Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.) Handbuch Medienerziehung im Kindergarten Teil 2: Praktische Handreichungen Konzeption und Redaktion: Christine Feil UlfLehnig H. Gerhard Beisenherz Maria Furtner-Kallmünzer Leske + Budrich, Opladen 1995 Das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) ist ein zentrales sozialwissenschaftliches Forschungs- institut auf Bundesebene mit den Abteilungen Jugendhilfe, Jugend und Arbeit, Jugend und Politik, Mädchen- und Frauenforschung, Familie/Familienpolitik, Kinder und Kinderbe- treuung, Medien und Kultur sowie Sozialberichterstattung und Methodik. Es führt sowohl ei- gene Forschungsvorhaben als auch Auftragsforschungsprojekte durch. Die Finanzierung er- folgt überwiegend aus Mitteln des Bundesministeriums für Frauen und Jugend und im Rah- men von Projektförderung aus Mitteln der Bundesministerien für Familie und Senioren sowie für Bildung und Wissenschaft. Weitere Zuwendungen erhält das DJI von den Bundesländern und Institutionen der Wissenschaftsförderung. Das vorliegende Handbuch entstand im Projekt "Medienerziehung im Kindergarten" und wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) gefördert. Die Beiträge liegen in der Verantwortung der Autoren. Redaktionelle Mitarbeit: Alfred Konitzer Layout und Illustration: Christof Gießler Texterfassung : Nelly de Leiris Beratende Mitglieder im Projektbeirat: Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Dr. Barbara Eschenauer, Prof. Dr. Dieter Höltershinken, Paul Löhr, Dr. Gisela Meyer, Inge Reiner, Dr. Hans-Gerd Schmidt, Monika Simon. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Handbuch Medienerziehung im Kindergarten / Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Red.: Christine Feil ... - Opladen: Leske und Budrich. NE: Feil, Christine [Red.]; Deutsches Jugendinstitut Teil 2. Praktische Handreichungen. - 1995 ISBN 3-8100-1257-2 © 1995 by Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der en- gen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfiiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver- arbeitung in elektronischen Systemen. Satz und Umbruch: Leske + Budrich Druck und Verarbeitung: Presse-Druck, Augsburg Printed in Germany Stefan Aufenanger / Ben Bachmair / Sabine Eder / Jürgen Zipf "Die Dinos kommen" - Ein Elternabend zur Femseherziehung 1. Gelegenheit zum gemeinsamen Nachdenken Elternabende in Kindergärten sind meist gut besucht. Eltern setzen sich intensiv mit all den dort angebotenen Themen auseinander, vorausgesetzt, diese beziehen sich konkret auf den Alltag ihrer Kinder. Sie tun dies auf- grund ihrer erzieherischen Einstellungen, insbesondere wenn sie sich um eine kind- orientierte Erziehung bemühen und sich we- nig auf traditionelle Erziehungsregeln ver- lassen. Diese große Gruppe von Eltern will in der Erziehung nichts falsch machen und Anregungen bekommen, um die eigenen Kinder richtig verstehen und fordern zu kön- nen. Unsicherheit ist deshalb das wesentli- che Motiv, um eine Veranstaltung im Kinder- garten zu besuchen. Die Unsicherheit, die Eltern insbeson- dere gegenüber dem Fernsehen haben, macht sie offen für eindeutige, oft auch schlicht falsche Erklärungen, wie z.B. die, Fernsehen mache Kinder süchtig, aggressiv, zappelig u.a.m. Ratgeberliteratur vom Typ Mary WINNS "Droge im Wohnzimmer" ist deshalb beliebt. Die dort vorgestellten einfa- chen Theorien über die Schädlichkeit von Fernsehen, Video, Gewaltdarstellungen usw. haben zwei wesentliche, die Medienerzie- hung behindernde Konsequenzen: - Die Eltern brauchen sich nicht mit der tat- sächlichen Rolle des Fernsehens bzw. an- derer Medien sowohl in ihrer Familie als auch bei der Erziehung zu beschäftigen. Eine ganzheitliche Betrachtung der Rolle von Medien im Alltagsleben und in der Lebensgestaltung unterbleibt. - Medienerziehung reduziert