Martin Kipp I Gisela Miller-Kipp Erkundungen im Halbdunkel Einundzwanzig Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im Nationalsozialismus Verlag der Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bildung 1995 Verlag G.A.F.B. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Erkundungen im Halbdunkel: Einundzwanzig Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im Nationalsozialismus I Martin Kipp; Gisela Miller-Kipp. Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bildung, Frankfurt am Main. - 2. Aufl. - Frankfurt am Main : GAFB, 1995 ISBN 3-925070-14-1 NE: Kipp, Martin; Miller-Kipp, Gisela Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bildung, Am Eschbachtal 50, 60437 Frankfurt am Main Herstellung F.M.-Druck GmbH, Robert-Bosch-Straße 16,61184 Karben copyright by G.A.F.B. Inhalt Zum Thema "Berufserziehung und Pädagogik im nationalsozialistischen Deutschland" und zum 5 Seite Aufbau dieses Bandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 17 Vorwort zur zweiten Auflage ......................................... 23 1 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung: Zur Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.0 Vorbemerkung: Defizite der Berufspädagogik ............... 27 1.1 Forschungsfeld: Theorie und Praxis der Berufs- erziehung im Dritten Reich .............................. 27 1.1.1 Praxis der Berufserziehung .............................. 28 1.1.2 Theorie der Berufserziehung ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2 Berufspädagogik im Dritten Reich: Anpassung und Ausrichtung .......................................... 31 1.3 Berufserziehung im Dritten Reich: Qualifikation und Lenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.4 Desiderate der historischen Berufspädagogik ................ 43 1.5 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.6 Literatur ............................................. 47 2 Berufserziehung und Berufspädagogik während des Nationalsozialismus Ein Forschungsbeitrag ......................................... 51 2.1 Zur historischen Forschung in der Berufspädagogik .......... 51 2.2 Berufserziehung während des Nationalsozialismus ........... 52 2.3 Berufspädagogik während des Nationalsozialismus: Fritz Urbschat ........................................ 54 2.4 Ordnungsbegriffe und Erklärungsansätze ................... 57 2.5 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.6 Literatur ............................................. 62 6 Inhalt 3 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen .......................................... 65 3.1 Vorbemerkung ......................................... 65 3.2 Charakteristik der SA-Berufsschulen ....................... 65 3.3 Der Erziehungsauftrag der SA-Berufsschulen ................ 67 3.4 Die Entwicklung der SA-Berufsschulen ..................... 68 3.5 Die SA-Berufsschulen im Urteil ihrer Zeit .................. 72 3.6 Unveröffentlichte Quellen ............................... 77 3.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4 Zentrale Steuerung und planmäßige Durchführung der Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungs- industrie des Dritten Reiches .................................... 79 4.1 Die notorische Klage: Facharbeitermangel .................. 79 4.2 Zentrale Organisation des Ausbildungswesens - Radikalkur zur Behebung des Facharbeitermangels und zur flexiblen Führungskräftebedarfsdeckung ............. 81 4.3 Wege zur Behebung des Facharbeitermangels in der Luftwaffenrüstungsindustrie .............................. 83 4.3.1 Umschulung von Facharbeitern verwandter Berufe ............ 83 4.3.2 Ausbildung in Luftfahrtindustriebetrieben ................... 84 4.3.3 Ausbildung in Fliegerhorsten, Luftparken und Erprobungsstellen der Luftwaffe .......................... 86 4.4 Reichseinheitliche Facharbeiterprüfungen in der Luftfahrtindustrie ...................................... 87 4.5 Die Flieger-Technischen Vorschulen - Autoritäre Elite-Zuchtanstalten für fliegertechnische Soldaten ........... 88 4.5.1 Anzahl der Fl.T.Y. - Ausbildungskapazität ................... 88 4.5.2 Erziehungsauftrag ...................................... 88 4.5.3 Auswahl der Militärschüler .............................. 89 4.5.4 Berufserziehung ....................................... 89 4.5.5 Soldatische Erziehung ................................... 91 4.5.6 Erzieher .............................................. 92 4.5.7 Drillpraxis in den Fl.T.V. und Qualität der fachlichen Ausbildung .................................. 93 4.5.8 Die FI.T.Y. - eine freie Bahn für Tüchtige ................... 94 Inhalt 4.6 4.7 4.8 4.9 7 Der totale Krieg fordert seinen Tribut - Qualitätsminderung und Reduktion anspruchs- voller Ausbildungskonzeptionen .......................... 96 Anmerkungen ......................................... 97 Unveröffentlichte Quellen ......................... . . . . . . 98 Literatur ............................................. 99 5 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (RADwJ). Ein Beitrag zur Aufklä- rung nationalsozialistischer Erziehungsideologie ................. 103 5.1 Der Arbeitsdienst als nationalsozialistische Erziehungsinstitution .................................. 103 5.2 Die Geschichte des RADwJ und seines Erziehungs- programms ............................... . . . . . . . . . .. 104 5.2.1 Entwicklung des Erziehungsauftrages 1932-1934 ........... 104 5.2.2 Geschichte und Programm des FADwJ/DFAD 1932-1935 ..... 106 5.2.3 Die Auseinandersetzung um die Finanzierung des DFAD ..... 108 5.2.4 Der Ausbau und Einsatz des RADwJ bis zum Kriege ........ , 109 5.2.5 Der "Kriegshilfsdienst" der "Arbeitsmaiden " ............. , 111 5.2.6 Zusammenfassung: der RADwJ als Herrschaftsinstrument .... 112 5.3 Erziehung und Schulung im RADwJ ..................... , 113 5.3.1 Pädagogische Potenzen des FAD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 113 5.3.2 Dienst und Erziehung im DFAD/RADwJ ............ . . . . .. 114 5.3.3 Führerinnenausbildung ................................ 116 5.4 Zusammenfassung: Emanzipation oder Unterdrückung durch den RADwJ .................................... 117 5.5 Anmerkungen ........................................ 118 5.6 Unveröffentlichte Quellen .............................. 124 5.7 Literatur ............................................ 124 6 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich: Bauernschule und Bauernhochschule ........................... 131 6.1 Forschungsstand und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 6.2 Geschichte und Programm der nationalsozialistischen Bauernschule und Bauernhochschule ..................... 131 6.2.1 Nationalsozialistische Bauernschulung 1930-1932 ........... 131 86.2.2 6.2.3 6.2.4 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.5 6.6 6.7 Inhalt Übernahme und Gleichschaltung der Bauemhochschulen 1933-1943 133 Aufbau der Schulungsstätte des Reichsnährstandes 1934-1939 135 Das Ende der Bauernschulen 135 Pädagogische Organisation der nationalsozialisti- schen Bauemschule und Bauemhochschule 136 Ziel und Aufgabe 136 Schul- und Unterrichtsorganisation 137 Schüler, Lehrer und Lagergemeinschaft 137 Zusammenfassung 138 Anmerkungen 139 Unveröffentlichte Quellen 141 Literatur 142 7 Der Bund Deutscher Mädel in der Bitler-Jugend - Erziehung zwischen Ideologie und Herrschaftsprozeß 151 7.0 Zum Thema 151 7.1 Der nationalsozialistische Erziehungskreis 151 7.2 Der BDM als Erziehungsinstitution 153 7.2.1 Forschungsstand und Fragestellung 153 7.2.2 Grundsätze nationalsozialistischer Erziehung und pädagogische Leitbilder des BDM 154 7.2.3 "Selbstführung" und pädagogische Autonomie 156 7.3 Geschichte und Auftrag des BDM 157 7.3.1 1924-1933 157 7.3.2 1933-1936 158 7.3.3 1937-1939 160 7.3.4 1939-1945 161 7.3.5 Zusammenfassung: Gesellschaftliche Funktion und ideologische Präsentation des BDM 162 7.4 Gliederung und Aufbau des BDM 165 7.5 "Weibliche" Erziehung im BDM 166 7.5.1 Theoretischer Ansatz 166 7.5.2 "Mädelerziehung": Formen, Methoden und Inhalte 167 7.5.3 Führerinnenschulung 169 7.5.4 Berufserziehung im BDM 172 Inhalt 9 7.6 Empirische Zusammenfassung: der Erziehungs- und Bildungsbeitrag des BOM .............................. 175 7.7 Analytische Zusammenfassung: die Stelle der Erziehung im Herrschaftsprozeß der NSOAP ............... 176 7.8 Zum Verhältnis von Theorie und Praxis der Erziehung im BOM ................................... 176 7.9 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 178 8 "Überwindung der Ungelernten"? Vorstudien zur Jungarbeiterbeschulung im Dritten Reich. . . . . . . . . . .. 199 8.1 Vorbemerkung ....................................... 199 8.2 Leitfragen der Untersuchung ............................ 200 8.3 Forschungsmethodische und quellenkritische Vorüberlegungen ..................................... 200 8.4 Rahmenbedingungen für die "Überwindung der Ungelernten" ........................................ 202 8.5 Berufspädagogische Diskussion als propagan- distischer Leerlauf .................................... 206 8.6 Auf dem Wege zur "Gleichschaltung"? ................... 207 8.7 Kriegswirtschaft und Ungelernte ......................... 210 8.8 Anmerkungen ........................................ 212 8.9.1 Primärliteratur (1933-1944) ............................. 215 8.9.2 Sekundärliteratur ..................................... 225 9 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich ...................... 227 9.1 Vorbemerkung ....................................... 227 9.2 Betriebszentrierung der beruflichen Weiterbildung .......... 228 9.3 Berufliche Weiterbildung und Betriebsverfassung ........... 229 9.4 Ziele, Funktionen und Inhalte beruflicher Weiterbildung ........................................ 232 9.5 Träger der beruflichen Weiterbildung ..................... 234 9.6 Berufliche Weiterbildung durch die Deutsche Arbeitsfront ......................................... 235 9.7 Berufliche Weiterbildung und Kriegswirtschaft ............. 238 9.8 Wehrmachtskurse zur Berufsförderung und Sonderlehrgänge für Kriegsversehrte ..................... 241 10 9.9 9.9.1 9.9.2 Inhalt Anhang ............................................. 243 Zur Entwicklung der beruflichen Weiterbildung im Dritten Reich ...................................... 243 Literatur ............................................. 247 10 Hitlerjugend und Berufserziehung .............................. 251 10.1 Einleitung ........................................... 251 10.2 Hitlerjugend und Berufsberatung bzw. Berufs- nachwuchslenkung .................................... 252 10.3 Hitlerjugend und Berufsschule ........................... 255 10.4 Hitlerjugend und betriebliche Berufsausbildung ............. 257 10.5 Hitlerjugend und Reichsberufswettkampf .................. 260 10.6 Anmerkungen ........................................ 263 11 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung im Dritten Reich ............................. 269 11.0 11.1 11.2 11.2.1 11.2.2 11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4 11.3.5 11.4 11.4.1 11.4.2 11.5 Zur Fragestellung ..................................... 269 Berufsberatung, Lehrstellenvermittlung und Nachwuchslenkung .................................... 271 Ordnungsrechtliche Gestaltung der industriellen Berufsausbildung ..................................... 274 Lehrvertrag .......................................... 274 Lehrlingsrolle ........................................ 277 Inhaltliche Gestaltung der industriellen Berufsausbildung ..................................... 278 Berufsbild ........................................... 279 Berufseignungsanforderungen ........................... 280 Berufsbildungsplan .................................... 280 Lehrgang ............................................ 281 Industriefacharbeiterprüfung ............................ 283 Institutionelle Gestaltung der industriellen Berufsausbildung ..................................... 285 Lehrwerkstatt ........................................ 286 Werkberufsschule ..................................... 288 Bestrebungen zur "Perfektionierung" des öffentlichen Berufsschulwesens .......................... 290 Inhalt 11.5.1 11.5.2 11.5.3 11.5.4 11.5.5 11.5.6 11.5.7 11.6 11.6.1 11.6.2 11.7 11.7.1 11.7.2 11.7.3 11.8 11.9.1 11.9.2 11 Die Errichtung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ................ 290 Reichseinheitliche Benennungen im Berufs- und Fachschulwesen .................................. 290 Reichseinheitliche Berufsschulpflicht ..................... 291 Reichseinheitliche Berufsschullehrpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Reichsgaue als Schrittmacher auf dem Wege zum Reichsberufsschulrecht ................................ 294 Neuordnung der Trägerschaft der Berufsschulen ............ 295 Berufsschullehrermangel verhindert "Perfektionierung" . . . . . . 297 Berufs- und Betriebswettkämpfe als nationalsozialistische Mobilisierungs- und Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Reichsberufswettkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Leistungskampf der Betriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 "Perfekte" Facharbeiterausbildung - Verknüpfung fachlicher Qualifizierung mit soldatischer Erziehung . . . . . . . . . 303 Facharbeiterausbildung in der Luftwaffen- rüstungsindustrie ..................................... 304 Facharbeiterausbildung in der Schiffbauindustrie ............ 304 Facharbeiterausbildung im Volkswagen-Vorwerk Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Rassische "Perfektionierung": Die "Entjudung" der Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Anmerkungen ........................................ 312 Literatur ............................................ 314 12 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit". Die Anfänge der Facharbeiterausbildung im VW-Vorwerk Braunschweig ................................... 321 12.1 Braunschweig als Stätte nationalsozialistischer Erziehungsarbeit ...................................... 321 12.2 Das Ziel der VW-Facharbeiterausbildung: Der "neue" deutsche Facharbeiter, der "Soldat der Arbeit" ............. 322 12.3 VW-Werk als Beispiel mustergültiger national- sozialistischer Berufserziehung .......................... 326 12.4 Aufstiegsmöglichkeiten für VW-Lehrlinge: "Freie Bahn dem Tüchtigen!" ........................... 329 12.5 Herkunft und Auswahl der VW-Lehrlinge ................. 331 12 12.6 12.7 12.8 12.9 12.10 12.11 12.12 12.13 12.14 12.15 12.16 Inhalt Fonnationserziehung 1. Teil: HJ-Lager .................... 335 Praktische Werkstattausbildung .......................... 337 Theoretische Werkberufsschulausbildung .................. 339 Sport - Körpererziehung - Entwicklungslenkung - Leistungssteigerung ................................... 340 Fonnationserziehung 2. Teil: Der HJ-Bann 468 .............. 342 Militarisierung des Lehrlingsalltags im VW-Vorwerk ......... 344 Leistungskontrolle und Leistungsbewertung: "Mannschaft leistet" -landsmannschaftliche Leistungsgemeinschaften ............................... 345 Herausbildung und Festigung des Elite-Bewußtseins der VW-Vorwerker .................................... 348 Ausbildungsqualität und Kriegsproduktion ................. 349 Anmerkungen ........................................ 352 Literatur ............................................. 358 13 Die ausgebeutete Tradition, die ideologische Revolution und der pädagogische Mythos Versuche und Schwierigkeiten, "nationalsozialistische Pädagogik" zu begreifen und historisch einzuordnen ......................... 371 13.1 Was "ns. Pädagogik" meint und worüber gestritten wird ........................................ 372 13.2 Über die Abkunft nationalsozialistischer Pädagogik und das Theorie-Praxis-Verhältnis ............... 373 13.3 Über die Qualitäten nationalsozialistischer Pädagogik ........ 376 13.4 Begriffsversuche ...................................... 377 13.5 Nationalsozialistische Pädagogik als Tradition und als Revolution ........................................ 382 13.6 Anmerkungen ........................................ 385 13.7 Quellen ............................................. 390 13.8 Literatur ............................................. 391 14 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? ...... 395 14.1 Anlaß, Gegenstand und Absicht dieses Beitrags ............. 395 14.2 Die "Entjudung" des Lehr- und Ausbildungspersonals ........ 396 Inhalt 14.3 14.4 14.5 14.6 14.7 14.8 14.9 13 Welche Rolle spielte die "Judenfrage" im Unter- richt beruflicher Schulen? .............................. 397 Die "Entjudung" der betrieblichen Lehrlings- ausbildung .......................................... 398 Der Ausschluß jüdischer Lehrlinge aus der Berufsschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Was könnten wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung wissen? .............................. 401 Verweigern Berufs- und Wirtschafts pädagogen weiterhin historische Aufklärung? ........................ 403 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Literatur ............................................ 409 15 Berufsausbildung zur Selbstbehauptung Das jüdische Berufsausbildungswerk unter dem National- sozialismus als produktive pädagogische Reaktion auf Berufsverbot, Ausgrenzung und Verfolgung ................... 415 15.1 Aufbau im Untergang .................................. 415 15.2 Aufbau jüdischer Selbsthilfe ............................ 416 15.3 Berufsumschichtungswerk als Kernstück des Hilfs- und Aufbauwerkes .................................... 417 15.4 Ausbildungsplätze für Umschichtung und Erstausbildung ....................................... 420 15.5 Ausbildungs- und Umschichtungsberufe und Auswanderungschancen ................................ 421 15.6 Psychische Probleme bei Berufsausbildung und Berufsumschichtung .................................. 424 15.7 Bewährung im Untergang .............................. 425 15.8 Literatur ............................................ 427 16 Die Frankfurter Grundlehre Ein vergessener jüdischer Beitrag zur Berufspädagogik unter dem Nationalsozialismus ................................. 431 16.1 Die "Frankfurter Grundlehre" als Teil des jüdischen Berufsausbildungswerkes .............................. 431 16.2 Der Aufbau jüdischer Selbsthilfe in Frankfurt am Main ....... 431 14 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7 16.8 16.9 Inhalt Die Berufsbildungsarbeit der Jüdischen Beratungs- stelle für Wirtschaftshilfe in Frankfurt am Main ............. 433 Aufgaben und Ziele der "Frankfurter Grundlehre" ........... 437 Die Praxis der "Frankfurter Grundlehre " .................. 439 Die "Frankfurter Grundlehre " in der Bewährung ............ 441 Das gewaltsame Ende der "Frankfurter Grundlehre" ......... 443 Anmerkungen ........................................ 444 Literatur ............................................. 445 17 "Über meine Schuld" Ein Gespräch zur gegenwärtigen Vergangenheit in der Erziehungswissenschaft .................................. 449 17.1 Legende ............................................. 449 17.2 Anmerkungen ........................................ 468 17.3 Zitierte Literatur ...................................... 470 18 Betriebliche Berufserziehung im Nationalsozialismus und Bilanz zum Forschungsstand in ausgewählten "Sondergebieten" .... 473 18.1 18.2 18.3 18.3.1 18.3.2 18.3.3 18.3.4 18.3.5 18.3.6 18.3.7 18.3.8 18.3.9 Zum Interesse der Berufs- und Wirtschaftspädagogen an der NS-Zeit ........................................ 473 Zum Forschungstypus der berufspädagogischen NS-Forschung ........................................ 473 Zum Forschungsertrag und den Desiderata der berufs- pädagogischen NS-Forschung ........................... 474 Industrielle Berufserziehung ............................. 475 Berufsberatung und Nachwuchslenkung ................... 476 Ordnungsrechtliche Gestaltung der industriellen Berufs- erziehung ............................................ 477 Inhaltliche Gestaltung der industriellen Berufserziehung ...... 477 Perfektionierung der Berufsordnungsmittel ................. 477 Industrielles Ptüfungswesen ............................. 478 Institutionelle Gestaltung der industriellen Berufs- erziehung ............................................ 481 Militarisierung der Betriebspädagogik ..................... 483 Bilder aus dem Lehrlingsalltag in der "Ordensburg der Arbeit" .......................................... 484 Inhalt 15 18.3.10 Überwindung der Ungelernten? .......................... 485 18.3.11 Personelle Kontinuität in der betrieblichen Berufserziehung ... 485 18.3.12 Betriebszentrierung der beruflichen Weiterbildung .......... 488 18.3.13 Nahezu unerforscht: Beruflicher Fernunterricht und berufliche Rehabilitation ............................... 488 18.3.14 Berufs- und Betriebswettkämpfe ......................... 488 18.3.15 Nationalsozialistische Berufsverbotspolitik ................ 489 18.3.16 Das jüdische Berufsausbildungswerk unter dem National- sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 18.3.17 Vernachlässigte Exilforschung ........................... 489 18.4 Zu Behinderungen und Perspektiven der berufspädagogischen NS-Forschung ....................................... 490 18.4.1 Zum materiellen Aspekt ................................ 490 18.4.2 Zum ideellen Aspekt .................................. 490 18.5 Literatur ............................................ 493 19 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen Ästhetische Formen und mentales Milieu im Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (RADwJ) .............................. 501 19.1 Prolegomena ......................................... 501 19.2 Der schöne Schein des Dritten Reiches und die Erziehung .... 503 19.3 "Erziehungsarbeit" im RADwJ in ästhetischer Hinsicht ...... 506 19.4 Die ewig junge "Arbeitsmaid" .......................... 516 19.5 "Die Ergriffenheit dieser Generation war sicher auch durch ästhetische Formen bedingt" ....................... 519 19.6 Anmerkungen ........................................ 523 19.7 Quellen ............................................. 530 19.8 Literatur ............................................ 533 20 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? Entwicklungslinien der pädagogischen Wissenschaftsgeschichte am Beispiel der Berufs- und Wirtschaftspädagogik nach 1945 ........ 539 20.1 Zur Fragestellung und zur Forschungsgrundlage ............ 539 20.2 Berufsbiographien akademischer Vertreter der BWP nach 1945 ...................................... 541 20.3 Theorie- und Wissensproduktion in der BWP nach 1945 ...... 546 16 20.3.1 20.3.2 20.3.3 20.3.4 20.3.5 20.3.6 20.3.7 20.4 20.5 20.6 Inhalt Das wissenschaftliche Werk von KarIAbraham ............. 547 Das wissenschaftliche Werk von Erwin Krause . ............. 548 Das wissenschaftliche Werk von Paul Luchtenberg .......... 548 Das wissenschaftliche Werk von Otto Monsheimer . .......... 549 Das wissenschaftliche Werk von Friedrich Schlieper ......... 550 Das wissenschaftliche Werk von Jürgen Wissing ............. 551 Systematische Zusammenfassung ........................ 552 Historische Analyse ................................... 553 Anmerkungen ........................................ 556 Literatur ............................................. 559 21 Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins und dem Beschweigen nationalsozialistischer Vergangenheit, zum Beispiel im berufs- pädagogischen Diskurs ........................................ 563 21.1 Anmerkungen ........................................ 570 21.2 Zitierte Quellen ....................................... 571 22 ANHANG Ergänzende Bibliographie und Drucknachweise der Beiträge 1-21 ... 573 Zum Thema "Berufserziehung und Pädagogik im nationalsozialistischen Deutschland" und zum Aufbau dieses Bandes 17 "Endlich nimmt sich die berufspädagogisch-historische Forschung der Zeit an, die aus den verschiedensten Gründen so lange und so offenkundig ausgeblendet war: der Epoche des Nationalsozialismus". Mit diesem Satz wurde 1979 eine Rezension dreier Untersuchungen über "Berufserziehung im Dritten Reich" einge- leitet (Stratmann 1979,466). Und der Rezensent, immerhin einer der profiliertesten Forscher in der historischen Berufspädagogik, bescheinigt den seinerzeit besproche- nen Werken (Kipp 1978; Seubert 1977; Wolsing 1977), sie stießen "gleichsam ein Tor auf und mach(t)en ein Terrain sichtbar, das bisher wo nicht im Nebel, so doch im Halbdunkel von Verschweigen, Vorurteilen und irrigen Vorstellungen lag - oder belassen wurde" (ebd.). - Daß jenes "Halbdunkel" inzwischen gründlich aufgeklärt worden sei, läßt sich nicht sagen. Den seinerzeit besprochenen sind keine größeren Studien zu oder über "Berufserziehung und Nationalsozialismus" gefolgt. Das "Terrain" harrt weiterer Auskundschaftung; und zwar in historischer wie in syste- matischer Hinsicht. Wir halten solche 'Aufklärungsarbeit' nicht nur für geboten, um einen weißen Fleck auf dem erziehungshistorischen Globus zu beschriften. Es handelt sich schließlich nicht um irgend einen, sondern um den einen im wahrsten Sinne des Wortes empfindlichen Fleck - plakativer formuliert, um die historische Katastrophe unserer Geschichte. Sie zu vermessen heißt, über den antiquarischen Wissenserwerb hinaus politische Erkenntnis zu fördern: Erkenntnis im vorliegenden Falle darüber, wie solche Katastrophen im pädagogischen Feld möglich und unmöglich, vorberei- tet oder unterstützt, gemindert oder verhindert werden. Solche Erkenntnis sollte sich einstellen, wenn Wirkungen und Veränderungen (berufs)pädagogischer Prozesse in der nationalsozialistischen Diktatur und die Spielräume (berufs )pädagogischer Theorie in derselben nicht nur unter funktionalem oder unter strukturellem, sondern auch unter handlungs theoretischem Zugriff (auf der Subjekt-Ebene) erforscht und beschrieben werden. Innerhalb der Erziehungswissenschaft hat die historische Forschung über den und zum Nationalsozialismus seit 1985 - etwa parallel zur politischen Geschichts- schreibung aus Anlaß des Zusammenbruchs der NS-Herrschaft und des Deutschen Reiches vor damals 40 Jahren - neuen Schwung bekommen. Er markiert den zwei- ten Anlauf zur erziehungshistorischen und begrifflichen 'Bewältigung' der NS-Zeit 18 Vorwort zur ersten Auflage nach einem ersten großen Anlauf Ende der 70er Jahre. Dem neuen Aufschwung hinkt die berufs-pädagogische Historiographie allerdings hinterher; unserem Über- blick nach hat sie an ihm keinen Anteil. So scheint es, als ob es hier immer noch ein Interesse am zitierten "Halbdunkel" gäbe. Um dem entgegenzuwirken, um also die systematische Bearbeitung und die historische Erforschung des "Terrains" Berufserziehung und Nationalsozialismus wo nicht weiterzutreiben, so doch zumin- dest anzuregen und zu erleichtern, haben wir diesen Sammelband vorgelegt. Er ent- hält 15 Studien zur Pädagogik im und zur Pädagogik des Nationalsozialismus mit dem Schwerpunkt bei der Berufserziehung. Alle Beiträge wurden in den zurückliegenden zwölf Jahren erarbeitet und an un- terschiedlichen Orten veröffentlicht (der Nachweis dieser vorherigen Veröffentli- chungen steht im Anhang). Ihr Wiederabdruck in diesem Band erfolgt in chronologi- scher Reihenfolge. Damit dokumentieren wir auch den eigenen Forschungs- und Lernprozeß. Wir wissen, daß er sich nicht unabhängig vom pädagogischen Wis- senschaftsbetrieb vollzogen hat, und meinen deshalb, daß er die Richtung der ein- schlägigen pädagogischen Forschung mit anzeigt. Diese Richtung sei in knappen Anmerkungen verdeutlicht: Die beiden ersten Beiträge kennzeichnen die defizitäre Situation der berufspäd- agogisch-historischen Forschung über die Zeit des Nationalsozialismus am Ende der siebziger Jahre. Sie bilanzieren zum einen den damaligen Forschungs- und Erkenntnisstand, zeigen zum anderen den immensen Forschungsbedarf respektive die Forschungsdefizite auf. Gegen einige dieser Defizite gehen die folgenden Bei- träge an. Die Beiträge 3, 4, 5, 10 und 12 widmen sich den während der NS-Zeit neuge- schaffenen Institutionen und Organisationen der und zur Berufserziehung oder un- tersuchen die ideologische Durchdringung und praktische Indienstnahme bereits be- stehender Einrichtungen (Beiträge 6, 8, 9 und 11). Sie gelten der berufs- und erwachsenen pädagogischen Praxis der Nationalsozialisten und derselben Praxis während des Nationalsozialismus sowie dem politisch-pädagogischen Begriff bei- der. Sie rekonstruieren im einzelnen die realen Berufserziehungsverhältnisse samt der angestrebten bzw. durchgeführten Reorganisation der Berufserziehung; sie rekonstruieren darüber hinaus die nationalsozialistische Überformung der Berufserziehungstheorie im Aufweis der programmatischen Vorstellungen einfluß- reicher Repräsentanten des Regimes und hauptberuflicher Wirtschaftsfunktionäre sowie der Wisssensproduktion durch die Hochschullehrer der Berufs- und Wirt- schaftspädagogik. Vorwort zur ersten Auflage 19 Die Fortsetzung der Forschung auf beschriebenem Gebiet ist sehr unterschied- lich: Zu den Beiträgen 3 und 6 gibt es unseres Wissens keine in der berufs- und erwachsenen pädagogischen Historiographie. Dagegen werden die in den Beiträgen 4 und 12 angegangenen Fragen in betriebsgeschichtlich ausgerichteten Forschungs- projekten in größerem Umfange aufgenommen; diese derzeit noch nicht ab- geschlossenen Projekte versprechen für die hier interessierenden Berufsaus- bildungsfragen wichtige Aufschlüsse und Ergebnisse. Mit den Beiträgen 5 und 7 rückt die Erziehung durch nationalsozialistische (Er- ziehungs)Institutionen allgemein in den Blick. Unter pädagogischem Gesichts- punkte war der RADwJ nicht nur eine Institution der 'typisch weiblichen' Be- rufs(vor)bildung, sondern ebenso ein Instrument der politischen Sozialisation und Indoktrination. Dies gilt für den BDM in der Hauptsache; Berufserziehung war dort eher ein 'Nebenkriegsschauplatz' in der Bemächtigung der nachwachsenden Gene- ration durch die Nationalsozialisten, allerdings ein interessanter: weil dort pädagogi- sche Praxis die parteioffizielle Propaganda konterkarierte. Leider und erstaunlicher- weise ist dieser Sachverhalt nicht noch gründlicher bearbeitet worden, obschon bei- de Institutionen fürderhin sozialgeschichtlich erkundet werden - die eine vornehm- lich in der Geschichte der Frauenarbeit, die andere vornehmlich in der Sozialge- schichte des Weibes. Wo sie dort nationalsozialistischer Frauenpolitik geradlinig zu- geschrieben werden, kann man in der Annahme ihrer ungebrochenen Wirkung ein Indiz der kontinuierlichen Wirkung ihrer Ideologie sehen. Der sozialhistorische Zugriff auf die Geschichte hat zwei Forschungsbereiche - und Spielformen der Geschichtsschreibung - hervorgebracht, die erziehungshisto- risch gerade für die NS-Zeit anzunehmen wären: Die Alltagsgeschichte und die Lebenslaufforschung. - Die Rekonstruktion des Alltags der Frauen und der Jugend im deutschen Faschismus vermag viel über die lebensgeschichtliche Bedeutung und dazu über die subjektive Wirkung von BDM und RADwJ auszusagen. Sie erhellt da- mit die Chancen pädagogischer Einwirkung oder 'Erfassung' überhaupt. Deren vielfältige Brechungen fördert eben die Lebenslaufforschung zutage. Wichtiges Ma- terial für sie liefern neben Autobiographien die erzählende und dokumentierende Li- teratur, die ehemalige Angehörige und Funktionärinnen der genannten beiden 'Erziehungsinstitutionen ' inzwischen produzierten - nachlesbar herausgefordert durch die professionelle und kritische Geschichtsschreibung und bemüht, dem eige- nen Erleben zu seinem geschichtlichen Recht zu verhelfen. Diese Literatur hat über- wiegend Bekenntnischarakter und setzt subjektive für historische Wahrheit. Sie gibt dem (Erziehungs)Historiker Einblick in die Durchschlagskraft nationalso- zialistischer Frauenideologie und pädagogischer Propaganda bis heute. 20 Vorwort zur ersten Auflage Die in den Beiträgen 8 und 9 erstmals abgesteckten Forschungsfelder sind in der seither erschienenen berufspädagogischen Literatur relativ kontinuierlich beackert worden (vgl. ergänzende Bibliographie). Der im Beitrag 10 verhandelte Zusammen- hang ist mit neuen Quellen kultur- und mentalitätsgeschichtlich erschlossen worden. Die im Beitrag 11 thematisierten Probleme haben inzwischen mehrere Bearbeiter gefunden. Beitrag 13 leistet ein Stück Begriffsarbeit. Aufgenommen wurde er in diesen Band als Orientierungshilfe in jenem 'Dunkel der ungeklärten Begriffe' , in dem Ge- sinnung nistet und tradiert wird, was für unbegriffene pädagogische Praxis beson- ders zutrifft. - Der Versuch, die Pädagogik des Nationalsozialismus zu begreifen, ge- hört systematisch in die Wissenschaftsgeschichte. Sie hat jüngst eine Kontroverse gezeitigt über Kontinuität oder Diskontinuität der deutschen Erziehungswissen- schaft zwischen 1933 und 1945, von der die Berufspädagogik allerdings nicht mit erfaßt wurde. Von den Vergleichsgrößen 'Personenbestand' und 'Wissensbestand' , mit denen in dieser Kontroverse operiert wird, kann für die Berufspädagogik allen- falls die erste als bearbeitet gelten, wenn auch immer noch nicht vollständig (vgl. Beiträge 1 und 2), geschweige denn hinreichend ausführlich. Andere Vergleichs- größen für die Wissenschaftsgeschichtsschreibung, etwa die der Wissensformen, sind hier wie dort unerledigt. Die beiden letzten Beiträge beleuchten einen von der berufspädagogisch-histori- sehen Forschung bis dato gänzlich unerschlossenen Bereich: Die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung aus der Berufserziehung durch die Berufsverbotspolitik ge- genüber Juden, also den Prozeß der "Entjudung" der Berufsausbildung und die päd- agogische Reaktion darauf, das jüdische Berufsausbildungswerk unter dem Na- tionalsozialismus. Die 15 Studien mögen in ihrer Addition das Forschungsfeld "Berufserziehung und Nationalsozialismus" wohl vermessen. Sie können es aber nicht abdecken und beanspruchen dies auch gar nicht. Sie wollen seine weitere Bearbeitung hingegen fördern. Deshalb sind ihnen jeweils ergänzende Bibliographien angehängt; dabei mußte die methodisch gebotene Unterscheidung zwischen primären Quellen und Sekundärliteratur aus druckökonomischem Grunde unterbleiben. Wir kommen mit diesem Sammelband nämlich auch der dringlichen Bitte vor allem von Studenten nach, unsere verstreuten Aufsätze zusammenzubinden und leichter zugänglich zu machen; auf deren Geldbeutel nun ist der Band zugeschnitten. Unseren Co-Autoren Jürgen Unverhau (Beitrag 6) und Klaus Schüssler (Beitrag 10) danken wir für ihre Zustimmung zum Wiederabdruck der gemeinsam verfaßten Vorwort zur ersten Auflage 21 Beiträge sowie Ilona Recker und Heike Wulst-Everding für ihre Umsicht und Hilfe bei der Herstellung der Druckvorlagen. Mögen den Gedanken Forschungstaten folgen! Kassel I Hamburg, im Januar 1990 Martin Kipp / Gisela Miller-Kipp 22 23 Vorwort zur zweiten Auflage Zwei Ereignisse insbesondere haben nach 1990 die historische Forschung und die historisch-politische Diskussion über den Nationalozialismus und das Dritte Reich hierzulande neu angeregt - abgesehen einmal vom sich selbstreferentiell näh- renden bundesdeutschen "Historiker-Streit" über Phänomenologie und historische Kausalität von sowjetischem Totalitarismus und deutschem Faschismus. Die beiden Ereignisse sind die deutsche Wiedervereinigung und der Ausbruch von gewalttätiger Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Jugend. Die Wiedervereinigung hat der historischen Forschung zur NS-Zeit eine neue Quellenlage beschert und überdies die Frage nach deutscher als nationaler Identität wieder aufgeworfen, sie bringt gemein- hin auch die Befassung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit mit sich; denn diese Vergangenheit steht quer zur nationalen Identitätsfrage. - Der Ausbruch von gewalttätiger Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Jugend wiederum hat die Ge- genwart dieser Vergangenheit dokumentiert. Sie hat an den Tag gebracht, daß Rechtsextremismus und Faschismus in Deutschland nach wie vor mehr sind als bodenständige gesellschaftliche Fermente; sie bedeuten die Tradition des National- sozialismus nunmehr bis in die dritte Generation nach HitZer. Zwar randständige, aber doch Teile der Jugend identifizieren sich mit dem Nationalsozialismus oder stellen sich in dessen Semantik dar: Sie reden und denken, so weit sich dies äußert, sie verhalten und präsentieren sich nationalsozialistisch, brauchen und gebrauchen die Sprache und das Denkgefüge, die Symbolik und die Kult(ur)formen des Natio- nalsozialismus; er schmückt oder definiert gar ihre Lebenswelt. Fraglos ist das eine Herausforderung an Pädagogen und Pädagogik schon inso- fern, als es um politische Bildung geht. Bei der versagt zu haben, wirft ja die Politik, sich selbst entlastend, den Pädagogen in der öffentlichen Diskussion noch jeden kol- lektiven Skandalons in der nachwachsenden Generation vor, so auch in diesem Falle - wobei sie denkwürdigerweise von den ausgemachten Schuldigen zugleich Reme- dur erwartet. Die Schuldzuweisung im Bildungssektor ruft heute vor allem die So- zialpädagogik auf den Plan. Aber die öffentlich gewordene nationalsozialistische Gesinnung in der aggressiv fremdenfeindlich und rechtsradikal sich gebärdenden Ju- gend fordert auch die Historische Pädagogik, Le. die Erziehungsgeschichts- schreibung des Dritten Reiches heraus. Nicht in erster Linie, weil sie - wie die poli- tische Historie - ausgesprochen oder unausgesprochen unter dem Imperativ stand, mit ihrer Forschungsarbeit dazu beizutragen, daß Nationalsozialismus nie wieder sei, und man nun an diesem Imperativ (ver)zweifeln möchte; sondern weil offen- kundig wird, daß immer noch aufzuklären ist, wie der Nationalsozialismus denn subjektiv, unter und vor allem in den Subjekten möglich war - zumindest ist das der 24 Vorwort erziehungshistorisch bearbeitbare Teil der nun wieder anstehenden Frage nach Ur- sprung und Durchsetzung nationalsozialistischer Gesinnung und nationalsozialisti- scher Herrschaft im Blick nicht auf Strukturen, sondern auf handelnde und sich ver- haltende Menschen. Dieser Frage nach der subjektiven Durchsetzung des National- sozialismus stellt sich die Historische Pädagogik im besonderen methodologischen Zuschnitt der Mentalitätsgeschichte. Sie erscheint derzeit als die dem aktuell ent- standenen Wissensbedarf angemessene Forschungsmatrix. Sie arbeitet der histori- schen Rekonstruktion von Lebenswelten zu, in Sonderheit denjenigen der Jugend, und markiert insofern nur neuerlich den Kontext, in dem Aufwachsen und Bildung zu verstehen, Pädagogen professionell geübt sind. Nur am Rande sei vermerkt, daß die deutsche Historikerzunft soeben - Ende September 1994 - unter dem Motto "Le- benswelt und Wissenschaft" tagt und damit ein entsprechendes Arbeitsdesign für sich benennt. Die Skizze zur aktuellen gesellschaftlichen Nachfrage nach Wissen über den Nationalsozialismus in Deutschland und deren auch erziehungshistorisch abzuarbei- tendes Erkenntnisinteresse erklärt, warum wir hier die zweite Auflage unseres Sam- melbandes "Erkundungen im Halbdunkel" vorlegen. Die erste, von uns noch allein vertriebene Auflage, war innerhalb eines Jahres in 1991 ausverkauft, doch wurde der Band ständig weiter angefordert. Ebenso haben wir im bezeichneten Terrain weiter geforscht. Um diese neuen Arbeiten ist die zweite Auflage nunmehr erweitert. Sie wiederum und, siehe die vorstehende Einleitung von 1990, aus demselben Grunde vergleichsweise preisgünstig anzubieten, war nur durch das große Entgegenkommen des Verlags der Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bil- dung (G.A.F.B.) möglich. Die zweite Auflage enthält jetzt also einundzwanzig Studien "zur Berufserzie- hung und Pädagogik im nationalsozialistischen Deutschland" und, so ist zu ergän- zen, zum diesbezüglichen erziehungshistorischen Diskurs selbst. Die Studien aus der ersten Auflage (Nr. 1-15) sind mit drei Ausnahmen unverändert übernommen. Die Veränderungen betreffen die Beiträge Nr. 7, 12 und 14: Im Aufsatz Nr. 7 wurde die Anmerkung 57 ergänzt; dies ist einem Versprechen geschuldet; der Aufsatz Nr. 12 ("Als Lehrling in der 'Ordensburg der Arbeit"') trägt einen anderen Titel als der entsprechende Aufsatz von 1990 und ist dessen erweiterte und bebilderte Fassung; im Aufsatz Nr. 14 war eine Korrektur anzubringen (vgl. dort, Anmerkung 14). - Die sechs nach 1990 veröffentlichten Studien (Nr. 16-21) fallen in die bisher bearbei- teten Gebiete und fügen den geübten erziehungshistorischen Zugangsweisen keine weiteren an; sie vertiefen jedoch die mentalitätsgeschichtliche Perspektive (Nr. 17, 19) und die wissenschaftsgeschichtliche Fragestellung (Nr. 18, 20, 21); zwei von diesen Aufsätzen (Nr. 19, 20) werden hier abweichend von der bereits publizierten Vorwort 25 Version in ihrer ungekürzten und redaktionell nicht redigierten Fassung abgedruckt, einer (Nr. 18) um den Bildteil gekürzt. Die Bibliographien (Kap. 22) wurden fort- laufend ergänzt. Theodor Wilhelm danken wir für seine Zustimmung zum Wiederab- druck des mit ihm geführten Gesprächs. Mit dem neuerlich entstandenen Interesse am Nationalsozialismus und seiner Herrschaft in Deutschland haben sich auch neue Fragen an diese Epoche unserer Geschichte ergeben, die sich als Aufgaben an die Forschung weiterleiten. Schon in- sofern steht die von uns 1990 als defizitär beschriebene erziehungshistorische Arbeit immer noch auf der Tagesordnung, und wir sind leider nicht veranlaßt, den Titel des Bandes umzuformulieren. Obzwar der innerdisziplinäre Diskurs über nationalsozia- listische Erziehung und Pädagogik kontinuierlich fortgesetzt wurde und inzwischen eine Reihe weiterer Studien hervorbrachte, kann man immer noch nicht von 'flä- chendeckender' , schon gar nicht von ausreichender Bearbeitung dieses Kapitels sprechen; sie scheint zudem nur einem kleinen Kreis vornehmlich derselben Auto- ren zu obliegen. Bei unserer gelegentlich mühsamen, mitunter heiklen, und mensch- lich sensiblen Forschungsarbeit haben wir uns gegenseitig, bei der Schreibarbeit hat uns Ilona Becker wiederum kräftig unterstützt. KasselfHamburg, im Oktober 1994 Martin KippjGisela Miller-Kipp 26 1 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung: Zur Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich 1.0 Vorbemerkung: Defizite der Berufspädagogik 27 Berufspädagogik, will sie nicht zur Funktion technischer und ökonomischer Interessen werden, hat als Wissenschaft Verantwortung zu übernehmen für die Pra- xis, mit der sie sich befaßt. Das heißt, daß sie Orientierungen für diese Praxis anbie- ten, pädagogische Zielvorstellungen formulieren und begründen muß. Ziel- vorstellungen können nicht einfach gesetzt werden; sie sind historisch abzuklären. Die Geschichte der Berufserziehung vermittelt Perspektiven für die berufserzieheri- sche Praxis; sie vergewissert die Disziplin ihrer Leistungen und Erkenntnisinter- essen. Historische Forschung ist mithin für sie unverzichtbar. 1 - Die historische For- schung in der Berufspädagogik liegt allerdings im argen - am ärgsten sind die Defi- zite für die NS-Zeit. Grunde dafür können hier leider nicht mehr erwogen, aber zum Abbau dieser Defizite und zur Anregung entsprechender Forschung soll - im oben bezeichneten Interesse - beigetragen werden. Berufserziehung und Berufspädagogik im Dritten Reich sind bisher mangelhaft erforscht; eine Intensivierung der Arbeit ist nicht abzusehen.2 Bisher gibt es allein drei einschlägige Untersuchungen, die Dissertationen von Neumann, Seubert und Wolsing? Die Monographien über Erziehung, Erziehungstheorie und Erziehungs- wesen im Nationalsozialismus aus der Allgemeinen Pädagogik lassen Berufserzie- hung und Berufspädagogik aus.4 Dieser Aufsatz stützt sich im wesentlichen auf die genannten drei Arbeiten und auf Studien der Verfasser. Er informiert - notwendiger- weise stückwerkhaft - über Berufspädagogik (1.2) und Berufserziehung (1.3) im Dritten Reich, skizziert zuvor das gegebene Forschungsfeld (1.1) und nennt zuletzt Desiderate (1.4). 1.1 Forschungsfeld: Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich Um die vorliegenden und vorzulegenden Erkenntnisse überhaupt ordnen und würdigen zu können, ist zunächst das Forschungsfeld zu kennzeichnen und der Um- fang der geleisteten Arbeit anzugeben. Es empfiehlt sich, dabei die Forschungsberei- che in Anlehnung an eingebürgerte Abgrenzungen der Disziplin mit "Praxis" und "Theorie" abzustecken. Der Forschungsbereich "Praxis der Berufserziehung" ist zu 28 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung beschreiben als die institutionalisierte Berufserziehung, deren ökonomische und ju- ristische Grundlagen und gesellschaftlichen Träger, der Forschungsbereich "Theorie der Berufserziehung" als die politisch-programmatische und die wissenschaftlich- systematische Befassung mit jener Praxis. Die vordringlichen bzw. wichtigen Unter- suchungsgegenstände und Fragestellungen sowie der Erkenntnisstand in beiden Be- reichen werden im folgenden verzeichnet. 1.1.1 Praxis der Berufserziehung Qualifikationsbedarf und Beschäftigungspolitik während des Dritten Reiches sind zu studieren, um Änderungen und Neuerungen im System der beruflichen Aus- bildung erklären zu können; dabei sind vor allem zu berücksichtigen: Daten über Arbeitslose, über Beschäftigte in einzelnen Wirtschaftszweigen und Betriebsgrößen- klassen; Arbeitsbeschaffungsprogramme und deren beschäftigungs- und ausbil- dungspolitische Folgen; Ausbildungserfordernisse der Vierjahresplan-Wirtschaft und der Kriegswirtschaft (Arbeitseinsatzverwaltung); Maßnahmen zur Behebung des Facharbeitermangels; Frauenarbeit; Ausländerbeschäftigung. Zudem ist die diesbezügliche Gesetzgebung zu analysieren. In der einschlägigen berufspädagogischen Literatur liegen die erforderlichen Daten, Texte und Auswertungen mit einer Ausnahme nicht vor: Wolsing zitiert aus- führlich die juristischen Grundlagen der Berufsausbildung im Dritten Reich und faßt ökonomische Determinanten zusammen. Die Geschichte der Institutionen der Berufserziehung während der Zeit des Na- tionalsozialismus ist unter den Aspekten Wandel und Kontinuität zu rekonstruieren, wobei dem ersten zweifellos größere Bedeutung zukommt; vor allem interessieren die neugeschaffenen Institutionen und Organisationsformen: die SA-Berufsschulen, die Fliegertechnischen Vorschulen, die einschlägigen Ämter der DAF, die Hitler-Ju- gend (HJ), der Arbeitsdienst und Reichsarbeitsdienst (RAD), der Reichsberufswett- kampf. Es stellen sich folgende Fragen im Bezug auf die Um- und Neugestaltung des beruflichen Ausbildungswesens: diejenigen nach dem Verhältnis der verschiede- nen Institutionen zueinander, nach der Zuständigkeit für die Berufserziehung und damit nach dem Einfluß und den Interessen der gesellschaftlichen Gruppen: der Wirtschaft (sprich Unternehmer, da die Gewerkschaften zerschlagen waren), der Partei, einzelner Parteigliederungen und -organisationen, der Ausbilder und Lehrer. Von eigenem Interesse ist die Geschichte des Berufsschullehrerstandes (Nationalso- zialistischer Lehrerbund [NSLB], Reichsfachschaft VI) und der Einrichtungen der Wirtschaft: Reichswirtschaftskammer, Gauwirtschaftskammern, Industrie- und Han- delskammern, Handwerkskammern, DATSCH bzw. Reichsinstitut für Berufsausbil- Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 29 dung in Handel und Gewerbe, Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA). Informationen über den oben skizzierten Komplex erwartet man zuerst von ge- schichtlichen Darstellungen - diese Erwartung wird enttäuscht. Urbschats "Grund- lagen einer Geschichte der Berufserziehung" bedürfen inzwischen der kritischen Auseinandersetzung und sind, was die Zeit nach 1933 betrifft, mit Vorbehalt zu le- sen. Gesamtdarstellungen jüngeren Datums fehlen. - In den meisten berufspädagogi- schen Schriften, die sich mit der Geschichte und Struktur des beruflichen Bildungs- wesens befassen, wird die NS-Zeit allenfalls sehr knapp behandelt; dabei fällt die Tendenz auf, den technischen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung als Subjekte der Geschichte zu setzen.5 In neueren Einführungsschriften der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wird die NS-Zeit übergangen oder nur kurz gestreift: Wilfried Voigt thematisiert sie auf knapp zwei Seiten, wobei er sich bemüht, den ideologischen Charakter der vom DINTA und von den Nationalsozialisten propagierten "Werksgemeinschaftsidee" offenzule- gen (141 f.). Antonius Lipsmeier widmet in seinem Kapitel "Zur Geschichte der Be- trieblichen Berufsausbildung im Hinblick auf die Entwicklung des dualen Systems" der NS-Zeit zwei Sätze (1975 b: 18 u. 20); in seinem Einführungsbeitrag "Ge- schichte der Berufserziehung" kommt er mit einem Satz aus (1975 a: 15). Wolfgang Lempert und Reinhard Franzke verzichten auf Historiographie. - Auch in der Mehr- zahl der Einführungsschriften der Arbeits- und Berufspädagogik herrscht Geschichtslosigkeit vor. Zu den Ausnahmen zählt Albert Bremhorst, der auf vier Seiten einen historischen Überblick über die Entwicklung des betrieblichen Ausbil- dungswesens gibt, in dem er - apologetisch - den DATSCH, das DINTA und die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hervorhebt (25- 29). Untersuchungen zur Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich gibt es in un- terschiedlicher Gründlichkeit. Die bisher umfassendste Arbeit über Berufsausbil- dung in Handel und Gewerbe und durch staatliche Maßnahmen hat Wolsing vorge- legt. - Über das berufliche Schulwesen informieren am besten Benze und Wolsing; Benzes Darstellung spart politische Vorgänge aus und enthält selbstredend auch kei- nerlei Analyse - dafür aber eine Fülle von Hinweisen für weitere Nachforschungen. - Das Kapitel "Arbeitserziehung im Faschismus" von Bärbel Mager bringt Material zur Arbeits- resp. Berufserziehung in den Volksschulen, den schulischen Arbeitsge- meinschaften, im Landjahr, Pflicht jahr und im RAD. - Ansonsten liegen Teilinfor- mationen in Einzelstudien und Überblicken vor: über Handelshochschulen bei Rein- hard Bollmus, über Höhere Fachschulen bei Gustav Grüner (140-161), über das 30 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung gewerbliche Ausbildungs- und Schulwesen bei Heinrich Abel (56-61), über Be- triebsberufsschulen und industrielle Lehrwerkstätten bei Herbert Fenger (62-64) und Ekkehard Eichberg (47-53). 1.1.2 Theorie der Berufserziehung Mit Entwürfen, Leitlinien und Empfehlungen zur Berufserziehung, deren Sinn- deutungs- und Kritikversuchen, mit berufspädagogischen Theorieansätzen in der NS-Zeit hat sich die Forschung bisher durchweg in der Form personaler Werkinter- pretation befaßt; berücksichtigt wurden jedoch nur die Fachvertreter, nicht die Funk- tionäre aus der Wirtschaft bzw. die Programmschriften der Wirtschaftsinstitute und -verbände selbst. Diejenigen Theoretiker resp. Wissenschaftler, die mit Werken in der Zeit nicht präsent, da im Exil waren (z.B. Anna Siemsen), entgehen der Interpre- tation. Erst neuerdings zeigen sich Ansätze, die Bedeutung der Theorie nicht im Sin- ne geistesgeschichtlicher Tradition wissenschaftsimmanent, sondern sozialhistorisch als Funktion für die und in der Praxis zu erfassen. Solche Funktionen können be- schrieben werden etwa als Legitimation, Normierung, Indoktrination, Widerspruch, Verschleierung - wobei das Verhältnis: Theorie-Praxis jeweils genau zu bestimmen ist. Beiträge zu diesem Bereich liefern Bunk, Kachulle, Kipp, Neumann, Seubert und Wolsing: Bunk befaßt sich mit den betriebspädagogischen Modellvorstellungen von Adolj Moritz Friedrich und Carl Arnhold. - Kachulle untersucht die werkspolitische Kon- zeption des DINTA und widmet der Rolle Carl Arnholds bei der Werbung des DIN- TA um die Gunst der NSDAP besondere Aufmerksamkeit. - Kipp recherchiert und interpretiert die berufliche Biographie und das Werk des Nestors der deutschen Ar- beitspädagogik, Johannes Riede/. - Neumann beschreibt "die eigenartige und kom- plizierte Synthese einer ursprünglich geisteswissenschaftlich begründeten Berufserziehungstheorie mit der nationalsozialistischen Ideologie" an Friedrich Feld (195); außerdem streift er die berufspädagogischen Schriften von L. H. Adolj Geck und Gustav Messarius. - Seubert untersucht die Lehren der Berufspädagogen Karl Abraham, Carl Arnhold, Walther Löbner, Ernst Magdeburg, Otto Monsheimer, Friedrich Schlieper, Adolj Schwarzlose und Fritz Urbschat; ihm geht es darum, die- se Lehren "einmal auf ihre Ursprünge in der Weimarer Zeit zurückzuverweisen, zum andern aber auch ihr Heranrücken an den Nationalsozialismus und dessen Weltanschauung, die sie sich überstürzt zu eigen machten, zu rekonstruieren" (18). Wolsing befaßt sich ebenfalls mit Carl Arnhold und Friedrich Feld, da seiner An- sicht nach die Nationalsozialisten von den betriebs- und berufspädagogischen Arbei- ten dieser beiden Fachvertreter zehrten. Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 31 Im Überblick kann man sagen, daß die große Mehrheit der Berufspädagogen sich der Ideologie des Nationalsozialismus annäherte, dessen Argumentationsfigu- ren und Denkschablonen übernahm und dessen Berufserziehungsvorstellungen - naiv? - als ihre eigenen propagierte. Die charakteristische Wende und Affinität der Disziplin zum Nationalsozialismus läßt sich, wenn auch nicht zureichend, auf perso- naler Ebene aufzeigen und erklären. 1.2 Berufspädagogik im Dritten Reich: Anpassung und Ausrichtung Mit der Analyse der berufspädagogischen Entwürfe und Theorien in der NS-Zeit ist selbstverständlich noch nicht die Geschichte der Disziplin geschrieben. Aufklä- rung über ihre historische Rolle bedarf weiterer Studien; sie erwächst u.a. auch aus den Biographien der namhaften Vertreter: im Lebenslauf des einzelnen Wis- senschaftlers spiegelt sich sein Verhältnis zur Gesellschaft; in der Menge der biogra- phischen Daten zeigt sich die gesellschaftliche Funktion der Wissenschaft an. Als ein Beitrag zur Historiographie der Berufspädagogik im Dritten Reich verstehen sich ausdrücklich die im folgenden rekonstruierten Biographien6 und deren Ergän- zung durch Zitate, wo dies der Charakterisierung der wissenschaftlichen und politi- schen Position dient. Karl Abraham: Die Vorstellungen vom "Betrieb als Erziehungsfaktor", die er in seiner Habilitationsschrift entwickelt, sind zum erheblichen Teil Abfallprodukte des NS-Konzepts der Betriebsgemeinschaft. Abrahams Annäherung an die ideologi- schen Argumentationsfiguren des NS wird von Seubert rekonstruiert. Kurzbiographie: geb. 6.7.1904 in Tschicherzig (= Odereck, Kreis Züllichau); Studium in Breslau und Berlin; 1926 Dipl.-Hdl. (HH Berlin); Handelslehrer; 1930 Dr. rer. pol. (U Breslau): "Die Grundlagen einer Berufsschulpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Preußen"; 1945 Flucht in den Westen; Direk- tor einer Kreisberufsschule in Westfalen; Referent im Oberpräsidium in Düsseldorf; 1946 Dozent an der Berufspädagogischen Akademie Solingen; 1952 Habil. (U Köln): "Der Betrieb als Erziehungsfaktor"; 1952-1957 Prof. für Wirtschaftspädago- gik (Wirtschaftshochschule Mannheim); 1957-1969 Prof. für Wirtschaftspädagogik (U Frankfurt/M.). K(C)arl Arnhold: geb. 18.12.1884 in Elberfeld; gest. 1970; Höhere Maschinen- bauschule; Konstrukteur; Betriebsingenieur; Gewerbelehrer; TH-Studium; 1914 Kriegsfreiwilliger; Februar 1915 Unteroffizier; August 1915 Leutnant d. R., Adju- tant beim Kommandeur der Pioniere; 1917 Kompanieführer und Leiter des Unter- richtswesens ("vaterländischer Unterricht") einer Division; Schriftleiter der Divi- 32 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung sionszeitung "Grabenpost"; zeitweise stellv. Generalstabsoffizier; 1920 als Ober- leutnant d. R. abgegangen; 1918-1920 als Angehöriger des Stabes des VIII. Armee- korps und später des Wehrkreises VI (= Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Bre- men, Westfalen) an der Niederschlagung der Arbeiteraufstände und Ruhr-Kämpfe beteiligt; 1920 Fortsetzung der arbeiterfeindlichen Politik durch Gründung des "Kulturpolitischen Klubs" in Wuppertal und des "Treubundes"; Beteiligung an Kämpfen gegen "Spartakus"; 1923 mit "Treubund" aktiv im Ruhrkampf; Juni 1923 wegen Sabotage von Franzosen verhaftet und zu 4 1/2 Monaten Einzelhaft in Düs- seldorf und Mainz verurteilt; seit 1921 Ausbildungsleiter im Stahl- und Eisenwerk Schalker Verein, Gelsenkirchen (im Konzern der Gelsenkirchener Bergwerks-AG); seit der Gründung 1925 Leiter des DINTA; mit dessen Eingliederung in die DAF, 1933, Leiter des Amts für Berufserziehung und Betriebsführung in der DAF und bis 1942 (zeitweise gleichzeitig) Generalreferent für Berufserziehung und Leistungs- steigerung im Reichswirtschaftsministerium; 1930 Gründung der Gesellschaft für Arbeitspädagogik; 1931 DrAng. e. h. (TH Dresden); Januar 1932 persönlicher Kon- takt mit Hitler in Godesberg: Vereinbarung, das DINTA in der Öffentlichkeit aus dem Parteienkampfe herauszuhalten, insgeheim aber der NSDAP zuzuarbeiten; NSDAP-Mitglied seit 1933 (durch Vermittlung des Oberingenieurs Dr. Alfred Heß, Onkel des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, trotz Mitgliedersperre und gegen das Votum der NSDAP-Gauleitung Düsseldorf rückwirkend zum 1. April 1933 auf- genommen); 1936 Prof. (TH Dresden und TH Berlin); 1942 infolge persönlicher Differenzen mit Dr. Robert Ley, Leiter der DAF, aus allen Ämtern ausgeschieden und als Unternehmensberater in der sächsischen Flugzeugindustrie tätig; nach Kriegsende Zuchthaus Siegburg; 1947 Wiederaufbau der 1930 gegründeten Ge- sellschaft für Arbeitspädagogik Witten/Ruhr; 1953 Leiter der Holzfachschule Bad Wildungen; Dezember 1960 ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. - Gegen eine Wiederbelebung des DINTA-Geistes nach 1945 wandte sich Fritz Fricke, der bereits seit den zwanziger Jahren die gewerkschaftliche Kritik am DIN- TA formuliert hatte. Adolf Moritz Friedrich: geb. 1892, gest. 1963; 1914 Dipl.-Ing. (TH Braun- schweig); betriebliche Ingenieurarbeit: Aufbau der Psychotechnischen Abteilung der Friedrich Krupp AG Essen; 1922 Dr.-Ing. (TH Berlin): "Die Analyse des Schlosser- berufs"; 1922 Habil. (TH Braunschweig): "Die werteschaffenden Methoden der in- dustriellen Psychotechnik"; Privatdozent; seit 1924 als pI. a.o. Prof. für Sozialpsy- chologie an der TH Karlsruhe; Leitung der von ihm mitbegründeten Anstalt für Ar- beitskunde in Saarbrücken (AFAS), die bis 1935 bestand und sich der Lösung prak- tischer Probleme der betrieblichen Menschenführung annahm; NSDAP-Mitglied seit 1933; SS-Karriere: 5.9.33 SS-Anwärter, 12.1.34 SS-Mann, 1.3.35 SS-Stu- rmmann, 20.4.35 Rottenführer, 30.1.36 Unterscharführer, 13.9.36 Scharführer, Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 33 9.11.37 Oberscharführer, 30.1.38 Untersturmführer, 10.9.39 Obersturmführer, 20.4.41 Hauptsturmführer; Friedrich war seit September 1939 ehrenamtlicher Mit- arbeiter im Rasse- und Siedlungshauptamt-SS; 3.Juni 1942 Auszeichnung mit dem Totenkopfring der SS; 1933 Berufung auf den ersten deutschen Lehrstuhl für Men- schenführung im Betrieb an der Bergakademie Clausthal; seit 1938 Abteilungsleiter für Berufsausbildung und Leistungsertüchtigung in der Reichswirtschaftskammer Berlin, daneben betriebliche Beratertätigkeit im Siemens-Konzern; nach 1945 Fort- setzung der Beratungs- und Lehrtätigkeit (Expertisen, Vorträge, Kurse) u.a. in der Technischen Akademie Wuppertal. Ludwig Kiehn: geb. 2.10.1902 in Hamburg; Studium in Hamburg und Tübingen; 1926-1929 Volksschullehrer (Hamburg); 1930-1933 Assistent am Lehrstuhl für Aus- lands- und Sozialpädagogik (U Hamburg) und Lehrbeauftragter am Seminar für Erziehungswissenschaft; 1931 Dr. phiI. (U Hamburg): "Goethes Begriff der Bil- dung"; NSDAP-Mitglied seit 1933; 1933/34 Dozent am Hamburger Institut für Leh- rerfortbildung; seit 1934 Prof. für Erziehungswissenschaft an der Hochschule für Lehrerbildung in Kiel; 1939/40 Prof. für Erziehungswissenschaft im Rahmen der GWL-Ausbildung an der Hamburger Hochschule für Lehrerbildung; Kriegsdienst; nach dem Krieg Referent für den Neuaufbau der Lehrerbildung im Volksbil- dungsministerium in Kiel, im Juli 1946 entlassen aufgrund der Veröffentlichung: "Preußisch-deutscher Nationalismus unter der Weimarer Republik", in: Hamburger Lehrerzeitung (1934), H. 4, S. 49ff.; 1949-1952 Lehrer in Hamburger Handelsschu- len und an der Wirtschaftsoberschule; seit 1952 Leiter der Abt. für Kaufmännisches Bildungswesen (Dipl.-Hdl.-Ausbildung), die später dem PI der U Hamburg einge- gliedert wurde; seit 1956 pI. Extraordinarius für Berufspädagogik, seit 1967 ord. Prof. für Berufspädagogik (U Hamburg); emeritiert 1969. Erwin Krause: geb. 7.4.1908 in Neu Zattun; Studium an der TH Charlottenburg, 1932 DipI.-Ing.; NSDAP-Mitglied seit 1933; 1934 Dr.-Ing. (TH Berlin): "Arbeits- wechsel auf arbeitstechnischer Grundlage"; 1934-1936 in der Chemisch-Techni- schen Reichsanstalt und in der Eignungspsychologischen Untersuchungsstelle der Berufsberatung Berlin tätig; seit 1936 Fliegerstabs-Ing. im Reichsluftfahrtministeri- um, verantwortlich für Planung, Aufbau und Leitung des Ausbildungswesens in der Luftfahrtindustrie und in den Flieger-Technischen Vorschulen; 1948-1970 Leiter der Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung in Bonn, bis 1973 Geschäftsführer des Kuratoriums der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung; 1955-1957 Lehrbeauf- tragter für Berufspädagogik (U Bonn); seit 1962 Lehrbeauftragter; seit 1969 Hono- rar-Prof. für Industriepädagogik (TH Aachen); 1973 ausgezeichnet mit dem Bun- desverdienstkreuz Erster Klasse. 34 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung Walther Löbner warb seit Oktober 1934 als Vortragsredner des DAF-Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung für die "totale Politisierung der Wirtschafts- pädagogik" (1940: 144). Als "Vorkämpfer des neuen Deutschlands" vertraute Löb- ner auf die "geheimnisvolle Kraft, die aus Volk und Rasse entspringt"; er sah die Aufgabe der Erziehung darin, "den politischen Menschen zu formen" (1934: 101), wozu "neben manchem anderen auch der Drill" gehöre; dessen "tieferer Sinn" sei "die Bereitmachung des Menschen für die selbstverständliche Gewöhnung an auto- matischen Gehorsam" - dafür nahm Löbner die "völlige Ausschaltung des Ich - ins- besondere des denkenden Ich" in Kauf (1935: 257f.). Kurzbiographie: geb. 14.6.1902 in Leipzig; 1918-1922 Lehrerseminar; 1922- 1925 Hilfslehrer; 1926-1931 Studium (HH Leipzig), Dipl.-Hdl.; 1931 Dr. phil. (U Leipzig): "Die finanziellen Auswirkungen der Reichswasserstraßenpolitik von 1918 bis 1930"; 1930-1937 Wissenschaftlicher Assistent; NSDAP-Mitglied seit 1933; 1934 Habil. (HH Leipzig): "Wirtschaft und Erziehung"; 1937-1945 Prof. für Wirt- schaftspädagogik (HH Leipzig); seit 1938 Gaukassenverwalter im Gau Sachsen des NS-Dozentenbundes; seit 1939 Mitglied des Ausschusses für die Entziehung akade- mischer Grade; 1945-1949 Forschungsprofessor in Verbindung mit der U Leipzig; 1949-1958 Direktor der Kaufmännischen Schulen der IHK Bochum; 1951-1958 ne- benamtl. Studienleiter (Höhere Wirtschaftsfachschule Bochum); 1952-1955 neben- amtl. Dozent an der Bergschule Bochum; 1958-1969 Prof. für Wirtschaftspädagogik (U Erlangen-Nürnberg). Ernst Magdeburg wies der Berufsschule neben der Vermittlung des notwendigen Berufswissens die Aufgabe zu, dem jungen Menschen zur uneigennützigen Dienst- auffassung, Pflichttreue und auch zur "Ausprägung seines Deutschtums" (1936: 115) zu verhelfen. Seine eigene Volkstumsmetaphysik kennzeichnet die Forderung: "Der junge Mensch muß das Wesen und den Wert des völkischen Seins erfahren und bejahen" (1936: 116). Kurzbiographie: geb. 1902 in Kassel; 1917-1923 Ausbildung als Lehrer; 1923- 1928 Bäckerlehrling, -geselle, -meister; Gewerbelehrerstudium (Berlin); NSDAP- Mitglied seit 1937; 1938 Dr. phil. (U Göttingen): "Die ständische Form der Handwerkererziehung, ihre Entwicklung und ihre Theorie"; 1938-1945 Regierungs- und Gewerbeschulrat im Reichserziehungsministerium; 1947 Dozent, seit 1952 Prof. für Pädagogik am Berufspädagogischen Institut in Frankfurt/M., zugleich stellv. BPI-Direktor. Otto Monsheimer. Der Anpassungsprozeß an die NS-Weltanschauung war bei Monsheimer erst 1940 abgeschlossen: "Es bedurfte des revolutionären Umbruchs Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 35 aller Bereiche des nationalen Lebens durch die nationalsozialistische Ideenwelt, um auch den Berufsbildungsgedanken aus dem tragischen Zirkel zu befreien, in dem er im liberalen Denken gefangen war" (1940: 253). Mit der "nationalsozialistischen Arbeitsidee" wollte Monsheimer seinerzeit den "sozialpathologisch vergifteten Volksboden" (1940: 252), der die "Scheindemokratie des Weimarer Verfassungs- staates" hervorgebracht habe, entgiften; ihm ging es darum, "der Arbeit ihren Sinn in einer umfassenden Lebensordnung zurückzugeben und den Einzelnen zu einem tätigen Glied der Volksgemeinschaft zu machen" (1940: 253). Kurzbiographie: geb. 13.12.1897 in Frankfurt/M.; 1920 Volksschullehrer; 1926 Zusatzprüfung als Gewerbelehrer; Berufsschullehrer; 1930 Dr. phil. (U Frank- furt/M.): "Der Kirchenbegriff und die Sozialethik Luthers in den Streitschriften und Predigten 1537/40"; NSDAP-Mitglied seit 1937; zeitweise Berufsschuldirektor, da- nach wieder Berufsschullehrer; 1951 Magistrats-Oberschulrat in Frankfurt/M.; 1955 Leiter der Referatsgruppe "Berufsbildendes Schulwesen" im Hessischen Kultusmi- nisterium (Ausarbeitung von Bildungs plänen für hessische Berufsschulen); ord. Prof. am BPI Frankfurt/M.; seit 1957 Honorarprof. (U Frankfurt/M.); 1964 Aus- zeichnung mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen. Johannes RiedeI: geb. 4.1.1889 in Leipzig, gest. 1.8.1971 in Hamburg; 1909- 1914 Studium der Ingenieurwissenschaften, DipI.-Ing. (TH Dresden); 1914-18 Mili- tär- bzw. Feuerwehrdienst; 1918 Dr.-lng. (TH Dresden): "Grundlagen der Arbeitsor- ganisation im Betriebe mit besonderer Berücksichtigung der Verkehrstechnik"; 1919-1924 Referent für Arbeitsrationalisierung in der Landesstelle für Gemeinwirt- schaft beim Sächs. Wirtschaftsministerium; 1911-1931 Pfadfinderführer, 1926-1931 Bundesführer der Ringgemeinschaft Deutscher Pfadfinder; 1925-1945 Lehrbeauf- tragter für Betriebsführung (HH Leipzig); 1929-1945 Freier Mitarbeiter am DINTA und dessen Nachfolgeinstitution, dem Amt für Berufserziehung und Betriebsführung in der DAF; 1932/33 Leiter des Arbeitsdienst Sachsen e.Y.; 1934-1935 Leiter der Vorlehre- und Vorschulungslager (Werkstattlager) des Sächs. Ministeriums für Volksbildung; 1935-1937 Abteilungsleiter im Arbeitswissenschaftlichen Institut der DAF, Berlin; NSDAP-Mitglied seit 1937; 1936-1945 Mitglied der Geschäftsführung der Reichsgruppe Industrie; 1939 Teilnahme am Polen-Feldzug; danach Freistellung für die arbeitswissenschaftliche Beratung der Kriegsindustrie; 1942-1945 Leitung der Arbeitsstelle der Reichsgruppe Industrie für Wiedereinschulung von Kriegsver- sehrten (Dresden); 1943-45 Lehrbeauftragter an der TH Dresden; 1945 Volkssturm- führer, sowjetische Kriegsgefangenschaft bis 1946; Dezember 1946 Teilnahme an der Wiedergründung des REFA; Entnazifizierung; 1947-48 Leitung der Arbeitsstelle für gewerbliche Berufserziehung in Dortmund; 1948-49 Ausbildungsberater der IHK Braunschweig, Vorsitzender des REFA-Bezirksverbandes Braunschweig; 1948 36 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für gewerbliches Bildungswesen, bis 1951 Geschäftsführer; 1949-1961 Schriftleiter des Archiv für Berufsbildung; 1949- 1956 Prof. für Berufspädagogik (U Hamburg); 1952 Leiter des Ausschusses für Be- rufserziehung der Ständigen Konferenz der Kultusminister in der BRD; 1951-1969 Vors. des REFA-Grundsatzausschusses Arbeitsunterweisung, seit 1969 Ehrenvor- sitzender; 1962-1967 Mitglied des Schriftleiterausschusses des Archiv für Berufsbil- dung, seit 1967 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für gewerbliches Bil- dungswesen; Kuratoriumsmitglied des UNESCO-Instituts für Pädagogik in Ham- burg. Friedrich Schlieper: Seine Schriften blieben über Jahrzehnte hinweg in Inhalt und Aussage unverändert, in längeren Textpassagen sogar identisch; noch zu Anfang der sechziger Jahre wartet er mit Erziehungszielen und Wertorientierungen auf, "die ihre Wurzeln ebenso in der DINTA-Konzeption wie in der Weltanschauung des Na- tionalsozialismus haben" (Seubert, 168). Kurzbiographie: geb. 5.3.1897 in Soest/Westf.; Dipl.-Hdl.; 1929 Dr. phil. (U Köln): "Der Entwicklungsgang einer manuellen Geschicklichkeitsleistung. Ein Bei- trag zur Klärung des Begriffs 'Geschicklichkeit'''; NSDAP-Mitglied seit 1933; seit 1934 Lehrbeauftragter für Wirtschaftspädagogik (U Köln); 1939 Habil. (U Köln): "Einzelhandel und Berufsschule. Gegenwartsfragen der schulischen Berufsausbil- dung im Einzelhandel"; seit 1941 Prof. für Wirtschaftspädagogik (U Köln); seit 1943 Direktor des Seminars für Wirtschaftspädagogik (U Köln); seit 1951 Direktor des Instituts für Berufserziehung im Handwerk an der U Köln; 1960-1965 Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialpädagogik (U Köln); daneben Vorstandsvor- sitzender des Wilhelm-Heinrich-Riehl-Instituts, Düsseldorf; Vors. des Forschungsra- tes des Deutschen Handwerks-Instituts, München; Vorstandsmitglied des Deutschen Verbandes für kaufmännisches Bildungswesen e. v., Braunschweig; Vorstandsvors. der Dr. Herberts-Stiftung zur Förderung des wiss. Nachwuchses der Wirtschafts- und Sozialpädagogik, Köln; Herausgeber folgender Schriftenreihen: Wirtschaftspäd- agogische Schriften, seit 1944; Wirtschaftspädagogische Studien, seit 1959; Berufs- erziehung im Handwerk (Hefte seit 1953, Bände seit 1954); Praxis der Berufserzie- hung im Handwerk, seit 1957; 1967 Auszeichnung mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Adolf Schwarzlose freundete sich rasch mit der "nationalsozialistischen Idee" an und bemühte sich gleich nach der Machtergreifung um die Entwicklung des "na- tionalpolitischen Erziehungszieles ", die Heranbildung des "deutschen Menschen nationalsozialistischer Prägung" (1934b: 363). Berufserziehung sollte das Indi- viduum über den Weg "politischer Willensschulung" im Sinne dieses Erziehungs- Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 37 zieles Hzum vollwertigen Glied seines Volkes machen und [ ... ] zur vorbewußten und überzeugten Anerkennung seiner Gliedhaftigkeit bringen" (1934a: 20). Kurzbiographie: geb. 7.9.1899 in Hötensleben (Bezirk Magdeburg); gest. 1968; Ausbildung am Volksschullehrer-Seminar Osterburg (Altmark); Lehrer an der Mit- telschule Stendal, später im kaufmännischen Schulwesen Berlins; Studium an der Wirtschaftshochschule und U BerIin; 1926 Dipl.-Hdl.; 1931 Dr. oec. (HH Berlin): "Der Standortswert für Tabakwarengeschäfte, mit besonderer Berücksichtigung der Verteilung des Zigarren-, Zigaretten- und Tabakhandels in Berlin "; bis 1948 Schul- dienst; seit 1948 Dozent, 1960-1962 Rektor der PH Berlin; seit 1963 ord. Prof. für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (PH Berlin). Simon Thyssen: geb. 16.7.1898 in Gaansager (Krs. Hadersleben); Lehrzeit, Staatliche Tiefbauschule Rendsburg, Unterbrechung durch Militärdienst, 1921 Inge- nieurexamen; 1922-1923 Studium am Gewerbelehrerseminar Berlin-Charlotten- burg; Gewerbelehrer, zuletzt in Hamburg-Harburg; 1929 Reifeprüfung an der Oberrealschule Flensburg; 1929-1934 Studium der Erziehungswissenschaften, Psy- chologie und Volkswirtschaftslehre (U Hamburg), Diss.: "Die Schulwelt im Be- wußtsein der Berufsschüler"; NSDAP-Mitglied seit 1937; 1937 Dozent, seit 1938 Prof. am Staatl. Berufspäd. Institut Berlin; zeitweise als Wehrmachtspsychologe tä- tig; 1941-1945 wieder am BPI; danach vorübergehend wieder im Berufsschuldienst; später Dozent am Pädagogischen Institut (U Hamburg), seit 1954 Leiter der Abt. ge- werbliches Bildungswesen, seit 1957 mit Lehrauftrag f. Berufspädagogik (U Ham- burg). Fritz Urbschat feierte in seinem berufspädagogischen Geschichtswerk von 1937 den Hsiegreichen Durchbruch der nationalsozialistischen Idee" als den Beginn einer neuen Epoche "in der Geschichte der Berufserziehung" (76). Das "Berufsleben des deutschen Menschen" habe sich wie "das gesamte deutsche Leben in allen Erschei- nungsformen von Grund auf" gewandelt: drohten noch in der Weimarer Zeit HKlas- senhaß und Parteikampf" das Ethos der Arbeit zu zersetzen, so fordere der National- sozialismus jetzt den Hdisziplinierten Berufsträger, dessen charaktervolle Haltung die Krönung seiner Arbeitsleistung" bilde; deshalb gehe es vordringlich um die "Mobilisierung der Arbeitskraft der berufstätigen deutschen Jugend und darüber hinaus des ganzen deutschen Volkes" (77). Die Berufsschule habe die "Ausrichtung des berufstätigen deutschen Menschen zum wertvollen und bewußten Glied der deutschen Volksgemeinschaft" zu betreiben, das "seine ganze Arbeitskraft mit dem Ziel der beruflichen Höchstleistung" verausgabe (81). 38 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung Kurzbiographie: geb. 14.12.1884 in Gumbinnen (Ostpreußen), gest. 1970; Leh- rerseminar in Karalene; Lehrer in Insterburg; 1914-1918 Kriegsdienst, zuletzt als Hauptmann; danach wesentlich beteiligt an der Niederschlagung der Matrosen-Auf- stände in Königsberg; 1919-1921 Studium (HH und U Königsberg); 1921 Dipl.- Hdl.; Handelslehrer und Schulleiter in Insterburg und Tilsit; 1930 Dr. phi!. (U Kö- nigsberg): "Einfluß der Berufserfahrung auf den Erfolg des kaufmännischen Unter- richts"; 1928 Lehrstuhlvertretung für Wirtschaftspädagogik (HH Königsberg); 1929 Habil.: "Das Seelenleben des kaufmännisch tätigen Jugendlichen"; danach Pri- vatdozent; 1931-1945 Prof. und Direktor des wirtschaftspädagogischen Seminars (HH Königsberg); NSDAP-Mitglied seit 1937; 1947 Flucht in den Westen; 1948- 1951 Lehrbeauftragter für Wirtschaftspädagogik (U Frankfurt/M. und U Mann- heim); 1949-1951 Lehrbeauftragter für Pädagogik, Psychologie und Philosophie (TH Darmstadt); 1951 Honorarprof. (Wirtschaftshochschule Mannheim); 1952-1957 Geschäftsführender Direktor des Wirtschaftspädagogischen Seminars (U Frank- furt/M.); 1959-1961 Lehrstuhlvertretung für Wirtschaftspädagogik (U Saarbrücken). Die für die Berufspädagogik repräsentativen Biographien ihrer wissenschaftli- chen Vertreter weisen folgende Tendenz auf: Berufspädagogik hat sich den herr- schenden wirtschaftlichen und politischen Interessen im Dritten Reich dienlich ge- macht. Ein personeller Wechsel folgte diesem Engagement nicht; dieselben Berufs- pädagogen haben nach 1945 die Disziplin als Hochschullehrer vertreten und als sol- che die berufspädagogischen Vorstellungen und die bildungspolitische Diskussion in der BRD bestimmt. Die faktische Parteilichkeit der Wissenschaft ist damit offen- kundig. - Daß sich dieselbe Kontinuität zeigt, wo Berufspädagogik nicht von Fach- vertretern, sondern direkt von hauptberuflichen Wirtschaftsfunktionären betrieben wird (z. B. Albert Bremhorst, Adolf Kieslinger, Herbert Studders), versteht sich. 1.3 Berufserziehung im Dritten Reich: Qualifikation und Lenkung Der nachfolgende Bericht stützt sich auf die Arbeiten von Seubert und Wolsing und auf Forschungen der Vf.; relevante Einzelstudien (Bunk, Eichberg, Fenger, Ka- chulle) werden berücksichtigt. Vortrag und Vergleich der Forschungsergebnisse er- folgen abschnittweise in der Reihenfolge: Nationalsozialistische Errungenschaften, Prozesse, Träger und Institutionen der Berufserziehung, letztere herkömmlich unter- schieden in betriebliche und schulische. Die von den Nationalsozialisten neu geschaffenen Institutionen und Formen be- ruflicher Ausbildung sind weitgehend unerforscht. Als abgehandelt kann allein der von HJ und DAF organisierte Reichsberufswettkampf gelten, den Wolsing in einem Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 39 eigenen Kapitel "als Beitrag der nationalsozialistischen Bewegung zur Be- rufsausbildung im Dritten Reich" darstellt (496-545)? Der Reichsberufswettkampf diente nicht nur einer ständigen Kontrolle des Ausbildungswesens, sondern auch der politischen Indoktrination der arbeitenden Jugend; es sollte "festgestellt werden, in- wieweit die Jugend die politischen Parolen des NS-Systems übernahm und verinner- lichte, das heißt in welchem Ausmaß die Verschleierungstaktik und Ablenkungsma- növer zum Zwecke der Ausbeutung jugendlicher Arbeitskraft in den betroffenen Kreisen wirksam wurden" (502). Über die Berufsausbildung in Handel und Gewerbe gibt es, wiederum von Wol- sing, eine vorzügliche Beschreibung. Sie zeigt, daß trotz jahrelanger Konflikte zwi- schen Partei und "Wirtschaft" beide in der Zielsetzung übereinstimmten, "nämlich einen leistungsfähigen, der Wirtschaft dienenden Berufsnachwuchs heranzubilden" (316). Die unterschiedlichen Auffassungen über die Gestaltung der praktischen Leh- re waren freilich Anlaß ständiger Auseinandersetzungen: "Während die Wirt- schaftsverbände für eine fachliche und betriebsbedingte Berufsausbildung plädierten und erzieherische Elemente nur insoweit in Betracht ziehen wollten, als das dem wirtschaftlichen Ausbildungserfolg unmittelbar förderlich war, forderte die Deut- sche Arbeitsfront die Einbeziehung ideologisch-erzieherischer Aspekte als festen Bestandteil in der Berufsausbildung" (323). - Zu den Widersprüchlichkeiten natio- nalsozialistischer Berufserziehungspolitik gehört neben dem "Erlaß über die Lehr- zeitverkürzung" (250), daß die DAF geradezu aggressiv darauf bedacht war, "be- stimmenden Einfluß auf die Berufserziehung zu nehmen, während die NS-Regie- rung in dieser Frage weit vorsichtiger operierte und oftmals gemeinsam mit der Or- ganisation der gewerblichen Wirtschaft Stellung gegen die DAF bezog" (395). Die von den Nationalsozialisten schließlich herbeigeführte Vereinheitlichung und Zen- tralisierung der Berufsordnungsarbeit hatte in erster Linie ökonomische Gründe: "Das unkoordinierte Nebeneinanderherarbeiten zahlreicher Ausschüsse auf dem Ge- biet der Berufsordnung erwies sich auf Dauer sowohl für die weitere technische Ent- wicklung als auch für die rustungswirtschaftlichen Erwägungen des NS-Regimes als unhaltbarer Zustand" (274). Ausbau und Entwicklung der industriellen Lehrwerkstätten gingen nach der NS- Machtergreifung gewaltig voran, wie Eichberg zeigt: "Statt 167 Lehrwerkstätten im Jahre 1933 zählte man 1936 bereits 691 und 1937 über 1550. Bis 1940 erhöhte sich diese Zahl auf 3304 Werkstätten, in denen 244250 Lehrlinge ausgebildet wurden, gegenüber 16222 im Jahre 1933/1 (47). Triebfeder dieser Entwicklung war die Rü- stungsproduktion, die zu industrieller Expansion führte und einen erheblichen Be- darf an qualifizierten Facharbeitern mit sich brachte. Die Lehrwerkstatt bot ideale Voraussetzungen zur nationalsozialistischen Indoktrination der Lehrlinge: "Die be- 40 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung triebsbedingte Arbeitsdisziplin war leicht einer militärischen Disziplin anzuglei- chen. Die anstrengende, Selbstüberwindung kostende körperliche Arbeit gestattete es, eine 'kämpferische Haltung' zu betonen. Die Erziehung und Ausbildung in einer Gemeinschaft führten zu einer nationalsozialistischen Gemeinschaftserziehung mit soldatischem Charakter" (50). Die Errichtung von Werkschulen und der Ausbau des betrieblichen Schulwe- sens, von Anfang an ein zentrales Anliegen des DINTA, wurde nach dessen Einglie- derung in die DAF systematisch verstärkt. Dies vorausgeschickt, wird die Feststel- lung bei Fenger politisch verständlich: "Entgegen der grundsätzlich privatschul- feindlichen Schulpolitik der nationalsozialistischen Regierung wurden die privaten Schulen der Industrie nach 1933 nicht behindert, sondern sogar staatlich gefördert" (62). Die Leitvorstellungen hinter dieser Entwicklung nennt Fenger im folgenden: "Die traditionelle autoritär-hierarchische Sozialstruktur der Betriebe und das straffe System der Berufserziehung, aber auch die vom DINTA bewußt gepflegten Ideen der Leistungsgemeinschaft und der Elitebildung, waren Grundlagen für die Umfor- mung der Betriebe zu 'Gefolgschaftssystemen', zu 'Kampf- und Lebensgemein- schaften', in denen Werkschulen und Lehrwerkstätten als Stätten technischer und politischer Jugendbildung eine besondere Bedeutung hatten" (63). Von allen relevanten Institutionen hat bisher die größte Aufmerksamkeit zwei- fellos wegen seiner exponierten Stellung das DINTA auf sich gezogen; bereits zu seiner Zeit war es Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, deren Einschätzung heute noch kontrovers ist. - Über das DINTA schreiben Bunk, Kachulle und Seu- bert.8 Letzterer analysiert zugängliches DINTA-Schrifttum unter der Fragestellung, welche Vorarbeit die DINTA-Männer für die NS-Machtergreifung leisteten. Unter dieser Fragestellung interessieren der DINTA-Leiter Carl Arnhold, seine politischen Tammanöver und Kampf taktiken, ferner die führenden Männer der Schwerindustrie und die Großindustriellen und Großagrarier, die sich im "Freundeskreis" des DIN- TA zusammengeschlossen hatten, um dieses Institut tat- und finanzkräftig zu unter- stützen? Seubert rekonstruiert das politisch-ökonomische Interessengeflecht, in das das DINTA verwoben war und entschleiert dessen Ziele. Damit vermag er die naive Einschätzung des DINTA, die Bunk vertritt, gründlich zu widerlegen. Bunk negiert die politische KampfsteIlung des DINTA gegen die Gewerkschaften, untersucht nicht dessen Rolle bei der Vorbereitung der Machtergreifung. Er folgt den verschlei- erten Selbstdarstellungen des DlNTA und erliegt ihnen. Das ist deshalb verwunder- lich, weil Bunk - anders als Seubert - das DINTA-Archiv der Gesellschaft für Ar- beitspädagogik in Witten/Ruhr benutzte. Daß man unter Heranziehung der DINTA- Archivalien die DINTA-Politik zutreffend rekonstruieren kann, zeigt die Diplomar- beit von Kachulle. Sie stimmt mit Seuberts Einschätzung der DINTA-Politik über- Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 41 ein, die sie an einigen Stellen noch genauer offenlegt. Bestimmte personelle Fragen kann freilich auch sie nicht klären, weil ihr das Berlin Document Center verschlos- sen blieb. Einschlägige Archivalien bestätigen die Folgerungen von Kachulle und Seubert, daß die führenden Männer des DINTA lange vor der Machtergreifung zu den rührigsten Trommlern des Nationalsozialismus gehörten. 10 Die Integration des DINTA in die DAF bot die Möglichkeit, den DATSCH, der seit 1908 die Interessen der "Wirtschaft" auf dem Gebiet der Berufserziehung gegenüber staatlichen Instan- zen vertrat, ins Abseits zu drängen. Daß dies nicht gelang, lag daran, daß die ande- ren Wirtschaftsgruppen über das Reichswirtschaftsministerium ihren Anspruch auf Mitgestaltung der Berufserziehung so massiv anmeldeten, daß es schließlich zwi- schen diesem Ministerium (Schacht) und der DAF (Ley) zu heftigen Streitigkeiten um die Zuständigkeit kam, die sich anläßlich der Einschreibungs- und Freispre- chungsfeier der IHK und HK im Berliner Sportpalast am 11.5.1937 zuspitzten. Von Seubert und Wolsing wird dies Ereignis, obwohl sich beide auf dieselben Quellen stützen, unterschiedlich interpretiert: Schacht habe in der Festrede seine Auffassung über die Kompetenzverteilung deutlich gemacht - "allerdings ohne die DAF direkt anzugreifen" (Seubert, 121); "mit deutlichen Attacken gegen die DAF" (Wolsing, 716). Dieser Kompetenzstreit ist indessen nicht nur Ausdruck des Machtkampfes verschiedener wirtschaftlicher Interessen; er spiegelt auch die Rivalitäten, die sich zwischen Teilen des herkömmlichen Staatsapparates und der Partei entwickelten und zudem durch parteiinterne Auseinandersetzungen bestimmter Cliquen überla- gert und verschärft wurden. Ihn darzustellen, wäre ein Kapitel für sich; er ist nur an- satzweise erforscht. Das Berufsschulwesen im Dritten Reich wird bislang am besten von Wolsing dargestellt. Nach der Machtübernahme entbrannte auch hier ein Kompetenzstreit, und zwar um die Schulaufsicht, in dem der Reichswirtschaftsminister schließlich dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterlag. Die alte Trägervielfalt blieb erhalten; als Träger neu hinzu kamen die NSDAP und die DAF. Als einzige von NS-Gliederungen getragene Berufsschule nennt Wolsing die Dr. Robert-Ley-Musterberufsschule und Gemeinschaftslehrwerkstatt Franken- thaI/Pfalz; die vier SA-Berufsschulen, die Benze erwähnt, sind nicht erfaßt. - Der ge- samte Komplex Reorganisation und Neuorganisation der beruflichen Ausbildung im Dritten Reich sucht noch seinen Historiographen. Erkennbar ist, daß er sich aus den Schulen in Verbände und Lager, vor allem aber auf die Betriebe verlagerte. Damit änderte sich zwangsläufig auch Berufsberatung und Nachwuchslenkung. Über sie informiert Wolsing ausführlich und fundiert; sein Urteil: im Vordergrund standen nicht "Beratung und Betreuung der jugendlichen Ratsuchenden, sondern eine an wirtschaftlichen und politischen Kriterien orientierte Berufslenkung" (85). 42 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung Das staatliche Beratungs- und Lenkungssystem erforderte einen erheblichen Verwal- tungsaufwand und behinderte sich erheblich im Kompetenzenwirrwarr der verschie- denen in diesem Bereich tätigen Gruppen. Daß sich die betriebliche Ausbildung besonderer Aufmerksamkeit erfreute, wäh- rend das öffentliche Berufsschulwesen - sträflich - vernachlässigt wurde, wirkte sich selbstredend auf die Arbeits- und Lebensbedigungen der Berufsschullehrer aus; sie verschlechterten sich. Mit Appellen an Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft wurden freiwillige Mehrarbeit von mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Woche verord- net, gleichzeitig Planstellen gekürzt und die Besoldung zurückgestuft. Selbst akuter Berufsschullehrermangel- ab 1934 sagt Wolsing, ab 1937 sagt Seubert - machte die- se Maßnahmen nicht rückgängig. (Dieser Mangel ist dann auch chronisch geworden und belastet das Berufsschulwesen bis in die Gegenwart.) - Neben materieller Ver- schlechterung und faktischen Entrechtungen hatten die Berufsschullehrer auch öf- fentliche Verunglimpfungen zu ertragen; ihr Ansehen sank während der NS-Herr- schaft "auf einen nie gekannten Tiefstand. Führer der HJ, der DAF, der SA schwelgten im Hochgefühl ihrer grenzenlosen Überlegenheit als allein berufene Erziehungstreuhänder und verunglimpften die 'rückständigen Schulmeister' in Arti- keln, Witzen und Karikaturen" (Seubert, 133f.). Den erwähnten Lehrermangel führt Wolsing auf zwei Faktoren zurück: zum einen konnten Berufsschullehrer in dieser Zeit besser bezahlte Tätigkeiten im außerschulischen Bereich finden; zum anderen setzte mit dem im Frühjahr 1933 erlassenen "Gesetz zur Wiederherstellung des Be- rufsbeamtentums" eine "Säuberungswelle" ein, der SPD-Mitglieder, Kommunisten, Nichtarier und andere unliebsame Gruppen zum Opfer fielen. Für die Linientreue der im Schuldienst Verbliebenen wurde ab 1933 in zahlreichen Schulungslagern ge- sorgt. Als Träger und Veranstalter der Umerziehungsmaßnahmen fungieren zunächst die staatlichen Schulaufsichtsbehörden und Kultusverwaltungen der Länder, später das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht und der NSLB. Die "unübersehbare Fülle von Stundenentwürfen und Praxisberichten [zum staatsbürgerlichen Unter- richt] in den pädagogischen Fachzeitschriften" sieht Wolsing als Beleg dafür, "daß die nach der Gleichschaltung im Schuldienst verbliebenen Pädagogen in ihrer Mehr- zahl hinter den Ideen des Nationalsozialismus standen" (649). Die Organisation des Berufsschullehrerstandes, die Reichsfachschaft VI im NSLB, bemühte sich lebhaft um die Mitgestaltung des Berufsschulwesens, wurde allerdings, wie Seubert und Wolsing zeigen, des öfteren zurückgewiesen und mußte sich mit der Abhaltung von Schulungslagern zufriedengeben. 11 Trotz mancher Handlangerdienste für die Wirtschaft geriet die Berufsschullehrerschaft schließlich ins Abseits, nachdem die Wirtschaft und die mit ihr zusammenarbeitende Ministeri- albürokratie sich das Berufserziehungsmonopol gesichert hatten (ein Tatbestand, der Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 43 über die NS-Ära hinaus für das Berufs- und Fachschulwesen Konsequenzen hatte). Daß nicht die Schule, sondern die "Betriebsgemeinschaft" wichtigster Faktor der Berufserziehung sei, war eine Formel, die die Berufspädagogen im Dritten Reich ständig beschworen; viele von ihnen - der Hinweis auf Schlieper mag hier genügen - wollten sie auch in der Bundesrepublik durchgesetzt wissen. - Solche Nachwirkun- gen und Ansprüche machen die historische Überprüfung berufspädagogischer (Glaubens)Sätze und Organisationsvorstellungen unerläßlich. 1.4 Desiderate der historischen Berufspädagogik Die Defizite der Forschung über Theorie und Praxis der Berufserziehung im Na- tionalsozialismus sind dem Bericht abzulesen; sie betreffen in erster Linie den Be- reich "Praxis der Berufserziehung" und hier besonders die im Abschnitt 1.1 aufge- zählten Neuerungen. - Die Grundlage für eine kritische Geschichte der beruflichen Ausbildung im Dritten Reich hat Wolsing gelegt. Erfaßt ist damit jedoch nur die ge- werblich-technische und die kaufmännische Berufsausbildung, nicht aber die haus- und landwirtschaftliche, die bergmännische sowie die Beschulung von Ungelernten. - Auf die Institutionen gesehen ist mit der Arbeit von Wolsing die Berufsschule ab- gehandelt; zu ergänzen bleibt die Geschichte der Berufsfachschule, Fachschule und Höheren Fachschule im Dritten Reich. - Auch diejenige der betrieblichen Ausbil- dung und der Betriebserziehungsverhältnisse ist noch nicht geschrieben; erst mit dieser wäre das berufliche Ausbildungswesen in seiner Vielgestaltigkeit erfaßt. Noch gar nicht untersucht ist die Ausbildung der Ausbilder während der NS- Zeit. Daß Ausbilder, Lehrgesellen und -meister, Ingenieure, Ausbildungs- und Lehr- werkstattleiter eine wichtige Position - auch hinsichtlich der ideologischen Schulung der Auszubildenden - einnahmen, ist unzweifelhaft. Es geht damit um die Frage nach der politischen Einflußnahme auf die Berufserziehung und auf die Berufspäd- agogik. Die "Wirtschaft" hat nicht nur, was selbstverständlich ist, die betriebliche Ausbildung, sondern auch die Berufspädagogik als Wissenschaft beeinflußt; dassel- be gilt für die Partei. Diese Einflüsse können ohne Archivstudien nicht aufgezeigt werden - doch halten die hier in Frage kommenden Firmen, Wirtschaftsinstitute und -verbände ihre Archive zumeist verschlossen. Das Forschungsgebiet "Theorie der Berufserziehung" ist mithin defizitär im Bezug auf die Sammlung und Auswertung der diesbezüglichen Entwürfe, Stellungnahmen und Empfehlungen vor allem von der Reichswirtschaftskammer und der Reichsgruppe Industrie; es ist defizitär im Be- zug auf die Dokumentation und Auswertung des Schulungs- und Propaganda- materials der NSDAP zum Komplex Mensch - Arbeit - Beruf. 44 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung Relativ am besten ist die Forschungslage für die berufspädagogischen Theorie- ansätze. Allerdings ist, wie gesagt, der historische Erkenntniswert der meisten vor- liegenden Monographien gering; auch stehen eine ganze Reihe historisch-systemati- scher Interpretationen aus. Sie vorzulegen, ist im wohlverstandenen Interesse der Disziplin; die Texte sind unschwer aufzufinden und verfügbar 12 , auch wenn die Edi- tionen berufspädagogischer Texte, die die NS-Zeit nicht auslassen, weder spezifi- sches noch kontroverses Material enthalten. 13 Die "Berührungsangst" scheint hier groß zu sein. Nun lassen die beigebrachten Daten am nationalsozialistischen Engagement der berufspädagogischen Senioren keine Zweifel; nimmt man ihre Mitgliedschaft in der NSDAP und den angeschlossenen Verbänden und Gliederungen hinzu, so ist offen- kundig, daß eine stattliche Anzahl von ihnen Anhänger des Nationalsozialismus wa- ren. Da die meisten nach 1945 wieder in wichtige Positionen gelangten und auch als Hochschullehrer den wissenschaftlichen Nachwuchs ausbildeten, ist die Frage zu stellen, ob es, wie Seubert meint, "Anpassungselastizität" war, die das ermöglichte, oder ob unter der Hand die mittlerweile diskreditierten alten Vorstellungen und Überzeugungen weiter propagiert wurden, oder ob historische Einsicht ein Umden- ken vermittelte. Zur Klärung dieser Frage sind gründliche Analysen erforderlich; daß kritische Geschichtsschreibung sich in diesem Falle nicht mit einem Genera- tionswechsel erledigt, bedarf keiner weiteren Begründung. Die hier ausgewerteten und vorgetragenen Studien zur Berufspädagogik und Be- rufserziehung im Dritten Reich stammen vom "wissenschaftlichen Nachwuchs". Der "jungen Generation" ist demnach mitnichten das historische Desinteresse zu at- testieren, das Theodor Wilhelm ihr unterstellt, um die NS-Lücke in der erzie- hungswissenschaftlichen Forschung zu erklären; wohl aber mag "die alte Genera- tion [ ... ] den Abstand noch immer ungenügend" finden, wie er weiter einfühlsam in- terpretiert (122).- Da die "Generation der Grenzgänger zwischen den Zeiten" (Monsheimer o.J.: VII) mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zur Aufklärung dieser Epoche bisher nicht beigetragen hat, wäre es immerhin möglich, die anste- hende Aufgabe durch ein offenes Wort in eigener Sache zu erleichtern. Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 45 1.5 Anmerkungen 1 Beide Begründungen im Ansatz bei Stratmann, wenn er vorschlägt, die Un- klarheit über den "wissenschaftssystematischen Ort" (829) wie die "Anfälligkeit der Disziplin für Arbeitgeberinteressen " (830) historisch aufzuarbeiten und aufzu- klären. 2 Die derzeitige Forschungstätigkeit läßt sich anband folgender Daten einschät- zen: Für die im September stattfindende Tagung "Erziehung, Sozialisation und Aus- bildung zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland" sind unter 47 Beiträgen vier berufspädagogische angemeldet (Stand Januar 1978); 19 berufspädagogische Projekte unter insgesamt 260 führt die "Dokumentation laufender oder gerade abge- schlossener Vorhaben im Bereich der Historischen Pädagogik" auf (Vgl. IZEBF, H. 6/7 und H.8, 1977). 3 Die Dissertationen von Seubert und Wolsing wurden 1977 veröffentlicht; da die Arbeit von Neumann nicht publiziert ist, sei sie hier kurz vorgestellt: Sie stützt sich in erster Linie auf das Werk von Friedrich Feld; der Autor begründet das damit, "daß die Wirtschaftspädagogik Felds das einzige erziehungswissenschaftliche Werk von Breite und Tiefe der NS-Zeit darstellt, an dem sich auch noch die Synthese von Berufserziehung und Nationalsozialismus hinreichend darstellen läßt" (286). Diese Begründung ist schlicht ignorant. Daß die exemplarische Darstellung jener Synthese gelungen sei, läßt sich uneingeschränkt auch nicht sagen: zu unschlüssig bleibt die Feld-Interpretation, zu formal sind die übrigen zwei Drittel an "verstehender Analy- se" (9); sie bringt die Auseinandersetzung mit Begriffen, übergeht die gesellschaftli- chen Verhältnisse; so verflüchtigt sich das Verhältnis von Berufserziehung und Nationalsozialismus zu einem theoretischen Problem. Die von Neumann selbst als notwendig erkannte "Zusammenschau von Ideologie, Politik und wirtschaftlich- technischen Sachgesetzlichkeiten" (284) wird - auch am Exempel - nicht geleistet. - V gl. Seuberts Korrekturen an Neumanns abschließender Beurteilung (Seubert, 266, Anm. 10) und Wolsings Kritik an Neumanns These von der "Indoktrination" (Wo/- sing, 549 f., Anm. 3). 4 Von den hier zu nennenden Monographien über Erziehung, Erziehungstheorie (Dickopp, Ehrhard, Gamm, Linge/bach, Stippe/) und Schul politik (Ei/ers, FIessau) im Dritten Reich behandelt keine den Komplex Berufserziehung, Berufserziehungs- theorie, berufliches Schulwesen. 5 Vgl. u.a.: Abel, HeinrichjHans-Hermann Groothoff: Die Berufsschule. Gestalt und Reform. Darmstadt 1959, bes. S.118; Freitag, Gustav: Berufserziehung in den 46 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Diss. Bochum 1970, bes. 115-119; Hoffmann. Ernst: Zur Geschichte der Berufsausbildung in Deutsch- land. Bielefeld 1962, bes. 91; Krause, Erwin: Grundlagen der betrieblichen Berufs- ausbildung und Berufserziehung des Facharbeiternachwuchses der Industrie. Stutt- gart 1955, bes. 37-41; Monsheimer o.J., bes. 121-130; Thyssen, Simon: Die Berufs- schule in Idee und Gestaltung. Essen 1954, bes. 157f. 6 Die Kurzbiographien wurden in dieser Vollständigkeit hier erstmals vorgelegt; sie stützen sich auf die genannte Fachliteratur, auf eigene Recherchen der Vf. und auf jeweils besondere Quellen, die einzeln aufzuführen hier leider kein Platz ist. Ei- nige Biographien, von Kipp zusammengestellt, auch bei Preyer, Klaus: Berufs- und Betriebspädagogik, München 1978, dort allerdings mit unautorisierten Kürzungen. 7 Bei Wolsing nicht zitiert ist folgende Quelle: Kaufmann, Günter: Der Reichs- berufswettkampf. Die berufliche Aufrüstung der deutschen Jugend. Berlin 1935. - Lingelbach, 125-129 schildert am Reichsberufswettkampf "die Wirkungsweise nationalsozialistischer Leistungserziehung " (125). 8 Die DINTA-Kapitel der Seubertschen Dissertation wurden bereits 1976 publi- ziert: Seubert, Rolf: Berufserziehung und Politik. Ein Beitrag zur Geschichte eines aktuellen Konflikts. In: Lisop, Ingrid / Werner Markert / Rolf Seubert: Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Eine problemorientierte Einführung. Kronbergl Ts. 1976,65- 132. 9 Zu ihnen zählte Dr. Alfred Heß (Onkel des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß), dem Kachulle, die sich auf eine Auskunft Blotenbergs (langjähriger Mitarbei- ter earl Arnholds und jetzt Geschäftsführer der Gesellschaft für Arbeitspädagogik) bezieht, mehrfach irrig den Vornamen Johannes gibt; aus mehreren Unterlagen - u.a. auch Briefen von Heß - geht hervor, daß es sich hier nur um Dr. Alfred Heß handeln kann. 10 Es ist noch nicht möglich, die Archivalien des Berlin Document Center zu zi- tieren, weil damit eine Verletzung der Persönlichkeitsschutzrechte der Betroffenen verbunden wäre. 11 Ein Tatbestand, der von Neumann völlig übersehen wird. Optimistischen Äußerungen der Berufsschullehrerschaft über die Wichtigkeit ihres Gewerbes stimmt er zu, als hätten sie den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen (Neumann, 190). Anpassung, Ausrichtung und Lenkung 47 12 Überraschungen kann es bei der Suche nach ihnen allerdings geben: in meh- reren großen Bibliotheken Hessens fehlen z.B. die Aufsätze von Karl Abraham aus der NS-Zeit; sie wurden (mit Rasierklingen) aus den betreffenden Zeitschriften herausgeschnitten. 13 Müllges, Udo (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Berufsschule. Frankfurt/M. 1970, dort 171-173 lediglich ein Auszug aus dem Reichsschulpflichtgesetz vom 6. Juli 1938; Röhrs, Hermann (Hg.): Die Bildungsfrage in der modemen Arbeitswelt. Frankfurt/M. 21967, (1 1963), dort 129-135; Briefs, Götz: Betriebsatmosphäre und Betriebstradition (1934). - Keine Texte aus der NS-Zeit enthalten: Röhrs, Hermann (Hg.): Die Berufsschule in der industriellen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1968; Strat- mann, KarlwilhelmjWerner Bartel (Hg.): Berufspädagogik. Ansätze zu ihrer Grund- legung und Differenzierung, Köln 1975; Stütz, Gisela (Hg.): Das Handwerk als Leit- bild der deutschen Berufserziehung. 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Zwar wird neuerdings von einer "Renaissance historischer Bildungsforschung in Deutschland" gesprochen2, doch bleiben die Defizite unübersehbar. Zu ihnen gehört, längst ange- mahnt und jüngst in Angriff genommen, die erziehungshistorische Erforschung der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland3. Allerdings steht die historische Be- rufspädagogik noch abseits4. Es scheint, als bedürfe sie für diese Arbeit eigener An- regung. Eine solche Anregung soll hier gegeben werden. Denn die "Aufarbeitung der Vergangenheit" von Berufserziehung und Berufspädagogik im Dritten Reich ist wünschenswert. Sie ist wünschenswert, weil sie Voraussetzung dafür ist, naive Tradition oder neue Identifikation zu verhindern. Sie ist wünschenswert, weil sie der Disziplin die Distanz vermittelt, in der sie ihr pädago~isches Interesse reflektieren und politisch- ökonomische Interessen erkennen kann . Nur dies bewahrt vor blinder Parteilich- keit. "Aufarbeitung" meint mithin Rekonstruktion und kritische Analyse der Vergangenheit. Dabei bezieht sich die historische Rekonstruktion zunächst auf die berufserzieherische Praxis, die historische Analyse auf die berufspädagogische Theorie während der NS-Zeit. Über beide Arbeitsgebiete soll hier berichtet werden, um auf beiden weitere Forschung anzuregen. Das Referat zur - institutionalisierten - Berufserziehung faßt Materialien und vorliegende Erkenntnisse zusammen6, die Analyse berufspädagogischer Theoriebildung nimmt sich Fritz Urbschat als Bei- spiel vor. Ordnungsbegriffe für die Geschichtsschreibung und Erklärungsansätze für die Geschichte der Berufserziehung und Berufspädagogik im Dritten Reich werden abschließend vorgestellt. 52 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 2.2 Berufserziehung während des Nationalsozialismus Auf diesem Gebiet ist bislang wenig gearbeitet worden; es liegen allein drei ein- schlägige Monographien vor7. Änderungen und Neuerungen im System der berufli- chen Ausbildung sind damit stückweise erarbeitet, der Zusammenhang von Qualifi- kationsbedarf und Beschäftigungspolitik ist noch nicht entfaltet8. Über ökonomische Notwendigkeiten und gesellschaftspolitische Intentionen als Determinanten der Be- rufserziehung gibt die diesbezügliche - umfängliche - Gesetzgebung wichtige Auf- schlüsse. Leider ist sie nicht dokumentiert9 ; deshalb seien hier ihre wichtigsten Teile wenigstens aufgeführt. Es handelt sich um: Die Gesetze und Verordnungen zur "Ordnung der nationalen Arbeit" und zum "Organischen Aufbau der deutschen Wirtschaft"; das Gesetz über "Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehr- stellenvermittlung ", dazugehörige Erlasse und Durchführungsverordnungen, ferner Abkommen zwischen Reichsjugendführung und Reichsanstalt für Ar- beitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung über die Zusammenarbeit bei der Be- rufsberatung und Nachwuchslenkung; die Entwürfe eines Berufsausbildungsgeset- zes; das Reichsschulpflichtgesetz; Richtlinien für das "Hauswirtschaftliche Jahr für Mädchen"; die "Reichsarbeitsdienstgesetze " samt Verordnungen zur Durchführung und Ergänzung; Erlasse und "Fachliche Vorschriften" des Reichswirtschaftsmini- sters zur Regelung des Lehrlingswesens; Anordnungen zur Durchführung des Vierjahresplans: über Sicherstellung des Facharbeiternachwuchses, über verstärkten Einsatz von weiblichen Arbeitskräften in der Land- und Hauswirtschaft, über die Ausbildung von Fachkräften; Pläne und Richtlinien des Deutschen Ausschusses für technisches Schulwesen (DATSCH), später des Reichsinstituts für Berufsausbildung in Handel und Gewerbe; Anordnungen des Reichsorganisationsleiters und Führers der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Es muß festgehalten werden, daß die Gesetzgebung eine normative Vorgabe dar- stellt; sie gibt also keine direkte Auskunft über die Praxis, auf die sie sich bezieht. Gerade im Dritten Reich entsprechen sich juristische und empirische Wirklichkeit auch auf diesem Gebiet nicht; was seinerseits die Widerständigkeit bestehender be- rufspädagogischer Praxis gegen nationalsozialistische Zugriffe indiziert. Insbeson- dere für die schulische Berufserziehung gilt, daß die gesetzliche Neuregelung auf den Schulalltag kaum durchschlug lO. Überblickt man die Forschungen zur Geschichte der Berufserziehung während der NS-Zeit, so zeichnen sich zwei Tendenzen ab; auf den Begriff gebracht, ergeben sie erziehungshistorische Kategorien, mit denen weiter gearbeitet werden kann. Die bei den Tendenzen sind: Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 53 1. die Vereinheitlichung im beruflichen Ausbildungswesen; 2. seine Verlagerung aus der staatlichen Schule in die Schulungsstätte der Indu- strie und der NSDAP; sie sind im folgenden näher zu kennzeichnen. Die Vereinheitlichung im beruflichen Ausbildungswesen, deren sich die NS-Bil- dungspolitiker selbst rühmten, betrifft in institutioneller Hinsicht das Berufsschul- wesen in bezug auf Schulzüge und Abschlüsse, vor allem aber Benennung ll , ferner die Berufsausbildung in Handel und Gewerbe, für die einheitliche Richtlinien erlas- sen und ein reichseinheitlicher Abschluß ("Reichsberufswettkampf") organisiert wurden. Nicht zu übersehen ist allerdings, daß dieser Tendenz zur Vereinheitlichung und Zentralisierung der Ausbau der partei eigenen und der betrieblichen Berufs- erziehung zuwiderläuft (vgl. unten). - Unter die Vereinheitlichungstendenz fällt au- ßerdem in erziehungspraktischer Hinsicht die angestrebte gleiche Erfassung von Jungen und Mädchen, Stadt- und Landjugend12. In Anbetracht dessen ist die be- zeichnete Tendenz angemessen auf den Begriff "Modernisierung" zu bringen 13. Diese Kategorie ist für die berufspädagogische Historiographie insofern besonders fruchtbar, als sich mit ihr sowohl ökonomische als auch gesellschaftspolitische Vor- gänge beschreiben lassen. Will man beide Gesichtspunkte begrifflich trennen, ist von "Qualifikation" respektive von "Lenkung" zu sprechen. Alle drei Begriffe ge- ben wieder, daß nicht zuerst pädagogische Interessen die Berufserziehung bestimm- ten. Die zweite bemerkenswerte Tendenz in der Geschichte der Berufserziehung während des Nationalsozialismus ist die - durch sich verschärfenden Lehrermangel vor allem gekennzeichnete - Vernachlässigung der schulischen zugunsten der Be- rufsausbildung in den Betrieben und durch die Partei bzw. ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände. Während der Ausbau der betrieblichen Ausbildung auf einen Kompromiß der Partei mit der Industrie zurückgeht, verdankt sich die partei- eigene Berufsausbildung der Herrschaftssicherung der NSDAP. In beiden Fällen wird die staatliche Instanz - sofern auch mit der Partei nicht identisch - umgangen oder unterlaufen, um eigene Interessen in bezug auf die Erziehung und Ausbildung Jugendlicher zu wahren oder besser durchsetzen zu können. Da sie sich in dem Punkte der Entpersönlichung durch Gemeinschaftserziehung - hier "Betriebs- gemeinschaft ", dort "Volksgemeinschaft" - treffen, wäre die Tendenz erziehungs- historisch als "Vergemeinschaftung" zu begreifen. Dieser Begriff taugt jedoch nur zur vorläufigen Beschreibung pädagogischer Zielsetzung im Ausbildungssektor; ob sie durchgehalten worden wäre, ob sie sich hätte durchhalten lassen, läßt sich nicht sagen, denn das "Tausendjährige Reich" währte nur 12 Jahre. Immerhin wird mani- fest, daß in der Berufserziehung dieselben Sozialisationsvorstellungen durchschla- gen wie in der allgemeinen Erziehung. Und diese pädagogischen Bestrebungen wur- 54 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus den auch andernorts, nicht nur durch die NSDAP verfolgt, was das oben angespro- chene Bündnis erklärt, soweit es ein erziehungspolitisches war. 2.3 Berufspädagogik während des Nationalsozialismus: Fritz Urbschat Die Wissenschafts geschichte der Berufspädagogik im Dritten Reich ist bisher auf personaler Ebene durch eine Reihe von Biographien respektive Interpretationen geschrieben worden 14; institutionsgeschichtliche Gesichtspunkte wurden durchaus vernachlässigt 15, sozialhistorische Interpretationsansätze werden vereinzelt ange- boten. Daß "Anpassung" und "Legitimation" einen zutreffenden Begriff von Entwick- lung und Funktion der Disziplin im Dritten Reich vermitteln, spricht sich ganz lang- sam herum. Wie es zu der charakteristischen Wende und Affinität der Berufspädago- gik zum Nationalsozialismus kommen konnte, ist offen; es bieten sich verschiedene Erklärungsansätze an. Eine - mögliche - Erklärung soll hier entwickelt werden; sie resultiert aus der immanenten Analyse berufspädagogischer Normgebung, die vor- genommen wird mit einer historisch-vergleichenden Interpretation der Schriften von Fritz Urbschat. Urbschat wurde gewählt, weil er das bis heute einzige umfassende berufspädagogische Geschichtswerk vorgelegt hat und darin auch die NS-Zeit bear- beitete; der Berufspädagoge äußert sich selbst zur fraglichen Sache. Man darf sein Werk damit zugleich als Dokument historischen Bewußtseins nehmen - was auch noch nicht geschehen ist. Urbschat feierte 1937 den "siegreichen Durchbruch der nationalsozialistischen Idee" als den Beginn einer neuen Epoche (1937/76): drohten noch in der Weimarer Zeit "Klassenhaß und Parteikampf" das Ethos der Arbeit zu zersetzen, so werde jetzt endlich "der disziplinierte Berufsträger, dessen charaktervolle Haltung die Krönung seiner Arbeitsleistung" sei, gefordert (77). Die Berufsschule habe die "Ausrichtung des berufstätigen deutschen Menschen zum wertvollen und bewußten Glied der deutschen Volksgemeinschaft" zu betreiben, das "seine ganze Arbeitskraft mit dem Ziel der beruflichen Höchstleistung" verausgabe (81). Urbschat bejahte also den Nationalsozialismusl6; er identifizierte sich mit dessen Herrschaft und ord- nete ihr berufspädagogische Zielsetzungen zu, de facto unter. Sie dienten ökonomi- schen und politischen Interessen - wie den zitierten Sätzen abzulesen ist: als "wert- volles und bewußtes Glied der deutschen Volksgemeinschaft" stützt der "diszipli- nierte Berufsträger" das NS-Regime; hinter den geforderten "beruflichen Höchstlei- stungen" steht der Facharbeitermangel, der die rüstungswirtschaftlichen Projekte des Dritten Reiches zu gefährden droht. Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 55 Urbschat hat für seinen Bereich nationalsozialistische Interessen bewußt geför- dert; ist ihm aber die - objektive - gesellschaftliche Funktion der akklamierenden Berufspädagogik bewußt gewesen? Man muß heute fragen, ob Urbschat kritisch, und das heißt hier notwendig auch selbstkritisch, geworden ist; wie sieht er die Ent- wicklung der Berufserziehung im Nationalsozialismus nach 1945, und wie beurteilt er das Verhältnis der Berufspädagogik zum Nationalsozialismus? - Zur Beantwor- tung dieser Fragen soll der 1952 veröffentlichte Aufsatz "Entwicklungsstufen der Berufserziehung" mit der Publikation von 1937 verglichen werden. Dieser Ver- gleich empfiehlt sich, weil der Aufsatz - in stark geraffter Form - denselben Gegen- stand behandelt wie das Geschichtswerkl7. In dem Aufsatz wird die NS-Zeit unter der Überschrift "Rückschritt zum Staats- utilitarismus" abgehandelt, wobei Urbschat diesen "Rückschritt" durchaus positiv einschätzt. Er würdigt die Maßnahmen und Einrichtungen der Nationalsozialisten, "die der hohen Bedeutung der Berufserziehung für den einzelnen und für das Volks- gesamt Rechnung trugen" (1952/440); hatte Urbschat sich 1937 zur Erhöhung der Wirksamkeit der Berufserziehung "eine noch straffere Ausrichtung und Vereinheitli- chung" erhofft (1937/80), so lobt er 1952: "Von einer zentralen Stelle aus, dem Amt für Berufserziehung, wurden alle Berufserziehungsprobleme aufgegriffen und einer Lösung zugeführt mit dem Ziel, das berufliche Können zu steigern und durch die Erzielung von Bestleistungen die Höherführung der Gesamtarbeitsleistung zu errei- chen" (1952/ 441). Solche Zustimmung erscheint für sich gelesen als rein technokratische; zwar verrät sie unkritisches Effektivitätsdenken, aber sie ist noch kein inhaltliches Einver- ständnis. Im Gegenteil, vom damaligen Ziel all der nach wie vor begrüßten Errun- genschaften distanziert Urbschat sich nicht nur in der Überschrift, sondern auch mit dem Hinweis, man dürfe "bei all diesen äußeren Maßnahmen nicht vergessen, daß die Bestrebungen letztlich nur einen primitiven kollektiven Utilitarismus zum Ziele hatten und daß jede Persönlichkeitsentfaltung schlechthin unmöglich gemacht wur- de" (1952/441). Diesen "primitiven kollektiven Utilitarismus" beschrieb Urbschat 1937 als die "Ausrichtung des berufstätigen deutschen Menschen zum wertvollen und bewußten Glied der deutschen Volksgemeinschaft" (1937/80); damals bejahte er ihn - an seine Stelle ist 1952 "Persönlichkeitsentfaltung schlechthin" getreten (1952/441). Der einfache Austausch der obersten Ziele beruflicher Ausbildung macht stut- zen: wenn dasselbe System den unterschiedlichsten Bildungszwecken zugeeignet werden kann, heißt das im Klartext, daß es aus sich heraus gar keine eigene Zielset- zung hervorbringt - denn die wäre ein- und dieselbe; positiv ausgedrückt: die päd- agogisch begründeten und legitimierten Ziele werden tatsächlich von außen - der 56 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus Wirtschaft, der Politik - gesetzt respektive vorgeschrieben. Dies aber hat Urbschat entweder nicht durchschaut bzw. will es nicht durchschaut haben; oder aber hinter den unterschiedlichen Ziel formulierungen steht doch eine- und dieselbe Vorstellung; was zu prüfen ist. Das von ihm 1937 favorisierte oberste Berufserziehungszielleitete Urbschat mit einer groß angelegten Argumentationskette ab, die in aufsteigender Linie vom Indi- vidualismus über Standesethos bis zur totalen Gemeinschaftsbindung, von Georg Kerschensteiner über Eduard Spranger, Aloys Fischer und Peter Petersen bis zu Ernst Krieck, als "letztes Ziel" der Berufserziehung "den völkischen Menschen" nachweisen soll (1937/68). Festzuhalten bleibt, daß selbst auf der letzten Entwick- lungsstufe - markiert durch Kriecks Äußerungen und Urbschats Erläuterung (1937/ 66) - Persönlichkeitserziehung ausdrücklich mit gemeint ist: insofern widerspricht Urbschat also seinen Aussagen von 1937, wenn er 1952 ohne Nachweis behauptet, im Nationalsozialismus sei "jede Persönlichkeitsentfaltung schlechthin unmöglich gemacht" worden 1 8. Doch zeigt gerade dieser Widerspruch, daß Urbschats be- rufspädagogische Zielvorstellungen sich nicht grundlegend geändert haben können: daß er 1952 ohne eine vergleichbar systematische Ableitung favorisiert, was er der NS-Zeit abspricht, ihr seinerzeit aber zugestand in einer geistesgeschichtlichen Tra- dition, die er jetzt nicht mehr thematisiert, bedeutet: daß Urbschat in derselben Tra- dition, in der auch er stand, noch 1952 kein anderes Entwicklungsziel sah oder wuß- te als das damals beschriebene, nun jedoch verschwiegene; damit entbirgt sich die "Persönlichkeitsentfaltung schlechthin" entweder als Bestandteil des völkischen Berufserziehungszieles von 1937; es hätte also nur eine Akzentverschiebung stattge- funden; oder aber Urbschat meint, eine neue Zielvorstellung zu formulieren, weiß und hat für sie aber keine - weder historische noch systematische - Grundlegung; dann aber ist sie aufgesetzt. In beiden Fällen gilt, daß Urbschat nur ein Berufserziehungsziel zu begründen weiß. Das bestätigt der weitere Vergleich: In seinem Aufsatz von 1952 unterläßt Urbschat die noch fünfzehn Jahre zuvor geübte Kritik an Kerschensteiner, die sich auf den fehlenden organischen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Gemeinschaft bezog (1937/54); er übergeht die Autoren Spranger, Fischer, Petersen und Krieck, an deren Äußerungen er seinerzeit den Weg zur stärkeren Gemein- schaftsbindung der Persönlichkeit als historischen Entwicklungsprozeß und zugleich als berufspädagogische Aufgabe aufzeigte. Was 1937 als bruchloser Übergang zu nationalsozialistischen Gemeinschafts- und Erziehungsvorstellungen dargestellt wird, erscheint 1952 als von der Geschichte diktierter Einschnitt: "Es kam die Zeit nach 1933" (1952/440), bzw.: "Der Umbruch nach 1945 stellt der Berufserziehung neue Ziele" (1952/441). Berufseiziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 57 Die Ziele sind vorgeblich neu; unter dem obersten Ziel, dessen Neuartigkeit ja nur in einer Akzentverschiebung besteht, rangieren ohnehin immer noch die alten, die technokratischen; Urbschat selbst: "Nach wie vor bleibt die Befähigung zur beruflichen Tüchtigkeit und die Erweckung einer ethischen Grundhaltung Ziel jeder berufserzieherischen Arbeit, darüber hinaus aber wird die 'Humanisierung der Be- rufserziehung' , die sich in der Achtung vor der Menschenwürde jedes einzelnen und der Verpflichtung gegenüber der Menschheitsaufgabe in der Gesamtheit zeigt, Ziel unseres berufserzieherischen Bemühens sein" (1952/441). Der Kern beruflicher Er- ziehung in Deutschland: die Erzeugung von qualifiziertem Arbeitsvermögen, das sich bereitwillig verausgabt, bleibt erhalten; die darüber hinausgehende - dem Bon- ner Grundgesetz nachgeschriebene - Zielvorgabe ist, so allgemein formuliert, die pure Leerformel: die gesellschaftliche Gestalt jener "ethischen Grundhaltung" wie der Inhalt jener "Menschheitsaufgabe " bleiben im Dunkeln. Fazit: Urbschat verfügt nur über eine reale berufspädagogische Zielperspektive: über die alte. Daß 1952 an die Stelle des vormals begründeten Ziels eine Leerformel tritt und - wie auch immer geartete - Zielreflexion, zu der Urbschat ja durchaus in der Lage ist, unterbleibt, spricht außerdem dafür, daß er die fragwürdige Funktion der alten Leitvorstellung wohl kennt. Sie zu verschweigen, heißt, berufspädagogische Zielent- würfe gerade nicht vor mißbräuchlicher Anwendung und Verwirklichung zu schüt- zen. Diese Folgerung bietet eine Erklärung dafür, warum die Berufspädagogik sich mühelos dem Nationalsozialismus anpaßte und sich für ihn vereinnahmen ließ. Die Erklärung ist: defizitäres gesellschaftliches Bewußtsein. Sie soll im folgenden erör- tert werden. 2.4 Ordnungsbegriffe und Erklärungsansätze Die in der Interpretation von Urbschat nachlesbare Kontinuität berufserzieheri- scher Normen charakterisiert die Berufspädagogik, vertreten von der "Generation der Grenzgänger zwischen den Zeiten" (Monsheimer, VII), die sich bisher durch das Werk von Urbschat ja zutreffend dargestellt sah. Diese Kontinuität ist nun nicht erst nach 1945, wie dies auch Seubert nachweist, sondern bereits vor 1933 anzusetzen. Der Sachverhalt verweist auf mangelnde historisch-kritische Reflexion in der Diszi- plin, anders die ungebrochene Tradition von Zielvorstellungen und Sinnentwürfen nicht zu erklären ist; sie werden gelöst aus ihrem gesellschaftlichen Kontext, abge- hoben von ihrer politischen Wirklichkeit tradiert. Der Sachverhalt verweist mithin auf defizitäres gesellschaftliches Bewußtsein: vorgegebene gesellschaftliche Interes- 58 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus sen und Ansprüche werden unkritisch in die Disziplin hineingenommen; solche In- teressen und Ansprüche artikulierten in der zur Diskussion stehenden Zeit nicht die Auszubildenden, sondern deren Lehrherren 19. Defizitäres gesellschaftliches Be- wußtsein meint hier also einseitiges und unkritisches Bewußtsein in politisch-öko- nomischer Hinsicht. Auf Geschichte bezogen, führt es zu affirmativer und harmonisierender Ge- schichtsschreibung; sie ist im Bunde mit vorgängiger, vorgegebener, bestehender Ordnung; wo es zu politischen Umbrüchen kommt (1933/1945), wird Stellungnah- me verweigert, bleibt historisch-kritische Reflexion auch post festum aus. Das zeigt sich an Urbschat, das zeigt generell der Mangel an Wissenschaftsgeschichte in der Berufspädagogik. Defizitäres als einseitiges und unkritisches gesellschaftliches Bewußtsein in der Wissenschaft wie bei ihren Vertretern erklärt, daß sie sich nationalsozialistischer Ideologie hat annähern, nationalsozialistische Parolen und Leitbilder hat über- nehmen können; es erklärt ebenso, daß sie die emigrierte Linke - vertreten durch Anna Siemsen - noch einmal exilierte, indem sie sie nach 1945 vergaß20. "Anpassung" in systematischer, "Legitimation" in funktionaler Hinsicht sind also angemessene Kategorien für die Geschichte der Berufspädagogik im Dritten Reich. Ob - wie bei Urbschat und andernorts für earl Arnhold und Friedrich Schlie- per nachgewiesen - auch "Identifikation" ein zutreffender Begriff ist, muß im Ein- zelfall genau geprüft werden. Über sprachlogische Erschließung und textimmanente Interpretation hinaus wäre hierfür ein sozialpsychologischer Erklärungsansatz zu su- chen. Das defizitäre gesellschaftliche Bewußtsein gibt sich auch in seinem Bezug zur Praxis zu erkennen; es geht technokratisch mit ihr um. Das deutet sich selbst noch an in den Begriffen, die für die Beschreibung der Geschichte der Berufserziehung im Dritten Reich gefunden wurden. "Modernisierung" bzw. "Qualifikation" und "Lenkung" implizieren generell ein technokratisches Verhältnis zur Ausbildungs- praxis; mit "Lenkung" ist ansatzweise ein politisches, allein mit "Vergemeinschaf- tung" ist auch ein pädagogisches erfaßt. Daß das sie doch auszeichnende erzieheri- sche Interesse der Berufspädagogik an der Berufserziehung ohne ausgewiesenen po- litischen Bezug gefährdet ist, hat die Geschichte gelehrt. Nicht um ihrer selbst, son- dern um der Praxis willen, die sie anleiten will, muß die Berufspädagogik so- zialkritisches Bewußtsein entwickeln. Dazu ist höchst förderlich, in die historische Reflexion der Disziplin selbst einzusteigen. Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 59 2.5 Anmerkungen 1 Man kann den Beginn dieser Diskussion datieren mit der Konstituierung der Historischen Kommission in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissen- schaft, DGfE (April 1970) - vgl. Rückriem. Im selben Jahr folgten die Aufsätze von Maskus (1970) und Stratmann; auf Maskus antwortete Herrmann. Die jüngsten ein- schlägigen Aufsätze sind diejenigen von Kanz. Krause. Maskus (1977) und Witt- mütz. 2 BaumgartjZymek/617. - Für diese "Renaissance" sprechen gleich zwei Publi- kationen mit dem Titel "Historische Pädagogik" (Herrmann, 1977; Lenhart, 1977), obwohl in ihnen selbst noch über den Mangel derselben geklagt wird, sowie das Projekt "Deutsche Pädagogische Zeitgeschichte". 