Eberhard Schoenfeldt Der Edle ist kein Instrument Bildung und Ausbildung in Korea (Republik) Studien zu einem Land zwischen China und Japan Kassel 1996 Der Edle ist kein Instrument Bildung und Ausbildung in Korea (Republik), Studien zu einem Land zwischen China und Japan Eberhard Schoenfeldt Berufs- und Wirtschaftspädagogik Band 22 Universität Gesamthochschule Kassel Fachbereich 2, Heinrich-Plett-Str. 40,34109 Kassel Kassel: Gesamthochschul-Bibliothek, 1996 ISBN: 3-88122-854-3 Preis: 15,00 DM zuzüglich Versandkosten Meinem älteren Kollegen Prof. Dr. Nack-Joo Lee und meinem jüngeren Kollegen Prof. Dr. Se-Yung Um in Verbundenheit zugeeignet Inhaltsverzeichnis Landkarte Grunddaten. Einleitung Korea: Eigenständigkeit und Abhängigkeit Seite 6 7 9 17 1.1 1.2 2 2.1 2.2 2.3 3 3.1 3.2 3.3 4 4.1 4.2 Korea zwischen dem früheren großen Bruder China . und dem heutigen großen Vorbild Japan Wie der "Westen" nach dem "Osten" kam. Aspekte europäisch-nordamerikanischer Beziehungen zu Korea Koreas Wirtschaft: erst rückständig, dann ausgebeutet, heute dynamisch Entwicklung hinter verschlossener Tür Entwicklung zur Ausbeutung. Korea als Kolonie Südkoreas Wirtschaft: The Success Story Chinesische Philosophie in Korea: Einfluß und Nachwirkung Yin und Yang als nationales Symbol Konfuzianismus: Ordnung in Familie, Gesellschaft und Staat Konfuzius als Lehrer Das Bildungssystem: Entwicklung und Einflüsse Korea, Beispiel für eine Bildungsmeritokratie Vom 4. Jahrhundert bis zur Öffnung des Choson-Reiches: Der Einfluß Chinas 4 17 29 39 39 48 55 69 69 74 84 107 107 112 4.3 Von 1880 bis 1910. Zwischenzeit: Erster westlich-christlicher Einfluß 4.4 Von 1910 bis 1945. Kolonialzeit: Der Einfluß Japans 4.5 Von 1945 bis 1953. Besatzungs- und Kriegszeit: Der Einfluß der USA 5 Das Bildungssystem in Südkorea: zwischen Tradition und Moderne 5.1 Bildungswille. Gesellschaft, Schule, Politik 5.2 Bildungssystem. Schulstufen, Curricula, Versetzungsprinzip 5.3 Bildungsplanung. Zugangsprüfungen. Finanzierung, Entwicklungsbeitrag 6 Berufsausbildung in Südkorea: im Spannungsfeld von formaler und non-formaler Bildung 6.1 Ein Berufsbildungssystem ohne Beruf, Bildung und System 6.2 Formale berufliche Bildung 6.3 Non-formale berufliche Bildung 6.4 Bildung und Ausbildung für Frauen 6.5 Berufliche Bildung in der internationalen Zusammenarbeit l-iteraturverzeichnis Die Fahne der Republik Korea Verzeichnis der Schriftenreihe Berufs- und Wirtschaftspädagogik 5 Seite 119 131 145 155 155 179 203 219 219 241 272 309 337 361 381 382 Gelbes Meer Cheju ~~"- ., m s....-T.... Quelle: Keilhaue!: A.lKeilhauel: P: Südkorea, Innendeckel SÜDKOREA se... ----N t Ostmeer (Tonghae) Grunddaten: Republik Korea (Taehan Mingukl Quellen: Länderbericht Korea, Republik, Statistisches Bundesamt 1992 Korea Annual 1995 und andere Unterlagen 1. Land und Klima Südkorea erstreckt sich von 33° bis 38° nördlicher Breite Größe: 100.000 km2 (Nordkorea: 120.000 km2) Die Oberflächengestalt ist überwiegend gebirgig (ca. 70 %) 25.000 km2 sind kultiviert Korea liegt im Übergangsbereich zwischen dem kontinentalen, sibirischen Kältezentrum und dem martitimen, subtropischen Ozean. Das fUhrt zu vier ausgeprägten Jahreszeiten mit heißen, feuchten Sommern und kalten, trockenen Wintern. 2. Bevölkerung Einwohner: 44.450.000 (1994) (Nordkorea: 25.000.000) Wachstumsrate: 0,96 (1991) Lebenserwartung: 71,8 Jahre ftir Männer; 77,4 Jahre fiir Frauen (1995) Grad der Urbanisierung: 78 % (1995) Bevölkerungsdichte im Durchschnitt: 435 E / km2 Hauptstadt Seoul: 10,9 Millionen Einwohner 3. Wirtschaft und Soziales Erwerbstätige: 20,73 Millionen (1995) Arbeitslosenquote: 1,8 % (1995) Pro-Kopf-Einkommen: 8.480 US $ (1994) Krankenversicherung besteht ftir alle Koreaner, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind im Aus- / Aufbau 7 Einleitung Als ich mir zu Beginn meiner ersten Gastprofessur in Korea 1980 die dort unerläßlichen Namenskarten drucken lassen wollte, beriet ich mich mit Kollegen über die Aufschrift. Ich hatte mir gedacht, für die rückseitige englische Version als Übersetzung meiner Disziplin, der Berufspädagogik, "Vocational Education" zu verwenden. Die koreani- schen Kollegen hatten Bedenken. "Educational Science", so rieten Sie mir, sei viel besser. Erziehungswissenschaft sei eine bei ihnen anerkannte Disziplin. Beruf und Pädagogik oder Beruf und Bildung hätten wenig miteinander zu tun. Für Koreaner sei es schwer verständlich, daß Berufspädagogik ein wissenschaftliches Fachgebiet sein solle und man für dieses Gebiet eine Professur an einer Universität haben könne. Diese harmlose Episode führt zu einer zentralen, sprachlichen Problematik. Wenn wir in Deutschland von "Beruf' sprechen, dann haben wir eine recht bestimmte Vorstellung davon, was alles dazu gehört und was beispielsweise einen Beruf von einem Job unterscheidet. Auch unter "Bildung" stellen wir uns etwas bestimmtes vor, wie z. B. den Menschen als vielseitig gebildete, selbstbestimmte Individualität und Persönlichkeit. Nun können wir Deutsche einer Erziehung zu einem Beruf obendrein auch noch etwas Bildendes abgewinnen, so daß "Berufsbildung" für uns eine sinnstiftende begriffliche Wortverbindung darstellt. In Korea ist es nun aber zu einer vergleichbaren Ausprägung von Berufen nicht gekom- men. Auch ein Berufsverständnis, wie wir es haben, hat sich dort so nicht entwickelt. Ferner ist der Bildungsbegriff wertmäßig gänzlich anders besetzt als bei uns. Daß die Qualifizierung für eine Arbeitsverrichtung auch etwas mit Bildung zu tun haben könnte, können Koreaner aus ihrer Denktradition heraus nicht verstehen. Bildung ist nach ostasiatischer Auffassung immer eine Art von Allgemeinbildung; auf keinen Fall ein Vorgang, der zu einer Arbeitsbefähigung führt. Der Edle ist eben kein Instrument. Wenn ich nun doch Begriffe wie "Berufsbildung" im folgenden weiter verwende, besteht die Gefahr von zweierlei Fehlleistungen. Zum einen treffen die mit einem bestimmten kulturgeprägten Vorverständnis belasteten deutschen Begriffe die koreanische Wirklich- 9 keit und das koreanische Verständnis ihrer Wirklichkeit nur ungenau. Zum anderen verkürzt man die Probleme, wenn das Fremdartige, das ganz andere, unbedacht rasch in kulturvertraute Begriffe aufgelöst wird. Es ist dann eben doch alles irgendwie ähnlich, nicht ganz unverwandt. Die notwendigen Anstrengungen im Prozeß des Verstehens der anderen Kultur werden dann möglicherweise zu früh abgebrochen. Es kann auch zu Verfälschungen kommen, wenn die Wertmaßstäbe nicht zu den betrachteten Sachverhal- ten passen. Die vorliegende Schrift wird als Beitrag zur vergleichenden Berufspädagogik in der Form einer Länderstudie verstanden. Es ist mehr oder weniger Zufall, daß Korea zum Gegenstand meiner Bemühungen wurde. Das Schicksal, so könnte man etwas salopp sagen, im übrigen meist - aber nicht immer - hier in Gestalt der GTZ, führte mich in den letzten 16 Jahren etwa ein dutzendmal zu ganz unterschiedlichen Zwecken nach Südkorea. Zu den Reisegründen zählen zwei Gastprofessuren an verschiedenen Hoch- schulen, Studien für die Berufsbildungszusammenarbeit, Evaluationen koreanisch- deutscher Projekte, Serninartätigkeiten und Forschungsaktivitäten. Zu den längeren Aufenthalten zählen neben den Gastprofessuren die abschließende Leitung des Projekts zur Ausbildung von Instruktoren am Korea Institute of Technology und eine fast dreijährige Tätigkeit als Regierungsberater am Arbeitsministerium in Seoul. Der Einsatz an verschiedenen Orten Südkoreas und die Beschäftigung mit unterschiedlichen Proble- men und Fragestellungen vor Ort ermöglichten mir Einsichten und Erfahrungen, die einen guten Teil der Grundlagen für die vorgelegte Schrift darstellen. Vergleiche im Berufsbildungsbereich sind nicht unproblematisch. In den folgenden Kapiteln hat sich hier und da ein Vergleich zwischen Südkorea und Deutschland aufgedrängt, ein systematischer Vergleich wurde jedoch nicht versucht. Berufsbildungs- systeme haben jeweils ihre eigene nationale oder kulturelle Entwicklung und Aus- formung. Sie sind ohne den dazugehörigen historischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Kontext nicht zu verstehen. Zum Kontext gehören z. B. auch das System der allgemeinen Bildung ebenso wie das Beschäftigungssystem. Im Grunde kann man nur versuchen, die Stimmigkeit, Effektivität und Wirksamkeit von Berufsausbildung im 10 Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Subsystemen in der jeweiligen Gesell- schaft zu beschreiben und zu bewerten. Wirkliche Vergleiche oder Übertragungen, auch nur von Teilsystemen, scheinen mir aus methodologischen Gründen schwierig bis unmöglich. Ein Ziel meiner Bemühungen ist es, ein von uns aus gesehen ganz anderes Bildungssystem zu beschreiben und verständlich werden zu lassen. Einsichten in andere Bildungssysteme und ihre Funktionsfähigkeit verhindern möglicherweise Rückfälle in ethnozentrisches Denken. Ethnozentrismus meint hier die einseitige Einschätzung "nationaler Einzigartigkeit" (LauterbachIMitter 1995, S. 19). Zu einem derartigen Überlegenheitsgefühl gesellt sich gern die Behauptung, daß unser Berufsausbildungs- system einen wichtigen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg gehabt habe. Folglich könne jedes Land, das unser Berufsausbildungssystem übernimmt, alsbald damit rechnen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Es wird zwischen Bildungssystem und Wirtschaftserfolg ein Zu- sammenhang unterstellt, hinter dem ein "allgemeingültiger Entwicklungsalgorithmus industrieller Gesellschaften im Sinne eines verbindlichen Modernisierungskonzepts steht" (Georg 1994, S. 7). Nun ist spätestens seit den wirtschaftlichen Erfolgen in Ostasien deutlich, daß es nicht nur ein Modell gibt, sondern mehrere Modernisierungs- konzeptionen realisiert werden können. Ganz unbeschadet von der These, daß wegen der weitgehenden Kulturgebundenheit von Berufsbildungssystemen Vergleiche, ins- besondere im Sinne von "besser" oder "schlechter" als unser System kaum möglich sind, unterliegen alle Berufsbildungssysteme einem fortgesetzten Wandel und sicher auch gegenseitiger Beeinflussung. Daraus eine Tendenz zur Konvergenz abzuleiten, finde ich jedoch nirgends belegt. Die Beschäftigung mit anderen als den eigenen Konzepten beruflicher Bildung zeigt im Prozeß lernenden Verstehens Lösungsvarianten anderer Länder von ähnlichen, teils ja auch identischen Problemen. So gewonnene Einsichten ermöglichen mit einem höheren Grad an Aufklärung Entscheidungen über Änderungen und Reformen des eigenen Systems. Nach meiner Einschätzung verfahren die Koreaner in vorbildlicher Weise nach dieser Methode. Seit rund zwanzig Jahren studieren sie mit großem Interesse und kaum nachlassender Energie das deutsche Berufsbildungssystem bis ins Detail. Die Ent- 11 scheidungen für den Auf- und Ausbau ihrer beruflichen Bildung treffen die Koreaner inhaltlich jedoch ganz anders als wir, nämlich ganz im Rahmen ihrer Werte, Traditionen und Ziele. Nichts von Relevanz haben sie dabei in der Sache von uns übernommen. Verständlicherweise beobachten die Koreaner mit mindestens der gleichen Akribie die Fortentwicklung der Verhältnisse im Bereich beruflicher Qualifizierung in Japan und Taiwan. Ebenso erklärbar ist es, daß ihre Entscheidungen wegen der kulturellen Ver- wandtschaft auch inhaltlich denen der Nachbarn ähnlicher sind als den deutschen Lösungsformen. Koreas geographischer Platz ist zwischen den zwei starken Nationen China und Japan. Beide Nachbarländer haben auf unterschiedliche Weise Einfluß auf die Geschichte Koreas genommen. Dennoch gelang es Korea durch Entwicklung eigener kultureller Muster, eigener Sprache und Schrift, Architektur und Musik, seine Identität auszuprägen und seine Eigenstaatlichkeit zu bewahren, beziehungsweise immer wieder herzustellen. Es spricht für einen eisernen Willen der Koreaner, als eigenständige Nation überleben zu wollen, denn die Gefahren, schon vor vielen Jahrhunderten zu einer chinesischen Provinz oder zum japanischen Stützpunkt auf dem Festland zu werden, und dabei als eigenständig-identifizierbares Volk unterzugehen, waren groß und zahlreich. Aus einiger Entfernung betrachtet, überwiegen aber dann doch die kulturellen Ähnlichkeiten und verwandtschaftlichen Züge, so daß man die genannten Länder berechtigterweise zu einem Kulturkreis gehörend zusammenfassen kann. Die Ähnlichkeiten sind auch gerade im Bildungsverhalten, Bildungsverständnis und der Regelung beruflicher Qualifizierung ganz deutlich nachzuweisen. Vieles, was ich am Beispiel Südkoreas erläutere, gilt für Japan und Taiwan gleichermaßen. In Nordkorea und der Volksrepublik China liegen die Dinge - wie bekannt - etwas anders. Die vorliegende Schrift ist also nicht nur eine nationale Länderstudie, sondern beschreibt auch ein Beispiel des ostasiatischen Kultur- kreises. Die Südkoreaner wehren sich stets gegen die Behauptung, daß sie das erfolgreiche Japan zum Vorbild nehmend, dem Nachbarn einfach alles nachmachten. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf die kulturellen Ähnlichkeiten, die sie wohl zu vergleich- 12 baren, aber doch eigenständigen Entscheidungen kommen ließen. Und in der Tat, was aus unserem Blickwinkel und für unseren Informationsbedarf als praktisch deckungs- gleich beschrieben werden darf, ist aus der Nähe betrachtet dann doch in vielen Details unterschiedlich. Bis etwa 1880 spielten im koreanischen Bewußtsein und Handlungsbereich andere Länder als China und Japan praktisch keine Rolle. Danach änderte sich das Bild. Nordamerikaner und Europäer gerieten ins Blickfeld. Im ersten Kapitel gehe ich auf die Beziehungen Koreas zu seinen Nachbarn und den fremden Mächten ein. Daran schließt sich eine Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung Koreas an, die besonders seit den 60er Jahren eine die Welt verblüffende rasante Form angenommen hat. Im dritten Teil gehe ich ansatzweise auf die Wertewelt Ostasiens ein. Die Gegebenheiten in Ostasien sind viel stärker durch die Vergangenheit geprägt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die Asiaten haben ein ausgesprochen lebendiges Verhältnis zu ihrer Geschichte. Wer die Gegenwart in Ostasien verstehen will, kommt nicht umhin, sich mit den traditionellen Wertvorstellungen auseinanderzusetzen. Das gilt heute mehr denn je, denn viele Asiaten beginnen mit neuerwachtem Selbstbewußtsein, sich ihrer alten Werte zu vergewissern. Diese bewußte Rückbesinnung auf überlieferte Normen bei gleichzeitig fortschreitendem wirtschaftlichen Erfolg, widerspricht gängigen Entwick- lungstheorien. Danach sollten die modemen Eliten die treibende Kraft auf dem Weg in die gesellschaftliche Modernität sein. Dem durch Traditionen geprägten Bewußtsein der Mehrheit wurde ein gedanklicher und dann auch tatsächlicher Aufbruch in eine Moder- ne nicht zugetraut (Weggel 1994, S. 13). Traditionelle Werte und Denkweisen galten generell als entwicklungshemmend. Die Asiaten zeigen die begrenzte Reichweite dieser Annahme. Ein wichtiges Stichwort für das ostasiatische Normensystem heißt "Konfuzianismus". Der Begriff ist nicht besonders scharf und Roetz macht sogar eine gegenwärtige In- flation des Begriffs "Konfuzianismus" aus (Roetz 1995, S. 8). Möglicherweise wäre es besser, einen anderen Begriff zu wählen. Denn das, was in Korea staatstragende Lehre wurde, war der seit dem 11. Jahrhundert sich in der chinesi- 13 sehen Philosophie ausprägende sogenannte "Neokonfuzianismus". Der Neokonfuzianis- mus nahm zu den klassischen Beständen an Gedanken und Vorstellungen Elemente aus dem Buddhismus und Taoismus auf. Was uns heute in Ostasien begegnet, ist ein weiterentwickelter modernisierter Neokonfuzianismus. Weggel verwendet wohl deswe- gen den Begriff "Metakonfuzianismus". Ich habe mich entschlossen, im 3. Kapitel einige Grundvorstellungen, sozusagen am Original, also anhand der Konfuzius zu- geschriebenen Äußerungen, sowie an frühen chinesischen Interpretationen von Welt und Gesellschaft zu verdeutlichen und bleibe bei aller Problematik bei dem Begriff "Kon- fuzianismus". Bei der Einschätzung der Wirkung der Lehre von Konfuzius kann es zu Widersprüchen kommen. Max Weber hatte ja den Konfuzianismus dafür verantwortlich gemacht, daß China und andere ostasiatische Nationen den Sprung in die Modeme, in eine rationale Wirtschaftsweise und Technik nicht von sich aus schafften. Mit einer gewissen Ironie könnte man feststellen, daß heute gerade das Gegenteil behauptet wird. Nun heißt es, daß der "konfuzianische Kapitalismus" dem "westlichen Kapitalismus" überlegen sei. Die Behauptung wird begründet mit dem Hinweis auf konfuzianische Tugenden und Werte wie Anpassungsfähigkeit, Gehorsam, Fleiß und Leistungsbereitschaft. Diese Tugenden förderten die kapitalistische Wirtschaftsweise viel besser als Konfliktfähig- keit, Egoismus, Individualität und Mitbestimmung. Die Widersprüchlichkeit läßt sich nur aufklären, wenn man sich vergewissert, daß die Nebenwirkungen und Folgen großer Ideen häufig unvorhersehbar in Form und Stärke sind und sehr wechselhaften Einfluß gewinnen können. Max Weber hatte ja nicht behauptet, daß Konfuzius beabsichtigt hätte, die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes zu hemmen, wie es ebensowenig das eigentliche Ziel der Calvinisten war, eine kapitalistische Wirtschaftsweise zu begün- stigen. Die Folgen stellten sich ohne Rücksicht auf die Intentionen ein (Berger 1970, S. 49). So ist es kaum zu bestreiten, daß der Konfuzianismus aus noch zu beschreibenden Einseitigkeiten Korea im 18. und 19. Jahrhundert in einen gefährlich großen Rückstand zu den Erkenntnissen in den Naturwissenschaften, zu modernisierter Technik und Ökonomie brachte. Aber ebenso richtig scheint mir zu sein, daß der wirtschaftliche Aufschwung ohne Einsatz vieler traditioneller konfuzianischer Werte so nicht statt- 14 gefunden hätte. Alleine können es die diktatorischen Präsidenten-Generäle ebensowenig gewesen sein, wie die Gunst der weltwirtschaftlichen Lage oder die beträchtlichen Kapitalhilfen aus den USA. Ganz wichtig war der gezielte Einsatz der "klassischen" Tugenden und Verhaltensweisen, wie kollektiver Leistungwille, hohe Lernbereitschaft, Disziplin und ausdauernder Fleiß. Verbunden wurde das mit einer optimistischen Grundhaltung. Noch heute läßt sich der Slogan des Willens, voranzukommen, in vielen U-Bahnwagen in der Form eines Schildes mit der Aufschrift "we can do", wir können es, wir schaffen es, finden. Eun-Jeung Lee, eine koreanische Politikwissenschaftlerin, die in Deutschland studierte, warnt vor der Konfuzianismuslüge. Lee sagt sinngemäß, daß die europäischen Ostasien- studien wenig Richtiges über Ostasien, aber viel über die Befindlichkeit Europas aussagen. Die allseitig spürbare (zu recht oder zu unrecht) Verunsicherung der Europäer über die rasch anwachsende ökonomische Stärke des asiatisch-pazifischen Raumes führe zu einer Verklärung konfuzianischer Tugenden. Und so spielten sich die konservativen politischen Kräfte in die Hände: Die meist wenig demokratischen Regierungen im Osten legitimieren ihre Herrschaft mit dem Hinweis auf den ökonomischen Erfolg und west- liche Ökonomen und Politiker preisen konfuzianische Tugenden, um mit den in diesen Normen angelegten Mechanismen von Unterordnung und Ausnutzung Gewinne maxi- mieren zu können (Lee, E.-J. 1995, S. 57 ff.). Sicher ist die konfuzianische Lehre auch zu mißbrauchen, um hierarchische Strukturen zu festigen und funktionalistisch ein- zusetzen, um Herrschaft zu stabilisieren. Das muß man im Blick behalten wie auch die Gefahren einer unreflektierten Forderung nach Übernahme von Verhaltens- und Produk- tionsweisen aus Ostasien. Die Kapitel vier und fünf der Schrift beschäftigen sich mit der Entwicklung und Ausformung des allgemeinen Bildungssystems getreu der Einsicht, daß ohne Kenntnis der Organisation und des Verständnisses allgemeiner Bildung die Berufsbildung nicht dargestellt werden kann. Im sechsten Kapitel bemühe ich mich dann, die Ausbildungs- wege für berufliche Tätigkeiten zu erhellen. Ein Unterkapitel widme ich der Bildung und Ausbildung von Frauen. Es wäre sicher auch denkbar gewesen, die Ausbildungs- 15 möglichkeiten und das Ausbildungsverhalten für beide Geschlechter parallel zu behan- deln. Die besonders ausgeprägte Geschlechtertrennung in Korea rechtfertigt jedoch auch, die Situation der Frauen im Bildungssystem gesondert zu erörtern. Bleibt in diesem Zusammenhang noch ein Hinweis. Um den Lesefluß nicht ständig zu stören, verzichte ich darauf, bei allen möglichen Fällen die männliche und weibliche Endung von Substantiven anzuführen. "Lehrer", "Schüler", "Studenten" und andere Begriffe schlie- ßen, wenn nichts anderes ausdrücklich betont wird, beide Geschlechter ein. Die Wahl des Begriffs "Studien" im Untertitel des Buches hat seinen Grund. Die folgenden sechs Einheiten sind nämlich zum Teil in anderer Reihenfolge entstanden als nun angeordnet. Sie sind bis zu einem gewißen Grad auch in sich abgeschlossen. Das führt zu gelegentlichen Wiederholungen, die ich bei der Endredaktion nicht ganz tilgen konnte und wollte. Obwohl ich während meines letzten längeren Aufenthaltes in Korea zielgerichtet Material zum Bildungs- und Ausbildungswesen zusammengetragen habe, fehlte mir dann beim Abfassen der Texte doch noch sehr viel. Ich muß mich daher herzlich bei Herrn Klaus Schaack bedanken, der als Regierungs- berater am Arbeitsministerium mir viele weitere notwendige Quellen erschloß. Auch der Leiter des Goethe-Instituts in Seoul, Herr Dr. Man/red Du, ergänzte mein Material sehr hilfreich. Ohne ständige Kontakte nach Korea, so auch zu koreanischen Kollegen, wie Herrn Prof. Dr. Lim, dem ich mich verbunden fühle, hätte ich das Buch nicht schreiben können. Aber auch in Deutschland war noch eine umfangreiche Literaturrecherche notwendig. Hierbei hat mir mein Assistent Ibrahim Hasan sehr geholfen. Mein Dank gilt auch Frau Ilona Becker, die den Kampf gegen ein handschriftliches Manuskript und gegen einen gelegentlich widerspenstigen Personal Computer gelassen auf sich genom- men und auch gewonnen hat. 16 1 Korea: Eigenständigkeit und Abhängigkeit 1.1 Korea zwischen dem früheren großen Bruder China und dem heutigen großen Vorbild Japan Korea ist eigentlich das Herz Ostasiens. Im Westen und Norden grenzt es an China. Im Nordosten stößt es an Rußland und im Südosten schiebt sich Japan als Riegel zwischen Korea und den pazifischen Ozean. Korea besitzt zwei historisch wichtige Eingangstore, die sich diagonal gegenüberliegen. Das eine ist die Yalumündung. Sie stellt die Verbindung zur Südmandschurei und Nordchina her. Dieses Tor war von großer Bedeutung für das Schicksal von Nordwest- korea und der früheren (und heutigen nordkoreanischen) Hauptstadt Pjöngjang. Das südöstliche Eingangstor bzw. Ausgangstor liegt um die Mündung des Flusses Nakdong. Am bekanntesten ist der Hafen Pusan. Die als "Brückenpfeiler" dienende japanische Insel Tsushima ist von dort aus über die Koreastraße hin fast mit dem bloßen Auge zu sehen (Lautensach 1945, S. 25). Heute kommt als Tor zur Welt dem Kimpo-Airport, dem Flughafen von Seoul, eine besondere Bedeutung zu. Große Warenströme laufen auch über Incheon, den Hafen von Seoul, der am Gelben Meer liegt. Die kulturelle BfÜckenfunktion Koreas zwischen China und Japan ist über viele Stationen nachgewiesen und die geopolitische und strategische Bedeutung der Halbinsel hat seit Jahrhunderten zum Streit der Nachbarn um Einfluß und Vorherrschaft in diesem Land geführt (Dege 1978, S. 259 ff). Die Grenzen des koreanischen Siedlungsgebiets sind durch die Lage als Halbinsel im Westen, Osten und Süden praktisch nicht verschiebbar. Nach Norden hin gab es be- trächtliche Schwankungen. Im 5. Jh. n. Chr" der Zeit der räumlich größten Ausdehnung, reichte der koreanische Einfluß bis an den Sungari-Fluß, also bis tief auf mandschuri- sches Gebiet (Lee, K.-B. 1984, S. 36 ff). 17 Eingependelt, wenn man so sagen darf, hat sich die Nordgrenze an den Flüssen Yalu (koreanisch: Abnog Gang) und Turnen. Dort liegt sie seit der Yi-Dynastie, also seit 1392, mithin seit gut 600 Jahren. Das koreanische Territorium teilen sich jedoch seit ca. 40 Jahren zwei einander feindlich gesinnte Staaten, aber das ist bekannt. Kurz vor unserer Zeitrechnung gründeten sich aus verschiedenen Stämmen drei koreani- sche Reiche, nämlich Alt-Silla, Koguryo und Paekche. In diese Reiche drang ab etwa 300 n. Chr. aus China kommend der Buddhismus ein und wurde etwa ab 530 n. Chr. als führende geistige Kraft anerkannt. Die koreanischen Clans orientierten sich auch kulturtechnisch an China. Damals übernahmen sie in Ermangelung einer eigenen Schrift die chinesischen Charakter, ohne dabei ihre Lautsprache aufzugeben. Auch übernahmen sie die chinesische Art der Namensgebung (Nahm 1993, S. 33 ff). Es waren koreanische Gelehrte, die die buddhistische Religion und die chinesische Schrift in Japan einführten. Damit wurde beides Gemeinbesitz der ostasiatischen Völker. Mit China unterhielten die drei Königreiche blühenden Handel. Die Beziehungen zu Japan waren kühler. Die Japaner trieben als Piraten an den Küsten Koreas ihr Unwesen und versuchten hartnäckig, auf der Halbinsel Fuß zu fassen. Nach Streitigkeiten und Intrigen der drei Reiche untereinander gelang es Silla in Allianz mit chinesischen Streitkräften, sich die beiden anderen Reiche zu unterwerfen. Dabei gingen allerdings alle Territorien Koguryos auf mandschurischem Gebiet für Korea für immer an chinesische und andere Stämme verloren (Nahm 1993, S. 36). Das Groß-Silla- Reich dauerte von 668 bis 918 n. Chr. Es war der erste gesamtkoreanische Staat. Abgesehen von militärischer Abwehr chinesischer Angriffe auf die Nordwest-Provinzen Koreas waren die Beziehungen auf kulturellem und ökonomischem Gebiet zu China freundschaftlich und fruchtbar. Neben den Buddhismus trat die Lehre des Konjuzius. Der Buddhismus blieb jedoch für die Mehrheit der Aristokraten und auch der einfachen Menschen als Religion bestehen. 18 Eine rege Reisetätigkeit koreanischer Gelehrter nach China setzte ein. Einige taten es, um dort die Examen für den Verwaltungsdienst abzulegen und Erfahrungen im Ver- waltungsbereich zu sammeln, andere wieder, um als Offiziere in chinesische Dienste zu treten. Ferner gründeten die Koreaner auf chinesischem Boden zahlreiche Handels- niederlassungen. In Korea festigte sich ein monarchisch-autokratisches Regierungssystem mit einer erstarkenden Bürokratie. Korruption und Neid in der herrschenden Klasse blieben jedoch nicht aus; es kam zu Konflikten zwischen den Königen und der Aristokratie, zu Machtkärnpfen zwischen den führenden Clans und zum Streit zwischen weltlichen und religiösen Führern. Dieses alles führte zum Zerfall und schließlich Untergang des Groß- Silla-Reiches. Es folgte eine neue Reichseinigung unter der Koryo-Dynastie. Dieser Staat blieb fast 500 Jahre stabil. Der Einfluß chinesischer Kultur stieg an. Mit Hilfe chinesischer Experten als Regierungsberater wurde das chinesische Rechtssystem eingeführt und eine zentrale Staatsverwaltung nach chinesischem Vorbild um- bzw. aufgebaut. Trotz verstärkter Pflege konfuzianischer Studien blieb der Buddhismus vorherrschend und wurde sogar zur Staatsreligion erhoben. Der Buddhismus kam in seiner koreanischen Variante zu seiner höchsten Blüte, zu großem Reichtum und politischem Einfluß. Unruhen gab es während des Koryo-Reiches vor allem aus dem Norden. Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Jurchen (Nahm 1993, S. 90) und noch schlimmere mit den Mongolen machten den Koreanern zu schaffen. Korea weigerte sich, der mongolischen Forderung nach Tributzahlungen zu entsprechen. Daraufhin fielen die Mongolen 1231 in den südlichen Nachbarstaat ein und besetzten das Land. 1260 erkannte Korea die Oberhoheit der Mongolen an, die mongolischen Truppen zogen ab, die koreanische Regierung verblieb aber unter mongolischer Kon- trolle. Am Ende des 13. Jahrhunderts machte die Mongolisierung Koryos rasche Fort- schritte. Die koreanischen Könige heirateten regelmäßig mongolische Prinzessinnen und residierten schließlich in Peking. Die koreanische Oberschicht erwies den Mongolen volle Loyalität und übernahm deren Sitten und Gebräuche (Barloewen 1964, S. 217 ff). 19 Erst die schwindende Macht des letzten mongolischen Kaisers nutzten die Koreaner, die Fremdherrschaft abzuschütteln. Nach 125 Jahren Mongolenherrschaft war das Land wieder frei. 1368, nach Gründung des chinesischen Ming-Reiches, erkannte jedoch der koreanische König sofort die Oberhoheit der neuen chinesischen Dynastie an. Insofern blieb ein formelles Abhängigkeitsverhältnis bestehen. Im 13. und 14. Jahrhundert zeigten sich wiederum japanische Piraten an den Küsten Koreas. Sie plünderten Küstenorte, einmal sogar die Hauptstadt, brannten Dörfer nieder und verschleppten Hunderte von Koreanern als Gefangene, Zwischen 1375 und 1388 zählten die Koreaner 378 japanische Überfälle (Nahm 1993, S. 91). Die Koreaner wehrten sich so gut sie konnten, versenkten etwa 500 Piratenschiffe und führten 1389 einen massiven Schlag gegen die Piratenbasen auf der Insel Tsushima. Dennoch wurden sie dieses Übels nicht Herr. Praktisch zeitgleich mit dem Ende des Mongolenreiches ging das Koryo-Reich der Koreaner unter. Militärische Schwäche, die es nördlichen Rebellenstämmen immer wieder möglich machte, in Korea einzufallen und eine in Verwaltungsfragen unfähige korrupte Oberschicht sowie Führungskämpfe - die Jahre zwischen 1308 und 1392 sahen elf koreanische Könige - führten unaufhaltsam zum Untergang. Durch Putsch kam die Yi-Dynastie an die Macht. Damit wurde der für die heutige kulturelle Betrachtung Koreas wichtigste geschichtliche Abschnitt eingeleitet. Die Yi-Dynastie herrschte von 1392 bis 1910, also auch wieder rund 500 Jahre, etwa so lange wie die Existenz des Koryo-Reiches dauerte. Das neue Reich nannte sich (auf Wunsch des chinesischen Kaisers) "Choson" und übernahm damit die Bezeichnung des ersten, mythischen koreanischen Reiches. "Like the histories of all ancient people, Korea's early history is shrouded in clouds of mythology and ambiquity" (Nahm 1993, S. 25). Der Sage nach soll im Jahr 2333 v. Chr. König Tangun das erste koreanische Reich gegründet haben. 20 In Korea wird volkstümlicherweise der sonst in der Geschichtswissenschaft übliche Trennungsstrich zwischen Vorgeschichte und Geschichte nicht gezogen. Das bedeutet, daß die nationale Geschichte im Bewußtsein des Volkes über den Zeitraum schriftlicher Überlieferung hinaus bis tief in die Mythologie hinein verlängert wird. Diese Eigentüm- lichkeit findet man auch bei der chinesischen Geschichtsschreibung. Ab dem späten Altertum wurden nach und nach unhistorische, teilweise mythische und mythologische Inhalte in die Geschichte eingearbeitet. Ein Grund mag darin bestanden haben, den Herrschern eine bis in die Frühzeit zurückreichende Ahnenkette zuschreiben zu können (Trauzettel 1990, S. 9). So wird in Korea der Gründungstag des Reiches von König Tangun, es ist der 3. Oktober, als Gründungstag der Nation gefeiert. Im Jahre 1995 begingen die Koreaner somit ihren 4328. Nationaltag. In ihrer gelegentlich atemberaubenden Selbsteinschätzung klingt es dann etwa so (Lee, c.-S. 1983, S. 22; S. 12): "The evaluation 01 Tangun as the Founding Father was the basis olnational independence and 01 national pride in a history as long as that 01 China ". "The Korean people. proud 015000 years 01 their great history, will develop as they learn lrom their experiences. " Koreaner nehmen Gelegenheiten wie den 3. Oktober gerne wahr, Ausländer (insbeson- dere Japaner) ihre vermeintliche historisch-kulturelle Überlegenheit fühlen zu lassen. Das geschieht z. B. durch die Frage: "Auf welches Gründungsjahr bezieht sich eigent- lich Ihre Nation?" Gebildeten Koreanern ist diese Art des Umgangs mit ihrer Geschichte unangenehm - weil der chauvinistische Aspekt zu deutlich zutage tritt. Für sie ist der 15. August, der in Korea als "Tag der Befreiung" gefeiert wird, der "eigentliche" nationale Feiertag. Zurück zur Yi-Dynastie. Schon zu deren Beginn verlor der Buddhismus ganz erheblich an Bedeutung, Reichtum und Einfluß. Es entstand ein streng neokonfuzianisch ausge- 21 richteter Staat. So dominant wie in Korea ist der Neokonfuzianismus selbst im Land seiner Entstehung, China, nie geworden. Die dogmatisch-pedantische Auslegung der Lehre führte schließlich zur Erstarrung in nahezu leerer Formelhaftigkeit und war wegen der damit verbundenen Reformfeindlichkeit für Korea schließlich ruinös. Das darf jedoch nicht ·darüber hinwegtäuschen, daß noch heute, etwa 100 Jahre nach Zusammen- bruch des konfuzianischen Staates, ganz erhebliche Bestandteile koreanischen Denkens und Verhaltens von der konfuzianischen Wertewelt bestimmt sind. Das Verhältnis zwischen dem Choson der Yi-Dynastie und dem Ming-China war durchaus freundschaftlich. Das Tributsystem war der Grund für konstante und eigentlich auch ausgeglichene Beziehungen zu dem großen Nachbarn China. Korea erkannte China als überlegenen Staat an und schickte regelmäßig Warengeschenke an den chinesischen Hof. Dafür erhielten die koreanischen Könige die chinesische Anerkennung und auch Gegengaben. Zu Jahresbeginn wurde den Koreanern der (Mond-)Kalender übergeben, damit diese ihre Dokumente synchron mit den Chinesen datieren konnten. Inhaltliche und zeremonielle Ausgestaltungen der Tributzahlungen wurden mit der Zeit weiter- entwickelt und führten schließlich zu hochstilisierten Ritualen, behielten aber ihre ursprüngliche Bedeutung (Kleiner 1992, S. 17 ff). Das Tributsystem hatte eine erhebli- che wirtschaftliche Funktion. Es regelte als die einzige anerkannte Form den staatlichen chinesischen Außenhandel und sorgte so neben einem privat organisierten Waren- austausch für einen beträchtlichen Güterverkehr. So wird beispielsweise der Gesamtwert der im Jahre 1787 aus Korea nach China gelieferten Waren auf mehr als drei Tonnen Silber eingeschätzt. An den eigentlichen Tributgeschenken der Koreaner an den chinesischen Hof dürften die Chinesen ökonomisch nicht viel gewonnen haben. Erstens gab es die Gegengeschen- ke und dann vor allem die Pflicht, die koreanischen Delegationen während ihres Aufenthaltes in Peking aufwendig zu bewirten. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung des Tributsystems muß auch auf den kulturellen Aspekt hingewiesen werden. Die koreanischen Delegierten und Würdenträger lernten bei 22 ihren Besuchen in Peking die überlegene chinesische Kultur kennen und adaptierten vieles davon in ihrer Heimat. "Es ist schwer zu entscheiden, ob die kulturelle Beein- flussung Absicht oder Nebenfolge war" (Kleiner 1992, S. 18). Der eigentliche Zweck des Tributsystems war jedoch politischer Natur. Die Chinesen wollten Ruhe an ihren Grenzen haben. Für Wohlverhalten der kleineren Nachbarn wie Korea und Annam garantierte das System diesen Staaten freie Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten und schützte - sollte zumindest - vor militärischen Eingriffen. Trotz der Tributbeziehungen, die eine gewisse Unterlegenheit Koreas markierten und die Anerkennung des chinesischen Kaisers als Sohn des Himmels bedingten, war das nachbarschaftliehe Verhältnis zu China durch freundschaftliche Einstellungen geprägt. Die sozialen Eliten beider Länder verband die konfuzianische Wertewelt und eine ähnliche Erziehung. Auch moderne koreanische Literatur spricht von dem früheren Tributsystem als einer besonderen Form von diplomatischen Beziehungen und grenzt diese deutlich von Protektoratsverhältnissen ab (Sin, K. 1960, S. 151). Tatsächlich lassen sich die chinesisch-koreanischen Beziehungen mit Begriffen des europäischen Staats- und Völkerrechts nur schwer fassen. Konfuzianisches Denken geht von einer einheitlichen Weltordnung aus. Diese Ordnung ist grundsätzlich hierarchisch strukturiert. Das Prinzip der Ungleichheit von Staaten ist daher nur natürlich. Loyale Unterordnung und fürsorgeverpflichtende Überordnung sind konfuzianische Strukturmu- ster, die praktisch für alle staatlichen und sozialen Beziehungen galten. Außer mit China verkehrte Korea außenpolitisch nur noch mit Japan, den Ryukyo-Inseln und den Völkerstämmen jenseits der Nordgrenze. "Andere Partner, mit denen Korea diplomatische Beziehungen hätte haben können, waren in der abgeschlossenen Welt Ostasiens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts schlechthin nicht vorhanden" (Kleiner 1980, S. 52). 