sich darauf zu verhindern, daß die Kinder beispiels- weise zu viele, brutale oder pornographi- sche Filme sehen. Ein Elternabend zur Fernseherziehung 401 Aus einer ganzheitlichen Betrachtung erge- ben sich dagegen folgende Zielsetzungen zur Medienerziehung durch Eltern: - Eltern sollen sich durch eigene Beobach- tungen eine Meinung darüber bilden, wie die Kinder mit ihren Medienerlebnissen umgehen. Es empfiehlt sich, Eltern für die "Medienspuren" im Leben ihrer Kin- der zu sensibilisieren. - Kinder sollen als aktive und gestaltende Mediennutzer entdeckt werden. Durch eine positive pädagogische Sichtweise ge- lingt es Eltern eher, ihre Kinder zu unter- stützen, aktiv gestaltend und kreativ mit Medien und den Bilderwelten der Mas- senkommunikation umzugehen. - Eltern und Erzieherinnen sollen in der Lage sein, das Programm- bzw. Medien- angebot in seiner Funktion und Bedeutung für die Kinder zu beurteilen. Typische Genres, Serien, Geschichten und Figuren sollen deshalb in den jeweiligen Lebenszu- sammenhang und Entwicklungsstand der Kinder eingeordnet werden können. - Eltern sollen sich eine realistische Mei- nung zur Rolle der Medien in ihrer eige- nen Familie bilden und damit auch Ab- stand zu den Gefährdungstheorien der medienpädagogischen Ratgeberliteratur gewinnen können. Realistische Gelassen- heit ist hier das wesentliche Ziel. Damit Medien als Teil der Alltagswelt der Kinder akzeptiert werden, nach positiven Erziehungsmöglichkeiten gesucht wird und sich Eltern mit einer unterstützenden Me- dienerziehung anfreunden können, sind Hil- fen notwendig. Medienpädagogische Hilfe- stellung bietet Z.B. BLICKWECHSEL e.v. an, eine Einrichtung, die seit Anfang der 90er Jahre in Göttingen arbeitet. Tip: Infonnationen über die Arbeit von BLiCKWECH. SEL e.v., Verein zur Förderung der Medienpädago- gik und Kommunikationskultur, können über die Universität Göttingen, Fachbereich Erziehungswis- senschaften, Waldweg 26, 'J7('fJ3 Göttingen, bezogen werden. Im folgenden wird an einem Beispiel gezeigt, wie zwei Referentinnen des Vereins BLICK· WECHSEL den Elternabend für einen Kinder- garten geplant und durchgeführt haben. Der Ablauf wird so dargestellt, daß Erzieherin- nen, die selbst einen Elternabend durchfüh- ren wollen, das Konzept - angepaßt auf die Verhältnisse in ihrem Kindergarten - über- nehmen können oder zumindest Anregungen dafür erhalten, was zu beachten ist, falls eine Person "von außen" auf dem Elternabend re- feriert. 2. Vorbereitung eines Elternabends mit Referenten Erster Kontakt mit dem Kindergarten: Die Kindergartenleiterin hatte durch ein Infor- mationspapier von dem Elternabendangebot erfahren; nach einer ersten telefonischen An- frage erfolgte die Vereinbarung eines Pla- nungsgespräches. Im Vorgespräch wurden die Fragestellungen der Erzieherinnen ge- klärt. Meist wünschen Erzieherinnen sich einen Elternabend zum Thema "Wie Kinder Fernsehen erleben und verarbeiten"; "Wrr- kungen von Medien auf Kinder"; "Wie gehe ich mit Medien richtig um?" Auch bei die- sem geplanten Elternabend war dies so. Die Fragen und jene weiteren, die Erzieherinnen von Eltern :vermuten, sind der Ausgangs- punkt der inhaltlichen Planung. Wichtig ist auch, sich gleich zu Beginn über die Koope- rationsform zu verständigen, wobei aller- 402 Stefan Aufenanger / Ben Bachmair / Sabine Eder / Jürgen Zipf Allgemeine Ziele der Medienerziehung Kinder stehen wie alle anderen Menschen in der Gefahr, von Medien um wichtige Anteile ihrer Le- bensmöglichkeiten gebracht zu werden. Deshalb soll Medienerziehung Kinder unterstützen, gegen- über den Medien zu einem gestaltenden und subjek- tiven Verhältnis zu kommen. Dabei ist insbesondere die Frage wichtig, ob und wie es Kindern gelingt, in einer medialen Welt ihre subjektiven Themen zu le- ben und zu· gestalten, oder ob sie nur noch als Ab- nehmer