3 Es gilt die Feststellung von Hans-Jochen Gamm, "daß die Zahl der Abhand- lungen über faschistische Pädagogik in der BRD außerordentlich gering ist" (77); selbst die allgemeinen Darstellungen informieren nach wie vor schlecht; 1970 zieht Hubert Steinhaus eine negative Bilanz: von den untersuchten "Geschichtsbüchern der Pädagogik" (56) liegt Fritz Blättners Geschichte der Pädagogik inzwischen in der 14. erw. Auf!. (1973), Albert Rebles in der 12. überarb. u. erw. Auf!. (1975) nebst zwei Dokumentationsbänden (1970) und Theodor Wilhelms Pädagogik der Gegen- wart in der 5. völlig umgearb. Aufl. (1977) vor; keines dieser Werke vertieft oder er- weitert die Darstellung der NS-Zeit; dasselbe gilt für die Geschichte der Pädagogik von Hermann Weimer, die - von Steinhaus nicht berücksichtigt - jetzt immerhin in der 18. vollst. neubearb. Auf!. (1976) vorliegt; der inzwischen erschienene 3. Bd. der Pädagogik von Theodor BaliauflKlaus Schaller spart die Zeit des Nationalsozia- lismus ausdrücklich aus (1973, vgl. dort 716); die von Jose! Speck hrgg. Problemge- schichte der neueren Pädagogik (3 Bde. 1976) unterschlägt an den Problemen diese Zeit; in Alfons Dörschels Geschichte der Erziehung im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft (1972), Fritz Urbschat gewidmet, verschwindet sie unter systemati- schen Gesichtspunkten. 4 Im Herbst 1978 veranstaltete die Historische Kommission der DGfE eine Ta- gung zum Thema "Erziehung, Sozialisation und Ausbildung zur Zeit des National- sozialismus in Deutschland"; von den insgesamt 44 Tagungsbeiträgen gehen nur vier über Berufserziehung; zur Berufspädagogik wurde kein Beitrag vorgelegt. 5 Dazu auch Stratmann. 6 Dazu ausführlich Kipp/Miller; der dort vorgelegte Bericht wird hier ergänzt. 60 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 7 Die Dissertationen von Kipp, Seubert und Wolsing; die beiden letzteren - 1977 publiziert - wurden in der berufspädagogischen Diskussion noch kaum zur Kenntnis genommen; ausgewertet bei Kipp/Miller. 8 Die Studie von Winkler ist hier ein beispielhafter Anfang, wie überhaupt auf sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Arbeiten zurückgegriffen werden muß. Materi- al und Erklärungsansätze liefern insbesondere: Bettelheim, Charles: Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, München 1974 (übers. aus dem Frz., Pa- ris 1946); Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hrgg. von Hermann AubinfWolfgang Zorn, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1976; Hardach, Karl: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1976; Hennig, Eike: Thesen zur deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1933 bis 1938, Frankfurt am Main 1973; Henning, Friedrich-Wilhelm (Hrg.): Probleme der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, Berlin 1976; Henning, Friedrich-Wil- helm: Das industrialisierte Deutschland 1914-1972, Paderborn 1974; Kuczynski, Jür- gen: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 16: Studien zur Geschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1918 bis 1945; Bd. 18: Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart, Berlin [DDR] 1965 und 1963; Mason, Tfmothy w.: Arbei- terklasse und Volksgemeinschaft. Dokumente und Materialien zur deutschen Arbei- terpolitik 1936-1939, Opladen 1975; Mason, Tfmothy w.: Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1977; Petrick, Fritz: Zur so- zialen Lage der Arbeiterjugend in Deutschland 1933-1945, Berlin [DDR] 1974; Pet- zina, Dieter: Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der NS Vierjahresplan, Stuttgart 1968: Schoenbaum, David: Hitlers Social Revolution, New York 1966 (dt.: Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches, Köln 1968); Schweit- zer, Arthur: Big business in the Third Reich. Bloomington 1964 (dt.: Die Nazifizie- rung des Mittelstandes, Stuttgart 1968). 9 Wolsing führt die juristischen Grundlagen der Berufsausbildung im Dritten Reich an. Einen Teilbereich thematisiert Roemheld, Gerhard: Entwicklungslinien im Rechte des Lehrverhältnisses von der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 bis zur Gegenwart, Diss. Göttingen 1965; sachliche Richtigstellungen zu dieser Arbeit bei Wolsing/241 f. 10 Dasselbe gilt auf der Ebene: Curriculare Planung - Unterrichtspraxis. 11 Vgl. Benze/28-43 und vor allem Wolsing. Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 61 12 Über die Landwirtschaftliche Berufsschule, die ab 1933 die ländliche Fortbil- dungsschule ersetzte und die vor allem auch die weibliche Landjugend erstmals stär- ker erfaßt, ist noch nicht gearbeitet worden. Sie wurde vom Reichsnährstand als Rechtsnachfolger der Landwirtschaftskammern getragen; die Schulaufsicht war eine Kompetenzfrage zwischen Darre und Rust. 13 Barald Scholtz hat diesen Begriff für bestimmte Aspekte der Schulpolitik im Dritten Reich eingeführt. 14 Die Autoren und ihre Subjekte sind: Bunk (Adolf Moritz Friedrich, Carl Arn- hold), Kachulle (Carl Arnhold), Kipp (Johannes RiedeI), Neumann (Friedrich Feld, L. H. Adolf Geck, Gustav Messarius), Seubert (Karl Abraham, Carl Arnhold, Wal- ther Löbner, Ernst Magdeburg, Otto Monsheimer, Friedrich Schlieper, Adolf Schwarzlose, Fritz Urbschat), Wolsing (Carl Arnhold, Friedrich Feld). Vgl. dazu die Biographien bei Kipp/Miller. 15 Dies gilt für den universitären Wissenschaftsbetrieb; von der Berufspädago- gik aus den Instituten und Verbänden der Wirtschaft ist allein diejenige des Deut- schen Instituts für technische Arbeitsschulung (DINTA) ausgiebig behandelt (Bunk, Kachulle, Kipp, Seubert, Wolsing). 16 Das bestätigt eine Beurteilung der Kreiswaltung Königsberg-Stadt des NSLB vom 4. Juni 1937, die für die "Begutachtungsstelle für das pädagogische Schrift- turn" bei der Reichswaltung des NSLB angefertigt worden war; dort heißt es: "Er gehörte früher einmal der Deutschen Volkspartei an, ist aber aus dieser seit längerer Zeit ausgetreten und war viele Jahre Mitglied des Stahlhelms. Nach der mehrjähri- gen persönlichen Kenntnis des Dozentenbundführers der Handelshochschule, Herrn Prof. Bummels, ist er als politisch einwandfrei zu bezeichnen und steht positiv zum Nationalsozialimus" (Berlin Document Center, Akte 1586/3260: Reichswaltung des NS-LehrerbundesfBegutachtungsstelle für das pädagogische Schrifttum; hier: Auto- renfragebogen: Urbschat, Fritz, ausgefertigt vom Abteilungswalter der Kreiswal- tung Königsberg-Stadt des NSLB, Königsberg/Pr., den 4. Juni 1937). - Urbschat hatte am 9. Juli 1937 die Aufnahme in die NSDAP beantragt und war rückwirkend zum 1. Mai 1937 aufgenommen worden. 17 Der Textvergleich zeigt, daß wörtliche Übereinstimmungen häufig vorkom- men; die folgende Aufstellung gibt die jeweils identischen Texte mit Seitenzahlen an: "Grundlagen", I, 1936 = "Entwicklungsstufen", 1952/ 18 = 436/20 = 436/ 28 = 437 / 33 = 437 / 40 = 437 / 49 = 437 f. / 50 = 438 / 56 = 438; "Grundlagen", 11, 62 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 1937 = "Entwicklungsstufen", 1952/ 13 = 438 /19 = 439/47 = 439/51 = 440/52 = 440/ 53 = 440/ 54 = 440. 18 Urbschat fährt fort: "Das gleiche gilt von den scheinbaren Fortschritten der Berufserziehung unter dem östlichen Totalitarismus" (1952/441. - Dieser unbewie- sene, plakative Satz ist von der Anlage des Aufsatzes her deplaziert. Es ist zu fragen, warum Urbschat sich hier eines in der Zeit des "Kalten Krieges" geläufigen Sprachrituals bedient, das die Aufmerksamkeit von der "unbewältigten Vergangen- heit" auf die aktuelle Situation in den Ostblockstaaten abzulenken geeignet ist. 19 Die historischen Ursachen dafür brauchen hier nicht erörtert zu werden. 20 Sie wurde weder in Interpretationen noch in Texteditionen berücksichtigt. 2.6 Literatur Abel, Heinrich: Perfektionierte Planung im Dritten Reich; in: ders.: Das Berufspro- blem im gewerblichen Ausbildungs- und Schulwesen Deutschlands (BRD), Braunschweig 1963,56-61 Baumgart, Franljörg/Bernd Zymek: Schule und gesellschaftliche Entwicklung im 18. Jahrhundert; in: Zfpäd 23 (1977),617-624 Benze, Rudolf: Erziehung im Großdeutschen Reich. Eine Überschau über ihre Ziele, Wege und Einrichtungen, dritte erw. Aufl., Frankfurt am Main 1943 Bollmus, Reinhard: Handelshochschule und Nationalsozialismus. Das Ende der Handelshochschule Mannheim und die Vorgeschichte der Errichtung einer Staats- und Wirtschafts wissenschaftlichen Fakultät an der Universität Heidel- berg 1933/34, Meisenheim am Glan 1973 Bunk, Gerhard p.: Erziehung und Industriearbeit. Modelle betrieblichen Lemens und Arbeitens Erwachsener, Weinheim/BaseI1972 Deutsche Pädagogische Zeitgeschichte Bd. 1: 1945-1959, Kastellaun 1975; Bd. 2: 1960-1973, Kastellaun 1977 Fenger, Herbert: Die betriebseigenen Berufsschulen industrieller Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. WiSo Universität Köln 1968 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus 63 Gamm, Hans-Jochen: Dreißig Jahre Befreiung vom Faschismus und die bundes- deutsche Erziehungswissenschaft; in: Demokratische Erziehung 1 (1975),74-79 Grüner, Gustav: Die Vereinheitlichung d. deutschen Fachschulwesens i.d. Zeit von 1933 bis 1935; in: ders.: Die Entwicklung der höheren technischen Fachschulen im deutschen Sprachgebiet. Ein Beitrag zur historischen u. angewandten Berufs- pädagogik, Braunschweig 1967, 140-158 Herrmann, Ulrich (1971): Historismus und geschichtliches Denken; in: ZfPäd 17 (1971),223-232; ders. (1977), (Hrg.): Historische Pädagogik, ZfPäd-Beiheft 14, Weinheim/Basel 1977 Kachulle, Doris: Die werkspolitische Konzeption der Großindustrie in den Jahren 1918-1933, dargestellt am Beispiel des Deutschen Instituts für technische Ar- beitsschulung, Sozwiss. Diplomarbeit Universität Bremen 1975 Kanz. Heinrich: Die Problematik einer pädagogischen Zeitgeschichte; in: Vjswiss- Päd 53 (1977),221-233; ders.: Zur historischen Dimension der Erziehungswis- senschaft in der Bundesrepublik; in: PR 31 (1977),788-816 Kipp, Martin: Arbeitspädagogik in Deutschland: Johannes Riedel. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der beruflichen Ausbildung, Hannover 1978 Kipp, MartinjGisela Miller: Anpassung, Ausrichtung und Lenkung: Zur Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich; in: Reformpädagogik und Berufs- pädagogik. Schule und Erziehung, Bd. VI (Argument-Sonderband 21). Berlin 1978,248-266 - zugleich Kapitell in diesem Band. Krause, Horst M. P.: Zur Begründungsproblematik der Historischen Pädagogik; in: VjswissPäd 53 (1977), 1-40 Lenhart, Volker (Hrg.): Historische Pädagogik. Methodologische Probleme der Er- ziehungsgeschichte, Wiesbaden 1977 Mager, Bärbel: Arbeitserziehung im Faschismus; in: Monumenta Paedagogica, Bd. XI: Zur Geschichte der Arbeitserziehung in Deutschland, Teil 2: Von 1900 bis zur Gegenwart, Berlin [DDR] 1971,135-152 64 Berufserziehung und -pädagogik während des Nationalsozialismus Maskus, Rudi (1970): Pädagogik als Problemgeschichte; in: ZfPäd 16 (1970),483- 487; ders. (1977): Zur geschichtlichen Dimension erziehungswissenschaftlicher Fragen; in: PR 31 (1977),416-430 Monsheimer, Otto: Drei Generationen Berufsschularbeit. Gewerbliche Berufsschule, Weinheim o.J. Neumann, Gerd: Die Indoktrination des Nationalsozialismus in die Berufserzie- hung. Untersuchung zur Arbeits- und Erziehungsideologie während der Epoche zwischen 1933 und 1945, Diss. WiSo Universität Hamburg 1969 Rückriem, Georg M.: Die Konstitution einer Kommission für Historische Pädagogik in der DGfE; in: ZfPäd 16 (1970), 51 f. Seubert, Rolf: Berufserziehung und Nationalsozialismus. Das berufspädagogische Erbe und seine Betreuer, Weinheim/Basel 1977 Steinhaus, Hubert: "Nationalsozialismus und Pädagogik" als Thema neuerer päd- agogischer Standardliteratur; in: Neue Sammlung 10 (1970), 54-65 Stratmann, Karlwilhelm: Probleme berufspädagogisch-historischer Forschung; in: DtBFsch 66 (1970), 824-839 Urbschat, Fritz: Grundlagen einer Geschichte der Berufserziehung (1936): Teil I: Die Berufserziehung bis zur französischen Revolution, Langensalza/Ber- lin/Leipzig 1936; (1937): Teil II: Die Berufserziehung von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, Langensalza/Berlin/Leipzig 1937; ders. (1952): Entwicklungsstufen der Berufserziehung; in: DtBFsch 48 (1952),436-441 Wilhelm, Theodor: Pädagogik der Gegenwart, 5. völlig umgearb. Aufl., Stuttgart 1977 Winkler, Dörte: Frauenarbeit im "Dritten Reich", Hamburg 1977 Wittmütz. Volkmar: Zur Problematik einer historischen Pädagogik; in: PR 31 (1977), 126-142 Wolsing, Theo: Untersuchungen zur Berufsausbildung im Dritten Reich, Kastel- laun/Düsseldorf 1977 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 65 3 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 3.1 Vorbemerkung Berufspädagogische Historiographie nimmt sich erst neuerdings der Zeit des Nationalsozialismus an; dabei stehen die Berufserziehungsverhältnisse und die Be- rufsbildungstheorie im Zentrum des Interesses (vgl. Neumann; Seubert; Wolsing; Kipp/Miller). Institutionelle Neuschöpfungen aus dieser Zeit sind bislang übergangen worden. Diesem Mangel will der folgende Beitrag mit einem Bericht zu den SA-Berufsschu- len abhelfen. Er gibt in vier Schritten eine Charakteristik der SA-Berufsschulen, er- läutert ihren doppelten Erziehungsauftrag, zeichnet ihre Entwicklung nach und refe- riert zeitgenössische Urteile. Obwohl die SA-Berufsschulen nur für die Schiffbauindustrie größere Bedeutung erlangten, ist die Rekonstruktion ihrer Entwicklung von paradigmatischem Interes- se: an ihr läßt sich der spezifisch nationalsozialistische Einfluß auf einen Bereich des Berufserziehungswesens herausarbeiten. Die Quellen, auf die sich dieser Beitrag stützt, sind unvollständig; es handelt sich fast ausschließlich um Schriftstücke aus dem Geschäftsbereich der Reichsgrup- pe Industrie, der Reichswirtschaftskammer, der Obersten SA-Führung und einiger Industrie- und Handelskammern, die sich jetzt im Bundesarchiv Koblenz befinden. 3.2 Charakteristik der SA-Berufsschulen Die SA-Berufsschulen waren zunächst eingerichtet worden, um ledigen berufs- losen SA-Männern nach Beendigung ihrer Militär- oder Arbeitsdienstzeit eine ver- kürzte Berufsausbildung zu ermöglichen. Während des Krieges wurden auch - was verschiedentlich auf heftige Kritik stoßen sollte - Jugendliche mit dem Mindestalter von 17 1/4 Jahren aufgenommen. Sie wurden zu Metall-Facharbeitern ausgebildet, die in den Werften beschäftigt werden sollten, die dem Oberkommando der Kriegs- marine gehörten oder unterstanden. Ausgebildet wurden: Schlosser, Reparatur- schlosser, Schmiede, Rohrschmiede, Feinblechner, Kupferschmiede, Feinmechani- ker, Dreher, Elektrotechniker, Autogen- und Elektro-Schweißer sowie Schiffbauer. 66 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen Nach einer dreimonatigen schlosserischen Grundausbildung erfolgte die Spezialausbildung in einem der vorgenannten Berufe, an die sich nach insgesamt 40wöchiger Schulung die theoretische Facharbeiterprüfung anschloß. Danach wurde der Auszubildende von einem Industriewerk oder einer Werft übernommen, um nach Ablauf des zweiten Lehrjahres die praktische Facharbeiter- prüfung abzulegen. Im Lehrvertrag hatte sich der Auszubildende zu verpflichten, ein weiteres Jahr C'Pflichtjahr") bei ortsüblichem Facharbeiterlohn im Ausbil- dungsbetrieb zu arbeiten. Der Gründungszeitpunkt der SA-Berufsschulen ist nicht immer bekannt: Die SA-Berufsschule Nordmark, "Lockstedter Lager" (Lola I), in Lock- stedt/Holstein, die älteste der vier SA-Berufsschulen, die schon während der "Kampfzeit" eingerichtet worden sein soll (BA, R 11/653, BI. 227), wird in den Archivalien des Bundesarchivs Koblenz erstmals im Juli 1937 genannt (BA, R 11/653, BI. 354). Zu dieser Zeit wurden dort bereits 800 Industrie- lehrlinge für Kieler Großfirmen ausgebildet. Die SA-Berufsschule Ostland, (Lola 11), in Contienen bei Königsberg/Ostpr. nahm am 1.4.1939 ihren Betrieb auf. Die SA-Berufsschule Nordsee, (Lola III), in Westerstede/Oldenburg sollte im Herbst 1939 eröffnet werden, konnte aber - wegen zeitweiser Stillegung der Bauarbeiten im Jahre 1940 - erst 1941 in Betrieb genommen werden. Die SA-Berufsschule Weichsel in Schulitz bei Bromberg/Danzig war im De- zember 1941 noch nicht fertiggestellt (BA, Sammlung Schumacher, Bd. 409). Die Höchstbelegzahl der SA-Berufsschulen war in einem Vertrag zwischen der Industriegemeinschaft Nord und der Industriegemeinschaft Ost sowie der Kriegsma- rinewerft Wilhelmshaven und der NSDAP vom 1.7.1941 auf 5500 Männer festge- setzt worden und schlüsselte sich folgendermaßen auf: SA-Berufsschule Nordmark SA -Berufsschule Ostland SA-Berufsschule Nordsee SA-Berufsschule Weichsel mit 1.800 Lehrgangsteilnehmern mit 800 Lehrgangsteilnehmern mit 1.400 Lehrgangsteilnehmern mit 1.500 Lehrgangsteilnehmern. Die Zuweisung der Lehrgangsteilnehmer erfolgte durch das Reichsarbeitsmini- sterium (Landesarbeits- bzw. Arbeitsämter), und zwar aufgrund freiwilliger Meldun- gen. Dazu wurde von den Arbeitsämtern und einer Werbezentrale der Industriege- Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 67 meinschaften mit Unterstützung der Obersten SA-Führung und des Oberkomman- dos der Kriegsmarine geworben. Die Zahl der anzuwerbenden SA-Berufsschüler wurde dem Reichsarbeitsministerium durch die Werbezentrale der Industrie- gemeinschaften laufend und rechtzeitig bekanntgegeben. 3.3 Der Erziehungsauftrag der SA-Berufsschulen Die SA als älteste "Gliederung" der NSDAP galt wie die SS als "Garant der nationalsozialistischen Bewegung, der nationalsozialistischen Revolution und der deutschen Volkserhebung"; sie sollte "Trägerin des Wehrgedankens eines freien deutschen Volkes" sein und die "nationalsozialistischen Erziehungsgrundsätze " vorleben. Deshalb lag das "Schwergewicht ihrer Erziehungsarbeit ... in der weltan- schaulichen, körperlichen und charakterlichen Festigung" (Benze, S. 93). Als typische Erziehungseinrichtungen der NSDAP, die eine straffe, den ganzen Menschen "erfassende" Beeinflussung anstrebten, wurden die SA-Berufsschulen als "Lager" eingerichtet. Die Auszubildenden waren auch in ihrer Freizeit der La- gerführung unterstellt und hatten "die Lagerordnung in jeder Weise innezuhalten" (BA, R 11/653, BI. 271-273). Allen Berufserziehungseinrichtungen der NS-Zeit war ein doppelter Erziehungs- auftrag aufgegeben: fachliche Ertüchtigung und weltanschauliche Schulung. Die Frage ist aber, wie intensiv der politische Erziehungsauftrag in der Praxis zur Gel- tung kam. Unbestritten dürfte sein, daß er in den Erziehungseinrichtungen der NSDAP weitaus stärker berücksichtigt wurde als etwa im öffentlichen Schulwesen. Die SA-Berufsschulen dienten der theoretischen und lehrwerkstattmäßigen Aus- bildung nach anerkannten Berufsbildern und Ausbildungsrichtlinien und hatten zu- gleich die weltanschauliche Erziehung der Auszubildenden nach nationalsozialisti- schen Grundsätzen (sogenannte "SA-mäßige Ausbildung") zu gewährleisten. In der Praxis sah das folgendermaßen aus: Die tägliche Ausbildungszeit für die technisch- industriellen Belange belief sich auf mindestens 7 Stunden, die SA-mäßige Ausbil- dung auf mindestens 1 1/2 Stunden ohne Appell, zusätzlich Sonntagsdienst. Die technischen Ausbilder wurden von den jeweiligen Industriegemeinschaften (Zusammenschlüsse mehrerer Werften) gestellt; über ihre Anzahl liegen keine Anga- ben vor. Für die "SA-mäßige Ausbildung" sah eine Planstellenübersicht für die SA- Berufsschulen für je 500 Mann vor: 1 Sturmbannführer, 2 Hauptsturmführer, 2 Obersturmführer, 8 Truppführer und 8 Scharführer (BA, Sammlung Schumacher, 68 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen Bd. 409). Diese stattliche Personalausstattung - hinzu kommt etwa noch doppelt so viel "Lagerstammpersonal " für Leitung, Verwaltung und Instandhaltung - läßt dar- auf schließen, daß der politische Erziehungsauftrag in den SA-Berufsschulen nicht zu kurz kam. Zur Behebung des Facharbeitermangels, der die rüstungswirtschaftli- chen Vorhaben des NS-Regimes zu gefährden drohte, wurde die Einrichtung der SA-Berufsschulen von der Schiffbauindustrie lebhaft begrüßt und finanzkräftig unterstützt. Daß bei der Beurteilung der Leistungen der SA-Berufsschulen neben der fachli- chen Ertüchtigung gerade auch die weltanschauliche Ausrichtung geschätzt wurde, belegt der folgende Textauszug, mit dem die Reichsgruppe Industrie sich gegenüber dem Reichsfinanzministerium nachdrücklich für eine Erhaltung der SA-Be- rufsschulen einsetzte: "Es ist für die an der Erhaltung des Lockstedter Lagers interessierte Industrie von entscheidender Bedeutung, daß sie Arbeitskräfte bekommt, die nicht nur fach- technisch vorgeschult, sondern auch von einem guten nationalsozialistischen und kameradschaftlichen Geiste erfüllt sind. Gerade der Kriegsschiffbau, in dessen Un- ternehmungen die meisten der aus dem Lockstedter Lager kommenden Arbeiter ver- mittelt wurden, braucht die Einrichtung einer Vorauslese und einer energischen Disziplinierung, weil sonst den besonderen Erfordernissen dieser Unternehmungen an fachlicher Leistung und Gesinnung der aufzunehmenden Arbeitskräfte nicht Rechnung getragen werden könnte. Diese innere Disziplin und nationalsozialisti- sche Arbeitsgesinnung vermittelt diesen Arbeitern der einjährige Aufenthalt in dem Lockstedter Lager der SA. Die Urteile, die über das Wirken dieser Ausbil- dungseinrichtung der Reichsgruppe Industrie von seiten der beteiligten und interes- sierten Unternehmungen abgegeben worden sind, kennzeichnen übereinstimmend den hohen Wert gerade auf diesem Gebiete" (BA, R 11/653, BI. 295-298). 3.4 Die Entwicklung der SA-Berufsschulen Soweit aus den Aktenstücken, die hier zur Rekonstruktion der Entwicklung der SA-Berufsschulen herangezogen werden, erkennbar ist, gab es bezüglich der for- mellen Anerkennung der ersten SA-Berufsschule "Lokstedter Lager" (Lola) einige Schwierigkeiten, die aber später bei der Einrichtung der anderen SA-Berufsschulen überwunden waren. Diese Schwierigkeiten bedürfen der näheren Betrachtung, weil sich an ihnen exemplarisch zeigen läßt, wie die NS-Machthaber ihre Berufserzie- hungsvorstellungen, die für die Allgemeinheit gelten sollten, dann außer Kraft zu setzen in der Lage waren, wenn es darum ging, "alte Kämpfer" zu entschädigen und zu privilegieren. Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 69 Wahrend die an der Ostsee gelegenen Schiffbaubetriebe das Lola und seine Aus- bildungsergebnisse sehr schätzten und die Industrie- und Handelskammer (IHK) Lü- beck anscheinend keine formalen Bedenken gegen die nur 2jährige Lehrzeit und die abweichenden Lehrvertragsmuster des Lola erhoben hatte, gab es von seiten der IHK für Ost- und Westpreußen, Bezirkssteile Elbing, zunächst Einwände. Dem Er- suchen des Schiffbaubetriebes F. Schichau GmbH Elbing vom 14.7.1937, etwa 70 Lehrlinge aus dem Lola zur praktischen Gesellenprüfung zuzulassen, nachdem die theoretische Gesellenprüfung vor der IHK in Lübeck abgenommen worden war, folgte ein längerer Schriftwechsel, in den neben der Hauptgeschäftsstelle der IHK Königsberg schließlich auch die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handels- kammern in der Reichswirtschaftskammer und die Reichsgruppe Industrie einbezo- gen wurden. Der Klärungsprozeß zog sich bis Ende 1937 hin, und es hatte zunächst den Anschein, als würden die SA-Berufsschulen nicht anerkannt werden, d. h. daß deren Absolventen keine Facharbeiterbriefe bekommen sollten. Das Schreiben der IHK-Bezirksgeschäftsstelle Elbing an die Firma F. Schichau GmbH Elbing vom 4.11.1937 faßt die Bedenken der IHKs, der Reichswirtschafts- kammer und der Reichsgruppe Industrie zusammen: "Es erscheint nicht richtig, einen vorübergehenden Notstand (Beseitigung der Arbeitslosigkeit oder des Facharbeitermangels) mit Maßnahmen zu beseitigen, die auf eine Änderung der normalen Nachwuchsausbildung abgestellt sind. Für die Her- anbildung dieser Arbeitskräfte genügen die vorhandenen Maßnahmen der kurzfristi- gen Ausbildung in praktischer Arbeit (Anlernwerkstatt oder betriebliche Einzelschu- lung). Diese Arbeitskräfte finden in der Metallindustrie nach Lage der Verhältnisse eine schnelle und ausreichende Beschäftigung, auch wenn sie nicht in den Besitz ei- nes Facharbeiterbriefes gekommen sind. Will man diesen Weg nicht gehen, so muß es sein Bewenden behalten bei denje- nigen Ausbildungsvorschriften, die in Zusammenarbeit zwischen Reichswirtschafts- kammer und Reichsgruppe Industrie und mit Genehmigung des Reichs- und Preußi- schen Wirtschaftsministers der üblichen Facharbeiterausbildung dienen sollen. Die hier vorgeschriebene Lehrzeit und Lehrvertragsvordrucke müssen in diesen Fällen daher Anwendung finden. Wir bedauern daher, auf Grund des dortseits vorgesehenen Lehrvertragsmusters und ohne Eintragung in die Lehrlingsrolle die in Rede stehenden Altlehrlinge zur Facharbeiter-Prüfung nicht zulassen zu können" (BA, R 11/653, BI. 348). 70 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen Diese Ablehnung rief den energischen Protest der SA hervor. Am 11.11.1937 er- schien SA-Oberführer Witzel (als Leiter der SA-Gruppe Nordmark und des Lock- stedter Lagers) in der IHK-Bezirksgeschäftsstelle Elbing und beschwerte sich über den ablehnenden Brief. Er gab zu verstehen, daß die Einrichtung des Lockstedter Lagers den Wünschen der höchsten Stellen entspreche: das Lager werde auf Veran- lassung des Führers, die Facharbeiterausbildung auf Veranlassung des Stellvertreters des Führers unterhalten. Daraufhin entgegnete der IHK-Syndikus Dr. v. Rüts, daß er an der Sache nichts ändern könne, da er an die Weisungen der Hauptgeschäftsstelle und der Berliner Zentralstellen gebunden sei. SA-Oberführer Witzel kündigte an, sich direkt nach Berlin zu wenden. WitzeIs Intervention in Berlin blieb nicht ohne Ergebnis. Zwar betonte die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in der Reichswirtschafts- kammer in einem Antwortschreiben an die IHK Königsberg vom 25.11.1937, daß sich die ablehnende Haltung des Reichswirtschaftsministeriums, der Reichsgruppe Industrie und der Arbeitsgemeinschaft der IHKs nicht geändert habe - aber kaum zwei Monate später, mit Schreiben vom 15.1.1938 teilte die Arbeitsgemeinschaft der IHKs in der Reichswirtschaftskammer der IHK Königsberg mit, daß ihrerseits keine Bedenken bestünden, "die im Lockstedter Lager ausgebildeten Lehrlinge unter Zu- grundelegung der mit unserem Rundschreiben vom 14.12.1937 - I 1819/37 - mitge- teilten Grundsätze zur Lehrabschlußprüfung zuzulassen" (BA, R 11/653, BI. 337). Am 21.4. 1938 wurde ein Abkommen zwischen dem Leiter der SA-Schulungslager, SA-Oberführer Witzel (im Auftrage der Obersten SA-Führung), dem Leiter der Reichsgruppe Industrie und dem Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in der Reichswirtschaftskammer geschlossen. Darin wurde verein- bart, daß die Umschulung und Ausbildung von erwachsenen Arbeitskräften zu Fach- arbeitern verschiedener Schiffbauberufe im SA-Schulungslager Lockstedterlager so- wie in noch zu errichtenden weiteren SA-Schulungslagern nach folgenden Grund- sätzen zu erfolgen hat: "1. Die SA-Schulungsläger dienen der lehrwerkstattmäßigen Ausbildung von in der Regel ungelernten Arbeitskräften zu Facharbeitern der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie. 2. Die Ausbildung erfolgt ausschließlich in von der Reichsgruppe Industrie und der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in der Reichs- wirtschaftskammer anerkannten Lehrberufen. Für diese anerkannten Lehrbe- rufe gelten die entsprechenden Berufsbilder und Ausbildungsrichtlinien. 3. Die Ausbildung dieser Arbeitskräfte erfolgt während des ersten Jahres in den SA-Schulungslägern, während des zweiten und dritten Jahres in den für die Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 71 Einstellung und weitere Ausbildung dieser Arbeitskräfte verantwortlichen Betrieben der Industrie. 4. Träger der Facharbeiterprüfung für diese Arbeitskräfte ist die zuständige In- dustrie- und Handelskammer. 5. Die Durchführung der Facharbeiterprüfung erfolgt auf Grund der Satzung des Prüfungsamtes der Industrie- und Handelskammer durch den zuständi- gen Prüfungsausschuß. 6. Für die Prüfung sind die Prüfungsanforderungen, die vom Deutschen Aus- schuß für Technisches Schulwesen im Auftrage der Reichsgruppe Industrie und der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in der Reichswirtschaftskammer herausgegeben sind, maßgebend. 7. Für die Durchführung der Facharbeiterprüfungen wird im Gegensatz zur sonstigen Durchführung der Prüfungen bestimmt, daß 1. die theoretische Prüfung nach Abschluß des ersten Jahres, also nach Ab- schluß der Lehrwerkstattausbildung im SA-Schulungslager erfolgt, 2. der praktische Teil der Facharbeiterprüfung in Form einer Betriebsprü- fung bereits nach zweijähriger Ausbildung erfolgen kann, und 3. der Facharbeiterbrief nach Ablauf des Lehrvertrages, somit also nach Ablauf des dritten Ausbildungsjahres ausgehändigt wird, und zwar auf Grund der bei den vorangegangenen Prüfungen sowie auf Grund der Be- währung im Betriebe während des dritten Ausbildungsjahres. 8. Die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in der Reichswirtschaftskammer stellt im Einvernehmen mit dem Leiter der SA- Schulungsläger der Obersten SA-Führung und der Reichsgruppe Industrie einen besonderen "Alt-Lehrvertrag" für diese besondere Art von Ausbildungsverhältnissen erwachsener Arbeitskräfte auf, der in allen Fällen zu verwenden ist. 9. Die "Alt-Lehrlinge" sind in die Lehrlingsrolle der zuständigen Industrie- und Handelskammer einzutragen. 10. Die besondere Betreuung dieser Ausbildungsverhältnisse erfolgt durch die Industrieabteilung der zuständigen Wirtschafts kammer. 11. Die vorstehende Regelung erfolgt ausdrücklich als Ausnahme und soll auf- gehoben werden, wenn kein Bedürfnis oder keine Möglichkeit mehr besteht, ungelernte erwachsene Arbeitskräfte in verkürzter Ausbildung zu Facharbei- tern heranzubilden. 12. Die Kündigung dieses Abkommens erfolgt in gegenseitigem Einverständnis unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr" (BA, R 11/653, BI. 310-312). Mit diesem Abkommen war dem "Lockstedter Lager" (und zugleich allen noch zu errichtenden SA-Berufsschulen) die formale Anerkennung als Ausbildungsein- 72 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen richtung besonderer Art erteilt worden. Der anfängliche Widerstand der Selbstver- waltungsorgane der Wirtschaft, die üblicherweise die in der Berufsausbildung ge- bräuchlichen Ausbildungsrichtlinien entwickelten und deren Befolgung überwach- ten, war aus zwei Gründen rasch gebrochen und in wohlwollende Unterstützung umgewandelt worden: Der erste Grund war rein machtpolitisch; eine längere Frontstellung gegen die SA-Berufsschulen hätte unabsehbare Konflikte mit den höchsten Partei- stellen (Führer und Stellvertreter des Führers) heraufbeschworen, die in der Folge eine Beschränkung der Selbstverwaltung der Wirtschaft hätte er- bringen können. Der zweite Grund war ein beschäftigungspolitischer; der notorische Fachar- beitermangel, der die rüstungswirtschaftlichen Ziele des NS-Regimes zu ge- fährden drohte, traf besonders auch die Schiffbauindustrie. Der Facharbei- terbedarf der Kieler Betriebe war so groß, daß er mit Jung-Lehrlingen auf absehbarer Zeit nicht gedeckt werden konnte; hinzu kam, daß nicht einmal die vorhandenen Ausbildungsstellen der Kieler Werke auch nur annähernd von Jugendlichen besetzt werden konnten. Trotz Einrichtung von Lehrlingsheimen (zur Unterbringung auswärtiger Lehrlin- ge) konnten die Kieler Betriebe nur mit der Zuweisung von 50-60 % der angeforder- ten Jung-Lehrlinge rechnen. In dieser Situation boten die SA-Berufsschulen ein willkommenes Nachwuchs-Reservoir. 3.5 Die SA-Berufsschulen im Urteil ihrer Zeit Die anfängliche Zurückhaltung der Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft ge- genüber den SA-Berufsschulen ging auf die abweichenden Ausbildungsmodalitäten zurück, die befürchten ließen, daß dort Facharbeiter zweiter Wahl ausgebildet wer- den würden. Solche Befürchtungen wurden indessen durch die Urteile vieler Werft- betriebe ausgeräumt. Als SA-Oberführer Witzel noch um die Anerkennung des Lola warb, machte er sich eben diese positiven Urteile zunutze und baute sie in seine Argumentation ein: "Es steht weiter einwandfrei fest, daß in dieser verkürzten Lehre die Lehrlinge, die ja an Lebensalter meistens 25-30 Jahre alt sind, bessere Erfolge erzielen als der ju- gendliche Lehrling in 4 Jahren. Diese Männer sind aufnahmefähiger, interessierter und werden nicht mit nebensächlichen Arbeiten, sondern nur mit ihrer beruflichen Ausbildung beschäftigt" (BA, R 11/653, BI. 344 f.). Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 73 Kurz nach der formalen Anerkennung des Lola, am 29.4.1938, fand eine Besichtigung der darin betriebenen Ausbildungseinrichtungen statt, an der die Reichsgruppe Industrie (Dr. Studders, Bernhard, Dr. Rudo/f), der Bund Österreich i- scher Industrieller (Dr. Camuggi, Dr. Köchl, Ing. Pertner) , die Reichswirtschafts- kammer (Dr. Kieslinger, Dr. Holland), SA-Gruppenführer Berg (Chef des Personal- amts in München), Brigadeführer Koch (Chef des Sozialamts) und Oberführer Wzt- zei (Leiter des Lola) teilnahmen. Bei dieser Besichtigung konnte festgestellt werden - so die Aktennotiz von Dr. Holland vom 11.5.1938 -, "daß die Einrichtungen des Lockstedter Lagers durchaus genügen, um die Ausbildung in dem nach dem Ab- kommen SA-Gruppe Nordmark/Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handels- kammern/Reichsgruppe Industrie geplanten Maßstabe durchzuführen ... Die Firmen, die die Lehrlinge im 2. Lehrjahr in die Betriebe übernehmen, äußern sich durchweg befriedigend über die Ergebnisse. Der Facharbeiter mit der Ausbildung im Lock- stedter Lager zuzüglich der späteren praktischen Ausbildung im Betriebe sei dem Facharbeiter mit dem üblichen Ausbildungsgang durchaus als gleichwertig anzuse- hen. Die Betriebe legen auch weiterhin großen Wert auf die Ausbildungsmöglichkeit im Lockstedter Lager" (BA, R 11/653, BI. 3040. Das Interesse der Werftbetriebe am Lola ging so weit, daß sie sämtliche laufen- den Kosten dafür aufbrachten: Die Finanzierung des Lola erfolgte durch eine Inter- essengemeinschaft der Firmen Deutsche Werke Kiel AG, Friedrich Krupp Germa- nia-Werft AG, Hagenuk Kiel, Kriegsmarinewerft Kiel, Howaldtswerft Hamburg. Der Ausbau des Lola während des Krieges wurde durch das Oberkommando der Marine finanziert. Das lebhafte Interesse der Schiffbauindustrie an der Erweiterung der SA-Berufs- schulen fand seinen Ausdruck in dem am 11.7.1941 abgeschlossenen Vertrag, der mit Zustimmung des Oberkommandos der Kriegsmarine zwischen der NSDAP, ver- treten durch den Reichsschatzmeister, München, einerseits und 1. der Deutschen Werke Kiel AG, Kiel, für Werk Kiel, 2. der Friedr. Krupp Germania-Werft AG, Kiel, 3. der Howaldtswerke AG, Hamburg, 4. der Hagenuk, Hanseatische Apparatebaugesellschaft Neufeldt und Kuhnke, GmbH, Kiel, 5. der Kriegsmarinewerft Kiel, zu 1-5 zusammengefaßt in der Industriegemeinschaft Nord, vertreten durch Generaldirektor Middendorff, Deutsche Werke Kiel AG, 6. der Kriegsmarinewerft Wilhelmshaven, 7. der F. Schichau GmbH, Elbing, für Werke Königsberg, Danzig und Elbing, 74 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 8. der Deutschen Werke Kiel AG, Kiel, für Werk Gotenhafen, 9. dem Kriegsmarinearsenal Gotenhafen, 10. der Danziger Werft, Schiffswerft und Maschinenbau-Anstalt, Danzig, zu 7-10 zusammengefaßt in der Industriegemeinschaft Ost, vertreten durch Direktor Franz, F. Schichau GmbH, Elbing, andererseits geschlossen wurde (BA, Sammlung Schumacher, Bd. 409). Danach unterstanden die von der Obersten SA-Führung betriebenen vier SA-Be- rufsschulen führungs- und verwaltungsmäßig den gebietsmäßig zuständigen SA- Gruppen; die Besoldung des SA-Lagerstammpersonals, der von den Industriege- meinschaften gestellten technischen Ausbilder und Lager-Vertragsärzte oblag den Industriegemeinschaften ebenso wie die Finanzierung des Schulungsmaterials, der Maschinen und Werkzeuge, der An-, Ab- und Urlaubsreisen der Lehrgangsteilneh- mer sowie der notwendigen SA-mäßigen und beruflichen Bekleidung und Ausrü- stung. Hatten die Betriebe, die die SA-Berufsschulen finanzierten, den Vorteil, qualifi- zierte und hochgradig disziplinierte Arbeitskräfte zu bekommen, so bot der von der Obersten SA-Führung entworfene Vertragstext der SA den Vorteil, Schulungslager kostenlos betreiben und disziplinarisch überwachen zu können. Das sicherte die politischen Einflußmöglichkeiten auf die SA-Berufsschüler, die, sofern sie nicht schon "alte Kämpfer" waren, vor Entlassung aus den SA-Berufsschulen "auf Grund freiwilliger Meldung in die SA aufgenommen und vereidigt" wurden. Rekrutierten sich die SA-Berufsschüler anfangs aus 25-35jährigen Männern, so sank das Alter der SA-Berufsschüler in der Folgezeit oft unter 21 Jahre, teilweise sogar bis auf 15 Jahre (BA, R 11/653, BI. 242). Das rief lebhaften Protest hervor und verstieß im Grunde auch gegen alle Vereinbarungen, die bei der Einrichtung der SA- Berufsschulen getroffen worden waren. Nachdem die "alten Kämpfer" mit Ausbildungsangeboten versorgt waren, hät- ten die SA-Berufsschulen vereinbarungsgemäß aufgelöst werden müssen. Daß sie nicht aufgelöst wurden, spricht dafür, daß die SA in ihren Lolas willkommene Ein- richtungen zur eigenen Nachwuchswerbung und -rekrutierung sah. Wieder war es die IHK für Ostpreußen, die sich gegen die Praxis der SA-Berufs- schulen sperrte und bei der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskam- mern in der Reichswirtschaftskammer um eine grundsätzliche Klärung dieser Ange- legenheit nachsuchte: Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 75 "Wir haben schon wiederholt beanstanden müssen, daß in diesem Schulungsla- ger [SA-Berufsschule Ostland, auch Lola 11 genannt] auch jüngere Leute, in einem Fall ein solcher von 17 Jahren, zur Ausbildung kommen sollten. Wir haben die Ein- tragung solcher Jugendlichen in unsere Lehrlingsrolle abgelehnt. Nunmehr sind in das Schulungslager 780 Mann neu aufgenommen, die größtenteils Volksdeutsche aus dem polnisch-oberschlesischen Gebiet sind, zum kleinen Teil auch aus Litauen und dem Memelland kommen. Etwa die Hälfte dieser Leute ist jünger als 21 Jahre. Zum Teil sind auch solche darunter, die erst 15 Jahre alt sind. Die Anmeldung zur Eintragung in unsere Lehrlingsrolle ist noch nicht erfolgt, jedoch zu erwarten. Wir sind der Auffassung, daß wir der Anmeldung dieser Jugendlichen, soweit sie unter 21 Jahren sind, nicht stattgeben können. Vielmehr glauben wir, daß wir von allen Ju- gendlichen unter dieser Altersgrenze eine ordnungsmäßige Lehrzeit von 3 bzw. 3 1/2 Jahren verlangen sollten. Es läge sonst darin eine große Ungerechtigkeit gegen- über allen anderen Lehrlingen, zumal die Schulbildung der Reichsdeutschen im all- gemeinen erheblich besser ist" (BA, R 11/653, BI. 250 f.). Der Protest der ostpreußischen IHK blieb erfolglos: Zwar würdigte die Arbeitsgemeinschaft der IHKs in der Reichswirtschaftskammer die vorgetragenen Kritikpunkte, stellte aber in ihrem Zwischenbescheid fest, daß die Altersgrenze von 21 Jahren zu hoch sei: "Wir sind der Auffassung, daß das SA-Schulungslager für die Ausbildung von Angehörigen der Altersstufen vom vollendeten 18. Lebensjahr auf- wärts in Frage kommen könnte. Wir werden im Sinne Ihrer Anregung im Einverneh- men mit der Reichsgruppe Industrie mit der Obersten SA-Führung Fühlung neh- men" (BA, R 11/653, BI. 248). Die Reichsgruppe Industrie, die von der Arbeitsge- meinschaft der IHKs in der Reichswirtschaftskammer über den Sachstand informiert worden war, hatte daraufhin eine Unterredung mit dem Leiter der Zentralstelle der SA-Berufsschulen, SA-Obersturmbannführer Goede, zu der ein Vertreter der Reichswirtschaftskammer aus Termingründen nicht hinzugebeten wurde. Ergebnis dieser Unterredung war, daß die Reichsgruppe Industrie es für "richtig und zweck- mäßig" hielt, "alle Schüler der SA-Berufsschule Ostland, Contienen bei Königs- berg, in die Lehrlingsrolle der Industrie- und Handelskammer Königsberg auf- zunehmen, um ihnen in ihrer weiteren Berufsausbildung alle Schwierigkeiten zu er- sparen" (BA, R 11/653, BI. 247). Die Reichsgruppe Industrie hatte sich damit den Argumenten der SA-Führung angeschlossen, die mit berufspädagogisch bedenklichen Praktiken "die restlose Wiedereindeutschung dieser jungen Männer" (BA, R 11/653, BI. 240) beschleuni- gen wollte. Gegen dieses politische Programm vermochte der berufspädagogisch be- gründete Protest der ostpreußischen IHK nichts auszurichten (BA, R 11/653, BI. 244 f.). Die Würfel waren schon im Juni 1940 gefallen; daran änderte auch die inzwi- 76 Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen schen mobilisierte Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Ostpreußen nichts mehr, die in ihrem Schreiben vom 10. September an die Reichsgruppe Industrie dar- um bat, die IHK Ostpreußen und den Leiter der SA-Berufsschule Ostpreußens an den Klärungsgesprächen zu beteiligen (BA, R 11/653, BI. 232). Auch einzelne An- fragen von IHKs aus dem Reichsgebiet, in denen die Bedenken der IHK Ostpreußen wiederholt und bestärkt wurden, verpufften ergebnislos: Die Werbetätigkeit der SA für ihre Berufsschulen rief beispielsweise die IHK Solingen und die IHK Freiburg i. Br. auf den Plan, die sich bei der Arbeitsgemeinschaft der IHKs in der Reichs- wirtschaftskammer über die SA-Zeitungs-Werbung in den Regionalzeitungen be- schwerten und um Überprüfung der Angelegenheit baten (BA, R 11/ 653, BI. 223 u. 225). Dr. Kieslinger von der Reichswirtschaftskammer beschwichtigte: Die SA-Be- rufsschulen seien nach wie vor "als Umschulungseinrichtungen anzusehen, die in der Regel auf ganz bestimmte örtliche Bedürfnisse abgestellt sind" (BA, R 11/653, BI. 224); diese Lösung habe Zustimmung gefunden und im übrigen gingen die Dar- stellungen in den Zeitungen "und die daraus sprechenden Tendenzen viel zu weit" (BA, R 11/ 653, BI. 222); Fazit: "Diese Aktion kann in keiner Weise aufgefaßt wer- den als ein Abweichen von den Bestrebungen, den Nachwuchs in der Form heranzuziehen, wie sie in den verschiedenen Bemühungen um die Neuordnung der Berufsausbildung geschaffen wurde" (BA, R 11/653, BI. 224). Genau darum han- delte es sich aber: Das Einstellungsalter bei den SA-Berufsschulen war im Kriege auf 17 1/4 Jahre herabgesetzt: nach nur 2jähriger Lehrzeit und einem weiteren - al- lerdings voll entlohnten - Pflicht jahr konnte der Facharbeiterbrief erworben werden. Das Abweichen von den sonst üblichen Modalitäten der Berufsausbildung wurde möglich, weil im begrenzten Ausbildungsbereich der Schiffbauindustrie das wirt- schaftliche Interesse der Betriebe an zügiger Behebung des Facharbeitermangels mit dem politischen Interesse der SA-Führung an Erweiterung der Einfluß- und Rekru- tierungsmöglichkeiten zusammenfiel. Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen 77 3. 6 Unveröffentlichte Quellen Archivalien des Bundesarchiv Koblenz (zit. als: BA) 3.7 Literatur Benze, Rudolf: Erziehung im Großdeutschen Reich. Eine Überschau über ihre Ziele, Wege und Einrichtungen. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1943 Kipp, Martin/Miller, Gisela: Anpassung, Ausrichtung und Lenkung: Zur Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich. In: Reformpädagogik und Be- rufspädagogik. Schule und Erziehung, Bd. VI (Argument-Sonderband 21). Ber- lin 1978, S. 248-266 - zugleich Kapitell in diesem Band. Kipp, Martin/Miller, Gisela: Berufserziehung und Berufspädagogik während des Nationalsozialismus. In: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 75, 1979, S. 434- 443 - zugleich Kapitel 2 in diesem Band. Neumann, Gerd: Die Indoktrination des Nationalsozialismus in die Berufserzie- hung. Untersuchung zur Arbeits- und Erziehungsideologie während der Epoche zwischen 1933 und 1945. Diss. (WiSo) Hamburg 1969 Seubert, Rolf: Berufserziehung und Nationalsozialismus. Das berufspädagogische Erbe und seine Betreuer. (Berufsbildung und Berufsbildungspolitik, Bd. 1), Weinheim/Basel 1977 Wolsing, Theo: Untersuchungen zur Berufsausbildung im Dritten Reich. (Schriften- reihe zur Geschichte und Politischen Bildung, Bd. 24), Kastellaun/Düsseldorf 1977 78 4 Zentrale Steuerung und planmäßige Durchführung der Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie des Dritten Reiches 4.1 Die notorische Klage: Facharbeitermangel 79 Die deutsche Luftfahrtindustrie hatte sich im Ersten Weltkrieg beachtlich ent- wickelt, was insbesondere auf dem Gebiet des Metallflugzeugbaus zu zahlreichen Neukonstruktionen und Verbesserungen führte. Kriegszerstörungen und die restrikti- ven Bestimmungen des Versailler Vertrages bremsten diese Entwicklung, die freilich nicht zum Stillstand kam, weil mehrere deutsche Luftfahrtindustriefirmen im Aus- land Zweigstellen errichteten; damit konnte der Flugzeugbau dort fortgesetzt wer- den, wo das Vertragswerk von Versailles keine Wirksamkeit besaß. Die Entwicklung und Erprobung von Prototypen war in den frühen 30er Jahren bereits sehr weit fort- geschritten; mit dem Serienbau konnte vor 1933 allerdings nicht begonnen werden, denn es gab nicht genug Material- und Halbfabrikatbestände, und die meisten Flug- zeug- und Flugmotorenwerke hatten zu große finanzielle Probleme. Erst nach dem Übergang der Regierungsgewalt auf die Nationalsozialisten flossen die erforderli- chen Finanzmittel - die territorialen Expansionspläne verlangten eine schlagkräftige Luftwaffe. Im Zuge der allgemeinen Forcierung der militärischen Rüstung standen bald Geldmittel für die Luftrüstung zur Verfügung, die den Fliegeroffizieren des Reichswehrministeriums im Vergleich zu früher "unvorstellbar" erschienen (KensjNowarra, S. 16 f.; Völker, 1962, S. 228).1 Es begann der Riesenaufschwung der deutschen Luftfahrtindustrie, Nährstoff genug für jede Art der Legendenbildung. Die organisatorischen Grundlagen für eine neue Luftwaffe, auf denen nach 1933 aufgebaut werden konnte, hatten die Fliegeroffiziere im Reichswehrministerium ge- schaffen. Als Göring Ende März 1933 in die entsprechenden Vorarbeiten der Hee- res- und Marineleitung eingeweiht wurde, soll er "im höchsten Maße von dem fort- geschrittenen Stand der geheimen Reichswehrfliegerei überrascht und beeindruckt" gewesen sein (Völker, 1967, S. 11 f.); Görings Kommentar: "Ich habe nicht geahnt, daß Sie so weit sind. Um so besser!" (Völker, 1962, S. 230). Bis zur Enttarnung der Luftwaffe im März 1935 ging der weitere Ausbau immer noch geheim vor sich. Am 16.3.1935, als die "Proklamation der Reichsregierung an das deutsche Volk" (RGBI. I, 1935, S. 369-375) und das "Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht" (RGBI. I, 1935, S. 375) verkündet wurden, dürfte der Personalbestand 80 Berufserziehung in der Luftwaffentüstungsindustrie der Luftwaffe etwa 900 Offiziere und 10 000 Unteroffiziere und Mannschaften er- reicht haben (JiOlker, 1967, S. 56). Wie die personelle Entwicklung der Luftwaffe (JiOlker, 1967, S. 20-23) drängten 1933 auch ihre materielle Rüstung und damit Auftragslage und Beschäftigungsstand der Luftfahrtindustrie zur Expansion. Weil es vorher nicht viele Aufträge gegeben hatte, war die deutsche Luftfahrtindustrie "bis zum Jahresanfang 1933 nicht über ei- nen Beschäftigungsstand von 3500 Angestellten und Arbeitern hinausgekommen". Aber: "Zum Jahresende 1933 belief sich der Beschäftigungsstand in der Luftfahrtin- dustrie bereits auf 20000 Mann" (JiOlker, 1967, S. 24). Bis zum Juni 1935 waren die Belegschaften der Luftfahrtindustriebetriebe auf 72 000 angestiegen (JiOlker, 1967, S. 131). Die mit der Auflösung des Schulungs- und Erprobungszentrums Lipezk (UdSSR) im Herbst 1933 verlorene Ausbildungskapazität wurde dank der Auswei- tung und Neugtündung deutscher Ausbildungseinrichtungen wettgemacht; im Ver- gleich dazu war die zeitweilige, ebenfalls geheime Inanspruchnahme italienischer Fliegerschulen bedeutungslos (Galland, S. 26-28). Fliegertechnisches Personal wurde in den Werften der Lufthansa, den Produktionsstätten der Luftfahrtindustrie und in einem getarnten, untergliederten Ausbildungsapparat, der als "Deutsche Verkehrsfliegerschule " geführt wurde, aus- gebildet. Die Fliegertechnische Schule Jüterbog, die ab Oktober 1933 betrieben wurde, hatte eine Jahresausbildungskapazität von 1500 Schülern. In der Tarnzeit fungierte der "Deutsche Luftsportverband als Tarneinrichtung und gleichzeitig Per- sonalreserve der Luftwaffe" (JiOlker, 1967, S. 66). Dieser Verband gliederte sich Anfang 1935 in 15 Landesgruppen, verfügte über 13 Ausbildungsstellen und zählte etwa 30 000 Mitglieder. Neben der fliegertechnischen Ausbildung an den Technischen Schulen Jüterbog und Berlin-Adlershof wurden sogenannte "Industrielehrgänge " eingerichtet, bei de- nen Soldaten "ihre fliegertechnische Ausbildung in den Werkeinrichtungen der Luftfahrtindustrie erhielten" (JiOlker, 1967, S. 143). Mit dem Ausbau und der Kapazitätserweiterung der deutschen Luftfahrtindustrie stellte sich das Problem der Rekrutierung und Qualifizierung der Arbeitskräfte - für die Luftfahrtindustrie ebenso wie für die Luftwaffe. Die Möglichkeit, den fliegertechnischen Nachwuchs aus dem Facharbeiterstamm der Luftfahrtbetriebe zu ziehen, schied aus, weil diese ihre Facharbeiter selbst dringend benötigten und letzt- lich die Lebensfahigkeit der Luftwaffe von der Leistungsfähigkeit der Industrie ab- Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 81 hing. Die mit Staatsaufträgen angeheizte Konjunktur fegte den Markt der quali- fizierten Arbeitskräfte leer und zwang die Luftfahrtindustrie sehr bald dazu, auch mit unqualifizierten Arbeitskräften vorliebzunehmen. Der weitere Aufbau und die Entwicklung der Leistungsfähigkeit der Luftwaffenrüstungsindustrie und der Luft- waffe hingen entscheidend davon ab, inwieweit es gelingen würde, möglichst rasch die erforderlichen Fachkräfte in genügender Zahl bereitzustellen. Daß hier ein gefährlicher Engpaß sich andeutete, der die rüstungswirtschaftlichen Pläne zu ge- fahrden drohte, war im Reichsluftfahrtministerium (RLM) bekannt, zumal im Lager der Industriellen die Klage über den Facharbeitermangel nicht verstummte (Reichs- stand der Deutschen Industrie; BremhorstjBachmann; Studders). 4.2 Zentrale Organisation des Ausbildungswesens - Radikalkur zur Behebung des Facharbeitermangels und zur flexiblen Führungskräftebedarfsdeckung Zur Rekrutierung und Ausbildung des Luftwaffenindustriepersonals wurde 1934 ein "Büro für Industriearbeiter" eingerichtet, das 1936 in die Dienststelle des "Be- vollmächtigten für das Luftfahrtindustriepersonal" (B.f.L.) im RLM umgewandelt wurde. Das Amt des B.f.L. bekleidete Oberst Mooyer (Krause, 1939 b, S. 42), der später als Generalmajor (Krause, 1939 c, S. 273) bzw. Generalleutnant (Krause, 1941 d, S. 278) auch "Kommandeur der Flieger-Technischen Vorschulen" (K.Fl.T.Y.) war. Der Schwerpunkt der Arbeit dieser Dienststelle lag zunächst in der Einrichtung und Überwachung sogenannter "Ausbildungswerkstätten" in mehreren Luftfahrtin- dustriebetrieben, in denen kurzfristige Ausbildung und Umschulung stattfand. Spä- ter wurde das Ausbildungsprogranam systematisch erweitert; es umfaßte schließlich die planmäßige Berufsausbildung vom Lehrling bis zum Meister in neugeschaffenen Luftfahrtindustrieberufen2, daneben diverse Spezialkurse, Schulungs- und Weiter- bildungsmaßnahmen. Als Besonderheit ist hervorzuheben, daß das gesamte gewerblich-technische Ausbildungswesen der Luftfahrtindustrie und der Luftwaffe dem RLM unterstellt war und von diesem mit einheitlichen und verbindlichen Ausbildungsrichtlinien, Lehrmitteln und Prüfungsunterlagen versorgt wurde (BJ.L./K.Fl.T.V., 1941; Wom- bacher, S. 207-213). Das alles sollte dazu dienen, "daß die Ausbildung in allen Luftfahrtbetrieben einheitlich, planmäßig und intensiv durchgeführt wird" (Krause, 1941 d, S. 278). In 82 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie keinem anderen Bereich in Industrie, Handwerk und Handel gab es derartige Selek- tions-, Steuerungs- und Überwachungsmöglichkeiten, denen der Nachwuchs unter- worfen wurde; nirgendwo sonst und nie zuvor in der deutschen Berufserziehung wurden Ausbildungsrichtlinien, Lehrgänge und PTÜfungsmodi mit so hohem Grad an Verbindlichkeit reichseinheitlich befolgt und praktiziert wie in der Luftfahrtindu- strie. Die Berufsausbildung in diesem Industriezweig kann daher - für die Zeit des Dritten Reiches - als das in der deutschen Berufserziehungsgeschichte einmalige Musterbeispiel für zentralistische Organisation, Kontrolle und Lenkung des Ausbildungswesens gelten. Die zentralistische Organisation mit eindeutiger Kompetenzverteilung schloß Konflikte und Rivalitäten, wie sie in anderen Ausbildungsbereichen geradezu an der Tagesordnung waren (vgl. Kapitell), weitgehend aus. Selbstverständlich wurde der zentralistische Organisationsaufbau, der sich in rasanter Geschwindigkeit vollzog, dadurch begünstigt, daß in diesem Industriezweig kein "bewährtes", durch histo- risch gewachsene Institutionen verfestigtes und durch deren verselbständigtes Eigenleben behindertes Ausbildungswesen bestand. Insofern konnten curriculare und didaktisch-methodische Ansätze neuerer Art zügig und widerstandslos erprobt und eingeführt werden. Innovationen dieser Art sind in vergleichbarem Umfang nir- gendwo sonst im beruflichen Ausbildungswesen des Dritten Reiches zu verzeich- nen. Was in dem geschlossenen Ausbildungssystem der Luftfahrtindustrie im Hin- blick auf Systematik und Planmäßigkeit der Berufsausbildung erreicht wurde, wäre in anderen Industriezweigen oder gar im Handwerk oder im Handel undenkbar ge- wesen. Die Vorzüge der zentralistischen Organisation traten, das wird noch zu zeigen sein, auf allen Qualifikationsebenen hervor: Zu der Möglichkeit einheitlicher Fach- arbeiterausbildung kam eine streng bedarfsorientierte Qualifizierung der Lehrmei- ster und Ausbilder, der Werkmeister und sonstigen Führungskräfte. Nicht nur technologische Neuerungen, auch produktionstechnische Umstellun- gen, die unter dem Druck feindlicher Bombardierungen eingeleitet wurden, erfor- derten eine qualifikatorische Flexibilität der Arbeitskräfte, die durch ein zentral ge- lenktes Ausbildungssystem rasch erzeugt werden konnte. Das zentral gesteuerte "Leistungsertüchtigungswerk der Luftfahrtindustrie " konnte nicht nur schnell, son- dern auch besonders effektiv der Forderung entsprechen, "mehr deutsche Facharbei- ter zu Führungskräften heranzubilden" (ATA.-IV., 1944, S. 79): Die im Verlauf des Krieges wachsende Gefahr der Bombardierung größerer Rüstungswerke führte dazu, diese in Teilbetriebe zu zergliedern und lokal zu dezentralisieren. Das hatte produktionstechnische, vor allem aber auch arbeitsorganisatorische und qualifikato- Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 83 rische Konsequenzen - der Bedarf an Führungskräften, insbesondere an Werkmei- stern und Technikern, wuchs rapide. Das um so mehr, je stärker die Rüstungspro- duktion anschwoll und je größer der Anteil der "Gastarbeiter" (dieses Wort war da- mals schon im Umlauf!) in den Rüstungsbetrieben war (Bäuerle; Heimbach; ATA.- IV., 1944). Daß der hier erneut offensichtlich werdende Nachwuchsmangel an Fach- und Führungskräften schließlich auch das nationalsozialistische Frauenbild (Hausfrau und Mutter; vgl. Kapitel 5) ins Wanken brachte und beispielsweise dazu führte - jetzt kommt eine gelungene Formulierung! - den "interessanten Beruf des techni- schen Zeichners auch der Frauenwelt zu erschließen" (Tomars, S. 49), sei nur am Rande erwähnt. Wie borniert auch immer die als weltanschauliche Schulung gepriesene ideolo- gische Indoktrination im Rahmen der Berufserziehungsarbeit in der Luftwaffenrü- stungsindustrie gewesen sein mag, auch der unerbittlichste Kritiker wird zugestehen müssen, daß die Ausbildungseinrichtungen und Lehrmittel für die Berufsausbildung zweifellos zu den modernsten gehörten, die seinerzeit in Deutschland anzutreffen waren. 3 4.3 Wege zur Behebung des Facharbeitermangels in der Luftwaffenrüstungsindustrie Außer der Ausbildung in Flieger-Technischen Vorschulen (FI.T.V.), die im Ab- schnitt 5 ausführlicher behandelt werden soll, gab es drei weitere Wege zur Beseiti- gung des Facharbeitermangels, die hier kurz skizziert werden sollen. 4.3.1 Umschulung von Facharbeitern verwandter Berufe Zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern (Arge IHK), der Reichsgruppe Industrie und dem BJ.L. wurde 1938 ein Abkommen ge- schlossen, das "Bestimmungen zur Umschulung von älteren Gefolgschaftsmitglie- dern zu Metallflugzeugbauem" festlegte (BA: R 11/826, BI. 66 f.). Zur zweijährigen Umschulung, die mit der Facharbeiterprüfung für Metallflugzeugbauer abgeschlos- sen werden konnte, sollten (Industrie)Facharbeiter und (Handwerks)Gesellen aus verwandten Metall- und Elektroberufen zugelassen werden (Mohr; Frieß). Von der Umschulungsmöglichkeit ist allerdings, wie die Prüfungsberichte der Reichswirt- schaftskammer (Reiwika) zeigen, in kaum nennenswertem Umfang Gebrauch ge- macht worden, so daß dieser Weg zur Behebung des Facharbeitermangels hier nicht 84 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie weiter auszuleuchten ist. - Neben diesen längeren Umschulungsmaßnahmen, die mit der Facharbeiterprüfung abschlossen, gab es zahlreiche kürzere Umschulungs- möglichkeiten, die normalerweise als sechs wöchige Kurzlehrgänge durchgeführt wurden (BJ.L./ K.P1.T.V., 1941, S. 8 f.; Wombacher, S. 210 f.). Diese Qualifizie- rungsmaßnahmen, die ursprünglich nur als vorübergehende Behelfslösungen ge- dacht waren, wurden schließlich doch bis zum Kriegsende beibehalten; ihnen wur- den auch Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten und Kriegsgefangene unterwor- fen. Angaben Erwin Krauses 4 zufolge wurden "einige Hunderttausende " auf diese Weise qualifiziert. "Allein im Betrieb der Firma Junkers wurden im In- und Ausland etwa 70000 Arbeiter in den Umschulungswerkstätten umgeschult" (Krause, 1955, zit. n. Wombacher, S. 211). 4.3.2 Ausbildung in Lutlfahrtindustriebetrieben Wie aus Tabelle 1 (s. u., S. 85) ersichtlich, hat die Lehrlingsausbildung in den Luftfahrtindustriebetrieben - insbesondere für den Lehrberuf Metallflugzeugbauer - ganz entscheidend zur Deckung des Nachwuchsbedarfs beigetragen. Die fachliche Ausbildung der Werkslehrlinge verlief nahezu parallel zu der der Militärschüler der FI.T.V. Demgegenüber war die politische Indoktrination bei den Werkslehrlingen bei weitem nicht so massiv und auch die vormilitärische Ausbildungskomponente trat nicht so penetrant hervor wie bei den Schülern der P1.T.V., die sich dem Druck der "totalen Institution" (Goffman) und den darin herrschenden Gruppenzwängen nur schwerlich entziehen konnten. Gleichwohl galten markige Erziehungsziele: "Zur Erziehung jedes Lehrlings gehören die körperliche Ertüchtigung, die charakterliche Formung und die Ausrichtung auf die Gemeinschaft auf der Grundlage der national- sozialistischen Weltanschauung" (Krause, 1939 b, S. 46). Der Lehrling sollte "im Geiste nationalsozialistischer Arbeitsauffassung zur Arbeitsehre, zur Kameradschaft und zur Betriebsgemeinschaft erzogen werden" - er sollte "begreifen lernen, daß der Einzelne nichts ist, die Gemeinschaft alles" (Krause, 1939 b, S. 46). Krause ver- suchte das Berufserziehungsziel "auf die kürzeste Formel" zu bringen: "Planmäßig- keit, Einheitlichkeit und Intensivierung der Ausbildung, Erziehung der Lehrlinge im Geiste nationalsozialistischer Weltanschauung" (Krause, 1939 b, S. 43). Die Qualität der Ausbildung in den Luftfahrtindustriebetrieben dürfte derjenigen in der übrigen Metall- und Elektroindustrie vergleichbar gewesen sein. Gegenüber den Militärschülern der FI.T.V. schnitten die Werkslehrlinge bei den Facharbeiterprüfungen allerdings schlechter ab. Die Gründe für die unterschiedli- chen Prüfungserfolge können hier nicht im einzelnen untersucht werden; ganz sicher war der Internatsbetrieb der P1.T.V., der mit dem Anspruch vorbildlicher Berufser- ziehungspraxis aufgezogen wurde, mit für den Erfolg der Militärschüler verantwort- Ta be lle 1: Fa ch ar be ite rp rü fu ng en in de n Lu ftf ah rti nd us tri eb er uf en M et al lfl ug ze ug ba ue ru n d Fl ug m ot or en sc hl os se r M et al lfl ug ze ug ba ue r Fl ug m ot or en sc hl os se r M it. W I H A Su m m e M it. W I H A Su m m e G es am t Fr üh jah r1 93 9 20 5 20 5 H er bs t1 93 9 Fr üh jah r1 94 0 M itl itä rs ch ül er (M eta llf lug ze ug ba ue r u n d Fl ug m ot or en sc hl os se r) = 49 2 H er bs t1 94 0 M itl itä rs ch ül er (M eta llf lug ze ug ba ue r u n d Fl ug m ot or en sc hl os se r) = 43 3 2. 12 2 Fr üh jah r1 94 1 29 4 29 5 = (I + A ) 59 8 16 3 10 6 = (I + A ) 26 9 85 8 H er bs t1 94 1 36 8 1 1. 69 1 60 2. 12 0 26 9 26 4 1 53 4 2. 65 4 Fr üh jah r1 94 2 25 6 11 62 9 27 92 3 25 3 2 11 8 2 37 5 1. 29 8 H er bs t1 94 2 36 2 64 2. 00 5 14 2. 44 5 26 4 8 32 8 60 0 3. 04 5 Fr üh jah r1 94 3 59 0 89 1. 67 6 91 73 2. 51 9 47 6 27 28 5 27 1 81 6 3. 33 5 H er bs t1 94 3 2. 00 3 = (W + I+ H ) 40 7= (W +I +H ) Fr üh jah r1 94 4 H er bs t1 94 4 Fr üh jah r1 94 5 K rie gs zw is ch en pr üf un g v o rg es eh en A bk ür zu ng en : tI1 ~ 2 ~ ~ ""'t N ;. ::r c ::s O'Q Er c.. ~ ""'t ~ ~ ~ ~ ~ g ""'t c: tn § O'Q tIl 5· 0. e: tn ~ ""'t (i. M it. = M ili tä rs ch ül er de rF l.T .V . W = W er ftl eh rli ng e de rA TA I = In du str ie le hr lin ge H = Le hr lin ge rd er Fl ie ge r- H or st e A = A us na hm ef äl le (U ms ch üle r) (Q ue lle n: B A :R 11 /1 81 ,1 45 f.; R 11 /1 86 ,1 23 ;R 11 /2 05 ,1 63 ;R 11 /8 27 ,7 2; R 11 /8 30 ,1 74 ;R 11 /8 31 ,2 0 u. 24 ;R 11 /8 34 ,5 f.; R 11 /8 36 ,1 6 f.; R 11 /8 38 ,1 2 bi s 14 , R 11 /8 40 ,4 7 f. u. 66 -6 8; R 11 /8 42 ,1 63 f.; R 11 /1 13 0, 12 0. ) 00 V l 86 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie lieh, während der gelegentliche Mißerfolg der Werkslehrlinge sich vor allem durch die mangelnde Eignung ihrer Ausbildungsbetriebe erklären läßt. - Das RLM war nicht bereit, ungeeignete Betriebe mit Ausbildungsaufgaben zu betrauen, und über- prüfte deshalb "laufend die mit der Ausbildung von Metallflugzeugbauern und Flugmotorenschlossern beauftragten Betriebe auf ihre Leistungsfähigkeit und ihre Eignung als Lehrbetrieb" (BA: R 11/839, BI. 349). Die Reiwika wurde vom RLM beauftragt, über die IHKs alle einschlägigen Ausbildungsbetriebe zu erfassen, um sie der Aufsicht und Kontrolle durch das RLM zu unterwerfen. Diese Überwachung, die Ende 1940 institutionalisiert wurde, kann als Reaktion auf die teilweise unbe- friedigenden Ausbildungsergebnisse mancher Industriebetriebe gesehen werden; sie hat offensichtlich ihren Zweck nicht verfehlt, denn unmittelbar danach wurde im Bereich der IHKs Augsburg, Gera und Halle über drei Betriebe eine Lehrlingssperre verhängt (BA: R 11/839, BI. 247). 4.3.3 Ausbildung in Fliegerhorsten, Luftparken und Erprobungsstellen der Luftwaffe Die Lehrlingsausbildung in diesen Einrichtungen hat, wie aus Tabelle 1 (s.o., S. 85) ersichtlich, nicht in sehr großem Umfang stattgefunden. Es handelte sich dabei gleichsam um eine wider besseres Wissen ergriffene Notmaßnahme, die etwa ab 1940 eingeleitet wurde: Der Fachkräftemangel in den Werftbetrieben der Luftwaffe war so akut, daß für das RLM "kein anderer Weg" gangbar erschien, "als daß die Werften ebenfalls den erforderlichen Nachwuchs an Fachpersonal selbst heranbil- den" (Krause, 1941 c, S. 74). Das war kein leichter Entschluß, denn von vornherein bestanden Zweifel an der Ausbildungsqualität dieser Luftwaffeneinrichtungen, die deswegen auch nur in begrenztem Umfang Lehrlinge einstellen durften. Um bestimmte Qualitätsstandards in der Ausbildung nicht zu unterschreiten, wurden neben den Luftfahrtindustriebetrieben auch die mit Lehrlingsausbildung be- faßten Fliegerhorste, Luftparke und Erprobungsstellen überwacht; diese Luft- waffendienststellen bekamen vom RLM genaue Anweisungen bezüglich Fachrich- tung (Metallflugzeugbauer oder Flugmotorenschlosser) und zulässiger Zahl der Lehrlinge, die ihnen dann von den Arbeitsämtern überwiesen wurden. Um eine sachgemäße Ausbildung zu gewährleisten und "Lehrlingszüchterei" (d. h. das Be- streben, fehlende Facharbeiter durch Lehrlinge zu ersetzen) zu unterbinden, waren Bestimmungen über die Einstellung und Ausbildung von Lehrlingen in den Werften der Fliegerhorste erlassen worden, die die Höchstzahlen bei jährlicher Lehrlingsein- stellung auf 10, bei zweijährlicher Einstellung auf 20 festlegten. Ausnahmen, die bis Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 87 zu 15 bzw. 25 Lehrlinge zuließen, bedurften der vorherigen Genehmigung durch das RLM (BA: R 11/832, BI. 17 f.). Daß auf die Verbesserung der Ausbildungsverhältnisse in Fliegerhorsten "aller- größter Nachdruck" gelegt werden müsse, war u. a. ein Ergebnis der Sachbearbei- terbesprechung mehrerer IHKs, die am 21.5.1942 in der IHK Braunschweig statt- fand und auf der die Ergebnisse der Frühjahrsprüfung 1942 erörtert wurden (BA: R 11/185, BI. 14-18, S. 1-10). Fazit: Bei den Fliegerhorsten seien längst noch nicht in dem Maße wie bei den Luftfahrtindustriebetrieben die Voraussetzungen für eine ein- wandfreie Lehrlingsausbildung gegeben. Die IHKs wurden deshalb angewiesen, den Prüflingen aus Fliegerhorsten ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken und der Reiwika gesondert über die Prüfungsergebnisse zu berichten. 4.4 Reichseinheitliche Facharbeiterprüfungen in der Luftfahrtindustrie Den drei zuvor skizzierten Ausbildungswegen zum Facharbeiter wie auch dem noch ausführlicher zu beschreibenden Weg durch die FI.T.V. ist gemeinsam, daß sie durch eine Prüfung vor der jeweils (regional) zuständigen IHK abgeschlossen wur- den. Obwohl das gesamte Ausbildungswesen der Luftfahrtindustrie zentral vom RLM gelenkt und überwacht wurde, oblagen die Prüfungen mit Zertifi- katsberechtigung (Facharbeiter, Meister) den Prüfungsausschüssen der IHKs. Die Koordinierung der Prüfungsausschüsse und erst recht die weitergehende Einfluß- nahme auf das Prüfungsverfahren konnte folglich nur über die den IHKs übergeord- nete Reiwika erfolgen. Das erklärte Interesse des RLM war - Konsequenz aus der zentralistischen Organisation des Ausbildungswesens mit einheitlichen Ausbil- dungsrichtlinien und Lehrmitteln - eine Vereinheitlichung des Prüfungswesens. Des- halb beauftragte der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luft- waffe am 20.5.1940 die Reiwika, "in Zusammenarbeit mit dem B.f.L. und K.Fl.T.V. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die von den Industrie- und Handelskam- mern vorzunehmenden Facharbeiterprüfungen in der Luftfahrtindustrie einheitlich vorbereitet und durchgeführt werden" (Krause, 1941 a, S. 3). - Bereits im Herbst 1940 wurden die Facharbeiterprüfungen für die Lehrberufe Metallflugzeugbauer und Flugmotorenschlosser in vereinheitlichter Form durchgeführt. Das bedeutete: Es wurden einheitliche Bewertungsmaßstäbe zugrunde gelegt, die Anfertigung eines "Einheitsprüfstückes" (Fertigkeitsprüfung) und die Lösung reichseinheitlich ge- stellter Aufgaben (Kenntnisprüfung) verlangt. Nachdem die Facharbeiterprüfungen im Frühjahr 1941 abgeschlossen und aus- gewertet waren, begann die Reiwika damit, den beteiligten IHKs regelmäßig Erfah- 88 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie rungsberichte über voraufgegangene Prüfungen zuzusenden. Darin wurden genaue, nach Kammerbezirken geordnete Angaben über die Zahl der geprüften Lehrlinge und die erzielten Prüfungsergebnisse mitgeteilt; ferner wurden problematische Ein- zelfragen erörtert und Änderungen der Prüfungsordnung bzw. der Prüfungsverfahren bekanntgegeben. Diese Prüfungsberichte enthalten interessantes Anschauungsmate- rial über die Ausbildungsverhältnisse, Qualifikation der Lehrbetriebe, Güte und Ge- nauigkeit der Prüfverfahren usw.; ihnen sind die Zahlenangaben der Tabelle 1 (s. S. 79) entnommen (die Unvollständigkeit der Tabelle ist der lückenhaften Überliefe- rung der Prüfungsberichte - BA: R II/ff. - geschuldet). 4.5 Die Flieger-Technischen Vorschulen - Autoritäre EIite-Zuchtanstalten für fliegertechnische Soldaten 4.5.1 Anzahl der FI.T.V. - Ausbildungskapazität Detaillierte Angaben über die quantitative Entwicklung der Fl.T.V. in wün- schenswerter chronologischer Dichte liegen nicht vor. Einen groben Eindruck von der Ausbildungskapazität vermag Tabelle 1 (s.o., S. 85) zu vermitteln. Die ersten Fl.T.V. wurden 1936 eingerichtet; sie waren großen Betrieben der Luft- waffenrüstungsindustrie (Flugzeugwerken, Flugmotorenwerken, elektromechani- schen Betrieben, Waffenfabriken) angegliedert und über das gesamte Reichsgebiet verteilt: Anfang 1944 befanden sich Fl.T.V. der Luftwaffe im Bereich der Gauwirt- schaftskammern Berlin-Brandenburg (ferner Wirtschaftskammer Niederlausitz), Franken, Hamburg, Kurhessen, Magdeburg-Anhalt, Mecklenburg, München-Ober- bayern, Pommern, Sachsen, Schwaben, Sudetenland, Hannover-Braunschweig, Thüringen, Weser-Ems, Württemberg-Hohenzollern (BA: R 11/844, BI. 114). Am Ende des Krieges gab es 32 Fl.T.V. mit ca. 6000 Militärschülern (Krause, 1955, zit. n. Wombacher, S. 213). 4.5.2 Erziehungsauftrag Fl.T.V. waren vom B.f.L./K.Fl.T.V. eingerichtet worden, um den "Nachwuchs für das technische Unteroffizierkorps der Fliegertruppe" auszubilden (Krause, 1938 a, S. 142). Aus den Fl.T.V. sollten längerdienende Unteroffiziere der Luftwaffe her- vorgehen, "die über die notwendigen fachlichen und charakterlichen Qualitäten ver- fügen und die Mannschaften des Bodenpersonals technisch anleiten und überwachen können" (Krause, 1939 a, S. 21). Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 89 Ziel der Berufserziehung, die in den Pl.T.V. als "Ganzheitserziehung" verstan- den wurde, war "die totale Erfassung des jungen Menschen" (Jacob, S. 72; Steinert, S. 97). Die drei daran beteiligten Instanzen (Lehrwerkstatt, Berufsschule und Unter- kunft) und die darin tätigen Erzieher (Ausbilder, Lehrer und HJ-Führer) müßten - so eine immer wieder beschworene Forderung - das gemeinsame Ziel haben, "aus dem Militärschüler nicht nur einen tüchtigen Fachmann und Soldaten, sondern vor allem auch einen charakterstarken, einsatzbereiten und zuverlässigen Menschen und Na- tionalsozialisten zu machen" (Jacob, S. 72). 4.5.3 Auswahl der Militärschüler An die Ausbildung in den Fl.T.V. war die Verpflichtung geknüpft, nach Ab- schluß der Lehrzeit 12 Jahre bei der Luftwaffe zu dienen. Die "Vorauslese " der 14- bis 15jährigen Bewerber wurde von den Berufsberatungsstellen der Arbeitsämter vorgenommen; dabei sollten sowohl die Ergebnisse einer psychologischen Eignungsuntersuchung als auch Auskünfte der Hitler-Jugend Anhaltspunkte geben. Nach dieser einheitlich durchgeführten Vorauslese, in der auch geprüft wurde, ob deutsche Staatsangehörigkeit und arische Abstammung gegeben waren und ob der Bewerber "nach seiner Herkunft und Erziehung die Gewähr dafür bietet, daß er je- derzeit rückhaltlos für den Nationalsozialistischen Staat eintritt" (Krause, 1941 c, S. 74), erfolgte eine militärärztliche Untersuchung. Die Entscheidung über die Einstel- lung traf der BJ.L. - nach Anhörung einer Auswahlkommission, die von einem Offi- zier geleitet wurde und aus einem Militärarzt, einem Ausbildungsleiter, einem Heimleiter und Vertretern der Landes- bzw. Arbeitsämter bestand und vor der sich der Bewerber zu präsentieren hatte (Krause, 1938 a, S. 143). 4.5.4 Berufserziehung Die technische Berufserziehung bestand aus der praktisch-handwerklichen Un- terweisung in der Lehrwerkstatt, im Betrieb und im Übungsfeld und in der dazu par- allel verlaufenden theoretischen Schulung in der Werkberufsschule. Während der beiden ersten Lehrjahre wurden Militärschüler und Werkslehrlinge gemeinsam in Lehrwerkstätten der Luftwaffenrüstungsindustriebetriebe ausgebildet. Die Lehr- werkstätten wurden von einem Ausbildungsleiter geführt; auf je 100 Lehrlinge ent- fielen 1 Meister und 6 bis 7 Lehrgesellen oder Vorarbeiter (Krause, 1939 b, S. 45). Die vierjährige Ausbildung in den vier Lehrberufen: Metalljlugzeugbauer (Arn- hold; Krause, 1939 c; Krause, 1940), Flugmotorenschlosser (Schröder; Flucke) , Waffenbauer (Krause, 1943 b) und Elektromechaniker (Krause, 1943 a; Marmet; Marquardt) wurde mit einem "Grundlehrgang" begonnen, der das Probevierteljahr 90 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie umfaßte. Der Grundlehrgang bestand aus einer Sammlung methodisch aufgebauter Aufgaben, die jeder Lehrling befriedigend bewältigen mußte, wenn er seine Berufs- ausbildung in der FI.T.V. fortsetzen wollte. Die dabei anzufertigenden Übungsstücke waren im Hinblick auf Werkstoffersparnis so ausgewählt, daß sie mehrfach für ver- schiedene Übungszwecke verwendet werden konnten. Nach dem Motto "Freie Bahn dem Tüchtigen" war bereits der Grundlehrgang als eine Konkurrenz-Lernsituation organisiert. Nach Abschluß des Grundlehrgangs durchlief der Lehrling nach einem bestimmten Versetzungsplan verschiedene Abteilungen der Lehrwerkstatt (z. B. Dreherei, Fräserei, Schmiede, Schweißerei), um weitere Arbeitstechniken, Werkzeu- ge, Maschinen und Werkstoffe kennenzulernen und allmählich zur Bewältigung pro- duktiver Arbeiten geführt zu werden (Alex, 1942). Vom 7. Monat an hatte jeder Militärschüler allmonatlich eine sogenannte "Zwischenlehrarbeit" anzufertigen, die nach einem Punktesystem bewertet wurde; so wurde eine kontinuierliche Leistungsbeurteilung möglich. Die Bewertungsergeb- nisse wurden in "Bewertungskarten" eingetragen und öffentlich in der Lehrwerk- statt ausgehängt; sie konnten von allen Militärschülern eingesehen werden und soll- ten anspornend wirken. Nach zweijähriger Lehrwerkstattausbildung folgte die produktive Arbeit in den Luftwaffenrüstungsindustriebetrieben (Alex, 1941). Die Militärschüler durchliefen nach einem bestimmten Zeitplan solche Abteilungen, die im Hinblick auf ihre späte- re Verwendung als Bodenpersonal der Fliegertruppe von besonderem Interesse wa- ren; z. B. Montage-, Reparatur-, Versuchs- und Entwicklungsabteilungen. Das letzte Ausbildungsjahr war schließlich im Übungsfeld zu absolvieren, wo Flugzeuge und Motoren, Bordgeräte und Aggregate in ihrer wechselseitigen Funk- tion geprüft und auf Störquellen hin untersucht wurden (Schröder; Kottersbach; Schreiber). Während der gesamten vierjährigen Ausbildungszeit wurde den Militärschülern in Werkberufsschulen ein mindestens achtstündiger Unterricht in der Woche erteilt. Verglichen mit dem teilweise desolaten Zustand des öffentlichen Berufsschul- wesens in der NS-Zeit, das durch chronischen - von den Nazis miterzeugten - Leh- rermangel und dementsprechenden Stundenausfall charakterisiert war, konnte die "Beschulung" des Facharbeiternachwuchses in der Luftwaffenrüstungsindustrie als geradezu vorbildlich gelten: So erhielten alle Militärschüler vom dritten Lehrjahr an zusätzlich zum regulären Berufsschulunterricht einen zweistündigen Elektrotechnik- unterricht in der Woche. In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 91 zwei Stunden der wöchentlichen Arbeitszeit dem Segelflugzeugbau gewidmet wur- den, der in besonderen, nach den Richtlinien des NS-Fliegerkorps eingerichteten Werkstätten (die den Lehrwerkstätten angegliedert waren) stattfand. Die Facharbeiterprüfung, die bereits nach 3 1/2 jähriger Lehrzeit vor einem Prüfungsausschuß der zuständigen IHK abgelegt werden mußte, entsprach in Anfor- derungsniveau, Dauer und Umfang (praktische Prüfungsarbeit; schriftliche und mündliche Prüfungen in den Berufsschulfächern Fachkunde, Fachrechnen, Fach- zeichnen und Staatsbürgerkunde) den seinerzeit in Deutschland üblichen Standards (Krause, 1941 a; Krause, 1941 b; Schröder). 4.5.5 Soldatische Erziehung Außer auf die fachliche Qualifikation wurden von seiten der NS-Machthaber be- sonderer Wert auf die soldatische Erziehung der Militärschüler gelegt. Die soldati- sche Erziehung, die "Ausrichtung der charakterlichen Werte im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung, Erziehung des inneren und äußeren Men- schen zu Geradheit und Aufgeschlossenheit, zu Straffheit und Disziplin, zu Einsatz- bereitschaft und Entschlossenheit" (Krause, 1938 d, S. 173; Krause, 1939 a, S. 60) bewirken sollte, wurde besonders nachdrücklich gefordert und betrieben, weil die Militärschüler "später zu Unterführern der Fliegertruppe und damit wiederum zu Lehrern und Erziehern der jungen Mannschaft" werden sollten (Krause, 1939 a, S. 60). Zur Durchführung der soldatischen Erziehung, die in erster Linie im Rahmen des Dienstbetriebes der Unterkünfte erfolgte (Steinert), waren "bewährte und erfah- rene Erzieher" gewonnen worden: An der Spitze jeder Unterkunft der FI.T.Y. stand ein HJ-Hauptführer; für je 100 Militärschüler standen 2 HJ-Zugführer bereit; für Verwaltung, Küche, Heizung, Lastwagen usw. war besonderes Personal vorhanden. Die politische Zuverlässigkeit des fliegertechnischen Nachwuchses im Sinne ei- ner "festen nationalsozialistischen Haltung" (Krause, 1938 a, S. 147; Krause, 1938 c, S. 32) war dadurch verbürgt, daß "grundsätzlich alle Erzieher und Militärschüler ordentliche Mitglieder der HJ" waren (Krause, 1938 a, S. 146; Krause, 1938 c, S. 31; Krause, 1938 d, S. 173; Krause, 1939 a, S. 60); sie bildeten eine Gefolgschaft des örtlichen Bannes der Flieger-HJ bzw. einen Unterbann. Im Rahmen der soldatischen Erziehung spielten neben Gelände- und Ordnungs- dienst insbesondere die weltanschauliche Schulung und der Sport eine wichtige Rol- le. 92 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie Für die weltanschauliche Schulung der Militärschüler - sie umfaßte: Deutsche Geschichte, Geschichte der Bewegung, Partei programm, Aufbauwerk des Führers, deutsches Soldatentum, Rassenkunde, Vererbungslehre, Bevölkerungspolitik, Hei- mat- und Volkskunde, Auslandskunde, Kulturkunde - stand in den Unterkünften "ein ausgedehntes Schulungsmaterial und eine sorgfältig ausgewählte Literatur zur Verfügung" (Krause, 1938 d, S. 173; Krause, 1939 a, S. 63). Zum sportlichen Pensum der PI.T.Y. gehörten: Leichtathletik, Schwimmen, Bo- xen, Kleinkaliberschießen, Turnen, Segelfliegen und Kampfspiele (Fußball, Hand- ball usw.), die "Härte anerziehen" (Krause, 1938 a, S. 146; Krause, 1938 d, S. 173; Krause, 1939 a, S. 64). Über die Wirkung planmäßiger Leibesübungen wurde ärzt- lich gewacht; die Erfolge in der körperlichen Ertüchtigung, die in Vergleichsuntersu- chungen gegenüber Werkslehrlingen verzeichnet wurden, waren beachtlich: In der Untersuchungsdimension "harmonisches Wachstum" waren die Militärschüler den Werkslehrlingen "um ein ganzes Jahr voraus" (Block, S. 146). Die PI.T.V. waren nicht nur für die fachliche Ausbildung und politische Indok- trination der Militärschüler hervorragend ausgestattet; auch die Voraussetzungen für ein vielseitiges sportliches Training - eigene Sportplätze, teilweise auch Turnhallen und Schwimmbäder - hatten den Charakter von Elite-Ausbildungsstätten. 4.5.6 Erzieher Daß unter diesen Umständen auch die Erzieher an den FI.T.V. - gemessen an ih- ren Kollegen im öffentlichen Schul- und Ausbildungswesen - privilegiert waren, ist nicht verwunderlich: "Es ist dafür gesorgt, daß die Arbeit der Erzieher auch in materieller Hinsicht gebührende Anerkennung findet. Außerdem gehört zu jeder PI. T. Y. ein neuerbautes, schmuckes Erzieherhäuschen, das neuzeitlich ausgestattete Dienstwohnungen für die verheirateten Erzieher enthält, während den ledigen Zim- mer in der Unterkunft der Militärschüler zur Verfügung stehen" (Krause, 1939 a, S. 67). Bevorzugt wurden Erzieher mit militärischer Grundausbildung. Da die "Erziehungsarbeit auf der Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung" erfolgen sollte (Krause, 1938 b, S. 18), gab es eindeutige politische Erwartungen ge- genüber den Erziehern: "Die charakterliche und weltanschauliche Haltung, die in jeder Beziehung positiv sein muß, ist daher für die Auswahl der Ausbilder entschei- dend. Daß sie überzeugte Nationalsozialisten sein müssen und der Partei oder einer ihrer Gliederungen angehören sollen, ist eine selbstverständliche Forderung, die Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 93 heute an jeden Jugenderzieher gestellt werden muß" (Krause, 1939 b, S. 45; Krau- se, 1941 d, S. 278). Der außerordentlich große Bedarf an hochqualifizierten Ausbildern in der Luftwaffenrüstungsindustrie führte auch hier zu einer Sonderregelung: Zwischen dem RLM einerseits und der Reiwika und der IHK Lübeck anderseits wurde verein- bart, "daß nur über die Teilnahme an dem vom RLM durchgeführten Schulungslehr- gang bei der Ausbilderschule des RLM in Lübeck eine Zulassung zur Lehrmeister- prüfung in der Luftfahrtindustrie bei der IHK zu Lübeck mÖglich ist" (BA: R 11/1127, BI. 25). Diese Vereinbarung bot die Möglichkeit, Lehrmeister einheitlich auszubilden und den Bedarf optimal zu decken, denn Anwärter für Lehrmeisterprüfungen konn- ten sich nicht aus eigenem Entschluß melden, sondern mußten von ihren Betriebslei- tungen benannt werden. Das RLM, das den dreimonatigen Schulungslehrgang finanzierte, konnte die Anwärter zu zweckmäßigen Gruppen zusammenfassen und in der Anfang 1940 eröffneten Berufserzieherschule des RLM/ BJ.L. in Lübeck aus- bilden und prüfen lassen (Krause, 1941 d; Krause, 1941 e). 4.5.7 Drillpraxis in den FI.T.V. und Qualität der fachlichen Ausbildung Nicht nur in der soldatischen Erziehung, die in den Unterkünften stattfand und HJ-Führern oblag, sondern auch bei der fachlichen Ausbildung in der Lehrwerkstatt wurde "in allen Einzelheiten unablässig streng auf die Beachtung anständigen Verhaltens gesehen. Ordentliches Antreten vor und nach der Arbeit, gutes Tragen des Arbeitsanzuges, der weder in Bezug auf Sauberkeit noch auf das Vorhandensein aller Knöpfe vernachlässigt werden darf, richtiges Verhalten gegenüber Ausbildern und Kameraden, ordentliche Haltung bei der Arbeit, pflegliche Behandlung von Werkzeugen und Maschinen, sparsamste Verwendung der Werkstoffe usw., das alles sind Dinge, in denen nie nachgegeben werden darf" (Jacob, S. 82). - Im Verständnis des RLM und vieler Ausbildungsleiter und Ausbilder waren die Lehrwerkstätten "nicht nur berufliche Ausbildungsstätten, sondern vor allem auch nationalso- zialistische Jugenderziehungsstätten ersten Ranges" (Ig1offstein, S. 120). In der NS- Luftwaffenrüstungsindustrie war damit die Lehrwerkstatt - wie kaum sonst irgend- wo - "Sinnbild und Kennzeichen nationalsozialistischer Berufserziehung", als wel- che sie von den konzeptiven DINTA- und DAF-Ideologen immer wieder propagiert wurde (Arnhold, S. 26). Ob die Fl.T.V. trotz oder gerade wegen ihrer penetranten Drillpraxis zu hervor- ragenden fachlichen Ausbildungsergebnissen kamen, ist eine interessante Frage, die 94 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie hier nur aufgeworfen, nicht aber beantwortet werden soll. - Fest steht, daß die Qua- lität der fachlichen Ausbildung in den FI.T.V. überragend war; dafür gibt es mehrere Belege: Im Reichberufswettkampf 1938 in München waren von 15 Kreissiegern der Berufssparte Maschinenschlosser 12 Sieger MiIitärschüler. Im Jahre 1939 erfüllten von 975 Maschinenschlossern 14 die Bedingungen für die Teilnah- me am Gaukampf; darunter waren 13 Militärschüler (Jacob, S. 87). Der notorische Facharbeitermangel in der Luftwaffe veranlaßte den General- stab dazu, auf eine vorzeitige ÜbersteIlung der Militärschüler zur Flieger- truppe zu drängen. Der B.f.L./ K.FI.T.Y. kam diesem "dringenden Wun- sche" nach und ordnete eine Vorverlegung der Lehrabschlußprüfung um ein halbes Jahr an: Die besten MiIitärschüler des Einstellungsjahrgangs 1937 - es handelte sich um 219 Flugmotorenschlosser und 312 Metallflugzeugbauer - mußten sich Anfang Mai 1940 der Prüfung unterziehen und erhielten da- nach eine halbjährige Sonderausbildung für den Dienst in der Fliegertruppe, der sie am 1.10.1940 überstellt wurden (BA: R 11/831, BI. 127). Ein Vergleich der bei den Facharbeiterptüfungen erzielten Durchschnittser- gebnisse zeigt, daß die Militärschüler überwiegend besser abschnitten als die Werkslehrlinge. Bei den Facharbeiterprüfungen im Frühjahr 1941, zu denen sich 163 Flugmotorenschlosser-Lehrlinge und 294 Metallflugzeugbauer- Lehrlinge aus den Pl.T.V. meldeten, fielen überhaupt keine Militärschüler durch, während von 105 Werkslehrlingen 6 das Berufsziel Flugmotoren- schlosser verfehlten und von 295 Werkslehrlingen sogar 22 die Prüfung zum Metallflugzeugbauer nicht bestanden (BA: R 11/181, BI. 139-146). 4.5.8 Die FI.T.V. - eine freie Bahn für Tüchtige In den FI.T.Y. wurde der Punkt 20 des NSDAP-Parteiprogramms - "Wir fordern die Ausbildung geistig besonders veranlagter Kinder armer Eltern ohne Rücksicht auf deren Stand oder Beruf auf Staatskosten" - ernst genommen; soweit aus der ein- schlägigen Literatur und aus den herangezogenen Archivalien ersichtlich, war die Parole "Freie Bahn dem Tüchtigen" hier in der Tat Richtschnur für die Berufserzie- hungspraxis, für die Möglichkeiten beruflichen Fortkommens und des sozialen Auf- stiegs - und nicht bloß eine ideologische Beschwichtigungsfloskel. Die Militärschüler stammten "in der Mehrzahl aus minderbemittelten und kinderreichen Familien" (Krause, 1939 a, S. 38). Die Tabelle 2 (s. u., S. 95) zeigt sehr differenziert die soziale Rekrutierung der Militärschüler des Einstellungsjahr- gangs 1939. Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie Tabelle 2: Soziale Rekrutierung der Militärschüler, Jahrgang 1939 Militärschüler, Jahrgang 1939, Verteilung in % 95 Alter Landjahr- Beruf des Vaters 14 15 teilnehmer ArbeiterJahre Fach- Hand- Angestellter Beamter Freie arbeiter werker Berufe 68 32 19 28,8 15 25,1 16,1 11,3 3,6 Zahl der Geschwister Zahl der Geschwister Waisen 0 1 2 3 und mehr Halb Voll 18,2 29,1 21,6 31,1 8,4 1,3 (Quelle: Krause 1939a, S. 38) In die F1.T.V. wurden nur Volksschulabs~lventenaufgenommen: "Schüler höhe- rer Lehranstalten, Mittelschüler mit nicht abgeschlossener Schulbildung und solche Jungen, die bereits eine Lehrstelle hatten, kommen nicht in Frage" (Krause, 1939 a, S. 26). Ausbildung, Unterbringung, Verpflegung und Dienstkleidung wurde den Mi- litärschülem kostenlos gewährt; zudem bekamen sie ein Taschengeld, dessen Höhe mit der Dauer der Ausbildung stieg. Die Berufsaussichten und Aufstiegsmöglichkei- ten der aus den F1.T.V. hervorgegangenen Facharbeiter erschienen seinerzeit beson- ders günstig. Krause sagte 1939 voraus, "daß besonders geeignete Militärschüler die Offizierlaufbahn erreichen werden" (Krause, 1939 a, S. 67 f.). - "Unteroffiziere, die eine hervorragende technische Eignung besitzen, können während der Dienstzeit eine abgeschlossene Ingenieurausbildung erhalten und in das Ingenieurkorps der Luftwaffe aufgenommen werden. Daneben kann durch Besuch der Fachschulen der Luftwaffe bei Ablegung der entsprechenden Prüfungen die Anwartschaft auf die ge- hobene technische Beamtenlaufbahn erworben werden" (BA: R 11/176, BI. 33). - Wer nach 12jähriger Dienstzeit den Militärdienst quittieren und auch auf eine Beam- tenlaufbahn im öffentlichen Dienst verzichten wollte, würde, das war die seiner- zeitige Prognose der Verantwortlichen, mit einer ansehnlichen Abfindung ausgestat- tet, attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie finden. Kurzum: Den in den Fl.T.V. ausgebildeten Soldaten bot sich eine Fülle berufli- cher Möglichkeiten, "die einen Aufstieg ermöglichen, wie er in so sicherer Form sonst eigentlich nirgends gegeben ist" (Krause 1939 a, S. 71; Bendix). 96 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 4.6 Der totale Krieg fordert seinen Tribut - Qualitätsminderung und Reduktion anspruchsvoller Ausbildungskonzeptionen Der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe ordnete am 5.3.1943 "mit sofortiger Wirkung" einschneidende Maßnahmen an, die die Be- rufsausbildung in der Luftfahrtindustrie den Gegebenheiten der Kriegsführung an- passen sollte. "Der totale Krieg erfordert den Einsatz aller verfügbaren Kräfte zur Durchführung einer Produktionssteigerung in der Rüstungsindustrie, insbesondere auch in der Luftfahrtindustrie" (BA: R 11/843, BI. 30, S. 1). Für Militärschüler und Werkslehrlinge der Luftfahrtindustrie folge daraus: 1. Die vorzeitige Einberufung zum Wehrdienst lasse die Einhaltung der norma- len Lehrzeit nicht mehr zu; für die Dauer des Krieges werde die Lehrzeit auf 3 Jahre reduziert, die je zur Hälfte in der Lehrwerkstatt und im Betrieb abzu- leisten sei. 2. Um eine Verschlechterung der Ausbildung durch die Lehrzeitverkürzung zu vermeiden, werde die wöchentliche Arbeitszeit für sämtliche Lehrlinge der Luftfahrtindustrie im ersten und zweiten Lehrjahr auf 40 Stunden, im dritten Lehrjahr auf 48 Stunden erhöht, wobei jeweils der Berufsschulunterricht von normalerweise 8 Stunden hinzukäme. Die Gesamtarbeitszeit betrug dem- nach im ersten und zweiten Lehrjahr 48, im dritten Lehrjahr 56 Stunden wö- chentlich. 3. Mehr als bisher müsse versucht werden, die Lehrlinge für produktive Arbei- ten einzusetzen. 4. Alle für die Erreichung des Ausbildungszieles unwesentlichen Ausbildungs- abschnitte müßten wegfallen, Sonderurlaub habe zu unterbleiben bzw. sei auf ganz dringende Fälle zu beschränken. Diese vier Maßnahmen sollten dazu beitragen, ohne Schaden für die Ausbildung eine erhebliche Leistungssteigerung herbeizuführen - das sei der Beitrag der Luftfahrtindustrielehrlinge "zur Steigerung der Wehrkraft und damit zur Erringung des Endsieges" (BA: R 11/843, BI. 31, S.4). Dieses Ziel wurde indessen nicht erreicht. Der Kriegsverlauf nötigte vielmehr zu weiteren erheblichen Abstrichen am ursprünglichen Ausbildungskonzept für den fliegertechnischen Nachwuchs. Im Einleitungssatz eines Rundschreibens der Reiwi- ka an die Gauwirtschaftskammern und Wirtschaftskammern vom 2.2.1945 wird das deutlich: "Die augenblickliche Kriegslage verlangt, daß die Sammlung aller Kräfte zum Gegenstoß gegen die Feindwirkungen allen anderen Aufgaben vorangeht" Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 97 (BA: R 11/192, BI. 48). Die Zulassung zur Lehrabschlußprüfung war inzwischen be- reits nach 2 1/2 jähriger Lehrzeit möglich - aber ein großer Teil der Lehrlinge wurde schon früher einberufen, ohne eine Abschlußprüfung abgelegt zu haben. Als Ersatz für die Lehrabschlußprüfung wurde deshalb im Frühjahr 1945 eine "Kriegs- zwischenprüfung " eingeführt, der sich die Lehrlinge nach zweijähriger Lehrzeit zu unterziehen hatten. Der dabei erworbene "Vorlehrebrief" sollte bei Einberufung und guter Führung - nach Ablauf der ursprünglich vorgesehenen regulären Lehrzeit - durch einen ordentlichen Facharbeiterbrief ersetzt werden. Ob die Kriegszwischen- prüfungen in der Luftfahrtindustrie, die reichseinheitlich in der Zeit vom 20. bis 23.3.1945 durchgeführt werden sollten (BA: R 11/192, BI. 24), tatsächlich stattfan- den, ist ungeklärt. 4.7 Anmerkungen 1 "Fast unwirklich" scheint KensjNowarra (S. 16 f.) der Aufschwung der deut- schen Luftfahrtindustrie in den ersten Jahren nach 1933: "Riesige Summen wurden für den Ausbau der Luftfahrtindustrie aufgebracht. Erhielt die deutsche Luftfahrtin- dustrie in den Jahren 1927 bis 1931 insgesamt Investitionen in Höhe von 84.000.000 RM, so stieg die Summe 1934 auf 211.000.000 RM, auf 500.000.000 RM im Jahre 1935 und 1936 sogar auf 980.000.000 RM." 2 Der Lehrberuf "Metallflugzeugbauer" ist erst 1937 entstanden (Krause, 1943 b, S. 11) - der Lehrberuf "Flugmotorenschlosser" wurde erst am 28.8.1940 aner- kannt; zuvor wurde nach dem Berufsbild "Maschinenschlosser" ausgebildet (Schrö- der, S. 106). Beide Lehrberufe wurden "auf Betreiben der Luftwaffenrüstungsindustrie hin ge- schaffen" (Krause, 1943 b, S. 11). 3 Wenn man Erwin Krause, 1943 b, S. 76, glauben darf, hatte "die Entwicklung der Berufserziehungsarbeit in Deutschland in den letzten zehn Jahren zu größten Er- folgen geführt [ ... ], um die uns unsere Gegner beneiden". Auch in den USA habe man mittlerweile "die kriegswichtige Bedeutung der planmäßigen Berufserziehung erkannt" und schicke sich an, den "gewaltigen Vorsprung" Deutschlands - "die bes- sere Ausbildung ist eindeutig auf unserer Seite" - aufzuholen. An anderer Stelle, Krause, 1939 a, S. 25 f., wird auf englische und französische Schulen zur Heranbildung des Monteur-Nachwuchses hingewiesen. Die Nachteile der englischen Schulen in Halton und Cosford ebenso wie die der französischen in Rochefort-sur-Mer und Toulon bestünden darin, daß sie sehr große Schülerzahlen hätten und "auf rein schulischer Basis aufgebaut" seien. Demgegenüber sei man bei 98 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie der Einrichtung der Pl.T.V. bewußt davon ausgegangen, daß eine gründliche Ausbil- dung nur in kleinen Gruppen möglich sei und "daß nur eine betriebsnahe und betriebsbezogene Ausbildung zu dem gewünschten Erfolge führen kann". 4 Erwin Krause ist gleichsam der Kronzeuge für die Geschichte der Plieger- Technischen Vorschulen, zumal er ihren Aufbau und ihre Entwicklung ebenso mit- gestaltete, wie die des Ausbildungswesens in der Luftfahrtindustrie insgesamt. Krause war seit 1936 als Plieger-Stabsingenieur im RLM tätig und als Referent und Gruppenleiter dem B.f.L./K.Fl.T.Y., Generalmajor Mooyer, unterstellt. Vita im Ste- nogrammstil: 7.4.1908-26.11.1978; Studium an der TH Charlottenburg, 1932 Dipl.- Ing.; 1933 NSDAP-Mitglied; 1934 DrAng. (TH Berlin); 1934-1936 Tätigkeit in der Chemisch-Technischen Reichsanstalt und in der Eignungspsychologischen Untersu- chungsstelle der Berufsberatung Berlin; 1936-1945 RLM, s. 0.; 1948-1970 Leiter der Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung in Bonn; 1970-1973 Geschäfts- führer des Kuratoriums der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung; 1955-1957 Lehrbeauftragter für Berufspädagogik an der Universität Bonn; seit 1962 Lehrbe- auftragter, seit 1969 Honorar-Professor für Industriepädagogik an der Technischen Hochschule Aachen; 1973 ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. 4.8 Unveröffentlichte Quellen Akten der Reichswirtschaftskammer im Bundesarchiv Koblenz (zit. als: BA: R 11/ff.) Krause, Erwin: Die Ausbildung in der Luftfahrtindustrie bis 1945. Unveröff. Mskr., Bonn 1955. Diese Quelle hat nicht vorgelegen; sie wird ausschließlich zitiert nach: Wombacher (zit. als: Krause, 1955) Wombacher, Karl Georg: Die Entwicklung von Lehrgängen für die praktische, ge- werbliche Lehrlingsausbildung der Industrie von den Anfängen bis zum Jahre 1945. Unveröff. Magisterarbeit, Technische Hochschule Darmstadt 1975 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie 99 4.9 Literatur Alex, Paul: Lehrlingsausbildung durch produktive Arbeiten. In: Flugzeugbau 1, 1941, S. 27-28 (zit. als: Alex, 1941) Alex, Paul: Der produktive Lehrbetrieb in der Lehrwerkstatt. In: Flugzeugbau 2, 1942, S. 153-155 (zit. als: Alex, 1942) Arnhold, Karl: Die Lehrwerkstätte. Planung, Einrichtung und Führung. Berlin 1937 Amtsgruppe Technische Ausbildung, Abt. 4, im RLM: Die Werkmeister- und Techni- kerausbildung im Leistungsertüchtigungswerk der Luftfahrtindustrie. In: Flug- zeugbau 4, 1944, S. 79-81 (zit. als: ATA. -IV., 1944) Bäuerle, Otto: Die Werkmeisterprüfung in der Luftfahrtindustrie, Herbst 1943. In: Flugzeugbau 3,1943, S. 146-148 Bendix: Berufsfördernde und Aufstiegsveranstaltungen im betrieblichen Berufser- ziehungswerk der Luftfahrtindustrie. In: Flugzeugbau 3, 1943, S. 2-5 Der Bevollmächtigte des RLM für das Luftfahrtindustriepersonal und Kommandeur der Flieger-Technischen Vorschulen (Hrsg.): Lehnnittelverzeichnis für die Lehr- lings- und Arbeiterausbildung in der Luftfahrtindustrie. Ausgabe Dezember 1941, o. O. (zit. als: BfL./K.FI.T.V., 1941) Block, Alfred: Über die Wirkung planmäßiger Leibesübungen an Militärschülern und Werkslehrlingen. In: Das Junge Deutschland 38, 1944, S. 146-149 Bremhorst, AlbertjBachmann, Werner (Hrsg.): Ordnung des Berufseinsatzes. Leip- zig/BerUn 1937 Flucke, F.: Der Bordmonteur. In: Flugzeugbau 4, 1944, S. 62-64 Frieß: Der Weg vom ungeschulten und angelernten Werker zum Facharbeiter. In: Flugzeugbau 4, 1944, S. 17-18 Fritzsche, Werner: Ausbildung und Erziehung für den fliegertechnischen Nach- wuchs. In: Das Junge Deutschland 38, 1944, S. 145 Galland, Adolf: Die Ersten und die Letzten. Die Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg. Darmstadt o. J. (1953) 100 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie Heimbach, Friedrich: Ein Übungsleiter sieht das Leistungsertüchtigungswerk. In: Flugzeugbau 4, 1944, S. 88-89 Igloffstein, A.: Der Ausbilder als Erzieher. In: Flugzeugbau 1, 1941, S. 120-122 Jacob, Heinrich: Die Berufserziehung in den Lehrwerkstätten der Flieger-Techni- schen Vorschulen. In: Krause, Erwin (Hrsg.): Die Jüngsten der Luftwaffe. Ein Buch von den Flieger-Technischen Vorschulen. Berlin/Stuttgart o. J. (1939), S. 72-88 Kens, Karlheinl/Nowarra, Heinz J.: Die deutschen Flugzeuge 1933-1945. Deutsch- lands Luftfahrt-Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. München 1961 Kottersbach, Karl: Produktiver Einsatz im Übungsfeld. 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LeipzigJBerlin 1943 (zit. als: Krause, 1943 b) Krause, Erwin: Die heutigen Ziele der industriellen Jugendlichen-Berufsausbildung. In: Flugzeugbau 4, 1944, S. 2-3 (zit. als: Krause, 1944 a) Krause, Erwin: Die heutigen Ziele der Jugendlichen-Ausbildung. In: Berufsausbil- dung in Handel und Gewerbe 19, 1944, S. 33-35 (zU. als: Krause, 1944 b) 102 Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungsindustrie Krause, Erwin: Berufserziehung im totalen Kriege. In: Flugzeugbau 4, 1944, s. 129-131 (zit. als: Krause: 1944 c) Marmet: Ausbildung des Flugzeug-Elektromechanikers. In: Flugzeugbau 4, 1944, S. 45-48 und S. 64-66 Marquardt: Die Ausbildung des fliegertechnischen Personals im Kriege. In: Flug- zeugbau 4, 1944, S. 106-107 Mohr: Erwachsenenauslese. In: Flugzeugbau 3, 1943, S. 31-32 Reichsstand der Deutschen Industrie (Hrsg.): Wege zur Behebung des Facharbeiter- mangels. Berlin 1934 Schreiber, H.: Das Übungsfeld im Ausbildungswesen der Luftfahrtindustrie. In: Flugzeugbau 4, 1944, S. 73-75 Schröder, H. 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Stuttgart 1962, S. 121-292 (zi!. als: Völker, 1962) Völker, Karl-Heinz: Die Deutsche Luftwaffe 1933-1939. Aufbau, Führung und Rü- stung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967 (zit. als: Völker, 1967) 5 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (RADwJ). Ein Beitrag zur Aufklärung nationalsozialistischer Erziehungsideologie 5.1 Der Arbeitsdienst als nationalsozialistische Erziehungsinstitution 103 Eigenem Anspruch nach etablierten die Nationalsozialisten mit dem Arbeits- dienst "die große Erziehungsschule für das deutsche Volk" (Stereotyp). Sie sollte "die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Ehre der Handarbeit er- ziehen" (Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. 6. 1935, § 1.3; Reichsgesetzblatt [RGB] I, S. 769). Dieser formale Erziehungsauftrag wurde propagandistisch ausgeschmückt und unermüdlich bekräftigt. 1 Danach war der nationalsozialistische Arbeitsdienst (NSAD), später der Reichsarbeitsdienst (RAD) einer jener "Erziehungsmächte", die sich darin ablösten, zur Sicherung der nationalsozialistischen "Revolution" den deutschen Menschen zu führen und den neuen deutschen Menschen zu formen. Sie konkurrierten mit den traditionellen - bürgerlichen - Erziehungsträgem (Elternhaus, Kirche, Schule) und waren doch auf Zusammenarbeit mit ihnen angewiesen. Die an- gestrebte totale also lebenslange "Erfassung" durch die Partei, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände wurde weder als politische Aufsicht, geschweige denn als pädagogische Betreuung je realisiert. Die Konzeptionslosigkeit der natio- nalsozialistischen Erziehungsmaßnahmen und -einrichtungen ist inzwischen noto- risch.2 Sie sind erziehungshistorisch gesehen Stücke eines politisch-pädagogischen Programms, für das Hitler mit wenigen einschlägigen Führerworten die Richtung wies. Ein Teil dieses Programms, das selbst mit theoretischer Nachrüstung dürftig genug und stets inkonsistent blieb, trug auch der NSAD. 3 Er erfaBte die 17- bis 25jährigen, die für ein halbes Jahr zur "Arbeit am deut- schen Boden" (Stereotyp) verpflichtet, strenger Lagerdisziplin unterworfen und zu- sätzlich geschult wurden. Dies gab sich als "Arbeit am deutschen Menschen" aus (Stereotyp). Der Stilisierung ist zu mißtrauen: welchen Zwecken diente solche "Ar- beit", welche Ziele waren ihr gesetzt? Die Geschichte des NSADjRAD lehrt, daß es keine pädagogischen - im wohl verstandenen Sinne - waren. So deutlich wie viel- leicht bei keiner anderen fallen bei dieser nationalsozialistischen "Erziehungs- schule " pädagogischer Anspruch und gesellschaftliche Funktion auseinander. Eine erziehungshistorische Studie über sie vermag daher unschwer zur Aufklärung natio- nalsozialistischer Erziehungsideologie und ihrer Durchschlagskraft beizutragen. Dies soll hier geschehen, und zwar am Beispiel des Arbeitsdienstes der weiblichen 104 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend Jugend (ADwJ), der sich durch pädagogische Zielsetzung insbesondere legitimierte und sich schließlich am weitesten von ihr entfernte. Das Erziehungsprogramm des ADwJ ist deshalb im Zusammenhang mit seiner Geschichte darzustellen. Als Erziehungsinstitution wurde der NSAD/RAD von Lingelbach thematisiert. Er untersucht "Arbeitserziehung" und "Bewußtseinsformung" und läßt sich damit kritisch auf die nationalsozialistischen Ansprüche selbst ein. Er vernachlässigt be- rufs- und sozialpädagogische Aspekte und unterstellt ein kontinuierliches Selbstver- ständnis bzw. einen konstanten Erziehungsauftrag des NSAD/RAD. Der sei aller- dings ein politischer: die "gesamte außerschulische Erziehung" werde "zum unmittelbaren Zweck der Kriegsvorbereitung " instrumentalisiert (S. 146). Lingel- bach übergeht die Führerschulung und den ADwJ. - Dessen Erziehungsprogramm wird in der Dissertation von Kallsperger ausführlich behandelt und ideologiegerecht systematisiert. Auf Widersprüche etwa zwischen pädagogischem Anspruch und Arbeitseinsatz, auf eine Differenz zwischen Idealismus und nationalsozialistischer Gesinnung läßt sich die Krieck-Schülerin nicht ein. - Weniger wissenschaftlich, aber um nichts undeutlicher, plaudert Schwerdtjeger-Zypries (1940) die 'pädagogischen' Zwecke des RADwJ aus. Auch sie unterstellt selbstverständlich Harmonie zwischen den einzelnen Funktionen des Arbeitslagers und Konsens zwischen "Arbeitsmai- den " und Gastfamilien - vielfach eine fromme Täuschung, wie man mittlerweile weiß.4 5.2 Die Geschichte des RADwJ und seines Erziehungsprogramms 5.2.1 Entwicklung des Erziehungsauftrages 1932-1934 Der freiwillige Arbeitsdienst (FAD), hervorgegangen aus den Notverordnungen vom 5.6.1931 (RGB I, S. 279) und vom 16.7.1932 (RGB I, S. 352), war eine jener vorfindlichen Einrichtungen, die die Nationalsozialisten übernahmen, um sie eige- nen Zwecken zu unterwerfen. Während der Arbeitsdienst der männlichen Jugend (ADmJ) zügig zu einer "Pflichtorganisation des Arbeitseinsatzes und der vormilitä- rischen Ausbildung" aufgebaut wurde (Broszat, S. 334), was pädagogische Parolen verschleierten, sofern sie nicht Indoktrination und Disziplinierung meinten, wird der ADwJ zunächst zu einer Erziehungsinstitution umfunktioniert. So sollte denn auch "die Einbeziehung der Mädchen in den gemeinsamen Arbeitsdienst" dem "miß- trauischen Ausland" zeigen, "daß es sich beim deutschen Arbeitsdienst um etwas anderes handelt als etwa um eine verkappte militärische Organisation" (Hierl, 1934, S. 117). Im gleichen Atemzug heißt es: der Deutsche Frauenarbeitsdienst (DFAD) habe "die besondere Aufgabe der Erziehung zur deutschen Frau und Mutter unter Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 105 der Leitung von Frauen zu erfüllen" (ebd.) - was die behauptete Affinität zum ADmJ nicht eben einleuchten läßt. Tatsächlich zeigt sich hier gerade die Akzentverschiebung im Auftrag der beiden Arbeitsdienste. Noch im Frühjahr 1933 war auch der ADwJ von den Nationalsozialisten lauthals dem politischen Zweck verschrieben worden, für den sie die Arbeitsdienstpflicht verfochten hatten: HDer Deutsche Arbeitsdienst muß die große Erziehungsschule für unser Volk werden, um jedem jungen Deutschen, ob Mann, ob Frau, jeden Standes und jeden Berufes sittlich, geistig und körperlich wehrhaft zu machen und dadurch die Grundlage zum Wiederaufstieg Deutschlands zu schaffen. " 5 Dies war eine eindeutige Auslegung des in der Notverordnung vom Juli 1932 formulierten pädagogischen Angebots: allen jungen Deutschen Gelegen- heit zu geben, Hsich körperlich und geistig-sittlich zu ertüchtigen" (§ 1). Und konse- quent sollten nunmehr auch solche Eigenschaften und Dispositionen gefördert wer- den, die für Deutschlands Wehrmacht unerläßlich waren: Disziplin, Gehorsam, Op- ferbereitschaft, Treue und Tauglichkeit.6 Die Art der Arbeit war für die Vermittlung dieser Hsekundären Tugenden" prinzipiell gleichgültig - ganz richtig hieß es stets: nicht was, sondern wie gearbeitet werde, sei entscheidend. HArbeit adelt", tönte es ohne Unterlaß und legitimierte jeden Arbeitseinsatz. Die pädagogische Vorgabe ih- rerseits rechtfertigte dessen Permanenz, d. h.: Arbeitsdienstpflicht ließ sich nur begründen, wenn man den Arbeitsdienst nicht als Arbeitslosenbeschäf- tigungsprogramm verstand. Als HErziehungsschule " war er außerdem vom Nach- weis volkswirtschaftlichen Nutzens entbunden. Beim ADwJ ging die pädagogische Legitimierung und Instrumentalisierung ab 1934 eigene Wege. Zwar galten weiterhin dieselben formalen Erziehungsziele wie für den ADmJ (vgl. RAD-Gesetz); doch war auch der Arbeitseinsatz der Frauen mit der Erkenntnis zu versöhnen, daß ihnen die besondere Bestimmung zukommt, Mut- ter und Hausfrau zu sein. "Weibliche Erziehung" hatte "unverrückbar" hierauf ab- zuzielen (Hitler, S. 460). Dieser sozialideologische Programmpunkt wäre nach der "Machtübernahme" zu berücksichtigen, entsprechend wäre die Arbeit, da sie denn das Erziehungsmittel sein sollte, auf ihn abzustellen gewesen. Letzteres geschah nicht, ersteres erst mit den HRichtlinien für die Anerkennung der Arbeitsvorhaben im Deutschen Frauenarbeitsdienst" vom 27.1. 1934? Sie legten fest, daß der DFAD helfen sollte, Hdie weibliche deutsche Jugend für die Aufgabe der künftigen Haus- frau und Mutter zu erziehen. Diese Erziehungsarbeit muß vom Gedankengut der na- tionalsozialistischen Weltanschauung getragen sein." Weiter heißt es: "Der Deut- sche Frauenarbeitsdienst hat somit die Umstellung der Frauenberufsarbeit in Deut- schland auf die in der Familie und in der Scholle liegenden größeren Aufgaben - vor allem die Siedlung - unmittelbar zu fördern." Die Aufgabenbeschreibung erweist 106 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend den DFAD als Wechselbalg von wirtschaftspolitischen und erziehungspolitischen Intentionen. Wahrend erstere den Arbeitseinsatz lenkten, bestimmten letztere in der Folgezeit die Organisation; die sich ergebenden unterschiedlichen Anforderungen kollidierten bald. 5.2.2 Geschichte und Programm des FADwJ/DFAD 1932-19358 Die Notverordnung vom Juli 1932 öffnete das von der Reichsanstalt für Arbeits- vermittlung und Arbeitslosenversicherung (RAfA) geförderte und finanzierte Be- schäftigungswerk FAD allen arbeitsdienstwilligen Deutschen unter 25 Jahren. Da "die Durchführung des Dienstes für junge arbeitslose Mädchen gewisse Be- sonderheiten aufweisen" würde, wurde sie durch einen Erlaß des Reichskommissars für den FAD (und Präsidenten der RAfA), Friedrich Syrup, eigens geregelt (vom 10.11.1932; DA, 1932, S. 339 f.). Danach machten "ernste Arbeit" (laut Notverord- nung), und zwar als "Dienstleistungen für Hilfsbedürftige", den "besonderen Inhalt des Arbeitsdienstes der Frau" aus. Sie mußten, um als förderungswürdig zu gelten, gemeinnützig sein und "objektiven Arbeitserfolg " zeitigen. "Planvoll gestaltete Freizeit" sollte den Dienst in "offener" oder "geschlossener" ("Arbeitslager") Or- ganisation ergänzen. Verantwortlich für diese nach der Notverordnung vom Juli 1932 mögliche "sozialpädagogische Ausgestaltung" war der "Träger des Dienstes", der deshalb, "wenn irgend möglich", mit dem "Träger der Arbeit" nicht identisch und von diesem unabhängig sein sollte. Binnen eines Jahres änderte sich das gründ- lich. "Der nationalsozialistische Sturm auf die Arbeitslager" (Benz, S. 333) erfaßte Mitte 1933 auch die weibliche Jugend. Mit Erlaß vom 14.6.1933 wurden durch den Staatssekretär und Beauftragten der NSDAP für den Arbeitsdienst, Konstantin Hierl, sämtliche "offenen" Arbeitsdienste aufgehoben; von den "geschlossenen" durften nur solche weitergeführt oder neu eingerichtet werden, die der "Umschulung von der Industrie zum Land" und der Bauernhilfe galten (Marawske-Birkner, S. 219 f.).9 Sie wurden einer "Reichsleiterin" unterstellt, die für die nunmehr 30 "Arbeitsgaue" im Reich "Gaubeauftragte " einsetzen sollte; die alleinige Diensttr~erschaft über- nahm die zu diesem Zwecke gegründete "Deutsche Frauenfront".l Sie wurde je- doch bald zugunsten des im September 1933 gegründeten "Deutschen Frauenwer- kes" (DFW) aufgelöst (BA, Schumacher 230); die Lager wurden einstweilen den Arbeitsgauführern unterstellt. - In zwei Erlassen vom 11. (BA, R 2/4524, Blatt 37) und 19.12.1933 (DA, 1934, S. 54) wurde schließlich der weibliche Arbeitsdienst mit Wirkung vom 1.1.1934 neu geregelt (BA, Schumacher 262): Er wurde aus der Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 107 Reichsleitung des FAD (seit Februar 1934: NSAD) herausgenommen und jetzt als "Deutscher Frauenarbeitsdienst" eigenständig organisiert. Als Dienstträger figurier- te der "Reichsverband deutscher Arbeitsdienstvereine e. v.", unter den die Lager des FAD "gleichgeschaltet" worden waren und dem Hierl vorsaß (vgl. Benz). Die Verwaltung ging an die RAfA zurück, die Finanzierung blieb bei ihr (der NSAD budgetierte ab 1.4.1934 beim Reichsarbeitsministerium). Deshalb wurde der DFAD den 13 Landesarbeitsämtern des Reichs entsprechend in 13 "Landesstellen" mit je einer "Landesstellenleiterin " gegliedert. Zur Leiterin des DFAD, zuständig für Or- ganisation, Ausbildung und Erziehung, wurde Gertrud Scholtz-Klink ernannt, bis dato Gaufrauenschaftsleiterin und Beauftragte des FADwJ für den Gau Baden. I I Mit dem Präsidenten der RAfA vereinbarte sie jene "Richtlinien", die dem DFAD erstmals den zitierten sozialideologischen Erziehungsauftrag zuschreiben. Auf den Arbeitseinsatz schlägt er allerdings nicht durch. Zwar sind Hauswirtschaft und soziale Hilfsarbeit, Landarbeit und Siedlungshilfe vorgesehen; zwar hält sich der "Ehrendienst" (Stereotyp) damit im Rahmen der durch den Erlaß vom Novem- ber 1932 abgesteckten "Dienstleistungen", während die "Richtlinien" von 1933 al- lein Siedlungsumschulung und Betreuung männlicher Arbeitslager zugelassen hat- ten. Doch verlagerte sich der Arbeitseinsatz tatsächlich von der Stadt aufs Land, wurde überwiegend zur Siedlerhilfe und Hilfsarbeit in der Landwirtschaft, wie Hierls Erlaß vom Juni 1933 es wollte. l2 Einen "arteigenen Ausbau" des Frauenarbeitsdienstes (Marawske-Birkner, S. 214) vermag darin nur zu sehen, wer die deutsche Hausfrau und Mutter mit einer Landarbeiterin und Bäuerin gleichsetzt. Der Arbeitseinsatz war dem vorrangigen Erziehungsauftrag nicht angemessen; letz- terer erscheint daher als ersterem propagandistisch aufgesetzt. Unverkennbar aber bestimmt er die Organisation des DFAD, seine vorgeblich "absolut frauliche Gestaltung" (Jahrbuch, 1937, S. 77): das Freizeitprogramm, die Einrichtung des Lagers resp. nunmehr "Arbeitsdienstheims " ("Richtlinien" von 1934), die Zusammensetzung der Belegschaft. Zugelassen wurden hinfort nur noch arbeitslose deutsche Mädchen arischer Abstammung im Alter von 17 bis 25 Jahren. Jedoch konnten Schülerinnen, Abiturientinnen und Studentinnen bis zu einer Stärke von maximal 20 % berücksichtigt werden. Dies ist eine Konzession an den Erziehungsauftrag, nach dem Einübung in Handarbeit, Einführung in die nationalso- zialistische Gemeinschaft und Gewöhnung an die Mutterrolle für 'elitäre' und bür- gerliche Intellektuelle besonders angebracht schien. Den DFAD deshalb aber schon als "Volkserziehungsstätte" (Benze, S. 71) zu beanspruchen, hieße eigener Pro- paganda aufzusitzen. 108 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend Dies mußte beispielsweise der Reichs- und Preußische Minister für Wissen- schaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust erfahren, der den akademischen Nachwuchs "möglichst restlos im Arbeitsdienst sehen" wollte (Benz, S. 344). Am 7.3.1935 ordnete er "die restlose Erfassung" der Abiturientinnen von Ostern 1935 für den Arbeitsdienst an (VB, 8.3.1935 und 12.3.1935).13 Daraufhin belehrte ihn Sy- rup, der DFAD habe in erster Linie "den von der Reichsregierung gesteckten Zielen der Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik zu dienen (BA, R 2/4524, Blatt 39); für andere Zwecke könnten Haushaltsmittel der RAfA nur begrenzt zur Verfügung ge- stellt werden; 14 es läge ihm jedoch fern, die dem DFAD von Rust "übertragene Er- ziehungsarbeit zu verhindern" (ebd., Blatt 41). Der Reichs- und Preußische Arbeits- minister Franz Seldte billigte Syrups Vorgehen. Daraufhin beantragte Rust die Mittel beim Reichsminister der Finanzen und schaltete den Reichsarbeitsführer Hierl ein - ebenfalls ohne Erfolg (ebd., Blatt 45 f.; BA, R 2/18461, Blatt 11). Der Erziehungsauftrag des DFAD erweist sich mithin als von begrenzter Reich- weite. Daß auf ihn die Binnenorganisation der Institution abgestellt wurde, lief ih- rem volkswirtschaftlichen Zweck zuwider. Die Auseinandersetzung um die Finan- zierung des DFAD dokumentiert dies; sie belegt auch, daß der sozialideologische Erziehungsauftrag unter der Leitung der Reichsfrauenführung favorisiert wurde. 5.2.3 Die Auseinandersetzung um die Finanzierung des DFAD Gestützt auf das RAD-Gesetz und die nachfolgenden Durchführungs- verordnungen (DVO) griff Hierl in die Verwaltung des DFAD ein (der ganze Vor- gang in: BA, R 2/18461, Blatt 5 ff.). Syrup wehrte sich: Er wollte den DFAD entwe- der nach den "Richtlinien" von 1934 eingesetzt wissen oder auf dessen Verwaltung - und Finanzierung - verzichten; er argumentierte, die Zielsetzung des DFAD ent- spreche inzwischen nicht mehr im erforderlichen Maße den Aufgaben der RAfA, und stützte sich auf Prüfungsbemerkungen des Rechnungshofes des Deutschen Rei- ches: die Auswahl der Dienstwilligen erfolge überwiegend nicht nach arbeits- marktpolitischen Gesichtspunkten, sondern vom nationalsozialistischen Erziehungs- gedanken her; zudem habe die verkündete Dienstpflicht mit Maßnahmen zur Verhü- tung und Beendung von Arbeitslosigkeit nichts mehr zu tun. Der Reichsarbeitsführer war entschlossen, die neu errungenen Kompetenzen zu nutzen. Syrups KlarsteIlung aufgreifend, argumentierte er gerade erziehungspoli- tisch: der DFAD sei zu verstärken, um 1. der Anordnung Rusts entsprechend alle Abiturientinnen aufnehmen zu können (I), 2. die Beeinflussung der Frau im Wehr- interesse sicherzustellen. Unterstützt durch den Reichsminister des Inneren und den Reichsarbeitsminister konnte Hierl sich gegen Syrup und den Reichsminister der Fi- Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 109 nanzen durchsetzen: der DFAD wurde ihm zum 1.4.1936 unmittelbar unterstellt und - jetzt als RADwJ - mit dem 15.8.1936 in die Reichsleitung des RAD beim Reichs- ministerium des Inneren eingegliedert (7. DVO zum RAD-Gesetz vom 15.8.1936, RGB I, S. 633). Widerspruch von Frau Scholtz-Klink ist nicht überliefert. Der Auseinandersetzung ist abzulesen, daß sich der DFAD dem ursprünglichen und von Syrup - nicht aber von Frau Scholtz-Klink - doch wohl als ersten angesehe- nen arbeitsmarktpolitischen Auftrag durch Pädagogisierung entfremdete. Mit der Trennung von der RAfA war der RADwJ auf die Umschulung und Beschäftigung arbeitsloser weiblicher Jugendlicher nicht mehr festgelegt. Damit trat der erzie- hungspolitische Zweck in den Vordergrund. Er wurde mit wünschenswerter Deut- lichkeit artikuliert: es ging nicht um Anleitung und Hilfen, sondern um Verfügung über die weibliche Jugend und deren politische Kontrolle. Im Jahr der Wiederein- führung der allgemeinen Wehr- und der Arbeitsdienstpflicht kehrten seitens der männlichen Arbeitsdienstleitung die wehrpädagogischen Töne der Anfangszeit wie- der, während seitens der Reichsfrauenführung immer noch von der "Formung der Frau" im RAD geredet wurde (Jahrbuch, 1936, S. 80).15 Doch wurde auch der RADwJ nicht "die große Erziehungsschule für das deutsche Mädel", die "durch nichts, durch gar nichts zu ersetzen" sei (VB, 7.1.1939). Bis zum Kriege hatte er durchschnittlich gerade 4 % eines Jahrgangs erfaßt. 5.2.4 Der Ausbau und Einsatz des RADwJ bis zum Kriege Die erste DVO zum RAD-Gesetz vom 27.6.1935 (RGB I, S. 772)16 ermächtigte Hierl, "die zur Vorbereitung der Arbeitsdienstpflicht der weiblichen Jugend erfor- derlichen Maßnahmen zu treffen" (§ 5). Sie durchzusetzen, bemühte er sich zielstre- big, nachdem er sich den DFAD unterstellt hatte. Pädagogische Argumente flossen ihm dabei reichlich von den Lippen. Goebbels sekundierte: von der "Unteilbarkeit der Arbeitsdienstpflicht", von ihrer erzieherischen Unersetzlichkeit; davon, daß sie eine Pflicht sei "wie allgemeine Schulpflicht und allgemeine Wehrpflicht" (VB, 18.9.1937) ist zu gegebenem Anlaß - Einberufungstermine und Reichsparteitage - unweigerlich die Rede. Doch brachte erst der Krieg die Erfüllung: am 4.9.1939 wur- de die Arbeitsdienstpflicht für die weibliche Jugend verbindlich (RGB I, S. 1693; Neufassung des RAD-Gesetzes (§ 2) am 9.9.1939, RGB 1, S. 1747). Ihr unterlagen nunmehr alle ledigen Mädchen, "die nicht voll berufstätig sind, nicht in beruflicher oder schulischer Ausbildung stehen und nicht als mithelfende Familienangehörige in der Landwirtschaft dringend benötigt werden" (1. DVO vom 4.9.1939, § 2). Bis dahin war der RADwJ nur schleppend verstärkt wordenY Dies wurde sei- nerzeit offiziell mit Personalmangel und Geldknappheit erklärt. 110 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend Die Erklärung wurde nach 1945 in der Sekundärliteratur unterschiedslos über- nommen; sie ist fragwürdig: Wieso fehlte es denn? Der RADmJ wurde hochgezo- gen, obwohl das Geld knapp war,18 und Führerinnen boten sich gerade in der ersten Zeit genug an. 19 Die ursächliche Erklärung ist daher, daß der RADwJ weder erzie- hungspolitisch noch wirtschaftspolitisch zwingend war, und Hierl, der von den na- tionalsozialistischen Machthabern hier die stärksten Ambitionen hatte, ihn deshalb nicht im gleichen Maße durchsetzen konnte. - Der RADwJ war keine erziehungspo- litische Notwendigkeit; für die 'Betreuung' seiner Jahrgänge war auch anderweitig gesorgt. 20 Ebensowenig war er wirtschaftspolitisch unentbehrlich, wenn ihm gleich- wohl ein neuer arbeitsmarktpolitischer Zweck zuwuchs: der der Rekrutierung von Arbeitskraft. Für diesen Zweck hatten und schufen die Nationalsozialisten auch an- dere Instrumente - das "Landjahr", zu dessen Lasten sich der RADwJ verstärkte, und das "Pflicht jahr", mit dem er in volkswirtschaftlicher Hinsicht nicht konkurrie- ren konnte. Dies ist darzulegen. Gegen die gängige ökonomische Ableitung des RADwJ (Achten) spricht, daß nach Erlaß des RAD-Gesetzes die Arbeitsdienstpflicht für die weibliche Jugend eben nicht gültig wurde - was zur Verwirrung in der Öffentlichkeit, zur Störung "der Arbeitsvermittlung in die Landwirtschaft" und zu diesbezüglichen Klagen des Reichsnährstandes führte (BA, R 2/4524, Blatt 49). Der "Sicherung des Kräftebe- darfs in der Landwirtschaft" wäre mit der von ihr auch geforderten "Einführung der Arbeitsdienstpflicht der Frauen" (ebd.) besser gedient gewesen. - Gegen die ökonomische Notwendigkeit des RADwJ spricht auch, daß über die Finanzierung der vorgesehenen ersten Verstärkung fast ein Jahr lang, vom Dezember 1936 bis No- vember 1937 gestritten werden konnte, und zwar zwischen dem Reichsarbeitsführer, dem Reichserziehungs-, dem Reichsinnen-, dem Reichsfinanzministerium und dem Jugendführer des Deutschen Reiches (der ganze Vorgang in: BA, R 2/4524, bes. Blatt 449 ff.). Ergebnis: das "Landjahr" wird zugunsten des RADwJ um mindestens 20 % abgebaut. Dies war den Akten nach allein eine machtpolitische Entscheidung; der Einsatz des RADwJ war kaum effizienter als derjenige im "Landjahr", da sein pädagogischer Betrieb die Arbeitsleistung erheblich beschnitt. 21 Deshalb auch konn- te er mit dem "Pflicht jahr" nicht konkurrieren. Die forcierte Rüstungskonjunktur ab 1937 führte zu einem so empfindlichen Mangel an haus-, besonders an landwirtschaftlichen Arbeitskräften, daß indirekte Lenkungs- maßnahmen nicht mehr ausreichten. In der Folge wurde am 15.2.1938 das "Pflicht- jahr" eingeführt.22 Von Februar bis Juli 1938 dienten bereits 77.400 "Pflichtjahrmä- del", 1939 waren es 217.000, 1940 335.972. Der RADwJ nahm sich dagegen be- scheiden aus; man brauchte keine "soziale und arbeitsethische Erziehung" (VB, 10.9.1938), man brauchte Arbeitskräfte. Widersinnigerweise wurde der Ar- beitsdienst auf das "Pflicht jahr" angerechnet, nicht aber umgekehrt; ein Jahr Ar- Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 111 beitsdienst befreite vollends vom "Pflichtjahr".23 Dies führte dazu, daß "Pflicht- jahrmädel" in den RADwJ wechselten, weil er "pädagogische Freizeit" bot, und so der Landwirtschaft bzw. einzelnen Betrieben gerade wieder entzogen wurdeni was der Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung des RADwJ neue Nahrung gab. 4 Er wirkte sich volkswirtschaftlich also dysfunktional aus, und zwar aufgrund seiner erziehungspolitischen Zielsetzung. Folgerichtig grenzte Hier! das "Pflicht jahr" als arbeitsmarktpolitische "Notstandsmaßnahme" öffentlich gegen "die Hochschule nationalsozialistischer Erziehung zur richtigen Arbeitsauffassung und Volksverbun- denheit im Geiste einer gemeinsamen Weltanschauung" ab (VB, 13.2.1938). Zu einer "Notstandsmaßnahme" entwickelte sich aber auch diese Institution. Nach Kriegsbeginn ersetzten die "Arbeitsmaiden" die Männer vor allem in der Landwirtschaft, ab Sommer 1941 wurden sie zum "Kriegshilfsdienst", ab Herbst 1943 zum "Luftwaffendienst" herangezogen. An solchem Einsatz wurde der päd- agogische Anspruch letztendlich zuschanden. - Bis 1937/38 ist dagegen die gesell- schaftliche Funktion des RADwJ weder eindeutig als erziehungspolitische noch als ökonomische zu beschreiben. Er hatte beide und verdankt sich doch keiner. Darauf ist zurückzukommen. 