23 Die wirklich prägenden Beziehungen bestanden für Korea neben denen zu China nur in denen zu Japan, und diese waren ganz anderer Art. Eliseit hat das sehr treffend als Kapitelüberschriften in seinem Buch ausgedrückt: "China, der ältere Bruder: meist hilfreich", "Japan der jüngere Bruder: oft aggressiv" (Eliseit 1978, S. 6). Der jüngere Bruder war Japan ganz gewiß. Der chinesisch-koreanische Einfluß auf die staatliche, kulturelle und handwerkliche Entwicklung Japans ist unbestritten. Durch bisherige Forschungen unbelegt ist allerdings - was Koreaner aber gerne glauben -, daß der erste japanische Herrscher ein koreanischer Prinz war. Militärisch waren die Japaner jedoch fast immer den Koreanern und Chinesen überlegen. Die Handelsbeziehungen zwischen Korea und Japan hatten sich aufgrund verschiedener Ereignisse im 16. Jahrhundert deutlich verschlechtert. Als die Koreaner dann den Japanern den Durchzug durch ihr Gebiet für einen Angriff auf China verweigerten, kam es 1592 und 1597 zu massiven Invasionen der Japaner, die bereits über Feuerwaffen verfügten. Die Chinesen kamen Korea zu Hilfe und es gelang schließlich, die japani- schen Streitkräfte zu vertreiben. Im Zusammenhang mit diesen Kämpfen kam es zu dem wohl glorreichsten Sieg der Koreaner zur See: Admiral Yi Sun-shin schlug mit seinen berühmten "Schildkrötenbooten", überdachten, besonders stabilen Kriegsschiffen, 1598 die japanische Flotte. Die Kriegszüge der Japaner richteten verheerende Verwüstungen an und hinterließen tiefe Spuren im Geschichtsbewußtsein der Koreaner (Barloewen 1964, S. 226): "Das koreanische Volk wurde durch den Krieg dezimiert. Zahlreiche Städte und Dörfer, Bibliotheken, Druckereien und Kunstschätze wurden vernichtet, und es bestand ein Chaos der Staatsfinanzen. Die Deportation vieler Hand- werker, insbesondere Kunstkeramiker und Porzellanmacher nach Japan, ließ ganze Produktionszweige in Korea fast zum Erliegen kommen. " Immerhin folgten dann für etwa 200 Jahre friedlichere Verhältnisse zwischen diesen Nachbarn. Korea konnte sich jedoch kaum erholen. Es wurde in den Konflikt des chinesischen Ming-Reiches mit den Mandschu hineingezogen. 1636 fiel ein Mandschu- Heer in Korea ein mit dem Ergebnis, daß Korea nun tributpflichtig gegenüber den 24 Mandschu wurde. Den Mandschu gelang der Sturz der Ming-Dynastie, sie gründeten die Ching-Dynastie. Obwohl die Chinesen wie die Koreaner die Mandschu für Barbaren hielten, kam es doch zu einem gegenseitig respektvollen Verhalten zwischen Peking und Seoul. Die Ching-Dynastie reduzierte großmütig und stetig die alljährlichen Tributlei- stungen Koreas. Die Japaner hatten ihre imperialistischen Pläne gegenüber Korea und China keineswegs aufgegeben. So nutzten sie die innere Schwäche der späten Yi-Dynastie, um in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zum "Schutz" ihrer Handelsmissionen Truppen nach Korea zu verlegen. Daraufhin entsandten auch die Chinesen Streitkräfte nach Korea. Es kam schließlich zur Kontroverse zwischen China und Japan. Japan erkannte das Tribut- system zwischen China und Korea nicht an, um seinerseits entscheidenden Einfluß auf die Halbinsel ausüben zu können. 1894/95 brach zwischen China und Japan ein Krieg aus. Das Ergebnis war ein aufsehenerregender Sieg der Japaner. China mußte die Unabhängigkeit von Korea anerkennen und trat zudem Taiwan (Formosa) an Japan ab. Nun schien der Weg zur Unterwerfung Koreas frei. Es tauchte jetzt aber ein neuer Nachbar auf. Nach 1570 besiedelten Russen auf ihrem Weg nach Osten Sibirien und erreichten gegen 1670 den Stillen Ozean. Fast zwei Jahrhunderte vergingen, bis über die südlichen Gebiete, links des Amurs und des Mün- dungsgebietes 1858 und 1860 Grenzverträge mit China geschlossen wurden (Sethe 1965, S. 51~ Ploetz 1960, S. 920). Damit wurde Rußland nördlicher und östlicher Nachbar der Mandschurei und mit einem kleinen gemeinsamen Grenzstück auch Nachbar Koreas. Die Russen sahen den Einfluß Japans in Korea nach dem chinesisch-japanischen Krieg mit Mißtrauen und gewannen mit Zustimmung der Koreaner für einige Jahre eine Vormachtstellung auf der Halbinsel. Der Konfliktstoff zwischen Japan und Rußland reicherte sich an, es kam zum Krieg von 1904/05. In der berühmten Seeschlacht von Tsushima wurde die russische Flotte vernichtend geschlagen. Korea mußte alle Verträge mit Rußland annullieren, Japan übernahm in Korea die Polizeihoheit und die Kontrolle über Presse, Post und Fernmeldewesen. Amerika und England erkannten 1905 die 25 japanischen Vorrechte bezüglich Koreas an (Barloewen 1964, S. 234 f.). Damit war das Schicksal Koreas für das erste besiegelt. Von 1905 bis 1910 wurde Korea zu einem Protektorat und von 1910 bis 1945 zur Kolonie Japans. Damit war das Ende der Yi-Dynastie gekommen. Die Kolonialmacht etablierte ein äußerst repressives politisches System und wirkte auf Vernichtung der kulturellen Identität des koreanischen Volkes hin. Maßnahmen wie Verbot der koreani- schen Sprache in allen Schulen, Änderung der Familiennamen in japanische Namen, Abriß des Kaiserpalastes und Errichtung des Gebäudes der Kolonialverwaltung auf diesem Grundstück sind Beispiele dafür. Ziel war die völlige Unterwerfung unter den japanischen Kaiser, die Aufgabe jeder Form eigenstaatlichen Denkens und die Assimila- tion des koreanischen Volkes. Die Koreaner leisteten auf allen Gebieten zähen, nachhal- tigen und opfervollen und schließlich auch erfolgreichen Widerstand. Im August 1945 erklärte die Sowjetunion Japan den Krieg und rückte mit Truppen durch die Mandschurei in den Norden Koreas ein. US-Truppen besetzten danach den südlichen LandesteiI. Japan verlor die Kontrolle über Korea. Der Rest der Geschichte ist in Deutschland allgemein bekannt: Vom Juni 1950 bis Juli 1953 verwüstete der Korea-Krieg, der auch ein Bruderkrieg war, das Land schwer. Der Waffenstillstand teilt bis heute das Land etwa in der Höhe des 38. Breitengrades in zwei Republiken, die sich bisher unversöhnlich gegenüberstehen. Mehr als 1500 Jahre, bis Ende des 19. Jahrhunderts, lebten die Koreaner in engen kulturellen und ökonomischen Beziehungen mit den Chinesen. Die Entwicklung der Sozialstrukturen verlief zwar nicht identisch, jedoch wurden z. B. viele Elemente des Staatsaufbaus und der Rekrutierung des Verwaltungspersonals von China übernommen. Dies geschah insbesondere im Zusammenhang mit der Übernahme des Konfuzianismus. Die Einhaltung der konfuzianischen Riten und Vorschriften durch die Koreaner wurde von den Chinesen genau beobachtet. Es gibt Reiseberichte chinesi- scher Delegierter, in denen sich Aussagen und Bewertungen - meist lobender Art - 26 finden, mit welcher Genauigkeit Sitten, Gebräuche und Zeremonien im Gastland beachtet wurden (Kleiner 1980, S. 46 t). Der Konfuzianismus prägte auch ganz erheb- lich das Bildungsverständnis, die Lerninhalte und das Bildungssystem beider Länder. Im gleichen Zeitraum waren die Beziehungen zu Japan, wie gezeigt wurde, ganz anderer Natur. Kulturell und auch auf dem Gebiet des Handwerks waren die Koreaner eher die Gebenden. Der Einfluß Japans auf Korea war eher machtpolitisch-militärischer Art. Ganz gewiß hat die Zeit während des Protektorats und die Kolonialzeit Korea auch technisch und wirtschaftlich beeinflußt und nicht ausschließlich nur negativ. Man muß ganz deutlich aussprechen, der erste Modernisierungsschub, die erste Welle des Aufbaus technischer Infrastruktur und Industrialisierung Koreas wurde von Japan ausgelöst. Koreaner sehen das aber anders. Den Preis, den Korea dafür in Form von Ausbeutung und Unterdrückung zu zahlen hatte, halten sie für zu hoch. Aussagen zu positiven Entwicklungen in Korea unter japanischer Herrschaft beantworten Koreaner gerne mit dem Hinweis auf deutsche Empfindlichkeit, wenn Ausländer zum Dritten Reich anmer- ken, Hitler habe ja durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und den Bau von Auto- bahnen und Urlaubsschiffen auch Positives geleistet. Eine bis heute spürbare, latente emotionale Abneigung gegen Japaner und alles Japanische kann man den Koreanern kaum verdenken. Während sich Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg ehrlich Mühe gab, das Verhältnis z. B. zu Frankreich ein für allemal auf Freundschaft zu gründen, tut sich Japan bis heute schwer, Schuld einzugestehen, Fehler zuzugeben und sich für begangene Verbrechen zu entschuldigen. "Die Japaner haben auch nach 1945 wenig getan, um es den Koreanern zu erleichtern, ein neues Verhältnis zur früheren Besatzungsmacht zu entwickeln" (Choi, C. 1986, S. 13). Nach dem zweiten Weltkrieg und dem Korea-Krieg entstand für das südliche Korea eine völlig neue Konstellation bezüglich seiner Nachbarn. Von den USA auf den Weg eines demokratischen, kapitalistischen Staates gebracht, war der große Bruder China bald kein geeigneter Partner mehr. Mit Nationalchina nahm Korea 1948/49 wieder diplomatische Beziehungen auf. Nur dieses China schrumpfte schnell in seinem Bestand auf die Insel Taiwan zusammen. Der VR China stand Südkorea verständlicherweise 27 ablehnend-kontrovers gegenüber. Nicht nur das kommunistische System hinderte den in den Westen eingebundenen Teil Koreas an engen Beziehungen und Kooperationen, sondern auch die Tatsache, daß die VR China im Koreakrieg Nordkorea massiv unter- stützt hatte. So wurde eine Vereinigung der Teilstaaten nach westlichen Vorstellungen verhindert und die Teilung verfestigt. Südkorea und die Festlandchinesen waren sich fremd geworden. Im August 1992 kam man jedoch überein, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Dies bedeutete notwendigerweise den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Nach kurzfristigen Irritationen stabilisierte sich das Verhältnis zwischen Seoul und Taipei wieder - auch ohne Austausch von Botschaftern. Die neuen diplomatischen Beziehungen zum früheren großen Bruder beruhen natürlich nicht mehr auf dem konfuzianischen Prinzip der Über- und Unterordnung. Und das, was der moderne Industriestaat Korea jetzt leistet, ist nicht Tribut, sondern Entwicklungs- hilfe. So schwierig und unglücklich die koreanischen Beziehungen zu Japan während und nach der Besatzungszeit auch waren - man mußte miteinander weiterreden. Repatriierun- gen in beiden Richtungen, Eigentums- und Entschädigungsfragen, Seegrenzziehungen u. a. zwangen zum Verhandeln. Auch fand man sich nach dem zweiten Weltkrieg sozusagen im gleichen Boot wieder, nämlich im westlich-demokratisch-kapitalistischen. Japan wurde stärkster Handelspartner Koreas. Diplomatische Beziehungen im Sinne eines Austausches von Botschaftern wurden erst relativ spät aufgenommen, nämlich im Dezember 1965, also 20 Jahre nach Kriegsende. Der gewaltige technisch-ökonomische Aufschwung, den Japan machte, blieb nicht ohne Faszination auf die Koreaner. Orientierten sie sich früher weltanschaulich und kulturell an China, so folgte jetzt die technisch-ökonomische Orientierung an Japan. Der jüngere Bruder wird zum großen Vorbild. Das gilt auch unter der Berücksichtigung, daß Korea in vielen Details seinen eigenständigen wirtschaftlichen Entwicklungspfad geht. 28 Mit zähem Fleiß, Durchhaltevermögen und einem unglaublichen Selbstvertrauen "we can do" entwickelt sich Südkorea hinter Japan her, immer näherkommend. Der Techno- logietransfer verläuft von Japan nach Südkorea, die Koreaner produzieren in ähnlichen Strukturen wie die Japaner und übernehmen das für den Entwicklungsprozeß offensicht- lich erfolgreiche System der beruflichen Bildung. Die Koreaner beginnen in der VR China joint ventures zu gründen und Berufsbildungs- hilfe zu leisten. Es ist nicht auszuschließen, daß Korea seine Brückenfunktion auch im 21. Jahrhundert beibehält, und zwar diesmal in umgekehrter Richtung: Technologie, Produktionsweise und Qualifikationssystem würden dann von Japan kommend nach Norden und Westen hin verbreitet. 1.2 Wie der "Westen" nach dem "Osten" kam. Aspekte europäisch-nord- amerikanischer Beziehungen zu Korea Bevor über Begegnungen mit anderen Völkern und daraus möglicherweise resultieren- den Einflüssen auf die Entwicklung Koreas gesprochen werden kann, soll an einen weltgeschichtlich wohl einzigartigen Vorgang erinnert werden. Es handelt sich um die Abschottungspolitik der ostasiatischen Länder. Alle drei Länder, gemeint sind China, Korea und Japan schotteten sich, in der geschichtlichen Neuzeit beginnend, unterein- ander und ganz besonders vom anderen Ausland ab. Ein- und Ausreise von Ausländern wurde auf ein Minimum von Diplomaten und Kaufleuten begrenzt. Schiffbrüchige aus fremden Ländern wurden entweder umgebracht, so z. B. in Japan, wenn der Verdacht aufkam, es könne sich um christliche Missionare handeln oder gefangengenommen und in aller Regel an einer Heimreise gehindert, wie es in Korea aus Angst vor Spionen üblich war. Den eigenen Landsleuten verbot Korea bei Androhung der Todesstrafe das Verlassen des Landes auf dem See- oder Landweg. Dieses apodiktische Berührungsver- bot mit einem zum Feind erklärten Ausland hat eine modeme Parallele gefunden. Auch heute gilt es als ein mit Todesstrafe bedrohter Landesverrat, wenn ein Südkoreaner nach 29 Nordkorea reisen sollte. China begann mit der Abschließungspolitik im 14. Jahrhundert. Korea und Japan folgten im 17. Jahrhundert. Die Motive zur Isolierung der drei Länder unterschieden sich gewiß. Gemeinsam war aber wohl der Wunsch, die zentrale Staatsgewalt zu stärken und nicht etwa durch andere Weltanschauungen oder Religionen zu gefährden (Koh, B.-I. 1994, S. 11). Im Falle Koreas, so wird gesagt, kam die völlige Erschöpfung nach den japanischen und mand- schurischen Invasionen hinzu (Choi, C.-K. 1986, S. 12). Systematisch wurden Küsten- siedlungen rückverlegt, um vor Piraten Ruhe zu bekommen und nördlich des Yalu und des Turnen wurde mit den Mandschus vereinbart, einen bis zu 50 km breiten Landstrich siedlungsfrei zu halten. Das "Versiegeln" der Küste und der Landgrenze, wie Ledyard es bezeichnete (Ledyard 1971, S. 101), hat auch eine moderne Variation erfahren. Aus Furcht - nicht vor japanischen Piraten, sondern nun vor nordkoreanischen Landungs- kommandos -sind heute hunderte von Kilometern Strand und Küste mit hohen Draht- zäunen abgetrennt. Die Metalltüren zu den Badestränden werden auch in der Saison abends um 6 Uhr abgeschlossen. Und die Grenze nach Nordkorea hin ist so dicht, wie es z. B. die innerdeutsche Grenze nie war. Die Folgen der Abschottungspolitik waren ungünstig. Der Außenhandel war beein- trächtigt, nur der Hafen von Pusan war offen. Studienreisen und Kulturaustausch fanden praktisch nicht mehr statt. Die ohnehin konservative Oberschicht schaute verstärkt rückwärts. Nichts Zeitgenössisches, sondern die klassischen Texte dienten zur Orientie- rung. Es braucht kaum der Erwähnung, daß auch alle anderen Bereiche, wie z. B. die Technikentwicklung, durch den fehlenden internationalen Austausch behindert wurden. Konservativismus und Rückständigkeit waren ein hoher Preis für die selbst verordnete Isolation. Es waren die Portugiesen, die als Erste in der Neuzeit in chinesische Gewässer 1514 einliefen und mit Kanton 1516 und Macao 1567 die ersten europäischen Kolonien in Fernost gründeten. Den Händlern folgte ab 1581 eine bescheidene Zahl von christlichen Missionaren. Als Vermittler westlicher Wissenschaft standen sie schon bald in der 30 Gunst des Hofes; das Christentum selbst gewann aber nur sehr geringen Einfluß. Die eigentliche Öffnung Chinas wurde 1842 nach dem Opiumkrieg durch die Engländer erzwungen. China mußte sich dem europäischen Handel öffnen und Interventionen und Invasionen von England und Frankreich ertragen und die demütigende Plünderung und Zerstörung des kaiserlichen Sommerpalastes in Peking hinnehmen. Die Chinesen erfuhren bitter die Verquickung von christlicher Missionierung mit Handelsinteressen und imperialistischem Expansionsdrang der Europäer. Auch in Japan erschienen 1543 die Portugiesen als erste Europäer. Sie brachten die Kenntnis der Feuerwaffen mit, eine gewisse Christianisierungstendenz wurde in den folgenden hundert Jahren deutlich und als Bedrohung bestehender Machtverhältnisse empfunden. 1639 kam es daraufhin zur gnadenlosen Verfolgung der Christen und der kompletten Ausrottung des Christentums. Die Einfuhr christlicher Bücher wurde streng verboten, die Abschottungspolitik konsequent betrieben. 1854 erschienen die Amerika- ner mit einem Geschwader von Kriegsschiffen und nötigten den Japanem einen Han- delsvertrag und die Öffnung mehrerer Häfen ab. In rascher Folge wurden auch mit europäischen Ländern Handelsverträge vereinbart und unter dem Kaiser Meiji setzte eine stürmische Modernisierung ein. Spätestens mit dem Sieg über Rußland 1905 hatte sich Japan fest als pazifische Großmacht etabliert. Und nun zu Korea. Die ersten Kenntnisse über Europa gerieten über diplomatische Beziehungen zu China nach Korea. Um 1600 brachte ein Diplomat eine europäische Landkarte mit nach Korea und 1631 gelangten weitere Gegenstände wie Gewehr, Teleskop, Wecker sowie Bücher über Astronomie aus Peking kommend ins Land. 1628 strandete ein bewaffnetes holländisches Handelsschiff an den Küsten Koreas. fan Weltevree, einer der Schiffbrüchigen und im Gießen von Kanonen erfahren, unterwies die Koreaner in Militärtechnik und blieb für den Rest seines Lebens als Offizier (frei- willig oder auch nicht) in Korea. Der Zufall wollte es, daß 25 Jahre später wieder ein holländisches Schiff, das zwischen Formosa (Taiwan) und Nagasaki (Japan) unterwegs war, an der Küste der Insel Cheju in einem Taifun in Seenot geriet. Von 64 Besat- 31 zungsmitgliedern konnten sich 36 an Land retten. In den folgenden 13 Jahren ihrer Gefangenschaft starben 20 Seeleute. Acht entkamen auf abenteuerliche Weise 1666 nach Japan, überlebten und erreichten schließlich sogar die Erlaubnis für ihre Heimreise. Der Anführer, Hendrik Hamel, veröffentlichte 1668 einen Erfahrungs- und Reisebericht. Es ist die erste populär gewordene Kunde über Korea, wenn man einmal von vielen meist kürzeren und eher geographischen Berichten, die schon seit Marco Polos Zeiten Europa erreichten, absieht (Lautensach 1945, S. 36 ff.). Der Bericht wurde mehrfach übersetzt, kommentiert und ediert (Ledyard 1971). Zunächst wurden die gefangenen Holländer in die königliche Garde eingereiht und zeigten was sie konnten und wußten. Sehr viel war es wohl nicht, denn es waren überwiegend wenig qualifizierte Seemänner. Nach nicht allzu langer Zeit fielen sie in Ungnade, wurden vom Hof verbannt und lebten eher als Gefangene denn als Gäste in südlichen Garnisonen. Die ersten Begegnungen Koreas mit Europäern, den eben genannten Seeleuten, können wohl eher unter der Rubrik "Kuriositäten" als unter der von "Kulturaustausch" gebucht werden. Der Einfluß des Katholizismus war dagegen schon ernster zu nehmen. Der deutsche Jesuit Adam Schall von Bell war Mitte des 17. Jahrhunderts als Missionar, mehr aber noch als astronomischer Berater am Kaiserhof in Peking tätig. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später sogar als Präsident des astronomischen Instituts, genoß er Ansehen beim Kaiser. Adam Schall schrieb zu der Zeit auch ein Religionsbuch, eine Art Kate- chismus in chinesisch. Dieses Buch gelangte im Diplomatengepäck 1777 nach Korea. 1784 läßt sich ein junger koreanischer Diplomat in Peking taufen. So kommt das Christentum allmählich nach Korea. "Ohne daß ein Missionar den Boden Koreas betreten hatte, waren in diesem Land viertausend Menschen gewonnen, die an Christus glaubten und auf seinen Namen getauft waren." Das war so bereits 1788 (Ti/man 1961, S. 28). Die katholische Lehre fiel auf günstigen Boden. Ausbeutung, Unterdrückung und starre soziale Hierarchisierung prägten die gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Christen- tum wurde zu einer Herausforderung der oligarchischen Yangban-Gesellschaft. "... the Catholic doctrine of original sin, so unlike the dominant orthodoxy of Neo-Confucianis- 32 mus, evoked a warm response from many out-of-power scholars critical of the existing order" (Lee, K.-B. 1984, S. 239). Die Reaktionen der Machthabenden blieben nicht aus. 1785 wurde die Einfuhr von Büchern aus China grundsätzlich verboten und 1791 der erste Koreaner wegen Verweigerung ritualer Handlungen (Ahnenverehrung) hingerichtet. In der Folgezeit sickerten verkleidete chinesische und französische Priester auf dem Landweg nach Korea ein. Die Zahl ihrer Anhänger vermehrte sich. 1838/39 und besonders 1866 kam es dann zu blutigen Christenverfolgungen, die Tausenden das Leben kostete. In regierenden Kreisen Koreas war der Widerwille gegen die europäische Religion und das arrogante, imperialistische Auftreten der "Westler" in China und Japan auf dem Höhepunkt angelangt. Die Politik der Isolierung wurde härter denn je betrieben. Der koreanische König (Prinzregent) ließ 1866 im Land 100 Gedenksteine aufstellen, deren Text etwa so lautete (Eliseit 1978, S. 139): "Wenn die westlichen Barbaren bei uns einfallen, gibt es nur zwei Mög- lichkeiten: kämpfen oder sich ergeben. Wer freundliche Beziehungen mit den Eindringlingen begünstigt, ist ein Verräter an seinem Land. Ich warne hier- mit unsere Nachkommen für zehntausend Generationen. " Ähnlich steht es bei Kleiner (Kleiner 1992, S. 17). Wesentlich deutlicher läßt sich die Abneigung gegen fremde Einflüsse und die Abwertung anderer Völker kaum ausdrük- ken. In Korea lagen aber neben den Erfahrungen mit dem Christentum als Irritationsfaktor bezüglich der konfuzianischen Gesellschaftsordnung 1866 auch bereits andere, eigene Kontakte mit handel- und händelsuchenden Schiffen aus dem Westen vor. 1816, 1832 und 1845 erforschten englische Schiffe die koreanischen Küsten und trachteten nach Handel. Recht ausführliche Darstellungen dieser aufregenden Epoche der Beziehungen zum Westen haben Kim, lang-Soo und Lautensach geliefert (Kim, l.-S. 1986, S. 3 ff.; Lautensach 1945, S. 45 ff.). Im folgenden werden nur einige Höhepunkte der Ereignisse beschrieben. 33 Als sich herumsprach, daß bei Christenverfolgungen 1839 und 1866 auch französische Priester umgekommen waren, erschienen zunächst drei französische Kriegsschiffe und danach noch einmal sieben und beschossen "zur Vergeltung" die Insel Kanghwa an der Westküste Koreas, nahe der Mündung des Han-Flusses, des Flusses, an dem Seoulliegt. Ebenfalls 1866 versuchte ein amerikanisches Handelsschiff in den Taedong-Fluß nahe Pjöngjang einzulaufen. Es strandete und wurde von der Bevölkerung angezündet und die Besatzung wurde umgebracht. Daraufhin schickten die Amerikaner 1871 fünf Kriegs- schiffe, eigentlich um nach den Vermißten zu suchen und endlich einen Handelsvertrag zu vereinbaren. Außer schweren Gefechten mit den Küstenbatterien der Insel Kanghwa ist nichts überliefert, die Amerikaner zogen schließlich ab. Ein besonderes Aufsehen und große Abscheu erregte ein Hamburger Kaufmann namens Oppert. Oppert ging damals in Shanghai seinen Geschäften nach und versprach sich vom Handel mit Korea lukrative Gewinne. Nachdem es ihm zweimal nicht gelungen war, in Handelsbeziehungen mit Korea zu treten, versuchte er 1868 mit einem Franzo- sen und einem Amerikaner und ca. 100 Chinesen das Grab des Vaters des Prinzregenten zu plündern. Nur zu schwere Steinplatten verhinderten die abenteuerliche Tat in einem Land, in dem Ahnenverehrung einen ganz hohen Stellenwert einnimmt. Kurz, die Erfahrungen der Koreaner mit Amerikanern und Europäern waren tatsächlich nicht ermutigend und einladend. Es wurde schon berichtet, daß es den Japanern als erste gelang (mit Hilfe der rasch erlernten Kanonenbootpolitik), die Koreaner 1876 zur Öffnung des Landes zu zwingen. Die Abschottungspolitik war auf die Dauer auch gegenüber den anderen Mächten nicht durchzuhalten. Unter Vermittlung der Chinesen - sie waren noch der "große Bruder" - kamen in den 80er Jahren in rascher Folge Handel- und Freundschaftsverträge zustande: 1882 mit den USA, 1883 mit Deutschland und England, 1884 mit Rußland und Italien und 1886 mit Frankreich. Damit war die Abschottung Ostasiens im Prinzip aufgehoben. Die Modernisierung im westlichen Sinne begann für Korea zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das Land war militärisch schwach, die Regierung schwankte zwischen pro 34 China (Restauration) und pro Japan (Reformen). Korea geriet an das Ende seiner Selbständigkeit. Westliche Technik erreichte Korea vor allem über Japan, das Christen- tum wurde zunehmend durch evangelische Kirchen aus den USA vertreten. Es soll noch kurz ein Blick auf die deutsch-koreanischen Kontakte geworfen werden. Sie sind gut 110 Jahre alt, wenn man etwa den Vertrag von 1883 als Beginn akzeptiert. Davor gab es auch nur zwei Ereignisse, die praktisch nicht mehr als anekdotischen Charakter hatten. Der erste Deutsche, der nachweislich koreanischen Boden (unerlaubt) betrat, war der protestantische Pfarrer Karl GutzlaJ!. Er hielt sich 1832 einen Monat in der Küstenregion um Incheon auf, missionierte und "lehrte die Bewohner Kartoffeln anzubauen" (Chung, K.-H. 1986, S. 30). Die koreanischen Behörden schoben ihn ab. Der zweite Deutsche dürfte der Kaufmann Oppert gewesen sein, über den schon berichtet wurde. Der koreanische König fühlte sich bei beginnender Öffnung seines Landes in Fragen der Außenpolitik, der Diplomatie, des Seezolls und auch bezüglich innerpolitischer Refor- men überfordert. Er fragte bei der chinesischen Regierung um einen Berater in diesen Angelegenheiten nach. Die Chinesen empfahlen die Einstellung des deutschen Juristen und Sinologen Paul-Georg von Möllendorjf MöllendorJfhatte seine erste Anstellung in China beim Zolldienst in Schanghai, war anschließend als Dolmetscher im deutschen diplomatischen Dienst in Peking, der für die chinesisch-koreanischen Beziehungen zuständig war. Die Qualifikationen dieses ersten deutschen Beraters waren vorzüglich: Fachlich versiert, vertraut mit der Region und einer der zentralen ostasiatischen Sprachen mäch- tig. Im Dezember 1882 reiste MöllendorJf in Korea ein. Der König ernannte ihn zum Vizeminister des neugegründeten koreanischen Auswärtigen Amtes, er wurde wenig später auch Generalinspekteur des Zolldienstes und schließlich 1884 auch noch Direktor der Münzprägeanstalt. Skizzen zur Reorganisation Koreas mit Reformvorschlägen für Regierung, Finanzen, Justiz, Armee, Unterricht, Landwirtschaft, Handwerk und Indu- strie, Handel und Verkehr lagen bald vor, wurden aber erst 1897 in Schanghai abgefaßt 35 (Leifer 1983, S. 81 f.). MöllendorJfwar an den Verträgen mit den USA, Deutschland und England als Vertreter Koreas beteiligt, lud Experten für Landwirtschaft und Handel ein. Er organisierte die Prägung von Münzen und pendelte zwischen den geöffneten Häfen hin und her, um den koreanischen Seezolldienst aufzubauen. Möllendorfjs Wirken war erfolgreich. Noch heute ist seine Person und sein Tun in Korea Gegenstand von Forschung und Seminaren. Sein Engagement in Korea war jedoch nur kurz. Genau drei Jahre nach seiner Ausreise kam er in China wieder an. Verdächtigungen, Intrigen und eifersüchtigem Neid anderer westlicher Nationen fiel er zum Opfer. Der ihm wohlgesonnene König war zu schwach, um ihn zu halten. Das Deutsche Reich war im übrigen mit Paul Georg von MöllendorJf gar nicht zufrieden. Die unabhängige und wissenschaftliche Orientierung und die Loyalität zum koreanischen König trugen ihm vom deutschen Vertreter in Tokyo Feindseligkeiten ein. 1883, noch im Jahr des deutsch-koreanischen Abkommens, wurde eine deutsche Han- delsgesellschaft gegründet, über die zur Modernisierung wichtige Waren nach Korea eingeführt wurden. 1884 kam ein deutscher Vizekonsul und 1886 wurde die Vertretung zum Generalkonsulat aufgewertet. Zur Festigung der Beziehungen besuchte Prinz Heinrich von Preußen 1898 Korea. Im gleichen Jahr wurde eine staatliche Schule für die deutsche Sprache gegründet, um Deutschlandspezialisten auszubilden. Die koreanische Regierung lud 1901 Franz von Eckert ein. F. von Eckert war vorher schon in Japan als Musiklehrer tätig gewesen. In Korea sollte er eine Militärkapelle aufbauen. Eckert blieb bis zu seinem Tode 1916 und machte deutsche Volkslieder und deutsche klassische Musik in Korea populär. Und das sehr nachhaltig. Auch heute noch lernen koreanische Kinder deutsche Volkslieder, nun allerdings mit koreanischem Text. Die Koreaner sind ein singfreudiges Volk und haben wenig Verständnis dafür, wenn einem Deutschen beim gemeinsamen Singen alsbald der Text ausgeht. Das Angebot von Tonträgern mit Musik von z. B. Mozart und Beethoven in Korea steht dem in deutschen Läden in nichts nach und das Angebot in Seoul an Konzerten, natürlich nicht nur der deutschen klassischen Musik, ist beachtlich. 36 Seit 1909 sind Benediktiner-Patres von St. Ottilien in Korea mit Missions- und Sozial- arbeit vertreten. Unter den deutschen Patres befand sich später auch Andre Eckardt, der nach Deutschland zurückkehrte und als Hochschullehrer in München bis 1974 wirkte. Er gilt als erster deutscher Koreanist. Deutschlands Start in Korea war anfangs durchaus erfolgreich. Neben v. Mällendorjf und v. Eckert bekleideten noch mehrere Deutsche wichtige Ämter am Hof und in der Verwaltung. Sie alle prägten ein bis heute sehr positives Deutschlandbild der Koreaner. Die deutsche Diplomatie hingegen blieb in allen Konfliktfällen um Korea neutral und verfolgte keine anderen Interessen als den Schutz des Handels. Der Handel blieb allerdings gänzlich unbedeutend. Der Export nach Korea erreichte 1905 nicht einmal 0,003 % des deutschen Gesamtexports. Zusammenfassend für die Periode von 1883 bis 1910 läßt sich feststellen (Sasse 1984, S.48): "Das deutsch-koreanische Verhältnis war gut, vergleichsweise vertrauensvoll von koreanischer Seite, normalerweise wohlwollend uninterssiert an koreani· schen Problemen von deutscher Seite. " In den Jahren 1910-1945, also während der japanischen Besatzungszeit, gab es keine diplomatischen Beziehungen und die Kontakte schrumpften stark. 1911 sollen sich 59 Deutsche, wohl überwiegend Benediktiner-Mönche in Korea aufgehalten haben. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es bald zwei deutsche und zwei koreanische Staaten, die Paarbildungen entsprachen der weltpolitischen Konstellation. Zwischen Südkorea und der Bundesrepublik Deutschland entwickelten sich rasch gute Beziehungen. 1956 wurden Generalkonsulate eröffnet und diese 1958 zu Botschaften aufgewertet. Deutschland hat mit humanitärer Hilfe und mit Maßnahmen finanzieller und technischer Entwicklungshilfe stark beim Wiederaufbau und bei der Modemisierung Koreas mitgewirkt. Südkorea ist an einem kulturellen Austausch mit Deutschland sehr interessiert. Wohl auch um nicht zu sehr von Japan und den USA dominiert zu werden. 37 Germanistik gibt es an vielen Universitäten und die Deutschkurse am Goethe-Institut in Seoul sind stets ausgebucht (Sasse 1984, S. 55): "Die deutsche Sprache .. , gehört neben Englisch zum Rüstzeug des Gebilde- ten, wobei nicht nur die bewunderte wirtschaftliche und technische Leistung Deutschlands nach dem Kriege ausschlaggebend ist, sondern der immateriel- le Einfluß deutscher Wissenschaftler, Techniker und Kaufleute aus dem Anfang dieses Jahrhunderts zu einem oft geradezu romantischen positiven Bild von Deutschland geführt hat. " 38 2 Koreas Wirtschaft: erst rückständig. dann ausgebeutet. heute dynamisch 2.1 Entwicklung hinter verschlossener Tür Wir Deutsche und unsere Nachbarn sprechen gerne und anerkennend vom "deutschen Wirtschaftswunder" in der Nachkriegsgeschichte. Aber unser wirtschaftlicher Wieder- aufbau ist erklärbar und somit kein eigentliches Wunder. Gewiß gibt es auch Erklärun- gen, warum und wie sich Japan in Windeseile im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in die Position einer Großmacht hineinentwickelte. Obwohl dies m. E. schon sensationeller war als unsere Nachkriegsleistung. Wenn man sich aber die Mühe macht, sich die Entwicklung Koreas, Südkoreas, in den letzten Jahrzehnten vor Augen zu führen, dann bleibt bei allem Erklärbaren schon so etwas wie Wunder nach, vielleicht besser: Rätsel. Es steht die Frage im Raum, ob diese Art von Entwicklung ein Modell für andere Entwicklungsländer sein könnte. Dazu wird später Stellung genommen werden. Zu- nächst jedoch soll versucht werden darzustellen, auf welche ökonomische und welt- anschauliche Geschichte sich die Industrienation Korea eigentlich gründet. Im Koryo-Reich (918-1392) bildete sich unter einer Zentralregierung mit dem König an der Spitze ein Amtsadel aus. Lokale Machthaber, aber auch Rebellenführer aus früherer Zeit und andere starke Persönlichkeiten und Krieger wurden in hohe Ämter berufen und bekamen als Entlohnung Agrarland als Pfründe oder Lehen. Immer wieder in der Geschichte Koreas jedoch mußten Könige zu drastischen Maßnahmen greifen, um die Lehen für den Staat zurückzugewinnen. Das Lehensprinzip beruhte nämlich auf der Grundlage der Nichtvererbbarkeit des Landes. Das Nutzungsrecht sollte prinzipiell auf die Lebenszeit des Amtsträgers begrenzt sein. Der Boden sollte dem Staat als Macht- grundlage erhalten bleiben. Trotz aller, Bemühungen dieses Prinzip durchzuhalten, wird ab dem 12. Jh. Landbesitz erblich, das Staatsland für freie Bauern schrumpfte. Während des Koryo-Reiches war in Korea der Buddhismus vorherrschend, er war Staatsreligion. Zahlreiche Tempelbauten wurden durch den Staat gefördert. Kunst und 39 Wissenschaft wurden vornehmllich durch Mönche gepflegt. Der Konfuzianismus war zwar zur Koryo-Zeit in Korea auch schon verbreitet, aber mehr als soziales Ordnungs- prinzip, denn als das Geistesleben prägende Kraft (Barloewen 1964, S. 215). Das sollte sich in der nächsten Dynastie drastisch ändern. Die Wang-Dynastie, die während 475 Jahren das Koryo-Reich leitete, wurde 1392 gestürzt. Die Gründe waren vielfältig, hauptsächlich aber wirtschaftlicher Natur. Es hatte sich unter der Mongolenherrschaft (1231-1356) eine Gruppe von Großgrundbesitzern entwickelt. Diese Besitzform führte zu zunehmender Verelendung der Bauern und schwindenden Steuereinnahmen des Staates. Schließlich ließen sich die notwendigen wirtschaftlichen Reformen gegen die Macht der Großgrundbesitzer nur kriegerisch-revolutionär durchsetzen. General Yi Songgye übernahm, gestützt auf das Militär, den Kleinadel und die Beamtenschaft, durch Putsch die Macht. Das alte Feldregister wurde verbrannt, der Großgrundbesitz aufgehoben, das Land wurde neu verteilt und damit eine wirtschaftliche Gesundung eingeleitet. Die Zentralgewalt bestand aus dem König, dem Staatsrat, der ihn beriet, der Regie- rungskanzlei und sechs Ministerien oder Ämtern, nämlich für Finanzen, Personalfragen, KultuslRiten, Justiz, KrieglHeer und öffentliche Arbeiten. Die Verwaltung vollzog sich auf folgenden Ebenen: Provinzen, Gaue, Distrikte und Bezirke. Die Verwaltungsorgane wurden mit Beamten besetzt. Ab der Provinzverwaltung aufwärts konnten nur Angehöri- ge der Aristokratie in die Staatsverwaltung gelangen. Zivile und militärische Verwaltun- gen waren strikt getrennt, die zivilen Beamten den Militärbeamten übergeordnet. Nur die Klasse der Aristokraten, Yangban genannt, hatte die Möglichkeit zum Lander- werb. Da die Klassenzugehörigkeit erblich wurde, blieb der Kreis der Yangban unter sich (Kleiner 1980, S. 38). Die Yangban waren streng konfuzianisch erzogen und sollten der Lehre nach als sittlich Edle das Volk führen. In der hierarchisch-patriarchalischen Ordnung hatten die Yangban demnach nicht nur Rechte, sondern auch die Pflicht, sich um das Wohl des Volkes zu kümmern. In den Büchern zur koreanischen Geschichte halten sich die Berichte über den Altruismus dieser Klasse allerdings in engen Grenzen. 40 Die Yangban machten in der ersten Hälfte der Yi-Dynastie, bis zum Anfang des 17. Jh., etwa 10 % des Volkes aus. Danach wuchs diese Klasse an Mitgliedern stark an. Teile der Yangban begannen zu verarmen, weil eine entsprechende Anzahl gut bezahlter Positionen nicht zur Verfügung stand. Das ausgeprägte Klassen- oder Kastensystem kannte neben den Yangban folgende weitere nicht-aristokratische Klassen: Die Chungin. Sie stellten wohl weit weniger als 10% und waren zumeist im niederen Verwaltungs- dienst zu finden. Während die Yangban die "Generalisten" waren (allgemeingebildet), waren die Chungin die "Spezialisten", Fachleute in Verwaltungsfragen und Technik. Sie waren aber auch Ärzte und Dolmetscher. Die Bedeutung der Chungin nahm in der zweiten Hälfte der Yi-Dynastie deutlich zu. Es folgten mit absteigender gesellschaftli- cher Anerkennung die Bauern, dann die Handwerker, schließlich die Kaufleute. Auf der letzten Stufe der Gesellschaft fand sich eine bunte Mischung an: Künstler, buddhistische Mönche, Schamanen, Schlachter und schließlich die Sklaven. Die gesellschaftliche Praxis scheint aber nicht immer mit der Klasseneinteilung übereingestimmt zu haben (Eliseit 1978, S. 272 ff.): "Theoretisch gehörten die buddhistischen Priester und die Schamanen zur untersten Gruppe. In Wirklichkeit jedoch waren sie unerläßlich für viele wichtige Zeremonien, wurden gebraucht für Totengebete, für Exorzismusri- ten, als Heilkundige, als geistige Helfer in den Nöten des Alltags. " Das Kastensystem wurde erst 1894 offiziell aufgehoben. Dabei wurden die Vorrechte der Yangban-Klasse bezüglich der Besetzung hoher Staatsämter beseitigt. Ebenso wurde die Sklaverei beendet. Auch wurde die Kinderheirat und die Ausdehnung von Strafen auf Angehörige von Verbrechern verboten. Die Entwicklung der Wirtschaft verlief in Choson wechselhaft, eher langsam, und wurde durch die japanischen Invasionen am Ende des 16. Jh. stark zurückgeworfen. Choson war keine Handels- oder Seefahrtsnation, sondern ganz dominant agrarisch- bäuerlich geprägt, wie es sich ja auch am Gesellschaftsaufbau ablesen läßt. Hierin liegt 41 übrigens ein ganz erheblicher Unterschied zu japanischen Verhältnissen. Die Japaner hatten zum Wasser, zur Schiffahrt und zur Fischerei eine viel wertschätzendere Position. Das mag durch den folgenden Sachverhalt veranschaulicht werden: Die Fischerei entwickelte sich in Korea erst unter japanischer Kolonialherrschaft. Zwischen 1915 und 1932 verdoppelte sich die Zahl der koreanischen Fischer und der Wert der Fischproduk- tion (unter Beteiligung japanischer Fischfänger) verzehnfachte sich von 1921 bis 1938 (Nahm 1993, S. 240). Gewiß wurden in Choson auch handwerkliche Güter produziert, die Handwerker spielten aber als Gruppe gesellschaftlich keine Rolle. Märkte und Handel entwickelten sich zunächst spärlich. Handel galt als unproduktiv und Händlern wurden oft betrügerische Absichten unterstellt. Dennoch entwickelte sich im 18. Jahr- hundert ein frühkapitalistisches Handelssystem. Als Tauschmittel galten Getreide (Reis) und Textilien (Seide) bis auch Geld eingeführt wurde. Der Geldumlauf hielt sich aber in engen Grenzen, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es noch keine Banken. Im Großhandel wurden aber schon Wechsel und Schecks benutzt. Der zunehmende Handel im Inland und auch bessere Techniken der Landwirtschaft führten allmählich zu größeren Unterschieden zwischen Armen und Reichen. Reichtum bestimmte auch in Korea immer mehr den Status der Menschen. Es kam wie beschrie- ben sogar zur Verarmung von Teilen der Yangban-Klasse, wenn deren Angehörige keine Staatsstelle erwerben konnten. Andererseits gab es Zeiten, in denen Regierungs- ämter gekauft werden konnten - auch von Angehörigen unterhalb der Aristokratie. Das Klassensystem blieb mit Änderungen jedoch weitgehend bestehen (Kleiner 1980, S. 43). "There were Yangban who, effectively excludedfrom office holding, sank to the status of tenant farmers. Thus the relationship between Yangban and commoners, granted that the distinction itself did not disappear, was under- going a significant change in character in the direction of a dass structure based on economic wealth" (Lee, K.