschwinden 49 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau), Nr. 10400, S. 26 mit Eingangsstempel vom 12.3.1949. 50 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10325; Nr. 9822. 51 Vgl. Reinhart Maurach, Arbeitshaus für Asoziale?, in: Die neue Polizei 5 (1951), S. 181. 52 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 132, Bd.2, S.257, S.280; Nr. 176, S. 109; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 10400,31.3 .49. 53 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 132, Bd.2; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9826, S. 426. 54 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 141, Bd. 2, S. 194; Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9826, S. 421. 55 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverband], Nr. 160, Bd. 2, S. 151. 341 muß", sei zu dürftig. Innerhalb des Bezirksverbands bemerkte man zu diesem Artikel, man habe nichts dagegen, die Anstalt in einigen Jahren, "wenn Gras über die Sache gewachsen ist", wieder nach ihrem historischen Namen zu benennen. 56 Jahrzehntelang war die Kasseler Bezirkskommunalverwaltung stolz auf den abschreckenden Namen Breitenau gewesen. Jetzt, nach den Verbrechen des Nationalsozialismus, wollte man lieber verdrängen und vergessen. Das Ende der Arbeitshausunterbringung 1967/74 Die Arbeitshäuser der französischen, der britischen und der sowjetischen Besatzungszone blieben nach dem Verbot der Arbeitshäuser der amerikanischen Zone unverändert bestehen. Erst das dritte Strafrechtsänderungsgesetz von 1953 schuf für die Bundesrepublik Deutschland wieder einen einheitlichen Rechtszustand. 57 Rechtsgrundlage blieb bis in Einzelheiten hinein der 1934 geschaffene § 42 d StGB. Die maximale Unterbringungszeit legte der Gesetzgeber auf zwei Jahre bei erstmaliger Unterbringung und, als einzige Änderung gegenüber der Rege- lung von 1934, auf vier Jahre bei wiederholter Unterbringung fest. Die von den US-Stellen bei der Schließung der Arbeitshäuser in der amerikanischen Zone kritisierte unbestimmte Unterbringungsdauer wurde abgeschafft. 58 Mit vier Jahren war die Höchstdauer der bundesrepublikanischen Arbeitshaus- unterbringung allerdings doppelt so lang wie die des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 und ein Jahr länger als die des preußischen Strafgesetzbuchs von 1851. Die Arbeitshauseinweisungen blieben in der Bundesrepublik Deutschland vergleichsweise unbedeutend. Von 1954 bis 1969 verurteilten die Richter insgesamt 8 351 Menschen zu Arbeitshaushaft, eine Größenordnung die im Kaiserreich hei geringerer Bevölkerungszahl Jahr für Jahr erreicht wurde. Die 56 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 1 [BezirksverbandJ, Nr.160, Bd. 1, S. 11; Bd.2, S. 153. 57 Vgl. Praktische Fragen der Arbeitsanstalten. in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 1950, S. 279 f; vgl. lohanna Jahn, 1966, S. 84; zur Entwicklung in der DDR siehe dort S. 85. 58 Vgl. Reinhart Maurach, 1951, S. 181. 342 Einweisungsziffern fielen kontinuierlich von 908 Personen im Jahre 1954 auf 233 Personen im Jahre 1968. 59 1961 fungierten nur noch Brauweiler und Benninghausen als selbständige Arbeitshäuser, ansonsten wurde die Arbeits- haushaft in besonderen Abteilungen der Strafgefängnisse vollstreckt. 60 Die alten Arbeitshäuser der Amerikanischen Besatzungzone - und mit ihnen Brei- tenau - blieben geschlossen; die hessische Justiz vollstreckte die Arbeitshaus- haft im Arbeitshaus Brauweiler bei Köln. 61 Im Jahre 1968 fungierte nur noch Brauweiler als selbständiges Arbeitshaus, vierzehn weitere 'Arbeitshäuser' waren in Sonderabteilungen von Justizvollzugsanstalten untergebracht. 62 Trotz der quantitativen Bedeutungslosigkeit der Arbeitshäuser wollte die Bundesregierung noch im Entwurf für ein Strafgesetzbuch von 1962 weiter an ihnen festhalten. Laut diesem Entwurf war sogar geplant, Arbeitshaushaft im Zusammenhang mit sämtlichen Delikten des Strafgesetzbuchs möglich zu machen, sofern die Tat "aus Arbeitsscheu oder aus Hang zu einem unsteten oder ungeordneten Leben" begangen wurde. 63 Mit dem Bundessozialhilfegesetz von 1961 wurde in der Bundesrepublik Deutschland die fürsorgerechtliche Arbeitshausunterbringung wieder gesetzlich etabliert. § 26 BSHG ermöglichte die Zwangsunterbringung von Sozial- hilfeempängern in geschlossenen Arbeitseinrichtungen, wenn die Betreffenden sich trotz wiederholter Aufforderung weigerten, zumutbare Arbeit zu leisten. Die Unterbringung war zeitlich nicht befristet, mußte jedoch, im Gegensatz zur Regelung in der Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924, von einem Richter angeordnet werden.64 59 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, 1960-1974. 60 Vg!. Helga Kleinkowski, Das Arbeitshaus in theoretischer und praktischer Sicht unter be- sonderer Berücksichtigung des Arbeitshauses in Nordrhein-Westfalen, Münster 1961, S. 22; vg!. Carla Fratzscher. 1961, S. 79-81; vg!. Wolfgang Eßig, Der Vollzug der mit Freiheits- entziehung verbundenen Maßregeln der Sicherung und Besserung gegenüber Antisozialen und Asozialen unter besonderer Berücksichtigung der Hamburger Verhältnisse, Diss. Harn- burg 1964, S. 68-104. 