5.2.5 Der "KriegshiIfsdienst" der "Arbeitsmaiden" Zynisch formuliert 'bewährte' sich der RADwJ erst im Kriege. Die von ihm er- faßten waren die einzigen weiblichen Jahrgänge, die zuverlässig eingezogen wur- den, damit zuverlässig einsetzbar waren. Hier! hatte im Zuge der Vorbereitungen für den "Mobilisierungsfall " die Arbeitsdienstpflicht für die weibliche Jugend endlich durchsetzen können, und zwar mit Görings Unterstützung gegen den Widerstand der Wirtschaft und des Oberkommandos der Wehrmacht (vgl. Wink!er, S. 85 ff.), die mit den Dienstpflichtverordnungen vom 2.3.1939 (RGB I, S. 403) und 10.3.1939 (RGB I, S. 824) vorerst zufrieden waren. Man hielt den RADwJ für zu unwirtschaftlich und die Lenkung des Arbeitseinsatzes durch die Reichsleitung des Arbeitsdienstes, statt durch die Arbeitsämter, für problematisch. Zwei Jahre später jedoch gab es ein heftiges Tauziehen um die durch Führererlaß vom 29.7.1941 zum "Kriegshilfs- dienst" verpflichteten "Arbeitsmaiden", bei dem HierZ das Nachsehen hatte (BA, R 2/4535, Blatt 5 ff.; z. T. bei Gersdorff, S. 339 ff.)?5 Dem Erlaß entsprechend wollte er die Arbeitskräfte "fraulich", nämlich in Krankenhäusern, Büros und Haushalten eingesetzt, sie außerdem auch weiterhin - nach den 6 Monaten Arbeitsdienst - in La- gern bzw. Gemeinschaftsunterkünften zusammengefaßt und durch Führerinnen "be- treut" wissen, um "moralische Schädigung" auszuschließen und "die im RAD geleistete Erziehungsarbeit" zu sichern. Obwohl sie sich auf HitZer berufen konn- te,26 verfing solch pädagogische Besorgnis nicht. Zwar durfte der Reichsarbeitsfüh- 112 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend rer den Einsatz der "Kriegsdienstmaiden .. über die Arbeitsämter mitbestimmen, und sie unterstanden auch seiner Dienstaufsicht; juristisch waren sie aber nicht länger Angehörige des RADwJ und praktisch wurden sie nicht eben "fraulich", sondern vor allem in der Rüstungsindustrie, ab Herbst 1943 auch in der Wehrmacht einge- setzt. Hierls pädagogisches Votum für den RADwJ wird im Sommer 1941 zur Farce. Offenkundig dient es nur noch dazu, ihm die Unterstellung der "Kriegsdienstmai- den" zu sichern, i. e. den RADwJ als einjährige Institution im Griff zu behalten - was nicht gelang. Das heißt zugleich, daß Hierl es bis dahin erfolgreich zur Legi- timation und Durchsetzung des RADwJ unter seiner Führung benutzte. Keineswegs lag ihm Fürsorge für die "Arbeitsmaiden " zuerst am Herzen. Dies bewies Hierl auch, als er Anfang 1943 die Auszahlung von Prämien und Akkordlöhnen mit dem Argument untersagte, der "Kriegshilfsdienst" sei ebenfalls "Ehrendienst" (BA, R 2/4535, Blatt 223 ff.). Die solches postulierten, haben das mögliche Ethos eines Ar- beitsdienstes schließlich am gründlichsten diskreditiert. 5.2.6 Zusammenfassung: Der RADwJ als Herrschaftsinstrument Der RADwJ entstand als ein arbeitsmarktpolitisches und sozialpädagogisch orientiertes Instrument auf Zeit; die Nationalsozialisten funktionierten ihn erzie- hungspolitisch um und stellten ihn auf Dauer. Pädagogischer und ökonomischer Zweck harmonierten nie. Zum einen widersprach der Arbeitseinsatz dem Anspruch, "die große Erziehungsschule" für den "eigentlichen Beruf" der Mutter und Haus- frau zu sein. Die Übertragung der sozialideologischen Programmaussage auf den DFAD war, wie nachgewiesen, arbeitspädagogische Hochstapelei; die - männliche - Reichsleitung nahm sie später geschickt zurück. 27 Übrig blieb ein formaler Erziehungsauftrag, der durchgehalten und auf den als auf eine bestimmte politische Sozialisation hin der DFAD organisiert wurde. Dadurch aber entfremdete er sich zum anderen seiner ursprünglichen und offiziell mit übernommenen Aufgabe der Umschulung und Betreuung arbeitsloser Mädchen. Man darf schließen, daß dies nicht das erste Interesse der Nationalsozialisten am ADwJ war. Von 1933 bis 1937 sahen sie in ihm ein erziehungspolitisches Instrument mit landwirtschaftlichem Ein- satzwert,28 geeignet dazu, nationalsozialistische Herrschaft durchzusetzen (1933) und zu sichern. Daß ein einzelner Parteipotentat, nämlich Hierl, sich für den ADwJ als "Erziehungsschule " zur Saturierung seiner eigenen Macht engagierte, kollidierte nicht mit diesen Interessen, drückte sie vielmehr aus. Allerdings blieb der DFAD für solche Interessen ein zweitklassiges Vehikel. Er wuchs erst mit der Vierjahresplan- wirtschaft und den skizzierten Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die den Einsatz des RADwJ aktualisierten. Jedoch störte jetzt die pädagogische Organisation die Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 113 ökonomische Funktion. Ab 1941 wurde der RADwJ als Erziehungsinstitution pro- gressiv aufgegeben. Allein Hierl hielt am erziehungspolitischen Zweck fest, der nun aber auch im internen Verfügungsstreit zu den Akten gelegt wurde, da er den Inter- essen unmittelbarer Machterhaltung zuwiderlief. Es erscheint mithin sinnvoll, die erziehungspolitische wie die ökonomische und die wehrpolitische Funktion des RADwJ ihrerseits als jeweilige Funktion des Machtanspruchs und der Herrschaftssi- cherung der NSDAP zu interpretieren. Erziehung und Schulung in dieser Institution waren eben dazu angetan. 5.3 Erziehung und Schulung im RADwJ 5.3.1 Pädagogische Potenzen des FAD Dem Arbeitsdienst kommen zweifellos berufspädagogische und so- zialpädagogische Potenzen zu; weltanschaulich ist er per se neutral - beide Notver- ordnungen über den FAD untersagten ausdrücklich dessen Mißbrauch für politische Zwecke.29 Allein solche Zwecke verfolgten zuerst die Nationalsozialisten. Die "Richtlinien" für den DFAD vom Januar 1934 geben diesem einen erziehungspolitischen und sozialideologischen Zweck vor. Daneben rangiert ein wirtschaftspolitischer, der seinerseits impliziert, daß der Arbeitsdienst Gelegenheit zur "Ausbildung auf allen Gebieten der Hauswirtschaft" und "Schulung in land- wirtschaftlicher Tatigkeit" bieten müsse. Drei Arten von "Arbeitsdienstheimen" mit je eigenem Ausbildungsauftrag wurden unterschieden: solche für "Hauswirtschaft und soziale Hilfsarbeit", für "Siedlungshilfe" und "ländliche Arbeitsdienstheime". Die beiden letzteren machten sehr bald das Gros der Arbeitsdienstlager aus (vgI. oben Punkt 5.2), kamen ihrer berufserzieherischen Verpflichtung aber schlecht nach. Zwar wurden, was für den Betrieb des Lagers unerläßlich war, die notwendigen hauswirtschaftlichen und rudimentäre landwirtschaftliche Kenntnisse vermittelt, die Ausbildung von Fertigkeiten aber schlicht der Praxis überlassen. Arbeitserfahrun§ wurde nicht nachgeschult oder gar qualifiziert erweitert (vgI. unten, Punkt 5.3.2)? Schließlich sollte ja von "Frauenberufsarbeit" auf Aufgaben "in der Familie und in der Scholle" umgestellt, d. h., die Berufstätigkeit den Frauen gerade ausgetrieben werden. - Die Arbeit selbst war generell Landarbeit auf niedrigstem technischen Ni- veau gegen ein tägliches Taschengeld von 20 Pf. bis zum "Kriegshilfsdienst,,;31 ökonomisch ist sie als Ausbeutung zu kennzeichnen. Die im Erlaß vom November 1932 vorgeschriebene "sozialpädagogische Ausgestaltung" wurde 1934 fallengelassen. Gerade gegen die fürsorgerische Kom- 114 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend ponente wurde mit 'gesundem Volksempfinden' polemisiert: "Die Zusammenset- zung der Belegschaft des einzelnen Arbeitsdienstheims muß immer einen Ausschnitt aus der Zusammensetzung des gesamten Volkes darstellen; wir müssen es daher aufs schärfste ablehnen, daß der Frauenarbeitsdienst als Fürsorgemaßnahme, als Unter- bringungsmöglichkeit erwerbsloser Mädchen oder gar als eine Art Fürsorgeerzie- hung gefährdeter Elemente mißbraucht wird" (Scholtz-Klink in: DA, 1934, S. 53, 404). Zwar steht in den "Richtlinien" vom Januar 1934 nichts über das hier unter- stellte Auswahlkriterium; auch blieb die Lagergemeinschaft als Abbild der Volksge- meinschaft ein frommer Wunsch;32 doch zeigt sich in der vorgenommenen Abgren- zung der Zugelassenen, daß sich die geplante Erziehung mit sozialer Auslese ver- band. Denn nur "die an Leib und Seele Gesundesten" waren "gut genug" für den "großen Beruf als Hausfrau und Mutter (ebd., S. 403 0.33 Diese KlarsteIlung für Aufgabe und Programm geht eindeutig von seiner neuen Leiterin aus. Andere Arbeitsdienstführerinnen zeigten zur selben Zeit durchaus Verständnis für das So- zialschicksal arbeitsloser Mädchen (vgl. Saring, S. 23,54), die im DFAD ja durch- aus "Unterschlupf" finden sollten (Schwerdtjeger-Zypries, 1940, S. 129). Dem wur- de durch Frau Scholtz-Klink "vom nationalsozialistischen Erziehungsgedanken her" vorgebaut, um die erwähnte Prüfungsbemerkting des Rechnungshofes des Deut- schen Reiches zu zitieren (vgl. oben, Punkt 5.2.3). An die Stelle der sozialpädagogischen Aufgaben und Möglichkeiten des FADwJ traten politische Sozialisation und Gesinnungsbildung. Verinnerlichung und Aneig- nung steter Arbeits- und Dienstbereitschaft, deutschen Mutterbewußtseins und from- men Führerglaubens sind deren Ziele. Sollten sie insgesamt erreicht werden, kam al- les auf die Organisation der Freizeit an, da die Arbeit von sich her generell eben nicht dazu geeignet war, Hausfrauen und Mütter zu formen. 5.3.2 Dienst und Erziehung im DFAD/RADwJ Historisch ist der DFADjRADwJ als Erziehungsinstitution ohne Vorbild; er be- deutet Lagererziehung als geschlossenste und von den Nationalsozialisten bevorzug- te Form von Gemeinschaftserziehung für Mädchen in Verbindung von Arbeit und Unterricht. Neben diesem sind also Arbeit, Lagergemeinschaft und Freizeit die Er- ziehungsmittel. Die Lagergemeinschaft setzte sich je nach Projekt zusammen aus 20 bis 50, ab 1938 einheitlich aus 40 "Arbeitsmaiden" samt einer Lagerführerin, 3 Gehilfinnen und 3 "Kameradschaftsältesten". Sie "dienten" im Frieden mindestens 13, regel- mäßig 26 Wochen mindestens 6, ab 1938: 7 Stunden an 6 Wochentagen. Der Ar- beitstag hatte 16 Stunden (5.00 bis 21.00 bzw. 6.00 bis 22.00 Uhr). Werktag und La- Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 115 gerwoche waren gründlich programmiert:34 Auf die 6 Werktage gesehen ergeben sich in der Regel: 42 Stunden Arbeit und 14 Stunden organisierte Freizeit35, davon 6 Stunden wirklich freie Zeit, 4 Stunden "politischer Unterricht", 3 Stunden "Lei- beserziehung" (ohne Frühsport), 1 Stunde "hauswirtschaftliche oder handwerkliche Erziehung". Ein Abend in der Woche, der Samstag ab 14.00 Uhr und der Sonntag waren offiziell frei; doch sollten Samstag und Sonntag wie die drei "gestalteten Feierabende" möglichst mit Besinnung, Feiern und Festen völkischer Art verbracht werden; typische Freizeitveranstaltungen waren: Näh-, Flick- und Lesestunden, Ba- steln, Singen (und zwar die "Lieder der Arbeitsmaiden"), Musizieren (und zwar mit "volkstümlichen Instrumenten"), Volkstanz, "Heimgestaltung " u. ä. "Der Verin- nerlichung der Maiden und ihrer Eingliederung in die große nationalsozialistische Weltanschauungsgemeinschaft dient auch die Gestaltung der Freizeit" (Marawske- Birkner, S. 331). Der Zeitplan bestätigt: Die 'intentionale Erziehung' verstärkt die 'funktionale' auf kollektive Disziplinierung hin. Nicht wird die Arbeit für die Ausbildung genutzt; von einer 2- bis 4wöchigen Einweisung abgesehen ersparte man sich jede systemati- sche berufliche Schulung oder Weiterbildung; die "hauswirtschaftliche oder hand- werkliche" Stunde widmete sich der "von der Marktlage gebotenen Verbrauchslen- kung" und ging demgemäß über "Ersatzmittel", über "die Verwertung von Altma- terial und Abfällen" und Vorratswirtschaft (Kallsperger, S. 85; ebenso Schwerdt- feger-Zypries, 1940, S. 133, 138). Nicht wird das Gemeinschaftsleben für die Per- sönlichkeitsbildung fruchtbar gemacht; im Gegenteil werden in einer für die Persön- lichkeitsentwicklung sensiblen Phase - wie man sehr wohl wußte - physische und psychische Dienstbereitschaft hergestellt, Gehorsam eingeübt, nationalsozialisti- sches Bewußtsein eingeimpft. Mit "Erziehung" im abendländisch aufgeklärten Ver- ständnis hat dies nichts, mit Verführung (Garnm, 1964) viel zu tun. Die Persönlichkeitsverachtung, den humanistischen Maßstäben nach unsittli- chen Kern der Arbeitsdiensterziehung, enthüllt unfreiwillig jene Parole, die auf den Toren zu den Lagern stand: "Du bist nichts, Dein Volk ist alles". Solcher Unterwer- fung diente auch die Mechanik des Lagers mit minutiösem Zeitplan, patriotischen Ritualen - Fahnendienst, Losung, Lagerappelle - und paramilitärischem Aufbau: Uniformierung ("erdbraune Ehrentracht"), Führerprinzip, Auszeichnungswesen, ei- gene Dienststrafordnung?6 Die viel beschworene "Gemeinschaft" stellt sich hier nur sub specie benevolentiae her; aus der Froschperspektive der Geführten zerfällt sie in lauter Stufen und Ränge von Macht und Berechtigung; ihr mangelt es an ge- sellschaftlicher Realität.37 - Die intendierte "gehorsame Unterordnung und innere Disziplin" (Schwerdtfeger-Zypries, 1940, S. 133) ist ausweislich auch der Pläne für den "politischen Unterricht" im RADwJ eine doppelte: Fügung in das politische 116 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend Schicksal als Unmündige und in das biologische Schicksal der Mutterschaft. Der durch "Arbeitsdiensterziehung zu schaffende 1)'pus" (Kallsperger, S. 48) war die gesellschaftliche Magd im Wartestand: die möglichst als Bäuerin dienende Hausfrau und Mutter. 5.3.3 Führerinnenausbildung Die sozialideologische Instrumentalisierung des Arbeitsdienstlagers vor allem erforderte ausgebildetes Personal. Die Führerinnenausbildung wurde bis zur Über- nahme des DFAD in den RAD vernachlässigt. Zum einen fehlten aus den erörterten Gründen die Mittel, zum andern wurde theoretisches Wissen im allgemeinen, päd- agogische Ausbildung im besonderen nicht gerade für unerläßlich gehalten. Führen- können zumal war gegebene Gnade, konnte nicht erlernt werden: "Wir Menschen können nur eins: diese vom Leben getroffene Auslese zu erfassen suchen, sie un- terstützen, durch Schulung kräftigen" (Scholtz-Klink in: DA, 1934, S. 53 f.). Bei der Erfassung dieser "Auslese" wurde mancher Mißgriff getan?8 die Prädestination ließ sich am Parteibuch nicht immer zuverlässig ablesen. Schlechte Erfahrungen be- lehrten eines Besseren: die allmählich sich organisierende Führerinnenausbildung nahm sich gerade der angeblich angeborenen Talente an. Die Priorität war zweifel- los von der Notwendigkeit politischer Kontrolle bestimmt. Zur Schulung und Ausbildung der RADwJ-Führerinnen an dieser Stelle nur Stichworte?9 Ermächtigung der Bezirkskommissare zur Einrichtung von Führer- schulungskursen von 6 Wochen in geeigneten Arbeitsdienstlagern durch Erlaß vom 7.9.1932; Behelf mit Wanderlehrkräften 1932/33. Aufbau von Lagerschulen und - 5 - "Landesführerinnenschulen" resp. "Bezirksschulen " (ab 1.4.1936) - geplant waren ursprünglich 13: je eine pro Landesstelle. Mit der Übernahme des DFAD in den RAD wurde "Führerin im RADwJ" zum Beruf erklärt, ein Ausbildungsgang festgelegt: Dienst als Arbeitsmaid, danach als Kameradschaftsälteste, Lagerschul- lehrgang (5 Monate), bei Eignung Lagergehilfin, Bezirksschullehrgang (3 Monate). Die Bestimmungen über die Eignungsbeurteilung und die Lehrpläne zeigen, daß "charakterliche Eignung" vor praktischem Können veranschlagt bzw. "durch Schu- lung gekräftigt" wurde; bei einschlägiger Berufsaus- oder -vorbildung verkürzte sich die Arbeitsdienstzeit ("Sonderausbildung"). - Das Interesse für den neuen Be- ruf hielt sich in Grenzen; der anlaufende Ausbau des RADwJ machte im Februar 1938 die Pressekampagne "Ein vollgültiger Frauenberuf - Führerin im RAD" erfor- derlich. - 1939 gab es 5 Lagerschulen, 8 Bezirksschulen und 1 Reichsschule (Fi- nowfurt am Uedersee, eröffnet August 1938). Die Reichsschule bildete für höhere Ämter im RADwJ und auch das Schulpersonal selbst aus. Im Krieg wurde das ganze Programm wieder gekürzt. Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 5.4 Zusammenfassung: Emanzipation oder Unterdrückung durch den RADwJ 117 Es ist nachdrücklich davor zu warnen, den RADwJ als Erziehungsinstitution erziehungswissenschaftlieh, also immanent, zu beschreiben. Er ist, wie seine Ge- schichte zeigt, nicht das Ergebnis "nationalsozialistischer Erziehungstheorie" - viel- mehr nährt das Beispiel den Zweifel, ob es eine solche dem Anspruch nach über- haupt gegeben hat. Die dürftige und wechselhafte Darstellung des RADwJ in Paro- len und Stereotypen verrät Theorielosigkeit; eindeutig auch deckt pädagogische Phraseologie politische Zweke. Der RADwJ ist mithin in politischer Hinsicht zu be- handeln. In dieser Hinsicht ist auch nach Prinzipien zu suchen, die ihn als gesell- schaftliche Institution erklären, und nach Begriffen, die ihn in seiner gesellschaftli- chen Funktion beschreiben. Als ein solcher - bildungsökonomischer - Begriff wurde "Modernisierung" vor- geschlagen.40 Danach wäre der RADwJ auch als ein Stück Gleichstellung von Jun- gen und Mädchen, als ein Schritt zur Emanzipation der Frau aufzufassen. Diese Auf- fassung ist heikel: Sie trennt formale von inhaltlichen Aspekten - und das war schließlich auch der Propagandatrick der Nationalsozialisten. Die formale Gleich- stellung der weiblichen Jugend, in der Verkündigung der Arbeitsdienstpflicht 1939 juristisch vollendet, ist unbestritten. Mit ihr ging aber keineswegs eine Förderung oder Zuerkennung fesellschaftlicher Gleichstellung oder gar politischer Gleichbe- rechtigung einher.4 Im Gegenteil verfestigte der RADwJ Abhängigkeit: weder ver- mittelte er berufliche Qualifikationen derart, daß sie mehr und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ergeben hätten; dafür aber verknappte er die unter der Vorausset- zung von Heirat/Mutterschaft den Jungen gegenüber ohnehin kürzere Zeit berufli- cher Ausbildung; noch vermittelte er 'politisches Bewußtsein'. Die Einstellung auf Muttersein und auf Geführtwerden, die Einweisung in unqualifizierte (Land-)Arbeit können schlecht als emanzipatorische Hilfen gelten. - Den "Rückschlag" anzupran- gern, "den die deutschen Frauen in ihren beruflichen und öffentlichen Wirkungs- möglichkeiten erfahren haben," gelingt Gertrud Bäumer (1937), indem sie kluger- weise zugleich die organisatorischen "Wirkungsmöglichkeiten " und "wesensgemä- Ben Leistungen" (S. 642) und in diesem Rahmen den RADwJ als "eine der wichtig- sten neuen Erziehungsformen" herausstellt (S. 647). Man sollte 40 Jahre später für die Beschreibung seiner Funktionen nicht einen Begriff wählen, der geeignet ist, das eine mit dem anderen zu verwechseln.42 Ihre Formalität mindert ebenso den Erklärungswert der Kategorien "Vergesellschaftung" und "Politisierung" für die Geschichte der Frau im Dritten Reich, als deren Wirkung dann auch der RADwJ erscheint. 118 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend Wiederum korrekt festgehalten wird, daß die Frauen in bisher nicht dagewese- nem Ausmaß politisch erfaßt, daß noch keine "Frauengeneration ... so bewußt durch den Staat für ihr Volk und ihren Staat erzogen" worden ist (Schwerdtjeger-Zypries, 1940, S. 137). Aber für wen denn und zu welchem Zweck? Ausweislieh welcher hi- storischen Notwendigkeit entstanden die Frauenorganisationen im Dritten Reich - und verschwanden mit diesem ohne Spur? "Niemals werden wir Forderungen der Gleichberechtigung der deutschen Frau mit den Männern um des Prinzips der Gleichberechtigung willen aufstellen, sondern wir werden immer wieder die berech- tigten Interessen der deutschen Frau abhängig machen von den Gesamtnotwendig- keiten des deutschen Volkes. Aus dieser, unserer bedingungslosen Verflochtenheit in das Gesamtschicksal der Nation ergeben sich alle weiteren Wege" (Jahrbuch, 1938, S. 4). Die "bedingungslose Verflochtenheit" steht pathetisch für Identifikation mit dem Nationalsozialismus und seiner Herrschaft. Sie herzustellen, war Aufgabe und Bemühen der Frauenorganisationen, auch des RADwJ.43 Darin zeigt sich kein von dieser Herrschaft unabhängiger Progreß, sondern eine bedingte und schließlich auch zeitlich begrenzte politische Funktion. Den RADwJ als - wenngleich pervertierte - Form einer notwendigen histori- schen Entwicklung zu begreifen, scheint dialektische Spielerei angesichts der Tatsa- che, daß er der gesellschaftlichen - politischen wie ökonomischen - Unterdrückung der Frau diente. Die nationalsozialistische Diktatur hat ihn hervorgebracht und zu- rückgenommen. Er ist nicht der mißbrauchte Ausdruck einer gesellschaftlichen Ent- wicklung, sondern ein Instrument des Mißbrauchs der gesellschaftlichen Funktionen Arbeit und Erziehung. 5.5 Anmerkungen 1 Dank der Propaganda liegt eine Fülle zeitgenössischer Literatur vor; sie ist un- schwer zu erschließen. Auf eine ausführliche Bibliographie wurde deshalb verzich- tet. Zum ADwJ sei auf die Literaturverzeichnisse bei Kallsperger und Marawske- Birkner verwiesen; sie werden mit der Ausnahme einiger wichtiger Titel durch die hier aufgeführte Literatur ergänzt. 2 Um so nachdrücklicher stellt sich die Frage, wie die Nationalsozialisten den Erziehungssektor so relativ unangefochten haben übernehmen können. Wie weit sie sich hier inhaltlich und im einzelnen durchsetzten, ist demgegenüber eine nachge- ordnete Frage. Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 119 3 Der NSAD galt bis zum RAD-Gesetz als Untergliederung der Partei (OB 1936, S. 465); danach war er eine staatliche Einrichtung mit besonderer "innerer Zugehörigkeit" zur NSDAP (OB 1943, S. 465). 4 Aus erster Hand dazu die ambivalenten Erfahrungen von Maschmann; ferner Stephenson (1975, S. 105 f.; Ms. 1978) und Winkler (S. 130), die sich auf regionale Meldungen über den Arbeitseinsatz und auf SD-Berichte stützen. 5 "Richtlinien für den weiblichen Arbeitsdienst der NS-Frauenschaft (Deutscher Frauenorden) für das Reich", Kallsperger, S. 119 ff. (ohne Datum), ? Frühjahr 1933; falscher Kasus ("jedem") bei Kallsperger. 6 Sie wurden selbstredend nicht als Mechanismen kollektiver Unterordnung, sondern als subjektive Vollzüge der "Grundgesetze deutscher Art" beschrieben (Decker, 1933), einige von ihnen (Treue, Gehorsam, Kameradschaft) zu "den Geset- zen des Arbeitsdienstes" stilisiert (Decker, 1935; dazu Benz, S. 340). Es verdient festgehalten zu werden, daß zur selben Zeit noch Erziehung im Arbeitsdienst aus- drücklich als "Erziehung zum Sozialismus" verstanden wurde (Kretzschmann, 1935; vgl. ders. 1934). Arbeitsdienst als "Sozialismus der Tat" verkam jedoch zu ei- ner der Gebetsformeln des Nationalsozialismus. 7 Kallsperger, S. 122 ff. (ohne Datum); BA, R 2/4524, Blatt 5 f., mit Anschrei- ben von Scholtz-Klink vom 1.2.34; Datierung bei Marawske-Birkner, S. 218. 8 Zur Geschichte des FADwJ vgl. Kallsperger, Marawske-Birkner und Saring; zur Diskussion über ihn insbesondere "Die Frau". - Der RADwJ ist nach 1945 erst jüngst thematisiert worden (Stephenson, Ms. 1978). Zeitgenössische Darstellungen liefern divergierende Versionen über die Anfänge 1933/34. Einen falschen Eindruck vermittelt die pauschale Behauptung über die Zeit 1933-35 bei Winkler, S. 54, die sich auf Marawske-Birkner stützt. 9 Diese Bestimmung setzte sich nicht sogleich durch; vgl. Anm. 12. 10 Das genaue Datum konnte nicht ermittelt werden. "Ende Juli" (Kallsperger, S. 28), "im August" (Marawske-Birkner, S. 214; Saring, S. 75). 11 Zu den Querelen um die 'Frauenführung' vgl. Stephenson, 1978. 12 Im März 1934 fallen in die Rubrik "Hauswirtschaft und soziale Hilfe" 85 von 269 Lagern, im März 1935 sind es noch 42 von 364 (Marawske-Birkner, S. 120 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 236); 1937 sind 76 % der Arbeitsvorhaben ländliche Hilfe (ebd. und S. 319), 1938 sind es 90 % (Müller-Branden burg, S. 29), 1939 sind es 91 % (Schwerdtjeger-Zy- pries, 1942, S. 10). Diese Zahlen interpretiert Marawske-Birkner als Richtungsstreit im Arbeitsdienst (S. 236). 13 Die deutsche Studentenschaft hatte am 16.6.1933 als erste Organisation die Arbeitsdienstpflicht eingeführt; für Studentinnen galt sie seit März 1934. 14 Im Rahmen der 20 %-Klausel wären 2000 Plätze für Schülerinnen usw. frei gewesen; von den 7000 Abiturientinnen von Ostern 1935 waren 4000 studierwillig. 15 Vgl. Punkt 5.2.6 und Anm. 27. 16 Bei Kallsperger, S. 29, falsch datiert mit "27. Juni 1937". 17 Und zwar jeweils mit Führererlaß: am 26.9.1936 von 10.000 auf 25.000 (RGB I, S. 747); am 24.11.1937 auf 30.000 (RGB I, S. 1298); am 7.9.1938 auf 50.000 (RGB I, S. 1157); am 4.9.1939 wurde zugleich mit der Verkündigung der Ar- beitsdienstpflicht die Dienststärke auf 100.000 festgesetzt; am 29.7.1941 wurde sie auf 130.000 (1942 auf 150.000) erhöht, zugleich die Verpflichtung um 6 Monate zum "Kriegshilfsdienst" verlängert (RGB I, S. 463); für die bei der Luftwaffe ein- gesetzten "Arbeitsmaiden" verlängerte sich der Dienst am 24.3.1944 nochmals um 5 Monate (BA, R 2/4529, Blatt 287), wurde am 8.4.1944 auf 18 Monate festgesetzt, im November 1944 als unbefristet angeordnet. Ab Oktober 1944 wurden die "Ar- beitsmaiden " direkt aus dem aktiven RAD der Wehrmacht überstellt. - Möglicher- weise hat der Erlaß vom 26.9.1936 Schoenbaum zu der Feststellung verführt, der ADwJ sei "1936 auf freiwilliger Grundlage eingerichtet" worden (S. 232); auch die weiteren Angaben zum RADwJ sind nicht korrekt. Genaue Angaben über die Stärke 1933-1935 bei Stephenson, Ms. 1978. 18 Zum Tauziehen um den Haushalt des FADmJ vgl. Benz, S. 336 f., zur Kür- zung des Etats etwa BA, R 2/4524, Blatt 47. 19 Qualifikation oder Talent stehen allerdings dahin (vgl. Punkt 5.3.3). Durch die Umstellung von 30 Gauen auf 13 Landesstellen 1934 konnten gar nicht "alle be- währten Kräfte" auf Leitungsebene untergebracht werden (v. Funcke, S. 29). 20 Mit identischem ideologischen Erziehungsauftrag seit 1936 durch die "Ju- gendgruppe" von NSF/DFW (l8-30jährige), seit 1938 auch durch das BDM-Werk Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 121 "Glaube und Schönheit" (17-21jährige); Abgrenzung und Aufgabenteilung zwi- schen bei den Einrichtungen wechselten. 21 Die landjahrpflichtigen Schulabgänger arbeiteten einen halben, nur in der Erntezeit einen ganzen Tag. Das "Landjahr" ist dem RADwJ als pädagogisch-öko- nomischer Zwitter vergleichbar; dazu Eifers, S. 37 ff. und Mager. 22 "Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes über den verstärkten Einsatz von weiblichen Arbeitskräften in der Land- und Hauswirtschaft"; der erfaß- te Personenkreis wurde mit "Durchführungsanordnung" vom 23.12.1938 erweitert. - Zahlenangaben nach Winkler, S. 58, 90. 23 Durchführungsanordnungen vom 23.12.1938 und 26.7.1939; vgl. Kallsper- ger, S. 33. 24 Vgl. Anm. 4. 25 Zum Erlaß vgl. Anm. 17; DVO vom 13.8.1941 (RGB I, S. 491), vom 29.11.1941 (RGB I, S. 742), vom 9.2.1942 (RGB I, S. 74). Zum "Kriegshilfsdienst" der "Arbeitsmaiden", zum Zank über ihre Verwendung, ihre Betreuung und ihre Be- zahlung vgl. insbesondere Gersdorff, S. 68 ff., Dokumente S. 339 ff.; Winkler, S. 129 ff.; Stephenson, Ms. 1978. 26 Man darf bezweifeln, ob Hitler ganz der gesinnungslose Opportunist war, für den z. B. Rauschning ihn hält. Zu den wenigen fixen Ideen, von denen Hitler doch besessen schien, gehörte die von der arischen, der deutschen Frau als "Hüter in der Reinheit des Blutes". Der rassisch-mystischen Aufgabe entsprach die soziale Stel- lung als Hausfrau und Mutter. Zum Zögern Hitlers, mit Meldepflicht und Arbeits- zwang weibliche Arbeitskraftreserven zu mobilisieren, vgl. Winkler, S. 114 ff. 27 Da die Landarbeit als Entlastung für die Bäuerin als Mutter gelten konnte, hieß es nunmehr rabulistisch: "Arbeitsdienst der weiblichen Jugend ist Mütter- dienst" (Hierl auf dem Reichsparteitag 1936, VB, 4.9.1936); gleichlautend Schwerdtjeger-Zypries, 1940, S. 134; OB 1943, S. 469 b. 28 Bäuerliche Ideologie und gesellschaftlicher Bedarf standen hier einmal nicht im Gegensatz zueinander. 29 Es ist tatsächlich behauptet worden, die NSDAP habe befürchten müssen, daß "der Arbeitsdienstgedanke durch dies herrschende Regierungssystem eine schlimme 122 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend Verwässerung und Einspannung für die verschiedensten Parteizwecke erfahren wür- de" (Marawske-Birkner, S. 209). 30 Entsprechend dürftig waren die Vermittlungserfolge nach der Arbeitsdienst- zeit, wie der Reichsrechnungshof monierte (BA, R 2/18461, Blatt 6). 31 Vgl. Anm. 25. Die Angabe bei Mager, S. 151: 25 Pf., trifft nur zeitweilig für den RADmJ zu. 32 Die Zusammensetzung der Belegschaft regulierte sich trotz 20 %-Klausel und erziehungspolitischer Auswahl durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt, solange der Arbeitseinsatz der weiblichen Jugend freiwillig blieb. Schülerinnen höherer Lehran- stalten liefen vermehrt dem RADwJ erst zu, als und insofern sie damit das uPflicht- jahr" verkürzen konnten. - Mit eben dem zurückgewiesenen sozialpädagogischen Erfordernis stellt zur selben Zeit Schmeidler die Erziehungsaufgabe des NSAD her- aus, allerdings, um die wehrpädagogische zu kaschieren. Kallsperger interpretiert die Arbeitslosenfürsorge als uVerfälschung des Arbeitsdienstgedankens" (S. 25; vgl. S.18). 33 Die von Scholtz-Klink geplanten 14tägigen Kurse zur "Mütterbildung" (DA, 1934, S. 52,403) fanden jedoch auch nicht statt. 34 Dienst- und Schulungsprogramm sind selbstverständlich progressiv verfeinert worden; vgl. etwa die uRichtlinien" vom Frühjahr 1933, die UTageseinteilung" in: DA, 1934, S. 55 und den Tages- und Wochenplan bei Kallsperger, S.134f. 35 Auch deren programmatischer Ausbau kam mit der Zeit. Die uRichtlinien" von 1934 notieren lediglich Utheoretischen Unterricht", uKörperschulung" und uFreizeitveranstaltungen". Deren uvolkstümliche" Orientierung (DA, 1934, S. 52, 404) sowie die Planung des Utheoretischen Unterrichts" gab Scholtz-Klink vor; vgl. zum letzteren ihren UBetreuungsplan" (1934, S. 18), mit dem uSchulungsplan für den weiblichen Arbeitsdienst" in: DA, 1933, S. 391. 36 Am 6.7.1937 - nicht erst am 3.1.1940 (Benz, S. 345) - wurde die Dienststraf- ordnung des RADmJ vom 25.6.1936 (RGB I, S. 123) für den RADwJ übernommen (RGB I, S. 756, 907). 37 Dies ist nicht durchschlagend bewußt geworden; so wurde auch der Arbeits- dienst zweifellos idealistisch als innere Gemeinschaft ("Dienstgemeinschaft") er- lebt; vgl. Maschmann und die Befragung bei Seipp (für den NSAD), ferner die Er- Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 123 lebnisberichte bei KalIsperger (S. 51 ff.), die von ihrem Fragebogen allerdings prä- judiziert werden (vgl. S. 133). - Eine ausländische Beobachterin der Szene fragte sich 1936: "How will the Nazi-Leaders repay this youthful idealism?" (Kirkpatrick, S.90). 38 Dies wird in der Literatur selbst angedeutet, am unverblümtesten bei Saring, S.21f.,57. 39 V gl. "Jugend im Dienst. Führerblätter zur Gestaltung des deutschen Arbeits- dienstes" 1 (1932) in: BA, NSD 49fl; "Merkblatt über die Ausbildung zur Führerin im Arbeitsdienst für die weibliche Jugend" (1938) bei KalIsperger, S. 129 ff.; ferner die Angaben bei Benze, S. 147, in den Jabrbüchern, bei Marawske-Birkner, S. 189 f., 223 f., in den OB. 40 In Adaption der bekannten These Dahrendorfs, auf der Tagung der Histori- schen Kommission der DGfE, Herbst 1978. 41 Ein Lehrstück zu dieser Frage ist jener Kompetenzstreit zwischen Reichsorganisationsleitung und Reichsfrauenführung von August bis Dezember 1937, in dem Robert Ley Frau Scholtz-Klink "Emanzipationsbestrebungen" vorwirft (BA, NS 22/859). 42 Die berufliche Mobilisierung der Frauen ab 1938 ist gelegentlich auch als Fortschritt in ihrer ökonomischen und sozialen Stellung gesehen worden (Schoen- baum; Stephenson, 1975). Winkler kritisiert dies mit dem Hinweis auf Art und Qua- lität der Frauenarbeit im Dritten Reich (S. 63 f.), die Mason herausgearbeitet hat. Auf den sich entwickelnden Widerspruch zwischen Arbeitseinsatz und Mutterschaftsideologie reagierten die Nationalsozialisten mit zwei Argumentations- figuren: 1. Sie riefen die "art-" bzw. "naturgemäße" Frauenarbeit aus, zu der jeder Mangelberuf gehörte - wobei in den meisten Fällen dessen Affinität zur traditionel- len Frauenrolle das propagandistische Nebelwerfen sehr erleichterte; 2. sie verspra- chen die zukünftige Erfüllung des Mutterglücks und machten so aus dem Wider- spruch ein zeitliches Nacheinander: Arbeit - Endsieg - Frauendasein. 43 Vgl. Stephenson 1980. 124 Erziehung durch den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend 5.6 Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Koblenz (zi!. als: BA): R 2 Reichsfinanzministerium R 36 Deutscher Gemeindetag (Bd. 3, Abt!. III: Arbeitsdienst) R 77 Reichsarbeitsdienst NS22 NS26 NS44 NSD9 NSD47 NSD49 NSD50 Reichsorganisationsleiter Hauptarchiv der NSDAP Reichsfrauenführung Drucksachen Reichsorganisationsleitung Drucksachen der Nationalsozialistischen Frauenschaft Drucksachen Arbeitsdienst, verschiedene Drucksachen der Deutschen Arbeitsfront Sammlung Schumacher (zit. als: Schumacher): 230 - Nationalsozialistische Frauenschaft 262 - Weiblicher Arbeitsdienst 5.7 Literatur Achten, Udo: Arbeitsdienst - eine Antwort auf die Forderung nach Recht auf Arbeit. In: Demokratische Erziehung 3, 1977, S. 445-459 Bäumer, Gertrud: Zum "Status" der deutschen Frau. In: Die Frau 44, 1937, S. 641- 649 Benz, Wolfgang: Vom freiwilligen Arbeitsdienst zur Arbeitsdienstpflicht. In: Viertel- jahrshefte für Zeitgeschichte 16, 1968, S. 317-346 Benze, Rudolf: Erziehung im Großdeutschen Reich. 3. Auf!. Frankf. a. M. 1943 Benze, RudolflGräfer, Gustav: Erziehungsrnächte und Erziehungshoheit im Groß- deutschen Reich. 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Von den ausgewiesenen erziehungshistorischen Ordnungsbegrif- fen beschreiben "Wandel" und "Diskontinuität" den geschichtlichen Sachverhalt. Quellen, ihn zu erarbeiten, gibt es genug. Zwar weist das Archivmaterial große Lücken auf: der überwiegende Teil der Akten des Reichsnährstandes (RNSt) wurde im 2. Weltkrieg vernichtet; die erhaltenen Bestände liegen bis auf 'Splitter' im Zentralarchiv der DDR (Potsdam); auch wurden die Hausarchive der Bauernschulen gegen Kriegsende verbrannt oder nach Kriegsende beschlagnahmt. Doch lassen sich die Lücken schließen durch die Materialien örtlicher Stadt- und Kreisarchive an den Standorten ehemaliger Bauernschulen; besonders wichtig ist das Stadtarchiv Goslar. Außerdem liegt eine Vielzahl zeitgenössischer Publikationen vor, insbesondere auch von Personen, die am Aufbau des Bauernschulwesens im RNSt beteiligt waren.5 6.2 Geschichte und Programm der nationalsozialistischen Bauernschule und Bauernhochschule 6.2.1 Nationalsozialistische Bauernschulung 1930-1932 Das Interesse der NSDAP am Bauernstand wuchs erst mit der Welt- wirtschaftskrise und der politischen Radikalisierung zum Ende der Weimarer Repu- blik. 6 In der Reichsleitung der Partei gab es keine agrarpolitische Stelle, bis Hitler im August 1930 einen "Referenten für landwirtschaftliche Fragen" in die Organisa- tionsleitung II berief? Dieser Referent war Richard Walther Darre. Er sah seine 132 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich Hauptaufgabe "zunächst in der ideologischen Schulung von Bauernrednern und in der Durchführung agrarpolitischer Tagungen für Junglandwirte" (Gies, 1966, S. 38); Ziel war die Gewinnung der Landbevölkerung für die NSDAP. Dafür baute Darre einen "agrarpolitischen Apparat" auf und mit ihm auch die eigene Machtstellung aus. 8 Zur Besetzung der "Amtswalterstellen" im Apparat war ein Kader von "Par- teibauern " heranzuziehen. Diesem Erfordernis wie der Gewinnung bäuerlicher Parteiredner verdankt sich die nationalsozialistische Bauernschulungsarbeit, die er- ste programmatische Ansätze der Bauernschulen des RNSt hervorbrachte. Zuständig für die Bauernschulung war bezeichnenderweise die Unterabteilung "Werbung" der noch 1930 von Darre geschaffenen Abteilung "Landwirtschaft" (später "Amt für Agrarpolitik") bei der Reichsleitung der NSDAP. Sie führte ab Juli 1931 Bauernschulungskurse durch (BA, NS 22/1054). Deren Aufgabe fixiert eine Denkschrift von Albert Friehe, nachmals Darres "Fachreferent für bäuerliches Bil- dungswesen".9 Er setzt den Schwerpunkt nicht bei der Agitation potentieller, son- dern bei der Schulung aktueller Parteimitglieder: es gehe um die "Heranbildung ei- nes 'Unteroffizierskorps' unserer Bewegung auf dem Lande, das in der Lage ist ... unsere Machtergreifung vorzubereiten und nach derselben unsere Ideen erfolgreich in die Tat umzusetzen" (BA, NS 22/1054, S. 4). In diesem Zusammenhang wird erstmals die Gründung einer nationalsozialistischen "Reichsbauernhochschule " für die Weiterschulung der besten Kursteilnehmer erwogen (ebd., S.9). - Damit ist das Programm der Bauernschulen des RNSt in der Tat vorgezeichnet: es heißt "mög- lichst scharfe Führerauslese" (ebd., S. 9). Im Juni 1932 legt Friehe einen "Bericht über meine Vorarbeiten zur Gründung nationalsozialistischer Bauernhochschulen " vor (BA, NS 26/956). Er bekräftigt, daß sie nicht als Bildungsangebot an die Bauern, sondern für Parteizwecke gedacht wa- ren, und stellt fest: "weltanschauliche Vertiefung ist das Kernstück unserer Schu- lungsarbeit geworden" (ebd., BI. 8). Nach der "Machtergreifung" blieb es dabei: die nationalsozialistische Bauernschule diente "bäuerlicher Parteischulung " (Muth, S. 441): in diesem Zweck unterscheidet sie sich grundsätzlich von den bis dato be- stehenden Bauernhochschulen. Zur Gründung parteieigener Schulen war es mangels Finanzen allerdings nicht gekommen; mithin stellte die Übernahme und Umfunktio- nierung bestehender Institutionen den gegebenen Weg dar, die diesbezüglichen Am- bitionen zu verwirklichen; er wurde schon vor 1933 beschritten. Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 133 6.2.2 Übernahme und Gleichschaltung der Bauernhochschulen 1933- 1943 Offenbar unabhängig von den Planungen und Vorarbeiten Friehes nahm im De- zember 1932 die "Märkische Bauernhochschule" in Tzschetzschnow als erste natio- nalsozialistische Bauernhochschule ihren Lehrgangsbetrieb auf. Es handelt sich um eine vormals völkische Bauernhochschule, die 1931 aus wirtschaftlichen und politi- schen Gründen geschlossen und nun mit nationalsozialistischen Lehrern wieder er- öffnet wurde. 10 Diese "Überführung" verdankte die Partei ihrem Reichstagsabge- ordneten und früheren Mitstreiter der deutsch-völkischen Bauernhochschulbewe- gung, Alexander Frhr. von Wangenheim (Miller, S. 247 ff.), dem sie ihrerseits seinen "Einsatz" im Dezember 1932 mit der Ernennung zum "Reichsreferenten für Bau- ernschulung " dankteY Damit wurde dieser Bereich aus der Zuständigkeit des "Fachreferenten für bäuerliches Bildungswesen " herausgenommen. Über eine Ver- bindung Wangenheims mit Friehe, der sich hinfort zur Bauernschulung nicht mehr äußerte, liegen keine Hinweise vor. Die kurmärkische Bauernhochschule war auch die erste national-sozialistische im Dritten Reich. Von Tzschetzschnow nach Gransee verlegt, wurde sie im Septem- ber 1933 von Darre persönlich unter dem Namen "Bauernhochschule Alexander von Wangenheim " als Vorbild für alle neu zu errichtenden Bauernhochschulen er- öffnet (Lepel, S. 55; Saure, S. 229). Darre, treibende Kraft für das Projekt, besaß in- zwischen die Stellung, es in eigener Zuständigkeit zu verfolgen. Diesbezügliche An- sprüche hatte auch Bernhard Rust als Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung angemeldet. Der Kompetenzstreit zwischen Rust und Darre und die Tatsache, daß nicht Darre, sondern Alfred Hugenberg Reichsminister für Ernäh- rung und Landwirtschaft (REuL) geworden war, verhinderte die rasche "Gleichschaltung" des Bauernhochschul wesens. Im Frühjahr 193312 konstituierte sich die "Reichsarbeitsgemeinschaft Deutscher Volkshochschulen" mit der Unterabteilung "Deutsche Bauernhochschulen " (Keim;Urbach, 1976, S. 114, 129), in der bis Jahresmitte 90% aller Bauernhoch- schulen organisiert waren (Löwenkamp, 1933, S. 235) - nur dann wurden sie aus Reichsmitteln unterstützt. Finanzierung und Organisation sowie Ziel und Aufgabe der Schulungsarbeit allgemein klärten die "Richtlinien für das Bauernhochschul- werk" (im folgenden: Richtlinien I) die Hugenberg und Rust vereinbart hatten (ebd). Ziel und Aufgaben der Bauernhochschulen bestimmten genauer die Richtli- nien, die Rust "in Durchführung der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen für Lehrerbildung und Bauernhochschulen " allein erließ (Rust, S. 232). Er zeigte damit an, daß diese Schulen in sein Ressort fielen, wenn sie auch dem REuL für die ord- nungsgemäße Verwendung der Reichsmittel verantwortlich waren (Richtlinien I). - 134 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich Im Juli 1933 löste sich die Reichsarbeitsgemeinschaft auf bzw. wurde der im Mai beim Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht eingerichteten "HauptsteIle für Volkshochschulwesen" (KeimjUrbach, 1976, S. 130) - später "HauptsteIle für Volkshochschulen" (KeimjUrbach, 1976, S. 113 und 114) - unterstellt. Dort gestand man den Bauernhochschulen "eine besonders wichtige Position" zu (KeimjUrbach, 1976, S. 129). Inzwischen besaß Darre die Macht, die Pflege dieser Position in eigener Regie zu übernehmen (dazu bes. Gies, 1968): er war Reichsleiter, Reichsbauernführer (seit Mai 1933) und endlich auch Reichsminister (seit dem 29.6.1933). Bereits am 22.6.1933 hatte er den "Ring deutscher Bauernhochschulen" gründen lassen, in dem die nationalsozialistischen Bauernhochschulen zusammengeschlossen werden soll- ten. Sein Amt verschickte einen Fragebogen an alle "Facharbeiter für Bauernschu- lungswesen .. bei den landwirtschaftlichen Gaufachberatern, um einen Überblick über die Bauernhochschulen zu erhalten (Entwurf: BA, NS 26/956). Unterlagen über das Ergebnis der Erhebung sind nicht überliefert; man darf vermuten, daß die Gleichschaltung vorbereitet wurde. Denn gestützt auf das Gesetz über die Zuständigkeit des Reiches für den ständischen Aufbau der Landwirtschaft vom 15.7.1933 (RGB I, S. 495), begann Darre als Minister unverzüglich mit der Zusam- menfassung von Bauernschaft und Landwirtschaft zum "Reichsnährstand", der als Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts per Gesetz vom 13.9.1933 (RGB I, S.626) die Mitgliedschaft aller Angehörigen des Bauernstandes erzwang. Damit hatte Darre sich die Zuständigkeit für die Bauernhochschulen gesichert, die als "Verantwortungsträger ständischer Erziehung und Bildung" der "ständischen Neuordnung des Bauerntums" verschrieben worden waren (Richtlinien I). Rust hat- te das Nachsehen. In der "Reichshauptabteilung I" ("Der Mensch") des Ver- waltungsamtes des RNSt war künftighin die Abteilung E ("Weltanschauliche Schu- lung des Landvolkes") verantwortlich für die Bauernhochschulen (vgl. Rei- schle/Saure).13 Es setzte sogleich eine Kampagne ein gegen ungebundene Bauernhochschulen und ländliche Heimvolkshochschulen, für die staatliche Unterstützung hinfort ent- fiel. Binnen eines Jahres waren sie übernommen oder aufgelöst oder gaben ihre Ar- beit 'freiwillig' auf (vgl. Muth, S. 441). Nur wenigen gelang es, unter anderem Na- men und an anderen Orten ihre Arbeit fortzusetzen. - Ab Mitte 1934 begann die Ab- teilung IE mit dem systematischen Aufbau des nationalsozialistischen Bauernschul- wesens. Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 135 6.2.3 Aufbau der Schulungsstätte des Reichsnährstandes 1934-1939 Unter der Trägerschaft des RNSt wurde in jeder der 20 Landesbauernschaften eine Bauernhochschule eingerichtet; 14 sie hießen auf Anordnung Darres vom 13.12.1934 fortan "Bauernschulen "; "es gibt nur eine 'Bauernhochschule " die sich in Goslar befindet" (BA, RD 87/2, Nr. 275). Mit deren Aufbau war im Sept. 1934 begonnen worden (StA-Goslar: Abt. III, Fach 162, Nr. 4, Blatt 1)15. Sie nahm - wahrscheinlich - im Winter 1935/36 den Lehrgangsbetrieb auf (BA, RD 87/2-3, Nr. 359); in den Bauernschulen hatte er, wenn auch provisorisch, im Winter 1934/35 be- gonnen. Verbindliche Richtlinien traten erst am 11.1 0.1935 in Kraft (BA, RD 87/2- 5, Nr. 515);16 zugleich wurden die Landesbauernschaften angewiesen, bis zum Ja- nuar 1936 Schulordnungen, Lehr- und Arbeitspläne für das kommende Jahr im Ent- wurf vorzulegen. Ab 1936 kann man insofern vom Ansatz einer reichseinheitlichen, zentral gelenkten Arbeit in den Bauernschulen des RNSt sprechen. Aufschluß dar- über, wie weit er realisiert wurde, gibt ein Schreiben Darres an den künftigen Abtei- lungsleiter JE Friedrich Klumm vom 9.2.1938: dort stellt Darre fest, "daß der Zu- stand der Bauernschulen in den Landesbauernschaften heute noch zu provisorisch" sei (StA-Goslar: Nachlaß Darre Nr. 129, S. 16). Von den fünf Reichsschulen des RNSt neben der Bauernhochschule ist hier die 1939 aufgebaute "Bauernführerschule " in Goslar zu nennen, die die ehrenamtlichen Bauernführer bis zur Ebene der Kreisbauernführer erfaßte (BA, R 16 (Zug. 71)/2047); die große Masse der Ortsbauernführer durchliefen weiterhin die Bauern- schulen. Die Hochschule bildete die Funktionäre und Lehrer weiter. 6.2.4 Das Ende der Bauernschulen Mit Kriegsbeginn kam die Bauernschulung durch den RNSt weitgehend zum Er- liegen. 17 Endgültig eingestellt wurde sie nach der Amtsenthebung Darres im Mai 1942. Sein Nachfolger Herbert Backe löste die Reichshauptabteilung I auf und über- trug ihre Arbeit auf das "Reichsamt für Agrarpolitik" - ab 1.4.43 "Reichsamt für das Landvolk" - in der NSDAP; dort wurde im April 1943 die Stelle eines "Reichs- beauftragten für das Landvolk" geschaffen, der fachlich und disziplinär dem Reichsamt, in weltanschaulichen und schulischen Belangen dem Reichs- organisationsleiter - Hauptschulungsamt - unterstand. 18 Damit hatte Backe einen seit 1935 zwischen Darre und Ley schwelenden Konflikt über die Schulungsarbeit des RNSt beendet, die mit Maßnahmen der Erwachsenenbildung durch die Deutsche Arbeitsfront ('sozialpolitische Betreuung' der Landarbeiter durch die Reichsbe- triebsgemeinschaft XIV) erfolgreich konkurriert hatte und die das Monopol der Par- 136 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich tei für die weltanschauliche Schulung unterlief. 19 Weltanschauliche Schulung mach- te - seit 1932 - den wichtigsten Teil der Arbeit der Bauernschulen aus. 6.3 Pädagogische Organisation der nationalsozialistischen Bauernschule und Bauernhochschule Material zu diesem Kapitel, wie Lehr- und Arbeitspläne, Schulungsunterlagen, Richtlinien, Teilnehmer- und Mitarbeiterlisten u.s.w., liegt leider nicht vor; es wurde in der Regel kurz vor Kriegsende vernichtet. Ersatzweise Auskunft gibt die Disserta- tion des Frhr. von Lepel, des ehemaligen Leiters der Kurhessischen Bauernhoch- schule, in der Lehrplan und Lehrinhalte ausführlich dargestellt werden. Über Ziel und Aufgabe der BauernChoch)schulen informiert deren Geschichte. 6.3.1 Ziel und Aufgabe Die Bauernschulungsarbeit dei Nationalsozialisten war von Anfang an Führer- schulung (vgl. Abschnitt 6.2.1), zielte auf Elite-, nicht auf Volksbildung. Die erste staatliche Aufgabenbeschreibung repräsentierte noch einen völkisch-nationalen - na- tional-sozialistischen Kompromiß: der "Volksgenosse", der "sein Erbe aus Blut und Boden wehrhaft zu wahren weiß", und die "aufbrechenden Kräfte des bäuerlichen Volkstums" sollten "mit den Kräften des Evangeliums durchdrungen" werden (Richtlinien I); doch wurde von den Nationalsozialisten gleichzeitig bereits "der Rassenkunde ... sowie der Vererbungslehre oder Eugenetik zur geistigen und körper- lichen Gesunderhaltung des Landvolkes ein bevorzugter Platz in der Ausbildung" eingeräumt (Rust, S. 232). Diesen Programmansatz konnte Darre zweifellos fort- schreiben, als er die Bauernhochschulen zwecks "Prägung eines Führertyps durch härtere Führererziehung" übernahm (Lepel, S. 42). - Die Zielsetzung spiegelt den frühen Anspruch auf Elitebildung qua Führerauslese, der auch nach der Gründung der Bauernhochschule propagandistisch durchgehalten wurde. Tatsächlich waren und blieben die Bauernschulen des RNSt Kaderschulen. Dafür hatte sich die Erziehungsarbeit auf vier "lebenswichtige Gebiete" zu er- strecken: 1. Nachwuchspflege, 2. Kampf gegen die Landflucht, 3. "Erziehung zum politischen Wirtschaftsdenken, besonders zum Leistungswillen", 4. "Erziehung zu nationalsozialistischem Denken und die Schaffung eines ausgelesenen und klar aus- gerichteten Bauernführertums" (Lepel, S. 20). Die deutliche AufgabensteIlung darf nicht täuschen über die - zumindest anfängliche - didaktische Konzeptionslosigkeit (vgl. Abschnitt 6.2.3). Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 137 6.3.2 Schul- und Unterrichtsorganisation Den Arbeitsspitzenzeiten in der Landwirtschaft Rechnung tragend, fanden in je- der Bauernschule pro Jahr drei je achtwöchige Lehrgänge mit 35-50 Teilnehmern statt,20 und zwar zwei für Jungbauern (im Spätherbst und Winter) und einer für Jungbäuerinnen (im Frühjahr); gemischte Lehrgänge gab es nicht. Teilnahme wie Unterbringung im Internat der Bauernschule waren kostenlos. Nach den Richtlinien von 1935 wurde in folgenden Fächern unterrichtet: Ge- schichte auf rassischer Grundlage; Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege; bäuerli- che Kunst, bäuerliches Brauchtum; Singen und Tanzen; Leibesübungen (Lepel, S. 56). Stoffvorschläge waren dem Sonderbeauftragten für die Bauernschulen vor- zulegen, der sie unter Berücksichtigung landsmannschaftlicher Besonderheiten ver- einheitlichte. Soweit nicht evident, war die Funktion der einzelnen Fächer folgende: Geschichte: "Waffe im weltanschaulichen Kampf" (Lepel, S. 156); Kunst- und Brauchtum: "Gestaltung und Sinngebung der lahresfeste" sowie "Feste und Feiern im menschlichen Lebenslauf" unabhängig von "der Kirche und einer Priester- schicht" (Lepel, S. 160); Singen und Tanzen: Weckung "der stärksten gemein- schaftsbildenden Kräfte" (Lepel, S. 178); Leibesübung: Auslese durch ZÜchtung.21 Lehrbüchereien wurden ab 1936 zentral vom RNSt eingerichtet (BA, R 16/2257, Nr. 2 und Nr. 3). Doch noch 1938 mußte man der "Auswahl geeigneter Bücher für die Erziehung und Weiterbildung des Landvolkes ... besonderes Augenmerk zuwen- den (BA, RD 87/2-5). - Es ist fraglich, ob eine ihren Aufgaben angemessene Aus- stattung der Bauernschulen je erreicht wurde. 6.3.3 Schüler, Lehrer und Lagergemeinschatl Selbstredend wurden diejenigen, die das Führerkorps des Reichsnährstandes bil- den sollten, "ausgelesen", d.h. sie wurden zum Bauernschullehrgang "einberufen"; eine freiwillige Bewerbung war grundsätzlich möglich, doch läßt die massive Wer- bung darauf schließen, daß sie nicht eben häufig vorkam. "Werbung und Benennung geeigneter Schüler" oblag den Jugendwarten bei den Kreisbauernschaften (BA, RD 87/2-6); aber auch die "Altschülerringe" (vgl. unten) , die Hl und die Abteilung IE selbst bemühten sich werbend, "die Auslese der Landjugend" zu erfassen (Lepel, S. 219). Als Auslesekriterien galten charakterliche und berufliche (landwirtschaftliche Fachausbildung) Eignung und Bewährung in der NSDAP. Mindestalter für männli- che Teilnehmer war 20 für weibliche 18 Jahre; teilnahmeberechtigt waren die Söh- ne und Töchter deutscher Landarbeiter und Bauern.2.:.i. - Eine "Anerkennung und Auszeichnung" der "bewährtesten" Absolventen der Bauernschulen bedeutete die 138 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich "Einberufung" an die Bauernhochschule nach Goslar, für die zusätzliche Aufnah- mebedingungen galten (BA, RD 87/2-5). Die 'Ehemaligen' der Bauernschulen - vordem in Vereinen auf freiwilliger Basis organisiert - hatten per Anordnung vom 2.12.37 "Ringe" zu bilden (BA, RD 87/2-5. Nr. 19), in die allein bewährte Schüler zur "tatkräftigen Mitarbeit am weiteren Auf- bau des Nationalsozialismus" aufgenommen wurden (Lepel, S. 205). Die Ringe der Bauernschulen und Bauernhochschulen waren im "Reichsring " zusammengeschlos- sen, dessen Führer vom Reichsbauernführer persönlich ernannt wurde. Bedingungen wie Ziele des Ringwesens zeigen, daß es einer "ständigen politischen Überwachung auch der Ehemaligen" diente (Muth, S. 444). Zur Kontrolle und Disziplinierung wie zum Aufbau neuer Identität eignete sich auch die Lagergemeinschaft, die Schüler und Lehrer bildeten. Sie sollte auf "solda- tischer und kameradschaftlicher Grundlage" aufgebaut sein (Lepel, S. 198); ihre Leitbegriffe waren Gehorsam, Disziplin, Kameradschaft und Ehre. Auf die Me- chanismen der Gemeinschaftserziehung kann hier nicht mehr eingegangen werden. Der Lagerbegriff deutet sie an. Jede Bauernschule sollte neben dem Schulleiter nach Möglichkeit zwei haupt- amtliche Lehrkräfte haben; davon sollte einer ausgebildeter Sportlehrer sein (Lepel, S. 56). Rekrutierung und Ausbildung der Lehrer scheinen Schwierigkeiten bereitet zu haben, obwohl weltanschauliche Zuverlässigkeit zumindest neben fachlicher Qualifikation rangiert, womit die 'pädagogischen Naturtalente' ihre Chance hatten; wissenschaftliche Ausbildung war nicht zwingend gefordert. Noch 1938 klagte Dar- rt!, daß "das Lehrermaterial noch nicht einheitlich genug und nicht genügend ausge- kämmt" sei (an Klumm vom 9.2.1938, ebd.) . - Alle Bauernschulleiter und -lehrer wurden zweimal im Jahr zu einem Lehrgang in der Bauernhochschule zusammenge- faßt, um "zumindest nach außen hin doch eine einheitliche Richtung" zu erreichen (Lepel, S. 56). Solche Aussagen sprechen nicht gerade für planvolle und überzeugte pädagogische Arbeit in den Bauernschulen. 6.4 Zusammenfassung Auch im Dritten Reich, und zwar unter der Trägerschaft des RNSt, dauerte ländliche Erwachsenenbildung an. Zwar änderte sich ihr Programm radikal, doch ist durchaus fraglich, wie weit es sich im Unterricht durchsetzte. Gänzlich andersartig war die Organisation der Bauernschule/Bauemführerschule/Bauernhochschule als Internatsschule. Eigenem Anspruch nach waren sie Ausleseschulen, nicht etwa Bil- Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 139 dungsangebot für die ländliche Bevölkerung. Sie betrieben differenzierte - dreistufi- ge - Führerbildung; auf der untersten Ebene arbeiteten die Bauernschulen. Ihnen hat es an pädagogischem Konzept gemangelt. Die Perspektiven ihrer Arbeit waren er- ziehungspolitische: Durchsetzung (1932/33) und Sicherung der Herrschaft der NSDAP durch Einbindung in diese und Identifikation mit dem Nationalsozialismus. Noch 1942 sinnierte Hitler über "die Einrichtung einer Großzahl von Bauernschu- len ... und Wehrbauernhöfen " in den besetzten Gebieten (Picker, S. 202). Die Bau- emschulen sollten auch im "kommenden Reich" (ebd.) Herrschaftsinstrument blei- ben. 6.5 Anmerkungen 1 Die Aufsätze von Keim, Keim/Urbach, Muth und Urbach; dazu die Ausführun- gen von Keim/Urbach, 1970 und 1976. Die Monographien von Pöggeler und Ver- aguth über die konfessionelle Erwachsenenbildung geben keine Auskunft für die Zeit 1933-1945. 2 Das gilt auch für das Handbuch der EB: im Epochenüberblick (von Urbach) fehlt die ländliche Erwachsenenbildung; im institutionsgeschichtlichen Teil werden Bauernschule und Bauernhochschule nicht erwähnt; im motivgeschichtlichen Teil wird die NS-Zeit sowohl im Artikel "Geschichte der ländlichen Erwachsenenbil- dung" (S. 287 ff.) wie im Artikel "Geschichte der politischen Erwachsenenbildung" (S. 298 ff.) ausgelassen, in letzterem mit dem Argument, es sei nicht um "politische Bildung im eigentlichen Sinne" gegangen (a.a.O., S. 311). 3 V gl. Jürgen Unverhau: Ländliche Volksbildung im Dritten Reich. Diplomar- beit Hochschule der Bundeswehr, Hamburg 1978. 4 Angesichts der Zielgruppe ist - ländliche oder bäuerliche - "Volksbildung" der unpräzisere Begriff. Bauernhochschulen hießen die Einrichtungen, die - allge- meine - Weiterbildung für die erwachsenen Angehörigen des Bauernstandes anbo- ten; zur Terminologie vgl. Löwenkamp, 1930, S. 68. 5 Keim/Urbach, 1970, bleiben hier sehr lückenhaft; deshalb wird eine ausführli- chere Bibliographie für den genannten Zeitraum vorgelegt. 6 Zur nationalsozialistischen Agrarpolitik vor und nach 1933 vgl. Farquharson, Gies und Haushofer. 140 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 7 "Nationalsozialistische Landpost" vom 25.8.1930 (StA-Goslar, Nachlaß Dar- reNr.85b). 8 Dazu Gies, 1967, 1968; Farquharson. 9 Als Ernennungsdatum gibt Friehe selbst Januar 1932 an (BA, NS 26/956). Die Denkschrift (undatiert) wurde im Juli 1931 verfaßt. (BA, NS 22/1054). 10 Dazu Flemming; Lepel (S. 53); Tonscheidt, 1933a. 11 Diese Stelle wurde schon Anfang 1933 umgewandelt in das "Referat für Bau- ernhochschulfragen" im - nunmehrigen - Reichsamt für Agrarpolitik der NSDAP (Freise, S. 34). 12 Über ein genaues Gründungsdatum liegen keine Nachweise vor. 13 Zum "Sonderbeauftragten für die Bauernschulen " ernannte Darre am 1.11.34 Dr. Kurt Winter (BA, RD 87/2, Nr. 252); ab 1939 war er "Sonderbeauftragter und Inspektor für das gesamte Schulwesen des Reichsnährstandes" (BA, R 16 (Zug. 71)/2047). 14 Darre plante ursprünglich, in jedem Landkreis eine Bauernschule zu errich- ten, was jedoch an den Kosten und am Personalmangel scheiterte. Unter der Träger- schaft des RNSt blieben damit von den geschätzten 80 (Löwenkamp, 1930, S. 65) bzw. 60 (Miller) entsprechenden Institutionen nur etwa ein Viertel bzw. ein Drittel übrig, nämlich 23 (in Ostpreußen, Pommern und Thüringen gab es je zwei Bauern- schulen). 15 Darre plante darüber hinaus, den ganzen RNSt von Berlin nach Goslar zu verlegen (BA, RD 87/2, Nr. 153). Auf beide Vorgänge kann hier nicht eingegangen werden. 16 Die Richtlinien selbst liegen nicht mehr vor. 17 Einzelheiten in den Dienstnachrichten des RNSt (BA, RD 87/2-7). 18 Abkommen zwischen Backe und Ley vom 1.4.1934 (BA, NS 22/850); die ei- nigermaßen verworrenen Zuständigkeiten können hier nicht genauer rekonstruiert werden. Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 141 19 Den Stationen dieses Kompetenzstreites kann hier nicht nachgegangen wer- den; vgl. bes. BA, NS 22/667 und 851. 20 Es ergibt sich damit eine Jahreskapazität aller Bauernschulen von höchstens 3450 Absolventen. 21 Für Darre das zentrale Fach (Darre, 1935). Es gab eigens eine Reichsschule des RNSt für Leibesübung (Burg Neuhaus). 22 Aus dem Bauernstand kamen 90% bzw. 80% der Teilnehmer. Unter den weiblichen Teilnehmern waren 7% Töchter von Kaufleuten und Beamten (Lepel, S. 216 ff.); dieser erstaunliche Sachverhalt spiegelt das Bemühen der Machthaber, die weibliche Jugend für die Landwirtschaft zu gewinnen. 6.6 Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Koblenz (zit. als: BA) R 16: Reichsnährstand/Reichsbauernführer R 16 (Zug. 71): Reichsbauernrat R 21: Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 87: Amtsdrucksachen des Reichsnährstandes: -/2: Dienstnachrichten des RNSt -/16: Archiv des RNSt NL 94: Nachlaß Darre NS 22: Reichsorganisationsleitung der NSDAP NS 26: Hauptarchiv der NSDAP NS 35: Reichsamt für das Landvolk Stadtarchiv Goslar (zit. als: StA - Goslar) Nachlaß Darre: Nr. 85b, 129, 130,292 Akten betr. Bauernhochschule Goslar 1934: Abt. III/Fach 162/Nr.4 142 Ländliche Erwachsenenbildung im Dritten Reich 6.7 Literatur 1930 -1945 Adickes, Wilhelm: Wege zur geistigen Durchbildung des deutschen Bauern. 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Daß sich nicht wieder- holen darf, was damals im Deutschen Reich geschah, daß die Formen national- sozialistischer Herrschaft nicht wieder aufleben sollen, gehört zur historisch-politi- schen Legitimation unserer Gesellschaft. Der daraus erwachsenden Informations- pflicht2 haben sich auch die Erziehungshistoriker zu stellen. Die Erziehung der Ju- gend war ohne Zweifel eine der Säulen des nationalsozialistischen Systems. Der vorliegende Aufsatz wendet sich einer erziehungshistorisch kaum erforschten Insti- tution zu: dem "Bund Deutscher Mädel" (BDM.) in der Hitler-Jugend3. 7.1 Der nationalsozialistische Erziehungskreis Daß Erziehung als politische Kontrolle ein hervorragendes Instrument seiner Herrschaft war, hat Hitler nie verholen. Für diesen Sachverhalt prägte die national- sozialistische Propaganda die Metapher vom "Kreis der Erziehung", den die NSDAP, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände um das deutsche Volk zu ziehen beabsichtigte bzw. beanspruchte; sie wurde von Hitler nach der "Machter- greifung" oft und gern zitiert: "Der Knabe, er wird eintreten in das Jungvolk, und der Pimpf, er wird kommen zur Hitlerjugend, und der Junge der Hitlerjugend, er wird dann einrücken in die SA., in die SS, und die anderen Verbände, und die SA.-Männer und die SS.-Männer wer- den eines Tages einrücken zum Arbeitsdienst und von dort zur Armee; und der Sol- dat des Volkes wird zurückkehren wieder in die Organisation der Bewegung, der Partei, in SA. und SS., und niemals mehr wird unser Volk dann so verkommen, wie es leider einst verkommen war!,,4 Mit Ausnahme der Hitler-Jugend5 wurde der nationalsozialistische Erziehungs- kreis von Institutionen gebildet, deren gesellschaftliche Aufgaben wenig mit Erzie- hung zu tun hatten. Über den gemeinten Erfassungsprozeß äußerte sich Hitler zwei Jahre später vor Parteiführem mit der Arroganz der Macht: 152 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend "Da kommt eine neue deutsche Jugend, und die dressieren wir schon von ganz klein an für diesen neuen Staat... Und wenn nun dieser Knabe und dieses Mädchen mit ihren zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen ... dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger [Heiterkeit und Beifall], sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei oder in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen ... Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewußtsein oder Stan- desdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehr- macht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter - und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!,,6 Dem in dieser Darstellung des Erziehungskreises durchschlagenden Zynismus darf man glauben: es geht nicht um Erziehung, zumindest nicht um Erziehung im humanistischen Verständnis, sondern um Entpersönlichung, um - lebenslange - Er- fassung 7: die Erzieher treten dem Zögling gegenüber als Eroberer auf. Und sie arbeiteten grundsätzlich gegen die traditionellen, die bürgerlichen Erziehungsträger und Sozialisationsagenten (Elternhaus, Schule, Kirche), sofern bzw. so lange diese nicht angepaBt oder "gleichgeschaltet" waren. Nicht-konforme Erziehung, abweichendes Bewußtsein, Individualität wurden als Chance für Freiheit begriffen und - Gefahr erkannt, Gefahr gebannt - als abartig gebrandmarkt. Die Schlagworte und Mechanismen des nationalsozialistischen Erziehungspro- gramms sind im großen und ganzen bekannt8. Es war weder in der Organisation noch in der Begründung, weder praktisch noch theoretisch ein geschlossenes oder gar konsistentes pädagogisches System9. - Sein Leitbild war das des "politischen Soidaten"lO. Die weibliche Bevölkerung schließt es zunächst einmal aus. Daß Hit- Zer die Mädchen und Frauen bzw. deren Organisationen bei der Beschwörung des Erziehungskreises vergiBt oder gerade en passant erwähnt, signalisiert diesen Um- stand. Sie gehören nicht in die - mit dem Leitbild vorfiesteIlte - politische Welt. Auch oblag es ihnen nicht, "für Deutschland zu sterben" 1, sondern Deutschland re- spektive dem Führer Kinder "zu schenken". Nationalsozialistische Erziehungspro- paganda übertrug die Kampfmetaphorik jedoch geschickt und einprägsam auf die der Frau offiziell angewiesenen sozialen Bereiche: Küche bzw. Haus und Hof, Kind- Der Bund Deutscher Mädel in der Ritler-Jugend 153 bett und Wohlfahrt; auf diesen "Schlachtfeldern" wurde entsprechende Aufopferung verlangt. Daß nach der "Machtergreifung" auch die weibliche Jugend politisch erfaßt wurde, war historisch gesehen zwangsläufig. Ihre Integration in den nationalsoziali- stischen Erziehungskreis folgte derjenigen der männlichen Jugend, blieb jedoch we- sentlich unvollständiger. Ein Programm für die "Mädelerziehung" wurde nachge- schoben. Ihm fehlte ein vergleichsweise verbindliches Leitbild, der eindeutigen Rol- lenzuweisung für die Frau im Dritten Reich und deren anthropologischer Fundie- rung zum Trotz. Dies ist vorherrschender Meinung entgegen eigens nachzuweisen; es soll im folgenden geschehen. 7.2 Der BDM als Erziehungsinstitution 7.2.1 Forschungsstand und Fragestellung Das wichtigste Segment des nationalsozialistischen Erziehungskreises war die Hitler-Jugend, und zwar in entwicklungspsychologischer wie in politischer Hin- sicht: Sie erfaßte die deutsche Jugend für die längste Zeit - für acht Jahre - und, was die Mädchen betraf12, mit der größten Vollständigkeit13. Sie ist als Institution relativ gut erforscht l4, wenn auch weder durch erziehungshistorische Arbeiten 15 noch in pädagogischer Hinsicht. Der BDM. wird allerdings gar nicht oder nur am Rande be- handelt. Neueste Studien thematisieren die Kontinuität zwischen der deutschen Ju- gendbewegung und der Hitler-Jugend und die Hitler-Jugend im Verhältnis zu den traditionellen pädagogischen Instanzen 16. - Daß der BDM., seine Geschichte und seine "Erziehungsarbeit" in der Literatur nach 1945 vernachlässigt wird, mag damit zusammenhängen, daß der Verband der männlichen Jugend nicht nur im Bewußtsein der Machthaber den wesentlichen, sondern im Blick auf Schulung und Förderung der Jugend 17 auch tatsächlich den bei weitem gewichtigeren Teil der Institution aus- machte. Zum Desinteresse der historischen Forschung am BDM. kann ebenfalls die naheliegende Vermutung beigetragen haben, er ziele doch nur darauf ab, deutsche Mädchen zu deutschen Müttern und Hausfrauen zu erziehen. Solche vom propagan- distischen Anschein bestärkten Vermutungen treffen indes nicht zu. Im BDM. wurden keineswegs nur die notorischen sozial- und rassen- ideologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten über die Frau pädagogisch um- gesetzt; ebenso wenig läßt sich aus ihnen die Erziehung in dieser Institution schlüs- sig ableiten. Vielmehr richtete sie sich nach gesellschaftlichen Anforderungen, die weniger und weniger mit dem Mutter-Hausfrau-Ideal zu tun hatten und nur noch 154 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend rhetorisch mit ihm in Einklang zu bringen waren. Es ist inzwischen ausreichend be- legt, daß die Nationalsozialisten mit der von ihnen legitimierten Frauenrolle nicht auskamen, daß sie die Frauen massiv für - in ihrer eigenen Terminologie - "artfrem- de" Zwecke anwarben und beanspruchten18. Historisch-materiell gesehen verlor das sozialbiologische Leitbild und Erziehungsideal "Mutter" seine ökonomische Basis, als mit Remilitarisierung und Rüstungswirtschaft die Arbeitslosigkeit nicht nur be- seitigt wurde, sondern ein empfindlicher Mangel an Arbeitskraft sich einstellte. Die Frage ist, ob und wie dann im BDM. auf diese Entwicklung reagiert wurde, wie sich in dessen politisch-pädagogischer Arbeit der Widerspruch zwischen realem Einsatz und ideologischem Anspruch zeigte. - Vorgreifend sei gesagt: daß der Widerspruch blieb, da man praktisch die außerhäusliche Tätigkeit der Frau förderte, zu der die Organisation selbst ja schon beitrug, diese Entwicklung theoretisch aber nicht verar- beitete, sie vielmehr unter die weltanschaulich vorgegebenen Begriffe und Normen zu bringen trachtete. Diese ideologische Anstrengung ist am Bemühen um ein päd- agogisches Leitbild im BDM. zu erkennen. 7.2.2 Grundsätze nationalsozialistischer Erziehung und pädagogische Leitbilder des BDM Die - wenigen - Grundsätze nationalsozialistischer Erziehung rekurrierten auf Hitlers Vorstellungen. Danach kam es bekanntlich in erster Linie auf "das Heran- züchten kerngesunder Körper", sodann auf "die Charakterschulung" und zuletzt auf "wissenschaftliche Schulung" an19. Die Spezifizierung für die Mädchenerziehung erschöpfte sich in dem Hinweis: "Das Ziel weiblicher Erziehung hat unverzichtbar die kommende Mutter zu sein ,,20. Das galt selbstverständlich auch für den BDM.; dennoch wurde hier diese im allgemeinen unermüdlich bestätigte Zielvorstellung auf bezeichnende Weise paraphrasiert. Zunächst galt der im H.-J.-Gesetz festgeschriebene formale Erziehungsauftrag: "Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitler-Ju- gend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen" (§ 2). Dazu wollte man im BDM. gegen den "blassen Gretchen- und Kätchentyp" und vor allem gegen den "bürgerli- chen Backfisch" und die "höhere Tochter" - Typen und Leitbilder, die "in der heu- tigen Zeit aber auch ~ar keine Existenzberechtigung mehr" hätten - das "deutsche Mädel" heranziehen2 . Der Ansatz klingt realistisch; doch wird die behauptete hi- storisch-soziologische Einsicht keineswegs expliziert; eine entsprechende Ableitung oder Begründung des neuen "Mädeltyps" wurde nicht vorgenommen. Interessanter- weise setzten die Reichsreferentinnen des BDM. bei seiner Beschreibung unter- schiedliche Akzente; ein Wandel des Leitbildes zeigt sich auch in der von der Der Bund Deutscher Mädel in der Ritler-Jugend 155 Reichsjugendführung (im folgenden: RJFg.) herausgegebenen einschlägigen Litera- tur; und zwar ein Wandel vom Typ "frisches deutsches Mädel" (1934) über den Typ "hilfsbereite Kameradin" (ab 1937) zum Typ "tapferes Mädel" bzw. "heldische Frau" (im Kriege, etwa ab 1942) mit jeweils angemessener Attribuierung aus dem Katalog der dem "deutschen Mädel" zuerkannten und durch Erziehung zu verstär- kenden Dispositionen und Eigenschaften: natürlich, "blitzsauber", gesund und sportlich; tüchtig, züchtig, einsatzbereit; mütterlich, opferbereit, tapfer und treu22. Der "Mädeltyp", den "die heutige Zeit" erforderte, änderte sich also bereits in dieser, so daß ein eindeutiges Leitbild gar nicht gegeben war. Solche Wandlungen wurden allerdings nicht reflektiert oder bewußt gemacht: an ihnen deutet sich die Anpassung normativer Vorgaben nationalsozialistischer Mädchenerziehung an die politische und gesellschaftliche Entwicklung immerhin an23. Der Nenner für Hal- tung und Tätigkeit, die die Nationalsozialisten insbesondere der weiblichen Bevöl- kerung abverlangten, hieß "Dienst". Diese programmatische Maxime aller national- sozialistischen Erziehungsinstitutionen sucht die - zukünftige - Praxis der zu Erzie- henden kategorisch zu bestimmen; eine Norm, die Erziehung selbst legitimierte, ist mit ihr noch nicht formuliert. Aus ihr ergeben sich lediglich jene notorischen 'sekun- dären Tugenden' (Gehorsam, Zucht, Disziplin, Treue), die Gesinnung bilden; verant- wortliches - moralisches - Handeln wird nicht angeleitet. "Dienst" ist die passive Form des "Kampfes", in den die Nationalsozialisten den deutschen Mann gestellt sahen (und stellten) und bezeichnet in dieser Hinsicht die dem Leitbild Mutter und Hausfrau zugeordnete Praxis; sie bleibt heteronom. Die Zuordnung ist der Kern der nationalsozialistischen Erziehungsideologie die Frau betreffend, die zirkelschlüssig aus der biologischen Natur die gesellschaftliche Stellung ableitete und diese wieder- um zum Wesenbeweis erhob. Darauf ist zurückzukommen. Die rhetorische Stärke der aus der bürgerlichen 'Bestimmung des Weibes,24 übernommenen und schließlich bis heute geläufigen Argumentation ist ein Grund dafür, daß die Nationalsozialisten kein neues Leitbild "weiblicher" Erziehung for- mulierten, als das zum allgemeingültigen, allgemeinmenschlichen stilisierte alte Funktion und Rolle der Frau im Dritten Reich nicht mehr deckte. Es hätte den Ver- zicht auf bewährte Weltanschauung bedeutet, die scheinbar zwingend als Natur der Sache ausgab, was nationalsozialistische Herrschaft erforderte: die politische und gesellschaftliche Unmündigkeit. Training und Einsatz der weiblichen Jugend für po- litisch gesetzte Zwecke konnte unter der Maxime "Dienst" jederzeit als Erziehung ausgegeben werden. Die Unstimmigkeit zwischen pädagogischem Leitbild und rea- ler Praxis blieb auf theoretischer Ebene verschleiert. In Erziehungsideologie und -propaganda läßt sie sich allenfalls durch Nachfragen anschneiden. An Hitlers oft zi- tierter Aufforderung beispielsweise: "Und ihr im BDM. erzieht mir die Mädchen zu 156 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend starken und tapferen Frauen ,,25, könnten die Attribute auffallen; sie sind nicht selbstverständlich; zu fragen wäre dann, warum oder für welche "weibliche" Be- stimmung denn gerade "starke und tapfere" Frauen erzogen werden sollten. 7.2.3 "Selbstführung" und pädagogische Autonomie Das institutionelle Legitimationsprinzip der Hitler-Jugend hieß "Selbstfüh- rung". Mit dem "großen und weisen Wort 'Jugend muß von Jugend geführt wer- den', das der Führer mir einst in der schwersten Zeit des Kampfes auf meinen Weg mitgab,,26, wurde der Anspruch der Jugend auf Eigenständigkeit und ihre Forderung nach Selbstbestimmung verbal anerkannt. Man gab vor, beides in der Hitler-Jugend einzulösen, und borgte damit vom Ethos der deutschen Jugendbewegung, ohne es tatsächlich zu verdienen. Die begrenzte Realität und Reichweite des "großen Wortes" zeigt sich an seiner Formalisierung und seiner Pädagogisierung. Zum einen wurde "Selbstführung" in der Organisation mit deren hierarchischen Aufbau nach dem Führerprinzip gerade abgebaut; Führung durch jugendliche Führer konstituiert nicht schon selbst- bestimmte Führung. Die entscheidende Differenz zwischen formalem Prinzip und realer Entscheidungs- und Handlungskompetenz wird von Gemeinschaftsideologie überdeckt. "Selbstführung" reduzierte sich auf den Freiraum und den "jugendlich aggressiven Stil ,,27 der Führer und Führerinnen in der Hitler-Jugend, allen voran ih- rer hauptamtlichen Elite28. Für die Funktionärinnen des BDM. ist einzuschränken, daß sie der männlichen Führung untergeordnet waren29. Zum anderen wurde "Selbstführung " nicht politisch, sondern pädagogisch inter- pretiert, wurde zur "Idee", zum "Programm der nationalsozialistischen Erziehung überhaupt", zum "Programm einer deutschen Nationalerziehung" erhoben30. Von der Maßlosigkeit des Anspruchs abgesehen, wußte man dies Programm nicht anders denn in der immer und immer wieder beschworenen subjektiven Freiwilligkeit des Eintritts in die und des Dienstes in der Hitler-Jugend zu konkretisieren 31. Die von der Konzeptualisierung her völlig unglaubwürdige pädagogische Wendung hängt damit zusammen, daß die Hitler-Jugend sich nach der "Machtergreifung" als Erzie- hungsinstitution politisch legitimierte. In institutioneller Hinsicht ist allerdings eine Eigenständigkeit anzuerkennen. Sie wurde insbesondere gegen das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung durchgesetzt: "Der Jugendführer des Deutschen Reiches ist ausschließlich zuständig für alle Aufgaben der körperlichen, geistigen und sittlichen Erziehung der gesamten Deutschen Jugend des Reichsgebiets außerhalb von Eltern- Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 157 haus und Schule,,32. Die dem Reichsjugendführer (im folgenden: RJF) persönlich zugeschriebene pädagogische Zuständigkeit wurde selbstverständlich erziehungs- theoretisch begründet: Eine Fülle von Literatur sucht die Erziehung in der Hitler-Ju- gend als autonom und als notwendige Ergänzung der elterlichen und der schulischen zu erweisen, da sie an sich neu- und eigenartig sei. Ihre Neu- und Eigenartigkeit re- sultiere aus der - erstmals vollständigen - Berücksichtigung der "Natur" des jungen Menschen. Die Nationalsozialisten vermeinten oder gaben vor, diese zweifelsfrei er- kannt zu haben. Während also der pädagogische Auftrag selbst und zugegebenermaßen33 eine historische Errungenschaft der Hitler-Jugend war, begründete man dessen Pro- gramm anthropologisch. Danach müßten Erziehungsmittel wie -formen stimmig auf ein bestimmtes Men- schenbild zurückgehen und zurückverweisen. Das ist für den BDM. aber nicht der Fall. Die - ohnehin diffusen - pädagogischen Leitbilder deckten die Erziehungspra- xis34 ebensowenig wie die Zielvorstellung Mutter und Hausfrau die reale Rolle der Frau im Dritten Reich. Die angesprochenen Differenzen werfen die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Politik und Pädagogik und der Stellung der Erzie- hung im Rerrschaftsprozeß der NSDAP auf. Sie kann hier nur für einen Teilbereich beantwortet werden. Dazu ist die Kenntnis der Geschichte des BDM. unerläßlich; eine zuverlässige Darstellung liegt jedoch nicht vor; sie an dieser Stelle mitzulie- fern, ist unmöglich. Die folgende Rekonstruktion beschränkt sich auf einen Über- blick der für die Erziehungsgeschichte wichtigen Daten und Entwicklungen und er- gänzt in Fußnoten solche der politischen Geschichte, die im jeweiligen Zusammen- hang erforderlich sind. 7.3 Geschichte und Auftrag des BDM 7.3.1 1924-1933 Nach parteiamtlicher Lesart schlossen sich 1929 in Sachsen und München die ersten Mädchen zur "Schwesternschaft der NSDAP" zusammen und bildeten 1930 mit allen nachfolgenden Mädchengruppen den "Bund Deutscher Mädchen in der Ritler-Jugend". Diese Darstellung ist unzutreffend; mutmaßlich erfand man sie, um die diskontinuierlichen Anfänge des BDM. mit unterschiedlichsten und auch kon- kurrierenden Gruppen einzelner P!lrteigliederungen und in der nationalsozialisti- schen Jugendbewegung seit 19243:> zu einem geradlinig-erfolgreichen Geschichts- verlauf zu verschönen. Im übrigen wurde der männlichen Jugend das historische 158 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend Erstgeburtsrecht gegeben. Hitler hatte sie sich 1926 auf dem Parteitag in Weimar of- fiziell als "Hitler-Jugend" persönlich zugeeignet36. Sie war seine "Kampf jugend": Instrument zur Eroberung der politischen Macht und als solches der SA eingeglie- dert37. Den Mädchengruppen, hemach dem BDM?8 fiel die "natürliche" Aufgabe zu, die "Kämpfer" zu betreuen und für "die Bewegung" zu sammeln und zu wer- 39 ben . 7.3.2 1933-1936 Nach der "Machtergreifung" wurden solche pflegerischen und agitatorischen Dienste überflüssig. Der BDM. mußte sich - mit der Hitler-Jugend - neu legitimie- ren, er mußte neue Aufgaben finden. Das bisher gepflegte Image "tätige Hilfe" und die Grundeinstellung "Dienst" waren für Umorientierung offen. Die neue Aufgabe der Hitler-Jugend hieß zunächst "Kampf um die Einheit" oder auch "Kampf um die deutsche Jugend", deren "hundertprozentige Erfassung" avisiert wurde; hierzu konnte man den "Kampfauftrag" (und die dazugehörige Me- taphorik) fortschreiben 40. Die Funktion des BDM. war in dieser Phase - Frühjahr 1933 - unklar; in der Parteileitung wurde über die Notwendigkeit einer eigenen poli- tischen Mädchenorganisation gestritten. Es kam zu Ouerelen über die Führung der "NS Frauenschaft" (NSF), die vorübergehend vom BDM. wahrgenommen wurde41 , und Kompetenzstreit zwischen Reichsorganisationsleitung und RJFg42. In der Be- gründung seiner Zuständigkeit, im Ausbau seines Machtbereichs setzte v. Schirach ersichtlich auf die pädagogische Karte. Der BDM. wurde zum "bewußten Erzie- hungsbund,,43 wie die Hitler-Jugend zu einer "gewaltigen weltanschaulichen Erzie- hungsgemeinschaft" (Stereotyp) ausgerufen. Erziehung hat demnach als Mittel zur "Erfassung" der Jugend zu gelten. Die ausschließliche Verpflichtung der Hitler-Jugend auf den Führer blieb erhal- ten: "Was wir bisher erreicht haben, ist noch nicht fertig, aber wir werden es vollen- den; denn wir haben unsere Jugend, die schon heute uns allein gehört und die wir uns nicht nehmen lassen,,44. Damit wohnte der neuen, pädagogischen Aufgabe die politische Perversion von Anfang an inne: die deutsche Jugend war in der und durch die Hitler-Jugend für Hitlers Zwecke - welche immer - heranzuziehen. "Die Jugend ist uns verschrieben und verfallen mit Leib und Seele,.45. Unterhalb dieser ungeheu- ren Anmaßung wurde Erziehung, die sich die Zwecke der Jugend selbst zum Ziel setzt, schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Ihre Geschichte stellt das pädagogische Ethos der Institution in Frage. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 159 Nach der Ernennung des "Reichsjugendführers der NSDAP" zum "Ju- gendführer des Deutschen Reiches" und der Errichtung einer entsprechenden "Dienststelle" am 17.06.1933 waren Durchsetzung des Führungsanspruchs und in- nere Organisation vorrangig. Für "Mädelfragen" wurde eine "Reichsreferentin" er- nannt46, "die Mädelarbeit, die man lange verkannte und als grundsätzlich unnötig erklärte, mit in den Vordergrund gestellt,,47. In der zweiten Hälfte des Jahres galt es, die "großen Massen", die jetzt "zum BDM. strömten" zu integrieren 48. Dies erfor- derte ein funktionstüchtiges Erfassungssystem und vor allem Führungspersonal. Er- ziehung mußte auf Massenbasis gestellt, ihre Grundsätze mußten formuliert werden. Die seit 1934 in den "Neujahrsbotschaften " des RJF ausgegebenen Jahres-Parolen charakterisieren die Phase der Institutionalisierung: 1933: "Jahr des Aufbaus und der inneren Klärung"; 1934: "Jahr der Schulung"; 1935: "Jahr der Ertüchtigung"; 1936: "Jahr des Deutschen Jungvolks,,49. Die "Dienststelle" der RJFg. wuchs zu einer gewaltigen Behörde aus. Das pädagogische Instrumentarium des BDM. wurde im Laufe der ersten drei Jahre gefunden bzw. entwickelt. Hierzu gehörten nun im weiteren Sinne sämtliche organisierten Aktivitäten, ob Pflichtdienst (Sport und "weltanschauliche Schu- lung"), Arbeitseinsatz oder freiwillige soziale Dienste, da sie alle, da die ganze Pra- xis des BDM. als und für Erziehung reklamiert wurde. Dies ist ihre historische Ent- wicklung in Stichworten: 1934: Einrichtung von Führerschulungskursen und Stiftung des BDM.-Lei- stungsabzeichens; im betreffenden "Befehl" an die BDM.-Führerinnen bestimmte der RJF Hitlers Vorgabe50 entsprechend, daß ihre Ausbildung zu zwei Dritteln "kör- perlicher Ertüchtigung", zu einem Drittel "geistiger Schulung" gelten solle5l . Dies Verhältnis wurde auf die ganze Erziehung im BDM. übertragen. Für die körperliche Ertüchtigung, zu der auch "Körperpflege" und "Gesundheitsdienst" gehörten52, wurde der Samstag als "Staatsjugendtag ", für die geistige Schulung der Mittwoch- abend als "Heimabend" reklamiert53; Teilnahme war "Dienst", d.h. Pflicht; der schulfreie Samstag für alle Angehörigen der H.-J. konnte allerdings nicht durchge- setzt werden; man verlegte den s,port auf den Samstagnachmittag. - Aufruf zum er- sten "Reichsberufswettkampf,,5 , der als volkswirtschaftliches, sozialpolitisches und pädagogisches Instrument55 in der Tat zu "einem der größten Werke ,,56 der Hitler-Jugend zu zählen ist; die weibliche Jugend bezog er gleichberechtigt in das mit ihm entwickelte Schulungs-, Anreiz- und Leistungssystem ein. - Der BDM. wur- de ferner zur Mitarbeit am "Landjahr" und am "hauswirtschaftlichen Jahr" der schulentlassenen Mädchen herangezogen. Die Gründung von "Haus- haltungsschulen " des BDM. lief an. 160 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 1935: Zeltlager und Fahrt wurden fester Bestandteil des "Sommerdienstplans" der Hitler-Jugend; sie sollten der "Ertüchtigung", "Gesunderhaltung" und der "Ge- meinschaftserziehung" dienen. Für den BOM. insbesondere waren die Jugendher- ber§fn die Orte solchen "Dienstes", Zeltlager wurden 1937 für Mädchen verbo- ten . - Der BDM. veranstaltete sein erstes "Reichssportfest", einer der Vorläufer des "Reichssportwettkampfes": des jährlichen Mannschaftswettkampfes der Hitler- Jugend (ab 1936). 1936: Mit der "NS Volkswohlfahrt" (NSV) wurde Zusammenarbeit vereinbart; mit der Errichtung des "Mädellanddienstes" wurde nunmehr auch der BDM. wie seit 1934 die männliche Jugend im "Landdienst" ("Landdienstlager") und zur "Erntehilfe" eingesetzt. - Erlassen bzw. herausgegeben wurden: die "Dienstvor- schrift,,58, die "Disziplinarordnung,,59 und das H.-J.-Gesetz60. Damit sind Aufbau und Organisation, ist zugleich ein Prozeß politischer Disziplinierung abgeschlossen. 7.3.3 1937-1939 In den beiden folgenden Jahren wurde die "Erziehungsarbeit" konsolidiert. 1937, im "Jahr der Heimbeschaffung", wurde der Bau der "Heime der Hitler-Ju- gend" vorangetrieben: in jeder Gemeinde und durch diese sollte eine solche "Erzie- hungsstätte " für die "Gemeinschaftsarbeit" errichtet werden; daneben wurde der Ausbau der "Landdienstheime" gefördert. Die Jugendheime stellten ein pädagogi- sches Konkurrenzangebot insbesondere zum Elternhaus dar6l . - Die Führerschulung wurde vorangetrieben mit der Initiierung des "Führerschulungswerks der Hitler-Ju- gend" und der Grundsteinlegung zur "Akademie für Jugendführung,,62. 1938 wurde zum "Jahr der Verständigung" ausgerufen und sollte der Intensivie- rung der Auslandsarbeit dienen durch Begegnung vor allem in bi-nationalen Jugend- lagern; der RJF glaubte "an eine Zusammenarbeit der europäischen Jugend auf der Grundlage ... gegenseitigen Kennenlernens,,63. - "Führerinnenfünfkampf" (beim MB) und "Führerinnendreikampf" (beim JM) und mit ihnen das "Füh- rerinnensportabzeichen " wurden gestiftet. Zur Erziehung der 17-2ljährigen Mäd- chen unter der Zielsetzung "Glaube und Schönheit" wurde das gleichnamige BDM.-Werk gegründet64. Die RJFg. beschwor dadurch einen Konflikt mit der NSF herauf, die 1936 "Jugendgruppen" für die 18-30jährigen gebildet hatte65; er endete 1941 mit einem Kompromiß: der BOM. wurde zuständig für die "Erfassung und po- litische Erziehung der 18-21jährigen Mädel", die "fraulichen Erziehungsaufgaben" aber nahm die NSF wahr66. - Alle Angehörigen des BOM. wurden - nach Möglich- keit für ein Jahr - zur hauswirtschaftlichen Arbeit verpflichtet, womit man angeblich einen weiteren "Weg zur artgemäßen Mädelerziehung" beschritt67. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 161 1939, im "Jahr der GesundheitspflichC', sollte der Jugend eingeschärft werden, daß sie "ihre Leistungsfähigkeit durch vernünftige Lebensführung steigern" müs- se 68 . - Das Jahr zeichnet sich durch konkurrierende Aktivität aus: einerseits Fort- schritt und Vollendung: DVO zum H.-J.-Gesetz; gesetzliche Förderung der Heimbe- schaffung; Eröffnung der Akademie für Jugendführung; Gründung des "Begabten- förderungswerkes des Deutschen Volkes"; andererseits Vorbereitung auf den Krieg: durch organisatorische Maßnahmen ebenso wie durch die DVO zum H.-J.-Gesetz. Am 26.04.1939 informierte die BDM.-Reichsreferentin die Führerinnen der Ober- gaue über die Maßnahmen "bei Eintritt eines Kriegsfalles " und machte sie "für den restlosen Einsatz des BDM. auf allen Sondergebieten" verantwortlich69. Damit ist der BDM. in die politische Pflicht genommen. Am 01.09.1939 informierte der RJF: "die Einsatzbefehle für HJ und BDM. li%en bei den Gebietsführern vor, die im Mo- bilisierungsfalle eröffnet werden sollen" . 7.3.4 1939-1945 Im Kriege wurde die Hitler-Jugend wieder zur "Kampf jugend", wenn auch in gegenteiliger Funktion: nicht zur Eroberung der Macht, sondern zu deren Auswei- tung bzw. Erhaltung. Dabei wurde der BDM. ungleich stärker gefordert als vor 1933. Sein "Einsatz für den Sieg" (Stereotyp) steigerte sich ständig, ging über Akti- vitäten, auf die die Mädchen vorbereitet oder für die sie geschult (worden) waren weit hinaus und endete schließlich im militärischen Einsatz. Für Erziehung im enge- ren Sinne blieb entsprechend wenig Gelegenheit. Zwar sah der "Dienstplan" 1940 für sie noch die übliche "Dienstzeit" vor, untersagte aber bereits, mehr als diese an- zusetzen, und gab den "Einsatzdiensten" generell Vorrang71 . Sie hingen von der po- litischen Lage ab; Art und Umfang deuten sich in den Jahres-Parolen an: 1940: "Jahr der Bewährung"; 1941: "Jahr des Aufbaus in den neuen Gebieten"; 1942: "Osteinsatz und Landdienst"i 1943: "Kriegseinsatz der Hitler-Jugend"; 1944: "Jahr der Kriegsfreiwilligen,,7 . Der "Kriegseinsatz" des BDM. erfolfte für Partei und Wehrmacht, für Staat und Gemeinden, für Verbände und Betriebe7 ; er umfaßte seit 1940 neben Hilfsarbeiten in den entsprechenden Einrichtungen: turnusmäßige Sammlungen aller Art, Land- und Emteeinsatz, soziale und hauswirtschaftliche Dienstleistungen, kulturelle Akti- vitäten, Sonderkampagnen für das "Winterhilfswerk,,74 und immer wieder "Son- dereinsätze". Schwerpunkte waren: Betreuung von Soldaten, Verwundeten und Hin- terbliebenen; Gräberpfle~e; "erweiterte Kinderlandverschickung,,75; Umsiedlun~s­ hilfe und "Osteinsatz" 6; "verstärkter Berufseinsatz" und "Rüstungseinsatz" 7; endlich aktiver "Kampfeinsatz,,78. 162 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend Die Organisation paßte sich dem neuen Auftrag an: mit der Konzentration der Führung79, Verschärfung der DisziplinargewaltSO und Verordnung der "Jugend- dienstpflicht"Sl einschließlich diesbezüglicher Strafbestimmungen. Damit ist der Auftrag von 1933: die "hundertprozentige Erfassung der gesamten deutschen Ju- gend" endlich nicht durch "Erziehung", sondern gesetzlich sichergestellt worden. Formal gesehen wurde die Hitler-Jugend jetzt zur "Zwangsjugend"S2. Von "Frei- willigkeit" und "Selbstführung" war nicht mehr groß die Rede, Leistungs- und Ein- satzappelle standen auf der Tagesordnung. Dazu wurde die kollektive psychische Bindung verstärkt durch eine mitten im Krieg inaugurierte "Verpflichtung der Ju- gend": einer Feier zur Übernahme der 14jährigen in ihre Teilverbände ~HJ respekti- ve MB); hierbei gelobte die Jugend dem Führer ausdrücklich Gehorsam 3. Die pädagogische Arbeit des BDM. veränderte sich im Kriege nicht qualitativ. Im "Osteinsatz " und in der Kinderlandverschickung betrieb man nach eingeübtem Muster "körperliche Ertüchtigung", "weltanschauliche Schulung" und Berufslen- kung. Der Reichsberufswettkampf wurde "mit Rücksicht auf die zeitgemäßen Rüstungsaufgaben"S4 ausgesetzt; dafür richtete man 1941 "Ausleselager" ein, nicht nur, um die "Tüchtigsten" zu fördern, sondern vor allem, um sie nach kriegswirt- schaftlichen Gesichtspunkten einzusetzenS5. Ab 1941 wurde der reguläre H.-J.- Dienst für berufstätige Jugendliche eingeschränktS6. Schulung und Ausbildung ka- men mit dem totalen Kriegseinsatz zum Erliegen oder wurden eingestellt. Die Ent- wicklung ist regional unterschiedlich. Als Tendenz läßt sich formulieren, daß sich die H.-J.-Angehörigen verbissen durch das letzte Kriegsjahr kämpften, während sich die Einheiten auflösten, und die Institution schließlich mit dem Dritten Reich unter- ging. 7.3.5 Zusammenfassung: Gesellschaftliche Funktion und ideologische Präsentation des BDM Die Stichworte zur Geschichte des BDM. als eines "Erziehungsbundes" erhell- ten die Bedingungen seiner Arbeit: es ist die NSDAP, die ihm die Aufgaben zuweist: Erfassung, politische und volkswirtschaftliche Lenkung, sozialer, ökonomischer und militärischer EinsatzS7. Die Institution hatte demnach die gesellschaftliche Funk- tion, die weibliche Jugend an die NSDAP zu binden und für deren Herrschaft zu in- strumentalisieren. Diese Funktion läßt sich nicht auf Erziehung reduzieren. Die offi- zielle Darstellung des Auftrags und die offizielle Legitimierung des BDM. erweisen sich als ideologisch. Damit ist zugleich Zweifel am behaupteten Wandel von einer tagespolitischen zu einer pädagogischen Institution begründet. Zumindest liegt kein grundsätzlicher Funktionswandel, wohl aber eine Änderung der Arbeitsweise vor. Erziehung stellt also das Mittel - zu politischen und gesellschaftlichen Zwecken -, Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 163 nicht den Zweck des BDM. dar. Sie ist folglich auch an sich aus diesen Zwecken, nicht aus theoretischen Einsichten zu erklären 88. An zwei Beispielen seien diese Feststellungen erhärtet: am BDM.-Werk "Glau- be und Schönheit" und am "Kriegseinsatz" des BDM. 1. Nach offizieller Lesart verdankt sich das BDM.-Werk dem "erzieherischen Willen" des RJF89; der Gründungsvorgang90 weist diesen Willen als politischen aus. - Weiter sind nach offizieller Aussage Arbeit und Organisation des BDM.-Wer- kes auf die "natürliche Eigenart der reiferen Mädel" (im Vergleich zu den "Jungmä- dein" und der erwachsenen Frau) abgestellt: da nunmehr "die Disziplinierung und Einordnung" frei- und "der Bildung der Persönlichkeit" Raum gegeben werden könne, sei die Zugehörigkeit freiwillig und der "Dienst" nach weiblichen Interessensgebieten in Arbeitsgemeinschaften organisiert91 . Abgesehen von der Fra- ge, warum diese "biologische Entwicklungsstufe,,92 erst 1938 entdeckt wurde, ver- hält es sich mit der Verfügbarkeit der fraglichen Jahrgänge so: sie waren von der Dienstverpflichtung ("Pflicht jahr") betroffen und wurden zudem seit 04.09.1939 gesetzlich zum Reichsarbeitsdienst eingezogen (RGB I, S. 1693); beide "Einsätze" hatten Vorrang. Nach offizieller Darstellung wiederum hatte das BDM.-Werk das Ziel, "den Idealtyp junger deutscher Frauen zu prägen',93. Nüchterner sprechen die Dienstvorschriften davon, "das Mädel" sei zur "gemeinschaftsgebundenen Persön- lichkeit" zu erziehen und in ihre "Lebensaufgaben in Beruf und Familie einzu- führen,,94. Welche man dafür erachtete, zeigt das Angebot an Ar- beitsgemeinschaften auf den Gebieten: Haus- und Landwirtschaft, Sport/Gymnastik, Volkstum, Geselligkeit und Kultur, praktischer Einsatz (Gesundheitsdienst, Luft- schutz u.a.)95. Es diversifizierte in der Tat die pädagogische Arbeit des BDM., kam individuellen Interessen entgegen und trug erstmals musisch-ästhetischen Be- dürfnissen Rechnung. Dennoch lenkt es die Interessen und Bedürfnisse, und zwar zuerst nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten: über zwei Drittel aller Arbeits- gemeinschaften befleißigten sich "häuslicher Erziehung"; vorgeblich "frauliche" Eigenschaften und Anlagen wurden zur Entlastung des Arbeitsmarktes kultiviert. Offen stellte man fest: "Der Erfolg des Mädeleinsatzes wurde dadurch gesteigert, daß zur Jugendorganisation auch die Jahrgänge der 17-21jährigen gehörte: Unmit- telbar nach Kriegsausbruch wurden geschlossene Gruppen dieser Jahrgänge zu unaufschiebbaren Aufgaben eingesetzt,,96. Es verhält sich also so, daß das BDM.- Werk ein zusätzliches volkswirtschaftliches Instrument war; machtpolitisch gesehen sicherte es dem RJF Mitsprache beim Einsatz der begehrten Jahrgänge, die ihm ge- setzlich nicht zustand. Solcher Einsatz konnte nur deshalb immer auch als "frau- liche Erziehungsarbeit" ausgegeben werden, weil er im traditionell als 'weiblich' geltenden gesellschaftlichen Bereich lag. 164 Der Bund Deutscher Mädel in der Ritler-Jugend 2. Der UKriegseinsatz" des BDM. überschritt diesen Bereich. Der pädagogische Anspruch wurde aber keineswegs preisgegeben, vielmehr der jeweiligen "Einsatzla- ge " volltönend angepaßt97: Gerade zu Kriegsbeginn wurde Erziehung als "Hauptaufgabe" und "Kernstück" des - nunmehrigen - Jugenddienstes herausge- stellt; mit der Abnahme des eigentlichen Dienstbetriebes und der Zunahme der Ein- satzdienste in der - wahrscheinlich unerwarteten - Fortdauer des Krieges wurde dann die pädagogische Fürsorge betont, wurde ständig über Betreuungsmaßnahmen berichtet und auf einschlägige Schutzvorschriften verwiesen98. So sollten Einsätze "in der Regel" außerhalb der Schulzeit stattfinden und für "Jungmädel" noch vor Einbruch der Dunkelheit beendet sein; anfanglieh sollten sie möglichst am Heimat- ort erfolgen, später sollte unbedingt für Gemeinschaftsunterbringung gesorgt wer- den99. Wird in diesen gerade den Eltern gegenüber abgegebenen Versicherungen der "Erziehungsaufsicht" des BDM. 1OO zwischen Erziehung und kriegsbedingten Ein- sätzen noch unterschieden, so wurde dieser Unterschied in der Apotheose des Krie- ges als "der großen Bewährungsprobe" verwischt. Nach der Formel "Ertüchti- gung" und "Bewährung" wurde - wie bisher schon - jeder Einsatz pädagogisch le- gitimiert und seine ufreudige Bejahung" empfohlen; darüber hinaus erklärte man den Krieg für die Organisation zur Feuerprobe ihrer "Erziehungsarbeit" und für je- den einzelnen Angehörigen zur existentiellen Prüfung. Endlich wurde im Stile der Erlebnispädagogik der Krieg selbst als bildende Erfahrung schlechthin dargestellt. Dabei nahm man für die weibliche Jugend nicht den aktiven Kampf, sondern dessen indirekte Erfahrung als kritische Situation an. Die Kommentierung in den Schriften half jedoch nicht zur geistig-seelischen Verarbeitung, sondern schürte Emotionen zum Haß auf den Feind und zum fanatischen Einsatzeifer. Dies gipfelte in einer 'Vertrauensfrage': bedingungsloser Glaube an Führer und Endsieg wurde als Aus- weis und Beweis der individuellen Existenz verlangt. Die Erziehungspropaganda der RJFg. im Kriege ist die moralische Entblößung ihrer "Erziehungsarbeit"; deren politische und sozial-psychologische Funktion wird überdeutlich; und Erziehungstheorie erweist sich als das Medium, in dem der Zu- griff auf die Jugend zugleich präsentiert wie verschleiert wird. Daß sich die große Mehrheit der deutschen Jugend in der H.-J. hat bis zum bitteren Ende führen lassen, ist immer noch erklärungsbedürftig. Die oft angeführte 'permanente Indoktrination' bietet keine hinreichende Erklärung - sie fand in der Institution auch nicht statt: di- rekte uweltanschauliche Schulung" wurde im BDM. an zwei Stunden in der Woche betrieben. Es sind der weiblichen Jugend offenbar ausreichende Angebote zur positi- ven Identifikation gemacht worden 10 1• Zu diesem "Erziehungserfolg " trugen Gliederung und Aufbau der Organisation wesentlich bei. Dies ist bisher nicht ge- würdigt worden. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 165 7.4 Gliederung und Aufbau des BDM102 Gliederung und Aufbau der RJFg. als einer "obersten Reichsbehörde" sind un- ter pädagogischem Gesichtspunkt wenig interessant103• Desto mehr sind es Gliede- rung und Aufbau der H.-J. als Institution. Sie erweisen sich als denkbar geschickte Kombination organisationssoziologischer und psychologischer Rücksichten. Dies ist am BDM. zu beschreiben104 Wie bereits angemerkt, war der BDM. in zwei, ab 1938 in drei Teilverbände ge- gliedert105, die in sich je vier Jahrgänge zusammenfaßten. Ein jeder Jahrgang war in Einheiten aufgeteilt; diese Einheiten bauten zahlenmäßig aufeinander auf und wur- den jede für sich geführt106. Jedes Mädchen blieb also acht Jahre lang in seiner Ein- heit und rückte - wie in der Schule - mit ihr (und seinem ganzen Jahrgang) von Al- tersstufe zu Altersstufe vor. - Die kleinste Einheit war die "Jungmädelschaft" (im JM) bzw. die "Mädelschaft" (im MB); sie zählte 10-15 Mitglieder107; die nächst- größeren Einheiten in jedem Teilverband waren die ·'Schar" (sie umfaßte jeweils vier "Schaften"), die "Gruppe" (vier "Scharen"), und der "Ring" (3-5 "Grup- pen"); es folgten "Ringverband" (nur in Großstädten), "Untergau" (später "Gau"), "Obergau" (später "Gauverband") und schließlich die RJFg. Auf Gauebene liefen die Führungen der beiden Teilverbände zusammen; ab hier auch wurde die Führung hauptamtlich wahrgenommen. Im ganzen Aufbau des BDM. gab es mithin mindestens sieben, zuzeiten 10 Füh- rungsebenen, die von unten nach oben an Umfang und Komplexität zunahmen. Der Führungsapparat war gewaltig: ab der Führungsebene "Gruppe" gab es eine Dienst- stelle, ab der folgenden Ebene, dem "Ring", bereits einen "Führungsstab": die Ringführerin, ihre Stellvertreterin und drei bis fünf Sachbearbeiterinnen. Die "Be- fehlsgewalt" war auf jeder Führungsebene absolut. Das Ganze funktionierte nach dem Führerprinzip: von unten nach oben wurde gehorcht, von oben nach unten be- fohlen 108. Die Leistungsfahigkeit des geschilderten Aufbaus in psychologischer und sozio- logischer Hinsicht ist beachtlich: er gewährleistete direkte Lenkung und Kontrolle von oben und gewährte doch Freiheitsspielräume, verband militärische Disziplin mit quasi demokratischen Gemeinschaftselementen, erfaßte total und bewahrte Dyna- mik an der Basis. Jedes Mitglied war seinem Führer - wie dieser dem nächsthöheren - unbedingten Gehorsam schuldig, war ihm in der eigenen kleinen Einheit aber zu- gleich gemeinschaftlich-kameradschaftlich verbunden: die Einheitsführer waren in der Regel nur ein bis zwei Jahre älter als ihre Gefolgschaft. Dies 'glückliche' Ver- hältnis von Distanz und Kontakt und - bei den Führern - Eigenmacht und Unterord- 166 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend nung bot gute Voraussetzungen für die Entwicklung von 'Wir-Bewußtsein' und das unaufdringliche Gelingen von autoritärer Bindung und kollektiver Orientierung. Dazu forderte die Intimität der Einheit die Beteiligung des einzelnen, erschwerte Abseits-Haltung; persönliches Engagement wiederum förderte Bestätigung und Identifikation. Das dürfte zumal für die FührerjFührerinnen gelten; von ihnen gab es Hunderttausende109. Massenhaft eingeräumte - relative - Führungsmacht garantierte sowohl die absolute Führung von oben wie deren Kaschierung. So ist durchaus glaubhaft und erklärlich, daß Führung nicht als Fremdbestimmung erlebt, schon gar nicht als 'Verführung' wahrgenommen wurde. 7.5 "Weibliche" Erziehung im BDM 7.5.1 Theoretischer Ansatz Im zweiten Abschnitt wurde herausgearbeitet, daß es der Erziehung im BDM. an einem eindeutigen Leitbild mangelte und darin der Widerspruch zwischen Realität und Ideologie der Frau im Dritten Reich sich andeutungsweise zeigt. Ideologische und gesellschaftliche Faktoren wirkten widersprüchlich auf die Praxis des BDM. ein, wobei letztere sich als die stärkere Kraft erwiesen, wie aus der Geschichte er- sichtlich. Erziehungstheorie überspielte den Widerspruch; sie suchte die Arbeit des BDM. pädagogisch, also als "Erziehungsarbeit" auszuweisen und die Erziehung selbst nach vorgegebener Weltanschauung zu begreifen. Resultat war eine - für das einschlägige nationalsozialistische Schrifttum charakteristische - Verknüpfung em- pirischer und spekulativer Erkenntnis. Sie läßt sich nicht durchgängig systemati- sieren und ist von zweifelhaftem Erklärungswert. Die Erziehung im BDM. wurde als historische Aufgabe gefeiert; ihre Organisa- tion und ihre Methoden wurden entwicklungspsychologisch und -biologisch begrün- det: "Wir wollen als Erziehungsbund nichts weiter als die natürlichen Entwick- lungsgesetze und alle Möglichkeiten nutzen, die in ihnen liegen"llO. Nach diesen "natürlichen Entwicklungsgesetzen " gab es besondere Entwicklungsstufen in der "Mädelzeit" - sie fielen mit den drei Jahrgangsblöcken im BDM. zusammen. Die Erziehung war vorgeblich ganz darauf abgestellt, die spezifischen "Anlagen und Fähigkeiten" einer jeden Altersstufe "zu wecken und zu pflegen", um die "Eigenart des deutschen Mädel" hervorzubringen ll1 : "Das Mädeltum der nordischen Rasse, das im großen gesehen den Altersbogen vom 10.-21. Lebensjahr umspannt, hat sein besonderes Lebensgesetz, sein spezielles Entwicklungsziel und seine eigene Art und Wertung,,1l2 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 167 Die empirisch-anthropologische Grundlegung ist tautologisch und so allgemein wie unverbindlich. Das Entwicklungsziel der entdeckten "Mädelzeit": "das deut- sche Mädel" war eine ohne weitere Präzisierung oder Analyse nahezu beliebig be- setzbare Leitvorstellung. Die ihm zugeschriebenen und im Abschnitt zwei bereits aufgezählten Eigenschaften waren nicht abgeleitet, sondern dazugesetzt. Das in Wahrheit herbeispekulierte Entwicklungs- und Erziehungsziel taugte nicht zur Be- stimmung pädagogischer Praxis. Als subsidiäre Erziehungsziele galten "die alten nordischen Tugenden von Ehre, Tapferkeit, Verantwortungsbewußtsein, Opfermut und Einsatzbereitschaft"I13; sie waren aber auch den Jungen eigen bzw. von ihnen zu fordern, so daß sie eine spezifische Orientierung "weiblicher" Erziehung nicht abgeben. Zu den vielen Leerformeln nationalsozialistischer Erziehungstheorie ge- hört auch die: "Das Mädel soll als Mädel erzogen werden,,1l4. Ging es um die Rechtfertigung der Einsatzdienste des BOM., griff man auf die Zielvorstellung Frau und Mutter zurück: "Die BOM.-Erziehung ist ganz bewußt der besonderen Art der Mädchen und ihrer späteren Aufgabe in Familie und Beruf, Volk und Staat angepaßt. Hier wird das Mädel zur Frau und Mutter erzogen,,1l5. Wie dies allgemeine Ziel zugleich das besondere und spezifische Entwicklungsziel eines ei- genen Lebensabschnittes sein konnte, blieb ungeklärt - vielleicht ist die Ungereimt- heit gar nicht aufgefallen. Die vorgetragene immanente Kritik mag genügen, um festzuhalten: Theoreti- sches Stückwerk lieferte der Arbeit des BOM. ihre Legitimation nach; der Legitima- tionsdruck war selbsterzeugt, denn als "Erziehungsbund" behauptete die Institution sich politisch, ihre politische Existenz zugleich verschleiernd. Zutreffend hieß es: "Allen Gegnern zum Trotz bewies der BOM. während der fünf Jahre seiner plan- mäßigen Arbeit ... die Berechtigunr einer politischen Mädchenorganisation im nationalsozialistischen Deutschland" 16. - Tatsächlich war "weibliche" Erziehung im BOM. auf gesellschaftliche Aufgaben zugeschnitten; diese Aufgaben resultierten aus der politischen und ökonomischen Lage, nicht etwa aus der - ideologischen - Norm. 7.5.2 "Mädelerziehung": Formen, Methoden und Inhalte Vom weltanschaulichen Pensum abgesehen, waren die Inhalte der Erziehung im BOM. realistisch; ihre Formen und Methoden unterschieden sich nicht qualitativ von denen bei der männlichen Jugend. Die angesichts der unterschiedlichen Erzie- hungsziele nebst ihrer jeweiligen Ableitung verwunderliche Übereinstimmung wur- de damit erklärt, daß Hitfer "aus nationalsozialistischem Wollen" für beide Teile der Jugend dieselben Grundsätze gegeben habe; in deren Umsetzung, im wie sei "weib- 168 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend liehe" Erziehung in der H.-J. wesensbedingt l17. Eine fahrlässige Argumentation: sie gibt die behauptete Besonderheit "deutscher Mädelerziehung" im Grundsatz preis und delegiert sie an die Praxis. Hier aber fällt die Differenz gerade nicht überzeu- gend aus; sie betrifft nicht die Art und Weise, vielmehr bestimmte Formen, den Um- fang oder einzelne Inhalte. Die "Mädel erziehung" im BDM. war nicht spezifisch "weiblich" - daß sie es sei, war schlecht ausgedacht. Die Erziehungspraxis stimmte mit dem überein, was man politisch wollte: eine leistungsfähige, einsatzbereite, Hitler und seiner Herrschaft kritiklos ergebene weib- liche Jugend. Sie zu motivieren, zu disziplinieren und zu mobilisieren war Erzie- hung angelegt. Dabei wußte man psychologische Kenntnisse sehr wohl anzu- wenden. Die pädagogisch-psychologische Systematik des "Dienstes" im BDM. soll im folgenden umrissen werden; Ergebnisse und Aussagen vorhergehender Abschnit- te werden dabei zusammengefaßt. 1. Motiviert wurde althergebracht über ein 'verlockendes' Angebot. Dessen psy- chologische Basis war "Selbstführung ", sein materieller Kern: Beteiligung (insbe- sondere über Führungsaufgaben), Forderung (insbesondere durch Vorbilder, Leistungswettkampf und Einsatzaufgabe) und Förderung (vor allem für die männ- liche Jugend). Die Formen waren 'jugendgemäß': Spiel und Wettkampf, Fahrt und Feier, Leben in der Altersgruppe. Das pädagogische Angebot enthält erkennbar re- formpädagogische und anti-autoritäre Elemente. Eine Wirkung in Richtung Selbst- bewußtsein und Persönlichkeitsbildung konterkarierte Disziplinierung. 2. Diszipliniert wurde mit den Formalien (Dienstformen und -ordnungen, Uni- formierung) und Prinzipien (Befehl und Gehorsam, kollektive Unterordnung) einer militärisch geführten Organisation. Sie normierte nicht nur Erscheinung und Auftre- ten, sondern auch Verhalten und Einstellungen; diese innere "Ausrichtung" wurde durch Propaganda und "weltanschauliche Schulung" unterstützt. "Der Erfolg des Nationalsozialismus ist ein Erfolg der Disziplin ... Die Lehre der Verfolgungszeit gilt erst recht für die Periode des Erfolges und der Macht. So lernt der kleine Jung- lk· .. kl . . 118 vo Junge .. . semen eigenen emen Willen den Gesetzen unterzuordnen" . Hin- zuzufügen ist, daß das 'kleine Jungmädel' derselben Disziplinierung unterworfen wurde; lediglich das militärische Zeremoniell war im BDM. weniger ausgeprägt. 3. Mobilisiert wurde physisch ("körperliche Ertüchtigung" und "Gesundheits- dienst") und psychisch (Leistungsappelle, Einsatzpropaganda) in Permanenz: der BDM. war kontinuierlich in irgendeinem "Einsatzdienst" . Dies hielt die Mädchen gleichsam unter Hochspannung1l9, wobei sie bis an die Grenzen ihrer körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit belastet wurden 120. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 169 Die geschilderten Prozesse können als autoritäre Erziehung und politische So- zialisation im Sinne der Nationalsozialisten angesehen werden. Sie verließen sich zum geringsten Teil auf theoretisches Lernen - vermittels Indoktrination -, sondern bauten auf die formende Kraft der inszenierten und bereitgestellten Erlebnisse. - Zu Einzelheiten des pädagogischen Programms, der "körperlichen Ertüchtigung" und der "weltanschaulichen Schulung" im BDM. kann auf Sekundärliteratur verwiesen werden 121; es präsentierte sich steigernde Anforderungen vor allem an praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten für den BDM.-Dienst, die in jedem Teilverband über Leistungsabzeichen geprüft und bestätigt wurden. In seinem "Leistungs buch " wur- de jedes Mädchen aufgefordert, sein Bestes zu geben, da es "seine Kraft (sei), die d D hl d .. ,,122 as neue eutsc an tragt . 7.5.3 Führerinnenschulung "Die Schicksalsfrage der rasch aufgeschwemmten Riesenorganisation waren die FÜhrungskräfte,,123. Auf die Erziehung gesehen, ist das richtig: ihre Qualität hing mit von den Führern/Führerinnen ab. Die Ausbildung der Führerinnen im BDM. wurde weder quantitativ noch qualitativ bewältigt. Zum einen "blieben die unausge- bildeten Kräfte vermutlich weit in der Überzahl,,124; zum anderen war die Ausbil- d lb d f · ... Z .. A k 125 ung se st e lZltar. - um quantitativen spe t : Die H.-J. hatte 1933: 220.000 Führer und Führerinnen; davon wurden 7.000 "durch Schulungsarbeit erfaßt"; 1934 waren dies 21.000 aus 367.000; 1935: 24.000 aus 403.000; 1936: 27.000 aus 496.000; 1937: 29.000 aus 563.000; 1939: 50.000 aus 765.000. Damit ist bis zum Kriege allenfalls ein knappes Drittel der Führungs- kräfte der H.-J. auf ihre Aufgaben vorbereitet worden. Zum qualitativen Aspekt: "Bei dem jugendlichen Alter unserer Führerinnen im BDM. ist eine gründliche und systematische Auslese und Schulung unbedingt not- wendig,,126. Weder das eine noch das andere hat es gegeben. Die "Auslese" lief über eine "Berufung in die Anwärterschaft", der die offizielle Ernennung nach einer bestimmten Zeit der "Bewährung im Dienst" folgte 127; schulische Auslese fand wahrscheinlich nie statt. Erst ab 1939/40 war eine planmäßige Ausbildung fixiert; deren Qualität steht dahin. - Nach maximalen und ab 1939 erhobenen Anforderun- gen sah sie folgendermaßen aus l28 : 1. Untere Führungsebenen: Schafts- oder Scharführerin im JM bzw. im MB konnte werden, wer den vorletzten Jahrgang des jeweiligen Teilverbandes durchlau- fen, das BDM.-Leistungsabzeichen zumindest angefangen und ein (JM) bzw. ein halbes (MB) Jahr lang in der "Führerinnenanwärterschaft" die in Frage kommende 170 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend Einheitsführerin vertreten hatte. Das Mindestalter für eine Führerin lag also bei 14 Jahren. Zur Praxis kam auf dem Lande eine Wochenendschulung (ab 1935 angebo- ten); in der Stadt sollte der Vorbereitungsdienst in besonderen "Ausbil- dungseinheiten " absolviert werden. Die Scharführerin hatte dazu einen 3wöchigen Nachwuchslehrgang zu besuchen. - 2. Mittlere Führungsebenen: Die Gruppen- (Hauptgruppen-) und Ringführerinnen im JM. bzw. MB sollten den 3wöchigen Lehrgang für ihren Rang auf einer Führerinnenschule mitmachen. - 3. Höhere Füh- rungsebenen: Die hauptamtlichen Führerinnen ab Gauebene, "Stabsführerinnen " und Schulführerinnen wurden auf den Reichsführerinnenschulen in je 3wöchigen Lehrgängen weitergebildet. Dem Aufriß ist zu entnehmen, daß das Führerinnenhandwerk in der Praxis, nicht durch Schulung angeeignet wurde. Die Lehrgänge selbst hatten der Empirie nicht viel hinzuzusetzen: Der Kurzlehrgang für die unteren Führungsränge (in Jugendher- bergen oder durch Wanderlehrkräfte) und die 3wöchigen Nachwuchslehrgänge wa- ren der "Gestaltung des Heimabends", also der Organisation der "weltanschauli- chen Schulung" im BDM. verschrieben; doch wurden, wie die Stoffpläne zeigen, nicht etwa didaktische Hilfen gegeben, vielmehr wurde weltanschauliche Schulung an den Führerinnen selbst betrieben 129. Dasselbe gilt für die freiwilligen Ar- beitsgemeinschaften des "Führerschulungswerks der Hitler-Jugend", die ab 1937/38 den Bedarf an Nachwuchsschulung decken helfen sollten; fachlich orientierte waren nicht dabei 130. Einige praktischen Hilfen - vom Typ: "wir singen", "wir lesen vor" - und Anweisungen (besonders für die Einsätze) gab die Schulungsliteratur der RJFg., an erster Stelle der monatliche "Führerinnendienst". - Daß "weltanschauli- che Schulung" bei den Lehrgängen für die höheren Führerinnen im Vordergrund stand, versteht sich nahezu von selbst; kam es doch hier vor allem auf politische Zu- verlässirkeit oder, wie es offiziell hieß: "die Bildung der politischen Persönlich- keif,13 an. Kejnem anderen Zweck dienten die tumusmäßig angesetzten Kurzta- gungen aller Einheitsführerinnen und das jährliche "Reichslager" des Führerin- nenkorps. Die theoretische 'Ausbildung' der BDM.-Führerin bestand also in der Hauptsache aus Indoktrination und diente der politischen Kontrolle. Die Defizite der Ausbildung wurden jedoch zuletzt korrigiert. Die Korrektur kam mit der Eröffnung der "Akademie für Jugendführung" 1939. Bis dato scheinen die Lehrgänge auf den 44 Führerinnenschulen 132 und den drei Reichsschulen133 des BDM. wie der ganze Ausbildungsgang selbst improvisatori- schen Charakters gewesen zu sein - aus Unsicherheit und Unerfahrenheit auch mag man am Schema der "weltanschaulichen Schulung" geklebt haben. Noch 1940 hieß es: "Die Arbeitsmethode an all unseren Führerinnenschulen ... wurde erst im Laufe der letzten Jahre entwickelt, hat aber wohl heute im großen und ganzen ihren Ab- Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 171 schluß gefunden" 134. Die planmäßige berufliche Ausbildung und damit die Kre- ierung und Anerkennung eines neuen Berufes sollte endlich durch die Akademie ge- leistet werden. Ein Jahr vor ihrer Eröffnung erließ v. Schirach eine als Richtlinie ge- dachte "Ausbildungsordnung für das Führerkorps der Hitler-Jugend,,135. Sie galt nur der männlichen Jugendführung und sah nach einem "Ausleselehrgang" eine einjährige Schulung vor, die mit dem "Jugendführer-Patent" abschließen sollte. Möglicherweise kriegsbedingt wurde die Akademie auch für den BDM. geöffnet136 Er verlegte dorthin die Ausbildung zur Untergauführerin137, die Eingangsstufe für die höheren Ränge. Spät also und immer noch mit Vorbehalten läßt sich von einer "gründlichen und systematischen Auslese und Schulung" der BDM.-Führerinnen sprechen. Vorbehalte gelten dem Umstand, daß die "gründliche Schulung", wenn überhaupt, dann nur das hauptamtliche Führerinnenkorps erreichte und daß die "gründliche Auslese" nicht fachlich oder pädagogisch, sondern politisch orientiert war138 Der qualitative und quantitative Mangel an Ausbildung wurde gedeckt von der nationalsozialistischen Verachtung beruflicher Erzieher und ihrer Behauptung eines "angeborenen Führertums". "Für den Beruf des Hitler-Jugend-Führers ist dies angeborene Führertum ausschlaggebend" 139. Unter dieser Annahme wird Qua- lifizierung zweitrangig: "Man wird nicht Jugendführer, weil man es gelernt hatte ... sondern weil man Nationalsozialist war und eine "Führungsbegabung" hatte ... Der gute Wille war mehr wert als ein Staatsexamen,,140. Das Problem der Führerschu- lung ist ersichtlich mit dem der Legitimation der Führung verbunden. Der aristokra- tischen Legitimationsformel vom anfeborenen Führertum entspricht als Auslese- prinzip "die natürliche Führerwahl',1 1, ihr Kriterium heißt "Bewährung". Bewäh- rung in der "Kampfzeit" hatte gleichsam naturwüchsig die "Kampfauslese der Hit- ler-Jugend,,142 hervorgebracht. Analog mußte in Friedenszeiten Bewährung im Dienst als Kriterium für Führerqualität gelten. Dies Verständnis von "Auslese" schlägt sich in der Führerschulung der H.-J. nieder; theoretische Leistung und damit ein bürgerliches Auslesekriterium griff nicht. Die Frage nach der Führerschulung in der H.-I. führt auf die Frage nach dem Bildungsbeitrag der Institution 143. Abzuschätzen ist, was der BDM. im Erziehungs- und Bildungswesen historisch geleistet hat. Darzustellen ist dazu noch die Berufser- ziehung im BDM. 172 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 7.5.4 Berufserziehung im BDM Im Widerspruch zum eigenen erziehungstheoretischen Ansatz forderte die Füh- rung des BDM. zuzeiten, daß "Mädeln die gleichen Bildungs- und Erziehungsmög- lichkeiten gegeben werden wie Jungen,,144 - eine Forderung, die von der behaupte- ten (geschlechts)spezifischen Entwicklung der "deutschen Mädel" unterminiert wird: danach ständen ihnen zwar "gleichwertige,,145, nicht aber 'gleichartige' Bil- dungsangebote zu. Tatsächlich bleiben dem BDM. die politischen Ausleseschulen der H.-J. verschlossen; und er nahm am beruflichen Förderungssystem nur in gerin- gem Maße teil. Immerhin förderte man die berufliche Ausbildung der weiblichen Ju- gend - wenn auch durch energische Werbung mehr als durch eigene Taten - und brach punktuell mit dem parteiamtlichen Rollenklischee. Ökonomische Interessen wurden dabei erstaunlich deutlich formuliert; grundsätzlich blieb die Begründung der Berufserziehung für Mädchen jedoch ideologiekonform. "Wir fassen also zusammen, daß ... weibliche Jugend als die zunächst noch er- giebigste Arbeitseinsatzreserve stärkstens in das Wirtschaftsleben eingespannt wer- den wird. Von den im Arbeitsleben stehenden Mädeln muß zudem eine berufliche Höchstleistung verlangt werden, da durch Qualität auszugleichen ist, was an der Zahl der Arbeitskräfte fehlt,,146. Der "Arbeitseinsatz" wurde vom BDM. - wie von anderen nationalsozialistischen Institutionen "weiblicher" Erziehung auch - in die Gebiete chronischen Arbeitskräftemangels gelenkt: soziale Dienste, Land- und Hauswirtschaft. Da hier die traditionell als "weiblich" begriffenen Berufe lagen, konnte die Rekrutierung der Mädchen für den Arbeitsmarkt und ihre berufliche Aus- bildung stets und stereotyp als Vorbereitung auf den späteren - und eigentlichen - Beruf als Hausfrau und Mutter dargestellt werden147. - Für die notwendige berufli- che Umschichtung der weiblichen Bevölkerung entwickelte der BDM. in der Haupt- sache drei Instrumente: 1. Die "hauswirtschaftliche Arbeitspflicht " respektive "hauswirtschaftliche Er- tüchtigung" (Sprachregelung)148; ihr konnte man durch eine ganze Reihe von ent- sprechenden Diensten und Einsätzen nachkommen; sie war mit folgender pädagogi- schen Argumentation propagandistisch vorbereitet worden: "Ein Jahr haus- oder landwirtschaftliche Betätigung aber würde die körperliche Entwicklung der Mädel wesentlich fördern, abgesehen von dem weiteren Vorteil, daß damit eine Schulung einher~eht, die für die spätere Arbeit als Hausfrau und Mutter von größtem Wert ist,,14~ 2. Die Arbeitsgemeinschaften des BDM.-Werkes150; deren Gros, die Arbeitsge- meinschaften für Hauswirtschaft, gingen über 30 Abende zu je drei Stunden. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 173 3. Die - kostenpflichtigen - "Haushaltungsschulen" und "Landfrauenschulen"; sie werden anschließend näher beschrieben. - Erfolge der Berufslenkung durch den BDM. sind mangels Vergleichszahlen schwer zu prüfeni51 ; der Bestand an Arbeits- kräften in den fraglichen Bereichen erhöhte sich nicht, wohl aber der Bedarf - das "Pflicht jahr" wurde eingeführt. Abgegolten werden konnte die "hauswirtschaftliehe Ertüchtigung" - und das "Pflicht jahr" zur Hälfte - auch durch den Besuch einer Haushaltungsschule. Der BDM. leitete solche Schulen in eigener Regie152 und in der Regel mit staatlicher Anerkennung l53. Gleichwohl sagt dies noch nichts über die Solidität ihrer Arbeit; ab 1940 galten für sie die bestehenden staatlichen Vorschriften für Berufsfachschulen im vollen Umfang. Sie waren Heimschulen mit höchstens zwei Klassen und maxi- mal 40 Schülerinnen und schlossen nach einem Jahr mit einer staatlichen Prüfung ab. Da sie bevorzugt BDM.-Führerinnen aufnahmen, durften "Stundentafel und Lehrplan nach der weltanschaulichen Seite erweitert werden,,154. - Insgesamt dürf- ten die Haushaltungsschulen des BDM. allenfalls 8.000 Mädchen ausgebildet und - vielleicht - in die Mangelberufe gelenkt haben i55. Eine 'Schnellpresse' wurde 1941 mit der "Führerinnen-Haushaltungsschule" in Wiesbaden eröffnet, die ausscheiden- den BDM.-Führerinnen 7wöchige Lehrgä~e anbot, um "eine organische Ablösung der bisherigen Arbeit" zu gewährleisten 15 . - Bleibt anzumerken, daß der BDM. die Professionalisierung der hauswirtschaftlichen Berufe vorantrieb: "der Aufbau einer geordneten Berufsausbildung auf dem Gebiete der Hauswirtschaft" wurde "als zwingendes Gebot unserer Tage" erkannt l57, und ein Plan dafür vorgelegt l58. Anreize für die Aufnahme landwirtschaftlicher Tätigkeit boten die "Landfrauen- schulen": zweiklassige Heimschulen, die zu einem Fachschulabschluß führten159 Der BDM. wurde 1937 als Träger solcher Schulen z~elassen; die erste Schule soll Ostern 1938 den Lehrbetrieb aufgenommen haben 1 . Zur selben Zeit gab es im Reich 71 Landfrauenschulen161. Hier fiel also die Ausbildungsleistung des BDM. noch weniger ins Gewicht als bei den Haushaltungsschulen. Zu beachten ist, daß er sein Angebot nur in unterversorgten Regionen machen dUrfte162; bildungspolitischer Ehrgeiz der RJFg. spricht bei den Schulgründungen mit. Das wichtigste Instrument der Berufslenkung und Nachwuchsförderung durch die H.-J. war der "Reichsberufswettkampf" 163. Er bezog die weibliche Jugend in die "Mobilisierung für den Beruf" (Parole) bereits zu einem Zeitpunkt ein, als diese der männlichen auf dem Arbeitsmarkt noch unliebsame Konkurrenz machte. Das heißt, im Reichsberufswettkampf wurde die Berufsausbildung der Mädchen grund- sätzlich nicht unter transitorischen Gesichtspunkten gestellt; volkswirtschaftlich zählten sie zur Arbeitskraft, nicht zu zukünftigen Müttern. Ordnungspolitische Ideen 174 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend standen hinter ökonomischen Erfordernissen zurück; die berufserzieherischen Akti- vitäten und Ambitionen des BDM. fördern die berufliche Qualifizierung und damit die außerhäusliche Tätigkeit der Frau. Eine pädagogische Leitvorstellung ist dafür allerdings nicht entwickelt worden. Auch die berufspädagogischen Theoreme des BDM. laufen auf eine Harmoni- sierung von ideologischer Rollenvorschrift und faktischer "Erziehungsarbeit" hin- aus: sie behaupten die Entsprechung von Einsatz und Eignung. Diese Behauptung verlor bekanntlich ihre Evidenz, als im Laufe des Krieges die Mädchen dazu ange- halten wurden, auf allen Arbeitsgebieten "ihr berufliches Können und ihre Lei- stungsfähigkeit ständig zu steigern"l64, d.h. mit abnehmender "weiblicher" Quali- tät der anbefohlenen Arbeit. Man formulierte Kompromisse, etwa: daß "die BDM.