-B. 1984, S. 228). Händler und Kaufleute waren, wie schon beschrieben, gesellschaftlich schlecht angese- hen. Sie wurden auch daran gehindert, Land zu erwerben oder grenzüberschreitenden Handel in größerem Stil zu betreiben. Im Grunde setzte die Politik auf Subsistenzwirt- schaft der Dörfer, auf wenig Mobilität und Austausch. Henderson glaubt auch, daß der 42 hohe Grad an gesellschaftlicher Homogenität die Diversifizierung und Variation von Produkten nicht erforderte. Die individuell unterschiedlichen Bedürfnisse waren gering (Henderson 1978, S. 52). Läden gab es wenige, die besseren waren unter staatlicher Kontrolle. Lokale Märkte gab es schon, doch wurde ein Großteil des Handels über Hausierer abgewickelt. Das Land war mit einem Netz von Zehntausenden von Hausie- rern überspannt, diese versorgten die Märkte mit Waren und zogen von Haus zu Haus. Die Hausierer, Menschen aus der untersten Schicht, häufig Heimat- und Obdachlose, schlossen sich zu der einzigen während der Yi-Dynastie existierenden und berichtens- werten Gilde zusammen. Sie entwickelten Regeln der Zusammenarbeit, der Kommuni- kation, interne Führungsstrukturen und Konventionen. Auf diese Weise wurden sie nicht nur Lieferanten und Verteiler, sondern auch die Kontrolleure der Märkte. Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden besondere Beziehungen zum Staat. An der Spitze der Hausierer-Gilden standen mittlerweile Beamten. So übernahmen die Hausie- rer z. B. die Briefverteilung, bevor ein Postsystem eingeführt wurde. Ferner wurden die Gilden als staatliches Spionagenetz benutzt und schließlich auch zu paramilitärischen Einsätzen gerufen (Nahm 1993, S. 105). In diesem Zusammenhang macht Henderson zu Recht auf den bedeutsamen Unterschied zwischen den Gilden der Hausierer in Korea und den Gilden in Europa aufmerksam. Während die letzteren den Versuch darstellten, die zentrale Staatsgewalt zu limitieren und sich Freiräume im Staat zu schaffen, waren die Gilden in Korea nichts anderes als der verlängerte Arm der Regierung (Henderson 1978, S. 52). Als in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts der Handel durch japani- sche Konkurrenz nach der Öffnung des Landes schwieriger wurde, schützten staatliche Verordnungen die überholten Privilegien der Hausierer-Gilde und verhinderten so den notwendigen Modernisierungsprozeß im innerkoreanischen Handel. Ähnlich wie der Handel entwickelte sich auch das Handwerk unter restriktiven Bedin- gungen. Für lange Zeiten war das Handwerk unter staatlicher Regie und eigentlich nur dazu da, den Bedarf des Hofes und der Aristokratie zu decken. Der Bedarf an hand- werklichen Produkten besonders an Textilien für die überwiegende Mehrheit der Menschen, die Bauern, deckte die Landbevölkerung selbst. Im Rahmen der Selbstver- 43 sorgungswirtschaft waren die Bauern, vielfach auch die Frauen, im Nebengewerbe handwerklich produktiv tätig (Kim, H.-S. 1990, S. 76 ff.) Zu Beginn der Yi-Dynastie gab es in der Region um Seoul etwa 130 staatliche Manu- fakturen mit etwa 3.000 Sklaven oder Halbfreien als Beschäftigte und etwa 30 weitere regionale Einrichtungen zur Warenproduktion. Vornehmlich wurden Keramik, Pfeile und Bogen, Reet-Matten, Dachziegel, Landgeräte, Papier, Lederwaren, Gegenstände aus Metall, Seide und Möbel hergestellt (Nahm 1993, S. 104). Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich neben den staatlichen Betrieben auch ein privates Handwerk. Das 17. und 18. Jahrhunde]1 kannte aber noch kaum Handwerker, die mit eigenem Kapital als unabhängige Produzenten auf dem Markt auftraten. Die Aufträge kamen üblicherweise von Händlern, die auch das Rohmaterial lieferten und nur die Arbeitszeit vergüteten. Die Handwerker konnten ihre Waren demnach nur bei den Händlern einliefern, die sie bezahlt hatten. Das Handwerk war also eine Art von Lohnarbeit (Lee, K.-B. 1984, S. 231). In Konkurrenz zu den lizensierten Händlern entwickelten sich im 18. und 19. Jahrhundert Handwerksbetriebe, die mit eigenem Kapital und auf eigenes Risiko Waren produzierten. Dies geschah insbesondere auf dem Gebiet der Bekleidung (Pelzwaren) und auf dem Gebiet der Stahl- und Messingwaren (dekorative Klingen, Geschirr und Gefäße). Es hat wohl zu der Zeit - zumindest im Seouler Raum - auch bei den Handwerkern eine Form von Gilden gegeben. Soweit meine Kenntnisse reichen, war deren Bedeutung jedoch gering und ihre Funktion ähnlich die der Hausierer-Gilde und damit mit dem europäischen Typ von Gilde unvergleichbar. Das starre, autoritäre Regierungssystem, eine korrupte Beamtenschaft, Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung durch Steuern, die konfuzianische Mißachtung von Handel, Technik und Naturwissenschaft führten im 19. Jahrhundert Choson an den Rand des wirtschaftlichen und politischen Abgrunds. Aufstände und Rebellionen überall im Land kennzeichnen die Mitte des Jahrhunderts. In diese Zeit gröbster Mißwirtschaft fällt die schon beschriebene Öffnung Koreas für den internationalen Handel. Japan, das sich als 44 erste Nation 1876 einen Handelsvertrag "erkämpfte", führte aus Korea in den ersten Jahren des Handels mehr ein als es nach dorthin exportierte. Zu den Einfuhren zählten auch große Mengen Baumwollstoffe. Doch das Blatt wendete sich schnell. Nach fünf Jahren importierte Korea Baumwollstoffe aus Japan (Kim, Z.-Q. 1983, S. 277): "Das Problem bestand darin, daß 88% der japanischen Exportwaren nach Korea europäische Produkte waren, so daß Korea zu Japans Wiederaus- fuhrmarkt europäischer Waren wurde. Der Untergang der koreanischen Baumwollindustrie war unvermeidlich, und die anderen Industriezweige hatten das gleiche Schicksal." Es muß für Korea eine wirtschaftlich schlimme Zeit unter der Dominanz des Handels- partners Japan gewesen sein. Die Produktivität der Werkstätten war gering und ebenso gering war die Qualität der produzierten Leder-, Holz- und Metallwaren. Auch Glas, Papier oder Streichhölzer konnten mit den Importen nicht konkurrieren und stellten somit auch keine Exportwaren dar. MöllendorjJ war wohl einer der ersten Experten, die in Verbindung mit den Chinesen die Industrialisierung Koreas einleiten wollten. Er sprach sich besonders für die Moder- nisierung des Bergbaus aus, um über die Gewinnung und den Export von Kohle, Kupfer, Zink, Gold und Silber Kapital zur weiteren Industrialisierung anzusammeln. Technik und die finanziellen Mittel für den Ausbau des Bergbaus mußten vom Ausland kommen. Um die Konzessionen stritten sich Chinesen, Japaner, Engländer und Russen. Die Abhängigkeit Chosons von den Großmächten wuchs bis 1894. Danach war die Abhängigkeit von Japan unübersehbar. Zudem hatten die Koreaner zum Bergbau - der schon damals eine Quelle von Reichtum hätte sein können - ein gespaltenes Verhältnis. Insbesondere die Förderung von Gold und Silber war immer wieder gebremst worden, um nicht die tributeinziehenden Chinesen auf den Geschmack kommen zu lassen. Zum anderen stand ..... die koreanische Auffassung von der Notwendigkeit der Harmonie zwischen Menschen und Natur ..." dem Bergbau entgegen (Park, c.-I. 1983, S. 245). Diese Auffassung hat zweifellos einen Jahrtausende alten Hintergrund in der chinesi- schen Philosophie, nach der der Mensch als Teil der Natur mit der Natur in Eintracht 45 leben soll. Der Mensch ist danach nicht Herrscher über die Natur, die er nach Gutdün- ken ausbeuten darf. Aus rein technischen Gesichtspunkten im Sinne einer Industrialisie- rung ist die alte chinesische und auch koreanische Deutung des Verhältnisses von Mensch und Natur hinderlich. Und so gibt es heute in Korea zwei ganz gegensätzliche Beziehungen der Menschen zur Umwelt. Auf der einen Seite haben die Koreaner immer auch eine für westliche Menschen nicht ganz aufklärbare spirituelle Beziehung z. B. zu "ihren" Bergen, zu denen sie an den Wochenenden massenhaft aufbrechen. Das Berg- wandern ist in Korea mehr als nur Freizeittourismus. So manchem dient die Bergwelt auch als "Klagemauer". Dann hört man von fern einen Koreaner sich seinen ganzen Frust von der Seele schreien. Auf der anderen Seite verändern heute Koreaner ihre Umwelt in gigantischem Stil. Für Straßen- und Gleistrassen, Produktions-, Siedlungs- und Ausstellungsflächen werden Hügel und Berge großzügig durchschnitten oder abgetragen sowie Täler aufgefüllt. Von einem schonenden Umgang mit der Natur ist dabei wenig zu spüren. Bedenken muß man allerdings, daß rund 70% der Fläche Koreas hügelig oder gebirgig ist, und sich damit objektiv Probleme für eine modeme Verkehrs- führung und Landerschließung ergeben. Die Voraussetzungen für eine rasche Industrialisierung waren, wie schon angedeutet, in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht besonders günstig. Fehlendes Kapital, die Erhabenheit der geisteswissenschaftlichen Elite über Technik und Fach- expertenturn, geringe oder keine Ausbildungskapazitäten im technischen Bereich und eine Reservatio mentalis gegen Ausländer waren einige der Hindernisse. Die Vorbehalte gegen Ausländer waren während der Abschottungspolitik ja geradezu geschürt worden, und zu der Angst vor fremden Einflüssen und gar Überfremdung kam eine traditionelle kulturelle Selbsteinschätzung, nach der außer Koreanern und eventuell Chinesen alle anderen Völker Barbaren waren. Gewiß gab es in der Phase von der Öffnung Koreas bis zur Kolonisierung durch die Japaner auch einige ausländische Berater in Korea, wie z. B. der schon mehrfach zitierte Paul Georg von Möllendorfj. Nur war die Zahl der Berater sehr gering und ihre Einsatz- zeit war meist kurz. Sie fielen politischen Kursänderungen oder Intrigen der um Einfluß ringenden Großmächte zum Opfer. 46 Japan hatte einen anderen Weg beschritten. Um möglichst rasch in den Besitz von Fachkenntnissen und technischem Know how zu kommen, wurde eine größere Anzahl von Ausländern von den japanischen Behörden eingestellt und ihr Wissen systematisch verwertet und übernommen. Um 1885 waren aus neun Nationalitäten 230 ausländische Experten in Japan beschäftigt. Um nur die drei größten Gruppen zu nennen (Kirn, Z-Q. 1983, S. 279): 84 Engländer 62 Amerikaner 37 Deutsche. Der Unterschied zwischen den in Korea und Japan tätigen Experten war wahrscheinlich nicht nur ein quantitativer. Ich vermute, daß die Japaner die ausländischen Fachleute im wesentlichen "instrumentell" einsetzten, das heißt, nicht so sehr mit Führungs- und Entscheidungsaufgaben betrauten, sondern an ihrer Sachkompetenz in modernen techni- schen und verwaltenden Sektoren interessiert waren. Im Gegensatz dazu hatten die hochrangigen Ausländer nahe der koreanischen Führungsspitze salopp gesagt eher den Charakter "exotischer Blüten". Sie waren sicher nicht ohne unmittelbaren Einfluß, vermochten aber wohl doch nicht dauerhafte wirtschaftliche Schubkraft zu entfachen. Die koreanische Regierung war sich durchaus bewußt, daß im Verzuge der Öffnung Koreas naturwissenschaftliche Kenntnisse und technisches Wissen dringend erworben werden mußten. Sie fragte deshalb 1879 in China an, ob die Chinesen willens wären, Koreaner in modernen Technologien auszubilden. Die Chinesen stimmten zu und so reisten 1881 38 Studenten nach China. Diese entwicklungspolitische Maßnahme wurde jedoch bereits nach wenigen Monaten abgebrochen. Einmal waren es wohl politische Gründe. In Seoul brach 1882 eine Revolte schlecht bezahlter Militärs aus, was zu instabilen Verhältnissen am koreanischen Hof führte, und ein militärisches Eingreifen des großen Bruders China nach sich zog. Zum anderen erklärten die Chinesen, daß es nicht machbar sei, den Stand der Technik den koreanischen Studenten in zwei bis drei Jahren zu vermitteln. Sie schlugen den Koreanern einen anderen Weg vor und schickten einen chinesischen Experten als Begleiter von P. G. von MöllendorJf nach Seoul. Dort wurde vereinbart, die koreanischen Studenten aus China zurückzurufen und dafür aus 47 China eine größere Zahl kleinerer Maschinen zu beziehen. Diese Maschinen sollten in einer Fabrik zu Ausbildungszwecken für Jugendliche aufgebaut werden. Die chinesische Regierung schenkte Korea zur Unterstützung der Ausbildung 74 ins chinesische über- setzte Bücher zu diversen naturwissenschaftlich-technischen Fachgebieten. Nähere Einzelheiten über diese frühe Form der Berufsbildungshilfe habe ich nicht finden können. Auch ist unklar, welche Rolle von Möllendorjf in diesem Projekt gespielt hat. Fest steht nur, daß Möllendorjf sowohl eine naturwissenschaftliche als auch eine technische Hochschule zu gründen empfahl. Der koreanische Adel lehnte die Gründun- gen ab, da sie ihm zu revolutionär erschienen (Park, c.-I. 1983, S. 247 f.). 2.2 Entwicklung zur Ausbeutung. Korea als Kolonie Es ist ausgesprochen schwierig, über die erste Phase der Modernisierung Koreas ausgewogen zu berichten. Denn der positive Aspekt ist untrennbar verbunden mit der schamlosen Ausbeutung des Landes durch die Japaner. Auf das Problem wurde weiter oben schon hingewiesen. Der japanische Kolonialismus war eigentlich ein "verspäteter Kolonialismus", wenn man ihn z. B. mit der Kolonisierung Lateinamerikas vergleicht. Letztere ging an der Wende zum ZOsten Jahrhundert nach 450 Jahren zu Ende. Die Kolonialbestrebungen Japans unterschieden sich von allen früheren Kolonisationen dadurch, daß sie sich auf unmittelbare Nachbarstaaten wie Korea, Taiwan und die Mandschurei bezogen. Das hatte kurze Transport- und Kommunikationswege zur Folge und vereinfachte die Integration der Gebiete in das System der japanischen Ökonomie. "Die Kolonien erfüllten für den industriellen Nachzügler Japan im wesentlichen vier Funktionen: sie dienten als Nahrungsmittelreservoir, Rohstofflieferant, Absatzmarkt und Standort für Auslagerungsindustrien" (Messner 1994, S. 170). Die offizielle Kolonialperiode dauerte von 1910 bis 1945, bis zur Kapitulation Japans am Ende des zweiten Weltkriegs. Oe facto setzte der Kolonialstatus schon fünf Jahre früher ein mit dem Protektoratsvertrag von 1905. Durch diesen Vertrag wurden die 48 internationalen Beziehungen Koreas durch das japanische Außenministerium kontrolliert und ein japanischer Generalresident am koreanischen Hof beeinflußte maßgebend die Innenpolitik des Landes. In diese "koloniale Vorphase" fiel 1909 die Gründung der Nationalbank Choson. Sie stand von Anbeginn unter japanischer Aufsicht. Die Kolonialzeit kann man in drei Phasen einteilen. In den ersten Jahren, etwa von 1910 bis 1919, stand der Aufbau einer repressiven Verwaltung im Vordergrund. Das koreanische Militär wurde aufgelöst, Presse- und Versammlungsfreiheit aufgehoben und ein polizeistaatliches Regierungssystem einge- richtet. Ab 1911 mußten alle koreanischen Handels- und Industriebetriebe einen japani- schen Co-Investor oder einen japanischen BetriebsleiterIManager nachweisen, wenn sie nicht geschlossen werden wollten. Wie sich die Besitzverhältnisse durch diese Gesetzge- bung entwickelten, zeigen folgende Zahlen: 1911 besaßen Japaner 109 Unternehmen in Korea, die im Handel, Bergbau, produzie- renden Gewerbe oder in der Fischerei tätig waren. 1918 war die Zahl der Betriebe auf 262 angewachsen. In koreanischem Besitz befanden sich 1911 gerade 27 (meist auch noch recht kleine) Unternehmungen und 1918 waren es 39 (Nahm 1993, S. 227). Auf der anderen Seite kommt mit der Ankunft der japanischen Zaibatsu-Firmen auch Kenntnis im modemen Handels- und Finanzgeschäft ins Land. Die Methode, das Land unter Zuhilfenahme gigantischer Firmen (Konglomerate) zu entwickeln, wird ein halbes Jahrhundert später von den Koreanern nachgeahmt. Dann heißen die Giganten nicht mehr "Zaibatsu" (japanisch), sondern "Chaebol" (koreanisch). Eine andere Besitzumverteilung wurde durch eine Landreform herbeigeführt. Zwischen 1910 und 1918 wurde durch die Kolonialmacht eine umfassende Landvermessung durchgeführt. Es ging dabei um eine Bestandsaufnahme des kultivierbaren Bodens, um Klassifizierung und Registrierung und schließlich auch um Umverteilung. Eine große Zahl koreanischer Bauern verlor ihr Land, weil sie entweder ihre Besitzansprüche nicht belegen konnten oder ihr Eigentum aus Mangel an Informationen nicht in der richtigen 49 Form geltend machten. Die Klasse der Yangban kam zwar nicht ungeschoren davon, wurde aber keineswegs etwa völlig enteignet. Das durch die Japaner konfiszierte Land machte 40% des Bodens für Land- und Forstwirtschaft aus. Dieses Land wurde teilwei- se japanischen Großproduzenten wie der Oriental Development Company überlassen und teilweise an eine große Zahl einwandernder japanischer Bauern preiswert verkauft. Im übrigen kennzeichnet die erste Phase die Periode des Aufbaus einer Infrastruktur. Es wurden Straßen gebaut, Häfen erweitert und Bewässerungsdämme angelegt. Das Ziel der zweiten Phase von ca. 1920 bis 1930 war es, die Produktion von Lebens- mitteln, insbesondere Reis, ganz erheblich zu steigern. Veranlassung war der wachsende Bedarf Japans. Dazu wurden Versuchsstationen gegründet, landwirtschaftliche Fach- und Trainingsschulen eingerichtet, das Saatgut verbessert, die Düngerproduktion gesteigert und mehr technisches Gerät eingesetzt. Tatsächlich konnte die Reisproduktion zwischen 1910 und 1940 um fast 50% gesteigert werden, die Produktion anderer Getreidearten blieb jedoch gleich, so daß zusammengerechnet die Kornproduktion nur um 18% stieg. Ab 1940 ging aus Gründen der forcierten Kriegsproduktion und damit fehlender Ar- beitskräfte auf dem Land die Reisproduktion drastisch zurück und lag 1944 wieder auf dem Niveau von 1910. Unter Berücksichtigung des bedeutenden Exports nach Japan, 1935 waren es ca. 40% der Kornproduktion, und der sprunghaft wachsender koreani- scher Bevölkerung, kam es beim Pro-Kopf-Verbrauch zu erheblicher Verminderung für die koreanische Bevölkerung. Die folgenden Zahlen sind wegen statistischer Mängel mit Vorsicht zu betrachten, zeigen aber doch wohl überzeugend eine zunehmende Ver- elendung der Kolonie (Abb. 1). Die dritte Phase der Kolonialzeit von 1931 bis 1945 galt der Industrialisierung Koreas. Genaugenommen geschah das aber nicht um Koreas willen, sondern als Ergänzungs- maßnahme zur Verbesserung der japanischen Ökonomie. Die Japaner investierten in das Transport- und Verkehrswesen und bauten das Eisenbahnnetz von der Hafenstadt Pusan bis an die chinesische Grenze aus. Der Grund war vor allem, um leichter an die nordko- reanischen und mandschurischen Bergbaugebiete und Rohstoffquellen heranzukommen. Über die Ausbeutung der Gold-, Eisen- und Kohlequellen liegt wenig gesichertes 50 Datenmaterial vor. Die Japaner hielten aus militärischen Gründen die Zahlen über Fördermengen geheim. Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Getreide in Korea Jahr Reis andere Getreide Summe in hl in hl in hl 1910 1,44 ca 3 ca 4,4 1915-19 1,28 2,39 3,67 1920-24 1,15 2,42 3,57 1925-29 0,92 2,35 3,27 1930-36 0,77 2,19 2,96 1937 1,02 1,67 2,69 1938 1,27 1,53 2,8 1939 1,40 1,60 3,0 1940 1,10 1,48 2,58 1941 1,30 1,29 2,59 1942 1,33 1,14 2,47 1943 1,04 0,89 1,93 1944 0,94 1,23 2,17 1945 1,01 0,90 1,91 Quelle: Kim, H.-S. 1990, S. 119. Abb.l Zunächst wurde nachdrücklich die Leichtindustrie gefördert, und zwar Betriebe der Nahrungsmittelverarbeitung, der Textilproduktion, der Keramikherstellung und der für Druckerzeugnisse. Später, etwa ab 1936, bei zunehmend kriegerischen Absichten Japans kam es zum Aufbau auch von Schwerindustrie in Korea, vor allem im chemischen Bereich. Insbesondere wurden Dünger und Sprengstoff in Korea produziert. Viele der Betriebe der Leichtindustrie und praktisch alle Unternehmen der Schwerindustrie und die Kraftwerke waren im Besitz von acht japanischen Firmen. Nach Kim, Hae-Soon, lassen sich fünf Formen aufzeigen, die zusammengenommen die damalige Industrialisierungsperiode kennzeichnen (Kim, H.-S. 1990, S. 132f): 51 1. Die Staatsebene Hier sind die von der Kolonialverwaltung vorgenommenen Investitionen in Straßenbau, Post, Telefon und in die Monopoluntemehmen der Tabak-, Ginseng- und Salzproduktion zu subsumieren. 2. Großbetriebe Diese waren ausschließlich in japanischem Besitz und produzierten vor allem für den Export nach Japan. Grundlage waren koreanische Rohstoffe, die bis zu unterschiedli- chen Veredlungsstufen im Lande verarbeitet wurden. Die Investitionsgüter für diese Anlagen kamen nur zu einem ganz kleinen Teil aus Korea. 3. Japanische Klein- und Mittelbetriebe und 4. Koreanische Klein- und Mittelbetriebe In diesen Betrieben wurden überwiegend Lebensmittel sowie land- und forstwirt- schaftliche Rohstoffe für den Export nach Japan oder zum Konsum der in Korea lebenden Japaner verarbeitet. Die japanischen Betriebe verfügten durchschnittlich über sechseinhalbmal soviel Kapital wie vergleichbare koreanische Betriebe. S. Koreanische Kleinbetriebe Sie deckten vor allem den Bedarf der koreanischen Bevölkerung an Konsumgütern. Diese Betriebe waren wirtschaftlich sehr schwach und produzierten auf niedrigem Lohnniveau billige Waren. Die Tabelle 2 zeigt sowohl die deutliche Schwerpunktverlagerung von der Leicht- zur Schwerindustrie als auch die Produktionssteigerungen überhaupt. Die japanische Kolonialpolitik folgte zwei entgegengesetzten Strategien. Zum einen versuchte sie, mit aller Härte die Assimilation der Koreaner in das japanische Imperium zu betreiben: Verehrung des japanischen Kaisers wurde verlangt Änderung der koreanischen Namen in japanische angeordnet Verbot der koreanischen Sprache im Schulunterricht durchgesetzt. 52 Industrieproduktion nach Branchen in Korea 1929-43 (in Mio Yen und %) I I 1929 ~J 1937 I % I 1940 I % [1ill(%) Schwerindustrie 67,9 19,3 437,4 45,6 1027,4 54,8 . Chemie 17,4 5,0 304,9 31,8 699,4 37,3 29 Metall 20,4 5,8 50,8 5,3 129,7 6,9 14 Steine u. Erden 9,2 2,6 25,1 2,6 61,7 3,3 6 Maschinenbau 4,5 1,3 16,6 1,7 76,7 4,1 Gas u. Strom 16,4 4,7 40,1 4,2 60,6 3,2 Leichtindustrie 283,6 80,7 521,7 54,4 846,2 45,2 Textil 38,2 10,9 141,2 14,7 232,2 12,4 19 Holzverarbeitung 7,7 2,2 11,7 1,2 35,0 1,9 Lebensmittel 223,4 63,6 238,0 24,8 373,4 19,9 17 Druck 10,0 2,8 16,3 1,7 19,1 1,0 Verschiedenes 4,3 1,2 114,7 12,0 186,5 10,0 Gesamt 351,5 100,0 959,3 100,0 1873,6 100,0 Quelle: Kim, H.-S. 1990, S. 125. Abb.2 Zum anderen verfolgten die Japaner eine ausgesprochene Apartheidspolitik. Koreaner hatten weder in der Verwaltung noch in der Wirtschaft Chancen, gehobene und hohe Funktionen auszuüben. Wie unausgewogen die Verteilung nach Berufen zwischen Japanern und Koreanern war, zeigt anschaulich die Abb. 3. Auch bei den Lohnzahlungen wurde zwischen Japanern und Koreanern unterschieden. Eigentlich lagen einheitliche Lohntabellen für Industriearbeiter zugrunde. Durch ein "Zuschlagssystem11 für Japaner entstand de facto folgendes Bild auf der Basis von 1931: Ein japanischer Arbeiter verdiente am Tag 1,89 Yen, sein koreanischer Kollege jedoch nicht einmal die Hälfte: 0,85 Yen. Für Frauen, sowieso unterprivilegiert, sahen die Löhne so aus: Japanerinnen täglich 0,85 Yen; Koreanerinnen nur 0,46 Yen (Nahm 1993, S.249). 53 Verteilung nach Berufen von Koreanern und Japanern in Korea (%) Koreaner Japaner 1 I 1920 I 1929 1 1938 11 1920 I 1929 I 1938 1 Landwirtschaft 87,1 81,8 75,5 11,5 8,3 5,3 Fischerei 1,1 1,5 1,5 3,2 2,5 1,5 Bergbau 1,9 2,2 1,2 - - 2,3 Industrie - - 2,6 17,8 14,5 16,2 Handel 5,6 6,3 6,5 - - 23,4 Kommunikation - - 0,9 33,7 30,2 5,9 Öffentliche und soziale Dienste 1,7 2,5 2,9 29,3 34,2 38,1 Andere 1,7 4,3 7,0 3,7 6,9 2,9 Nicht berufstätig 0,9 1,4 1,7 1,4 3,4 4,0 Quelle: Kim, H.-S. 1990, S. 98. Abb.3 Die Japaner hatten bis zum Ende der Kolonialzeit wenig soziale Kontakte mit Korea- nern und blieben weitestgehend unter sich. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung war nicht sehr hoch: Er stieg von 1910 mit 1,2% auf 1940 mit 2,8%. Durch das rapide Bevölkerungswachstum der Koreaner bedeutete es in absoluten Zahlen allerdings wesentlich mehr als eine gute Verdoppelung: Waren es 1910 rund 170 Tausend Japaner, so wuchs ihre Zahl in Korea bis 1940 auf 650 Tausend. Der Grad der Vermischung der beiden Völker war verblüffend gering. Eine japanische Statistik aus dem Jahr 1937 sagt aus, daß bei den damals vorhandenen 630.000 Japanern in Korea folgende Mischehen bestanden: 664 Japaner hatten eine koreanische Ehefrau 474 Japanerinnen waren mit einem koreanischen Mann verheiratet. Die Koreaner wehrten sich im übrigen erbittert gegen die kulturelle, rechtliche und ökonomische Unterdrückung mit zahllosen großen und kleinen Aufständen, Streiks und Sabotageakten. Die Japaner ihrerseits griffen hart und gnadenlos durch. Die Zuneigung der Völker untereinander hielt sich in sehr engen Grenzen, die Assimilationspolitik 54 scheiterte gänzlich "The Koreans and the Japanese were neither united, nor amalgama- ted" (Nahm 1993, S. 260). Die Bevölkerungsstruktur veränderte sich in Korea zwischen den Jahren 1910 und 1945 ganz beträchtlich. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich von rund 13 Millionen auf ca. 26 Millionen. Zum erstenmal in der Geschichte kam es zu erheblichen Abwanderungen von Koreanern aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet. 800.000 koreanische Arbeitskräfte waren bis 1938 freiwillig nach Japan übergesie- delt, weil sie dort etwa das Doppelte verdienten 280.000 Koreaner wurden in den Folgejahren nach Japan zwangsverpflichtet 1.300.000 Koreaner lebten bei Kriegsende in der Mandschurei Teilweise waren sie aus Korea vor Unterdrückung geflohen, teilweise von den Japanern als Arbeitskräfte dorthin verschleppt worden 200.000 Koreaner flohen in die Sowjetunion 100.000 Koreaner flohen nach China. 2.3 Südkoreas Wirtschaft: The Success Story Im Herbst 1945 ging die Kolonialzeit durch die bedingungslose Kapitulation Japans zu Ende. Es setzte daraufhin wieder eine Wanderung vieler Menschen ein. Es wird ge- schätzt, daß sich auf südkoreanischem Gebiet 1945 etwa 16.000.000 Koreaner befanden. Kurz darauf waren es ca. 20 % mehr (Henderson 1978, S. 137): 1.100.000 Koreaner kehrten aus Japan zurück 120.000 Koreaner kamen aus China und der Mandschurei 1.800.000 Koreaner flohen aus Nordkorea in den Süden. Hinzu kam mit 3,1 % ein sehr hoher Geburtenüberschuß. Hungersnöte waren die Folge. Bis in die 70er Jahre kam die Landbevölkerung in abgelegenen Regionen im frühen Frühjahr in eine prekäre Versorgungslage. 55 Es zogen auch Menschen aus Korea wieder aus: 1945 wurden 885.000 Japaner zu- rückgesiedelt, unter ihnen etwa eine Viertelmillion, die sich aus der Mandschurei und Nordkorea abgesetzt hatten. Südkorea, und auf diesen Landesteil beschränkt sich im folgenden meine Darstellung, befand sich in einer trostlosen Lage. Beim technischen Know how bestand eine erhebliche Abhängigkeit von Japan. Von den 6.100 Ingenieuren blieben nach dem Abzug der Japaner nur 1.100 koreanische Inge- nieure nach. Auch 70 % aller Techniker waren Japaner gewesen und nach 1945 nicht mehr verfügbar. Die Folge war, daß viele Schlüsselbetriebe nicht weiterzuführen waren. "Die Abhängigkeit vom 'Mutterland' war für die weitere Entwicklung bereits verankert" (Kim, H.-S. 1990, S. 134). Aber es fehlten keineswegs nur Fachkräfte für die Produk- tion, sondern es fehlte an geschultem Verwaltungspersonal, an Wissenschaftlern, an Politikern - und schließlich auch an Kapital. Die Mehrheit der Jugend war ohne Aus- bildung. Die Inflation nahm abenteuerliche Dimensionen an. Zur Verzweiflung trieb die Koreaner auch, daß die Amerikaner und Russen nicht als Befreier, sondern als Besat- zungsmächte kamen (Nahm 1993, S. 259, 329). Abgesehen davon, daß die Koreaner in dem Zustand, in dem sie sich befanden, wahr- scheinlich nicht in der Lage gewesen wären, sich selbst zu verwalten und zu regieren, waren die Amerikaner daran interessiert, mit Südkorea ein antikommunistisches Boll- werk in strategisch wichtiger Lage zu errichten. Vorbereitet auf die zeitweilige Ver- waltung Südkoreas waren sie allerdings überhaupt nicht. Die amerikanische Besatzungszeit dauerte genau drei Jahre. Danach ging die Regie- rungsgewalt am 15.8.1948 auf eine südkoreanische Regierung unter dem Präsidenten Syngman Rhee über. Nach der Besatzungszeit wurde eine Landreform geplant, die dann 1950 inkraft trat. Der ehemals japanische Besitz fiel dem koreanischen Staat zu. Auch alle Großgrundbesitzer wurden enteignet. Es wurden jedoch Entschädigungen geleistet, meistens in Form von Wertpapieren, bezogen auf die von den Japanern hinterlassenen Industriebetriebe. Das Gesetz von 1950 legte fest, daß jede Bauernfamilie nicht mehr als 3 ha Anbaufläche 56 besitzen sollte. Ein großer Anteil der sich in staatlicher Hand befindlichen landwirt- schaftlichen Nutzfläche wurde an Bauern verkauft. Südkorea erhielt von den USA beträchtliche Wirtschaftshilfe. Neben Lebensmittellieferungen im großen Stil deckte die US-Finanzhilfe bedeutende Teile des Militärhaushalts und im Rahmen der Defizitdek- kung bis in die 60er Jahre etwa die Hälfte des koreanischen Haushalts. Der koreanischen Wirtschaft blieb lange nach Ende des zweiten Weltkriegs keine reale Chance, sich zu erholen. Auf die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 folgten nur zwei Jahre erster Anstrengungen. Dann kam es von 1950 bis 1953 zu dem verheerenden Korea-Krieg. Korea war im zweiten Weltkrieg nicht bombardiert worden und Boden- kämpfe hatte es auch nur unbedeutender Art gegeben. Was die Japaner an Industrie und Infrastruktur aufgebaut hatten, fiel im Süden den US-Streitkräften und später dem südkoreanischen Staat unversehrt in die Hände. Der Koreakrieg sorgte dafür, daß nun vieles zerstört wurde (Lee, K.-B. 1984, S. 381): "About 43% of manufacturing facilities, 41% of electrical generating capa- city, and about 50% of the coal mines in South Korea were destroyed or damaged. One-third of the nation's housing was destroyed, and substantial proportions of the country's public buildings, roads, bridges, ports and the like also were reduced to ruins. " Die Japaner hatten den Norden und den Süden ihrer Kolonie sich recht unterschiedlich entwickeln lassen, was bei der Teilung des Landes zu einer weiteren erheblichen Schieflage der Wirtschaft führte. So waren praktisch alle Kraftwerke in Nordkorea aufgebaut und ebenso die Schwerindustrie in diesem Landesteil angesiedelt worden. Die Tabelle 4 veranschaulicht die Lage von 1945. Durch den Koreakrieg war die koreanische Wirtschaft um keinen Schritt vorange- kommen. Der kriegsbedingten Ankurbelung standen die Schäden gegenüber (Kim, H.-S. 1990, S. 151): "Südkorea stagnierte nach der langen Kolonialzeit und der Zerstörung durch den Korea-Krieg. Es fehlte auch die innere Fähigkeit, Wirtschafts- und Entwicklungshilfe flexibel und effektiv zu handhaben." 57 Produktion in Süd- und Nordkorea Vergleich in %, 1945 I Kategorie I Südkorea I Nordkorea I Stahl 5 95 Energie 10 90 Chemie 15 85 Kohle 20 80 Nahrungsmittel 65 35 Maschinenbau 65 35 Konsumgüter 80 20 Quelle: Lee, K.-ß. 1984, S. 376. Abb.4 Die Jahre von 1955 bis 1962 gelten zwar als eine Art Erholungsphase mit leicht ansteigendem Bruttosozialprodukt. Das Pro-Kopf-Einkommen lag aber auch 1959 erst bei 83 US $, was nichts anderes bedeutete, als daß der Großteil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebte (Dege 1978, S. 279). Das stürmische Wachstum der Wirtschaft Koreas begann nach einem Militärputsch 1961 unter Präsident Park, Chung Hee. An die Macht kamen jüngere in den Militärakade- mien ausgebildete Technokraten. Sie übernahmen die Wirtschaftsplanung und unterstell- ten die Wirtschaft einer ungewöhnlich straffen Regierungskontrolle. Es folgten Jahre einer Art Kommandowirtschaft: "The free enterprise system was kept but the govem- ment became deeply involved in the economic affairs of both public and private sectors" (Nahm 1993, S. 484). Der Staat war nicht nur durch den Putsch stark geworden, sondern durch das Fehlen einflußreicher sozialer Schichten sozusagen die einzige "gesellschaftsgestaltende" Kraft im Land. Die Agraroligarchie, die Klasse der Yangban, war untergegangen, eine neue führende Schicht wie z. B. die einer Industriebourgeoisie hatte sich noch nicht heraus- bilden können. Die Regierung, die alle Banken besaß, über die alle ausländischen Hilfsmittel floßen und die das Erbe der Japaner in den Händen hielt bevorzugte bei ihrer Wirtschafts- 58 politik eine recht kleine Zahl untemehmerischer Familien. Präsident Park war ein glühender Verehrer der Meiji-Reformen. Diese Reformen hatten Japan im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in die Modeme katapultiert. Dabei entstanden große, ja riesige Familienunternehmen und -finanzimperien. So förderte der koreanische Staat unter Park und seinem Nachfolger Chun ebenso die Entstehung privater Groß- und Mischkonzerne, die international wettbewerbsfähig waren und den Zugang zur Weltwirtschaft fanden. Auch heute spielen die Chaebol eine große Rolle. So erwirtschafteten die vier größten koreanischen Chaebol etwa ein Fünftel der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes (BIP) und die 30 größten Chaebol erreichen etwa drei Viertel des BIP. Die 724 Großunternehmen (Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten) stellen nur 0,01 % aller Betriebe dar, beschäftigen aber etwa 35% aller Arbeitnehmer und sind mit 52% des Bruttoproduktionswertes ein unübersehbarer Faktor im verarbeitenden Sektor (Statistisches Bundesamt 1992, S. 81). Ab 1961/62 setzte der koreanische Staat vor- nehmlich auf Exportorientierung als Mittel wirtschaftlicher Entwicklung: Konzentration der inländischen Kräfte auf die Exportindustrie Subventionierung der Exportwirtschaft durch die Binnenwirtschaft Ausnutzung preiswerter und disziplinierter Arbeitskräfte Hohe Sparquote und Reinvestition des Kapitals Günstige Investitionsbedingungen für ausländisches Kapital. Die koreanische Wirtschaft arbeitet als "guided economy" seit der Militärregierung von 1961 unter Beachtung von Fünfjahresplänen (Kim, H.-S. 1990, S. 178 ff; Dege 1978, S. 278 ff.; Messner 1994, S. 178 ff; Statistisches Bundesamt 1992, S. 142). 1. Plan 1962·66 Im ersten Fünfjahresplan lag der Schwerpunkt im Ausbau der Infrastruktur, um aus- ländische Investoren anzulocken und im Aufbau einer Konstumgüterindustrie, um importunabhängiger zu werden. 59 2. Plan 1967·71 Vorangetrieben wurde eine exportorientierte Leichtindustrie. Niedrige Löhne ließen Korea zu einem führenden Exporteur von Textilien, Sperrholz und anderen arbeits- intensiven Produkten werden. 3. Plan 1972·76 Zum Export von Produkten der Leichtindustrie kam jetzt vorrangig die Förderung der Schwerindustrie. Großzügig dimensionierte Werften übernahmen Schiffsbauaufträge. Der Auf- und Ausbau der chemischen und elektrotechnischen Industrie wurde vor- angetrieben. Von Bedeutung wurde auch die Bauindustrie, die Bauprojekte im Nahen Osten und anderswo übernahm. 4. Plan 1977·81 Im vierten Fünfjahresplan wurde vor allem im Maschinenbau diversifiziert. Es kam in dieser Periode zum ersten Mal auch zu Einbrüchen im Export, da es zu protektio- nistischen Maßnahmen der Industrieländer karn, die bei Import koreanischer Waren nun auf Öffnung des koreanischen Marktes für ihre Waren drängten. s. Plan 1982·86 In dieser Phase wurde vorrangig die Elektronikindustrie, die Automobilindustrie und die Chemieindustrie ausgebaut. 6. Plan 1986·91 Für diese Jahre war die Fortführung des vorherigen Planes vorgesehen mit dem Ziel, hinsichtlich des Wohlstandes breiter Schichten das Niveau der Industrieländer zu erreichen. 7. Plan 1992·96 Das Programm geht von folgenden Eckdaten aus: Jährliches Wachstum (BIP) von 7,5 %, Exportwachstum um 9 %. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf soll sich bis 1996 auf 60 11.000 US $ verdoppeln. Investitionen und öffentliche Förderung sollen weiterhin besonders in technologie- und kapitalintensive modeme Industrien gelenkt werden. Die folgende Tabelle zeigt, mit welcher Geschwindigkeit sich Südkorea vom Agrarland zum Industriestaat entwickelt hat: Entwicklung der drei Wirtschaftsbereiche (in %) I I 1953 I 1960 I 1970 I 1979 I 1986 I 1990 I Primärbereich 48,2 44,3 30,4 18,8 13,8 9,7 Sekundärbereich 8,8 10,1 19,5 33,9 43,3 44,8 Tertiärbereich 43,0 45,6 50,1 47,3 42,9 46,1 Quelle: Sasse/Oh, I.