auf Medien reagieren. Entwi"en: Kinder wachsen in einem Netz von Me- dien und Konsum auf, das es ihnen schwer macht, ihre eigenen Themen zu spüren und zu leben. In un- serer Kultur dominieren zwei gegenläufige Le- bensthemen: abgrenzende Eigenständigkeit und Verschmelzung, die Grenzen aufhebt. Auch Kinder werden sich ihrer Eigenständigkeit sicher, indem sie sich vergleichend von anderen abgrenzen: Wie groß, schön, böse, häßlich, klein, grausam bin ich? Zudem geht es ihnen auch darum, geborgen zu sein und zu anderen Menschen zu gehören: behütet, be- schützt, getragen, genährt zu werden. Kinder brau- chen Unterstützung, um ihre eigenen und aktuellen Themen nicht vorrangig vor dem Bildschirm zu le- ben. Medienerziehung soll also Distanz zur Über- fülle der Medienangebote und deren Themen för- dern. Integrieren: Weil Medien und Konsum alltäglich sind, sollen sich Kinder auch ihrer Medienerleb- nisse und Medienbilder im Alltagsleben bedienen, denn sie sind wichtige Teile ihrer Erfahrungen und Sprache. Deshalb müssen sie als integrierter Teil des Alltagslebens in der Erziehung ernstgenommen und zugelassen werden. Ein wichtiges Kriterium ist, ob es Kindern gelingt, mit den Figuren und Ge- schichten des Fernsehens ihre eigenen Themen aus- zudrücken. Dazu brauchen sie vielfiiltige Angebote, die ihnen helfen, ihre Themen, Erfahrungen und Phantasie anderen mitzuteilen und die Mitteilungen der anderen ernstzunehmen und zu verstehen. Da- bei machen Kinder aus dem fremden Medienmate- rial eigene Ausdrucks- und Gestaltungsmittel für ihre eigenen Themen. WJrbeugen: Kinder, die selbstsicher und erfahren im Alltag mit ihren Themen leben, sind sozusagen im- mun gegen die Brutalität und den Irrsinn in den Me- dien. Um so weit zu kommen, brauchen Kinder viel ermutigende Hilfe, um mitzuteilen, was sie bewegt. Sie brauchen. also Unterstützung, um ihre Themen und auch ihre Ängste mit ihren altersangemessenen Bildern und Phantasien symbolisch darzustellen. In- dem Kinder etwas von sich und dem, was sie beschäf- tigt, mitteilen, bearbeiten sie beides zugleich. Sie tun dies selbstverständlich auch mit überzogenen oder primitiven Darstellungen, etwa mit der reduzierten Barbie, mit Mord und Totschlag beim A-Team oder mit Science-fiction-Monstern. Immer dann, wenn Kinder ihre persönlichen handlungsleitenden The- men auf ihre Weise symbolisch darstellen oder aus- agieren, kommen sie in ihrer Entwicklung auch ein Stück weiter. Dann bleibt das zugrundeliegende Thema nicht dem Medienmarkt vorbehalten. Kinder brauchen dazu verständige erwachsene Zuhörer und Beobachter, die z.B. hinter der äußeren Fassade ag- gressiver Spiele die Ängste, Probleme und Wünsche der Kinder entdecken. Kompensieren: Selbstverständlich geht mit dem Fernsehen in unserer Kultur viel verloren. Es ist Auf- gabe der Erwachsenen, Kindern so viel wie möglich von dem anzubieten, was gerade verschwindet. Das reicht von den langsam und sorgfiiltig erzählten Ge- schichten über Filme ohne brutale und sinnlose Ge- walt bis zu Büchern. Zudem brauchen Kinder die po- sitive Erfahrung, selber etwas zu tun, statt nur tun zu lassen und passiv zu konsumieren. Dazu gehört auch das Vergnügen, etwas zu erarbeiten, statt schnell zu kaufen. Wesentlicher Teil der Medienerziehung ist zudem, alle Sinne der Kinder zu fördern, nicht nur Auge und Ohr. Wichtig ist ebenso, das Leben der Kinder nicht noch mehr zu kanalisieren und zu orga- nisieren, ihnen vielmehr Freiräume zu gewähren, da- mit Spannung und Aufregung nicht allein auf dem Bildschirm geschehen. Ein Elternabend zur Fernseherziehung 403 dings betont werden muß, daß es Aufgabe des Referenten ist, die Erzieherinnen bei der Vorbereitung und Durchführung des Eltern- abends so weit wie möglich zu entlasten. Darüber hinaus sollte man die Erzieherinnen über die eigene Arbeitsweise informieren, beispielsweise sind Partnerinterviews, Asso- ziationsspiele, Rollenspiele u.