- Mädchen in Berufe geführt werden, die ihren Eignungen entsprechen und die andererseits vom Volkswirtschaftlichen her notwendig sind,,165. Schließlich wurde eine neue Variante propagandistischer Rechtfertigung hervorgebracht: vorgeblich "männliche" Arbeit sei sehr wohl von Frauen zu leisten, wenn nur die äußeren Ar- beitsbedingungen "weiblicher" Eigenart angemessen seien 166. Diese fast zehn Jahre lang für die Wahl der Arbeit selbst geltend gemachte Eigenart ist nunmehr nur noch für die Einrichtung des Arbeitsplatzes erheblich - ein bemerkenswertes Stück Rabu- listik. Ihr Kern ist der - seit 1937/38 allenthalben zu lesende - Rückgriff auf die "geistige Mütterlichkeit,,167 als Anwandlungsmodus. "Ein Beruf ist nur dann unge- mäß für eine Frau, wenn sie ihn nicht mit ihren besonderen fraulichen Kräften durchdringen kann. Der Frau muß innerhalb des Erwerbslebens ihr Frauenturn erhal- ten bleiben können,,168. - Die im BDM. angestellten berufspädagogischen Überle- gungen sind nahezu klassische Ideologie; durch ihre Volten verschleiern sie aller- dings die ökonomischen Determinanten der "Erziehungsarbeit" nur noch schlecht. Läßt man den pädagogischen Anspruch, wiewohl von ideologischem Charakter, als historisches Faktum gelten, ist nach dem Erziehungs- und Bildungsbeitrag des BDM. zu fragen; daß darin dessen Leistung nicht aufgeht, ist ersichtlich. Eine Dar- stellung der Geschichte und der pädagogischen Arbeit der Institution hat daher zu- sätzliche Begriffe zur Beschreibung ihrer historischen Funktion vorzutragen. Dem wird im folgenden mit einer empirischen und einer analytischen Zusammenfassung Rechnung getragen. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 175 7.6 Empirische Zusammenfassung: der Erziehungs- und BiIdungsbeitrag desBDM Der Beitrag des BDM. zur Bildung und Ausbildung der weiblichen Jugend war alles in allem dürftig169. Auf dem Gebiet theoretischer Schulung wurde im wesentli- chen standardisierte Weltanschauung geboten; auf dem Gebiet Ausbildung blieb sie mager; für die große Mehrheit der Mitglieder gab noch am meisten das praktische Freizeitprogramm - Sport und Unternehmung in wenigen aber jugendwirksamen Veranstaltungsformen; es war erlebnisreich, doch arm an Gehalten und persönlicher Orientierung. Ein Ansatz zu kultureller Bildung etwa wurde erst mit dem BDM.- Werk gemacht, das als freiwilliger Zusammenschluß attraktiver sein mußte. In der Summe: gepflegt wurde die Gesundheit, vermittelt wurden Denkschablonen und dienstpraktische Kenntnisse und Fertigkeiten, anerzogen wurden bestimmte ambiva- lente Dispositionen, erzeugt wurde die emotionale Bindung an die Organisation wie an Hitler. Es ist weniger ihre Substanzlosigkeit als ihre - unmoralische - politische Zielset- zung und Wirkung, die der Erziehung in der H.-J. bislang das schlechte historische Urteil eingebracht hat; es mißt ex post den pädagogischen Beitrag an der politischen Geschichte. Zu fragen ist aber auch nach dem Einfluß der Institution auf das Erzie- hungs- und Bildungswesen. Eine Untersuchung dazu liegt noch nicht vor; bildungs- politisch orientierte Teilstudien zum Einfluß der H.-J. auf die Schule urteilen ein- deutig negativ: "Durch ständiges und aggressives anti-intellektuelles Gebaren war es der H.-J. gelungen, akademische Maßstäbe für Schulen in bisher noch nicht dage- wesenem Maße zu drücken, die Schulzeit für höhere Bildung zu kürzen, Autorität und Ansehen der Lehrer zu untergraben und den Curricula zunehmend ideologische und politische Inhalte auf zuzwingen" 170. - Dies Urteil kann für den Einfluß der H.- J. auf die außerschulische Erziehung nicht ohne weiteres übernommen werden; denn zumindest im Ausbildungswesen stellten ihre eigenen Aktivitäten und Angebote - vornehmlich für die männliche Jugend - zusätzliche und geschichtlich gesehen neue Möglichkeiten dar, wenn auch z.T. in Konkurrenz zu bestehenden. Hervorzuheben ist der Schrittmacherdienst des BDM. für die Berufstätigkeit der Frau; hier zeigte die RJFg. - anders als etwa die Reichsfrauenführung in gleicher Sache - durchaus ideologische Distanz. Zuerkennung sozialer Kompetenz war mit der Fürsprache be- ruflicher Qualifizierung der weiblichen Jugend allerdings nie verbunden. 176 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 7.7 Analytische Zusammenfassung: die Stelle der Erziehung im Herrschaftsprozeß der NSDAP Aufgabe und Funktion des BDM. waren politische Kontrolle und Instrumentali- sierung der weiblichen Jugend 171. Seiner praktischen Arbeit fiel damit zu, politische Forderungen und ökonomische Notwendigkeiten wechselseitig zu vermitteln, einan- der anzupassen oder zusammenzubinden. Indem erweist "Erziehungsarbeit " sich als der gesellschaftliche Bereich, in dem das Auseinanderklaffen zwischen realem Herr- schaftsprozeß und "ideologischem Geisterreich ,,172 im Nationalsozialismus seiner- zeit aufgefangen werden konnte. Die Überbrückung war möglich und fand, wenn auch nur punktuell, statt in der gleichzeitigen Umsetzung, im gleichzeitigen Einwir- ken von Ideologie und Herrschaftsrealität im Erziehungsbetrieb; einzelne Momente hiervon sind für den BDM. benannt worden. Mit dieser - noch nicht dargestellten - Harmonisierungsfunktion ist die Stelle der "Erziehungsarbeit" der Partei- Institutionen im Nationalsozialismus politisch-systematisch zu begreifen. Darauf sei zumindest hingewiesen, wenn an dieser Stelle in pädagogischer Hinsicht versucht wird, die Leistung der Erziehung im BDM. als Wirkung auf seine Zielgruppe begrifflich zu fassen. Der historische Erfolg173 der "Erziehungsarbeit" des BDM. liegt in seiner be- reits dargestellten sozialpsychologischen Funktionl74. Für sie bieten sich - der vor- liegenden Untersuchung nach - zwei Begriffe an: Identifikation und Verfügung l75. Beide Begriffe verweisen an Erklärungen für die Erfolge: Identifikation mit der Be- wegung und dem Führer gelang durch bzw. lief über die Verwöhnung mit Sinn176; Verfügung beruhte auf kollektiver Bindung. Eben diesen Sachverhalt diagnostizierte 1946 die amerikanische Erziehungskommission für Deutschland (Zook-Kommis- sion), die befürchtete, daß die deutsche Jl!f;end auf absehbare Zeit für eine demokra- tische Einstellung nicht zu gewinnen sei 1 . Die Mehrheit der Jugendlichen sah sich in der und durch die Hitler-Jugend verstanden, gefördert und repräsentiert; sie hatten mithin kaum Anlaß für jene Unzufriedenheit, die zu politischem Ungehorsam führen kannl7s. 7.8 Zum Verhältnis von Theorie und Praxis der Erziehung im BDM Zuletzt kann die eingangs angeschnittene Frage: ob die "Erziehungsarbeit" des BDM. theoriegeleitet war oder auch nur zureichend theoretisch erfaßt wurde179, ein- deutig mit "nein" beantwortet werden. Für das Verhältnis von Theorie und Praxis ist festzustellen: 1. es wurden weltanschauliche Grundsätze in die Erziehung hineinge- nommen, so daß einige ihrer Elemente als an gewandte Weltanschauung gelten kön- Der Bund Deutscher Mädel in der Ritler-Jugend 177 nen; 2. Weltanschauung war die Basis der theoretischen Darstellung der BDM.-Er- ziehung. Sie diente aber weniger der Analyse als der Verschleierung des realen Pro- zesses - geriet also zur Ideologie. Auch vermochte sie nicht, Erziehung stimmig zu begründen; insbesondere mangelte es an Ziellegitimation. In dem Versuch, politisch bestimmte Praxis pädagogisch zu rationalisieren, nimmt Erziehungstheorie propa- gandistischen Charakter an; er zeigt sich im stereotypen Denken und Reden. Damit ist bestätigt, daß sich die Erziehung im BDM. weder im Rahmen einer pädagogischen Theorie begreifen noch zureichend darstellen läßt 180. Dies ist des- halb zu betonen, weil nationalsozialistische Erziehung in der erziehungs- wissenschaftlichen Sekundärliteratur nach 1945 überwiegend aus 'nationalsozialisti- scher Erziehungstheorie ' abgeleitet wurde, wobei man solche Theorie allererst syn- thetisierte. Dies führt eben in die Erziehungsideologie hinein, die die Nationalsozia- listen selbst - mit Bedacht - verbreiteten. Es muß also nach anderen als nach idea- listischen Erklärungsansätzen gesucht werden. Lingelbach hat, gestützt auf Klönne, als Gesichtspunkt für die systematische Er- fassung der H.-J.-Erziehung wie der nationalsozialistischen Erziehung überhaupt den Krieg angenommen181 . Dies ist mit Blick auf den BDM. wie die "weibliche" Erziehung generell zu modifizieren. Für die Mädchen ist "Krieg" nicht unmittelbare "Zielsituation" der Erziehung182 und verliert als Kategorie an Erklärungswert für die pädagogische Praxis: sie kann durchaus ohne ihn gedacht werden. Tauglicher scheint hier "totaler Einsatz" - Krieg ist eine Möglichkeit davon. Zweifellos haben die Nationalsozialisten sie verfolgt; die Mädchenerziehung ist aber nicht schlüssig auf sie abgestellt - Krieg ist als Männerhandwerk vorgestellt worden. Ein archimedischer Punkt für die Erklärung nationalsozialistischer Erziehung läge außerhalb der Geschichte; historische Untersuchungen können Erklärungen al- lenfalls anbieten. Ihre Sache ist es aber, die Zusammenhänge aufzuzeigen oder zu rekonstruieren, in denen das Objekt des historischen Interesses stand. Für die BOM.-Erziehung ist dies ihr Zusammenhang mit Politik und Gesellschaft. Daß er unerläßlich ist für die Beschreibung und das Verständnis von Erziehung, drängt die- se Geschichte geradezu auf. 178 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 7.9 Anmerkungen 1 Dokumentiert im Verfassungsschutzbericht 1978 (hrsg. Bundesminister des In- neren, Bonn 1979); öffentlich illustriert im Prozeß gegen neonazistische "Rädels- führer", Bückeburg, August/ September 1979. Vgl. auch Jörg Berlin u. a.: Neofa- schismus in der Bundesrepublik. In: Blätter f. deutsche u. internationale Politik 23 (1978), S. 528-554; Gerhard PaullB. Schoßig (Hrsg.): Jugend und Neofaschismus. Provokation oder Identifikation? Stuttgart 1979. 2 Das bestehende große Infonnationsbedürfnis zeigte sich in der Diskussion im Anschluß an die Fernseh-Serie "Holocaust" (ARD, Januar 1979). 3 Die volle Bezeichnung wie das Kürzel können die Organisation der "Hitler- mädel" in der Hitler-Jugend wie den Teilverband der 14-18jährigen meinen. - Der Teilverband der 1O-14jährigen hieß "Jungmädelbund" (JM); ab 1938 gab es dazu das BDM.-Werk "Glaube und Schönheit" für die 17/18-21jährigen. - Die in der 2. Durchführungsverordnung (im folgenden: DVO) zum H.-J.-Gesetz festgelegten Be- zeichnungen für die Teilverbände wurden 1942 differenziert: der Teilverband der 14-18jährigen sollte im Unterschied nunmehr "Mädelbund" (MB) heißen: Reichs- befehl der Reichsjugendführung der NSDAP, Nr. 14/42 k. vom 30.06.1942 (Bundes- archiv Koblenz [im folgenden BA], NS 28/36). Verf. hält sich der Klarheit halber an diese letzte Regelung. 4 Hitler auf dem Reichsparteitag am 15.09.1935, in: Max Domarus: Hitler. Re- den und Proklamationen. 2 Bde, München 1965, Bd. 1, S. 534. - "Jungvolk": Teil- verband der 1O-14jährigen in der HA. 5 Mit "Hitler-Jugend" (Abkürzung: H.-J. oder HJ.) wurde von den Nationalso- zialisten die Gesamtorganisation bezeichnet, mit HJ der Teilverband der 14-18jähri- gen Jungen. In der Sekundärliteratur nach 1945 wird das Kürzel ohne Abkürzungs- punkt für das eine wie das andere verwandt. Der vorliegende Aufsatz hält sich an die ursprüngliche Sprach- und Schriftregelung. 6 Wiedergabe einer Tonaufzeichnung in: Gerhard Binder: Geschichte im Zeital- ter der Weltkriege. 2 Bde, Stuttgart 1977, Bd. 1, S. 515. - NSKK: Nationalsozialisti- sches Kraftfahrerkorps. - Zur Veranschaulichung vgl. Graphik "Der Weg des gleich- geschalteten Staatsbürgers" in: Renzo Vespignani: Faschismus. 4. Aufl., Ber- linfHamburg 1977, S. 62. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 179 7 Die Differenz hat zuerst Stippel als "Zerstörung der Person" beschrieben - Fritz Stippel: Zerstörung der Person. Kritische Studien zur nationalsozialistischen Pädagogik. Donauwörth 1957. Auch Assel begreift die "Pädagogik" der N ationalso- zialisten aus der Negation bürgerlich-idealistischer Bildungsnonnen - Hans Günther Assel: Die Perversion der politischen Pädagogik im Nationalsozialismus. München 1969. - Zur Originalität des Buches von Stippel vgl. Hans-Jochen Gamm: Führung und Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus. München 1964 (zit. als: Gamm, 1964), S. 463 f. 8 Dazu vor allem Gamm, 1964, und Christoph Lingelbach: Erziehung und Erzie- hungstheorien im nationalsozialistischen Deutschland. München/Berlin/Basel 1970. 9 Dies schließt an die Revision der monolithischen Interpretation der NS-Herr- schaft in der politischen Geschichtsschreibung (K. D. Bracher, Martin Broszat) an und bestätigt sich mit zunehmender erziehungshistorischer Forschung. Diese ist noch sehr defizitär; vgl. Hans-Jochen Gamm: Dreißig Jahre Befreiung vom Faschis- mus und die bundesdeutsche Erziehungswissenschaft. In: DE 1 (1975), S. 74-79; Martin Kipp/G. Miller: Berufserziehung und Berufspädagogik während des Natio- nalsozialismus. In: DtBFsch 75 (1979), S. 434-443 - zugleich Kapitel 2 in diesem Band. 10 Die anthropologische Überhöhung dieses Leitbildes, die den "Kampf" als Seinsmodus ausgibt, ist die ideologische Widerspiegelung der Tatsache, daß "die Jugend eines ganzen Volkes für die Kriegspolitik der NSDAP" manipuliert wurde (Lingelbach, a.a.O., S. 121). Zur "Militarisierung der Erziehung" vgl. auch Theodor Wilhelm: Pädagogik der Gegenwart. 5., völlig umgearb. Aufl., Stuttgart 1977, S. 137 ff. 11 Lager-Parole der H.-J.: "Wir sind geboren, um für Deutschland zu sterben". 12 Bis zur Einführung der Arbeitsdienstpflicht (am 04.09.39) wurde die weibli- che Jugend allein im BDM. jahrgangsweise erfaßt. - Ab 1936 machten die Mädchen knapp 50 Prozent, nach der Gründung des BDM.-Werkes knapp mehr als die Hälfte der Hitler-Jugend aus. 13 Tatsächlich vollständig "eingezogen" wurden die seit 1936 jeweils zum 19.04. jahrgangsweise "gemusterten" und zum 20.04. eines jeden Jahres ("Führers Geburtstag") in die Hitler-Jugend übernommenen lOjährigen erst ab 1940; die dem GESETZ ÜBER DIE HITLER-JUGEND vom 01.12.1936 (Reichsgesetzblatt [im folgenden: RGB] I, S. 993) implizite Jugenddienstpflicht wurde erst mit der 1. und 180 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 2. DVO vom 25.03.1939 (RGB I, S. 709 f.) ausgesprochen. Auf die 'Freiwilligkeit' des Eintritts in die "Staatsjugend" wurde nicht zuletzt aus pädagogischen Gründen großer Wert gelegt; vgl. dazu Baldur v. Schirach: Die Hitler-Jugend. Idee und Ge- stalt. Berlin 1936 (zit. als: v. Schirach, 1936) und ders.: Ich glaubte an Hitler. Ham- burg 1967. 1936 hatte die H.-J. 5,4 Mill., 1937: 5,8 Mill., 1938: 7 Mill., 1939: 8,1 Mill. Mitglieder; vgl. Statistik bei Günter Kaufmann: Das kommende Deutschland. Die Erziehung der Jugend im Reich Adolf Hitlers. Berlin, 2. Aufl. 1940, (zit. als: Kaufmann, 1940), S. 33 f. Zeitübersicht im Anhang bei Werner Klose: Generation im Gleichschritt. Ein Dokumentarbericht. Oldenburg/Hamburg 1964 (Kloses Buch wird bei Lingelbach [a.a.O., S. 333] falsch nachgewiesen als: Jugend im Gleich- schritt). 14 Hans-Christian Brandenburg: Die Geschichte der HJ. Wege und Irrwege ei- ner Generation. Köln 1968; Arno Klönne: Hitler-Jugend. Die Jugend und ihre Orga- nisation im Dritten Reich. Hannover/ Frankfurt/Main 1960; Hansjoachim W. Koch: Geschichte der Hitlerjugend. Ihre Ursprünge und ihre Entwicklung 1922-1945. Per- cha 1975 (Kochs Buch ist einhellig mangelnde historische Seriosität vorgeworfen worden); Peter D. Stachura: Nazi Youth in the Weimar Republic. Santa Barba- ra/London 1975. 15 Mit Ausnahme des betreffenden Kapitels bei Lingelbach, a.a.O. 16 Michael H. Kater: "Bürgerliche Jugendbewegung und Hitlerjugend in Deutschland von 1926-1939. In: Archiv für Sozialgeschichte XVII (1977), S. 125- 174; ders.: Die deutsche Elternschaft in ihrem Verhältnis zu Hitlerjugend und Schule im Dritten Reich. Msk., Toronto 1978; ders.: Hitlerjugend und Schule im Dritten Reich. In: HZ, Bd. 228 (1979), S. 572-623; Peter D. Stachura: The Third Reich and Youth Education: The Role of the Hitler Youth 1933-1939. Mskr. Stirling 1978 (zit. als: Stachura, 1978). Die Manuskripte wurden vorgelegt auf der Tagung der Hi- storischen Kommission der DGfE: "Erziehung, Sozialisation und Ausbildung zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland" (Bielefeld, Sept. 1978); Publikation in: Heinemann, Manfred (Hrsg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. 2. Bde. Stuttgart 1980. 17 Hierzu: Vorschriftenhandbuch der Hitler-Jugend. Hrsg. Reichsjugendführung, 3 Bde, Berlin 1942; Rudolf Benze: Erziehung im Großdeutschen Reich. Berlin 1943, S. 92 ff. - Das Vorschriftenhandbuch (im folgenden: VHB) war "nur für den Dienstgebrauch", vertraulich; vorhanden: BA, NSD 43/229-231. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 181 18 Zum "Arbeitseinsatz" der Frau vgl. Dörte Winkler: Frauenarbeit im "Dritten Reich". Hamburg 1977; zum "Kriegseinsatz" vgl. Ursula v. Gersdorff: Frauen im Kriegsdienst 1914-1945. Stuttgart 1969, zur sozialen Lage der Frau allgemein: Ri- chard Grunberger: Das zwölf jährige Reich. Der deutsche Alltag unter Hitler. Wien! München/Zürich 1972; Clifford Kirkpatrick: Women in Nazi Germany. London 1939; 1imothy W. Mason: Women in Germany, 1925-1940: Family, Welfare, and Work. In: History Workshop Bd. 1 (1976), S. 74-113, Bd. 2 (1976), S. 5-32; David Schoenbaum: Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches. Köln/Berlin 1968; Jill Stephenson: Women in Nazi Society, London 1975. 19 Adolf Hitler: Mein Kampf. 417-418. Aufl., München 1939, S. 492. 20 A.a.O., S. 460. 21 Gängige Begriffe in der einschlägigen BDM.-Literatur; hier: Trude Bürkner: Vom Weg des BDM. In: Wille u. Macht. Führerorgan der nationalsozialistischen Ju- gend 4 (1936), Heft 1, S. 7-9 (zit. als: Bürkner, 1936), S. 8; vgl. dies.: Der Bund Deutscher Mädel in der Hitlerjugend. Schriften der deutschen Hochschule für Poli- tik, Heft 16, Berlin 1937 (zit. als: Bürkner, 1937). - Trude Bürkner (geb. Mohr) war von 1934-1937 Reichsreferentin des BDM. Ihr folgte Jutta Rüdiger. Vgl. Jutta Rü- diger: Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend. In: Paul Meier-Bennecken- stein (Hrsg.): Das Dritte Reich im Aufbau. 5 Bde, Berlin 1939-1941, Bd. 3, Berlin 1939, S. 395-414. 22 Eine genaue Auswertung der BDM.-Zeitschriften (vor allem: Das Deutsche Mädel), diejenige ergänzend, die Lingelbach für das DJ am "Jungvolk" vorgenom- men hat (a.a.O., S. 113 ff.), kann hier nicht geleistet werden. 23 Zu prüfen bliebe, ob oder wie weit die Änderungen in Anpassung an gesell- schaftlichen Wandel bewußt formuliert wurden oder gleichsam durch Osmose zwi- schen der Basis und dem Überbau sich einstellten; dabei ist das Beharrungsvermö- gen normativer Vorgaben in Rechnung zu stellen. Es gibt Indizien für ideologische Distanz in der Reichsjugendführung, allerdings nicht bei den BDM.-Referentinnen. 24 Dazu zuletzt: Gerda Tornieporth: Studien zur Frauenbildung. Weinheim 1977, Neuausg. 1979. 25 Ansprache an die Jugend vom 01.05.1936 (vgl. Domarus, a.a.O., S. 620). 182 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 26 Baldur v. Schirach (1931 als 24jähriger zum "Reichsjugendführer der NSDAP" ernannt): Anruf der Jungen Generation. In: Wille u. Macht 5 (1937), Heft 1, S. 11; vgl. Heft 8, Sonderheft: Adolj Hitler an seine Jugend, Zitat vom 02.05.1931. - Der Satz wurde später modifiziert: "Jugend soll von Jugend geführt werden" - vgl. ebd., Zitat vom 01.05.1936. - Zur Programmatik: Baldur v. Schirach: Prinzip der Selbstführung. In: NS Monatshefte 6 (1935), Heft 58, S. 5-8. 27 Lingelbach, a.a.O., S. 122. 28 Dazu Maschmann rückblickend: "Das Prinzip ... bewirkte für die heranwach- sende Generation einen verhängnisvollen Ausfall an Kontakten mit reifen Men- schen" - Melita Maschmann: Fazit. Mein Weg in die Hitler-Jugend. Stuttgart 1979, S.215. 29 Dies kaschierte die gebräuchliche Formel: "gemeinsame Organisation und getrennte Führung", als sei letztere damit eigenständig. Vielmehr waren die haupt- amtlichen BDM.-Führerinnen den Führern der männlichen Einheit auf einer jeweili- gen Führungsebene unterstellt (sie selbst sahen sich allerdings als gleichgestellt an; vgl. auch Maschmann, a.a.O., S. 146). Die Reichsreferentin des BDM. war dem Reichsjugendführer nicht einmal direkt zugeordnet; sie verfügte auch nicht über ei- nen eigenen Stab, sondern war auf die Ämter der RJFg. angewiesen. Die RJFg. hatte bis zu 14 Ämter; für "weibliche Jugend" gab es nur zeitweise ein eigenes Amt; Frauen waren hier, wenn überhaupt, in untergordneten Positionen eingesetzt. V gl. VHB, S. 71 ff. (Gliederung der RJFg.) und S. 3571 ff. (Planstellenordnung). 30 Baldur v. Schirach: Anruf der Jungen Generation. A.a.O. 31 Vgl. Anm. 13. Die objektive Unfreiwilligkeit - konstituiert in politischer Pres- sion und gesetzlichem Zwang - wurde mit großer Geste übergangen. 32 1. DVO zum H.-J.-Gesetz, § 1.1. Das Gesetz selbst hatte noch keine aus- schließliche Zuständigkeit festgestellt. 33 Von der Hitler-Jugend wurde nicht wie z. B. vom NS Arbeitsdienst (1935: Reichsarbeitsdienst) behauptet, immer schon und ursprünglich eine Erziehungsinsti- tution gewesen zu sein. 34 Vgl. Abschnitt 7.5. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 183 35 Die frühesten Hinweise: 1923, gibt Koch (a.a.O., S. 123), allerdings ohne sie zu belegen; auch seine weiteren Angaben (S. 96 ff.) erscheinen im Lichte zeitgenös- sischer Dokumente (BA, NS 26/333; Sammlung Schumacher Gruppe VIII, Nr. 251) zweifelhaft. 36 Die Urheberschaft am Namen selbst ist strittig; vgl. Gamm, 1964, S. 301 f. gegen Klose, a.a.O., Anhang; Koch, a.a.O., S. 99 (übereinstimmend mit Gamm); bei- den Versionen widerspricht die Aussage in BA, NS 26/336. 37 Sie wurde am 13.04.1932 mit der SA (und der SS) verboten, arbeitete jedoch wie diese weiter. Bei der Zusammenfassung der Führung der ns Jugendorganisatio- nen im Frühsommer 1932 erfolgte die Ausgliederung aus der SA. 38 Gründung im Juli 1930 (Brandenburg, a.a.O., S. 51; Klose, a.a.O., Anhang); offizielle Eingliederung in die Reichsleitung der H.-J. am 01.10.1931 (BA, Samm- lung Schumacher, Gruppe VIII, Nr. 251); Übernahme - nicht ohne Widerstand - aller Mädchen-Organisationen der NSDAP am 07.07.1932 (Brandenburg, a.a.O., S. 52; BA, Sammlung Schumacher, a.a.O.). Die um ihre "Jungmädchenschaften" (14- 18jährige) gebrachte UNS Frauenschaft" plante alsbald die Gründung von "Mäd- chenschaften" (18-21jährige), was nach Protesten v. Schirachs unterblieb (BA, NS 22/859). Der Streit um diese Altersgruppe sollte sich tradieren (vg1. Abschnitt 7.3.3). 39 Mädchen waren auch aktiv am "Kampf um die Macht" beteiligt oder in ihn verwickelt: auf der "Ehrentafel" der "Toten der Hitler-Jugend" - die aufzuzählen zur JM-Leistungsprüfung gehörte - findet sich auch ein Mädchenname (Erika Jor- dan, Berlin); er fehlt allerdings in späteren Auflistungen. 40 Offizielle Sprachregelungen. 41 BA, NS 22/859; NS 26/345; Sammlung Schumacher 230. Dazu: Jill Stephen- son: The Nazi Organisation of Women. In: Peter D. Stachura (Hrsg.): The Shaping of the Nazi State. London 1978, S. 186-209. 42 Die Kompetenzen wurden verhandelt mit Robert Ley als (seinerzeit noch) stellvertretendem Reichsorganisationsleiter und Führer der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Dabei blieb die Aufsicht über die werktätigen Jugendlichen ein Zankapfel bis 1938; im Oktober 1933 wurden die "Jugendbetriebszellen" der NSDAP und der DAF der H.-J. eingegliedert; im Dezember wurde erstmals Zusammenarbeit zwi- schen der DAF (Jugendamt) und der RJFg. (Sozialamt) vereinbart - vgl. Anm. 60. 184 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 43 Lotte Becker: Der Bund Deutscher Mädel. In: Rudolf Benze/G. Gräfer: Erzie- hungsmächte und Erziehungshoheit im Großdeutschen Reich. Leipzig 1940, S. 93- 117, hier S. 94. "Erziehungsbund" wurde zur Metonymie für den BDM. 44 Hitler am 19.05.1933 (An meine Jugend, a.a.O.). 45 Hitler auf dem Reichsparteitag 1934 (ebd.). 46 Trude Mohr (vgl. Anm. 21), die Gaureferentin von Berlin und Brandenburg (Brandenburg, a.a.O., S. 53). Organisation und Besetzung der BDM.-Führung sind zeitlich nicht mehr genau zu rekonstruieren. 47 Hartmann Lauterbacher [Stabführer in der RJFg.]: Fünf Jahre HJ.-Arbeit. In: Wille u. Macht 4 (1936), Heft 21, S. 1-6, hier S. 5. 48 So die überall zu lesende offizielle Version. - Ende 1932 hatte die H.-J. 107.956 Mitglieder, davon 23.900 im BDM.; Ende 1933 waren es bereits 2,3 Mill., davon 1 Mill. im BDM. (Kaufmann, 1940, S. 33); zeitweilig (1934 und 1936) mußte eine Mitgliedssperre verhängt werden. Daß der Andrang auch auf "Gleichschal- tung" und Verbot aller anderen Jugendorganisationen zurückging, wurde seinerzeit nicht einmal verschwiegen, vgl. z. B. Gott/ried Neeße: Die Einigung der deutschen Jugend im nationalsozialistischen Reich. In: Wille u. Macht 4 (1936), Heft 21, S. 10-16; eine der üblichen harmonisierenden Darstellungen steht im selben Heft! - Aus heutiger Sicht: Peter D. Stachura: The National Socialist "Machtergreifung" and the German Youth Movement. Coordination and Reorganisation 1933-1934. In: Journ. of Europ. Studies 6 (1975), S. 255-272. 49 Die letzte Parole ignoriert bezeichnenderweise, daß 1936, nicht nur die 10- 14jährigen Jungen ("Deutsches Jungvolk"), sondern auch die 1O-14jährigen Mäd- chen ("Jungmädelbund") voll in der H.-J. "erfaßt" wurden (vgl. Anm. 13). 50 Vgl. Abschnitt 7.2.2. 51 Am 01.06.1934; vgl. Klönne, a.a.O., S. 16. 52 Jedes H.-J.-Mitglied mußte sich auf "Tauglichkeit" untersuchen lassen und hatte einen "Gesundheitspaß" zu führen. Einsatz im "Gesundheitsdienst" der H.-J. wurde zum BDM.-Leistungsabzeichen verlangt. "Gesundheitsappelle" wurden jähr- lich durchgeführt. - Alle Angehörigen des BDM. hatten zwei Turn- bzw. Sportstun- den pro Woche zu absolvieren. Diese "Ertüchtigungsarbeit" präsentierte sich je- Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 185 weils auf den Sportfesten am jährlichen "Reichssporttag" des BDM. - Die RJFg. versuchte, die "Körperschulung" der Jugend (außerhalb der Schule) zu monopoli- sieren. Zum grundsätzlichen Anspruch vg!. Winfried Joch: Politische Leibeserzie- hung und ihre Theorie im nationalsozialistischen Deutschland. Bem/Frankfurt, M. 1976 (Europ. Hochschulschriften Reihe XI, Bd. 31). 53 Verfügung vom 07.06.1934; Dokument bei Gamm, 1964, S. 309 f. 54 Berlin, 09.-15.04.1934; Siegerehrung jeweils am 1. Mai durch Hitler. Mit dem Reichsberufswettkampf erhob die RJFg. den "Anspruch der Bewegung auf die Berufserziehung der Jugend" - vg!. Aufsatz gleichen Titels von Günter Kaufmann in: Das Junge Deutschland. Amt!. Organ des Jugendführers des Deutschen Reiches (im folgenden: DJgDschld) 31 (1937), S. 98-103. Zwischen RJFg. und DAF kam es hierüber ständig zu Reibereien. - 1937 wurde der Reichsberufswettkampf auch für Erwachsene geöffnet. 55 Vgl. Artur Axmann [Leiter des Sozialen Amtes der RJFg.]: Der Reichsberufs- wettkampf. Berlin 1938; Günfer Kaufmann: Der Reichsberufswettkampf. Die beruf- liche Aufrüstung der deutschen Jugend. Berlin 1935. Lingelbach, a.a.O., S. 125-129; Theo Wolsing: Untersuchungen zur Berufsausbildung im Dritten Reich. Ratingen/ Kastellaun/Düsseldorf 1977, S. 496-545. 56 Ohne Verfasser: Ritler-Jugend 1933-1943. In: DJgDschld 37 (1943), S. 2-64, hier S. 20. - Zit. als: Hitler-Jugend 33/43. 57 Der Hintergrund für diese als entwicklungspsychologische Einsicht des RJF dargestellte Maßnahme wäre soziologisch zu erhellen. Überliefert ist, daß vom Reichsparteitag 1936 (Teilnahme: rund 100.000 R.-J.-Mitglieder) 900 Mädchen (aus dem MB) schwanger zurückkehrten; die Vaterschaft konnte nur in knapp mehr als der Hälfte der Fälle geklärt werden (Grunberger, a.a.O., S. 291). - Ergänzung 1994: Grunberger nennt als Quelle: Hans von U)71: Ein Schweizer er- lebt Deutschland. Zürich: Europa-Verlag [0.1.], S. 255 (Grunberger a.a.O., S. 517, Anm. 57); an angegebener Stelle gibt v. U)71 aber lediglich eine gesprächsweise Aus- sage wieder; sie kann nicht als hinreichender Beleg für eine Tatsachenfeststellung gelten; ob ein Gerücht oder ein - seinerzeit - allgemein bekannter Sachverhalt kol- portiert wird, ist heute nicht mehr festzustellen. Die besagten Schwangerschaften werden ebenfalls angeführt bei Rita Thalmann: Frausein im Dritten Reich. Mün- chentWien 1984; dort ist ohne Beleg von "etwa 1000 Mädchen" die Rede, die vom Parteitag 1936 schwanger zurückgekehrt seien ( a.a.O, S. 131). - Nach dem histori- schen Beleg für den behaupteten Sachverhalt gefragt und damit die quellenkritische 186 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend Nachforschung angeregt hat Dr. Jutta Rüdiger in mehreren persönlichen Briefen an die Verfasserin; Frau Rüdiger bestreitet die fraglichen Schwangerschaften energisch - vgl. auch Jutta Rüdiger: Richtigstellung von Desinformationen über die Hitler-Ju- gend und den Bund deutscher Mädel. In: Askania Annual Nr. 9 (Sept. 1986). 58 Sie stellt einen formalen Exzess dar, der von der Fahrt-, Gruß-, Heim-, Lager-, Wimpel-, Kleiderordnung usw. bis zur minutiösen Dienststellenordnung der einzelnen Teilverbände reichte (VHB, S. 683-750). Sie wurde mehrmals angepaßt, zuerst nach Kriegsbeginn. 59 Sie wurde 1940 durch die "Dienststrafordnung" ("Kriegsdienststraford- nung") ersetzt (VHB, S. 997 ff.). Für die HJ kam ein "Jungdienstarrest" hinzu (VHB, S. 1020). Diese "schärfere Ausprägung der Erziehungsgewalt" (Hitler-Ju- gend 33/43, S. 47) ist eher eine Bankrotterklärung der Erziehung. 60 Mit Berufung auf dieses Gesetz suchte der RJF alsbald seine Kompetenzen zu erweitern: Über die "Erziehung der Landjugend" wurde im Mai 1937 ein "Arbeits- abkommen" mit dem "Reichsnährstand" geschlossen (DJgDschld 31 (1937), Amtl. Bekanntmachungen, S. 284), mit der DAF gab es Streit: v. Schirach unterstellte sich persönlich den Leiter des Jugendamtes der DAF, Ley verbat sich "Eingriffe in den Dienstbetrieb"; 1938 kam es zu einer grundsätzlichen Vereinbarung über Zusam- menarbeit: sie sah u. a. vor, daß zu "Jugendwaltern" bzw. "Jugendwalterinnen" in den Betrieben H.-J.-Führer bzw. -Führerinnen bestellt wurden, die "Erfassung und sozialpolitische Betreuung der berufstätigen Jugendlichen" aber durch die DAF er- folge (DJgDschld 32 (1938), Amtl. Bekanntmachungen, S. 605 f.). 61 Dasjenige zur Schule wurde im selben Jahr mit der Gründung der Adolf-Hit- ler-Schulen gemacht. Sie waren der männlichen Jugend vorbehalten. V gl. Harald Scholtz: Nationalsozialistische Ausleseschulen. Internatsschulen als Herrschaftsmit- tel des Führerstaates. Göttingen 1973. 62 Am 24.01.1937 in Braunschweig; eröffnet im Februar 1939 - vgl. Abschnitt 7.5.3. 63 V. Schirach, 1936, S. 155. - Der Frage, wie diese klassischen Elemente der Friedenserziehung hier politisch gemeint waren, kann an dieser Stelle nicht nachge- gangen werden. 64 Am 19.01.1938. Vgl. G. K. [Günter Kaufmann]: Glaube und Schönheit. In: Wille u. Macht 6 (1938), Heft 3, S. 1-3 (zit. als: Kaufmann, 1938). - Zur "Beauftrag- Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 187 ten" für das BDM.-Werk wurde die Obergauführerin von Franken, Clementine zu Castell, ernannt (DJgDschld 32 (1938), Amtl. Bekanntmachungen, S. 140). 65 V gl. Jahrbücher der Reichsfrauenführung ("Deutsches Frauenschaffen ") 1937 und 1938 (BA, NSD 47/33 u. 34). Über diesem Kompetenzstreit rangierte das Interesse der Partei, die weibliche Jugend so lange wie möglich zu erfassen. Für die männliche Jugend hatte sich mit Wehrpflicht und Arbeitsdienstpflicht "das Erzie- hungssystem " bereits 1935 "vollendet" (Hit/er-Jugend 33/43, S. 26); für die weibli- che Jugend bestand noch die "Gefahr individualistischer Vereinzelung", würde sie nicht auch " in die feste Erziehermacht des Staates eingespannt" (Becker, a.a.O., S. 107). Vgl. Abschnitt 7.1. 66 Reichsverfügungsblatt 58/41 vom 11.12.1941, Ausgabe A, Anordnung A 52/41 . Das Reichsverfügungsblatt der Reichskanzlei war vertraulich (BA, NS 22/856); umfängliche Durchführungsbestimmungen dokumentierten die Verbissen- heit der Auseinandersetzung (VHB, S. 2389-2392). 67 Am 05.01.1938. Vgl. : Hauswirtschaftliehe Ertüchtigung des BDM. In: DJgDschld 32 (1938), S. 1-9, hier S. 3 f. - Die Durchführungsbestimmungen von 1938 und 1941 (VHB, S. 2630) lassen keinen Zweifel daran, daß es darum geht, dem Arbeitskräftemangel auf den Sektoren Sozial pflege, Haus- und Landwirtschaft abzuhelfen. - Als ein Monat später mit der "Anordnung zur Durchführung des Vier- jahresplanes über den verstärkten Einsatz von weiblichen Arbeitskräften in der Land- und Hauswirtschaft" das "weibliche Pflicht jahr" eingeführt wurde, geriet die Maßnahme des BDM. zum moralischen Appell (vgl. Zwischenbilanz in: DJgDschld 32 (1938), S. 544). Als Institution war der BDM. zusammen mit der DAF und dem Reichsnährstand zuständig für "geistige Schulung und körperliche Betreuung" der "Pflichtjahrmädel" (VHB, S. 2481 ff.) . 68 Hitler-Jugend 33/43, S. 39; vgl. dazu die" 10 Gebote zur Gesundheitspflichf' bei Kaufmann, 1940, S. 70. 69 Rundschreiben M 1/39 g (BA, NS 28/32). 70 Rundschreiben 20/39 G, Vermerk "Geheim" (BA, NS 28/32). 71 VHB, S. 555 ff. 72 Parole für 1944 bei Koch, a.a.O., S. 351. Die ebd. angegebenen Parolen für 1941 und 1943 entsprechen nicht den offiziell formulierten. 188 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 73 Hierzu und zum folgenden: "Einsatzkalender", VHB, S. 585; Hitler-Jugend 33/43, S. 42 ff. 74 Seit 1933 wurde die H. -J. jeweils am "Tag der deutschen Jugend" (19.11.) für das Winterhilfswerk aktiv. - Im Herbst 1942 wurde eine Spielzeugaktion unter dem Motto "Wettrüsten für das Kriegswinterhilfswerk" durchgeführt; ein Widersinn scheint dabei öffentlich nicht wahrgenommen worden zu sein. 75 September 1940. Die Kinderlandverschickung (KLV) wurde von H.-J. und NSV organisiert. Dauer des Lageraufenthalts: in der Regel 6 Monate; den Unterricht hatte der NS Lehrerbund zu gewährleisten. Mit den "Eltembriefen der KLV" rea- gierte das Presse- und Propaganda-Amt der RJFg. auf Vorbehalte gegenüber diesem "großen Erholungswerk" (Stereotyp). 76 Vgl. Reichsbefehle der RJFg. der NSDAP von 1941 (BA, NS 28/36). 77 Seit 1943. Zum Einsatz von Mädchen und Frauen in der Rüstungsindustrie und zum Tauziehen um die weiblichen Arbeitskräfte vgl. v. Gersdorff, a.a.O., Wznk- ler, a.a.O. 78 Seit 1942 wurden volljährige Mädchen bei der Wehrmacht eingesetzt C'Wehrmachthelferinnen"). Mit den DVO zum Erlaß über den totalen Kriegseinsatz (25.07.1944, RGB I, S. 161) fiel die Altersgrenze. Ende 1944 wurden BDM.-Ange- hörige direkt eingezogen, vorwiegend als "Luftwaffenhelferinnen" der Flak, teil- weise im Geschützdienst und mit Kombattantenstatus (Brandenburg, a.a.O., S. 230; Klose, a.a.O., S. 261 f.). Im Februar 1945 schließlich willigte Hitler in die Aufstel- lung von "Frauenbattallions" ein: "ob Mädchen oder Frauen, ist ganz wurscht: ein- gesetzt muß werden" (v. Gersdorff, a.a.O., S. 72). 79 Neue Dienstvorschrift vom 20.09.1939; am 10.02.1943 wurde die Führung der beiden Teilorganisationen zusammengelegt: Reichsverfügungsblatt 19/43 vom 15.03.1943, Ausgabe A, Bekanntgabe B 7/43 (BA, NS 22/856); seit 1939/40 waren in die Führungsstäbe BDM.-Führerinnen auf die Stellen der eingezogenen Männer gerückt (BA, NS 28/36). 80 Vgl. Anm. 59. 81 Vgl. Anm. 13. Sie wurde wie alle Pflichtdienste seinerzeit zum "Ehrendienst am Deutschen Volke" erklärt (2. DVO, § 1.1.); am 20.04.1940 wurde auch der bis- lang nicht "erfaßte" Jahrgang 1923 "aufgerufen". - Die 3. DVO vom 11.11.1939 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 189 (RGB I, S. 2178) bekräftigte die Stellung der RJFg. als einer "Obersten Reichsbe- hörde" (H.-J.-Gesetz, § 3): die Regierungspräsidenten bzw. Landesregierungen wa- ren ihr nach geordnete Dienststellen. Damit lag die Leitung des "Jugendeinsatzes" auf staatlichem Sektor ebenfalls bei der RJFg. Offiziell war diese KlarsteIlung "zur Durchführung des Erziehungsauftrags" notwendig (Hit/er-Jugend 33/43, S. 47). 82 Brandenburg, a.a.O., S. 185. 83 Erstmals am 22.03.1942; vgl. Dokument bei Gamm, S. 334 f. 84 Hitler-Jugend 33/43, S. 55. Die ordentliche Berufsausbildung sollte zwar ge- sichert werden, doch litt sie unweigerlich und wurde ab 1944 ganz zurückgestellt (vgl. Wolsing, a.a.O., S. 229). 85 Die Lager wurden von der DAF (!) geleitet; sie fanden auf der Ordensburg Vogelsang statt (v gl. Bericht in: DJgDschld 36 (1942), S. 193-201); Teilnehmer wurden benannt. Damit sind diese Lager ein Beispiel dafür, wie sich, soziologisch gesehen, Auslese gegenüber der propagierten Chancengleichheit (vgl. Pkt. 20 des Parteiprogramms der NSDAP), für die der Reichsberufswettkampf geradezu zum Symbol erhoben worden war, durchsetzte. - Zur "Nachwuchslenkung im Kriege" vgl. Wolsing, a.a.O., S. 211 ff; Wolsing erwähnt die Ausleselager nicht. 86 In den amtlichen Nachrichten in: DJgDschld 35 (1941) ff. finden sich zuneh- mend offizielle Dienstbefreiungen. 87 Eine Verteilung auf die erkennbaren historischen Entwicklungsphasen kann hier unterbleiben. 88 So zu verfahren, wäre in systematischer Hinsicht kurz-, in historischer Hin- sicht zirkelschlüssig: die offizielle erziehungstheoretische Darstellung der Arbeit des BDM. ist ihrerseits Teil dieser Arbeit und folgt ihr nach; der Darstellung Gründe für die Arbeit abzunehmen, hieße Wirkungen zu Ursachen zu erheben. 89 Kaufmann, 1938, S. 1. 90 Vgl. Abschnitt 7.3.3. 91 Kaufmann, ebd. 92 Becker, a.a.O., S. 107. 190 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 93 Kaufmann, 1938, S.2. 94 Becker, a.a.O., S. 106. 95 VHB, S. 2377 ff. 1943 richtete das BDM.-Werk "Nähstuben" und "Koch- abende " ein, die zur Resteverwertung und zum Umgang mit Ersatzstoffen anleiteten (VHB, S. 2646 ff.). 96 Hitler-Jugend 33/43, S. 44. 97 V gl. die von der RJFg. herausgegebenen Zeitschriften: Das Deutsche Mädel, DJgDschld, Wille u. Macht; im folgenden wird nur die Rhetorik zum "weiblichen Kriegseinsatz " berücksichtigt. 98 Arbeitsschutzbestimmungen wurden, wenn nötig, unterlaufen; insbesondere beim "Arbeitseinsatz in den Ostgebieten" wurde mit dem Mindestalter hin- und herjongliert (VHB, S. 251 ff.). 99 Diese stets mit der "notwendigen Erziehung und Führung" der BDM.-Mäd- chen und der Sorge um ihre Gesundheit begründete Forderung diente hauptsächlich ihrer politischen Kontrolle (zum Nachlassen der Disziplin dienstverpflichteter Mäd- chen und Frauen vgl. Wink/er, a.a.O., S. 92 ff.) und ihrer Verwahrung (vgl. u. a. den beredten Befehl des Reichsführers SS zum "Schutz der weiblichen Jugend" vom 27.04.1942 bei v. Gersdorff, S. 360). 100 Der "kriegsbedingte Mangel an Erziehungsaufsicht" führte unter dem Vor- sitz der RJFg. Vertreter u.a. von Polizei, Justiz, Wehrmacht, Reichsarbeitsdienst und Partei in der "Reichsarbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung" zusammen; sie sorgte sich um die "Leistungsfreude" der Jugend (Hit/er-Jugend 33/43, S. 56). Kla- gen der Reichswirtschaftskammer über "Disziplinlosigkeit" unter Lehrlingen bei Wolsing, a.a.O., S. 226 f. 101 Die Begeisterung großer Teile der Hitler-Jugend ist vielfach bezeugt und wurde in der Sekundärliteratur nach 1945 nirgends bezweifelt. Zeugnisse und Doku- mente zuletzt bei: George L. Mosse: Der Nationalsozialistische Alltag. So lebte man unter Hitler. Königstein 1978. 102 "Gliederung" meint die horizontale, "Aufbau" die vertikale Organisations- ebene; beide Begriffe werden in der Sekundärliteratur nach 1945 durcheinanderge- bracht und als Unterordnungsverhältnis mißverstanden. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 191 103 VHB, S. 71 ff.; Schaubild bei Kaufmann, 1940. Die riesige Behörde wurde öfter umgegliedert; sie litt an Überorganisation und Bürokratismus; ihre Gliederung wiederholte sich auf den beiden nächstunteren Führungsebenen vollständig. 104 Gliederung und Aufbau der Teilverbände der männlichen Jugend waren im Prinzip die gleichen; die Bezeichnungen wichen ab. Zwischen 1933 und 1942 fan- den mehrere Umgruppierungen und entsprechende Umbenennungen statt. - Zur de- taillierten Information verweise ich auf: Aufbau, Gliederung und Anschriften der Hitler-Jugend. Amtliche Gliederungsübersicht der RJF der NSDAP. Hrsg. Reichsju- gendführung, Berlin 1934; Eugen Frieder Bartelemäs (Hrsg.): Das junge Reich. Vom Leben und Wollen der neuen Deutschen Jugend. Stuttgart 1934, S. 34; Gamm, 1964, S. 479 (ohne Nachweis, wahrscheinlich aus Bartelemäs, ebd.); Hilde Munske (Hrsg.): Mädel im Dritten Reich. Berlin 1935, S. 11. 105 Vgl. Anm. 3; die im folgenden dargestellte Gliederung nach Jahrgängen stand 1936. 106 Im BDM.-Werk bildeten alle vier Jahrgänge zusammen Arbeits- gemeinschaften von je 10-50 Mädchen; je zehn Arbeitsgemeinschaften waren zu ei- ner "BDM.-Werkgruppe" zusammengeschlossen, und mit dieser auf der Führungs- ebene "Mädelring " anhängig. 107 Rechnerisch mußten in jedem Teilverband vier unterste Einheiten gebildet werden: je eine pro Jahrgang. Das war aber nicht immer möglich - vor allem auf dem Lande. 108 "Ein einziger Wille führt die Hitler-Jugend. Die Befehlsgewalt des HJ.-Füh- rers, der kleinsten wie der größten Einheit, ist absolut" (v. Schirach, 1936, S. 67). 109 Am 01.05.1939 waren es 765.000 (Hitler-Jugend 33/43, S. 40); davon waren nur 8.017 hauptamtlich tätig. Wilhelm addiert diese Zahlen falschlicherweise (a.a.O., S. 142). 110 Becker, a.a.O., S. 93. - Im folgenden wird vornehmlich dieser Aufsatz zitiert, weil er den theoretischen Ansatz beispielhaft vorführt und heute noch allgemein zu- gänglich ist. Lotte Becker war Leiterin der Reichsführerinnenschule des BDM. in Potsdam. 111 Becker, S. 95. 192 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 112 Becker, S. 93. 113 Becker, S. 97. 114 Z. B. Bürkner, 1937, S. 6. 115 Benze, a.a.O., S. 106. 116 Becker, S. 95. 117 Standard-Argumentation, hier aus Bürkner, 1937, S. 6 f.; vgl. Becker, S. 95 f. 118 V. Schirach, 1936, S. 67 f. 119 Die "hektische Getriebenheit" und "gesteigerte Nervosität" der Hitler-Ju- gend fiel auf: Grunberger, a.a.O., S. 282, 295; dazu Maschmann, a.a.O., S. 153, 156. 120 Verbote von Überforderung und Überanstrengung und diesbezügliche Wei- sungen bzw. Versicherungen begleiten die H.-J. Vgl. z. B. Hitler-Jugend 33/43, S. 16, 23, 54; VHB, S. 2395; Unfallstatistik und "Gesundheitliche Sicherung" (BA, NS 28/33 u. 34). Besonders im Kriege straften die ständigen Appelle zur Lei- stungssteigerung solche Mahnungen Lügen. 121 Gamm, 1964, S. 339 ff; nicht aufgeführt ist hier das BDM.-Leistungsabzei- chen in Silber. 122 Privates Exemplar; Zitat v. Schirach. 123 Wilhelm, a.a.O., S. 142. 124 Maschmann, a.a.O., S. 54. 125 Nach Angaben in: Hitler-Jugend 33/43, S. 13 u. 18. Die Zahlen dürften dem Mitgliederstand entsprechend ab 1936 für die Organisation der männlichen und der weiblichen Jugend etwa je zur Hälfte gelten; zu beachten ist, daß der hauptamtliche Führungsapparat des BDM. erheblich kleiner war als derjenige der HJ, und die RJFg. überwiegend von Männem besetzt war. Zahlen für 1938 u. 1939 geschätzt; die Kapazität des "Führerschulungswerks der Hitler-Jugend" wurde hinzugerech- net. Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 193 126 Becker, a.a.O., S. 109. 127 V gl. "Dienstkontrollbuch " der Einheitsführerinnen (privates Exemplar). Über nicht erfolgte "Ernennungen" liegen Verf. keine Angaben vor. Wer sich im hauptamtlichen Führungsapparat auf einer höheren Position nicht bewährte, blieb im alten Rang und in der alten Dienststelle (VHB, S. 789). 128 Angaben bei Becker, a.a.O., Bürkner, 1936 u. 1937; Hitler-Jugend 33/43. 129 Sie enthielten das Standard-Repertoire nationalsozialistischer Ideologie: NS Geschichte, Rassenkunde, Politik. 130 Sie wurden jeweils im "Winterdienstplan" angeboten und von angeworbe- nen Kräften (Lehrern, Politikern) geleitet. V gl. Raimund Schnabel: Das Führerschu- lungswerk der Hitler-Jugend. Berlin 1938 (Schriften der deutschen Hochschule für Politik, Heft 22/23). 131 Becker, a.a.O., S. 110. 132 Diese Zahl war 1937 erreicht. 133 In Boysen (Ostpreußen), Godesberg und Potsdam. 134 Becker, S. 100. 135 Am 24.02.1938, vgl. DJgDschld 32 (1938), S. 139f. Die angekündigten Aus- führungsbestimmungen konnte Verf. nicht auffinden. 136 Am 01.01.1940 waren 2.500 Angehörige des Führerkorps eingezogen (Hit- ler-Jugend 33/43, S.46f.). 137 Ab 1942/43: "Bannführerin". Die Akademie-Ausbildung ist bei Becker, a.a.O., noch nicht erwähnt. Vgl. Jahrbuch des BDM. 1943 ("Wir schaffen"). Hrsg. RJFg., Brombach bei Lörrach 1943, S. 178f. Dazu: Jürgen Schulz: Die Akademie für Jugendführung der Hitter-Jugend in Braunschweig. Braunschweig 1978 (Braun- schweiger Werkdrucke, Bd. 55, Reihe A); dies Buch lag Verf. nicht vor. 138 Kriterium war "die einwandfreie nationalsozialistische Haltung" ("Ausbil- dungsordnung", a.a.O.). 194 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 139 V. Schirach, 1936, S. 171. 140 Maschmann, a.a.O., S. 54; vgl. dagegen S. 161. 141 Hitler-Jugend 33/43, S. 17. 142 Sie war durch das "Traditions-Armabzeichen" kenntlich und ausgezeichnet. 143 Sie wurde zuletzt in der Übertragung soziologischer Fragestellung (vgl. Grunberger u. Schoenbaum, a.a.O.; hier Anm. 85) unter dem Gegensatz Chancen- gleichheit oder Elitismus erörtert (vgl. Kater, 1978 u. 1979). Ich halte das für irre- führend: Der Beitrag der H.-J. zur Ausbildung von Kindern unterer Einkommens- schichten hat pädagogisch gesehen nichts mit Chancengleichheit zu tun; daß im Förderungssystem der H.-J. keine soziale Auslese stattfand, heißt nicht, daß man Chancengleichheit herstellen wollte; vielmehr setzte man, anthropologisch ver- brämt, auf politische Auslese. Insofern ist die Parole "freie Bahn dem Tüchtigen" mit Elitismus durchaus zu vereinbaren: Chancen und Förderung sollten niemals al- len gleich, sondern immer den "Tüchtigen" als den "einwandfreien" Nationalsozia- listen zukommen. 144 Bürkner, 1936, S. 9. Bürkner forderte damals energisch "Nationalpolitische Erziehungsanstalten" (NPEA) auch für Mädchen. In der Folgezeit wurden vier NPEA für die weibliche Jugend (gegenüber 30 für die männliche) eingerichtet; vgl. Benze, a.a.O., S. 59 ff. und Horst Oberhorst (Hrsg.): Elite für die Diktatur. Die Na- tionalpolitischen Erziehungsanstalten 1933-1945. Düsseldorf 1969. 145 Bürkner, ebd.; dies ist theoretisch folgerichtig, vermag aber die zuvor erho- bene Forderung nach gleichartigen Schulen nicht zu stützen. - Die schul politische Hilfsargumentation von der - moralischen - Gleichwertigkeit aber empirischen An- dersartigkeit ist heute noch aktuell. 146 Erna Pranz: Die Zukunft der beruflichen Mädelarbeit. In: DJgDschld 31 (1937), S. 497-502, hier S. 500. Pranz verweist in diesem Zusammenhang kritisch auf die Absorbierung weiblicher Arbeitskräfte in den Gliederungen und Verbänden der NSDAP. 147 Daß man in der Parteileitung über dies Stereotyp frei verfügte - ihm also nicht selbst verfallen war - zeigt besonders deutlich die Anordnung "der besonderen Propaganda für Schwesternarbeit" in: Rundschreiben der Reichsleitung der NSDAP Nr. 29/37 vom 09.12.1937 (BA, NS 22/859). Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 195 148 Vgl. Abschnitt 7.3.3 und Anm. 67. 149 Pranz, ebd. 150 Vgl. Abschnitt 7.3.5. 151 Vgl.: ohne Verfasser: Die hauswirtschaftliche Ertüchtigung. Zwischenbilanz der Mädelarbeit. In: DJgDschld 32 (1938), S. 543f. und Wolsing, a.a.O., S.202. 152 1935 wurden die ersten drei Schulen eröffnet; bis 1942 stieg ihre Zahl auf 35 (Hitler-Jugend 33/43, S. 34). 153 In der Regel durch die Unterrichts verwaltungen der Länder. Die "reichsein- heitliche Ordnung des hauswirtschaftlichen Erziehungswesens" durch die Erlasse vom 01.02.1939 (vgl. Deutsche Wissenschaft, Erziehung u. Volksbildung. Amtsblatt des Reichsministeriums f. Wiss. Erz. u. Vb. [im folgenden : DWEuVb] 5 (1939), Amtl. Teil, S.86 ff.) sah zukünftig nur noch öffentliche Schul träger (Gebietskörper- schaften) vor; der BDM. wurde erst am 08.11.1940 als Schulträger zugelassen, die Genehmigung oder Anerkennung seiner Schulen sollte maßgeblich der neuen Bestimmungen überprüft werden (DWEuVb 6 (1940), Amt\. Teil, S. 537f.). 154 Die Stundentafel der staatlichen Haushaltungsschulen sieht "Reichskunde " (Benze, a.a.O., S. 39), die der BDM.-Schulen statt dessen "National politischer Un- terricht" vor (VHB, S. 2637). 155 Es läßt sich vermuten, daß der Schulbesuch vielfach dazu diente, die Dienst- verpflichtung abzukürzen oder aufzuschieben. 156 VHB, S. 2645. 157 Pranz, a.a.O., S. 501. 158 Erna Pranz: Der Ausbildungsplan für die Hauswirtschaft. In: DJgDschld 32 (1938), S. 124-127, hier S. 124. Der Plan ist nicht verwirklicht worden. 159 Benze, a.a.O., S. 36 u. 40. 160 In Behle (Ostpreußen); vgl. G[ertrudJ Kunzemann: Die erste zweiklassige Landfrauenschule des BDM. In: DJgDschld 31 (1937), S. 560f. - In der Liste der "anerkannten ein- und zweiklassigen Landfrauenschulen im Jahre 1939" steht diese 196 Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend Schule noch nicht (DWEuVb 6 (1940), Amt!. Teil, S. 261 0; sie wird 1941 in ande- rem Zusammenhang erwähnt (DWEuVb 7 (1941), S. 280); in der offiziellen Schulli- ste von 1941/42 fehlt sie wieder; dort sind insgesamt drei Landfrauenschulen des BDM. bzw. der RJFg. verzeichnet (DWEuVb 9/10 (1943/44), Amt!. Teil, S. 246f.). 161 DWEuVb 4 (1938), Amtl. Teil, S. 350f. 162 Der Erlaß vom 08.11.1940 (vgl. Anm. 153) bestimmte, daß der BDM. mit öffentlichen Schulträgern nicht konkurrieren und seine Schulen grundsätzlich nicht in Städten oder größeren Orten mit entwickeltem Schulwesen errichten durfte. 163 Vg!. Abschnitt 7.3.2 u. Anm. 54. 164 Rundschreiben der RJFg. vom 24.04.41: Verstärkter Mädel-Berufseinsatz im Kriege (VHB, S. 2514). 165 Becker, a.a.O., S. 112. 166 Martha Moers: Berufswahl nach weiblicher Eigenart. In: DJgDschld 38 (1944), S. 46-50, hier S. 50. 167 Zur Tradition des Begriffs vg!. Tornieporth, a.a.O., S. 188ff. 168 Gertrud Scholtz-Klink [Führerin der NSF] in einem Interview zur Frage, ob "die Erfüllung eines Frauenlebens auch durch einen Beruf gefunden werden (kann)", in: Die Arbeit des Frauenamtes der DAF für die schaffende Frau. Hrsg. Propagandaamt der DAF, Berlin, Sept. 1938, hier S. 6 (BA, NSD 50/171). 169 Das folgende gilt für den Verband der männlichen Jugend nicht in gleicher Weise. 170 Stachura, 1978 (übers. G. Miller); ebenso urteilt Daniel Horn - Daniel Horn: Ritler Youth and Educational Decline in the Third Reich. In: History of Edu- cational Quaterly 16 (1976), S. 425-447. 171 Vg!. Abschnitt 7.3.5. 172 Wolfgang F. Haug u.a.: Ideologische Komponenten in den Theorien über den Faschismus. In: Das Argument 33 (Faschismus-Theorie 111), Berlin (West) 1965, S. 6. An die mit diesem Argument-Band begonnene Diskussion über die Stelle der Der Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend 197 Ideologie im Nationalsozialismus wird soeben wieder angeknüpft: vgl. Das Argu- ment 117, Berlin (West) 1979. 173 Ihn auszumessen bedürfte es einer eigenen und empirischen Untersuchung; hier genügt die Feststellung; vgl. Anm. 10. 174 Vgl. Abschnitte 7.3.5, 7.4, 7.5.2. 175 Klönne hat "die Auswirkungen der HJ-Erziehung" aus politologischer Sicht neuerlich als die "nahezu absolute gesellschaftlich-politische Neutralisierung der Jugend" beschrieben - Arno Klönne: Die HJ-Erziehung neutralisierte große Teile der Jugend. In: päd. extra Nr. 6 (1979), S. 43-46. Der Begriff "Neutralisierung" er- scheint unglücklich gewählt, da er (nicht Klönne selbst) ein Unbeteiligtsein sugge- riert, dem Einsatz und Einsatzbereitschaft der Hitler-Jugend widersprechen. Die Wirkung war gerade die gesellschafts- wie partei politische Besetzung und Inan- spruchnahme der Jugend für den Nationalsozialismus und die NSDAP. 176 Vgl. Maschmann, a.a.O., S. 212. 177 Report of the Uni ted States Education Mission to Germany. Washington D.C. 1946. Department of State Publication 2664, hier besonders S. 3. 178 V gl. Barrington Moore jr.: Injustice. The Social Basis of Obedience and Re- volt. New York 1978. 179 Vgl. Abschnitte 7.2.1, 7.2.2, 7.2.3. 180 Vgl. Abschnitte 7.3.5 u. Anm. 88. 181 Vgl. a.a.O., S. 118 f., vgl. Anm. 10. 182 Lingelbach, a.a.O., S. 119. 198 199 8 « Überwindung der Ungelernten»? Vorstudien zur Jungarbeiterbeschulung im Dritten Reich 8.1 Vorbemerkung Das Ideal wäre, wenn jedem Jugendlichen die Möglichlichkeit gegeben werden könnte, einen Beruf zu erlernen, und wenn er dazu verpflichtet werden könnte. Das Heer der Ungelernten und Angelernten bleibt immer ein Boden für Unzufriedenheit und mangelnde Sinnerfüllung des Lebens. Eduard Spranger (1939) Seit der gesetzlichen Verpflichtung der Weimarer Verfassung (Art. 145), auch Jugendliche ohne betriebliche Lehre in die Berufsschule aufzunehmen 1, beschäftigt das Problem der «Beschulung» von Jungarbeitern die Fachliteratur. Die Berufsschu- le ist sowohl in ihrer didaktischen Konzeption als auch im Selbstverständnis ihrer Lehrer eine Lehrlingsschule und hat die schulische Versorgung der Jungarbeiter zu- meist als belastende Zusatzaufgabe verstanden. Wäre es nach Georg Kerschenstei- ner, dem «Vater der Berufsschule», gegangen, dann hätte sie sich dieser Aufgabe entzogen, denn er lehnte eine Berufsschule für Jugendliche ohne Beruf kategorisch ab. Tatsächlich hat sich die Berufsschule bis heute der schwierigen Aufgabe gestellt, nicht gerade besonders schulfreudige Schüler aufzunehmen und - so gut es ging - auf das Leben in der Arbeitswelt vorzubereiten. Das berufs- und sozialpädagogische Engagement und die sozialpolitische Verantwortung von Lehrern an beruflichen Schulen, die sich eben dieser Aufgabe verpflichtet wissen, ist noch kaum hinrei- chend gewürdigt worden. Denn weder über die Didaktik für Jugendliche ohne Aus- bildungsvertrag besteht bis heute Einvernehmen, noch über das Curriculum und die zweckmäßige Form der Qualifizierung der «Jungarbeiterlehrer». Auch ist die Ge- schichte der Jungarbeiterproblematik noch nicht in wünschenswerter Gründlichkeit aufgearbeitet worden. Abel, Biermann, Blankertz, Lipsmeier, Nolte, Röhrs und Strat- mann stellen die Jungarbeiterproblematik im historischen Überblick dar und rücken sie damit einer größeren (pädagogischen) Öffentlichkeit in den Blick. Einzelne Epo- chen bedürfen also noch der gründlicheren Ausleuchtung. Das gilt bes~nders für die 200 «Überwindung der Ungelerntem>? in der berufspädagogischen Historiographie notorisch vernachlässigte Zeit des Nationalsozialismus. 8.2 Leitfragen der Untersuchung Die Parole «Überwindung der Ungelerntem> wurde vom Reichsorgani- sationsleiter und Führer der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley, in Umlauf ge- bracht und von seinen Funktionären ebenso wie von Berufspädagogen publizistisch vervieWiltigt. Sie zielte sowohl darauf, <? 201 matische Vorstellungen, Erfolgsmeldungen und leere Phrasen sich vermengen. So- weit sie die Wirklichkeit der Betriebs- und Berufsschulpraxis zu beschreiben versu- chen, sind sie nur selten der in der NS-Zeit geläufigen idealistischen Selbststili- sierung entgangen, die von Berufspädagogen offensichtlich besonders willfährig be- trieben wurde. Gleichwohl werden diese Quellen für eine erste Annäherung an die damalige Ungelerntenproblematik als unverzichtbar angesehen. Die besonderen Forschungs- probleme, die mit einer solchen begrenzten Quellenauswahl aufgeworfen werden, sollen nicht verschwiegen werden. Denkbar ist, daß die propagandistische Fassade der nationalsozialistischen Berufsbildungspolitik, die sich in den betreffenden Publi- kationen erhebt, nicht durchbrochen werden kann, so daß die authentische Unge- lemtenproblematik weiter dahinter versteckt bleibt und - ganz entgegen der aufklärerischen Absicht - sogar mit neuen Mythen angereichert wird. Dies forschungsmethodische Problem ließe sich lösen, wenn a. kritische zeitgenössische Abhandlungen und zuverlässige Statistiken zur Verfügung stünden, b. einschlägiges Archivmaterial erhalten geblieben oder zugänglich wäre, c. neuere Wirtschafts- und Sozial geschichten sich explizit mit dem Ungelern- tenproblem befassen würden. Als materielle Stütze fehlen die drei Quellengruppen jedoch beinahe ganz; so- weit recherchiert, nehme ich selbstverständlich darauf Bezug.4 Dennoch verbleiben beträchtliche Vorbehalte gegenüber der anstehenden Problemanalyse. Zwar hat sich inzwischen erwiesen, daß man Gesetze und Erlasse des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung nicht unge- prüft als Wirklichkeit des beruflichen Schulwesens im Dritten Reich hinnehmen darf; damit ist aber noch nicht ausgemacht, auf welcher untergeordneten Ebene mit welchen Motiven und in welchem Umfang die Durchsetzung bestimmter politischer Ziele abgeschwächt, konterkariert oder unterlaufen wurde. Es versteht sich von selbst, daß diese gebrochene Durchsetzungsfähigkeit nationalsozialistischer Berufsbildungspolitik nur sehr vennittelt Thema in den berufspädagogischen Peri- odika jener Zeit ist, zumal das totalitäre System auch dort Kritik zu ersticken wußte und Verschleierungs- und Affinnationsschreiberlinge allemal begünstigte. Daß gleichwohl kritische Äußerungen durch die Filter der weltanschaulichen Kontroll- instanzen ins Schrifttum gelangten, ist nicht gänzlich auszuschließen; sie sind aufzu- spüren. 202 «Überwindung der Ungelernten»? Die Ungelerntenproblematik war mit divergierenden politischen und ökonomi- schen Interessen verflochten. Dabei dürften die Interessen der Ungelernten selbst und die ihrer Berufsschullehrer die größte Konstanz aufgewiesen haben, zugleich aber mit der geringsten gesellschaftlichen Durchsetzungskraft verbunden gewesen sein. Denn die Ungelernten selbst hatten keine Möglichkeit, sich zu organisieren und ihre Interessen kollektiv zu vertreten. Die Berufsschullehrer, in der Reichsfach- schaft VI des Nationalsozialistischen Lehrerbundes «erfaßt», durften zwar an der nationalsozialistischen Durchdringung des Unterrichts mitarbeiten, waren aber - wie auch der NSLB insgesamt - nicht in der Lage, eine eigenständige Verbandspolitik durchzusetzen. Die Interessen des Beschäftigungssystems hingegen waren zur Zeit der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten, als Massenarbeitslosigkeit in einem bis dahin ungekannten Ausmaß herrschte, andere, als in der Phase der durch Rüstungsaufträge angeheizten Konjunktur, die den Arbeitsmarkt alsbald leer- fegte. Das Interesse der Reichsregierung setzt sich zusammen aus dem Reichsmini- sterium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, dem Reichsministerium für Wirtschaft und dem Reichsministerium für Arbeit, die alle mit der Ungelemtenpro- blematik befaßt waren und nicht notwendigerweise auf dieselben Lösungsansätze hinarbeiteten. Die Deutsche Arbeitsfront und die Hitler-Jugend versuchten über das Vehikel der Ungelerntenfrage ihren Kompetenzbereich zu erweitern. Sogar die Sturm-Abteilung (SA) der NSDAP war erfolgreich auf diesem Felde tätig und unter- hielt eigene Berufsschulen (Kipp 1980). Die vorstehende Auflistung der Gruppierungen, die eigene Interessen mit der Ungelerntenproblematik verbanden, zeigt, welche Informationsfülle eine gründliche Untersuchung zu diesem Thema verarbeiten müßte. In diesen Vorstudien geht es, wie aus den Leitfragen ersichtlich, um das begrenzte «Beschulungsproblem» der Ungelernten.5 8.4 Rahmenbedingungen für die «Überwindung der Ungelernten» Am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft waren die Bedingungen für eine Einlösung der Parole «Überwindung der Ungelerntem> zweifellos ungünstig. Die Wirtschaftskrise, die u. a. zu einer erheblichen Einschränkung der Lehrlingsaus- bildung geführt hatte, war noch nicht abgeklungen, als sich von 1933 auf 1934 die Schulabgänger nahezu verdoppelten; die Berufsberatung sah sich mit der Frage kon- frontiert: «Was geschieht mit dem Schulentlassungsjahr 1934?» (Busold 1933). Es war absehbar, daß selbst bei günstiger Wirtschaftsentwicklung «ein ziemlich hoher Prozentsatz männlicher Berufsanwärter, vor allem aber auch weiblicher Ratsuchen- den, die nicht in Lehrstellen kommen werden, übrig bliebe» (Busold 1933, S. 233). «Überwindung der Ungelerntem>? 203 Daß die demographische Entwicklung die «Überwindung der Ungelernten» gerade im Jahre 1934 so sehr erschwerte, geht aus folgender Statistik über die Schulentlas- sungen im Reich hervor (Busold 1933, S. 231): 1928 .......... 1.293.000 1932 .. ......... 650.903 1929 .............. 1.210.528 1933 .. .......... 696.673 1930 793.023 1934 ........ 1.311.475 1931 717.431 1935 ........ 1.270.537 Der ab 1934 einsetzende Rückgang der Schulentlassenen und der gleichzeitig steigende Nachwuchsbedarf führten zu einer Entspannung des Lehrstellenmarktes - zunächst allerdings nur für die männlichen Jugendlichen: Im Jahre 1939 «kamen auf 555.000 männliche Schulentlassene 582.000 offene Lehrstellen, auf die etwa ebenso hohe Zahl weiblicher Schulentlassener aber nur 221.000 Lehrstellen!» (Gaebel 1941, S. 165). Die gegenläufige Entwicklung der Zahlenreihen von Schulentlassenen und Ausbildungsstellen stellt sich so dar (Stets 1941, S. 3): Zahlen der männlichen Schulentlasenen im Altreich 1934 ...... 620.000 1941 ....... 530.000 1935 ...... 620.000 1942 ....... 525.000 1936 ...... 580.000 1943 ....... 525.000 1937 ...... 565.000 1944 ....... 515.000 1938 ...... 550.000 1945 ....... 490.000 1939 ...... 555.000 1946 ....... 465.000 1940 ...... 550.000 1947 ....... 440.000 Zahlen der bei den Arbeitsämtern des Altreichs gemeldeten männlichen Lehr- und Anlernstellen 1933/34 ... " 155.675 1934/35 ..... 211.790 1935/36 ..... 282.290 1936/37 ... " 365.858 1937/38 ..... 441.356 1938/39 ..... 582.600 204 «Überwindung der Ungelernten»? Die demographische Entwicklung einerseits und der steigende Nachwuchsbe- darf der Wirtschaft andererseits hatten also der Einlösung der Parole «Überwindung der Ungelernten» den Weg geebnet - indessen gab es weiterhin Ungelernte und auch die Ungelerntendiskussion riß nicht ab (s. Literaturverzeichnis). Ein auffälliges Merkmal der berufspädagogischen «Ungelerntendiskussion» im Dritten Reich ist ihr Absehen von Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft. Branchentypische Differenzierun- gen hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen an Arbeitskräfte werden in der Mehrzahl der Publikationen zur Ungelerntenfrage unterschlagen. Damit ist die Durchsetzungsfahigkeit des Programms «Überwindung der Ungelernten» insofern geschwächt, als strategische Eingriffspunkte nicht sichtbar gemacht werden: die Chancen, ungelernte Tatigkeiten zu beseitigen und durch neue Tatigkeitsfeld- schneidungen den «Qualifikationstyp» des ungelernten Arbeiters entbehrlich zu ma- chen, variieren mit der Größe und Struktur der Belegschaft; sie sind Z.B. in einer Maschinenfabrik, in der sich etwa 1.000 Facharbeiter unter 3.000 Beschäftigten fin- den, andere als in einem Hüttenwerk, wo traditionell eine große Zahl von Hilfsarbei- tern beschäftigt wird, so daß auf 8.000 Arbeiter ebenfalls nur etwa 1.000 Facharbei- ter entfallen (vgl. Lampe 1934, S. 599). Daß es - trotz Facharbeitermangel - weiterhin Ungelernte geben würde, stand für viele außer Zweifel. Aus manchen Beiträgen spricht sogar die Befürchtung, daß eher zu wenig Ungelernte übrig blieben. Infolge der veränderten Nachwuchslage seien die Auslesemöglichkeiten der Wirtschaft so begrenzt, daß eine «sinkende Nach- wuchsqualität» drohe: «Viele junge Leute sind Lehrlinge geworden, die unter ande- ren Verhältnissen sich vielleicht vergeblich um eine Lehrstelle bemüht hätten» (Lampe 1934, S. 600). Der Einlösung der Parole «Überwindung der Ungelernten» stand also nicht nur die jenseits berufspädagogischer Einflußmöglichkeiten liegende Qualifikations- struktur der Betriebe entgegen; auch viele Berufsberater und Berufsschullehrer heg- ten Skepsis bezüglich einer Berufsausbildung für alle, die sich aus der angeblichen Minderbegabung vieler Jugendlicher speiste. Berufsberater und Eignungspsychologen, die im Rahmen der staatlichen Berufsnachwuchslenkung steuernd eingreifen sollten, stellten «bedarfsgerecht» fest, daß neben der zahlenmäßigen Verknappung auch «die Güte des jungen Menschen- materials, welches die Schulen verläßt, ebenfalls nachgelassen hab> (Bieljeld 1941, S.261). Interessanterweise wird der «Rückgriff auf minderleistungsfähige Jugendliche» in der berufspädagogischen Literatur nicht als Chance zur «Überwindung der «Überwindung der Ungelernten»? 205 Ungelernten» angesehen, sondern als ursächlich für das «Absinken der Lehrlings- qualität» beklagt: «Während also früher bei stärkeren Schulentlaßzahlen und geringerem Bedarf an Lehrlingen, dazu reichlichen Reserven für die gelernten Berufe gewissermaßen der Rahm der guten und mittleren Begabungen abgeschöpft werden konnte, um den verbleibenden Rest der ungelernten Arbeit und der Landwirtschaft zu überant- worten, wird in den letzten Jahren ein sehr hoher Prozentsatz der Schulabgänger so- fort in Lehrberufe eingesetzt» (Bielfeld 1941, S. 261). Solche Praxis wurde gelegentlich kritisiert, wobei sowohl Bedarfs- als auch Be- gabungsargumente geltend gemacht wurden: «Auf den Ungelernten kann die Wirtschaft auch in der Zukunft nicht verzichten; denn er ist der Handlanger, der in dem Arbeitsprozeß bleiben wird und muß» (Rie- besam 1942, S. 105). Die Rettung aus der Not des Facharbeitermangels dürfe nicht «bei der großen Grup- pe der Ungelerntem> gesucht werden, denn damit würde in die «natürliche Auslese» eingegriffen: «versuchen wir nicht, zu züchten, was nicht von Bestand sein kanm> (ebd.); und: «daß aus einem mit seinen Leistungen der Hilfsschule nahekommenden Berufsan- wärter ein brauchbarer Facharbeiter oder Gehilfe wird, glaubt wohl niemand» (Rie- besam 1942, S. 104). Und schließlich: «wer die letzte Rettung nur bei den Ungelernten sieht, muß mit schlechten Ergebnis- sen rechnen» (ebd., S. 105). Solcher Pessimismus widersprach der gängigen Propaganda, derzufolge etwa der Reichsberufswettkampf als «Fischzug nach tüchtigen Menschen» (Schulz 1944, S. 3) galt, bei dem die «Erfassung» der Ungelernten ausdrücklich mit Ausle- semotiven begründet wurde6: «Viele ungelernte Jungarbeiter, bei denen besondere Fähigkeiten sichtbar wur- den, sind in ein Anlern- oder Lehrverhältnis überwiesen worden» (Axmann 1938, S. 70). «Diese durch den Wettkampf ermittelten entwicklungsfähigen Kräfte müssen aus der Masse der ungelernten Arbeiter herausgezogen werden, ihnen ist noch jetzt - ehe es zu spät wird - der Berufsweg als angelernter oder gelernter Arbeiter zu ebnen!» (Seiler 1938, S. 369). 206 «Überwindung der Ungelernten»? 8.S Berufspädagogische Diskussion als propagandistischer Leerlauf Die Beiträge zur Ungelerntenbeschulung aus der NS-Zeit enthalten kaum stati- stische Angaben, aus denen sich etwa der Grad der Beschulung oder der Lehrerbe- darf ablesen ließe. Die in den Beiträgen gelegentlich unterbreiteten Vorschläge und Empfehlungen sind nicht mit konkreten Bedarfsanalysen versehen, so daß ihre prak- tische Bedeutung schwer abzuschätzen ist. 7 Daß sie die programmatischen Vorstellungen der Vertreter der Kultusbürokratie inspiriert hätten, ist ausgeschlossen, denn ungeachtet aller Empfehlungen in der Fachpresse wurde in der Realität die personelle und materielle Austrocknung des Berufsschulwesens betrieben. Die Berufsschullehrerschaft war von den bildungspolitischen Entscheidungspro- zessen, die sich auf «Ungelernte» bezogen, ausgeschlossen. Der zur Schau gestellte Pomp auf Tagungen und Kundgebungen des NSLB und die begeisterte Berichter- stattung darüber in der berufspädagogischen Presse dürfen nicht über die politische Impotenz des NSLB hinwegtäuschen. Das hier herangezogene Quellenmaterial spie- gelt zwar nicht die reale politische Ohnmacht der Berufsschullehrer, gestattet aber Einblicke in die spezifischen Problemverarbeitungsformen, die den Berufspädago- gen in einer gleichgeschalteten Fachpresse unter restriktiven bildungspolitischen Rahmenbedingungen zur Verfügung standen. Die Beiträge zur Problemerhellung und -lösung bemühten sich um Anpassung an die offiziöse Sprachregelung und verbogen sich mitunter gar bis zum Unterwer- fungsritual; sie erzeugten oder verstärkten damit möglicherweise im Kollegenkreise ideologischen Konformismus, hatten aber auf die reale Veränderung der notorisch miserablen Berufsschulausstattung keinen Einfluß - sie waren propagandistischer Leerlauf. Diese Funktion berufspädagogischer Fachliteratur während der NS-Zeit ist herauszuarbeiten: Daß der NSLB keine eigenen berufsbildungspolitischen Initiati- ven zur «Überwindung der Ungelernten» entwickelte, sondern sich zum Interpreten vorliegender Beschlüsse machte, soll hier anband der Referate und Diskus- sionsbeiträge belegt werden, die am 16. November 1935 in Dresden anläßlich einer Arbeitstagung der Gaufachschaft E 6 des NSLB vorgetragen wurden: Das Einfüh- rungsreferat des Gaufachwarts Otto Schlosser setzte den Unterricht in den Klassen der Ungelernten in Beziehung zum Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934. Schlosser sah von Gesetzes wegen erfüllt, worum die Berufsschul- lehrerschaft über ein Jahrzehnt gekämpft habe: die Lösung des Ungelerntenpro- «Überwindung der Ungelernten»? 207 blems. Aus der Tatsache, daß im Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit kein ein- ziges Mal von «Ungelernten» die Rede ist, folgerte der Referent, daß auch die mit dieser Bezeichnung verknüpften Diskriminierungen wegfallen würden; er forderte, die Bezeichnung «Ungelerntenklasse» zu tilgen und den Berufsschulunterricht an der Beschäftigungsart der Jugendlichen zu orientieren. Diese berufsbildungspolitischen Hoffnungen zerstoben jedoch alsbald; in der anschließenden Diskussion wies Reichsfachschaftsleiter Pipke darauf hin, daß es «aus Gründen der Wirtschaft» nicht möglich sei, «aus jedem einen Facharbeiter zu machen» (S. 356). Damit war - ob gewollt oder nicht - deutlich, daß die mit der Formel «Überwin- dung der Ungelernten» angedeutete qualitative Verbesserung des Ungelemtenstatus in dem ebenfalls angedeuteten quantitativen Ausmaß nicht in Frage kommen würde. Folglich konnten die Aktivitäten des NSLB nur darin bestehen, propagandistische Leerformeln zu verbreiten, die einem Etikettenschwindel dienten. 8.6 Auf dem Wege zur «Gleichschaltung»? Zur Ungelemtenbeschulung existierten in der Weimarer Republik unterschiedli- che Modelle und Konzeptionen.8 Bereits ein Blick auf die folgende Übersicht über die in den jeweiligen Schulorten vorgeschriebenen Pflichtstunden, vermittelt einen Eindruck von der Uneinheitlichkeit der Ungelemtenbeschulung in der zweiten Hälf- te der zwanziger Jahre (Erben 1929, S. 176): Wochen- Schulort stundenzahl 4 Bochum, Buer, Dortmund, Duisburg, Erfurt, Hagen, Münster, Wiesbaden, Essen und Recklinghausen 5 Aachen, Bonn, Düsseldorf und Elberfeld 6 Barmen, Elbing, Gelsenkirchen, Mainz und Remscheid 7 Plauen und Berlin-Charlottenburg 8 Frankfurt a. M., Frankfurt a. 0., München und Hamburg (Oberstufe 4), Zwickau (6-8) 9 Leipzig 10 Karlsruhe ---- 208 «Uberwindung der Ungelernten»? Der Hinweis auf die Uneinheitlichkeit der Ungelerntenbeschulung stellt klar, daß eine «Gleichschaltung», wie sie von den nationalsozialistischen Machthabern im Erziehungs- und Schulwesen beabsichtigt war, nur mit erheblichem Aufwand durchführbar gewesen wäre. Diese Uneinheitlichkeit war nur eine Er- scheinungsfonn der das gesamte Berufsschulwesen prägenden, aus wirtschaftslibe- ralistischer Tradition und rechtlich-organisatorischer Zersplitterung entstandenen Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit9, deren problematischste Folge darin be- stand, «daß noch zu Beginn der 30er Jahre mindestens 25% der 14- bis 18jährigen keine Berufsschule besuchen. Hiervon sind insbesondere Mädchen sowie ländliche Jugendliche betroffen» (Kümmel 1980a, S. 276; s. auch Wolsing S. 591). Wie groß der Anteil der Ungelernten war, der seinerzeit der Berufsschule fern- blieb, ist bislang nicht ennittelt; die Vennutung liegt nahe, daß Ungelernte nicht schul freudiger waren als Lehrlinge und daß ihrer schulischen «Erfassung» seitens der Schul verwaltung nur sehr geringe Aufmerksamkeit galt. Daß sich an der unzureichenden Beschulungssituation der Ungelernten nach der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten wesentliches geändert habe, wird man kaum behaupten dürfen, wenn man sich vor Augen führt, daß der relative Berufsschulbesuch berufstätiger Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren selbst 1937 bei nur ca. 66% lag (s. Kümmel 1980 b, S. 24). Selbst ein so überzeugter NS-Propagandist wie Heinz Boldt, schätzte die vom NS-Regime bis zum Jahre 1936 geleisteten Beiträge zur «Überwindung der Unge- lernten» nicht sehr hoch ein: «Was aber die Berufsausbildung der An- und Unge- lernten betrifft, so stehen wir auch heute noch am Anfang der Entwicklung» (Boldt 1936, S. 31). Während sich das betriebliche Ausbildungswesen besonderer Aufmerksamkeit und Förderung erfreute 10, wurde das öffentliche Berufsschulwesen sträflich ver- nachlässigt. Der seit 1934 beklagte Berufsschullehrermangel hatte sicher erhebliche Konsequenzen für die Ungelerntenbeschulung. Wie weit die im Zuge der «Gleichschaltung» nach dem «Gesetz zur Wiederher- stellung des Berufsbeamtentums» gelegentlich praktizierte Maßnahme der Verset- zung in ein rangniedrigeres Amt (s. Biermann 1980, S. 231, S. 669 und S. 680) kompensierend wirkte, ist offen. Genossen in der Weimarer Republik die Berufs- schulen für Ungelernte, die «Allgemeinen» oder Arbeiter-Berufsschulen geringes Ansehen, so blieb es den Nationalsozialisten vorbehalten, sie zu «Strafversetzungs- anstalten» für politisch unzuverlässige, unliebsame und unbequeme Lehrer zu «Überwindung der Ungelernten»? 209 erniedrigen. Daß dieser Umstand in der berufspädagogischen Literatur entschieden bestritten wurde, ist Ausdruck der geradezu grenzenlosen Bereitschaft zur Selbsttäu- 11 schung : «Wie die deutsche Zukunft kein mehr kennt, so sieht sie auch in der Arbeiterschule keine Strafversetzungsanstalt für untaugliche Lehrkräfte» (Dum- strey 1934, S. 65). Das Ausmaß des Berufschullehrermangels ist noch nicht erforscht. Fest steht le- diglich, daß dem wachsenden Bedarf an Berufsschullehrern (verursacht durch stei- gendes Lehrstellenangebot ab 1934 und durch die Einführung der allgemeinen Be- rufsschulpflicht 1938) nicht mit einer verstärkten Nachwuchsrekrutierung ent- sprochen wurde12; im Gegenteil: der Berufsschullehrermangel wurde geradezu ver- schärft: 1. blieben die mit der Brüningschen Notverordnung von 1931 verhängten Besoldungskürzungen für Berufsschullehrer während der gesamten NS-Zeit in Kraft, was dazu führte, daß in der Phase des Konjunkturaufschwungs vie- le Berufsschullehrer in die Wirtschaft abwanderten; 2. wurden durch personalpolitische Eingriffe, die das «Gesetz zur Wiederher- stellung des Berufsbeamtentums» von 1933 ermöglichte, die Reihen der Be- rufsschullehrer gelichtet; 3. wurden 1934 die Berufspädagogischen Institute in Frankfurt am Main und Königsberg geschlossen. Zwar war das fehlende bildungs politische Engagement im Bereich der öffentli- chen Berufsschulen im Schulprogramm der NSDAP angekündigt (s. Wolsing 1977, S. 598), so daß Ausbaupläne für das Berufsschulwesen aus dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung kaum erwartet werden konnten - daß aber nicht einmal Statistiken über den Bedarf an Berufsschullehrern angelegt wur- den, ist doch erstaunlich. Die unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen zur Be- rufsschulpflicht blieben auch nach der «Machtergreifung» zunächst (bis 1938) unverändert in Kraft: «Trotz ihrer Kritik an der bisherigen Erfüllung der Berufs- schulpflicht unternahmen die Nationalsozialisten vorerst keine Schritte zur Verbes- serung der geltenden Vorschriften» (Wolsing 1977, S. 592).13 Auch in der bis dahin nur sehr unzureichenden Ungelemtenbeschulung «lief alles weiter wie bisher» (Biermann 1980, S. 231). Wenn diese Einschätzung zur Beschreibung der Ungelemtenbeschulung in der ersten Hälfte der NS-Zeit Gültigkeit beanspruchen kann, so ist für die zweite Hälfte eine deutliche Verschlechterung der Beschulungssituation kennzeichnend. Mit Be- ginn des Krieges setzte eine drastische Einschränkung des Berufsschulunterrichts 210 «Überwindung der Ungelernten»? ein: Berufsschullehrer wurden in weit stärkerem Maße zur Wehrmacht eingezogen als Lehrmeister. Bereits am Jahresende 1939 lagen Berichte aus dem gesamten Reichsgebiet vor, in denen Unterrichtsausfall um mehr als die Hälfte der Stunden- zahl und zum Teil Schließung ganzer Berufsschulen gemeldet wurden. Die mit dem Reichsschulpflichtgesetz von 1938 festgelegte allgemeine Berufsschulpflicht be- stand vielfach nur noch auf dem Papier. Angesichts dieses prekären Lehrermangels erheben sich Zweifel an der prakti- schen Bedeutsamkeit der berufspädagogischen Literatur: So kann nicht ausgeschlos- sen werden, daß die noch im Dienst verbliebenen Berufsschullehrer und Hochschul- lehrer, die die spärliche «Ungelerntendiskussiom) in den Kriegsjahren fortsetzten, mit ihren Empfehlungen und Anregungen ins Leere stießen, weil kaum noch Berufs- schullehrer in Ungelerntenklassen unterrichteten. Zu erforschen wäre, wie viele Ungelerntenklassen eigentlich bis zum Kriegsende bestanden - oder anders gewen- det: wann die letzten Ungelerntenklassen in Berufsschulen aufgelöst wurden. Ver- läßliche Auskünfte darüber dürften insbesondere die Archive der Berufsschulen ge- ben. Unbestritten dürfte sein, daß die Berufsschulen wegen ihrer mangelnden perso- nellen Ausstattung in der NS-Zeit immer weniger in der Lage waren, die Parole «Überwindung der Ungelernten» praktisch einzulösen. 8.7 Kriegswirtschaft und Ungelernte Wie war doch noch der Anspruch der Parole «Überwindung der Ungelerntem)?- eine Stimme aus der Vielzahl der sozialrevolutionären Feiertagsversprechungen: «Für die nächsten zehn Jahre genügt es aber nicht, die vorhandenen Jugendli- chen richtig anzusetzen und gut auszubilden. Auch die älteren Arbeitskameraden müssen in ihrem Interesse und im Interesse der Arbeitsgemeinschaft des deutschen Volkes weiterlernen. Von diesen beiden Seiten her wird es sicherlich verhält- nismäßig bald möglich sein, den weitschauenden Ausspruch von Dr. Ley wahr zu machen: Den Begriff ungelernter Arbeiter wird es später in Deutschland nicht mehr geben!» (LobenthaI1938, S. 9). Dieser totale Anspruch wurde in der Realität gründlich verfehlt: weder gelang eine ordnungsgemäße «Beschulung» der Mehrzahl der ungelernten Jugendlichen, die als Übergangsstufe in eine geregelte Anlernung oder Lehre galt, noch gar ver- schwanden Ungelernte aus den Betrieben. Das schiere Gegenteil drohte mit der Dauer des Krieges: Mit der Rekrutierung neuer Arbeitskräfte, die jene zum Kriegs- «Überwindung der Ungelerntem>? 211 dienst eingezogenen ersetzen sollten, kamen überwiegend Ungelernte in die Betrie- be, so daß die Zusammensetzung vieler Belegschaften sich gründlich veränderte - was nicht ohne Probleme für die Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses blieb: «Für viele Volksgenossen, die sich zur Arbeit gemeldet haben, ist dies der erste Schritt, den sie in eine für sie neue Welt des Arbeitslebens tun. Niemals haben sie zuvor einen Industriebetrieb gesehen oder wirklich kennengelernt» (Steinwarz 1943, S.4). «An Stelle der zur Wehrmacht einrückenden Männer treten in immer steigendem Maße Frauen und Mädchen. Es befinden sich darunter auch solche, die bisher allein in ihrem häuslichen Pflichtenkreise standen, viele kommen aus anderen Berufen, die meisten aber stehen der Arbeit in den Fabriken ziemlich fremd gegenüber» (Frauen führen Frauen 1944, S. 4). Mit diesem Belegschaftsaustausch, der von einem gleichzeitig wachsenden kriegswirtschaftlichen Produktionsdruck begleitet wurde, traten Fragen der Berufs- ausbildung zurück hinter aktuelle Probleme der (kurzfristigen) Umschulung und An- lernung. Die auf Facharbeiterausbildung fixierte Berufspädagogik war von den kriegswirtschaftlichen Verhältnissen gleichsam außer Kurs gesetzt worden; es schlug die Stunde der effektivitätsorientierten Betriebspädagogik, die im Verein mit dem «Leistungsertüchtigungswerk der DAF» den Betrieben rasch einsatzfähige Arbeitskräfte bereitzustellen versprach: «Die getroffenen Maßnahmen für das Anlernen und Umschulen müssen so wirk- sam sein, daß die neuen Arbeitskameradinnen und -kameraden sehr schnell ihren Platz im Betriebe voll ausfüllen können» (So werden die Neuen angelernt! 1943, S. 7). Die Ausbildungsphilosophie dieser letzten Kriegsjahre war nüchtern; die be- triebliche Qualifizierung war auf das funktional Unerläßliche reduziert. Das galt so- wohl für die Anlernung der Arbeitskräfte als auch für die «Ausbildung der Ausbil- det»: «Eine erschöpfende Kenntnis wird nicht angestrebt. Die in der Ausbildung stehen- den Frauen und Mädchen sollen lediglich alles das lernen, was sie später als betrieb- liche Unterführerinnen für die Anleitung und das Anlernen ihrer Kameradinnen brauchem> (Frauen führen Frauen 1944, S. 4). Freilich waren diese von den kriegswirtschaftlichen Zwängen diktierten Anlernverfahren im strengen Wortsinne auch eine «Überwindung der Ungelernten» - aber das mit dieser Parole ursprünglich verknüpfte berufsbildungspolitische Ver- sprechen, «aus jedem deutschen Menschen einen hochwertigen Facharbeiter zu ma- chen» (Ley), blieb uneingelöst. 212 «Überwindung der Ungelernten»? 8.8 Anmerkungen 1 Die Vorgeschichte der Berufsschulpflicht für Ungelernte wird zusammenge- faßt von Karl Thomae: Die männliche Berufsschule. In: Nohl, Hermann/Ludwig Pallat (Hrsg.): Handbuch der Pädagogik. Vierter Band. Langensalza 1928, S. 172- 192, hier insbes. S. 176; dazu s. auch: Spranger 1939. Zur Charakterisierung (? 213 auch sozialpolitische und wirtschaftliche Probleme verknüpft sind, wird man auch das dafür einschlägige Schrifttum heranziehen müssen. Im Rahmen dieser Vor- studien konnten nur - wie die chronologisch geordnete Liste der Primärliteratur aus- weist - die sozialpolitische Zeitschrift der Reichsjugendführung, Das Junge Deutschland, das Zentralblatt für Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege, Soziale Pra- xis, das amtliche Organ der Deutschen Arbeitsfront einschließlich NS-Gemeinschaft «Kraft durch Freude», Arbeitertum, und das Organ der Arbeitsgemeinschaft der In- dustrie- und Handelskammern in der Reichswirtschaftskammer, Deutsche Wirt- schafts-Zeitung, mit einzelnen Jahrgängen herangezogen werden. 4 Dazu s. Kipp/Miller 1979, S. 442, Anm. 8. - Die von Walter Georg und Andre- as Kunze verfaßte Sozialgeschichte der Berujserziehung, München 1981, übergeht die Ungelerntenproblematik. - Was Henner Leiber unter dem Titel Zur Sozialge- schichte des ungelernten Arbeiters (In: Elfriede Höhn (Hrsg.): Ungelernte in der Bundesrepublik. Kaiserslautern 1974, S. 23-43) auf knapp zwei Seiten über die Zeit des Nationalsozialismus zu berichten hat, ist nicht nur äußerst dürftig, sondern teil- weise auch schlicht falsch - so daß sich die anspruchsvolle Titelwahl als Hochsta- pelei entpuppt. 5 Einrichtungen außerhalb des öffentlichen Berufsschulwesens, in denen Unge- lernte qualifiziert wurden, insbesondere die zahlreichen regional und lokal bedeutsa- men Versuche auf diesem Gebiet, müssen hier ebenso unberücksichtigt bleiben, wie die in diese Richtung zielenden theoretischen Entwürfe und Programme; dazu s. ins- bes. Biermann 1980, Brückmann 1938, Flitner 1934, Kipp 1978, Kipp 1980. 6 Das Thema «Ungelernte und Reichsberufswettkampf» kann im Rahmen dieser Vorstudien nicht ausführlich behandelt werden; dazu wären folgende Beiträge her- anzuziehen: Axmann 1938, Ebersbach 1936, Kaufmann 1935, Schulz 1944, Seiler 1938, Sotke 1938, Strecke 1943, Strecke 1944, Wiese 1938, Wiese 1939. 7 Ein Beispiel mag das belegen: der Autor, Stadtrat Dr. Brückmann aus Düssel- dorf, berichtet - ohne Zahlenangabe - von den steigenden Besucherzahlen der Be- rufsschulen mit Fachausbildung, «während die Schülerzahlen an der Allgemeinen Berufsschule, der Schule des ungelernten Jungarbeiters, immer weiter sinken. Es ist eine hohe und wichtige Aufgabe der Berufsschule, diese Entwicklung zu fördern und möglichst alle geeigneten Jungen aus den Reihen der ungelernten Jungarbeiter zu dem Facharbeiternachwuchs hinüberzuführen» (Brückmann 1938, S. 224). Zu den wenigen Ausnahmen, die aber jeweils nur lokale Verhältnisse des Problems «Ungelernter und Berufsschule» statistisch erfassen, gehören die Beiträge 214 von: Augustin 1938 Gollnick 1937 Monsheimer 1936 «Überwindung der Ungelerntem>? sie beziehen sich auf: Berlin Königsberg Magdeburg 8 Dazu s. Erna Barschak: Die Idee der Berufsbildung und ihre Einwirkung auf die Berufserziehung im Gewerbe. Leipzig 1929; Barth/Bode/Erben: Beschulung der Ungelernten. Wittenberg 1928; Fritz Dieck: Fabrik und Schule. Jena 1930; J. Hand- ke: Die Entwicklung der Arbeiterschule zur Produktionsschule. Leipzig 1923; Hans Marx: Die Hilfsarbeiterschule. Bonn 1925; Schan?! Schlosser/ZergiebeI1933; Ernst Witte: Arbeiterschulen. In: Alfred Kühne (Hrsg.): Handbuch für das Berufs- und Fachschulwesen. Leipzig 1923, 152-164; Hans Erben: Die Berufsschule der Unge- lernten. In: Alfred Kühne (Hrsg.): Handbuch für das Berufs- und Fachschulwesen. 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Nicht überall sind Schulen vorhanden, die die nunmehr pflichtigen Jugendlichen werden aufnehmen können, nicht überall werden ausreichend Berufsschullehrer zur Verfügung stehen» (Erwin Gentz: Die Reichsberufsschulpflicht. In: Zeitschrift für Berufsbildung und prakti- sche Unterrichtsgestaltung 12 [1938] 138-141, hier S. 141). 13 Kümmel 1980b, S. 18, behauptet, ohne es zu belegen, schon 1933 habe «auf breiter Ebene die Diskussion um eine Verbesserung des gesamten Berufs- ausbildungssystems, speziell auch der schulischen Berufserziehung» eingesetzt. Diese Behauptung bleibt unerfindlich. «Überwindung der Ungelernten»? 215 8.9.1 Primärliteratur (1933-1944) 1933 Busold, Karl: Was geschieht mit dem Schulentlassungsjahr 1934? In: Jugend und Beruf 8 (1933) 231-233. Conradsen, Bruno: Beschulung der Berufslosen. In: Die Preußische Berufsschule 16 (1933) 77-80. Gier, Karl: Theoretischer Unterricht in Erwerbslosenkursen. In: Die Deutsche Berufserziehung 48 (1933) 269-271. 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In: Heinemann, Manfred (Hrsg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung (= Veröffentlichungen der 226 «Überwindung der Ungelerntem>? Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissen- schaft, Bd. 4.1). Stuttgart 1980, S. 289-300 - zugleich Kapitel 3 in diesem Band. Kümmel, Klaus: Zur schulischen Berufserziehung im Nationalsozialismus. Gesetze und Erlasse. In: Heinemann, Manfred (Hrsg.): Erziehung und Schulung im Drit- ten Reich. Teil 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung (= Veröffentli- chungen der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Bd. 4.1). Stuttgart 1980, S. 275-288. (zU. als Kümmel 1980a) Kümmel, Klaus (Hrsg.): Quellen und Dokumente zur schulischen Berufsbildung 1918-1945 (= Quellen und Dokumente zur G~schichte der Berufsbildung in Deutschland, Reihe A, Bd. 2). KölnfWien 1980. (zit. als Kümmel 1980b) Lipsmeier, Antonius: Berufspädagogische Problemanalyse. In: Bundesinstitut für Be- rujsbildungsjorschung (Hrsg.): Berufliche Bildung für gesellschaftliche Rand- gruppen unter besonderer Berücksichtigung eines Systemvergleichs von Bun- desrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik. Das Beispiel der Jungarbeiter (= Schriften zur Berufsbildungsforschung, Bd. 28). Hannover 1974, S. 129-152. Nolte, HerbertjHans Joachim RöhrsjKarlwilhelm Stratmann: Die Jungarbeiter als Problem der Berufsschule. In: Neuordnung des beruflichen Schulwesens NW (= Strukturförderung im Bildungswesen des Landes Nordrhein-Westfalen. Schrif- tenreihe des Kultusministers, H. 22). Düsseldorf 1973, S. 141-205. Pätzold, Günter (Hrsg.): Quellen und Dokumente zur betrieblichen Berufsbildung 1918-1945 (= Quellen und Dokumente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland, Reihe A, Bd. 1). KölnfWien 1980. Seubert, Rolf: Berufserziehung und Nationalsozialismus. Das berufspädagogische Erbe und seine Betreuer (= Berufsbildung und Berufsbildungspolitik, Bd. 1). Weinheim/Basel 1977. Thyssen, Simon: Die Berufsschule in Idee und Gestaltung. Essen 1954. Wolsing, Theo: Untersuchungen zur Berufsbildung im Dritten Reich (= Schriftenrei- he zur Geschichte und Politischen Bildung, Bd. 24). Kastellaun/Düsseldorf 1977. 227 9 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 9.1 Vorbemerkung Unter historisch-systematischem Gesichtspunkt wird berufliche Weiterbildung als Gegenstand wissenschaftlichen Bemühens sowohl von der Berufspädagogik als auch von der Andragogik reklamiert. Was allerdings die Erforschung der beruflichen Weiterbildung in der Zeit des Nationalsozialismus betrifft, so hat sich die Be- rufspädagogik bislang auffällig zurückgehalten: Während in Quellensammlungen zur Geschichte der Erwachsenenbildung (KeimjUrbach 1976; Urbach 1980) immer- hin einige einschlägige Dokumente mit Programmcharakter enthalten sind und in sozialgeschichtlichen Analysen der Erwachsenenbildung (Dikau 1978; Fischer 1981; Fischer/Schmidt 1983; Fischer/Scholtz 1980) das Thema zumindest nicht gemieden wird, hat die Berufspädagogik das weite Feld beruflicher Weiterbildung im Dritten Reich bislang noch nicht beackert. Deshalb der Versuch, dieses Feld zu- nächst einmal abzustecken und zur Orientierung eine erste Furche zu ziehen. Zur Terminologie: "Berufliche Weiterbildung" wird im folgenden als Sammel- begriff verwendet. Er meint die Qualifizierung menschlicher Arbeitskraft nach einer beruflichen Erstausbildung: heute unterscheiden wir "Anpassungsweiterbildung", "Aufstiegsweiterbildung ", "Berufliche Neuorientierung", "Berufliche Reaktivie- rung" und "Berufliche Rehabilitation" Erwachsener (v gl. Kipp 1977). Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich - der Titel legt die Vermutung nahe, daß zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 berufliche Weiterbildung anders verstanden und praktiziert wurde, als davor oder danach. Diese Vermutung wird sich bestätigen; indessen ist vorab darauf hinzuweisen, daß man den 30. Januar 1933 ebensowenig als Zäsur in der Geschichte der beruflichen Bildung verstehen darf wie den ersten Weltkrieg oder das Ende des Kaiserreiches: dies sind politische Daten - Berufliche Bildung in Deutschland ist ihnen gegenüber von erstaunlicher Kontinuität. Die produktionsorientierte, nach dem Modell der handwerklichen Meisterlehre entwickelte Form der Qualifikationsvermittlung, die wir als "duales System" der Berufsausbildung bezeichnen und in der Bundesrepublik überwiegend antreffen, hat. sich während der Weimarer Republik auf nationaler Ebene entwickelt und konsoli- diert. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus blieb das "duale System" vorherr- schend im Bereich der beruflichen Erstausbildung - also in der Berufsausbildung bis zur GeselIen-, Facharbeiter- bzw. Gehilfen-Ebene. Daneben hat es verschiedene 228 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich Neuerungen gegeben, die zusammen mit den Verschiebungen innerhalb des "dualen Systems" im Endeffekt eine Vernachlässigung des öffentlichen Berufsschulwesens und eine Aufwertung der betrieblichen Berufsausbildung bewirkten. 9.2 Betriebszentrierung der beruflichen Weiterbildung Funktionen und Inhalte beruflicher Weiterbildung beziehen sich immer - unab- hängig vom politischen System - auf den Betrieb. Der Betrieb ist der Ort, an dem berufliche Qualifikationen verwertet werden - vielleicht darf man sagen "Verwer- tungsort". Häufig war der Betrieb zugleich auch "Lernort". Die Betriebszentrierung der beruflichen Weiterbildung bezieht sich im Dritten, Reich nicht nur auf deren Zie- le, Funktionen und Inhalte, sondern auch auf die institutionelle Anbindung: Man kann getrost von einer Tendenz zur Pädagogisierung der Betriebe sprechen. Einer der ersten Berufs- und Wirtschaftspädagogen der Nazi-Zeit, die diese Ten- denz aktiv förderten, war Walther Löbner, der seinerzeit an der Handelshochschule Leipzig lehrte und seit Oktober 1934 zusätzlich als Vortragsredner des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront auftrat. Löbner schreibt: "Die wichtigste Pjlegestelle wirtschaftsberuflicher Erwachsenenbildung ist zweifellos der Betrieb" (Löbner, 1935, S. 372). Dafür, daß dies gewissennaßen die offizielle Lesart war, ließen sich zahlreiche Belege anführen. Hier mag ein weiterer Gewährsmann genügen: Gustav Messarius, AbteiIungsleiter im Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront. Messarius zufolge wurde der Betrieb zur "Ausgangs- und Bewährungsbasis der beruflichen Erwachsenenerziehung " ausgebaut: "Der Betrieb ist heute in Deutschland nicht nur eine Stätte der Erzeugung oder eine Stätte des geschäftlichen Ertrages, sondern der Betrieb, besser die Betriebsge- meinschaft, ist für Millionen deutscher Menschen auch eine Stätte des Lebens geworden. Wer acht oder gar neun Stunden am Tage im Betriebe seine Leistung ein- setzt kann den Sinn dieses Leistungseinsatzes auf die Dauer nur in der Gemeinschaft aller Betriebsangehöngen als Diener am Volk finden. Gerade daran hat die neue be- rufliche Erwachsenenerziehung in ihrem methodischen Aufbau und in ihrem Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 229 Ordnungsgefüge anzknüpfen (Messarius 1938 a, S. 410 f.; nahezu identisch mit Messarius 1939, S. 127 und 129 f.). Wenn also der Betrieb zentraler Orientierungspunkt der beruflichen Weiterbil- dung war, dann kann die Betriebsverfassung nicht ohne Einfluß auf Funktionen und Inhalte geblieben sein; diesem Einfluß ist nachzugehen. 9.3 Berufliche Weiterbildung und Betriebsverfassung Zusätzliche fachliche Qualifikationen werden nicht im politisch luftleeren Raum erworben - auch anscheinend politikneutrale, sogenannte "rein fachliche" Qualifi- kationen werden in einem bestimmten politisch-sozialen Umfeld vermittelt und ver- nutzt. Die berufspädagogische Historiographie sollte deshalb die Verknüpfungen der unmittelbar tätigkeitsrelevanten Qualifikationen einerseits mit politischen, sozialen und ökonomischen Ordnungsvorstellungen, Interpretations- und Legitimationsmu- stern andererseits besonders beachten. Um diese Verknüpfungen herausarbeiten zu können, liegt es nahe, von der Ar- beitshypothese auszugehen, nationalsozialistische Ideologie habe versucht, mit hi- storisch überkommenen ständestaatlichen Ordnungsvorstellungen Antworten auf die sozialen Probleme einer dynamischen Industriegesellschaft zu geben. Auf den ersten Blick wird diese Arbeitshypothese auf Schritt und Tritt in der einschlägigen Litera- tur bestätigt: Die NS-Propagandisten wurden nicht müde, zu behaupten, der Natio- nalsozialismus habe den Gedanken des Klassenkampfes im Arbeitsleben durch den Gedanken der Gemeinschaft abgelöst. Soweit, wie gesagt, die scheinbare Bestätigung auf der Ebene der Literatur- und Ideologie-Produktion. - Die interessantere und wichtigere Frage ist aber: Wie sah die Praxis aus? Mit der Zerschlagung der Gewerkschaften und der Auflösung der Arbeitgeber- verbände waren die Tarifparteien ausgeschaltet, die zuvor die Arbeitsbedingungen ausgehandelt hatten. Gleich zu Beginn der NS-Herrschaft wurde damit die Tarifau- tonomie abgeschafft und der Arbeitskampf als Mittel der Gestaltung von Ar- beitsbedingungen verboten. An die Stelle der Tarifpartner setzte das "Gesetz über die Treuhänder der Arbeit" vom 19. Mai 1933 "Treuhänder", die als Reichsbeamte der Dienstaufsicht des Reichsarbeitsministers unterstanden und an Weisungen und Richtlinien der Reichsregierung gebunden waren. Die Reichstreuhänder der Arbeit sollten für die Erhaltung des Arbeitsfriedens sorgen (vgl. dazu Mason 1975). Das 230 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 1934 titulierte Unter- nehmer als "Führer des Betriebes" und Arbeiter und Angestellte als "Gefolg- schaft". Die mit dem "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" bewirkte Neuregelung des Arbeitsvertragsrechts setzte an die Stelle gegenseitiger, voneinander abhängiger Rechte und Pflichten von Unternehmer und Belegschaft ein nebulöses "Treuever- hältnis" zwische Betriebsführer und Gefolgschaft, das in der "Betriebs- gemeinschaft" begründet sein sollte: "§ 2 (1) Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen be- trieblichen Angelegenheiten ( ... ). (2) Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Diese hat ihm die in der Be- triebsgemeinschaft begründete Treue zu halten " (Mansfeld 1941, S. 1). Das "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" setzte also in der Betriebsver- fassung das Führerprinzip und die Treuepflicht der Gefolgschaft und führte schließ- lich noch den Begriff der "sozialen Ehre" in das Arbeitsleben ein. Durch die Schaf- fung der sozialen Ehrengerichtsbarkeit wurde die faktische Entrechtung der Beleg- schaften noch verstärkt. Auffällig ist, daß das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit in der berufspädagogischen Literatur geradezu überschwenglich begrüßt wur- de. Der Tenor der Argumentation war der, daß endlich Ehre, Treue und Pflichterfül- lung zu ihrem Recht kämen, daß dieses Gesetz der deutschen Art entspreche, weil es selbstloses Dienen höher bewerte als bloßes Verdienen. Aus dem Chor berufspäd- agogischer Lobredner auf das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit mag eine Stimme genügen: "Gerade weil der deutsche Arbeiter von Natur aus Soldat und Kämpfer ist, hat er ein wunderbar feines Gefühl für Einordnung und Unterordnung. Es braucht nur einer zu kommen, der unserm Volke imponiert, dann wird aus der "Masse" wie mit einem Schlage ein geordnetes Ganzes. Alles läßt sich dann auch willig in große Gliederungen einordnen, und jeder weiß den Platz. an dem er einzuschwenken hat. Wenn erst eine Ordnung, vor allem eine politische Ordnung, geschaffen ist, dann findet auch im Betriebe jeder den Platz. wo er hingehört" (Arnhold 1936, S. 232). Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit hat die Stellung des Unterneh- mers im Betrieb sehr gestärkt: es hat einerseits das kollektive Arbeitsrecht beseitigt, also das Mitspracherecht der Arbeitnehmer, das diese durch Gewerkschaften und Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 231 Betriebsvertretungen ausübten, aufgehoben - und es hat andererseits den Unterneh- mer zum Führer des Betriebes gemacht, der über alle betrieblichen Angelegenheiten entscheiden sollte. Die Vertreter der "Gefolgschaft", die "Vertrauensmänner", hatten nur Bera- tungsfunktion. Der Vertrauensrat hatte also eine ganz andere Stellung als der Be- triebsrat. Er stand nicht mehr dem Unternehmer als Verhandlungspartner gegenüber, sondern der Unternehmer selbst stand an der Spitze des Vertrauensrates. Aufschlußreich für den radikalen Wandel der Betriebsverfassung ist besonders das Verfahren, nach dem sich die Bestellung der "Vertrauensmänner" regelte: Der Betriebsführer stellte im Einvernehmen mit dem Betriebsobmann der Deut- schen Arbeitsfront eine Liste von Vertrauensmännern auf. Die Gefolgschaft stimmte über die Liste geheim ab; dabei konnten die Gefolgschaftsmitglieder zwar zu jedem einzelnen Kandidaten Stellung nehmen, nicht aber für jemanden stimmen, der nicht auf der Liste stand. Die Vertrauensmänner, das wird an diesem Verfahren deutlich, sollten drei Be- dingungen erfüllen: 1. sollten sie das Vertrauen des Betriebsführers besitzen - deshalb erstellte dieser die Liste. 2. sollten sie das Vertrauen der Gefolgschaft besitzen - deshalb stimmte diese über die Liste ab. 3. sollten sie politisch zuverlässig sein - deshalb wirkte der Betriebsobmann der DAF mit. Diese Hinweise auf die nationalsozialistisch orientierte Betriebsverfassung mö- gen genügen (ausführlich dazu: Spohn 1982). Vor dem Hintergrund einer solchermaßen fixierten Betriebsverfassung und der damit bewirkten Verstümmelung des zuvor geltenden Arbeitsrechts ist die berufliche Weiterbildung im Dritten Reich zu betrachten. 232 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 9.4 Ziele, Funktionen und Inhalte beruflicher Weiterbildung Die bereits erwähnte Betriebszentrierung beruflicher Weiterbildung wurde durch staatliche Gesetze und Verordnungen noch verstärkt. Das macht besonders deutlich der Erlaß des Reichswirtschaftsministers vom 13. Februar 1939, betreffend die "Verpflichtung der Betriebe zur Berufsausbildung" (Wiederabdruck in: Pätzold 1980, S. 85, und Urbach 1980, S. 195-197). Im einzelnen unterscheidet der Erlaß zwischen drei Maßnahmen: Ausbildung - Fortbildung - Umschulung. Zum Zwecke der betrieblichen Leistungsertüchtigung wird dem Betriebsführer die Verpflichtung auferlegt, Maßnahmen zur Ausbildung, Fortbildung und Umschulung seiner Gefolg- schaftsmitglieder zu orgamsleren, wobei ausdrücklich die "unmittelbare Anwendungsmöglichkeit und Anwendungsnotwendigkeit des Erlernten im Betrieb" gefordert wird. Die betriebszentrierte berufliche Weiterbildung hatte weder eine Erweiterung des fachlichen Qualifikationsprofils über das betriebsspezifisch Notwendige hinaus noch gar eine Entwicklung sozialpolitischen Bewußtseins zum Ziel - im Gegenteil: berufliche Weiterbildung wurde eng auf die jeweiligen betrieblichen Erfordernisse abgestellt. Sie sollte in erster Linie zur betrieblichen Leistungsertüchtigung beitra- gen. Vor dem Hintergrund aktueller berufsbildungspolitischer Diskussionen stellt sich die Frage, ob berufliche Weiterbildung im Dritten Reich auch unter dem Ge- sichtspunkt der Persönlichkeitsentwicklung gesehen wurde. Die Antwort lautet: nur am Rande - und zwar in unverhohlen anpasserischer Hinsicht. Zusammengefaßt: be- rufliche Weiterbildung sollte die "Gefolgschaftsmitglieder" zur effektiveren Arbeit befähigen und sie zum widerspruchslosen Einfügen in die Betriebsgemeinschaft an- halten. Nur wenn beide Ziele einigermaßen erreicht wurden, war der Bestand des faschistischen Systems nicht gefahrdet. Inzwischen wissen wir, daß es trotz aller In- tegrationsbemühungen auch Arbeitszurückhaltung und Sabotage gegeben hat und daß das System ohne geheime Staatspolizei und Betriebsspitzel nicht auskam. - Aufs Ganze gesehen aber ist zu sagen, daß berufliche Weiterbildung systemstabilisierend funktionierte. Dazu trugen auch eine Reihe weiterer - ideologisch ausgerichteter - Integrationsmaßnahmen bei, die von der Deutschen Arbeitsfront geschickt inszeniert wurden: Betriebsappelle, Feiern, Ausflüge und Wettkämpfe. Sie schienen geeignet, den Zusammenhalt der "Betriebsgemeinschaft" zu fördern und die unkritische Iden- tifikation der einzelnen "Gefolgschaftsmitglieder" mit den Betriebszielen zu ver- stärken. Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 233 Unter systemfunktionalem Gesichtspunkt wirkten diese Integrationsbemühun- gen komplementär zu Terror und Gewalt des Nazi-Regimes, überdeckten diese oder schwächten zumindest die Wahrnehmungsbereitschaft dafür. Die vielfältigen sozial- politischen Aktivitäten der Deutschen Arbeitsfront, angefangen beim Amt "Schön- heit der Arbeit" und dessen propagandistisch herausgeputzten Aktionen - bis zum "Kraft-durch-Freude"-Massentourismus, erfüllten ebenfalls solche Komplementär- funktionen. Das ganze Geflecht dieser Integrationsmaßnahmen kann hier nicht entwickelt werden. Nur auf zwei Wettkampf-Formen ist hinzuweisen, die in enger Beziehung zur beruflichen Weiterbildung standen: auf den Leistungskampf der Betriebe um die Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" und auf den Reichsbe- rufswettkampf. Beide Wettkampfarten waren in doppelter Weise als Kontrollinstru- mente verwendbar, weil sie sowohl berufliches Können als auch weltanschauliche Zuverlässigkeit prüften. Beachtlich ist der Mobilisierungsgrad: Am Reichsberufswettkampf 1938, an dem erstmals auch Erwachsene teilnehmen konnten, beteiligten sich freiwillig 467.815 Männer und 150.952 Frauen. Der Leiter des Berufswettkampfes aller schaffenden Deutschen, Artur Axmann, schreibt in seinem Bericht: "Es sind nicht allein die Zahlen, die uns überrascht ha- ben. Wir konnten vor allem mit Befriedigung feststellen, daß die Erwachsenen in ih- rer Begeisterungsfähigkeit und Freude der Jugend keineswegs nachstanden" (Ax- mann 1938, S. 37). - Unbekannt ist der prozentuale Anteil Erwachsener am Reichs- berufswettkampf 1939, an dem sie letztmals teilnehmen konnten. Insgesamt wurden beim Reichsberufswettkampf 1939 3,5 Millionen jugendliche und erwachsene Teil- nehmer gezählt - rund eine Million mehr als im Jahr zuvor. Der Leistungskampf der Betriebe um die Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" geht zurück auf einen Aufruf Hitlers vom 29. August 1936; der Zweck war folgender: Betriebe, in denen der "Gedanke der nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit und im Geiste der Deutschen Arbeitsfront" verwirklicht schien, konnten für die Dauer eines Jahres mit der Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" bedacht werden - 1937 gab es davon 30. In den Richtlinien für die Beurteilung der am freiwilligen Leistungskampf teil- nehmenden Betriebe wurden auch Fragen der Berufserziehung berücksichtigt: ob der Betrieb den Forderungen zur Sicherung des Facharbeitemachwuchses nachkam, 234 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich wie sich die Zahl der Lehrlinge zur Gesamtzahl der Betriebsangehörigen verhielt, wie die Lehrwerkstatt ausgestattet war usw. - Am Rande sei erwähnt, daß es neben der Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" noch verschiedene Lei- stungsabzeichen für besondere Leistungen auf Teilgebieten gab: unter anderem auch ein "Leistungsabzeichen für vorbildliche Berufserziehung ". Am Leistungskampf der Betriebe waren 1938 etwa 84.000 Betriebe beteiligt, 1940/41 sogar 300.000. Diese Zahlen lassen den enormen Mobilisierungseffekt der Berufs- und Be- triebswettkämpfe erahnen. 9.5 Träger der beruflichen Weiterbildung Die Betriebe galten als "wichtigste Pflegestelle " beruflicher Weiterbildung. Da- neben sind die Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern zu nennen, die, wie schon in der Weimarer Zeit, so auch im Dritten Reich, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen durchführten bzw. als Träger auftraten. Das Recht zur Abnahme der Meisterprüfung beispielsweise blieb den Kammern erhalten. Die Be- rufsverbände der verschiedenen Wirtschaftsbereiche waren in 18 Reichsbetriebsge- meinschaften umgewandelt und der Deutschen Arbeitsfront eingegliedert worden. Desgleichen die zerschlagenen Gewerkschaften mitsamt ihrem Vermögen und die Arbeitgeberverbände. Die von diesen Verbänden in der Weimarer Zeit getragenen beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen wurden von der Deutschen Arbeitsfront übernommen, nicht ohne zugleich in spezifisch nationalsozialistischer Weise über- formt worden zu sein. Im folgenden werden Aufgaben und Aktivitäten der Deutschen Arbeitsfront auf dem Gebiete der beruflichen Weiterbildung beschrieben. Das hat zwei Gründe: er- stens war die Deutsche Arbeitsfront im Dritten Reich offiziell für berufliche Weiterbildung zuständig, und zweitens sind die meisten Aktivitäten der Deutschen Arbeitsfront im einschlägigen Schrifttum dokumentiert und zugänglich. Demgegen- über halten manche Betriebe und Industrie- und Handelskammern ihre Archive auch heute noch verschlossen, so daß sich die berufspädagogische Historiographie einst- weilen nur auf das zugängliche Quellenmaterial beziehen kann. Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 235 9.6 Berufliche Weiterbildung durch die Deutsche Arbeitsfront Die Zuständigkeit der Deutschen Arbeitsfront für die berufliche Weiterbildung wurde in den Paragraphen 2 und 8 der "Verordnung über die Deutsche Arbeitsfront" fixiert, die der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler am 24. Oktober 1934 erlassen hat: "§ 2 Das Ziel der Deutschen Arbeitsfront ist die Bildung einer wirklichen Volks- und Lei- stungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, daß jeder einzelne sei- nen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzenfür die Volksgemeinschaft gewährleistet" (Eichenseher 1939, S. 72). Diese allgemeine Zielbeschreibung wurde im § 8 noch präzisiert: "Die Deutsche Arbeitsfront hat für die Berufsschulung Sorge zu tragen" (Ei- ehenseher 1939, S. 74). Innerhalb der Deutschen Arbeitsfront lag die Zuständigkeit für berufliche Wei- terbildung beim Amt für Berufserziehung und Betriebsführung, "das in seiner Hauptabteilung IV die Aufgaben der Erwachsenenerziehung in Beruf und Betrieb im Rahmen von vier Abteilungen und insgesamt 14 Unterabteilungen" (Höling 1941, S. 61) wahrnahm. Die ausführenden Organe waren auf Gau-, Kreis- und Be- triebsebene gegliedert; alle Ausbildungs- und Übungsstätten wurden zusammenge- faßt unter der Bezeichnung: "Das Deutsche Berufserziehungswerk in der Deutschen Arbeitsfront". Dessen Kernstücke bildeten betriebliche und überbetriebliche Berufs- erziehungswerke: Die betrieblichen Berufserziehungswerke wurden von hauptamtlichen Betriebs- berufswaltern geleitet, die in Fragen der inhaltlichen und methodischen Gestaltung der Arbeit den Weisungen der zuständigen Kreisberufswalter unterstanden. Die überbetrieblichen Berufserziehungswerke wurden von Gau- bzw. Kreisbe- rufswaltern geleitet, die als pädagogische Leiter für den gesamten methodischen Teil der Arbeit verantwortlich waren. Die eigentlichen Lehrkräfte, die meist nebenamt- lich tätig waren, hießen Übungsleiter. 236 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich Die Entwicklung der Berufserziehungswerke im einzelnen kann hier nicht nach- gezeichnet werden (dazu s. ANHANG); zur ersten Orientierung werden die Daten für die Jahre 1940 und 1942 mitgeteilt: Im Jahre 1940 gab es 117 betriebliche und 270 überbetriebliche Berufserzie- hungswerke; hinzu kamen noch 205 Betriebe, die zwar kein geschlossenes Berufser- ziehungswerk besaßen, aber eine von der Deutschen Arbeitsfront gesteuerte, plan- mäßige berufliche Weiterbildung betrieben. 1942 wurden 247 betriebliche und 308 überbetriebliche Berufserziehungswerke gezählt. Neben diesen Berufserziehungswerken gab es noch Sonderformen beruflicher Weiterbildung, die hier nur genannt werden: Die Deutsche Übungswirtschaft Die Wirtschaftskundlichen Studienfahrten Die Fremdspracheninternate und Die Technischen und Kaufmännischen Fernschulen. Auf zwei Sonderformen, die "Wehrmachtskurse zur Berufsförderung " und "Sonderlehrgänge für Kriegsversehrte", geht das Schlußkapitel ein. Das erste betriebliche Berufserziehungswerk der Deutschen Arbeitsfront wurde 1937 in Bochum eröffnet; zwei Jahre später, Ende 1939, wurden bereits 102 betrieb- liche Berufserziehungswerke gezählt. Sie waren vor allem Groß- und Mittelbetrie- ben angeschlossen. Das Jahr 1937 stellt in der Entwicklung der beruflichen Weiterbildung insofern einen Einschnitt dar, als die vielfältigen, bis dahin von den Reichsbetriebsgemein- schaften der DAF durchgeführten Weiterbildungsmaßnahmen vom Amt für Berufs- erziehung und Betriebsfühnmg systematisch reorganisiert wurden; dabei ging es darum, "einen klaren Stufenaufbau herauszuarbeiten, eine neue Methodik in der Er- wachsenenerziehung durchzusetzen und den gesamten berufserzieherischen Einsatz planmäßig zu verstärken" (Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP 1938, S. 54). Die Reorganisation der betrieblichen Weiterbildung hatte auch Konsequenzen hinsichtlich der Neuordnung des "Lehrkörpers": Als Übungsleiter wurden bevor- zugt Betriebspraktiker rekrutiert, während Gewerbe- und Handelslehrer zusehends Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 237 verdrängt wurden; sie stellten 1937 nur noch rund zehn Prozent von den 22.000 Lehrkräften, die in der beruflichen Weiterbildung tätig waren. Die Propagandisten des Amts für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront betrachteten die betriebszentrierte berufliche Weiterbildung als wesentlichen Teil der "betrieblichen Menschenführung" und hatten keinen An- laß zu verhehlen, daß die Deutsche Arbeitsfront damit den Betriebsführern ein neues "Führungsinstrument" übergeben habe, das "zum Wohl und Wachstum der gesam- ten Betriebsgemeinschaft" eingesetzt werden könne. An der Spitze des betrieblichen Berufserziehungswerkes stand der Betriebsfüh- rer. Beim Aufbau und Betrieb der Berufserziehungswerke waren die der Deutschen Arbeitsfront eng verbundenen Betriebsobmänner und Betriebswalter beteiligt - aus- serdem stand, gewissermaßen als Lieferant des pädagogisch-didaktischen Know- how, ein vom Amt für Berufserziehung und Betriebsführung eingerichteter "Planungsdienst " zur Verfügung. Der Planungsdienst half den Berufswaltem bei der Aufstellung der Lem- und Übungsprogramme und bei der didaktisch-methodischen Schulung der aus den Be- trieben gewonnenen nebenamtlich tätigen Übungsleiter. Zur Funktion der Übungs- leiter einige Anmerkungen: Es liegt nahe, die Übungsleiter mit den betrieblichen Ausbildern von heute zu vergleichen und diese in gewisser Weise als Nachfolger von jenen zu verstehen. Ein Vergleich nach Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Funktionsmerkmalen kann an dieser Stelle nur angeregt werden. Die damals sogenannte "pädagogische Ausrichtung" erfuhren die Übungsleiter vom Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront: "Um diese Praktiker in einer gleichen methodischen Richtung marschieren zu lassen, wird ihnen in unseren laufend durchgeführten Arbeitsschulungen für Obungsleiter das notwendige Rüstzeug für ihr richtiges und auch sicheres methodi- sches Arbeiten vermittelt. Dieser neu zu schaffende Typ des Berufserziehers ist dann nicht allein der Garant und lebendige Träger unserer beruflichen Errziehung, son- dern als erfahrener Betriebspraktiker auch der geeignete Berater und Lenker seiner Teilnehmer in ihrer Berufslaufbahn. In einem eigens auf die Erfordernisse des Betriebes ausgearbeiteten Betriebs- laujbahnplan findet er ein Hilfs- und Steuerungsmittel, das ihm die Leistungsauslese 238 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich der im betrieblichen Berufserziehungswerk mitarbeitenden Gefolgschaftsmitglieder erleichtert. In dieser natürlichen Leistungsauslese gehen einige Großbetriebe sogar so weit, daß überhaupt keine berufliche Beförderung zum betrieblichen Unterführer, wie Vorarbeiter, Meister, Kalkulator, ausgesprochen wird, wenn nicht gleichzeitig die Zustimmung oder Befürwortung des Leiters des betrieblichen Berufserziehungs- werkes vorliegt" (Bleicher 1940, S. 134). Dieses Zitat illustriert nicht nur die Funktion der Übungsleiter, sondern macht auch deutlich, in welcher Weise die berufliche Weiterbildung, deren Inanspruchnah- me freiwillig erfolgte, als betriebliches Führungsinstrument benutzt wurde. Das er- klärt auch die beachtlichen Teilnehmerzahlen: im Jahre 1939 haben von den insge- samt 22 Millionen Beschäftigten immerhin 3 Millionen an Maßnahmen der berufli- chen Weiterbildung teilgenommen. Dabei hat es allerdings erhebliche Ungleichver- teilungen gegeben; so berichtet 1940 ein Mitarbeiter des Amts für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront: "Schon heute gibt es Betriebe, von denen 50 Prozent der Gefolgschaft am betrieblichen Berufsbildungswerk teilneh- men" (Bleicher 1940, S. 135). In erster Linie waren das Belegschaften großer und mittlerer Betriebe, und zwar aus solchen Branchen, die im weitesten Sinne als kriegswichtig bezeichnet werden können: Eisen- und Metallindustrie, Flugzeugbau, Textilindustrie, Nahrungs- und Genußmittelindustrie sowie Banken und Versicherungen. Die kriegswichtige Bedeu- tung beruflicher Weiterbildung zeigt sich auch daran, daß das Amt für Berufserzie- hung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront im Jahre 1940 geballte Akti- vitäten entfaltete, um in Großbetrieben der chemischen Industrie betriebliche Be- rufserziehungsmaßnahmen zu enwickeln. Die Bewährungsprobe beruflicher Weiterbildung erfolgte während des zweiten Weltkrieges. Anders formuliert: dessen lange Dauer hängt auch damit zusammen, daß die berufliche Weiterbildung funktioniert hatte. 9.7 Berufliche Weiterbildung und Kriegswirtschaft Ware es nicht gelungen, die kriegswichtige qualifikatorische Flexibilität der Ar- beitskräfte im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich herzustellen, wäre die da- mals sogenannte "Heimatfront" zusammengebrochen und der Krieg früher beendet gewesen. Denn der Krieg rief in Produktionsbetrieben ebenso wie im Transportbe- reich und in Verwaltungen erhebliche personelle Umsetzungen hervor und erzeugte Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 239 allein dadurch einen enormen Weiterbildungs- und Umschulungsbedarf - von wis- senschaftlich-technischen Innovationen einmal ganz abgesehen. Die Rekrutierung neuer Arbeitskräfte, die jene zum Kriegsdienst eingezogenen ersetzen sollten, veränderte die Zusammensetzung vieler Belegschaften und warf Qualifizierungsprobleme auf, die unter dem gleichzeitig wachsenden kriegswirtschaftlichen Produktionsdruck auf Lösung drängten. Am Rande sei er- wähnt, daß der notorische Arbeitskräftemangel schließlich auch das nationalso- zialistische Frauenbild - "Hausfrau und Mutter" - ins Wanken brachte und massen- haft Frauen in Männerberufe führte, wodurch enorme qualifikatorische Probleme der industriellen Frauenarbeit entstanden. Die Bewährungsprobe beruflicher Wei- terbildung verschärfte sich dadurch, daß auch das Weiterbildungssystem selbst von personellen Ausdünnungen nicht verschont blieb: "Im ersten Kriegsjahr konnten in der fördernden Berujserziehung für Erwachse- ne in rund 46.000 Dauerveranstaltungen etwa 3 Millionen Teilnehmer gezählt wer- den, die die Abendlehrgemeinschaften regelmäßig besucht haben. Die berufliche Erwachsenenbildung konnte auch im Kriege vollständig aufrechterhalten werden, obwohl rund 6.000 Übungsleiter als Soldaten ihre Pflicht tun. Im ersten Kriegsvier- teljahr konnten 78,2 v. H., im zweiten 84,2 v. H., im dritten 86,5 v. H. und im vierten Kriegsvierteljahr sogar 119,3 v. H. der Friedensarbeit durchgeführt werden" (Um- fang der beruflichen Erwachsenenbildung 1940, S. 113 f.). Diese Daten stammen vom Dezember 1940 - damals wurde die Kriegsdauer noch nach Vierteljahren gemessen. Mit der Dauer des Krieges sollte sich das ändern - auch änderte sich die Bedeutung, die der beruflichen Weiterbildung zuerkannt wur- de: Die kriegswirtschaftlichen Zwänge führten innerhalb des Gesamtsystems beruf- licher Bildung zu Verschiebungen, die beispielsweise das öffentliche Berufsschul- wesen drastisch einschränkten, dagegen die betrieblichen Lehrwerkstätten und Werkschulen expandieren ließen. Berufliche Weiterbildung hat in diesen Reorganisationsprozessen ständig an Be- deutung gewonnen, wobei freilich Anlernung und Umschulung im Vordergrund standen: "Leistungsertüchtigung" war die neue Parole. Die Akzentverschiebung in- nerhalb des Bereichs beruflicher Weiterbildung zur Anlernung und Umschulung hin - und damit das Zurückdrängen der umfassenderen Berufserziehung, dokumentiert sich nicht nur im Tenor vieler einschlägiger Veröffentlichungen aus dieser Zeit, son- dern auch in der 1942 erfolgten Umbenennung des "Berufserziehungswerkes" der Deutschen Arbeitsfront in "Leistungsertüchtigungswerk". 240 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich Von Karl Arnhold, einem der bekanntesten und einflußreichsten nationalsoziali- stischen Berufspädagogen stammt der Hinweis, "daß die deutsche Berufserziehung auch auf dem Gebiete der Erwachsenenertüchtigung von besonderer kriegswichtiger Bedeutung" sei; die naheliegende Begründung lautete, "der Sieg, der an der Front erkämpft werden soll, muß erst in den Betrieben der Heimat erarbeitet worden sein" (Arnhold 1942, S. 249). Die kriegswichtige Bedeutung der beruflichen Weiterbildung hatte Arnhold als Leiter des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeits- front allerdings schon zwei Jahre vor Kriegsbeginn öffentlich herausgestellt, als er sich Gedanken über die richtige Verteilung des "Menschenmaterials" machte; die "richtige Abstimmung des Zahlenverhältnisses der einzelnen Menschengruppen, wie sie für einen kommenden Krieg zwischen Heimat und Truppe und bei der Trup- pe selbst wieder zwischen rückwärtigen Diensten und Kampfverbänden aufgeteilt werden sollen" (Arnhold 1937, S. 98) sei eine wichtige Aufgabe, bei der man auch "den Ersatz der zum Kriegsdienst eingezogenen Männer durch Frauen" (Arnhold 1937, S. 99) ins Auge zu fassen habe. Die qualitative Sicherstellung der Kriegsproduktion nach der Mobilmachung hänge nicht nur von "Vorhandensein technischer Einrichtungen und der zahlenmäßi- gen Bereitstellung von Arbeitskräften, sondern auch von der rechtzeitig eingeleite- ten fachlichen Vorbildung dieser Ersatzkräfte" ab (Arnhold 1937, S. 98). Diese Vorbildung sollte die Leistungsfähigkeit der Arbeitskräfte möglichst dau- erhaft erhöhen und sollte "nur auf dem Wege einer umfassenden Berufserziehung geschehen" (Arnhold 1938, S. 2). Das Scheitern dieses anspruchsvollen Qualifizierungsprogramms illustrieren zwei konträre Einschätzungen des Problems der "Anlernung". Arnhold äußerte sich dazu 1938 eindeutig: "Die einfache Anlernung ist abzulehnen, da sie den Menschen nur einseitig schult, ihn gewissermaßen nur 'abrichtet' und er daher in seiner Verwendungsmög- lichkeit beschränkt bleibt" (Arnhold 1938, S. 2). Bereits ein Jahr später, der zweite Weltkrieg hatte begonnen, war aus dem von Arnhold geleiteten Amt der Deutschen Arbeitsfront die gegenteilige Forderung zu hören: "Schnellunterweisungen für Ungelernte und Angelernte, insbesondere für Frauen" wurden als wichtigste Aufgabe der beruflichen Erwachsenenerziehung Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 241 während des Krieges benannt; auch von der bereits geübten Anlernpraxis wurde be- richtet: "Auf dem Gebiete der Anlernung wurden von der DAF in kürzester Frist die notwendigsten Arbeitsunterlagen für die Durchführung schnellwirkender Anlern- maßnahmen erarbeitet und den Betrieben zur Verfügung gestellt" (Glasmacher 1939, S. 14). An den von der Deutschen Arbeitsfront unterhaltenen "Reichsschulen für Ar- beitsführung" in Stuttgart, Düsseldorf, Breslau und Wien, die der HeranbiIdung "tüchtiger betrieblicher Führer und Unterführer" dienten, wurden zusätzlich Lehr- gänge für Anlernbeauftragte der Betriebe und Lehrgänge für sogenannte "Anlerner" eingerichtet: Die Anlerner-Lehrgänge sollten Schwierigkeiten bei der Einarbeitung neuer Kräfte beheben; deren reibungslose Eingliederung in den Produktionsprozeß sollte in kürzester Anlernzeit erreicht werden. Es überrascht kaum, daß gerade diese Lehrgänge bei den Betrieben stärksten Zuspruch fanden. Die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse begünstigten Anlernverfahren, die die betriebliche Qualifizierung auf das funktional Unerläßliche reduzierten. Der Ver- zicht auf umfassende berufliche Qualifizierung war das gemeinsame Merkmal der nun favorisierten Schnellunterweisung, sowohl der Anlernung der Arbeitskräfte als auch der "Anlernung der Anlerner": "Eine erschöpfende Kenntnis wird nicht angestrebt. Die in der Ausbildung ste- henden Frauen und Mädchen sollen lediglich alles das lernen, was sie später als be- triebliche Unterführerinnen für die Anleitung und das Anlernen ihrer Kameradinnen brauchen" (Frauen führen Frauen 1944, S. 4). 