-J. 1994, S. 28. Abb.5 Die beachtliche Entwicklungsleistung Koreas war nur durch einen harten Industriali- sierungskurs möglich und forderte den Arbeitnehmern über viele Jahre hohe soziale Opfer ab. Inzwischen ist das Lohnniveau deutlich angestiegen und auch ein Sozial- versicherungssystem ist im Entstehen. "Selbst wenn die gesetzten Ziele (des 7. Fünfjahresplans, d. V.) angesichts der Restrukturierungstendenzen in der Weltwirtschaft nicht vollständig eingelöst werden könnten, besteht wenig Zweifel daran. daß SK (Südkorea, d. V.) am Ende des Jahrhunderts zu den modernsten Okonomien der Welt zählen wird (Messner 1994, S.186)." Welche Faktoren sind es nun eigentlich, die diese ungewöhnlich schnelle und erfolgrei- che Wirtschaftsentwicklung möglich machten? Kann man im Fall von Südkorea von einem Entwicklungsmodell sprechen, das als Vorbild für andere Entwicklungsländer dienen kann? Feiert hier nicht die totgesagte Modernisierungstheorie praktische Ur- ständ? Die Fragen sind leichter gestellt als beantwortet. Blickt man zur Vergewisserung in die Literatur, so wird Korea häufig nicht als Einzel- fall betrachtet, sondern als ein Land von mehreren, denen gemeinsam ist, sich rasch in 61 eine Industrie-Gesellschaft gewandelt zu haben. Das sind neben Südkorea Taiwan, Singapur und Hongkong. Und dann wird zusätzlich auf Japan gesehen, das für die allenneisten Experten Vorreiterfunktion für die anderen ostasiatischenlsüdostasiatischen Staaten ausübt. Ich will im folgenden in aller Kürze versuchen, einige der Erklärungsfaktoren zu nennen. Es lassen sich m. E. zwei Grupen von Argumenten bilden, nämlich die staat- lich-politische sowie die sozio-kulturelle Gruppe. Die Industrialisierung scheint dann am besten zu gelingen, wenn ein starker Staat entsprechende wirtschaftspolitische Vorgaben machen kann und zur Durchsetzung traditionelle Wertvorstellungen zu instrumentalisie- ren vennag (pohl 1995 a, S. 40). Auf die Grundvoraussetzung "starker Staat" für eine nachholende Entwicklung ist an vielen Stellen hingewiesen worden. Als stark gilt ein Staat, wenn er sich gegen interne, überkommene Kräftegruppierungen durchzusetzen vennag und mit Hilfe z. B. einer kompetenten Staatsbürokratie ein eigenes Entwicklungsprojekt durchsetzen kann (Hwang, B.-D. 1989, S. 150 ff.). Die vier genannten Länder sind starke Staaten, wobei den entwicklungspolitisch positiven Aspekten die allgemeinpolitischen Nachteile gegenüberstehen: Es sind eher autoritär-diktatorische als pluralistisch-demokratische Staaten. Die Stärke eines Staates wird unterstützt, wenn es sich im Land, wie in Korea, um eine möglichst ethnisch homogene Bevölkerung handelt, die auch nicht durch religiöse Streitigkeiten bestimmt wird und sich gut in einen Nationalstaat einbringen läßt. Hohes, gemeinsames Nationalbewußtsein stärkt die Stellung des Staates weiter. Auf die Homo- genität einerseits und die Funktion des Antikommunismus für die Ausprägung eines besonderen nationalen Bewußtseins andererseits hat für Korea Hwang, Byung-Duck hingewiesen (Hwang, B.-D. 1989, S. 171 ff.). Ein Mißverständnis sollte vennieden werden, nämlich die Gleichsetzungen nach dem Muster: starker Staat gleich autoritär, schwacher Staat gleich liberal. Die meisten Länder 62 der Dritten Welt gelten als "schwache Staaten" oder "Diktaturen ohne Entwicklung". Ihre Schwäche liegt in der Unfähigkeit, sich gegenüber gesellschaftlichen Machtgruppen durchzusetzen, in vielfältigen Formen von Korruption, in einer schwachen, unzuver- lässigen Verwaltung und häufig auch in einer ethnisch, religiös und sprachlich heteroge- nen Bevölkerung. Neben der Stärke des Staates kommt es dann auf eine wirkungsvolle Wirtschaftspolitik an. Gore hat die Entwicklungsstrategie Japans nach dem Zweiten Weltkrieg analysiert und herausgefunden, was Japan so erfolgreich machte. Ein Element war, daß Japan vermied, seine ganze Industrie gleichzeitig zu entwickeln. Es suchte sich jeweils einen erfolgversprechenden Zweig heraus und förderte diesen zunächst im Hinblick auf die Deckung des eigenen Bedarfs. War die Industrie dann erfahren und wettbewerbsfähig geworden, wurde von der Importsubstitution auf Exportexpansion umgestellt (Gore 1995, S. 6). Die Koreaner folgten unter ihrem ersten Präsidenten Syngman Rhee einer auf eine autonome Wirtschaftsentwicklung abzielenden Entwicklungspolitik. Rhee setzte auf ein rein importsubstituierendes Industrialisierungskonzept. Die Strategie scheiterte an mangelhaften Voraussetzungen. Es fehlten Rohstoffe, Energie, Management und ein entsprechend großer Markt. Die amerikanischen Wirtschaftsberater drangen alsbald darauf, den "nationalistischen" Weg zu verlassen und die während der Kolonialherr- schaft der Japaner angelegte lohnintensive Textil- und Verarbeitungsindustrie wieder aufzubauen und exportorientiert auszuweiten (Luther 1983, S. 122 f.). Die Amerikaner empfahlen, was die Japaner taten und Korea folgte dem Weg. Allerdings kam es erst nach der durch Militärputsch endenden Aera Rhee 1961 zu stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen, also zu jenem "starken" Staat, der dann das Konzept durchsetzen konnte. Was dann folgte, hat Dege so zusammengefaßt (Dege 1986, S. 523): ')1n den Außenhandelsstatistiken Südkoreas läßt sich deutlich ablesen, wie sich Leichtindustrie undSchwerindustrie einerseits sowie Importsubstitutions- Industrialisierung und Exportindustrialisierung andererseits fast modellhaft gegenseitig bedingten und in sechs Schritten die heutige Industriestruktur des Landes entstehen ließen." 63 Die Exportorientierung der Industrie war - das ist die einmütige Einschätzung der Experten - der einzig mögliche Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung (Hillebrand 1990, S. 15). Denn Rohstoffe oder landwirtschaftliche Produkte hat Korea als Exportgüter nicht zur Verfügung. Messner hält das fast für einen Glücksfall. Am Beispiel süd- amerikanischer Staaten zeigt er auf, daß es zu keiner positiven Entwicklung kommt, wenn die Industrie auf dem Niveau der Importsubstitution verharrt und die Einfuhr von Waren durch Ausfuhr von Rohstoffen ausgeglichen wird (Messner 1988, S. 145): "In der ex-post Analyse stellt sich dieser Mangel an natürlichen Reichtümern geradezu als eine Produktivkraft dar: die mdteriellen Produktionsgrundlagen boten keine Alternative zum Ausbau industrieller Kapazitäten und zum Export von leichtindustrielIen Produkten, während der Obergang von der Agrarexport- zur Industriegesellschaft in anderen Entwicklungsgesellschaften paradoxerweise gerade am Reichtum von Rohstoffen und landwirtschaftli- chen Nutzflächen scheiterte." Die zweite Gruppe von Erklärungen für eine erfolgreiche Entwicklung setzt sich aus sozio-kulturellen Faktoren zusammen. Als erstes stößt man auf die Frage, ob der Konfuzianismus eine kapitalistisch-industrielle Wirtschaftsweise fördert oder behindert. Max Weber hat in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts in seinen umfangreichen Studien zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen herausgearbeitet, daß die puritanisch- protestantische Ethik von besonderer Bedeutung für die Entstehung kapitalistisch- industrieller Strukturen war. Bei der Betrachtung des Konfuzianismus und der Suche nach entwicklungsfördemden oder -hemmenden Elementen gesteht Weber der kon- fuzianischen Geisteshaltung ein großes Maß an diesseitsorientierter Rationalität zu. Den wohl entscheidendsten Unterschied zwischen der protestantischen und der konfuziani- schen Rationalität sieht Weber in den unterschiedlichen Folgerungen für den Bezug zur Welt (Weber, M. 1991, S. 207): "'Rationalismus', dies ist für uns die zweite Lehre. enthielt der Geist beider Ethiken. Aber nur die überweltlich orientierte puritanische rationale Ethik führte den innerweltlichen ökonomischen Rationalismus in seinen Konsequen- 64 zen durch, gerade weil ihr an sich nichts ferner lag als eben dies, gerade weil ihr die innerweltliche Arbeit nur Ausdruck des Strebens nach einem transzendenten Ziel war. Die Welt fiel ihr, der Verheißung gemäß, zu, weil sie 'allein nach ihrem Gott und dessen Gerechtigkeit getrachtet' hatte. Denn da liegt der Grundunterschied dieser beiden Arten von 'Rationalismus'. Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritanische Rationalismus: rationale Beherrschung der Welt." Wenngleich in konfuzianisch geprägten Gesellschaften der Kapitalismus nicht entstehen konnte, wie Weber ausführt, so ist er doch der Ansicht, daß aufgrund des ausgeprägten Rationalismus eine Übernahme kapitalistisch-industrieller Strukturmerkmale durchaus denkbar sei. Er prognostizierte (Weber, M. 1991, S. 208): "Der Chinese würde, aller Voraussicht nach, ebenso fähig, vermutlich noch fähiger sein als der Japaner, sich den technisch und ökonomisch im neuzeit- lichen Kulturgebiet zur Vollentwicklung gelangten Kapitalismus anzueignen. Es ist offenbar gar nicht daran zu denken, daß er für dessen Anforderungen etwa von Natur aus 'nicht begabt' wäre." Gelegentlich trifft man in der Literatur heutzutage auf eine Begrifflichkeit, die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Weber entwickelt wurde. "Confucian Capitalism" heißt es, sei das Ergebnis des kulturellen Erbes der ostasiatischen Länder (lchikawa 1994, S. 48). Damit wird ausgedrückt, daß die moderne Industriegesellschaft nicht etwa im Widerspruch oder in der Konfrontation mit der Kultur Ostasiens empfunden wird. Ferner sieht Ichikawa in der asiatischen Form des Kapitalismus eine "parallele" Ent- wicklung und er deutet damit an, daß es auch ohne "Anstoß von außen" zu einer Modernisierung der ostasiatischen Länder gekommen wäre. So verblüffend überzeugend sich Webers Studie für meine Begriffe auch heute noch lesen läßt, so muß man sich doch wohl hüten, den Grund aller Modernität im christli- chen Westen zu suchen. Die Gefahr einer eurozentristischen Sicht ist nicht gering und beginnt möglicherweise bereits bei Begriffen wie "nachholender Entwicklung". Auch 65 "Modernität" ist keineswegs ein universal oder kulturunabhängiger Begriff. Darauf hat z. B. Georg aufmerksam gemacht (Georg 1994, S. 10): "Die ökonomischen Erfolge Japans und anderer ostasiatischer Länder zwingen zu der Feststellung, daß inzwischen andere modeme Welten ent- standen sind, deren kulturelle Besonderheiten nicht nur in marginalen Differenzen zum tradierten Modernitätsbegriff des Westens liegen, sondern die im Zuge ihrer gesellschaftlichen Transformation etwas qualitativ Neues hervorgebracht haben, dessen Phänomene sich unserer bisherigen Vorstel- lung von Modernität weitgehend entziehen. " Welche Merkmale lassen sich nun nennen, die konfuzianisch geprägten Gesellschaften zugeschrieben werden und für eine autbolende Entwicklung positiv gedeutet werden können? Einige, die in der Literatur besonders häufig genannt werden, fasse ich kurz zusammen. Dabei beziehe ich mich u. a. auf folgende Literatur: Machetzki 1993, S. 11 ff.; Pohl 1995 a, S. 40 ff.; Weggel 1991, S. 45 ff.; Weggel 1993, S. 223 ff. Leistung Es besteht eine ausgeprägte Anerkennung von Leistung und damit verbunden sind emsiger Fleiß und Disziplin. Schon im alten China bestand Leistung als Auswahl- kriterium für die Elite. Lernethik Wenn Leistung als erstes Aufstiegskriterium gilt, muß Lernwilligkeit weit verbreitet sein. Die Bewohner Ostasiens haben eine hohe Lernkultur, Bildung wird sehr geschätzt. Diese Gesellschaften haben sich lemfähiger erwiesen als viele andere. Sparsamkeit Es ist in Ostasien aus Tradition üblich, weniger hemmungslos zu konsumieren als eisern zu sparen. Eine alte Erkenntnis gilt allgemein als anerkannt: Wohlstand entsteht nur bei Aktivität in der Produktion und Passivität im Konsum. 66 Gruppenorientierung Das "Ich" wird zurückgestellt zugunsten eines "Wir-Gefühls". Diese Familiennorm wurde früher auch auf das Leben im Dorf übertragen und wird heute in den Betrieb miteingebracht. Diese Miteinander-Mentalität steht im krassen Widerspruch zu Klassen- kampftheorien und der Theorie des gesellschaftlichen Grundwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Das kooperativ-loyale Verhalten ermöglicht besondere Formen der Teamarbeit. Ich gehe davon aus, daß Kultur im weitesten Sinne einen ganz erheblichen Einfluß auf die technisch-ökonomische Entwicklung hat. Mit anderen Worten, ich hänge keiner materialistischen Philosophie und keiner ökonomistischen Lehre an. Ohne daß hier Platz ist, in die Dauerdiskussion über die Rolle von Kultur im ökonomischen Entwicklungs- prozeß einzutreten, muß Position bezogen werden, weil sonst eine Aussage über den Modellcharakter Koreas für andere Entwicklungsländer nicht gut möglich ist. Ich folge hier Francis Fukuyama, der in seinem Bestseller: "Konfuzius und Marktwirtschaft" eine Fülle von Beispielen zusammengestellt hat, wieviel Einfluß kulturelle Werte, und zwar ganz überwiegend vormoderne, traditionelle Einstellungen auf die Wirtschaftsweise haben (Fukuyama 1995). Solange sich die kulturellen Unterschiede in Grenzen halten, können Länder gewiß voneinander lernen, können Vorbilder wichtig sein. Ohne den Eigenständigkeiten der sehr nationalbewußten ostasiatischen Länder Abbruch tun zu wollen, stimme ich mit einer Vielzahl von Autoren über die Vorbildfunktion von Japan überein. Japan, Korea und China stehen aber auch seit Jahrhunderten in engen kulturellen Austauschbeziehun- gen, wie im ersten Kapitel versucht wurde zu verdeutlichen. Ob sich der Entwicklungs- weg, den Japan, Südkorea und Taiwan gegangen sin~, von anderen Ländern beschreiten läßt, halte ich für sehr fraglich. Mit Spannung ist abzuwarten, wie sich die Entwicklung von Thailand, Malaysia und Indonesien vollzieht. Hier handelt es sich im Vergleich mit Ostasien um ganz unterschiedliche Kulturen. Wahrscheinlich werden diese Länder auch nach eigenen Strategien unter Berücksichtigung ihrer Traditionen ihren Weg finden 67 müssen. Nach meiner Einschätzung sind die kulturellen Vorbedingungen für eine Modernisierung in den ostasiatischen Ländern ungleich günstiger, als in der südost- asiatischen Region. Vielleicht bietet Vietnam hier eine Ausnahme. 68 3 Chinesische Philosophie in Korea: Einfluß und Nachwirkung 3.1 Vin und Yang als nationales Symbol Noch vor einigen Jahren bekam man bei der Einreise über den Flughafen Kimpo, Seoul, am Stand des koreanischen Fremdenverkehrsamtes recht gutes Karten- und Informa- tionsmaterial. Man bekam auch eine kleine Fahne, für Tischständer geeignet, ausgehän- digt. Betrachtet man die Fahne Südkoreas nun etwas genauer, so gibt sie einige Ein- sichten in das nationale Selbstverständnis preis. Die Fahne ist nicht neu, etwa nach der Befreiung 1945 oder nach der Teilung 1953 entwickelt. Die nordkoreanische Fahne hingegen bricht mit vorhergehender Symbolik und signalisiert mit zentral angeordnetem roten Stern das Bekenntnis des Landes zum Kommunismus. Die südkoreanische Fahne ist die des Choson-Reiches, der Vi-Dynastie. Sie symbolisiert damit auch Anschluß an einen historischen Abschnitt Koreas, der durch Übernahme und Konservierung konfuzianischer Geisteshaltung und Ordnungsvorstellungen für Familie und Staat geprägt war und dessen Regierungssystem als vordemokratisch, autoritär- aristokratisch bezeichnet werden kann. Nun spielt möglicherweise auch die Konkurrenz mit Nordkorea um die Nachfolge oder Statthalterschaft ganz Koreas eine Rolle. Die Übernahme der alten Fahne mag auch als Symbol verstanden werden, daß sich Südko- rea als Verwalter des historischen nationalen Erbes versteht. Etwa in diesem Sinne wird die Fortführung der Symbolik auch in einer offiziellen koreanischen Veröffentlichung gerechtfertigt: "... it is illogical that astate, which did not succeed to the national flag of its predecessor, talks about its succession to the statehood of the forerunner" (Suh, K.-S. 1983, S. 97). Wenn es auch richtig ist zu sagen, daß die südkoreanische Fahne die des Choson- Reiches (1392 - 1910) ist, so ist die Fahne doch insgesamt jünger als auf den ersten Blick vermutet werden muß. 69 So lange die ostasiatischen Länder recht abgeschlossen von anderen Teilen der Welt blieben, gab es auch keine zwingende Veranlassung, eine nationale Fahne zu haben. Das "Flaggezeigen" wurde für Korea erst zu einem Problem, als nach der Öffnung des Landes 1876 in rascher Folge Handels- und Freundschaftsverträge mit europäischen und amerikanischen Staaten abgeschlossen wurden. An fremden Schiffen und auf Häusern von Diplomaten zeigten sich nun Hoheitszeichen verschiedener Nationen. Korea geriet in Zugzwang. Zur Modernisierung, das heißt hier Teilhabe am Welthandel und am Weltgeschehen, wurde eine nationale Fahne gebraucht. Wer die Fahne tatsächlich entwarf, ist nicht mehr genau zu klären. Vermutlich war es ein koreanischer Diplomat in Japan, der die Fahne 1882 als erster hißte. Fest steht, daß ab 1.1.1883 diese Fahne zum offiziellen Symbol amtlich bestimmt wurde. Es ist also nicht nur das Choson-Reich, an das die Fahne erinnert, sondern auch an den Aufbruch in die Moderne. Diese Entwicklung wurde, wie beschrieben, alsbald von den Japanern in demütigender Weise umgeleitet. Während der Kolonialzeit war es streng verboten, diese Fahne zu zeigen. So wurde sie fast automatisch auch zum Symbol patriotischen Widerstandes und zum Zeichen nationaler Identität. Insofern steckt etwas Logik darin, die Fahne unverändert weiterzuführen: Sie überbrückt die koloniale Fremd- herrschaft. Ganz anders als bei uns spielt die Fahne bei öffentlichen Veranstaltungen, Gedenktagen, Schulentlassungen und bei anderen Anlässen in Korea eine ernste Rolle und ist unbestritten ein Gegenstand von Ehrerbietung. Die Fahne ist aber, abgesehen von ihrer nationalsymbolischen Bedeutung, eigentlich aus einem anderen Grund von Interesse. Die dargestellten Symbole reichen in ihrer Dar- stellungsweise bis ganz tief in die koreanische Geschichte zurück - sind aber nicht koreanischen Ursprungs. Bewußt oder unbewußt lehnt sich die für die Fahne gewählte Symbolik an die chinesische Kultur als der früheren koreanischen Leitkultur an. Da diese Symbole bis in die Gegenwart eine ganz erhebliche Bedeutung für das Weltver- ständnis und gesellschaftliche Ordnungsdenken spielen, soll auf sie etwas näher einge- gangen werden. Die Fahne ist am Schluß des Buches abgebildet. 70 Der Kreis zeigt zwei kommaförmige Figuren, das Yin und das Yang. Dem Yin wird das Dunkle zugeordnet und dem Yang das Helle. Die koreanische Fahne zeigt in der unteren Kreishälfte das Yin, blau dargestellt, denn blau gilt als dunkle Farbe und in der oberen Hälfte in rot das Yang. Rot gilt als helle Farbe. Die Chinesen kennen keinen Schöpfungsmythos, der z. B. mit dem der Genesis ver- gleichbar wäre. In der chinesischen Geistesgeschichte finden sich hingegen mehrere Variationen zur Erklärung der Entstehung der Welt. Es handelt sich dabei aber nicht um Mythen, sondern um recht abstrakte Theorien. Sie sind alle nach einem ähnlichen Schema aufgebaut. Eine präexistente Kraft scheidet das Chaos, eine bis dahin undiffe- renzierte und gestaltlose Welt, in zwei aktive Prinzipien, nämlich das Yin und das Yang. Durch diesen gegensätzlichen und sich auch ergänzenden Dualismus bilden und ordnen sich allmählich alle Dinge und Wesen des Weltalls (Soymie 1977, S. 266). Es beginnt mit der Entstehung des Makrokosmos. Dem männlichen Yang entspricht der Himmel, dem weiblichen Yin die Erde. Auch das menschliche Leben, begriffen als Mikrokosmos, unterliegt ganz dem Wirken von Yin und Yang. Yin und Yang sind zunächst vorstellbar als recht unpersönliche, abstrakte kosmische Kräfte bzw. Ordnungs- kategorien, die auf eine fast unbegrenzte Zahl konkreter Verhältnisse, Beziehungen oder Eigenschaftspaare hin ausgelegt werden können. Abb. 6 zeigt vielfach genannte Zuordnungen (Lanczkowski 1989, S. 88; Yüan-Kuang 1993, S. 12 f.). Vermutlich haben die chinesischen Philosophen auf Grund der Unterscheidung von zwei Geschlechtern auch dem Raum, der Zeit, dem Kosmos und der Gesellschaft eine zweiteilige Struktur zugeschrieben (Granet 1993, S. 107). 71 Zuordnung von Eigenschaften und Bedeutungen Yin Yang Mond Sonne Erde Himmel weiblich männlich passiv aktiv Fluß Berg Wasser Feuer beschatteter Hang besonnter Hang Norden Süden Winter Sommer Kälte Wärme Dunkelheit Licht Tod Leben schwarz I blau weiß I rot Abb.6 Für die Deutung von Yin und Yang in zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen übersetzt Granet einen alten chinesischen Aphorismus (Granet 1993, S. 89): "Erst das Yin, dann das Yang das ist das Tao Hier das Yin, dort das Yang das ist das Tao" Yin und Yang wurden nachgewiesen ab dem 3. Jahrhundert v. ehr. in der frühen Kalenderkunde und Astronomie gebraucht. Das Yang stand für Sonneneinfall, Wärme, Sommer. Zum zeitlichen Wechsel von Sommer und Winter, Wärme und Kälte, heiterem und trübem Wetter, kam eine geographische Bedeutung hinzu. Das Yin bedeutete dann z. B. beschattete Hänge, Nordhänge, das Yang zeigte besonnte Hänge, Südhänge an. So spielten Yin und Yang in Verbindung mit dem Orakel eine wichtige Rolle bei der Bestimmung von Siedlungsplätzen oder der Ortswahl für eine Hauptstadt. Auch heute noch gibt es in Südkorea Geomanter, Männer, die von wohlhabenden Familien beauf- tragt werden, z. B. den für einen Verstorbenen angemessenen Beerdigungsplatz zu suchen. 72 Neben den räumlichen und zeitlichen Bedeutungen stellen Yin und Yang auch die typischen Paarbeziehungen dar: Yin das Weibliche, Yang das Männliche. Somit gibt es drei Beziehungsarten: Der Wechsel im zeitlich-zyklischen sich untereinander Ablösen, wie z. B. erst Yin, dann Yang oder einmal Yin, einmal Yang. Der Gegensatz von wechselseitig Wirksamem, ein sich gegenseitig Durchdringen, wie z. B. hier Yin, dort Yang oder einerseits Yin, andererseits Yang. Das Paar Yin und Yang als Gleichklang erzeugende harmonische Verbindung. Yin und Yang sind zwei Teile, Seiten oder Hälften eines Ganzen. Der gegensätzliche Charakter der beiden ist nicht absolut. Insofern ist den Zuordnungen eine Grenze gesetzt. Gut und Böse oder Sein und Nichtsein oder andere antagonistische Wider- sprüche lassen sich nicht mit Yin und Yang beschreiben. Es sind also relative Gegen- sätzlichkeiten, die zusammen gedacht werden müssen und, was besonders wichtig ist, sie sind nicht in einem statischen Zustand. Vielmehr rivalisieren Yin und Yang in einem rhythmischen Prozeß. Es ist ein Fortschreiten, eine Ablösung des einen durch das andere oder auch die Wiederkehr des einen nach dem anderen. Auf einen Winter folgt ein Sommer, auf das Reichwerden die Verarmung (Yüan-Kung 1993, S. 12): "Der Wechsel der Kräfte von Yin und Yang bildet das kosmische Gleichge- wicht, ein unbeständiges aber lebendiges Gleichgewicht und die Forderung nach den wechselseitigen Ausgleichen." Mit Yin und Yang beschreiben die Chinesen die Regelmäßigkeit von Naturprozessen und auch die der menschlichen Beziehungen. Es wird nicht die Herrschaft von Gesetzen oder ein Kampf unbeseelter Kräfte angenommen, sondern die Verhältnisse, die die Welt, die Natur und den Menschen bestimmen, werden als ein Geben und Nehmen empfun- den. Es ist eine Grundvorstellung, daß sich der Mensch dem jährlichen Kreislauf anpaßt und sich bemüht, in Harmonie mit dem Kosmos zu leben (Glasenapp 1959, S. 94 ff; Granet 1993, S. 86 ff; Needham 1988, S. 209 ff). 73 Zurück zur Fahne. Heute deuten die Südkoreaner das Yin- und Yang-Symbol in ihrer Fahne folgendermaßen: "The central thought in the Taeguk-ki (koreanische Fahne, d. V.) indicates that while there is a constant movement within the sphere of infinity, there are also balance and harmony" (MOE 1994, S. 136). Ein Wort noch zu den vier Strichzeichen, die den Kreis auf der Fahne umstehen. Sie werden Trigramme genannt. Auch die Striche symbolisieren Yin und Yang. Die durch- gezogenen Linien versinnbildlichen die männliche Urkraft Yang und die unterbrochen dargestellten Linien die der weiblichen Urkraft. Die Trigramme entstammen einer der ältesten chinesischen Schriften, dem Buch der Wandlungen, dem I-ching. Es ist ein Orakelbuch mit ausführlichen Deutungen der Kombination von je zwei der acht mögli- chen Trigramme. Dieses Buch gehörte im übrigen zum festen Bestand konfuzianischer Studienanstrengungen. In frühen chinesischen Darstellungen wird der Kosmos nun in folgender Form abgebildet: In der Mitte repräsentiert der Kreis mit Yin und Yang Himmel und Erde. Die acht möglichen Trigramme umstehen dieses Symbol und deuten die acht Himmelsrichtungen an: N, NO, 0, SO, S, SW, Wund NW. Die Trigramme und ihre Kombinationen können aber viel mehr andeuten als nur Richtungen. Heute deuten die Südkoreaner die Trigramme in ihrer Fahne mit Himmel, Erde, Feuer und Wasser (Staatliches Koreanisches Fremdenverkehrsamt 1991, S. 5). 3.2 Konfuzianismus: Ordnung in Familie, Gesellschaft und Staat Der Konfuzianismus trat in Korea etwa zeitgleich mit dem Buddhismus in Erscheinung. Das war zur Zeit der Drei Königreiche. Gegen 370 n. Chr. wurde der Konfuzianismus schulmäßig verbreitet und bestimmte zumindest in den Königreichen Paekche und Silla die Verwaltungsstrukturen. Die offizielle Lehre oder besser gesagt die durch die Höfe anerkannte Religion war aber - im Gegensatz zu China - lange Zeit der Buddhismus. Der Buddhismus behielt seine führende Rolle als Staatsreligion auch während des Koryo-Reiches (918 - 1392). Erst nach dem Niedergang dieses Reiches und mit der 74 Errichtung der Vi-Dynastie (1392 - 1910) änderte sich die Lage einschneidend. Der Konfuzianismus wurde zur staatstragenden Philosophie. Der bis dahin herrschende Buddhismus wurde im Einfluß zurückgedrängt, viele Klöster wurden enteignet oder geschlossen und die Zahl der Mönche wurde begrenzt. Als Religion blieb der Buddhis- mus in Korea aber bis heute durchaus lebendig und selbständig. Ganz im Gegensatz zu der dritten Lehre, die aus China nach Korea kam: dem Taoismus (der Lehre vom Dau). Der Taoismus konnte die Bedeutung der anderen beiden genannten Lehren in Korea nicht erreichen, obwohl er das Geistesleben mitprägte. Er ging auf die Dauer eine Verbindung mit sehr frühen koreanischen Religionsvorstellungen ein und verschmolz schließlich um die Mitte der Vi-Dynastie mit dem Volksglauben und dem Schamanis- mus (Kim, M.-S. 1986, S. 8). Mit der Dominanz des Konfuzianismus als geistiger Kraft begann die für Koreas Kultur entscheidende historische Epoche. Wenn man heute nach Korea reist, dann ist fast alles, was einem fremd, eigentümlich-andersartig, typisch koreanisch entgegentritt, Resultat der Epoche von 1392 bis 1910. Diese Zeit wird nach ihrem Begründer, dem General und späteren König Yi Songgye als Vi-Dynastie bezeichnet. Korea legte den Namen Koryo ab und wurde während dieser Zeit Choson genannt. Die konfuzianische Lehre beschreibt eine Gesellschaftsordnung, die auf der Familie als Grundeinheit aufbaut. Die Ordnung in der patriarchalischen Familie wird insbesondere durch die Festlegung von Pflichten der Untergeordneten gesichert. Dem Vater als Familienoberhaupt muß von der Frau, den Kindern und den Bediensteten Gehorsam und Ehrerbietung entgegengebracht werden. Das verlangte Verhalten kulminiert im Begriff der Pietät, besonders der Kinder-Pietät. Die Kinder als Untergeordnete schulden dem Vater als Übergeordneten Ehrfurcht und Respekt unter strikter Einhaltung der über- lieferten Sitten und Gebräuche. Aber auch der Vater ist Sohn und zu lebenslanger Fürsorge für seine Eltern verpflichtet. Nach dem Tode der Eltern wird die Pietät in der Form der Ahnenverehrung fortgesetzt. Auch heute noch ist das höchste Ereignis im national-kulturellen Sinn das herbstliche Vollmondfest "Chusok". Es findet gegen Ende September statt und trägt Züge eines Erntedankfestes. An diesen Tagen, es sind drei 75 Feiertage, treffen sich die Familien an den Gräbern ihrer Vorfahren und opfern Speisen und Getränke. Dieses Brauchtum ist noch so tief verwurzelt, daß wochenlang vorher alle Bahn- und Busfahrkarten restlos ausverkauft sind und sich zu Festbeginn und -ende auf den Straßen ein unbeschreibliches Verkehrschaos aufbaut. Der Grund für die strapaziösen Reiseaktivitäten liegt darin, daß die Städter Koreas ganz überwiegend als "zugewandert" gelten können. Ihre persönlich wichtigen Familienbeziehungen und ihre Ahnen lassen sie zu bestimmten Ereignissen, wie Chusok eins ist, wieder in ihre ursprüngliche ländliche Heimat zurückkehren. So trifft sich die ganze Familie wenig- stens einmal im Jahr, was den Zusammenhang fördert. Das dürfte auch ein Ziel des Brauchs der konfuzianischen Ahnenverehrung sein. Das immer noch recht schwache Rentensystem hält bis heute die traditionelle materielle Fürsorgepflicht der Kinder für ihre alten Eltern aufrecht. Im Pflegefall gehört es zu den Pflichten des ältesten Sohnes, die Eltern oder Vater bzw. Mutter in seiner Wohnung aufzunehmen. Es findet sich in den "Gesprächen" Lun Yü, die Konfuzius mit seinen Schülern geführt hat, eine Textstelle, in der die Kombination von Dienst und Respekt gegenüber den Eltern deutlich gemacht wird: "Dse-yo fragte, was Kindesliebe sei. Der Meister sprach: Die Eltern zu ernähren, meint man heutzutag. wenn man von Kindesliebe spricht. Selbst Hund und Pferd ernährt man doch. Was unterschiede denn von Hund und Pferd die Eltern, wenn man ihnen nicht in Ehrfurcht diente!" (L Y. 2,7). Anmerkung zur Zitierweise: Die "Gespräche" Lun Yü sind kapitelweise durchnumeriert. Zitate daraus werden deswegen mit "L. Y." und der Ord- nungsnummer belegt. Ganz überwiegend halte ich mich an die Übertragung von E. Schwarz. Der Konfuzianismus kennt keine prinzipielle Unterscheidung der Verhaltensweisen in einer Familie von denen in der Gesellschaft. In den westlichen Soziologien hingegen finden sich klare Trennungen der Sphären. Früher wurde dies unter dem Gegensatz von "Gemeinschaft" und "Gesellschaft" abgehandelt. Es sei an die berühmte Schrift von 76 Tönnies erinnert. Heute wird der Gegensatz bevorzugt unter den Begriffen "Primärgrup- pe" und "Sekundärgruppe" thematisiert. Der Unterschied ist deutlich. In Primärgruppen basieren die Beziehungen mehr auf emotional-affektiven Verhaltensmustern, während in Sekundärgruppen das Verhalten mehr sachlich-rational orientiert ist. Liebe und Vertrauen sind typische Verhaltensweisen in sozialen Primärgruppen wie Familie und Freundschaft. Wer sich aber z. B. einen Ministerpräsidenten als Landesvater vorstellt und die Bürger damit zu Landeskindern macht, fällt in ein Untertanendenken zurück. Für unsere Begriffe soll man Amtsinhaber nicht lieben, sondern kontrollieren. Konfuzius und seine Nachfolger sahen das anders. Max Weber hat das Ergebnis der Übertragung von familiären Ordnungsvorstellungen auf den Staat als "patrimoniale Herrschaft" bezeichnet. In dieser Herrschaftsform ist die Bindung an die vorgesetzte Person, den Herrscher, dominant. Bei Beamten oder Ange- stellten heißt das, daß die Diensttreue kraft Tradition und Pietät persönlich auf den Ranghöheren bezogen ist. Die Alternative dazu sieht Weber in der unpersönlichen Bindung der Funktionsinhaber an generelle, sachliche Regeln, Normen und Gesetze (Weber, M. 1968, S. 437 f.). Der Konfuzianismus wirkt auch diesbezüglich in Südkorea noch spürbar nach. Die Pflege der persönlichen Beziehungen ist für den Ausgang und Erfolg beratender, kaufmännischer und verwaltender Aktivitäten ganz entscheidend. Ohne persönliches Vertrauen läuft wenig. Mehr noch, ein anderer wird erst zum "Menschen", wenn zu ihm Beziehungen aufgenommen werden konnten und so eine Verankerung in der sozialen Hierarchie des Ersteren ermöglicht wurde. Erst dann sind Koreaner überaus höflich, freundlich und hilfsbereit. In der Anonymität des Straßenverkehrs oder von Warenhäu- sern geht es vielfach erstaunlich egoistisch und rüpelhaft zu - man kennt sich nicht. Die chinesische Philosophie beschreibt den Menschen nicht als Individuum, sondern als soziales Wesen und als Träger von Funktionen (Lin 1955, S. 225): "Kein Mensch lebt schließlich streng als abgesondertes Individuum, und so kann man sagen, daß die Vorstellung eines solchen Individuums gar keine 77 Grundlage in der Wirklichkeit hat. Wenn wir uns einen Einzelmenschen vorstellen und ihn weder als Sohn noch als Bruder noch als Vater oder Freund gelten lassen, was ist er dann? Er ist eine metaphyische Abstraktion. Die Chinesen, als biologisch denkende Leute. kümmern sich aber zuallererst um die biologischen Beziehungen eines Menschen. .. Loyalität des Untertan gegenüber dem Fürsten Gehorsam und Pietät der Kinder gegenüber den Eltern Respekt vor dem Älteren Unterordnung der Frau unter den Mann Vertrauen An fünf grundlegenden Beziehungen werden die zu zeigenden Verhaltensweisen der Menschen ausgedrückt (Glasenapp 1959, S. 105 f.; Lee, M.-H. 1994, S. 126 f.). Von den fünf grundlegenden Beziehungen sind typischerweise vier aus dem Bereich der sozialen Primärgruppen. Nur eine fällt heraus, die erste. Sie dient zur Absicherung der autoritär-aristokratischen Herrschaft im Staat. Es werden folgende Beziehungen und die sie charakterisierenden Verhaltensweisen genannt: Fürst und Untertan Vater und Sohn älterer und jüngerer Bruder - Mann und Frau Freund und Freund In diesen fünf Kreisen oder Beziehungen soll sich der Mensch sittlich benehmen und gemäß der fünf Kardinaltugenden, auf die noch eingegangen wird, handeln. Die fünf genannten Beziehungen sind Beispiele. Die zugrunde liegende Vorstellung zeigt sich deutlich. Die Menschen sind nicht gleich, sondern ungleich, sie leben stets in hier- archischer Ordnung. Das ist auch bei Freunden und Kollegen so. Schnell wird her- ausgefunden, wer der ältere oder sozial höher stehende Partner ist und entsprechend werden die Verhaltensweisen eingerichtet. Auffallend ist auch, daß in der Regel nur die Pflichten der Untergebenen deutlich ausformuliert sind. Andererseits bestand der Lehre nach das Prinzip wechselseitiger Verpflichtungen. Neben Loyalität, Gehorsam, Treue und Dankbarkeit der Unteren 78 gegenüber den Oberen, sollten die Oberen gegenüber den Unteren Fürsorge, Gerechtig- keit und Zuneigung walten lassen. Das ergibt sich schon aus der nachdrücklichen Forderung, daß sich der herrschende Edle vorbildlich zu zeigen habe und Mensch- lichkeit und Güte zu verkörpern hätte. Nur bestand für die Unterprivilegierten wie Frauen oder Bauern praktisch keine Möglichkeit, den Anspruch auf eine der Lehre nach zustehende fürsorgliche Behandlung durchzusetzen. Das Hierarchieprinzip gilt nach den Konfuzianern auch für die Ordnung im Staat. Nun gibt es einmal, ganz theoretisch gesehen, zwei sich geradezu widersprechende Möglich- keiten, einen Staat zu strukturieren. Man kann sich dabei als eine Variante an das vertikale Prinzip halten. Dann werden die Individuen oder auch Gruppen oder Kollekti- ve hierarchisch einander über- und untergeordnet. Geregelt werden müssen dann die Rechte und Pflichten, die die einzelnen Stufen nach oben und nach unten hin trennen. Wenig Regelungsbedarf ist hingegen notwendig für die Beziehungen auf ein und der gleichen Ebene. Diese werden von oben, also vertikal bestimmt oder auch verboten, die einzelnen Ebenen sind nicht selbständig. Charakteristisch für die vertikale Ordnung ist, daß die Weisungen von oben nach unten gegeben werden und in umgekehrter Richtung Gehorsam und Gefolgschaft entgegengebracht wird. "Das vertikale Ordnungsschema kennt Herrscher und Beherrschte, nicht aber Freie und Gleiche" (KirschIMackscheidt 1988, S. 11). Man kann sich auch eine Ordnung nach dem horizontalen Prinzip vorstellen. Hier werden dann die Handelnden prinzipiell als auf einer Stufe stehend gedacht, die Bezie- hungen sollten möglichst kein Machtgefalle aufweisen. Pflichten und Rechte der Gleichgestellten werden geregelt. "Kennzeichnend für das horizontale Ordnungsschema sind Angebot und Nachfrage, der freiwillige Austausch von Leistung und Gegenleistung zwischen gleichermaßen (Ohn)mächtigen" (KirschIMackscheidt 1988, S. 12). In modemen westlichen Staaten sind beide Ordnungsstrukturen nachweisbar. Strittig ist eigentlich nur, wieviel vertikale Macht ein Gemeinwesen braucht, damit horizontale Gruppen und Interessenverbände möglichst machtfreie Austauschbeziehungen unterhal- ten können. 79 In China wurde nur das vertikale Strukturmerkmal zur Regelung der Beziehungen benutzt. Korea hat diese Art der Staatsgestaltung während der Yi-Dynastie übernommen und in vielerlei Hinsicht bis heute beibehalten. In einer fast eindimensionalen Gesell- schaft mit Betonung der Über- und Unterordnung und einem fehlenden Bewußtsein oder Bedarf für ein zu regelndes Nebeneinander und auch Gegeneinander von prinzipiell Gleichen, hat die Idee des Pluralismus kaum eine Chance. Der Pluralismus erkennt die Existenz mehrerer prinzipiell gleichrangiger politischer Kräfte an, ist also Voraussetzung für ein Mehrparteiensystem und für das friedliche Agieren verschiedener Interessenverbände, wie z. B. Unternehmensorganisationen und Gewerkschaften. Für Konfuzianer ist die Konkurrenz zwischen gleichrangigen Kräften nicht wünschenswert. Demokratie westlicher Prägung läßt sich mit konfuzianischen Ordnungsvorstellungen nicht leicht verbinden. Kim, Dae Jung, einer der bekanntesten Politiker Koreas, behauptet jedoch, daß viele chinesisch-koreanische Kulturelemente demokratische Charakterzüge trügen, und daß daher Demokratie in Ostasien sehr wohl möglich zu praktizieren sei (Kim, D.