61 Ab 1966 wurde in Hessen die Arbeitshaushaft für Frauen in der Frauenstraf- und Untersuchungshaftanstalt Preungesheim vollstreckt, vgl. Lerke Gravenhorst, 1972. 62 Elke Büsing, Die Unterbringung im Arbeitshaus unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Niedersachsen, Diss. Göttingen 1968, S. 32; vg!. Gisela Müller, Psychische Störungen und Kriminalität. Psychopathologische und soziologische Probleme bei der Ein- weisung in ein Arbeitshaus - gleichzeitig ein Beitrag zur Strafrechtsreform, Diss. Aachen 1969, S. 67. 63 Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962, in: Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/650, S. 23; S. 212. 64 BGB!., Teil I, 1961, S. 819. 343 Zusätzlich zu dieser in ihren Grundzügen nicht neuen Arbeitshausunter- bringung von "arbeitsscheuen" Fürsorgeempfängern war im Bundessozial- hilfegesetz von 1961 die zwangsweise "Bewahrung" weitgehend verwirklicht. § 73 BSHG sah im Rahmen der 'Hilfe für Gefährdete' Zwangsunterbringung in einer "geeigneten Anstalt, in einem geeigneten Heim oder in einer geeigneten gleichartigen Einrichtung" vor. Sie sollte verhängt werden, "wenn 1. der Gefährdete besonders willensschwach oder in seinem Triebleben beson- ders hemmungslos ist, 2. der Gefährdete verwahrlost oder der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt ist und 3. die Hilfe nur in einer Anstalt, in einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung wirksam gewährt werden kann". 65 Unter Umgehung des Reizwortes 'Bewahrung' hatte damit der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge seine seit Jahrzehnten propagierten Bewahrungsvorstellungen endlich gesetzlich verankert. Die Kriterien waren weit genug gefaßt, um die Zwangsunterbringung den sozialpolitischen Er- fordernissen jeweils anpassen zu können. Doch bereits nach sechs Jahren mußte die Zwangsunterbringung von 'Gefährdeten' aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wieder aus dem Bundessozialhilfegesetz gestrichen werden. Auf Antrag der hessischen Landesregierung und des Hamburger Senats erklärte das höchste deutsche Gericht 1967 die gemäß § 73 Abs. 2 und Abs. 3 BSHG durchgeführte Zwangsunterbringung von "Gefährdeten" für verfassungswidrig. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit sei durch diese Regelung unverhältnismäßig eingeschränkt. Der Staat habe nicht die Aufgabe, seine Bürger zu bessern und habe deswegen auch nicht das Recht, ihnen die Freiheit zu entziehen, nur um sie zu bessern, solange sie sich nicht selbst oder andere gefährdeten.P'' Zähneknirschend mußte die öffentliche und private Für- sorge sechs Jahre nach Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes zur Kenntnis nehmen, daß der dort umgesetzte Bewahrungsgedanke mit den Grundrechten nicht vereinbar war. Mit dem Paukenschlag der Karlsruher Verfassungsrichter fand die jahrzehntelange Diskussion über ein Bewahrungsgesetz ihr unrühm- liches Ende. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezog sich explizit nur auf die Zwangsunterbringung von 'Gefährdeten' im Sinn von § 73 BSHG und ließ die fürsorgerechtliche Arbeitshausunterbringung nach § 26 Bundessozial- hilfegesetz und die strafrechtliche Arbeitshausunterbringung nach Paragraph 65 Ebenda, S. 827. 66 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 1967. S. 219 f; vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Zur Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen des JWG und des BSHG. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1967, Frankfurt 1967. 344 42 d StGB unerwäbnt.P? Doch mit der Feststellung, der Staat habe kein Recht, seine Bürger zu bessern, war inhaltlich auch das Todesurteil über die Arbeitshausunterbringung insgesamt gesprochen, die ja genau diese Besserung zum Ziel hatte. Der Gesetzgeber zog die Konsequenzen, und der Bundestag beschloß im Rahmen des 1. Gesetzes zur Reform des Strafrechts einstimmig mit Wirkung vom 1. September 1969 die Abschaffung der Arbeitshaushaft. Die lange Agonie der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung hatte ihr Ende ge- funden.68 1974 wurde schließlich der Paragraph 26 aus dem Bundessozialhilfe- gesetz gestrichen und damit auch die zwangsweise Arbeitshausunterbringung von •arbeitsscheuen" Sozialhilfeemptängern abgeschafft. 69 Bereits ein Jahr zuvor hatte die Große Strafrechtsreform die ersatzlose Strei- chung des Übertretungsparagraphen 361 StGB gebracht. Seitdem verbietet es das deutsche Strafgesetzbuch nicht mehr, unter Brücken zu schlafen und um Brot zu betteln. 67 Das OLG Hamburg sah in einem Urteil vom 24.1.1968 keinen Anlaß, das Urteil des BVG vom 18.7.1967 auch auf die strafrechtliche Arbeitshausunterbringung zu übertragen; vgl. Neue Juristische Wochenschrift 21 (1968), S. 1150 f. 68 BGBI., Teil I, 1969, S.649; Vgl. Hartmuth Horstkotte, Der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches nach dem I. September 1969, in: Neue Juristische Wochenschrift 22 (1969), S. 1606. 