9.8 Wehrmachtskurse zur Berufsrörderung und Sonderlehrgänge für Kriegsversehrte Um den Bericht über die Weiterbildungsaktivitäten der Deutschen Arbeitsfront zu vervollständigen, ist noch auf zwei Sonderbereiche hinzuweisen, die in der heuti- gen pädagogischen Sprache mit Fernunterricht und beruflicher Rehabilitation bezeichnet werden. Zunächst sind - gemäß der Chronologie - die Wehrrnachtskurse zur Berufsförderung zu nennen, die das Oberkommando der Wehrmacht bereits im ersten Kriegsjahr in Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeitsfront entwickelte und die während des Krieges eine wichtige Rolle spielten. Dazu kamen im Laufe des Krieges "Sonderlehrgänge für Kriegsversehrte". 242 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich Zur Größenordnung dieser beiden interessanten und bislang völlig ignorierten Sonderbereiche schlaglichtartig ein paar Fakten: Die "Wehrmachtskurse zur Berufs- förderung" wurden teilweise an Standorten, zum größeren Teil aber im Fernunter- richt durchgeführt. "Soldatenbriefe zur Berufsförderung ", in über 20 verschiedene Grund-, Aufbau- und Sonderlehrgänge gegliedert, und sogenannte "Tornisterschrif- ten" wurden in Millionenauflagen vertrieben. Zur Größenordnung der Sonderlehr- gänge für Kriegsversehrte: Im zweiten Halbjahr 1942 wurden rund 10.000 Kriegs- versehrte in den Lehrgemeinschaften der Leistungsertüchtigungswerke gezählt. Nimmt man diese Fakten isoliert zur Kenntnis, kann man sagen, daß sowohl das "Fernunterrichtswesen " als auch die "berufliche Rehabilitation" durch den zweiten Weltkrieg an Bedeutung gewonnen haben. Vor solchem faktizistischen Fort- schrittsdenken ist zu warnen: Wenn man den Blick beispielsweise zu sehr auf die im Einzelfalle sicher sinnvolle und sinnstiftende berufliche Rehabilitation der Kriegs- versehrten richtet, besteht die Gefahr, daß darüber die Unmenschlichkeit des Nazi- Regimes und der gesamtgesellschaftliche Widersinn der nationalsozialistischen Ar- beitsökonomie aus dem Blick kommt. Dieses Problem in eine Frage gekleidet: Kann man den 1942 entwickelten Lehr- gang "Maschinenschreiben für Einarmer" als didaktisch-methodischen Fortschritt werten, wenn man weiß, daß zur gleichen Zeit ungezählte arbeitsfähige Menschen in Vernichtungslagern umgebracht wurden? Wer sich der Erforschung der beruflichen Weiterbildung im Dritten Reich wid- men will, dem sei empfohlen, neben der Wiederherstellung und Verbesserung des Arbeitsvermögens auch die gleichzeitig vom Nazi-Regime betriebene generalstabs- mäßige Vernichtung menschlichen Arbeitsvermögens zu beachten. Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 9.9 Anhang 9.9.1 Zur Entwicklung der berunichen Weiterbildung in Dritten Reich 243 I. Trotz aller Vorbehalte gegenüber den nachfolgend mitgeteilten Daten dürfte unbe- stritten sein, daß die berufliche Weiterbildung während der NS-Zeit einen beachtli- chen Aufschwung genommen hat. Zur Illustration einige Zahlen: Jahr Maßnahmen Lehrkräfte Teilnehmer in allen Gauen (betrieblich und außerbetrieblich) 1933 1.900 700 90.000 1934 9.000 2.800 390.000 1935 16.000 5.500 750.000 1936 50.000 17.000 2.090.000 1937 74.000 22.000 2.920.000 1938 52.500 3.203.986 1939 106.255 2.800.000 1940 geschätzt auf 90% des Vorjahres (Quelle: 1933-1937: Messarius 1938a, S. 415; Der Reichsorganisationsleiterder NSDAP 1938, S. 71. 1938-1940: Höling 1941, S. 66). 11. Der Ausbau der betrieblichen und überbetrieblichen "Berufserziehungswerke" der Deutschen Arbeitsfront (ab 1942: "Leistungsertüchtigungswerke") ist nicht konti- nuierlich dokumentiert; die nachfolgend mitgeteilten Daten entstammen den Zeit- schriften: Arbeitertum; Arbeitsschulung; Arbeit und Betrieb; Die Deutsche Berufser- ziehung, Ausgabe A; Berufserziehung in Handel und Gewerbe: 244 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich Berufserziehungswerke / Leistungsertüchtigungswerke Jahr betriebliche überbetriebliche Teilnehmer 1938 ? ? 3.360.500 1939 102 ? 2.800.000 1940 117 270 ? 1941 170 272 ? 1942 247 308 4 Mio. 1943 ? ? 4 Mio. 1944 1.500 ? 4 Mio. 111. Mit zunehmender Dauer des Krieges wird die Berichterstattung über Einrichtungen, Maßnahmen, Lehrkräfte und Teilnehmer der beruflichen Weiterbildung unübersicht- licher. Zur Illustration werden vier Berichte wiedergegeben. Augenfällig ist die Akzentverschiebung von der beruflichen Weiterbildung zur Anlernung: "Heute sind als Übungsleiter, so werden diese Lehrkräfte in den Berufserzie- hungswerken bezeichnet, 22.000 Ingenieure, Kaufleute, Werkmeister und sonstige hervorragende Fachkräfte tätig, die im Jahre 1938 allein 55.200 semesterartige, in Übungsgemeinschaften und Aufbaukameradschaften aufgegliederte, auf der Durch- führung des Stufenaufbaus beruhende systematisierte Berufserziehungsmaßnahmen mit 2.060.500 Teilnehmern leiteten. Durch die betriebsgebundenen Berufserzie- hungswerke, die von der DAF innerhalb der Betriebe selbst errichtet wurden, um der Praxis noch näher zu sein und die Bedürfnisse der Betriebe in Fragen der Be- rufserziehung voll zu berücksichtigen, wurden auf der gleichen Grundlage noch ein- mal etwa 1.300.000 erwachsene Berufstätige erfaßt." [Quelle: Schenk 1939, S. 33f.; Marrenbach 1940, S. 266f.] "Das Leistungsertüchtigungswerk der Deutschen Arbeitsfront hat durch den ge- steigerten Arbeitseinsatz besonders wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die neu in die Betriebe Eintretenden müssen angelernt oder umgeschult werden. Hierzu bedient Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 245 sich das Leistungsertüchtigungswerk der verschiedenen in den Betrieben vor- handenen berufserzieherischen Institutionen. Es stehen für die Kriegsarbeit jetzt ins- gesamt 5.013 Lehreinrichtungen, davon 2.163 betriebseigene Lehrwerkstätten und 58 Gemeinschaftslehrwerkstätten und 2.793 sonstige planmäßige Ausbildungs- einrichtungen zur Verfügung, die eine schnelle Anlernung der Neulinge gewährlei- sten können." [Quelle: o. Ver!: "Rückgrat des Rüstungsschaffens. Zum zehnjährigen Bestehen der Deutschen Ar- beitsfront". In: Der Vierjahresplan. Zeitschrift für nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 7 (1943), S. 194] "Die Zahl der Teilnehmer an den Berufsausbildungseinrichtungen der DAF be- trug zuletzt über 4 Millionen jährlich." "Die DAF verfügt über fast 80 Schulen für die Ausbildung und Erziehung des Führerkorps. Die Zahl der Teilnehmer an den Schulungsveranstaltungen beträgt jährlich etwa 2 1/2 Millionen in rund 47.000 Lehrgängen. Bemerkenswert ist, daß unter den Schulungsteilnehmern jeweils etwa 40.000 Betriebsführer sind. " "Für die fördernde Berufserziehung stehen der DAF 302 Übungsstätten und 4.850 Lehrwerkstätten und Lehrecken, 1.181 Abendschulen, 22 Fachschulen und rund 2.000 Übungsfirmen zur Verfügung. Monat für Monat werden rund 6.000 Veranstaltungen der fördernden Berufser- ziehung durchgeführt; die Jahressumme der Teilnehmer beträgt 4 Millionen. Rund 1.000 wirtschaftskundliehe Studienfahrten erweitern den Gesichtskreis der Teilneh- mer (jährlich rd. 40.000). " [Quelle: Arbeitswissenschaftliches Institut der DAF 1943, S. 13, S. 34, S. 35.] "1.500 Leistungsertüchtigungswerke betrieblicher Art sind zum überwiegenden Teil sogar während des Krieges entstanden. Daneben bieten überbetriebliche Lei- stungsertüchtigungswerke der DAF in nahezu allen größeren Städten den Gefolg- schaften kleinerer Betriebe Gelegenheit zu systematischer Vervollkommnung des beruflichen Könnens. Die vier Millionen Besucher der Lehrgemeinschaften dieser Leistungsertüchtigungswerke beweisen, daß die Bedeutung der Leistungsertüchti- 246 Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich gungswerke allgemein erkannt worden ist. Zahlreiche Männer und Frauen sind in diesen Lehrgemeinschaften für ihren Einsatz in kriegswichtigen Betrieben angelernt worden." [Quelle: Arbeiterturn. Amtliches Organ der Deutschen Arbeitsfront einschließlich NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude", 13. 19., Folge 16. Berlin, 15.8.1944, S. 4] Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich 247 9.9.2 Literatur Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront: Die Deutsche Ar- beitsfront. Wesen - Ziel- Wege. Berlin 1943 Arnhold, K.: Organische Betriebsgestaltung von der Gefolgschaft aus gesehen. In: Hauptschulungsamt der NSDAP und der DAF (Hrsg.): Der Schulungsbrief 3 (1936), S. 227-236 Arnhold, K.: Mensch und Maschine im Krieg. In: Arbeitsschulung 8 (1937), S. 98f. Arnhold, K.: Von der Rationalisierung zur organischen Betriebsgestaltung. In: Ar- beitsschulung 9 (1938), S. 2-7 Arnhold, K.: Die Berufsförderung der Erwachsenen im Kriege. In: Die Deutsche Berufserziehung, Ausgabe A, 55 (1940), S. 189f. Arnhold, K. : Die Berufserziehung in der Kriegswirtschaft. In: Berufsausbildung in Handel und Gewerbe 17 (1942), S. 247-249 Axmann, A.: Der Reichsberufswettkampf. Berlin 1938 Bleicher, P.-K.: Das Berufserziehungswerk der DAF in Großbetrieben. 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Sie war als Institution, die "die gesamte deutsche Jugend [ ... ] au- ßer in Elternhaus und Schule [ ... ] körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Na- tionalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen" hat- te, wie es im Gesetz über die Hitlerjugend hieß, einer der Eckpfeiler der national- sozialistischen Diktatur l . Um ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden, suchte die Hitlerjugend die deutsche Jugend total zu erfassen, d. h. sowohl die Gesamtheit der Jugendlichen in ihre Reihen einzugliedern als auch alle Lebensbereiche der Ju- gendlichen zu beeinflussen. Dies führte zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit Problemen der Berufserziehung. Der überwiegende Teil der deutschen Jugend war werktätig, ebenso die Mehr- heit der HJ-Mitglieder2. Für diese Jugendlichen hatte die Berufsausbildung zentrale Bedeutung und war für sie mithin von vitalem Interesse. Wollte die HJ berufstätige Jugendliche integrieren und deren Identifikation mit der Jugendorganisation und ih- ren Zielen fördern, so durfte sie Fragen der Berufsausbildung nicht vernachlässigen oder gar ignorieren. Aktivitäten in Sachen Berufserziehung, ernstzunehmende wie propagandistisch aufgebauschte, verschafften der Hitlerjugend den Ruf einer sozial- politisch fortschrittlichen Organisation, die sich vehement für die Interessen· der werktätigen Jugend einzusetzen schien. Die berufs- und sozialpolitischen Vorstöße der HJ dienten dazu, die organisatori- schen Voraussetzungen für die Erziehung im nationalsozialistischen Geiste zu schaf- fen. Anders als bei den Schülern der allgemeinbildenden Schulen, war die Freizeit der werktätigen Jugendlichen knapp bemessen. Lange Wochenarbeitszeiten, das Nacharbeiten des Berufsschulunterrichts, das Aufnehmen ungelernter Tatigkeiten aufgrund wirtschaftlicher Zwänge, Schicht- und Akkordarbeit, gesundheitsgefähr- dende Beschäftigungen und wenig oder gar kein Urlaub schränkten die Möglichkei- ten der Hitlerjugend ein, diese Jugendlichen zu erfassen und wirksam zu erziehen. Sie war deshalb bestrebt, die Arbeits- und Lebensbedingungen der werktätigen Ju- gendlichen so zu verbessern, daß die negativen Auswirkungen auf ihr Wirken mög- lichst gering blieben. Ausgehend von dem Anspruch, neben Elternhaus und Schule einziger legitimer Erziehungsträger zu sein, versuchte die Hitlerjugend, Einfluß auf 252 Hitlerjugend und Berufserziehung die Gestaltung der Berufserziehung zu gewinnen, um auf diese Weise weltanschauli- che Schulung und körperliche Ertüchtigung sicherzustellen. Die berufs- und sozialpolitischen Aktivitäten unternahm die Hitlerjugend auch in ihrer Eigenschaft als nationalsozialistische Organisation, die sich den Grundsät- zen und Zielen des Nationalsozialismus verpflichtet fühlte und die Politik von Staat und Partei dementsprechend zu unterstützen suchte. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Bemühungen zur Behebung des Facharbeitermangels zu sehen, der sich aufgrund der demographischen Entwicklung und der während der Weltwirtschafts- krise rückläufigen Ausbildungstätigkeit der Betriebe schon früh abzeichnete. Die Vierjahresplanwirtschaft mit dem damit verbundenen Anstieg der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften ließ den Facharbeitermangel verschärft hervortreten und drohte die vorgesehenen Produktionssteigerungen zu behindern. Die berufs- und sozialpolitischen Aktivitäten der HJ schlossen Maßnahmen zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Berufsausbildung ein, für die ein reichseinheitlicher Gütestandard angestrebt wurde. Die "Erziehung zur Volksgemeinschaft" ist eben- falls unter diesem Aspekt zu betrachten. Sie appellierte an das Verantwortungsgefühl des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft und predigte das Ideal der uneigennützig zum Wohle des Volkes erbrachten persönlichen Höchstleistung. Beides war not- wendig, weil im Interesse der ehrgeizigen Rüstungs- und Wirtschaftsvorhaben die individuelle Arbeitsleistung erhöht werden mußte; großzügige materielle Anreize zur Leistungssteigerung verbaten sich aufgrund der knappen Ressourcen. Verschiedene, von den vorangestellten Motiven bestimmte berufs- und sozialpo- litische Aktivitäten der Hitlerjugend in den Bereichen der Berufsaufklärung und Be- rufsnachwuchslenkung, der Berufsschule, der betrieblichen Berufsausbildung und des Reichsberufswettkampfes werden im folgenden vorgestellt3. 10. 2 Hitlerjugend und Berufsberatung bzw. Berufsnachwuchslenkung Formaljuristisch hat das Nazi-Regime die Freiheit der Berufswahl nicht aufge- hoben; de facto hat freilich eine an politischen und ökonomischen Kriterien orien- tierte Berufslenkung stattgefunden4. Im wesentlichen wurde dabei versucht, die Ju- gendlichen durch mannigfaltige Beeinflussung zu einer bestimmten Berufswahl zu bewegen und, wo dieses nicht ausreichte, durch Zwangszuteilung zu Berufsausbil- dungsgängen dem in einigen Berufszweigen herrschenden Facharbeitermangel ent- gegenzuwirken. In der Regel wurde jedoch auf die Möglichkeit der Zwangszutei- lung verzichtet, da bei den betroffenen Jugendlichen eine unerwünschte Lei- stungsminderung befürchtet wurde. Hitlerjugend und Berufserziehung 253 Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung lagen in der Zu- ständigkeit der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die allerdings im Juli 1934 mit der Reichsjugendführung ein Abkommen schloß, das der HJ Mitwirkungsmöglichkeiten bei Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung einräumte. Die HJ verpflichtete sich, ihre vor der Berufswahl stehenden Mitglieder den Berufsberatungsstellen zur Beratung und Vermittlung zuzuführen und darüber- hinaus Unterlagen und Beurteilungen aus dem HJ-Dienst zur Verfügung zu stellen. Wurden der HJ Ausbildungsstellen bekannt, so hatte sie diese den Arbeitsämtern zu melden; eine eigenmächtige Vergabe solcher Stellen war ihr untersagt. Neben den Untersuchungsergebnissen der HJ-Ärzte wurden den Berufsberatungsstellen Beur- teilungen zugestellt, auf denen die HJ-Führer verschiedene Angaben über im HJ- Dienst erkennbare Eigenschaften ihrer Gefolgschaftsmitglieder festhielten: Pünkt- lichkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit, Bereitschaft zur Unterordnung, Verträglichkeit, Hilfsbereitschaft, körperliche Ausdauer und Belastungsfähigkeit. Die Reichsanstalt räumte der Hitlerjugend ein begrenztes Mitspracherecht ein, indem sie zusicherte, daß Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung im engsten Einvernehmen zwischen beiden Institutionen durchgeführt werden sollten. Zu diesem Zweck wurden an jeder Berufsberatungsstelle, den Arbeitsämtern, den Landesarbeitsämtern und der Haupt- stelle der Reichsanstalt, Vertreter des Sozialen Amtes der Hitlerjugend zu Verbin- dungsmännern ernannt, die die Interessen der HJ vertraten. Auf der Basis dieses Abkommens war die Hitlerjugend ständig um eine Intensi- vierung der Zusammenarbeit mit den Berufsberatungsstellen bemüht. So wurde durch die reichseinheitliche Einführung des von der HJ und dem Landesarbeitsamt Niedersachsen gemeinsam entwickelten Fragebogens versucht, den Beratungsstellen exakte Beurteilungen über lehrstellensuchende HJ-Mitglieder an die Hand zu geben. Über die für eine Berufsberatung besonders wichtigen geistigen und handwerkli- chen Fähigkeiten enthielt der Fragebogen jedoch keine Angaben, da der HJ-Dienst darauf kaum Rückschlüsse zuließ. Von ebenso zweifelhaftem Wert scheint die zu- nehmende personelle Verflechtung durch die Einstellung von HJ-Führern und BDM- Führerinnen als Berufsberatungskräfte gewesen zu sein. Obgleich dies von der HJ begrüßt und gefördert wurde, ging die ReichsanstaIt aufgrund der schlechten Erfah- rungen wieder davon ab5. Der Schwerpunkt der Arbeit der Hitlerjugend im Bereich der Berufsnach- wuchslenkung lag in der sogenannten "Berufsaufklärung". Der Name "Berufsauf- klärung" ist indessen irreführend, denn das, was dort betrieben wurde, war eben kei- ne Aufklärung, die sich auf umfassende Informationen über die Vielzahl der Berufe und deren Ausbildung und Inhalte stützte, sondern sollte die Nachwuchslenkung in sogenannte Mangelberufe ermöglichen und erleichtern. Statt Aufklärung wurde also 254 Hitlerjugend und Berufserziehung eine massive Beeinflussung und Lenkung betrieben. Die sogenannte "Berufsaufklä- rung" der Hitlerjugend knüpfte an die weltanschauliche Erziehung an und hatte wie diese das Ziel, Jugendliche zu selbstloser Opferbereitschaft für Führer und Volk an- zuhalten; ein Zitat mag dies illustrieren: "Im nationalsozialistischen Staat ist die Berufswahl nicht mehr ausschließlich eine persönliche Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit des ganzen Volkes. Der Jugendliche hat sich an der Stelle in der Volkswirtschaft einzuordnen, an der er auf Grund seiner Anlagen und Fähigkeiten am dringlichsten gebraucht wird. ,,6 Die "Berufsaufklärung" der HJ fand auf dreierlei Weise statt; es gab: 1. Berufskundliehe Heimabende, von den Führern der HJ-Einheiten abgehalten, bei denen Bildtafeln, Filme, Werkstücke und Anschauungskästen eingesetzt wurden - und bei denen in zunehmendem Maße auch die örtlichen Berufs- berater mitwirkten. 2. Berufskundliehe Betriebsbesichtigungen, die sich auf solche Betriebe be- schränkten, in denen für Mangelberufe ausgebildet wurde - und schließlich 3. Berufskundliehe Ausstellungen, die gegenüber den beiden vorgenannten Or- ganisationsformen den Vorteil boten, daß sie sich nicht nur an die Schulab- gänger selbst, sondern auch an Eltern und Verwandte richteten. Ein weiteres Instrument der Nachwuchslenkung waren die Lehrlingsheime. Sie dienten zum Ausgleich des zwischen Ballungsgebieten und kleineren Industriean- siedlungen bestehenden Mißverhältnisses von beruflichem Nachwuchs und angebo- tenen Lehrstellen. Die Einrichtung der Heime und ihre Unterhaltung wurden vor- wiegend von Betrieben finanziert; dort, wo einzelne Betriebe dazu nicht in der Lage waren, wurden überbetriebliche Heime unter der Trägerschaft der Gemeinden ge- schaffen. Die erzieherische und wirtschaftliche Leitung der Heime hatte jedoch in jedem Fall die Hitlerjugend. Jeweils ein HJ-Führer oder eine BDM-Führerin betreu- te die Auszubildenden und hatte sie "nach den für die Ritler-Jugend geltenden Grundsätzen [ ... ] körperlich, geistig und sittlich" zu erziehen 7. Die Lehrlingsheime boten der Hitlerjugend ideale Möglichkeiten zur Erziehung der jugendlichen Auszu- bildenden. Die Lehrlinge standen unter ständiger Kontrolle und konnten sich dem Einfluß der Heimleitung nicht entziehen. Dies hatte um so größere Auswirkungen, als der gewohnte Lebenskreis von Elternhaus und Freunden fortfiel, so daß sich die Jugendlichen mehr in die Heimgemeinschaft und in den HJ-Dienstbetrieb integrier- ten, als sie es in ihrer heimatlichen Umgebung getan hätten. Hitlerjugend und Berufserziehung 255 10. 3 Hitlerjugend und Berufsschule In der Jugenderziehung besaßen nach Ansicht der Hitlerjugend charakterliche Schulung und körperliche Ertüchtigung einen weitaus höheren Stellenwert als gei- stige Bildung und reine Wissensvennittlung, als deren Ort man die Schule ansah8. Obwohl die Schule nach dem HJ-Gesetz zu den Institutionen zählte, die die deut- sche Jugend zu erziehen hatten, hörte die HJ nicht auf, der Schule ihre Zuständigkeit zu bestreiten. Die fortwährenden Angriffe auf die Schule, die Verunglimpfung der Lehrer als deren Repräsentanten und die Auseinandersetzungen zwischen dem Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung, Rust, und dem Reichsjugendführer, Schirach, legen beredtes Zeugnis davon ab. Der Versuch Schi- rachs, das Erziehungsministerium an sich zu bringen und die gesamte Jugender- ziehung in seiner Hand zu vereinigen, war dabei ein Schritt auf dem Weg, an dessen Ende die endgültige Durchsetzung der Erziehungskonzeption der Hitlerjugend ste- hen sollte. Einer Erziehungskonzeption, bei der ideologische und politische Schu- lung sowie sportliche Übungen betont wurden. Dafür würden dann, so die HJ, keine "Schulmeister" mehr benötigt, sondern "der Jugendführer und Erzieher der Zukunft [sollte] ... ein Priester des nationalsozialistischen Glaubens und ein Offizier des nationalsozialistischen Dienstes sein" 9. Den Berufsschulen stand die Hitlerjugend ebenso ablehnend gegenüber wie den allgemeinbildenden Schulen; zum einen wegen der schon erwähnten Unvereinbar- keit der Erziehungskonzeptionen, zum anderen wegen der angeblich unzureichenden Qualität des Berufsschulunterrichts lO. Hier muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Berufsschulen das Stiefkind der nationalsozialistischen Schul politik waren. Die restriktive Finanzpolitik, die zum Teil Folge der Einschätzung war, daß dem zentralen Problem des Facharbeitermangels durch praktische Ausbildung in den Be- trieben weitaus besser begegnet werden konnte als durch eine Intensivierung des theoretischen Berufsschulunterrichts, verschlechterte ,die Arbeitsbedingungen zuse- hends. Hinzu kam, daß schon aufgrund der durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" durchgeführten "Säuberung" der Lehrkörper ein Mangel an Lehrkräften eingetreten war. Dieser Mangel verschärfte sich durch die Abwande- rung von Berufsschullehrern in die in den Vorkriegsjahren prosperierende Wirt- schaft, die sehr viel bessere Arbeits- und Einkommensbedingungen als die Berufs- schulen bot. Ähnliche Erfolge wie an den allgemeinbildenden Schulen, wo der Einfluß der HJ sich durch die Schuljugendwalter oder das Zugeständnis des Staatsjugendtages manifestierte, blieben der Hitlerjugend an den Berufsschulen versagtlI. Die Beson- derheit, daß die Berufsschule ihre Schüler nur an einem Tag der Woche für wenige 256 Hitlerjugend und Berufserziehung .tfllf8lUtllhampf alltr fdlaltnltn Dttilfdltn 1938 mtltanrdlaulidlt fragtn teflllln,.lIlale 1: Jallr,anl 1922 unD 192J t. IBellJe 5ef»lete IDurben 10m !)eutf.. Met4 bur4 .... ~etlaillet ~ftat ai"ehennt? 2. tDddJt 9lattOßfß ki1lq)fm IDU I)natfdJlanb grgm bm aOIlUllUßt.1IUI. ? S. Ißle "ihe. ble 1DtIJttgfttll 8n9 gtt••itn Jtolouleft7 4. 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Die HJ sah in erster Linie die Betriebe als Feld ihrer berufs- und sozialpoliti- schen Arbeit an. Das sollte sie aber keineswegs daran hindern, gegen die Berufs- schullehrer besonders boshafte Attacken zu richten und damit wesentlich zur Ver- schlechterung der schulischen Berufsausbildung beizutragen. Dem Versuch der HJ, zumindest den staatspolitischen Unterricht an den Berufsschulen in die Hand zu be- kommen, war in einigen Fällen Erfolg beschieden12. Aber auch dort blieb der Ein- fluß der Hitlerjugend auf den Unterricht der Berufsschule gering, der Natur der Be- rufsschule entsprechend: deren Aufgabe war vorwiegend die Vermittlung der theore- tischen Grundlagen der Berufslehre; demgegenüber hatte der staatspolitische Unter- richt nur einen geringen Anteil. Hitlerjugend und Berufserziehung 257 10.4 Hitlerjugend und betriebliche Berufsausbildung Die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses war in den Friedensjahren des Dritten Reiches Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen dem Reichs- wirtschaftsministerium und den Vertretern der Wirtschaft auf der einen und der DAF auf der anderen Seite. Obwohl das 1934 erlassene "Gesetz zur Ordnung der natio- nalen Arbeit" die Eigentümer oder die von diesen Bevollmächtigten zu sogenannten "Betriebsführern " bestimmte, die in allen betrieblichen Angelegenheiten, also auch der berufspraktischen Ausbildung im Betrieb, nahezu absolute Verfügungsgewalt besaßen, versuchte die DAF unter Berufung auf die "Verordnung des Führers über Wesen und Ziel der Deutschen Arbeitsfront", nach der die DAF für die Berufsschu- lung Sorge zu tragen hatte, die Kompetenzverteilung in Sachen betrieblicher Ausbil- dung zu ihren Gunsten zu ändern 13. Es gelang ihr allerdings nicht, den Be- triebsführern das Recht auf die Gestaltung der fachpraktischen Ausbildung streitig zu machen. Wohl aber wurde der DAF zugestanden, die betriebliche Gemeinschaftserziehung durchzuführen, deren Ziele die Sicherung des Betriebsfrie- dens sowie die Steigerung des Leistungswillens und der Arbeitsdisziplin waren. Für die Hitlerjugend war "der ausschlaggebende Kern jeder Berufslehre [ ... ] die betriebliche Ausbildung" 14. Da der HJ aber insbesondere in Bezug auf die fach- praktische Ausbildung die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen zu ei- ner effektiven Auseinandersetzung in diesem Bereich fehlten, arbeitete sie eng mit der DAF zusammen 15. Dies war allerdings eine Zusammenarbeit, bei der die HJ ihre Aktivitäten mit der DAF abzustimmen hatte. Zwar wurden das Jugendamt der DAF und dessen untergeordnete Dienststellen von HJ-Führern übernommen und die gesamte Jugendarbeit der Arbeitsfront beruhte bald auf Anregungen und Impulsen, die von der HJ ausgingen, so daß das Jugendamt der DAF als "Arm des Sozialen Amtes der Reichsjugendführung" bezeichnet wurde 16. Da jedoch das Jugendamt weiterhin der DAF direkt unterstellt war und eine von der Organisation der Hitlerju- gend getrennte Dienststelle blieb, der "allein [ ... ] die Steuerung der Durchführung der gesamten berufs- und sozialpolitischen Arbeit an der werktätigen Jugend" vor- behalten war 17 , besaß letztlich die Arbeitsfront die Entscheidungsgewalt in diesem Bereich. Die vom Sozialen Amt der Hitlerjugend ausgehenden Aktivitäten hatten sich also an den Absichten der DAF zu orientieren. Die "Jugendwalter des Betriebes" oder "Betriebsjugendwalter" waren jene In- stitution, über die die Hitlerjugend Einfluß in den Betrieben zu gewinnen versuchte. Sie entbehrten jeder gesetzlichen Grundlage, was nicht ohne Wirkung auf ihre Tä- tigkeit blieb. Da kein Betriebsführer verpflichtet war, ihr Wirken in seinem Betrieb zu dulden noch mit ihnen zusammenzuarbeiten, war die Hitlerjugend gezwungen, 258 Hitlerjugend und Berufserziehung die Vorzüge dieser Einrichtung unter Beweis zu stellen. Neben positiven Anreizen, die der Anerkennung der Betriebsjugendwalter dienen sollten, wurden allerdings auch die Machtmittel des totalitären Staates genutzt, denn die HJ-Vertreter gerierten sich als nationalsozialistisches Gewissen der Betriebe und drohten nicht systemkon- form handelnden Betriebsführern die Anwendung dieser Machtmittel an, verschaff- ten sich also durch Einschüchterung Gehör. Aufgabe der Betriebsjugendwalter war zunächst die Durchführung der Gemein- schaftserziehung der der Belegschaft angehörenden Jugendlichen. Jugendbetriebsap- pelle, die sich am Vorbild der allgemeinen Betriebsappelle orientierten, den Heim- abenden der Hitlerjugend nachempfundene Jugendbetriebsabende, gemeinschaft- liche Feiern anläßlicp bestandener Gesellenprüfungen oder der Aufnahme neuer Lehrlinge in den Betrieb und der Jugendbetriebssport waren Bestandteile dieser Ge- meinschaftserziehung. Da die negativen Auswirkungen auf den eigentlichen Be- triebsablauf unbedeutend blieben und in einigen Fällen sogar positive Effekte in Form erhöhter Arbeitsdisziplin und Leistungsbereitschaft zu verzeichnen waren, hatten die Betriebsführer in der Regel keine Einwände gegen die Durchführung der Gemeinschaftserziehung. So gelang es, wesentliche Formen und Inhalte der HJ-Er- ziehung in die Betriebe einzubringen und der betrieblichen Berufsausbildung anzu- gliedern. Die weltanschaulich-politische Schulung und der Betriebssport gewannen im Laufe des Krieges zunehmend an Gewicht, weil zahlreiche Jugendliche "auf- grund kriegsbedingter beruflicher Mehrarbeit" vom regulären HJ-Dienst freigestellt wurden 18. Konflikte drohten jedoch für den Fall, daß die Betriebsjugendwalter Aufgaben übernahmen, die in den Kompetenzbereich der Betriebsführer fielen. Dies geschah zum einen durch die Überwachung der berufspraktischen Ausbildung, zu der die Betriebsjugendwalter beobachteten, sich beim Ausbildungspersonal informierten und die von den Lehrlingen und Jungarbeitern beim Reichsberufswettkampf erziel- ten Ergebnisse zu Rate zogen. Hierauf gingen dann die Anregungen zurück, die sie den Betriebsführern hinsichtlich der Abstellung von Ausbildungsmängeln machten; Anregungen, die selbstverständlich auf die Vorstellungen von HJ und DAF zurück- gingen. Aber auch von den Betriebsjugendwaltern als den Vertretern der HJ gestellte soziale Forderungen, die den Interessen der Betriebsleitung zuwiderliefen, gaben zu Konflikten Anlaß. Die Verbesserungen des Arbeitsschutzes etwa oder verlängerte Urlaubszeiten verursachten ebenso zusätzliche Kosten wie die Durchführung der Gemeinschaftserziehung und des Betriebssportes während der Arbeitszeit. Trotzdem verschafften die Betriebsjugendwalter ihren Forderungen nach und nach Gehör, wo- bei die Betriebsführer oft genug durch den Hinweis eingeschüchtert wurden, daß diese Forderungen im Grunde Forderungen des nationalsozialistischen Staates seien, Hitlerjugend und Berufserziehung 259 der sie zu Gunsten der Jugend, als dem Garanten der Zukunft des Dritten Reiches, stelle - ein Hinweis, der in einem totalitären Staat eine unterschwellige Drohung enthielt. Allerdings verließ die HI sich nicht ausschließlich auf die Androhung nega- tiver Sanktionen. Ein Zeichen dafür ist die Änderung des Anforderungsprofils der Iugendwalter des Betriebes. Wurden diese in den Jahren bis 1937 oft noch aus dem Kreis der Iungarbeiter und Lehrlinge ausgewählt und waren dementsprechend jung, so wurde danach eine abgeschlossene Berufsausbildung und die Ableistung der Ar- beitsdienst- und Wehrpflicht vorausgesetzt. Das Mindestalter für Betriebsjugend- walter betrug fortan 22 Iahre, für Jugendwalterinnen sollte es im Durchschnitt bei 20 Iahren liegen. Diese Betriebsjugendwalter besaßen aufgrund ihres Alters und ih- res Werdeganges gegenüber den Iungarbeitern und Lehrlingen eine größere Autori- tät und konnten ihre Funktion als Führer der lugendlichen im Betrieb besser erfül- len. Gleichzeitig wurde mit den zahlreichen Neubesetzungen auch eine Verbesse- rung der Zusammenarbeit mit den Betriebsführungen beabsichtigt; denn es war zu erwarten, daß die Betriebsführer diesen fachlich kompetenten, im allgemeinen be- sonnener vorgehenden Betriebsjugendwaltern mehr entgegenkommen würden als es bis dahin der Fall war. Diese Betriebsjugendwalter waren auch eher in der Lage, An- weisungen der Betriebsführung bei der jugendlichen Belegschaft durchzusetzen, was der Anerkennung von Seiten der Betriebsführung ebenso zugute kam wie der Hinweis, daß die Tätigkeit sich daran ausrichte, Schäden vom Betrieb abzuwenden. Sozialpolitische Maßnahmen der Hitlerjugend wie die Gesundheitsführung, die Freizeitaktion und die Rechtsberatung der berufstätigen lugend bewirkten für viele werktätige lugendliehe zwar eine spürbare Verbesserung der Arbeits- und Lebensbe- dingungen und wurden dementsprechend propagandistisch ausgeschlachtet, doch war die Zielsetzung letztlich eine andere. Das von der HJ benutzte Schlagwort "Alle Sozialpolitik dient dem Staat" deutet schon an l9, daß im Mittelpunkt der Bemühun- gen nicht der einzelne Mensch als Individuum stand, sondern das Mitglied der Volksgemeinschaft und der Angehörige der "arischen Rasse". Die Verbesserung des Gesundheitszustandes der lugend durch die Gesundheitsführung, Maßnahmen zum lugendarbeitsschutz und verlängerter Urlaub wurden unter diesem Leitgedanken an- gestrebt. Die Bedeutung einer gesunden lugend für die Erhaltung der Wehrkraft des Volkes versteht sich von selbst. Der Forderung nach mehr Urlaub konnte Nachdruck verliehen werden, mit dem Hinweis, daß die zusätzliche Freizeit zu HI-Lageraufenthalten verwendet werde. Die Funktion der Rechtsberatung war wiederum nicht die, den Jugendlichen zu ih- ren gesetzlich verankerten · Rechten zu verhelfen, die im übrigen dürftig waren. Hauptsächlich sollten die Rechtsberater vennittelnd und ausgleichend tätig werden. 260 Hitlerjugend und Berufserziehung Berufswettkampf aUer schaRenden Deutschen 1938 Ortswettkampf Skizzieraufgabe Wettkampfgruppe Ei.en und Metall .,.,. (....). Former leistung.tasse: 5 Der Sicherung des Arbeitsfriedens und eines effektiven Betriebsablaufs wurde der Vorrang gegeben vor der strikten Durchsetzung der Rechte Jugendlicher. 10.5 Hitlerjugend und Reichsberufswettkampf Der Reichsberufswettkampf kann als Kernstück der berufs- und sozialpoliti- schen Aktivitäten der Hitlerjugend angesehen werden20. Er läßt die Absichten und die Vorgehensweise der HJ bei der Auseinandersetzung mit Fragen der Berufserzie- hung deutlich und umfassend erkennen und bietet sich deshalb zu einer ab- schließenden Zusammenfassung an. Hitlerjugend und Berufserziehung ~at otcfr l1rrunÖtÖurdJ Öle~ttll1ilhl11t mn ~erUfDWtttfilmpf oller rdJaffcnöen Scutrdjen ttnJoröcn BERLIN, IA\ J\\XR~ 19~~ 261 Auch beim Reichsberufswettkampf arbeitete die Hitlerjugend eng mit der DAF zusammen, die ihre Vorstellungen bei der Formulierung der Aufgabenstellungen gel- tend machen konnte. Da die Aufgabenstellung reichseinheitlich erfolgte und auch die Auswertung der Ergebnisse zunehmend objektiviert wurde, gewährte der Reichsberufswettkampf einen Überblick über den aktuellen Stand der Berufsausbil- dung im Dritten Reich. Die Ergebnisse boten Ansatzpunkte zur Beseitigung von of- fenkundigen Schwächen und Mängeln in der Ausbildung. Die jährliche Durchfüh- rung und die sich damit ergebende Kontrollmöglichkeit verstärkte den Druck auf die Betriebsführer, die in ihren Betrieben zutage getretenen Mängel zu beseitigen; denn 262 Hitlerjugend und Berufserziehung taten sie dies nicht, drohte ihnen der Entzug der Ausbildungserlaubnis. Der von HJ und DAF erzeugte Anpassungszwang bewirkte schließlich sogar, daß die betriebli- che Berufsausbildung sich mehr und mehr an den Aufgabenstellungen des Wettkampfes orientierte, damit Lehrlinge und Jungarbeiter nur gut abschnitten und nicht etwa ein schlechtes Licht auf den Betrieb warfen. Über das Vehikel des Reichsberufswettkampfes gewannen DAF und HJ gleichsam im Seiteneinstieg Ein- fluß auf die Gestaltung der fachpraktischen Ausbildung in den Betrieben: Unver- kennbar ist der Effekt, die Qualität der betrieblichen Berufsausbildung generell an- zuheben und letztlich einen reichseinheitlichen Gütestandard anzustreben. Der Reichsberufswettkampf ließ ebenfalls erkennen, inwieweit die Jugendlichen die nationalsozialistische Ideologie verinnerlicht hatten und inwieweit sie sich für die HJ und das Dritte Reich mobilisieren ließen. Weltanschauliche und sportliche AufgabensteIlung erleichterten die Übertragung von Erziehungsinhalten der HJ auf den Bereich der Berufserziehung; denn die Jugendlichen und ihre Ausbilder waren gezwungen, diese Inhalte bei der Ausbildung in den Betrieben zu berücksichtigen oder den Jugendlichen Gelegenheit zur Teilnahme an der HJ-Schulung zu geben, wollten sie die aus einem schlechten Wettkampfergebnis resultierenden Folgen ver- meiden. Hinter diesen Maßnahmen stand die Absicht der HJ, die berufstätigen Ju- gendlichen ihrer Erziehung genauso wirkungsvoll zu unterwerfen wie die schul- pflichtigen Jugendlichen. Mit dem Reichsberufswettkampf verbundene Leistungen, wie die qualitative und quantitative Verbesserung der Berufsausbildungsverhältnisse und die Zunahme der Zahl von gewährten Urlaubstagen, wurden von der Hitlerjugend propagandi- stisch ausgeschlachtet. Das gleiche geschah mit der Förderung der Wettkampfsieger, deren publikumswirksame Präsentation den Eindruck erweckte, daß die HJ von Stand und Bildung unabhängige Chancen für einen beruflichen und sozialen Auf- stieg offerierte. Ein Eindruck, der zusammen mit den anderen Leistungen das Bild der HJ als einer sozialpolitisch fortschrittlichen Jugendorganisation prägte und dafür sorgte, daß sie bei den Jugendlichen Resonanz fand. So läßt sich aus dem Reichsberufswettkampf wie auch aus der Tätigkeit in ande- ren Bereichen der Schluß ziehen, daß die Hitlerjugend alle berufs- und sozialpoliti- schen Aktivitäten in ihrer Eigenschaft als nationalsozialistische Jugendorganisation unternahm, die nicht dem einzelnen Mitglied, sondern der NS-Ideologie und dem nationalsozialistischen Staat verpflichtet war. Vordergründig mögen die Maßnahmen auch im Interesse der Jugendlichen gewesen sein; letztlich aber gilt, daß sie dem NS-Staat und seiner Politik dienen sollten. Hitlerjugend und Berufserziehung 263 10.6 Anmerkungen 1 Zur Geschichte der Hitlerjugend und ihrer Erziehungspraxis: H.-C. Branden- burg, Die Geschichte der HJ. Wege und Irrwege einer Generation, 2. Aufl., Köln 1982; Hermann Giesecke, Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend. Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik, München 1981; Michael H. Kater, Bürgerliche Ju- gendbewegung und Hitlerjugend in Deutschand von 1926 bis 1939, in: Archiv für Sozialgeschichte XVII (1977), S. 127-174; ders., Hitlerjugend und Schule im Drit- ten Reich, in: Historische Zeitschrift 228 (1979), S. 572-623; Arno Klönne, Hitlerju- gend. Die Jugend und ihre Organisation im Dritten Reich, Hannover 1956; ders., Ju- gend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner. Düsseldorf und Köln 1982; Werner Klose, Generation im Gleichschritt. Die Hitlerjugend. Ein Dokumentarbericht, 2. Aufl., OldenburgfHamburgfMünchen 1982; Karl Christoph Lingelbach, Erziehung und Erziehungstheorien im nationalsozialistischen Deutsch- land. Ursprünge und Wandlungen der 1933-1945 in Deutschland vorherrschenden erziehungstheoretischen Strömungen; ihre politischen Funktionen und ihr Verhältnis zur außerschulischen Erziehungspraxis des "Dritten Reiches" (= Marburger For- schungen zur Pädagogik, Bd. 3), Weinheim/Berlin/Basel 1970; Peter D. Stachura, Das Dritte Reich und Jugenderziehung: Die Rolle der Hitlerjugend 1933-1939, in: Manfred Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil I: Kin- dergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Bd. 4.1), Stuttgart 1980, S. 37-59; ders., The German Youth Movement. An Interpretative and Documentary History, London and Basingstoke 1981; Michael Wortmann, Baldur von Schirach. Hitlers Jugendführer, Köln 1982. An zeitgenössischer Literatur vgl.: Artur Axmann, Der Reichsberufswettkampf, Berlin 1938; Günter Kaufmann, Der Reichsberufswettkampf. Die berufliche Aufrüstung der deutschen Jugend, Berlin 1935; ders., Das kommende Deutschland. Die Erziehung der Jugend im Reich Adolf Hitlers, 2. Aufl., Berlin 1940; o. Ver!, Hitler-Jugend 1933 bis 1943, in: Das Junge Deutschland (im folgenden zitiert als DJD) 37 (1943), S. 1-64; Baldur von Schirach, Die Hitler-Jugend. Idee und Gestalt, Berlin 1934; ders., Revolution der Erziehung. Reden aus den Jahren des Aufbaus, München 1938. 2 Auf der Basis der Volks- und Berufszählung von 1933 gibt Hertha Siemering den Anteil der Erwerbspersonen an der Jugend im Alter von 14 bis unter 20 Jahren mit 75,5 Prozent an. Hertha Siemering, Deutschlands Jugend in Bevölkerung und Wirtschaft. Eine statistische Untersuchung, Berlin 1937, S. 121-128. Nach den Schulstatistiken von 1938/1939 standen 877.849 Volksschulabgängern, die zum überwiegenden Teil eine Berufsausbildung aufnahmen oder in ungelernte Arbeit ein- traten, nur 88.492 Abgänger der Mittelschulen und 45.150 Abgänger der höheren 264 Hitlerjugend und Berufserziehung Schulen gegenüber. Richard Grunberger, Das Zwölf jährige Reich. Der Deutschen Alltag unter Hitler, München 1972, S. 279. Zur Sozialstruktur der HJ vgl. Kauf- mann, Deutschland, S. 43. 3 Unseres Wissens existiert zu diesem Themenkomplex bislang keine Untersu- chung. Überhaupt wurde die Berufserziehung im Dritten Reich von der Forschung bislang eher stiefmütterlich behandelt. Dies ist umso verwunderlicher, als die Berufserziehung in Deutschland von jeher einen bedeutenden Anteil an der Sozialisation der Jugendlichen hatte. Veröffentlichungen zur Berufserziehung im Dritten Reich: Gustav Grüner, "Wer nicht will, der wird zusammengehauen" - Vor 50 Jahren: Das Ende der demokratischen Berufsschullehrerverbände, in: Die berufsbildende Schule 35 (1983), S. 139-168; Martin Kippj Gisela Miller, Anpas- sung, Ausrichtung und Lenkung: Zur Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich, in: Wolfgang Fritz Haug (Hrsg.), Reformpädagogik und Berufspäd- agogik (= Schule und Erziehung VI. Argument-Sonderband 21), Berlin 1978, S. 248-266 - zugleich Kapitel 1 in diesem Band; Martin Kipp, Arbeitspädagogik in Deutschland: Johannes Riedel. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der be- ruflichen Ausbildung - mit einer Riedel-Bibliographie (= Beiträge zur Berufsbil- dung), Hannover! DortmundfDarmstadt!Berlin 1978; Martin KippjGisela Miller, Berufserziehung und Berufspädagogik während des Nationalsozialismus. Ein Forschungsbeitrag, in: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 75 (1979), S. 434-443 - zugleich Kapitel 2 in diesem Band; Martin Kipp, Privilegien für "alte Kämpfer" - Zur Geschichte der SA-Berufsschulen, in: Heinemann, Erziehung und Schulung (s. o. Anm. 1), S. 289-300 - zugleich Kapitel 3 in diesem Band; ders., Zentrale Steue- rung und planmäßige Durchführung der Berufserziehung in der Luftwaffenrüstungs- industrie des Dritten Reiches, ebda., S. 310-333 - zugleich Kapitel 4 in diesem Band; ders., "Überwindung der Ungelernten"? Vorstudien zur Jungarbeiterbeschu- lung im Dritten Reich, in: Horst BiermannfWolf-Dietrich GreinertjRainer Janisch (Hrsg.), Berufsbildungsreform als politische und pädagogische Verpflichtung. Gün- ter Wiemann zum 60. Geburtstag. Velber 1982, S. 170-189 - zugleich Kapitel 8 in diesem Band; ders., Berufliche Weiterbildung im Dritten Reich, in: Walter Georg (Hrsg.), Schule und Berufsausbildung. Gustav Grüner zum 60. Geburtstag, Bielefeld 1984, S. 83-99 - zugleich Kapitel 9 in diesem Band; Klaus Kümmel, Zur schulischen Berufserziehung im Nationalsozialismus. Gesetze und Erlasse, in: Heinemann, Erziehung und Schulung, S. 275-288; ders. (Hrsg.), Quellen und Dokumente zur schulischen Berufsbildung 1918-1945 (= Quellen und Dokumente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland, Reihe A, Bd. 2), Köln/Wien 1980; Gerd Neu- mann, Die Indoktrination des Nationalsozialismus in die Berufserziehung. Untersu- chung zur Arbeits- und Erziehungsideologie während der Epoche zwischen 1933 und 1945. Diss. WiSo. Universität Hamburg 1969; Günter Pätzold (Hrsg.), Quellen Hitlerjugend und Berufserziehung 265 und Dokumente zur betrieblichen Berufsbildung 1918-1945 (= Quellen und Doku- mente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland, Reihe A, Bd. 1), Köln/Wien 1980; Rolf Seubert, Berufserziehung und Nationalsozialismus. Das be- rufspädagogische Erbe und seine Betreuer (= Berufsbildung und Berufsbildungspo- litik, Bd. 1), Weinheim/Basel 1977; Theo Wolsing, Untersuchungen zur Berufs- ausbildung im Dritten Reich (= Schriftenreihe zur Geschichte und Politischen Bil- dung, Bd. 24), Kastellaun/Düsseldorf 1977; ders., Die Berufsausbildung im Dritten Reich im Spannungsfeld der Beziehungen von Industrie und Handwerk zu Partei und Staat, in: Heinemann, Erziehung und Schulung, S. 301-309. 4 Wolsing, Untersuchungen (s. o. Anm. 3), S. 84 f. Zur Tätigkeit der HJ im Be- reich der BerufsberatungJBerufsnachwuchslenkung vgl.: Dr. Brücher, Er- fahrungsbericht aus der Berufsaufklärung. Betriebsbesichtigungen in Thüringen, in: DJD 33 (1939), S. 338 - 341; BrücknerjFertig/Kröger, Hitler-Jugend in der Berufs- beratung, in: DJD 28 (1934),S.265-270; Erlaß des Präsidenten der Reichanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 31. Juli 1934 (II 6445/3), betr. Zusammenarbeit zwischen Reichsanstalt und HJ, in: DJD 28 (1934), S. 251; Prof. Dr. Bische, Die richtige Berufsfindung der Jugendlichen durch Mitwirkung von HJ und BDM, in: DJD 31 (1937), S. 481-488 und S. 546-552; Julius Irmer, Die Lehrlingsheim-Idee und ihre Durchführung, in: DJD 30,3 (1936), S. 28-32; Jugend- führer des Deutschen Reiches, "Anordnung über die Aufklärung der vor der Berufs- wahl stehenden Angehörigen der Hitler-Jugend", in: DJD 32 (1938), S. 550; ders., Tagesbefehl des Reichsjugendführers zur BerufsaufkIärung der deutschen Jugend, in: DJD 34 (1940), S. 263; Kaufmann, Reichsberufswettkampf, S. 53; ders., Deutschland, S. 195-197; Albert Müller, Über eine Million Jugendliche vor der Be- rufswahl, in: DJD 28 (1934), S. 340 f.; ders., Berufsaufklärung, in: DJD 32 (1938), S. 531-535; o. Verf., Heimabendschulung und Berufswahl, in: DJD 32 (1938), S. 32 f.; o. Ver!, Berufskundliehe Ausstellung in Berlin, in: DJD 32 (1938), S. 491 f.; o. Ver!, Berufskundliehe Wochen der Hitlerjugend in Württemberg, in: DJD 33 (1939), S. 384-387; o. Ver!, Jugendwohnheime, in: DJD 36 (1942), S. 312 f.; Leo- pold Ost, Berufsnachwuchslenkung - in der Erziehungsarbeit der HJ., in: DJD 32 (1938), S. 29-32; ders., Die Zukunft der Lehrlingsheime, in: DJD 33 (1939), S. 492- 496; ders., Die bauliche Gestaltung von Lehrlingsheimen, in: DJD 34 (1940), S. 160-162; ders., Wohnheime für die erwerbstätige Jugend, in: DJD 35 (1941), S. 296- 298; Theodor Steimle, Heime für den Landdienst kriegswirtschaftlich wichtig, in: DJD 34 (1940), S. 39-42; Walter Stets, Der Facharbeitemachwuchs im Vierjahres- plan, in: DJD 30,12 (1936), S. 2-8; ders., Nachwuchslenkung und Jugendführung, in: DJD 32 (1938), S. 437-442; ders., Lehrlingsheime als Werkzeuge des Arbeitsein- satzes, in: DJD 33 (1939), S. 489-492; Vereinbarung über die HJ-Lehrlingsheime in Westfalen, in: DJD 31 (1937), S. 226-228; Karl-Heinz Wieneke, Arbeitseinsatz und 266 Hitlerjugend und Berufserziehung Lehrlingsheime, in: DJD 29 (1935), S. 402-406; Wolsing, Untersuchungen, S. 79- 233. 5 Wolsing, Untersuchungen (s. o. Anm. 3), S. 99. 6 Müller, Über eine Million Jugendliche vor der Berufswahl (s. o. Anm. 4), S. 340f. 7 Ost, Die Zukunft der Lehrlingsheime (s. o. Anm. 4), S. 494 f. 8 Zum Problembereich HJ und Schule vgl. neben der in Anm. 1 aufgeführten Li- teratur: Rolj Eifers, Nationalsozialistische Schulpolitik, Köln/Opladen 1963; Elke Nyssen, Schule im Nationalsozialismus, Heidelberg 1979; Dietrich Orlow, Die Adolf-Hitler-Schulen, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 272- 284. Zum Berufsschulwesen vgl. Wolsing, Untersuchungen (s. o. Anm. 3), S. 546- 688. 9 Schirach, Revolution (s. o. Anm. 1), S. 125. 10 Kaufmann, Reichsberufswettkampf (s. o. Anm. 1), S. 60. 11 Deutschland-Bericht der Sopade 3 (1936), S. 1327. 12 O. Ver!, Jugendwalter erteilt staats politischen Unterricht, in: DJD 29 (1935), S.430. 13 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 in der Fas- sung vom 30. November 1934, Reichsgesetzblatt. Teil I, S. 1193; Verordnung des Führers über Wesen und Ziel der Deutschen Arbeitsfront vom 24. Oktober 1934, in: Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Organisationsbuch der NSDAP, Mün- chen 1936, S. 185. Zu den Auseinandersetzungen zwischen DAF und Wirtschaft vgl. Wolsing, Untersuchungen (s. o. Anm. 3), S. 689-739. 14 O. Ver!, Betriebsjugendwalter und Berufsausbildung, in: DJD 30,12 (1936), S. 39 f., hier S. 39. Zum Themenkomplex HJ und betriebliche Berufsausbildung: Kaufmann, Reichsberufswettkampf (s. o. Anm. 1), S. 54-62; ders., Deutschland (s. o. Anm. 1), S. 206-213; Heinz Lübke, Disziplin am Arbeitsplatz, in: DJD 37 (1943), S. 172-178; Gertrud Marten, Arteigene Schulung der deutschen Mädel, in: DJD 29 (1935), S. 5-9; Wilhelm Moosbrugger, Volksnah und kurz! Ein Wort über die Be- triebsappelle der Jugend. in: DJD 28 (1934), S. 379 f.; Albert Müller, Totale Mobil- Hitlerjugend und Berufserziehung 267 machung der Betriebsjugend, in: DJD 29 (1935), S. 193-201; ders., Der kommende Arbeitsschutz Jugendlicher, in: DJD 29 (1935), S. 385-398; ders., Der Betriebsju- gendwalter, in: DJD 29 (1935), S. 413-415; o. Verj., Grundsätzliches zur Freizeitre- gelung, in: DJD 28 (1934), S. 245 f.; o. Verj., Obergebietsführer Axmann vor der Reichspresse über zusätzliche Berufsschulung, in: DJD 28 (1934), S. 338-340; o. Verj., Die Stechuhren werden abgeschafft, in: DJD 28 (1934), S. 390; o. Verj., Ju- gend beim Betriebsappell, in: DJD 29 (1935), S. 139 f.; o. Verj., Im Januar: Jugend- schutzfragen im Vertauensrat, in: DJD 33 (1939), S. 26 f.; o. Verj., Befreiung Jugenddienstpflichtiger auf Grund kriegsbedingter beruflicher Mehrarbeit, in: DJD 36 (1942), S. 159 f.; o. Verj., Befreiung vom Dienst auf Grund kriegsbedingter be- ruflicher Mehrarbeit, in: DJD 36 (1942), S. 253; WilU Rühmann, Der Jugendwalter des Betriebes, in: DJD 32 (1938), S. 69-74; Schirach, Hitler-Jugend (s. o. Anm. 1), S.127. 15 Zur Zusammenarbeit HJ/DAF: Eine Vereinbarung zwischen Reichsjugend- führer und Führer der Deutschen Arbeitsfront, in: DJD 28 (1934), S. 349 f.; Das Ju- gendamt der Deutschen Arbeitsfront. Vereinbarung über die Zusammenarbeit HJ- DAF, in: DJD 32 (1938), S. 605 f. 16 Marten, Arteigene Schulung der deutschen Mädel (s. o. Anm. 14), S. 5. 17 Das Jugendamt der Deutschen Arbeitsfront (s. o. Anm. 15), S. 605. 18 Befreiung Jugenddienstpflichtiger auf Grund kriegsbedingter beruflicher Mehrarbeit (s. o. Anm. 14), S. 159. 19 Müller, Totale Mobilmachung der Betriebsjugend (s. o. Anm. 14), S. 193. 20 Auf Organisation, AufgabensteIlung und Durchführung des Reichsberufswett- kampfes wird hier nicht näher eingegangen. Dazu sei auf die ausführliche Abhand- lung bei Wolsing verwiesen: Wolsing, Untersuchungen (s. o. Anm. 3), S. 496-545. Zum Thema Reichsberufswettkampf vgl. außerdem: Axmann, Reichsberufswett- kampf, passim; ders., Das Olympia der deutschen Arbeit, in: DJD 29 (1935), S 49- 53; ders., Der Leistungsanstieg im Reichsberufswettkampf, in: DJD 31 (1937), S. 529-539; Kaufmann, Reichsberufswettkampf, passim; ders., Deutschland, S. 184- 195; Franz Langer, Der kommende Reichsberufswettkampf, in: DJD 29 (1935), S. 1-4; Müller, Totale Mobilmachung der Betriebsjugend (s. o. Anm. 14), S. 200 f.; Franz Seldte, Fördert die Facharbeit, in: DJD 29 (1935), S. 105 f.; Hans Wiese, Lei- stungsauslese und Siegerförderung im Reichsberufswettkampf, in: DJD 31 (1937), S.264-270. 268 11 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung im Dritten Reich 11.0 Zur Fragestellung 269 Der Titel dieses Beitrags wurde in Anlehnung an Heinrich Abels Habilita- tionsschrift aus dem Jahre 1963 gewählt. Abel hat dort vier Entwicklungsstufen der beruflichen Ausbildung und Erziehung im Gewerbe unterschieden: 1. Grundlegung im Kaiserreich, 2. Ausgestaltung in der Weimarer Republik, 3. Perfektionierte Planung im Dritten Reich, 4. Neubeginn und Ausbau in der Bundesrepublik. Abel spricht von "perfektionierter Planung im Dritten Reich", weil der zweite Weltkrieg die Realisierung einer auf "umfassende Regelung des Ausbildungswe- sens" angelegte Programmatik verhindert habe (vgl. Abel 1963, S. 56). Das ist zweifellos richtig. Indessen belegen neuere Untersuchungen, zumindest für den Bereich der indu- striellen Facharbeiterausbildung (Wolsing 1977, Kipp 1980a, Kipp 1980b, Kipp/ Manz 1985, Pätzold 1987), daß es gerechtfertigt erscheint, für diesen Bereich von einer "Perfektionierung" der Berufsausbildung zu sprechen. Mit "Perfektionierung" sollen zwei miteinander verknüpfte Tendenzen be- schrieben werden: einerseits die der Logik industrieller Entwicklung folgende Tendenz zur Vereinheitlichung und Systematisierung sowie zur Ausbreitung und Intensi- vierung des Ausbildungswesens und andererseits die Tendenz zur Verstärkung und Institutionalisierung der mit der Facharbeiterqualifikation einhergehenden Sozialintegration, die spezi- fisch nationalsozialistisch überformte Vergesellschaftung von Gehorsamser- zeugung. Beide Tendenzen bildeten wirkungsgeschichtlich eine Einheit - im NS-Jargon: Wissen, Können, Haltung - und der Versuch, die miteinander verknüpften Entwick- lungslinien in der historischen Rekonstruktion analytisch zu trennen, stößt mitunter 270 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung auf Probleme (dazu s. KippjManz 1985). Insofern könnte man auch die wechselseiti- ge Verknüpfung der heiden Tendenzen als über weite Strecken "perfekt" gelungen bezeichnen. Der 30. Januar 1933 bildet auch in der Geschichte der deutschen Berufserzie- hung eine Zäsur, die nicht zuletzt für die industrielle Facharbeiterausbildung einen neuen Entwicklungsabschnitt eröffnete. Das wird nicht nur in der neueren berufspädagogischen Historiographie so gesehen, sondern diese Einschätzung findet sich in zahlreichen Dokumenten, die uns heute als Quellen zur Verfügung stehen. Zwei Quellen, die diese Zäsur sehr emphatisch zum Ausdruck bringen, mögen hier als Belege genügen: Fritz Urbschat, seinerzeit Professor für Wirtschaftspädagogik an der Handels- hochschule Königsherg, urteilte im Jahre 1937: "Mit dem siegreichen Durchbruch der nationalsozialistischen Idee beginnt in der Geschichte der Berufserziehung eine neue Epoche" (Urbschat 1937, S. 76). Hermann Südhof, seinerzeit Ministerialrat im Reichsministerium für Wissen- schaft, Erziehung und Volksbildung, beschrieb zwei Jahre später die "Neuausrich- tung" der Berufserziehung: "Mit dem Durchbruch des Nationalsozialismus wurde eine neue Periode des beruflichen Bildungswesens eingeleitet. Man kann sie als Periode der Erfüllung bezeichnen" (Südhoj 1939, S. 14). Mißt man die Berufserziehungsrealität am Anspruch der vollmundigen berufs- bildungspolitischen Versprechen, dann wird man Südhojs Urteil kaum gelten lassen dürfen. Allein die Nichteinlösung des geradezu revolutionären Versprechens, das sich in der Parole "Überwindung der Ungelernten" verdichtete, straft Südhojs Urteil lügen. Der Realitätsgehalt der Parole "Überwindung der Ungelernten" ist an anderer Stelle untersucht worden (Kipp 1982) - darauf ist hier nicht weiter einzugehen. Aber im Zuge der Verbreitung dieser Parole wurde der Facharbeiter bereits 1934 vom Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Führer der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley, ins Rampenlicht seiner bildungspolitischen Propaganda gestellt: "Der Deutsche ist als Kuli zu schade, als Facharbeiter erobert er sich die Welt. Deshalb müssen wir mit allen Mitteln danach trachten, den sogenannten ungelernten Arbeiter zu beseitigen. Wir müssen alle Fähigkeiten in diesem Volke heben. Wir dürfen keine brach liegen lassen" (Ley 1934, S. 5). "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 271 In der ebenfalls 1934 - anläßlich der Eröffnung des Reichsberufswettkampfes - hinausposaunten Forderung Leys deutete sich ein ungezügelter qualifikatorischer Totalitätsanspruch an: "Das Hochziel der deutschen Berufsausbildung muß sein, aus "jedem deutschen Menschen einen hochwertigen Facharbeiter zu machen" (zit. n. Gründler 1934, S. 251). Die Zitate sollen an dieser Stelle lediglich die exponierte Position illustrieren, die der industriellen Facharbeiterausbildung in der berufsbildungspolitischen Propa- ganda des Dritten Reiches zukam. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die berufliche Erstausbildung in der Industrie; Fragen und Probleme der beruflichen Weiterbildung, Umschulung und Rehabilitation müssen ausgeklammert bleiben; sie sind an anderer Stelle untersucht worden (Kipp 1984). Auch muß in diesem Beitrag darauf verzichtet werden, einen Gesamtüberblick über das Berufserziehungswesen des Dritten Reiches zu geben; dazu sei auf die ein- schlägige Literatur verwiesen (Neumann 1969; Seubert 1977, Wolsing 1977, Kipp/Miller 1978; Kipp/Miller 1979; Kümmel 1980; Pätzold 1980; Kunze 1981). 11.1 Berufsberatung, Lehrstellenvermittlung und Nachwuchslenkung Wie in vielen anderen Bereichen, so konnte die NS-Regierung auch hinsichtlich der Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung an Entwicklungen der Weimarer Zeit anknüpfen. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 (RGBl., 1927, Teil I, S. 187 ff.) hatte der Reichsanstalt für Ar- beitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die unparteiische und unentgeltliche Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung übertragen. Deren Inanspruchnahme war aber weder für Berufsanwärter noch für die Betriebe zwingend. Eine Abkehr von dieser liberalistischen Nachwuchspolitik und grundlegende Wende zur planmäßigen Berufszuführung und Nachwuchslenkung als Grundlage ei- ner systematischen Berufspolitik leitete das Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsat- zes vom 15. Mai 1934 ein (RGB!., 1934, Teil I, S. 381f.), dem alsbald das Gesetz zur Einführung des Arbeitsbuches vom 26. Februar 1935 (RGB!., 1935, Teil I, S. 311) folgte; das waren erste Schritte auf dem Wege zu der von den NS-Machthabem so oft beschworenen "planmäßigen Bewirtschaftung des Menschenmaterials". 272 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung Das Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung vom 5. November 1935 (RGBI., 1935, Teil I, S. 1281f.) unterstrich zum einen das Monopol der Reichsanstalt auf diesen drei Gebieten (§ 1 (1» und räumte zum ande- ren staatlichen Interessen Priorität ein; § 2 besagte: "Der Präsident der Reichsanstalt kann mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers anordnen, daß Personengruppen bevorzugt in Arbeit zu vennitteln sind, wenn staatliche Notwendigkeiten dazu vor- liegen". Mit der ausdrücklichen Hervorhebung "staatlicher Notwendigkeiten" deutet sich ein staatlicher Steuerungsanspruch an, der die Freiheit der Berufswahl begren- zen konnte. Theo Wolsing urteilt: "Die Berufsberatung im Dritten Reich war keine Beratung und Betreuung der Jugendlichen Ratsuchenden, sondern eine an wirt- schaftlichen und politischen Kriterien orientierte Berufslenkung" (Wolsing 1977, S. 84f.). Bereits die Erste Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplans über die Si- chersteUung des Facharbeiternachwuchses vom 7. November 1936 (Deutscher Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 262, vom 9.11.1936) ließ an der staatli- chen Entschlossenheit zur Nachwuchslenkung keine Zweifel. Die Anordnung be- griff die Sicherstellung des Facharbeiternachwuchses als eine der wichtigsten Auf- gaben zur Durchführung des Vierjahresplans und zielte daraufhin, die Lehrlingshal- tung in der Eisen- und Metallwirtschaft sowie im Baugewerbe zu erhöhen. Dem al- lenthalben spürbaren Facharbeitennangel sollte zuerst in kriegswichtigen Wirt- schaftszweigen wirksam begegnet werden; allerdings zeigte sich bald, daß die Be- vorzugung der Metall- und Bauberufe bei der Lehrlingszuweisung andere, ebenfalls kriegswichtige Wirtschaftszweige, wie Bergbau und Landwirtschaft benachteiligte. Dieses Dilemma verschärfte sich dadurch, daß die Zahl der Schulentlassenen seit Mitte der 30er Jahre rückläufig war, während die Zahl der offenen Lehr- und Anlernstellen gegen Ende der 30er Jahre ständig anstieg. Der offenkundige Lehrlingsmangel führte dazu, daß die Eignungskriterien gele- gentlich weniger streng gehandhabt wurden, so daß auch Jugendliche ohne er- folgreichen Schulabschluß in größerer Zahl in Lehrverhältnisse gelangten - aber der Bedarf an Ungelernten verhinderte letztlich, daß jeder Schulentlassene eine Lehr- stelle zugewiesen bekam. Zur "Perfektionierung" des Arbeitskräfteeinsatzes sollte eine schärfere Nachwuchslenkung beitragen, die den optimalen Einsatz der verfüg- baren Jugendlichen durch zwei Anordnungen vom 1. März 1938 sicherstellen sollte: Die Anordnung über die Meldung Schulentlassener vom 1. März 1938 (Deut- scher Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 51, vom 2.3.1938) forderte, daß "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 273 Jugendliche, die von einer Volks-, Mittel- oder Höheren Schule abgingen, "inner- halb von 2 Wochen nach dem Abgang dem für ihren Wohnort zuständigen Ar- beitsamt zu melden" (§ 1) seien. Die damit eingeleitete lückenlose Erfassung des Nachwuchses allein hätte aber die zentrale Nachwuchslenkung noch nicht zu garan- tieren vermocht. Komplementär zur Meldepflicht Schulentlassener wurde deshalb auch die Lehrlingseinstellung genehmigungspflichtig gemacht durch die Anordnung zur Änderung der Anordnung über die Verteilung von Arbeitskräften vom 1. März 1938 (Deutscher Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 51, vom 2.3.1938). Diese Verteilungsanordnung verfolgte drei Ziele: "a) Sicherung des zahlenmäßigen Nachwuchsbedarfes der einzelnen Berufe, b) Sicherung der Güte der Ausbildung in den einzelnen Lehrstellen, c) Sicherung der Voraussetzungen in der Person des Bewerbers." (Anordnung ... , zit. n. Pätzold 1980, S. 64). Zusammengenommen bildeten die Meldepflicht Schulentlassener und die zu- gleich erlassene Verteilungsordnung zwei auf "Perfektionierung" der Nachwuchs- lenkung zielende Instrumente, die anderthalb Jahre vor Kriegsbeginn im Hinblick auf ihre kriegswirtschaftliche Bedeutung entwickelt worden waren: Mit der verwal- tungsmäßigen Vorbereitung der totalen Nachwuchslenkung war diese in der Praxis freilich noch längst nicht realisiert: Organisatorische Pannen und gruppenego- istische Motive, die sich der Kontingentierung der Lehrlingszuweisung nach Maß- gaben staats- und wirtschaftspolitischer Bedürfnisse widersetzten, behinderten die totale Nachwuchslenkung. Die aufwendigen bürokratischen Verfahren zur Durch- führung der Verteilungsordnung und Erteilung der Einstellungsgenehmigung für Lehrlinge orientierten sich an sogenannten "Nachwuchsplänen", die den Arbeitsäm- tern für die Verteilung der Schulentlaßjahrgänge offiziell seit 1938 zur Verfügung standen. Die Erstellung der "Nachwuchspläne " war aufwendig: sie kann hier nur skizziert werden: Ein großes Problem bestand in der Beschaffung der für die Nach- wuchsquoten-Berechnung erforderlichen allgemein gültigen statistischen Grundla- ge. Die Ergebnisse aus der Berufszählung 1933 waren unbrauchbar, weil die Natio- nalsozialisten inzwischen grundlegende arbeitsmarktpolitische Veränderungen her- beigeführt hatten. Deshalb wurden weitere statistische Erhebungen herangezogen: Die Arbeitsbucherhebungen vom 25. Juni 1938 und später vom 30. Juni 1941, die Eintragungen der Lehrlinge in die Lehrlingsrollen der Industrie- und'Handelskam- mern und Handwerkskammern und schließlich die Ergebnisse der Volks,- Berufs- und Betriebszählung vom Mai 1939. Im Ergebnis führten die "Nachwuchspläne ", die nur für die Nachwuchslenkung der männlichen Jugend existierten, zu einer deutlichen Bevorzugung der rüstungs- 274 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung wirtschaftlich wichtigen Berufe. Theo WoIsing zufolge manifestierte sich darin "die Kurzsichtigkeit des NS-Regimes, das bereits vor dem Krieg unter Außerachtlassung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und des Nachwuchsbedarfs anderer Berufe alle Anstrengungen auf die Rüstungswirtschaft konzentrierte" (Wolsing 1977, S. 191). Der Perfektionierungsdrang der Arbeitsverwaltung, der immer neue Verord- nungen, Anweisungen und Erlasse hervorbrachte, verbürokratisierte die Berufsnach- wuchslenkung und wirkte kontraproduktiv: Die bürokratische Kleinarbeit der Arbeitsämter wuchs und die Kompetenzstreitigkeiten und Partialinteressen der ebenfalls an der Berufsberatung beteiligten Organisationen - also vor allem Hitler- Jugend, Deutsche Arbeitsfront und Wirtschaftsverbände - erschwerten die Koopera- tion (dazu s. auch Kipp/ Schüssler 1985, S. 95-97). Mit zunehmender Dauer des Krieges sank die Bedeutung der Nachwuchsvertei- lungspläne, weil alle verfügbaren Kräfte in die Rüstungsproduktion gelenkt wurden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das "Spannungsverhältnis zwischen individuellen Wünschen, sozialen Zweckmäßigkeiten und wirtschaftlich-politischen Notwendigkeiten" (AbeI1963, S. 51), das jeder Berufsberatung innewohnt, einseitig in Richtung einer "totalen Berufsnachwuchslenkung" aufgelöst wurde: "Aus einer mehr oder weniger fakultativen und unverbindlichen Berufsberatung wurde eine 'to- tale' Lenkung des beruflichen Nachwuches" (Pätzold 1980, S. 20). 11.2 Ordnungsrechtliche Gestaltung der industriellen Berufsausbildung Zu Beginn des Dritten Reiches konnte von einer einheitlichen und rechtlich all- gemein verbindlich geregelten industriellen Berufsausbildung in Deutschland keine Rede sein. Unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten mußte eine "Perfektionierung" der formal-rechtlichen Seite des industriellen Lehrlingswesens auf reichseinheitliche Lehrvertragsgestaltung und deren statistische Überwachung durch eine reichseinheitliche Lehrlingsrolle abzielen. 11.2.1 Lehrvertrag Der aus der Weimarer Republik geläufige Streit um das Lehrvertragswesen hätte nach der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 eigentlich beendet sein können, was aber mitnichten der Fall war. Seit 1928 hatte das Reichsarbeitsgericht "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 275 in mehreren Urteilen entschieden, daß das Lehrverhältnis als Arbeitsverhältnis anzu- sehen sei und insoweit tarifrechtlich geregelt werden könne. Damit war die in Be- rufserziehungsfragen seinerzeit tonangebende Argumentation des Handwerks zu- rückgewiesen, derzufolge der Lehrvertrag ein Erziehungsverhältnis begründe. An die Stelle der Weimarer Kompromißformel vom "modifizierten Arbeitsverhältnis" trat nach 1933 die nationalsozialistische Rechtsauffassung, derzufolge das "Lehr- verhältnis ein Erziehungsverhältnis ist auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Treue" (Kunz 1935, S. 121; Pätzold 1980, S. 23 u. 79; Wolsing 1977, S. 245). Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 (RGB!., 1934, Teil I, S. 45 ff.) räumte den Reichstreuhändern der Arbeit die Möglichkeit ein, privatrechtliche Fragen von Lehrverhältnissen in Tarifordnungen zu klären, während die der einheitlichen Regelung bedürftige fachliche Seite den Wirt- schaftsorganisationen vorbehalten blieb. Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß die Tarifordnungen der Nazi-Zeit einen ganz anderen Charakter hatten als die Tarifverträge der Weimarer Zeit. Anfang 1935 wurde ein gemeinsam von der Reichswirtschaftskammer, der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Hitler-Jugend und dem Deutschen Ausschuß für Technisches Schulwesen (DATSch) erarbeitetes ein- heitliches Lehrvertragsmuster für gewerbliche Lehrlinge herausgegeben, das allen Lehrbetrieben über die Industrie- und Handelskammern sowie über die Fachgruppen der Industrie empfohlen wurde. Die mit diesem Lehrvertragsmuster angestrebte Vereinheitlichung des Lehrver- tragswesens kam aus verschiedenen Gründen nur schleppend voran, obwohl die Reichsregierung und die Reichswirtschaftskammer Druck auf die Betriebe ausübten: Neben vereinzelten Lehrbetrieben und Industrie- und Handelskammern widersetzten sich vor allem die Handwerkskammern, die der Industrie das Recht auf Lehrlings- ausbildung absprachen und die Vorherrschaft des Handwerks im Ausbildungssektor sichern wollten. Jeder Beitrag zur "Perfektionierung" der industriellen Lehrlings- ausbildung wurde aus dieser Sicht als Angriff auf die angestammten Kompetenzen des Handwerks wahrgenommen und sabotiert. Interessanterweise obstruierte aber auch die Deutsche Arbeitsfront die neuen Lehrvertragsmuster, obwohl sie doch an deren Entwicklung beteiligt gewesen war; die DAF entwickelte zusätzlich noch ei- nen eigenen Musterlehrvertrag, den sie den Betrieben offensiv andiente. Diese mit Blick auf die "Perfektionierung" eher verwirrende kontraproduktive Konkurrenz zweier Lehrvertragsmuster beendete der Reichswirtschaftsminister mit Erlaß vom 17. April 1936 (vg!. Wolsing 1977, S. 244), der den Betrieben die Benut- zung des DAF-Entwurfes untersagte. 276 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung Bis zur verbindlichen reichseinheitlichen Einführung der Lehrvertragsmuster, die der Reichswirtschaftsminister mit Erlaß vom 12. Januar 1942 (vgl. Wolsing 1977, S. 244; Pätzold 1980, S. 24) anordnete, konnte deren Verwendung den Betrie- ben lediglich empfohlen werden. In ihrer inhaltlichen Ausgestaltung waren diese Lehrvertragsmuster an die von der Reichsgruppe Industrie und vom DATSch aufge- stellten Berufsbilder gebunden, die ihrerseits erheblich dazu beitrugen, die Fachar- beiterausbildung pädagogisch zu rationalisieren. Mit der verbindlichen Einführung der Lehrvertragsmuster wurde diese pädagogische Rationalisierungsbemühung reichseinheitlich durchgesetzt. Daß damit ein beachtlicher Beitrag zur "Per- fektionierung" der industriellen Berufsausbildung geleistet wurde, dürfte unbestrit- ten sein; Günter Pätzold urteilt: "Erstmalig in der Geschichte der Berufsausbildung erfolgte von der Seite des Lehrvertrages her eine Einflußnahme auf die Zielsetzung der Ausbildung: Für den Lehrherrn war vertraglich festgelegt, welche Kenntnisse und Fertigkeiten der Leqrling in seinem Beruf erlernen mußte. Die Kopplung des Lehrvertrages mit dem jeweils in Betracht kommenden Berufsbild führte konse- quenterweise zu einer weiteren Institutionalisierung der Berufsausbildung. Zugleich löste sich die Berufsausbildung immer stärker von den Vorstellungen des Hand- werks und nahm industriellen Charakter an" (Pätzold 1980, S. 25; s. auch: Der neue Lehrvertrag für gewerbliche Lehrlinge. In: Technische Erziehung 10 (1935), S. 28). Rechtsgeschichtlich war die Vereinheitlichung des Lehrvertragswesens zweifel- los ein beachtlicher Fortschritt gegenüber der vorherigen Praxis, weil die rechtlichen Positionen der Lehrherren und Lehrlinge präzisiert wurden: Der Lehrherr war gemäß § 2 verpflichtet, dem Lehrling Gelegenheit zu geben, "sich die für den Beruf erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse anzueignen und nach seinen Fähigkeiten ein tüchtiger Facharbeiter zu werden", ihn "auf die Pflich- ten gegenüber Staat und Gemeinschaft hinzuweisen, ihn in diesem Sinne zu erzie- hen und ihn zur Arbeitsamkeit und guten Sitten anzuhalten", vom Lehrling "nur solche Nebenleistungen zu verlangen, die mit dem Wesen der Ausbildung verein- bar" waren, ihn "zum Besuch der Pflichtberufsschule anzuhalten", den Lehrvertrag bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer anzumelden, "den Lehrling zur Ablegung der Facharbeiterprüfung ( ... ) anzuhalten und ihm die zur Wahrnehmung der Prüfungstermine erforderliche Zeit zu gewähren". Der Lehrling verpflichtete sich gemäß § 3 des Lehrvertrages, "alles zu tun, um sich als brauchbares Glied der Betriebs- und Volksgemeinschaft zu erweisen und um das Lehrziel zu erreichen; dem Lehrherm und anderen Vorgesetzten Gehorsam zu erweisen ( ... ), die ihm übertragenen Arbeiten gewissenhaft, treu und ehrlich auszu- führen und sich innerhalb und außerhalb des Betriebs eines gesitteten Lebenswan- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 277 dels zu befleißigen", ferner "die Berufsschule ( ... ) sowie der Ausbildung von Kör- per und Geist dienende Kurse und Veranstaltungen der Lehrfinna ( ... ) regelmäßig und pünktlich zu besuchen" sowie schließlich "Belange des Betriebes nach jeder Richtung hin zu wahren". Die Einführung dieses Lehrvertragsmusters hat letztlich die rechtliche Position des Lehrlings gestärkt, denn die Präzisierung der Pflichten des Lehrherrn schränkte dessen mögliche Willkür ein. Im § 6 wurde die Zahl der Urlaubstage festgelegt; den Lehrlingen wurde damit ein weiteres einklagbares Recht zugesprochen. Um die sozialpolitische Bedeutsam- keit dieses Rechts zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß viele Lehrlin- ge erstmals im Dritten Reich in den Genuß von freien Arbeitstagen kamen. 1 Aus heutiger Sicht mag die Durchsetzung einheitlicher Lehrvertragsmuster als langwieriger Prozeß erscheinen; demgegenüber urteilt Wolsing: "In einem weniger autoritären Staat wäre eine Vereinheitlichung des Lehrvertragswesens unter ähnli- chen Bedingungen, wie sie Anfang der dreißiger Jahre vorherrschten, nicht so schnell möglich gewesen" (Wolsing 1977, S. 263). 11.2.2 Lehrlingsrolle Die Lehrlingsrolle ist eine Kartei, die von Handwerkskammern seit der Jahr- hundertwende, von Industrie- und Handelskammern seit 1933 zur Registrierung der im Kammerbezirk abgeschlossenen Lehrverträge benutzt wird. Die Vereinheitli- chung mehreter zuvor gebräuchlicher, in Fonn und Inhalt voneinander verschiede- ner Lehrlingsrollen wurde 1936 mit einer Aufklärungskampagne der Arbeitsgemein- schaft der Industrie- und Handelskammern eingeleitet und war zwei Jahre später abgeschlossen mit der durch Erlaß des Reichswirtschaftsministers vom 23. Dezem- ber 1938 genehmigten reichseinheitlichen Lehrlingsrolle. Diese knappen Daten dür- fen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich wiederum das Handwerk und die Deut- sche Arbeitsfront diesem VereinheitHchungsprozeß widersetzten. Das Handwerk wollte seinen schwindenden Einfluß auf das berufliche Ausbil- dungswesen dadurch wettmachen, daß es forderte, auch die industriellen Lehrlinge in die Lehrlingsrollen des Handwerks einzutragen. Die Deutsche Arbeitsfront hatte noch weitergehende Überwachungs- und Kon- trollabsichten: Das Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der DAF hatte eine sogenannte "Berufsstammrolle" entwickelt, in der über das Lehrverhältnis hin- 278 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung aus auch der berufliche Werdegang des Jugendlichen nach der Facharbeiterprüfung erfaßt werden sollte. Das Handwerk konnte sich nicht durchsetzen und der Reichswirtschaftsminister untersagte der DAF die weitere Verwendung der Berufsstammrolle, so daß ab Ende 1938 reichseinheitliche Lehrlingsrollen eingeführt wurden (vgl. Küch 1939). Die Ausbildungsbetriebe hatten fortan die von ihnen eingestellten Lehrlinge un- ter Vorlage des Lehrvertrages zur Eintragung in die Lehrlingsrolle der zuständigen Industrie- und Handelskammer anzumelden. Die Lehrlingsrolle umfaßte eine Lehrbetriebskartei und eine Lehrlingskartei, die zusammen ein Bündel von Daten ergaben, das sowohl zur Überwachung der Berufsausbildung als auch zur Informationsgewinnung für die Berufsnachwuchslenkung genutzt wurde. 11.3 Inhaltliche Gestaltung der industriellen Berufsausbildung Im Unterschied zur sogenannten "En-Passant-Ausbildung", die im Handwerks- betrieb beiläufig stattfindet und wesentlich von nicht pädagogisch intendierten Zufälligkeiten des Arbeitsprozesses abhängt, zeichnet sich industrielle Be- rufsausbildung durch pädagogische Planung und systematische lehrgangsmäßige Gliederung des Ausbildungsganges aus. Ein in solcher Weise bereits von der Planung her auf "Perfektionierung" an- gelegtes Ausbildungssystem, das die Qualifizierung zukünftiger Facharbeiter losge- löst vom Produktionsprozeß betreibt, sich aber zugleich sehr eng an dessen Qualifikationsanforderungen orientiert, bedarf zur perfekten Realisierung gründli- cher berufskundlicher Informationen und eindeutiger und verbindlicher Berufsord- nungsmittel. Besondere Verdienste um die planmäßige Gestaltung und einheitliche methodi- sche Ausrichtung der industriellen Facharbeiterausbildung hat sich der Deutsche Ausschuß für Technisches Schulwesen erworben, der besonders bekannt wurde durch die Entwicklung und Herausgabe zahlreicher Berufsbilder, Prüfungs- anforderungen, Ausbildungsrichtlinien, Berufseignungsanforderungen, Berufsbil- dungspläne und Lehrgänge. Diese für den betrieblichen Teil des dualen Systems entwickelten Berufsord- nungsmittel wurden durch einheitliche Reichs-Rahmenlehrpläne für die Berufsschu- len ergänzt; dadurch ergab sich insgesamt ein "dichtes Netz von ausbildungsregu- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 279 lierenden Momenten, wodurch eine systematische, also methodische und vor allem planmäßige Durchführung der Ausbildung auf breiter Front durchgesetzt wurde" (Pätzold 1980, S. 28). Der DATSch hat in einer Fülle von Publikationen (s. dazu Kipp/ Manz 1985, S. 202) die qualifikatorischen Interessen der Industrie formuliert und versucht, die Ausbildungspraxis in Betrieben und Betriebsberufsschulen zur erwünschten Plan- mäßigkeit anzuregen, qualitativ zu verbessern und auf nationaler Ebene zu vereinheitlichen. In diesem Bestreben fühlte sich der DATSch während der Weima- rer Republik gelegentlich behindert, während der Nationalsozialismus gleichsam als Befreiungsbewegung begrüßt wurde.2 Die planmäßige, auf nationaler Ebene einheitliche Facharbeiterausbildung, die der DATSch anstrebte, deckte sich mit den entsprechenden Vorstellungen der nationalsozialistischen Machthaber. So war es nur konsequent, daß der DATSch am 11. September 1935 zum "pädagogischen Organ" des Reichswirtschaftsministers benannt und als kompetente "Beratungsstelle" eingerichtet wurde (Erlaß des Reichswirtschaftsministers betr. den Deutschen Ausschuß für Technisches Schulwe- sen e. V., vom 11. September 1935. In: TE 10 (1935), S. 119) und daß die DATSch- Lehrmittel eine MonopolsteIlung erlangten: Der Reichswirtschaftsminister hatte zur Unterbindung entsprechender Aktivitäten der DAF angeordnet, daß in der betriebli- chen Berufsausbildung "ausschließlich die Lehrmittel des Deutschen Ausschusses für Technisches Schulwesen Verwendung finden" (Schacht 1937, S. 48). Die für die praktische Facharbeiterausbildung in der Industrie wie auch für die Informations-, Beratungs- und Vermittlungsaufgaben der Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung bedeutsamen staatlich anerkannten Berufsordnungsmittel sollen kurz erläutert werden. 11.3.1 Berufsbild Das Berufsbild beschreibt das Arbeitsgebiet des betreffenden Berufs und be- nennt die notwendigen und erwünschten Fertigkeiten, die während der Ausbildung erworben werden sollen. Damit wird gleichsam ein Qualifikationsprofil definiert, das den betreffenden Beruf gegen andere abgrenzt. Die qualifikatorischen Bestim- mungs- und Abgrenzungsarbeiten, die der DATSch den industriellen Bedürfnissen entsprechend vornahm, wurden nach der nationalsozialistischen Machtübernahme intensiviert: "Bis zum 1. Juni 1937 waren bereits 121 industrielle Lehrberufe staat- lich anerkannt, davon 39 in der Eisen- und Metallindustrie" (AbeI1963, S. 38). Die kriegswichtige Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges trieb immer neue und speziel- 280 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung lere Lehrberufe hervor: 91 waren es im September 1938 und 114 im Juli 1943 (vgl. Wo/sing 1977, S. 289). Das Berufsbild war gleichsam der Extrakt der berufskundlichen Arbeiten, aus dem die weiteren Berufsordnungsmittel entwickelt wurden? 11.3.2 Berufseignungsanforderungen Im Jahre 1936, als sich der Facharbeitermangel erstmals praktisch auswirkte, be- gann der DATSch mit der Erarbeitung von Kriterienkatalogen, in denen die Anfor- derungen fixiert wurden, die bei der Ausübung bestimmter Berufe erfüllt werden mußten. Die in Arbeits- und Berufsstudien ermittelten "körperlichen", "seelischen" und "vorbildungsmäßigen" Anforderungen sollten den Berufsberatem Ent- scheidungshilfen zur Berufsnachwuchslenkung bieten. Die ausführliche Diskussion um die Ermittlung der Berufseignungsanforderungen, ihre zweckmäßige Beschrei- bung und die empfohlenen Richtlinien für die Ausarbeitung kann hier nicht wie- dergegeben werden; sie ist in der Technischen Erziehung nachzulesen. Die Entwick- lung einer Berufseignungskunde, an der maßgeblich der im Herbst 1937 vom DATSch gegründete Ausschuß für Berufseignungsanforderungen arbeitete, verdankt sich der perfektionistischen Vorstellung einer optimalen Passung von Anforderungs- und Fähigkeitsprofilen: Durch Vergleiche der Anforderungsprofile der Berufe mit den Fähigkeitsprofilen der Bewerber sollte eine optimale Nachwuchslenkung sicher- gestellt werden. 11.3.3 Berufsbildungsplan Die im Berufsbild nur stichwortartig beschriebenen Arbeitsgebiete und Fertig- keiten des jeweiligen Berufs wurden im Berufsbildungsplan in detaillierte Anwei- sungen für die betriebliche Berufserziehungspraxis übersetzt. Die für jeden Lehrbe- ruf aufgestellten Berufsbildungspläne gliederten das Gesamtgebiet der betrieblichen Erziehung in drei Abschnitte: 1. Die Erziehung, worunter "die körperliche Ertüchtigung, die Pflege der Cha- rakter- und Willensbildung und die Erziehung zur Gemeinschaft" verstan- den wurde, 2. Die berufliche Ausbildung in den Fertigkeiten, 3. Die Kenntnisvermittlung in der Werkstatt. Die Reihung der Abschnitte (im NS-Jargon: Haltung - Können - Wissen) orien- tiert sich an der Rangfolge der Erziehungswerte, die Hitler in "Mein Kampf" auf- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 281 gestellt hatte. Daß neben der auf Disziplin, Pünktlichkeit, Pflichtbewußtsein,Ver- antwortungsgefühl und Kameradschaft zielenden Erziehung, die breiten Raum ein- nahm, auch eine intensive fachdidaktische Erörterung geleistet wurde, zeigen die Anregungen und Hinweise, die den betrieblichen Ausbildern für die Fertigkeits- und Kenntnisvermittlung gegeben wurden (vgl. dazu Bei/andt 1937; Großmann 1938). Die Berufsbildungspläne hatten den Charakter von Richtlinien, die anhand von Beispielen für die zeitliche Gliederung der Ausbildung deren Planmäßigkeit unter Berücksichtigung der jeweils angegebenen betrieblichen Verhältnisse sicherstellen wollten. 11.3.4 Lehrgang Markantestes Merkmal industriebetrieblicher Lehrlingsausbildung ist zweifellos der Lehrgang, der als Ausbildungsmittel eine planmäßige, systematische Ausbildung ermöglichen soll. Lehrgänge umfassen in sich geschlossene Sammlungen von Ar- beits- und Unterweisungsblättern, die die zu vermittelnden Fertigkeiten und Kennt- nisse zum Zwecke des Lehrens und Lernens nach steigendem Schwierigkeitsgrad stufen und aufeinander folgen lassen. Die Lehrgänge waren zunächst für einzelne Berufe entwickelt worden und er- fuhren zumeist mehrere Auflagen; der Lehrgang für Maschinenschlosser zum Bei- spiel, der 1919 die Reihe der vom DATSch entwickelten systematischen Lehrgänge eröffnete und mit einer Auflage von 2000 Stück verlegt wurde, war nach drei Jahren vergriffen - 1922 erfolgte eine unveränderte zweite, 1926 eine umgearbeitete dritte Auflage, der 1940 eine vierte und fünfte folgen sollte. In den zwanziger Jahren entstanden die Lehrgänge für Modelltischler, Schlosser, Former, Schmiede, Mechaniker, Werkzeugmacher und Dreher - und außer auf die Metallberufe, die hier als Beispiele herangezogen wurden, dehnte sich die lehr- gangs gebundene Facharbeiterausbildung auch auf andere Lehrberufe aus und neben den Lehrgängen wurden für die sogenannten Anlernberufe seit 1928 auch Anlern- gänge entwickelt. Seit Mitte der dreißiger Jahre wurde ein weiterer Perfektionierungsschritt einge- leitet, der darin bestand, für mehrere miteinander verwandte Berufe gemeinsame Grundlehrgänge zu entwickeln, die die gemeinsamen grundlegenden Fertigkeiten zusammenfaßten. So bestand der Grundlehrgang für die metallverarbeitenden Beru- fe aus Übungsaufgaben, die den Erwerb der Grundfertigkeiten Messen, Anreißen, Sägen, Feilen, Bohren und Nieten sicherstellen sollten. Auf den Übungsblättern, die 282 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung den Lehrlingen ausgehändigt wurden, war das jeweils anzufertigende Werkstück normgerecht gezeichnet und zugleich angegeben, welche Werkzeuge und Geräte für die Herstellung notwendig waren. So lernten die Lehrlinge frühzeitig, technische Zeichnungen und Arbeitsvorschriften zu lesen. Da für alle Lehrberufe der Metallindustrie ein einheitlicher Grundlehrgang durchgeführt wurde, bestand die Möglichkeit, die endgültige Entscheidung über die Berufswahl bis zum Durchlaufen des Grundlehrgangs aufzuschieben. Beim Durch- arbeiten des Grundlehrgangs eignete sich der Lehrling die notwendigen Grund- fertigkeiten und Kenntnisse an; danach setzte die planmäßige Ausbildung für den endgültig gewählten Facharbeiterberuf ein: Auf den Grundlehrgang baute, je nach angestrebtem Lehrberuf, ein Fachlehrgang auf. In formaler Hinsicht haben wir es bei diesem Lehrgangssystem mit einem "ge- schlossenen" Curriculum zu tun, das von vorausgesetzten Unterweisungszielen aus- geht, die Unterweisungs-Inhalte zum Zwecke des Lernens durch praktische Übung nach einem vorgefaßten Plan ordnet und die einzelnen Unterweisungseinheiten in eine gestufte Abfolge derart bringt, daß jede auf der vorausgehenden aufbaut und die nachfolgende vorbereitet (vgl. Wiemann 1986). Die Lehrgangsentwicklung des DATSch fand in enger Zusammenarbeit mit industriellen Großbetrieben statt und machte sich vielfältige Erfahrungen der be- trieblichen Ausbildungspraxis zunutze. Auf diese Weise war sichergestellt, daß die Lehrgänge des DATSch vor der Drucklegung und öffentlichen Verbreitung mehrfach auf ihre Brauchbarkeit und Praktikabilität hin erprobt wurden. Zur Entwicklung und Verbreitung der Lehrgänge hat neben dem DATSch vor al- lem das 1925 auf Initiative führender Schwerindustrieller gegründete Deutsche In- stitut für Technische Arbeitsschulung (DINTA) beigetragen (Dazu s. Seubert 1977; Wolsing 1977; Kipp 1978; Pätzold 1980; Kunze 1981; Pätzold 1987). Im Hinblick auf die industrielle Facharbeiterausbildung war das DINTA sehr rege und erfolg- reich um die Ausbilder-Ausbildung und um den Ausbau von Lehrwerkstätten und Werkschulen bemüht. Nach der 1933 - auf Anordnung des Führers der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Ro- bert Ley - erfolgten Eingliederung des DINTA in die DAF wurden diese Aktivitäten fortgesetzt; als das nunmehr als "Deutsches Institut für nationalsozialistische techni- sche Arbeitsschulung" firmierende DINTA 1935 in das Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der DAF überführt worden war, begann auch dort eine eigene Lehrgangsarbeit. Daraus gingen neben dem berühmt-berüchtigten Grundlehrgang "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 283 "Eisen erzieht" die Grundlehrgänge "Schmieden", die Grundlehrgänge für mechanische Metallbearbeitung an Werkzeugmaschinen: "Fräsen", "Bohren, Sen- ken, Reiben", "Drehen", die Grundlehrgänge für "Klempner", "Textil", "Ringspinnerei .. und für "Maschinenbehandlung .. hervor. Neben dem DATSch und dem aus ihm hervorgegangenen Reichsinstiut für Berufsausbildung in Handel und Gewerbe und dem DINTA, das im Amt für Berufs- erziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront aufging, ist eine weitere überbetriebliche Institution zu nennen, die die Perfektionierung der lehrgangsmäßi- gen industriellen Facharbeiterausbildung während der NS-Zeit prägte: Das Reichs- luftfahrtministerium (RLM). Auf die Facharbeiterausbildung in der Luftwaffenrüstindustrie des Dritten Rei- ches ist später noch gesondert einzugehen; an dieser Stelle ist auf die seit 1936 ent- wickelten Lehrgänge hinzuweisen, die vom Bevollmächtigten des Reichsluftfahrt- ministeriums für das Luftfahrtindustriepersonal herausgegeben wurden: Grundlehr- gang für Metallflugzeugbauer; Grundlehrgang am Schraubstock; Grundlehrgang für Dreher; Grundlehrgang für Fräser; ferner Meßlehrgänge; Lehrgänge für Warmfertigkeiten (Schmieden, Härten, Schweißen, Löten); Installationsübungen für Elektromechaniker; ferner Kurzlehrgänge für Metallflugzeugbauer, Moto- renschlosser, Dreher, Fräser, Revolverdreher, Waagerechtbohrer und Senkrechtboh- rer. Die Verwendung dieser Lehrgänge war für die Luftfahrtindustrie verbindlich; sie wurden von der "Lehrmittelzentrale des RLMI BfL", die an das Ausbildungswesen der Junkers-Werke in Dessau angegliedert war, vertrieben und erschienen nicht nur in deutscher Sprache. 11.3.5 Industriefacharbeiterprüfung Die Frage, in welcher Weise das industrielle Prüfungswesen gesetzlich geregelt werden könnte, war während der Weimarer Republik heftig umstritten und wurde im Jahre 1928 pragmatisch gelöst, indem für einzelne Kammerbezirke gemeinsame Prüfungsausschüsse von Handwerk und Industrie eingerichtet wurden. In vielen Be- zirken wurde aber noch 1932 "über fehlende Möglichkeiten zur Abhaltung von Ge- sellenprüfungen für Industrielehrlinge oder über Mängel in der Durchführung sol- cher Prüfungen geklagt. In der Mehrzahl der Fälle", so wurde in einer vom Deut- schen Industrie- und Handelstag durchgeführten Rundfrage bei den einzelnen Indu- strie- und Handelskammern ermittelt, seien "die Schwierigkeiten auf die Verweige- 284 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung rung der Anerkennung abgehaltener Prüfungen durch die jeweilige Handwerkskam- mer zurückzuführen" (Gericke 1932, S. 7). Die Gleichstellung der Industriefacharbeiterprüfung mit der handwerklichen Ge- sellenprüfung wurde erst in den dreißiger Jahren erreicht: Sie wurde von der Reichs- gruppe Industrie im Juni 1935 in einer Eingabe an den Reichsarbeitsminister und den Reichswirtschaftsminister erbeten und am 5. Oktober 1935 bestätigt. Diese Gleichstellung der Industriefacharbeiter mit den Handwerksgesellen wurde offen- sichtlich in der Zulassungspraxis zur handwerklichen Meisterprüfung gelegentlich mißachtet, weshalb der Reichswirtschaftsminister in einem Runderlaß vom 24. Juni 1936 die Gleichwertigkeit von Gesellenprüfung und Facharbeiterprüfung erneut bekräftigte. Das Prüfungsmonopol des Handwerks war damit durchbrochen und der Reichshandwerksmeister erklärte am 2. Juli 1936 ausdrücklich, "daß der Industrielehrling, wenn er tüchtig sei, nicht schlechter gestellt sein, sondern die glei- chen Lebenschancen haben solle, wie der Handwerkslehrling auch" (Studders 1938, S. 123). Mit dem Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erzie- hung und Volksbildung betreffend die Gleichstellung der Facharbeiter- und Kaufmannsgehilfenprüfung mit der Gesellenprüfung vom 15. Juni 1938 (DWEV 1938, S. 316) wurde der Gleichstellungskampf offiziell abgeschlossen: Gleichran- gigkeit und Gleichartigkeit der Prüfungen im Rahmen des deutschen Berechti- gungswesens waren rechtlich abgesichert. Sie bildeten eine wesentliche Vorausset- zung für die weitere Perfektionierung der industriellen Berufsausbildung. Die Industrie- und Handelskammern richteten verstärkt Prüfungsämter ein, die die Facharbeiterprüfungen zu organisieren, auszugestalten und zu überwachen hat- ten; die Zahl der Prüfungsämter wuchs von 31 im Jahre 1935 auf 89 im Frühjahr 1937 an (vgl. Wolsing 1977, S. 347). An dieser Zunahme der Prüfungsämter und an den steigenden Zahlen der Prü- fungsteilnehmer (s. Abb. 1) läßt sich der enorme Aufschwung ablesen, den das in- dustrielle Facharbeiter-Prüfungswesen seit 1935 nahm. Die Zunahme der Prüflinge bedingte auch ein Anwachsen der Prüfungsausschüsse: Für die Durchführung der Industriefacharbeiter- und Gehilfenprüfungen des Jahres 1942 standen "5.421 Prüfungsausschüsse mit 20.493 Prüfern zur Verfügung" (Weil 1944, S. 101). Selbstredend führte die jährliche Berichterstattung über die Durchführung der Prüfungen und ihre Ergebnisse zu einer ständigen Verfeinerung der Prüfungsverfah- ren, die ihren markantesten Ausdruck in der Erarbeitung reichseinheitlicher "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 285 Prüfungsstücke (vgl. dazu: Bender 1942) und der Einführung reichseinheitlicher Bewertungsvorschriften fanden (vgl. dazu: Weil 1943 und Weil 1944). 121653 110810 Faclzarbeiterpriifung Teilnehmer der Prüfungen 1935-1942 ~6 682 23832 85466 99321 2801 c:::::::J 1935 7748 CJ 36 D 37 38 39 40 41 1942 (Abb. 1. Quelle: Bundesarchiv Koblenz R 11/190, BI. 105) Die Auswirkungen des Krieges, insbesondere die Lehrzeitverkürzungen und vorzeitigen Zulassungen der Lehrlinge zur Facharbeiterprüfung minderten mit zunehmender Dauer des Krieges die Prüfungserfolge: dabei zeigte sich, daß die Lücken im Berufsschulangebot zu deutlich schlechteren Leistungen in den Kenntnisprüfungen führten, denen gegenüber die Leistungen in den Fertigkeitsprü- fungen als wesentlich besser angesehen wurden. So ließen die Industriefacharbeiter- prüfungen erkennen, daß es immer weniger gelang, eine geregelte Ausbildung auch unter den Bedingungen des Krieges sicherzustellen. 11.4 Institutionelle Gestaltung der industriellen Berufsausbildung Die zuvor behandelten "Berufsordnungsmittel" und insbesondere die dargestell- te Lehrgangsentwicklung, die während des Dritten Reiches zur höchsten Blüte ge- trieben wurde, machen deutlich, daß die Facharbeiterausbildung in der Industrie zu- nehmend planmäßig und systematisch betrieben wurde und damit auch weitgehend von der Produktion getrennt stattfand. Zwei Institutionen, die sich während der NS- Zeit besonderer Förderung erfreuten, sollen näher betrachtet werden. 286 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 11.4.1 Lehrwerkstatt Als Pionier der Lehrwerkstättenausbildung gilt der Direktor der "Kaiserlichen Technischen Schule in Moskau", Viktor Della-Voss (15.06.1829-15.07.1890), des- sen Lehrgänge, Arbeitsproben und Lehrmittel auf den Weltausstellungen der Siebzi- ger Jahre des vorigen Jahrhunderts Aufmerksamkeit und weltweite Beachtung fan- den: auf der Wiener Weltausstellung 1873, auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 und auf der Pariser Weltausstellung 1878. Die deutsche Industrie hat die Einrichtung von Lehrwerkstätten nur sehr zöger- lich betrieben und in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war es vor allem die Preußische Staatseisenbahn-Verwaltung, die ihre etwa 2.000 Lehrlinge in Lehr- werkstätten ausbildete. Im Jahre 1877 hatte der Nationalökonom und Sozialpolitiker Karl Bücher in sei- nem Buch "Die gewerbliche Bildungsfrage und der industrielle Rückgang" die Mi- sere des handwerklichen Lehrlingswesens gegeißelt und zur Lösung der gewerbli- chen Bildungsfrage eine Ausbildungsform empfohlen, "welche ohne Preisgabe der produktiven Zwecke den Unterricht zur Hauptsache mache und damit eine genügen- de Fachbildung ermögliche". Büchers weitsichtige Voraussage lautete: "Die Lehr- werkstätte ist die gewerbliche Bildungsanstalt der Zukunft" (Bücher 1877, S. 63). Diese knappen Hinweise zur Tradition der Lehrwerkstatt mögen genügen, um die Dreistigkeit maßgebender NS-Ideologen zu erkennen, die diese Tradition kurzer- hand vereinnahmten: Karl Arnhold, Leiter des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung in der Deutschen Arbeitsfront, stilisierte die Lehrwerkstatt 1937 zum "Sinnbild und Kennzeichen nationalsozialistischer Berufserziehung" (Arnhold 1937a, S. 26). An anderer Stelle bezeichnete er die Lehrwerkstattausbildung als "höchste Entwicklungsforrn deutscher Berufserziehung" (Arnhold 1942, S. 28). Unbestritten ist, daß der Ausbau industrieller Lehrwerkstätten nach der national- sozialistischen Machtergreifung gewaltig voranging: "Statt 167 Lehrwerkstätten im Jahre 1933 zählte man 1936 bereits 691 und 1937 über 1.550. Bis 1940 erhöhte sich diese Zahl auf 3.304 Werkstätten, in denen 244.250 Lehrlinge ausgebildet wurden, gegenüber 16.222 im Jahre 1933" (Eichberg 1965, S. 47). Triebfeder dieser rasanten Entwicklung war der durch Rüstungsproduktion und industrielle Expansion erzeugte Facharbeiterbedarf. "Perfektionienmg" der industriellen Berufsausbildung 287 Die besondere Wertschätzung, die die Lehrwerkstatt bei den Nationalsozialisten genoß, erklärt sich aus ihrer besonderen Eignung für die nationalsozialistische Ge- meinschaftserziehung und Indoktrination. Der paramilitärische Charakter der Lehr- werkstattausbildung wird in der zeitgenössischen Literatur immer wieder hervor- gehoben und kommt gleichsam formelhaft in einem Aufsatz-Titel Arnholds zum Ausdruck: "Die Lehrwerkstatt als Exerzierplatz des praktischen Lebens" (Arnhold 1937b). Lehrwerkstatt und Grundlehrgang gehörten zusammen und insbesondere dem bereits erwähnten Grundlehrgang "Eisen erzieht" wurde seinerzeit besondere Aufmerksamkeit zuteil. Für die Erziehung zur Arbeitsdisziplin und die angestrebte Förderung kämpferischer Qualitäten schien die Eisenbearbeitung von unübertreffli- chem Wert zu sein. Es findet sich kaum eine berufspädagogische Schrift des Dritten Reiches, die nicht den "disziplinierten Arbeitskämpfer" proklamierte. Aus der Viel- zahl möglicher Belege für diese Zielbestimmung des Grundlehrgangs "Eisen er- zieht" sei eine Verlautbarung Arnholds aus dem Herbst 1933 zitiert: "Am Eisen und durch das Eisen sollen sie (die Jugendlichen) sich des Kämpferischen wieder be- wußt werden, am Eisen und durch das Eisen sollen sie zu disziplinierten Menschen erzogen werden. Das ist der Grund, weshalb die Ausbildung wieder vom Urstoff ih- rer Väter ausgeht; auf dem Wege über das Handwerk sollen sie durch das Eisen zu Kämpfern werden" (Arnhold 1933, S. 22). Der Grundlehrgang "Eisen erzieht" sollte nicht nur von zukünftigen Fachar- beitern der Metall- und Elektroberufe absolviert werden - nein, den maßgeblichen Berufspädagogen jener Jahre zufolge sollte diese disziplinierende Grundschulung allen jungen Deutschen zuteil werden, unabhängig davon, was später ihr Beruf sei. In dem besagten Beitrag, der im Oktober 1933 veröffentlicht wurde, forderte Arn- hold: "Es genügt aber nicht, daß wir nur die industrielle Jugend zu rechten Kämp- fern erziehen, die ganze deutsche Jugend muß es sein. Ihnen allen, die heute auf Schulen und Hochschulen lernen, täte eine leib-seelische Disziplinierung gut" (ebenda, S. 22). Einen gewissen Erfolg konnte Arnhold dann im Jahre 1937 melden: "nahezu alle großen Industriewerke lassen heute bereits ihren kaufmännischen Nachwuchs zu Beginn der Lehrzeit durch ihre Lehrwerkstatt gehen" (Arnhold 1937, S. 124). Arnhold erwog im Sommer 1937 die qualifikatorischen Konsequenzen eines neuen Krieges und faßte dabei auch den Ersatz der zum Kriegsdienst eingezogenen Männer durch Frauen ins Auge; das veranlaßte ihn zu der Frage, "ob nicht auch un- serer weiblichen Jugend eine gewisse technische Grundschulung zu geben wäre". Arnholds Forderung, die den perfekten Kriegseinsatz des Nachwuchses anstrebte, 288 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung war eindeutig: "In einem Volk, das zu jeder Zeit in einen Krieg mit den modernsten technischen Mitteln hineingezogen werden kann, sollte es jedenfalls keinen jungen Menschen, ob Arbeiter, Bauer, Kaufmann oder Student geben, der nicht in einer Lehrwerkstatt ein paar Wochen Dienst am Schraubstock abgeleistet hat. Erst da- durch wäre die totale Mobilmachung tatsächlich sichergestellt" (Arnhold 1937c, S. 99). Trotz des beachtlichen Entwicklungsschubes, den der Ausbau betrieblicher Lehrwerksätten im Dritten Reich erfuhr, wurde ein großer Teil der Industrielehrlinge weiterhin im Produktionsprozeß ausgebildet; teilweise richteten Industriebetriebe Lehrplätze und Lehrecken ein, die gleichsam als Unterweisungs-Inseln innerhalb der Betriebswerkstätten eingerichtet waren und an denen geeignete Facharbeiter die be- rufserzieherische Tätigkeit neben ihrer eigentlichen Betriebsarbeit wahrnahmen. Lehrwerkstätten sind demgegenüber räumlich getrennt von Ferti- gungswerkstätten: sie sind als Lernorte zur planmäßigen Ausbildung eingerichtet und entsprechend mit Werkzeugen, Maschinen und Geräten ausgestattet; die Ausbildungstätigkeit wird durch eigens dafür zuständige Ausbildungspersonen wahrgenommen. Die industrielle Lehrwerkstatt gilt gemeinhin als optimaler Lernort zur Facharbeiterausbildung; wo die kostspielige Einrichtung einzelbetrieblicher Lehrwerkstätten nicht in Frage kam, behalf man sich in Zusammenarbeit mit ande- ren Firmen der Region, eine Lehrwerkstatt auf überbetrieblicher Basis einzurichten. Solche Gemeinschaftslehrwerkstätten wurden vom Amt für Berufserziehung in der DAF besonders gefördert, weil sie Einflußchancen auf die Lehrlingsausbildung klei- ner und mittlerer Betriebe eröffneten: Mit finanzieller und planerischer Unterstüt- zung der DAF wurden im Berichtsjahr 1937 insgesamt 33 Gemeinschafts- lehrwerkstätten eingerichtet (vgl. Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (1937), S.24). 11.4.2 Werkberufsschule Werkberufsschulen, gelegentlich auch Werkschulen oder Betriebsberufsschulen genannt, sind von Unternehmen eingerichtete und unterhaltene Berufsschulen, die der staatlichen Schulaufsicht unterstehen. Sowohl der DATSch als auch das DINTA haben die Einrichtung von Werkberufsschulen gefördert und unterstützt, weil sie ihnen einen höheren unter- richtlichen Wirkungsgrad zumaßen als öffentlichen Berufsschulen.4 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 289 Die enge Verflechtung der Werkschule mit dem Betrieb und der dazugehörigen Lehrwerkstatt bot didaktisch-methodische Vorzüge, weil die praktische Unterwei- sung in der Lehrwerkstatt mit der theoretischen Durchdringung in der Werkschule optimal aufeinander abgestimmt werden konnte. Zumeist unterstanden Werkschule und Lehrwerkstatt derSelben Leitung, so daß eine "Perfektionierung" des dualen Systems erreicht werden konnte, die darin gesehen wurde, die "Erziehungsarbeit in Werkstatt und Schule nach vollständig gleichen Gesichtspunkten durchzuführen, um eine nachhaltige Wirkung zu erreichen" (Kath 1932, S. 33). Über die zahlenmäßige Entwicklung der Werkberufsschulen liegen nur sehr lük- kenhafte Daten vor: Nach den Erhebungen von Otto Stolzenberg, die auf Veranlas- sung des DATSch durchgeführt wurden, existierten bei Beendigung des ersten Weltkrieges 95 Werkschulen (vgl. Stolzenberg 1923). Im Jahre 1929 hatte sich ihre Zahl auf 126 erhöht; dabei entfielen auf die metallverarbeitenden Industrien 74 Werkschulen (vgl. Stolzenberg 1929). Daneben bestanden 63 Werkschulen der Reichsbahn (vgl. Schwarze 1929). Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verstärkte sich die Werbung für Werkschulen - und entgegen der grundsätzlich privatschulfeindlichen Schulpoli- tik der NS-Regierung erfuhren Werkberufsschulen staatliche Förderung (vgl.: Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (1937), S. 34 f.). Um so überraschender ist die Mitteilung, daß 1938 in Deutschland nur 38 private Werkberufsschulen unterhal- ten wurden (vgl. Hegner 1938). Deutlich davon abweichend ist die ebenfalls auf das Schuljahr 1938 bezogene Mitteilung der Reichsstelle für Schulwesen, die 90 Werk- schulen mit insgesamt 20.300 Lehrlingen nachweist (V gl. Reichsstelle für Schulwe- sen 1941, S. VIIf.). Die verschiedenen Zahlenangaben belegen einen deutlichen Rückgang der Werkberufsschulen im Zeitraum von 1929 bis 1938. Das betriebliche Interesse an Werkberufsschulen scheint danach erneut gesunken zu sein - und zwar im Zusam- menhang mit der seit 1. April 1942 einsetzenden Befreiung der Betriebe von der Zahlung der Berufsschulbeiträge. Seit 1928 konnten die Arbeitgeber von den Schul- trägern zur Deckung der Schulunterhaltskosten herangezogen werden: "Die Erhe- bung der Beiträge erfolgte nicht nach einheitlichen Kriterien, sondern nach alljähr- lich festgelegten Maßstäben, wobei die Höhe der Abgaben ebenfalls unterschiedlich geregelt war" (WoLsing 1977, S. 606). Das Berufsschulbeitragswesen war notorisch umstritten, bis der General- bevollmächtigte für die Reichsverwaltung am 20. Februar 1942 die "Verordnung über den Fortfall der Berufsschulbeiträge" (RGBl. I, 1942, S. 85) erließ. Betriebe, 290 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung die eigene Werkberufsschulen unterhielten, waren zuvor von der Zahlung der Be- rufsschulbeiträge befreit. Nach dem Wegfall dieser Beiträge erhielten sie zum Aus- gleich staatliche Zuschüsse, die zunächst in Höhe von 6 Reichsmark je Pflichtschü- ler und Wochenstunde im Jahr festgesetzt und 1944 auf 30 Reichsmark erhöht wur- den (vgl. Wolsing 1977, S. 608). Es ist unwahrscheinlich, daß diese Zuschüsse den weiteren Ausbau der Werkberufsschulen stimulierten. 11.5 Bestrebungen zur "Perfektionierung" des öffentlichen Berufsschul- wesens Zu Beginn des Dritten Reiches befand sich das öffentliche Berufsschulwesen in einem desolaten Zustand - und das nicht nur wegen der Abbaupolitik, die im Gefol- ge der Weltwirtschaftskrise geradezu existenzgefährdende Einsparungen im Berufs- schulbereich bewirkte. Der durch die Weimarer Verfassung festgelegte Kultur- föderalismus führte zu "einer inhaltlich wie organisatorisch völlig unübersichtlichen Zersplitterung der beruflichen Erziehung" (Kümmel 1980a, S. 276). Diese Situation war alles andere als "perfekt" und so eröffneten sich Chancen zur organisatorischen Vereinheitlichung und Zentralisierung sowie zur inhaltlichen Refonn und Systematisierung des Berufsschulwesens. 11.5.1 Die Errichtung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Mit der durch Erlaß vom 1. Mai 1934 (RGB!. I, 1934, S. 365) verfügten Errich- tung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (RMfWEV) ging erstmals in der Geschichte des Deutschen Reiches die Schulhoheit von den Ländern auf das Reich über. Die bisher selbständigen Unterrichtsverwaltungen der Länder fungierten fortan nur noch als nachgeordnete Instanzen der Reichsregierung. Diese Zentralisation der Schulaufsicht bot die organisatorische Basis für die Vereinheitlichung des zuvor zer- splitterten Berufsschulwesens; sie gestattete dessen Steuerung und ermöglichte da- mit auch dessen perfektere ideologische Instrumentalisierung. 11.5.2 Reichseinheitliche Benennungen im Berufs- und Fachschulwesen Die unterschiedliche Organisation des Berufsschulwesens in einzelnen Ländern hatte zur Folge, daß auch berufliche Schulen mit gleichen Zielen unterschiedlich be- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 291 nannt wurden. Die Beseitigung der offiziell beklagten "babylonischen Benennungswirmis" (vgl. Kümmel 1980a, S. 278; Kümmel 1980b, S. 24) war also erforderlich, um die auf Vereinheitlichung zielenden Reformen überhaupt einleiten zu können. Mit Erlaß vom 29. Oktober 1937 führte das Reichserziehungsministerium "Reichseinheitliche Benennungen im Berufs- und Fachschulwesen" (RMBl.WEV 1937, S. 500 f.) ein; danach gab es nur noch drei Typen berufsbildender Schulen: 1. Berufsschulen als lehrzeitbegleitende Teilzeit -Pflichtschulen, 2. Berufsfachschulen als berufsvorbereitende freiwillige Vollzeitschulen, 3. Fachschulen als berufsergänzende freiwillige Vollzeitschulen. 11.5.3 Reichseinheitliche Berufsschulpflicht Die unübersichtliche Rechtsvielfalt, die hinsichtlich der Regelung des Berufs- schulbesuchs während der Weimarer Republik herrschte, belebte nach der national- sozialistischen Machtergreifung erneut die Diskussion um ein Reichsberufsschulge- setz. Sowohl die angestrebte politische Indienstnahme der Berufsschule zum Zwek- ke der ideologischen Beeinflussung der werktätigen Jugend als auch deren ökono- mische Nutzbarmachung für die rüstungswirtschaftlichen Ziele der NS-Machthaber, drängten auf Einführung der Berufsschulpflicht. Das Gesetz über die Schulpflicht im Deutschen Reich (Reichsschulpflichtge- setz) vom 6. Juli 1938 (RGBI. I, 1938, S. 799-801) führte erstmalig eine reichsein- heitliche Berufsschulpflicht ein, die mit der Beendigung der Volksschulpflicht be- gann (§ 8) und "drei Jahre, für landwirtschaftliche Berufe zwei Jahre" (§ 9 (1» dau- erte. Die der Schulpflicht entsprechende Beschulungspflicht, also die Verpflichtungen der Schulträger zur Errichtung von Berufsschulen, wurde allerdings erst später und lediglich für die "Reichsgaue" festgelegt: Durch die "Verordnung über die vorläu- fige Regelung des Berufsschulwesens im Reichsgau Sudetenland und in den Reichs- gauen der Ostmark. Vom 31. Mai 1940" (RGBI. I, 1940, S. 832-834). Der zeitliche Umfang des Berufsschulunterrichts wurde reichseinheitlich durch "Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 5. Juni 1940, betr. Richtlinien über das Ausmaß des Berufsschulunterrichts" (DWEV 1940, S. 322) folgendermaßen geregelt: 292 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung "Der Unterricht soll grundsätzlich betragen a) an den gewerblichen, bergmännischen und hauswirtschaftlichen Berufsschu- len sechs Wochenstunden, b) an den gewerblichen und bergmännischen Berufsschulen mit pflichtmäßi- gem Fachzeichenunterricht acht Wochenstunden, c) an kaufmännischen Berufsschulen acht Wochenstunden." Vergleicht man diese Pflichtstundenzahlen der öffentlichen Berufsschulen mit denen der Werkberufsschulen, die in der Regel bei zehn Wochenstunden lagen und berücksichtigt zugleich, daß der Werkschulbesuch ein Jahr länger dauerte (s. Abb. 2), so wird deren größere unterrichtliche Wirksamkeit, die in der einschlägigen Lite- ratur immer wieder hervorgehoben wurde und sich beispielsweise beim deutlich besseren Abschneiden im Reichsberufswettkampf zeigte, verständlich. Fach Werkberufs- Fortbildungs- Schule Schule Berufskunde 2 2 Naturlehre 1 - Rechnen 1 - Fachzeichnen 2 2 Gemeinschaftskunde 2 2 Leibesübungen 2 - Sa. der Std. pro Woche 10 6 Dauer 4 Jahre 3 Jahre (Abb. 2 Quelle: Hegner 1938, S. 103) 11.5.4 Reichseinheitliche Berufsschullehrpläne "Die geschichtliche Entwicklung der Berufsschule brachte es mit sich, daß die Lehrpläne, die dem Unterricht zugrunde liegen, eine erhebliche Uneinheitlichkeit aufweisen" (Barth 1939, S. 229). Das galt nicht nur für die sogenannten allgemein- bildenden Fächer, besonders für die durch mehrfach veränderte Richtlinien im natio- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 293 nalsozialistischen Sinne ausgerichtete national politische Schulung, die mal als "Ge- meinschaftskunde", mal als "Staatsbürgerkunde" und schließlich als "Reichskun- de" firmierte, sondern auch für die sogenannten berufskundlichen Fächer, den ei- gentlichen Fachunterricht. Auch dort waren die Unterrichtsinhalte regional recht un- terschiedlich. Die angestrebte erzieherische Wirkungseinheit von Werkstatt und Berufsschule legte eine Vereinheitlichung der Lehrpläne nahe: "Wenn nun die praktische Ausbil- dung nach reichseinheitlichen Richtlinien erfolgt, dann muß auch die theoretische Ausbildung in der Berufsschule reichseinheitlich ausgerichtet sein" (PricksjSchu- macher 1937, S. 129 f.) Die Notwendigkeit didaktisch-curricularer Vereinheitlichungsmaßnahmen war offensichtlich und wurde in der einschlägigen berufsbildungspolitischen Diskussion mehrfach unterstrichen. Einsamer Vorreiter bei der Einlösung dieses Vereinheitlichungsanspruchs war der am 11. Juli 1937 in Kraft gesetzte Reichslehr- plan für Schmiedefachklassen (MBIWEV 1937, S. 2950. Am 6. August 1937 er- ging der Erlaß des Reichserziehungsministers betreffs "Lehrpläne für die berufs- kundlichen Fächer der gewerblichen, bergmännischen, kaufmännischen und haus- wirtschaftlichen Berufsschulen" (Abgedruckt in: Kümmel 1980b, S. 208f.). Danach sollten die Lehrpläne einen möglichst hohen unterrichtlichen Wirkungsgrad anstre- ben und bei der Stoffauswahl und Stoffanordnung drei Gesichtspunkte beachten: 1. die strikte Orientierung am Berufsbild, 2. die Berücksichtigung der Aufgaben des Vierjahresplans, 3. die enge Abstimmung mit der praktischen Ausbildung. Insbesondere die wechselseitige Verzahnung von Berufsschulunterricht und praktischer Ausbildung mit dem Ziel, "daß sie zur höchstmöglichen Wirkungsein- heit werden", erforderte in der Praxis aufwendige Koordination und Kooperation, die sich über Jahre hinzog, bevor die ersten Reichslehrpläne veröffentlicht werden konnten: 1940 - RLP für Maschinenschlosser und Maurer für gewerbliche Berufsschulen (Erlaß des RMfWEV vom 22. August 1940; MBIWEV, 1940, S. 418), 1941 - RLP für Tischler und Feinmechaniker (Erlaß des RMfWEV vom 15. Dezember 1941; MBlWEV, 1942 S. 5), 1942 - RLP für Dreher (Erlaß des RMfWEV vom 12. Januar 1942; MBlWEV, 1942, S. 32) 294 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung und Schornsteinfeger (Erlaß des RMfWEV vom 19. Februar 1942; MBIWEV, 1942, S. 94), 1943 - RLP für Kraftfahrzeughandwerker und Kraftfahrzeugschlosser (Erlaß des RMfWEV vom 22. Februar 1943; MBIWEV, 1943, S. 65ff.). Die Entwicklung der Reichslehrpläne wurde von aufwendiger Propaganda be- gleitet, die immer wieder den Primat betrieblicher Erfordernisse herausstellte. Klaus Kümmel wertet diese einseitige Festlegung auf nur für den unmittelbaren Berufs- vollzug notwendige Fertigkeiten und Kenntnisse als "einmalige Gelegenheit, die Berufsschule in geradezu perfektionistischer Weise und mit optimalen Erfolgsaus- sichten endgültig an die Berufspraxis und auch an die Belange der 'Wirtschaft' zu binden, was zugleich die Preisgabe jeglicher Selbständigkeit bedeutet" (Kümmel 1980b, S. 28). Hinsichtlich der praktischen Bedeutsamkeit der Reichslehrpläne und der parallel dazu entwickelten Reichs-Rahmen-Stoffpläne und Stoffverteilungspläne sind ver- schiedentlich Zweifel geäußert worden. Denn sie traten zu einer Zeit in Kraft, als ein geordneter Berufsschulunterricht wegen des Krieges kaum noch stattfand; außerdem waren sie für Fachklassen konzipiert, die aber nur an den wenigsten Berufsschulen eingerichtet waren (vgl. dazu Abel 1963, S. 61; Kümmel 1980a, S. 285; Kümmel 1980b, S. 29; Wolsing 1977, S. 630f.). 11.5.5 Reichsgaue als Schrittmacher auf dem Wege zum Reichsberufsschulrecht Im "Altreich" wurde, wie oben (11.5.1 u. 11.5.2) dargelegt, durch Errichtung ei- ner neuen zentralen Verwaltungsbehörde (RMfWEV) versucht, das zersplitterte Berufsschulwesen zu vereinheitlichen. In den "Reichsgauen", also den nach 1938 zum Deutschen Reich hinzugekom- menen Gebieten, bestand hinsichtlich der Berufsschulen ein weithin rechtsfreier Raum, der die Möglichkeit eröffnete, ein völlig neues Reichsberujsschulrecht zu entwickeln, das auch für die anderen Länder richtungsweisend sein sollte (vgl. Grü- ner 1986, S. 648-651). "Die Restbestände der Kleinstaaterei werden zurückgedrängt" schrieb im Janu- ar 1943 der Ministerialrat im Reichserziehungsministerium, Erwin Gentz; und er fuhr fort: "Die neuen Reichsgaue sind Schrittmacher geworden, die Länder des Alt- reiches gleichen sich auch in ihren Organisationsvorschriften dem Beispiel des Rei- ches in den neuen Gauen an. Eine allgemeine reichsgesetzliche Regelung über die "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 295 äußere Gestalt der deutschen Berufsschule wird folgen, sobald der Sieg errungen ist" (Gentz 1943, S. 15). Das von der Abteilung "Berufsbildende Schulen" im Reichserziehungsministe- rium entwickelte Reichsberufsschulrecht, dessen endgültige Durchsetzung durch den Kriegsverlauf vereitelt wurde, läßt sich knapp folgendermaßen umreißen: "Dreijährige Berufsschulpflicht mit 8 Wochenstunden Unterricht, Beschulungs- pflicht der Schul träger, reichseinheitliche Lehrpläne, engste Anlehnung der Berufs- schule an die betriebliche Ausbildung, Schulträgerschaft im wesentlichen durch die Stadt- oder Landkreise, Berufsschulbeiräte aus Wirtschaftsvertretern zur Beratung der einzelnen Berufsschulen, Berufsschullehrer als reichsunmittelbare Beamte" (Grüner 1986, S. 651). 11.5.6 Neuordnung der Trägerschaft der Berufsschulen Die überwiegende Mehrzahl der Berufsschulen wurde von den Gemeinden un- terhalten. Die "Grundsätze über den Finanz- und Lastenausgleich zwischen Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) vom 10. Dezember 1937" (RGBl. I, 1937, S. 1352 f.) bestimmten, daß die Stadt- und Landkreise mindestens 75 Prozent des Zuschußbedarfs für die Berufsschulen aufbringen sollten. Damit war angestrebt, daß die Kreise - evtl. aber auch "leistungsfähige kreisangehörige Gemeinden oder Be- rufsschulverbände" Träger der Berufsschulen sein sollten und nicht mehr grundsätz- lich die Gemeinden. "Der Staatskasse sollten nur 25% der gesamten Berufs- schulkosten zur Last fallen" (Grüner 1986, S. 650). Auf die Werksberufsschulen, die von industriellen Großbetrieben getragen wur- den, ist bereits hingewiesen worden (s.o. 11.4.2); daneben traten als weitere Träger Industrie- und Handelskammern, Innungen, Arbeitgebervertretungen, Stiftungen, Orden, Erziehungsanstalten und Heime auf (vgl. Wolsing 1977, S. 598 f., s. auch: Tabelle 1). Sc hu ltr äg er de rB er uf ss ch ul en A rb ei tg eb er Er zi eh un gs In nu ng en , G ro ß- v er ei ni gu ng - Po lit is ch e Zw ec k- In du st rie - be tri eb e e n de r St ift un ge n, an st al te n, L an d K re is u n d be rg m än ni s In sg es am t G em ei nd e v e rb an d H an de lsk ar r (W erk sc hu l eh en O rd en U .8 . H ei m e, m e rn u .a . en ) B er uf ss ch u K rü pp el an s le n ta lte n Pr eu ße n 10 04 10 2 14 6 37 62 16 2 5 - 15 18 B ay er n 15 1 24 - 1 14 1 4 2 19 7 Sa ch se n 20 7 31 6 - 9 - 3 4 2 54 1 W ür tte m be rg 88 55 - - - - - 2 14 5 B ad en 18 2 17 - 1 - 1 - 1 20 2 Th ür in ge n 93 80 - - 4 1 - 1 17 9 H es se n 86 9 1 1 2 - 2 1 10 2 H am bu rg 25 - - - 1 - 1 - 27 Sa ar la nd 33 14 - - 3 12 - - 62 M ec kl en bu rg 58 - 1 53 1 - - - 11 3 O ld en bu rg 31 - - - - - - - 31 B ra un sc hw ei g 20 7 - 15 - - - - 42 A nh al t 3 8 - 1 3 - - - 15 B re m en 6 - - 1 - - - - 7 Li pp e 1 - 12 1 - - - - 14 Sc ha um bu rg -L ip pe - - 3 - - 1 - - 4 Zu sa m m en 19 88 63 2 16 3 12 0 90 18 1 16 9 31 99 (Ta be lle 1. Qu ell e: Re ic hs st el le für Sc hu lw es en 19 41 ,S .V II) N \0 0\ ~ ~ ~ ~ 10-60 o = (D0 a ::s O'Q c.. ~ ~ 5° ~ fIl ~ 10-60 ~ ..- ..- ~ ::s t:Jj ~ a fir> ~ fIl g: s: =::s O'Q "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 297 Neu war - im Hinblick auf die Facharbeiterausbildung - die Zulassung der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront als Berufsschulträger, die aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Reichserziehungsminister (Rust) und dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront (Ley) vom Herbst 1936 zustande kam. DAF und NSDAP traten danach auch als Schulträger auf: Die Deutsche Arbeitsfront richtete die "Dr. Robert-Ley-Musterberufsschule und Gemeinschaftslehrwerkstatt Frankenthai (pfalz)" ein (vgl. Wolsing 1977, S. 599), und baute im Volkswagenvorwerk Braun- schweig eine lehrwerkstattmäßige Facharbeiterausbildung mitsamt Werkberufs- schule auf - darauf ist später noch näher einzugehen. Die NSDAP unterhielt zum Zwecke der Metall-Facharbeiterausbildung für die Schiffbauindustrie vier SA-Be- rufsschulen: die SA-Berufsschule Nordmark, "Lockstedter Lager", in LockstedtfHol- stein, die SA-Berufsschule Ostland in Contienen bei Königsberg/Ostpreußen, die SA-Berufsschule Nordsee in Westerstede/Oldenburg, die SA-Berufsschule Weichsel in Schulitz bei Bromberg/Danzig (vgl. Kipp 1980a). Aufs ganze gesehen spiegelt die Neuordnung der Trägerschaft der Berufsschulen zwar ein gewisses Interesse der nationalsozialistischen Machthaber wider, das aber nicht durch entsprechende fmanzielle Zuwendungen bestätigt wurde. Im Gegenteil: bei näherem Hinsehen muß man eine sträfliche Vernachlässigung der Berufsschule attestieren, die in der Konsequenz dazu führte, daß die Berufsausbildung immer stärker in den betrieblichen Bereich verlagert wurde. 11.5.7 Berufsschullehrermangel verhindert "Perfektionierung" Die sträfliche Vernachlässigung des Berufsschulwesens zeigt sich besonders darin, daß dem seit 1934 offenkundigen Lehrermangel nicht wirksam begegnet wur- de. Die berufspädagogischen Zeitschriften haben auf den Berufsschullehrermangel recht früh aufmerksam gemacht und Walter Pipke, Reichsfachschaftsleiter der Fach- schaft für Berufs- und Fachschulwesen im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), sprach angesichts des Berufsschullehrermangels im November 1937 da- von, "daß wir bereits mitten in einer Katastrophe stehen" (Pipke 1937, S. 407). Pip- ke publizierte eine Statistik, die für mehrere Gaue Abwanderungen von Be- rufsschullehrern "in die Wirtschaft" belegt und er stellte fest: "Der Beruf des Be- rufsschullehrers übt für den Nachwuchs keinen Anreiz aus". Das liege daran, daß "die soziale Stellung des Berufsschullehrers nicht in Harmonie steht zu dem Auf- 298 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung wand und der Leistung" (Pipke 1937, S. 408). Die Folgen des Lehrermangels wur- den von Pipke zwei Jahre vor Kriegsbeginn deutlich herausgestellt: "Die Nichtein- schulung ganzer Jahrgänge, die Herabsetzung der Wochenstundenzahl und die über- mäßige Inanspruchnahme der vorhandenen Lehrkräfte bedeuten eine Verschlechte- rung des Niveaus der Berufsschule und damit eine Verringerung der Lei- stungsfähigkeit unserer berufstätigen Jugendlichen von unerhörtem Ausmaß" (Pipke 1937, S. 407). Nun ist Walter Pipke, wie insbesondere Rolf Seubert nachgewiesen hat (Seubert 1977), recht leicht zu dramatisierenden Einschätzungen gekommen, weshalb seine Verlautbarungen mit großer Vorsicht zu interpretieren sind. Aber hinsichtlich der Einschätzung des Berufsschullehrermangels steht Pipke keineswegs allein - und nicht nur in der berufspädagogischen Literatur wird vor den problematischen qualifikatorischen Konsequenzen des Berufsschullehrermangels gewarnt: selbst die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS weisen bereits 1938 darauf hin, daß "die planmäßige Durchführung des Unterrichts teilweise unter dem Mangel an Lehrkräften gelitten" habe (Boberach 1984, S. 138). Während in der schulpolitischen Propaganda die Leistungssteigerung der Be- rufsschulen proklamiert wurde und die Berufsschule rhetorisch in den Dienst des Vierjahresplanes gestellt wurde - Professor Wilhelm Heering, Leiter der "Abteilung für berufliches Ausbildungswesen " im Reichsministerium für Wissenschaft, Erzie- hung und Volksbildung, sah im April 1937 die schulpolitische Lage des Berufs- und Fachschulwesens "bestimmend beeinflußt durch die Aufrüstung im allgemeinen, durch den Vierjahresplan im besonderen" (Heering 1937a, S. 7) -, verschärfte sich der Lehrermangel mit der Dauer des Krieges: In den "Meldungen aus dem Reich" vom 15. Januar 1940 wird ausdrücklich betont, daß der Lehrermangel im Berufs- schulwesen sich einschneidender auswirkte als bei den übrigen Schularten und daß "der Ersatz von Lehrkräften, die zu Kriegs- oder Kriegshilfsdienst eingezogen wur- den, besonders schwierig" sei (Boberach 1984, S. 647). Und weiter wird dort be- richtet: "Den eingetretenen Schwierigkeiten suchen die Schulbehörden durch Ein- führung von Kurzstunden, Zusammenlegung von Parallelklassen oder be- rufsverwandten Klassen, Verteilung der Hilfsklassen auf die Normalklassen, Wegfall der Leibesübungen, Vereinigung von Klassen in gewissen Fächern, Kürzung der verbindlichen Wochenstundenzahl der einzelnen Klassen, Überstunden der Lehrer usw. zu begegnen. Leider sind Klassenstärken von 100 Schülern, die durch Zusam- menlegung entstanden, keine Seltenheit" (Boberach 1984, S. 647). Diese "Meldung aus dem Reich" weist auch auf die Konsequenzen dieses prekären Berufs- schullehrermangels hin und betont, "daß unter solchen Umständen die berufliche Ausbildung des Nachwuchses von Handwerk, Handel und Industrie, besonders die "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 299 Heranziehung eines hochqualifizierten Stammes von Facharbeitern, für die Zukunft in dem bisherigen Umfang kaum möglich sei" (Boberach 1984, S. 647). Die drastische Einschränkung des Berufsschulunterrichts, die mit Beginn des Zweiten Weltkrieges einsetzte, hängt auch damit zusammen, daß Berufsschullehrer in weit stärkerem Maße zur Wehrmacht eingezogen wurden als betriebliche Ausbil- der und Lehrmeister. Bereits am Jahresende 1939 lagen Berichte aus dem gesamten Reichsgebiet vor, in denen Unterrichtsausfall um mehr als die Hälfte der Stunden- zahl und zum Teil Schließung ganzer Berufsschulen gemeldet wurden. Die mit dem Reichsschulpflichtgesetz von 1938 festgelegte allgemeine Berufsschulpflicht be- stand vielfach nur noch auf dem Papier. Die oft beklagte Folge dieses Umstands war ein auffallender Rückgang der Lei- stung der Berufsschüler. Die "Meldungen aus dem Reich" vom 29. Dezember 1942 berichteten ausführlich über diesen Leistungsverfall und die "ernstlichen Sorgen" der Wirtschaft: "den Prüflingen fehle nicht jenes zusätzliche Wissen auf das man al- lenfalls verzichten könnte, sondern die Kenntnislücken erstrecken sich auch auf die unbedingt notwendigen Grundlagen ihrer künftigen Berufsausübung, so daß die Prüflinge praktisch nicht in der Lage seien, den Platz eines Facharbeiters oder Hand- werkers ordentlich auszufüllen" (Boberach 1984, S. 4(03). Der totale Krieg forderte seinen Tribut und machte die Bestrebungen zur "Per- fektionierung" des öffentlichen Berufsschulwesens weitgehend zunichte. 