-J. 1995, S. 22-24). Diese Möglichkeit wird auch von Schmidt-Glintzer nicht ausgeschlossen. In Anlehnung an die Denkfigur von Max Weber, daß die Ostasiaten sehr wohl "begabt" wären, sich den Kapitalismus anzueignen, so wären sie wahrscheinlich gleichermaßen in der Lage, die Demokratie zu übernehmen. "Denn auch für die Demokratie gilt, daß sie nach ihrer Ausformung nicht mehr des Geistes bedarf, aus dem sie entstand (Schmidt-Glintzer 1990, S. 8)." Behindert werde die Demokratie in Ostasien wohl weniger durch den Konfuzianismus als durch den Anspruch der Staaten auf Gefolgschaft. In der vertikalen Ausrichtung gesellschaftlicher und staatlicher Beziehungen liegt m. E. der Grund, warum sich in Korea z. B. Gilden, Zünfte oder Kammern nicht - wie wir es kennen - entwickeln konnten. Selbst wenn, wie beschrieben wurde, sich Gilden gründe- ten, wurden sie alsbald von der Regierung vereinnahmt und in das hierarchische System eingebaut. Gewiß, heute gibt es in Südkorea mehrere Parteien und auch Gewerkschaften sind - in Grenzen - zugelassen. Auch gibt es Kammern und Verbände - und doch sind diese Einrichtungen mit denen im Westen nur bedingt vergleichbar. 80 Für viele meiner koreanischen Kollegen und Partnerfachkräfte war es geradezu unvor- stellbar, daß sich in Gremien wie der Bundesanstalt für Arbeit oder im Berufsbildungs- institut Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften zu Entscheidungen gleichberechtigt an einen runden Tisch zusammensetzen. Auch in offiziösen Schriften wird lakonisch festgestellt, daß es in Korea Gremien mit drei gleichberechtigten Partnern nicht gibt: "No tripartite bodies among labor, management, and government exist in Korea" (Park, Y.-B. 1993, S. 93). Schon ein runder Tisch ist auch heute noch in Korea ein sehr seltenes Möbel und eigentlich nur in chinesischen Restaurants zu finden. Die Koreaner tagen und essen an rechteckigen Tischen, an denen die Sitzordnung entweder bekannt ist oder durch den Einladenden rasch entschieden werden kann. An dem einzigen runden Verhandlungstisch, an den ich mich in Korea erinnern kann, war die Hierarchie durch unterschiedliche Bestuhlung markiert. Als im Jahre 1992 eine Tagung zum dualen System beruflicher Bildung veranstaltet werden sollte, schlug ich dem Arbeitsministerium vor, auch "die andere Seite", die Wirtschaft in Gestalt der koreanischen Industrie- und Handelskammer als Veranstalter mit auftreten zu lassen. Der Gedanke war, die beiden Partner als Träger einer möglichen dualen Ausbildung auch eine gemeinsame Verantwortung für die Tagung übernehmen zu lassen. Das Arbeitsministerium entschied sich anders: Vertreter der Wirtschaft und der Kammer sollten als Teilnehmer zwar eingeladen werden, aber einen Mitveranstalter wünsche man nicht. Es ließen sich noch viele Beispiele in der gleichen Richtung finden. Was angedeutet werden soll ist, daß im heutigen Südkorea die jahrhundertelang gültige konfuzianische Gesellschaftsstruktur noch sehr wirklichkeitsbestimmend ist und auch bewußt gepflegt wird. Die hierarchische Staatsstruktur Koreas seit der Yi-Dynastie hat auch regionale Folgen, denn sie förderte den Zentralismus. Seoul wurde zur Hauptstadt von Choson. Von hier aus wurde das Land zentral-autoritär-aristokratisch regiert. Einflußmöglichkeit und Bedeutung, zum Beispiel der Beamten, nahm mit ihrem größer werdenden Abstand zum Machtzentrum drastisch ab. Wer nicht in Seoul ansässig war, war von allen wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen. Vermutlich waren die Städte in Korea, ähnlich wie die 81 in China, weniger eigenständige Gemeinden als hierarchisch nachgeordnete Verwal- tungsstädte und Garnisonen, also politisch und gesellschaftlich unbedeutend. Bis heute ist Seoul das uneingeschränkte Zentrum Südkoreas. In Seoul residiert der Präsident, sind neben Parlament und Regierung auch alle obersten Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen angesiedelt. Wer wirklich Karriere machen will, muß eine der drei führenden Universitäten des Landes, alle in Seoul, besuchen. Die wichtigsten Museen, das einzige Opernhaus, die besten Warenhäuser - alles ist in Seoul konzentriert. Versuche der Dezentralisierung, z. B. durch Anlage einer "Science Town", mit mehreren Forschungszentren am Rande Taejons, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Millionenstadt in der Mitte Koreas kulturell und politisch gesehen tiefste Provinz ist. Viele Professoren und Füh- rungskräfte, die in dieser Gegend oder sonstwo in Korea ihren Dienst versehen, haben daher ihre Familie in Seoul gelassen und pendeln zum Wochenende in das Zentrum. Auf diese Weise bleibt den Kindern die Möglichkeit des Besuchs der besten Schulen erhalten, die Familie kann an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen und der so wichtige persönliche Kontakt zu einflußreichen Freunden bleibt bestehen. Seoul wirkt somit ungebrochen als Magnet. Die Stadt wuchs von 5,5 Mio Einwohnern 1970 auf 10,9 Mio im Jahr 1991. Der Verdichtungsgrad ist mit mehr als 18.000 Menschen je km2 unglaublich hoch. Jeder vierte Koreaner hat seine Adresse mittlerweile in Seoul (Stati- stisches Bundesamt 1992, S. 28 f.). Die Aussage über den politischen und kulturellen Konzentrationsprozeß im Großraum Seoul ist ergänzungsbedürftig. Betrachtet man nämlich die allgemeinen Verstädterungstendenzen in Korea, so muß neben dem nor- westlichen Zentrum Seoul auf das sich mehr und mehr verdichtende Städteband an der Südostküste um Pusan herum aufmerksam gemacht werden. Entlang der Hauptver- bindungen zwischen Seoul und Pusan entwickeln sich Großstädte mit einem überdurch- schnittlichen Bevölkerungswachstum (Schätzl 1991, S. 185 ff.). Ganz in das konfuzianische Konzept von Gesellschaftsordnung paßt die Mahnung, Streit zu vermeiden und Harmonie anzustreben. Bei vertikaler nicht pluralistischer Gesell- schaftsstruktur mit einern Machtzentrum kann es konsequenterweise nur eine "Wahr- heit", eine gültige Sicht der Dinge geben. Es ist daher eine Tugend, sich mit der 82 "höheren Einsicht" in Einklang zu bringen. Nicht Widerspruch, Diskussion, Meinungs- streit prägen die Kultur, sondern loyale Anpassung, Gehorsamkeit und das Ausbalan- cieren von Streitpunkten sind gefordert. So ist es im Grunde genommen auch nicht üblich, Lehrenden zu widersprechen. Erst in letzter Zeit zeigt sich an den Universitäten so etwas wie Diskussionsbereitschaft. "Harmonie" ist als Ordnungsbegriff in den ostasiatischen Kulturen so altbekannt wie die Lehre von Yin und Yang in Verbindung mit der vom Tao. Der Begriff "Tao" ist schwer definierbar. Es gibt eine schillernde Vielfalt von Bedeutungen. Zu den gebräuchlichsten Interpretationen gehört es, das Tao als den rechten Weg, die Mitte und das Maß zu umschreiben. Ausgeglichen zu sein mit den Sphären des Kosmos, des öffentlichen, beruflichen und familiären Lebens ist für Koreaner ein hohes Ziel. Lebensglück ist nicht das des sich selbstverwirklichenden Individuums, sondern das harmonische Eingebun- densein in eine soziale Ordnung (Lanczkowski 1989, S. 89; Mall/Hülsmann 1989, S. 145; Granert 1993, S. 86 ff.). Auch zum Thema "Harmonie" finden sich in der 2.500 Jahre alten Lehre des Konfuzius schöne Beispiele: "Der Meister sprach: Der edle Mensch strebt nach Harmonie, aber er biedert sich nicht an; der Niedriggesinnte biedert sich an, aber strebt nicht nach Harmonie" (L. Y. 13, 23). "Der Meister sprach: Der edle Mensch verhält sich so zu allem, was unter dem Himmel geschieht: nichts, das er unbedingt gutheißt, nichts, das er unbedingt ablehnt; dem Gebot der Rechtschaffenheit folgt er" (L. Y. 4, 10). "Der Meister sprach: Der edle Mensch streitet sich mit keinem. Und ist er doch zum Wettstreit gezwungen, so nur beim Bogenschießen. Doch ehr- erbietig grüßend betritt er die Halle, zuvorkommend zu seinen Rivalen, und nach dem Wettstreit trinkt er Wein mit ihnen nach der Zahl der Strafbecher. Auch im Wettstreit zeigt der Edle Edelmut" (L. Y. 3, 7). 83 Wenn sich eine Gesellschaft in Harmonie befindet, kann es einen offen auszutragenden Streit mit Hilfe von Rechtsanwälten und Gerichten eigentlich nicht geben. Klagen vor Gericht sind nach konfuzianischem Verständnis Ausdruck von unerwünschter Disharmo- nie, zeigen, daß sich die Streitenden nicht der Tugenden von Harmonie und Ausgleich befleißigen. Und so ist es in Südkorea auch sehr ungewöhnlich, sich vor Gericht zu treffen. Differenzen werden so "geräuschlos" wie möglich bereinigt. Auf diese Weise kommt die Gesellschaft mit einem Siebtel der Juristen aus, verglichen mit der Anzahl, die die Deutschen brauchen, um den gesellschaftlichen Frieden aufrechtzuerhalten. "Der Meister sprach: Ich bin nicht besser als andere im Anhören von Kla- gen bei Gericht. Doch was ich zu erwirken suche, ist, daß es gar keine Klagen mehr gibt" (L. Y. 12, 13). 3.3 Konfuzius als Lehrer Die Beschäftigung mit chinesischer Philosophie ist aus mehreren Gründen für Nicht- sinologen recht schwierig. Die Abneigung der Chinesen, Begriffe klar zu definieren, so wie wir es aus der Geschichte westlicher Philosophie gewohnt sind, führt dazu, daß wichtige Begriffe unscharf, mehrdeutig, ja manchmal ganz rätselhaft bleiben. Die Mehrdeutigkeit liegt wohl auch in der Eigenheit der Schriftsprache (MalllHülsmann 1989, S. 141): "Keine zwei Obersetzer der chinesischen Begriffe werden je in ihren Ober- setzungen eine völlige Obereinstimmung enielen. Da jeder chinesische Charakter eine Vielzahl von Bedeutungen aufweist, sind mannigfaltige Obersetzungen unvermeidbar .... " Es wird verschiedentlich darauf hingewiesen, wie schwierig die Übertragung der chinesischen Gedankengänge in europäische Sprachen ist, und daß man permanent in die Versuchung gerät, das Fremde in bekannten, kulturvertrauten Begrifflichkeiten 84 aufzulösen (Konjuzius 1994, S. 24; Do-Dinh 1989, S. 88; Debon/Speiser 1987, S. 16 ff.). Die Chinesen zeigen in ihrer Geschichte der Philosophie auch nur wenig Neigung zu Systembildungen. Sie orientieren sich weniger an strenger Logik als an einem intuitiven Erfassen. Dabei ist die chinesische Philosophie eher praktisch-pragmatisch als metaphysisch-spekulativ, sie ist dem Leben zugewandt. Der Himmel findet nur insoweit Interesse, wie er für die Lebensführung der Menschen wichtig ist. Eine kosmische Orientierung gewinnt die ostasiatische Philosophie durch die Vorstellung, daß der rechte Weg der Menschen in Harmonie mit dem Weg des Himmels verläuft. Abweichungen des Menschen vom rechten Weg führen zu Störungen wie sozialen Unruhen bzw. Naturkatastrophen. Die chinesische Philosophie ist auch nie mit einer Theologie im christlichen Sinne eine Verbindung eingegangen, wenngleich mythologische Aspekte nicht gänzlich fehlen. Zu einer Personifizierung der Transzendenz ist es nie gekommen. "In ihrem Kern enthält die chinesische Philosophie einen ethischen Atheismus" (Mall/Hülsmann 1989, S. 143). Das philosophische Denken ist diesseitsorientiert und stellt den Menschen und die Gesellschaft in das Zentrum der theoretischen Anstrengungen. Somit werden anthropolo- gisch-ethisch/politische Züge dieser Philosophie eigentümlich. Immer wieder kreisen die Reflexionen um die Frage, wie eine gerechte Führung eine harmonische Gesellschaft sittlich-pflichtbewußter Menschen auszusehen habe, damit die ausgewogene Balance zwischen Menschen, Natur und Kosmos ungestört bleibt oder wiederhergestellt werden kann. Und nun zu Konjuzius. Der Rückgang direkt auf Konjuzius macht im Zusammenhang mit den vorliegenden Studien Sinn. Dies nicht nur, weil der Einfluß von Konfuzius auf die ostasiatische Philosophie so überwältigend war, sondern auch weil sich bei ihm eine Fülle von Äußerungen zu den Problemkreisen "Lernen" und "Bildung" finden, die m. E. auf- schließende Erklärungen zu dem heute noch beobachtbaren Bildungsverhalten in Korea geben und den Zugang zum koreanischen Bildungsverständnis eröffnen. Es ist wirklich erstaunlich, welche prägende Kraft der Konfuzianismus über Jahrhunder- te entwickeln konnte. Selbst noch im kommunistischen China wird eine breite Debatte 85 in Form von Kritik und Rechtfertigung der Lehre KonJuzius geführt, obwohl der Konfuzianismus bereits 1911 mit Ende des chinesischen Kaiserreichs als staatstragende Lehre "offiziell" aufgegeben wurde (Xu 1993, S. 54 ff; MallmIReich 1989, S. 98 ff). Besonders aber in Korea, wohl noch mehr als in China, dem Ursprungsland des Kon- fuzianismus, entwickelte diese Lehre große Nachhaltigkeit (Sayle 1988, S. 47). Das liegt sicher auch daran, daß sich in den letzten Jahrhunderten führende koreanische Philoso- phen am Ausbau der Lehre beteiligten, ohne allerdings die Grundlagen des Konfuzianis- musINeokonfuzianismus dabei in Frage zu stellen. KonJuzius wurde 551 oder 552 v. Chr. in dem kleinen Fürstentum Lu, das im Südwe- sten der heutigen Provinz Schantung lag, geboren. Er war praktisch Zeitgenosse von Buddha (560 - 490 v. Chr.) in Indien und von Pythagoras (570 - 496 v. Chr.) in Grie- chenland. Die Zeit, in die KonJuzius hineingeboren wurde, war politisch unruhig. Sie zeigte viele Erschütterungen einer Welt, die nur noch durch äußere Formen zusammengehalten wurde. Die höchste Instanz im Reich war das Königshaus der Dschou. Nur besaß die Dynastie zu jener Zeit kaum noch Macht. Diese war allmählich auf Lehensfürsten und hohe Würdenträger übergegangen. Die Dschou-Dynastie herrschte seit dem 11. Jahrhundert v. Chr. bis 249 v. Chr. mit feudalistischer Staatsverfassung. Das königliche Kernland, zu dem auch die Provinz Lu gehörte, war von mehreren Vasallenstaaten umgeben. Zwischen den Vasallen, einern kriegerischen Lehensadel und der Zentralmacht, die zunehmend absolutistischer wurde, kam es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Zu den inneren Streitig- keiten traten Eroberungszüge und Kolonisationen der Grenzländer. Die Fürsten dieser nun größer werdenden Vasallenstaaten nahmen an Macht zu. Auch die Kriegsleistungen dieser Grenzländer zur Verteidigung Chinas gegen die feindlichen Hunnen zwang die Krone zu immer weiteren Zugeständnissen. Aus den Annalen des Herzogtums, die für die Zeit von 722 bis 481 v. Chr. vorliegen (tlFrühling- und Herbstannalentl) lassen sich Machtkämpfe und politische Unruhen gut ablesen. Während der genannten Periode wurden 36 Fürsten ermordet, 52 Staaten vernichtet und zahllose Fürsten vertrieben (KonJuzius 1994, S. 9 f). 86 Der Mann, um den es hier geht, hieß mit Familiennamen Kong (Kung). Die Chinesen nannten ihn vielfach Kongzi (Meister Kong). Aus der Variante Kong fuzi leiteten die Jesuiten die lateinische Form des Namens ab: ConJucius. Daraus wurde bei uns Kon- Juzius. Der sehr alte Vater aus verarmten Adel war bei der Geburt des Sohnes über siebzig Jahre und starb, als KonJuzius drei Jahre alt war. Seine blutjunge Mutter, sie war bei der Geburt des Kindes erst 16, konnte dem Jungen nur eine sehr ärmlich bescheidene Jugend bieten. Es ist nicht ganz klar, wie er zu seiner Schulbildung kam. Seine Lehre ist aber mitgeprägt durch den Geist der damaligen Adelsschulen. So wird vermutet, daß er trotz seiner Armut Zugang zu einer dieser Schulen bekam. Mit 19 Jahren heiratet er und wird Aufseher über die öffentlichen Getreidespeicher seiner Heimatstadt. Das war wohl ein eher untergeordneter Posten. Mit 22 Jahren eröffnet Konfuzius eine private Schule. Dies gilt in der Literatur als besonders bemer- kenswert, weil das Betreiben von Schulen ein Privileg der Herrscher war und nur dem aristokratischen Nachwuchs Bildungsmöglichkeiten und damit Zugang zu lukrativen Staatsposten eröffnete. Die Tatsache, daß KonJuzius eine Schule gründen konnte, wird auch dem Verfall fürstlicher Autorität in seiner Zeit zugeschrieben. KonJuzius galt als vorzüglicher Kenner der alten Schriften und der traditionellen Riten, Gebräuche und Verhaltensweisen. Seine Schule hatte durchaus Zulauf. Um die 3.000 Schüler soll er mit den Jahren gehabt haben. Die Schule sicherte ihm den Lebens- unterhalt, gebührenfrei war sie also nicht. Aber sein eigentliches Lebensziel, ein hohes Staatsamt zu bekleiden, erreichte er nicht. Mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit war er zutiefst unzufrieden. Er beklagte den Verfall der Riten, der Gebräuche und Handlungsvorschriften, die Familie, Gesellschaft und Staat regelten. Er verurteilte die Zwistigkeiten, Unehrlichkeiten und Ungerechtigtkeiten, die zwischen den Menschen und zwischen den Herrschenden und dem Volk gang und gäbe waren. KonJuzius wollte wieder Ordnung, Sittlichkeit, Schicklichkeit, Menschlichkeit und Tugendhaftigkeit herstellen. Es war ihm klar, daß dieses durch Lehre allein nicht zu 87 bewerkstelligen sei. Folgerichtig verlangte er von jedem wirklich gebildeten, edlen Menschen, daß er sich für Staatsaufgaben zur Verfügung stellte. Die Gesundung der Verhältnisse mußte Aufgabe der gebildeten Herrschenden sein. Auch Konfuzius bemühte sich zeitlebens um ein einflußreiches Verwaltungs- und Regierungsamt. In Lu hatte er kein Glück. So zog er teilweise freiwillig, teilweise durch die Verhältnisse gedrängt, mit seinen Schülern viele Jahre hindurch durch die benachbarten Länder und Fürstentümer. stets auf der Suche nach einem Herrscher, der ihn hochrangig anstellen würde. Es war vergeblich. Zwar genoß er Aufmerksamkeit, und Rat wurde bei ihm vielfach und auch von hohen Stellen erbeten, aber eine feste, langfristige Anstellung wurde ihm nicht zuteil. Vielleicht lag es an seinem ethischen Rigorismus und an seiner strengen Forde- rung nach penibler Einhaltung aller Rituale, die ihn für die Herrscher unbequem erscheinen ließen. Wahrscheinlich verhinderten auch die korrupten höfischen Umfelder, daß ein Apostel von Moral, Anstand und Menschlichkeit in das Zentrum der Macht Einzug hielt. Mit 69 Jahren kehrte er nach 14jähriger Abwesenheit in seine Heimat Lu zurück und starb dort schließlich 73 Jahre alt 479 v. ehr. Das Ziel seiner Lehre war die positive Veränderung der durch Fürstenwillkür und Annexionskriege zerrütteten gesellschaftlichen und politischen Situation in China. Das Mittel dazu sah er in der Rückkehr zu idealen Verhältnissen, wie sie im Altertum geherrscht haben sollen. Er schuf nichts Neues, wie er selbst sagte, sondern studierte mit großer Hingabe frühe chinesische Schriften und stellte dabei fest, daß im alten Dschou-Reich, so um 1100 v. Chr., eine ideale Ordnung geherrscht habe, die es wie- derherzustellen gelte. Er folgte also einer rückwärts gerichteten konservativen Utopie. Einen zentralen Aspekt seiner Weitsicht nahm - wie praktisch bei allen chinesischen Denkern der Feudalzeit - die Lehre vom rechten Weg (Tao oder Dau) ein. Alles Seiende muß sich nach dem rechten Weg richten, wenn es nicht zu Katastrophen und Gewaltta- ten kommen soll. Die Regierungsweise der frühen Dschou-Könige entsprach nun dem rechten Weg und so herrschte Ordnung zwischen den Menschen, im Reich und in den außermenschlichen Sphären. Es bestand Harmonie in der Gesellschaft und auch zwi- schen Gesellschaft und Natur. Soziale Unruhen sowie Naturkatastrophen waren Indika- 88 toren dafür, daß die späteren Herrscher den rechten Weg verlassen hatten. Um auf den rechten Weg zu kommen, sollen die Dschou-Herrscher Verhaltensvorschrif- ten, Riten, entwickelt haben. Diese Verhaltensweisen hat Konfuzius seiner Zeit gemäß interpretiert. Die Riten erstreckten sich auf alles: Vom Inhalt und der Form königlicher Ahnenopfer über den Umgang und die Zusammenarbeit in der streng gestuften Sozial- ordnung bis zu den Anstandsregeln für geringfügige, alltägliche Handlungen. Die Riten ersetzten ein kodifiziertes Recht, das es noch nicht gab. Die Verletzung von Riten trug in der Lehre den Charakter von Rechtsbruch (Konjuzius 1994, S. 24 ff). Konjuzius war deutlich, daß die regelnde Kraft der Riten nur dann Bestand hatte, wenn die Riten ernst genommen und verinnerlicht würden und die Menschen fest an ihre Bedeutung und magische Kraft glaubten. Ihm lag also gar nichts am mechanischen, formelhaften Ablauf von als lästig empfundenen Ritualen, wie er ihn zu seiner Zeit auf und ab beobachten konnte. Daher auch seine Klage: "Die Riten. ach, die Riten! Sind sie denn nichts als Dinge aus Jade und Seidel Die Ritualmusik, ach. die Ritualmusik! Ist sie denn nichts als Klänge von Glocken und TrommelnI" (L. Y. 17, 11). Für die Beziehungen zwischen den Menschen gab es genaue Verhaltensvorschriften. Auffällig ist, daß bei Konfuzius die Menschen nicht als Einzelwesen betrachtet werden, sondern immer in einem hierarchischen Verhältnis zu anderen. Hierarchie und Tradition sind die bestimmenden Faktoren für das Verhalten. Ausgehend von der Familie als zentraler gesellschaftlicher Einheit sind die Wurzeln allen sittlichen Verhaltens die Kinderliebe und die Ahnenverehrung. Achtung der Älteren und Pietät gegenüber den Vorfahren sind auch heute noch weitverbreitete Verhaltensweisen in Südkorea, auch in der "modemen" sozialen Oberschicht. Kinderliebe und Pietät in der Familie und Loyalität und Gehorsam gegenüber Älteren oder hierarchisch Höhergestellten galten als Eckpunkte sittlichen Verhaltens. Und hier wird ein ganz wesentlicher Unterschied der konfuzianischen Ethik zur abendländischen Ethik sichtbar. Der konfuzianischen Ethik fehlt jede transzendente oder religiöse Verankerung. Es ist eine konkrete, situative Ethik, die sich auf den Personenverband 89 bezieht, in den der Mensch eingebettet ist. Die sittlichen Regeln gelten nicht universell, sondern sind auf die spezielle soziale Situation bezogen, in der sich der Betreffende gerade befindet. Kritisch beschreibt der Koreaner Choe diesen Sachverhalt (Choe, c.-S. 1973, S. 46): "Instead 0/treating all people alike as independent individuals who enshrine the dignity 0/man, we are apt to change our attitude when we treat different people. Instead 0/treating people on the basis 0/a universallife principle which can be applied to everybody, we select and apply one 0/ many life principles when we treat different people. Our action, there/ore, is determined accor- ding to the position held by persons we treat, and various other conditions. " Das Fehlen einer universellen Gültigkeit der Normen ist in der chinesischen Philosophie durchaus diskutiert worden. Mo Tzu (479 - 438 v. ehr.) vertrat nachdrücklich die Auffassung, allgemein geltende Werte seien der einzige Ausweg aus Streitigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Insbesondere plädierte er für eine allgemeine Menschenliebe. Mo Tzu wurde von Menzius und anderen Konfuzianern heftig angegrif- fen. Universelle Menschenliebe sei eher animalisch als menschlich. Man könne nicht anderer Leute Eltern so lieben wie die eigenen. Die für die Gesellschaft konstitutive, einzigartige Vater-Sohn-Beziehung verlöre dann an Bedeutung. "Die individuellen Beziehungen dürfen nicht auf dem Altar der Gruppe geopfert werden" (MalllHülsmann 1989, S. 182). Die relative Gültigkeit von Normen im Bewußtsein und im Handeln der Koreaner macht uns die Zusammenarbeit mit ihnen manchmal schwierig. Der Konfuzianismus kennt fünf sittliche Verpflichtungen, Kardinaltugenden gewisserma- ßen, die im Zusammenhang mit den weiter oben schon beschriebenen fünf Beziehungen betrachtet werden müssen. Die Umschreibung dieser Tugenden bleibt aus den genannten sprachlichen Gründen etwas vage, auch unterliegt vielen der deutschen Begriffe eine christliche Bedeutung, die hier herausgehalten werden sollte. Die bei weitem wichtigste Tugend, der Urgrund aller Tugenden, war für Konfuzius (Do-Dinh 1989, S. 90 ff.; MalllHülsmann 1989, S. 153 ff.): 90 1. Jen: vollendete Menschlichkeit, Wohltätigkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Altruismus, Güte Die weiteren vier Tugenden lassen sich etwa so beschreiben: 2. I: 3. Li: Rechtlichkeit, Gerechtigkeit in allen menschlichen Beziehungen, gerechte Verteilung, Wahrhaftigkeit und rechtes Handeln im Sinne von zur rechten Zeit handeln Ritus, Etikette, Achtung, Abstand, rechtes Verhalten, das Äußere wirkt auf das Innere 4. Dsche: Intelligenz, Scharfsinn, Weisheit 5. Hsin: Zuverlässigkeit, Treue zum gegebenen Wort. Vom Katalog der Tugenden läßt sich leicht auf das Erziehungsziel und das Bildungs- ideal von Konfuzius überleiten. Als Leitbild gilt der "fürstliche Mensch, der Edle, der Gentleman, der Weise-Edelmann" (Do-Dinh 1989, S. 83). Es ist der moralisch hoch- stehende, kultivierte, edle Mensch (Mann), der gesellschaftliche Führungsaufgaben übernehmen kann und will. Es ist Ziel, die vorstehenden Tugenden zu verinnerlichen und den Menschen Maß und Mitte finden zu lassen. Die Befolgung des rechten Weges setzt Mäßigung egoistischer Begierde und vor allem Selbstbeherrschung voraus. Selbst- disziplinierung und Selbstbeherrschung in allen Lebenslagen charakterisieren den gebildeten Menschen. "Der höhere Mensch ist weise, gut und mutig. Er wird vom Wohlwollen und nicht vom Egoismus geleitet. Er studiert das Tao und liebt alle Mitmen- schen" (MalVHülsmann 1989, S. 154). Die vollkommenen Menschen bilden dann zusammen die ideale, harmonische (hie- archisch gegliederte) Gesellschaft. Die Lehre von Konfuzius ist ganz und gar diesseitig- weltlich und auf Ethik und Moral hin zentriert. Es ist die Lehre der Erziehung zur Sittlichkeit. "Moral" wird zur höchsten Bildungsnorm. "Der Meister sprach: Ein edler Mensch, der sich eine umfassende Bildung erworben hat und sich mit Hilfe der Riten zu zügeln weiß, vermag auch Verfehlungen zu vermeiden" (L. Y. 12, 15). 91 Es stellt sich die Frage, an welchen Inhalten sich der Mensch zum sittlich-integren Wesen bilden kann. Konfuzius hat mehrmals erklärt, daß er nicht vorhabe, Neues zu lehren. Das Wahre und Gute sei längst vorhanden, man müsse nur darauf zurückgreifen. Wie weiter oben schon angedeutet, verehrte er die Dschou-Dynastie und behauptete, daß deren frühe Vertreter das Land in Ordnung gehalten hätten. In Ordnung meint, daß sie den rechten Weg einhielten und die Harmonie mit dem Kosmos wahrten. Konfuzius ging davon aus, daß sich der Geist jener Zeit und nicht nur der der Dschou- Fürsten, sondern auch der anderer edler und weiser Herrscher und Philosophen in den überlieferten Schriften aufspüren ließe. Schon in einer sehr alten chinesischen Schrift (1- Ching) hieß es, daß "der Edle durch fundierte Kenntnis der Worte und Taten der Weisen früherer Zeiten seine moralische Einsichtskraft ausbildet und stärkt" (zitiert nach Shimada 1987, S. 111). So entwickelte Konfuzius eine Literaturliste, die hohe Verbindlichkeit für seine Schüler gewann. Dieser Schriftenkatalog wurde von späteren Konfuzianern um einige Titel erweitert und blieb dann viele Jahrhunderte lang der festgeschriebene Kanon von Bildungsinhalten für alle chinesischen und koreanischen Gelehrten-Schüler. Verlängern tat sich nur die Reihe der Kommentare. Hervorzuheben ist "der einerseits rein weltliche, andererseits aber an die feste Norm der orthodox interpretierten Klassiker gebundene und höchst exklusiv literarische, buchmäßige Charakter dieser Bildung" (Weber. M. 1991, S. 121). Als die wichtigsten Schriften des Konfuzianismus gelten die "Fünf Klassiker" und die "Vier Bücher". Die "Fünf Klassiker", auch als kanonische Schriften bezeichnet, sind Schriften aus dem 7. bis 3. Jahrhundert v. Chr. 1. I-ching (Buch der Wandlungen). Ein Orakelbuch, eine Art Handbuch der Wahrsager. Es besteht aus 64 Hexagrammen mit zahlreichen Anmerkungen. Es diente auch zur Zeit- und Kalenderbestimmung. 92 2. Shi-ching (Buch der Lieder). Eine Sammlung von 305 Gedichten und Hymnen aus sehr früher Zeit, die Konfuzius aus 3.000 Liedern ausgesucht haben soll. Die Melo- dien sind alle verlorengegangen. 3. Shu-ching (Buch der Urkunden). Eine Sammlung lehrhafter Texte in Form von Proklamationen und Ansprachen und möglicherweise auch authentischer Berichte aus der Zeit von etwa 2200 v. Chr. bis 620 v. Chr. 4. Li-chi (Buch der Riten). Beschreibung des Regierungssystems der frühen (legendä- ren) Dschou-Dynastie in Verbindung mit Abhandlungen über soziale und religiöse Bräuche. 5. Chun-chiu (Frühlings- und Herbstannalen). Eine möglicherweise von KonJuzius verfaßte Chronik der Ereignisse im Fürstentum Lu zwischen 722 und 481 v. Chr. Zu den "Vier Büchern" gehören zwei, die ansatzweise schon in den fünf klassischen Schriften enthalten sind. Es handelt sich um zwei Kapitel aus dem Buch der Riten. Die beiden Teile des Buches sollen von Konfuzius oder seinen Schülern überarbeitet und angereichert worden sein und wurden dann als selbständige Schriften herausgegeben. 1. Ta hsueh (Großes Lernen). Eine kurze moralische Abhandlung. 2. Chung yung (Goldene Mitte). Ein Werk zur Gleichmut des weisen Menschen. 3. Meng-tzu (Lehren des Menzius). Menzius (382 - 289 v. Chr.) wird von den Chine- sen als zweiter großer Weiser betrachtet. Er trug zur Verbreitung des Konfuzianis- mus erheblich bei. Seine Schüler sammelten seine Aussprüche und gaben sie in Buchform heraus. 4. Lun yü (Gespräche oder Analekte des Konjuzius). Dieses bei den Chinesen sehr verbreitete Buch dürfte auch bei uns das bekannteste Buch aus dem Kreis der vorgestellten Schriften sein. Es ist eine unsystematische Sammlung von Gesprächen und Aussprüchen Konfuzius. Die Sammlung geht auf Schüler zurück, es ist also keine Schrift von Konfuzius selbst. Als Autor der überlieferten Version gilt Dsong Hüan, der 127 - 200 n. Chr. lebte und sich auf drei unterschiedliche Quellentexte stützte (Kungfutse 1990, S. 30). 93 Wenngleich die "Gespräche" (Lun Yü) des Meisters Kung auch nicht von Konfuzius selbst aufgeschrieben worden sind, so ist dieses Werk das einzige, von dem gesagt wird, es gebe die Lehre des Philosophen wahrscheinlich unverfälscht wieder, gilt also so gut wie von ihm verfaßt. Das Buch ist in 20 Kapitel gegliedert und abschnittsweise durch- numeriert, was den Umgang mit unterschiedlichen Übersetzungen sehr erleichtert. Zu lesen ist das Buch unbequem, weil eine thematische Ordnung nicht zu erkennen ist. Ich habe versucht, einige wichtige Absätze zu "Lernen" und "Bildung" aus dem Buch herauszusuchen, etwas zu ordnen und in den folgenden Text einzubringen. Bei der Interpretation der TextsteIlen halte ich mich weitgehend an E. Schwarz. Zitiert wird wieder mit der Abkürzung "L. Y." sowie der Kapitel- und Abschnittsnummer. Konfuzius geht von der natürlichen Gleichheit der Menschen aus. Der Mensch ist im Kern gut, alle Menschen sind prinzipielliemfähig und bildbar. Bis zu welchem Niveau der (moralischen) Bildung es der einzelne bringt, hängt weitgehend von ihm selbst ab. Es ist die Frage, wieviel Lernanstrengung sich der Mensch zumutet. Aus der natürlichen Gleichheit der Menschen leitet Konfuzius eine Forderung ab, die zu seiner Zeit revolu- tionär war, denn damals war Bildung ein Privileg der sozialen Oberschicht: "Der Meister sprach: Wo es um Bildung geht, darf es nicht Stände geben" (L.Y. 15, 38). Aus dieser Forderung nach allgemeiner Öffnung der Bildungseinrichtungen eine in unserem Sinne demokratische Grundhaltung Konfuzius anzunehmen, wäre voreilig. Denn der natürlichen Gleichheit der Menschen entspricht nach seiner Lehre eine gesellschaftliche Ungleichheit. Da die Menschen in der Gesellschaft qualitativ unter- schiedliches sittliches Verhalten zeigen und auch zu unterschiedlichen Lernanstrengun- gen willig oder fähig sind, kommt es zu einer Hierarchisierung in der Gesellschaft. Nur der edle, gebildete Mensch soll in führende Positionen einrücken. Diesem Privileg entspricht eine Pflicht. Wer gebildet ist, hat sich dem Staatsdienst zur Verfügung zu stellen. Rückzug aus der Gesellschaft heraus und in die Innerlichkeit gilt als ganz unkonfuzianisch. Die Lehre von der gesellschaftlichen Ungleichheit der Menschen 94 führte auch zum Ausschluß von Mädchen und Frauen von Bildungseinrichtungen jeder Art. Bezogen auf Wissen unterscheidet Konfuzius vier Typen von Menschen (MalllHülsmann 1989, S. 154 0, eine Hierarchisierung deutet sich an: 1) Es gibt Menschen, die von der Anlage her im Besitz des Wissens, einer natürlichen Weisheit sind. Es sind die Heiligen, an deren Existenz Kon[uzius nicht zweifelt. Er vermag jedoch keinen zu benennen, den er kennt. 2) Menschen, die durch das Studium in den Besitz des Wissens gelangen, nennt er edel. 3) Es handelt sich um Menschen, denen es schwer fällt, das Wissen zu erlernen, was jedoch nicht unmöglich ist. 4) Die Menschen der vierten Stufe sind so schwerfällig, daß sie sich nicht bemü- hen und es ihnen unmöglich wird, das Wissen zu erlangen. Eine ähnliche Stufung findet sich wörtlich in den "Gesprächen": "Meister Kung sprach: Jene, die Wissen von Geburt an mitbekommen haben, stehen am höchsten. Jene, die Wissen durch urnen erwerben, stehen eine Stufe niedriger. Jene, die erst lernen, wenn sie in Bedrängnis geraten, stehen noch eine Stufe niedriger. Jene aber, die auch in bedrängter Lage nicht lernen wollen, stehen am niedrigsten im Volk" (L. Y. 16, 9). "Wissen von Geburt an" ist schwierig zu verstehen. Entweder steht der Ausdruck für besonders schnell lernende, hochintelligente Menschen, denen das Wissen sozusagen zufliegt oder aber es soll an die Weisen der Vorzeit erinnert werden, denen der Himmel das Wissen mystisch übertrug. Wahrscheinlich geht es hier um unerreichbare, ideale Vorbilder, die den höchsten Rang einnehmen. Konfuzius selbst hat sich im übrigen nicht zu dieser Gruppe gerechnet. Es gibt eine Stelle in den "Gesprächen", die Konfuzius im Zusammenhang mit seinem Menschenbild negativ, nämlich sehr elitär-volksfeindlich ausgelegt worden ist: 95 "Der Meister sprach: Man kann das Volk dazu bringen, (dem Rechten Weg) zu folgen, doch nicht, (ihn) zu verstehen" (L. Y. 8, 9). Es sind aber auch andere Interpretationen möglich und sinnstiftend. Einerseits war Konfuzius häufig sehr realistisch bei der Einschätzung der bestehenden Verhältnisse. Da das Volk über keinerlei Bildung verfügte, war das Verstehen schwieriger Sachverhalte wohl tatsächlich begrenzt. Ich vermute, daß hier etwas ganz anderes gemeint ist. Wenn das Volk nicht in der Lage ist, durch Lernen dem rechten Weg zu folgen, dann muß es eine andere Möglichkeit geben, es dort hinzubringen. Konfuzius hat an mehreren Stellen auf das Vorbild als erzieherisch wirksames Mittel hingewiesen. Tugendhaftes Vorbild führt zu tugendhafter Gefolgschaft. Begriffe und Worte waren Konfuzius wohl insgesamt weniger wichtig als ein entsprechend gezeigtes Verhalten. In seinen Gesprächen mit seinen Schülern findet sich ein extremes Beispiel: "Der Meister sprach: Ich wünsche, keine Worte mehr zu machen. Dse-gung sagte: Wenn der Meister sich der Worte enthält, was sollen Eure Schüler dann an Weisheit weitergeben? Der Meister sprach: Und welche Worte spricht der Himmel? Und dennoch gehen die vier Jahreszeiten ihren Weg, und alle Dinge wachsen und gedeihn. Doch spricht der Himmel je ein Wort?" (L.Y. 17, 19). Schwarz interpretiert diesen Text mit Hilfe eines Zitats eines chinesischen Gelehrten aus dem 19. Jahrhundert (Konfuzius 1994, S. 235): Der Weise ahmt den Himmel nach, seine Tugend vereinigt sich mit Himmel und Erde, sein Hellsinn mit Sonne und Mond, er folgt den vier Jahreszeiten in ihrem Verlauf ... und er lehrt auch die Menschen, indem er sich selbst zum Vorbild macht." Zum einen wird an diesem Ausspruch nochmals der Gedanke recht klar, daß Mensch und Himmel eine (kosmische) Einheit bilden. Dazu bedarf es allerdings des weisen Menschen. Das andere ist die Vorstellung, daß vorbildliches Handeln als "wortlose Belehrung" erzieherisch sehr wirksam ist. Dieser Gedanke war schon in vorkonfuziani- scher Zeit geäußert worden (KonJuzius 1994, S. 235): 96 "Nur der völlig Wahrhafte (oder: Echte, Aufrichtige) kann sein Wesen voll entfalten. Hat er sein Wesen voll entfaltet, so kann er das Wesen anderer Menschen zur vollen Entfaltung bringen." KonJuzius war zutiefst von der Kraft des Vorbildes überzeugt. Gute Vorbilder würden stets Nachahmer finden. Auf diese Weise würde auf die Dauer die Kraft des Vorbildes alle Verhältnisse mit Menschlichkeit füllen. Auch auf die Ordnung im Staat wirke sich vorbildliches Verhalten des Herrschers erzieherisch positiv aus: "Dschi-Kang-dse, der sich beim Meister nach der Kunst des Regierens erkundigte. stellte die Frage: Was haltet Ihr davon, die Zuchtlosen hinzurich- ten, um Zucht im Staat herbeizuführen? Meister Kung erwiderte: Wozu müßt Ihr denn hinrichten, um zu regieren? Wenn Ihr das Gute wünscht, so findet auch das Volk zum Guten. Des edlen Menschen Tugend gleicht dem Wind, des Volkes Tugend gleicht dem Gras. Streicht übers Gras der Wind, beugt es sich unfehlbar" (L.Y. 12, 19). "Der Meister sprach: Wenn die Oberen sorglich die Normen der Riten einhalten, wird das Volk leicht zu leiten sein" (L.Y. 14,44). Die Erziehung der Massen durch vorbildliches Verhalten der Führenden ist der eine Aspekt. Der andere ist die eigene Lernanstrengung, die Konfuzius den Menschen abverlangt. Indem KonJuzius "Bildung" zum Hierarchisierungskriterium in der Gesell- schaft wählt, bringt er eine nachhaltige Konkurrenz unter die Lernenden. Seine Beschreibung verschiedener Stufen von Bildung schließt Konfuzius an einer Stelle mit einer Polemik gegen die zu seiner Zeit lebenden Regierungsbeamten ab. Die damalige Entlohnung geschah in Form von Reis, das sei zum besseren Verständnis angemerkt. "Dse-gung fragte: Welcher Art muß ein Mann sein, daß man ihn rechtens einen Gebildeten nennen könnte? Der Meister sprach: Wer das Gefühl der Scham bewahrt hat in allem, was er tut, und wer als Gesandter in der Fremde seinem Fürsten keine Schande 97 bereitet bei der Erfüllung seines Auftrags, den könnte man einen Gebildeten nennen. Darf ich fragen, wen man einen Gebildeten niederer Art nennen könnte? Der Meister sprach: Einen, den seine Sipppe und Familie als in Liebe und Gehqrsam seinen Eltern ergeben und den seine Landsleute als respektvoll den Älteren und brüderlich den Jüngeren gegenüber erachten. Darf ich fragen, wen man als Gebildeten noch niederer Art nennen könnte? Der Meister sprach: Jene, die unbedingt ihr Wort halten, wenn sie es gege- ben haben, und auch unbedingt durchführen, was sie tun wollen. Sie mögen kleinliche Leute sein und starrsinnig fürwahr. Aber man könnte sie doch als nächst niedere Art gelten lassen. Darauffragte Dse-gung: Undjene, die heutzutage den Regierungsgeschäjten nachgehen, wie steht es mit denen? Der Meister sprach: Ach, das sind Leute, hohl wie Scheffel und Kufen, geeignet nur zum Messen von Getreide. Die mitzuzählen - sie wären es nicht wert" (L. Y. 13, 20). Ausführlich beschreibt KonJuzius auch die Folgen von Nichtlemenwollen und den damit verbundenen Fehlfonnen im Verhalten. Wer also nicht als dumm, zügellos, rücksichts- los, ungestüm, widerspenstig oder verwegen gelten mochte, dem blieb nur eins nach: Lernen. "Der Meister sprach: Dse-lu, hast du von den sechs Vorsätzen und sechs Schwächen der Lernfaulen gehört? Dse-Iu sagte: Noch nicht. Der Meister sprach: Setz dich. Ich sage es dir. Die Güte lieben, aber nicht das Lernen - die Schwäche darin: man bleibt dumm. Wissen lieben, aber nicht das Lernen - die Schwäche darin: man wird zügellos. Zuverlässigkeit lieben, aber nicht das Lernen - die Schwäche darin: man wird rücksichtslos. Geradheit lieben, aber nicht das Lernen - die Schwäche darin: man wird ungestüm. 