ä. wesentlich wichtiger als Kurzreferate. Am Ende des Vorgesprächs wurden Thema und Methoden vereinbart und die organisatorischen Fragen geklärt. Für diesen Elternabend legten die Kindergartenleiterin und die Mitarbeiterin- nen des BLICKWECHSEL e.Y. folgendes Vorge- hen fest: Thema: Da für die Kinder das Thema Dino- saurier aktuell und wichtig war, wurde als Titel des Elternabends zur Fernseherziehung "Die Dinos kommen" gewählt. Methoden: Für das Gelingen eines Eltern- abends ist eine offene Gesprächsathmo- sphäre wichtig, die z.B. durch ein kurzes Rollenspiel erreicht werden kann. Das ge- meinsame Ansehen aktueller Fernsehsen- dungen eignet sich ebenfalls als Einstieg in die Diskussion über die Verarbeitung von Fernseherlebnissen und die Wirkungen von Medien. Filmbeispiele können auch vorher gemeinsam mit den Kindern im Kindergar- ten angesehen werden, um deren Wahrneh- mungs- und Sichtweisen mit jenen der Eltern zu kontrastieren; die Erzieherinnen können dann - ggf. mit Unterstützung durch den Referenten - auf dem Elternabend darüber berichten. Im beschriebenen Fall hatten die Referentinnen mit den Kindern vor dem El- ternabend ferngesehen und die Kinder nach ihren Eindrücken befragt. Medien und Arbeitsmaterialien: Je nach Ab- sprache werden verschiedene Geräte - Fernseher, Videorecorder, Tageslichtprojek- tor, Leinwand, Diaprojektor, Kassettenre- corder - und weitere Arbeitsmaterialien wie Papier, Klebeband, Stifte benötigt. Geklärt werden muß: was ist im Kindergarten vor- handen, was kann vom Referenten mitge- bracht und was muß von wem ausgeliehen werden? Räumlichkeiten: Vorteilhaft ist ein größerer Gruppenraum oder der Turnraum, der an- sprechend und freundlich gestaltet werden sollte: kleine Tischrunden, Getränke und Knabbereien sowie themenbezogene Karika- turen oder Kinderzeichnungen an den Wän- den bieten Anlässe zu Gesprächen. Ein Bü- chertisch mit einschlägiger Literatur sollte nicht fehlen. Termin: Festgelegt wurde ein Elternabend, möglich sind jedoch auch mehrteilige Veran- staltungen. Einladung: Die Einladung zum Elternabend erfolgt in der Regel durch die Erzieherinnen. Im hier dargestellten Fall erhielten die Erzie- herinnen gelungene Beispiele als Vorlage, Platz nehmen, ~"'''' 'J.t..rY>Jvoto.3en"k1+~ die Dinos kommen: BQr;pnochl'/Y1 ?..J0d&Y) sauriu auf dem Erlolgstrip 404 Stefan Aufenanger I Ben Bachmair I Sabine Eder I Jürgen Zipf denn gerade beim Thema Medien kann eine ansprechend gestaltete Einladung auch jene Eltern zum Kommen motivieren, die sonst eher zu Hause bleiben. Pause: Eine Pause ist sinnvoll, weil sie den Eltern Gelegenheit bietet, miteinander ins Gespräch zu kommen, die ausliegenden Ma- terialien und Bücher anzuschauen und mitein- ander spontan Erfuhrungen auszutauschen. Verlaufsplan: Sind alle Fragen geklärt, wird der Ablauf festgelegt, z.B.: 20.00 Uhr Begrüßung durch die Leiterin. 20.05 Uhr Rollenspiel der Referentinnen zum Thema: Sieht Thr Kind denn viel fern? Ziel: inhaltliche Einstim- mung. Begrüßung und Vorstellung des Programms durch eine der Refe- rentinnen. 20.10 Uhr Partnerinterview zum Thema: Medienwelten früher - Medien- welten heute. Ziele: Reflexion ei- gener Mediengewohnheiten, Mo- tive der eigenen Mediennutzung. 20.25 Uhr Kurzvortrag: Wahrnehmung und Wrrkung von Medienerlebnissen am Beispiel der Kindersendung "Dink, der kleine Dinosaurier- Der Steinschlag" (gemeinsame Sichtung der Sendung). Ziel: Sen- sibilisierung für entwicklungsbe- dingte Walrrnehmungsfähigkeiten beim Fernsehen. 21.00 Uhr Pause. 21.15 Uhr Diskussion zum Umgang mit dem Fernsehen: Was tun als vater oder Mutter? Ziel: Ermutigung zum Finden kinderorientierter und fa- milienspezifischer Lösungen. 