11.6 Berufs- und Betriebswettkämpfe als nationalsozialistische Mobilisierungs- und Kontrollinstrumente Die nationalsozialistischen Machthaber entwickelten bekanntlich zahlreiche Formen der Mobilisierung der Massen. In Hinblick auf die Facharbeiterausbildung müssen die Berufs- und Betriebswettkämpfe genannte werden, die als spezifisch na- tionalsozialistische Neuerungen im Bereich des Berufsbildungswesens gelten kön- nen. Sie bewirkten sowohl beachtliche Mobilisierungs- als auch Kontrolleffekte. 300 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 11.6.1 Reichsberufswettkampf Der Reichsberufswettkampf kam aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Reichsjugendführer und dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront vom 8. Oktober 1933 zustande und wurde von 1934 bis 1937 jährlich für Jugendliche durchgeführt. Der Reichsberufswettkampf sollte die Jugend aktivieren und zugleich den Akti- vismus der Hitler-Jugend in geordnete, systemfunktionale Bahnen lenken. Nachdem der Reichsberufswettkampf seit 1934 mit alljährlich wachsenden Teilnehmerzahlen durchgeführt worden war - s. Tabelle 2 - und seine aktivierende und leistungsstei- gemde Wirkung auf die Jugend nicht verfehlt hatte, wurde er 1938 und 1939 auch auf Erwachsene ausgedehnt. Die Zahl der Teilnehmer am Reichsberufswettkampf 1934 1935 1936 1937 1938 1939 500.000 Jugendliche 750.000 Jugendliche 1.200.000 Jugendliche 1.800.000 Jugendliche 2.070.000 Jugendliche 207.000 Erwachsene / 40.000 Kreissieger 3.500.000 Jugendliche und Erwachsene 6.500 Gausieger der verschiedenen Altersklassen ~ 508 Reichssieger und Berufe 1944 2.488.000 Jugendliche über 400 Reichssieger (Tabelle 2. Quelle: Axlnann 1938; Arbeitswissenschaftliches Institut der deutschen Arbeitsfront 1943; Hüttenrauch 1944; Schulz 1944) Während des Krieges war die außerordentlich personalintensive Wettkampfor- ganisation für Vor-, Zwischen- und Endausscheidungen auf Orts-, Gau- und Reichs- ebene längere Zeit nicht zu gewährleisten, so daß lediglich 1944 ein "Kriegsberufs- wettkampf" durchgeführt wurde, an dem wiederum auch nur Jugendliche teil- nahmen. "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 301 Da die Aufgabenstellung reichseinheitlich erfolgte und auch die Auswertung der Ergebnisse zunehmend objektiviert wurde, gewährte der Reichsberufswettkampf ei- nen Überblick über den aktuellen Stand der Berufsausbildung im Dritten Reich. Die Ergebnisse boten Ansatzpunkte zur Beseitigung von offenkundigen Schwächen und Mängeln in der Ausbildung. Die jährliche Durchführung und die sich damit erge- bende Kontrollmöglichkeit verstärkte den Druck auf die Betriebsführer, die in ihren Betrieben zutage getretenen Mängel zu beseitigen; denn taten sie dies nicht, drohte ihnen der Entzug der Ausbildungserlaubnis. Der von der Hitlerjugend und der Deut- schen Arbeitsfront erzeugte Anpassungszwang bewirkte schließlich sogar, daß die betriebliche Berufsausbildung sich mehr und mehr an den Aufgabenstellungen des Wettkampfes orientierte, damit Lehrlinge und Jungarbeiter möglichst gut abschnit- ten und nicht etwa ein schlechtes Licht auf den Betrieb warfen. Über das Vehikel des Reichsberufswettkampfes gewannen DAF und HJ gleichsam im Seiteneinstieg Einfluß auf die Gestaltung der fachpraktischen Ausbildung in den Betrieben: Unver- kennbar ist der Effekt, die Qualität der betrieblichen Berufsausbildung generell an- zuheben und letztlich einen reichseinheitlichen Gütestandard anzustreben. Der Reichsberufswettkampf ließ ebenfalls erkennen, inwieweit die Jugendlichen die nationalsozialistische Ideologie verinnerlicht hatten und inwieweit sie sich für die HJ und das Dritte Reich mobilisieren ließen. Weltanschauliche und sportliche AufgabensteIlungen erleichterten die Übertragung von Erziehungsinhalten der HJ auf den Bereich der Berufserziehung; denn die Jugendlichen und ihre Ausbilder wa- ren gezwungen, diese Inhalte bei der Ausbildung in den Betrieben zu berück- sichtigen oder den Jugendlichen Gelegenheit zur Teilnahme an der HJ-Schulung zu geben, wollten sie die aus einem schlechten Wettkampfergebnis resultierenden Fol- gen vermeiden. Hinter diesen Maßnahmen stand die Absicht der HJ, die berufstäti- gen Jugendlichen ihrem Einfluß genauso wirkungsvoll zu unterwerfen wie die schulpflichtigen Jugendlichen (v gl. KippjSchüssler 1985). Erwähnenswert ist, daß sich bereits der Gewerbelehremachwuchs am Reichsberufswettkampf beteiligte: In der Umschau der Deutschen Berujserziehung, Ausgabe A, vom 21. Februar 1937 wird mitgeteilt, daß sich in diesem Jahre erstmals Studierende des Staatlichen Berufspädagogischen Instituts Berlin am Reichsbe- rufswettkampf der deutschen Studenten beteiligten: "Die aus 30 Studierenden beste- hende Mannschaft bearbeitete als Gesamtthema: 'Aufgaben und Möglichkeiten der gewerblichen Berufsschule im zweiten Vierjahresplan'. Es beteiligten sich alle Fachschaften" (DtBE.A 52 (1937), S. 70). Mit dem Reichsberufswettkampf verbundene Leistungen, wie die qualitative und quantitative Verbesserung der Berufsausbildungsverhältnisse und die Zunahme 302 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung der Zahl von gewährten Urlaubstagen, wurden von der Hitlerjugend propagandi- stisch ausgeschlachtet. Das gleiche geschah mit der Förderung der Wettkampfsieger, deren publikumswirksame Präsentation den Eindruck erweckte, daß die HJ von Stand und Bildung unabhängige Chancen für einen beruflichen und sozialen Auf- stieg offerierte. Ein Eindruck, der zusammen mit anderen Leistungen das Bild der HJ als einer sozialpolitisch fortschrittlichen Jugendorganisation prägte und dafür sorgte, daß sie bei den Jugendlichen Resonanz fand. Der Leiter des Berufswettkampfes aller schaffenden Deutschen, Artur Axmann, hat den Reichsberufswettkampf mit einem Magneten verglichen, "der über das schaffende Volk streicht und diejenigen anzieht, die das Eisen der Leistung in sich tragen"; mit einem anderen Bild, das die technokratische Sichtweise der be- absichtigten Überwachung unverhüllt zeigt, bezeichnete er den Reichsberufswett- kampf als Röntgenapparat, "der die Berufserziehung, ihren gegenwärtigen Stand, ihre Lücken und Mängel, aber auch ihre Vorzüge, durchleuchtet" (Axmann 1937, S. 532).' An anderer Stelle schreibt Axmann: "Die Auswertung des Reichsbe- rufswettkampfes wird in Zukunft der Röntgenapparat für die Berufsausbildung der Jugend und die berufliche Kapazität der Erwachsenen sein" (Axmann 1938, S. 151). 11.6.2 Leistungskampf der Betriebe Der Leistungskampf der Betriebe um die Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" wurde veranlaßt durch eine Verfügung Hitlers vom 29. August 1936 (Abgedruckt in: Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront o.J., S. 11). Der Zweck war folgender: Betriebe, in denen der "Gedanke der na- tionalsozialistischen Betriebsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit und im Geiste der Deutschen Arbeitsfront" verwirklicht schien, konnten für die Dauer eines Jahres mit der Auszeichnung "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" bedacht werden - 1937 wetteiferten 84.000 Betriebe um diese Aus- zeichung, die schließlich 103 Betrieben verliehen wurde (vgl. Arbeitswissenschaftli- ches Institut der Deutschen Arbeitsfront o.J., S. 28). In den Richtlinien für die Beurteilung der am freiwilligen Leistungskampf teil- nehmenden Betriebe wurden auch Fragen der Berufserziehung berücksichtigt: ob der Betrieb den Forderungen zur Sicherung des Facharbeiternachwuchses nachkam, wie sich die Zahl der Lehrlinge zur Gesamtzahl der Betriebsangehörigen verhielt, wie die Lehrwerkstatt ausgestattet war usw. Ausdrücklich sei erwähnt, daß es neben der Auszeichnung "Natio- nalsozialistischer Musterbetrieb" noch verschiedene Leistungsabzeichen für beson- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 303 dere Leistungen auf Teilgebieten gab: unter anderem auch ein "Leistungsabzeichen für vorbildliche Berujserziehung." Das Thema "Leistungskampf der Betriebe" ist in der berufspädagogischen Hi- storiographie noch gänzlich unterbelichtet. Im Leistungsbericht des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung für das Jahr 1937 wird behauptet, daß das Leistungsabzeichen für vorbildliche Berufserziehung "heute von allen Firmen als Ansporn zu erhöhter Leistung empfunden" werde. Die mitgeteilten Zahlen über die seinerzeit vergebenen Leistungsabzeichen - im Jahre 1936 30, im Jahre 1937 124 Leistungsabzeichen - scheinen das zu bestätigen. Aber bis heute ungeprüft ist die ebendort getroffene Aussage: "Das Leistungsabzeichen ist ohne Zweifel ein vorzüg- liches Mittel, die betriebliche Berufserziehung insgesamt auf ein höheres Niveau zu bringen" (Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (1937), S. 73). Der englische Sozialhistoriker TImothy Mason hat den "Leistungskampf der Be- triebe" eingeordnet in das für das NS-Regime prekäre Spannungsverhältnis "zwi- schen Sozialpolitik und Kriegsvorbereitung" (Mason 1975, S. 133). Mason zeigt, daß die Deutsche Arbeitsfront mit dem "Leistungskampf der Betriebe", der im Lau- fe der Jahre erheblich ausgebaut wurde, einen maßgeblichen Einfluß auf die Sozial- politik in einem Bereich gewann, der sich ansonsten der direkten Kontrolle staatli- cher Instanzen entzog: "Die beiden Haupttendenzen der DAF-Politik waren also im Leistungskampf auf ideale Weise vereinigt: auf der einen Seite Verbands- imperialismus auf Kosten der staatlichen Bürokratie und Industrie und auf der ande- ren Verbesserung der Lage der Arbeiter im Rahmen der betrieblichen Sozialpolitik" (Mason 1975, S. 126). Daß der "Leistungskampf der Betriebe" keine ganz nebensächliche Angelegen- heit war, mögen zum Schluß noch folgende Zahlen zeigen: Am Leistungskampf der Betriebe waren 1938 etwa 164.000 Betriebe beteiligt. 1939 etwa 273.000 und 1940/41 sogar 300.000. 11.7 "Perfekte" Facharbeiterausbildung - Verknüpfung fachlicher Qualifizierung mit soldatischer Erziehung Die bisherige Darstellung hat gezeigt, daß trotz "perfekter" Planung die reale "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung vielfach zu wünschen übrig ließ. Es gibt aber - soweit wir bis heute herausgefunden haben - zumindest drei Be- reiche, in denen die "Perfektionierung" der Facharbeiterausbildung im nationalso- zialistischen Sinne gelang. 304 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung In diesen drei Bereichen ging es um die Verknüpfung von anspruchsvoller Me- tall-Facharbeiterausbildung mit soldatischer Erziehung, d.h. in den drei Bereichen wurde eine integrierte werkberufsschulische und lehrwerkstattmäßige Ausbildung nach anerkannten Berufsbildern und anhand verbindlicher Ausbildungsrichtlinien praktiziert, die mit weltanschaulicher Schulung nach nationalsozialistischen Grundsätzen, mit ausgiebigem sportlichen Training und soldatischem Gelände- und Ordnungsdienst in den von der HJ bzw. SA betreuten Lehrlingsunterkünften verbun- den war. In den drei Bereichen haben wir es mit institutionellen Neuschöpfungen aus den Jahren 1936-1938 zu tun, die gegen die Umwelt kasernenmäßig abgeschlossen wa- ren und deren Innenbereich nach rigiden Dienstplänen organisiert wurde. Man kann diese Einrichtungen mit Goffmann als "totale Institutionen" bezeichnen und die "Perfektionierung" darin erkennen, daß ein totalitäres System zur Zurichtung des Nachwuchses sich "totaler Institutionen" bediente. 11.7.1 Facharbeiterausbildung in der LuftwatTenrüstungsindustrie Die Facharbeiterausbildung in der Luftwaffenrüstungsindustrie ist das in der deutschen Berufserziehungsgeschichte einmalige Musterbeispiel für zentralistische Organisation, Kontrolle und Lenkung des Ausbildungswesens (Kipp 1980b). In keinem anderen Bereich in Industrie, Handwerk und Handel gab es derartige Selektions-, Steuerungs- und Überwachungsmöglichkeiten, denen der Nachwuchs unterworfen wurde; nirgendwo sonst und nie zuvor wurden Ausbildungsrichtlinien, Lehrgänge und Prüfungsmodi mit so hohem Verbindlichkeitsgrad reichseinheitlich praktiziert wie in der Luftwaffenrüstungsindustrie. Und noch etwas: Curriculare, didaktisch-methodische und evaluative Innova- tionen, die in diesem geschlossenen Ausbildungssystem erprobt und eingeführt wur- den, sind in vergleichbarem Umfang nirgendwo sonst im beruflichen Aus- bildungswesen des Dritten Reiches zu verzeichnen. 11.7.2 Facharbeiterausbildung in der SchitTbauindustrie Die Facharbeiterausbildung in der Schiftbauindustrie, soweit sie in den SA-Be- rufsschulen stattfand, ist an anderer Stelle ausführlich beschrieben worden, worauf hier nur verwiesen werden kann (Kipp 1980a). "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 305 11.7.3 Facharbeiterausbildung im Volkswagen-Vorwerk Braunschweig Die Facharbeiterausbildung im Volkswagenvorwerk Braunschweig ist bislang in der einschlägigen Literatur noch nirgends erwähnt, geschweige denn behandelt wor- den: Sie wurde in der nationalsozialistischen Propaganda als Paradebeispiel für die Facharbeiterausbildung nach den Grundsätzen der Deutschen Arbeitsfront herausge- stellt. Am 1. Juni 1939 veröffentlichte Erich Adam in der Zeitschrift Arbeitertum, dem amtlichen Organ der Deutschen Arbeitsfront, eine bebilderte Reportage mit dem Titel "Ordensburg der Arbeit - Das Volkswagenvorwerk Braunschweig weist neue Wege der Lehrlingsausbildung" (Adam 1939). Die Reportage entdeckt im Braunschweiger Volkswagenvorwerk "an allen Ecken und Enden Parallelen, die ei- nen immer wieder an den Dienstbetrieb auf den Ordensburgen erinnern" (Adam 1939, S. 6): Die Unterbringung der Jungen in Kameradschaftshäusern, die ausgiebi- ge sportliche Betätigung und nicht zuletzt die von der HJ durchgeführte welt- anschauliche Schulung. Das Volkswagenwerk gehörte bekanntlich der Deutschen Arbeiterfront, die aus- serdem die Bank der Deutschen Arbeit, einen Versicherungskonzern mit einem Dut- zend Einzelgesellschaften, über 30 Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften, 17 größere Verlags- und Druckereibetriebe und diverse wirtschaftliche Unternehmen besaß. Im VW-Werk trat die DAF also als Lehrherr auf und zwar mit folgendem An- spruch: "Es soll der freien Wirtschaft hier beispielhaft gezeigt werden, daß die von der DAF vertretenen Ansichten über wirklich zweckmäßige Berufsausbildungsme- thoden nicht nur graue Theorie sind, sondern, mustergültig in die Praxis umgesetzt, große Erfolge zeitigen" (Adam 1939, S. 7). Wie diese "mustergültige" Berufsausbildung aussah, sollen einige Schlaglichter erhellen: die Informationen entstammen der Hauszeitschrift Elternbriefe, Mitteilun- gen des Ausbildungswesens an die Eltern unserer Lehrlinge.5 Zu den Aufgaben des VW-Vorwerks, zur Auswahl und Ausrichtung der Lehrlin- ge und zur praktischen Werkstattausbildung einige Bemerkungen. Das Vorwerk rechtfertigte seinen Namen in zweifacher Hinsicht: Es diente zur Herstellung von Spezialwerkzeugen und Einrichtungsgegenständen für das Hauptwerk und hatte in erster Linie durch eine systematische Berufserziehung für den gesamten Facharbei- temachwuchs des Hauptwerkes zu sorgen. Sorgfältige Auswahl, Erziehung und Aus- richtung der künftigen Gefolgschaftsmitglieder des Hauptwerkes war demnach die Hauptaufgabe des Vorwerks. Die Auswahl der Lehrlinge erfolgte nach besonderen, im Einvemehmen mit dem Amt für Berufserziehung und Betriebsführung aufge- 306 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung stellten Grundsätzen, in Zusammenarbeit mit der Reichsjugendführung, dem Arbeitsministerium und dem Jugendamt der DAF. Um die Lehrlinge von vornherein an die spätere Gemeinschaft zu gewöhnen und sie auf die zukünftige Aufgabe vorzubereiten, wurden sie vor ihrer Eingliederung in die Lehrwerkstatt für 4 - 6 Wochen in HJ-Lagern zusammengefaßt. Während dieses Lageraufenthalts hatten sich die Lehrlingsanwärter der Robinson-Einfachstschulung für Holz und Eisen zu unterziehen. Auch regelmäßige theoretische Unterweisungen gehörten zum Tagesprogramm des Lagers. Zunächst durchliefen alle Lehrlinge in der Werkstatt den Grundlehrgang des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung "Eisen erzieht". Alle Lehrlinge, ganz gleich, in welchen Beruf sie später eingegliedert werden sollten, erhielten also eine Grundausbildung. Danach, also normalerweise etwa ein halbes Jahr nach An- tritt der Lehre, wurde für jeden einzelnen Lehrling anband seiner bis dahin erreich- ten Leistungen in Werkstatt und Schule und soweit möglich unter Berücksichtigung seines Berufswunsches der endgültige Beruf festgelegt. An Lehrberufen waren vor- gesehen: Maschinenschlosser, Werkzeugmacher, Dreher, Schmied, Elektro-Installa- teur, Feinblechner, Schweißer, Universalfräser, Feinschleifer, Härter und Tischler. Die Lehrzeit war laut Lehrvertrag auf drei Jahre festgesetzt. Davon dienten die ersten zwei Jahre der reinen Werkstattausbildung im Vorwerk, während die Lehrlin- ge im 3. Lehrjahr in den Fertigungsbetrieben des Hauptwerkes in Fallersleben die Ausbildung in der eigentlichen Fertigungsarbeit erhielten. Obwohl die Lehrlinge im 3. Lehrjahr tagsüber im Hauptwerk arbeiteten, sollten sie im übrigen aber in der Lehrlingsgemeinschaft des Vorwerkes verbleiben, d.h. wie vorher in den Heimen wohnen, die Werkberufsschule besuchen, und in ihrer Freizeit betreut werden. Wel- chen Charakter die "Freizeitbetreuung" hatte, verschweigen die Eltembriefe nicht: Dort heißt es unmißverständlich: "Ordnung läßt sich in einer solch größeren Le- bensgemeinschaft natürlich nur bei strengster Zeiteinteilung und straffer soldati- scher Führung aufrecht erhalten. So wird das ganze Leben in den Heimen beherrscht durch den jeweiligen Dienstplan" (Müller 1939, S. 10). Zur Illustration des Dienstplans genügen wenige Stichworte: Wochenappell der Gesamtbelegschaft mit Verkündigung des Wochensinnspruchs und kurzer Morgen- feier, allmorgendliches Flaggenbissen, Formationsdienst und Heimdienst, Antreten vor dem Marsch zur Werkstatt und zum Essen. Abends und an Wochenenden gab es Aufmärsche, Gelände- und Schießübungen, Sportveranstaltungen, Heimabende und Schulungen. "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 307 Vom Wecken um 5.30 Uhr bis zum Zapfenstreich um 21.00 Uhr konnte der VW- Lehrling über ganze 1 1/2 Stunden Freizeit verfügen, die ihm in drei halbstündigen Portionen nach dem Mittagessen, Kaffeetrinken und Abendessen gewährt wurden. Zwei Sonntage im Monat waren dienstfrei. Die tonangebenden Ausbilder im VW-Vorwerk waren davon überzeugt, ein "perfektes", auf "Ganzheitserziehung des Lehrlings" und Formung eines "neuen deutschen Facharbeitertyps " ausgerichtetes Ausbildungswesen zu betreiben; dazu ein letztes Zitat: "Besonders wichtig ist der Tagesplan für die einheitliche Ausrich- tung der Erziehungsarbeit im Ausbildungswesen. Und hier liegt der ganz besondere Vorzug, den ein Heimbetrieb mit seinen Möglichkeiten für eine Ganzheitserziehung des Lehrlings gegenüber allen Ausbildungsbetrieben mit reiner Lehrwerkstatt- ausbildung bietet. Die gesamte Freizeitbeschäftigung der Lehrlinge kann planmäßig der beruflichen Weiterbildung wie auch der Gemeinschaftsarbeit dienstbar gemacht werden. Allwöchentliche Besprechungen zwischen dem zuständigen HJ-Führer, der zugleich Heimführer ist, und dem Ausbildungsleiter dienen der Festlegung des Wochendienstplanes. In enger Gemeinschaftsarbeit werden so alle weltanschau- lichen, erzieherischen und beruflichen Gesichtspunkte ausgerichtet auf das große Ziel: den neuen deutschen Facharbeitertyp zu formen" (Müller 1939, S. 12). Die Verknüpfung von fachlicher Qualifizierung und soldatischer Erziehung wur- de im zeitgenössischen berufspädagogischen Schrifttum mit geradezu gebetsmüh- lenhafter Ausdauer proklamiert; daß diese Verknüpfung auch in der Berufserzie- hungspraxis vollzogen wurde, sollten die drei zuletzt genannten Beispiele "perfek- ter" Facharbeiterausbildung deutlich machen. Wenn dabei der Gesichtspunkt der "perfekten" Gehorsamserzeugung zu kurz gekommen sein sollte, so mag dieser Mangel zum Schluß mit einem Zitat aus der Bildreportage "Ordensburg der Arbeit" behoben werden. In einer Bild-Überschrift - das Bild zeigt, wie so viele aus dieser Zeit, fröhliche Gesichter - heißt es da: "Beim Marsch zur Arbeit oder auch zum Essen wird angetreten. Es ist ein Zeichen für den guten Geist, der hier herrscht, daß dies sowohl zum einen als auch zum anderen Zwecke mit gleich froher Freude und schneller Bereitschaft geschieht" (Adam 1939, S. 6). 308 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 11.8 Rassische "Perfektionierung": Die "Entjudung" der Berufsausbildung Das im Frühjahr 1933 erlassene "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbe- amtenturns" vom 7. April 1933 (RGBl., I, 1933, S. 175f.) leitete im gesamten Be- hördenapparat und damit auch in den Berufsschulen eine "Säuberungswelle" ein, der Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten und andere unliebsame Gruppen zum Opfer fielen. Diese "Säuberungen" des Lehrkörpers sind in den Studien von Seu- bert und Wolsing erwähnt (vgl. Seubert 1977; Wolsing 1977); wir verfügen aller- dings bis heute über keine Zahlenangaben, die Auskunft über die Versetzung in rangniedrigere Ämter und über die zwangsweise entlassenen Berufsschullehrer ge- ben. Ebensowenig verfügen wir bislang über Informationen, die den Umfang des ras- sistischen Berufsverbots für betriebliche Berufsausbilder erhellen: Juden war die Mitwirkung an der Berufsausbildung untersagt und selbst Personen, die mit einer Jüdin verheiratet waren, durften nicht als Ausbildungspersonen eingesetzt werden (vgl. Pätzold 1980, S. 296f.). Hat sich die berufspädagogische Historiographie mit der "Entjudung" der Be- rufsschullehrerschaft und der Betriebsausbilderschaft nur beiläufig beschäftigt, so sind die "Sonderrechte", die jüdische Jugendliche aus der Berufsausbildung herausdrängten, bislang noch gar nicht in den Blick gekommen. Die folgenden Ausführungen sollen dazu anregen, sich diesem dunklen Kapitel deutscher Berufserziehungsgeschichte zuzuwenden. Sie beanspruchen nicht mehr zu sein, als ein erster Hinweis auf gesetzliche Bestimmungen und Maßnahmen, denen in detaillierten regionalgeschichtlichen Studien nachzugehen wäre. An dieser Stelle kann auf den differenzierten Komplex von Verfolgung und Aus- wanderung, Deportation und Vernichtung der Juden nicht eingegangen werden. Auch kann die Entjudungs- und Arisierungspolitik, die die Juden aus der Wirtschaft des Dritten Reiches herausdrängte, ihnen Vermögenswerte und Rechtstitel entzog, nicht in wünschenswerter Breite entfaltet werden. Ebensowenig kann die arbeits- rechtliche "Sonderbehandlung " der Juden, ihre soziale Entrechtung und ihre Aus- grenzung durch die verschiedenen Berufsverbände ausführlich dargestellt werden (vgl. dazu: Blau 1965; Gamm 1979; Walk 1981). Die "Entjudung" der Berufsausbildung gelang zügig und nahezu "perfekt" in den akademischen Berufen, deren Zugangswege staatlicher Kontrolle und Steuerungsmöglichkeit unterlagen. So schloß ein Runderlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1935 Juden von der AusbiI- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 309 dung zu Gewerbelehrern und Gewerbelehrerinnen aus (E IV 9253 - DWEV 1935, S. 368f.). In den hier in Rede stehenden nicht-akademischen Berufen vollzog sich der Ausgrenzungsprozeß weniger gradlinig und zumindest in den ersten Jahren des Drit- ten Reiches keineswegs reichseinheitlich: In der Praxis fanden sich regional unter- schiedliche Handhabungen rassistischer Berufsverbote. Das sei kurz belegt: Am 7.8.1936 wurde in einem Runderlaß des Reichswirtschaftsministers (RMW IV 17198/36) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seinerzeit keine gesetzlichen Be- stimmungen über den Ausschluß von Juden von Kaufmannsgehilfenprüfungen be- standen hätten. Aber bereits einen Monat zuvor, am 4.7.1936, hatte die Badische In- dustrie- und Handelskammer jüdische Lehrlinge von der Gehilfenprüfung ausge- schlossen (vgl. Walk 1981, S. 166). Nach den als "Kristallnacht" bekannt gewordenen November-Pogromen des Jahres 1938 beschleunigten und verschärften sich die antisemitischen Maßnahmen, die zudem reichseinheitlich angeordnet wurden: Am 9.12.1938 bestimmte der Reichswirtschaftsminister im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, "daß Ju- den zu den gesetzlichen Prüfungen der Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern nicht zuzulassen sind" (RMW III SW 18649/38). Kurz zuvor, am 12.11.1938, hatte der Beauftragte für den Vierjahresplan die "I. Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" erlas- sen, die Juden vom 1.1,' 1939 an den Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie den selbständigen Betrieb eines Handwerks untersagte (RGBl. I. 1938, S. 1580). Die "Entjudung" der betrieblichen Berufsausbildung wurde am 31.10.1941 mit der "Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden" (RGBl. I. 1941, S. 681) perfektio- niert: § 13 dieser Verordnung besagt: "Juden dürfen nicht als Lehrlinge oder An- lernlinge vennittelt oder beschäftigt werden". Damit war der Höhepunkt einer Entwicklung erreicht, die bereits kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung einsetzte und hier nur mit drei Dokumentenauszügen aus dem Jahre 1934 illustriert werden soll: Das Reichswirt- schaftsministerium stellte in einem Schreiben vom 8.1.1934 fest: "Es besteht kein Gesetz, das Nichtarier von der Annahme als Handwerkslehrlinge, von der Zugehö- rigkeit zu berufsständischen Organisationen oder von Arbeiten für staatliche oder städtische Behörden ausschließt" (zit. nach Walk 1981, S. 67). Dieser Hinweis dar- auf, daß für den Ausschluß von Juden die gesetzliche Grundlage (noch) fehle, ver- mochte indessen einige übereifrige uandwerks- und Industrie- und Handelskam- 310 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung mem nicht davon abzuhalten, den Antisemitismus weiter zu schüren. Am 1.11.1934 empfahl die Handwerkskammer Halle in einem Rundschreiben: "Wir betrachten es als selbstverständlich, daß das Handwerk Juden als Lehrlinge nicht einstellt. Wir bit- ten, die an Sie ergehenden Anfragen in diesem Sinne zu beantworten" (zit. nach Walk 1981, S. 96). Der Präsident des Bundes Deutscher Friseure gab am 12.12.1934 ein geheimes Rundschreiben mit eindeutigen Empfehlungen heraus: " ... Auf verschiedene Anfra- gen betr. Abnahme der Prüfung von Juden teile ich mit, daß nach den gesetzlichen Bestimmungen wohl keine Möglichkeit besteht, einen Juden offiziell von der Auf- nahme als Lehrling und dann, wenn er im Beruf ist, ihn von der Teilnahme an der Prüfung auszuschließen. Andererseits teile ich ... mit, daß es selbstverständlich kei- nem deutschbewußten Meister zugemutet werden kann, daß er die Prüfung einem Juden abnimmt. In solchen Fällen muß selbstverständlich ein die Prüfung ablehnen- der aufrichtiger deutscher Handwerksmeister durch einen sich dafür bereitfindenden "Ersatzmann" ersetzt werden" (zit. nach Walk 1981, S. 99). - Soviel zur "Entju- dung" der betrieblichen Berufsausbildung. Das Herausdrängen jüdischer Lehrlinge aus der Berufsschule wurde ebenfalls stufenweise perfektioniert: Zunächst wurden sie mit numerus clausus belegt (vgl. Walk 1981, S. 86), dann wurde die "Einrichtung von Sonderklassen für jüdische Schüler an Berufsschulen" empfohlen (vgl. Walk 1981, S. 185) und schließlich wur- den Juden vom Berufsschulbesuch ausgeschlossen. Dieser Ausschluß vollzog sich in zwei Phasen, deren erste durch Satzungsänderungen einzelner Schulträger eingelei- tet und deren zweite schließlich reichseinheitlich angeordnet wurde. Zwei Doku- mente mögen hier als Belege genügen: Am 22. August 1937 wurde in der Umschau der berufspädagogischen Zeitschrift Die Deutsche Berujserziehung, Ausgabe A, folgendes berichtet: .Jübiscbe hbrlinge in ber ~trufsscbu(e. ~ie ~tabt ~trforb i. w. bat rint änberung btr ~at;ung übtr bie ~erufsscbulpflicbt borgenommen. naev wtlever in lukunft jübiscvt ~cbüler nievt mtbr in ber ~erufsscvule unterricvtet werben. 3Jn ber .egrunbung beil?t ts: Qes kann btutscvtn Jungen unb jf{äb- eben. bit in btr .eruf.5scvult ;u fast 100 lBro;tnt btr ~itltr-Jugtnb b;w. btm JSJ)jf{. angtvören. nievt ;ugemutet wtrbtn. baI? sie mit Jubtn in eintr JRlassengtmeinsebaft bereinigt am 'lBnterrievt ttilnebmen. QebtnfallS kann btn 'I.tbrkräfttn an btn ~cbultn niebt ;ugtmuttt werbtn. in ibrtm ~nttrricbtsstoff unb in ber ~rt ber ~arsttUung ltück- siebt auf ein ober ;wei Juben in ber JRlaSSt ;u ntVmtn. "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 311 )Bit «r;itbung btr 3'ugtnb im nationa15o~ialististbtn ~tist htbingt ts, ba~ nitbt nur in btr sogtnannttn ß,taatshürgtrkunbt bas nationa15o~ialististbt ~tbanktngut an bit 1u- gtnb btrangttragtn wirb, sonbtrn btr gtsamtt 'lMnttrritbt mu~ bauon burtbbrungtn stino (Quelle: Die Deutsche Berujserziehung A 52 (1937), S. 3(0) Diese Mitteilung erschien mehr als ein Jahr vor der sogenannten "Reichs- kristallnacht" vom 9. zum 10. November 1938, die eine Verschärfung der antisemi- tischen Maßnahmen einleitete. Auffällig ist, daß die Begründung, mit der die Stadt Herford im Sommer 1937 die jüdischen Lehrlinge vom Berufsschulbesuch aus- schloß, nahezu wortgleich mit jener ist, die am 15. November 1938 Juden im ge- samten Deutschen Reich den Besuch deutscher Schulen untersagte: "Nach der ruchlosen Mordtat von Paris kann es keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unter- richt zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen. Die Ras- sentrennung im Schulwesen ist zwar in den letzten Jahren im allgemeinen bereits durchgeführt, doch ist ein Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen übriggeblieben, dem der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mä- deln nicht weitergestattet werden kann. Vorbehaltlich weiterer gesetzlicher Regelun- gen ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an: 1. Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet. Sie dürfen nur jüdische Schulen besuchen. Soweit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchenden JÜ- dischen Schüler und Schülerinnen sofort zu entlassen ..... (DWEV 1938, S. 520f.) . Zweierlei ist an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen. Zum einen, daß in Berlin als ehemaliger Reichshauptstadt vor der Nazi-Zeit etwa ein Drittel der deutschen Ju- den lebte. Und noch etwas: Von Berlin ging die Verfolgung der Juden aus, hier wur- den die rassistischen Gesetze beschlossen, die die Voraussetzung für die spätere systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung schufen. Vielleicht trägt dieser Versuch der Wiedererinnerung dazu bei, daß dieses dunkle Kapitel der Ausgrenzung, Verachtung, Verfolgung und Vernichtung in der berufspädagogischen Historiographie nicht länger verdrängt, verschwiegen und ver- gessen wird. 312 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 11.9.1 Anmerkungen 1 Rund ein Viertel aller Lehrlinge verfügte bis dahin über keinerlei Urlaub; 80 % aller Lehrlinge hatten bis zu 8 Tagen Urlaub. Gegen dieses magere Urlaubsbudget hebt sich die gesundheitspolitisch motivierte Erweiterung des nicht betriebs ge- bundenen Zeitbudgets der Jugendlichen deutlich ab: Das Jugendschutzgesetz vom 30. April 1938 sicherte den Lehrlingen unter 16 Jahren 15 Werktage, den über 16- jährigen 12 Werktage Mindesturlaub zu. 2 In einem Rückblick "30 Jahre Deutscher Ausschuß für Technisches Schulwe- sen (DATSch) e.y.", der im Mai 1938 in der Technischen Erziehung veröffentlicht wurde (TE 13 (1938), S. 73f.), wird diese Sichtweise ungeschminkt kundgetan: "Wenn der DATSch in den Jahren der Vorkriegszeit und insbesondere in der Systemzeit auf vielen Gebieten seine Bestrebungen nicht voll verwirklichen, son- dern zuweilen nur als verantwortungsbewußter Mahner auftreten konnte, der sich vielfach mit den Hemmungen mangelnder oder zersplitterter Staatsautorität ausein- anderzusetzen hatte, so wurden durch den nationalsozialistischen Staat und die da- mit begründete einheitliche Staatsführung die Voraussetzungen dafür geschaffen, unter denen diese Arbeiten sich zu vollem Wirkungsgrad entfalten konnten" (S. 74). 3 Wilhelm Heering, Leiter der "Abteilung für berufliches Ausbildungswesen" im Reichserziehungsministerium, beschreibt diesen Zusammenhang folgendermas- sen: "Am Ausgangs- wie am Endpunkt der Berufserziehung steht neben dem selbstverständlichen Ziel nationalsozialistischer Haltung das Berufsbild. Es enthält nicht nur die technischen Fertigkeiten und die wirtschaftlichen Kenntnisse, die nötig sind, sondern auch die charakterlichen, körperlichen, seelischen und geistigen An- forderungen, die an den Berufsangehörigen zu stellen sind. Nach dem Berufsbild ha- ben Berufsberatung, Berufswahl und Berufseignungsprüfung sich zu richten, nach ihm ist die Berufserziehung zu gestalten" (Heering 1937b, S. 63). 4 Besonders das DINTA hat in seiner Propaganda für die Werkberufsschulen ge- worben, weil es darin "eine ganz besonders auf die Zwecke der Industrie zuge- schnittene Ausprägung des allgemeinen Berufsschulgedankens" sah: "Die Werk- schule bietet die Gelegenheit, sowohl den Fachunterricht wie auch den Ergänzungsunterricht stärker den Bedürfnissen der praktischen, technischen Ar- beitsschulung anzupassen, als es allgemein die Berufsschule zu tun vermag" (Deut- sches Institut für technische Arbeitsschulung 1928, S. 5). 5 Den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Günter Wiemann. - Allein die Tat- sache, daß es ein solches Organ gab, in dem die Eltern über die Berufserziehungsar- "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 313 beit und die politisch-militärische Ausrichtung ihrer Söhne informiert wurden, ist bemerkenswert. Die Elternbriefe bildeten nicht nur ein Forum zur Selbstdarstellung der Mitarbeiter des Ausbildungswesens sowie zur namentlichen Vorstellung der be- sten Lehrlinge in Werkstatt und Werkberufsschule und zum Abdruck von begeister- ten Lehrlingsberichten, die dazu angetan waren, die weitere Nachwuchswerbung zu unterstützen - sie wurden auch dazu benutzt, elterliche Bedenken zu zerstreuen, die sich des öfteren an dem Gerücht entzündeten, den VW-Lehrlingen würde verboten, sonntags zur Kirche zu gehen. Bei den Eltern, denen diese Elternbriefe zugeschickt wurden, dürfte zumindest der Eindruck erweckt worden sein, über das, was ihren Söhnen in der Fremde widerfuhr, laufend informiert zu werden. Ziele der "ganzheit- lichen" Erziehung wurden unverblümt herausgestellt; so schreibt Ausbilder Davidi den "lieben Eltern", womit er in erster Linie die besorgten Mütter meinte: "Fern vom Elternhaus zu lernen, ist gewiß für den jungen Menschen eine harte Schule. Aber er lernt frühzeitig, seinen Mann zu stehen, und um das geht es uns. Denn wir wollen aus ihm einen gesunden, anständigen und tüchtigen Kerl machen, Deutsch- land braucht ganze Kerle" (Elternbriefe 2 (1939), Heft 1, S. 35). 6 Die "ruchlose Mordtat von Paris" ist ein Attentat gewesen, das den Nazis als willkommener Vorwand diente, neue antisemitische Maßnahmen einzuleiten. Das Attentat selbst war eine Reaktion auf die von der SS am 28. Oktober 1938 eingelei- tete Massendeportation von 17.000 ehemals polnischen Juden, die zwischen 1918 und 1933 in Deutschland eingewandert waren. Die SS hat diese "Ost juden" an die Grenze geschafft, um sie nach Polen "abzuschieben". Da die polnische Regierung diese Menschen nicht aufnehmen wollte, mußten sie unter freiem Himmel im Nie- mandsland kampieren. Unter diesen "Ost juden " befand sich das aus Hannover deportierte Ehepaar Grynszpan, dessen siebzehn jähriger Sohn Herschel sich seiner- zeit in Paris aufhielt und vom Schicksal seiner Eltern erfuhr. Mit einer Pistole be- waffnet, verlangte Herschel Grynszpan am 7. November 1938 in der Deutschen Botschaft, einen Diplomaten zu sprechen. Der als Racheakt für das Schicksal seiner Eltern geplante politische Mord, der dem Botschafter galt, traf den Legations- sekretär Ernst vom Rath. Dieses Attentat kam den braunen Machthabern sehr gele- gen; es war der unmittelbare Anlaß für Goebbe/s, am Abend des 9. November vor den in München zur Erinnerung an den "Marsch zur Feldherrnhalle" - den miß- glückten Putschversuch der Nazis im Jahre 1923 - versammelten höheren SA- und Parteiführern eine zügellose antijüdische Hetzrede zu halten, die in derselben Nacht die unter dem Namen "Reichskristallnachf' bekannten Pogrome auslöste. Mit ihnen begann zugleich eine Verschärfung der antisemitischen Maßnahmen, die die Juden immer weiter aus dem bürgerlichen Leben Deutschlands ausschlossen. (dazu s. Mairgünter 1987, ThalmannjFeinermann 1987). 314 "Perfektionierung" der industriellen Berufsausbildung 11.9.2 Literatur Abel, Heinrich: Das Berufsproblem im gewerblichen Ausbildungs- und Schulwesen Deutschlands (BRD). Braunschweig 1963. Adam, E.: Ordensburg und Arbeit. In: Arbeitertum 9 (1939), Folge 5, S. 6f. Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront: Deutsche Musterbe- triebe. Stuttgart/Berlin o.J. Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront: Die Deutsche Ar- beitsfront. Wesen - Ziel- Wege. Berlin 1943. Arnhold, Karl: Eisen erzieht. In: Arbeitertum 3 (1933), Folge 15, S. 20 u. 22. Arnhold, Karl: Die Lehrwerkstätte. Planung, Errichtung und Führung. Berlin 1937 (a). Arnhold, Karl: Die Lehrwerkstatt als Exerzierplatz des praktischen Lebens. In: Ar- beitsschulung 8 (1937), S. 27-34 (b). 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Die Anfänge der Facharbeiterausbildung im VW-Vorwerk Braunschweig 12.1 Braunschweig als Stätte nationalsozialistischer Erziehungsarbeit 321 Braunschweig wurde in der NS-Zeit gelegentlich als "Stadt der deutschen Ju- gend" (Schuchardt 1939,38) bezeichnet, weil in seinen Mauem die SS-Führerschu- le, die Reichsakademie für deutsche Jugendführung und die Reichsführerinnenschu- le des BDM untergebracht waren. Außerdem waren mit der Reichshandwerker- schule, der Führerschule des Reichsarbeitsdienstes, der Gausportschule des Deut- schen Reichsbundes für Leibesübungen und der Bernhard-Rust-Hochschule für Leh- rerbildung weitere Erziehungseinrichtungen vorhanden, die Braunschweigs beson- deren Ruf als "Stätte nationalsozialistischer Erziehungsarbeit" (Schuchardt 1939) begründeten. Dieser Ruf wurde durch die im Herbst 1938 in Betrieb genommene "Ordens- burg der Arbeit" bestätigt und gefestigt: Mit der Errichtung und Inbetriebnahme des VW-Vorwerks1 erweiterte sich die Palette der Braunschweiger Ausbildungsstätten, die während der NS-Zeit mit besonders elitären Ansprüchen auftraten. Diese An- sprüche dokumentierten nicht zuletzt die begeisterten bis überschwenglichen Be- richte in der Braunschweiger Tagespresse: Die Braunschweiger Tageszeitung vom 15. September 1938 berichtet, daß in Braunschweig eine neue "Erziehungsstätte in der Werkstatt" errichtet werde; die größte Lehrwerkstatt sei "zur Zeit im Braunschweiger Vorwerk der DAF-Wagenfa- brik Fallersleben im Entstehen, wie überhaupt das KdF-Wagenwerk die größte und beste Arbeitsschulung nicht nur des Reiches, sondern der ganzen Welt sein wird" (Erziehungsstätten in der Werkstatt. In: Braunschweiger Tageszeitung, 15.9.1938, S. 6). Der Braunschweiger Allgemeine Anzeiger vom 15./16. Oktober 1938 charakteri- siert das VW-Vorwerk als "eine Berufsausbildungsstätte, die ihresgleichen weder in Deutschland noch in der Welt hat" (Dr. Eberhard Moes: Die schönste Stadt - das größte Werk. In: Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger, 15./16. Oktober 1938, S. 7). Die Braunschweiger Neuesten NachrichtenjBraunschweiger Landeszeitung vom 16. September 1938 heben hervor, daß zur Herausbildung des "neuen Typs des deut- schen Facharbeiters" im VW-Vorwerk "auf einzigartige und vorbildliche Weise in 322 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" engstem Zusammenwirken von Männern der unmittelbaren Praxis, von technischen Lehrkräften und Wissenschaftlern ein Höchstmaß an Menschenführung und Betreu- ung erreicht wird" (Lehrlinge ziehen heute ins Vorwerk. In: Braunschweiger Neue- ste Nachrichten/Braunschweiger Landeszeitung, 16. September 1938, S. 9). Die vorstehend zitierten drei Berichte aus der Braunschweiger Tagespresse bele- gen, daß mit der Errichtung und Inbetriebnahme des VW-Vorwerks eine Ausbil- dungsstätte mit besonders elitärem Anspruch sich den bereits bestehenden Braun- schweiger Ausbildungsstätten hinzugesellt hatte. Aber nicht nur in der Braunschwei- ger Tagespresse sondern auch in der überregionalen zeitgenössischen Propaganda wurde das VW-Vorwerk Braunschweig als Paradebeispiel für die Facharbeiteraus- bildung nach den Grundsätzen der Deutschen Arbeitsfront herausgestellt. 12.2 Das Ziel der VW-Facharbeiterausbildung: Der "neue" deutsche Facharbeiter, der "Soldat der Arbeit" Die Facharbeiterausbildung im Volkswagenvorwerk Braunschweig verknüpfte fachliche Qualifizierung mit soldatischer Erziehung, um auf diese Weise den "neuen deutschen Facharbeitertyp" zu formen: Die relativ anspruchsvolle werkberufsschu- lische und lehrwerkstattmäßige Metall-Facharbeiterausbildung nach anerkannten Berufsbildern und anband verbindlicher Ausbildungsrichtlinien war verknüpft mit weltanschaulicher Schulung nach nationalsozialistischen Grundsätzen, mit ausgiebi- gem sportlichen Training und soldatischem Gelände- und Ordnungsdienst in den von der Hitler-Jugend (HJ) betreuten Lehrlingsunterkünften. Der gesamte Lebens- und Ausbildungsbereich der Jugendlichen war gegen die Umwelt kasernenmäßig abgeschlossen und nach rigiden Dienstplänen organisiert: Das totalitäre System bediente sich zur Zurichtung des Facharbeiternachwuchses "totaler Institutionen". Vergleichbare "Ganzheitserziehung " im Bereich der industriellen Facharbeiter- ausbildung gab es - soweit wir bis heute herausgefunden haben - nur noch in der Schiffbauindustrie, soweit sie in den SA-Berufsschulen stattfand (vgl. Kipp 1980a), und in der Luftwaffenrüstungsindustrie (vgl. Kipp 1980b). Auf dem Wege sogenannter "kameradschaftlicher Gemeinschaftserziehung" sollten "junge Männer zu hochwertigsten Facharbeitern, ja man kann schon sagen, zu 'Facharbeiterführern'" (Adam 1939, S. 6) herangebildet werden. Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 323 In der neuen Wortschöpfung "Facharbeiterführer" deutete sich eine Perspektive an, die alsbald Realität werden sollte, nämlich, "daß die heutigen Lehrlinge in Braunschweig nach abgeschlossener Ausbildung im Hauptwerk Fallersleben als Facharbeiter zur Führung der noch anzulernenden Arbeitskräfte eingesetzt werden" (Adam 1939, S. 7). Das VW-Werk hat die "Facharbeiterführer" als deutsche Stammbelegschaft, als "Träger seines Produktionssystems" herangezogen2. Unter den restriktiven Bedingungen der Kriegswirtschaft, die eine Beschaffung qualifizierter Arbeitskräfte nahezu unmöglich machte, bildete die Verfügbarkeit der "Facharbeiterführer" bzw. "Unterführer" die Voraussetzung dafür, ausländische Zi- vilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge einzusetzen. Wie, in welchem Um- fang und unter welchen Bedingungen das im Volkswagenwerk zwischen 1939 und 1945 geschah, ist von Klaus-Jörg Siegfried beschrieben und dokumentiert worden (Siegfried 1987 und 1988). Die tonangebenden Ausbilder im VW-Vorwerk waren davon überzeugt, ein "perfektes", auf "Ganzheitserziehung des Lehrlings" und Formung eines "neuen deutschen Facharbeitertyps " ausgerichtetes Ausbildungswesen zu betreiben: "Besonders wichtig ist der Tagesplan für die einheitliche Ausrichtung der Erzie- hungsarbeit im Ausbildungswesen. Und hier liegt der ganz besondere Vorzug, den ein Heimbetrieb mit seinen Möglichkeiten für eine Ganzheitserziehung des Lehr- lings gegenüber allen Ausbildungsbetrieben mit reiner Lehrwerkstattausbildung bie- tet. Die gesamte Freizeitbeschäftigung des Lehrlings kann planmäßig der berufli- chen Weiterbildung wie auch der Gemeinschaftsarbeit dienstbar gemacht werden. Allwöchentliche Besprechungen zwischen dem zuständigen HJ-Führer, der zugleich Heimführer ist und dem Ausbildungsleiter dienen der Festlegung des Wochendienst- planes. In enger Gemeinschaftsarbeit werden so alle weltanschaulichen, erzieheri- schen und beruflichen Gesichtspunkte ausgerichtet auf das große Ziel: den neuen deutschen Facharbeitertyp zu formen" (Müller 1939b, S. 12). Über das, was den "neuen" deutschen Facharbeiter vom herkömmlichen Fach- arbeiter unterschied, wird im folgenden noch mancherlei mitgeteilt. Eine augenfälli- ge Differenz zeigt sich, wenn man das Lehrvertragsmuster der VW-Lehrlinge ver- gleicht mit den in der gewerblichen Wirtschaft seinerzeit gebräuchlichen Lehrver- tragsmustern: Während deren erste Seite neutral gehalten war, zierte den VW-Lehr- vertrag das folgende Merkwort: "Leistung ist Kampf und Kampf ist das Leben. Dein Leben gehört Deutschland ... 324 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Dieses Merkwort auf dem VW-Lehrvertrag artikuliert ohne Umschweife den Verfügungsanspruch des Nazi-Regimes über den einzelnen VW-Lehrling. Der zwei- te Satz ist Ausdruck der nationalsozialistischen Maßlosigkeit, die über den einzel- nen, seine Individualität, sein Leben und Werk verfügt. Der Satz erinnert an die Nazi-Parole: "Du bist nichts - Dein Volk ist alles!" Der erste Satz faßt den Kern der nationalsozialistischen Weltanschauung zusammen, der besagt: Das Leben ist Kampf! Hitlers Bekenntnis- und Programmschrift "Mein Kampf" - gewissermaßen die nationalsozialistische Bibel und mit nahezu 10 Millionen Exemplaren zur damali- gen Zeit das nach der Bibel am weitesten verbreitete Werk der Weltliteratur - verrät schon im Titel, worauf es ankommt: eine militante, kämpferische Haltung einzuneh- men. Originalton Hitler: "Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht kämpfen will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht!" Den VW-Lehrlingen wurde mit dem Merkwort die Grundthese national- sozialistischer Weltanschauung vor Augen geführt, wonach der Kampf der Vater al- ler Dinge sein sollte. Der Präambel des VW-Lehrvertrags zufolge hatte der Betriebsführer als Lehr- herr "den Jugendlichen nicht nur für den Beruf fachlich auszubilden, sondern ihn im Geiste nationalsozialistischer Arbeitsauffassung zur ruckhaltlosen Dienst- und Einsatzbereitschaft für die Volksgemeinschaft zu erziehen" (Lehrvertrag für ge- werbliche Lehrlinge der Gesellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagens mbH, Vorwerk Braunschweig, S. 2). Außer in dieser markanten Floskel in der Präambel weicht der VW-Lehrvertrag auch noch im Vertragstext von den seinerzeit gebräuchlichen Vertragsmustem ab: als besondere Pflicht wurde dem Lehrherm auferlegt, "den Jugendlichen im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung zu erziehen" (ebda., S. 3), während der Lehrling sich vertraglich verpflichtete, "zu seinen Kameraden ein kamerad- schaftliches Verhältnis zu pflegen" (ebda., S. 4). Der "neue" deutsche Facharbeiter sollte in sich die Qualitäten des "Arbeits- kämpfers" und des "politischen Soldaten" vereinigen. Dr. Robert Ley, der Führer der DAF, hatte dafür die Formel vom "Soldaten der Arbeit" (Ley 1938; Arnhold 1942c) ausgegeben. Diese Formel wurde im VW-Werk häufig benutzt - bei den ri- Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 325 tualisierten Einschreibungs- und Freisprechfeiem bekam sie geradezu Gelöbnis- charakter; bei der Einschreibung rief der Sprecher: "Soldaten der Arbeit, Soldaten der Wende. Wir nehmen das Schicksal in unsere Hände. Wir spannen die Feder, wir treiben die Räder, ein jeder ist Kämpfer - ein Bruder ist jeder. Und jeder ein Kerl und ein Kamerad: so wächst die Nation - und so wächst die Tat. " (Huppertz 1943, S. 7). Und bei der Freisprechung lautete der Appell des HJ-Bannführers und Betriebsjugendwalters: "Durch Leistung, Arbeit und Disziplin wollen wir uns das Recht erwerben, froh und glücklich den stolzen Ehrentitel zu tragen: Soldaten der Arbeit im Großdeutschen Reich!" (0. Ver/. 1941, S. 19). In der Formel vom "Soldaten der Arbeit" ist gewissermaßen das betriebspäd- agogische Ziel des DINTA (Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung) zu- sammengefaßt, das 1925 auf Anregung und mit finanzieller Unterstützung der Schwerindustrie gegründet und von Karf Arnhold geleitet wurde. Arnhofd hatte der NSDAP seit 1930 beratend zur Seite gestanden und 1931 und 1932 in Gesprächen mit Hitler die Strategie der späteren Eingliederung abgesprochen; nach der Einglie- derung des DINTA in das "Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der Deut- schen Arbeitsfront" konnte Arnhold als dessen Leiter seine militaristische Berufs- und Betriebspädagogik konsequent weiter entfalten und Hitlers Leitbild des völki- schen Kämpfers berufspädagogisch umsetzen, so daß daraus der "Arbeitskämpfer", der "Soldat der Arbeit" wurde. Arnhold und seine Mitarbeiter haben während der NS-Zeit massenhaft Sprach- hülsen reproduziert, die Parallelen zwischen soldatischer und beruflicher Ausbildung, zwischen Kaserne und Betrieb. zwischen Truppenteilen und Arbeitsgruppen, zwischen Kampjverbänden und Betriebsbelegschaften, zwischen WajJenkampjund Arbeitskampf, zwischen WajJen-Soldaten und Arbeits-Soldaten zogen. 326 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Karl Arnhold war zweifellos der einflußreichste Berufspädagoge der NS-Zeit, der zugleich die ausgeprägteste Affinität zum Militärischen hatte. Er sah in der Schlosserei die "Infanterieschule des Lebens" und bezeichnete die Lehrwerkstatt als "Exerzierplatz des praktischen Lebens" (Arnhold 1937b). Das VW-Vorwerk Braunschweig führte, wie noch zu zeigen sein wird, Arnholds berufs- und betriebspädagogisches Programm weitgehend aus. Danach dürfte sich Berufserziehung nicht auf die Vermittlung fachlich-technischer Kenntnisse und Fer- tigkeiten beschränken, sondern sollte den "ganzen Menschen" erfassen. Weltanschauliche Schulung, sportliche Ertüchtigung und militärischer Drill ge- hörten ebenso dazu wie "Charakterschulung " unter gezielter Indienstnahme der Emotionen und permanenter Disziplinierungsforderungen. Der "Faktor Mensch" sollte durch "organische Betriebsgestaltung " und "richtige Menschenführung" dazu gebracht werden, bereitwillig alle Kraftreserven zu mobilisieren und in den Dienst der "Betriebsgemeinschaft" bzw. "Volksgemeinschaft" zu stellen. Das VW-Werk, von Hitler bereits bei der Grundsteinlegung als "ein Symbol der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft,,3 ausgegeben, eignete sich wie kaum ein anderer Betrieb dazu, mustergültige nationalsozialistische Berufserziehung in der Praxis vorzuführen. 12.3 VW-Werk als Beispiel mustergültiger nationalsozialistischer Berufserziehung Als Besitz der Deutschen Arbeitsfront war das VW-Werk geradezu prädestiniert, der Öffentlichkeit zu demonstrieren, wie der "neue" deutsche Facharbeiter zu for- men sei. Karl Arnhold, der Leiter des Amts für Berufserziehung und Betriebsführung in der Deutschen Arbeitsfront hat im Herbst 1937 ein Handbuch veröffentlicht, in dem Anregungen und Empfehlungen zur Planung, Errichtung und Führung von Lehr- werkstätten enthalten sind (Arnhold 1937). Bei genauem Hinsehen zeigt sich, daß die meisten Anregungen und die am wei- testen gehenden Empfehlungen in der Facharbeiterausbildung des VW-Vorwerks be- rücksichtigt wurden; auf einzelne besonders erwähnenswerte Beispiele wird noch hinzuweisen sein. Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 327 Die "Erziehung neuer deutscher Menschen in den Betriebsgemeinschaften " wurde als "eine lebenswichtige Grundlage für die Zukunft des nationalsozialisti- schen Deutschland" (Feld 1936, S. 3) verstanden. Zahllose Initiativen der DAF zur Mitgestaltung der Berufserziehungs- verhältnisse endeten in fruchtlosen Kompetenzstreitigkeiten, da der Führungsan- spruch der DAF auf angestammte Kompetenzen der "Wirtschaft" und des Reichswirtschaftsministeriums stieß (vgl. Seubert 1977, Wolsing 1977, Wolsing 1980). Insofern bot das VW-Werk der DAF die willkommene Gelegenheit, selbst als Lehrherr aufzutreten und ihre berufserzieherischen Überzeugungen praktisch zu er- proben (vgl. Eichenseher 1939; Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Ar- beitsfront 1943). Der Anspruch der DAF war auch in dieser Hinsicht keineswegs be- scheiden. Drei Passagen aus verschiedenen Zeitschriften sollen das belegen. Die Zeitschriften ihrerseits stehen für die wachsende publizistische Reichweite der Be- richterstattung über die VW-Facharbeiterausbildung: a) In einem Geleitwort, das die im Dezember 1938 erstmals erscheinende VW- Hauszeitschrift Elternbriefe einleitet, unterstreichen der Betriebsführer Friedrich Boyler und der Ausbildungsleiter Karl Friedrich Müller "die große nationale Auf- gabe, eine neue deutsche Facharbeiterschaft heranzubilden, die einmal in der ganzen Welt führend sein soll" und stellen den elitären Anspruch der VW-Facharbeiteraus- bildung offensiv zur Schau: "Aber eins wird unseren jungen Lehrlingen vom ersten Tage an klar geworden sein: daß sie hier in einem Werk Einzug halten durften, das nach seiner Fertigstellung alle bisherigen berufserzieherischen Einrichtungen und Möglichkeiten übertreffen wird" (Elternbriefe 1 (1938), Heft 1, S. 1). b) In der im Mai 1939 erstmals erscheinenden Volkswagenwerk-WerkzeitschriJt erläuterte der Ausbildungsleiter Karl Friedrich Müller die neuartige Berufserzie- hungsarbeit im Volkswagen-Vorwerk Braunschweig, für die er höchste Qualitätsan- sprüche reklamierte: Das VW-Werk sei mit modernsten Fabrikationsmitteln einge- richtet worden, "um den Erfordernissen der Zuverlässigkeit und der Billigkeit des Wagens gerecht zu werden. Diese Forderung bedingt nicht nur die besten Maschi- nen, die beste Organisation, das beste Material, sondern vor allen Dingen auch den Einsatz der besten Facharbeiter und der höchstqualifizierten Menschen" (Müller 1939a, S. 13). c) Im Juni 1939 veröffentlichte Erich Adam in der Zeitschrift Arbeitertum (dem amtlichen Organ der Deutschen Arbeitsfront) eine Bildreportage mit dem Titel "Or- 328 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" densburg der Arbeit". Die Reportage beschwört die "Pioniera;beit" des VW-Wer- kes bei der Heranbildung "hochwertiger Facharbeiter" und formuliert den daran ge- knüpften berufsbildungspolitischen Anspruch der Deutschen Arbeitsfront: "Es soll der freien Wirtschaft hier beispielhaft gezeigt werden, daß die von der DAF vertre- tenen Ansichten über wirklich zweckmäßige Berufsausbildungsmethoden nicht nur graue Theorie sind, sondern mustergültig in die Praxis umgesetzt, große Erfolge zei- tigen" (Adam 1939, S. 7). Soviel zu den berufsbildungspolitischen Ansprüchen. Wie stand es nun um die Einlösung dieser vollmundigen Programmatik? Dieser Frage wird in den folgenden Kapiteln nachgegangen. Zunächst ein Faktum: Die Ergebnisse der Facharbeiterprüfungen von Lehrlingen aus dem VW-Vorwerk fielen im Bezirk der zuständigen Industrie- und Handelskam- mer (IHK) Braunschweig positiv auf. Aus den verfügbaren Unterlagen geht hervor, daß sämtliche VW-Lehrlinge, die an Facharbeiterprüfungen teilnahmen, diese auch bestanden. Doch damit nicht genug: Von insgesamt 30 Lehrlingen, die im Frühjahr 1941 ihre Facharbeiterprüfungen vor der IHK Braunschweig "mit Auszeichnung" bestanden haben, waren 22 im VW-Vorwerk ausgebildet worden. Diese beachtliche Zahl der Auszeichnungen kann als Indikator für hohe Ausbildungsqualität gelten. In den Folgejahren - darauf ist später noch näher einzugehen - sank die Ausbil- dungsqualität und folgerichtig ging die Zahl der ausgezeichneten VW-Facharbeiter- prüflinge zurück: 1942 auf 10, 1943 auf 6. Die alljährlichen Freisprechungsfeiern in der KDF-Halle des VW-Vorwerks ga- ben der DAF Gelegenheit, die Vorzüge der VW-Facharbeiterausbildung öffentlich herauszustellen. Zu den Festrednern zählten regelmäßig der stellvertretende Be- triebsführer, der Ausbildungsleiter sowie der HJ-Bannführer und Betriebsjugend- walter, die unisono die in der Tat beachtlichen Ausbildungserfolge auf das Zusammenwirken der drei Faktoren "Lehrwerkstatt, Werkberufsschule und Hitler- Jugend" zurückführten. Beweiskräftiger als dieses hausinterne Lob für die Ausbildungsqualität ist frei- lich die öffentliche Anerkennung durch die IHK Braunschweig. Sie resultierte aus dem Umstand, daß das VW-Vorwerk die besten Ausbildungsergebnisse im IHK-Be- zirk vorweisen konnte. Nicht auf bloße Ansprüche hin also trat der Geschäftsführer oder der stellvertretende Präsident der IHK alljährlich bei der Freisprechungsfeier als Festredner auf und überreichte den ausgezeichneten Prüflingen Buchgeschenke. Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 329 Das öffentliche Lob führender IHK-Repäsentanten war gleichsam das von der VW-Ausbildungsleitung erstrebte berufspädagogische Gütesiegel - und dieses konn- te sich sehen lassen. Bei der zweiten Lehrabschlußfeier, am 9. Mai 1942, hob der Vertreter der IHK Braunschweig, Parteigenosse Oeding, in seiner Ansprache u. a. hervor: "Wieder hat es sich gezeigt, wie sehr der im Vorwerk verwirklichte Dreiklang von Lehrwerkstatt, Werkberufsschule und Lehrlingsheim geeignet ist, den jungen Menschen eine ideale Ausbildung zu geben" (0. Verj. 1942, S. 34). Und erläuternd führte er aus: "Das Geheimnis der Erfolge, die im Vorwerk er- zielt werden, liegt unter anderem auch in der hier in vollkommener Weise durchge- führten Gestaltung der Freizeit durch die Hitlerjugend. Der Junge lernt den Geist der Kameradschaft kennen und wird selbst zum Kameraden, denn wir wollen keine Einzelgänger, sondern Gemeinschaftsmenschen, die sich einordnen. Auch Spitzen- könner sind nichts ohne die anderen und erst dann können sie als ganze Kerle geI- ten, wenn sie es verstehen, ihre Kameraden mit emporzureißen zu höherer Leistung. Behaltet Braunschweig, behaltet das Vorwerk in guter Erinnerung! Ein Facharbeiter- brief vom Volkswagen-Vorwerk hat einen vortrefflichen Ruf. Der berufliche Weg ist euch daher in bester Weise geebnet" (0. Verj. 1942, S. 35). 12.4 Aufstiegsmöglichkeiten für VW-Lehrlinge: "Freie Bahn dem Tüchtigen!" Daß der berufliche Weg der VW-Facharbeiter auch manche Aufstiegs- möglichkeit eröffnete, wurde von den DAF-Propagandisten beflissen hinaus posaunt. Aufstiegsziele waren: Vorarbeiter oder Hilfsmeister, Meister, Techniker, Ingenieur, Ausbildungsleiter und Gewerbelehrer. Das Volkswagen-Vorwerk selbst offerierte vielfältige Aufstiegshilfen, die zum Teil schon von Lehrlingen wahrgenommen werden konnten: Die Teilnahme an ko- stenlosen freiwilligen Abendkursen zur Vorbereitung auf die Ingenieurschul-Auf- nahmeprüfung war VW-Lehrlingen gestattet, wenn sie gute Leistungen im normalen Unterricht der Werkberufsschule erbrachten. Zum Start auf die anderen Aufstiegsziele war allerdings Bedingung, daß zu- nächst die Facharbeiterprüfung abgelegt wurde. 330 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" In diesem Zusammenhang sind die Einrichtungen zu erwähnen, die eine qualifi- zierte Berufsausbildung begünstigen. Dazu gehörte vor allem die der Werkberufs- schule angegliederte Werkbücherei. Die Ausbildungsleitung des VW-Vorwerks verzeichnete "einen sehr hohen Be- nutzungsgrad" (Huppertz 1942, S. 42), der Werkbücherei die alles biete, "was ei- nem vorwärtsstrebenden Jungen wertvolles Rüstzeug sein kann" (Lüthge 1941, S. 42). Sie gliederte sich in Lehrlingsbücherei, Gefolgschaftsbücherei, Lehrerhandbü- cherei und Zeitschriften-Abteilung (vgl. Lüthge 1941; Huppertz 1942). Die Lehrlingsbücherei enthielt ihrerseits zwei Abteilungen, die für die damali- gen Verhältnisse geradezu einmalig ausgestattet waren: Die Lehrlings-Fachbücherei umfaßte 2.230 Bände, die Lehrlings-Unterhaltungsbücherei enthielt 1.320 Bände. Die Werkbücherei sollte die "Leistungsertüchtigung" der Gefolgschaft unter- stützen. Diesem Ziel diente auch das im VW-Vorwerk eingerichtete "Leistungser- tüchtigungswerk der DAF" sowie das "Begabtenförderungswerk der DAF" (Lüthge 1943). Das "Begabtenförderungswerk der DAF" veranstaltete zum Zwecke der Besten- auslese Gau- und Reichsausleselager, die dem tüchtigen Lehrling die Möglichkeit eröffnen sollten, "durch seine Leistung über seinen erlernten Beruf hinaus auch wirklich zu dem Arbeitsplatz aufzusteigen, der ihm kraft seines Könnens und seiner menschlichen Werte zu erreichen möglich ist" (Schröter 1942, S. 8). Am "Gauvorausleselager" nahmen alle VW-Lehrlinge teil, die ihre Facharbei- terprüfung "mit Auszeichnung" bestanden hatten. Wer den Anforderungen des ein- tägigen Gauvorausleselagers genügte, durfte an einem zehntägigen "Reichsauslese- lager" in der "Reichsschulungsburg" Erwitte bei Lippstadt teilnehmen und konnte auf eine vergleichsweise großzügige Förderung seiner weiteren Entwicklung rech- nen. In den VW-Werkszeitschriften ist mehrfach auf diese beruflichen Förderungs- und Aufstiegsmöglichkeiten hingewiesen worden - die Berichte sparen nicht mit Ei- genlob für das VW-Vorwerk; ein Beispiel mag genügen: "Vorwerk-Lehrlinge haben also viele Möglichkeiten zum Lernen und die großen Erfolge unserer ersten Lehrabschlußprüfung sowie die erfolgreiche Teilnahme am Gau- und Reichsausleselager der DAF haben gezeigt, daß unsere Jungen es verste- hen, diese Möglichkeiten weitgehend auszunutzen" (Lüthge 1941, S. 42.) Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 331 Das "Begabtenförderungswerk der DAF" brachte sich den VW-Lehrlingen täg- lich in Erinnerung - über dem Hauptausgang der Lehrwerkstatt, unter der als Blick- fang dienenden großen Uhr, war folgender Spruch angebracht: "Steig auf, so hoch Du kannst, es führen Sprossen weiter aus allem was Du sannst - wir halten Dir die Leiter!" (Elternbrieje 2 (1939), H. 2, S. 7; Schröter 1942, S. 9). Diese ständige Ermutigung zum beruflichen Aufstieg wurde durch wöchentlich erneuerte Sinnsprüche 4 ergänzt, die gut sichtbar an der sogenannten "Kommando- brücke" der Lehrwerkstatt befestigt waren; auch hier eine Kostprobe: "Trau Dir was zu, dann wirst Du auch etwas werden" (Elternbrieje 2 (1939), H. 2, S. 7). Die Empfehlung, wöchentlich wechselnde Sinnsprüche zu verwenden - und da- mit eine pseudo-sakrale Sinnstiftung bzw. Überhöhung der werktätigen Arbeit zu in- szenieren - geht auf Karl Arnhold zurück. Dieser hatte empfohlen, in den Berichtsheften wöchentlich wechselnde "Sinn- sprüche" von den Lehrlingen in Normschrijt anbringen zu lassen. Auch diese Emp- fehlung wurde im VW-Vorwerk aufgegriffen; in einem Beitrag, der den Lehrlingen die Bedeutung der wöchentlichen Berichte im Werkbuch erläutert, ist ein Wochen- bericht mit dem Sinnspruch "Nicht müssen, - sondern wollen" abgebildet (Schmidt 1942). In Arnholds Handbuch "Die Lehrwerkstätte " trägt das mustergültige Werkstatt- heft folgenden Sinnspruch: "Es gibt nur eine Parole, die uns der Führer gab, Es gibt nur eine Parole, der folgen wir bis ins Grab: 'Gehorsam und Treue'" (Arnhold 1937, S. 123). 12.5 Herkunft und Auswahl der VW-Lehrlinge Das VW-Vorwerk als eine der größten Ausbildungsstätten Deutschlands konnte seine Lehrlinge nicht in der näheren Umgebung des Standortes Braunschweig rekru- tieren, sondern war von vornherein darauf angewiesen, den Lehrstellenmarkt überre- gional auszugleichen und Lehrlinge aus sogenannten "Überschußgebieten" ab- 332 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" zuziehen. Die Lehrlingswerbung des VW-Vorwerkes erstreckte sich auf das gesamte Reichsgebiet: darüber berichtet der Ausbildungsleiter: "Wo wir später auch unsere Werbetrommel rührten, in Ostfriesland oder Westfa- len, in Oberschlesien oder im Rheinland, in Baden oder in der Ostmark - überall hat- ten wir den gewünschten Erfolg. Weit über die geforderte Zahl hinaus liefen Anmel- dungen bei den Arbeitsämtern ein, so daß unter den Bewerbern eine sorgfältige Aus- lese getroffen werden konnte. Denn es kam ja darauf an, eine Jungmannschaft aus- zumustern, die nicht nur fachlich, sondern auch charakterlich den Anforderungen ei- nes späteren 'Richtwerkes' gewachsen sein würde" (Müller 1941, S. 20). Die Auswahl der Lehrlinge erfolgte nach besonderen Grundsätzen, die im Ein- vernehmen mit dem Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der DAF in Zu- sammenarbeit mit der Reichsjugendführung, dem Arbeitsministerium und dem Ju- gendamt der DAF aufgestellt worden waren. Das Auswahlverfahren glich demjeni- gen zu den Ordensburgen und den Adolf-Hitler-Schulen (vgl. Adam 1939, S. 7). Die landsmannschaftliche Herkunft der VW-Lehrlinge wurde in hausinternen Berichten detailliert ausgewiesen. Der Rekrutierungsbereich für die VW-Lehrlinge erstreckte sich auf alle Gaue des Deutschen Reiches und dehnte sich mit dessen Gebietserweiterungen aus. So waren beim Lehrlingsjahrgang 1939 die "Grenzgebiete Aachen-Eschweiler, die Ostmark mit Tirol, die Bayrische Ostmark und der Sudetengau" hinzugekommen - "ziemlich alle Grenzgaue [wurden] zu 'Lieferanten für Volkswagenlehrlinge'" (Traphagen 1939, S. 15). Außerdem enthielt jeder Lehrlingsjahrgang ein Sonderkontingent von Auslands- deutschen (1938: 13; 1939: 19; 1941: 8; 1943: 7). Beim Lehrlingsjahrgang 1941 wa- ren sogar 8 Norweger als VW-Lehrlinge rekrutiert worden. Das Auswahlverfahren der zukünftigen VW-Lehrlinge gestaltete sich folgender- maßen: Der Lehrlingsanwärter hatte sich beim Vorwerk Braunschweig durch Aus- füllen eines Fragebogens zu bewerben. Die Fragebogen selbst wurden von den Be- rufsberatungs- und Lehrstellenvermittlungsstellen der regionalen Arbeitsämter, die für den Wohnort der Bewerber zuständig waren, ausgegeben. In der Regel wurde auch bei dem örtlichen Arbeitsamt eine Eignungsbegutachtung durchgeführt. Daß der Lehrlingsanwärter der Hitlerjugend angehörte, galt als selbstverständliche Vor- aussetzung. Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 333 Mehrere Lehrlingsberichte lassen den Schluß zu, daß das Auswahlverfahren sehr streng war: Alfred Greif, Werker Nr. 159 (Lehrlingsjahrgang 1938) berichtet: "Wir waren 2 von 80 Prüflingen aus Heidelberg, die die Aufnahme schafften" (In: Oldie- Treffen bei VW mit 180 Männern der ersten Stunde, Neue Presse, 5./6.3.88). Ihno Detmers (ebenfalls Lehrlingsjahrgang 1938), Werker Nr. 34, erinnert sich: "250 ostfriesische Jungs wollten bei VW Braunschweig lernen. 48 haben sie genom- men. Ich war dabei" (In: Das Buch, S. 81). Für die in der sozialhistorischen Forschung umstrittene Frage, ob die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland eher restaurative oder eher sozial- revolutionäre Wirkungen gehabt habe, liefert die Facharbeiterausbildung im Volks- wagenwerk Braunschweig, insbesondere die Rekrutierung und Auswahl der Lehrlin- ge, interessantes Argumentationsmaterial. Die Namensverzeichnisse der beiden ersten Lehrjahre (1938 und 1939) liegen mir komplett vor; sie weisen auffallend viele Kinder aus besonders kinderreichen Familien aus. Freilich hat es auch Einzelkinder unter den Volkswagen-Vorwerk- Lehrlingen gegeben und solche Jugendliche, die aus Familien mit 2, 3, 4 oder 5 Kin- dern stammten. Das Namensverzeichnis des Lehrjahres 1938 umfaßt 272 Namen: aus Familien mit 6 Kindern stammten dieser Liste zufolge 25 VW-Lehrlinge; aus Familien mit 7 Kindern waren es 14, aus Familien mit 8 Kindern 11, aus Familien mit 9 Kindern 7 Jugendliche. Jeweils 4 VW-Lehrlinge entstammten Familien mit 10 Kindern und 11 Kindern, 2 Jugendliche entstammten Familien mit 12 Kindern und 1 VW-Lehrling des Jahrgangs 38 entstammte einer Familie, die 13 Kinder hatte. Das zuvor kurz erläuterte Auswahlverfahren war der reguläre Rekru- tierungsweg. Daneben hat es offensichtlich in Ausnahmefällen die Möglichkeit des sogenannten Quer-Einstiegs gegeben; zumindest ist ein Fall bekannt, der hier er- wähnt werden muß. Dieser Fall ist dokumentiert in den von Reinhard Bein herausgegebenen Mate- rialien zur Landesgeschichte: Juden in Braunschweig 1900-1945. Es ist unmöglich, die abenteuerliche Lebensgeschichte des Salomon Perl an die- ser Stelle zu erzählen - Interessierte mögen sie selbst nachlesen. Ein paar Stichworte müssen hier genügen: Am 21. April 1925 in Peine geboren, wurde er als Jude 1935 von der Schule verwiesen. Das elterliche Schuhgeschäft in der Breiten Straße wurde demoliert und 1936 zog Salomon Perl mit seinen Eltern nach Lodz, wo die Famillie bis Kriegsbeginn 1939 zusammenblieb. Danach wurde die Familie getrennt: Salo- 334 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" mon Perl schlug sich weiter nach Osten durch und fand für 2 Jahre Aufnahme in ei- nem sowjetischen Waisenhaus in Grodno. Von dort floh er im Juni 1941 vor deutschen Truppen bis in die Gegend von Minsk, wurde gefangen genommen und entkam der Exekution, weil er sich als Volksdeutscher ausgab und damit eine Masken-Identität annahm, mit der er auch in Momenten höchster Gefahr geistesgegenwärtig und geschickt umzugehen verstand: Er hatte seine Ausweispapiere auf freiem Feld vergraben und gab sich als lose! Per- jell aus Grodno aus. Als losej, genannt "lupp" Perjell wurde er mit 16 Jahren Dolmetscher in der Stabskompanie der Panzerjägerabteilung der 12. Panzerdivision und zog mit dieser Einheit weiter auf dem Vormarsch nach Osten. Der Kompaniechef, Hauptmann von Münchhoj, war von seiner vorbildlichen Führung und Kampfmoral angetan und wollte lupp Perjell adoptieren; er veranlaßte die Freistellung des Minderjährigen von der Wehrmacht und seine Einweisung in das VW-Vorwerk. Weil er schon fast ein Jahr an der Front war, wurde lupp Perjell im VW-Vorwerk sogleich HJ-Scharführer. Diese außergewöhnliche Biographie gewährt zahlreiche Einblicke in die Praxis nationalsozialistischer Herrschaftstechnik und zeigt exemplarisch die Probleme ge- spaltener Identität. lupp Perjell war in der tragischen Situation, zwei Identitäten ausbilden und gegeneinander ausbalancieren zu müssen: mal war er sich bewußt, Jude zu sein, meist mußte er diese Identität hinter der Masken-Identität verstecken, die ihn als begeisterten Nationalsozialisten erscheinen ließ. Mitunter verwuchs er mit seiner Masken-Identität und verlor jede Distanz zum Nationalsozialismus, der ihn ja beständig gefährdete und den er deshalb eigentlich hassen mußte. Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" war er ständig gezwungen, seine jüdische Identität zu verbergen - er mußte sich zweimal im Jahr mit Ausreden von den ärztlichen Voll-Untersuchungen befreien lassen und mußte im Waschraum spe- zielle Techniken entwickeln, damit sein Beschnittensein nicht erkannt wurde. Aber nicht nur dieses eher äußerliche Management seiner verletzlichen und viel- fach auch beschädigten Identität war eine ständige Belastung - auch die inneren Identitätskonflikte mußten verborgen werden: Wer vermag zu ermessen, was es heißt, als Jude die Uniform eines HJ-Scharführers zu tragen, "Heil Hitler!" zu brül- len und zu grölen "Wenn das Judenblut vom Messer spritzt ... "? Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 335 Salomon Perl wanderte 1948 nach Israel aus; die hier stichwortartig referierten Notizen wurden im März 1988 verfaßt. Zwei Sätze daraus sind hier zu zitieren, die die Überleitung zum nächsten Abschnitt bilden sollen: "Diese Hitlerjungenzeit hat bis heute tiefe Spuren in mir hinterlassen. So etwas hinterläßt Spuren, die nie mehr ganz gelöscht werden können" (Salomon Perl [Shlomo Perel]: Ein jüdischer Hitler- junge. In: Bein, Reinhard (Hrsg.): Juden in Braunschweig 1900-1945. Materialien zur Landesgseschichte. 2. geänderte und erweiterte Auflage. Braunschweig 1988, 155-163, hier S. 163). Daß die Lehrzeit bei VW auch bei nicht jüdischen Lehrlingen Spuren hinterlas- sen hat, die bis in die Gegenwart wirksam sind, ist zu vermuten. Das mag eine nähe- re Betrachtung der "Formationserziehung " zeigen, in der die Spuren im wahrsten Sinne des Wortes "eingeschliffen" wurden. 12.6 Formationserziehung 1. Teil: HJ-Lager Um die Lehrlinge auf die spätere Gemeinschaft einzuschwören und sie auf das zukünftige Ausbildungsprogramm in der "Ordensburg der Arbeit" vorzubereiten, wurden sie vor ihrer Eingliederung in die Lehrwerkstatt für 4 bis 6 Wochen in HJ- Lagern zusammengefaßt. Wahrend dieses Lageraufenthaltes hatten sie sich der Ro- binson-Einfachstschulung für Holz und Eisen zu unterziehen5. Auch regelmäßige theoretische Unterweisungen gehörten zum Tagesprogramm des Lagers. Der Lageraufenthalt des ersten VW-Lehrlingsjahrgangs dauerte mehrere Mona- te, weil die Bauarbeiten im VW-Vorwerk sich verzögert und die termingerechte In- dienstnahme vereitelt hatten. Die Chronologie des ersten Lageraufenthalts in Stich- worten: Die Lehrzeit des ersten Jahrgangs begann am 1. Juni 1938 und endete am 31. Mai 1941. Anfang bzw. Mitte Juni 1938 erfolgte die "Einberufung" der ausgewählten Lehrlinge in drei "Zwischenlager": die Gebietsführerschule "Erich Niejahr" in Calmuth bei Remagen, die Jugendherberge in Ruhla in Thüringen, die Jugendherberge in Bad Zwischenahn in Oldenburg. 336 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Ende Juli wurde das Lager Remagen als "Vorkommando" auf die Insel Norder- ney verlegt, um das Zeltlager "Am Erlenbusch" aufzubauen. Am 1. August waren alle Ausbilder und Betreuer sowie sämtliche 250 Lehrlinge im Zeltlager eingetrof- fen. "Hier galt es, bei jedem einzelnen zu prüfen, ob er sich für das Leben in einer so engen Gemeinschaft, das in hohem Maße kameradschaftliches Denken und Einfüh- lungsvermögen voraussetzt, eignet" (Adam 1939, S. 7). Das der Ausbildung im VW-Werk vorgeschaltete Lagerleben, das den jugendli- chen Abenteuer- und Erlebnishunger stillte und wahrnehmungs- und verhaltsprägen- de Natur- und Kameradschaftserlebnisse bereithielt, ja mitunter gezielt inszenierte, hat die Verschmelzung der VW-Lehrlinge zu einer "Leistungsgemeinschaft" begün- stigt: "Der Hauptzweck des Zeltlagers auf der Insel Norderney lag darin, unsere Lehr- linge, die aus dem ganzen Reich mit seinen so mannigfaltigen Volksstämmen kom- men, zu einer kameradschaftlichen Einheit zusammenzuführen und jeden einzelnen daraufhin zu prüfen, ob er fähig ist, sich in diese Gemeinschaft einzugliedern, ob er die notwendigen Voraussetzungen mitbringt, auf denen Charakter und Wille weiter entwickelt werden können. Daneben hatte die Aufgabe der theoretischen Schulung vorerst zurückzutreten. Außerdem ist bei dem Leben im Zelt und im Sand der Dü- nen das Erleben der herrlichen Küstenlandschaft und des in Ebbe und Flut atmenden Meeres für die Weitung des Geistes auch unbewußt so einschneidend, daß kein staatbürgerkundlicher Unterricht in der Lage wäre, dieses Erleben irgendwie zu er- setzen" (Elternbriefe 1 (1938), H. 1, S. 15). Die Übersiedlung ins VW-Vorwerk Braunschweig fand am 16. September 1938 statt. Die Ankunft der VW-Lehrlinge in Braunschweig am Freitagabend, 16. Septem- ber 1938, war in den 3 Braunschweiger Tageszeitungen rechtzeitig angekündigt worden6, damit die Bevölkerung an der Begrüßungsfeier auf dem Burgplatz teilneh- men konnte. Über die Begrüßungsfeier selbst, an der neben dem Gaujugendwalter der Deut- schen Arbeitsfront HJ-Stammführer Wetting, Kreisleiter Krebs und Stadtrat Kuhls als Vertreter des Oberbürgermeisters auch Ministerpräsident Klagges teilnahm, wur- de ebenfalls in allen drei Tageszeitungen in 3 Spalten mit Bild berichtet7. Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 337 12.7 Praktische Werkstattausbildung Zunächst durchliefen alle Lehrlinge in der Lehrwerkstatt den Grundlehrgang des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung "Eisen erzieht". Dieser von der Lehrmittelzentrale der DAF vertriebene Grundlehrgang stellte eine in sich geschlossene Reihe von 28 Übungsarbeiten dar, die nach steigendem Schwierigkeitsgrad gestuft waren. Der Grundlehrgang "Eisen erzieht" genoß in der NS-Zeit besondere Aufmerksamkeit, weil die Eisenbearbeitung für die angestrebte Förderung kämpferischer Qualitäten und die Erzeugung von Arbeitsdisziplin von unübertrefflichem Wert zu sein schien. (Vgl. Seubert 1977; Wolsing 1977; Kipp 1978; Pätzold 1980; Kunze 1981; Pätzold 1987; Kipp 1987) Die Tugenden, die mit dem diszliplinierenden Grundlehrgang angestrebt bzw. gefördert werden sollten, waren: Exaktheit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Härte, Zähigkeit, Willensstärke, Hin- gabebereitschaft, Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft. Wie wurde in der "Ordensburg der Arbeit" mit dem Grundlehrgang "Eisen er- zieht" umgegangen? "Die Bewertung der Arbeiten geschieht aufs allersorgfältigste. Da ist einmal die Sauberkeit des angefertigten Stückes, dann die Winkligkeit der Seiten, die Ebenheit der Flächen, dann die Maßhaltigkeit usw. zu beurteilen. Selbstverständlich ist ja, daß sämtliche Übungsarbeiten genau nach Zeichnungen herzustellen sind. Aus diesem Grunde erhält natürlich auch jeder Junge eine Zeichnung von dem anzufertigenden Arbeitsstück, damit er einmal die in der Zeichnung geforderten Ar- beitsvorgänge und Maße berücksichtigt, zum anderen aber auch, daß er so früh wie möglich eine normgerechte Zeichnung zu lesen versteht. Ebenfalls eine Beurteilung erfährt die von den Jungen auf ihre Arbeitsstücke angewendete Zeit, wobei aller- dings gesagt werden muß, daß uns diese in der ersten Zeit gar nicht so sehr interes- siert. Wichtiger und wertvoller ist unbedingt die Erziehung der Jungen zur Qualitäts- arbeit. Erst dann, wenn diese für jeden eine Selbstverständlichkeit geworden ist, wird zum Schnellarbeiten angehalten. Entsprechend werden auch unsere Bewertun- gen durchgeführt. Die Beurteilungsergebnisse der bisher gefertigten Arbeitsstücke sind teilweise sehr gut. Überhaupt, es ist eine Freude, zu sehen, mit welchem Eifer und mit welcher Be- geisterung von den Jungen geschafft wird" (0. Verj. 1938, S. 13). 338 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Alle Lehrlinge, ganz gleich, in welchen Beruf sie später eingegliedert werden sollten, erhielten also eine Grundausbildung. Danach, also normalerweise etwa ein halbes Jahr nach Antritt der Lehre, wurde für jeden einzelnen Lehrling anhand sei- ner bis dahin erreichten Leistungen in Werkstatt und Schule - und soweit möglich unter Berücksichtigung seines Berufswunsches - der endgültige Beruf festgelegt. An Lehrberufen waren vorgesehen: Maschinenschlosser, Werkzeugmacher, Dre- her, Schmied, Elektro-Installateur, Feinblechner, Schweißer, Universalfräser, Fein- schleifer, Härter und Tischler. Die Lehrzeit war laut Lehrvertrag auf drei Jahre festgesetzt. Davon dienten die ersten zwei Jahre der reinen Werkstattausbildung im Vorwerk, während die Lehrlin- ge im 3. Lehrjahr in den Fertigungsbetrieben des Hauptwerkes Fallersleben die Aus- bildung in der eigentlichen Fertigungsarbeit erhielten. Obwohl die Lehrlinge im 3. Lehrjahr zwar tagsüber im Hauptwerk arbeiteten, sollten sie im übrigen aber in der Lehrlingsgemeinschaft des Vorwerkes bleiben, d. h. wie vorher in den Heimen woh- nen, die Werkberufsschule besuchen, und in ihrer Freizeit "betreut" werden. Das Ausbildungspersonal der Werkstatt umfaßte 1940 1 Obermeister 12 Meister 45 Lehrgesellen 1941 1 Obermeister 14 Meister 43 Lehrgesellen Im Geschäftsbericht 1943 wird beklagt, daß durch Einberufungen des Ausbil- dungspersonals die Ausbildung zu leiden begann. Neben der Braunschweiger Lehrwerkstatt unterhielt die Deutsche Arbeitsfront noch zwei weitere "Paten" -Lehrwerkstätten in Koblenz und Freisen (Kreis Birken- feld/Baumholder), in denen Jugendliche aus der "Westmark" ihr erstes Lehrjahr ab- solvieren konnten, bevor sie dann ins VW-Vorwerk übersiedelten. Die Unterlagen über diese "Paten"-Lehrwerkstätten sind sehr spärlich - beab- sichtigt war, daß diese beiden Lehrwerkstätten jährlich 100 Lehrlinge für das VW- Vorwerk stellen sollten. Einem Bericht der Braunschweiger Tageszeitung zufolge hatte am 15. Oktober 1938 "in den beiden DAF-Lehrwerkstätten ein neuer Lehr- gang mit je 25 Schlosserlehrlingen begonnen" (0. Verf.: Diesen Weg geht der Volkswagenarbeiter. Aus der Westmark nach Braunschweig. Die Lehrwerkstätten Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 339 Koblenz und Freisen geben den Lehrlingen des Vorwerks Braunschweig die Vorbil- dung. In: Braunschweiger Tageszeitung, 25.10.1938, S. 9). Bereits am 2. Mai 1938 - also zu Beginn der VW-Facharbeiterausbildung in den "Zwischenlagern" - waren aus diesen beiden Lehrwerkstätten 100 Jugendliche von der Gesellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagens GmbH übernommen worden (ebda.). Die Eltern- und Feldpostbriefe 1/1940 berichten: "Nachdem zum 1. Mai 1940 weitere 211 Lehrlinge in das Volkswagen-Vorwerk aufgenommen wurden, sind ins- gesamt 800 Lehrlinge in unserem Werk tätig. Dazu kommt die Belegschaft der Pa- ten-Lehrwerkstatt in Freisen mit 82 Lehrlingen" (S. 9). Ungeklärt ist, warum die Koblenzer Lehrwerkstatt im Sommer 1940 nicht mehr erwähnt wurde. 12.8 Theoretische Werkberufsschulausbildung Die Werkberufsschule des Volkswagenvorwerks war ausschließlich für VW- Lehrlinge eingerichtet worden. Nach anfänglichen Aufbauschwierigkeiten gestaltete sich der weitere personelle Ausbau zügig: Der Geschäftsbericht 1940 des VW-Vorwerks Braunschweig weist 1 Schulleiter und 8 Lehrer aus (vgl. GB 1940 S. 5). Im Jahre 1941 standen sogar 1 Werkberufsschulleiter 9 Werkberufsschullehrer 1 Volksschullehrer 7 Hilfskräfte 2 Fachlehrer mit vorläufiger Genehmigung davon 1 Schulmechaniker und 1 Foto-Laborant zur Verfügung. Der Unterricht konnte in diesem Jahr "ohne wesentliche Störung planmäßig mit 8 Wochenstunden durchgeführt werden. Darüber hinaus erhielten Lehrlinge des aus- lernenden Jahrgangs 1938 zusätzlich 2 Stunden wöchentlich Unterricht, z. Teil in ei- nem Begabtenförderungskursus, z. Teil als Nachhilfekurs" (GB 1941, S. 7). Trotz mehrerer Kriegseinberufungen konnte noch im Jahre 1943 der Werkberufsschulunterricht im Umfang von 8 Wochenstunden erteilt werden: im Sommer 1943 bestanden "25 Klassen mit einer durchschnittlichen Klassenbeset- zung von 23 Lehrlingen" (GB 1943, S. 5). 340 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Daneben wurden noch 8 Begabtenförderungskurse mit jeweils 20 bis 25 Teil- nehmern durchgeführt. Diesem privilegierten Unterrichtsangebot der VW-Werkbe- rufsschule stand im öffentlichen Berufsschulwesen des Reiches ein geradezu kata- strophaler Mangel gegenüber: Dort waren, wie die geheimen Lageberichte des Si- cherheitsdienstes der SS bereits am 15. Januar 1940 berichteten, "Klassenstärken von 100 Schülern, die durch Zusammenlegung entstanden, keine Seltenheit" (Bo- berach 1984, S. 647). Die Situation der öffentlichen Berufsschulen war schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges kläglich: Aus dem gesamten Reichsgebiet wurden dramatische Beschränkungen gemeldet, so daß die mit dem Reichsschulpflichtge- setz von 1938 eingeführte allgemeine Berufsschulpflicht vielfach nur noch auf dem Papier bestand. "Viele Berufsschulen wurden geschlossen, weil die Gebäude zur Unterbringung von Soldaten zweckentfremdet wurden" (Wolsing 1977, S. 684). Im Vergleich zu dieser Schulraumnot im öffentlichen Berufsschulwesen nimmt sich die - an sich keineswegs spärliche - räumliche Ausstattung der VW-Werkberufsschule besonders großzügig aus: "Da gibt es nicht nur Klassenräume, da gibt es einen Raum für Versuchsvorfüh- rungen, einen Vortragssaal und einen Experimentierraum, mehrere Lehrerzimmer und ein Schulbüro, ein Zeichenbüro, eine Bücherei und einen Lehrmittelverkaufs- raum, ferner einen Lehrmittel- und Ausstellungsraum, einen Fotoarbeits- und -unter- richtsraum und eine Schul werkstatt. Es ist also an alles und jedes gedacht und Raumfragen spielen hier keine Rolle" (Lüthge 1941, S. 41). 12.9 Sport - Körpererziehung - Entwicklungslenkung - Leistungssteigerung Der ausgiebige Sport im HJ-Lager und die vielfaltigen Angebote für Leibes- übungen im VW-Vorwerk sollten der körperlichen Entwicklung der Lehrlinge und nicht zuletzt der Förderung ihres Leistungsvermögens dienen. Nicht allein die Kompensation einseitiger Belastungen wurde erstrebt, sondern eine gezielte Entwicklungslenkung durch Körpererziehung. Zu diesem Zwecke wur- den für jeden Lehrling Konstitutionsbilder angefertigt, die den Körperzustand und die funktionelle Leistungsfahigkeit karteimäBig erfaBten und spätere Kontrollen der körperlichen Entwicklung zuließen. Leibesübungen wurden gezielt auf die Berufser- ziehung bezogen: "Die Leibeserziehung im Volkswagen-Vorwerk geht völlig neue Wege. Nicht die körperlichen Ertüchtigung ist ihr Ziel, sondern genau betrachtet sind die Leibes- übungen unserer Lehrlinge eine auf den Beruf ausgerichtete notwendige Ergänzung Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 341 unseres Gesamterziehungsplanes. [ ... ] Wenn der Lehrling mit seinen 14 oder 15 Jah- ren zu uns kommt, versuchen wir zu ermitteln, welche Möglichkeiten (Erbanlagen) der Lehrling hinsichtlich seiner Konstitution mitbringt. Neben eingehenden Größen- Muskelumfangmessungen und Leistungsermittlungen werden die Prüfungen über die charakterliche Haltung bei Mut- und Entschlossenheitsleistungen und über das Verhalten in der sportlichen Gemeinschaft vorgenommen. Alle Lehrlinge durchlaufen zunächst die Grundschule der Leibeserziehung. In verschiedenen Leibesübungsarten (allgemeine Körperschule, Lauf-Sprung-Schule, Bodenturnen, Ball- und Kampfspielschule, Geräteturnen, Schwimmen, Boxen, Ru- dern und Fechten) erwirbt der Lehrling die Fertigkeiten, die nach angemessener Zeit in einer Grundprüfung unter Beweis gestellt werden müssen. Einheitliche Grundaus- bildung und Beherrschung dieses Stoffes sind Voraussetzung für die Leistungsaus- bildung in einer dem Lehrling besonders liegenden Sportart. Der Lehrling findet zur Leistungsausbildung 8 verschiedene Wettkampfgruppen vor" (Müller 1939 b, S. 8). Der enorme verwaltungstechnische Aufwand, der mit der karteimäßigen Erfas- sung der sportlichen Leistungsdaten wie der körperlichen Konstitutionsdaten betrie- ben wurde, verweist auf die Bedeutung, die der Leibeserziehung der VW-Lehrlinge beigemessen wurde. Dies spiegelt sich denn auch in ihrem unvergleichlich hohen Zeitbudget: Neben dem täglichen Frühsport und der nach Sonderplan erteilten Leistungsausbildung am Spätnachmittag wurden den VW-Lehrlingen am Berufsschultag und am Samstag je- weils zwei Stunden Leibeserziehung erteilt. Schließlich wird die besondere Bedeutung der Körpererziehung an den großzü- gigen Sportanlagen ablesbar, die nahezu ein Fünftel des gesamten Vorwerkgeländes beanspruchten: Große Sportanlage mit 400-m-Bahn und Anlagen für Sprung, Lauf und Wurf, ein offenes Schwimmbad mit Sprungturm und ein "Haus für Leibeserzie- hung". Dieses enthielt neben einer großen Turnhalle und Geräteräumen Dusch- und Umkleideräume, einen besonderen Box- und Fechtraum, ein Lehrer- und Untersu- chungszimmer sowie einen Arbeitsraum für Biologieunterricht. 342 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 12.10 Formationserziehung 2. Teil: Der HJ-Bann 468 Eine bebilderte Reportage, die am 1. Juni 1939 in der DAF-Zeitschrift Arbeiter- tum veröffentlicht wurde, entdeckt im Braunschweiger Volkwagenwerk "an allen Ecken und Enden Parallelen, die einen immer wieder an den Dienstbetrieb auf den Ordensburgen erinnern" (Adam 1939, S. 6). Die Besonderheit der Facharbeiterausbildung im Volkswagen-Vorwerk Braun- schweig bestand darin, daß sie die zuvor beschriebene lehrwerkstattmäßige und werkberufsschulische Ausbildung eng verknüpfte mit weltanschaulicher Schulung nach nationalsozialistischen Grundsätzen - sie wurde von der HJ durchgeführt. Die Lehrlingsunterkünfte unterstanden ebenfalls der HJ. Auf dem Vorwerksgelände gab es 8 Lehrlingsheime für jeweils 60 Jungen. Jedes Heim wurde von einem Heimleiter und einem Heimhelfer aus der HJ überwacht. Die Belegschaft aller Heime bildete einen Stamm, die Belegschaft jedes Heimes (60 Jungen) eine Gefolgschaft der HJ, von der je 20 Jungen eine Schar, jede Stubenbe- legschaft (4 Jungen) eine Rotte bildeten. Als Scharführer und Rottenführer wurden Jungen eingesetzt, die sich sowohl im Formationsdienst und im Heimdienst als auch in der Werkstatt und in der Werkbe- rufsschule ausgezeichnet hatten. Im Frühjahr 1940 wurde der HJ-Stamm des VW-Vorwerks Braunschweig von der Reichsjugendführung zum HJ-Bann 468 erhoben. Er bestand aus einer Streifen- dienst-Gefolgschaft, zwei Motor-Gefolgschaften, zwei Flieger-Gefolgschaften, einer Marine-Gefolgschaft, einer Feuerwehr-Gefolgschaft und dem Bann-Musikzug. Kennzeichnend für das Leben in der "Ordensburg der Arbeit" war die beinahe lückenlose Regelung des Tagesablaufes durch einen minutiösen "Dienstplan ", der dem einzelnen VW-Lehrling kaum frei verfügbare Zeit gewährte. Der Leiter des Ausbildungswesens begründete die Notwendigkeit des "Dienstplanes" unmiß- verständlich: "Ordnung läßt sich in einer solch größeren Lebensgemeinschaft natür- lich nur bei strengster Zeiteinteilung und straffer soldatischer Führung aufrecht er- halten. So wird das ganze Leben in den Heimen beherrscht durch den jeweiligen Dienstplan" (Müller 1939 b, S. 10). Zur Illustration dieses "Dienstplanes" genügen wenige Stichworte: Wochenap- pell der Gesamtbelegschaft mit Verkündung des Wochensinnspruchs und kurzer Morgenfeier, allmorgendliches Flaggenhissen, Formationsdienst und Heimdienst, Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 343 Antreten vor dem Marsch zur Werkstatt und zum Essen: abends und an Wochenen- den gab es Ausmärsche, Gelände- und Schießübungen, Sportveranstaltungen, Theaterbesuche, Filmvorführungen, Heimabende und Schulungen. Vom Wecken um 5.30 Uhr bis zum Zapfenstreich um 21.00 Uhr konnte der VW- Lehrling über ganze 1 1/2 Stunden Freizeit verfügen, die ihm in drei halbstündigen Portionen nach dem Mittagessen, Kaffeetrinken und Abendessen gewährt wurden. Zwei Sonntage im Monat waren dienstfrei. Dieser institutionell vorgegebene und rigide kontrollierte Zeitplan schloß Mög- lichkeiten individueller Lebensgestaltung nahezu vollständig aus. Die von der HJ in- szenierten Formen jugendlichen Gemeinschaftslebens wirkten ungebrochen auf die aus ihren familiären Bezügen herausgelösten und kasernierten VW-Lehrlinge. Das Sozialisationsklima in der "Ordensburg der Arbeit" war gegen äußere Einflüsse, die die "Formationserziehung" hätten konterkarieren können, abgeschirmt. Es fehlte je- des Korrektiv, das individuelle Gestaltungswünsche gegen den vom "Dienstplan " festgeschriebenen und durch den Konformitätsdruck der Gruppe vervielfachten Gehorsamsanspruch hätte verteidigen können. Andererseits dürfte die auf vollständige Einfügung des VW-Lehrlings in das Gemeinschaftsleben zielende, von der HJ betriebene "Formationserziehung " bei vielen auf große Begeisterungsbereitschaft gestoßen sein. Das jugendgemäße Arran- gement der "Formationserziehung " mag latente Bedürfnisse vieler Jugendlicher ge- troffen haben -zumindest legen viele Erlebnisberichte der VW-Lehrlinge diese Ein- schätzung nahe: Die in den Elternbriejen8 abgedruckten Erlebnisberichte der VW- Lehrlinge strotzen vor Begeisterung und bekunden eine permanente "Einsatzbereit- schaft", die sich den Anforderungen der "Ordensburg" widerspruchslos fügt. Besondere Gelegenheit zur rituellen Beschwörung der nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaftsidee boten die alljährlich stattfindenden Einschreibungs- und Freisprechungsfeiern der ins VW-Werk aufgenommenen und daraus scheidenden Lehrlinge: "Es herrschte eine feierliche Stille als der Betriebsjugendwalter, beauftragt durch den Betriebsobmann 7rautewig, den Vertreter aller neuen Lehrlinge mit Hand- schlag über der Fahne auf die Betriebsgemeinschaft Volkswagen-Vorwerk verpflich- tete. In eindringlichen Worten wußte der Betriebsobmann die Aufgaben der neuen Lehrlinge zu schildern und freudig erklärte der neue Jahrgang seine Bereitschaft Zum Einsatz für Werk, Führer und Vaterland" (Huppertz 1943, S. 7). 344 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Der rituelle Vollzug der Aufnahme und der Freisprechung der VW-Lehrlinge war zweifellos eine Besonderheit dieses "nationalsozialistischen Musterbetriebes ", die den "Ordensburg" -Charakter illustriert. Als Beleg dafür, daß die nationalsozialistisch überformte Gehorsamserzeugung "perfekt" gelang, kann eine Bild-Überschrift über einem Foto herhalten, das - wie so viele aus dieser Zeit - fröhliche Gesichter zeigt: "Beim Marsch zur Arbeit oder auch zum Essen wird angetreten. Es ist ein Zeichen für den guten Geist, der hier herrscht, daß dies sowohl zum einen als auch zum anderen Zwecke mit gleich froher Freude und schneller Bereitschaft geschieht" (Adam 1939, S. 5). 12.11 Militarisierung des Lehrlingsalltags im VW-Vorwerk Es gibt eine Fülle von Hinweisen, die die Allgegenwart soldatischer Formen und damit eine durchgängige Militarisierung des Lehrlingsalltags im VW-Vorwerk be- stätigen: In einem Merkblatt für die Eltern der zukünftigen VW-Lehrlinge hatte die Ge- sellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagens, Vorwerk Braunschweig, niedergelegt, daß für die VW-Lehrlinge einheitlich nur die Uniform der Hitlerju- gend in Frage komme: "Damit ist auch für das Verhalten au8erhalb der Werkstätten die soldatische Form gegeben. Zivilanzüge werden nicht getragen". Im VW-Vorwerk war es üblich, Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen durch Trompetensignale anzukündigen. Die Anregung zu dieser symbolisch aufgela- denen Form der Trompetensignal-Kommunikation, die ihren militärischen Charakter lautstark zu erkennen gibt, geht ebenfalls auf Karl Arnhold (1937 a, S. 111) zurück. Wahrend des Krieges verstärkte sich die Militarisierung des Lehrlingsalltags. Dies dokumentiert die Umbenennung der Elternbriefe in Eltern- und Feldpostbrieje und schließlich in Die Vorwerk-Fanfare. Die Umbenennung, bei deren Erläuterung der stellvertretende Betriebsführer und SS-Standartenführer Felix Schmidt von "Eltem- und Frontbriefen" schreibt, sollte dem Informationsaustausch zwischen Front und Heimat Rechnung tragen und bot Gelegenheit, den Sinn und Zweck dieser Werkzeitschrift in Erinnerung zu rufen; nämlich "die Einsatzkraft für unsere Kriegsaufgabe, auf die wir allesamt stolz sind, vollauf zu erhalten" (Schmidt 1941, S. 3). Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 345 Im Neujahrsgruß 1941 schreibt Prof. Dr. Porsche vom "Arbeitsplatz an der Hei- matfront" (Porsche 1941) und ein Jahr später bestätigen Prof. Dr. Porsche, Dr. Laf- jerentz und Dr. Piech, daß auch die VW-Lehrlinge "heute an der Front im Kampf um Deutschlands Zukunft" stünden (Porsche/Lafferentl/Piech 1942). Neben diesen eher formelhaften Bewaffnungen der Sprache, die die zunehmen- de Militarisierung der Werkzeitschrift belegen, stehen ganz eindeutige Beiträge, wie etwa der von Karl Arnhold, "Männer und Waffen" (Arnhold 1942 d), aber auch un- verdächtig erscheinende Beiträge, wie der des stellvertretenden Betriebsführers und SS-Standartenführers Felix Schmidt, "Die Braut des Lehrlings" (Schmidt 1940), die dafür sorgten, daß die Militarisierung der VW-Vorwerkzeitschrift nicht zu kurz kam. Die Militarisierung des Lehrlingsalltags im VW-Vorwerk, die sich in der kaser- nenmäßigen Abgeschlossenheit des Vorwerkgeländes und der rigiden Dienstplan- wirtschaft des Tagesablaufes niederschlug, wurde ergänzt durch zahlreiche Besuche von Militärs. Dies alles scheint noch nicht genügt zu haben, denn im Frühjahr 1941 schlug der Heimleiter des Heimes Nr. 7 vor, den Stuben der Lehrlingsheime die Namen von Ritterkreuzträgern zu geben. Im Novemberheft 1941 der Eltern- und Feldpostbrieje steht zu lesen "Die Idee begeisterte unsere Jungen. Der Name eines Ritterkreuz- trägers sollte über ihrer Stube stehen, der Name eines heldenhaften Mannes, der ih- nen Vorbild sein sollte für die Lehre und fürs Leben". Im gleichen Heft wurde be- richtet, daß bereits zwanzig Ritterkreuzträger sich bereit gefunden hatten, Paten- schaften für die Stuben der Lehrlingsheime zu übernehmen: "Wir freuen uns ganz besonders, über diese Unternehmung unserer Jungen berichten zu können, zeigt sie doch, wie stark das soldatische Ideal in unserer Jugend verankert ist" (Heim 7, Ge- neral-Dietl-Stube. In: Eltern- und Feldpostbrieje 4 (1941), S. 50 f.). 12.12 Leistungskontrolle und Leistungsbewertung: "Mannschaft leistet" - landsmannschaftliche Leistungsgemeinschaften Die Parole "Mannschaft leistet!" gehörte zum Kembestand des Berufserzie- hungsrepertoires der Deutschen Arbeitsfront (vgl. Arnhold o. J.; Arnhold 1942 a; Arnhold 1942 b; Kipp 1978, S. 68 u. S. 141). Insofern ist es nicht verwunderlich, daß sie in der Facharbeiterausbildung des VW-Vorwerk allenthalben bemüht wurde. Die Berufserziehungsarbeit im VW-Werk sollte höchsten Leistungsanforderungen genügen. Deshalb war es nur konsequent, daß die Ausbildungsleitung um eine konti- nuierliche Leistungsbeurteilung der VW-Lehrlinge bemüht war. Beurteilungsunter- 346 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" lagen konnten während der Lehrzeit aus den Ergebnissen der insgesamt 28 Lehrar- beiten des fünfmonatigen Grundlehrgangs "Eisen erzieht" und aus den in drei- monatigen Abständen durchgeführten "Zwischenlehrarbeiten" (vgl. Herold 1941) sowie aus der Auswertung des "Werkbuchs" (vgl. Schmidt 1942) gewonnen wer- den. Durch die systematische Auswertung dieser Beurteilungsunterlagen konnte sich die VW-Ausbildungsleitung ein relativ zuverlässiges Bild von den Fortschritten und Ausbildungslücken ihrer Lehrlinge verschaffen. Dabei ist bemerkenswert, daß die Leistungskontrollen nicht von den Ausbildern, sondern von einer unmittelbar der Ausbildungsleitung unterstellten Revisionsabteilung durchgeführt wurden. Auf die- se Weise sollte eine Beeinflussung des Prüfergebnisses durch einzelne Ausbilder ausgeschlossen werden. Die Revisionsabteilung wertete jede einzelne Lehrarbeit nach einem Punkte-Sy- stem aus und legte einen Bewertungsbogen an, der die Grundlage für die arbeitscha- rakterologische Beurteilung des Lehrlings bildete. So wurde eine kontinuierliche Leistungsbeurteilung der VW-Lehrlinge möglich (vgl. Hesse 1939). Bemerkenswerterweise wurden die Prüfungsergebnisse zwar bei den einzelnen Lehrlingen erhoben, aber in der betrieblichen Öffentlichkeit nur als Gruppenleistun- gen ausgewiesen. Das Aushängen der Bewertungskarten in der Lehrwerkstatt sollte anspornend wirken, aber nicht den einzelnen Lehrling herausstellen, sondern die Gruppenleistung. Der Ausbildungsleiter begründete dieses Vorgehen: "Damit nun aber in unseren Jungen kein falscher Ehrgeiz geweckt wird, haben wir sie in Leistungsgemeinschaften unterteilt und bringen nicht Einzelleistungen, sondern nur die Leistungsergebnisse dieser Gruppen auf Kurventafeln in der Lehr- werkstatt zum Aushang. So wird verhindert, daß der einzelne Lehrling nur aus selbstsüchtigen Gründen strebt; er tritt zurück hinter der Gemeinschaft, wobei der Kameradschaftsgeist der jeweiligen Gruppe dafür sorgt, daß keiner aus dem Rah- men feillt" (Müller 1939 b, S. 5). Komplementär zur "Formationserziehung " außerhalb des betrieblichen Lern- und Arbeitszusammenhangs wurde in der betrieblichen Berufsausbildung die natio- nalsozialistische Betriebsgemeinschaftsidee beschworen und durch die Bildung von "Leistungsgemeinschaften " realisiert. Durch die Verschmelzung dieser außer- und innerbetrieblichen Erziehungseinflüsse sollte "eine Ganzheitserziehung des Lehr- lings" (Müller 1939 b, S. 12) gewährleistet werden. Nach heutigem Kenntnisstand fmden sich nirgendwo sonst in der betrieblichen Berufserziehungspraxis der NS-Zeit "Leistungsgemeinschaften" wie im VW-Vor- Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 347 werk, das auch in dieser Hinsicht die "Grundsätze nationalsozialistischer Berufser- ziehung" (Arnhold o. J.; Arnhold 1942 b) vorbildlich einzulösen versuchte. Daß die "Leistungsgemeinschaften " nach der landsmannschaftlichen Herkunft der VW-Lehrlinge zusammengestellt wurden, ist eine Besonderheit, die der Ausbil- dungsleiter folgendermaßen erläuterte: "Die Aufstellung der Leistungsgemeinschaften (die übrigens mit der Klassen- einteilung für unsere Berufsschule zusammenfällt) haben wir nicht nach den übli- chen, meist äußerlichen Gegebenheiten (Körpergröße, Alphabet) vorgenommen, sondern nach der landsmannschaftlichen Zugehörigkeit der Lehrlinge. Dieser Ein- teilung liegt die Absicht zugrunde, die zwischen den rassischen Voraussetzungen ei- nerseits und den einzelnen handwerklichen, sportlichen und schulischen Fähigkeiten andererseits bestehenden Zusammenhänge aufzuzeigen. Soweit das bisher über- haupt geschehen ist, konnte man sich nur auf Einzeluntersuchungen stützen. Hier im Vorwerk ist die einzigartige Möglichkeit gegeben, an größeren Gruppen aus den verschiedensten Gauen unseres Landes unter völlig gleichen Bedingungen entspre- chende Erhebungen anzustellen" (Müller 1939 b, S. 50. Die Ausbildungsleitung des VW-Vorwerks war von einem schier unstillbaren Datenhunger besessen und verwandte auf die "Verwaltungstechnische Erfassung" (Körting 1939) der Lehrlinge besondere Sorgfalt: Neben der Anmeldung bei der Ortspolizeibehörde und Ortskrankenkasse wurde der VW-Lehrling im Vorwerk selbst "noch einmal karteimäßig erfaßt. Diese Lehrlingskartei sagt uns alles, sie be- gleitet sozusagen den Jungen bis zur Beendigung seiner Lehrzeit. In ihr sind u. a. enthalten: die Zensuren des letzten Schulzeugnisses, die Daten der HJ-Formationen, das Ergebnis der Eignungsprüfung usw. Selbstverständlich fehlen da nicht die lau- fenden Eintragungen über den Ausbildungsgang in Werkstatt und Schule, über die körperliche und geistige Entwicklung des Jugendlichen, sowie seine Leistungen im Sport. Weiterhin sind verzeichnet: die Anwesenheit in Betrieb und Schule, außerdem Krankheiten, Urlaub, Sonder-Lehrgänge, Auszeichnungen und Strafen. Jede Karte wird gewissenhaft geführt und ist somit ein Spiegelbild des Lehrlings" (Körting 1939, S. 13). Über das, was die Ausbildungsleitung des VW-Vorwerks mit diesen immensen Datenbeständen anfing, welche praktischen Folgerungen aus den zum Teil obskuren Erhebungen gezogen wurden, liegen keine Berichte vor. Das pragmatische Anliegen, die landsmannschaftliehe Verschiedenheit der VW- Lehrlinge zu differenzierten beruflichen Fähigkeiten zu entfalten und damit eine 348 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" "rassische" Optimierung der Ausbildungsergebnisse in der "Ordensburg der Ar- beiC' zu betreiben, ergänzte das ideologische Anliegen, die einzelnen VW-Lehrlinge in der "Betriebsgemeinschaft" zu einer "Leistungsgemeinschaft" zu verschmelzen. 12.13 Herausbildung und Festigung des Elite-Bewußtseins der VW-Vorwerker Das VW-Vorwerk Braunschweig als mustergültige Berufserziehungsstätte hat nicht nur in der damaligen Presse erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, son- dern war zeitweise geradezu eine Pilgerstätte für Interessiserte, die sich über die dortige Berufserziehungsarbeit informieren wollten. Die Elternbriefe bzw. die Vor- werk-Fanfare dokumentieren zahlreiche Besuche; dabei werden die Besucher häufig auch auf Fotos abgebildet, ihre Funktion wird dem Leser erläutert, die Bedeutung des VW-Vorwerks und der dort praktizierten "ganzheitlichen" Facharbeiterausbil- dung wird immer wieder herausgestellt. Es dürfte für die Herausbildung und Festigung des Elite-Bewußtseins der VW- Lehrlinge und ihrer Ausbilder nicht ohne Folgen gewesen sein, wenn beispielsweise die Berliner Illustrierte einen Bericht mit der Schlagzeile "Das wird Elite" ver- öffentlichte. Oder wenn namhafte Persönlichkeiten aus Partei und Staat, Wehrmacht und Wissenschaft das VW-Vorwerk durch ihren Besuch aufwerteten9. Oder wenn im AngrWvom 24. April 1942 zu lesen war, was sinngemäß auch in anderen Presseorganen und im Rundfunk verbreitet wurde: "Zwischen 14 und 15 Jahren, vom Dreikäsehoch bis zum langgeschossenen Kerl, blond-, braun- und schwarzschopfig, aus allen Gauen und Volksschichten Deutschlands stammend, sind sie zum ersten Male fern dem Elternhaus einer größeren Gemeinschaft eingereiht. Auch volksdeutsche Jungen, Jungen aus den neuen Reichsgebieten und junge Nor- weger stehen in Reih und Glied, um in Lehrlingsheim und Lehrwerkstatt des Volks- wagenwerks von deutscher Jugenderziehung und Werkmannslehre den ersten und unvergeßlichen Eindruck zu erfahren. Diese Jungen, für die das Werk alle Bekleidungsgegenstände mit Ausnahme der Leibwäsche stellt, die es beköstigt und vom Haarschnitt bis zur Stiefelsohle ver- sorgt, erhalten eine allgemeine und berufliche Ausbildung, wie sie nur noch wenigen ihrer Altersgenossen zuteil wird. Die Ergebnisse der Prüfungen sind für die Güte dieser Ausbildung ein guter Wertmesser". Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 349 Die VW-Lehrlinge wurden mehrfach abkommandiert, um bei in Braunschweig stattfindenden Veranstaltungen der NSDAP bzw. HJ als "Ehrenkompanie" zu fun- gieren. Schließlich ist zu erwähnen, daß das VW-Vorwerk wegen seiner als vorbildlich anerkannten Lehrlingsheime gelegentlich auch als Tagungsstätte für die Ausbildung von Heimleitem genutzt wurde. 12.14 Ausbildungsqualität und Kriegsproduktion Der elitäre Anspruch der VW-Facharbeiterausbildung, den die DAF-Propagandi- sten lautstark reklamierten, wurde in der realen Ausbildungspraxis nur kurzzeitig eingelöst. Mit zunehmender Dauer des Krieges sank die Ausbildungsqualität: Be- reits das Geschäftsjahr 1940, "das allgemein im Zeichen der Kriegsproduktion stand, brachte für das Vorwerk eine gewisse Umstellung vom Ausbildungsbetrieb zum Produktionsbetrieb" (GB 1940, S.l). Diese Umstellung, die das Volkswagenwerk in den Dienst der Luft- waffenrüstungsindustrie stellte und zur "Nachbaufirma für das Junkers-Fertigungs- programm" (GB 1940, S. 1) werden ließ, führte u. a. dazu, daß die Lehrwerkstatt immer stärker in die Produktion einbezogen wurde. Die teilweise erheblichen Schwankungen im Personalbestand sowie die Schwankungen der Auftragslage und der Ausnutzung der Kapazitäten schlugen bis in die Lehrwerkstatt durch und ließen es immer weniger zu, eine von der Produktion unabhängige, hochwertige Facharbeiterausbildung zu praktizieren. Der Konflikt zwischen qualifikatorischen und produktiven Ansprüchen ver- schärfte sich, was bereits der Geschäftsbericht des Vorwerks für das Jahr 1940 er- kennen läßt: "Die Hereinnahme von Aufträgen für die Lehrwerkstatt hat sich bis heute immer sehr schwierig gestaltet, da nicht jede Arbeit für die Lehrwerkstatt ge- eignet ist und der Ausbildung der Lehrlinge jederzeit Rechnung getragen werden muß" (GB 1940, S. 2). Der Geschäftsbericht für das Jahr 1941 stellt fest: "Äußerst schwierig war auch in diesem Jahr die Heranschaffung von geeigneten Aufträgen für die einzelnen Berufsgruppen der Lehrlingsausbildung" (GB 1941, S. 3). Gleichwohl zieht der Geschäftsbericht eine positive Gesamtbilanz: "Das Ge- schäftsjahr 1941 brachte für das Vorwerk die erwartete günstige Entwicklung so- wohl im Sinne der Lehrlingsausbildung wie auch im Hinblick auf die Produktions- 350 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" leistung" (GB 1941, S. 1). - Und weiter: "Die Ausbringung an Produktionsstunden im Jahre 1941 durch Facharbeiter mit einer anteiligen Leistung der Lehrlinge des 2. und 3. Lehrjahres betrug rund 1 Million Stunden. [...] Zusammen ergaben sich rund 580.000 Produktionsstunden der Facharbeiter, zu denen noch rund 420.000 Stunden der Lehrlinge kamen. Die Lehrwerkstatt erledigte in diesem Jahre 2.092 Aufträge, das entspricht einer monatlichen Ausbringung von durchschnittlich 174 Aufträgen" (GB 1941, S. 4). Die Produktionsleistung der Lehrwerkstatt höhlte jedoch zugleich ihre Qualifi- kationsleistung aus. Der Einsatz der Lehrlinge zu kriegswichtigen Produktionsarbei- ten führte zur Erweiterung des Maschinenparks in der Lehrwerkstatt und zur Einfüh- rung der Serienproduktion. Da aber die serienmäßige Kriegsproduktion für Ausbil- dungszwecke wenig brauchbar ist, sank die Ausbildungsqualität alsbald deutlich ab. Wie sehr der Krieg das Ausbildungsgeschehen in der "Ordensburg der Arbeit" beeinträchtigte, belegt eine Feststellung im Geschäftsbericht für das Jahr 1943: "Es ist nicht zu verkennen, daß die gute Ausbildung, welche wir früher, und so weit wie möglich bis in die jüngste Zeit unseren Lehrlingen zu geben gewohnt waren, unter dem Druck der Kriegsverhältnisse (Einberufungen des Ausbildungspersonals) zu leiden begann" (GB 1943, S. 4). Die Gegenüberstellung der Ergebnisse der VW-Facharbeiterprüfungen aus dem Jahre 1941 und 1943 macht das Absinken der Ausbildungsqualität augenfällig: 1941 1943 mit Auszeichnung bestanden 27 Lehrlinge = 10,3% 6 Lehrlinge =2,55% mit sehr gut bestanden 22 Lehrlinge =8,4% 22 Lehrlinge =9,40% mit gut bestanden 138 Lehrlinge =52,4% 84 Lehrlinge = 35,90% mit befriedigend bestanden 72 Lehrlinge =27,4% 106 Lehrlinge =45,30%_ mit ausreichend bestanden 4 Lehrlinge = 1,5% 14 Lehrlinge =6,00% _ mit mangelhaft bestanden 2 Lehrlinge =0,85% 263 Lehrlinge = 100% 234 Lehrlinge = 100% _ (Quelle: GB 1941, S. 5 und GB 1943, S. 3) Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 351 Nach der Frühjahrsprüfung 1943 - nachdem das VW-Vorwerk insgesamt 736 Facharbeiterprüfungen vorweisen konnte - zeichnete der Zentralausbildungsleiter ein umfassendes Leistungsbild und erläuterte die sinkenden Prüfungsergebnisse: "Wenn die praktischen Ergebnisse nicht mehr den Höchststand haben, so ist das le- diglich als Folge der Kriegsnotwendigkeiten anzusehen, wobei sich insbesondere die Einberufung einer großen Zahl unserer Meister und LehrgeseHen nachteilig aus- wirkt" (Schröter 1943, S. 9). Immerhin lag das Prüfungsdurchschnittsergebnis der VW-Lehrlinge im Frühjahr 1943 bei der Note 2,6, während der Reichsdurchschnitt der Facharbeiterprüfungen "über eine Note tiefer" lag (vgl. Schröter 1943, S. 9). Indessen nahm die Lehrwerkstatt im VW-Vorwerk Braunschweig im Laufe des Krieges immer mehr den Charakter einer Produktionsabteilung an: Mit der Erweite- rung des Maschinenparks und der Heranziehung der VW-Lehrlinge zur serienmäßi- gen Kriegsproduktion war die urspünglich angestrebte und anfangs auch praktizierte anspruchsvolle Facharbeiterausbildung ausgehöhlt worden. An die Stelle umfassen- der Fachausbildung trat kurzfristige Anlemung - folgerichtig sank die Ausbildungs- qualität. Nicht nur die Ausbildung, auch die Prüfungen wurden während des Krieges des öfteren durch Kriegseinwirkungen gestört und unterbrochen: So mußte bereits die erste schriftliche Facharbeiterprüfung, die für den Vormittag des 11. Februar 1941 angesetzt war, wegen Fliegeralarms auf den Nachmittag verschoben werden. Kaum hatten die Prüflinge eine halbe Stunde über ihren schriftlichen Aufgaben gebrütet, gab es wieder Fliegeralarm und alle stürmten in den Luftschutzkeller. Mit der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus kam auch die Facharbeiterausbildung im VW-Vorwerk Braunschweig zum Erliegen. 352 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 12.15 Anmerkungen 1 Der Name "Volkswagenvorwerk" ist von doppelter Bedeutung: Das "Vor- werk" Braunschweig besorgte "Auswahl, Erziehung und Ausrichtung der künftigen Gefolgschaftsmitglieder", hatte also durch systematische Berufserziehung für den Facharbeiternachwuchs des Hauptwerkes zu sorgen: es diente außerdem zur Herstel- lung von Spezialwerkzeugen und Einrichtungsgegenständen für das Hauptwerk in Fallersleben. Das Volkswagenwerk selbst erstreckte sich über ein riesiges Gebiet von insgesamt 28 Gemeinden, die am 01.07.1938, wenige Monate nach der Grund- steinlegung des VW-Werkes, unter dem Namen Wolfsburg zusammengefaßt wur- den. 2 Allerdings wurde ein erheblicher Teil der im VW-Vorwerk ausgebildeten Fach- arbeiter unmittelbar nach der Facharbeiterprüfung zum Kriegsdienst eingezogen, so daß die Werksleitung dazu überging, durch innerbetriebliche Werbung, z. B. in der Werkszeitschrift, aus der Belegschaft neue "Unterführer" zu rekrutieren: "Mehr denn je brauchen wir heute im Betrieb gute Unterführer, die fachlich, poli- tisch und charakterlich stark genug sind, um die kriegsbedingten Aufgaben zu lösen. Wir sind durch die heutige Lage gezwungen, die erhöhten Programme mit ausländi- schen Arbeitern durchzuführen. Da sich diese ausländischen Arbeitskräfte nun aus verschiedenen Nationen zusammensetzen, ist es natürlicherweise für die Führung nicht immer leicht, diese verschiedenartigen Menschen zu einer geschlossenen Ar- beitsleistung zu bringen. Verschiedene Sprachen, Lebensweisen, Gewohnheiten er- schweren die Arbeit. Alle diese Schwierigkeiten verlangen von Führer und Unter- führer viel Geduld, Willenskraft, Pflichtbewußtsein und unermüdlichen Einsatz" (Mayr 1943, S. 3). Zum Bedarf an "Unterführern " während des Krieges und zur Mitwirkung der DAF bei der "psychologisch-charakterologischen Auslese" vgI. Geuter 1987, S. 92 f. Das Bestreben, "kurz- wie langfristig einen neuen loyalen Arbeitertypus zu schaf- fen, quasi einen Stammarbeiter aus der Retorte" (Roth 1987, S. 67), kennzeichnete nicht nur das VW-Management; die entsprechende Belegschaftspolitik der Daimler- Benz AG beispielsweise rekonstruiert und interpretiert Karl-Heinz Roth als "Auf- stieg und Eindämmung der Arbeiterbewegung" (Roth 1987, S. 55-70). Zu den Querverbindungen zwischen Daimler-Benz AG und VW und zum "Anteil der Daimler-Benz AG an der Entstehung des 'KdF-Wagens'" vgI. Roth 1987, S. 193-206. 3 Die Grundsteinlegung zur Volkswagenfabrik in Fallersleben am 26. Mai 1938 war als propagandaträchtige Massenveranstaltung organisiert worden. Zeitungsbe- richten zufolge waren 60.000 Menschen versammelt, "die in 30 Sonderzügen aus al- Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 353 len deutschen Gauen gekommen waren" (Kurhessische Landeszeitung, Jg. 9, Nr. 122 (27. Mai 1938), S. 1). In seiner Rede bei der Grundsteinlegung hat Hitler mehrfach die Vorbildfunktion des Volkswagenwerkes hervorgehoben: "Wenn wir dieses gewaltigste deutsche Au- tomobilwerk errichten, dann soll mit ihm zugleich auch eine vorbildliche deutsche Arbeiterstadt entstehen. Sie soll eine Lehrstätte sowohl der Stadtbaukunst wie der sozialen Siedlung werden. Wir wollen damit zeigen, wie der Nationalsozialismus solche Probleme sieht, wie er sie anpackt und wie er sie löst" (Domarus 1973, I, 2, S. 868). Im Schlußsatz seiner Rede gab HitZer das VW-Werk als "ein Symbol der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft" aus. Eine gewisse Einlösung der von Hitler bei der Grundsteinlegung vollzogenen propa- gandistischen Weihe kann man in den verschiedenen Auszeichnungen der Deut- schen Arbeitsfront erblicken, die dem VW-Werk im Rahmen des jährlichen "Lei- stungswettkampfes der deutschen Betriebe" zuerkannt wurden: 1942 "Gaudiplom für hervorragende Leistungen" 1943 "Leistungsabzeichen in Silber für vorbildliche Berufserziehung " 1943 "Auszeichnung in Silber für vorbildliche Heimstätten und Wohnungen" 1943 "Kriegsmusterbetrieb" 1944 "Nationalsozialistischer Musterbetrieb " (vgl. Das Volkswagenwerk und wir 2 (1943), Folge 3, S. 2; Das Volkswagenwerk und wir 2 (1943), Folge 5, S. 3; Das Volkswagenwerk und wir 3 (1944), Folge 2, S. 3; Siegfried 1987, S. 14, 17,27 und 217). 4 Aus den beiden ersten Ausbildungsjahren sind die wöchentlich erneuerten "Sinnsprüche" durch Tagebuchaufzeichnungen von Hans Maaß, Lehrjahrgang 1938, Werker-Nr. 113, überliefert. Dankenswerterweise hat mir Herr Maaß seine Aufzeichnungen zur Verfügung ge- stellt; sie dokumentieren für die Zeit vom 3. Oktober 1938 bis 23. November 1940 die folgenden Sinnsprüche: 03.10. - 08.10.38 Lerne Opfer bringen für Dein Vaterland 10.10. - 15.10.38 Gemeinnutz geht vor Eigennutz 05.12. - 10.12.38 Der Meister belehrt Dich, machen mußt Du es selber 12.12. - 17.12.38 Meister und Gesellen sind Deine Helfer, folge ihnen 19.12. - 24.12.38 Was Du heute nicht kannst, morgen wirst Du es schaffen 16.01. - 21.01.39 Ein schlechter Rekrut wird kein guter Soldat 06.02. - 11.02.39 Auch Arbeit hat Mucken. Beiß die Zähne zusammen 12.02. - 18.02.39 Der Tätigste unter den Kameraden sei Dir Vorbild 20.02. - 25.02.39 Mache die nächste Arbeit noch besser als die zuvor 03.07. - 08.07.39 Arbeit verpflichtet zur Leistung 354 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 10.07. - 15.07.39 Lehrzeit ist Lernzeit - nutze die Jahre 17.07. - 22.07.39 Was Du heute versäumst, wird morgen zur Last 23.07. - 24.07.39 Das Werkzeug in eigener Hand ist anvertrautes Gut 14.08. - 19.08.39 Trau Dir was zu, dann wirst Du auch etwas werden 28.08. - 02.09.39 Nicht dem Leben aus dem Wege gehen, keinen Tag, keiner Frage 04.09. - 09.09.39 Lieber entzwei, als einmal untreu 11.09. - 16.09.39 Unsere Kraft liegt in unserer Disziplin 18.09. - 23.09.39 An sich selbst muß das Böse zugrunde gehen 25.09. - 30.09.39 Gelobt sei, was hart macht 18.10. - 21.10.39 Du mußt Amboß oder Hammer sein 23.10. - 28.10.39 Anfang ist leicht, Beharren ist Kunst 06.11. - 11.11.39 Acht nicht gering das kleinste Ding 20.11. - 25.11.39 Die Freiheit bewahren keine Feigen 04.12. - 09.12.39 Ideen lassen sich nur durch die Tat verwirklichen 11.12. - 16.12.39 Der Glaube eint, es siegt der Wille 29.01. - 03.02.40 Zucht und Ordnung 05.02. - 10.02.40 Dein Eifer bei der Arbeit sei so groß wie beim Spiel 12.02. - 17.02.40 Was heut nicht gelang, morgen wirst Du es schaffen 26.02. - 02.03.40 Sei immer Vorbild 04.03. - 09.03 40 Gelobt sei, was hart macht 11.03. - 16.03.40 Einigkeit macht stark 29.04. - 04.05.40 Ohne Mut kein Erfolg 13.05. - 18.05.40 Arbeit heißt Kultur schaffen 20.05. - 25.05.40 Ein schlechter Rekrut wird kein guter Soldat 03.06. - 08.06.40 Der Wille ist alles 12.08. - 17.08.40 Kampf ist überall, ohne Kampf kein Leben 02.09. - 07.09.40 Nur gesunde Volker können leben 09.09. - 14.09.40 Das größte Heil, das letzte, liegt im Schwerte 23.09. - 28.09.40 Der Sache ergeben sein, nicht den Menschen 30.09. - 05.10.40 Keinen Fehler macht nur der, der nichts tut 21.10. - 26.10.40 Sei treu und wahr 28.10. - 02.11.40 Der Wille des Führers ist uns Befehl 04.11. - 09.11.40 Besser in Ehren sterben, als in Schmach leben 11.11. - 16.11.40 Die Faulen und die Dreisten schreien am meisten 15.11. - 23.11.40 Deine Kraft Deinem Volke 5 Die Robinson-Kurse zur Einfachstschulung handwerklicher Fähigkeiten waren in den dreißiger Jahren von den DINTA-Mitarbeitem Poppelreuter und Mathieu ent- wickelt worden. Sie wurden zur Arbeitsschulung erwerbsloser Jugendlicher verwen- Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 355 det und erforderten nur sehr einfache und vor allem billige Hilfsmittel, Werkstoffe und Werkzeuge. Hinsichtlich ihrer Zielvorstellungen und ihrer kämpferischen Sprache waren diese Kurse ganz und gar den sonstigen DINTA-Erzeugnissen ebenbürtig. Drei Sätze aus der Schrift: "Robinson erzieht" (1935) mögen das belegen: S. 7: "Die Einfachstschulung soll zu zäher und kämpferischer Auseinander- setzung mit den Werkstoffen erziehen", S. 12: "Die Einfachstschulung macht sich die Vorzüge der Gruppenarbeit zu- nutze, besonders den gesunden Wettkampf", S. 15: "Die Einfachstschulung ist für die Handfertigkeit das, was das erste Exerzieren für die militärische Ausbildung ist". 6 Braunschweiger Tageszeitung 16.9.1938, S. 5: Heute kommen die Vorwerk- lehrlinge. Kurze Feier auf dem Burgplatz - Eingliederung in das Gebiet der HJ. Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger 16.9.1938, S. 6: Heute kommen die Lehrlin- ge des KdF-Wagen-Vorwerkes. Braunschweiger Neueste Nachrichten/Braunschweiger Landeszeitung 16.9.1938, S. 9: Vom Zeltlager auf Norderney nach Braunschweig. Lehrlinge ziehen heute ins Vorwerk. 7 Braunschweiger Tageszeitung, 23.9.1938, S. 5: 250 Lehlinge im Vorwerk ein- getroffen. Begrüßung durch Partei, Staat und Stadt. Ankunft am Freitagabend in Braunschweig - Feierliche Eingliederung in das Gebiet Niedersachsen der HJ. Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger, 17./18.9.1938, S. 6: 250 Volkswagenlehrlin- ge eingetroffen. Braunschweig hieß sie aufs herzlichste willkommen. Braunschweiger Neueste Nachrichten/Braunschweiger Landeszeitung, 17./18.9. 