69 Drittes Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, BGBI., Teil I, 1974, S. 778. 345 Schluß Im Spannungs feld zwischen Fürsorge und Strafvollzug siegte in der deut- schen Arbeitshausunterbringung letztendlich der Strafvollzug. Als die Ar- beitshaushaft in den fünfziger und sechziger Jahren fast nur noch in Sonder- abteilungen von Strafanstalten vollstreckt wurde, war die korrekiionelle Nach- haft wieder in die Gefängnisse zurückgekehrt, nachdem die Arbeits- hausunterbringung bereits durch die "Maßregeln der Sicherung und Besserung" von 1934 Angelegenheit des Strafvollzugs geworden war. Die Versuche, die Arbeitshäuser in Bewahranstalten umzugestalten, waren vollständig gescheitert. Es gab im 20. Jahrhundert in Deutschland keine blei- bende inhaltliche Weiterentwicklung der Arbeitshäuser. Der öffentlichen und privaten Fürsorge gelang es allerdings, die Institution' Arbeitshaus' regelrecht auszutrocknen. Wichtige Insassengruppen wurden nach und nach aus der Ar- beitshausunterbringung herausgenommen. Bei Jugendlichen wurde die Arbeits- haushaft ab 1900 durch Fürsorgeerziehung ersetzt. Ebenfalls ab 1900 konnten Prostituierte anstelle der Arbeitshaushaft in geschlossene Fürsorgeanstalten eingewiesen werden. Durch das "Bielefelder System' konnten ab 1916 woh- nungslose Männer ersatzweise in stationären Einrichtungen der Wander- erfiirsorge untergebracht werden. Die Arbeitshausunterbringung blieb zwar bis Ende der sechziger Jahre bestehen, wurde aber quantitativ immer bedeutungs- loser. Zwischen 1874 und 1949 wurden etwa fünfundzwanzigtausend Menschen in die Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau eingeliefert. Zu Korrigenden und Landarmen, für die die Anstalt ursprünglich eingerichtet worden war, kamen "Arbeitsscheue und säumige Nährpflichtige", Fürsorgezöglinge und Strafgefangene. Während der NS-Zeit wurde die Anstalt zur Internierung von Schutzhäftlingen genutzt. Der Breitenauer Gebäudekomplex hat in seiner Geschichte fast sämtliche Formen totaler Institutionen angenommen. Breitenau war Kloster, Kriegs- gefangenenlager, Arbeitshaus, Fürsorgeheim, Gefängnis, Arbeitserziehungs- lager, Konzentrationslager, Krankenhaus und Fürsorgeerziehungsheim. Heute ist Breitenau psychiatrisches Krankenhaus. Immer befanden sich mehrere Insassengruppen gleichzeitig in der Anstalt. Breitenau war eine multifunktionale Anstalt, die für die jeweiligen ordnungs- politischen Notwendigkeiten bereitstand und sich problemlos anpassen konnte. Um Schutzhäftlinge in Breitenau einzukerkern, mußte man die Anstalt nicht 346 "mißbrauchen". Das Konzentrationslager Breitenau erweist sich als integraler Bestandteil der Geschichte einer Anstalt, die immer bereitstand, um Menschen zu internieren, denen aus verschiedensten Gründen die Freiheit entzogen werden sollte. Die Inhaftierung tausender Schutzhäftlinge war für die Breitenauer Verwaltung eine gewöhnliche Nutzung der Anstalt innerhalb des normalen Anstaltsbetriebs. Wie andere Behörden, die Insassen nach Breitenau einwiesen, erhielt die Gestapo ordentliche Ptlegegeldabrechnungen. Eine jahr- zehntelang eingeübte Internierungspraxis einer totalen Institution konnte bruch- los in den Dienst des nationalsozialistischen Terrorapparats eingefügt werden. Die Funktion der Anstalt erlebte jedoch einen grundlegenden Bruch. Aus einer gewöhnlichen Haftanstalt war Breitenau Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager geworden. Die Grundstruktur der Breitenauer Anstalt änderte sich zwischen 1874 und 1949 nicht. Auf bürokratischer Ebene behandelte das Personal die einge- wiesenen Personengruppen über Jahrzehnte hinaus fast gleich. Eine In- sassenakte von 1880 unterscheidet sich in ihrem inneren Aufbau und den er- faßten Daten kaum von einer Akte des Jahres 1949. Manche Aktenformulare benutzte das Breitenauer Anstaltsbüro über sieben Jahrzehnte fast unverändert. Den 1895 als Korrigenden eingelieferten alten Landstreicher trugen die Beam- ten in dasselbe dicke Aufnahmebuch ein wie ein halbes Jahrhundert später den zur Deportation nach Auschwitz vorgesehenen jungen polnischen Schutzhäft- ling von 1944. In Bezug auf Behandlung, Beschäftigung und bürokratische Verwaltung der Insassen zeigt sich in Breitenau eine über Jahrzehnte er- streckende Kontinuität. Hinsichtlich der Aufnahme der verschiedensten Häftlingsgruppen entwickelte die Breitenauer Anstalt eine erstaunliche Dynamik. Die Anstalt reagierte auf neue sozialpolitische Erfordernisse indem sie immer neue Häftlingsgruppen in eine sich nur langsam entwickelnde Anstalt aufnahm. Allerdings fielen die Ent- scheidungen über unterzubringende Personengruppen nicht in Breitenau, son- dern in der Kasseler Bezirkskommunalverwaltung weit außerhalb der Anstalt; die Breitenauer Direktion bezog man in die Entscheidungen allenfalls am Rande ein. Auch besaß die Breitenauer Direktion keinerlei Entscheidungsgewalt darüber, welche Personen tatsächlich nach Breitenau eingeliefert wurden. Trotz fast gleichgebliebenem Rechtszustand