3. Der "Einstieg" in den Elternabend Die Erzieherinnen hatten den Raum vorberei- tet. Eine halbe Stunde vor Beginn wurden von den Referentinnen Karikaturen zum Thema Fernsehen ausgestellt und die benötigten Ge- räte aufgebaut. An diesem Elternabend nah- men 22 Eltern und fünf Erzieherinnen teil. Die Begrüßung: Sie wurde - wie vereinbart - von der Kindergartenleiterin vorgenom- men. Das Rollenspiel: Die Referentinnen spielten zwei Eltern, die auf den Beginn des Eltern- abends warten. Das Rollenspiel "Sieht Thr Kind denn viel fern? - Eltern warten auf den Elternabend" ist ein Materialbaustein von BLlcKWECHSEL e.V. zur Medienpädagogik. In ihm werden verschiedene Alltagstheorien über die Wirkungen von Medien aufgegriffen. Mutter 1 (interessiert): Ist ja ganz interessant, so iz Abend zum Thema Kind und Medien. Mutter 2 (neugierig): Sieht Ihr Kind denn vielfern? Mutter 1 (abwinkend): Unser Kind? Nein, das sieht überhaupt nichtfern! Mutter 2 (erstaunt und mißtrauisch): Überhaupt nicht? Mutter 1 (sich umsehend, nach vorne beugend, lei- ser): Naja, wir sindja unter uns, es sieht schonfern, es sieht auch schon viel. Ein Elternabend zur Fernseherziehung 405 Mutter 2 (erstaunt, leicht vorwurfsvoll): Aber so viele Kindersendungen gibt's doch gar nicht. Mutter 1: Na ja, Kindersendungen sieht es kaum noch - ist ja jetzt schon fiinf! Früher hat es schon mal geweint, wenn bei Heinz Sielmann ein Reh geris- sen wurde, aber heute kann es sich schon ~stern ansehen, das macht ihm nichts mehr aus. Es hat sich gut daran gewöhnt. Mutter 2 (bestürzt): Oh, nein! Sowas darf Ihr Kind sehen? Bei uns läuft das ganz anders. Sobald im Fernsehen Blut zu sehen ist, muß das Kind raus. Wir sehen doch, wohin die Gewalt im Fernsehenfiihn. (Belehrend): Sehen Sie sich doch in den Kindergär- ten oder auf Schulhöfen um - überall ist Gewalt. Das Fernsehen stachelt die Kinder doch geradezu an! Das Rollenspiel greift gängige Argumente und Vorwürfe auf, thematisiert Unsicherhei- ten und Ängste von Eltern, die sie mit schmunzelnder Distanz wiedererkennen kön- nen. Es signalisiert die Bereitschaft zu einer alltagsnahen, offenen Diskussion. Nach dem Rollenspiel begrüßte eine der Referentinnen die Eltern und stellte den ge- planten Verlauf des Abends kurz vor. Partnerinterview: Das Partnerinterview ist eine weitere Möglichkeit, die Erfahrungen im Medienalltag und die eigenen Medienge- wohnheiten bewußtzumachen. Die Eltern er- halten den Arbeitsauftrag, sich zu zweit zu- sammenzusetzen und zu überlegen: - Wie sah unsere eigene "Medienwelt" frü- her aus, und wie sieht die "Medienwelt" der Kinder heute aus? - Wie reagierten unsere Eltern, und wie re- agieren wir auf kindliches Fernsehver- halten? - Welche Lieblingssendungen hatten wir, welche haben unsere Kinder heute? - Welche Filme, Bücher usw. sind uns in starker Erinnerung geblieben? Für ein Partnerinterview benötigen die EI- tern ca. zehn Minuten, die Antworten wer- den gesammelt, auf Folie notiert, mit dem Tageslichtprojektor für alle sichtbar gemacht und besprochen. Ausgewählte Beiträge von Eltern in Pannerinterviews Mediengewohnheiten in der Kindheit: - Wir haben viel heimlich geguckt, das mußten wir, weil wir oft totales Fernsehverbot hatten. Meine Eltern haben das ganz extrem als Erziehungsmit- tel genutzt. Bei uns war Fernsehen ein Ritual, nach dem Ba- den, am Samtagsabend, wurde mit dem Sehen ei- nes Filmes das Ubchenende eingeleitet. - Wir hatten gar keinen Fernseher, aber wir konnten bei den Nachbarn hin und wieder sehen, das hat meine Eltern nicht gestön, weil sie wußten, daß wir eigentlich lieber draußen spielten. Lieblingssendungen in der Kindheit: - Als ich klein war, fand ich Flipper toll, träumte davon, auch da zu wohnen, und wenn ich hupen würde, käme Flipper vorbei und ich könnte auf ihm wegreiten! Ja, und Lassie! (Allgemeine Zu- stimmung) - Achja, Mensch, Lassie, das hab' ich auch immer gesehen, hab' ich ganz vergessen. Und