1938, S. 9: Braunschweig wird ihnen zur neuen Heimat. Am Freitagabend trafen die Lehrlinge für das Vorwerk ein. 8 Zur Funktion der Elternbriefe, der VW-Werkzeitschrift, die vom dritten Jahr- gang an Eltern- und Feldpostbriefe, vom fünften Jahrgang an Die Vorwerk-Fanfare hieß, sind einige Erläuterungen zu geben: Allein die Tatsache, daß es ein solches Organ gab, in dem die Eltern über die Be- rufserziehungsarbeit und die politisch-militärische Ausrichtung ihrer Söhne infor- miert wurden, ist bemerkenswert. Die Elternbriefe bildeten ein Forum zur Selbstdar- stellung der Mitarbeiter des Ausbildungswesens sowie zur namentlichen Vorstellung der besten Lehrlinge in Werkstatt und Werkberufsschule. Sie dienten zum Abdruck von begeisterten Lehrlingsberichten, die dazu angetan waren, die weitere Nach- wuchswerbung zu unterstützen und wurden auch dazu genutzt, elterliche Bedenken 356 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" zu zerstreuen, die sich des öfteren an dem Gerücht entzündeten, den VW-Lehrlingen würde verboten, sonntags zur Kirche zu gehen. Bei den Eltern, denen diese Elternbriefe zugeschickt wurden, dürfte zumindest der Eindruck erweckt worden sein, über das, was ihren Söhnen in der Fremde widerfuhr, laufend informiert zu werden. Ziele der "ganzheitlichen" Erziehung wurden unver- blümt herausgestellt. So schreibt Ausbilder Kurt Davidi den "lieben Eltern", womit er in erster Linie die besorgten Mütter meinte: "Fern vom Elternhaus zu lernen, ist gewiß für den jungen Menschen eine hart Schule. Aber er lernt frühzeitig seinen Mann zu stehen, und um das geht es uns. Denn wir wo11en aus ihm einen gesunden, anständigen und tüchtigen Kerl machen. 'Deutschland braucht ganze Kerle'" (EI- ternbriefe 2 (1939), Heft 1, S.35). Im Archiv der Volkswagen AG, Abteilung Firmengeschichte und Auto Museum Wolfsburg befinden sich insgesamt 14 Ausgaben dieser Werkzeitschrlft: die genauen bibliographischen Angaben lauten: Der KdF-Wagen, Volkswagenwerk GmbH, Vor- werk Braunschweig, Elternbriefe, Mitteilungen des Ausbildungswesens an die EL- tern unserer Lehrlinge. 1 (1938), H.1; 2 (1939), H. 1 und H. 2; Der KdF-Wagen, EL- tern- und Feldpostbriefe. 3 (1940), H. 1 und H. 2; 4 (1941), H. 1 - H. 4; Die Vor- werk-Fanfare. WerkzeitschriJt der Volkswagenwerk GmbH, Vorwerk Braunschweig. 5 (1942), H. 1 - H. 3; 6 (1943), H. 1 und H. 2. 9 Eine Auswahl der Gäste: Reichminister Rust, Ministerpräsident Klagges (April 1939); der Stabschef der italienischen Miliz, Oberst Bodini, der stellvertretende Reichsjugendführer Lauterbacher, Ministerpräsident KIagges, Kreisleiter Krebs, eine Kommission der Regierung des Protektorats Böhmen und Mähren (Juni 1940); SS-Oberführer Wolkersdörfer, der Reichstreuhänder der Arbeit, Dr. von Maercken, der Leiter des Arbeitsamtes Braunschweig, Oberregierungsrat Dr. Gerber, Minister- präsident Klagges und Rektoren deutscher Hochschulen, namhafte Persönlichkeiten aus Partei, Wehrmacht und Staat, Gauberufswalter Gerloff (Oktober 1940); Führer der volksdeutschen Jugend der Slowakei, norwegische Jugendführer, Jugendführer der dänischen Jugendbewegung, Ritterkreuzträger Kapitänleutnant Kaden (April 1941); der Leiter des sozialen Amtes der Reichsjugendführung und des Jugendamtes der deutschen Arbeitsfront, Oberbannführer Schröder, der Führer des Gebietes Nie- dersachsen der Hitlerjugend, Gebietsführer Conrad, der Hauptschulungsleiter der NSDAP, Hauptbefehlsleiter Schmidt, Betriebsführer, Betriebsobmänner und Be- triebsberufswalter des Gaues Südhannover-Braunschweig (August 1941). Besichti- gung der Heime und Lehrwerkstätten durch Unteroffiziere der Offiziersvorschule Hannover, Besichtigung des Werkes durch den Leiter der Hauptabteilung Presse der deutschen Arbeitsfront, Parteigenosse Werner Scheunemann, fünfzehn HJ-Führer vom Gebiet Westruhr/Niederrhein unter Führung des Oberbannführers Hinigenho- Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 357 Jen; Besichtigung der HJ-Heime und Lehrwerkstätten durch Werkschulleiter und Ausbildungsmeister der Junkers-Werke Magdeburg, Besichtigung des VW-Vorwer- kes durch den General der Infanterie Muff mit zahlreichen Verbindungsoffizieren (November 1941); Landesobermedizinalrat Gerstenberg und Landesbauoberinspek- tor Schaber, Bannführer Eggert, Kreisleiter Hiestermann, Bannführer Eggert, (Janu- ar 1942); der italienische Unterstabschef Dott. Fernando Feliciani, Hauptamtschef Dott. Cardona und Demonte, Gebietsführer Conrad, der norwegische Jugendführer Staatminister Stang, Kreisleiter Beier, General von Dewitz, Gebietsführer Petter, Ritterkreuzträger Budäus, NSKK-Obersturmführer Lüddecke, Marinesonderführer Arthur Werner-Emden, eine Gruppe italienischer Jugendführer, HJ-Bannführer Eg- gert, Ritterkreuzträger Unteroffizier Pape, vierzig rumänische Jugendführer unter Führung von Major Roncra und Professor Stan, Gebietsführer Conrad, der ungari- sche Staatsjugendführer Feldmarschall-Leutnant Delby in Begleitung von Gebiets- führer Conrad (Mai 1942). Eine Abordnung der Berliner Presse, leitende Persön- lichkeiten der italienischen Großindustrie unter Führung von Dr. Ciro Prgarto, Rit- terkreuzträger Oberfihnrich Kempf, General Kwaternik (Kroatien), Reichsjugend- führer Axmann, der Ausbildungsleiter der Sudetendeutschen Treibstoff AG Brüx, Bernhardt, eine Abordnung der Akademie für Jugendführung, eine Abordnung der schwedischen Jugend (Lindholm-Bewegung), zwei spanische Jugendführer und Oberbannführer Kilian, sowie Oberbannführer Lemmer, Ritterkreuzträger Oberleut- nant Kirchner, Abordnung der Firma Wolff & Co., Bomlitz, Gauberufswalter Lö- scher, Professor Hisehe vom Arbeitsamt Hannover (September 1942). 10 Außer den in den Anmerkungen 6 und 7 aufgeführten Berichten finden sich in der Braunschweiger Tagespresse in den Monaten September und Oktober 1938 folgende z. T. bebilderte Berichte über das VW-Vorwerk: Braunschweiger Tageszeitung, 23.9.1938, S. 5: Die Spanier im Vorwerk. Eingehen- de Besichtigung der Werksanlagen und Sozialeinrichtungen. Braunschweiger Tageszeitung, 5.10.1938, S.5: Dr. Ley wieder in Braunschweig. Be- sichtigung des Vorwerkes und der Südstadtsiedlung Mascherode. Braunschweiger Tageszeitung, 24./25.9.1938, S. 5: Hier wohnen die Vorwerk-Lehr- linge. In acht schönen Kameradschaftshäusern sind sie untergebracht. Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger, 24./25.9.1938, S. 12: Spanier besuchten das Vorwerk. Bewunderung für die vorbildlichen sozialen Einrichtungen und die körper- liche Ertüchtigung. Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger, 5.10.1938, S. 5: Dr. Ley besuchte das Vor- werk. Braunschweiger Neueste Nachrichten/Braunschweiger Landeszeitung, 27.9.1938, S. 9: Wo sie wohnen - wie sie arbeiten. Inmitten von Grünanlagen liegen die Heime für die Lehrlinge des Vorwerks. 358 Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" Braunschweiger Neueste Nachrichten/Braunschweiger Landeszeitung, 5.10.1938, S. 9: Von Fallersleben nach Braunschweig. Dr. Ley besuchte überraschend die KdF- Wagen-Stadt. 12.16 Literatur Adam, E(rich): Ordensburg der Arbeit. Das Volkswagenvorwerk Braunschweig weist neue Wege der Lehrlingsausbildung. In: Arbeitertum 9 (1939), Folge 5, S. 6f. Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront (Hrsg.): Die deutsche Arbeitsfront. Wesen - Ziel- Wege. Berlin 1943. Arnhold, Kar!: Die Lehrwerkstätte. Planung, Errichtung und Führung. Berlin 1937. (a) Arnhold, Kar!: Die Lehrwerkstatt als Exerzierplatz des praktischen Lebens. In: Ar- beitsschulung 8 (1937), S. 24-27. (b) Arnhold, Kar!: Grundsätze nationalsozialistischer Berufserziehung. Berlin o. J. (1938). Arnhofd, Karf: Leistungsgemeinschaft. In: Arbeit und Betrieb 13 (1942), S. 42-45 (a). Arnhold, Karl: Drei Grundsätze der Berufserziehung. In: Berufsausbildung in Han- del und Gewerbe 17 (1942), S. 104 f. (b). Arnhold, Karl: Wehrhafte Arbeit. Eine Betrachtung über den Einsatz der Soldaten der Arbeit. Leipzig 1942. (c). 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Müller Bild 10: Weihnachtsfeier 1938 in der Lehrwerkstatt Als Lehrling in der "Ordensburg der Arbeit" 369 Bild 11: VW-Lehrlinge im Reichsberufswettkampf 1939 Bild 12: Unterricht in der Werkberufsschule 370 13 Die ausgebeutete Tradition, die ideologische Revolution und der pädagogische Mythos Versuche und Schwierigkeiten, "nationalsozialistische Pädagogik" zu begreifen und historisch einzuordnen 371 "Daraus, daß das unmittelbare Wissen Kriterium der Wahrheit sein soll, folgt ... , daß aller Aberglaube und Götzendienst für Wahrheit erklärt wird und daß der unrechtlichste und unsittlichste Inhalt des Willens gerechtfertigt ist" (Hegel: System der Philosophie, § 72) "Eine ganz große deutsche Bewegung wurde so zu einer einzigen Erziehungsgemeinschaft, die sich auf den Grund- sätzen des Soldatischen gründete, aber von einer neuen Bereitschaft und einem neuen Willen beseelt war. (Stellrecht 1944, S. 7) "Führer befiehl - wir folgen dir!" (NS-Parole) Die Erforschung von Erziehung und Erziehungstheorie des Nationalsozialismus zeitigt ein bekanntes Ärgernis: daß mit zunehmender Kenntnis das Ding nicht leich- ter, sondern schwerer zu begreifen ist. Das Nachdenken über "nationalsozialistische Pädagogik" (ns. Pädagogik) stößt heute auf folgende irritierende Umstände: (1) Es gibt eine Fülle von Materialien und Studien' über nationalsozialistische Erziehung und ihre Theorie; und es wurden etliche Begriffe dafür geprägt; es gibt aber keinen Konsens über einen Begriff. (2) Das Verhältnis resp. der Austausch zwi- schen Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung ist nicht geklärt - der Theoriegehalt, ja die Theoriefahigkeit der Praxis ist strittig. (3) Was als nationalso- zialistische Erziehungstheorie zitiert wird, geht auffällig an der Praxis vorbei. (4) Die einschlägige erziehungshistorische Forschung wechselt gelegentlich ihren Ge- genstand - die Beurteilung "nationalsozialistischer Pädagogik" wird kontingent. In dieser Situation schwieriger Synthese und hausgemachter Divergenzen soll es weniger die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, einen (eigenen) Begriff vorzulegen, als vielmehr das vorliegende Begriffs- und Streitmaterial zu ordnen, so daß die syste- matische Reflexion auf "ns. Pädagogik" wieder erleichtert wird. Dies soll in fünf Schritten geschehen: darzulegen, was mit "ns. Pädagogik" gemeint sein soll, und 372 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos dies im Hinblick auf den jüngsten Streit über sie (1.); ihre Abkunft zu klären (2.), ihre Qualitäten zu bestimmen (3.), Begriffsversuche zu prüfen (4.) sowie zuletzt ihre geschichtliche Einordnung zu diskutieren (5.). 13.1 Was "ns. Pädagogik" meint und worüber gestritten wird Die Leistung, aber auch die Ungenauigkeit des Begriffs "Pädagogik" liegt dar- in, daß er zwei Aspekte von Erziehung umfaßt, aber auch vennengt, die analytisch getrennt zu sehen sind: Idealität und Realität. Er liegt damit zwischen reiner Theorie und Empirie - eine Konvention die eine, eine wissenschaftslogische Fiktion die an- dere. Die pädagogische Wirklichkeit ist nicht "rein"; ihr wohnen Wissen und Refle- xion, Regeln und Lehren, Ideen, Konzeptionen, Zielvorstellungen und Sinndeutun- gen inne. Genau dies der Praxis zugehörende Wissen samt dieser Praxis selbst meint der Begriff "Pädagogik". Zumindest wird er heute gemeinhin so verstanden; auch wurde er durch seine Geschichte hindurch so gebraucht - freilich in dieser oder jener Gewichtung der Inhalte, mit der Pädagogik zu dieser oder jener Wissensart tendiert; was die Attribute "theoretische" resp. "wissenschaftliche" oder "praktische" je- weils anzeigen. Wiewohl logisch unpräzise, trifft der Begriff den vennischten Sach- verhalt genau und ist von den anliegenden Begriffen: "Erziehungstheorie ", "Erziehungswissenschaft", "Erziehungspraxis " hinreichend unterschieden. Diese Vergewisserung scheint angebracht, weil im jüngsten Streit über die histo- rische Einordnung der Pädagogik zur Zeit des Nationalsozialismus die Begriffe durcheinandergeraten sind. Zum einen wird Kontinuität behauptet und dafür die "Kathederpädagogik" , die Universitätspädagogik, der Weimarer Republik ins Feld geführt (Gamm 1972, 1987); zum anderen wird von einer "historisch singulären Fi- guration"l geschrieben und dafür im wesentlichen das "Personencorpus" der "deut- schen Erziehungswissenschaft 1931-1940" sowie die "Denkmuster" der "Pädago- gen nach 1933" (S. 315; kursiv GMK) zum Beweis vorgelegt (Tenorth 1986).2 Offenkundig sprechen beide Autoren von unterschiedlichen Größen, was den Ver- gleich ihrer Aussagen in puncto Kontinuität gar nicht zuläßt. 3 Wichtiger für den hier verfolgten Gesichtspunkt: es verschieben sich die Begriffe. Meinte Gamm noch ein- deutig das Denken und Verhalten von Wissenschaftlern ("Pädagogen"), die sich durch Theoriearbeit defmieren, so besteht für Tenorth das Corpus der "deutschen Erziehungswissenschaft" aus "Gelehrten" (nach Kürschner), damit auch aus "Päd- agogen", deren Arbeit die Ausbildung ist. Gleichwohl nennt er sie alle "Erziehungs- theoretiker" (S. 305) und bezeichnet ihre "Denkmuster" nacheinander als "NS- Pädagogik" resp. "nationalsozialistische Pädagogik" (S. 303,305, 309), als "natio- nalsozialistisches Erziehungsdenken" (S. 313), "Erziehungstheorie ... nach 1933" Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 373 (S. 314), "nationalsozialistische Erziehungskonzeption " und "Pädagogik nach 1933" (S. 315), zuletzt als "nationalsozialistische Erziehungstheorie" (S. 316).4 Ge- gen solchen Sprachgebrauch ist festzuhalten: "ns. Pädagogik" meint hier die Päd- agogik des, nicht diejenige im, d. h. während des Nationalsozialismus. Damit ist auch klargestellt, wer diese Pädagogik gesellschaftlich trägt: es ist die NSDAP. Die Unterscheidung zwischen Staat und Partei zur Beschreibung der politi- schen Gestalt des Dritten Reiches taugt auch für dessen Erziehungswesen. Vom überkommenen setzt sich dasjenige im Machtgefüge der NSDAP als dem Parallel- apparat zum Staate ab.5 Es konstituiert "ns. Pädagogik". Der Begriff hat also zum Inhalt das nationalsozialistischer Erziehung implizite und zugrundeliegende Wissen, zum Umfang dieses Wissen und seine gesellschaftliche Praxis - ohne materielle An- schauung bliebe er schließlich leer. Wenn damit festgeschrieben ist, was als "ns. Pädagogik" begriffen werden soll, kann die Frage angegangen werden, wie sie an sich wohl zu begreifen sei. 13.2 Über die Abkunft nationalsozialistischer Pädagogik und das Theorie-Praxis-Verhältnis Ns. Pädagogik kann - theoretisch - der Theorie, der Praxis oder bestimmten Zwecken allein oder anteilig entstammen. Dem ist im einzelnen nachzugehen. Die Frage, ob und wieweit ns. Pädagogik sich auf Theorie im systematischen Verstande bezieht, wird hier auf Erziehungstheorie (als Erziehungswissenschaft) einge- schränkt6 und dabei zwischen nationalsozialistischer und nichtnationalso- zialistischer unterschieden. Daß letztere nationalsozialistischer Pädagogik ihr Wis- sen lieferte 7 oder umgekehrt: daß ns. Pädagogik Wesentliches aus der vorfindlichen Erziehungstheorie lieh, kann angesichts der Bedeutungsunterschiede bestimmter ge- meinsam genutzter Begriffe und Sätze nicht behauptet werden. Im historischen Wis- senschaftsprozeß hat sich diese Scheingemeinsamkeit längst herausgestellt. 8 - Ns. Pädagogik speiste sich aber auch nur zum Geringen aus nationalsozialistischer Erziehungstheorie bzw. dem, was als solche rekonstruiert wird und als deren Expo- nenten Baeumler und Krieck gelten. Die NSDAP, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände produzierten pädagogisches Schrifttum in noch nie dagewesener Fülle? Soweit "aus der Praxis für die Praxis" konzipiert, ist es an Theorie nicht interessiert; soweit es sich um die Selbstdarstellungen und Systematiken der pädagogischen Funktionäre des Na- tionalsozialismus handelt, rekurrieren sie nachlesbar selten auf "ihre" Theoretiker 374 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos und enthalten deren Erkenntnisse allenfalls stückhaft. 10 Das gilt unabhängig von der Frage, wieweit die Schriften Baeumlers und Kriecks selbst überhaupt die Ansprüche erfüllen, die an eine systematische Theorie nationalsozialistischer Erziehungspraxis in logischer und in analytischer Hinsicht zu stellen wären. 11 - Daß ns. Pädagogik sich wenig mit Theorie austauscht, ist auch faktisch zu beobachten: zwischen den unterschiedlichen sozialen Orten - Parteiämtern, Parteischulen hie, Universitäten da - gibt es kaum Verkehr, die Teilöffentlichkeiten nehmen selten Notiz voneinander, 12 von einem allgemeinen pädagogischen Diskurs kann keine Rede sein. 13 Woher aber dann stammt die ns. Pädagogik in der Hauptsache, und wer sind die Wissensproduzenten? Sie stammt aus der Herrschaftspraxis der NSDAP. Das bestä- tigt das in ihr ausgebildete Theorie-Praxis-Verhältnis als zentraler erziehungs- wissenschaftlicher Systempunkt. Die in der Frontstellung gegen "bürgerliche" Intelligenz und Marxismus laut sich zeigende und aus politischem Legitimationszwang wachsende Theoriefeind- lichkeit des Nationalsozialismus schlägt selbstredend auch auf dessen Pädagogik durch: einmal in der sattsam bekannten Polemik gegen "Materialismus, Verstandes- kram und Intellektualismus" (Schemm, dok. in: Kanz 1984, S. 102), zum anderen in der dezidierten Xblehnung wissenschaftlichen Denkens. 14 Polemik wie Ablehnung zeigen den Versuch an, das Denken von der Praxis femzuhalten, darüber hinaus in praxi auszuschalten. Damit ist die theoretische als wissenschaftliche Gründung der ns. Pädagogik schon am Anfang zu Ende. Am "Wendepunkt der Erziehung" fällt "die Entscheidung für die Seele" und gegen den "kalten Intellekt", wird "die Macht des Gemütes" als Erkenntnisvermögen gegen "das Wissen" angeführt (Schi- rach 1942, S. 101), sollen "Erlebnisse", nicht "Kurse" die zukünftigen Führer schulen (ebd., S. 9). Erziehung sei keine und bedürfe keiner Wissenschaft, "da sie aus dem Wissen heraus gar nicht gestalten kann; ... sie ist eine politische Arbeit und nimmt ihre wahre Kraft aus einer Revolution, die ein neues Wesen gibt" (Stellrecht 1944, S. 16). Diese Sätze sind insofern beim Wort zu nehmen, als sie den Ursprung des nationalsozialistischen Zugriffs auf die Erziehung erkennen lassen: es ist die "Revolution", i. e. die Machtergreifung und Herrschaft der NSDAP, die sich als "Revolution" stilisiert. Das bedeutet, daß herkömmliche Theoriebezüge entfallen oder durch Politik ersetzt werden: 15 die Anleitung oder Überprüfung oder Interpre- tation oder normative Grundlegung von Praxis. Wenn ns. Pädagogik auf Erziehungs- theorie rekurriert, dann stückweise und im ideologischen Kontext. Sie selbst ist zu- erst mit Politik im Bunde und entwickelt sich in der und aus der politischen Praxis. Zum Wahrheitskriterium wird hier der Erfolg, zum Auswahlkriterium für Wis- sen die politische Doktrin, zur "Methode" des Aufbaus von Wissen wird das Han- Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 375 deIn. So entsteht Pädagogik systematisch als Pädgogik der Tat - Theorie kann ihr folgenlos nachgeliefert werden; sie hat ihre Funktionen im Bezug auf Praxis verlo- ren. "Erzieherische Bewegungen und Einrichtungen soll man nach ihren Erfolgen beurteilen. Ihr Wert für die Nation besteht nicht im Glanz einer bestechenden Theo- rie" (Schirach 1942, S. 11). Die Verknüpfung der ns. Pädagogik mit der Herrschaft der NSDAP bringt mit sich, daß sie erst in deren Prozeß und von deren Trägem und Mitläufern formuliert wird, daß in erster Linie die Funktionäre der nationalsoziali- stischen Erziehung das Disziplinwissen vortragen und repräsentieren. Ihr Gewährs- mann heißt Adolf Hitler. Hauseigene Zuständigkeit in Erziehungsfragen ist für nationalsozialistische Funktionäre in~egriffen. Sie sehen sich bekanntlich gern als "geborene Erzieher" - ebenso als "geborene Führer" -, und jeder Führer einer nationalsozialistischen For- mation schreibt sich qua Amt und Praxis pädagogische Kompetenz zu. Dieser Selbstermächtigung ist die Theorieverachtung immanent; sie diente der Behauptung sowohl in der internen Machtkonkurrenz der einzelnen Formationen als auch gegen die traditionellen Erziehungsträger. Hierbei äußert sich die Theorieverachtung in der besonderen Form der Herabsetzung des studierten Lehrers und des "Zunftgelehr- ten". Die (Erziehungs-)Funktionäre des Nationalsozialismus sind die Wissensprodu- zenten der ns. Pädagogik. Ihre Schriften haben zuerst die Intention und die Funk- tion, nationalsozialistische Erziehung oder nationalsozialistische Herrschaft als Er- ziehung zu legitimieren und über ideelle Formierung durchzusetzen. Angesichts der funktionellen Gemeinsamkeit ist der qualitative als der wissenschaftslogische Stan- dard (des Schrifttums) der ns. Pädagogik zweitrangig und führt zu einer uneigentli- chen Beurteilung oder Klassifizierung. 16 Nach Zwecken ließe sich Propaganda-, Rechtfertigungs-, Selbstdarstellungs- und Anleitungsliteratur unterscheiden, in der (in dieser Reihenfolge) der Schwulst ab-, die Sachlichkeit zunimmt. Der ganze Be- stand aber ist nach einer ideologischen Schablone und in einer erziehungs- politischen Absicht gefertigt; und die hat Hitler vorgegeben. 17 Hitlers Wille zur Macht treibt die ns. Pädagogik wesentlich hervor. Er ist, syste- matisch gewendet, der Ort ihrer Deduktion. Führerworte, Führerbefehle, Hitlers "Mein Kampf" waren Evangelium und dogmatische Autorität der ns. Pädagogik. Mit dem Führerwillen muß sie darauf angelegt sein, diesen Willen durchzusetzen. Das heißt auch: allen anderen Willen zu kontrollieren, auszuschalten oder zu bre- chen. Wird dies als ihr eigentlicher Ansatz ernst genommen, ist ns. Pädgogik von ihm her zu begreifen. 376 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 13.3 Über die Qualitäten nationalsozialistischer Pädagogik Ursprung und Funktion einer Pädagogik bestimmen ihre Eigenschaften und ihre Eigenart. Ns. Pädagogik entspringt dem Willen zur Macht. Damit liegen, wie oben angesprochen, ihre Qualitäten auf anderem als auf wissenschaftlichem oder theoreti- schem Gebiete. Gleichwohl wird sie traditionellerweise in wissenschaftslogischer Hinsicht beurteilt, und zwar einhellig negativ l8. Das veranlaßt doch die Frage, ob das angelegte Maß überhaupt paßt oder verlangt sonstwie nach Erklärung. Da man- gelnde Fähigkeit der beteiligten Köpfe nicht durchgängig zutrifft, könnte in positi- ver Deutung der festgestellten Mängel gerade "Konzeptlosigkeit" als "Indiz für das Konzept gelesen werden": und dieses sei, "Diskrepanzen zwischen propagandi- stischem Anspruch und der Wirklichkeit der Erziehung ... ideen politisch aufzufan- gen und die Widersprüche semantisch zu versöhnen" (Tenorth 1985, S. 69)19. Da eben dies die klassische Leistung aller Ideologie ist, bleibt zu fragen, ob sich darin die besondere Leistung ns. Pädagogik als Erziehungsideologie erschöpft, zumal sie diese nur schlecht erbringt: Gegensätze (z. B. zwischen HJ und Schule) und Wider- sprüche (z. B. zwischen Elite- und Massenbildung) bleiben in der ideellen Produk- tion stehen oder bilden sich dort getreulich ab; logische Oppositionen (z. B. zwi- schen biologischem Determinismus und Erziehung) werden selten bedacht20. Mit dem Erziehungstopos ist die ganze pädagogische Sprache des Nationalsozialismus an sich bereits ideologisch. Ns. Pädagogik ist dabei aber noch von eigener Durch- schlagkraft. Sie leistet die notierte Versöhnung insbesondere nicht "semantisch", sie versucht sie praktisch und das auf ihre, auf pädagogische Weise: sie setzt sie im Subjekt an. Auf solche Einwirkungen hat in der Diskussion über die ns. Pädagogik zuerst Hans-Jochen Gamm mit dem Begriff "Menschenverführung" hingewiesen (Gamm 1964, S. 30). Mag dieser Begriff auch "die Komplexität des Erziehungsgeschehens im nationalsozialistischen Deutschland" nicht hinreichend erfassen (Lingelbach 1970, S. 21) - das tut bisher noch kein Begriff -, so erfaßt er ns. Pädagogik doch an- satzweise in der Funktion, auf die ihre Sprachgestalt zurückgeht und mit der sie sich in Politik fortsetzt (Thamer 1986). Ihre wohlbekannten Charakteristika: das Pathos, die Bildhaftigkeit, die reiche - kitschige - Ausschmückung, die suggestiven Wieder- holungen21 lassen sich als Verführungsmittel positiv verstehen, und sie belegen, daß ns. Pädagogik psychologisch, nicht logisch verfaßt ist. Dazu gehört auch, daß sie Grundbegriffe als Schlagworte, Sätze als Parolen verwendet. Ihre "unlogische" Ge- stalt hat ihre eigene Logik; nur ist das keine wissenschaftliche; sie will "Rausch statt Erkenntnis" (Steinhaus 1981, S. 111). Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 377 Der propagandistische Charakter des nationalsozialistischen Ideenapparates ist so bekannt wie Hitlers Meisterschaft in dem Metier, dessen Mechanismen er gele- gentlich preisgibt (z. B. Hitler 1939, S. 196 ff.). Der erste, der die Rhetorik in "Mein Kampf" untersuchte, kam 1939 zu dem Schluß, daß Hitler sich "ein theolo- gisches Denkschema zunutze" machte und seine Ideenproduktion mythische Züge trage (Burke 1967, S. 20). Diese seien u. a.: ein Freund-Feind-Schema und die Per- sonalisierung von Systembeziehungen, Bilder von Zwietracht und Eintracht, Heils- bilder, ein Verheißungsmotiv und symbolische Wiedergeburt (ebd., S. 16 ff.). Diese Analyse trifft zu. Hitler selbst erwähnt den katholischen Gottesdienst als beispiel- haft für die "Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Menschen" zur Durchsetzung "eines stärkeren Wollens" (Hit/er 1939, S. 531 f.). Genau dort liegt der pädagogi- sche (im Unterschied zum politischen) Ansatz der nationalsozialistischen Machter- greifung und der Ansatz der ns. Pädagogik: in der kalkulierten Willensbeeinträchti- gung. Mythische Elemente der eben zitierten Art sind unschwer an ihr auszumachen. Ist nationalsozialistische Erziehung also zu wesentlichen Teilen eine mythische Ver- anstaltung und ist ihr ideeller Bestand deren Repräsentanz? Läßt sich ns. Pädagogik als Mythos begreifen, und welches wäre seine reale Funktion? Schließlich wird in der politischen Geschichtsschreibung die Inszenierung national-sozialistischer Herr- schaft längst als Mythos (HirschfeldfKettenacker 1981), wurde ihre Durchsetzung über Mythen jüngst wieder beschrieben (Thamer 1986). 13.4 Begriffsversuche Soll der neue Begriffsversuch etwas taugen, darf er bisherigen Begriffsvorschlä- gen nicht fundamental widersprechen; denn diese sind ja keineswegs unzutreffend. Sie benennen ns. Pädagogik in zentralen Punkten, allerdings in je unterschiedlicher Hinsicht: (1) Die anthropologische als biologische Dimension nimmt Gamms "Entwurf zu einer Systematik der nationalsozialistischen Erziehung" in den Blick (Gamm 1964, S. 11)22. Er liefert der erziehungshistorischen Forschung die bis heute dienli- chen Begriffe "Vitalkorrektur" (ebd., S. 11) und "Typenzucht" (ebd., S. 39). - (2) Den politischen Aspekt dieser "Züchtungspädagogik" (Herrmann 1985, S. 69, 71) gibt die Wendung "totale Menschenfonnung" wieder (Ehrhardt 1968). Obwohl auch dieser Begriff deskriptiv ist, schwingt in ihm eine - negative - Bewertung mit, die sich in Wendungen wie "Zerstörung der Person" (StippelI957)23 oder "Perver- sion der politischen Pädagogik" (Assel 1969) ausdrückt. - (3) Die anthropologische als die normative Dimension ns. Pädagok ist bislang nur negativ gefaßt worden. Be- zeichnungen wie "Unpädagogik,,24 (Blankertz 1982, S. 272), "Antipädagogik" 378 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos (Steinhaus 1981, S. 19), "Pseudo-Pädagogik" (ebd, S. 28) oder "Schwarze Päd- agogik" (Herrmann 1985, S. 73) geben mit dem humanistischen Erziehungsbegriff das Menschenbild der europäischen Aufklärung vor. Danach wird ns. Pädagogik zu einer "contradictio in adjecto" (Lingelbach 1970, S. 43; Herrmann 1985, S. 9). Daß sie unter unserem Wertehimmel nicht positiv und nur als selbstwidersprüchlich er- scheint, ist kein Grund, ihre normative Bestimmung zu unterlassen25 . - (4) In insti- tutioneller und in didaktischer Hinsicht ist nationalsozialistische Erziehung als "Formationserziehung" begriffen und von Harald Scholtz am ausführlichsten be- schrieben worden. Der Beschreibung ist gleich abzulesen, daß sich solche Erziehung auch im Nachhinein nicht aus der Theorie, in diesem Falle aus einer bei Baeumler zu fmdenden "Formationspädagogik" ableiten läßt, da sie in wesentlichen Aspekten dort nicht auftaucht. Die vorgelegten Begriffe von Realität und Idealität nationalsozialistischer Erzie- hung werden im Begriff "pädagogischer Mythos" zwar nicht materiell, dafür aber ideell auf einen Nenner gebracht. Ein Mythos ist der reale pädagogische Prozeß in seiner Anstrengung kollektiver - nationalsozialistischer - Identität und Sinnstiftung. Mythisch sind seine idealen Momente Heldentum, Kampf, Tod, Opfer und Heil. Der Mythos ist die Gestalt, die jene gesellschaftliche Funktion der Versöhnung von An- spruch und Wirklichkeit nationalsozialistischer Herrschaft annimmt und in der sie sich im kollektiven Bewußtsein realisiert. Dem arbeitet die ns. Pädagogik mit Wil- lensbeeinträchtigung auf eigene Weise zu. Das erschließt sich, wenn man den Be- griff "Mythos" auf ns. Pädagogik insbesondere in psychologischer Hinsicht auslegt. Damit ist dann auch ein Begriff ns. Pädagogik aus sich, aus ihren Mechanismen her- aus gegeben. Seine Verständnisleistung müßte sich gegenüber der herkömmlichen Deduktion ns. Pädagogik aus einer nationalsozialistischen "Erziehungstheorie " se- hen lassen können. "Mythos" wird hier im allgemeinen Sprachgebrauch genommen als symboli- scher, gleichwohl realitätsmächtiger Ausdruck nicht rationalisierter kollektiver (Ur-) Erlebnisse oder (Ur-)Prozesse26. Ihm liegen bestimmte Denk- und Anschauungsfor- men zugrunde, die sich in den oben genannten mythischen Elementen konkretisieren und auf die gesellschaftliche Wirklichkeit durchschlagen. Vom symbolischen Aus- druck kann ein Mythos also zur Kulturform werden, wie dies im Nationalsozialis- mus zweifellos geschah. Georg Lukacs (1966) hat das Umschlagen von rationaler in irrationale Wirklichkeitserfassung als Konstituens des nationalsozialistischen My- thos beschrieben. - Die psychologische Qualität des Mythos liegt in seiner Magie: er (re)präsentiert Urbild und Abbild, Sein und Symbol ungeschieden; die Idealität ist zugleich die Realität, der Ausdruck das Dasein. In diesem Punkte einer vor-rationa- len Seinsweise oder des fehlenden Differenzbewußtseins hat Cassirer (1924) den Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 379 Unterschied zwischen Mythos und Religion gesetzt. Daß der Nationalsozialismus mit einer (Ersatz-)Religion viel gemein hat, insbesondere im Transzendieren der Realität, ist abständigen Zeitgenossen früh aufgefallen. Thomas Mann nannte ihn 1930 eine "proletarische Eschatologie" (S. 19); und Ernst Bloch erkannte in den Mythologemen und in der Ästhetik der "Nazis" ein "armseliges Neuheidentum" (S. 257). Mir scheint der Mythos-Begriff gerade im Punkt des "magischen" Seins einen Schlüssel für die Gestalt und die Wirkung ns. Pädagogik abzugeben und daher nicht seinerseits nur ein weiteres Ideologem zu sein. Er beschreibt und erschließt an ns. Pädagogik: (1) ihre Zielrichtung auf das Subjekt: jene Ratio und Reflexion aus- schließende Willensbeeinträchtigung; (2) ihre Rhetorik; (3) ihre spezifischen Me- dien und Formen, die zusammen zu einer unerhörten Emotionalisierung und Ästhe- tisierung der Erziehung führten; (4) ihre "Todes-Ästhetik" (Friedländer 1984); (5) schließlich zu guten Teilen ihre psychologische Wirkung und ihre ideologische Funktion. Zu allen fünf Gebieten liegen in der erziehungshistorischen Forschung Hinweise und Materialien vor, die "Mythos" als passenden Begriff ns. Pädagogik bestätigen oder unter diesem Begriff ihrerseits verständlich werden. Zur Wirkung nationalsozialistischer Erziehung als einer mythischen Veranstal- tung sei an dieser Stelle noch eine Anmerkung gemacht: Die Wirkkraft, ja der magi- sche Bann nationalsozialistischer Erziehung sind unbestritten und alltagsgeschicht- lich gut bezeugt. Obwohl seinerzeit nicht ungebrochen - der Mythos verbrauchte sich letztendlich auch -, halten sie bei vielen Betroffenen noch heute an, wie deren Biographien belegen. Die Einwirkungen werden zumeist als überwältigendes Erleb- nis und als Sinnerleben wiedergegeben; sie ergriffen die ganze Gemeinde, Führer und Geführte28• Hier gelangen ganz offenbar kollektive "(Ver-)Führung" und Sinn- stiftung; und zwar bei gläubiger Einstellung und unter partiellem Realitätsverlust. Unerkannt und ausgespart blieben die Willkür der Herrschaft und die politische Wirklichkeit. Der Glaube an den Führer und die Bewegung herrschte vor. Wie kam es dazu? Die mythische Inszenierung nationalsozialistischer Erziehung traf auf empfäng- liche Bedürfnisse und Dispositionenj und erfüllte diese ebenso wie sie neue, dem Herrschaftszwecke förderliche schuf 9. Für die Entzifferung der kollektiven Seelen- lage, auf die der nationalsozialistische Mythos traf und antwortete, liefert Barring- ton Moore das Stichwort "Ungerechtigkeit". In einer Auswertung der von Abel 1938 vorgelegten Autobiographien arbeitet er u. a. heraus, daß "auch das Gefühl moralischen Zorns über wahrgenommene Ungerechtigkeit häufig eine mächtige Komponente der Massenunterstüzung für faschistische Bewegungen gewesen" ist 380 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos (Moore 1984, S. 529). Wie sich dieses "Gefühl" zur Heilssuche steigern und deren Erfüllung in religiöse Inbrunst umschlagen kann, ist neuerlich an den Tagebüchern Goebbels' zu studieren. - Als inszeniertes und in Teilen realisiertes Heilsversprechen setzte sich der Nationalsozialismus (massen)psychologisch durch, als ein Mythos in diesem Sinne, Realität und Idealität "deutscher Erlösung" ineins. Ihm verfielen selbst seine Schöpfer30. Der Begriff "Mythos" liefert eine Logik und eine Analytik natio- nalsozialistischer Erziehungspraxis; er faßt ns. Pädagogik in ihrer ideellen Gestalt, in ihrer Wirkung und ideologischen Funktion. Diese sei zumindest kurz ideologie- kritisch beleuchtet. "Versöhnung" ist eine der Metaphern, die nationalsozialistisches Denken be- herrschen, stilbildend bei Hit/er31 . Sie meint politisch die Restitution deutscher (Vor-)Herrschaft und Reichsherrlichkeit, kulturell die Reinigung des deutschen We- sens und pädagogisch die Herausbildung resp. Herauszüchtung des deutschen Men- schen. Was sich mythisch als die Auferstehung aus Niederlage, Ohnmacht, Verfall und Degeneration, zusammen als die Wiedergeburt Deutschlands präsentierte und feierte, ist in Wirklichkeit die Unterstellung unter NS-Herrschaft. Deren Institutio- nen gehen mit "Versöhnung" geradezu hausieren. So verschreibt sich etwa die Deutsche Arbeitsfront der "Vereinigung der Arbeiter der Stirn und der Faust", der Reichsarbeitsdienst sich der "Versöhnung des Arbeiters mit der (deutschen) Schol- le" sowie der "des Abiturienten mit dem Werkmann", ist die Hit/er-Jugend eine "einzige große Erziehungsgemeinschaft" usw. Ns. Pädagogik sichert solche Aufhe- bung gesellschaftlicher Widersprüche und Entfremdung (wie dargelegt) im Subjekt ab - was mehr ist als deren bloße Verschleierung. Sie könnte von daher auch "Ver- söhnungspädagogik" heißen; allerdings als Unterbegriff zu "Mythos" und mit normativem Vorbehalt. Denn diese Stilisierung verschweigt ja gerade die "Kosten" dieser "Versöhnung": daß die antagonistischen "Elemente" "ausgeschaltet" wur- den. Dagegen sollte die erziehungshistorische Begriffsbildung nach 1945 die Folgen davon bewahren, wenn Pädagogik den Menschen nicht in der Gattung, sondern nur in einer Art will, in diesem Falle in derjenigen der "nordischen Rasse". Systema- tisch gesehen verläßt Pädagogik damit ihr humanistisches Fundament; empirische - hier vermeintlich biologische - Unterschiede werden als moralische gesetzt; selekti- ve Erziehung wie Selektion durch Erziehung werden zulässig; darin liegt die päd- agogische Möglichkeit von Auschwitz. Die Pädagogik des Nationalsozialismus ver- schweigt sie selbst nicht einmal. Beispielsweise schreibt Hans Schemm, daß "eine gewisse Schicht weggenommen werden (muß), die nur Ballast ist" (1935, S. 160) Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 381 und meint damit die "minderbegabten Kinder" (ebd. S. 323) - übrigens in derselben Abhandlung, in der er "Liebe und Versöhnung" als Grundsatz "des religiösen Le- bens und Unterrichtens" aufstellt (ebd., S. 160). Des weiteren bezeichnet er es 1933 bei hoch offiziellem Anlaß als "progammatische Aufgabe" des Nationalsozialisti- schen Lehrerbundes (NSLB)3 "den Juden Dr. Kurt Löwenstein ... zu erledigen" ("Das Haus ..... , S. 35 f.) 2. Der Bruch zwischen Versöhnungsmetapher und erziehungspolitischer Absicht tritt dankenswert klar hervor. Daß er seinerzeit dennoch nicht wahrgenommen, daß "Versöhnung" nicht als ideologische erkannt wurde, ist ihrer Realisierung im pädagogischen Mythos zugute zu halten; sie wurde subjektiv als "wahr" empfunden oder erlebt. Faßt man ns. Pädagogik bei der politischen Absicht und ihrer didaktischen Um- setzung, wäre "Kampfpädagogik" ein geeigneter Begriff. "Nimmt man Hitlers Ideen als romantische Verbrämung, so lassen sie sich alle auf einen nackten Macht- anspruch reduzieren, der nur eine Fonn der menschlichen Beziehung anerkannte: die Herrschaft über andere; und nur ein Mittel: die Gewalt" (Bullock 1964, S. 416) - und, so ist zu ergänzen: die Erziehung als besondere Fonn dieser "Herrschaft über andere ,,33. Erziehung als Machtkampf, genauer: als Kampf des führenden gegen den heranwachsenden Willen; der Verlierer dabei ist das pädagogische Subjekt, so- fern es sich mit nationalsozialistischer Herrschaft nicht aussöhnen (lassen) will. - Doch ist der Begriff "Kampfpädagogik", wiewohl er für die Binnenanalyse zurei- chen mag, weder inhaltlich vollständig noch in funktioneller Hinsicht aufschluß- reich. Es fragt sich, ob ein vollständiger Begriff von Pädagogik überhaupt möglich ist, wo Idealität und Realität von Erziehung dennaßen auseinandertreten wie im vor- liegenden Falle. Die mythische Anlage nationalsozialistischer Erziehung kann erklä- ren, warum dieser Umstand zu seiner Zeit nicht ins kollektive, schon gar nicht ins öffentliche Bewußtsein trat. Als Ausweg aus den Begriffsschwierigkeiten bietet sich an, Schwerpunkte zu setzen wie bisher oder den Begriff zu wählen, der die meisten Bestände ns. Pädago- gik umfaßt. Der Begriff "pädagogischer Mythos" konzentriert sich auf den ideellen resp. den ideologischen Aspekt, drückt dabei den Biologismus und das angemaßte humanistische Ethos aber nicht mit aus. Der Begriff "Kampfpädagogik" konzen- triert sich auf die realistische Seite; er verweist auf den politischen Zweck und mit diesem auch auf das - inhumane - Ethos der ns. Pädagogik; er erinnert so an die Ka- tastrophe, in die sie führte. Deren logische Ableitung aus dem Verzicht auf das Den- ken, auf Theorie und Reflexion, geben die vorangestellten Zitate an. 382 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 13.5 Nationalsozialistische Pädagogik als Tradition und als Revolution Ns. Pädagogik - wie hier begriffen - wäre zuletzt nach dem Muster von Konti- nuität und Diskontinuität historisch einzuordnen. Solche Einordnung verlangt linea- res geschichtliches Denken, dessen man sich ja nicht unbedingt unterfangen muß; und sie hängt immer von einer jeweiligen historiographischen Sicht ab; Kontinuität resp. Diskontinuität werden post Jestum festgestellt. Beim Vergleich der diesbezügli- chen Aussagen ist darauf zu achten, daß vom selben Gegenstand gesprochen wird. Nur dann sind Aussagen über Traditionen, Übergänge oder Brüche vergleichbar und hilfreich für die Beschreibung und Rekonstruktion des Sachverhaltes. Tenorth hat zuletzt wieder auf die "Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität" auf- merksam gemacht (1987, S. 30); Hans Scheuerl hat von einem "Gewirr der Kontinuitäten und Diskontinuitäten" gesprochen (1985, S. 133), in dem Orientie- rung zu stiften sei. Er hatte dabei das Verhältnis von ns. Pädagogik und Reformpäd- agogik im Blick; denn es macht in der Tat einen Großteil der - kontroversen - Dis- kussion über die Tradition der ns. Pädagogik aus. Die Vergleichspunkte sind hier vornehmlich der ideelle Gehalt und das Verhältnis zur Politik. Selbstverständlich gibt es eine Reihe weiterer Vergleichspunkte: etwa den psychologischen Mechanis- mus, das pädagogische Instrumentarium oder die gesellschaftliche Basis; sie sind wenig oder noch gar nicht herangezogen worden. Daß bei der Konstruktion von Kontinuitäten in puncto ideeller Gehalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwi- schen Semantik, Kontext und Verwendung sorgfältig unterschieden werden muß, um keiner Scheingemeinsamkeit aufzusitzen, sei hervorgehoben. Wie im 2. Abschnitt oben schon angesprochen, bediente sich die ns. Pädagogik vieler traditioneller Begriffe insbesondere aus dem Fundus der "pädagogischen Be- wegunA in Deutschland" (Noh/), meinte und wollte mit ihnen aber anderes oder Neues . Dies von ihr erzeugte Dunkel der ungeklärten Begriffe hatte mehrere Funktionen: (1) es erzeugte eine gewisse, dem machtpolitischen Zwecke willkom- mene geistige Unsicherheit; (2) es versteckte die wirklichen Absichten oder stattete sie mit historischer Legitimität aus; (3) es ließ mit mehreren Deutungen auch mehre- re Identifikationsmöglichkeiten zu; (4) es konnte damit "von unten" sogar kontra- faktisch zur Mitteilung genutzt werden35. Diese widerständige Benutzung der scheinbar gemeinsamen Begriffe reichte über deren privaten Gebrauch allerdings nicht hinaus. Die tatsächliche Bedeutung diktierten die Machthaber, deren Verfü- gungsgewalt sich eben auch auf geistige Traditionen erstreckte. Vom Mißbrauch durch die Machthaber her gesehen handelt es sich um eine be- sondere Art des ideellen "Erbes" (Blankertz 1982, S. 272), nämlich um Usurpation, um Ausbeutung oder um "Enteignung" (Tenorth 1986, S. 316). Vom gesellschaftli- Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 383 ehen Zusammenhang abgesehen bedeutet die Übernahme traditioneller Bestände durch die ns. Pädagogik, daß sie soweit nicht originell war; und das gilt für Teile der ideellen Produktion wie für viele einzelne Erziehungsmittel, -formen und -institutio- nen mit der großen Ausnahme der Medien der Massenkommunikation. An ihnen hing allerdings die mythische Inszenierung. Für sich genommen ist also der pädagogische Mythos aus der Kulturgeschichte synthetisiert - ebenso verhält es sich ja mit dem nationalsozialistischen Mythos selbst (Poliakov 1977). Die Synthese idealiter womöglich zuerst von Hitler geleistet, geschah aber mit historisch neuen Mitteln; d. h. das historisch Neue der ns. Pädagogik ist im Prozeß ihrer gesellschaft- lichen Realisierung aufzusuchen. Die Ausbeutung von Tradition für die Legitimation, ja die Verklärung von Herr- schaft wurde am 21. März 1933 in der Garnisonkirche von Potsdam großartig vorge- führt. "Potsdam" wird auch für die ns. Pädagogik mythischer Ort: Feier und Be- h ·· 'h lb 36 sc worung 1 rer se st . Betrachtet man die ns. Pädagogik im Verbunde mit nationalsozialistischer Herr- schaft, so tritt ihre zeitliche Begrenzung hervor: 1945 ist der Kampf zu Ende, My- thos und Herrschaft brechen zusammen. Mit der zeitlichen Einmaligkeit ist aber nicht zugleich die qualitative Einzigartigkeit gegeben. Sie wird von den Natio- nalsozialisten selbst mit dem Topos der "Revolution der Erziehung" behauptet. Dem ist auch später zugestimmt und die "Revolution" ist als reale angesehen wor- den (Tenorth 1985, S. 125)37. Ich meine, für dieses Urteil reicht die Beweisführung kaum aus. Daß die ns. Pädagogik zwar nicht in einzelnen Elementen, aber doch als System im ganzen defacto "neu" gewesen sei (ebenda), müßte im Durchgang durch die Erziehungswirklichkeit belegt werden. Dabei wäre ein Hinweis darauf willkom- men, wie etwas ganz Neues in diesem Falle möglich wäre38. Vorsicht bei dieser Behauptung der Diskontinuität nationalsozialistischer Päd- agogik gebietet eben der Umstand, daß sie den nationalsozialistischen Revolutions- mythos aufnimmt, womit die Gefahr gegeben ist, ihm auch nachträglich zu erliegen. Er verquickt Anspruch und Wirklichkeit in so "überzeugender" Weise, daß sie noch nicht einmal mehr in Geheimberichten auseinandergehalten werden39. Die Darstel- lung von Wirklichkeit, ihre ideelle Überhöhung und ideologische Täuschung fallen auch post festum schwer trennbar zusammen. Für den Nachweis der historischen Einzigartigkeit nationalsozialistischer Pädagogik kann deren ideeller Bestand des- halb schwerlich herangezogen werden. Er ist selbst bereits in ideologischer Funktion Bestandteil dieser "Erziehungsrevolution". Daß der Revolutionstopos seinerzeit nicht der Benennung, sondern der Vernebelung erziehungspolitischer Tatbestände 384 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos und Absichten diente, macht ihn heute für deren realistische Beschreibung wenig tauglich. Betrachtet man ns. Pädagogik als "System" primär nicht in idealer oder in rea- ler, sondern in funktioneller Hinsicht, zeigt sich das eigentümliche Verhältnis beider Ebenen: die ideale Ausstattung von Realität in der realen Inszenierung von Idealität zum Zwecke der Herrschaftsdiktatur. Im nationalsozialistischen Machtgefüge wird Erziehung zu einem System "totaler" pädagogischer Erfassung im zeitlichen wie im psychologischen Sinne: zur lebenslangen "Willensbeeinträchtigung ". Alle ihre Ele- mente fügen sich zu einem neuen Lebensarrangement zusammen: dem einer vor- rationalen Existenz in der Volksgemeinschaft, der Sein und Schein nationalsoziali- stischer Herrschaft ungetrennt und untrennbar ineinandergehen. Zwar ist dieses päd- agogische Arrangement nur in Stücken wirklich geworden; doch ist es unschwer zu erkennen 40. Meiner Kenntnis nach ist es als solches auch historisch neu; soweit wäre Tenorth zuzustimmen. Angesichts seiner mangelnden Wirklichkeit muß aber bewußt bleiben, daß es als ein Ganzes nachträglich vervollständigt und damit be- deutender wird, als es in seiner Zeit war. Die Schwierigkeiten, ns. Pädagogik zu begreifen, sind schließlich die Schwie- rigkeiten, mit einer nahezu perfekten Ideologie, mit einem seinerzeit funktionieren- den Mythos gedanklich umzugehen. Ihm ist es gelungen, die nationalsozialistische Zurichtung des Subjekts als dessen Wiedergeburt darzustellen, einzurichten und glaubhaft zu machen. Wenn man ihr Einzigartigkeit attestieren kann, dann in dieser Hinsicht. Als Pädagogik in Gestalt und Funktion eines Mythos sucht sie in der neue- ren Erziehungsgeschichte ihresgleichen. Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 385 13.6 Anmerkungen 1 Den Begriff "Figuration" hat Elias geprägt für ein systematisches Modell der sozialen Verbindung (Konstellation) von Individuen (z. B. Elias 1969). In welchem weiteren Sinne Tenorth ihn versteht, sagt er hier nicht, hat dies aber inzwischen nachgeholt (Tenorth 1987, S. 32, Anm. 6). 2 Von dieser Singularität als Diskontinuität "im ganzen" macht Tenorth freilich Abstriche in Teilen (Tenorth 1986, S. 308,314,316). - Der Nachweis der Singula- rität des Denkens wird nur für eine Teilmenge geführt: für dasjenige aus dem "har- ten personellen Kern" der "NS-Pädagogen" (a.a.O., S. 303), soll aber wohl für das Ganze, i. e. "die deutsche Erziehungswissenschaft" in der Zeit des Nationalsozialis- mus gelten? Es läßt sich diese Singularität jedoch ohnehin nicht einfach zu derjeni- gen des "Personencorpus " hinzuzählen, da die Bezugsgröße variiert. 3 Insofern ist der Streit auch frucht- weil gegenstandslos. Tenorth hat inzwischen selbst auf die Differenz der Gegenstände zumindest in personeller Hinsicht hinge- wiesen (1987, S. 29 f.), kehrt dabei nun allerdings den Beweisgang um: nicht setzte Gamm 1987 die "Kathederpädagogik" gegen Tenorths "deutsche Erzie- hungswissenschaft", wie es nach Tenorth 1987 scheint, vielmehr setzte dieser 1986 seinen Gegenstand: die "deutsche Erziehungswissenschaft 1930-1945", gegen Gamms "Kathederpädagogik" 1972 und ff. - Zur Kontinuitätsfrage unter der An- nahme einer "faschistischen Pädagogik" vgl. Linge/bach 1979, ferner Steinhaus 1981, der sich besonders mit Gamm (1972) auseinandersetzt; auf methodologische Fragen konzentriert sich Linge/bach 1987, S. 257 ff.; die Geschichte dieser Diskus- sion hat Scheuerl nachgezeichnet (1985, S. 133 ff.). 4 Dies verwundert, da Tenorth andernorts um genaue Bezeichnung bemüht ist, vgl. seine Erörterungen 1985, bes. S. 125, 132 ff. 5 Diese Absetzbewegung zeigt sich realgeschichtlich an der Auseinandersetzung der NSDAP bzw. ihren Gliederungen - besonders der HJ - mit den traditionellen Erziehungsträgem. 6 Daß bestimmte Grundbegriffe nationalsozialistischer Pädagogik, Grundbegrif- fe auch der nationalsozialistischen Ideologie, aus Wissenschaften oder Theoremen anderer Provenienz stammen, ändert nichts am grundsätzlichen Bezugsverhältnis. 7 Genau an diesem Punkt setzt die Kontinuitätskontroverse hierzulande ein: Setzt sich die (geistes)wissenschaftliche Pädagogik in der nationalsozialistischen 386 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos fort? Vgl. Gamm 1972, 1987; Kupffer 1984; Otto/Sünker 1986; Tenorth 1986, 1987; dazu Cloer 1987. 8 Die Erfahrung, daß das Gesagte und das Gewollte so radikal auseinanderfallen können, sollte dazu raten, traditionelle Begriffe, insbesondere solche, die historisch mißbraucht wurden, beim Wiedergebrauch empirisch oder auf die Gegenwart hin zu präzisieren. 9 Nach der logischen Qualität grenzt zuerst Lingelbach 1970 dieses Schrifttum explizit gegen Wissenschaft oder Theorie ab. 10 Auf Baeumler und Krieck gesehen heißt das: innerhalb der ns. Pädagogik fun- gierten sie als Produzenten von Ideologie. Kriecks "Nationalpolitische Erziehung" z. B. wurde in der "weltanschaulichen Schulung" verwandt und diente dabei nicht als Theorie, nicht der Beschreibung, der Erklärung oder dem Verständnis nationalso- zialistischer Erziehungspraxis, sondern als ideologischer Steinbruch. Dazu paßt, daß der Sicherheitsdienst der SS im Jahre 1938, als Krieck sein Rektorat in Heidelberg abgab, eine "merkbare" Beeinträchtigung der "weltanschaulichen Aktivität der Universität" vermeldete (Meldungen, S. 85). 11 Beide Autoren bilden ns. Pädagogik ideologisch ab. In logisch-qualitativer Hinsicht schreibt Lingelbach 1970 den Werken von Baeumler und Krieck bedingt Wissenschaftscharakter zu; Tenorth schlägt dagegen vor, "den Theoriebegriff allein auf die gegenwärtige Theoriearbeit zu beziehen" (1985, S. 132). - Die zeitgenössi- sche Statuszuschreibung ist nicht eindeutiger; vor allem Krieck war von Fachkolle- gen kaum anerkannt und auch in der NSDAP selbst als Wissenslieferant umstritten. 12 Es gab Versuche, die Diskussion(sorte) zu verbinden. Als ein solcher ist etwa anzusehen, wenn in der Zeitschrift "Die Erziehung" 10 (1935) eine eigene Rubrik "Aus Zeitschriften" eingeführt wird und dort zahlreiche einschlägige NS-Organe berücksichtigt werden. Das geht allerdings schon im folgenden Jahrgang abrupt zu- rück; 1937 weicht man auf fachfremde Zeitschriften aus. Vgl. Habe11987. 13 Tagungs- und Kongreßankündigungen finden sich in "Die Erziehung" ab Jg. 11 (1936) nicht mehr; vgl. dagegen die Aufstellung bei Ott 1984, S. 626. - Die 1934 eingeführten Berichte "Die pädagogische Lage in Deutschland" (von Hans Wenke) beschränken sich im wesentlichen auf Mitteilungen der Veränderungen im (Hoch-) Schulwesen und deren fromme Interpretation. Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 387 14 Soweit ich sehe, läßt Hans Schemm von allen nationalsozialistischen Erziehungsfunktionären den Haß auf Marxisten und Juden am unverhohlensten her- aus. 15 Dies markiert auch die Differenz zwischen nationalsozialistischer Theoriever- achtung und jener reformpädagogischen "Entdekung" von der "Priorität des Lebens gegenüber dem Begriff" (Noh11930, S. 76), an die sie in der Floskel von "der Schu- le des Lebens" anzuschließen scheint. 16 Nach funktionellem Gesichtspunkt wären Verbreitung und Auflagenstärke als Indiz ideologischer Wirkung Auswahlkriterium der Literatur ns. Pädagogik, nicht etwa Systematik oder logische Stringenz. Nimmt man beide Gesichtspunkte zusam- men, könnten Benze und Stellrecht als - aus genannten Gründen späte - Stan- dardliteratur gelten. Allein nach der Durchschlagskraft bestreiten die Zeitschriften der nationalsozialistischen Erziehungsformationen die Masse der pädagogischen Li- teratur. 17 Der ideologische Abstand ist bei den einzelnen NS-Funktionären (und ihren Formationen) unterschiedlich; Hitler selbst war ein Zyniker, darin ist sich die For- schung heute einig; vgl. Anm. 30. 18 Steinhaus meint zwar, bei Hitler mit Abstrichen "eine in sich stimmige funktionalistische Erziehungstheorie" vorzufinden (1981, S. 17), sagt aber auch, daß von Hitler "keine geschlossene und umfassende pädagogische Theorie" erwartet werden dürfe (ebd., S. 44). - Über die "Unfähigkeit faschistischer Machthaber, ein eigenes Erziehungs- und Bildungskonzept hervorzubringen", denkt Lingelbach nach (1987, S. 267). 19 Tenorth wendet sich mit dieser scharfsinnigen Vermutung ausdrücklich gegen Autoren, die nationalsozialistischer Erziehung "Konzeptlosigkeit" vorhielten (1985, S. 57), z. B. Miller 1980. Dort wird aber genau von "der Konzeptionslosigkeit der nationalsozialistischen Erziehungsmaßnahmen und -einrichtungen" gesprochen (S. 170). Tenorth scheint "Konzept" und "Konzeption" gleichzusetzen (vgl. ebd., S. 57, 69, 83, 124, 132), sieht aber andererseits "die Praxis nationalsozialistischer Er- ziehung" von "paradoxen, widersprüchlichen, auch antinomischen Strukturen ... un- übersehbar" gekennzeichnet (ebd., S. 124). 20 Standardargumentationen bezüglich der bekannten Widersprüche werden erst im Laufe der Zeit elaboriert. 21 Vgl. Hitler 1939, S. 402. 388 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 22 Bei diesem Versuch bleibt bewußt, daß die "Systematik" nachträglich gestif- tet ist (vgl. Gamm 1984, S. 15). 23 Vgl. die Kritik dieser Aussage bei Dickopp 1971, S. 67. - Stippels Buch ist als Plagiat erkannt worden (vgl. Gamm 1964, S. 463 f.). 24 Zur historischen Ableitung dieses Begriffs Scheuerl1985, S. 134 ff. 25 Solche Begriffsversuche sind auch aufgrund ihrer mangelnden deskriptiven Leistung als "Sackgasse" (Tenorth 1985, S. 131) und als "Verzicht auf Analysier- barkeit" (Dudek 1987, S. 184) angesehen worden. Vorausgesetzt aber, ihnen geht es gar nicht um die "Realgestalt" oder die Funktion des nationalsozialistischen "Erzie- hungssystems" (ebd), sondern um dessen ethische Bestimmung, gibt es keinen gu- ten Grund, die eine Erkenntnisleistung (Deskription und Analyse) gegen die andere (normative Interpretation) auszuspielen. 26 Mit dem Begriff "Mythos" wurde jüngst in der pädagogischen Diskussion ein Verwirrspiel getrieben, in dem, wenn ich es überhaupt verstehe, Mythologie als Theorie einer fiktiven Realität verstanden, Mythos mit Fiktion und Hyperrealität gleichgesetzt wurde (Lenzen 1987). Dagegen sei auf die Realitätsmächtigkeit dieser Denk-, Anschauungs- und Lebensform (Cassirer) hingewiesen. 27 Z. B. Krause-Jlilmar 1984, Preising 1976, Scholtz 1973 und ff., Steinhaus 1981. Viele einzeln erforschte Tatbestände werden als Teile einer mythischen päd- agogischen Veranstaltung sinnfällig, z. B. auch die vordergründig "paradoxe", die bewußt betriebene Desorientierung in der Führerausbildung (Scholtz 1973; Schultz 1978): sie arbeitet nicht nur auf autoritäre Fixierung, sondern auch auf Realitätsver- lust hin. 28 V gl. für eine nationalsozialistische Erziehungsformation, für den BDM: Klaus 1983, Miller-Kipp 1982, Riidiger 1984, dazu für die "weibliche Erziehung" Scholtz-Klink 1978. 29 "In einen realitätsblinden Fanatismus oder in den selbstbezogenen Willen zum Überleben" sieht Scholtz nationalsozialistische Erziehung einmünden (1985b, S. 161); und er nennt sie "Umerziehung" (1985 a und b), da sie das ganze Volk, nicht nur die Jugend erfasse. Dieser Terminus läßt die Empfänglichkeit und Bereit- schaft für diese Erziehung außer Acht. Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 389 30 Obwohl als Zyniker erkannt (vgl. Anm. 17), soll Bitler doch dem eigenen Mythos zeitweise verfallen sein (Kershaw 1980). - Der "Bitler-Mythos" selbst deckt die Diskrepanz zwischen personaler Dürftigkeit und öffentlicher Verehrung, die seinerzeit eben nicht zutage trat. 31 Vgl. im Register "Mein Kampf" z. B. die Stichworte "Rasse", "Wiederge- burt", "Verfallserscheinungen"; ferner bes. Domarus 1973, Bd. I. 2, S. 534. 32 Die Schriftenreihe "Der junge Staat" sollte immerhin in der Volksschule als Lesestoff dienen. - Zu Löwenstein vgl. Blankertz 1982, S. 298 ff.; Spannaus 1982, S. 216 ff. 33 An dieser Stelle sei daran erinnert, daß Berman Nohl, der Pädagogik und Po- litik als zwei "Wege" ansah, "ein Volk zu gestalten", 1935 in einer Politik "diktato- rischer Massenführung" die Niederlage der Pädagogik erkannte (Nohl 1964, S. 228). 34 Darauf hat zuletzt Berrmann (1985, S. 14 f.) gegen Kupffer 1984 hingewie- sen. V gl. hier Anm. 8. 35 Solchen Sprachgebrauch - beispielsweise in der Schule - zu dokumentieren, wäre eine Aufgabe der "oral history" (vgl. Lingelbach 1987); methodologische Überlegungen dazu bei Klewitz 1987. 36 Vgl. v. Schirach 1942, S. 8, 14 ff.; "Das Haus ... ", S. 69. 37 Welche der beiden Aspekte Tenorth 1986 mit "singulärer Figuration" meint, wird nicht klar; wahrscheinlich beide: das "Personen corpus " impliziert wenigstens die zeitliche, die "Denkmuster" indizieren die materielle Einmaligkeit. Würde zwi- schen beiden explizit unterschieden, wäre die einfache Addition beider dahin. 38 Die diesbezügliche Diskussion in den Naturwissenschaften, die sich mit Quantensprüngen beispielsweise oder "Fulgurationen" behilft, mahnt Grenzen em- pirischer Beweisbarkeit an. Für Historiker heißt dies, Rekonstruktionen als Kon- struktionen zu erkennen zu geben. 39 Die Fähigkeit nationalsozialistischer Führer, auch Bitters (vgl. Anm. 30), dem eigenen Pathos zu erliegen, ist ziemlich ausgeprägt und gut bezeugt. Die daher rüh- rende zirkuläre Selbstreferentialität ihrer Herrschaftssprache ist etwa den "Meldun- gen aus dem Reich" abzulesen. 390 Ausgebeutete Tradition - ideologische Revolution - pädagogischer Mythos 40 Vgl. dazu Scholtz 1988; 1989. 13.7 Quellen Benze, R: Erziehung im Großdeutschen Reich. Frankfurt/M. 11937,31943. Benze, R/Gräfer, G. (Hrsg.): Erziehungsrnächte und Erziehungshoheit im Großdeut- schen Reich. Berlin 1940. Domarus, M.: Ritler. 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Kipp 1987, S. 256-262 - Kapi- tel 11.8 in diesem Band), kann aber noch nicht als zufriedenstellend bearbeitet gel- ten. An dieser Stelle geht es erneut um den Versuch der Wiedererinnerung, der dazu beitragen will, daß dieses dunkle Kapitel der Ausgrenzung, Verachtung, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung jüdischer Menschen in der berufspädagogischen Histo- riographie nicht länger verdrängt, verschwiegen und vergessen wird. Die "Entjudung" der Berufsausbildung gehört in das in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik viel zu wenig beachtete Kapitel "Berufsdisziplinierende Maßnahmen und Berufsverbote". Die "Entjudung" der Berufsausbildung war ein wesentliches Element der Ju- denpolitik im Nationalsozialismus; sie verwehrte Juden den Zugang zu bestimmten Berufen, verweigerte ihnen Berufsausbildungsmöglichkeiten und belegte sie mit Be- rufsverboten. Die "Entjudung" der Berufsausbildung gehört in das Arsenal der Ver- drängungs- und Ausschaltungspolitik, mit der das NS-Regime den jüdischen Le- bensbereich einengte und bedrohte; sie zielte darauf, "jegliche Erwerbstätigkeit der Juden erst schrittweise, dann endgültig zu unterbinden, um sie zu beschleunigter Auswanderung zu bewegen" (Barkai 1988, S. 113).1 396 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? Auf den differenzierten Komplex von Verfolgung und Auswanderung, Deporta- tion und Vernichtung der Juden kann hier nicht eingegangen werden. Auch kann die Entjudungs- und Arisierungspolitik, die die Juden aus der Wirtschaft des Dritten Reiches herausdrängte, ihnen Verrnögenswerte und Rechtstitel entzog, nicht in wün- schenswerter Breite entfaltet werden. Ebensowenig kann die arbeitsrechtliche "Son- derbehandlung" der Juden, ihre soziale Entrechtung und ihre Ausgrenzung durch die verschiedenen Berufsverbände ausführlich dargestellt werden (vgl. dazu die ein- schlägigen Titel im Literaturverzeichnis).2 An dieser Stelle geht es vielmehr darum, die gründliche Bearbeitung des noto- risch ignorierten Themas anzuregen und dazu einige Hinweise zu geben. Dabei wird bewußt darauf verzichtet, den sich verschärfenden Entrechtungsprozeß der jüdi- schen Bevölkerung zu periodisieren3; die Berufsreglementierungen und Be- rufsverbote, die hier hervorgehoben werden, sind gleichsam "Eruptionen, die die Ju- denpolitik jeweils ruckartig politisch verschärften" (Adam 1972, S. 359). Auf die jüdischen Selbstbehauptungs- und Widerstandsforrnen, auf das "ver- zweifelte Bemühen, im Angesicht des drohenden Untergangs jüdische Existenz- und Überlebensräume abzusichern und auszubauen" (Kwief/&chwege 1984, S. 60), auf die (berufs-)pädagogischen Initiativen für den "Aufbau im Untergang" (Simon 1959) kann hier nicht eingegangen werden: Die Darstellung des imponierenden jü- dischen Berufsausbildungswerkes, der Bemühungen, Aktivitäten und Einrichtungen (Jugendalijah, Hechalutz, Hachschara), die zur Berufsumschichtung beitragen soll- ten, indem sie Berufsvorbereitung und Berufsausbildung für jüdische Jugendliche und Umschulung für jüdische Erwachsene ermöglichten, um ihre Auswanderung zu erleichtern, bleibt einer späteren Studie vorbehalten. 14.2 Die "Entjudung" des Lehr- und Ausbildungspersonals Die "Entjudung" der Berufsausbildung gelang zügig und nahezu "perfekt" in den akademischen Berufen, deren Zugangswege staatlicher Kontrolle und Steuerungsmöglichkeit unterlagen. Von besonderem Interesse für die Disziplingeschichte der Berufs- und Wirt- schaftspädagogik ist in diesem Zusammenhang ein Runderlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.08.1935, der Juden von der Ausbildung zu Gewerbelehrern und Gewerbelehrerinnen ausschloß (E IV 9253 - DWEV 1935, S. 368f.). Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 397 Das im Frühjahr 1933 erlassene "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs- beamtentums" vom 7. April 1933 (RGBl. I, 1933, S. 175f.) leitete im gesamten Behördenapparat und damit auch in den Universitäten, Handelshochschulen, Berufs- pädagogischen Instituten und Berufsschulen eine "Säuberungswelle" ein, der Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten und andere unliebsame Gruppen zum Opfer fie- 4 len. Die "Säuberungen" des Lehrkörpers der Berufsschulen sind in den Studien von Rolf Seubert (1977) und Theo Wolsing (1977) erwähnt; wir verfügen allerdings bis heute über keine Zahlenangaben, die Auskunft über die Versetzung in rangniedrigere Ämter und über die zwangsweise entlassenen Berufsschullehrer geben.5 Weitgehend unerforscht ist die "Entjudung" des Lehrkörpers der Universitäten6, der Handels- hochschulen 7 und Berufspädagogischen Institute.8 Ebensowenig verfügen wir bis- lang über Informationen, die den Umfang des rassistischen Berufsverbots für be- triebliche Berufsausbilder erhellen: Juden war die Mitwirkung an der Berufsaus- bildung untersagt und selbst Personen, die mit einer Jüdin verheiratet waren, durften nicht als Ausbildungspersonal eingesetzt werden (vgl. Pätzold 1980, S. 296f.). 14.3 Welche Rolle spielte die "Judenfrage" im Unterricht beruflicher Schulen? Ungeklärt ist bislang, welche Rolle die "Judenfrage" im Unterricht beruflicher Schulen und im Studium der Handels- und Gewerbelehrer spielte. Empfehlungen, wie "Die Judenfrage im Unterricht" zu behandeln sei, finden sich 1940 in der "Um- schau" der Deutschen Berujserziehunl: mit Jubtnfragt im I1nttrricbt :mal Jubtnmm btrlcbwinbtt immtr mtbr aUI btm täglicbtn I.tbtn unltrtl 'Pollul. 11m 10 mtbr litgt tl nabt. Itint ~tfäbdicbktit ;U btrktnntn. JJn btr ltitlcbrift '1Jolklaufklärung unb ß,cbult" wtrbtn ~inwtilt gtgtbtn. bit bit "]ktnntnil bom .:ftinb" wacbbalttn 10Utn. mit ~nrtgungtn trltrtcktn licb in trlttr I.init auf btn 4i$t- Icbicbts- unb Jliologitunttrricbt. 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(Aus ~'Nachrichtenbüro deutscher Zeitungsverleger, Nr. 13) Ungeklärt ist, ob und wie diese Empfehlungen aufgenommen wurden. lO - In welcher Form die rassistischen Vorstellungen bei Schülern entwickelt werden soll- ten, wie Schüler angeleitet wurden, durch Beobachtungen die Rassenzugehörigkeit von Personen zu identifizieren, zeigen einige Aufgaben, die der Anleitung zu "ras- senseelenkundlichen" Beobachtungen dienten: "[ ... ] 9. Beobachte die Menschen, an denen dir besondere Rassenmerkmale auffallen, auch in ihrer Haltung, im Gang, beim Sprechen, ferner ihre Mienen und Gesten. 10. Beobachte am Juden: Gang, Haltung, Gebärden und Bewegungen beim Sprechen. 11. Was fällt dir im Sprechen und Singen des Juden auf? 12. Welche Berufe üben die dir bekannten Juden aus? 13. In welchen Berufen sind die Juden nicht vertreten? Erkläre diese Erscheinung aus dem seelischen Wesen des Juden [ ... l" (Graf, Jakob: Familienkunde und Rassen- biologie für Schüler. München 21935, S. 114-115: hier zitiert nach Mosse 1978. S. 117). Auch hier ist ungeklärt, ob in beruflichen Schulen solche Beobachtungsaufga- ben gestellt wurden. 14.4 Die "Entjudung" der betrieblichen Lehrlingsausbildung Hat sich die berufspädagogische Historiographie, soweit sie sich überhaupt mit der Zeit des Nationalsozialismus befaßte, mit der "Entjudung" der Berufsschulleh- rerschaft und der Betriebsausbilderschaft nur beiläufig und insoweit oberflächlich beschäftigt, so sind die "Sonderrechte", die jüdische Jugendliche aus der Berufsaus- bildung herausdrängten, bislang noch gar nicht in den Blick gekommen. Als Anre- gung, sich diesem dunklen Kapitel deutscher Berufserziehungsgeschichte zuzuwen- den, möchte ich die folgenden Ausführungen verstanden wissen: sie beanspruchen nicht mehr zu sein, als ein Hinweis auf Verordnungen, Erlasse, gesetzliche Bestim- mungeri und Maßnahmen, denen in detaillierten Studien nachzugehen wäre. 11 In den nichtakademischen Berufen vollzog sich der Ausgrenzungsprozeß weni- ger geradlinig und zumindest in den ersten Jahren des Dritten Reiches keineswegs reichseinheitlich: In der Praxis fanden sich regional unterschiedliche Handhabungen rassistischer Berufsverbote. Das sei kurz belegt: Am 07.08.1936 wurde in einem Runderlaß des Reichswirtschaftsministers (RMW IV 17198/36) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seinerzeit keine gesetzlichen Bestimmungen über den Ausschluß von Juden von Kaufmannsgehilfenprüfungen bestanden hätten. Aber bereits einen Monat zuvor, am 04.07.1936 hatte die Badische Industrie- und Handelskammer Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 399 jüdische Lehrlinge von der Gehilfenprufung ausgeschlossen (vgl. Walk 1981, S. 166). Nach den als "Kristallnacht" bekannt gewordenen Novemberpogromen des Jah- res 1938 beschleunigten und verschärften sich die antisemitischen Maßnahmen, die zudem reichseinheitlich angeordnet wurden: Am 09.12.1938 bestimmte der Reichs- wirtschaftsminister im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, "daß Juden zu den gesetzlichen Prüfungen der lndustrie- und Handelskammern sowie Handwerks- kammern nicht zuzulassen sind" (RMW III SW 18549/38). Kurz zuvor, am 12.11.1938 hatte der Beauftragte für den Vierjahresplan die "I. Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" erlas- sen, die Juden vom 01.01.1939 an den Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie den selbständigen Betrieb eines Handwerks untersagte (RGBl. I. 1938, S. 1580). Die "Entjudung" der betrieblichen Berufsausbildung wurde am 31.10.1941 mit der "Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden" (RGBl. I. 1941, S. 681) perfektio- niert: § 13 dieser Verordnung besagt: "Juden dürfen nicht als Lehrlinge oder Anlern- linge vermittelt oder beschäftigt werden". Damit war der Schluß- und Höhepunkt einer Entwicklung erreicht, die bereits kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung einsetzte und hier nur mit drei Dokumentenauszügen aus dem Jahre 1934 illustriert werden soll: Das Reichswirtschaftsministerium stellte in einem Schreiben vom 08.01.1934 fest: "Es besteht kein Gesetz, das Nichtarier von der Annahme als Handwerkslehrlinge, von der Zugehörigkeit zu berufsständischen Organisationen oder von Arbeiten für staat- liche oder städtische Behörden ausschließt" (zit. nach ·Watk 1981, S. 67). Dieser Hinweis darauf, daß für den Ausschluß von Juden die gesetzliche Grundlage (noch) fehle, vermochte indessen einige übereifrige Handwerks- und Industrie- und Han- delskammern nicht davon abzuhalten, den Antisemitismus weiter zu schüren. Am 01.11.1934 empfahl die Handwerkskammer Halle in einem Rundschreiben: "Wir betrachten es als selbstverständlich, daß das Handwerk Juden als Lehrlinge nicht einstellt. Wir bitten, die an Sie ergehenden Anfragen in diesem Sinne zu beantwor- ten" (zit. n. Walk 1981, S. 96). Der Präsident des Bundes Deutscher Friseure gab am 12.12.1934 ein geheimes Rundschreiben mit eindeutigen Empfehlungen heraus: "[ ... ] Auf verschiedene An- fragen betr. Abnahme der Prüfung von Juden teile ich mit, daß nach den gesetzli- chen Bestimmungen wohl keine Möglichkeit besteht, einen Juden offiziell von der Aufnahme als Lehrling und dann, wenn er im Beruf ist, ihn von der Teilnahme an 400 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? der Prüfung auszuschließen. Andererseits teile ich [ ... ] mit, daß es selbstverständlich keinem deutschbewußten Meister zugemutet werden kann, daß er die Prüfung einem Juden abnimmt. In solchen Fällen muß selbstverständlich ein die Prüfung ablehnen- der aufrichtiger deutscher Handwerksmeister durch einen sich dafür bereitfindenden 'Ersatzmann' ersetzt werden [ ... ]" (zit n. Walk 1981, S. 99). 14.5 Der Ausschluß jüdischer Lehrlinge aus der Berufsschule Das Herausdrängen jüdischer Lehrlinge aus der Berufsschule wurde ebenfalls stufenweise perfektioniert: Zunächst wurden sie mit numerus clausus belegt (vgl. Walk 1981, S. 86), dann wurde die "Einrichtung von Sonderklassen für jüdische Schüler an Berufsschulen" empfohlen (vgl. Walk 1981, S. 185) und schließlich wur- den Juden vom Berufsschulbesuch ausgeschlossen. Dieser Ausschluß vollzog sich in zwei Phasen, deren erste durch Satzungsänderungen einzelner Schulträger eingelei- tet und deren zweite schließlich reichseinheitlich angeordnet wurde. Zwei Doku- mente mögen hier als Belege genügen: Am 22. August 1937 wurde in der Umschau der berufspädagogischen Zeitschrift Die Deutsche Berufserziehung folgendes berichtet: Jübistbe I.ebrlinge in ber ~erufsstbu(e. )Bie ~tabt J;erforb i. W. bat eine änberung ber &at}ung über bie ~erufsstbu(­ pffitbt borgenommen, natb wdtber in Zukunft jübistbe &tbülrr nitbt mebr in ber ~e­ rufßstbulr unterricbttt werben. 1n ber ~eßl"Ünbung bti~t es: (fs kann beutscben Jungen unb JIläbtben, bie in ber ~erufßstbulr ~u fast 100 ~ro~ent ber J;itler-Jugenb b~w. bem ~)BJIl. angebönn, nitbt ~ugemuttt werben, ba~ sie mit Juben in einer ltlassengemein- stbaft bereinigt am W:nterritbt teilnebmen. (fbenfa(Iß kann ben I.ebrkräften an ben &tbulrn nitbt ~ugemuttt werben, in ibnm W:nterritbtßstoff unb in ber art ber )Barstd- (ung lS.ütksitbt auf ein ober ~wei Juben in ber ltlasse ;U nebmen. :mie (fr;iebung ber Jugenb im nationalßo~ialististben *eist bebingt es, ba~ nitbt nur in ber sogenannten &taatßbürgerkunbe bas nationalßo~ialististbe *ebankengut an bie Jugenb berangetragen wirb, sonbem ber gesamte W:nterritbt mu~ babon burtbbrun- gen sein. (Quelle: Die Deutsche Berujse17iehung, A 52 (1937), S. 3(0) Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 401 Diese Mitteilung erschien mehr als ein Jahr vor der sogenannten "Reichskristallnacht" vom 09. zum 10. November 1938, die eine Verschärfung der antisemitischen Maßnahmen einleitete. Auffällig ist, daß die Begründung, mit der die Stadt Herford im Sommer 1937 die jüdischen Lehrlinge vom Berufsschulbesuch ausschloß, nahezu wortgleich mit jener des Erlasses vom 15. November 1938 ist, der Juden im gesamten Deutschen Reich den Besuch deutscher Schulen untersagte: "Nach der ruchlosen Mordtat von Paris kann es keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unter- richt zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen. Die Ras- sentrennung im Schulwesen ist zwar in den letzten Jahren im allgemeinen bereits durchgeführt, doch ist ein Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen übriggeblieben, dem der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mä- deln nunmehr nicht weiter gestattet werden kann. Vorbehaltlich weiterer ge- setzlicher Regelungen ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an: 1. Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet. Sie dürfen nur jüdische Schulen besuchen. Soweit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchenden jüdischen Schüler und Schülerinnen sofort zu entlassen [ ... ]".12 14.6 Was könnten wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung wissen? Hans Mommsen ist den Fragen nachgegangen, "wie die Deutschen sich zur Durchführung des Genozids an den Juden während des Zweiten Weltkrieges verhal- ten haben und welche Kenntnis sie vom Ausmaß des Verbrechens erlangen konn- ten" (Mommsen 1988, S. 176). Er kommt zu der Einschätzung, daß zwar der "Ge- samtzusammenhang des Genozids" vielen Zeitgenossen verborgen geblieben sei, daß hingegen "Einzelheiten des Geheimnisses [ ... ] in ihren vielfältigen Facetten ver- mutlich der Mehrheit der erwachsenen Deutschen in dieser oder jener Form ver- traut" waren. Und: "Die große Mehrheit fügte sich in die vom Regime feilgebotene kollektive Verdrängung" (Mommsen 1988, S. 200). Das mag auch für den Personencorpus der Berufs- und Wirtschaftspädagogen je- ner Zeit gelten, von dem zwar bekannt. ist, daß er den herrschenden wirtschaftlichen und politischen Interessen im Dritten Reich überaus dienstbar war, dem aber nicht leichtfertig eine überwiegend antisemitische Einstellung unterstellt werden sollte. 402 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? Die insgesamt recht Sjärlichen einschlägigen Informationen legen eine differenzier- te Beurteilung nahe. 1 Bereits jetzt läßt sich aber feststellen, daß den in Deutschland verbliebenen Be- rufs- und Wirtschaftspädagogen der NS-Zeit - und erst recht den emigrierten! 14 - das Schicksal ihrer jüdischen Kollegen und Studenten, Berufsschullehrer, Ausbilder und Lehrlinge (kurzum: das Schicksal ihrer jüdischen Mitbürger) nicht verschlossen war. Im einen oder anderen Falle sind persönliche Kontakte glaubhaft bezeugt oder es bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zu Juden, die eine überdurchschnitt- liche Sensibilität für die "Judenfrage " erzeugten. Aufs ganze gesehen wird man auch hier eine beträchtliche Bandbreite tatsächlicher Verhaltensweisen erwarten dür- fen: Sie reichte von Fällen, in denen versucht wurde, jüdische Kollegen, Verwandte oder Nachbarn vor dem Ärgsten zu bewahren, über Zwischenstufen moralischer In- differenz, die sich in bewußter Verdrängung unbequemer Informationen und schwei- gender Komplizenschaft niederschlugen bis zur "klammheimlichen Freude" über die schikanösen Diskriminierungen und die Judenvernichtung. Offene Zustimmung zur staatlich verordneten Genozid-Politik war nicht vonnöten; der Sozialneid derer, die sich als die Zukurzgekommenen wähnten, konnte sich in verdeckten Formen konkurrenzbedingter antisemitischer Aggressionen entladen und fand im gegen Ju- den und vermeintliche Juden gerichteten Denunziantentum einen viel benutzten Ka- nal, der zeitweise sogar die Gestapo überforderte. Das allmähliche Verschwinden jüdischer Hochschullehrer, Lehrer, Ausbilder und Lehrlinge kann den zeitgenössischen Berufs- und Wirtschaftspädagogen schwerlich verborgen geblieben sein. In der Deutschen Berujserziehung finden sich gelegentlich Hinweise auf die "Entjudung,,15 und Rolf Seubert attestiert aufgrund seines Quellenstudiums einen "virulent aggressiven Antisemitismus, der in vielen Beiträgen in Deutsche Handelsschul- Warte oder Die Deutsche Berujserziehung laut wurde" (Seubert 1977, S. 38). Daß dieses Thema nach 1945 in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Lite- ratur tabu war, hat mancherlei Gründe. Nehmen wir an, ausschlaggebend sei in er- ster Linie die verstockte Sprachlosigkeit derer gewesen, die sich im Nachhinein schämten, die barbarische Entwicklung zugelassen zu haben und die nicht wußten, wie sie sie den Nachgeborenen erklären sollten. Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 14.7 Verweigern Berufs- und Wirtschatlspädagogen weiterhin historische Aufklärung? 403 Die im Juli 1978 an die Berufspädagogen aus der "Generation der Grenzgänger zwischen den Zeiten" (Monsheimer) gerichtete Aufforderung, mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zur Aufklärung der NS-Zeit beizutragen und damit die berufspäd- agogisch-historische Forschung "durch ein offenes Wort in eigener Sache zu er- leichtern" (Kipp/Miller 1978, S. 263), ist, soweit ich hier nach einem Jahrzehnt bi- I . ka . d 16 anZleren nn, verweIgert wor en. Auch die Generation jener Berufs- und Wirtschaftspädagogen, deren Kindheit und Jugend in die Zeit des Nationalsozialismus fiel, hat ihren diesbezüglichen Auf- klärungsbeitrag noch nicht geleistet: die Kolleginnen und Kollegen könnten sich von den jüngst von Wolfgang Klafki herausgegebenen Autobiographien "aus erzie- hungswissenschaftlicher Sicht" (Klafki 1988) inspirieren lassen mit denen Gerda Freise, Renate Riemeck, Hans Scheuerl, Hans-Jochen Gamm, Hans-Martin Stimpel, Gunter Otto, Wolfgang Klafki, Waldtraut Rath, Hildegard Feidel-Mertz. Jürgen Henningsen und Horst Rumpf ihren jeweiligen Aufklärungsbeitrag vorgelegt haben. Daß die "Generation der Grenzgänger zwischen den Zeiten" aus Schuld und Scham schwieg, wodurch "den schuldlos beladenen Nachkommen [ ... ] schon genug an historischer, politischer und moralischer Klarsicht verstellt worden" (Giordano 1987, S. 13) ist, kann für die Generation der Berufs- und Wirtschaftspädagogen, de- ren Kindheit und Jugend in die NS-Zeit fiel, kein Argument sein, den "Vergangen- heitsschutt" weiter vor sich her und den Nachwachsenden zuzuschieben. Ihr Aufklä- rungsbeitrag ist gefordert und sei hier ausdrücklich angemahnt. 17 14.8 Anmerkungen 1 "Den Juden wurden bestimmte Berufsausbildungsmöglichkeiten verwehrt und der Lebensunterhalt sehr erschwert" (Moser 1988. S. 118). - "Weitgehend von nor- malen Arbeitsmöglichkeiten ausgeschlossen, war der jüdische Bevölkerungsteil in Deutschland einem rapiden Verelendungsprozeß unterworfen, der die Distanz zur Mehrheitsbevölkerung weiter vergrößerte" (Mommsen 1988, S. 179). - Die "Juden- gesetzgebung ", die dem Entrechtungsprozeß zugrunde lag, wurde in der Sammlung Deutscher Gesundheitsgesetze unmißverständlich unter der Rubrik "Ausmerzende Maßnahmen" zur "Ausschaltung der Fremdrassigen " eingeordnet (Sammlung Deutscher Gesundheitsgesetze, I. Band, 1940, Kap. I F c. S. 1-126). Den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Florian Tennstedt. - Für die Generationen der "Nach- 404 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? geborenen", die die Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht selbst er- lebt haben, ist es außerordentlich schwer zu ermessen, was die "Sonderrechte" für das Leben jüdischer und "halbjüdischer" Bürger bedeuteten. Eine vorzügliche Ver- stehenshilfe bietet Ralf Giordano mit seinem Roman Die Bertinis. 2 "Zwischen 1933 und 1938 erließ das Reich eine erhebliche Zahl berufsregle- mentierender Maßnahmen. Prinzipiell kann man davon sprechen, daß für jüdische Deutsche alle Berufe, die der staatlichen Genehmigung bedurften, die der staatli- chen Regelung und Kontrolle unterworfen waren, weitgehend verschlossen waren. Spätestens im Spätsommer 1938 war der mögliche Arbeits- und Tätigkeitsbereich aller jüdischen Deutschen derart eingeschränkt, daß eine freie Berufsausübung selbst in der sogenannten freien Wirtschaft nahezu illusorisch geworden war" (Adam 1988, S. 83). "Nach jahrelangen erfolgreichen Bemühungen der Partei- und Regierungsstel- len, die Juden aus dem Erwerbsleben zu 'verdrängen', waren Anfang 1938 alle Vor- aussetzungen für die endgültige 'Entjudung der deutschen Wirtschaft' geschaffen" (Barkai 1988 b, S. 95). "Obwohl bereits seit Frühjahr 1933 umfassende Ausschaltungsmaßnahmen for- muliert vorlagen, wurde die wirtschaftliche Verdrängung des Judentums erst im Herbst 1938 erreicht" (Adam 1972, S. 359). "Die faktische Ausschaltung der Juden aus ihren Wirtschaftspositionen war mit dem 1. Januar 1939 abgeschlossen, als Juden keine Geschäfte und Handwerksbetrie- be mehr betreiben, nicht mehr Betriebsführer sein durften und als leitende Ange- stellte entlassen wurden" (GenscheI1966, S. 269). 3 Die Periodisierung der Judenpolitik im Nationalsozialismus ist umstritten; es liegen verschiedene Periodisierungsvorschläge mit unterschiedlichen Phaseneintei- lungen vor - unstrittig ist, daß sich die Einschränkung des Lebensbereichs der Juden mit der Dauer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stufenweise verschärfte, daß es verschiedene "Stationen" oder "Etappen" gab: der "Entrechtungsprozeß verlief nicht kontinuierlich, sondern es wechseln Phasen äußerlicher Ruhe mit Etap- pen plötzlicher Aktivität, die alle Merkmale totalitärer Machtentfaltung zeigen" (Adam 1972, S. 359). Die Lokalisierung der "Wendepunkte", die als Periodisie- rungsdaten dienen, ist aufgrund neuerer Quellenforschungen umstritten: dazu S. Barkai 1988 a und b versus Genschel1966 und Adam 1972. 4 Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (GWBB), "das als erstes umfassendes Gesetz zur wirtschaftlichen Diskriminierung der Juden angese- hen werden kann, obwohl diese im Titel nicht erwähnt sind" (Barkai 1988 a, S. 35), richtete sich gegen "Parteibuchbeamte " (§ 2), gegen Beamte jüdischer Abstammung Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 405 (§ 3) und gegen Beamte, die als "politisch unzuverlässig" eingestuft wurden (§ 4). - Zur Entstehungsgeschichte und Wirkung des GWBB - "allein der Name ist eine zynische Umkehrung des eigentlichen Sachverhalts" (Adam 1972, S. 63) - s. Adam 1972, S. 51-71, Barkai 1988 a, S. 35-41. Das GWBB diente als "Vorbild und Grundlage 'für die gesetzliche Ausschaltung auch der nichtbeamteten Arbeiter und Angestellten im Staatsdienst, der Juristen und der Ärzte. Entsprechende Verord- nungen und Erlasse ergingen im Laufe der folgenden Wochen - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Berufsbeamtengesetz und unter Anwendung der gleichen Maß- stäbe und Ausnahmen - für jüdische Rechtsanwälte und Notare, jüdische Kassenärz- te, ebenso für Medizinstudenten, Assistenten und Privatdozenten an den Universitä- ten und selbst für die Mitglieder von Berufsverbänden, z.B. des Deutschen Apothekervereins" (Barkai 1988 a, S. 35). 5 Hans-Peter de Lorent (Personalpolitik. In: LehbergerjLorent 1986, S. 203-212) berichtet über die umfangreichen "Säuberungen" und Versetzungsaktionen, die im April 1933 in Hamburg stattfanden. Aufgrund des GWBB "wurden in Hamburg in den Jahren 1933-35 insgesamt 637 Lehrkräfte aus dem Schuldienst entfernt" (211). Selbstredend gab es bei Personalverschiebungen dieser Größenordnung auch Be- günstigte, die dem nationalsozialistischen System ihre Loyalität nicht verweigerten. "Diese so freigemachten Stellen besetzte Hamburg von 1933-35 mit insgesamt 468 jungen Lehrerinnen und Lehrern, zumeist nach 1900 geborenen" (212). Laut Ham- burger Lehrerzeitung, Nr.30/1933, S. 421 "führte Senator Witt am 21. August 1933 315 neue Schulleiter an höheren Schulen, Volks- und Berufsschulen in ihr Amt ein" (211). 6 Zur nationalsozialistischen Hochschulpolitik liegen zahlreiche Studien vor, die indessen auf die Situation der Berufs- und Wirtschaftspädagogen nicht eingehen (vgl. die einschlägigen Beiträge in Heinemann 1980; Lundgreen 1985). - Allgemein läßt sich die nationalsozialistische Personalpolitik auf folgenden Nenner bringen: "Politische Gegner und Juden sollten einfach von ihren Lehrstühlen vertrieben und eine neue nationalsozialistische Professorenschaft und eine neue nationalso- zialistische Wissenschaft geschaffen werden. Was negativ an diesen Zielen war, wurde in etwa innerhalb von zwei Jahren erreicht, dann wurden etwa 20 Prozent der Hochschullehrerschaft und Assistenten entlassen" (Kelly 1980, S. 61). 7 Dazu s. Bollmus 1973, der das Schicksal der jüdischen Dozentenschaft der Handelshochschule Mannheim nachzeichnet (S. 117-131) und als "Weg aus einem fruchtbaren, arbeitsreichen Leben in das Dunkel der Verfolgung und des Todes" be- schreibt. - Das summarische Ergebnis: "Von den 14 jüdischen Professoren, Do- zenten und Assistenten konnten vier emigrieren, zwei wurden deportiert und über- 406 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? lebten, sechs fanden den Tod (davon gehörte einer zu den zuvor ausgewanderten) und von dreien wissen wir gar nichts" (Bollmus 1973, S. 118). 8 Vom Berliner Berufspädagogischen Institut (BPI) ist bekannt, daß Dr. Erna Barschak, die die Professur für Pädagogik innehatte, 1933 ausscheiden mußte und danach in die USA emigrierte. Dr. Simon Thyssen (1898-1986; Kurzbiographie in: ZBW 83 (1987) 156f.), der ab 1937 an ihre Stelle trat, hat mir im persönlichen Ge- spräch berichtet, daß für Frau Dr. Barschak längere Zeit Versorgungs bezüge in die USA überwiesen worden seien. Außer der Barschak-Stelle sind dem Berliner BPI 1933 noch weitere Stellen abhanden gekommen: Simon Thyssen erwähnt den "Ab- bau zahlreicher jüdischer und den Linksparteien zugehörigen Professoren [ ... ], deren Stellen infolge von Sparmaßnahmen nicht wieder besetzt wurden" (Thyssen 1964, S. 72). - Das Frankfurter BPI wurde bekanntlich am 01.04.1934 aufgelöst; vorangegangen waren heftige nationalsozialistische Angriffe auf das "rote Institut". Nach Auskunft von Prof. Dr. Jürgen Wissing, der bis zu seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand am 01. April 1933 als Professor am Frankfurter BPI tätig war, waren nicht die in der offiziellen Begründung für die Schließung des BPI ange- gebenen Ersparnisgründe ausschlaggebend, sondern die politische Orientierung der Professoren, die den Ruf des "roten Instituts" begründeten: "das war der wahre Grund für seine Auflösung" (Wissing). - Das Frankfurter BPI wurde bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung zur Zielscheibe nationalsozialistischer Kri- tik, die beispielsweise am 16.12.1932 im Frankfurter Volksblatt forderte, "die inter- nationalen Verschwommenheiten marxistischer Dozenten auszuschalten". Dieser Angriff gegen das "rote Institut" unterstellte, das BPI sei "in der Wissensübermitt- lung ein Fehlschlag"; außerdem werde "die Charakterbildung verderblich und zer- setzend beeinflußt, wenn die Hörer national indifferent, sozial einseitig und materia- listisch verseucht und beeinflußt werden". Auch wurde mit antisemitischer Hetze nicht gespart: "Ausgerechnet ein Jude Kantorowicz muß zukünftige deutsche Ge- werbelehrer über Lebensfragen unterweisen" (Frankfurter Volksblatt vom 16.12.1932). - Im Unterschied zur berufspädagogischen Historiographie hat sich die pädagogische inzwischen mit dem Problem der antisemitischen Hetze unter Pädago- gen befaßt: soweit bis jetzt ermittelt, "läßt Hans Schemm von allen nationalsoziali- stischen Erziehungsfunktionären den Haß auf Marxisten und Juden am unverhohlen- sten heraus" (Miller-Kipp 1988, S. 33); zu Schemms öffentlichem Aufruf, "den Ju- den Dr. Kurt Löwenstein [ ... ] zu erledigen", s. Miller-Kipp 1988, S. 29. 9 Die Deutsche Berujserziehung A 55 (1940), S. 161. - Zur Rassenpolitik in der Schule s. Eilers 1963, FIessau 1977, Gamm 1964, Heinemann 1980, Hochmut/Lo- rent 1985, Herrmann 1985, Herrmann/ Oelkers 1988, Kanz 1984, Lehberger/Lorent 1986, Nyssen 1979, Scholtz 1985. Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 407 10 "Der Nationalsozialistische Erzieher", Nr. 42, 1934 enthält einen Lehrplan zur Behandlung der "Juden frage .. im Unterricht, der für das Fach "Staatspolitik" in Volksschulen des Dritten Reiches gedacht war; Wiederabdruck in: Mosse 1978, S. 305f. Ungeklärt ist, ob dieser Lehrplan auch in beruflichen Schulen verwendet wur- de. 11 Wie das geschehen könnte, zeigen beispielsweise Studien, die sich mit der "Ausschaltung" jüdischer Ärzte durch den Nationalsozialismus befassen: Leib- fried/Tennstedt 1981; Kümmel 1984; Blank 1984. - Mustergültig für die berufs- und wirtschaftspädagogische Historiographie ist nach wie vor Bollmus 1973, der die "Ausschaltung" der jüdischen Dozentenschaft der Handelshochschule Mannheim untersucht und dargestellt hat. 12 Der Erlaß E I b 745 (b) trägt die Überschrift "Schulunterricht an Juden": er ist abgedruckt in: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1938, S. 20f. und hat zahlreiche Wiederabdrucke erfahren: u.a. auch in Die Deutsche Berujserzie- hung A 53 (1938), S. 449. - Die "ruchlose Mordtat von Paris" ist ein Attentat gewe- sen, das den Nazis als willkommener Vorwand diente, neue antisemitische Maßnah- men einzuleiten. Das Attentat selbst war eine Reaktion auf die von der SS am 28. Oktober 1938 eingeleitete Massendeportation von 17.000 ehemals polnischen Ju- den, die zwischen 1918 und 1933 in Deutschland eingewandert waren. Die SS hat diese "Ost juden" an die Grenze geschafft, um sie nach Polen "abzuschieben". Die ersten Transporte wurden nach Polen durchgelassen, dann wurde die Grenze ge- sperrt. Da die polnische Regierung diese Menschen nicht aufnehmen wollte, mußten etwa 8.000 Verschickte unter freiem Himmel im Niemandsland zwischen Neu-Bent- schen und Zbaszyn in der Provinz Posen kampieren. Unter diesen "Ost juden " be- fand sich das aus Hannover deportierte Ehepaar Grynszpan, dessen siebzehnjähriger Sohn Hersehel sich seinerzeit in Paris aufhielt und vom Schicksal seiner Eltern er- fuhr. Mit einer Pistole bewaffnet, verlangte Herschel Grynszpan am 07. November 1938 in der Deutschen Botschaft einen Diplomaten zu sprechen. Der als Racheakt für das Schicksal seiner Eltern geplante politische Mord, der dem Botschafter galt, traf den Legationssekretär Ernst vom Rath. Dieses Attentat kam den braunen Macht- habern sehr gelegen: es war der unmittelbare Anlaß für Goebbels, am Abend des 09. November vor den in München zur Erinnerung an den "Marsch zur Feldherrnhalle" - den mißglückten Putschversuch der Nazis im Jahre 1923 - versammelten höheren SA- und Parteiführern eine zügellose antijüdische Hetzrede zu halten, die in dersel- ben Nacht die unter dem Namen "Reichskristallnacht" bekannten Pogrome auslö- ste. Mit ihnen begann zugleich eine Verschärfung der antisemitischen Maßnahmen, die die Juden immer weiter aus dem bürgerlichen Leben ausschlossen. 408 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 13 Dazu s. Rolf Seuberts diesbezügliche Einschätzung Friedrich Schliepers: Seu- bert 1977, S. 38. 14 Das Thema "Berufs- und Wirtschajtspädagogen im Exil", die Verfolgung, Vertreibung und Emigration aus rassischen und politischen Gründen, wurde in der berufspädagogischen Historiographie bislang vernachlässigt. Das Fehlen eines biographischen Handbuchs der Berufs- und Wirtschaftspädagogik erschwert den Zu- gang zu diesem weißen Fleck auf der Landkarte der Disziplingeschichte. - Zu den wenigen erforschten Exil-Biographien gehört die von Anna Siemsen; dazu s. Ludolf Mevius: Anna Siemsen - Eine sozialistische Berufspädagogin. In: Lehberger/Lorent 1986, S. 285-290: ferner: August Siemsen: Anna Siemsen. Leben und Werk. Ham- burg/Frankfurt 1951. - Neben Anna Siemsen, die 1933 in die Schweiz emigrierte, verzeichnet die LIST OF DISPLACED GERMAN SCHOLARS (London, Autumn, 1936 - abgedruckt in: StraussjBuddensieglDüwell) in der Sparte EDUCATION u.a. auch earl A. Mennicke, der in den frühen 30er Jahren als a.o. Professor am BPI Frankfurt lehrte und 1935 nach Holland emigrierte. - Ernst Kantorowicz (1892- 1944), gegen dessen Lehrtätigkeit am Frankfurter BPI bereits im Dezember 1932 im Frankfurter Volksblatt polemisiert wurde - s.o. Anmerkung 8 -, war 1930 als Profes- sor für Staatsbürgerkunde und Sozialwissenschaften an das BPI berufen worden. Das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 führte zu seiner sofortigen Entlassung aus dem Amte. Ernst Kantorowicz, dessen weitere Biographie ich in der 1. Auflage dieses Bandes mit der des seinerzeit eben- falls in Frankfurt am Main lehrenden Historikers Ernst (Hartwig) Kantorowicz (1895-1963) verwechselt habe, hat nach seiner Entfernung aus dem BPI maßgeblich am Aufbau der jüdischen Erwachsenenbildung in Deutschland mitgewirkt. Die wei- teren biographischen Angaben entnehme ich Paul Arnsberg: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Band III, Darmstadt 1983, S. 236: "Im November 1938 kam Ernst Kantorowicz in das KZ Buchenwald, wurde dort am 25. Dezember 1938 wieder entlassen, nachdem seine Frau - eine gebürtige Holländerin - die Auswanderung nach Holland vorbereitet hatte. Im Juni 1943 wur- de Ernst Kantorowicz in Amsterdam verhaftet und zusammen mit seiner Familie zu- erst nach dem Lager Westerbork, dann nach Bergen-Belsen gebracht und am 27. Ja- nuar 1944 nach Theresienstadt. Im Herbst 1944 sollte er diejenigen auswählen, wel- che für die Gaskammer bestimmt waren. Das lehnte er schroff ab und wurde daher sofort in den Transport nach Auschwitz eingereiht. Dort starb er im Oktober 1944." - Im dreibändigen Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 (Institut für Zeitgeschichte 1980-1983), einem vorzüglichen Hilfsmittel der Exilforschung, konnte ich keine Berufs- und Wirtschaftspädagogen ausfindig machen. Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? 409 15 Z.B.: Wieviel Juden wohnen noch im Deutschen Reich? In: DtBE.A 55 (1940), S. 215f.; Die Entjudung in Europa. In: DtBE.A 56 (1941), S. 113. 16 Als einziger Betroffener hat sich meines Wissens Walther Löbner öffentlich zu Wort gemeldet: Seine autobiographischen Notizen sind in wesentlichen Punkten lückenhaft und in der Grundtendenz exkulpatorisch; dazu s. Kipp 1984, S. 579. 17 Auf die "Desiderata einer disziplinären Selbstvergewisserung" hat unlängst Heinz-Elmar Tenorth hingewiesen: "In einer Situation, in der ganz elementare Fra- gen der Sicherung der Quellen, der Auswertung basaler Daten und der konzeptionel- len Klärung historiographischer Untersuchungen noch ausstehen, ist vor allem For- schung notwendig und dringlich; schon damit man wissen kann, was man über eine Vergangenheit behaupten darf, die zwar als Symbol der aktuellen Frontenbildung in der Disziplin bekannt ist, aber doch sehr viel weniger erforscht als funktionalisiert wurde" (Tenorth 1988, S. 57). - Dazu s. auch Menck 1988, Miller-Kipp 1988, Scholtz 1988. 14.9 Literatur Adam, Uwe Dietrich: Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 1972. Adam, Uwe Dietrich: Wie spontan war der Pogrom? In: Pehle 1988, S. 74-93. Barkai, Avraham: Vom Boykott zur "Entjudung". Der wirtschaftliche Existenz- kampf der Juden im Dritten Reich. 1933-1943. Frankfurt am Main 1988 (a). 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Schule und Erziehung, Band VI (= Argument-Sonderband 21). Berlin 1978, S. 248-266 - zugleich Kapitell in diesem Band. Klafki, Wolfgang (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Ernüchterung. Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus erziehungs wissen- schaftlieher Sicht. Weinheim und Basel 1988. Kottke, Horst: Die endgültige Verdrängung der Juden aus der Kasseler Wirtschaft im Jahre 1938. In: Frenl/Kammler/KrausejVilmar 1987, S. 233-254. 412 Was wissen wir über die "Entjudung" der Berufsausbildung? Kümmel, Werner R: Die Ausschaltung rassisch und politisch mißliebiger Ärzte. In: Kudlin, Fridolf (Hrsg.): Ärzte und Nationalsozialismus. Köln 1984, S. 56-81 und S. 252-261. Kwiet, Konrad/Eschwege, Helmut: Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Ju- den im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933-1945. Hamburg 1984. Lehberger, Reiner/Lorent, Hans-Peter de (Hrsg.): "Die Fahne hoch". Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 1984. Leibfried, StephanfTennstedt Florian: Berufsverbote und Sozialpolitik 1933. Bre- men 31981. Lundgreen, Peter (Hrsg.): Wissenschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main 1985. Mairgünter, Wiljred: Reichskristallnacht. Kiel 1987. Menck, Peter: Pädagogik in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Überlegungen zur Aneignung einer verdrängten Tradition. In: HerrmannjOelkers 1988, S. 39- 51. Miller-Kipp, Gisela: Die ausgebeutete Tradition, die ideologische Revolution und der pädagogische Mythos. Versuche und Schwierigkeiten, "nationalsozialisti- sche Pädagogik" zu begreifen und historisch einzuordnen. In: HerrmannjOel- kers 1988, S. 21-37 - zugleich Kapitel 13 in diesem Band. Mommsen, Hans: Die Realisierung des Utopischen: Die "Endlösung der Judenfra- ge" im Dritten Reich. In: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 381-420. Mommsen, Hans: Was haben die Deutschen vom Völkermord an den Juden gewußt? In: Pehle 1988, S. 176-200 und S. 229-235. Moser, Jonny: Die Entrechtung der Juden im Dritten Reich. Diskriminierung und Terror durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse. In: Pehle 1988, S. 118-131 und S. 224-226. Mosse, George L: Der nationalsozialistische Alltag. So lebte man unter Hitler. Königstein{fs. 1978. Nyssen, Elke: Schule im Nationalsozialismus. Heidelberg 1979. Was wissen wir über die UEntjudung" der Berufsausbildung? 413 Prinz. Wolfgang: Die Judenverfolgung in Kassel. in: FrenZ/Kammler/Krause-Vilmar 1987, S. 144-222. Pätzold, Günter (Hrsg.): Quellen und Dokumente zur betrieblichen Berufsbildung 1918-1945. (Quellen und Dokumente zur Geschichte der Berufsbildung in Deutschland. Reihe A.- Bd. 1). KölnfWien 1980. Pehle, Walter H. (Hrsg.): Der Judenpogrom 1938. Von der "Reichskristallnacht" zum Volkermord. Frankfurt am Main 1988. Scheffler, Wolfgang: Judenverfolgung im Dritten Reich. 1933-1945. Berlin 1964. Schoenberger, Gerhard (Hrsg.): Wir haben es gesehen. 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Kastel- laun/Düsseldorf 1977. 15 Berufsausbildung zur Selbstbehauptung Das jüdische Berufsausbildungswerk unter dem National- sozialismus als produktive pädagogische Reaktion auf Berufsverbot, Ausgrenzung und Verfolgung 15.1 Aufbau im Untergang 415 Ernst Simon, der zeitweise selbst in der Erwachsenenbildung bei der Reichsver- tretung der deutschen Juden tätig war, hat seine Darstellung der jüdischen Erwach- senenbildung im nationalsozialistischen Deutschland "Aufbau im Untergang" ge- nannt (Simon 1959) - ein trefflicher Titel, der auch der Arbeit des jüdischen Berufs- ausbildungswerkes unter dem Nationalsozialismus angemessen wäre. Dieser berufs- pädagogische Strang der jüdischen Selbsthilfe, wiewohl von der bundesrepublikani- schen Berufs- und Wirtschaftspädagogik bislang ignoriert, gehört zu den eindrucks- vollsten berufserzieherischen Veranstaltungen der ersten Jahrhunderthälfte. Die respektabelste ist sie allemal, denn nie zuvor oder hernach mußten sich be- rufspädagogische Einrichtungen und Veranstaltungen in Deutschland unter perma- nenter existenzieller Bedrohung und Verfolgung, Diffamierung und Ausschreitung, Diskriminierung und Willkür, Hetzpropaganda und Terror behaupten. Nirgendwo sonst im Deutschen Reich mußten jugendliche Lehrlinge und erwachsene Umschü- ler unter vergleichbar ungünstigen materiellen und psychischen Bedingungen, unter Entbehrungen, Angst und Unsicherheit berufliche Fertigkeiten und Kenntnisse er- werben. Umgeben von einer unentrinnbaren, feindlich gesonnenen Umwelt, die ih- nen durch Hänselei und Stichelei, Kränkung und Drohung zusetzte, mußten sie sich beständig psychischer Zermürbung und gelegentlich erbarmungsloser Mißhandlun- gen und physischer Gewalttätigkeiten erwehren. Unter ungünstigen äußeren Bedingungen, die eine fortschreitende Einschrän- kung der Bildungsmöglichkeiten jüdischer Menschen bewirkten und diese psychisch belasteten, verfielen deutsche Juden nicht auf selbstmitleidiges Lamentieren, son- dern entwickelten eine imponierende Organisationskraft, die sich durch Einfalls- reichtum und Beharrlichkeit, Findigkeit und entschlossene Initiative auszeichnete. Deren Ergebnis ist das hier in Erinnerung zu bringende und im groben Aufriß darzu- stellende Berufsausbildungswerk, das als eine der wirkungsvollsten Reaktionen auf die nationalsozialistische Verfolgung begriffen werden kann. 416 Berufsausbildung zur Selbstbehauptung 15. 2 Aufbau jüdischer Selbsthilfe Der von der NSDAP angeordnete Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte am 1. April 1933 bildete "den vorläufigen Höhepunkt, aber keines- wegs das Ende der 'spontanen' Ausschreitungen" (Barkai 1988,26) - er führte den deutschen Juden die Dringlichkeit einer jüdischen Selbsthilfe vor Augen, die dann bereits am 13. April 1933 mit dem "Zentralausschuß der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau" gebildet wurde. Vor 1933 hatte es zwar schon Versuche gegeben, eine Gesamtvertretung des deutschen Judentums, das über hunderte von Gemeinden in allen Landesteilen verstreut und auch in weltanschaulicher und religiöser Hinsicht keineswegs einheitlich war (vgl. dazu Gamm 1979), zu bilden - aber mit der natio- nalsozialistischen Machtergreifung ergab sich die existenzielle Notwendigkeit der Schaffung einer Gesamtvertretung. Die Gründung des "Zentralausschusses der deutschen Juden für Hilfe und Auf- bau" am 13. April 1933 geht auf die Initiative einiger Mitglieder der sogenannten "alten Reichsvertretung" zurück (dazu ausführlich: Grünewald 1956, Adler-Rudel 1974, Brodnitz 1986, Vollnhals 1988). An der Spitze des Zentralausschusses stand Rabbiner Dr. Leo Baeck, der für das deutsche Judentum das Symbol der Einheit ver- körperte. Der erste Geschäftsführer war Dr. Ludwig netz; ihm folgten nacheinander: Friedrich Borchardt, Werner Senator, Dr. Max Kreutzberger, Salomon Adler-Rudel, Dr. Friedrich Brodnitz. Paul Eppstein. Häufige personelle Wechsel waren nicht nur im Amt des Geschäftsführers des Zentral ausschusses an der Tagesordnung; sie voll- zogen sich in allen Bereichen und auf allen Ebenen der jüdischen Selbsthilfe in der Nazi-Zeit und stellten eine erhebliche Behinderung dar. Die Kontinuität der Selbst- hilfe- und Aufbauarbeit litt besonders darunter, daß oft keine geordnete Amtsüberga- be mit längerfristiger Einarbeitung des Amtsnachfolgers gewährleistet war, weil der jeweilige Vorgänger durch Auswanderung, Deportation oder Freitod plötzlich aus dem Arbeitszusammenhang gerissen wurde. Die unmittelbare Hilfe für jene, die durch die nationalsozialistische Entrech- tungspolitik ihrer Existenzgrundlagen beraubt worden waren, war das Ziel von "Hilfe und Aufbau". Stand anfangs die Sicherung von Lebensmöglichkeiten in Deutschland im Vor- dergrund, so fehlte es doch nicht an mahnenden Stimmen, die der Vorbereitung zur Auswanderung Vorrang einräumten. Nach knapp zweijähriger selbständiger Arbeit des "Zentralausschusses" erfolgte am 1. April 1935 dessen Eingliederung in die "Reichsvertretung " - ein Schritt, der Berufsausbildung zur Selbstbehauptung 417 "teils der veränderten politischen Situation Rechnung trug, teils aus organisatori- schen Gründen zur Vermeidung unnötiger Kosten und Doppelarbeit erfolgte" (Vollnhals 1988, 318). Die Arbeitsbereiche des "Zentralausschusses", der nunmehr offiziell "Zentralausschuß für Hilfe und Aufbau bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland" hieß, gehen aus dem folgenden Organigramm hervor (Quelle: Ad- ler-RudelI974, S. 16): Reichsvertretung der Juden in Deutschland Zentralausschuß für Hilfe und Aufbau Erziehung und Bildung SchuIwerk I- Lehrer- I- ausbildung Rabbiner- ausbildung I- Erwachsenen- bildung I- I- Kulturbünde Berufs- Umschichtung und Ausbildung Berufs- umschichtung I- Erstausbildung I- Wanderung Palästina- wanderung t- Auswanderung nach anderen ~ Ländern Rückaus- wanderung I- Wirtschaftshilfe Wirtschafts- hilfe I- Darlehenskasse I- Arbeitshilfe I- Vennittlungs- I-dienst Wirtschafts- hilfe für ~ besondere Berufsgroppen Binnen- wanderung 1-0 Wohlfahrtspflege Jugend- I- wohlfahrt Gesundheits- I- fürsorge Altersfürsorge I- Anstaltswesen I- Kriegsopfer- I- fürsorge Jüdische Winterhilfe ..... 15.3 Berufsumschichtungswerk als Kernstück des Hilfs- und Autbauwerkes Die Berufsumschichtung hatte sowohl für die Schaffung neuer Lebensmöglich- keiten im Deutschen Reich als auch für die Förderung der Auswanderung hervorra- gende Bedeutung. Im ersten Jahresbericht des "Zentralausschusses" vom Septem- 418 Berufsausbildung zur Selbstbehauptung ber 1934 wird das dokumentiert: "Das Berujsumschichtungswerk stellt heute das Kernstück des gesamten Hilfs- und Aufbauwerkes der deutschen Juden dar. Seine Fortsetzung muß unter allen Umständen aus zwei Gesichtspunkten heraus sicherge- stellt werden. Diejenigen deutschen Juden, die auswanderungswillig sind oder aus- wandern müssen, können nur durch eine gediegene Berufsausbildung in handarbei- tenden Berufen auswanderungsfähig gemacht werden. Diejenigen deutschen Juden aber, die in Deutschland bleiben müssen oder bleiben wollen, müssen in den Stand gesetzt werden, sich durch eine normalisierte Berufsgliederung besser und leichter in das Wirtschaftsleben einzufügen." (Brodnitz 1934,28; ähnlich Brodnitz 1937, 1). Die als Zielvorstellung benannte "normalisierte Berufsgliederung" war ein hochgestecktes Ziel, dem in der Realität eine häufig beklagte und kritisierte einseiti- ge Berufsstruktur des deutschen Judentums entgegenstand; sie sollte durch Berujs- umschichtung überwunden werden. Die Richtung der Berufsumschichtung sollte von der Kopf- zur Handarbeit führen, von den wissenschaftlichen und kaufmän- nisch-verwaltenden Berufen zu denen des Handwerks, der Landwirtschaft und Ur- produktion, vom Akademiker zum Arbeiter, Handwerker und Landwirt. Berufsum- schichtung bedeutete zugleich soziale Umschichtung. Die Schwierigkeiten der Berufsumschichtung lagen nicht so sehr in den motiva- tionalen Hemmnissen der "Umschichtler" und in den ausbildungsorganisatorischen Problemen bei der Einrichtung von Ausbildungs- bzw. Umschulungsstätten, sondern vielmehr in den undurchschaubaren und häufig schikanösen Entscheidungen der Nazi-Behörden und vor allem in den erheblichen Ausbildungs- bzw. Umschulungs- kosten, die die angespannte finanzielle Siutation der jüdischen Zentralorganisation überforderte. Das führte dazu, "daß von Zeit zu Zeit Zugangssperren zu Ausbil- dungs- oder Umschichtungsplätzen verhängt werden mußten" (Adler-Rudel 1974, 47). Die Diskussion um die einseitige Berufsstruktur des deutschen Judentums und die anzustrebende "normalisierte Berufsgliederung", die in jüdischen Jugendbünden bereits nach dem Ersten Weltkrieg ausgetragen wurden (vgl. Loewe 1935; Leshem 1973; Josephthal, Senta 1938) und die zionistischen Gruppierungen, "die aus Er- kenntnis und Willen und nicht aus Zwang den Weg der Umschichtung beschritten" (Grüne wald 1936,4), gaben wichtige Impulse und Orientierungen im Prozeß der in- nerjüdischen Auseinandersetzung über die zweckmäßigsten Formen der "Normali- sierung" der Berufsstruktur. Die Notwendigkeit einer "Berufsumschichtung" der Juden war zwar lange dis- kutiert worden (vgl. Goldmann 1925; Mansbacher 1916; Marcus 1931; Weinryb Berufsausbildung zur Selbstbehauptung 419 1936) und allgemein anerkannt, ihre praktische Realisierung jedoch kaum vorange- kommen. Der einzig wirksame Weg, "von unten her, das heißt auf dem Wege über die Arbeiterschaft im Betriebe", stieß, wie Alfred Marcus im Sommer 1931 im jüdi- schen Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur, Menorah, hervorhob, auf beträchtliche Vorbehalte: "Der Gedanke, Juden in die Arbeiterschaft als durch- schnittlich bezahlte und in Durchschnittstätigkeiten beschäftigte Mitglieder dersel- ben hineinzubringen, ist nun allerdings gerade in Mitteleuropa nur sehr schwer zu propagieren. Das mitteleuropäische Judentum fühlt sich auf einem zu hohen geisti- gen Niveau, um heute schon ernsthaft diesen Weg beschreiten zu wollen" (Marcus 1931, 333f.). Die jahrelangen theoretischen Auseinandersetzungen über die zukünftige Be- rufsstruktur der Juden in Deutschland fanden mit dem "Schicksalstag, dem 1. April 1933" (Adler-Rudel 1933, 113) ihr Ende - jetzt mußten sehr rasch "unter dem Druck der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der nicht jüdischen Umwelt" prak- tische Lösungen gefunden werden, die die Juden aus den überbesetzten kaufmänni- schen und freien Berufen in jene überführten, in denen sie zuvor kaum oder gar nicht vertreten waren. "Die Entwicklung der letzten Monate hat die wirtschaftliche Stellung des deutschen Judentums außerordentlich erschüttert. Tausende jüdischer Menschen haben plötzlich ihre wirtschaftliche Existenz verloren. Es ist ihnen die Möglichkeit genommen, in den von ihnen bisher ausgeübten Berufen weiter tätig zu sein; Tausende jüdischer Menschen mußten mitten in den Vorbereitungen auf ihren selbstgewählten Beruf sich umstellen und nach neuen, anderen Berufen suchen" (Adler-Rudel 1933, 113). Die Notwendigkeit beruflicher Umstellungen war allenthalben unstrittig, wobei immer wieder betont wurde, daß eine gründliche Berufsausbildung wichtigste Vor- aussetzung der Umschichtung sein müsse. Trotz der grundsätzlichen Bejahung der Umschichtung - "Berufsumschichtnng ist ein Programmwort geworden" (Benjamin 1933, 177); "Umschichtung ist für den einzelnen wie für die Gesamtheit zu einer Frage des 'Seins oder Nichtseins' geworden" (Weinryb 1933, 10); "Die Zukunft des deutschen Judentums und des Judentums überhaupt hängt zu einem erheblichen Teil von dem Erfolg der Berufsumschichtung ab" (Stahl 1934, 451) - hat es nicht an Warnungen gefehlt, die allzu hohe Erwartungen dämpfen sollten: "die Berufsum- schichtung wird nicht als einziges Allheilmittel angesehen werden können" (Lö- wenthaI1934,521). 420 Berufsausbildung zur Selbstbehauptung 15. 4 Ausbildungsplätze für Umschichtung und Erstausbildung Jüdische Hilfsstellen konnten bis zum Jahresende 1933 3.700 Umschulungs- möglichkeiten für erwachsene Juden vermitteln; im Rahmen des Hechaluz (Vorbe- reitung der jungen Zionisten auf das Leben in Palästina: körperliche Arbeit, hebräi- sche Sprache und Aneignung der staatspolitischen, gedanklichen und historischen Grundlagen der chaluzischen Bewegung) bereiteten sich weitere 2.369 Personen auf die Auswanderung nach Palästina vor. Zu dieser Zeit befanden sich im Handwerk 3.025, in Landwirtschaft und Gärtnerei 2.738, in der Hauswirtschaft 306 jüdische Jugendliche in Ausbildungsverhältnissen. Bis Ende Juni 1934 konnten 1.272 Um- schüler ihre Ausbildung beenden, von denen 776 unverzüglich auswanderten. Es folgten 2.174 Neuzugänge, so daß sich im Sommer 1934 insgesamt 6.771 Personen in der Berufsumschichtung befanden. Die finanziellen Grenzen zwangen die "Zen- tralstelle" mehrfach zu drastischen Sparmaßnahmen: Im August 1934 mußte der Zu- gang zur Berufsumschichtung gesperrt werden; die Wartelisten wurden länger - demgegenüber sank die Zahl der Umschüler "gegen Jahresende 1934 auf 4.005 Per- sonen ab, von denen sich 1.048 im europäischen Ausland auf zumeist landwirt- schaftlichen Ausbildungsstätten auf die Auswanderung nach Palästina vorbereite- ten" (Vollnha/s 1988,383). Infolge der "Entjudung" der Berufsausbildung (dazu s. Kipp 1988 und Seubert 1988) war Juden der normale Ausbildungsweg zusehends mehr verschlossen, so daß die "Reichsvertretung" genötigt war, den Auf- und Ausbau kollektiver Ausbildungs- stätten zügig voranzutreiben: "Ende 1936 bestanden im Reichsgebiet 31 jüdische Lehrbetriebe für Landwirtschaft und Gärtnerei sowie 11 Lehrwerkstätten für hand- werkliche Berufe, deren Zahl bis Ende 1937 auf insgesamt 94 Einrichtungen an- stieg" (Vollnha/s 1988,385). Georg Josephthal bilanzierte im Februar 1938 die bis dahin erbrachte Qualifizierungsleistung des jüdischen Berufsausbildungswerkes: "Von 1933 bis Ende 1937 gingen etwa 13.000 Menschen durch das Berufsausbil- dungswerk, das seit dem Umbruch entstanden ist" (Josephthal, Georg 1938, 1). Am 1. Oktober 1937 waren in der Berufsausbildung im Inland 3.800, im Ausland 650 Personen, während im Hachscharah-Werk der chaluzischen Verbände insgesamt 3.050 Personen untergebracht waren, davon in der Berufs- Erstausbildung 1.000, in der Berufs-Umschichtung 2.050. Die Zerstörungswut, die sich in den Novemberpogromen 1938 austobte, ver- schonte auch das jüdische Berufsausbildungswerk nicht und führte dazu, daß rund ein Drittel der Ausbildungsplätze verlorenging. Trotz der vielfältigen Probleme, Schwierigkeiten und Widerstände, denen das jüdische Berufsausbildungswerk aus- gesetzt war, gelang es ihm, "in den fünf Jahren von 1933 bis zum Beginn des Jahres Berufsausbildung zur Selbstbehauptung 421 1938 insgesamt 23.230 Menschen im In- und Ausland eine Ausbildung zu geben und sie so für Palästina oder andere Länder vorzubereiten" (Adler-Rudel 1974, 48). Über die Zeit danach liegen uns nur Schätzungen vor: "Die Zahl der Jugendlichen, denen zwischen dem Novemberpogrom und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch die Auswanderung, allein oder mit ihren Eltern, gelang, wird auf ca. 4.300 ge- schätzt. Ende Juli 1941, knapp drei Monate bevor das Auswanderungsverbot für Ju- den in Kraft trat, lebten noch ungefähr 26.000 Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 25 Jahren im 'Altreich'. Mitte 1941 mußte dann schließlich die Reichsvereini- gung die finanzielle Umstützung der Ausbildungsstätten einstellen. Einige der frühe- ren Lehrbetriebe wie das Landwerk Neuendorf oder das Gut Groß-Breesen blieben als Zwangsarbeitslager bis Mitte 1943 bestehen, bis auch ihre letzten Insassen in die Konzentrationslager deportiert wurden" (VolInhals 1988,391). Im Rahmen dieses Beitrages ist es nicht möglich, die zahlreichen jüdischen Aus- bildungsstätten und Umschulungsmaßnahmen ausführlich und im einzelnen vorzu- stellen. Über einige Einrichtungen liegen bereits sehr detaillierte Darstellungen vor, auf die an dieser Stelle hingewiesen werden kann: Über das Auswanderungslehrgut Groß-Breesen (Angress 1965; Angress 1985; Bondy 1938), über die jüdische Garten- bauschule Ahlem (Homeyer 1980; Lowenthal 1969), über das "Jüdische Umschu- lungslager" am "Grünen Weg" in Paderborn (Naarmann 1988), über die "Private Jüdische Lehranstalt für handwerkliche und gewerbliche Ausbildung auswande- rungswilliger Juden des ORT in Berlin" (Behrendt 1937; Grunwald 1937, Klementi- nowsky 1937), über die Werkstätten für Berufsumschichtung und Vorlehre in Nie- derschönhausen (N.N. 1936), über den Kibbutz Hagscharnah in Grüsen (Brandt 1979), über das jüdische Jugend- und Lehrheim Wolzig (Walk 1983), über das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg (Heubach 1986), über das jüdische Landschulheim Herrlingen (Schachne 1986) sowie über das holländische - zur "Auslands-Hachscharah" zählende - Werkdorp Nieuwesluis (van TIjn 1969). 15.5 Ausbildungs- und Umschichtungsberufe und Auswanderungschancen Die "Berufsumschichtung" sollte nicht Selbstzweck sein, sondern "Vorberei- tung zu einem neuen Weg". Insofern mußte den Fragen der Berufswahl, der Berufs- vorsteIlungen und Berufswünsche der Betroffenen besondere Aufmerksamkeit ge- schenkt werden. Außerdem spielten die Fragen "Wer ist zur Auswanderung geeig- net?" (Nathanson 1937) und "Welche Berufe eröffnen die besten Auswanderungs- chancen?" eine hervorragende Rolle. 422 Berufsausbildung zur Selbstbehauptung Im Oktober 1938 hatte Erich Salinger "Neue Möglichkeiten der Berufsum- schichtung " aufgezeigt, um der immer größer werdenden Zahl der zur Berufsum- schichtung gezwungenen jüdischen Menschen praktisch realisierbare und auswan- derungspolitisch aussichtsreiche Empfehlungen zu geben. Dabei berücksichtigte er den Umstand, daß häufig nur beschränkte Zeit - "bis zu einem Jahr" - für die Um- schichtung zur Verfügung stand. Deshalb wies er auf solche Berufe hin, "die in kurzfristiger Umschichtung gewisse Aussichten für eine vollständige und möglichst lückenlose Ausbildung bieten" (Salinger 1938, 141). Für Männer empfahl er: Maler oder Anstreicher, Schilder- und Plakatmaler, Polsterer, Stricker, Seifensieder, Schuh- macher, Glaser, Spiegelbeleger und Glasschleifer, Galvaniseur, Vulkaniseur, Schweißer, Beizer und Polierer, Färber, Zahntechniker. Der letztgenannte Beruf, der in kurzfristiger Umschichtung nur für ehemalige Zahnärzte in Frage kam, macht deutlich, daß Salinger alle erdenklichen Möglichkeiten in Betracht zog. Das zeigt sich auch in der Empfehlung solcher Tl'lf) IV,Hl rein 9nul1~ IrICIH (<1(jetl. f"lltt \'11, l' 8'1 hnr, tIIi t ~Cltl eil'~, <"li' nl'llI['i'l 111 ~fII :lH"I'f!cn ,il'l)l, Sllltl .\)illIllll'b;dt hlUtl<"U,'II, '.)[ r (. ri t" ltI " i ~ fll 2i1<> 1I,1(f)!tl ""'ß .I,'\l-rqJl'tt.:< e tfml' rtrr,ll unb ;dllc '.)!rIUhllfJt fünl'l'l1, (,.[{ In!)t1 ""-,, SühnT" ~11()l11' It'l'im, uni' ,,1ft', NI' ,111 i'infJ1lI' !ll-fllI, f"IrIl fi,f,\" i~1I1 hi1,,'ill~<'Il, "'I'il" t!d;rbild, i.e. auf eine natürlich-organische (Körper)Wahr- nehmung lenken konnte.5 Belegen kann ich diese Vermutung nur mit dem Hinweis auf die Sportpropaganda im RADwJ, deren stereotype Bilder in zumeist totaler Per- spektive eine Gruppe leicht bekleideter und wohl proportionierter junger Frauen zeigten, die in schönem Einklang untereinander und mit der Natur, mit dem über ihr sich wölbenden Sommerhimmel, Ball, Seil oder Keule handhabt. Diese Bilder stel- len jene Körperwahmehmung dar. Als letztes Vehikel ästhetischer "Erziehungsarbeit" im RADwJ sei das Lesen genannt. Wenn, dann las man dort gemeinschaftlich des nachmittags oder im "Feier- abend" entweder so, daß vorgelesen wurde (zumeist von der Lagerführerin) oder daß man sich zur Lektüre zusammenfand. Jedes Lager sollte eine Bibliothek haben; Art und Umfang ihrer Nutzung waren jedoch nicht reglementiert und hingen damit praktisch von der einzelnen Lagerführerin ab. An sie gab es allerdings die Empfeh- lung, das Lesen einzuplanen. "In den Lagern des Reichsarbeitsdienstes für die weib- liche Jugend sind viele gute Zeitschriften und sehr viele gute Bücher! Also muß auch Freizeit für die Maiden zum Lesen sein!" (Decker in: RetzlafJ 1940, S. 33). - Dieser Imperativ spricht zwar eher dafür, daß Zeit zum Lesen gerade nicht immer gelassen wurde, belegt aber wohl die diesbezügliche Absicht der Reichsarbeits- dienstleitung. Sie geht mindestens dahin, durch gemeinschaftliches, i.e. teilöffentli- ches Lesen und durch die Vorgabe einer Bibliothek das Lesen wie die Lektüre53 zu 516 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen kontrollieren. Solche Kontrolle macht nur dann 'Sinn', wenn man der Lektüre Wir- kungen auf das Subjekt zuschreibt, derer man eben habhaft werden will. Mithin geht es um Gemüt und Bewußtsein der Leserinnen. Sie sollten, so darf man vermuten, gewiß nicht kritisch aufgebaut, sondern unkritisch erbaut oder gefühlig vereinnahmt werden. Funktion und Wirkung der im Dritten Reich verbreiteten "mehr oder weni- ger gehobene(n) Unterhaltungspoesie" - sie machte neben den deutschen Klassikern und den Publikationen aus dem Reichsarbeitsdienst selbst den Hauptbestandteil der RADwJ-Bibliothek aus - ist, wie ich meine, hinreichend bestimmt worden: "Unter anderen historischen Voraussetzungen der Harmlosigkeit zugerechnet, wurde (sie) für die nationalsozialistische Kulturpolitik zur beherrschenden Zweckform ... (Sie) erfüllte am erfolgreichsten die Aufgabe, durch Zerstreuung oder säkularisierte Er- bauung der Leser vom Widerspruch zum Hitler-Staat freizuhalten".54 Dies gilt im Kleinen auch für das Lesen im RADwJ. Ich glaube, mit den vier instrumentellen Beispielen: Ordnungsapparat und weib- licher Alltag, Singen, Gymnastik und Lesen, auf die ästhetischen Potenzen national- sozialistischer "Erziehungsarbeit" hier im RADwJ ausreichend aufmerksam ge- macht und deren Leistung für die Stabilisierung nationalsozialistischer Herrschafts- ideologie in einem ihrer Binnengefüge sowie für die Versöhnung mit ihrer Wirklich- keit, hier im Teilbereich Frauenarbeit, ausreichend verdeutlicht zu haben. Im folgen- den will ich die beschriebenen psychischen und mentalen Einwirkungen in ihrer Ab- sicht auf das Subjekt summieren. Ich versuche dies, indem ich das Bewußtsein und die innere Verfassung darstelle, die auch die ästhetische "Erziehungsarbeit " be- wirkte resp. bewirken sollte. Das soll und kann an dieser Stelle nur typisierend ge- schehen. 