98 Die Tapferkeit lieben, aber nicht das Lernen - die Schwäche darin: man wird widerspenstig. Willensstärke lieben, aber nicht das Lernen - die Schwäche darin: man wird verwegen" (L. Y. 17,8). Konfuzius beschrieb Lernen als einen aktiven Vorgang. Er hielt nur wenig von einem weItabgeschiedenen, kontemplativen "Nur Nachdenken". Damit wandte er sich auch ganz bewußt gegen die Lehre von Laotse, der für eine Abkehr aus dem gesellschaftli- chen Treiben plädierte. "Der Meister sprach: /eh aß nichts einen ganzen Tag, ich schlief nicht eine ganze Nacht und dachte nach - und ohne Nutzen. Da ist es besser doch, man lernt" (L Y. 15, 30). "Der Meister sprach: Wissen zu erwerben, ohne über das Erlernte nachzu- denken, ist sinnlos; nur nachzudenken, ohne zu lernen, führt zu gefährlichen Oberlegungen" (L Y. 2, 15). Die Ermunterung zum Lernen beschränkte sich nicht etwa nur auf die Jugendzeit. "Ausgelernt" hätte erst jemand, der wirklich weise geworden wäre, dem es, wie oben schon einmal angedeutet, gelungen sei, mit dem Himmel einszuwerden. Da dieser Zustand als Ideal angenommen wurde, praktisch jedoch nicht erreichbar war, blieb nur eine lebenslange Anstrengung zur Annäherung nach. "ln stiller Schau Erkanntes sich zu merken; zu lernen, ohne dessen je über- drüssig, zu lehren, ohne dessen je müde zu werden • fiel mir dergleichen jemals schwer?" (L Y. 7, 2). "Der Meister sprach: Lerne so, als ob du Wissen nie erreichtest und immer fürchtetest, es zu verlieren" (L. Y. 8, 17). "Der Meister sprach: Altes Wissen üben und nach neuen Kenntnissen streben - das ist es, wodurch man sich zum Lehrer anderer eignet" (L. Y. 2, 11). Es war für die Zeit, in der Konfuzius lebte, ungewöhnlich, Schüler unterschiedlicher sozialer Herkunft in einer Lemgruppe zusammenzufassen. Für Konfuzius war die Her- kunft und die materielle Situation seiner Schüler jedoch wenig wichtig. Er ließ auch 99 minderbemittelte Bewerber zu. Möglicherweise erinnerte er sich an seine eigene Jugend, in der er es schwer gehabt haben mußte, einen Studienplatz in einer der Adelsschulen zu erlangen. Obwohl er von seiner SchulgfÜndung lebte, akzeptierte er auch geringes Schulgeld. Aber lernwillig, das mußten seine Schüler sein. "Der Meister sprach: Ich mache bei meinem Unterricht keinen Unterschied zwischen arm und reich. Wenn einer auch nur die allergeringste Gabe darbringt, um dadurch zu zeigen, daß es ihm um die Sache zu tun ist, so ist er mir willkommen" (L. Y. 7, 7). "Der Meister sprach: Ich leite den nicht an, der sich nicht eifrig müht. Ich öffne dem den Sinn nicht, der den Mund nicht auftut. Und zeig ich eine Ecke - wer mir nicht mit den drei anderen begegnen kann, den werde ich nicht noch einmal belehren" (L. Y. 7, 8). "Der Meister sprach: Lemgierig, aber nicht aufrichtig, einfältig, aber nicht lemwillig; unbegabt und auch noch unzuverlässig - solche Leute wünsche ich nicht zu kennen" (L. Y. 8, 16). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß nach konfuzianischer Lehre sich der Mensch nur durch Lernen zum idealen Menschentum hin entwickeln kann. Lernen bedeutet zuneh- mende Versittlichung des Menschen. Daher kann man am Bildungsstand und an der Länge des Lernens den Grad der Moralität und Sittlichkeit des Menschen messen. M. Kafton beruft sich im Zusammenhang mit der These, daß der Mensch nur durch Lernen zum Menschen wird auf Yufgok, einen der führenden koreanischen Philosophen der Yi- Dynastie, der gesagt hat: liAs for mans's life in this world, except for leaming there is no way to become fully human" (Kafton 1991, S. 16). Nun hat die gedankliche Verbindung von hoher Lernleistung und Moralität sicher auch als stabilisierende Ideologie für die gebildeten Beamten und Mandarine in Korea und China gedient. Personen, die als gebildet gelten können, handeln dann per Definition auch tugendhaft. Ihr Handeln wird durch ihren Bildungsstand gerechtfertigt und abgesi- chert. Kritik an der Führungsschicht, die tatsächlich hohe Lernleistungen nachweisen mußte, war dann aus konfuzianischer Sicht schwer zu üben (Shimada 1987, S. 15). 100 Aber abgesehen von diesem "Mißbrauch", hat sich die Vorstellung, daß höhere Bildung auch höhere moralische Einsicht verleiht und daß diese dann auch aus "gesellschaftli- cher Verantwortung" zum Ausdruck gebracht werden muß, im konfuzianischen China erhalten und ist heute noch in Korea zu beobachten. Die Angehörigen der Universitäten verstehen sich als moralische "Watchdogs" (Kalton 1991, S. 17). Gewiß sind nicht alle studentischen Unruhen und Demonstrationen an koreanischen Hochschulen "moralische Aufstände". Vielfach geht es um ganz banale Dinge wie die Erhöhung von Studiengebühren und ähnlichem. Aber man darf nicht übersehen, daß auch die traditionelle Rolle eines "gesellschaftlichen Gewissens" von den Studenten übernommen wird. Es geht bei diesen Demonstrationen dann nicht um Revolution oder Anarchie, sondern um moralische Kritik an der Regierung, z. B. bei sozialen Ungerechtigkeiten oder Kriegshetze gegen Nordkorea. Die Regierungen haben in der Vergangenheit auf derartigen (moralischen) Druck meist sehr empfindlich, häufig auch brutal reagiert. Die Studenten sind als "moralische Wachhunde" deswegen so gut geeignet, weil zu ihrer Legitimation durch hohen Bildungsstand dazu kommt, daß sie noch nicht auf Positionen des Establishments mit entsprechenden Verhaltensverpflich- tungen eingerückt sind. Die Lehre von Konfuzius blieb über die Jahrhunderte nicht unbeeinflußt. Seine Schüler und Anhänger, wie z. B. Menzius, bauten sie weiter aus, Kritiker fanden triftige Ein- wände. Nach wechselvoller Geschichte der konfuzianischen Philosophie kam es wäh- rend der chinesischen Sung-Dynastie im 11. und 12. Jh. zu einer neuen, nachhaltigen Blüte konfuzianischen Denkens. Der Hauptvertreter der neuen Schule, des Neokonfuzia- nismus, war Chou-Hsi (1130 - 12(0). Durch ihn flossen in die traditionelle konfuziani- sche Lehre Elemente aus dem Taoismus und Buddhismus mit ein. Dennoch blieb der Neokonfuzianismus betont weltlich und unterschied sich diesbezüglich von den zeitwei- lig konkurrierenden Lehren des Taoismus und Buddhismus. Der Neokonfuzianismus fordert von seinen Anhängern, sich dem realen Leben und politsichen Aufgaben zu stellen, und ihr tugendhaftes Handeln in Familie und Gesellschaft zu praktizieren. Jeder Rückzug aus der Welt und aus der Familie, wie der Buddhismus es als Ideal empfahl oder auch das Eremitendasein von Taoisten in den Bergen, wurde verworfen. Eine 101 Trennung von Innen und Außen, von Innerlichkeit und realer Gesellschaft würde dazu führen, den "rechten Weg" zum tugendhaften Menschen zu verfehlen. Der Mensch ist nach Ansicht der meisten Neokonfuzianer seinem Wesen nach gut. Er hat angeborenes Wissen um das Gute und auch die Fähigkeit, gut zu sein. Bildung soll folglich darin bestehen, die menschliche Natur in ihrer ursprünglichen und ihrem Prinzip entsprechenden Form zu verwirklichen. Dazu ist ein Lernen notwendig, das sich nicht nur auf die menschliche, weltliche Ordnung hin bezieht. Damit ließe sich besten- falls Weisheit erreichen - aber das reicht nicht. Erst wenn sich das Lernen an der kosmischen Ordnung orientiert, besteht die Möglichkeit, ein Edler, ein die persönlichen Wünsche und Interessen zügelnder, völlig ausgeglichener tugendhafter Mensch zu werden. Der Argumentation von Menzius, daß die Tatsache der Belehrbarkeit des Menschen zeige, daß der Mensch seiner ursprünglichen Natur nach gut sei, ist auch widersprochen worden. So hat z. B. der Philosoph Hsün-tse (305 - 235 v. ehr.) genau das Gegenteil behauptet: "Der Wunsch eines jeden, gut zu sein, kommt daher, daß er von Natur aus schlecht ist" (Hsün-tse 1987, S. 109). Der Wunsch, gut zu sein, läßt sich nach Hsün erfüllen, durch lernen nämlich. Mit seinen Worten klingt das so: "Nun ist der Mensch seiner ursprünglichen Natur nach tatsächlich nicht im Besitz der Regeln des richtigen Verhaltens und der Gerechtigkeit; darum strebt er danach, sie zu lernen, und sucht, sie zu gewinnen. ... der Weise hat die gleiche ursprüngliche Natur wie jedermann und ist darin von den gewöhnlichen Menschen nicht unterschieden; er unterscheidet sich von diesen und ragt über sie hinaus durch seine erworbene Kultur. ... Jemand könnte einwerfen: Der Weise erreicht seinen Stand durch gestei- gertes Bemühen, aber nicht jeder vermag, seine Bemühungen zu steigern; warum? Ich sage: jeder hat die Fähigkeit, aber er wendet sie nicht an. Jeder kleine Geist ist imstande, ein hoher Geist zu werden, aber er ist nicht bereit dazu" (Hsün-tse, S. 109 ff) 102 Es ist schon bemerkenswert. Entweder wird Lernen notwendig, um die gute Natur des Menschen zur sittlichen Vollendung zu bringen, oder Lernen wird notwendig zur Korrektur eines an sich schlechten Menschen. So oder so begründet, wird der Mensch nach konfuzianischer Lehre zum Lernen verpflichtet. Wie weit er es dabei bringt, wie weit er ein "anständiger Mensch" wird, hängt weitgehend vom Individuum selbst ab. Meines Erachtens liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis der nach hiesigen Vor- stellungen ganz unbegreiflichen Lernanstrengungen, zu denen koreanische und auch japanische Jugendliche fähig und willig sind. Der Neokonfuzianismus bestimmte auch die koreanische Philosophie, insbesondere während der Yi-Dynastie. Im 16. Jh. kam es zu Richtungskämpfen zwischen orthodoxen Konfuzianern und Anhängern von Chou-Hsi. Beide Seiten standen sich für die Verhält- nisse in einer konfuzianisch geprägten Gesellschaft erstaunlich kompromißlos gegenüber (Nahm 1993, S. 117 ff). Es kam aber in Korea auch zu eigenständig-nationalen Richtun- gen des Neokonfuzianismus, wie zu der Shirhak-Bewegung. Die unter dieser Bezeich- nung zu subsumierenden Gelehrten forderten im 16. und 17. Jh. eine Bildung, die sich weitaus mehr an konkreten koreanischen Verhältnissen und an der Wirtschaft orientieren sollte, als an klassischen, chinesischen Texten. Die Shirhak-Bewegung war zumindest zeitweilig reformerisch einflußreich, ohne allerdings das Bildungssystem nachhaltig verändern zu können. Bei der Herausbildung führender Verwaltungskräfte blieb es auch in Korea bis tief in das 19. Jh. bei dem "klassisch"-konfuzianischen Bildungskanon. In Korea und China war die Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse auch, aber eben nicht nur, durch Geburt bestimmt. Regierungsbeamter in leitenden Stellen konnte man viele Jahrhunderte hindurch in beiden Ländern nur werden, wenn man ein Staatsexamen ablegte, das große Lernleistungen voraussetzte und das gänzlich unter dem Bildungs- begriff von KonJuzius stand. Allgemeine, ethische Bildung wurde so zur Berufsbildung der sozialen Oberschicht. Diese Schicht herrschte, führte aber nicht aus. KonJuzius ging es ausschließlich um die Versittlichung des Menschen, um Kenntnisse der alten Schriften und ein vorbildliches Verhalten gemäß der Riten. An den "brauch- 103 baren" Menschen, an Utilitarismus, dachte er nicht. Es ist nicht nur die Ablehnung körperlicher Arbeit, die ihm von Kritikern stets vorgeworfen wird. Vielmehr wird alles funktionale Wissen und Können aus dem Bildungsbegriff ausgeklammert. Berufliche Qualifikation wird nicht thematisiert, sie führt nicht zur Bildung des edlen Menschen. Der Edle ist, wenn man so will, "allgemeingebildet", er ist Generalist, nicht technischer, ökonomischer oder handwerklicher Spezialist. Der Gebildete ist der mora- lisch integre Herrscher oder Vorgesetzte. Das Bildungsideal von Konfuzius ist das einer sozialen und ethischen Elite. Zu dieser Oberschicht kann man allerdings durch Lernen und damit durch Bildung Zugang bekommen. Berufliches Können, fachliches Wissen, verwertbare Fähigkeiten werden für unwichtig erachtet, wenn es darum geht, den Menschen zum Menschen zu erziehen. Die Vorstellung, der Mensch könne "Werkzeug- charakter" annehmen, wird gefürchtet. "Der Meister sprach: Der Edle ist kein Gerät" (L Y.2, 12). Richard Wilhelm kommentiert diese knappe Formulierung von KonJuzius mit den Worten: "Es ist unvereinbar mit der Würde des höheren Menschen, sich als bloßes Werkzeug für die Zwecke anderer gebrauchen zu lassen. Es ist Selbstzweck" (Kungfutse 1990, S. 45). Konfuzius mußte in jungen Jahren aus materieller Not verschiedene berufliche Tätigkei- ten ausüben. Zu diesen Tätigkeiten hat er sich auch im Alter nicht positiv bekannt. Sie waren für seinen Bildungsprozeß nicht relevant: "Ein hoher Würdenträger fragte Dse-gung: Euer Meister muß wohl ein vollkommener Weiser sein? Wie viele Fähigkeiten besitzt er doch! Dse-gung erwiderte: Gewiß hat der Himmel dem Meister so reiche Gaben verliehen, daß er an einen Weisen heranreicht. Und dazu besitzt er auch viele Fähigkeiten. Als der Meister davon härte, sprach er: Jener hohe Herr muß mich wohl kennen. Ich lebte in bitterer Armut, als ich jung war. So mußte ich viele niedrige Verrichtungen erlernen. Doch muß ein edler Mensch all diese Dinge können? Die braucht er nicht" (L. Y. 9, 6). 104 Es sollen noch einige Textbeispiele aus den "Gesprächen" folgen, die belegen, wie nachhaltig Konfuzius Handwerkliches und Landwirtschaftliches zu lehren verweigerte und deren Einfluß auf den Lemprozeß als hemmend empfunden wurde: "Dse-hsja sagte: Die Handwerker haben ihre Werkstatt, darin sie ihrer Hände Werk vollenden; dem Lernen widmet sich der edle Mensch, daß er den Rechten Weg vollendbar macht" (L. Y. 19, 7). "Dse-hsja sagte: Gewiß läßt sich auch mit kleinen Künsten Beachtliches schaffen. Doch ist zu befürchten, daß sie hemmend wirken, wenn man weit- gesteckte Ziele verfolgt. Darum gibt sich der edle Mensch nicht ab mit ihnen" (L. Y. 19, 4). "Fan Tschih bat um Unterweisung im Ackerbau. Der Meister sprach: Das versteht jeder alte Bauer besser als ich. Danach bat Fan Tschih um Unterweisung im Gartenbau. Der Meister sprach: Das versteht jeder Gärtner besser als ich. Als Fan Tschih hinausgegangen war, sprach der Meister: Er ist ein Mann niedrigen Verstands, dieser Fan Tschih. Wenn die Höhergestellten die Normen der Riten wertschätzen, so wird niemand im Volk es wagen, nicht ehrerbietig zu sein. Wenn die Höhergestellten Rechtschaffenheit wertschät- zen, so wird niemand im Volk es wagen, sich nicht ihrem Beispiel zu fügen. Wenn die Höhergestellten Vertrauenswürdigkeit wertschätzen, so wird niemand im Volk es wagen, sich nicht als verläßlich zu erweisen. Wo es solche Verhältnisse gibt, dorthin würden die Leute mit ihren Kindern auf dem Rücken aus allen vier Himmelsrichtungen zusammenströmen. Wozu sich also mit Ackerbau beschäftigen!" (L. Y. 13, 4). Konfuzius entwarf sein Bildungskonzept ganz im Sinne zweckfreier Bildung. Jeder Gedanke an Nützlichkeit wurde als niedere Gesinnung bezeichnet: "Der Meister sprach zu Dse-hsja: Sei ein Gelehrter, wie es Edle sind, nie ein Gelehrter niederer Sinnesart" (der sein Fachwissen verwertet, d. V.) (L. Y. 6,11). "Der Meister sprach: Auf Rechtschaffenheit versteht der Edle sich, auf Gewinn der Niedriggesinnte" (L. Y. 4, 16). 105 Das Insistieren von Konfuzius auf Zweckfreiheit von Bildung läßt zu, Parallelen zu dem neuhumanistischen Bildungsgedanken von v. Humboldt zu ziehen. In unserer Gesell- schaft entwickelte sich jedoch nachhaltiger Widerstand gegen die Vereinnahmung des Bildungsbegriffs ausschließlich durch die allgemeine, zweckfreie Bildung. Berufs- bildungstheorien wie z. B. die von E. Spranger mit Berufung auf Goethe, von G. Kerschensteiner, Th. Litt und A. Fischer, um nur die führenden "Klassiker" zu nennen, ermöglichen zumindest eine teilweise Integration von zweckfreier und zweckgebundener Lerninhalte unter einem Bildungsbegriff. Eine ähnliche erfolgreiche Denkschule ist, soweit ich es erkennen kann, weder in Korea noch in China entstanden. Während man sich in Deutschland immer noch über den Streit zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung habilitieren könnte, ist diese Diskussion in den ostasiatischen Kulturen fremd. Dort entschied vor 2.500 Jahren Konfuzius, daß Qualifizierung für einen Beruf nicht unter die Kategorie "Bildung" fällt. Aus diesem Grund konnte sich eine "Berufspädagogik" als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin in diesen Kulturen auch nicht entwickeln. 106 4 Das Bildungssystem: Entwicklung und Einflüsse 4.1 Korea, Beispiel für eine Bildungsmeritokratie. Jede Gesellschaft muß auf irgendeine Weise ihren Mitgliedern einen Rang oder Status zuweisen, um Legitimationskonflikte zu vermeiden oder in Grenzen zu halten. Aus der Geschichte sind im wesentlichen fünf Auswahlkriterien für Statuszuweisungen bekannt, nämlich: Geschlecht, Geburt, Alter, Wahl und Leistung. Sieht man sich diese Prinzipien genauer an, dann lassen sie sich in zwei Gruppen einteilen. Als "natürlich" und dem einzelnen damit sozusagen schicksalhaft vorgegeben sind: Geschlecht, Geburt und Alter. Wahl und Leistung hingegen werden als "künstliche" Auslesefaktoren bezeichnet, man könnte auch sagen, sie sind neutral gegenüber den Individuen (v. Krockow 1974, S. 42 ff.). Nun kommt es in der gesellschaftlichen Realität kaum vor, daß Statuszuweisungen ausschließlich nach einem Kriterium vorgenommen werden. Es kommen in der Regel Mischungen aus zwei oder mehr Faktoren zur Anwendung. "Bildungsmeritokratie" deutet demnach an, daß die betreffende Gesellschaft den Bil- dungsstsand, die Bildungsanstrengung, in der Regel ablesbar an der Höhe der formalen Bildungsabschlüsse, als Auswahlkriterium für die Zuweisung des Status in Gesellschft, Wirtschaft und Verwaltung bevorzugt verwendet. Bildungsabschlüsse haben in diesen Gesellschaften für den einzelnen einen kaum zu überschätzenden Wert. Die Erfolgsaussichten, Zugang zu hohen Positionen oder Ämtern zu erhalten und damit zu Ansehen und Wohlstand zu kommen, richten sich nach dem zertifizierten Bildungsstand. Japan, Südkorea und Taiwan gelten als Länder, die als Bildungsmeritokratien bezeichnet werden können. Ganz gewiß ist der Bildungsabschluß auch in diesen Gesellschaften nicht das einzige Auslesekriterium - aber eben doch ein leitendes. Das ausgeprägte Selbstverständnis, formale Bildung überaus hochzuschätzen, wird in diesen Ländern gesamtgesellschaftlich getragen. 107 Dafür gibt es historische Gründe: In China blickt man auf eine wechselvolle Geschichte bzw. Gegnerschaft zwischen einer sich entwickelnden Bildungsaristokratie und dem Lehens- und Feudaladel zurück. Es ist die Geschichte der Konkurrenz zwischen "natürlichen" und "künstlichen" Auslesefakto- ren, zwischen Geburts- und Leistungsprinzip. Mit der Verbreitung der Lehre von Konfuzius wurde gesellschaftlich anerkannt, daß die "klassische" Bildung zur entscheidenden Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Herrenstand wurde. Wenn KonJuzius in seinen Gesprächen ~uch den Bildungsanspruch aller (genauer: aller männlichen) Mitglieder der Gesellschaft mehrfach bestätigte, so hat Max Weber recht, wenn er in der Standesethik des Konfuzianismus "feudale Remi- niszenzen" nachwirken sieht (Weber 1991, S. 65). Das heißt, der Zugang zur höheren, klassischen Bildung verblieb zunächst in der Realität überwiegend bei den alten, herrschenden Familien. Man muß nun wohl noch einen weiteren Aspekt der chinesischen Geschichte mit ein- beziehen, nämlich die Entwicklung zum Beamtenstaat. Diese Entwicklung begann schon sehr früh in Chinas Altertum. Das Prinzip des Beamtenstaates kam dann im Mittelalter zur Blüte. Während der Sun-Dynastie wurde um 606 n. Chr. ein Prüfungssystem einge- führt, mit dessen Hilfe die Auswahl zur Besetzung wichtiger Führungspositionen im Staat vorgenommen wurde. Die Einführung von Examina zur Bestimmung der Füh- rungselite hat Weber als das "weltberühmte und höchst wirksame Mittel" der chinesi- schen Kaiser bezeichnet, mit dem die "feudal-ständische Emanzipation der Amtsträger" unterbunden wurde (Weber, M. 1991, S. 68). Es war also, so vermutet Max Weber zu Recht, nicht das Leistungsprinzip, dem hier zum Durchbruch verholfen werden sollte, sondern primär der Wunsch der Kaiser (oder Fürsten), Aufbau einer Machtkonkurrenz zu verhindern. Aber wie dem auch sei: Die Verleihung von Ämtern nach Bildungs- qualifikation und nach erfolgreichem Examen und nicht nach Geburt und ererbtem Status charakterisiert in der Folge die ganze Geschichte der kaiserlichen, chinesischen Verwaltung. Diese Aussage gilt zumindest im Prinzip. Nachweislich gab es eine Fülle von Abweichungen wie Ämterkauf und Privilegierungen zur Macht gekommener 108 Familien. Dies alles aber hinderte nicht den wirksamen Bestand der grundsätzlichen Regelung. Sehr genau 1300 Jahre war das Prüfungssystem in Anwendung, es wurde erst 1905 bei anfänglichen Modernisierungen der Verwaltung aufgegeben. Auf die Entwicklung in China ist deswegen eingegangen worden, weil der Aufbau eines Beamtenstaates zum Vorbild für Korea wurde. Während das Silla-Reich noch ganz das Geburtsprinzip als Auswahlkriterium für hohe gesellschaftliche Positionen angewandt hatte, begann sich im Koryo-Reich der Beamtenstaat durchzusetzen. "The adoption in 958 of the Chinese civil examination system (kwago in Korean) ended the practice of appointing government officials through family connections" (Nahm 1993, S. 62). Es entwickelte sich, ähnlich wie in China, ein Stand konfuzianisch gebildeter Beamten. Die Zugehörigkeit zu diesem Stand war nicht erblich, sondern abhängig vom Bestehen des Beamtenexamens. Diese Tatsache förderte die Lernkonkurrenz unter den Anwärtern. Die Verhältnisse in Korea unterschieden sich jedoch insofern von denen im Reich des großen Bruders, als daß in Korea der Zugang zu den Bildungseinrichtungen in der sozialen Oberschicht (Yangban) monopolisiert wurde und damit ein deutliches Stück Feudalstaatlichkeit erhalten blieb. Die Beamtenanwärter erfuhren eine rein literarische Bildung, ganz im konfuzianischen Stil. Es ging um das Lesen- und Schreibenkönnen auf hohem Niveau und um sichere Fähigkeiten der Interpretation und Kommentierung klassischer Schriften. Die Kunst des Redens, die Rhetorik, gehörte nicht dazu. Folglich waren die Examen auch nur schrift- lich. Bemerkenswert ist, daß außer der literatur-historischen Qualifikation in den Beamtenexamen keinerlei fachliche Kompetenzen nachgewiesen werden mußten. Die Beamten waren mithin "Generalisten" in einer weitgehend wörtlichen Bedeutung dieses Begriffs. Wie gesellschaftlich tief verwurzelt das System der Ernennung von Beamten nach ihrem allgemeinen Bildungsstand in Korea war, und welche Wertschätzung Beamtenkarrieren genossen, läßt sich hübsch an einem Beispiel aus der Literatur illustrieren. 109 Der in Deutschland wohl bekannteste koreanische Dichter ist Mirok Li. Er wurde 1899 in Korea geboren und floh vor japanischer Verfolgung 1919 nach Deutschland. 1950 starb er in München. In einem seiner Bücher beschreibt er seine Jugend in Korea zu Beginn des 20sten Jahrhunderts. In diesem Buch findet sich der Bericht über ein Gesellschaftsspiel, das der Vater mit Mirok, seinem Bruder Suam und deren gemein- samen Vetter Siebengestirn spielte (Li, M. 1983, S. 40 f.): "Vater rief uns eines Abends, als kein Besuch da war, zu sich und zeigte uns ein merkwürdiges Spiel. Auf einem steifen Papierbogen waren alle Bezeich- nungen der Beamten vom höchsten bis zum niedrigsten Range eingetragen. Wir sollten unsere Laufbahn an der untersten Stufe anfangen, und wer zuerst den Rang eines Senators erreicht hatte, hatte das Spiel gewonnen. Vater nahm ein Buch und schlug es an einer beliebigen Stelle auf. Das erste Wort der jeweils folgenden Seite wurde als Reimwort gewählt und jeder von uns mußte nun irgendein Gedicht der klassischen Dichter hersagen, welches mit diesen Worten endete. Wer das konnte, durfte seine Laufbahn beginnen. Das erste Wort, welches Siebengestirn traf, lautete "Beherrscher". Er schwieg lange, denn er wußte kein Gedicht, das so endete. Dann kam Suam an die Reihe; sein Reimwort hieß "Frühling", ein Universalreimwort, um das wir den glücklichen Suam beneideten. Nach einigem Stottern sagte er: "Am Weg nistete der Frühling." "Gut", sagte der Vater und versetzte ihn in den Rang eines Literaturbeamten. Das war eine große Leistung von Suam, aber leider seine erste und letzte. Er konnte nicht weiter befördert werden, weil ihn kein so glückliches Reimwort mehr traf. Er hatte bisher nur einen Gedichtband gelesen, den er nicht ganz im Gedächtnis behalten konnte. Siebengestirn und ich hörten auch bald auf voranzukommen, er nach der dritten und ich nach der vierten Beförderung. Keiner hatte das Spiel gewonnen. " Das für Beamte über viele Jahrhunderte hindurch verbindliche Auslesekriterium war ihr Bildungsstand. Dieses Prinzip ist mit dem Ausbau des Bildungswesens dann auch auf andere gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt worden. 110 Die Abschlüsse im allgemeinen, öffentlichen Bildungssystem bestimmen z. B. auch die Berufschancen weit mehr als daß das der Fall bei uns ist (Georg 1990, S. 68): "Diese Abschlußebenen entscheiden gleichermaßen über die Anfangsein- stufung in die jeweiligen Lohngruppen wie auch über die jeweilige Reich- weite der Karrieremöglichkeiten in der innerbetrieblichen Hierarchie. Die Durchlässigkeit zwischen den Stufen, d. h. die individuelle Chance, durch Leistung die vom Bildungsabschluß gesetzten Aufstiegsgrenzen zu durch- brechen, ist außerordentlich gering. " Soviel zur Erläuterung Koreas als Bildungsmeritokratie. Wenn man sich nun der Geschichte der Bildung in Korea zuwendet, so kann man fünf Perioden ausmachen. Die erste überspannt die Zeit von den Anfängen bis zur Öffnung Koreas in den 80er Jahren des 19. Jh. Diese Periode ist durch chinesische Einflüsse mitbestimmt. Die nächsten Perioden sind vergleichsweise kurz. Die unruhige politische Geschichte der Folgezeit wirkt sich auch spürbar auf das Bildungssystem aus. Die zweite Periode reicht von 1880 bis 1910. Es ist eine Zwischenzeit, in der westlich- christlicher Einfluß auf die Bildung in Korea einwirkt. Die dritte Periode ist durch die japanische Kolonialherrschaft von 1910 bis 1945 determiniert und zeigt ambivalente japanische Einflüsse auf das Schulsystem. Es folgt eine kurze, vierte Periode der Nachkriegszeit und der Zeit des Koreakrieges, in der der Einfluß der Besatzungsmacht USA auf Südkorea deutlich wird. Die fünfte Periode kann man mit 1953 einsetzen lassen. Es folgen die Jahre, in denen Südkorea die Verantwortung für sein Bildungs- system übernimmt und versucht, zwischen Tradition und "Modeme" ein effizientes Bildungs- und Ausbildungssystem zu entwickeln. 111 4.2 Vom 4. Jahrhundert bis zur Öffnung des Choson-Reiches: Der Einfluß Chinas Eine umfassende oder auch nur längere, eigenständige Publikation in englischer Sprache zur Geschichte der Bildung in Korea liegt meines Wissens noch nicht vor. Zumindest bis 1980 ist dieser Tatbestand von sachkundiger Seite belegt (Adams 1980, S. 209). Aber viele Veröffentlichungen zum gegenwärtigen Bildungssystem haben einen mal umfangreichen und mal kürzeren Vorspann zu diesem Gebiet, wie z. B. Shin, K.-B. 1978 und MOE 1994. Auch aus Gesamtdarstellungen über Korea lassen sich Kenntnisse gewinnen. Dazu gehören "Korea. Its Land, People and Culture of all Ages" und "A Handbook of Korea". Ferner gibt es Fundstellen in Geschichtsbüchern. So gehen z. B. Lee, Ki-baik und Nahm im Verlauf ihrer Darstellung auf den jeweiligen Stand von Schule und Bildung ein. Schließlich gibt es eine Reihe von Zeitschriften, in denen Aufsätze zu den unterschiedlichen Epochen koreanischer Bildungsgeschichte veröffent- licht worden sind. Für die Periode vom 4. Jahrhundert bis zum Ende der Yi-Dynastie kann man einige allgemeine Aussagen machen, soweit die eingesehenen Quellen die historische Realität zutreffend wiedergeben. Danach haben die Könige und ihre Regierungen keinen Ver- such unternommen, ein ausgeprägtes allgemeines, systematisches Erziehungswesen auf- zubauen. Der Staat hielt sich bei schulischen Einrichtungen auffallend zurück. Das Bildungsangebot lag weitgehend in privaten Händen, die Regierungen griffen weder regelnd noch finanzierend ein. Das einzige erkennbare Interesse der koreanischen Herrscher an staatlich kontrollierter und finanzierter Erziehung lag im Heranbilden von Verwaltungspersonal und Beamten für die Führungsebenen. Das gilt ganz besonders für den zivilen Bereich. Wenn es auch Einrichtungen zur Ausbildung führender Militärs gab, so war doch durchgehend die zivile Verwaltung der militärischen vorgeordnet. Die mehr oder weniger offene Herr- schaft des Militärs ist erst eine Erscheinung der neuesten Geschichte Südkoreas, also keineswegs historisch angelegt. 112 Der Aufbau eines Erziehungssystems für die sozialen Unterschichten oder für die große Mehrheit des Volkes geriet bis 1910 nicht in den Blick. Die Beamtenklasse rekrutierte sich, wenn auch nicht ausschließlich, so doch recht überwiegend aus der Yangban-Klas- se, der Staat hatte mithin nur die soziale Oberschicht bei Schulgründungen im Blick. Wie sich im übrigen berufliche Bildung vollzog, bleibt weitgehend ungeschrieben. Das allerdings ist bei einem konfuzianischen Bildungsverständnis auch erklärbar. Während der Zeit der drei Königreiche (Koguryo, Paekche und Alt-Silla, etwa von 40 v. Chr. bis 668 n. Chr.) kam es zu ersten Schulgründungen, die nach chinesischem Vorbild vorgenommen wurden. Die chinesische Schrift war im Prinzip schon vorher in Korea bekannt, wurde aber nun durch Schulgründungen planmäßig eingeführt. Die erste historisch nachgewiesene Gründung war im Jahr 382 n. Chr. die nationale konfuziani- sche Akademie (Taehak). Neben der chinesischen Schrift wurde seitdem, wie der Name auch verrät, die Lehre vom Konfuzius in Korea schulmäßig unterrichtet. Obwohl bis zur Gründung der Yi-Dynastie 1392 der Buddhismus in Korea eine Vor- machtstellung behaupten konnte, stand schon bei den ersten Schulgründungen der Konfuzianismus Pate. Über Struktur und die genauen Inhalte der vermittelten Bildung in dieser frühen Schule ist nichts weiter bekannt. Auch diente die Akademie noch nicht einer Beamtenqualifizierung, es war wohl eher eine Schule für gelehrte Aristokraten. Es wird von einer Nachfolgeeinrichtung (Kukhak) berichtet, die 682 gegründet wurde. Auch sie galt als nationale konfuzianische Akademie und als Nachahmung chinesischer Akademien der Tang-Dynastie. Hundert Jahre später beginnt sich ein Prüfungssystem zu entwickeln und Bildung als Befähigungsnachweis für hohe Regierungspositionen beginnt in Konkurrenz zu geraten mit Geburt und Herkunft als Zuweisungsfaktoren für wichtige gesellschaftliche Stellungen. Darüber wurde schon berichtet. Die Tradition, in der Hauptstadt eine konfuzianische Akademie zu betreiben, wird auch im Koryo-Reich (918-1392) fortgesetzt. Im Jahr 958 werden dann endgültig die Be- amtenexamen eingeführt und bis 1894 beibehalten. Die Akademie wird 992 zu einer Art 113 Universität (Kukchagam) ausgebaut. Sie dient nun ganz der Beamtenausbildung. Unter dem universitären Dach werden sechs Schulen eingerichtet. Sie unterscheiden sich im Rang und in den Inhalten. Die oberen drei Einrichtungen folgten curricular ganz der chinesischen Tradition, die klassischen konfuzianischen Texte lagen dem Lernen zugrunde. Die Differenz dieser drei Schulen lag vornehmlich in den Zulassungsbedin- gungen. Eingang fanden die Studierenden hierarchisch gestuft nach dem Status der Eltern. Für die niedrige Aristokratie und die untere Beamtenschaft standen die anderen drei Schulen der Universität offen. Es war eine Schule für Recht, eine für Kalligraphie (Schönschrift, Schriftmalen) und eine Schule für Rechnen. Zu diesen unteren drei Schulen konnten auch begabte Nichtadelige zugelassen werden. In den folgenden Jahren fanden auch Astrologie und Medizin Eingang in die Universität. Die besten Absolventen der oberen "allgemeinbildenden" Schulen konnten sich dem "royal examination" für die höchsten Stellen am Hof und in der Regierung unterziehen. Der Bedarf an Nachwuchs war verständlicherweise sehr gering, die Konkurrenz hin- gegen muß sehr scharf gewesen sein. Die königlichen Examen wurden während der 474 Jahre dauernden Wang-Dynastie (Koryo-Reich) nur 252 mal abgehalten. Erfolgreich passierten insgesamt 6718 literarisch Gelehrte. Das sind im Schnitt nur etwa 14 männ- liche Bewerber pro Jahr (Nahm 1993, S. 78 f.). Über die Aufnahmequoten der Univer- sität sind keine Zahlen zu finden. Aber die Tatsache, daß ab etwa 1050 durch aristokra- tiehe Gelehrte zwölf private Akademien in den koreanischen Provinzen gegründet wurden, um auch dem nicht in der Hauptstadt ansässigen Adel Zugangsmöglichkeiten zu Beamtenprüfungen zu verschaffen, zeigt eine zunehmende Bewerberschar um staatliche Ämter. Vermutlich gehörten hohe Lernanstrengungen und ein beachtlicher Konkurrenz- und Prüfungsdruck schon "immer" zum koreanischen Bildungssystem - sind also wohl keine Neuerscheinung in heutiger Zeit. Nur die Quantitäten des Problems haben sich gewaltig verändert. Im 11. Jahrhundert entstanden in Städten und Dörfern private Schulen (Sodang), die auch von Angehörigen niederer Stände besucht werden konnten. Als Lerninhalte werden genannt: Aussprache chinesischer Charakter, Kalligraphie und ausgewählte koreanische 114 und chinesische Texte der Klassiker. Ob es sich bei diesen Schulen mehr um einen "Zubringer" zu den regionalen Akademien oder um Ansätze einer persönlichkeits- bildenden Grunderziehung des Volkes handelte, ist nicht ganz klar. Einen praktischen Nutzen für Schüler aus dem Volk hatten die Schulen kaum (Chung, K.-R. 1984, S. 22). Über die Verbreitung der Schulen und die Schülerzahlen sind Angaben nicht zu finden. Daher ist es schwierig, ihre Wirkung einzuschätzen. Während der Yi-Dynastie (Choson-Reich, 1392-1910) setzte sich die Entwicklung des Schulsystems bruchlos fort. Der Staat bekannte sich nun weltanschaulich ganz zum Konfuzianismus. Der Adel (Yangban) nahm zahlenmäßig zu, die Beamtenschaft wurde immer feiner hierarchisiert, was sich auch im nach wie vor auf die Ausbildung von Beamten konzentrierten Bildungssystem niederschlug. In Korea gelang es den Yangban, den Zugang zu den lukrativen Beamtenposten für die eigene soziale Schicht praktisch zu monopolisieren. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied im gesellschaftlichen Sozialgefüge zwischen den beiden ostasiatischen Kulturen. Während China durch die Einrichtung der Examen als Zugangsregelung zu hohen Positionen eine gewisse soziale Mobilität erreichte und die Bildung eines feu- dalen Erbadels weitgehend unterband, war Korea auch während der Yi-Dynastie gesell- schaftlich überwiegend feudalistisch organisiert. Im Choson-Reich blieben die Grundschulen (Sodang) bestehen. Es waren alles Privat- schulen, deren Gründung frei war, die Trägerschaft war aber unterschiedlich: von Einzelpersonen bis zu dörflichen Kooperationen. Sie dienten nun auch ausdrücklich zur Laufbahnvorbereitung. Das Curriculum blieb wie es war: Konfuzianische Texte, chinesi- sche und koreanische Klassiker und Kalligraphie. "Recitation of classics was the principal method of teaching" (Im, R. 1960, S. 366). Nach der Grundschule führte der Bildungsweg seit 1543 über einen neuen Typ höherer Schule (Sowon). Auch dies waren schulgeldpflichtige Privatschulen, häufig mit einer konfuzianischen Gedenkstätte kombiniert. Etwa 100 dieser Schulen entstanden im ganzen Land. Ihr Ansehen war wohl recht hoch - einige bekamen sogar königliche Zuwendungen. Nach mehreren Jahren des Studiums konfuzianischer Schriften konnten 115 die Teilnehmer sich zur Vorprüfung des Licentiaten-Examens melden. Erfolgreiche Studenten nahmen dann an der eigentlichen Licentiaten-Prüfung in Seoul teil. Von dem ersten Lehrer der deutschen Sprachenschule in Seoul, J. Bolljahn, liegt aus der Endphase der Yi-Dynastie eine anschauliche Beschreibung einer Licentiaten-Prüfung in Seoul vor. Das fast kirmesartige Treiben spiegelt wohl auch die Dekadenz einer unter- gehenden Epoche. 