hinsichtlich der Einwei- sungsgründe war die strafrechtliche Arbeitshausunterbringung recht dynamisch in der Erfassung unterschiedlicher Personengruppen. Dies zeigt sich 347 insbesondere am erheblichen Anstieg des Frauenanteils im Verlauf bzw. im Anschluß der beiden Weltkriege. Fast zwölftausend Menschen erlebten Breitenau als Arbeitshaus zur Ver- büßung einer korrekiionellen Nachhaft. Die große Zeit des Breitenauer Ar- beitshauses lag im Kaiserreich mit insgesamt 9 173 Einlieferungen. Weder die Einweisungszahlen noch die tatsächlichen Hafttage der achtziger Jahre wurden später wieder erreicht. Die Einweisungsgründe der Korrigenden gestalteten sich im Kaiserreich recht homogen. Bei Männern lauteten die Einweisungsgründe fast ausschließlich Bettelei, Landstreicherei und Obdachlosigkeit, bei Frauen hauptsächlich Prostitution. Die Haftdauer der Korrigendinnen und Korrigenden ~ar im Kaiserreich vergleichsweise kurz. Die Höchststrafe von zwei Jahren mußten nur wenige Insassen verbüßen. Während der Weimarer Republik wiesen die Landespolizeibehörden 1001 Korrigenden und Korrigendinnen auf völlig unveränderter Rechtsgrundlage ein. Durch die seit 1900 mögliche Einweisung von Zuhältern änderte sich die so- ziale Zusammensetzung der männlichen Korrigenden allerdings erheblich. Für die Zuhälter waren seitens der Anstalt andere Repressionsmittel nötig als für Bettler und Landstreicher. Die Anstalt reagierte mit der Errichtung des Zellen- baus. Der Gefängnischarakter der Anstalt wurde dadurch verstärkt. In der Weimarer Republik erlebte die Anstalt - ausgelöst durch Kritik im Kasseler Kommunallandtag - eine Phase begrenzter Reformen mit der einzigen grundlegenden Revision der Hausordnungen in der Geschichte der Anstalt. "Im Namen des Deutschen Volkes" wiesen die Richter der NS-Zeit von 1933 bis Kriegsende 1 023 Korrigenden ein, ab 1934 im Rahmen der neu- geschaffenen "Maßregeln der Sicherung und Besserung". Vor allem in den Jah- ren 1934 bis 1938 erreichte die Zahl der in Breitenau inhaftierten Korrigenden wieder eine Größenordnung, wie sie die Anstalt zuletzt im Kaiserreich erlebt hatte. Als die nationalsozialistischen Machthaber ab 1938 im Rahmen einer be- absichtigten Endlösung der sozialen Frage mit der Vernichtung von "Asozialen" in den Konzentrationslagern begannen, geriet die strafrechtliche Arbeitshausunterbringung immer mehr ins Abseits, ohne jedoch völlig abge- schafft zu werden. Im Nationalsozialismus, insbesondere jedoch im Zweiten Weltkrieg, erhielt die Arbeitshaushaft in Breitenau eine neue Qualität. Aus be- fristeter Arbeitshausunterbringung im Kaiserreich und in der Weimarer Re- publik wurde im Nationalsozialismus tendenziell lebenslängliche Internierung, deren Zweck erst mit dem Tod der Korrigenden erreicht war. Innerhalb der Kontinuität der Breitenauer Anstalt ist hier ein tiefer Bruch zu verzeichnen. Trotz aller bürokratischen Kontinuität erfährt die Funktion der Arbeitshaushaft 348 im Nationalsozialismus eine grundlegende inhaltliche Veränderung. Aus zeitlich begrenzter Korrektion wurde Dauerverwahrung "asozialer Volksschäd- linge" . Der Versuch, "Gesunkene" zu retten, wurde ersetzt durch die Absicht, "den mittellosen Wanderer als überhaupt nicht existenzberechtigt völlig zu be- seitigen", wie Landesrat Wuenneling aus der Kasseler Bezirkskommunal- verwaltung schon 1934 schrieb. I Aus gesellschaftlichen Außenseitern waren vollständig ausgeschlossene, lebensunwerte "Ballastexistenzen I geworden. In der Geschichte der Breitenauer Anstalt erwiesen sich die durch das Ende des Zweiten Weltkriegs bedingten Veränderungen als wesentlich tiefgreifender als die Veränderungen am Ende des Ersten Weltkriegs. Am Beginn der Weima- rer Republik fand lediglich eine begrenzte Amnestie einiger Korrigendinnen und Korrigenden statt. Direktion und Personal blieben im Amt; Reglements und Hausordnungen weiterhin gültig. Im Gegensatz dazu wurde die Anstalt am Ende des Zweiten Weltkriegs von US-Truppen regelrecht befreit. Die Anstalt blieb zunächst beschlagnahmt und bezüglich ihres ursprünglichen Bestim- mungszwecks als Arbeitshaus und Fürsorgeheim monatelang ungenutzt. Die Direktion wurde ausgewechselt. Zwar blieb die Rechtsgrundlage der Ein- weisungen von Korrigendinnen und Korrigenden nach Wiedereröffnung zunächst unverändert; die Insassenstruktur sah jedoch völlig anders aus. Schließlich brachten die politischen Veränderungen infolge des Zu- sammenbruchs des Deutschen Reichs, wenn auch mit vierjähriger Ver- zögerung, die endgültige Schließung des Arbeitshauses durch die Amerika- nische Militärregierung. Breitenau dient heute als AußensteIle des Psychiatrischen Krankenhauses Merxhausen. Breitenau ist jetzt eine offene Anstalt. Vergitterte Fenster und ge- schlossene Tore gibt es nicht mehr. Der Stacheldraht, der noch in den fünfziger Jahren zu Zeiten des Mädchenerziehungsheims die Klostermauer krönte, ist verschwunden. Es wäre töricht, die heutige Anstalt in die Kontinuitätslinie der Korrektions- und Landarmenanstalt von 1874 bis 1949 zu stellen. Wuermeling, Wandererfiirsorge, in: Der Gemeindetag, 1934, Heft 3, S. 74 f. 349 Chronologie 1866 Annexion Kurhessens durch Preußen. 