19.4 Die ewig junge "Arbeitsmaid" Harald Scholtz hat aufgrund seiner zahlreichen Studien über Erziehung und Schule im Nationalsozialismus eine entwicklungspsychologische Generallinie sozu- sagen nationalsozialistischer "Erziehungsarbeit" erkannt, die "Tendenz" nämlich, "das Jugendalter in eine frühe Phase zurückzuverlegen und der Adoleszenz keine besondere Beachtung zu schenken ... Daraus resultierte eine Aufwertung der späten Kindheit und eine weitgehende soziale Egalisierung der Jugend phase zu ungunsten der Schonphase zur Entwicklung theoretischer Fähigkeiten, des sogenannten Mora- toriums" (Scholtz 1985, S. 179). Diese Tendenz förderte auch der RADw]. In der Arbeit beansprucht er seine Klientel - 17-25jährige Mädchen und Frauen - generell als Erwachsene, deren pädagogische Betreuung aber nahm dies zweifach zurück. Zum einen wurden die "Arbeitsmaiden" eben nicht sich selbst überantwortet und , Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 517 Zeit zu sich selbst zu kommen, wurde kaum gelassen;55 zum anderen suchte man sie zu "Arbeitsmaiden" eben zu formen, zu Frauen von "gehorsamer Unterordnung und inneren Disziplin" (Schwerdtjeger-Zypries 1940, S. 133), um die wesentliche Bestimmung des erwünschten Loyalitätstyps noch einmal zu zitieren. Dessen men- tale, dessen innere Verfassung habe ich einmal diejenige eines "späten Jugend- lichen" genannt (Miller-Kipp 1991); ich greife diese typische Bestimmung hier noch einmal auf und konkretisiere sie im Blick auf die "Arbeitsmaid". Damit wird auch die von Scholtz erkannte erziehungspolitische und entwicklungspsychologische Tendenz an dieser Figur veranschaulicht. Sie läuft im RADwJ darauf hinaus, die in der Arbeit liegende Möglichkeit zum "Reiferwerden,,56 durch die Anregung psychi- scher Regression zu konterkarieren. "Der späte Jugendliche" ist auf einer Entwicklungsstufe zwischen Jugend- und Erwachsenenalter zu denken zum Ende der Phase der Adoleszenz. "Ihm gehen we- sentlich 'dem Erwachsenen' zugeschriebene Qualitäten resp. Merkmale wie abstrak- tes und differenziertes Denken, soziale und ideelle Autonomie und intime Emotiona- lität ab; andererseits kennzeichnen ihn aber auch nicht mehr die 'dem Jugendlichen' in der 'Reifezeit' zugeschriebene Labilität, der emotionale Überschwang und die wechselnde (soziale und ideelle) Orientierung" (a.a.O., S. 42) - diese Labilität kannten und nutzten die braunen Pädagogen ja gerade, um sie nationalsozialistisch festzulegen. Der "späte Jugendliche" orientiert sich konventionell an nationalsozialistischer Ordnung und ist ans Kollektiv resp. an Führerfiguren gebun- den; mit dieser kollektiven Bindung spielt sein soziales Verhalten im Modus von Wettstreit und Kooperation. Sein Denken ist konkret, stereotyp und vereinfachend, seine Mentalität bleibt vor-rational und damit offen für emotionale Projektionen und Fixierungen. Diese nun scheinen mir der Königsweg der "Erziehungsarbeit" im RADwJ gewesen zu sein, sofern sie ästhetisch instrumentiert war, die ästhetischen Momente des 'weiblichen' Alltags eingeschlossen. Die über sie erzeugte Ge- fühlslage ist die einer sportlichen, unbekümmerten Fröhlichkeit, wie sie auch heute für 'Berufsjugendliche' notorisch ist. Bei der "Arbeitsmaid" äußert sie sich ty- pischerweise im Gestus des Singens, Tanzens und Lachens, im kameradschaftlich- flotten Ton, in gradliniger Bereitschaft zum Mitmachen und Anpacken. Die ' deut- sche Hausfrau und Mutter', das bis zur Floskel heruntergebetete Ideal 'weiblicher' Erziehung auch im Nationalsozialismus, nimmt im RADwJ die Gestalt der pflichte- thisch disziplinierten Frau von nationalsozialistischer Gesinnung und jugendlichem Gemüt an. - Dafür, daß solche Mentalität auf emotionalem Wege bewirkt werden soll, spricht als historisches Zeugnis die in dieser Institution zur Selbstdarstellung und Werbung in zehntausender Auflagen produzierte Literatur. 518 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen Diese Literatur57 gehört zur Gattung 'Erlebnisliteratur': Vom Stil, von der Spra- che, von der Aufmachung, ja schon vom Titel hier zielt sie auf ein junges Publikum, auf das kindliche bis jugendliche Gemüt und Bewußtsein. Inhalt ist die unmittelbare Erfahrung in den Horizonten von Natur und Lagerkollektiv, sind "die frohen und ernsten Stunden aus dem täglichen Leben unserer Arbeitsmaiden" (&torff 1940)58 im Duktus des Abenteuers; Formen sind vorzugsweise die Ich-Erzählung oder der Bildbericht oder eine Kombination von beidem. Sie bringen Anschaulichkeit und verbürgen oder suggerieren Authentizität. Das erzählende Ich ist naiv, seine Sprache kindlich einfach und jugendlich flott; das Bildmaterial ist stilisiert, die Zeichnungen sind niedlich, hübsch und lustig - bei der Arbeit wird reichlich gelacht, beständig scheint die Sonne und außerdem tollen und tanzen die "Arbeitsmaiden " viel herum. - Das Bewußtsein und die Gemütslage, die diese Literatur ansprach resp. ansprechen sollte, waren zugleich die im RADwJ gepflegten und gewollten. Ob sie nun ihrer- seits dazu beitrug, diese Befindlichkeiten und mit ihnen die 'ewig junge Arbeits- maid' zu erzeugen, oder ob sie lediglich das bereits so disponierte Bewußtsein verfe- stigte, ist schwer und von mir an dieser Stelle nicht auszumachen. Als Beleg allerdings dafür, daß die "Erziehungsarbeit" im RADwJ die innere Verfassung des "späten Jugendlichen" in der Ausprägung der "Arbeitsmaid", wie immer prädisponiert, sehr stabilisiert hat, sehe ich die schon zitierte authentische Er- lebnisliteratur in der Form von Erinnerungsbericht oder Tagebuch an, die - auszugs- weise - größtenteils erst nach 1945, genauer Ende der 70er Jahre veröffentlicht wur- de.59 Sie kommt im selben Tenor frohsinnigen Erzählens daher wie die propagandi- stisch konzipierte, verwendet (nach 1945) auch ungeniert deren Bildmaterial und zeugt (immer noch) von unbekümmert-naiver Einstellung von aktivistischem Wirklichkeitssinn und emotionaler, d.h. auch begrenzter Wirklichkeitserfassung. Ich zitiere dafür zwei Zeitzeuginnen und betone, daß deren von keiner nachfolgenden Reflexion begleiteten Aussagen nicht Ausnahmen sind, sondern regelmäßige Rede wiedergeben. Im Februar und April 1945 (!) schreibt eine 20-jährige "Arbeitsmaid" (im Range einer "Maidenunterführerin "): "Kurz vor 4 Uhr weckte uns wieder Flie- geralarm, doch mit dem Aufstehen hatten wir es ja nie eilig ... Als ich dann zur Tür raus schaute und das tolle Geschieße sah, lief ich doch in den Luftschutzkeller ... Es knallte draußen tüchtig, und die Tiefflieger feuerten über uns her... In der Stunde dieser größten Gefahr war all meine Angst verschwunden" und weiter: "Heute Nacht hatten wir tüchtigen Alarm, bei dem ich das erste Mal geleuchtet habe. Es ist ein eigenartiges, sicheres Gefühl, an den Geräten zu stehen, wenn der Feind überall in der Nähe seine verderbenbringende Last abwirft" (zit. in: Stelling 1985, S. 34 f). Und vom "Schippeeinsatz" am "Ostwall" im Dezember 1944 berichtet aus der Er- innerung 43 Jahre später eine ehemalige Lagerführerin: "Wir waren schon voller Ungeduld und richtig froh, als wir auch aus unseren Lagern zum Schippeeinsatz ge- Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 519 rufen wurden. Bei aller aufkeimenden Besorgnis der letzten Kriegsjahre, zogen wir doch voller Spannung und Begeisterung hinaus. Wir wollten wenigstens dabei sein, wenn besondere Kräfte gebraucht wurden" (Mein Herz war in Pommern, S. 221). Angesichts der gegebenen politischen Situation äußert sich hier die Bewußt- seinsverfassung der 'ewig jungen Arbeitsmaid ' krass, doch dafür deutlich. Ich halte ihre Mentalität nicht nur für eine Zielvorstellung, sondern auch für ein Produkt der pädagogischen Praxis des RADwJ, besonders ihrer ästhetischen Potenzen. Sie sind es, die das Subjekt unmittelbar affizieren, wenn auch die einzelnen Wirkungen schwer zu greifen sind. - Für die behauptete und zitatweise belegte Wirkung 'forma- tiver Ästhetik' im RADwJ will ich abschließend noch weitere Indizien anführen. 19.5 "Die Ergriffenheit dieser Generation war sicher auch durch ästhetische Formen bedingt" Die seelische Ergriffenheit großer Teile der deutschen Bevölkerung vom Nationalsozialismus ist für die 'junge' Generation, für die politisch vor allem um- worbenen ' 13- bis 30jährigen,60 oft beschrieben und vielfach dokumentiert worden. Dabei richtet sich der Blick mit Vorliebe auf junge Frauen, denen eine besondere Hingabe an Hitler historisch nachgesagt wird. Solche Nachsage entspringt aller- dings dem Arsenal geschlechtsspezifischer Wahrnehmung;61 ich möchte sie nicht verstärken, wenn ich die gefühlsmäßige Bindung junger Frauen an den Nationalso- zialismus durch den RADwJ konstatiere. Diese Bindung ist keine weibliche Beson- derheit, sondern Teil eben einer kollektiven "Ergriffenheit" und die psychische Ab- seite des kollektiven Mitläufertums, das historisch verständlich zu machen die NS- Forschung ja auf Trab hält. Daß Ergriffenheit ästhetisch bewerkstelligt wird und wurde, ist ebenso offenkundig wie in den Wirkungen schwer nachzuweisen. Nur ei- nes Umstandes darf man sich sicher sein: der diesbezüglichen Wirkungsabsicht der nationalsozialistischen Machthaber. Für diese Absicht steht deren Herrschaftswille ein. Für mehr als die Absicht, "durch ästhetische Formen" nationalsozialistischer Herrschaft in den Subjekten durchzusetzen, spricht die eingangs zitierte Aussage; sie behauptet auch deren Erfolg, und das nicht ohne empirische Kenntnis. Die Aus- sage stammt von der ehemaligen Reichsleiterin des BDM62 und wurde nach 1945 aufgrund von Erfahrung in der Form von Beobachtung gemacht.63 Beobachtung ist ein Weg resp. ein Mittel, der fraglichen Wirkung habhaft zu werden, neben unmittel- baren Zeugnissen, z.B. der Bekundung von Anmutung, wie ich sie hier im dritten Abschnitt, und mittelbaren Indizien innersubjektiver Formierung, wie ich sie im 520 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen vierten Abschnitt angeführt habe. Mit ihnen ist - im Teilbereich des RADwJ - schon nachzuweisen, daß jene Ergriffenheit durch "ästhetische Formen" historisch zustan- de gekommen ist. Als Schluß von der Wirkung auf die Ursache bleibt solcher Nach- weis logisch gesehen jedoch defizitär. Der emotionale Kern des ästhetischen Erleb- nisses entzieht sich der Wirkungsanalyse. Seelische Ergriffenheit stellt sich nicht nur bei der besonderen, bei der für sie in- szenierten großen Gelegenheit, sondern auch bei alltäglicher Begebenheit ein, zum Beispiel bei einem Ausflug. "Dann sahen wir [die Belegschaft eines RADwJ-La- gers] das Landhaus Görings und von da aus das Haus des Führers. Ihr ward sicher- lich auch alle ein wenig ergriffen!" (Arbeitsmaidenzeit, S. 12).64 Ergriffenheit aus welchem Anlaß immer überkommt den Einzelnen oder die Gruppe nicht unvorbe- reitet. Vorbereitet wurde sie im zitierten Falle (soweit erkennbar) durch eine "phan- tastische" Kaffeetafel (ebd.), durch Singen und durch den schönen Ausblick; - wohlbekannte Versatzstücke, die im RADwJ nachlesbar die Bereitschaft erzeugen oder fördern, sich ergreifen zu lassen - und zwar vom Nationalsozialismus, da und insofern er die Anlässe für seelische Ergriffenheit liefert. Für sie sind wie schon gesagt die Maßnahmen 'intentionaler Erziehung', sind Indoktrination und Schulung nicht so wichtig; sie erreichen schwerlich die emotio- nale Basis persönlicher Identifikation. Ja, sie erregen auch weniger das Interesse und treffen entsprechend schlechter die Vorlieben der umworbenen 'jungen' Generation. D,!ß die ästhetischen Formen nationalsozialistischer "Erziehungsarbeit" attraktiver und in identifikationsstiftender Hinsicht wirkungsvoller waren als deren päd- agogische Formen,65 soll für den Bereich des RADwJ hier abschließend belegt wer- den mit einer Befragu~ ehemaliger Arbeitsdienstführerinnen durch eine ehemalige Arbeitsdienstführerin. Diese Befragung aus den Jahren 1971 - 1975 geht der Her- kunft, der Berufsausbildung und Zugehörigkeit, ferner den Interessen, Erfahrungen und Wertungen der Ehemaligen nach67 mit dem Ziel, "das Erlebnis Arbeitsdienst" (Arbeitsdienst für die weibliche Jugend, 1978, S. 6) unter pädagogischem Aspekt zu dokumentieren; 68 sie ist in diesem unpolitischen Fragehorizont und innerhalb einer affirmativen Gruppe dennoch kritisch durchgeführt worden.69 Über die Frage der ästhetischen Formen und ihre Gewichtung innerhalb der "Erziehungsarbeit" des RADwJ geben insbesondere die Aussagen über persönliche Interessen sowie zu den "pädagogischen Kräften" (a.a.O., S. 49) des Arbeitsdienstes Auskunft. Danach gilt das Interesse der großen Mehrheit der Befragten den musischen-äs- thetischen "Zweigen der Lagerarbeit" (Singen und Musizieren, Leibeserziehung und Tanz) sowie dem "persönlichen Eingehen auf die Arbeitsmaiden", i.e. einer pädagogischen Möglichkeit (a.a.O., S. 27). Ästhetische Formen der Betätigung und Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 521 des Zusammenlebens und persönlicher Umgang liegen damit weit vor politischem Unterricht, hauswirtschaftlichem Unterricht und "hausfraulichen Aufgaben", den erziehungsideologisch so stark hervorgehobenen pädagogischen Mitteln (ebd.); ih- nen werden "Zusammenarbeit mit dem Dorf", "Wandern und Fahrten", "Feste und Feiern" noch vorgezogen, und sie werden in weitaus höherem Maße für "objektiv nötig" gehalten als persönlich geschätzt - beim hauswirtschaftlichen Unterricht be- trägt diese Differenz über 50 % (ebd.)! Bei den vorrangig genannten Formen der La- gerarbeit, die für Mentalitätsbildung in Betracht kommen, entsprechen subjektives Interesse und die Einschätzung objektiver Notwendigkeit einander weitgehend.70 - Man kann dem Befragungsergebnis einiges ablesen, z.B. über ideologische Nähe und politische Abstinenz im Führerinnenkorpus des RADwJ, in pädagogisch-psy- chologischer Hinsicht setzt es ein Fragezeichen hinter die intentionale Auffassung und Realisierung seines Erziehungsauftrags. Daß sich Führerinnen aller Dienstrrade im RADwJ, die sich als Erzieherinnen zu verstehen hatten und verstanden,7 dort aus musischen Interessen noch vor pädagogischen betätigten, bedeutet für die kol- lektive Mentalität in dieser Institution, daß sie ästhetisch-emotional empfänglich, und für deren pädagogische Praxis, daß sie auch musisch-ästhetisch durchsetzt war und arrangiert wurde. Letzteres geschah nicht ohne Wissen um die Wirkung solchen Arrangements auf die an ihm beteiligten Subjekte und in der erklärten Absicht, die Entwicklung der Arbeitsmaiden zu beeinflussen.72 Bei der Beantwortung der Frage nach den "päd- agogisch wirksamen Kräften" (sie!) im Arbeitsdienst geben die Führerinnen "musi- schen Impulsen" (55 %) vor "pädagogischen Impulsen" (45 %) die Ehre. An der Spitze rangiert allerdings die Verwirklichung sozialen Engagements wie die "Erfül- lung sinnvoller Aufgaben für die Gemeinschaft" (77 %) und das "Erlebnis uneigen- nütziger Hilfe" (73 %; a.a.O., S. 49).13 Solche Erfahrung74 als pädagogische Kraft anzusehen, bestätigt hinwieder die in den NS-Formationen gepflegte psychologisch- funktionale Erziehungsauffassung; sie schließt ästhetische Formen und emotionale Wirkungen instrumentell ein. Zu ihnen gehören im RADwJ besonders die ästheti- schen Formen des 'weiblichen' Alltags. Ich habe sie an dieser Stelle als das un- spektakuläre Inventar der ästhetischen Ausstattung des Nationalsozialismus und ihre Wirkung als die weniger beachteten kleinen Schritte zur großen Verführung durch den "schönen Schein des Dritten Reiches" beschrieben. Singen und Tanzen, Ordnung-Halten und Schmücken zumal funktionieren im hi- storischen Raum ästhetisch inszenierter Herrschaft herrschaftssichernd. D.h. hier, sie tragen im institutionellen Rahmen des RADwJ zum Funktionieren des National- sozialismus als Mythos bei: zur Einbindung des Individuums ins nationalsozia- listische Kollektiv, zur Unterwerfung unter den Führerwillen, zur Versöhnung von 522 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen Realität und Idealität des Dritten Reiches. So setzte nationalsozialistische Diktatur im Gemüt und im Bewußtsein der vom RAD erfaßten weiblichen Jugend mit der Verschönerung der scheinbar ewig weiblichen Aufgabe an, "im Kleinen treu zu sein, zu arbeiten, zu kämpfen und zu gehorchen" ("Mein Herz war in Pommern", S. 177f.) 75. Morgendliches Singen vor der Arbeit im Lager Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 523 19.6 Anmerkungen 1 In Garlssen, Kreis Luckau b. Berlin. Zum "Restkommando" gehörten die La- gerführerin, zwei Wirtsgehilftnnen und die hier zitierte Lagerverwalterin. Sie be- richtet aus der Erinnerung und stützt sich dabei auf ein Tagebuch. 2 Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit insbesondere wieder auf den "Führer- Mythos", seine Inszenierung und seine 'verführerische' Funktion (vgl. für die poli- tische Geschichtsschreibung anfänglich Hirschfeld/Kettenacker (Hrsg.) 1981; Kers- haw 1980. 3 Sie werden bei Reichel (1991) wieder zitiert. Die aus zeitgenössischer Nähe beschriebene und bezeugte ästhetische Wirkung ist psychologisch mehr wert und für die historische Erkenntnis höher einzustufen meine ich als post festum rekonstruierte oder im Huckepack mit den inzwischen generierten historiographischen Modellen vermutete. 4 Als Kontroverse personalisiert an den historisch-analytischen Positionen von llmothy W. Mason und Eberhard Czichon, vgl. Mason. T.W. u.a.: Faschismus-Dis- kussion. Berlin 1978. (Argument-Studienheft 6) 5 Faschismus und Ideologie. Berlin 1980. 6 Vgl. Haug 1986; die ganze hier zitierte Diskussion und Erkenntnisarbeit über den Faschismus wird vom Argument-Kollektiv seit 1965 vorangebracht (Das Argu- ment 33 (1965)ff.). 7 Insbesondere gerät die Beschreibung der mythischen Elemente und Momente der NS-Herrschaft im "Führer-Mythos" (vgl. Anm. 2), leicht zu deren Mythologi- sierung oder deren Dämonisierung in der Person Hitlers. 8 Sinnfällig abgebildet durch das Netz von Konzentrationslagern, das das Ge- biet des Dritten Reiches überspannte und von dessen Dichte die Reihung der be- kannten Namen ja nichts ahnen läßt; jetzt zu ftnden in: Konzentrationslager 1988; vgl. Weinmann (Hrsg.) 1990. 9 Hinzuweisen ist auf die eigenartige Synthese beider, der Gewalt und des 'schönen Scheins': die Gewalt wurde ihrerseits ästhetisiert und hat durch sinnliche Verhüllung fasziniert wie unverhüllt eingeschüchtert, bedroht und eben physisch 524 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen vernichtet. Vgl. (schon von den Titeln her) Reichel 1991, Selle 1987, Thamer 1986 sowie den Beitrag von Balistier 1993/1994. 10 Was nicht schon wieder als methodologische Verspätung gelesen werden muß, wenn Mentalitätsgeschichte noch allgemein als historiographische "Heraus- forderung" gilt (Tanz 1990) 11 V gl. Herrmann 1987; sie wurde für die NS-Zeit wesentlich stimuliert durch die Autobiographien von Renate Finckh (1979) und Melita Maschmann (1979). 12 Vgl. Klafki 1988; 1991. 13 Angeregt auch durch die Studien und das Material von resp. bei Grunberger 1972 und Mosse 1978 (der in den USA freilich schon 1966 erschien). Die Alltagsge- schichtsschreibung in der Form der politischen Geschichte geht mentalitätsgeschichtlichen Spuren freilich nicht nach (vgl. etwa Mommsen (Hrsg.) 1988). 14 Dazu der Beitrag von Herrmann 1993/1994, ferner Herrmann 1985, Miller- Kipp 1988. 15 Dazu, wie dies in normativer Hinsicht begrifflich zu fassen sei, vgl. Miller- Kipp 1988. 16 Aus dieser Perspektive und unter der Voraussetzung eines normativen Subjektbegriffs wäre die Rede von der Erziehung "des faschistischen Subjekts" (Nemitz 1980) zu überdenken. 17 Auf sie weist im erziehungshistorischen Diskurs, soviel ich sehe, Dudek 1987 erstmals hin, allerdings ohne sich ihrer selbst anzunehmen (vgl. Dudek 1991). 18 "Die Nazis und ihr 'Neuheidentum''', 1937/1970. 19 Vgl. zuletzt Reichel (1991) bes. auch S. 44f., ferner den Beitrag von Reichel 1993/1994. 20 "Werk" meint hier einen institutionellen Teilbereich eigener Organisations- form; DAF = Deutsche Arbeitsfront; BDM = Bund Deutscher Mädel, Teilformation der HITLER-Jugend. Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 525 21 Insofern sehe ich die Arbeitsteilung nicht, die oft zwischen den NS-Formatio- nen konstruiert wird und die den einen die - politische - Schulung, den anderen die - ästhetische - Ablenkung oder Hinlenkung zuweist (vgl. z.B. Seile 1987, S. 97). 22 Vgl. Miller 1980; erg. Literatur in diesem Band, Kap. 22.5. 23 V gl. Sekundärliteratur. 24 Vgl. a.a.O., S. 99. 25 FAD 1931/2 - 1934/5. 26 Das gilt auch für Miller 1980. 27 Als Versinn(bild)lichung sozusagen eines dem RADwJ geltenden und dort (bis heute, vgl. Stelling 1985) gern zitierten Spruchs von Konstantin Hierl (Führer des RAD): "Wo ihr seid, soll die Sonne scheinen". In einem Faksimile in der Bro- schüre Arbeitsmaiden (Rückseite) heißt es allerdings: "Wo Ihr seid, muß die Sonne scheinen!" 28 Es handelt sich um zwei verschiedene Berichterstatterinnen. 29 V I p' .. l' g. nmar Iteratur. 30 Zitat Vorwort, S. XIII, gemeint ist hier das proletarische Bewußtsein; vgl. a.a.O., S. 307. 31 Dazu Schwertjeger-Zypries 1940, S. l30f. 32 Vorausgegangen war ein 'Fauxpas' der berichtenden Lagerführerin; "Resi" ist die Bezirksführerin. 33 Ein Lieblingsmotiv ist hier das Fensterputzen, vielleicht als Assoziation zu Sonne und Licht (und "Reinheit"?). 34 Z.B. Benze 1943, S. 7lf. Die genannte Differenz zählt Benze zu den "inneren Verschiedenheiten" beider Arbeitsdienste, die deren männliche Schriftsteller ge- schlechtsspezifisch ableiten (a.a.O., S. 82; vgl. auch Kretzschmann 1940); ich halte dies für ideologisch bedingte Ahnungslosigkeit, vgl. Anm. 49. 526 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 35 Vgl. etwa Tagespläne in: Benze 1943, S. 72; Erinnern, Besinnen, Erkennen, S. 25; Kallsperger 1939, S. 134f.; Stelling 1985, S. 15ff. Der Vergleich der formellen Tagespläne mit geschilderten Tagesabläufen zeigt, daß in der - nach Vorgabe 'gestal- teten' - Wirklichkeit öfter gesungen wurde als förmlich anberaumt. 36 D.h. diejenigen, die bis heute mit ihren guten und schönen persönlichen Erinnerungen an den RADwJ die ganze Institution verklären; vgl. die Besprechung von kritischer RAD-Literatur durch Stelling in: Nation Europa 36 (1986), H.3, S. 45-50. Diesen Hinweis verdanke ich Peter Dudek. 37 Vgl. auch die in den Anmerkungen 67 bis 74 zitierte Befragung. 38 Vgl. Estorff 1938. Der propagandistische Imperativ, Konstantin Hierl (Führer des RAD) zugeschrieben, schlägt noch in der Erinnerungsliteratur nach 1945 durch, vgl. z.B. Beyrich 1986, Stelling 1985, S. 5. 39 Mit Führererlaß vom 29.07.1941 eingerichtet. 40 Sie wird propagandistisch und programmatisch ständig bemüht. 41 Reichel1991, S. 240 u. ff.; als Teil dieser Strategie ist das Singen hier durch- aus übersehen worden. Zu seiner Zugehörigkeit vgl. Karl Riebe: "Musikerziehung des Arbeiters", dok. in: Mosse 1978, S. 22Off. 42 So eine gängige These in der Sekundärliteratur nach 1945, insbesondere zur HITLER-Jugend. Zur Psychologie "ideologischer Subjektion" Nemitz 1980, S. 164ff. 43 Die Berichterstatterin war in einer Mondnacht im Mai so ergriffen. 44 Zumindest ist mir das nicht bekannt. 45 Vgl. Miller 1980, S. 179, zur Arbeit des BDM-Werkes Miller-Kipp 1982, S. 82f. 46 So ehemalige Führerinnen der Autorin gegenüber. 47 Z.B. Morgan 1978, S. 308. Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 527 48 Zit. "Generalarbeitsführer" Will Decker aus dem Erlaß über die Durchfüh- rung der Leibeserziehung im RADwJ. 49 Hierl argumentiert hier psychologisch im auffallenden Unterschied zu den biologistisch argumentierenden Funktionären des Reichsarbeitsdienstes (vgl. Anm. 34); seine Rede kam im weiblichen Arbeitsdienst an, er ist vor wie (erst recht) nach 1945 die von den "Arbeitsmaiden" nahezu ausschließlich zitierte Autorität. Zum weiblichen Arbeitsdienst vgl. Hierll941, bes. S. 213, 29Off., 324ff. 50 Geweckt wurde im allgemeinen um 5.00 Uhr (sommers) resp. um 6.00 (win- ters); dem "Wecken" folgte sogleich der "Frühsport" (15 Minuten). 51 So der Tenor der mir vorliegenden Erinnerungsberichte (s. Primärliteratur). Nachmittags stand in der Regel nach 16.00 Uhr eine halbe bis eine Stunde Sport auf dem Programm. 52 Vgl. AlkemeyerjRichartz 1993/1994. 53 Diese Kontrolle meint das in bürgerlicher Kultivierung private und intime Le- seerlebnis. 54 Schäfer 1981, S. 142; Titel und Auflagen ebd. 55 Über Mangel an Freizeit und Freiheit wird im RADw J durch die Bank ge- klagt, auch seitens der Führerinnen (vgl. Arbeitsdienst für die weibliche Jugend, S. 48). 56 Sie wurde durchaus wahrgenommen (Arbeitsdienst für die weibliche Jugend, S. 67 in Verbindung mit S. 44f.) und von vielen Führerinnen im RADwJ als echte pädagogische Chance genutzt. 57 Vgl. Primärliteratur; Textauszüge in: Kuhn/Rothe 1982, S. 22-24. Zur Lite- raturanalyse vgl. den Beitrag von Nassen 1993/1994. 58 Vorwort Asta v. lArisch (Reichsleitung des Arbeitsdienstes). 59 Als Reaktion auch auf die einsetzende kritische Geschichtsschreibung zum RAD. 528 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 60 Also die Geburtsjahrgänge 1903 bis 1920; zum Konstrukt (und zur Erfor- schung) der 'jungen Generation' im vorliegenden erziehungshistorischen Zusam- menhang vgl. Reulecke 1989. 61 Vgl. punktgenau Bock 1988, S. 387. 62 Jutta Rüdiger (1937-1945). 63 Wörtlich in einem Brief an die Verf. vom April 1990; vgl. dazu das Vorwort in Rüdiger 1984, S. 23, wo dieselbe Aussage - als Anmahnung an erziehungshistori- sche Forschung (vgl. a.a.O., S. 3Of.) - gemacht wird. Dr. Jutta Rüdiger ist studierte Psychologin. 64 Es berichtet die Lagerführerin von einer Wanderung auf den Obersalzberg (im Sommer 1943!). 65 Daß dies für das Betätigungs- und Freizeitangebot der nationalsozialistischen Erziehungsinstitutionen (insbesondere für die HITLER-Jugend) gilt, ist längst be- kannt. 66 Elisabeth Eckert (1905-1979). Sie gehört zu den (sozial)pädagogisch en- gagierten, unpolitischen Idealistinnen im RADwJ (die sich auch auf Herman Nohl berufen), vgl. u.a. Retzlajf, S. 14; "Mein Herz war in Pommern", S. 5, 271ff. 67 V gl. Befragungsbogen in: Arbeitsdienst für die weibliche Jugend, S. 72ff.; die Auswertung basiert auf 694 (von 717 zurückgelaufenen) Bögen; "ca. 3.000" wur- den verteilt (a.a.O., S. 7). 68 Nach "der Einstellung zum Nationalsozialismus" ist deshalb ausdrücklich nicht gefragt worden (a.a.O., S. 6). 69 Vgl. a.a.O., S. 7. 70 Mit einer auffälligen Abweichung im Punkt "Leibeserziehung und Tanz", wobei zu bedauern ist, daß diese beiden zu einem Fragepunkt zusammengefaßt wur- den. Hier die ganze Tabelle (a.a.O., S. 27): Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 529 persönlich objektiv interessiert nötig Singen und musizieren 64% 65 % Persönliches Eingehen auf die 62% 65 % Arbeitsmaiden Leibeserziehung und Tanz 59% 66% Zusammenarbeit mit dem Dorf 58 % 63 % Wandern und Fahrten 54% 55 % Außendienst (Aufsicht) 52 % 71 % Feste und Feiern 40% 40% organisat. Aufgaben 38 % 44% Grundausbildung 35 % 77% politischer Unterricht 33 % 39% hauswirtschaftlicher Unterricht 32 % 66% Verwaltung 25 % 47 % allgemeine hausfrauliehe Aufgaben 19 % 36% Das offenkundige Desinteresse am politischen Unterricht, dem vermeintlichen Kernstück nationalsozialistischen Bildungsbemühens, nötigt die Autorin noch heute zu schönfärbender Interpretation (vgl. a.a.O., S. 25). - Das Interesse am hauswirt- schaftlichen und das am politischen Unterricht und die Einsicht oder Annahme sei- ner Notwendigkeit steigen von den Eintrittsjahren 1932-1934 bis 1941-1945 an, mit auffaUigen Sprüngen zwischen den Eintrittsjahren, die in propagandistischer und in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht interpretationsfähig sind (vgl. a.a.O., S. 44). 71 Nach allen mir bekannten (Selbst)Aussagen. 72 Das ist eine pädagogische Absicht; vgl. Fragepunkt III.4.5 (a.a.O., S. 44) im Zusammenhang mit IV.!. (a.a.O., S. 49). 530 Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 73 Die ganze Tabelle (a.a.O., S. 49): Erfüllung sinnvoller Aufgaben für die Gemeinschaft 77 % Erlebnis uneigennütziger Hilfe für Andere 73 % Soziale Impulse 69 % Forderung einer Leistung 62 % Einfache Lebensweise 59 % Allgemeine idealistische Impulse 57 % Musische Impulse 55 % Pädagogische Impulse 45 % Nationale Impulse 35 % Politische Impulse 16 % Werden negative Kräfte geweckt 23 % 74 Diese Erfahrung bot die Möglichkeit, menschlich zu reifen, und an ihr wurde solche Chance auch festgemacht (vgl. a.a.O., S. 67ff.). - Sie konterkariert regressive und retardierende Mentalitätsbildung durch 'formative Ästhetik', vgl. hier Abschnitt 19.4 und Anm. 56. 75 Die Rede einer Lagerführerin anläßlich der Übergabe der RAD-Brosche an die "Arbeitsmaiden", Tagebuchaufzeichnung vom 24.05.1936. Diese Lagerführerin sieht im übrigen genau, daß es für das Funktionieren des Lagers auf die "Überein- stimmung" des Willens ankommt (a.a.O., S. 176). 19.7 Quellen Arbeitsdient für die weibliche Jugend. Antworten nach 40 Jahren. Bearb. E. Eckert. Bad Ronnef 1978. Arbeitsmaiden. Hrsg. RAF, verantwortl. G. Schwerdtjeger-Zypries, Berlin 1940. Arbeitsmaiden im Kriegseinsatz. Letzte Berichte vor dem Ende. Witten 1990. Arbeitsmaidenzeit im Sommer-Halbjahr 1943. Vilsbiburg/Niederbayem 1943. Vils- biburg 1943. (Selbstverlag) Benze, R.: Erziehung im Großdeutschen Reich. Eine Überschau über ihre Ziele, Wege und Einrichtungen. 3. erw. Aufl., Frankfurt/Main 1943. Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen 531 Benze, R./GräJer, G.: Erziehungsmächte und Erziehungshoheit im Großdeutschen Reich als gestaltende Kräfte im Leben des Deutschen. Leipzig 1940. Berendt-Haas, H. (Hrsg.): Wir erinnern uns. Arbeitsdienst im Rheinland. Selbstver- lag 1981. (Wiederveröffentlichung aus: H. 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Kontinuität oder Diskontinuität lassen sich ohne Einbezug der den anvisier- ten Daten je voraufgehenden Zeit nicht feststellen; 2. sie lassen sich schwer für ei- nen Gesamtprozeß, hier die Geschichte der Pädagogik 'von Weimar bis Bonn', fest- stellen, eher für einzelne ihrer Abschnitte oder Elemente, also in einer je bestimmten und zu bestimmenden Hinsicht oder Größe; 3. davon ist die personale zwar die bis- lang fast ausschließlich gewählte, nicht aber schon die hinreichende; sie ist fruchtba- rerweise um den Blick auf die Verfassung und/oder das gesellschaftliche Wirken ei- ner Wissenschaft zu ergänzen; Wissenschafts geschichte ist nicht nur an Köpfen und Institutionen, sondern auch an Funktionen festzumachen. "Kontinuität" und "Dis- kontinuität" sind mithin relative Begriffsangebote, mit denen sich formal gut ope- rieren läßt; daher wohl sind sie so eingespielt wie unverzichtbar. 1 - Wir wollen hier versuchen, Entwicklungslinien der Pädagogik nach 1945 in der Teildisziplin Berufs- und Wirtschaftspädagogik (BWP) mit Blick auf die gesellschaftliche Funktion der Wissenschaft zu rekonstruieren. Die Frage des Neubeginns stellt sich dabei in verschiedener, in theoretischer, in praktischer, in politischer Hinsicht, und ist nur un- ter Berücksichtigung der Zeit vor 1945 zu beantworten. Unsere Arbeit basiert insge- samt auf den Berufsbiographien und der Theorie- und Wissens produktion der Vertreter und Repräsentanten der Disziplin in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft von Mitte der 20er Jahre bis etwa 1960. Mit diesem Material läßt sich sowohl die Disziplingestalt der BWP rekonstruieren - und dabei die Kontinuitätsfrage in den Punkten Personenkorpus, Institutionalisierung und Theorie- und Wissensbestand beantworten - als auch die gesellschaftliche Funktion der BWP abschätzen, dies am Amt, das sich die Disziplin selbst zuschrieb, an ihrem praktischen Einfluß sowie an ihrer gesellschaftlichen Präsenz und Beanspruchung. - Bearbeitet haben wir von die- sem Material in einem ersten großen Schritt nur dasjenige aus dem Wissenschafts- 540 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? bereich.2 Es umfaßt hier die Berufsbiographien und die Theorie- und Wis- sensproduktion von 23 Hochschullehrern der BWP nach 1945. Tabelle 1: Die erste Hochschullehrer1:?;eneration der BWP nach 1945 Bundes- Lebens- verdienst- daten Name Nach 1945 Hochschullehrer für BWP kreuz 1883- Robert Wefelmeyer 1947-1949 BPI Frankfurt/Main 1884- Paul Eckardt 1946-1953 Uni München 1884-1970 Fritz Urbschat 1948-1961 WH Mannheim / Uni Frankfurt/Main / Uni Saarbrücken 1887-1959 earl Mennicke 1952-1956 BPI / Uni Frankfurt/Main 1889-1971 Johannes Riedel 1949-1956 Uni Hamburg 1889-1977 Hans Lochner 1950-1958 HWSNümberg 1959 1890-1973 Paul Luchtenberg 1953-1956 UniBonn 1960/1965 1897-1988 Jürgen Wissing 1946-1962 BPA Solingen I BPI Köln 1964 1897-1981 Friedrich Schlieper 1945-1965 Uni Köln 1967 1897-1985 Dtto Monsheimer 1955-1967 BPI I Uni FrankfurtfMain 1983 1898- Richard Kienzle 1950-1966 BPI / BPH Stuttgart 1898-1986 Simon Thyssen 1957-1966 Uni Hamburg 1898- Oustav Weske 1950-1960 PHO Wilhelmshaven / Hannover 1899- JosefDolch 1948-1957 BPI / Uni München 1899-1968 Adolf Schwarzlose 1948-1968 PH Berlin 1900- Horst Griineberg 1948-1965 PRO Wilhelmshaven / Uni Göttingen 1902-1984 Ludwi~Kiehn 1956-1969 Uni Hamburg 1902-1982 Walther Löhner 1958-1969 HWS Nümberg / Uni Erlan~en-Nümberg 1902-1990 Ernst Ma~deburg 1947-1967 BPI Frankfurt/Main 1904-1990 Karl Abraham 1946-1972 BPA Solingen / WH Mannheim / Uni Frankfurt/Main 1989 1905- WemerLinke 1950-1971 BPI Frankfurt/Main / Uni Saarbrücken 1908-1978 Erwin Krause 1955-1973 Uni Bonn / TH Aachen 1973 1908-1965 Heinrich Abel 1955-1965 BPI FrankfurtfMain / TH Dannstadt Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 541 Sie bilden nach unseren Recherchen das vollständige Personenkorpus der Diszi- plin in Westdeutschland3 und geben die wissenschaftsgeschichtlich zunächst wich- tigste Personal größe ab, wenn auch zur vollständigen Beschreibung des Entwicklungsmusters der BWP als ihr gesellschaftlicher Ort der polit-ökonomische Bereich nicht ausgelassen werden darf, und damit die Repräsentanten der Disziplin in Politik und Wirtschaft, ihre Funktionäre in der Bildungsverwaltung und in den Arbeits- und Wirtschaftsverbänden heranzuziehen sind. Wir müssen mithin offen lassen, ob sich unser analytischer Befund bei der Berücksichtigung dieser jetzt ver- nachlässigten Materialien ändern würde, vermuten das aber unserem Überblick und Wissen nach nicht.- Wir stellen im folgenden die bezeichneten deskriptiven Teile unserer Arbeit nebst systematischen Zusammenfassungen vor (20.2 und 20.3), um dessen historische Analyse anzuschließen (20.4). 20.2 Berufsbiographien akademischer Vertreter der BWP nach 1945 Rekonstruiert wurden, soweit das der Materiallage hierzulande nach möglich war, die Berufsbiographien wie gesagt der 23 Hochschullehrer, die die BWP nach 1945 in den Westzonen und der späteren Bundesrepublik Deutschland im akademi- schen Bereich und dessen institutionellen Vorläufern vertraten. Der, soweit wir wis- sen, einzige remigrierte Fachvertreter, earl Mennicke, ist selbstverständlich mit ge- zählt und mit berücksichtigt, wenn wir auch seine Berufsbiographie hier nicht vor- legen, weil Hildegard Feidel-Mertz sich mit ihm beschäftigt (Feidel-Mertz (Hrsg.) 1994; Feidel-Mertl/Lingelbach 1994). Die genannte Gruppe umfaßt die Geburts- jahrgänge 1883 bis 1908 und enthält, auf die wissenschaftliche Karriere gesehen, keinen Generationensprung; sie repräsentiert die erste Generation der BWP nach dem Kriele in Westdeutschland und stand ab 1958 zur Pensionierung bzw. Emeritie- rung an. Die Karriereverläufe selbst reichen von absoluter Bodenständigkeit (Friedrich Schlieper, der nur in Köln studierte und dort über 60 Semester in unun- terbrochener Folge als Hochschullehrer arbeitete) bis zu großer Mobilität (Fritz Urbschat, der nach 17jähriger Hochschullehrertätigkeit vor 1945 in Königsberg, nach 1945 über 13 Jahre an drei verschiedenen Hochschulen wirkte), weisen im Mittel aber die übliche Behäbigkeit von einem bis zwei Standorten auf. Alle Er- faßten waren auch vor 1945 als Berufs- und Wirtschaftspädagogen tätig, davon drei- zehn, also über die Hälfte, bereits im Wissenschaftsbereich, die anderen im Berufs- schuldienst, in der Bildungsverwaltung und im betrieblichen Ausbildungswesen. Bei acht der vierzehn überdauernden Hochschullehrer, in allen Fällen Professoren, ist die Kontinuität der Berufsausübung zeitlich gebrochen, da sie - in vier Fällen vor und in vier Fällen nach 1945 - zu einem Berufswechsel, freilich in verwandte Tlitig- keitsfelder, gezwungen waren; wurden die einen von den Nationalsozialisten kaltge- 542 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? stellt bzw. ins Exil getrieben, wurden die anderen entnazifiziert; ab 1946 bis späte- stens 1958 sind sie jedoch alle wieder als Disziplinvertreter in der Hochschule anzu- treffen. Aus diesem Personenkorpus stellen wir hier beispielhaft sechs Universitätsprofessoren vor: Karl Abraham, Erwin Krause, Paul Luchtenberg, Otto Monsheimer, Friedrich Schlieper und Jürgen ßissing; es sind diejenigen Vertreter der BWP nach 1945, die nach unstriuiger kollegialer Einschätzung die namhaften resp. führenden waren; sie zählen zugleich zu denjenigen, die mit dem Bundesver- dienstkreuz ausgezeichnet wurden, was uns ein wissenschaftsgeschichtlich brauch- barer Hinweis auf die gesellschaftliche Präsenz und Akzeptanz von Wissenschaft zu . h' 5 sem sc emt. Ta be lle 2: D at en z u e in er ko lle kt iv en B er uf sb io gr ap hi e de rB W P Na m el B er uf lic he Tä tig ke it N ac h 19 45 B er at un gs -u n d Le itu ng sf un kt io ne n n eb en Le be ns da te n H oc hs ch ul le hr er f. B W P de rH oc hs ch ul le hr er -T ät ig ke it n ac h 19 45 K ar lA br ah am 19 23 -1 92 6 St ud iu m a n de r H H B er lin ; 19 46 -1 97 2 19 45 -1 94 6 B er uf ss ch ul di re kt or de rK re isb e- 19 04 -1 99 0 se it 19 26 D ip lo m -H an de ls le hr er in B re s- B PA So lin ge n ru fs sc hu le B ril on in W es tfa le n; la u; n eb en be ru fli ch es St ud iu m an de rU W H M an nh ei m R ef er en ti m O be rp rä sid iu m in B re sl au :1 92 9 D r. re r. po l.; D iss .: " D ie U ni Fr an kf ur ta m M ai n D üs sl ed or f G ru nd la ge n e in er B er uf ss ch ul po lit ik u n te r be so nd er er B er üc ks ic ht ig un g de rV er hä lt- In de n 60 er Ja hr en di ve rs e G ut ac h- n is se in Pr eu ße n 9 9. D ie 19 34 an ge st re bt e te n fü rd ie " gr un dl eg en de H ab ili ta tio n a n de rH an de ls ho ch sc hu le w irt sc ha ftl ic he Er zi eh un g de r B er lin m it de r1 93 7 pu bl iz ie rte n Sc hr ift Ju ge nd in eu ro pä is ch en Lä nd er nU " D ie se el is ch en u n d kö rp er lic he n G ru nd la - fü rd ie K om m is si on de rE W G u n d ge n de rE rz ie hu ng z u r A rb ei t99 w u rd ev o n de n Eu ro pa ra t de n N at io na ls oz ia lis te n v er hi nd er t. A br a- ha m er hi el tV ef Öf fen tlic hu ng sv erb ot, gi ng [1 95 2H ab ili ta tio n an de rU ni z u rü ck n a c h B re sl au u n d ar be ite te bi s K öl n: " D er B et rie b al sE rz ie hu ng s- 19 45 be id er H an de ls ka m m er B re sla u. fa kt or U ] Er w in K ra us e 19 32 D ip l.- In g. ;1 93 4 D r.- In g. ;( TH B er - 19 55 -1 97 3 19 48 -1 97 0 Le ite rd er " A rb ei ts st el le fü r0 0- 19 08 -1 97 8 lin ), D iss .: " A rb ei ts w ec hs el a u fa rb ei ts- U ni B on n tr ie bl ie he B er uf sa us bi ld un g U te ch ni sc he rG ru nd la ge 99; 19 34 -1 93 6 in de r TH A ac he n 19 51 -1 96 0 G es ch äf ts fü hr er de r" Ze nt ra ls te lle Ch em is ch -T ec hn is ch en R ei ch sa ns ta lt u n d z u r Er fo rs ch un g u n d Fö rd er un g in de rE ig nu ng sp sy ch ol og is ch en U nt er su - de rB er uf se rz ie hu ng U ch un gs st el le de rB er uf sb er at un g B er lin tä - 19 70 -1 97 3 G es ch äf ts fü hr er de s " K ur at or iu m tig ;1 93 6- 19 45 Fl ie ge rs ta bs -In g. im de rD eu ts ch en W irt sc ha ft fü rB e- R ei ch sl uf tfa hr tm in is te riu m ;v er an tw or t- ru fs er zi eh un g" lie h fü rP la nu ng ,A uf ba u u n d Le itu ng de s A us bi ld un gs w es en sd er Lu ftf ah rti nd us tri e u n d de rF lie ge r- Te ch ni sc he n V or sc hu le n de rL uf tw af fe . ~ g 5· s:: ..... (') ""'t ~ ~ (') ~ ~ ..... (') (i =' I Q.. tii· ~ 5· s:: ..... (') ~ ~ (') fI} o (') = @ =' .~ CA ~ w N am el B er uf lic he Tä tig ke it N ac h 19 45 B er at un gs -u n d Le itu ng sC un kt io ne n n e be n L eb en sd at en H oc hs ch ul le hr er C. B W P de rH oc hs ch ul le hr er -T ät ig ke it n a c h 19 45 Pa ul Lu ch te nb er g 19 15 Dr .p hi l.; 19 16 -1 92 3 St ud ie nr at ;1 92 0 19 53 -1 95 6 N ac h M itb eg rii nd er de rF D P 18 90 -1 97 3 H ab ili ta tio n fü rP hi lo so ph ie in K öl n: " D as U ni B on n 19 45 : M bB im er st en u n d z w ei te n D eu t- Le be ns rä ts el de sI nt ui tiv en U ;1 92 2 H ab ili - sc he n B un de st ag ta tio n fü rP äd ag og ik in K öl n: •• A nt in om ie n M dL in N R W de rP äd ag og ik U ; 19 25 -1 93 0 Pr of .f .P hi lo - 19 51 -1 96 0 Le ite rd er " Ze nt ra ls te lle zu r Er fo r- so ph ie u . Ps yc ho lo gi ea n de rT H D an n- sc hu ng u n d Fö rd er un g de r st ad t; 19 31 -1 93 6 Pr of .f .P hi lo so ph ie u. B er uf se rz ie hu ng " Pä da go gi k a n de rT H D re sd en ,z u gl ei ch 19 56 -1 95 8 K ul tu sm in is te rd es La nd es N RW D ire kt or de sP äd ag og is ch en u n d B er uf s- pä da go gi sc he n In st itu ts. 19 36 En tfe rn un g A uß er de m : a u s al le n Äm ter n- da na ch bi s 19 45 Le i- Le ite rd es " A rb ei ts au ss ch uß fü r tu ng u n d B ew irt sc ha ftu ng ei ne se ig en en B er uf sa us bi ld un gU (B DA ,B D I, G ut sh of es in B ur sc he id . D IH T) Pr äs id en td er " Se pt em be r- G es el l- sc ha ftu O tto M on sh ei m er V ol ks sc hu lle hr er ,H ilf ss ch ul le hr er ,T isc h- 19 55 -1 96 7 19 45 -1 94 6 B er uf ss ch ul di re kt or de rK re isb e- 18 97 -1 98 5 le rle hr e, 19 23 -1 93 0 G ew er be le hr er u n d n e- B PI / ru fs sc hu le de sK re is es La ue nb ur g be nb er uf lic he sS tu di um in Fr an kf ur ta m U ni Fr an kf ur ta m M ai n in M öl ln M ai n. 19 30 D r. ph i!. ;D iss .: " D er K irc he n- 19 46 -1 95 1 V ol ks ho ch sc hu ld ire kt or in Lü - be gr if fu n d di e So zi al et hi k Lu th er si n de n he ck ;d an ac h le ite nd e Fu nk tio ne n St re its ch rif te n u n d Pr ed ig te n 15 37 /4 0" ; in m eh re re n üb er re gi on al en Ve r- 19 31 -1 93 9 D ire kt or de r" G ew er bl ic he n bä nd en de sV ol ks ho ch sc hu lw e- B er uf ss ch ul ef ür K na be n" in M ag de bu rg , se n s/ Er w ac hs en en bi ld un gs w es en s 19 39 -1 94 5 B er uf ss ch ul di en st in B er lin . 19 51 -1 95 5 M ag is tra ts -O be rs ch ul ra tf ür B e- ru fs -u n d Fa ch sc hu lw es en in Fr an kf ur ta m M ai n 19 55 -1 95 8 R ef er en tf ür da sb er uf lic he Sc hu l- w es en im he ss is ch en M in is te riu m fü rE rz ie hu ng u n d V ol ks bi ld un g V l t ~ ~ 5· =..... ~ ::!. ..... o ::T ~ ~ ~ 3. ~ ""t ~ =' I ~ ..... fIl 6 ::s S· c ..... ~ ""t .... ..... o ::r ~ fIl tj ~ =' ~ =' •....:> N am el B er uf lic he T ät ig ke it N ac h 19 45 B er at un gs -u n d L ei tu ng sf un kt io ne n n e be n L eb en sd at en H oc hs ch ul le hr er f. B W P de rH oc hs ch ul le hr er -l ät ig ke it n a c h 19 45 Fr ie dr ic h Sc hl ie pe r 19 19 -1 92 1 V ol ks sc hu lle hr er ;1 92 1- 19 24 19 45 -1 96 5 19 51 -1 97 0 D ir ek to rd es " In st itu ts fü rB er uf s- 18 97 -1 98 1 D ip lo m -H an de ls le hr er -S tu di um a n de rU ni U ni K öl n e rz ie hu ng im H an dw er k a n de r K öl n, da na ch ph ilo so ph is ch -p äd ag og is ch es U ni ve rs itä tz u K öl n' " St ud iu m a n de rU ni K öl n. 19 28 D r. ph il. ; D is s. :" D er En tw ic kl un gs ga ng e in er m a n u - A uß er de m :V or st an ds -V or si tz en - e lle n G es ch ic kl ic hk ei ts le is tu ng .E in B ei - de rd es W ilh el m -H ei nr ic h- R ie hl - tr ag z u r K lä ru ng de sB eg ri ff s 'G es ch ic k- In st itu ts D üs se ld or f; lic hk ei tH ' ; se it 19 34 Le hr be au ft ra gt er f. V or si tz en de rd es Fo rs ch un gs ra te s W ir ts ch af ts pä da go gi k a n de rU ni K öl n; de sD eu ts ch en H an dw er ks -I ns ti- 19 39 H ab ili ta tio n f. W ir ts ch af ts pä da go gi k tu ts M ün ch en ; in K öl n; " Ei nz el ha nd el u n d B er uf ss ch ul e. V or st an ds m itg lie d de sD eu ts ch en G eg en w ar ts fr ag en de rs c hu lis ch en B er uf s- V er ba nd es fü rd as ka uf m än ni sc he a u sb ild un g im Ei nz el ha nd el "'; 19 41 -1 94 5 B ild un gs w es en e. V. B ra un - Pr of .f .W ir ts ch af ts pä da go gi k a n de rU ni sc hw ei g; K öl n. V or st an ds vo rs itz en de rd er D r. H er - be rts -S tif tu ng . Jü rg en W is si ng Zi In m er er le hr er e, B au in ge ni eu r, G ew er be - 19 46 -1 96 2 Se it 19 56 z a hl re ic he Ex pe rt is en u n d G ut ac ht en 18 97 -1 98 8 le hr er st ud iu m ;1 92 2- 19 30 G ew er be le hr er ; B PA So lin ge n fü rt ec hn is ch e En tw ic kl un gs hi lf e a u fd em G e- n e be nb er uf lic he sS tu di um a n de n U ni ve rs i- B PI K öl n bi et de rB er uf sa us bi ld un g fü rÄ gy pt en ,S yr ie n, tä te n K öl n u n d B on n; 19 25 D ip l.- V ol ks - Jo rd an ie n, Li ba no n, Tü rk ei ,P ak is ta n, Sa ud i- w irt ; 19 28 D r. re r. po l.; D is s. : " B od en -u n d A ra bi en ,S ud an ,G ha na ,S om al ia ,T an ga nji ka , W oh nv er hä ltn is se in K ie lv o n de rM itt e B ra si lie n, C hi le ,E cu ad or ,B ol iv ie n, Ir ak , de s 19 .J ah rh un de rt sb is 19 14 "; 19 30 Pr of . K en ia ,P er u, B ur m a, In di en u n d C ey lo n. a m B PI Fr an kf ur ta m M ai n; 19 34 V er se t- z u n g in de n W ar te st an d - Le hr tä tig ke it a n B er uf ss ch ul en u n d a n de rM ei st er sc hu le in D üs se ld or f; 19 41 -1 94 5 Tä tig ke it im In ge ni - e u rb ür o de rD eu ts ch en B er gw er ks -u n d H üt te nb au G m bH B er lin ,z u le tz tV or st an ds - m itg lie d. ~ g S· c: ~. ~ ~ ~. o =r' ~ ~ S» ~ ~. ~ ~ =' I Q.. ~. {I} 6 =' s· c: ~. ~ "'t ~ ~ ~ (I) o ~ =' @ =' ...., CA ~ CA 546 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? Die notierten Berufsverläufe sind von erkennbarer Gleichförmigkeit der Vertre- tung der BWP in Wissenschaft und Gesellschaft. Der Wissenschaftsprozeß scheint durch die Karrieren der ihm professionell Angehörenden von lebensgeschichtlichen Besonderheiten ungestört hindurchzugehen. Durch die Gleichförmigkeit der Berufs- karrieren erscheint das Personenkorpus der BWP nach 1945 als homogen. Dieser Eindruck wird bestätigt, rekonstruiert man die Berufsbezüge und die Kom- munikation zwischen den erlaßten Personen: Sie kannten einander persönlich, sie kommunizierten miteinander einverständig, nur im Ausnahmefall einmal strittig oder kritisch6; sie lobten einander aus, und sie beherrschten zu weiten Teilen die disziplinäre Diskussion; deren wichtigste Organe wurden von Angehörigen eben dieser Gruppe herausgegeben. Auch regelte sie die Standespolitik und beeinflußte Wissenschaftsorganisation und Wissenschaftsbetrieb der BWP in den Hochschulen und Universitäten. Bis zur formellen, rechtskörperschaftlichen Gründung einer Stan- desvertretung durch die KOMMISSION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGO- GIK der DGfE 7 gab es als Zusammenschluß von Professionsveretretern allein die VEREINIGUNG VON UNIVERSITÄTSPROFESSOREN DER WIRTSCHAFTS- UND BERUFSPÄDAGOGIK, und zwar seit 1941.8 Sie fungierte informell als Standesvertretung; ihr gehörten aus der hier beanspruchten Personengruppe zumin- dest sieben Professsoren an, drei davon als Gründungsmitglieder. - Festzustellen ist mithin der diskursive und der disziplinpolitische Zusammenhalt im Personenkorpus der BWP nach 1945 sowie die relative institutionelle Geschlossenheit der Wis- senschaft selbst. Es fragt sich natürlich, ob solche Konstanz auch der wissenschaft- lichen Substanz nachgesagt werden kann. Zu fragen ist daher nach der Theorie- und der Wissensproduktion der BWP nach 1945. Überdies ist in wirkungsgeschichtlicher Hinsicht zu eruieren, ob sich die rege außerwissenschaftliche Tätigkeit ihrer wissenschaftlichen Repräsentanten in der wissenschaftlichen Reflexion nieder- geschlagen hat. 20.3 Theorie- und Wissensproduktion in der BWP nach 1945 Um die Theorie- und Wissensproduktion in der BWP nach 1945 zum wis- sensehaftsgeschichtlichen Zwecke darstellen zu können, haben wir sie bei deren Vertretern, hier den Köpfen aus der Wissenschaft, wiederum einzeln erhoben, und zwar nach solchen Gesichtspunkten, die die systematisch vergleichende Zusammen- fassung der Theoreme und der Forschungsaussagen ermöglichen. Gefragt wurde da- her nach dem normativen und nach dem empirischen Gehalt der Theorie, nach ih- rem Selbstverständnis und nach ihrem Reflexionshorizont, nach dem Theorie-Pra- xis-Verhältnis, nach der Basis und der Form des Wissens sowie nach der praktischen Absicht. - Wir nehmen diese Beschreibung an denselben sechs Disziplinvertretern Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 547 vor, deren Berufsbiographien oben als repräsentativ genommen wurden aufgrund ei- ner Bewertung, die das wissenschaftliche Werk einschließt; mit ihm waren die Ge- nannten innerdisziplinär wortführend und schulbildend. Es gibt in der Summe den wissenschaftlichen Gehalt der BWP nach 1945 an. 20.3.1 Das wissenschaftliche Werk von Karl Abraham Das wissenschaftliche Werk von Karl Abraham9 besteht im wesentlichen aus Theorie über wirtschaftspädagogische Grundfragen, betriebliche Berufsausbildung und Probleme der institutionellen Ordnung der Berufserziehung. Ihre pädagogischen Grundaussagen rekrutiert sie aus der Philosophie, die Zielbestimmung lautet: "durch eine gute wirtschaftliche Erziehung" auf den Menschen so einzuwirken, "daß die durch die modeme ökonomische Entwicklung bewirkte Erschütterung der europäischen Kultur überwunden wird" (Abraham 1960, S. 59); dazu will sie posi- tiv Hdem modemen Menschen die geistigen Kräfte" vermitteln, "die er braucht, um auch unter den schwierigen Existenzbedingungen, die durch die Entwicklung der Wirtschaft enstanden sind, zu der Durchgeistigung seines Lebens fähig zu sein". Zu diesem normativen pädagogischen Postulat gesellt sich der funktionelle Auftrag an die Berufserziehung; er lautet: Hdie Menschen ... auf ihre ökonomische Arbeit vorzubereiten", um "ein leistungsfähiges und zugleich den modemen ethischen und sozialen Vorstellungen entsprechendes Wirtschaftssystem " aufrecht zu erhalten (ebd., S. 198). Das Wissen zum praktischen Entwurf dieses Auftrags fordert Abra- ham bei Psychologie, Arbeits- und Organisationswissenschaft an, ohne es selbst einzubringen. - Das normative pädagogische Postulat aus ideellem Bestand und die funktionale Anforderung aus der Realität, i.e. dem Wirtschaftsprozeß, vermischen sich zu einem denkwürdigen pädagogischen Ideologem: HDas personale Ziel der Berufserziehung besteht ... darin, daß der Mensch zu einer Selbsterkenntnis geführt wird, die ihn zu einer realistischen Beurteilung seiner geistigen und körperlichen Kräfte und deren Verwendbarkeit für wirtschaftliche Zwecke befähigt und daß sein Wille dazu erzogen wird, den Kampf um die wirtschaftliche Existenz aufzunehmen und ihn so zu führen, daß auch die wirtschaftlichen Handlungen vor dem Gewissen verantwortet werden können" (ebd., S. 2(0). Erkennbar diktiert die wirtschaftliche Wirklichkeit der BRD der Wiederaufbauzeit den pädagogischen Willen. Das Ver- hältnis von - ökonomischer - Realität und - anthropologischer - Idealität wird weder bedacht noch wird die lineare Umsetzung von Idealität in Realität bezweifelt. Also mutet sich die Wirtschaftspädagogik folgendes Amt zu: Sie Hsteht im Dienste der Bildungsidee eines neuen Humanismus, dessen besonderes Anliegen die Durchgei- stigung der modemen Wirtschaftswelt ist" (ebd., S.201). 548 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 20.3.2 Das wissenschaftliche Werk von Erwin Krause Das wissenschaftliche Werk von Erwin Krause lO besteht im wesentlichen aus systematisierten Anleitungen zur Gestaltung und Optimierung der (industrie-)be- trieblichen Ausbildungspraxis, vornehmlich zu deren institutioneller und curricula- rer Ordnung und zur Entwicklung und Kombination von Ausbildungsmitteln und -methoden. Krause betreibt Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der Gestalt von Industriepädagogik funktionaler Observanz; sie hat sich "an der Dynamik des Indu- striebetriebes, seiner Fertigung oder Dienstleistung zu orientieren" (Krause 1963, S. 11), um "vornehmlich junge Menschen für ihre beruflichen Verrichtungen in der Industriearbeit fachlich und menschlich bereit zu machen" (Krause 1961, S. 19). Ihr Wissen dazu bezieht sie fast ausschließlich aus Arbeits- und Berufsanalysen sowie aus der Betriebspsychologie und -soziologie; ihre pädagogischen Grundsätze solle sie der Allgemeinen Pädagogik entnehmen, freilich unter "Anpassung an die beson- deren Verhältnisse der Industriearbeit" (1961, S. 21). Krause selbst verzichtet dar- auf; Erziehung und Bildung, aus der geisteswissenschaftlichen Pädagogik her- beizitiert, reduzieren sich in der Tat auf Anpassung an industrielle Erfordernisse. Diese Erfordernisse sowie die "Wandlungen im Arbeitsgebiet und in den Anforde- rungen", die "Veränderungen, die sich aus der neuen Fertigungs- und Betriebstech- nik für die Arbeit des Menschen ergeben" (1963, S. 25), normieren die Wissen- schaft, bestimmen die pädagogische Praxis und beschreiben den Interventionsradius der Disziplin. "In der Forschung hat sich die Industriepädagogik um die Ermittlung aller theoretischen, sachlichen, personalen, didaktischen und methodischen Grundla- gen als Voraussetzungen für eine Bestgestaltung der industriellen Ausbildung und Erziehung des technischen Nachwuchses zu bemühen" (1963, S. 24). 20.3.3 Das wissenschaftliche Werk von Paul Luchtenberg Das wissenschaftliche Werk von Paul Luchtenberg ll ist breit gefächert; soweit es der BWP zuzurechnen ist, besteht es im wesentlichen aus kritischen bildungs- politischen Reflexionen und programmatischen Entwürfen zur Kulturpolitik im allgemeinen und zur Reform des Berufsbildungswesens im besonderen. Seine praktische Absicht geht zum einen auf die einheitliche Neuordnung der Organisation des Bildungswesens und die Einrichtung eines Bundeskultusministeriums. Sie hat im Berufsbildungsbereich eine fast ein Jahrzehnt andauernde Reformdiskussion um eine zeitgemäße Gestaltung des • dualen Systems' der Berufsausbildung ausgelöst und vorangetrieben; ihre gesellschaftliche Wirkung, soweit rekonstruktiv auszuma- chen, bestand aus institutionellen Neuerungen. - Die praktische Absicht der Wissen- schaft Luchtenbergs geht zum anderen und im besonderen auf die bundeseinheitli- che Ordnung der betrieblichen Berufsausbildung. Diese sollte der theoretischen Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 549 Forderung nach in Verbindung mit den berufsbildenden Schulen nicht nur Ausbildungsfunktionen erfüllen, sondern auch sozialen Aufstieg ermöglichen. In dieser Absicht werden die politischen Instanzen dazu aufgerufen, "die Bedeutung der Berufsschule besser als bisher zu würdigen und der werktätigen Jugend in ihr die pädagogischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie sich in Beruf und Le- ben zu bewähren vermag" (Luchtenberg 1952, S. 311). Berufliche Bildung ist idea- liter politische Bildung über funktionale Erziehung hinaus; sie will den "wirtschaftstüchtigen und leistungsfahigen Mitarbeiter" (ebd., S. 321), aber "die Berufsschüler ... sollten nicht zu Betriebsfunktionären und Werksspezialisten ge- züchtet, sondern zu Menschen gebildet werden, die aus eigener Mitte denken und werten, die der Propaganda der Schlagworte und der Neigung zum Radikalismus nicht erliegen, die kritischer Prüfung fähig sind und bereit, tätigen Anteil an der Ge- staltung des Volkslebens zu nehmen im Wissen um die Mitverantwortung am Wohl und Wehe unseres demokratischen Staatswesens" (ebd.). Das Bildungsziel verdankt sich der pädagogischen Reflexion auf das Dritte Reich, das Bildungstheorem ist aus "dem pädagogischen Pioniertrupp der zwanziger Jahre" und damit aus gei- steswissenschaftlicher Tradition rekrutiert (Luchtenberg 1960, S.?); in praktischer Hinsicht verweist es und bezieht sich auf das seinerzeit verfügbare berufspädagogi- sche Wissen. - Das Theorie-Praxis-Verhältnis wird normativ formuliert; die Forde- rung der Theorie an die Praxis lautet im vorliegenden Falle, daß das berufliche Bil- dungswesen "keineswegs ausschließlich von wirtschaftlichem Zweckdenken be- herrscht werden darf, daß sie sich vielmehr wesentlich von sozialpolitischen und kulturpädagogischen Überzeugungen beeinflußt zeigen muß" (ebd., S. 129). - Die BWP figuriert mithin im kulturpolitischen Horizont; ihr Amt sei, "Erbe und Auftrag des humanistischen Bildungsgedankens" im Blick auf "das Arbeitsdasein" zu pfle- gen (ebd., S. 131), Aufgabe der Berufsschule, dies eben dort durchzusetzen. Grund- sätzlich gelte es, "inmitten einer Welt der industrialisierten Wirtschaft ... die Welt des humanen Lebens zu retten" (ebd., S. 138). 20.3.4 Das wissenschaftliche Werk von Otto Monsheimer Das wissenschaftliche Werk von OUo Monsheimer12 ist eine Zusammensetzung aus Berufspädagogik und Bildungstheorie, sein Gegenstand insbesondere die Be- rufsschule; dazu liefert er eine weit angelegte historisch-systematische Beschrei- bung und Reflexionen in der und aus der Tradition geisteswissenschaftlicher Päd- agogik plus existenzphilosophischer Begriffe. Bildung wird bestimmt als "Daseins- erheIlung auf Daseinsbewältigung hin" (Monsheimer 1956, S. 224), der Berufs- schule dabei eine mittlere Aufgabe zugewiesen zwischen grundlegender Allge- meinbildung im Horizont 'europäischer Gesittung' und Erwachsenenbildung als "personaler politischer Bildung" - letztere ein Reflex auf den Rückfall des idealisti- 550 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? schen (Bildungs)humanismus "in das Un- und Untermenschliche" (ebd., S. 225) im Dritten Reich. Die bezeichnete pädagogische Aufgabe wird entwicklungs- und ar- beitspsychologisch und didaktisch entfaltet, der Bildungsauftrag im Unterricht pla- ziert, das Bildungsproblem geht praktisch in Unterrichtsentwürfen auf. - Ebenfalls in der Tradition von Pädagogik als "pragmatischer Geisteswissenschaft" (Monshei- mer 1986, S. 175) wird die Berufschule politisch gedacht als "Funktion", d.h. als Teil der bestehenden Gesellschaft. Der aus solch affirmativer Position durchgängig geforderte und vertretene "Realismus" in Berufserziehung und Berufspädagogik schmückt sich gleichwohl mit der idealen Aufgabe "Bewahrung des Menschen in der Technik" (1956, S. 235). Dieser "humane Realismus" (1986, S. 198) will in der Berufsschule pädagogische vor wirtschaftlichen Interessen durchsetzen - theore- tisch. 20.3.5 Das wissenschaftliche Werk von Friedrich Schlieper Das wissenschaftliche Werk von Friedrich Schlieper13 besteht im wesentlichen aus Theorie grundsätzlicher und pragmatischer Art; ihre Themen und Gegenstände sind: Berufspädagogik und Geschichte der Berufserziehung sowie deren systemati- sche Beschreibung nach "Wesen", "Faktoren", "Funktionen", "Formen", "Stät- ten" und dem "Berufserzieher" selbst. Für die berufspädagogische Theorie als ei- nem "zusammenhängende[n] System von Erkenntnissen" (Schlieper 1963, S. 18) beansprucht er normativ grundlegend die katholische Soziallehre und bestimmt in deren Horizont Berufserziehung als ganzheitlichen Prozeß von "Pflege", "Bildung" und "Zucht" Herbartscher Provenienz. Ihr Ziel ist entsprechend die "sittliche Persönlichkeit". Dies Theoriekonstrukt entbehrt eigener Reflexion. Schliepers Lei- stung besteht in der formalen Systematik und in der Begriffsdefinition, die, oft tautologisch, - mit Verlaub - zur Sprücheklopferei tendiert: "Alles Seiende hat einen Sinn" (ebd., S. 22) und "Zucht haben heißt: wollen wie man soll" (ebd., S. 90).14 - Das Lehrbuch- und Praxiswissen ist aus pädagogischem Fundus zusammengestellt, nicht empirisch erhoben und kaum psychologisch und organisationssoziologisch er- gänzt, wenn dies auch als Desiderat erkannt wird. Solche "angewandte Berujspäd- agogik" hat mit der theoretischen eine gemeinsame Aufgabe: "dem berufserziehe- rischen Handeln Richtung weisen" (ebd., S. 19); ihr Amt ist "die Daseinsgestaltung des Menschen gemäß seiner Bestimmung" (ebd., S. 115). - In dieser sinnstiftenden Selbstzuschreibung ordnet sich die BWP modo Schlieper den anderen "an der Berujserziehung beteiligten Gemeinschaften" (ebd., S. 137), i.e. den Berufsständen, Gewerkschaften und Organisationen der Wirtschaft zu und verschreibt ihr das Amt, mit jenen zusammen die Berufserziehung zu "gestalten". Eine im Wortsinne kriti- sche Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis sowie Wissenschaft und Gesellschaft liegt nicht vor. Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 551 20.3.6 Das wissenschaftliche Werk von Jürgen Wissing Das wissenschaftliche Werk von Jürgen Wissing 15 besteht zum einen aus Beiträ- gen zu einer Berufsschuldidaktik für gewerblich-technische Berufe des Maschinen- baus, der Elektrotechnik und des Bauwesens - sie wurde seit 1930 als "Frankfurter Methodik" bekannt und verbreitet; es besteht zum anderen aus Entwürfen und Anleitungen zum Auf- und Ausbau der gewerblichen Berufsausbildung in Entwick- lungsländern. Zum einen werden ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse auf Berufs- schulpraxis übertragen und lehrgangsmäßig erprobt; zum anderen werden Kenntnis- se und Erfahrungen aus zahlreichen Reisen zusammengetragen. - Wissing betreibt Berufspädagogik im Interesse einer systematischen Berufsausbildung der gewerb- lich-technischen bzw. handarbeitenden Berufe; die Qualifizierung der Facharbeiter ist für ihn weltweit die Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. So erkannte er die "Grundprobleme der gewerblichen Berufserziehung in Entwicklungsländern" darin, "daß sie Agrarländer sind und vor der Aufgabe stehen, in kürzester Zeit sprunghaft eine Entwicklung zu durchlaufen, für die die alten Industrieländer Jahrhunderte gebraucht haben" (Wissing 1964, S. 509); zur Bewälti- gung dieser Entwicklung sei "die Schaffung eines gut ausgebildeten Facharbeiter- standes lebensnotwendig" (ebd., S. 514). - Für den Aufbau d~r dazu erforderlichen Infrastruktur des beruflichen Schul-, Ausbildungs- und Prüfungswesens hat Wzssing zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die er zum "Modell einer autonomen Ordnung der gewerblichen Berufsausbildung" verdichtete (Wzssing 1968). Es sollte für Ent- wicklungsländer wie für alte Industrieländer gelten und entwirft ein "geschlossenes System des Schul- und Berufsausbildungswesens", das in sich "horizontal und ver- tikal durchlässig" ist. Damit werde "den Begabten, Leistungsfähigen und Lei- stungswilligen der Weg zum Aufstieg in allen beruflichen Bereichen unbegrenzt" eröffnet, (Wissing 1969, S. 104), ferner würden "soziale Gerechtigkeit (ermög- licht)", der "soziale Friede" gefördert und "die positiven Kräfte aller sozialen Gruppen und Schichten zur Entfaltung" gebracht (ebd., S. 103). Dies leiste Berufs- erziehung (relativ) unabhängig von Politik und Ökonomie. Pädagogische Autonomie wird mit dem Grundgedanken behauptet, "daß jeder berufliche Ausbildungsvorgang - sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich - zugleich ein Bildungsvorgang und ein Erziehungsvorgang ist" (ebd., S. 103); Wissing beschreibt ihn mit knappen Anleihen bei den Klassikern der Berufsbildungstheorie. - Seine bildungspolitischen Forderungen und das zu ihnen gehörende pädagogische Ord- nungsmodell gehören bis heute zum Repertoire sich als liberal-progressiv verstehen- der Bildungspolitik. Das heißt, daß ihnen bis heute keine soziale Realität zu- gewachsen ist. 552 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 20.3.7 Systematische Zusammenfassung Die referierte Theorie- und Wissensproduktion bildet in der Summe den Gehalt und gibt im systematischen Überblick die Wissenschaftsgestalt der BWP nach 1945 an, die sich darin von derjenigen vor 1945 nicht unterscheidet; sie ist von unüber- sehbarer struktureller Gleichförmigkeit. Sie war funktionale Erziehungstheorie mit personaler Option und normativen Versatzstücken aus pädagogisch-geisteswissen- schaftlicher Tradition; in ihr wird der Bildungshimmel abendländischer Sittlichkeit sowohl postuliert als auch beschworen; eigene Reflexionen dazu äußern sich in überkommener wie in je zeitgemäßer Begrifflichkeit. - Die BWP war funktionale Erziehungstheorie ihrem Erziehungsbegriff, ihrem - siehe unten - praktischem Wir- ken und ihrem Selbstverständnis nach, obschon Differenzen zu notieren sind. So meldet Linke namentlich gegen Abraham Skrupel zum funktionalen Erziehungsbe- griff und dessen Vorherrschen in der Wirtschaftspädagogik an,16 die Abraham mit der Behauptung vom Tisch wischt, "es komm[e] in der Gegenwart sehr darauf an, daß die Pädagogik den als "funktionale Erziehung" bezeichneten Sachverhalt un- tersuch[e]" (Abraham 1954, S. 581); Erziehung im engeren (Diltheyschen) Begriff und als sittliche personale Leistung wird der höhere Rang eingeräumt, aber keine Praxis zugeordnet. Damit bleibt der zitierte "neue Humanismus" (in) der Wirtschaftspädagogik Wunschdenken. Der einzige, der dies bemerkt, ist unseres Wissens earl Mennicke, wo er bedauernd feststellt, daß Monsheimer mit seinem Bildungsoptimismus "neben der Realität steht" (Mennicke 1958, S. 417). Solche Kritik aber führte nicht weiter zur grundsätzlichen Diskussion, die Meinungsver- schiedenheiten blieben im Konsens funktionalen Denkens und Handeins milde. 17 Die Wissensproduktion der BWP durch empirische Forschung oder Versuche ist gering; Wissenslieferanten waren Psychologie und Soziologie unterschiedlicher Schulen; praktisches Wissen wurde auf der Ebene von Berufs- und Alltagserfahrung generiert, dessen forschungsgestützte empirische Überprüfung gleichwohl an- gemahnt. - Das Theorie-Praxis-Verhältnis ist ein zentraler Punkt der Reflexion; es wird in affirmativer Einstellung zur Gesellschaft qua beruflicher Wirklichkeit prag- matisch gesehen und funktional gehandhabt. Die Wissenschaft verwandte sich di- rekt für Praxis und exponierte sich über ihre Produzenten in den gesellschaftlichen Sektoren Handwerk (Friedrich Schlieper) , Industrie (Erwin Krause), nationale Bildungspolitik (Paul Luchtenberg), internationale Bildungspolitik (Jürgen Wzssing; Karl Abraham) und Erwachsenenbildung (Olto Monsheimer). Oder, von den Produ- zenten her formuliert: Sie haben mit ihrem Wissen dem Gesellschaftssystem in den genannten Sektoren zugearbeitet; sie haben auch ihre Theoreme darin eingebracht, freilich weitgehend folgenlos, soweit sie pädagogische Ideale mit sich führten. Wir wüßten zumindest von keiner berufspädagogischen Praxis, die sich kollektiv dem je Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 553 akzentuierten Humanismus verschrieben hätte oder auf ihn hin organisiert worden wäre. - Der politische Horizont der Disziplin ist überwiegend national, auch wenn sich einzelne Exponenten gelegentlich international orientierten und betätigten. Nimmt man zu Gehalt und Gestalt der BWP als Wissenschaft ihre In- stitutionalisierung und gesellschaftliche Plazierung hinzu, wie sie sich in den Be- rufsbiographien ihrer Verteter zeigt, läßt sich ihre gesellschaftliche Funktion wohl einschätzen. Zwar wären davon insbesondere der berufsbildungspolitische Einfluß und das Wirken auf berufspädagogische Praxen auch an anderen Indikatoren wie z.B. Rezeption und Nachfrage zu rekonstruieren, doch haben wir solche Studien nicht ausreichend betrieben und begnügen uns deshalb hier mit einer Einschätzung aus den dargelegten Materialien. 20.4 Historische Analyse Zieht man das Personenkorpus der BWP zur Rekonstruktion ihrer Geschichte nach 1945 heran, zeichnet sich in der Kontinuitätsfrage auf den ersten Blick kein klares Bild ab. Knapp die Hälfte der Vertreter der BWP im akademischen Bereich ist neu im Amt, und damit könnte sich auch die Chance eines Neubeginns in der Wissenschaft geboten haben; von der anderen Personalhälfte her wäre allerdings von Konstanz zu sprechen. Diese Beliebigkeit klärt sich, sieht man darauf, daß es sich bei den Amtsneulingen nicht um Berufsanfänger handelt, sondern um Berufs- und Wirtschaftspädagogen, die vor 1945 in den gesellschaftlichen Bereichen Bil- dung und Politik, also in Schulen, Schulverwaltungen und Ministerien, sowie Arbeit und Wirtschaft, also in Verbänden und Betrieben, tätig und dort bereits wissen- schaftlich produktiv waren, zumeist pädagogisch-publizistisch im Anspruch von praktischer Wissenschaft; alsdann zeigt sich eine nahezu geschlossene personale Kontinuität der Disziplin. Es zeigt sich ferner, daß weder Gehalt und Gestalt noch erst recht die gesellschaftliche Funktion der BWP historisch hinreichend am Be- stand ihrer Vertreter im Wissenschaftsbereich rekonstruiert werden kann; vielmehr sind dazu unerläßlich auch ihre Repräsentanten und Funktionäre in den genannten anderen Gesellschaftsbereichen heranzuziehen, sofern sie sich eben am Diskurs der BWP, an deren Theorie- und Wissensproduktion beteiligten. - Die Erfassung dieser Personengruppe aus den in Frage kommenden Jahrgängen haben wir, wie gesagt, ei- nem zweiten Arbeitsschritt vorbehalten, der hier nicht referiert werden kann. Es ist aus den laufenden Recherchen an dieser Stelle nur einzufügen, daß auch diese Grup- pe bereits vor 1945 im Amt war und auch in ihr nach 1945 der Wechsel des Berufs- feIdes in die Wissenschaft hinein vorkommt. Da nun, ungeachtet ihrer Tätigkeit vor 1945, die wissenschaftlichen Vertreter der BWP nach 1945 ihrerseits als Funktionä- 554 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? re und Berater im außerwissenschaftlichen Bereich auffällig aktiv waren - vergli- chen etwa zur Allgemeinen Pädagogik -, ist festzustellen: Die BWP ist als wissen- schaftliche Disziplin durch ihren Personenbestand auch außerhalb der Wissenschaft, sie ist gesellschaftlich hoch präsent. Es gibt zwischen ihren Wirkungsbereichen vor und nach 1945 einen personalen Zusammenhang, und sie wird nach 1945 in (wie auch außerhalb) der Wissenschaft von einer Personengruppe kontinuierlich vertre- ten. Dieser Befund sagt systematisch zweierlei: 1. Die Orte der BWP als wissen- schaftliche Disziplin sind eindeutig Wissenschaft und Gesellschaft qua Praxis außer- halb der Wissenschaft. Die deskriptiven Gräßen für ihre Geschichtsschreibung sind entsprechend zu erweitern. Ob dies für die Wissenschafts geschichtsschreibung der Allgemeinen Pädagogik gilt, wäre zu eruieren. Wir nehmen an, daß die bezeichnete Erweiterung des Personenbestandes und der Wirkungsbereiche spezifisch ist für eine Disziplin, die sich wie die BWP definitiv auf Praxis bezieht und daher auch ein einmütiges Selbstverständnis als praktische Disziplin tradiert. 18 - 2. Die BWP ist über die Rekrutierungsmodalität ihres Personenkorpus gesellschaftlich eingebunden; dies in personaler Kontinuität über diskontinuierliche politische Verhältnisse; das deutet auf reibungsloses gesellschaftliches Funktionieren der Wissenschaft selbst hin. Die regulativen Elemente ihres kontinuierlichen historischen Prozesses wären damit auf ihrer Seite: Überschaubare und altershomogene Gruppengröße , informelle Organisationsstruktur, konsensueller Diskurs und personaler Austausch zwischen WISSenschaft und Praxis. Ob diese Größen an sich als Steuerungselemente des Wissenschaftsprozesses in systemtheoretischer Betrachtung gelten können, wäre und bleibt zu fragen. Das kontinuierliche gesellschaftliche Wirken der BWP ist insbesondere mit dem personalen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis vor wie nach 1945 gege- ben. An dieser Kontinuität läßt sich vorläufig auch die Art des gesellschaftlichen Wirkens dingfest machen: Es war eben funktional. Die BWP erscheint als funktio- nale Größe im Gesellschaftssystem und verhält sich in ihm affirmativ. Brüche oder Gegenwirkungen dazu aus dem ideellen Gehalt der Wissenschaft sind nicht zu ver- zeichnen. Er figuriert praktisch folgenlos über ihrer eigenen und wirkungslos in der gesellschaftlichen Praxis. So zeigt die Kontinuität der Disziplin über diskon- tinuierliche politische Zeitläufte hinweg ebenso deren politische Verfügbarkeit an. Die BWP stand mit ihrem Wissen den jeweiligen gesellschaftlichen Praxen theore- tisch ungebrochen zur Verfügung und ließ sich in ihrer Tatigkeit, der der Planung und Beratung, auf deren Funktionslogik ein. Von daher ist es kein historischer Zu- fall, daß, soviel wir wissen, sieben der von uns dingfest gemachten 23 wis- senschaftlichen Vertreter der BWP mit dem Bundesverdienstkreuz19 ausgezeichnet Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 555 worden sind; es wäre vielmehr die gesellschaftliche Honorierung des gesell- schaftlichen Funktionierens der Disziplin - oder kann doch so gelesen werden. Wir wüßten nicht, daß eine andere Teildisziplin im Verband der Allgemeinen Pädagogik solche Erfolgsbilanz aufzuweisen hätte. Am Gehalt der BWP als Wissenschaft, an ihren Orten und ihrem Per- sonenbestand, hier demjenigen aus dem akademischen Bereich, sowie an ihrer Or- ganisation und ihrem wissenschaftlichen Diskurs ist ihre Disziplingestalt nach 1945 zu rekonstruieren. Sie zeichnet sich aus durch informelle Geschlossenheit, dis- kursive Selbstreferentialität, personale Kontinuität und theoretische Homogenität. Dieser Konstanz nach ist die BWP seit 1930 bis 196020 ein geschlossener Wissen- schaftsprozeß. Er gehorchte, innerdisziplinär arbeitsteilig, der Logik - den Ent- wicklungsinteressen - des Gesellschaftssystems im Ausschnitt der Praxen der Diszi- plin. - Im beschriebenen praktischen Zusammenhang von Wissenschaft und Ge- sellschaft kontinuierte mit dem Wissenschaftsprozeß dessen personale Elite vor und nach 1945. In wirkungsgeschichtlicher Hinsicht ist die BWP nach 1945 die Fortset- zung ihrer Vergangenheit. Nicht das gesamtgesellschaftliche Funktionieren, wohl aber ein Teil davon, i.e. die Anpassung des Denkens und der Theorie, die Beliebigkeit ideeller Maximen und normativer Optionen und damit die politische Verfügbarkeit der Wissenschaft in ih- rem Kern sind für die Allgemeine Pädagogik immer schon einmal festgestellt, zu- meist theorieimmanent, gelegentlich auch wissenschaftssoziologisch erklärt und im übrigen beklagt worden, insbesondere in der Auseinandersetzung um die Geschichte der pädagogischen Theorie in Deutschland vor und nach 1933.21 Jüngst darüber nachgedacht haben Hans-Jochen Gamm und Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik. Und sie haben dagegen, wenn wir sie recht verstehen, zwei Vorschläge gemacht, beide im reflexiven Bezug auf den "ethischen Grundgedanken" der Pädagogik sensu Wil- helm Flitner. Der eine Vorschlag ist, Erziehungswissenschaft um radikale ethische Besinnung zu erweitern - um die Bildung des sittlichen Bewußtseins denken und theoretisch vorbereiten zu können (Schmied-Kowarzik 1992). Der andere Vorschlag ist, die Erziehungswissenschaft kategorial zumindest um den Begriff "Entfrem- dung" zu erweitern, um ihren ethischen Kern materiell und praktisch, i.e. aus dem Kontext der gesellschaftlichen Arbeit, definieren zu können (Gamm 1992). Uns scheint dieser letzte Vorschlag für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik geeignet: Die mit dem Begriff "Entfremdung" gegebene Dialektik von Bildung und Gesell- schaft hilft der BWP, über ihr praktisches Wirken zugleich gesellschaftlich, im Blick auf den politisch-ökonomischen Prozeß, wie pädagogisch, im Blick auf das auszu- bildende Silbiekt, nachzudenken lind es so zumindest theoretisch in eigene ZustänOl)!I-.,>lt zu nehmen. Bislang geschieht solch kritische Verfügung allein aus 556 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? individuellem Entschluß; das kollektive Bewußtsein der Disziplin steht eher dage- gen. 20.5 Anmerkungen 1 Vgl. für die Wissenschaftsgeschichte jüngst Pehle/Sillem (Hrsg.) 1992, für die Pädagogik darin der Aufsatz von Peter Dudek, zum historischen Ertrag der Kon- troverse und zur deskriptiven Differenzierung Tenorth 1989. 2 Wir hatten dies Material zu guten Teilen und natürlich weitaus unvollständiger vor nunmehr 15 Jahren schon einmal veröffentlicht (Kipp/Miller 1978; 1979), da- mals, um historische Analyse einzufordern, die wir selbst nur punktuell leisteten. Seinerzeit ging die Fragestellung auf Gestalt und Wirken von Berufserziehung und Berufspädagogik im Dritten Reich, implizierte jedoch schon die Kontinuitätsfrage. Oie damalige Kontinuitätsbehauptung wurde in der Disziplin weitgehend be- schwiegen, eine neue Vorlage dazu (Kipp 1991a, b) vehement zurückgewiesen (Za- beck 1991), womit inzwischen eine Art stellvertretender Verdrängung von Vergan- genheit vorliegt (dazu Seubert 1993). Die Wissenschaftsgeschichtsschreibung insbe- sondere für den intergenerativ sensiblen politischen Zeitraum "vor und nach 1945" steht in der BWP immer noch am Anfang (Seubert 1993). 3 Wir berücksichtigen hier nur die Disziplinvertreter, die in der Gewerbelehrer- und Handelslehrer-Ausbildung lehrten; die am Rande der BWP figurierenden beson- deren Bereiche der Lehrerausbildung für die Berufsfelder Bergbau, Landwirtschaft und Hauswirtschaft bleiben auch hier außen vor. - Die in den Tabellen aufgeführten Institutionen heißen: Berufspädagogische Akademie (BPA) , Berufspädagogisches Institut (BPI) , Berufspädagogische Hochschule (BPH), Handelshochschule (HH), Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (HWS), Pädagogische Hoch- schule für Gewerbelehrer (PHG), Pädagogische Hochschule (PH), Technische Hochschule (TH), Wirtschaftshochschule (WH), Universität (Uni). Die bisher vorliegenden Erhebungen zum Personenkorpus der Erziehungswissenschaft sind zumindest hinsichtlich der BWP ergänzungsbedürftig: Die "Namensliste der Nicht- Emigrierten - Stand 1955" (Anlage 1 zum Abschlußbericht des Forschungsprojekts von Peter Menck und Georg Wierichs "Wissen von Erziehung" (vgl. auch Wie- richsjMenck 1992) führt aus unserem Personenkorpus lediglich auf: Eckardt, Löb- ner, Luchtenberg, Riedei, Schlieper, Urbschat. - Die von Peter Menck und Christa Fritzkt! erstellte Liste "EUPAIO" (Korpus der Professoren der Erzie- hungswissenschaft 1945-1989), Stand 05.07.1993, nennt aus unserem Korpus nicht: Eckardt, Grüneberg, Kienzle, Krause, Lochner, Monsheimer, Riedei, Schwarzlose, Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 557 Wefelmeyer. - Die von Heinz-Elmar Tenorth und Klaus-Peter Horn zusammen- gestellte "Frankfurter Liste" (Lehrende an wissenschaftlichen Hochschulen in Deutschland 1928-1955) führt aus unserem Personenkorpus lediglich auf: Luchten- berg, Mennicke, Schlieper, Riedei. - Für Recherchen über Gustav Weske danken wir Wilhelm Asbrand, Eberhard Barth und Vieter Jungk. 4 Aus der Erhebung heraus fällt daher Adolf Willareth (1874-1953), der von 1924-1933 an der HH Mannheim, von 1946-1953 an der WH Mannheim lehrte; er könnte als 'Leitfossil' sozusagen der hier herausgearbeiteten Entwicklungslinien der BWP gelten; seine Berufskarriere weist die typischen Konstanten auf (einschließlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes und der Ehrensenator-Würde der WH Mannheim), seine innerdisziplinäre Position war allerdings randständig. - Das Stich- jahr 1908 für das Ende der Generationszugehörigkeit ergibt sich bei uns aus dem er- hobenen Material; es stimmt zufällig mit dem in der Emigrationsforschung gewähl- ten überein (vgl. Moeller 1984); diesen Hinweis verdanken wir Klaus-Peter Horn. 5 Im mehrstufigen System der Verdienstorden der BRD rangieren sechs der in Tabelle 1 genannten Vertreter der BWP damit auf der Stufe "Großes Verdienst- kreuz"; Paul Luchtenberg trug überdies das "Große Verdienstkreuz mit Stern" (1960) und das "Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband" (1965) und war, wie auch Monsheimer und Abraham, Träger weiterer öffentlicher Orden und Ehrenwürden. In der darin sich ausdrückenden, im Vergleich zur Allgemeinen Pädagogik singulären politischen Wertschätzung der Personen und ihrer beruflichen Leistung liegt auch die Akzeptanz des gesellschaftlichen Wirkens ihrer Wissen- schaft. 6 Vgl. im Text Abschnitt 20.3.7. 7 Dazu Scheuerl1987. 8 Sie formierte sich 1948 neu. Dazu Kipp 1991a und Seubert 1993. 9 Wir stützen uns im wesentlichen auf Abraham 1960. 10 Wir stützen uns im wesentlichen auf Krause 1961 und 1963. II Wir stützen uns im wesentlichen auf Luchtenberg 1952 und 1960. 12 Vgl. Seubert 1991; wir stützen uns im wesentlichen auf Monsheimer 1956 und 1986. 558 Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 13 Vgl. Schannewitzky 1965; Seubert 1977; wir stützen uns im wesentlichen auf Schlieper 1963. 14 Alle Kursivschrift im Original; gängige Begrifflichkeit von Schlieper wird nicht eigens nachgewiesen. 15 Vgl. Maslankowski/Pätzold 1986; wir stützen uns im wesentlichen auf Wzs- sing 1964, 1968 und 1969; alle Kursivschrift im Original. 16 Linke 1954. 17 In solcher Funktionalität unterscheidet sich die BWP zumindest vom Denken der Allgemeinen Pädagogik der Nachkriegszeit; dort wurde gerade gegen funktiona- len als dem im Nationalsozialismus gepflegten Erziehungsbegriff Erziehung als Personagenese gesetzt und gesehen (nationalsozialistische Pädagogik entsprechend als "Zerstörung der Person" (Stippel 1956) beschrieben). Wieviel soziale Realität diesem Konzept, das sich in der BWP ja bei Luchtenberg und Monsheimer spiegelt, seinerzeit zukam, wäre für die Allgemeine Pädagogik allerdings noch zu prüfen. - Zur begrifflichen Bestimmung "personaler Pädagogik" (Stippel 1958) vgl. Froese 1962. 18 Zumindest bis in die hier betrachtete Zeit. 19 S.o. Tabelle 1 und Anm. 5. 20 Um den von uns überblickten Zeitraum in Dezennien zu nennen; als zeitliche Markierung dient das Promotions- bzw. das Habilitationsdatum (der Diszi- plinvertreter in der Wissenschaft nach 1945) sowie der institutionelle Einzug der BWP in die Hochschule; vgl. dazu Lipsmeier 1972, Pleiss 1969, 1973. 21 Vgl. zur Auseinandersetzung exemplarisch, weil auch öffentlich ausgetragen, Klafki 1990, als wissenschaftsgeschichtliche Studie jüngst Dudek 1993. Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? 559 20.6 Literatur Abraham, K.: Zum Begriff der Erziehung. In: Die Deutsche Berujs- und Fachschule 50 (1954), S. 579-581. Abraham, K.: Wirtschaftspädagogik. Grundfragen der wirtschaftlichen Erziehung. Heidelberg 1960. Berg, C.jEllger-Rüttgardt, S. (Hrsg.): "Du bist nichts, Dein Volk ist alles". For- schungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim 1991. Dudele, P.: Kontinuität und Wandel. Wissenschaftliche Pädagogik im Nachkriegs- deutschland. In: PehlejSillem (Hrsg.) 1992, S. 57-73. Dudele, P.: Gesamtdeutsche Pädagogik im Schwelmer Kreis. Geschichte und poli- tisch-pädagogische Programmatik 1952-1974. Weinheim/München 1993. Feidel-Mertz, H. (Hrsg.): Mennicke, c.: Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals. Ein Lebensbericht. Weinheim 1994. Feidel-Mertz, H.jLingelbach, K.-C.: Gewaltsame Verdrängung und prekäre Konti- nuität. Zur Entwicklung der wissenschaftlichen Pädagogik in Frankfurt am Main vor und nach 1933. In: Zeitschriftfür Pädagogik 40 (1994), S. 707-726. Froese, L: Der Bedeutungswandel des Bildungsbegriffs. In: Zeitschrift für Pädago- gik 8 (1962), S. 121-141. 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Kassel 1990. (Berufs- und Wirtschaftspädagogik Bd. 10) Kipp, M.: Erinnerung an ein beschwiegenes Jubiläum - 50 Jahre "Vereinigung von Universitätsprofessoren der Wirtschafts- und Berufspädagogik". In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 87 (1991), S. 324-326. (zit. a) Kipp, M.: Betriebliche Berufserziehung im Nationalsozialismus und Bilanz zum Forschungsstand in ausgewählten "Sondergebieten". In: BergiEllger-Rüttgardt (Hrsg.) 1991, S. 132-158. (zit. b) - zugleich Kapitel 19 in diesem Band. Klajki, W.: Bericht über das Podium: Nationalsozialismus und Pädagogik. In: Zeit- schrift für Pädagogik, Bh. 25, WeinheimJBaseI1990, S. 35-55. Krause, E.: Grundlagen einer Industriepädagogik. Berlin/Köln/Frankfurt a. M. 1961. Krause, E.: Wesen und Aufgaben der Industriepädagogik. Ratingen 1963. Linke, W.: Die "funktionale Erziehung" in der Wirtschaftspädagogik. In: Die Deut- sche Berufs- und Fachschule 50 (1954), S. 350-352. Linke, W.: Erziehung anders gesehen. 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Dies in erster Linie nicht der - anfänglich - schwierigen Quellenlage wegen; sondern wegen der ungeheuer(lich)en Tatbestände, mit denen auch die pädagogische Geschichtsschreibung konfrontiert war (und ist). Sie generierten jene kollektive deutsche Seelenlage, jenen Komplex aus Betroffen- heit und Negation, Befangenheit und Empfindlichkeit, die den forschenden Zugang zum Dritten Reich und die Formulierung des (erziehungs)historischen Erkenntnisin- teresses so erschwert. Harald Scholtz hat sich an dieser sensiblen Schwierigkeit ab- gearbeitet. Er hat wichtige Kapitel der Erziehungsgeschichte des Dritten Reiches ge- schrieben und sie dabei paradigmatisch voran gebracht; er ist sie institutionen-, so- zial- und alltagsgeschichtlich und zuletzt auch mentalitätsgeschichtlich angegangen! - wir haben viel von ihm gelernt? Der Beitrag, den wir ihm also in seine Festschrift packen, nimmt die Perspektive auf, die der Jubilar in der Erziehungsgeschichtsschreibung zum Dritten Reich durch- gehalten hat. Es ist die Perspektive auf das betroffene Subjekt, auf die Adressaten nationalsozialistischen Erziehungseifers. Immer verfolgt Harald Scholtz die Wir- kung des pädagogischen - dazu auch des sozialen - Arrangements nationalsozialisti- scher Herrschaft und Machtausübung auf die Beherrschten, auf die erwachsene und die nachwachsende Generation. Dieser Wirkung geht er nicht nur in ihrer Absicht und in ihren Mitteln nach, sondern sucht sie auch am schwierigeren Ende: in ihrem innersubjektiven Bewirken, in dem, was sie in den Köpfen und Gemütern, im Be- wußtsein 'der Klientel' ausrichtete, zu fassen. Dort liegt schließlich ein Schlüssel für die Einstellung zum und den Umgang mit dem Nationalsozialismus in Deutschland nach 1945, für die kollektive Verdrängung nationalsozialistischer Vergangenheit und die kollektive Legendenbildung vom inneren Widerstand. Zwar ist dieser defiziente Modus deutscher Geschichtsbewältigung einerseits in großen Zügen längst erforscht und aufgeklärt - vornehmlich sozial psychologisch; andererseits ist er nicht überwun- den, feiert bekanntlich am rechten Rand unserer Gesellschaft soeben wieder Urstän- de und kontinuiert damit nun schon in der dritten Generation. Den Jubilar wird das bekümmern; den Erziehungshistoriker fordert es auf, mit weiteren Studien die men- talen Wirkungsmechanismen und Auswirkungen nationalsozialistischer Herrschaft zu rekonstruieren. 564 Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins Als ein Beitrag dazu ist unsere folgende Studie gedacht, als ein Beispiel der Af- firmation zum Nationalsozialismus vor 1945 und der Negation der Affirmation nach 1945, hier auf wissenschaftsgeschichtlichem Gebiete. Obwohl dieses Beispiel wissenschaftspublizistisch festgemacht wird, geht es nicht um die schriftstellernde Person und ein Diskussionsorgan aus dem Bereich der Berufspädagogik; es geht vielmehr, siehe oben, um die Abbildung einer kollektiven Bewußtseinsentwicklung. Und obwohl diese Abbildung am Einzelfall erfolgt, steht dieser historisch doch nicht singulär da, sondern ist nur der Einzelfall aus einer hinreichend bekannten Vielzahl; er ist daher mehr als nur eine Merkwürdigkeit. Er illustriert eine mentale Lage bis in die sprachliche Stereotypie und auch vermittels dieser Stereotypie. Um bei ihrer Re- konstruktion unmittelbar und illustrativ zu bleiben, stützen wir uns deskriptiv auf Zitate. Im Sommer 1952 eröffnet Die Deutsche Berufs- und Fachschule das JunijJuli- Heft mit dem Artikel "60 Jahre Dienst an der Berufsschule". Er beansprucht im Un- tertitel, das "Lebensbild einer Zeitschrift" (Schulz 1952) zu malen und war die erste Darstellung der Geschichte dieser 60 Jahre zuvor gegründeten Zeitschrift nach 1945. Der Artikel stammt aus der Feder von Otto M. Schulz, der eben dieses "Lebensbild" als Schriftleiter des Vorläuferorgans, der Deutschen Berufsschule, vom Juni 1931 bis zu ihrem Eingehen im März 1935 wesentlich mitgestaltet hatte. Die Deutsche Berufsschule war das Organ des Deutschen Vereins für Berufsschulwesen; ihr vor- maliger Schriftleiter schreibt ihr eine "führende Rolle" im berufspädagogischen Blätterwald zu (Schulz 1952, S. 407 u. 408); sie galt und gilt in der Tat als wortfüh- rend im seinerzeitigen berufspädagogischen Diskurs. Daher fällt zunächst einmal die zweimalige Unterbrechung ihres Erscheinens vom März 1923 bis zum Mai 1924 und vom März 1935 bis zum Januar 1948 ins Auge; für unsere Illustrationsabsicht interessiert natürlich die Einstellung der Zeitschrift im März 1935. Die erste Unterbrechung wurde durch die fortschreitende Inflation und die "Se- zession der hauptamtlichen BerufsschullehrerschafC' verursacht (Schutz 1952, S. 406), darin hat Otto Schutz sicher recht. Die Inflation war zwar einschneidend, er- zwang die Einstellung der Zeitschrift aber doch nur als ein vorübergehendes Ereig- nis. Ihre Existenzftihigkeit als Verbandsorgan wurde hingegen ständig gefährdet durch die standespolitisch motivierten Abspaltungen der hauptamtlichen Berufsschullehrerschaft, die den "Deutschen Verein" dauerhaft schwächten. Sie führten schließlich auch die zweite Unterbrechung im Erscheinen der Deutschen Be- rufsschule herbei: Der anhaltende Mitgliederschwund des "Deutschen Vereins" höhlte deren finanzielle Basis aus; die Zeitschrift wurde mit seiner Auflösung zum 31.03.1935 eingestellt. Freilich wird dieser Sachverhalt retrospektiv in ein anderes Licht gestellt. Die Geschichtsschreibung nach 1945 insinuiert, Die Deutsche Berufs- Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins 565 schule habe sich pädagogischer Herrschaftspropaganda entziehen wollen und unter- stellt, sie habe solcher Propaganda bis 1935 nicht zur Verfügung gestanden. Es heis- st: Die Deutsche Berufsschule "wurde nicht "gleichgeschaltet" wie jene", i.e. wie die "gleichgeschalteten Zeitschriften der Lehrerverbände ", deren Schriftleitung wechselte, und konnte daher im Unterschied zu jenen in "vielen Dingen ein deutli- ches Wort schreiben" (Schulz 1952, S. 408). Sollte sich die Berufspädagogik in einem ihrer führenden Diskussionsorgane tat- sächlich vom Nationalsozialismus entfernt gehalten, sollte Die Deutsche Berufs- schule - kritische - Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt haben, und war das dem Schriftleiter geschuldet? Angesichts der allgemeinen Anpassungsbereitschaft und der verbreiteten faktischen Anpassung der Berufs- und Wirtschaftspädagogen an die nationalsozialistische Herrschaft, die in der neueren berufspädagogisch-hi- storischen Forschung vielfach dokumentiert und nachgewiesen ist, wird das fraglich zumindest insofern, als es sich dann um öffentliche Distanz gehandelt hätte. Folgt man Otto Schu/z, teilte sich die deutsche Berufspädagogenschaft ihrer Einstellung und Haltung zum Nationalsozialismus nach in zwei Gruppen: in die große Gruppe der "berufspädagogischen Märzgefallenen" (Grüner 1983, S. 158) und in die kleine Gruppe derer, die Die Deutsche Berufsschule dazu benutzen hätten, "zu vielen Din- gen ein deutliches Wort [zu] schreiben"; dieser rechnete er sich selbstredend selbst zu. Gleichzeitig erweckt er den Eindruck, seine Absichten als Schriftleiter ungebro- chen durchgehalten zu haben: "Um den Gang der Entwicklung sichtbar zu machen, hatte ich die von Pache begründete Tradition wieder aufgenommen, in Umschau- Artikeln, deren Verfasser unter dem Pseudonym Lynkeus schrieb, das Geschehen nicht nur festzuhalten, sondern auch zu würdigen und einer positiven Kritik zu un- terziehen. Und diese vielbeachtete (dann kopierte) Form erwies sich auch nach der "Machtübernahme" durch die Partei Hitlers als zweckmäßig" (Schulz 1952, S. 41Ol- Schulz zählte sich mithin zu jener "Handvoll Männern, die zum größten Teil noch der Vorweltkriegsgeneration angehörten und sich nicht mit dem Nationalsozia- lismus identifiziert hatten" - ihr fiel bekanntlich nach 1945 "die Aufgabe zu, auf ei- nem unübersehbaren Trümmerfeld das berufliche Schulwesen wieder aufzubauen" (Schulz 1952, S. 410). Daß dem so war und daß namentlich der Schriftleiter der Deutschen Berufsschule sich mit dem Nationalsozialismus nicht identifiziert hätte, hält aber der historischen Nachprüfung nicht stand. Gewunden zwar, doch ohne Selbstzweifel, attestiert Schulz 1952 der Deutschen Berufsschule eine doppelte Diskursfunktion und ihrem Schriftleiter eine doppelte politisch-publizistische Haltung: einmal die Funktion verdeutlichender Kritik resp. die Haltung kritischer Distanz oder einer gewissen Widerständigkeit, zum zweiten die Funktion positiver Würdigung resp. eine affirmative Haltung, beides angeblich 566 Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins kontinuierlich von 1931-1935. Nun nahmen ja aber die gesellschaftliche "Entwick- lung" und das berufsbildungspolitische "Geschehen" nach der "Machtergreifung" zusehends eine andere politische Qualität an, so daß ihnen in unveränderter subjekti- ver Einstellung verdeutlichend und würdigend zu begegnen, gar nicht möglich war. "Ein deutliches Wort" erforderte auf der Seite der schreibenden Subjekte und des Schriftleiters politischen Mut; "positive Kritik" ging mit der Zustimmung zur Bar- barisierung der Umgangsformen und der Verhältnisse einher; bei des geriet auch in Widerspruch zueinander und war damit als gleichzeitige publizistische Leistung nicht mehr möglich. Wahrend nun das erste, der politische Mut, 1952 indirekt rekla- miert und durch Formeln sprachlicher Distanz zur NS-Vergangenheit signalisiert wird, wird das zweite, die politische Affirmation, 1952 diskret verschwiegen - ob bewußt oder naiv, ist schwer auszumachen; wir dürfen unsere Einschätzung dazu im vorliegenden Falle für uns behalten. Geschah das Verschweigen bewußt, gehörte dies zum mentalen Komplex der Verdrängung nationalsozialistischer Vergangenheit, deren Ende die Selbststilisierung zum inneren Widerstand ist. Geschah das Schwei- gen naiv, wäre auch schon seinerzeit die damals wahrscheinlich schleichende Verän- derung der politisch-moralischen Qualität einer Affirmation des Nationalsozialismus nicht bewußt geworden, möglicherweise aus einer Affinität, die sich politisch-kriti- scher Reflexion gerade enthielt, die deshalb aber auch über 1945 hinaus unaufgear- beitet und also latent blieb. - Beide mentalen Verfassungen sind im übrigen im kol- lektiven historischen Bewußtsein der Zunft aufgehoben - keiner der späteren Lauda- tiones auf die Vorläufer der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschajtspädagogik ist die Darstellung ihrer Geschichte von 1933 bis 1935 fragwürdig geworden oder der Wi- derspruch zwischen "positiver Kritik" und kritischer Verdeutlichung aufgefallen. Um das Verhältnis von behaupteter Distanz qua 'deutlicher Worte' und unfrei- willig zugegebener Affirmation qua "positiver Kritik" zu ermessen, sind solche Worte und solche Kritik aufzusuchen; damit wird auch der Prozeß der Affirmation und, gegebenenfalls, des Distanzverlustes sowie die Affirmation selbst genauer be- stimmt. Heranzuziehen sind dazu vornehmlich die Artikel des Schriftleiters und spä- teren Chronisten der Deutschen Berufsschule von 1933 bis 1935 sowie die erwähnte Rubrik "Umschau ,,4. Zusammenfassend darf vorweg festgestellt werden, daß "zu vielen Dingen", also doch wohl zur (Berufsbildungs)Politik der Nationalsozialisten, kein "deutliches Wort" geschrieben steht, daß von Kritik im distanzierenden Sinne in der Deutschen Berufsschule nicht die Rede ist und daher von ihr nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil wird Kritik an kritischen Bekundungen gegenüber 'Partei und Staat' kritisiert. Affirmation dagegen ist reichlich zu finden. Sie geht nachlesbar aus von innerer Zustimmung und der allgemeinen Hoffnung auf Besserung der po_ litischen und pädagogischen Zustände und reicht von Stillhalte-Empfehlungen und Kooperationsappellen über innere Gleichschaltung bis zur emotionalen Identifizie- Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins 567 rung und willentlichen Unterwerfung, soweit sich dies sprachlich dokumentiert. Der berufspädagogischen Sache nach ist generell zu sagen, daß deren neue Machthaber und Würdenträger über das Notwendige hinaus hofiert, daß allen berufsbildungspo- litischen Maßnahmen der NSDAP und ihrer Gliederungen - die ja die staatliche Be- rufsschule schwächten - lauthals zugestimmt und daß die institutionelle wie pädago- gisch-psychologische Umformierung der pädagogischen Klientel, der Lehrer wie der Schüler, ergeben begrüßt wurde. Die Berufsschule wurde "rechtem Volksdienst im Sinne des Nationalsozialismus" verschrieben (Sander, 1935, S. 676; kursiv von den J1?rj). - Zur Illustration dessen und als knapper Beleg zunächst nur zwei von vielen möglichen Zitaten. Am Anfang steht das "klare Wissen, daß mit den bisherigen Formen politischen Lebens die Beseitigung tiefer deutscher Volksnot nicht zu leisten und der Aufbau ei- ner wirklichen Volksgemeinschaft nicht zu meistem ist" (Lynceus 1933, S. 18), ver- bunden mit der hoffenden Erwartung, daß dies den neuen, i. e. den national- sozialistischen "Formen politischen Lebens" gelingen würde. Weiter geht es mit dem Anschluß an die neue Politik aus innerer Überzeugung, der sich selbst als ideel- le Kontinuität begreifen will und begreift: "Auch vor dem 30. Januar standen Män- ner in der Berufsschule, die beharrlich dem Neuen den Weg bereiteten! Hätten sie bis dahin n ich t s von nationalsozialistischem Geist in sich gehabt, so wäre es um die Gegenwartsarbeit in der Berufsschule vermutlich traurig bestellt. Denn es gibt nicht Auswechselungen innerer Art von heut auf morgen. Die Arbeit in der Berufs- schule, der Kampf gegen die gehässigen Störungen von draußen, gegen die draußen "anerzogene" Geisteshaltung der Jugendlichen, gegen die erschütternde Verneinung aller übermateriellen Werte, das alles formte den Erzieher, sofern er eben Erzieher war, von selbst, bewußt oder unbewußt; das mußte ihn an die nationalsozialistische Ideenwelt heranführen, das richtete ihn gleich, bis er dann auch den ä u ß e ren Anschluß an die Bewegung fand (was aber keineswegs das wes e n t I ich s t e ist)" (Lynceus 1933, S. 243). Die diesen Anschluß erst nach dem 30. Januar 1933 fanden, nach der Ernennung also Adolj Hitlers zum Reichskanzler, und die, denen "durch die nationalsozialistische Bewegung" womöglich erst im März 1933, nach dem Ermächtigungsgesetz und dem Legitimationstag von Potsdam, "die Augen da- für geöffnet wurden, daß es mehr gibt als Schul formen, Gehaltsklassen, Standespoli- tik und dgl. ", die oben zitierten "Märzgefallenen" also, werden mit gnädiger Freude in der "großen gemeinsamen Front" begrüßt (Lynceus 1933, S. 244), in der sich auch "die Armee der Erzieher formierte" (Lynceus 1933, S. 246). Wo in einem Publikationsorgan dermaßen innere "Gleichschaltung" vollzogen wird. erübrigt sich die förmliche Gleichschaltung etwa durch den Austausch oder ei- nen Wechsel in der Schriftleitung. Daß solche Gleichschaltung nicht erfolgte, ist 568 Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins also keineswegs ein Ausweis von Distanz oder gar für publizistischen Mut im berufspädagogischen Diskurs. Dies nach 1945 so hinzustellen, besorgt historische Verwirrung. Dem Anschluß an den Nationalsozialismus folgte das Eintreten für den Natio- nalsozialismus, hier für die nationalsozialistische BerufsbiIdungspolitik samt Zu- stimmung zum NS-Staat. Solcher Zustimmung geht allerdings doch ein Wandel in der aktuellen politischen Einstellung vorauf; er artikuliert sich in der Deutschen Berufsschule nach "der Machtergreifung" deutlich. War sie - in den "Umschau"- Artikeln - vor 1933 systemkritisch im bekannten antidemokratisch-völkischen Af- fekt und darauf gerichtet, die Abbau- und Sparpolitik im beruflichen Schulwesen zu geißeln sowie für den Erhalt und Ausbau der Berufsschule einzutreten, so ändert sich ab März 1933 der Tenor gründlich. Nunmehr wird Loyalität zur Staatsführung bekundet, und die Berufsschule wird, siehe oben, für den Staat reklamiert - aus dem- selben Impetus: die deutsche Berufsschule zu erhalten und auszubauen, und mit demselben politischen Affekt, der sich nun allerdings realitätsmächtig dünkte. Diese mentale Konstellation konnte durchaus mit sich bringen, daß über der Kontinuität der inneren politischen Gesinnung der Wandel der tagespolitischen Einstellung gar nicht bemerkt wurde oder bemerkt werden mußte. Es ist solche Bewußtseinslage un- serer Einschätzung nach der Ansatz zuletzt vollzogener persönlicher Identifikation mit der nationalsozialistischen Herrschaft und eine Erklärung für deren 'Vergessen' nach 1945. Was mit dieser Identifikation hoffnungswidrig und faktisch kontrapro- duktiv an pädagogischer Destruktion erkauft wurde, konnte man 1933 nicht unbe- dingt wissen und war de facto auch noch nicht absehbar; zwei Jahre später aller- dings wohl; 1952 erst recht. - Der Prozeß zunehmender Identifizierung ist nachzule- sen vornehmlich in den "Umschau"-Artikeln vom März bis zum Januar 1934, der politischen Umbruchphase, die auch die Zeit "deutlicher Worte" hätte sein können. Am 21.03.1933 heißt es: "Es ist kein Zweifel: Die Berufsschule wird ihren Bei- trag zum Neubau des völkischen Lebens und Staates liefern" (Lynceus 1933, S. 22); und das "zumal die neue politische Lage des deutschen Volkes und die neue Stel- lung des Staates einen so nährkräftigen Boden geben, auf dem Neues ungehemmt wachsen kann, wenn sich sorgsame Gärtner darum nach Pflicht und Gewissen mü- hen" (Schulz 1933, S. 85). - Anfang Mai 1933 heißt es: "Was der Berufsschule frü- her die Arbeit so sehr erschwerte, die gewollte und auch gehässige Gegenwirkung von draußen, die mit gutem Bedacht erstrebte Zerstörung der Autorität des Lehrers, wird wegfallen. Alle erzieherischen Einflüsse und Faktoren werden durch das alle verpflichtende Ziel [i.e. "das bessere Deutschland"] von selbst innerlich gleich- geschaltet werden; diese erzieherische Gleichrichtung macht einen nachhaltigen Er- folg möglich" (Lynceus 1933, S. 117). - Im Sommer 1933 heißt es: "Die Berufs- Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins 569 schule [ ... ] wird diese Jugend im Sinne unseres deutschen Führers zu den Wer t e n führen helfen - denn sie k a n n es, so gerne man auch hier und da ihren Beruf dazu bezweifelt -; sie wird hel f e n , sie zur Gestaltung zu führen, das heißt: zum Die- nen und Einordnen, zum Volksbewußtsein, zum Begreifen der Mächte Blut und Bo- den, der Tatsachen Volk und Staat" (Lynceus 1933, S. 243).5 - Im August 1933 heißt es: "Die Ernte der nationalsozialistischen Revolution wird in die Scheuer des deut- schen Volkes eingebracht" (Lynceus 1933, S. 302); als Erntehelfer sozusagen wird die Berufsschullehrerschaft verpflichtet: "Wir wollen nichts für uns - wir wollen al- les fürs Volk; wir sind nichts, das Volk ist alles: als Glieder aber dieses Volkes und als Mitarbeiter am nationalsozialistischen Staate stehen wir für die Sache, die uns übergeben ist zur Pflege und Vollendung,,6. - Am 22. Oktober 1933 heißt es: "Und so gehen wir allezeit ans Werk, als die pädagogischen Vollstrecker des Führerwil- lens auch auf unserem Felde, dem der deutschen Berufserziehung" (Lynceus 1933, S. 465). - Im Januar 1934 schließlich heißt es: "Wir wollen das "Diene im Ganzen" immer wieder denen sagen, die es nötig haben, die nicht die Bescheidenheit aufbrin- gen, sich dankbar und demütig zu sehen als die Werkzeuge großen Geschehens, dem Adolf Hitler mit seiner Bewegung die Gasse bahnt" (Lynceus 1934, S. 631). So dankt auch Otto Schulz namentlich "dem ordnenden Führer" für "das Geschehen" im Jahre 1933 (Schutz 1934c, S. 578). Solche Rede wird 1952 'positive Kritik des Geschehens' genannt - sie dokumen- tiert aber einen Identifikationsprozeß. Die mentale Affinität zum und die politisch- pädagogische Hoffnung auf den Nationalsozialismus in und von 1933 führt sukzes- sive in die kritiklose Affirmation bis zur demütigen, quasi gläubigen Unterstellung. Sie schließt nolens volens die Zustimmung zur nationalsozialistischen Barbarei ein; Die Deutsche Berufsschule wirkte an ihr mit: Dafür an dieser Stelle ein Beispiel, die Zeitschrift eben selbst betreffend7: In der Rubrik "Aus dem deutschen Berufsschul- wesen" - sie enthielt Berichte, Nachrichten und Notizen, deren Auswahl dem Schriftleiter wohl nicht ganz frei stand, deren Kommentierung ihm jedoch publi- zistischen Spielraum gab - wird im Februar 1935 unter "Rassenkunde in der Schu- le" der Erlaß des Reichsunterrichtsministers über "Vererbungslehre und Rassen- kunde im Unterricht" vorgestellt (Die Deutsche Berufsschule 43 (1935), S. 692f.) - zunächst nur auf einer Druckseite mit der Anmerkung: "Wir bedauern, daß Mangel an Raum uns zwingt, auf eine ausführliche Darstellung dessen, was der be- deutungsvolle Erlaß will, zu verzichten" (a.a.O., S. 693). Das kann vorab zwar auch als listige Entledigung gelesen werden, war aber in diesem Falle nur eine weitere devote Geste. Denn jener für die allgemeinbildenden Schulen bestimmte Erlaß wird in den folgenden beiden Heften beflissen auf die Berufsschule bezogen mit ausführ- licher "positiver Kritik".8 Dabei wird der "Gesichtspunkt einer ernsthaft um den Erfolg besorgten nationalsozialistischen Erziehung" eingenommen und Rassenkun- 570 Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins de als deren unabdingbar notwendige Aufgabe hingestellt (a.a.O., S. 709). Diese Af- finnation geschieht in voller Kenntnis der psychologischen Grundlegung und pädagogisch-politischen Intention jener Erziehung: "Es geht ja nicht um Wissensübennittlung: es geht um eine durch Einsicht unterstützte Will e n s - erz i e h u n g. Und auch darum, die Maßnahmen des Staates und den Willen des Nationalsozialismus zu begreifen, sie freudig zu bejahen, auch wenn sie in das hin- eingreifen, was man früher wohl die "private Sphäre" nannte" (a.a.O., S. 758). Nun waren diese beiden Hefte zugleich die letzten Hefte der Zeitschrift selbst, was jeder Leser wußte9; sie hätten zu guter Letzt doch noch zu "einem deutlichen Wort" genutzt werden können. Sie wurden es nicht. "Abschied" heißt der letzte Ar- tikel der Deutschen Berufsschule am 15. März 1935. Er stammt aus der Feder ihres Schriftleiters und steht "in unerschütterlicher Gefolgschaftstreue zu dem Führer in deutsche Zukunft" [ ... ] "Heil Hitler" (Schulz 1935b, S. 766). 1952 dürfen wir lesen: Die Deutsche Berufs- und Fachschule "wird in Gegenwart und Zukunft, wie in ihrer 60jährigen Vergangenheit, Anreger und Helfer, Mahner und Wegweiser und unab- hängiger Kämpfer für die Berufsbildungsidee sein" (Schuh 1952, S. 411). 21.1 Anmerkungen 1 Ein Einzelnachweis dazu ist an dieser Stelle nicht zu führen; der angesproche- ne Teil der wissenschaftlichen Arbeit von Harald Scholtz zur Historischen Pädago- gik (sc. historischen Bildungsforschung) darf als bekannt vorausgesetzt werden und ist dokumentiert in: Drewek, Peter/Horn, Klaus-Peter/Kersting, ChristafTenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts. Harald Scholtz zum 65. Geburtstag. Wein- heim 1995, S. 373 - 380. - Die als letzte genannte mentalitätsgeschichtliche Dimen- sion in der pädagogischen Geschichtsschreibung zum Dritten Reich wird, ebenfalls mit einem Beitrag von Harald Scholtz, bearbeitet in: Herrmann, V/Nassen, V. (Hrsg.): Fonnative Ästhetik im Nationalsozialismus. Intentionen, Medien und Pra- xisfonnen totalitärer ästhetischer Herrschaft und Beherrschung. Weinheim/Basel 1993 (Zeitschriftfür Pädagogik, Beiheft 31),1994 (Reihe Pädagogik, Beltz). 2 Dafür der Hinweis nur auf Kipp, M.jMiller-Kipp, G.: Erkundungen im Halb- dunkel. Fünfzehn Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im nationalsozialisti- schen Deutschland. Kassel 1990. Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins 571 3 Die "Umschau"-Artikel in Die Deutsche Berufsschule 1931-1935, insgesamt 21 Stück, waren mit Lynceus gezeichnet; ihr Verfasser war höchstwahrscheinlich der Schriftleiter selbst, also Otto Schutz. 4 Diese Rubrik wird im Text unter Lynceus nachgewiesen, vgl. Anm. 3. 5 Dazu, Le. hier zur "Rückwendung zu Blut und Boden" (Monsheimer 1934, S. 612) eignete sich natürlich gerade der Gartenbauunterricht; d.h. wo eben möglich, rechtfertigten sich (berufs)pädagogische Sachverhalte in und mit NS-Stereotypen. 6 "Das Dritte Reich braucht die Berufsschule!" - namentlich nicht gekennzeich- neter Leitartikel im ersten Oktoberheft der Deutschen Berufsschule 1933, hier S. 388; der Verfasser war höchstwahrscheinlich Otto Schulz. 7 In der Deutschen Berufsschule war schon 1933 für "rassenkundlichen Unter- richt in den Berufsschulen" mit gefährlicher Nähe zumindest zur Judenverfolgung geworben worden: "Die Berufsschule muß als völkische Schule in ihrem Aufbau ein völkisches Gepräge tragen und die gesunde, rassisch-völkische Erbmasse und die in ihr wurzelnden natürlichen und kulturellen Kräfte des Volkstums pflegen" (Breitkopf 1933, S. 513); "von diesem Standpunkt aus ist die Stellung zum Juden- tum völlig klargelegt. Das jüdische Volk ist ein Volk fremdrassiger Herkunft und da- mit anderartiger Geisteshaltung" (a.a.O., S. 518; "anderartig" im Original). 8 "Rassische Erziehung und Berufsschule"; namentlich nicht gekennzeichneter Kommentar zum erwähnten Erlaß, höchstwahrscheinlich aus der Feder des Schrift- leiters. 9 In der Hauptversammlung des Deutschen Vereins für Berufsschulwesen am 07.10.1934 war beschlossen worden, die Zeitschrift zum 31.03.1935 einzustellen; vgl. Schulz 1934b. 21.2 Zitierte Quellen Breitkopf, E.: Der rassenkundliche Unterricht in den Berufsschulen. In: Die Deut- sche Berufsschule 42 (1933), S. 513-518. Das Dritte Reich braucht die Berufsschule! In: Die Deutsche Berufsschule 42 (1933), S. 385-388. 572 Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins Grüner, G.: "Wer nicht will, der wird zusammengehauen". Vor 50 Jahren: Das Ende der demokratischen Berufsschullehrerverbände. In: Die berufsbildende Schule 35 (1983), S. 139-168. Monsheimer, 0.: Großstadtberufsschule und Boden. In: Die Deutsche Berufsschule 42 (1934), S. 609-619. Rassische Erziehung und Berufsschule. In: Die Deutsche Berufsschule 43 1935), S. 709-714,755-758. Sander, E.: Mädchenberufsschule und Volkskultur. In: Die Deutsche Berufsschule 43 (1935), S. 673-677. Schul;.. 0.: Schule und Handwerk. In: Die Deutsche Berufsschule 42 (1933), S. 78- 85. Schulz. 0.: Vom Beruf der Berufsschule zur staatsbürgerlichen Erziehung. Anmer- kungen zu einer noch zeitgemäßen Frage. In: Die Deutsche Berufsschule 43 (1934), S. 289-296, 356-368, 391-397, 462-470, 489-493. (a) Schulz. 0.: Zu neuen Ufern ... Die letzte Hauptversammlung des Deutschen Vereins für Berufsschulwesen am 7. Oktober 1934 in Hannover. In: Die Deutsche Be- rufsschule 43 (1934), S. 417-426. (b) Schulz. 0.: Zum neuen Jahr! In: Die Deutsche Berufsschule 42 (1934), S. 577-579. (c) Schulz. 0.: Zum neuen Jahr! In: Die Deutsche Berufsschule 43 (1935), S. 577f. (a) Schulz. 0.: Abschied. In: Die Deutsche Berufsschule 43 (1935), S. 762-766. (b) Schulz. 0. M.: 60 Jahre Dienst an der Berufsschule. Lebensbild einer Zeitschrift. In: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 48 (1952), S. 401-411. 22 ANHANG Ergänzende Bibliographie und Drucknachweise der Beiträge 1 - 21 1 MARTIN KIPP/GISELA MILLER 573 Anpassung, Ausrichtung und Lenkung: Zur Theorie und Praxis der Berufserziehung im Dritten Reich (Wiederabdruck aus: Reformpädagogik und Berufspädagogik. Schule und Erziehung, Bd. VI (Argument-Sonderband 21). Berlin 1978,248-266.) 2 MARTIN KIPP/GISELA MILLER Berufserziehung und Berufspädagogik während des Nationalsozialis- mus. Ein Forschungsbeitrag (Wiederabdruck aus: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 75 (1979),434- 443.) Ergänzende Bibliographie zu den Beiträgen 1 und 2: Berke, Rolj: Karl Abraham 75 Jahre alt. In: Die Deutsche Berufs- und Fach- schule 75 (1979),535-537. Berke, Rolf: Walther Löbner 80 Jahre alt. In: Wirtschaft und Erziehung 34 (1982), 184 f. Berke, Rolj: Professor Dr. phi!. Walther Löbner (1902-1982). In: Wirtschaft und Erziehung 34 (1982), 405 f. Berke, Rolf: Walther Löbner 80 Jahre alt. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 78 (1982),454. 574 ANHANG Berke, Rolf: Prof. Dr. phil. Walther Löbner (1902-1982). In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschajtspädagogik 78 (1982),837 f. Berke, Rolf: Zum 80. Geburtstag von Karl Abraham am 6. Juli 1984. In: Wirtschajt und Erziehung 36 (1984), 260 f. Berke, Rolj: Hohe Auszeichnung für Prof. Dr. phil. Otto Monsheimer. In: Zeitschriftfür Berufs- und Wirtschajtspädagogik 80 (1984), 53f. Berke, Rolf: Professor Dr. Karl Abraham 80 Jahre. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschajtspädagogik 80 (1984), 538-540. Berke, RolflHorlebein, Manfred: Grenzgänger zwischen den Fakultäten. Otto Monsheimer zum 85. Geburtstag. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirt- schajtspädagogik 78 (1982),883-886. E., R: Professor Dr. Karl Abraham 75 Jahre alt. In: Die berufsbildende Schule 31 (1979), 545f. 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Teil 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Deutschen Gesell- schaft für Erziehungswissenschaft, Bd. 4.1). Stuttgart 1980,289-300.) 578 ANHANG Ergänzende Bibliographie: Longerich, Peter: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. München 1989. 4 MARTIN KIPP Zentrale Steuerung und planmäßige Durchführung der Berufser- ziehung in der LuftwatTenrüstungsindustrie des Dritten Reiches (Wiederabdruck aus: Heinemann, Man/red (Hrsg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Deutschen Ge- sellschaft für Erziehungswissenschaft, Bd. 4.1). Stuttgart 1980,310-333.) Ergänzende Bibliographie: Pfliegensdörfer, Dieter: "Ich war mit Herz und Seele dabei, und so, daß mir das gar nichts ausmachte" - Bremer Flugzeugbauer im Nationalsozialismus. In: 1999 Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 1/1988,44-103. 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Die Anfänge der Fachar- beiterausbildung im VW-Vorwerk Braunschweig (Wiederabdruck aus: Schuegraj, Wolf-DieteT (Hrsg.): Alltag und Politik. Vorträge zur Geschichte der Braunschweiger Arbeiterschaft. Gehalten beim Arbeitskreis Andere Geschichte (= Braunschweiger Werkstücke, Veröf- fentlichungen aus dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek, Reihe A, Bd. 30, der ganzen Reihe Bd. 79). Braunschweig 1990, S. 99-128.) Ergänzende Bibliographie: Kipp, MaTtin: "Die Formung des 'neuen' deutschen Facharbeiters in der 'Ordensburg der Arbeit'. Zu den Anfängen der Facharbeiterausbildung bei VW." In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschajtspädagogik 84 (1988), S. 195-211. Kipp, Martin: "In der 'Ordensburg der Arbeit' wurden die 'neuen' Lehrlinge erzogen." In: Frankfurter Rundschau - Dokumentation - 31. Mai 1988, S. 10. Kipp, Martin: Kopf, Herz und Hand: Zur Ideengeschichte der Ganzheitlich- keit aus berufspädagogischer Sicht. 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Weinheim/Basel 1994, S. 209-219; zuvor erschienen im Beiheft 31 der Zeitschrift für Pädagogik, Weinheim/Basel 1993, S. 209-219. Mommsen, Hans: Geschichte des Volkswagenwerks im Dritten Reich. - For- schungsergebnisse. Ruhr-Universität Bochum, Oktober 1991. Perei, Sally: Ich war Hitlerjunge Salomon. Berlin 1992. Volkswagen AG, Vorstand und Gesamtbetriebsrat (Hrsg.): Das Buch. Von Volkswagen. 1938-1988.0.0., o.J. [Wolfsburg 1988]. 13 GISELA MILLER-KIPP Die ausgebeutete Tradition, die ideologische Revolution und der päd- agogische Mythos ~rsuche und Schwierigkeiten, ''nationalsozialistische Pädagogik" zu be- greifen und historisch einzuordnen (Wiederabdruck aus: Herrmann, UlrichjOelkers, Jürgen (Hrsg.): Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim/Basel 1989,21-37; zuvor erschienen im Beiheft 22 der Zeitschriftfür Pädagogik, Weinheim/BaseI1988, 21-37.) ANHANG 587 Ergänzende Bibliographie: Dräger, Horst: Zur Ideologie der Kontinuität und Diskontinuität in der Päd- agogik. In: Pädagogik und Schule in Ost und West 37 (1989),131-150. FIessau, Kurt-IngojNyssen, ElkejPätzold, Günter (Hrsg.): Erziehung im Na- tionalsozialismus. " ... und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!" Köln/Wien 1987. Harten, Hans-Christian: Rasse und Erziehung. Zur pädagogischen Psycho- logie und Soziologie des Nationalsozialismus. Ein Forschungsbericht. In: Zeitschriftfür Pädagogik 39 (1993), 111 - 134. Herrmann, Ulrich: Geschichtsdeutung als Disziplinpolitik? Anmerkungen zur Kontroverse über das Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialis- mus. In: Die Deutsche Schule 81 (1989),366-373. Hohendorj, Gerd: Zur Auseinandersetzung mit dem Faschismus in der päd- agogischen Historiographie der DDR. In: Pädagogik und Schule in Ost und West 37 (1989),151-157. Jungk, SabinejSchütte, Friedel: BildungsForschung und ErinnerungsArbeit. Oder: Der erziehungswissenschaftliche Horizont der Vergangenheitsbewälti- gung. In: Widersprüche 8 (1988), Heft 26, 19-32. 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Keim, Wolfgang: Peter Petersens Rolle im Nationalsozialismus und die bun- desdeutsche Erziehungswissenschaft. In: Die Deutsche Schule 81 (1989), 133-145. Keim, Wolfgang: Noch einmal: Worum es eigentlich geht. In: Die Deutsche Schule 81 (1989),373-376. Klafki, Wolfgang (Hrsg.): Verführung, Distanzierung, Ernüchterung. Kind- heit und Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus erzie- hungswissenschaftlicher Sicht. Weinheim/Basel1988. Klafki, Wolfgang: Bericht über das Podium: Pädagogik und Nationalsozialis- mus. In: 25. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim/Basel 1990, S. 35-55. Leschinsky, Achim: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück? Kritische Überlegungen zum Umgang der Erziehungswissenschaft mit der Ver- gangenheit anläßlich eines neu erschienen Buches. In: Neue Sammlung 29 (1989),209-225. Lingelbach, Karl-Christoph: Unkritische Bildungshistorie als sozial- wissenschaftlieher Fortschritt? In: Zeitschrift für Pädagogik 34 (1988),519- 534. 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(Wiederabdruck aus: Zeitschrift für Beru[s- und Wirtschaftspädagogik 84 (1988),598-609.) 590 ANHANG Ergänzende Bibliographie: Engelmann, Bernt: Deutschland ohne Juden. Eine Bilanz. Köln 1988. Klee, Ernst/Dressen, WillijRiess, Volker (Hrsg.): "Schöne Zeiten". Juden- mord aus der Sicht der Täter und Gaffer. Frankfurt am Main 1988. Longerich, Peter (Hrsg.): Die Ermordung der europäischen Juden. Eine um- fassende Dokumentation des Holocaust 1941-1945. München 1989. Schoenberner, Gerhard/Schoenberner, Mira: Zeugen sagen aus. Berichte und Dokumente über die Judenverfolgung im "Dritten Reich". Berlin 1988. Seubert, Rolf: "Betr.: Nichtarier im Lehrlings- und Prüfungswesen". In: Zeitschriftfür Berufs- und Wirtschajtspädagogik 84 (1988),609-622. Wallenberg, Jörg (Hrsg.): "Niemand war dabei und keiner hat's gewußt". Die deutsche Öffentlichkeit und die Judenverfolgung 1933-1945. München 1989. 15 MARTIN KIPP Berufsausbildung zur Selbst behauptung Das jüdische Berufsausbildungswerk unter dem Nationalsozialismus als produktive pädagogische Reaktion auf Berufsverbot, Ausgrenzung und Verfolgung (Wiederabdruck aus: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschajtspädagogik 86 (1990), S. 22-33; zugleich erschienen in: Zubke, Friedhelm (Hrsg.): Politi- sche Pädagogik. Beiträge zur Humanisierung der Gesellschaft. Hans-Jochen Gamm zum 65. Geburtstag. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1990, S. 233-246.) ANHANG 591 16 MARTINKIPP Die Frankfurter Grundlehre Ein vergessener jüdischer Beitrag zur Berufspädagogik unter dem Nationalsozialismus (Wiederabdruck aus: Harney, Klaus/Pätzold, Günter (Hrsg.): Arbeit und Ausbildung. Wissenschaft und Politik. Festschrift für Karlwilhelm Strat- mann. Frankfurt: Verlag der Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bildung 1990, S. 151-167.) 17 GISELA MILLER-KIPP I THEODOR WILHELM "Über meine Schuld" Ein Gespräch zur gegenwärtigen Vergangenheit in der Erziehungswis- senschaft (Wiederabdruck aus: Neue Sammlung 31 (1991), S. 648-664.) Ergänzende Bibliographie: Dudek, P.: Kontinuität und Wandel. Wissenschaftliche Pädagogik im Nach- kriegsdeutschland. In: Pehle, WjSillem, P. (Hrsg.): Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945? Frankf./M. 1992, S. 57-73. 18 MARTIN KIPP Betriebliche Berufserziehung im Nationalsozialismus und Bilanz zum Forschungsstand in ausgewählten "Sondergebieten" (Wiederabdruck aus: Berg, ChristajEliger-Rüttgardt, Sieglind (Hrsg.): "Du bist nichts, Dein Volk ist alles". Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1991, S. 132-158; zuvor gekürzt erschienen in: Bilanz für die Zukunft: Aufgaben, Konzepte und Forschung in der Erziehungswissenschaft. Beiträge zum 12. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 19. 592 ANHANG bis 21. März 1990 in in der Universität Bielefeld (= Zeitschrift für Pädago- gik, 25. Beiheft). Weinheirn/Basel199O, S. 116-119.) Ergänzende Bibliographie: Kipp, Martin: Erinnerung an ein beschwiegenes Jubiläum - 50 Jahre "Verei- nigung von Universitätsprofessoren der Wirtschafts- und Berufspädagogik". In: Zeitschriftfür Berufs- und Wirtschajtspädagogik 87 (1991), S. 324-326. Kipp, Martin: Epilog. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschajtspädagogik 88 (1992), S. 80. Seubert, Rolf: Berufsschule und Berufsbildungspolitik im Nationalsozialis- mus. Zum Stand der Forschung. In: Berg, ChristajEliger-Riittgardt, Sieglind (Hrsg.): "Du bist nichts, Dein Volk ist alles". Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus. Weinheim 1991, S. 105-131. Seubert, Rolf: Der Berufsbegriff als Instrument politischer Integration im NS-Staat. In: Geißler, Karlheinl/Greinert, Wolf-Dietrich/Heimerer, Leo/ Schelten, AndreasjStratmann, Karlwilhelm (Hrsg.): Von der staatsbürgerli- chen Erziehung zur politischen Bildung (1901 - 1991). 90 Jahre Preisschrift Georg Kerschensteiner (= Tagungen und Expertengespräche zur beruflichen Bildung, Heft 13). Berlin 1992, S. 352 - 373. Seubert, Rolf: "Lebendiger Träger des Dritten Reiches". Zur aktuellen Schwierigkeit des Umgangs mit der Epoche des Nationalsozialismus. In: Zeitschriftfür Berufs- und Wirtschajtspädagogik 89 (1993), S. 149-168. Zabeck, Jürgen: Martin Kipp und das Gebot der intellektuellen Redlichkeit. In: Zeitschriftfür Berufs- und Wirtschajtspädagogik 87 (1991), S. 508-510. ANHANG 593 19 GISELA MILLER-KIPP Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen Ästhetische Formen und mentales Milieu im Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (RADwJ) (Wiederabdruck aus: Herrmann, Ulrich/Nassen, Ulrich (Hrsg.): Fonnative Ästhetik im Nationalsozialismus. Intentionen, Medien und Praxisfonnen to- talitärer ästhetischer Herrschaft und Beherrschung. Weinheim/Basel 1993 (Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 31), 1994 (Reihe Pädagogik, Beltz), S. 139-161. Ergänzende Bibliographie: Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung. Weinheim/München 1993. 20 MARTIN KIPP/GISELA MILLER-KIPP Kontinuierliche Karrieren - diskontinuierliches Denken? Entwicklungslinien der pädagogischen Wissenschaftsgeschichte am Bei- spiel der Berufs- und Wirtschaftspädagogik nach 1945 (Wiederabdruckaus: Zeitschriftfür Pädagogik 40 (1994), S. 727-744.) Ergänzende Bibliographie: Helm, LjTenorth, H.-E.jHorn, K.-P.jKleiner, E.: Autonomie und Heterono- mie - Erziehungswissenschaft im historischen Prozeß. In: Zeitschrift für Pädagogik 36 (1990), S. 29-49. Krüger, H.-H.j&uschenbach, T. (Hrsg.): Erziehungswissenschaft. Die Diszi- plin am Beginn einer neuen Epoche. Weinheim/München 1994. 594 ANHANG 21 MARTIN KIPP/GISELA MILLER-KIPP Von der Dehnbarkeit des Bewußtseins und dem Beschweigen natio- nalsozialistischer Vergangenheit, zum Beispiel im berufspädagogischen Diskurs (Vorabdruck aus: Drewek, Peter/Horn, Klaus-Peter/Kersting, ChristajTen- orth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsge- schichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts. Harald Scholtz zum 65. Geburtstag. Weinheim 1995, S. 227 - 235.