1894 wurden die Beamtenexamen abgeschafft. Diese Art der Qualifi- zierung und Auswahl hatte sich damit überlebt. Hier nun ein Auszug aus der Beschrei- bung (Bolljahn 1900, S. 13 f.): "Wie heute noch in China, so fand auch bis zum Beginn des japanisch- chinesischen Krieges alle Jahre in Söul ein großes Examen, Kwagga ge- nannt, statt, wozu Schüler aus allen Teilen des Landes herbeiströmten. Das war ein Leben und Treiben in der Hauptstadt. Tausende von Scholaren wanderten am festgesetzten Tage schon in aller Frühe mit Papier, Schreib- material und mit der hohen, schwarz gefärbten Prüjungskappe in der Tasche nach dem Palaste; denn dort, hinter dem königlichen Garten, auf einem großen Platze wurde das Examen abgehalten. Das betreffende Thema wurde von Sr. Majestät bestimmt; der König erschien gewöhnlich selbst, - freilich oft erst, nachdem die Kandidaten, darunter häufig schon recht bejahrte Herren, drei oder vier Stunden geduldig gewartet hatten, - um es zu ver- künden. Auf einer mächtigen Papierrolle, die so hoch gezogen wurde, daß jeder sie sehen konnte, stand das Thema groß und deutlich aufgeschrieben. Ehrfurchtsvoll wurde es kopiert, und dann verschwand der Kandidat mit noch neun seiner Genossen unter einem mächtigen Schirme, der mit seinem Tuchvorhange ein richtiges Zelt bildete. Solche Zelte waren oft hunderte da. Auf einer Papierlaterne, die an einer bei jedem Zelte befindlichen Bambus- stange hochgezogen wurde, stand ein gewisses chinesisches Zeichen. wo- durch die Zeltinsassen von ihren Bekannten und Angehörigen, die etwa zum Besuche komen, erkannt werden konnten. Es ging überhaupt bei diesem Kwagga ziemlich ungezwungen und lustig her,' auch an musikalischen Unterhaltungen fehlte es nicht. Der Form halber waren wohl Inspektoren und Aufseher da; diese verfuhren aber nicht besonders strenge; denn es 116 geschah nicht selten, daß fremde Hilfe benutzt wurde. Sobald die Aufgabe in poetischer oder konversationeller Form - je nach Vorschrift - bearbeitet war, setzte jeder Examinand seinen Namen und den Stand des Vaters oder Adop- tivvaters darunter, rollte das Papier zusammen, wickelte einen Faden herum und dann wurde diese Rolle durch eine kleine Öffnung in den Palastgarten gleichsam hineingeschossen, so schon eine Anzahl Kulis ihrer warteten, um sie aufzusammeln und den Korrektoren zu überbringen. Es wird behauptet, daß Seine Majestät sämtliche Arbeiten selbst durchzusehen pflegte. Sobald die Korrektur beendet war, wurden die Namen der Bestandenen mit Hinzujü- gung des erreichten Grades, deren es zwei, einen ersten Grad: "Kupja" und einen zweiten: "Jinssa" gab, öffentlich bekannt gemacht. Die Diplomver- teilung übernahm der König selbst. In seidener Amtstracht begab sich der glückliche Kandidat, dem jetzt der Weg zu den höchsten Staatsämtern offen stand, nach dem königlichen Palaste." Während der Vi-Dynastie war der einzig akzeptable Beruf der Yangban, ein staatliches Amt einzunehmen. Die "literarische Allgemeinbildung" war, wie bereits erwähnt, während dieser Zeit die "Berufsbildung" der sozialen Oberschicht. Nun entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte erklärlicherweise ein zunehmender Bedarf an Fachkräften. In Korea waren es Mediziner, Übersetzer, Kundige in Astronomie und Meteorologie, Buchhalter, Experten für Statuten und Gesetze und regierungsangestellte Handwerker, die benötigt wurden. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben entstand eine mittlere soziale Schicht (Chungin). Für die genannten Fachrichtungen gab es Ausbildungsein- richtungen, die für Nichtadlige offen waren oder besser gesagt, für die sich die Yangban ebenso wenig interessierten wie für Landwirtschaft und Handel. Nach bestandenem Examen wurden die Fachbeamten wohl zu einem Segment der Bürokratie, blieben aber stets in untergeordneter Position (Lee, K.-B. 1984, S. 175): "The Yangban scholars might weil dream of achieving an ideal polity through the moral cultivation of Choson's people, but this did not mean in fact that they were prepared to do away with distinctions of sodal status." 117 Bis zum Ende des Choson-Reiches gab es in Korea kein geregeltes Schulwesen. Über- haupt ist es nicht unproblematisch, den Begriff "Schule" so allgemein zu benutzen, wie ich es hier bei der Darstellung der koreanischen Geschichte getan habe. Wie schon gesagt, war die Einrichtung und Unterhaltung der Schulen in den kleineren Städten und Dorfgemeinden den Eltern der Jugendlichen ohne Auflagen oder staatlichen Zwang überlassen. Die Entlohnung der Lehrer geschah durch Naturalien, die von den Eltern aufgebracht werden mußten. Die Bildungseinrichtungen standen nur Jungen offen. Mädchen hatten durch alle Schichten hindurch zu Hause zu bleiben und lernten dort die für ihre Funktionen notwendigen Fertigkeiten. Da es üblich war, die Jungen der Bauern zur Feldarbeit heranzuziehen, war deren Schulbesuch häufig nur im Winter möglich. Eine Einteilung in Jahrgangsklassen war auch noch nicht üblich, das Alter der Schüler schwankte beträchtlich zwischen 6 und 25 Jahren. Auf einen Lehrer entfielen 30 bis 70 Schüler, wobei die fortgeschrittenen Teilnehmer auch eingesetzt wurden, ihr Wissen an die Anfänger weiterzugeben. Einheitliche Lehrbücher gab es noch nicht, die Schulzucht war streng. Ein damaliges Sprichwort der gepeinigten Lernenden lautete: "Schule ist Gefängnis, Buch ist Giftschlange, Lehrer ist Tiger" (Han, F.-K. 1931, S. 683). Der Unterricht dauerte vom frühen Morgen bis in den Abend, Pausen waren ungeregelt, ins Belieben der Lehrperson gelegt. Ein bestimmter Abschluß war an diesen niederen Schulen nicht vorgesehen. "Wenn man glaubte, genug gelernt zu haben, verließ man ohne jede Formalität die Schule" (Han, F.-K. 1931, S. 683). Bemerkenswert bleibt, daß bis etwa 1900 das Bestreben nach einer Volksbildung ganz und gar der privaten Initiative überlassen blieb. Die Regierung stand bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts dem Aufbau eines Schulwesens (abgesehen von der Beamten- ausbildung) teilnahmslos gegenüber. Das konfuzianische Bildungsideal wirkt bis in die heutige Zeit nach (A Handbook 1978, S.667): "Education in the aristocratic society prepared men to serve the nation. Examination in the Chinese classics was the basis for qualification to serve in the govemment. This tradition survived strongly into the twentieth century, 118 forming the matrix within which modemization of education has been car- ried forward. " Spürbar sind die Nachwirkungen z. B. auch beim Lehrer-Schüler-Verhältnis, bei der Belastbarkeit der Schüler bis zur Leidensgrenze, bei der Buchorientierung, bei dem Streben nach Widerspruchsfreiheit und Harmonie im Unterricht, bei der ungebrochenen Wertschätzung der Allgemeinbildung bei gleichzeitiger Geringschätzung einer utilitari- stischen Berufsausbildung. Die Länge des Bildungsweges, die Höhe des Examens und der Ruf der Universität entscheiden auch heute noch über die Karrierechancen im Staat und nun auch noch in den führenden Unternehmen der Wirtschaft. 4.3 Von 1880 bis 1910. Zwischenzeit: Erster westlich-christlicher Einfluß Die durch die Japaner und durch westliche Mächte erzwungene Öffnung Koreas ab etwa 1880 hatte auch für das Bildungswesen einschneidende Konsequenzen. Die politisch für Korea unruhiger werdenden Zeiten mit der erkennbaren Gefahr, die nationale Eigen- ständigkeit zu verlieren, schürten einen aufkommenden Patriotismus. Die Wahrnehmung des Landes als nationale Einheit durch die koreanische Bevölkerung dürfte gewiß auch durch den einsetzenden Austausch mit anderen Nationen verstärkt worden sein. Wie schon früher erwähnt, hatten die Koreaner zu dieser Zeit noch keine der sonst üblichen nationalen Symbole wie Fahne oder Hymne. Nach den Jahren strikter Isolation gab es ganz offensichtlich einen erheblichen "Nachholbedarf' im Nationalbewußtsein. Den Koreanern wurde durch Auslandskontakte die Rückständigkeit ihres Bildungssystems bewußt und patriotisch gesinnte Männer gründeten nach Studienreisen durch Japan beziehungsweise die USA eine Vielzahl von Privatschulen. Die nationale Aufbruch- stimmung war gekoppelt mit der einsetzenden Konkurrenzsituation Koreas mit den Nachbarn und den durch Handelsverträge kooperierenden ferneren Ländern. Das heißt, "westliche" Technik und Naturwissenschaft konnten nicht länger ignoriert werden. Für die Gründung der Privatschulen war aber wohl der politisch-soziale und national- kulturelle Aspekt der wichtigere. Dieser war auch der Grund dafür, warum die Japaner 119 mit wachsendem Mißfallen die Schulgründungen beobachteten und mit wachsendem Einfluß auf die koreanische Innenpolitik ab 1905 die Privatschulen zu behindern suchten. Massives Aufkommen eines koreanischen Nationalbewußtseins stand der langfristig angelegten Kolonial- und Assimilationspolitik Japans im Wege. Die Besinnung auf nationale Eigenständigkeit verstärkte allerdings auch ein Problem, das bis heute die bildungspolitische Diskussion in Südkorea beeinflußt. Und zwar geht es dabei um die Schriftsprache. Die Herkunft der koreanischen Sprache ist noch unge- wiß. Einige Forscher vermuten eine Zugehörigkeit zur Ural-Altai-Sprachgruppe. Dann wäre das Koreanische verwandt mit den tungusisch-mandschurischen, mongolischen und den Turksprachen. Andere sehen Ähnlichkeiten mit Frühfonnen der japanischen Spra- che. Es gibt auch Stimmen, die eine Mischung einer auf der Halbinsel entstandenen koreanischen Ursprache mit benachbarten Sprachen vermuten (A Handbook 1994, S. 48; Yu, K.-H. 1992a, S. 7). Wie dem auch sei, mit dem Chinesischen ist die koreanische Sprache wohl nicht verwandt, wenn auch wegen der langen kulturellen Beziehungen viele chinesische Lehnwörter aufgenommen wurden. Eine eigene Schriftsprache entwik- kelten die Koreaner zunächst nicht, sondern sie übernahmen etwa ab dem vierten nachchristlichen Jahrhundert die chinesischen Charakter. Die Koreaner sprechen die Zeichen zwar anders aus als die Chinesen - aber über die Schrift war eine Verständi- gung der beiden Kulturvölker möglich. Nun ist das Erlernen von tausend oder tausenden chinesischer Charakter ausgesprochen mühselig und der nationale Stolz der Koreaner war sicher ein weiterer oder sogar der entscheidende Antrieb, eine eigene Schriftsprache zu entwickeln. Der von den Koreanern sehr geschätzte König Sejong (1418-1450) beauftragte eine Gelehrtenkommission mit der Entwicklung einer phonetischen Schrift für die koreani- sche Sprache. Das Ergebnis der Kommission bestand in einer sehr einfach zu lernenden Buchstabenschrift. Sie besteht heute aus 10 Vokalen und 14 Konsonanten und einer Anzahl von Doppellauten und Doppelkonsonanten. Diese Schrift wird Hangul genannt. 1446 wurde die koreansiehe Schrift durch König Sejong offiziell eingeführt. Es erhob sich allerdings erheblicher Widerstand aus dem Stand der Literaten und Beamten, der 120 Yangban-Schicht. Hangul wurde in diesen Kreisen verächtlich als "Volksschrift" (On- mun) bezeichnet, gut für briefeschreibende Frauen und ungebildete Bauern, aber als gänzlich ungeeignet für eine Beschäftigung mit dem Konfuzianismus eingeschätzt. Wichtiges Schrifttum wurde weiterhin in chinesischer Schreibweise abgefaßt, einiges wurde in Hangul übertragen. Folkloristische Romane und populäre Literatur wurden in den Folgejahrhunderten wohl überwiegend in Hangul herausgegeben. Die nationale Aufbruchstimmung in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts führte nun auch dazu, daß der Gebrauch von Hangul kräftig verstärkt wurde. Ich kann an dieser Stelle nicht klären, welchen Grad an Alphabetisierung die Ein- führung von Hangul in Korea bewirkte. Die Angaben sind widersprüchlich. In einem Buch des Erziehungsministeriums wird auf die Einführung von Hangul im Jahr 1446 hingewiesen und darauf, daß damit dem einfachen Volk eine leichte Methode zum Lesen zugänglich gemacht wurde. Es heißt dann weiter: " Accordingly, it has enabled Korea to have one of the highest literacy rates in the world" (MOE 1994, Vorsatz). Nun spricht einiges dafür, daß das stimmt. Es ist vom großen Vorbild China bekannt, daß Schreib-Lese-Fertigkeiten dort schon seit Jahrhunderten so weit verbreitet waren, daß es einer eigenen Klasse von "Schreibern" nicht bedurfte (Eberhard 1983, S. 69). Es ist sicher schwer zu definieren, was in China als "literacy" gelten soll. Rawski hat deswe- gen von einem Kontinuum der Schreib-Lese-Fertigkeiten gesprochen, das unterschiedli- che Leistungen als "literacy" zu deuten ermöglicht. Vielleicht braucht ein kleiner Händler nicht mehr als 500 bis 1000 Charakter zu beherrschen, um seinen unmittelbaren Schreib-Lese-Bedarf zu decken. Hingegen braucht ein Wissenschaftler gewiß ein Mehrfaches, um leistungsfähig zu sein (Rawski 1979; Woodside 1992). Jedenfalls war (ein begrenztes) Lesen und Schreiben in China wohl weit verbreiteter, als bei uns zur Feudalzeit. Und es ist auch anzunehmen, daß in Korea ähnliche Verhältnisse wie in China geherrscht haben. Die Erfindung und zunehmende Verbreitung der koreanischen Buchstabenschrift kann zur Schreib-Lese-Fertigkeit der Koreaner nur beigetragen haben. Frühe Reiseberichte, die insbesondere von Kaufleuten, Diplomaten und Missionaren stammen, gelten zwar im strengen Sinne vergleichender Forschung als vorwissen- 121 schaftlich, können aber doch häufig zur Illustration der damaligen Verhältnisse beitra- gen. Auf zwei derartige Quellen soll hier zurückgegriffen werden. Nämlich auf den wohl ersten in deutscher Sprache abgefaßten Reisebericht über Korea aus dem Jahr 1894 von Ernst von Hesse-Wartegg und auf die Schilderungen von Angus Hamilton, einem Engländer, der zehn Jahre später Korea besuchte. Im 19. Kapitel: "Unterrichtswesen und geographische Begriffe" seines Buches geht v. Hesse-Wartegg auch auf das Lesen- und Schreibenlemen ein (v. Hesse-Wartegg 1895, S. 143): "In den Schulen oder in den wohlhabenden Familien zu Hause wird den Kindern allerdings zuerst das einfache, aus 25 Buchstaben bestehende, koreanische Alphabet gelehrt, dem sich das Studium der 190 Grundsilben und der wichtigsten chinesischen Schriftzeichen anschliesst ... Gleichzeitig werden sie in dem Gebrauch von Pinsel und Tusche eingeweiht, mit welchen sie die koreanischen und chinesischen Druck- und Schriftzeichen nachma- chen müssen. Eine gute leserliche Handschrift wird bei den Koreanern sehr geschätzt, und ein ganz beträchtlicher Theil der Bevölkerung ist schreib- kundig, viel mehr als es beispielsweise die - Italiener sind. In der Arithmetik lernen sie das Ku-Ku (neun mal neun) und die Rechnungsarten ... Aufdiese Kenntnisse erstreckt sich die ganze Erziehung des weitaus grössten Theils des koreanischen Volkes - Männer wie Frauen. Sie genügen für die gewöhn- lichen Bedüifnisse ihres einfachen Lebens vollständig, denn sie ermöglichen es, Briefe (mit koreanischen Schriftzeichen) zu schreiben, Geschichten und Novellen zu lesen, von denen eine beträchtliche Anzahl in Korea verfasst und gedruckt werden. Anders ist es mit den Jungen, welche aufBeamtenposten Ansprüche machen wollen. Sie beginnen nun mit dem Studium der "Grossen Schrift", d. h. mit dem Chinesischen, wofür eigene Lehrbücher bestehen, welche die chinesi- schen und koreanischen Schriftzeichen, und daneben die chinesische und koreanische Aussprache derselben in grossen Typen zeigen." 122 Als Angus Hamilton Korea in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts besuchte, also noch Jahrzehnte vor der Einführung einer allgemeinen Schulpflicht, fand er folgendes Berich- tenswerte (Hamilton 1904, S. 105 f.): "Die Literatur in der Muttersprache ist sehr reichhaltig; sie umfaßt Über- setzungen aus den chinesischen undjapanischen Klassikern, Geschichtswerke über das koreanische Mittelalter und die Neuzeit, Reise- und Jagdbeschrei- bungen, Gedichtbücher, Briefsteller und auch eine ganze Anzahl von Roma- nen, die sich mit jenen Seiten der Menschennatur befassen, die überall die gleichen sind. Viele der Bücher werden von den koreanischen Frauen gründ- lich studiert ... Jeder Koreaner kauft gern Bücher in seiner Landessprache oder entnimmt sie den Leihbibliotheken. Für diejenigen, welche entweder nur Chinesisch oder Koreanisch können, sind viele Werke auf abwechselnden Seiten in beiden Sprachen geschrieben, und die ganz Ungebildeten lernen die wichti- geren Kapitel nach dem Gehör. Bei jeder Frau aber wird die Vertrautheit mit einem gewissen Buche vorausgesetzt, welches den Titel "Die drei Haupt- lehren des Verhaltens" führt und in die drei großen Abschnitte zerfällt: 1. Die Behandlung der Eltern, 2. das Aufziehen der Familie, 3. die Haushal- tung. Zu diesem Buche gesellen sich "Die fünf Lebensregeln" und "Fünf Bände über das Wichtigste aus der Literatur", denen die Koreanerin densel- ben Wert beimißt wie den obigen Schriften, und die in Ton und Inhalt ein- ander sehr gleichen. Sie behandeln die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Herrschern und Untertanen, Mann und Frau, Alten und Jungen und zwischen Freunden. Außerdem geben sie noch Ermahnungen zur Tugend und zum Fleiße." Die Beobachtungen von v. Hesse-Wartegg und Hamilton bestätigen prinzipiell die Aussage des Erziehungsministeriums, daß Korea früh eine vergleichsweise hohe Al- phabetisierungsrate erreichte. Andererseits beschreibt das Ministerium in der gleichen Broschüre den Aufbruch in die Modeme während der letzten zwei Dekaden des 19. Jhd. so: "This was the time when Koreans were called upon to be awakened from the mass illiteracy and intellectual torpor" (MOE 1994, S. 25). 123 Zurück zu den Jahren von 1880 bis 1910. Man kann ja durchaus zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich des Sinns und des Nutzens christlicher Missionsarbeit in anderen Kontinenten kommen. Betrachtet man die Beziehungen der Koreaner zum Christentum, so zeigt sich ein mehrschichtiges und widersprüchliches Bild. Die katholische Missionierung vor etwa 1880 wurde von vielen Koreanern während der Periode strikter politischer und kultureller Abgeschlossenheit des Landes als uner- wünschte Einmischung empfunden. Insbesondere führende Kreise fürchteten um die Unangefochtenheit der konfuzianischen Lehre, die das Herrschaftssystem legitimierte, und reagierten mit zum Teil sehr grausamen Christenverfolgungen. Nach der Öffnung des Landes wurden vor allem amerikanische Methodisten und Presbyter in Korea tätig. Sie gründeten eine Reihe von Schulen, die für das Bildungssystem Koreas wegweisend wurden. Ganz gewiß stand der Gedanke der Missionierung bei den Schulgründungen im Vordergrund. Aber mit diesen Schulen kamen modeme Lehrpläne und Unterrichts- formen ins Land. Auch wurde der Unterricht ganz auf die Verwendung der koreani- schen Sprache und Schrift hin orientiert und die kulturelle Eigenständigkeit Koreas bewußt gemacht und gefördert. Die Missionsschulen haben versucht, einer Japanisierung Koreas so gut es ging ent- gegenzuarbeiten, was sie während der Kolonialzeit in erhebliche Schwierigkeiten brachte. Diese Unterstützung der Koreaner bei deren Versuch, die kulturelle Eigen- ständigkeit zu wahren, hat das Volk den Missionsschulen nicht vergessen. Aber auch aus einem anderen Grunde haben die Missionsschulen ihren festen Platz in der Bil- dungsgeschichte: 1886 gründeten amerikanische Missionare die erste koreanische Schule für Mädchen. Diese Schule, "Ewha Girls School", hat sich mit den Jahren zu einer der angesehensten koreanischen Universitäten (für Studentinnen) entwickelt. Bei der Gründung stieß diese Schule jedoch zunächst auf Befremden und Ablehnung. Koreanerinnen war während der Yi-Dynastie ein Besuch von Schulen nicht erlaubt und eine Funktion in der Öffentlich- keit nicht zugestanden. Sie blieben im Haus und wurden dort - soweit man es für 124 notwendig hielt - erzogen und ausgebildet. Es waren Mädchen aus der Mittelschicht und aus modem gesonnenen Familien der Oberschicht, die sich als erste Schülerinnen einfanden. Für die nächsten Jahre blieb die "Ewha Girls School" die einzige Mädchen- schule. Eine in dieser Zeit entstehende Frauenbewegung für die Gleichheit der Frau in der koreanischen Gesellschaft richtete 1898 an den koreanischen Kaiser eine Petition mit der Bitte um Einrichtung von Schulen für Mädchen. Der Kaiser zeigte sich zwar geneigt, aber seine erzkonservative Regierung unterband 1900 die Finanzierung staatli- cher Mädchenschulen (Nahm 1993, S. 197 ff.). Während der Jahre nach der Öffnung des Landes und vor der japanischen Kolonialzeit, also zwischen etwa 1880 und 1910, wird das koreanische Bildungssystem durch drei ganz unterschiedliche Strömungen bestimmt. Es kam, wie schon angedeutet, aus vor- nehmlich patriotischen Motiven zu zahlreichen privaten Schulgründungen. Wie viele es wirklich waren, ist nicht zu klären. Während Nahm von etwa 2000 Gründungen spricht, geht Lee, Ki-Baik von zirka 3000 privaten Schuleröffnungen aus (Nahm 1993, S. 214; Lee, K.-B. 1984, S. 332). Die genaue Zahl spielt hier auch keine Rolle. Wichtig ist festzuhalten, daß zu jener Zeit Privatinitiativen die Diskussion des Komplexes von Bildungsbedarf und -nachfrage ganz erheblich mitbestimmten. Der Aufbruch in eine modeme Bildungsgesellschaft wurde nicht durch die herrschende Yangban-Schicht ausgelöst, sondern wurde durch eine aufstrebende Mittelschicht vorangetrieben (Lee, K.- B. 1984, S. 332 f.). Die bemerkenswert konservative Klasse der Yangban, die auch die Bildungspolitik des Landes bestimmte, denn schließlich stellte sie die Regierungsmit- glieder, hielt sich mit Schulgründungen sehr zurück. Das zeigt sich auch in der Zahl staatlicher Bildungseinrichtungen, die zu der Zeit entstanden. Es muß vermutet werden, daß der bei weitem größte Teil der privaten Schulgründungen mehr Ausdruck einer sozialen und politischen Bewegung war, als daß er das Bildungs- angebot tatsächlich nachhaltig und langfristig verbessert hat. Die pädagogische Effekti- vität dürfte auf Grund der schwachen Finanzausstattung und der fehlenden Qualifikation des Lehrpersonals nicht besonders hoch gewesen sein. 125 Heutige Übersichten über damalige Schulgründungen zeigen, daß nur relativ wenige der privaten Schulen einen berichtenswerten Stand erreichten und in die Geschichte des Erziehungswesens eingegangen sind. So sind in der nachstehenden Liste (Abb. 7) des Erziehungsministeriums nur 19 Privatschulen aus der Gründungszeit zwischen 1883 und 1908 aufgeführt (MOE 1994, S. 26; eine ähnliche Aufstellung findet sich in: Lee, K.-B. 1984, S. 333 f.). Nur drei Privatschulen, im übrigen alle in Seoul, waren für Mädchen eingerichtet worden und nur etwa ein Drittel der Gründungen lag nicht in der Haupt- stadt. Die aufgelisteten Missionsschulen zeugen von einer viel konsequenteren Bildungspolitik der christlichen Gemeinschaften in Bezug auf die Förderung von Frauen einerseits und der Bevölkerung außerhalb der Hauptstadt andererseits als es die nichtchristlichen Privatschulgründungen tun. Von den 30 christlichen Bildungseinrichtungen waren immerhin 11 für Mädchen bestimmt und insgesamt 22 Missionsschulen wurden au- ßerhalb von Seoul errichtet. Betrachtet man nun die dritte Säule, auf der das Bildungssystem der damaligen Zeit stand, so zeigt sich folgendes: Die Regierung verhielt sich, wie vor der Öffnung des Landes, bildungspolitisch erstaunlich zurück. 1882 wurden zwar durch königlichen Erlaß alle bis dahin vorhandenen Bildungseinrichtungen auch für Nichtadelige geöffnet, die Bildungsprivilegien der Yangban-Klasse prinzipiell beendet. Aber es dauerte weitere 13 Jahre bis 1895 die erste staatliche Grundschule für Jungen eingerichtet wurde. 126 Schulgründungen zwischen 1883 und 1908 Year Natiooal Private l\lission of foun- Name Localion Name Location Name Location dation 1883 Yong-o-Hakkyo Seoul Wonsan Haksa Wonsan 1885 Kwanghye-won Seoul 1885 Paechae Seoul 1886 Yukyong Kongwon Seoul Ewha Girls Seoul 1886 Kyongshin Seoul 1894 Kwangsong P'yongyang 1894 Sungdok P'yongyang 1895 Hansong Foreign Seoul Hungwha Seoul Chongshin Seoul Language Girls 1895 Hansong Normal Seoul Ilshin Girls Tongnae 1895 Songgyunkwan Seoul 1895 Hansong Primary Seoul 1896 Chongjin P'yongyang 1897 Sungshil P'yongyang 1897 Yonghwa Inchon 1897 Shinkun Seoul 1898 Paehwa Girls Seoul 1898 Maeng-a P'yongyang 1899 Hansong Middle Seeul 1899 Kyongsong Med. Seoul 1899 Hansong Commer- Seoul cial and Technical 1900 Hansong High Seoul 1900 Military Academy Seoul 1901 Nagkyon-uisuk Seoul 1903 Sung-ui-Girls P'yongyang 1903 Lushi Girls Wonsan 1903 Jongmyong Mokp'o 1904 Chungyon Hakwon Seoul Hoston Girls Kaesong 1904 Jinsung Wonsan 1905 Yangjong Seoul 1905 Posong Seeul 1906 Hwimun Seoul Kesong Taegu 1906 Chinmyong Girls Seoul Shinsong Sonch'on 1906 Sookmyong Girls Seoul Posong Girls Sonchon 1906 Chungdong Seoul Ui-myong Anju 1906 Hyonsan Yangyang 1907 Chomjin P'yongyang Hanyong Kaesong 1907 Taesong P'yongyang Yakhyon Seoul 1907 Osan Chongju Supia Girls Kwangju 1907 Kwangshin Seoul Shinmyong Taegu Girls 1907 Changhun Seoul Kichon Girls Chonju 1907 Yangsan Anak 1908 Tongdok Girls Seoul Shinhung Chonju 1908 Hangsong Higher Seoul Poin Seoul Changshin Masan Girls Quelle: MOE 1994, S. 26. 127 Abb.7 Bolljahn berichtete im Jahr 1900 als erster deutscher Lehrer einer Sprachenschule in Korea nicht viel Gutes über die besichtigten privaten Grundschulen: "Sie taugen nichts, schaden aber der Gesundheit der Kinder ungeheuer viel" ... "Von Methode, Disziplin keine Ahnung, nichts weiter, als gedankenloses Herplappern" (Bolljahn 1900, S. 196, 197). Die inzwischen auf neun angewachsene Zahl von staatlichen Grundschulen in Seoul - nach wie vor nur für Jungen zugänglich - kommen bei seiner kritischen Würdigung etwas besser weg. Das liegt wohl auch daran, daß sie im Erscheinungsbild und Betrieb europäischen Schulen ähnlich waren. Es fallen im Bericht die Wörter "Schulhof', "Schulbänke", "Wandtafel", "Lehrertisch" und ähnliche Begriffe, die europäische Schulen charakterisieren. Die Schulen boten einen dreijährigen Kurs an. Der Stundenplan, an jedem Wochentag der gleiche, sah vor: 2 Stunden Schreiben I Stunde Lesen I Stunde Auswendiglernen I Stunde Rechnen I Stunde Turnen I Stunde Wiederholung Im zweiten Jahr kamen als Fächer Geographie und Aufsatz und im dritten Jahr noch "mathematische Geographie" hinzu. Am Sonnabend wurden Wochenexamen durch- geführt, ferner gab es "Monatsprüfungen". Der Schulbesuch der Jungen ließ an Stetig- keit sehr zu wünschen übrig. Es lag ganz bei den Eltern, ob und wann ihre Söhne die Schule besuchten. Von einer Schulpflicht war noch nicht einmal ansatzweise die Rede. Bemerkenswert ist, daß Bolljahn noch 1900 berichtete, daß die Jungen mit dem Er- lernen von 1000 chinesischen Zeichen beginnen und ihr erstes Lesebuch die chinesi- schen Morallehren beinhaltete. Von einer "Koreanisierung" der Bildungsinhalte wird nicht berichtet (Bolljahn 1900, S. 196 ff.). 128 Zur Ausbildung von Grundschullehrern wurde 1895 ein Lehrerseminar ("Norrnalschule") gegründet. Ein Amerikaner unterrichtete im Regierungsauftrag die Seminaristen und sollte darüber hinaus bei der Erstellung von Lehrmitteln mithelfen. Die internationalen Beziehungen im diplomatischen und ökonomischen Bereich, die Korea unvermittelt aufnehmen mußte, machten Kenntnisse in Fremdsprachen notwendig, wie sie bis dahin in diesem Land gänzlich unüblich waren. Nun lag es auch im Interesse vieler Länder, Einfluß auf Korea zu gewinnen und durch Verbreitung der eigenen Sprache politische Positionen zu sichern. Ende der 80er und in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es in Seoul zur Gründung zahlreicher Sprachenschulen. Engländer, Franzosen, Russen, Japaner, Chinesen und Deutsche konkurrierten um Schüler und gesellschaftliche Anerkennung. Bolljahn, der als erster und damals auch als einziger deutscher Lehrer mit dem Aufbau der deutschen Sprachenschule betraut war, verfaßte eine köstliche Schilderung der Verhältnisse. Hier ein Ausschnitt (Bolljahn 1900, S. 201): "leder Fachmann weiß, wie schwer es bei uns zu Hause ist, eine vollge- pfropfte Klasse erfolgreich zu unterrichten, und nun denke man sich hier Schüler mit ganz geringer Vorbildung; manche kannten kein einziges korea- nisches Zeichen, viel weniger noch Chinesisch, von einer europäischen Sprache keine Ahnung, dazu einen Dolmetscher, der, wie gesagt, auch nur englisch sprechen konnte, sich sonst aber als ein intelligenter und lernbegie- riger Gehilfe erwies. Ohne Prüfung, obgleich ich verschiedentlich drauf gedrungen, hatte man mir die Schüler, meistens Verwandte, Bekannte oder Begünstigte höherer Beamten, zugeschickt. Viele von ihnen hatten noch nie auf einer Bank gesessen, verstanden von Disziplin, Ordnung und Ruhe überhaupt nichts. " Die anderen Sprachenschulen waren auch kaum mehr als "Einmannbetriebe" (Lee, M.- H.1989, S. 27). Ebenso personell dürftig war die 1899 unter dem Erziehungsministerium gegründete medizinische Fachschule ausgestattet. Ein einziger japanischer Arzt bemühte sich, europäische Arznei- und Heilkunde in Korea zu verbreiten. 129 22 Jahre nach Gründung der ersten Missionsschule für Mädchen kam es 1908 zur Eröffnung der einzigen staatlichen Mädchenschule während der Yi-Dynastie. Auch ist es auffallend, daß alle staatlichen Bildungseinrichtungen, die auf der Liste der Schul- gründungen verzeichnet sind, in der Hauptstadt Seoul angesiedelt wurden. Insgesamt kann man die Bildungspolitik der koreanischen Regierung nach Öffnung des Landes als konservativ, zentralstaatlich auf Seoul konzentriert und wenig nachdrücklich bezeichnen. Es ist bemerkenswert, daß der Staat sich die gesellschaftliche Aufbruchstimmung und die Besinnung starker Kräfte auf eine koreanische kulturelle Eigenständigkeit so wenig zunutze machte. Eine tributpflichtige Abhängigkeit von China bestand ja seit 1895 nach dem Sieg der Japaner über China nicht mehr. Als Zeichen für die Gleichrangigkeit mit den Herrschern in Tokyo und Peking nannten sich die letzten Vertreter der Yi-Dynastie deshalb "Kaiser" und nicht mehr "König", wie in den früheren Jahrhunderten. Auch der Landesname wurde von Choson in "Kaiserreich Tae-Han" geändert. Trotz der gewonne- nen Zunahme an Eigenständigkeit auf der einen Seite und des wachsenden Drucks Japans auf Vorherrschaft in Korea auf der anderen Seite, verhielt sich die Regierung auf dem Sektor des Erziehungswesens fast tatenlos. Unter diesen Umständen wird erklärbar, daß koreanische Quellen übereinstimmend den damaligen Einfluß ausländischer Christen auf das Erziehungssystem positiv beurteilen. Die Missionare halfen den Koreanern beim Aufbruch zur Selbständigkeit und zur Modernisierung und im Kampf gegen ihre reaktionär-konservative Führungsschicht (Shin, K.-B. 1978, S. 12): "Perhaps the greatest injluence on education of the period derived from missionary schools established and managed with Christian spirit and We- stern methods. Sciences and humanities ofthe Western tradition were taught at the missionary schools. By stressing the spirit of national independence and the dignity of man, these schools laid a firm foundation for the growth of a democratic way of life. It may weil be said that these schools founded by foreign Christian missionaries opened the road to a new concept of education. " 130 Heute engagiert sich der südkoreanische Staat mit großem materiellen Aufwand und politisch steuernd im Bildungssektor. Trotzdem gibt es eine Vielzahl von Schulen und Hochschulen im privaten Besitz, werden von Einzelpersonen, Firmen oder Kirchen Bildungseinrichtungen betrieben. Dieser Sachverhalt wird in der koreanischen Gesell- schaft keineswegs negativ beurteilt. Das liegt, so vermute ich, auch an der Erinnerung an die sehr positive Rolle, die die nichtstaatlichen Schulen am Ausgang der Yi-Dynastie und während der japanischen Okkupation gespielt haben. In Deutschland liegen die Verhältnisse deutlich anders. Hier wird dem Staat (den Bundesländern) quasi ein Monopol auf Schulen durchweg zugestanden. Privatschulen werden eher mit Irritation wahrgenommen. Das gilt zumindest für den Bereich der allgemeinen Bildung und für den Hochschulsektor. 4.4 Von 1910 bis 1945. Kolonialzeit: Der Einfluß Japans Die Japaner verhielten sich in Korea bildungspolitisch nicht anders, als es die europäi- schen Mächte in ihren Kolonien schon vorgemacht hatten. Die Koreaner erfuhren nun nach der Missionspädagogik, die, wie gesagt, nach koreani- scher Einschätzung die Entwicklung des Bildungswesens positiv beeinflußte, einen weiteren Eingriff durch die japanische Kolonialpädagogik. Unter dem Strich blieb auch hier eine positive Nachwirkung. Sie wird allerdings stark überlagert durch bittere, leidvolle Erfahrungen mit den Kolonialherren. Die auch die Bildungsmaßnahmen bestimmende Politik der Ausbeutung muß schon schwer erträglich gewesen sein. Aber die nationale Demütigung mit dem Ziel, auch über das Bildungssystem die koreanische Kultur spurlos untergehen zu lassen, war für die Koreaner nicht hinnehmbar. In der japanischen Bildungspolitik im annektierten Korea lassen sich drei Phasen unterscheiden. 131 Die erste Phase von 1910 bis 1919 ist gekennzeichnet durch Unterdrückung des korea- nischen Bildungswillens und durch polizeistaatliche Kontrolle des Schulwesens. Nach- dem es daraufhin 1919 zu zwar gewaltfreien aber dennoch bedrohlichen Unruhen kam, änderten die Kolonialherren ihre Politik und verfuhren kolonialpädagogisch nach dem Adaptionstyp. Das heißt, sie nahmen auf einige Bedürfnisse der Koreaner Rücksicht, ohne jedoch den Koreanern eine autochthone Bildungskultur zuzugestehen. Es blieb das Ziel, durch Bildung an japanischer Kultur die Koreaner an das Kolonialreich anzupas- sen. Die zweite Phase dauerte von 1920 bis 1931. Sie fand ihr Ende mit der aufkommenden Bereitschaft der Japaner, sich kriegerisch auf dem Festland zu engagieren. Japan begann 1931 mit der Besetzung der Mandschurei. Die Kolonialpädagogik von 1932 bis 1945 als dritte bildungspolitische Phase schlug im gesamtpolitischen Zusammenhang nun einen neuen Weg ein. Sie folgte jetzt dem "Assimilationstyp". Eigentlich ist der "Assimila- tionstyp" zeitlich früher als der "Adaptionstyp" (Hausmann 1961, S. 182), aber beide Formen hat es bis zum Ende der japanischen Kolonialpolitik gegeben. "Assimilation" bedeutet die entschiedene, rücksichtslose kulturelle Angleichung der einheimischen Bevölkerung an die kolonisierende Nation. Neben den kulturellen Aspekten war in diesem Fall die Umstellung der Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft mit der Mobilisie- rung aller Kräfte, auch derer in den Kolonien, eine treibende Kraft für die bildungs- politische Kursänderung. Ein Jahr nach der Besetzung Koreas wurde 1911 von den Japanem die erste "Korean Educational Ordinance" erlassen. Diese Verordnung verfolgte mehrere Ziele. Es sollte ein Schulsystem aufgebaut werden, das fest durch die staatlich-japanische Hand ver- waltet werden konnte. Damit war die Stoßrichtung klar: Die Japaner versuchten durch Auflagen und Behinderungen das private Schulwesen zu schwächen. Es gelang durch ständige Polizeikontrollen und Verdächtigung anti-japanischer Tendenzen Privatschulen zu schließen oder ihnen die staatliche Anerkennung zu entziehen. Die japanische Politik richtete sich auch entschieden gegen die christlichen Missionsschulen. Vier Sachverhalte waren es, die den harten Kurs gegen die Missionsschulen bestimmten: 132 Die Japaner wünschten sich das Schulsystem unter staatlicher Hoheit, etwa dem Gedanken der Trennung von Staat und Kirche folgend, nach der der Staat für die weltliche und die Kirche für die religiöse Bildung zuständig ist. Die Japaner wollten eine nationale (sprich: japanische) Erziehung. Das Christentum sei seiner Natur nach aber übernational und müsse daher aus dem Erziehungswesen ausscheiden. Die Japaner wollten keine fremdstaatliche (amerikanische) Einmischung in ihr für Korea geplantes Bildungssystem hinnehmen. Die Japaner befürchteten (nicht unberechtigt), daß die Missionsschulen eine pro- koreanische und damit anti-japanische Grundhaltung verbreiteten. Die Schwierigkeiten der Missionsschulen in Korea wurden verständlicherweise beson- ders in Nordamerika diskutiert, aber auch in der Nachfolge in europäischen Kirchen- kreisen beachtet und beobachtet. 