Schwein- chen Dick! Ja! (Lachen) - Ach nee, Schweinchen Dick fand ich blöd, ich liebte Fury, vielleicht, weil ich ein Mädchen war. Medienerlebnisse, die in deutlicher Erinnerung geblieben sind: - Also ich war sehr erschütten über die Rassendis- kriminierung in der Fernsehserie Roots. Mich hat lange der Tod des Hundes im Film Ro- binson Crusoe beschäftigt. Wie, da war ein Hund, ich dachte, da gab es nur den Freitag, an einen Hund kann ich mich über- haupt nicht erinnern. Ich war und bin Fan von Pippi LangstrumpJ. Die ist stark, unabhängig, kann sich gegen Banditen wehren, hat ein eigenes Haus, ein Pferd, 'nen Af fen, dasfand ich Spitze! 406 Stefan Aufenanger I Ben Bachmair I Sabine Eder I Jürgen Zipf Mit dem Partnerinterview kann ein persönli- cher Zugang zum Themenkomplex "Kind und Medien" gefunden und die Bedeutung der Medien im kindlichen Leben, damals und heute, erkannt werden. Hier geht es auch darum, aufgrund der eigenen Lebenserfah- rung den Kindern die Verarbeitung von Me- dienerlebnissen im Spiel, im Gespräch usw. zuzutrauen. 4. fllis nehmen Kinder beim Fernsehen wahr? Der Film "Dink, der kleine Saurier" (Länge: 12 min.), den die Referentinnen ge- meinsam mit den Kindern angesehen hatten, wurde nun auch den Eltern vorgeführt. Kurze Inhaltsangabe: Die lustige Dinosaurier- gruppe wird von einem Unwetter überrascht. Ein Blitz schlägt ein und löst eine Steinlawine aus, wo- durch ein Durchgang zum Tal, dem Jägerwald, ge- öffnet wird. Dort lebt der gefährliche Tyrannos, ein Tyrannosaurus. Die Gruppe um Dink will möglichst schnell, noch bevor Tyrannos den freien Zugang be- merkt, die Schlucht wieder schließen. So beginnen alle mit der schweren Steinschlepperei. Skat, eine angeberische Echse, gibt nur Anweisungen, wäh- rend die Freundinnen und Freunde sie zum Mitma- chen auffordern. Daraufhin schiebt Skat einen grö- ßeren Stein zur Schlucht, stolpert und stürzt hinab. Die Freundinnen und Freunde stehen verschreckt am Hügel und sehen, daß Skat direkt vor den Füßen Tyrannos 'liegenbleibt. Der mutige Flugsaurier Flap will Skat retten und wirft einen Stein auf Tyrannos' um diesen abzulenken, trifft aber Skat, die nun ohn- mächtig wird. Dennoch gelingt es Flap, die bewußt- lose Skat aus dem Jägerwald herauszuholen. Als Skat aus der Ohnmacht erwacht, erleben die anderen eine böse Überraschung. Skat hat ihr Gedächtnis verloren, hält sich nun für Tyrannos und versucht, alle zu beißen. Ihre Freundinnen und Freunde versu- chen nun, Skat zurückzuverwandeln und wollen ihr ihre Lieblingshonigfrucht in das Maul schieben, denn sie hoffen, daß Skat durch den guten Geschmack wie- der sie selbst wird. Dies mißlingt leider. Plötzlich droht Gefahr. Tyrannos ist auf dem Weg, die Schlucht hinaufzuklettern. Die "verrückte Skat" läuft ihm entgegen und beißt sich in seinem Bein fest. Tyrannos läßt sich davon nicht aufhalten. Auf Dinks Befehl wird nun ein großer Stein die Schlucht hinabgestoßen, dieser löst erneut einen Steinschlag aus. Tyrannos und mit ihm Skat werden von der La- wine davongeschoben. Beide überleben, Skat in ei- ner-Kraterritzeund Tyrannos, wieder unten im Jä- gerwald, macht sich mit Beulen und lautem Gebrüll davon. Der erneute Steinschlag hat Skat zurückver- wandelt und alle freuen sich. Die Eltern erhielten den Arbeitsauftrag, sich den Film "mit den Augen der Kinder" anzu- schauen. Die Frage "Wie, glauben Sie, ha- ben die Kinder die Sendung wahrgenom- men?" sollte ihnen dabei helfen. Die Ergeb- nisse wurden auf der Folie des Tageslicht- projektors notiert. Man kann dafür auch eine Tafel oder Wandzeitung verwenden; eine weitere Möglichkeit ist, die Eltern ihre Er- gebnisse selbst aufschreiben und für sich festhalten zu lassen. Einige Eltern hatten mit der Sendung große Schwierigkeiten. Sie vermißten einen "geordneten Handlungsablauf' und fanden den Film "Dink, der