1867 Rückgabe des kurhessischen Staatsschatzes an den kommunalständischen Verband unter der Bedingung, eine Korrektions- und eine Landarmen- anstalt zu errichten. 1871 750 französische Kriegsgefangene auf dem Gelände des ehemali- gen Klosters Breitenau. 1872 Für 8000 Taler erwirbt der kommunal ständische Verband des Re- gierungsbezirks Kassel das ehemalige Kloster Breitenau. 1874 Am 1. Oktober Gründung der Corrections- und Landarmen-Anstalt zu Breitenau. 1875 Am 1. Oktober wird die Frauenabteilung eröffnet. 1877 Am 1. September wird das Landarmenhaus eröffnet. 1884 Bau der Fuldabrücke zwischen Breitenau und Guxhagen. 1899 Bau des Glockenturms auf der Basilika. 1900 Arbeitshaushaft auch für Zuhälter durch § 181a StGB ("Lex Heinze"), 1903 Erste Einweisung von Fürsorgezöglingen. 1912 Zellenbau fertiggestellt. 1913 Erste Einweisung von"Arbeitsscheuen und säumigen Nährpflichtigen" aufgrund des preußischen "Arbeitsscheuengesetzes" von 1912. Errich- tung einer Arbeitsanstalt. 1916 Vom 23.11. bis 26.2.1917 sechs russische Kriegsgefangene in den Ar- restzellen. 1919 Ende Januar Amnestie für fast alle Korrigenden. 1920 Die Strafanstalt Kassel-Wehlheiden richtet eine Außenstelle in Breitenau em. 1925 Neue Hausordnungen für die Korrektionsanstalt, die Arbeitsanstalt und das Landesfürsorgeheim. 1926 Am 1. April Aufhebung des Strafgefängnisses. 1927 Änderung der Bezeichnung in Landesarbeitsanstalt und Landesfür- sorgeheim Breitenau. Änderung des § 361 Nr. 6 StGB mit Wirkung vom 1. Oktober; danach kaum noch Einweisungen von Prostituierten. 1927 Erste Fürsorgerin eingestellt. 1931 Änderung der Bezeichnung in Landesarbeitsanstalt, Landespflegeanstalt und Altersheim. Zum Jahresende wird die letzte Fürsorgerin entlassen. 350 1932 Vom 7.11. bis 22.12. befand sich ein Arbeitsdienstlager in der Anstalt. 1933 Vom 16.6.33 bis 17.3.34 insgesamt 478 Schutzhaftgefangene. 1934 Durch § 42 d StGB neue Gesetzesgrundlage für die Arbeitshäuser im "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung", unbestimmte Haftdauer bei wiederholter Einweisung, künftig keine Zuhälter mehr im Arbeitshaus. Erneute Namensänderung in Landesarbeitsanstalt und Landesfür- sorgeheim Breitenau, 1938 Aktion" Arbeitsscheu Reich". Jüdische Schutzhaftgefangene. 1939 Im April Abtransport von Korrigenden ins Justizlager Rodgau. 1940 Arbeitserziehungslager und Konzentrationssammellager bis Kriegsende. 1942 Keine Entlassungen von Korrigenden mehr bei wiederholter Unter- bringung. 1943 Ab Juli Hilfsgefängnis. 1944 Kasseler Gestapo verlegt ihren Sitz nach Breitenau. Am 25. August wird das Hilfsgefängnis wieder geschlossen. 1945 Am 30. März erreichen US-Truppen die Anstalt, die meisten Häftlinge fliehen; danach Gefängnis der Alliierten; Unterbringung von Ausgebombten aus Kassel; Krankenhaus für geschlechtskranke Frauen. 1946 Im April Einlieferung der ersten Korrigendinnen nach Kriegsende. 1949 Am 31. März werden auf Anordnung der Militärregierung die Ar- beitshäuser der US-Zone geschlossen. Ende März verlassen die letzten Korrigenden das Arbeitshaus Breitenau. Das Landesfürsorgeheim bleibt bestehen. Am 17. Oktober Änderung des Namens in Landesfürsorgeheim Fulda- tal, Guxhagen bei Kassel. 1952 Ab März Landeserziehungsheim für weibliche Fürsorgezöglinge. 1973 Im Dezember Schließung des Landeserziehungsheims. 1974 Im Januar wird die Anstalt Außenstelle des Psychiatrischen Lan- deskrankenhauses Merxhausen. 1984 Eröffnung der Gedenkstätte Breitenau. 351 Quellen und Literatur A Ungedruckte Quellen Archiv der Gedenkstätte Breitenau: Interviews mit ehemaligen Gefangenen. Aufnahmebuch 1895-1945. Fotoarchiv Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen: Bezirksverband des Regierungsbezirks Kassel, Bestand 1, Nr. 21, Nr. 112, Nr. 113, Nr. 115, Nr. 117, Nr. 118, Nr. 119, Nr. 120, Nr. 121, Nr. 128, Nr. 132, Nr. 134, Nr. 135, Nr. 136, Nr. 139, Nr. 140, Nr. 141, Nr. 142, Nr. 143, Nr. 144, Nr. 150, Nr. 155, Nr. 160, Nr. 172, Nr. 246. Breitenau, Bestand 2, Nr. 1 bis Nr. 10420. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München: Innenministerium, MInn 71575, 71576. 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Schaubild 3 nach Angaben in Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, Nr. 63, Nr. 64, Nr. 147, Nr. 9794, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 128, S. 172 RS. Schaubild 4 nach Angaben der Aufnahmebücher, StA Marburg, Bestand 231. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8339. Karte erstellt nach den Angaben im Aufnahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel eingewiesenen männlichen Korrigenden, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 22. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9381. Foto aus Archiv der Gedenkstätte Breitenau. Karte erstellt nach den Angaben im Aufnahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel eingewiesenen männlichen Korrigenden, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 22. Schaubild 5 nach Angaben in Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 60, Nr. 63, Nr. 64, Nr. 147, Nr. 9794, Bestand 1 [Bezirksverband], Nr. 128, S. 172 RS. Karte erstellt nach den Angaben im Aufnahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel eingewiesenen Korrigendinnen, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 21. Karte erstellt nach den Angaben im Aufnahmebuch der aus dem Regierungsbezirk Kassel eingewiesenen Korrigendinnen, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 21. Schaubild 6 nach Aufnahmebuch Landarme Männer, StA Mar- burg, Bestand 231, Nr. 27. S.149 S. 150 S. 153 S. 154 S. 157 S.174 S. 183 S. 198 S. 200 S.202 S.212 S. 214 S.229 S.231 S.233 S.238-240 S. 268 S.270 S.273 S.289 S.296 S.299 S. 308 S.311 S. 316 Schaubild 7 "nach Aufnahmebuch Landarme Männer, StA Mar- burg, Bestand 231, Nr. 27. Karte erstellt nach den Angaben im Aufnahmebuch Landarme Männer, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 27. Schaubild 8 nach Aufnahmebuch Landarme Weiber, StA Mar- burg, Bestand 231, Nr. 28. Karte erstellt nach den Angaben im Aufnahmebuch Landarme Weiber, StA Marburg, Bestand 231, Nr. 28. Schaubild 9 nach Tabelle 1. Foto aus Archiv der Gedenkstätte Breitenau StA Marburg, Bestand 220, Nr. 478. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 4634. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7716. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7716. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8033. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8033. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 4634. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8469. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8026. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 4613. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9157. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7825. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7880. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 7917. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8073, Nr. 9293. Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 8359. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9526. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9040. Foto aus Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breitenau], Nr. 9110. 391 Tabelle 1 Einlieferungen in die Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau 1874-1949 Gesamt- Korrigen:len Land- urd Ort8a~ ArbcilBhäuolin&e Fünlorge- Strafge- Schuu- anstalt gesamt MärJn:;r Frauen gesamt MäImer Frauen gesamt Minne, Frauen zöglin&e r_ häl\lin&e Ig74 51 51 51 Ig75 ss ss 72 13 Ig76 126 126 108 Ig 1877 379 370 322 48 9 5 1878 444 432 374 58 12 10 2 1879 537 523 465 58 14 11 3 1880 558 538 464 74 20 17 3 1881 642 631 530 101 II 9 2 1882 S09 496 413 83 13 12 I 1883 597 587 494 93 10 6 4 1884 347 326 264 62 21 17 4 1885 264 238 200 38 26 18 8 1886 260 235 201 34 25 21 4 1887 193 178 155 23 15 12 3 1888 220 201 176 25 19 16 3 1889 196 185 159 26 11 7 1890 157 144 124 20 13 II 2 1891 165 142 119 23 23 15 8 1892 174 140 117 23 34 29 5 1893 186 160 143 17 26 20 6 1894 192 164 141 23 28 24 4 1895 158 130 103 27 28 22 6 1896 154 130 106 24 24 17 7 1897 166 144 108 36 22 20 2 1898 150 129 112 17 21 19 2 1899 99 79 72 7 20 18 2 1900 99 88 76 12 11 10 I 1901 126 117 101 16 9 8 I 1902 112 85 79 6 27 23 4 1903 126 94 78 16 18 16 2 14 1904 130 103 90 13 13 11 2 14 1905 96 75 66 9 21 17 4 0 1906 203 190 132 58 13 12 I 0 1907 163 150 122 28 13 I1 2 0 1908 212 195 155 40 17 16 I 0 1909 222 208 155 53 14 12 2 0 1910 211 193 148 45 18 14 4 3 1911 192 181 147 34 11 10 I 0 1912 182 160 138 22 22 21 1 0 1913 237 191 163 28 15 13 2 31 29 2 0 1914 248 171 153 18 23 19 53 42 11 1 1915 203 170 119 51 8 7 24 20 4 I 1916 158 128 71 57 13 10 13 I1 2 4 392 Geoamt- Korrigenden Land-und O"'onne ArbeitshäU8linge FÜtaorge- Strafge- Schutz- anstalt gesamt Männer Fnuen gesamt Männer Frauen gesamt Minner Frauen zöglins,e f_häftlinge 1917 108 76 33 43 19 16 3 7 4 3 6 1918 50 34 12 22 13 12 I 2 0 2 I 1919 36 25 8 17 3 1 2 0 0 0 8 1920 178 39 17 22 7 6 I 0 0 0 9 123 1921 348 62 30 32 6 6 0 8 5 3 0 273 1922 153 109 66 43 10 10 0 7 6 I 0 27 1923 273 85 54 31 14 13 I 2 2 0 5 167 1924 295 83 37 46 16 14 2 6 5 I 4 186 1925 273 142 83 59 18 16 2 10 7 3 5 98 1926 188 135 99 36 24 20 4 23 20 3 6 1927 149 123 106 17 8 8 0 13 9 4 5 1928 114 75 74 I 17 15 2 15 14 I 7 1929 73 41 41 0 8 8 0 9 6 3 15 1930 74 38 36 2 11 10 1 8 7 I 17 1931 62 20 20 0 31 29 2 8 7 1 3 1932 69 24 23 1 43 40 3 2 2 0 1933 674 125 121 4 34 28 6 4 3 I 511 1934 166 137 126 11 20 17 3 9 6 3 1935 221 161 153 8 41 26 17 18 7 11 1936 293 167 158 9 42 29 13 83 50 33 1937 340 164 ISS 9 71 44 27 105 70 35 1938 246 106 102 4 64 52 12 32 11 21 44 1939 273 50 47 3 41 35 6 58 30 18 124 1940 66S 48 45 3 36 27 10 529 433 96 52 1941 1167 22 22 0 55 25 30 997 654 343 76 1942 28 28 0 1943 1 1 1944 1945 1946 200 21 179 1947 306 25 281 1948 241 46 195 1949 39 11 18 Anm:rkung: "1" Wert mäglidl aber niebl feetgeetellt; "0" Wert "null"; ..... Wert nicht möglich; für die Jahre 1874, 187.5, 1876 QUS Archiv des LWV-He•sen, Bc:otand 2 [Breitenau], Nr.60; für die Jahre 1877 bis 1922 zU8ammengeotellt 0118 den Ergebnissen der Verwall_ in Bezug auf die Landannenpf1ege und da> Korrigendenweoen, in: Amtsblatt der (königlicb:m) Regie'Ulll: zu Kassel, in Verbind_ mit den JahresberiebteD in Archiv des LWV-He88Cn, Bestand2 [Breitenau], Nr. 64. Nr. 147. Nr. 9794; für die Jahre 1925 und 1928 aus Bericht des l...andeaausscnU89CI über die Ergebnisse der Verwaltung des Bezirbverbandes des Regierungsbezirks Kassel, in: Verbandlllll&Cn des Kommunallandtags für den Regie'Ulll:sbezirk Kassel; für 1928 Archiv des LWV-Hessen, Bestand 2 [Breiteeeu], Nr. 9782, S.203 RS. für 1937 aus Bericht über die Ergebnisse der Verwaltung des &zirbverb&rdes Hessen im Jahre 1937,0.0.,0.1.; Für 1941 Archiv des LWV-Hessen, Bestand I [Bezirksverbend], Nr. 132. S. 185; für 1942 aU8 Archiv des LWV- Hessen, Bc:otand 2 [B",ila>auJ. Nr. 132, S. 193; bis 1898 Kalenderjahr. ab dann Redmungsjahr, die Ziffem für 1898 beziehen sieb daher auf 15 Monate. [);e 1940 und 1941 eingewiesenen Häftlinge dea Arbeitserziehungslage.. wurden von der Verwalt_ unter der Rubrik • ArbeitshäU8linge' aufgeführt. Für die lahre 1946 bis 1949 liegen keine vollständigen Statistiken der Anstslt vor; die angegebenen Werte beruhen auf einer eigenen AU8zähl_ der Aufnahmcbücher. Archiv des LWV-Hesoen, Bc:otand2 [Breitenau], Nr. 9822 und Nr. 10325. 393 Tabelle 2 Verpflegungstage der Korrektions- und LandannenanstaIt Breitenau 1874-1949 Gesamt- KorrigClXlen Land-und 0 ....""" Arbeitshiuolinge Fünlof&C" S""fgc- SchuIz· ....talt gesamt Männcr Fraucngcsamt Männcr Frauen gesamt Männer F rallCD zöglinge f_ hiftlinge 1874 3.165 3.165 3.165 1875 17.535 17.535 16.511 1.024 1876 34.120 34.120 28.932 5.188 1877 76.291 75.517 64.182 11.335 774 422 352 1878 100.061 96.864 81.878 14.986 3.197 2.110 1.087 1879 111.898 107.314 89.466 17.848 4.584 3.328 1.256 1880 120.433 115.173 95.556 19.617 5.260 3.983 1.277 1881 154.629 146.525 115.8'JlJ 30.655 8.104 6.974 1.130 1882 129.224 121.824 91.814 30.010 7.400 6.380 1.Q20 1883 134.923 128.979 96.187 32.792 5.944 4.846 1.098 1884 95.710 89.977 67.243 22.734 5.733 4.254 1.479 1885 89.975 82.373 60.386 21.987 7.602 4.948 2.654 1886 104.485 96.096 75.293 20.803 8.389 5.733 2.656 1887 90.543 83.'JlJ3 66.681 17.022 6.840 4.873 1.967 1888 91.355 84.829 72.798 12.031 6.526 4.998 1.528 1889 91.651 83.863 69.699 14.164 7.788 5.740 2.048 1890 75.079 67.361 55.621 11.740 7.718 5.377 2.341 1891 66.299 58.433 47.879 10.554 7.866 5.902 1.964 1892 65.894 57.233 45.124 12.109 8.661 7.218 1.443 1893 66.520 56.949 48.058 8.891 9.571 8.181 1.390 1894 74.737 65.006 55.581 9.425 9.731 8.680 1.051 1895 72.090 62.007 49.979 12.02810.083 8.868 1.215 1896 64.666 53.390 41.46S 11.92511.276 9.340 1.936 1897 64.194 53.055 39.526 13.52911.139 9.390 1.749 1898 71.845 58.085 44.459 13.62613.760 11.572 2.188 1899 44.736 34.336 28.493 5.84310.400 8.683 1.717 1900 38.506 27.801 24.108 3.69310.'JlJ5 9.074 1.631 1901 48.454 39.090 34.2'JlJ 4.820 9.364 8.229 1.135 1902 53.040 41.411 36.566 4.84511.629 10.055 1.574 1903 44.763 33.072 29.601 3.47110.295 8.461 1.834 1396 1904 48.074 37.522 30.578 6.944 9.158 7.914 1.244 1367 1905 45.127 34.722 28.6'JlJ 6.05210.405 8.820 1.585 0 1906 55.652 44.829 32.235 12.59410.823 9.382 1.441 0 1907 59.072 50.876 39.136 11.740 8.196 7.032 1.164 0 1908 65.006 56.234 43.726 12.508 8.772 8.167 605 0 1909 74.051 66.405 47.198 19.207 7.646 7.455 191 0 1910 64.775 56.137 40.139 15.998 8.286 7.780 506 352 1911 62.292 55.243 42.903 12.340 7.049 6.651 398 0 1912 66.617 58.833 47.956 10.877 7.784 7.357 427 0 1913 64.755 55.243 45.827 9.416 7.267 6.442 825 2.245 2.167 78 0 1914 72.663 51.202 43.439 7.763 8.169 7.653 516 13.047 10.472 2.575 245 1915 67.721 52.889 41.906 10.983 7.112 6.721 391 7.456 5.394 2.062 264 1916 65.069 53.246 34.286 18.960 6.'JlJ5 5.760 945 3.981 3.404 577 534 603 394 Gesamt- Konigcn:lcn Land· urd Ortsanno Arbcitahä ... 1inge Fiiroorge- Strafge- Schutz- ....talt gesamt Minner Frauenpaml Männer Frauen pamt Männcr Frauen zöglinge f_ häftlinge 1917 48.016 37.154 Ig.660 Ig.494 6.733 6.089 644 2.330 I.3IlO 950 1.799 16 1919 27.911 20.641 s.res 12.476 5.5/0 5.373 196 1.73 341 732 628 1919 8.194 3.572 1.069 2.503 3.367 3.363 4 99 0 99 1.156 1m 29.595 12.559 5.136 7.423 3.892 3.297 995 0 0 0 2.425 10.719 1921 65.006 15.1/0 7.303 7.867 4.327 4.030 297 1458 871 587 110 43.941 1922 46.057 27.016 15.362 11.654 5.125 5.125 0 1718 1438 280 0 12.198 1923 51.386 27.300 17.181 10.119 6.159 5.889 269 888 844 44 754 16.285 1924 67.833 23.092 13.540 9.552 5.769 5.272 492 1.072 735 337 982 36.918 1925 68.989 31.323 17.788 13.535 5.629 5.146 483 1.877 1.477 455 799 29.370 1926 47.517 34.868 23.193 11.675 7.087 6.560 527 4.791 3.9"'..5 866 711 1927 48.839 37.723 31.760 5.963 7.632 7.586 46 2.926 2.127 799 558 1928 34.873 23.320 22.958 362 7.703 7.703 0 1.864 1.774 90 1.986 1929 27.773 