kleine Saurier" sehr "hektisch" und "schnell ". Aus der Diskussion der Eltern zum Film: - Da versteht doch keiner was, die reden viel zu schnell und undeutlich, und dann die vielen Bil- der, schnelle Schnitte, das verstehe ja ich noch nicht einmal. - Also, mein Sohn würde sich das gar nicht an- gucken, der fänd' das viel zu langweilig. - Das soll ein Kinderfilm sein, so 'n Durchein- ander? Ein Elternabend zur Fernseherziehung 407 Die meisten Eltern konnten sich nicht vor- stellen, daß ihr Kind bei derartigen Filmen überhaupt etwas wahrnimmt. Sie bewerteten den Film sehr negativ, mit dem "Erwachse- nenblick", und sie hatten Schwierigkeiten, sich in Kinder hineinzuversetzen. Die Kon- frontation mit Kinderaussagen ist eine gute Möglichkeit, den Blick der Erwachsenen auf die Rezeptionsweisen der Kinder zu lenken. Kinderaussagen zum Film "Dino, der kleine Saurier" - Also ich hab' gesehen, daß der Kleine gebissen hat und dann hat der Dinosaurier, hat der so 'n Schwanz gehabt und hat damit den Kleinen weg- geschubst, und dann is' er runtergestürzt, und dann is' er, is' er zu den anderen gegangen, hat was gegessen und dann hat er. .. , der Dinosau- rier ist natürlich runtergefallen. !ch hab den Kleinen, wo der ihn gebissen hat, den Dinosaurier gesehen. Und der, wo der Hun- ger hat. - ... , dann sind die Steine gekommen und der Di- nosaurier ist runtergefallen. - Der Kleine hat alle gebissen und da hat der eine einen Baum umgeschmissen. - Wie der Skat da runtergerollt ist, das fand ich toll. - !ch bin auch schon mal auf die Knie gefallen, das hat aber geblutet. - Da ist der Tyranno umgefallen, das war lustig, und da ist der Baum umgefallen und hat die La- wine gebracht, da war der Tyranno in die Erde reingekracht, da unten. Anhand von Aussagen der Kinder über ihr Filmerleben wurden wichtige Aspekte der Wahrnehmungsweise von Kindern referiert: - Die Wahrnehmung ist individuell ver- schieden und hängt von der jeweiligen thematischen Perspektive der Kinder ab (~ SCHNEIDER Bd.l, 157ff.; BACHMAlR Bd.l, 171 ff.). - Die Wahrnehmungsweise von Kindern unterscheidet sich sehr erheblich von der Erwachsener (~JÖRG Bd.l, 188ff.). - Kinder orientieren sich nur wenig arn Handlungsverlauf des Films. Im Vorder- grund steht für sie das Erleben (~ GROE- BEL Bd.l, 203ff.; PAus-HAASE Bd.l, 232ff.). - Kinder identifIzieren sich mit einzelnen Figuren und projizieren eigene Wünsche wie z.B. Stärke, Unabhängigkeit, Macht usw. in die Figuren (~ BEST Bd.l, 257ff.). - Persönlich wichtige Figuren, Handlungs- details usw. werden aus der Filmhandlung "herausgebrochen" und bewertet. - Die Filmhandlung können Kinder mit ei- genen Erfahrungen mischen. Die Bemerkung von Runa (4 Jahre): "Ich bin auch schon mal auf die Knie gefallen, das hat aber geblutet': ist ein charakteristisches Bei- spiel für die Vermischung von Filmhandlung und eigener Erfahrung. Sie hat das Filmge- schehen, nämlich den Sturz des "Tyrannos", mit ihrem eigenen Erleben verflochten. Sie erinnert sich genau an ihren eigenen Sturz und dessen Folgen sowie an den des Dino- sauriers. Es fällt ihr deshalb auf, daß der Di- nosaurier nicht geblutet hat, was sie nicht versteht. Dieses Unverständnis sollte ein Ge- sprächsanlaß für Eltern oder Erzieherinnen sein, obwohl ihnen die von Runa aufgewor- fene Frage aus ihrer Perspektive möglicher- weise unwesentlich erscheint. Mit den Eltern wurde besprochen, warum Runa über ihren Unfall redete, was der Film in ihr ausgelöst haben könnte, ob durch ihn Angst entstand oder bearbeitet wurde, in welcher Beziehung Film- und Realerfahrung stehen. 408 Stefan Aufenanger I Ben Bachmair I Sabine Eder I Jürgen Zipf 5. Medienwirkung - Erjahrungsbeispiele der Eltern Ausgangspunkt der Diskussion sollten hier- bei die Erfahrungen der Eltern sein. Die Re- ferentinnen griffen die Frage einer Mutter auf: "Mein Sohn hat den Film auch gesehen und ständig Tyrannos gespielt, also hat das doch gewirkt, oder?" Diese Erfahrung der Mutter mit einer Medienwirkung wurde mit Hilfe zweier Fragen bearbeitet: - Was machen Kinder mit Medienerlebnis- sen? - Was machen Medien mit Kindern? Daraus entwickelte sich eine Diskussion über die Fähigkeit der Kinder, Medienerleb- nisse in Spielen, Gesprächen, in Zeichnun- gen, Tobespielen u.a. zu verarbeiten, aber auch über den überfordernden Einfluß von Medien, mit dem Kinder nicht ohne Hilfen zurechtkommen. Im Vordergrund der Dis- kussion standen Überlegungen, warum ein Junge gerade den Tyrannos aus dem Dino- Film nachspielt und sich - so die Interpreta- tion der Referentinnen - aus dem Filmge- schehen das "herausbricht", was er für seine Alltagsbewältigung gebrauchen kann. Argumente der Eltern zum Medienverhalten des Jungen: - Vielleicht möchte der Junge auch mal so stark und laut wie ein Tyrannos sein. - Oder er möchte auch mal erleben, daß andere vor ihm Angst haben. - Es macht ihm vielleicht Spaß rumzubrüllen, den Eltern auf die Nerven zu fallen, halt mal zu gucken, wie weit er gehen kann. - Ich habe früher auch "King-Kong'; oder wars "Godzilla'; nachgespielt, ich denke, das ist nor- mal, und mir hat's nicht geschadet, oder? Darüber hinaus sollten sich die Eltern auch die vielen Einflußfaktoren wie Spielanlässe in der Wohnumgebung, Vorbild der Eltern, persönliche Themen der Kinder, Alternati- ven zum Fernsehen usw. bewußtmachen. (i "Was tun?" - Schlußdiskussion zum Umgang mit Medien Abschließend wurde gemeinsam überlegt, wie das Thema "Fernsehen" zu Hause wei- ter bearbeitet werden kann. Die Referentin- nen gaben "Tips" zum Umgang mit Medien, sie wiesen darauf hin, daß es keine Rezepte gibt, sondern lediglich Anregungen, die si- tuationsabhängig umzusetzen und zu modifi- zieren sind. In Anlehnung an I-V. ROGGE (1990, 146 ff.) gaben die Referentinnen Vorschläge zur Reflexion des Umgangs mit Medien in der Familie: - Keine Fernsehverbote, sie verleiten Kin- der dazu, heimlich zu gucken und fördern ein unehrliches Verhältnis zwischen El- tern und Kindern. Fernsehverbote fordern zudem Proteste, Ärger, Machtkämpfe heraus und machen das Fernsehen zum ständigen Konfliktherd. - Wie gehen Eltern mit dem Fernsehen um? Was können Kinder von ihnen lernen? Sich das eigene Fernsehverhalten bewußt- zumachen und es zu hinterfragen fördert auch das Verständnis für Vorlieben und Mediennutzungsstile der Kinder. - Das Fernsehen zu "kriminalisieren" hilft wenig. Nörgelt man ständig an den von den Kindern gesehenen Sendungen herum, werden sie kaum zu den Erwach- senen kommen, um mit ihnen über deren Inhalte und auch nicht über ihre Ängste, Ein Elternabend zur Fernseherziehung 409 Freuden, Unsicherheiten zu sprechen. Dabei könnten Eltern durch ein Gespräch mit Kindern viel über sie und die Motive für den Medienkonsum der Kinder er- fahren. Literaturtips AUFENANGER, S. (Hrsg.): Neue Medien - Neue Pädago- gik? Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Medienerziehung in Kindergarten und Grundschule. Schriftenreihe der Bun- deszentrnle für politische Bildung, Bd. 301. Bonn 1991 BACHMAlR, B.: TV Kids. Ravensburg 1993 BACHMAIR, B. / APEL, T. / BEMANN, M. / SCIflLL, M.: Prä- ventiver Jugendmedienschutz. Medienpädagogischer Elternabend in einem Kindergarten. In: Medien prak- tisch 1992, H.l, 25-29 KÜBLER, H.-D./KUNTz, S./MELCHERS, c.: Angst- Weg- spielen! Mitspieltheater in der Medienerziehung. Opladen 1987 PAus-HAAsE, l. /HÖLTERSHlNKEN, D. /'fIETZE, w.: Alte und neue Medien im Alltag von jungen Kindern. Ein Buch für Eltern und Erzieherinnen. Freiburg 1990 ROGGE, J.-U.: Kinder können fernsehen. Vom sinnvollen Umgang mit dem Medium. Reinbek 1990 SCHMlIrr, H.-G.: Kinder reproduzieren ihre Lebenswelt. Praxis der Medienarbeit in Kindergarten, Hort und Schule. Opladen 1988