14.795 14.795 o 7.085 7.085 0 2.534 2.161 373 3.359 1930 27.866 12.898 12.554 344 7.852 7.712 140 1.216 872 344 5.900 1931 24.132 8.757 8.563 19412.059 11.421 638 1.31lO 1.345 35 1.936 1932 27.281 9.199 9.052 14717.624 16.607 1.017 458 458 0 1933 68.714 21.789 21.369 42019.342 18.091 1.251 503 354 149 27.080 1934 56.061 37.129 35.174 1.95518.770 17.756 1.014 662 419 243 1935 78.673 58.419 53.633 4.78617.649 15.852 1.797 2.602 905 1.697 1936 111.066 74.793 72.214 2.57919.527 16.4n 3.050 11.745 4.186 7.559 1937 144.907 94.426 90.079 4.34724.866 17.891 6.975 25.615 13.608 17.007 1938 152.152 104.146 99.885 4.26127.823 25.508 2.315 11.213 4.806 6.407 8.970 1939 134.987 69.581 66.873 2.708 27.696 25.147 2.549 18.630 11.464 7.166 19.080 1940 131.590 54.765 54.957 70828.142 24.135 4.007 34.326 25.886 8.440 14.361 1941 148.879 44.683 44.410 36529.249 23.344 5.905 61.519 43. 1llO 18.339 13.428 1942 44.105 43.803 302 1943 1944 1945 27.764 1946 117.4n 1947 115.635 1948 79.444 1949 21.002 Anmcrlcun&: "7" Wert möglich eber nicbl feslplellt; "0" Wen "null"; "-" Wert nicbl möglich; für du Jahr 1874 .... Archiv dea LWV-Iboen, Bestand 2 [BreilcnauJ. Nr. 60. S. 6; für die Jahre1875 bis 1922 zusammongeslent .... den Ergebniuc:n der Verwaltung in Bezug auf die Landarmenpflege urd du Korrigendenweoen, in: Amtsblau der (königlicben) Regierung zu Ku",I. in Verbindung mit den Jabreabericblcn in Archiv dea LWV-Hca",n, Bestard 2 [Breitenau], Nr. 64, Nr. 147, Nr. 9794; für die JahreJahre1925 urd 1928 aus Bericbl des l..andceausachuslCl über die Ergebnisse der Verwaltung dc8 Bezirbverbrandce dc8 Regicrungsbe;r;irb KB8/JlCl. in: Verhandlungen dea Kommuna1landtags /Ur den Regierungsbezirk K..",I; für 1928 Archiv dea LWV-Heasen, Bestand 2 [Breitenau], Nr.9782, S. 2n3 RS; /Ur 1937 Archiv dea LWV-Hcaoen, Bestand 1 [Bezirbverbam], Nr. 128, S. 98 RS; /Ur 1941 Archiv dea LWV· Iboen, Bestand 1 [Bezirbverband], Nr. 132, S. 184; für 1942 .... Archiv dea LWV-Hcaocn, Bestand 2 [Brettenau], Ne. 132, S. 194; bio 1898 K.ießlcrjaJu-••b dann IlechnunpjaJu-, die Ziffern für 1898 beziehen .ich daher auf 15 Monole. Die: 1940 urd 1941 eingewic:ocncn Hifllinge dea Arbeitocrziehungslagers wurden von der Verw.ltung unter der Rubrik"Arbeitahä ... linge" .ufgeführt. V"" 1943 bio 1949 konnlcn die Verpflegungstage nur /Urdie Gesamtanstalt festse.lent werden, Archiv dea LWV-Heasen, Bestand 2 (Breilcnau], Nr. 9817. 395 Tabelle 3 Hafttage der Korrigenden und Korrigendinnen Preußen und Breitenau Preußische Arbeitshäuser Breitenau gesamt Männer Frauen gesamt Männer Frauen 1895 3.956.232 3.444.621 51 1.6 II 62.007 49.979 12.028 1896 3.619.939 3.125.933 494.006 53.390 41.465 11.925 1897 3.340.401 2.867.235 473.166 53.055 39.526 13.529 1898 3.206.628 2.768.393 438.235 58.085 44.459 13.626 1899 3.061.993 2.648.266 413.727 34.366 28.493 5.843 1900 2.990.532 2.577.565 412.967 27.801 24.108 3.693 1901 3.151.474 2.720.434 431.040 39.090 34.270 4.820 1902 3.573.472 3.151.308 422.164 41.411 36.566 4.845 1903 3.618.850 3.225.613 393.237 33.072 29.601 3.471 1904 3.553.950 3.151.418 402.532 37.552 30.578 6.944 1905 3.480.024 3.124.968 355.956 34.722 28.670 6.052 1906 3.153.933 2.823.890 330.043 44.829 32.235 12.594 1907 2.754.608 2.480.142 274.466 50.876 39.136 11.740 1908 2.945.107 2.674.197 270.910 56.234 43.726 12.508 1909 3.150.360 2.871.807 278.553 66.405 47.198 19.207 1910 2.991.905 2.710.111 281.794 56.137 40.139 15.998 1911 2.769.941 2.502.991 266.950 55.243 42.903 12.340 1912 2.674.489 2.408.218 266.271 58.833 47.956 10.877 1913 2.666.521 2.392.810 273.711 55.243 45.827 9.416 1914 2.565.581 2.276.280 289.301 51.202 43.439 7.763 1915 2.060.554 1.652.354 408.200 52.889 41.906 10.983 aus: Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innem gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse und der Korrigenden, 1895-1915. 396 Tabelle 4 Einlieferungen von Korrigenden und Korrigendinnen Preußen und Breitenau Preußen Breitenau gesamt Männer Frauen gesamt Männer Frauen 1895 10.667 9.052 1.61 130 103 27 1896 9.306 7.810 1.496 130 106 24 1897 8.604 7.201 1.403 144 108 36 1898 8.103 6.864 1.239 129 112 17 1899 7.991 6.713 1.278 79 72 7 1900 8.020 6.722 1.298 88 76 12 1901 9.332 7.987 1.345 117 101 16 1902 10.052 8.833 1.219 85 79 6 1903 10.363 9.218 1.145 94 78 16 1904 9.694 8.608 1.086 103 90 13 1905 9.214 8.155 1.059 75 66 9 1906 7.901 6.938 963 190 132 58 1907 7.447 6.716 731 150 122 28 1908 8.564 7.666 898 195 155 40 1909 8.495 7.607 888 208 155 53 1910 7.782 6.931 851 193 158 45 1911 6.982 6.191 791 181 148 33 1912 6.883 5.978 905 160 138 22 1913 7.388 6.506 882 191 163 28 1914 6.483 5.373 1.110 171 153 18 1915 4.864 3.338 1.526 170 119 51 aus: Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums des Innern gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse und der Korrigenden, 1895-1915. 397 Tabelle 5 Einlieferungsgründe Preußen Männliche Korrigenden § 361,3 § 361,4 §361,3u4 § 361,5 § 361,7 § 361,8 § 181. Landstreicbon IIcIrcln Landstreicbon Müli""", AtbcilUt Arbcil8lK:hou Obdachlooigl