1917 erschien in Basel ein Artikel über die Nöte der Schulen in Korea und über Möglichkeiten, sich mit den Japanem zu arrangieren. Einige Zitate aus dem Artikel können die Situation illustrieren (c. (NN) 1917, S. 210 ff.): "Das Bedenken, das die Regierung in dem Schulsystem der Amerikanerfand, besteht darin, daß der Unterricht entweder unmittelbar unter diesen Frem- den steht, oder daß sie wenigstens mittelbar ihren Einfluß daraufausüben ... Solcher Missionare sind es über 300, die meisten lange vor der Besitzer- greifung Koreas durch Japan im Lande ansässig ... Dazu kommt, daß die Japaner den Eindruck haben, dieser amerikanische Missionskörper stehe der japanischen Herrschaft über Korea nicht sympa- thisch gegenüber. Dieser Argwohn ist zwar unberechtigt; aber bei den stol- zen, äußerst empfindlichen Japanern ist er nur zu begreiflich. Alsdann aber betrachten die Japaner die Erziehung als eine Tätigkeit des Staates in dem Sinn, daß dieser die absolute Gewalt über den Jugendunter- richt habe, um das Volk für die Zwecke des Staates zu bilden. Die Schulen sollen Staatsbetriebe sein, so gut als die Justiz und das Heer. Privatschulen sind daher nicht zu dulden, zumal wenn die Lehrer Angehörige eines frem- den, vielleicht nicht einmal freundlich gesinnten Volkes sind. Grundsatz des Staates ist, daß die Kirche predige und der Staat lehre. " 133 Dann werden Ausführungen des presbyterianischen Missionsdirektors Dr. Arthur Brown über das zukünftige Verhältnis der evangelischen Kirchen zur japanischen Besatzungs- macht zitiert: "Der Satz, daß Religion ein wesentlicher Teil des Programms der Mission sei, tritt für die Japaner in Schatten durch die politischen Bedenken gegen eine mächtige fremde Organisation, die der japanischen Herrschaft über Korea entgegenstehe. Um diese ist es der Regierung zu tun, viel mehr als um die Frage, ob die Bibel in den Privatschulen einen Teil des Unterrichts bilde. Es soll in der Schule eine Luft der Loyalität herrschen. Der General- gouverneur soll gesagt haben, er wolle nicht aus koreanischen Knaben und Mädchen kleine Amerikaner gemacht sehen. Da nun dies wirklich nicht die Absicht der Missionare ist, so steht zu hoffen, daß man sich verständige ... Im übrigen ist das Streben Japans, Tschosen zu assimilieren, mit gutem Willen anzuerkennen, und es ist gewissenhaft alles zu vermeiden, was dieser Gesinnung nicht entspricht ... Da der Lehrplan der Regierung die japanische Sprache umfaßt, so sollen die nach Korea bestimmten Missionare, wie auch die jüngeren Missionare, die sich schon im Lande befinden, sich des Studiums dieser Sprache befleißigen. Allen Verordnungen Japans, mit Ausnahme des Ausschlusses des Religions- unterrichts, ist bereitwillig nachzukommen. Der amerikanische "vierte Juli" muß wegfallen, und die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung der Ver- einigten Staaten darf nicht so geschildert werden, daß die koreanische Jugend den Eindruck erhält, man stelle ihr diese Begebenheit als nachzuah- mendes Beispiel vor. Anders ist der Weg der Mission in bezug des Ausschlusses des christlichen Unterrichts aus der Missionsschule, weil er den Charakter und den Zweck dieser Schule antastet. Da ist respektvoll, aber fest auf die Erhaltung der bisherigen Freiheit zu dringen." Die "Korean Educational Ordinance" von 1911 sah neben der Zentrierung des Schulwe- sens unter staatlich-japanischer Herrschaft vor, ein zweigeteiltes Schulsystem aufzubau- en. Der eine Zweig hatte die einwandernden Japaner im Blick. Für sie sollten Bildungs- 134 einrichtungen geschaffen werden, die denen im Mutterland entsprachen. Der andere Zweig wurde im Hinblick auf die Koreaner entwickelt. Die Begründung für die unterschiedlichen Bildungsangebote wurde in der Verordnung mitgeliefert. The "different standard of living did not permit amalgamation" (zitiert nach: Adams 1980, S. 210). Fast zynisch klingt die Rechtfertigung dieser Politik in einem Artikel, der in einem Jahrbuch der Columbia University, New York, 1931 veröffentlicht wurde (Abe 1931, S. 696): "On account ofgreat differences in the ideas, customs, manners, and langua- ges of the two people, it became necessary to simplify the educational system and to make it more practical for Korean children. " In der Praxis sah es so aus, daß für Koreaner eine vierjährige Grundschule für aus- reichend gehalten wurde. Darüber hinaus gab es in der Phase der Unterdrückung bis 1919 nur fünf vierjährige Mittelschulen für Jungen und zwei dreijährige Mittelschulen für Mädchen. Einige dieser Mittelschulen waren beruflich orientiert. Es gab nur drei Einrichtungen, die auf die sieben- bis achtjährige Schulbildung aufbauten. Damit war die Tendenz klar: Mit Hilfe der japanischen Grundschulen, die japanische Sprache wurde als Fremdsprache verbindlich und neue, japanische Textbücher wurden eingeführt, sollte Loyalität und Gehorsam erreicht werden. Von höherer Bildung aller Art sollten koreanische Jugendliche ferngehalten werden. Dazu verringerten die Japaner die ohnehin schon sehr spärlich vorhandenen, noch aus der Yi-Dynastie stammenden, Colleges. Vielmehr wurde koreanischen Jugendlichen empfohlen, sich beruflich zu qualifizieren (Nahm 1993, S. 250 f.); Im, H. 1960, S. 367 f.). Die schulischen Chancen (staatlich finanziert) waren dazu äußerst gering, nahezu null. Am Ende der ersten Phase der Kolonialpolitik sah es bezüglich der Bildung koreani- scher Kinder mehr als kümmerlich aus. Nur 3,7 % der Kinder im schulfähigen Alter besuchten eine öffentliche Grundschule. Das ist wenig im Vergleich mit 91,5 % japani- scher Kinder in Korea, denen eine Grundschulbildung zugute kam. Für die japanischen Kinder bestand Schulpflicht, für die Koreaner während der ganzen Kolonialzeit hin- 135 gegen nicht. Damit entfiel natürlich auch für die japanische Regierung die Pflicht, Grundschulen in Korea flächendeckend einzurichten. Ca. 11 % der koreanischen Kinder besuchten aus Mangel an anderen Gelegenheiten die traditionellen, staatlich nicht anerkannten, Dorfschulen "Sodang". Diese Schulen folgten noch dem herkömmlichen Plan: Chinesisch und konfuzianische Texte als Lerninhalte. Inspiriert durch die 14-Punkte-Erklärung des amerikanischen Präsidenten Wilson vom Januar 1918 kam es zu einer Widerstandsbewegung der Koreaner gegen die japanische Okkupation. Der Widerstand wurde aus verschiedenen Quellen gespeist. Christen und Schüler/Studenten gehörten zu den stärksten Gruppen. Der Aufstand gegen die vielfälti- ge Unterdrückung ist bekannt geworden unter der Bezeichnung "The March First Movement". Die von Tausenden von Menschen getragenen Demonstrationen Anfang März 1919 wurden von japanischen Sicherheitskräften, obwohl nach allen Berichten ganz überwiegend friedlich verlaufend, brutal unterdrückt. Wohl doch beeindruckt und möglicherweise auch mit Rücksicht auf das Ausland, wurde die Kolonialpolitik ge- ändert. Zumindest schien es so. Tatsächlich wurde die Diskriminierung der Koreaner in etwas gemilderter Form fortgeführt. 1922 wurde die zweite "Educational Ordinance" erlassen. Danach sollten die getrennten Schulsysteme integriert werden und perspektivisch Japaner und Koreaner gemeinsam beschult werden. Auch wurde koreanische Geschichte und Landeskunde in Grenzen wieder als Lerninhalt zugelassen. Schulneugründungen bevorzugten aber wieder unver- kennbar japanische Jugendliche. Formal wurde die Grundschule auf die in Japan üblichen sechs Schuljahre ausgedehnt. "Lokale Gegebenheiten" konnten jedoch auch kürzere Grundschulerziehung zulassen. Das Curriculum entsprach weitgehend dem japanischen Stundenplan. Für die Schulen mit koreanischen Kindern gab es zwei abweichende Fächer: In geringem Umfang wurden koreanische Sprachkenntnisse vermittelt und das Fach "Manual Training", das es in Japan nicht gab, eingeführt. In einer vereinzelt angebotenen zweijährigen Aufbauschule kamen zu einer Wochenstunde "Manual Training" noch fünf Stunden "Vocational Studies". Es ist unverkennbar, daß die koreanischen Kinder nach wie vor auf eine vorberufliche oder berufliche Bildung 136 hin orientiert werden sollten und die höhere, universitäre Bildung den Kindern der japanischen Siedler vorbehalten blieb. Die Rechtfertigung lag wieder in der besonderen Situation des Landes (Abe 1931, S. 699): "... and also vocat;onal studies wh;ch were made obligatory because 01 the peculiar conditions 01 the country. In the vocational studies the aim ;s to give ch;ldren the general knowledge and skills necessarylor their vocational life, to train them to realize the significance 01 the;r vocations, and to love labor. " Der Stundenplan für koreanische Jungen in der Grundschule sah wie folgt aus: Curriculum oe Common School I I Year I1 I 2 I 3 I 4 I 5 I 6 Morals 1 1 1 1 1 1 Japanese langUage 10 12 12 12 9 9 Korean langUage 4 4 3 3 3 3 Arithmetic 5 5 6 6 4 4 Japanese history · - - - 2 2 Geography - - - - 2 2 Science · - - 2 2 2 Drawing · - I 1 2 2 Singing 3 3 1 1 1 1 Gyrnnastics 3 3 3 3 Manual training 1 I I 1 2 2 Total 24 26 28 30 31 31 Quelle: Abe 1931, S. 699. Abb.8 1926 wurde eine Universität, die erste modeme auf koreanischem Boden, in Seoul eröffnet. Die Enttäuschung der Koreaner war aber groß, als sie gewahr wurden, daß auch diese Bildungseinrichtung praktisch nur für Studenten japanischer Herkunft zugängig war. Die Disparitäten waren tatsächlich sehr hoch. Auf Verhältniszahlen umgerechnet, kam auf sechs japanische Grundschüler nur ein koreanisches Kind und im 137 Hochschulbereich verschoben sich die Zahlen noch viel weiter: Auf 109 Japaner kam ein koreanischer Student (Lee, K.-B. 1984, S. 367). Für die wenigen berufsqualifzierenden Schulen gab es keine besonderen Vorschriften. Den Gründern wurde freie Hand gelassen bezüglich der Dauer der Ausbildung und deren Organisation. So schwankte die Ausbildung zwischen zwei und fünf Jahren je nach Fachrichtung und örtlichen Gegebenheiten. Die Angaben über die Anzahl der Schulen gehen in den von mir eingesehenen Quellen auseinander. Aber selbst wenn man den weitestgehenden Zahlen der am meisten verbreiteten Fachrichtung, nämlich Land- wirtschaft folgt, sind die Zahlen gering. 1931 sollen in 25 Landwirtschaftsschulen 520 Japaner und 4500 Koreaner eingeschrieben gewesen sein (Abe 1931, S. 705). Über- einstimmend wird angegeben, daß zu jener Zeit nur eine einzige staatliche Schule für industrielle Berufe existierte. Sie wurde 1931 von 150 japanischen und 100 koreani- schen Auszubildenden besucht. Über diese Schule liegt ein Bericht aus den ersten Jahren der Kolonialisierung vor. Norbert Weber, Erzabt von St. üttilien, hielt die Eindrücke seiner Koreareise in einem umfangreichen Bericht fest. Über die "Indu- strieschule" führte er unter anderem aus (Weber, N. 1923, S. 293 ff.): "Die ganze Anlage bestehtfiinfJahre und ist noch ein Werk des Fürsten 1to, der damit eine segensreiche Einrichtung für Korea geschaffen hat. Etwa einhundertsiebzig Schüler im kräftigsten Jünglingsalter besuchen die Schule. Fünf Industriezweige herrschen vor; zu ihnen gesellen sich einige andere ergänzende hinzu: vor allem Weberei, Töpferei, Eisengießerei und Eisenver- arbeitung, Papieifabrikation und Schreinerei. Das ganze macht den Eindruck ernsten, zielbewußten Strebens zum Besten des Volkes, und die jungen Leute scheinen mit Lust und Liebe daranzugehen etwas zu erlernen, was ihnen einen Nutzen fiir die Zukunft bringt, Was hier noch recht angenehm berührt. ist das, daß sich als Emblem der Schule wie allenthalben in den Anlagen, so auch aufden Mützen - auch der japanischen Lehrer - das koreanische Wap- pen erhalten hat. ... In dem eigentlichen Webesaal, dem in der ganzen Schule die größte Bedeu- tung beigelegt ist, stehen wohl an die fiinfzig bis sechzig Webstühle,' etwa dreißig japanische sind, weil am wenigsten kompliziert, fiir die Anfänger in 138 dieser Kunst bestimmt. Auf ihnen erscheint das koreanische Gewebe, wie es von all den Bewohnern getragen wird. ... Nebenan in einem großen Laboratorium ist die Färberei. Eine Menge von Bottichen, Mangen und Kesseln zum Reinigen und Färben der Leinenstoffe nimmt den einen Teil des Saales ein; im anderen stehen die Farben und die Tische. ... Die Töpferei, die sich weniger den gewaltigen Eimern und Krügen zuwendet, welche die koreanischen Töpfer draußen aufdem Lande verfertigen, sondern sich mehr mit zierlichen Porzellanwaren und kleineren Geschirren befaßt, weicht von der koreanischen in etwas ab. ... Die Eisenbearbeitung verteilt sich auf verschiedene Räume. In dem einen werden Güsse hergestellt: die großen eisernen Töpfe, wie sie die Koreaner für das Abkochen des Reises benötigen, eiserne Ofen und dergleichen kom- men aus den Formen, die aus Formsand hergestellt, überall auf dem Boden umherstehen. Ein etwas kleinerer Raum enthält die Schmiede. Dort werden die relativ wenig eisernen Werkzeuge der Koreaner, wie das koreanische Sichelmesser und einige wenige Stahlwaren bereitet. An ihn schließt sich ein großer Maschinenraum, in welchem eine Menge Eisendrehbänke und Bohrmaschinen stehen, und der auch der Spenglerei Unterschlupf gewährt; diese verrät sich durch Kant- und Rohrwalzmaschi- nen. Einige Anfangsproben der jungen Klempner liegen aufgehäuft da: kleine Blechtrichter, etwas ungelenk zusammengefügte Gießkannen; aber auch die Arbeit der Fortgeschrittenen, wie der Kupfereinsatz zu einem japanischen Buffetofen. Ein kleines Kabinett dürfen wir nicht übersehen; das Volt- und Amperemeter deuten seine Bestimmung an, zudem hier das Voltmeter nur bis zu fünfzehn reicht. Es dient der Galvanostegie. ... Die Schreinerei mit ihren verwandten Handwerken, der Drechslerei und Wagnerei, füllt eine große Anlage. Eine Menge Hobelbänke, die zwar einen bedeutenden Fortschritt gegenüber den alten koreanischen und chinesischen bedeuten, aber doch noch ein gutes Stück von den europäischen abstehen, sind von Arbeitern besetzt; in die Ecken drücken sich noch ein paar Drech- 139 selbänke, und einige gut ausgeführte Wagenräder dienen als Reklameschild. Ein Zimmer mit vielen Retorten und Reagenzien für Bodenanalyse, eine Anlage für Gerberei, ein Raum, in welchem Knochenleim und Seife fabriziert wird, vervollständigen so ziemlich den praktischen Teil der Industrieschule. Die fheoretische Ausbildung begnügt sich mit den Vormittagsstunden; und auch da kommen nur die Anfänger. Für die Fortgeschrittenen ist der theore- tische Unterricht auf den Samstag beschränkt; sie können und sollen sich umsomehr praktisch in ihrem Handwerk betätigen. So ist in dieser Industrie- schule alles auf die Bedürfnisse und Mittel zugeschnitten, mit welchen das koreanische Handwerk in der Hausindustrie zu einer gesunden Entwicklung kommen soll. Es ist im großen ganzen dem Kleinbetrieb Rechnung getragen, den der junge Mann anlegen wird, wenn er als Meister die Schule verläßt. Und das ist's vor allem, was Korea nottut. Es war ein glücklicher Griff, den der große Staatsmann mit dieser Schulgründung gemacht hat. Sie bildet die naturgemäße Ergänzung zu der LandwirtschaJtsschule in Suwon und der Obstbauschule in Tuxon. Nur ist die Zahl derartiger Schulen für ein Land zu gering. Aber der Anfang ist gemacht." Über diesen Anfang ist es im Verlauf der ersten zwanzig Jahre der Kolonialzeit nicht wesentlich hinausgekommen. Es gab in der dritten Phase der Kolonialpädagogik von 1931-1945 gewisse Anstrengungen, im Sekundarbereich berufliche und technische Schulen einzurichten. 1935 existierten 72 Schulen mit einem fünfjährigen Programm und mit etwas mehr als 9000 Schülern. Daneben gab es 91 Schulen für eine zweijährige Ausbildung mit 3500 Schülern. Bezieht man diese Zahlen auf ein Volk in der Größen- ordnung von etwa 20 Millionen Menschen, dann sind diese Ausbildungskapazitäten kaum nennenswert. Selbst wenn man den "Endausbau" beruflicher Schulen im Jahr 1944 betrachtet, sind die Zahlen nicht überwältigend. So gab es zum Ende der Kolonial- zeit 268 berufliche Schulen mit 60.000 Ausbildungsplätzen (Nahm 1993, S. 258). Die während der Kriegszeit verstärkte japanische Anforderung von qualifizierten Arbeits- kräften für ihre Kriegsproduktion kann allein durch die Schulen nicht befriedigt worden sein. Hier ist wohl von den Betrieben - außerhalb des formalen Bildungssystems - einiges geleistet worden. 140 Den mit der Bevölkerung wachsenden Bildungs- und Schulnöten ist auch in der dritten Phase der Kolonialpädagogik nicht nachhaltig begegnet worden. Die diskriminierende Schulpolitik blieb bestehen: Außer einer Grunderziehung und einer Berufsvorbereitung wurde koreanischen Jugendlichen nicht viel angeboten. Die Einschulungsrate in die staatliche Grundschule erhöhte sich zwar in den vierziger Jahren auf 40 %, blieb aber, verglichen mit der Einschulung japanischer Kinder in Korea, die nahezu 100 % betrug, deutlich hinter einer Gleichbehandlung zurück. In einer Sekundarschule fanden nur noch 0,13 % koreanischer Jugendlicher Aufnahme, um auf College-Ebene praktisch überhaupt nicht mehr vertreten zu sein. Die Prozentzahl wird für den Hochschulbereich mit 0,07 angegeben (Nahm 1993, S. 258). Für diejenigen, die es sich leisten konnten, blieb in den 30er Jahren nur der Ausweg, in Japan oder Nordamerika nach Studienmöglichkeiten zu suchen. So studierten 1931 3639 Koreaner an japanischen und 493 an amerikani- schen Universitäten. Die Assimilationspolitik nahm ab 1938 drastische Züge an: Die koreanische Sprache wurde als Lehrgebiet und als Kommunikationsmittel an allen staatlichen Schulen verboten. Es durfte nur noch die japanische Sprache verwendet werden. Im übrigen wurde ab 1941 auch kein Englischunterricht mehr erteilt. Viele Koreaner, die im staat- lich anerkannten Schulwesen keine Chance bekamen, wichen auf private koreanische Schulen aus. Die traditionellen Sodang (Dorfschulen) wurden reorganisiert und - wie vorher - in privater Trägerschaft fortgeführt. Sie waren ganz überwiegend staatlich nicht anerkannt, trugen aber zur Elementarbildung der ländlichen Bevölkerung bei. In welchem Umfang dies geschah, ist wegen mir unbekannter quantitativer Daten nicht leicht einzuschätzen. Ein weiterer Notbehelf im Bildungsbereich waren die Abendschulen für Arbeiter, die nach 1919 in größerer Zahl gegründet wurden. Das Programm war einjährig und öffnete Industrie- und Landarbeitern und deren Kindern Zugang zu einer rudimentären Bildung. Als Lerninhalte werden Hangul, also die koreanische Schrift, und Rechnen genannt. Darüber hinaus waren es auch Stätten des soziokulturellen Zusammenhalts und des 141 Widerstands gegen die japanische Überfremdung. Die Schulen waren für die Besucher kostenlos, die Finanzierung wurde durch private Spenden vorgenommen. In der dritten Phase der kolonialen Bildungspolitik mußten viele dieser Schulen auf japanische Verordnung hin schließen - sie standen einer raschen Integration der Koreaner in die japanische Kultur entgegen (Lee, K.-B. 1984, S. 368 f.). Die Ausbildung von koreanischen Grundschullehrern fand an Instituten für Lehrerbil- dung (normal schools) statt. Sie boten Absolventen der sechsjährigen Grundschule eine fünfjährige theoretische und einjährige praktische Ausbildung. Für Absolventen aus Sekundarschulen war das Programm entsprechend kürzer. Neben den koreanischen Lehrern wurden japanische Lehrer eingesetzt. Die Japaner unterrichteten zum einen die Kinder ihrer Landsleute und besetzten zum anderen überwiegend die Lehrerstellen für die Sekundarschulen und Einrichtungen im tertiären Sektor. Die statistischen Angaben zur Anzahl koreanischer und japanischer Lehrer auf den verschiedenen Schulstufen differieren wegen unterschiedlicher Bezugseinheiten. Die scheinbaren oder auch tatsächlichen Ungereimtheiten der folgenden Zahlenbeispiele sind nicht so wichtig. Es kommt hier vor allem darauf an, die japanische Kolonialpolitik zu verdeutlichen. Die Tendenz, die Koreaner sich intellektuell nicht entwickeln zu lassen, ihnen höhere Bildungsabschlüsse vorzuenthalten und sie damit von Führungspositionen in Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft auszuschließen, läßt sich auch an Zahlen und Verteilung koreanischer Lehrkräfte ablesen. Lehrer an staatlichen Schulen 1931 Japaner 2.478 Koreaner 6.338 Quelle: Abe 1931, S. 701. 142 Abb.9 Lehrer an staatlichen Schulen 1938 Grundschulen Sekundarschulen Hochschulen Japaner 5.745 446 658 Koreaner 8.520 112 215 Quelle: Shin, K-B. 1978, S. 14. Koreanische Lehrer an staatlichen und privaten Schulen 1941 Abb. 10 Grundschulen Sekundarschulen 11.673 1.347 Quelle: Im, H. 1960, S. 369. Hochschulen 290 Abb. 11 Die absoluten Zahlen müßte man eigentlich noch auf die Bevölkerungsanteile um- rechnen. Auf 20 Koreaner kam etwa ein Japaner. Erst dann wird deutlich, wie unter- privilegiert Koreaner im Bildungssystem waren. Auch die Besoldung war in der Praxis ungleich. Zwar bekamen Koreaner und Japaner als Lehrer das gleiche Grundgehalt, die Japaner aber erhielten zusätzlich 60 % als (Auslands-)Zulage. Im übrigen war auch die Finanzierung des Schulsystems gespalten. Die Grundfinan- zierung lief über den öffentlichen Haushalt und über lokale Schulträger. Eine zusätz- liche Finanzierung der japanischen Schulen wurde über "school expenditure bodies" betrieben. Zur Finanzierung der koreanischen Schulen trugen die gegründeten "school associations" bei. 1931 wurde die japanische Minderheit aus ihrer Quelle mit mehr als 15 Millionen Yen, die koreanische Mehrheit mit nur rund sechs Millionen Yen geför- dert (Abe 1931, S. 697). Somit war auch die materielle Ausstattung der Schulen für Japaner und Koreaner krass unterschiedlich. In gewisser Weise trugen die Missionsschulen und die Kolonialpädagogik der Japaner in ähnlicher Richtung zu Ansätzen eines modernen Schulsystems in Korea bei. "Mo- 143 dem" heißt hier ein Schulsystem in der europäisch-nordamerikanischen Ausprägung. Diesen Typ der Lehr- und Lemorganisation hatten die Japaner zur eigenen autbolenden Entwicklung, insbesondere von den Preußen übernommen, und brachten ihn dann in ihre Kolonien. Von den Kolonialherren und der folgenden amerikanischen Besatzungsmacht übernahmen die Koreaner auch die Einsicht, daß Bildungsplanung und Bildungspolitik zu wichtigen staatlichen Aufgaben gehören, und daß das Bildungs- und Schulsystem nicht überwiegend privater Initiative allein überlassen werden kann. Die wenig positive gesellschaftliche GrundeinsteIlung zur beruflichen Bildung in Korea wird möglicherweise aus zwei Quellen gespeist. Die konfuzianische Weltanschauung ist nicht gewillt, beruflicher Ausbildung eine wirklich bildende Wirkung zuzuschreiben. Damit kann Berufsbildung auch keine Alternative zu (höherer) Allgemeinbildung und Studium sein. Diese Einschätzung mag nachhaltig durch die Kolonialpolitik der Japaner unterstützt worden sein. Hier wurde den Koreanern deutlich gemacht, wohin es führt, wenn der Zugang zu weiterführenden Schulen und zu Hochschulen verschlossen bleibt und nur der Weg einer Kombination von niedriger Allgemeinbildung mit einer wenig geregelten Berufsbildung offen ist. Dann muß sich vielen Koreanern eine Berufsaus- bildung als ein Meilenstein auf der Straße in die Knechtschaft gezeigt haben. Auf ein ganz anderes Ergebnis aus der Kolonialzeit, das auch heute noch gesellschaftli- ~he Probleme verursacht, hat Chung hingewiesen (Chung, K.-H. 1984, S. 22): "Harter Leistungskamp{ und ein scharfes Ausleseprinzip bei der Erlangung von guten Bildungsmöglichkeiten sind ein bleibendes Erbe japanischen Einflusses. " Ich vermute allerdings, daß der harte Leistungskampf nicht nur auf den Einfluß Japans zurückgeht, sondern bereits im konfuzianischen Bildungsverständnis angelegt ist. 144 4.5 Von 1945 bis 1953. Besatzungs- und Kriegszeit: Der Einfluß der USA Einen Monat nachdem die Sowjetunion den nördlichen Teil Koreas besetzt hatte, erreichten amerikanische Truppen am 6. September 1945 südkoreanischen Boden. Die Amerikaner wurden stürmisch begrüßt, da die Koreaner annahmen, ihre Selbständigkeit unmittelbar wiederzugewinnen. Amerikaner und Engländer hatten aber in Kairo und dann mit StaUn in Teheran 1943 festgelegt: "In due course Korea shall become free and independent" (Nahm 1993, S. 329). Insbesondere Roosevelt ging davon aus, daß die kolonisierten Teile Asiens nicht unmittelbar nach der Kapitulation Japans in die Freiheit und Unabhängigkeit entlassen werden könnten. Vielmehr bedürfe es eines Erziehungs- und Trainingsprogramms unter alliierter Kontrolle, um demokratischen Einrichtungen und demokratischen Verhaltensweisen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Freude der Südkoreaner über die Ankunft der Amerikaner wurde sehr schnell getrübt und schlug in Haß um, als die Amerikaner die Japaner zwar entwaffneten, aber 70.000 japanische Beamte einschließlich des General-Gouverneurs im Amt ließen. Zwar wurde der General-Gouverneur alsbald durch einen amerikanischen Militärgouverneur abgelöst und auch nach und nach die japanischen Beamten durch Koreaner und Ameri- kaner ersetzt. Aber im Januar 1946 waren noch immer 60 Japaner in hochrangigen Verwaltungspositionen der amerikanischen Militärregierung tätig. Zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen Amerikanern und Koreanern kam es nicht. Es folgten politisch chaotische Jahre. Die Amerikaner waren im übrigen auch ohne eine Kon- zeption ins Land gekommen (Nahm 1993, S. 340): "The American occupation forces arrived in Korea without any plans other than to disann the Japanese troops and evacuate the Japanese /rom South Korea. They had no knowledge ofKorean history, culture, or economic and social conditions, and none spoke the Korean language." Und dennoch, auf kulturellem Gebiet und im Bildungswesen leisteten die Amerikaner vieles, was aus koreanischer Sicht überwiegend positiv bewertet wurde. Besonders 145 begrüßt wurde die Gewährung von Meinungs- und Pressefreiheit und die Abschaffung von Gesetzen, die die Bildungs- und Kommunikationsfreiheit eingeengt hatten. Die Unterdrückung der Informationsfreiheit, die Pressezensur und die Verpflichtung zur kritiklosen Hinnahme japanischer Politik hatte die Koreaner hart getroffen. Die Ent- wicklung im"Norden mit zunehmender Sprachregelung und vereinheitlichter Meinungs- äußerung trug sicher auch dazu bei, die amerikanischen Gepflogenheiten unzensierter, straffreier Kommunikation hochzuschätzen. Erwähnt werden muß allerdings, daß koreanische Regierungen in den Folgezeiten diese Freiheit wieder einschränkten. Das andere Gebiet war das Bildungswesen. Es herrschte damals in Korea eine gewisse euphorische Hoffnung, durch Übernahme amerikanischer Bildungsplanung den Schlüssel zu einer Wohlstandsgesellschaft in die Hand zu bekommen. Bereits im September 1945 gründete die Militärregierung die erste koreanische Bildungsorganisation: "Korean Committee on Education (KCE)". Die KCE hatte sieben, dann bald zehn Abteilungen: Bildungsideal Bildungssystem Bildungsverwaltung Hochschulen Mittel- und Oberschulen Grundschulen Berufsschulen Lehrerausbildung Lehrbücher Medizinerausbildung. Im März 1946 wurde das KCE aufgewertet zum "Bureau of Education to the Ministry of Education". Bei der Rekrutierung geeigneter koreanischer Fachkräfte gab es erhebli- che Schwierigkeiten, die der Leiter des Erziehungsressorts in der amerikanischen Militärregierung so beschrieb (Pak, D.-K. 1982, S. 54): "Es ist schwer, eine Person (Koreaner) zu finden, die die Bildung und Erziehung in Korea verantwortlich übernehmen kann. Die wenigen Personen, 146 die in der Annexionszeit im Erziehungsministerium mitwirkten, sind nur Angestellte der niedrigen Position. Und diese Personen dürfen nicht als hohe Beamte eingestellt werden, weil sie vom Volk politisch als Gruppe der Volksfeinde verurteilt wurden". Eine gewisse Anzahl pädagogisch sachkundiger Koreaner konnte aus den aus dem amerikanischen Exil zurückkehrenden Personen gewonnen werden. Dadurch wurde das amerikanische Element der Bildungspolitik der Militärregierung weiter unterstützt. Die Problemlandschaft war kaum zu übersehen. So wollte man weder zurück in die feudali- stisch geprägte Vergangenheit des Choson-Reiches, noch die koloniale Bildungspolitik der Japaner fortsetzen (Song, M.-E. 1989, S. 31). Es bot sich also fast an, eine Orientie- rung am amerikanischen Modell zu versuchen. Als auch noch eine amerikanische Expertenkommission nach einem Besuch in Korea das amerikanische Schulsystem empfahl, entschied sich das koreanische Gremium für das System: 6 Jahre Grundschule (Primary School) 3 Jahre Mittelschule (Middle School) 3 Jahre Oberschule (High School) 4 Jahre Hochschule bis zum ersten Abschluß (Higher Education). Im September 1946 wurde dieses System dann von der amerikanischen Militärregierung in Kraft gesetzt. Es paßte gut in den Aufbau einer neuen politischen Struktur auf demo- kratischer Grundlage. Die Gleichheit der Bildungschancen wurde von den Koreanern begrüßt. Das "eingleisige" Bildungssystem, in dem die Schulen aufeinander aufbauend zu durchlaufen waren, sicherte prinzipiell allen Schülern den Zugang zu höheren Schulen oder sogar zu den Hochschulen. Nach den Erfahrungen mit dem japanischen System und seinen die Koreaner diskriminierenden "Sackgassen"-Bildungswegen ist die Freude über ein offenes Schulsystem nachzuvollziehen (Sorensen 1994, S. 16). Der Zusammenbruch der führenden Klasse, schon unter der japanischen Herrschaft zwang ohnehin, Ausschau nach neuen Prinzipien der Statuszuteilung zu suchen. Die Ansätze zu einer Bildungsmeritokratie waren ja wie beschrieben in Korea gut bekannt. 147 Das offene, eingleisige Schulsystem bot eine demokratische Methode, die formalen Bildungsabschlüsse nun in praktisch allen Gesellschaftsbereichen als statuszuweisendes Kriterium zu vereinbaren. Hinzu kam der "popular belief in education" als dem wichtig- sten Motor der Modernisierung der Gesellschaft (MOE 1994, S. 28). Ohne eigene Tradition in der Entwicklung von Curricula und amerikanische Lebens- verhältnisse als Ziel vor Augen, folgte zunächst eine weitgehende Übernahme von Bildungsinhalten aus den USA. Die tatsächlich insgesamt recht unkritische Amerikani- sierung des Bildungswesens führte alsbald zur Kritik (Lee, M.-H. 1994, S. 133 f.). Es gab Kräfte, die versuchten, die kulturellen Einflüsse Chinas, Japans und Amerikas zurückzudrängen, um der folgenden Generation eine klare Einsicht in ihr echt-koreani- sches Erbe zu ermöglichen (Adams 1960, S. 30). Aber neben der in Korea traditionell hartnäckig vertretenen kulturellen Eigenständigkeit, ohne die die nationale Selbständig- keit wohl schon vor vielen Jahrhunderten verloren gegangen wäre, kam auch aus anderen Ecken Kritik. So standen sich bald die Verfechter des amerikanischen Systems anderen gegenüber, die das japanische System favorisierten (Wittig 1972, S. 179). Dabei kann es sich nur um Bildungsstrukturen des kaiserlichen Japan gehandelt haben, die man noch im Blick hatte. Denn die Amerikaner hatten das 6-3-3-4-Modell nach dem zweiten Weltkrieg auch den Japanern verordnet. Vermutlich war es die Kontroverse zwischen Befürwortem eines demokratischen Schulmodells und denen von elitären Bildungsstrukturen, die sich hinter dem Amerika-Japan-Gegensatz verbarg. Nun, das demokratisch-amerikanische System hat sich breit durchgesetzt. Da die Koreaner aber bis heute eine durchaus positive Einstellung zur Elitebildung haben - und das ist aus dem traditionellen Bildungsverständnis ja auch gut erklärbar, haben sie parallel zum allgemeinen Schul- und Hochschulwesen High Schools und Universitäten für naturwis- senschaftlich Hochbegabte eingerichtet. Eine weitere kritische Quelle stellt das kon- fuzianische Erbe dar. So sieht Chung Koreas Bildungswesen im Dilemma. Einer amerikanischen mehr technisch-materiell bestimmten Bildung, die sich auf Arbeitswelt und Konsum bezieht, stellt er einen Bildungsbegriff entgegen, der sehr stark an den "klassisch"-ostasiatischen erinnert (Chung, K.-H. 1984, S. 23): 148 "Bildung ist nicht abhängig von Bildungstraditionen oder Bildungsstoffen, wenn sie in erster Linie als sittliche Bildung verstanden wird, deren eigentli- ches Ziel die Beständigkeit des sozialorientierten Wollens und Handeins ist. Bildung ist die einheitliche Entfaltung des natürlich im Menschen Angeleg- ten; dabei kommt es auf die harmonische Obereinstimmung zwischen der inneren Form und dem äußeren Erscheinungsbild in Gesinnung und Tat an. Bildung bedeutet zutiefst Selbstbildung, die es erlaubt, unter dem eigenen Gesetz stehend, sittlich frei zu sein und an der Freiheit der anderen durch das eigene Beispiel einzuwirken. " Zurück zur frühen Nachkriegszeit. Als die Japaner abzogen, war das Analphabetentum in Korea noch weit verbreitet. 78 % aller Koreaner galten zu diesem Zeitpunkt als Illiteraten. Trotz aller unmittelbar ein- setzenden Anstrengungen waren noch 1960 etwa 16 % der Erwachsenen Südkoreaner ohne Schreib-Lese-Fertigkeiten. Es wird angenommen, daß 1945 ungefähr 90 % der erwachsenen Koreaner über keinerlei formale Bildung verfügten. Die Situation im Bildungsbereich war also katastrophal. Als Prioritäten für den Aufbau eines demokrati- schen Bildungssystems wurden die folgenden acht Punkte formuliert (Sah, H.-w. 1992, S. 155): 1. Entwicklung von Schulbüchern für die Grundschule 2. Einrichtung von Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer zur Förderung demokrati- schen Gedankenguts 3. Umbau des Schulsystems von einer mehrgleisigen Struktur zum 6-3-3-4 Einheits- system 4. Einrichtung von Bildungsmöglichkeiten für Erwachsene zur Bekämpfung des Illiteratenturns 5. Dezentralisierung und regionale Autonomie der Schulverwaltung 6. Anstrengungen zur Einführung der Schulpflicht 7. Ausbau des Sekundarschulwesens und der Hochschule 8. Aufbau von Colleges zur Lehrerbildung. 149 Zunächst aber wurden alle privaten Colleges, die durch die Japaner konfisziert und geschlossen worden waren, wiedereröffnet. Die Unterrichtssprache wurde in allen Schulen wieder koreanisch. Das war gar nicht so einfach, weil viele Lehrer nur die japanischen Fachausdrücke ihres Unterrichtsgebiets kannten und es insgesamt viel zu wenig ausgebildete Lehrer gab (Lee, M.-H. 1989, S. 108). In rascher Folge wurden Grundschulen errichtet und so verdoppelte sich die Zahl der Grundschüler von 1,3 Mio im Jahr 1945 auf 2,6 Mio im Frühjahr 1948. Die Anstrengungen, das Analphabetentum zu bekämpfen und einer Schulpflicht näher- zukommen, waren beachtlich. Doch dürfen die Zahlen auch nicht täuschen. Der Stan- dard der Grundschulerziehung war sehr bescheiden. Es fehlte an koreanischen Textbü- chern, an Curricula für koreanische Sprache, Geschichte, Geographie und besonders an Räumlichkeiten. Zwei-, ja teilweise Drei-Schichten-Unterricht mußte hingenommen werden. Ernst war auch der Mangel an Lehrern. So wurde die Zahl von 100 Schülern pro Klasse gelegentlich noch überschritten (Sorensen 1994, S. 16; Nahm 1993, S. 355). In den Großstädten entstanden Mammutschulen mit zum Teil über 8.000 Schülern (Song, M.-E. 1989, S. 33). Ganz ähnliche Probleme gab es in den weiterführenden Schulen. Dort wurde nach der "Entjapanisierung" verstärkt auf die Vermittlung natur- wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse hingearbeitet. Die einzige Universität des Landes, die "Keijo Imperial Universität", eine japanische Gründung mit ganz überwiegend japanischem Lehrpersonal und japanischen Studenten, kam nach der Kapitulation der Kolonialmacht praktisch zum Erliegen. 1946 wurde diese Hochschule mit Hilfe amerikanischen Personals reorganisiert und in "Seoul National University" umbenannt. Sie ist nach wie vor die Nummer Eins der koreanischen Universitäten. Im Hochschulrang befanden sich 1945 weitere 18 Colleges mit zusammen weniger als 8.000 Studenten. Die folgenden Vergleichszahlen geben beredt Auskunft über den gewaltigen Auf- schwung im Bildungswesen der ersten 15 Jahre nach der Kolonialzeit: 150 Primary Schools (Grundschulen) I I 1945 I 1960 I Schulen 2.834 4.496 Index 100 158 Lehrer 19.729 61.605 Index 100 312 Schüler 1.366.685 3.622.685 Index 100 265 Middle Schools (Mittelschulen) I I 1945 I 1960 I Schulen 166 1.053 Index 100 634 Lehrer 1.186 13.053 Index 100 1.100 Schüler 80.828 528.593 Index 100 654 High Schools (Oberschulen) I I 1945 I 1960 I Schulen 307 640 Index 100 208 Lehrer 1.720 9.627 Index 100 559 Schüler 40.271 273.434 Index 100 678 151 Higher Education (Hochschulen) I I 1945 I 1960 I Hochschulen 19 85 Index 100 450 H.S.Lehrer 1.490 3.808 Index 100 260 Studenten 7.819 101.041 Index 100 1.290 Quelle: MOE 1994, S. 28 ff. Abb. 12 Die dramatisch zu nennende Zunahme an Schülern in den höheren Schulen zeigt den eisernen Bildungswillen der Koreaner und die Autbruchstirnmung, wie sie ansatzweise schon einmal in den Jahren von 1880 bis 1910 geherrscht hatte. Bedenken muß man bei diesen Zahlen auch, daß von 1950 bis 1953 ein heftig geführter Bürgerkrieg die Ent- wicklung im Schulwesen nicht nur unterbrach, sondern viele Leistungen wieder ver- nichtete. So sank z. B. die Einschulungsquote von 75 % im Jahr 1948 auf unter 70 % im Jahr 1951. Die Hälfte des Schulraumes wurde zerstört. Es brauchte Jahre, diese Schäden zu reparieren und das Unterrichtsniveau der Vorkriegszeit wieder zu erreichen (Song, M.-E. 1989, S. 33; Im, H. 1960, S. 375). Nach dem Korea-Krieg und der Teilung gehörte Südkorea zu den ärmsten Entwicklungsländern der Welt. 1948 endete die amerikanische Besatzungszeit und die Souveränität von Südkorea wurde hergestellt. In der Verfassung des Landes wurde das Recht auf Bildung festge- schrieben und im Erziehungsgesetz von 1949 wurde die Schulpflicht verankert. Festge- legt wurde eine sechsjährige schulgeldfreie Primarerziehung als Pflicht. Durchgesetzt werden konnte dieser Teil des Gesetzes erst Jahre später. Wirtschaftliche Not und der Korea-Krieg führten dazu, daß erst 1959 mit 96 % Einschulung eines Jahrganges eine flächendeckende Versorgung erreicht wurde. 152 Was den unentgeltlichen Besuch der Primary School angeht, so konnte er erst Ende der 70er Jahre mit Verteilung kostenloser Lehrbücher, während der sechs Schuljahre vollständig gewährleistet werden (Song, M.-E. 1989, S. 33). Nahezu verpflichtend gegründete Eltern-Lehrer-Vereine, die unter der Kontrolle der Schulleiter standen, sammelten Spenden und kassierten unterschiedlichste Gebühren, um die mageren staatlichen Mittel anzureichern. So wurde für die ersten Jahre ein Mittelweg zwischen Schulgeldpflicht und kostenfreier Erziehung gefunden (Sorensen 1994, S. 16). Anfang der 90er Jahre begann die Regierung die Schulpflicht auf neun Jahre auszudehnen. Zunächst wurde sie für ländliche Regionen verfügt. Der Grund ist allerdings nicht, die Bevölkerung zu veranlassen, ihre Kinder länger als sechs Jahre zur Schule zu schicken. Alle Kinder gehen sowieso schon auf die Middle School über. Der Grund ist sozialer Natur: Eine Verlängerung der Schulpflicht bedeutet die Ausdehnung der Schulgeld- freiheit auf die Middle School. 153 154 5 Das Bildungssystem in Südkorea: zwischen Tradition und Moderne 5.1 Bildungswille. Gesellschaft, Schule, Politik Im frühen 18. Ih. entwickelte sich Preußen unter Friedrich Wilhelm I. zum Erziehungs- staat. Die schulmäßige Erziehung des ganzen Volkes war beabsichtigt, nicht nur die der Beamten und Soldaten. 1717 führte er die Schulpflicht ein und ließ etwa 1.600 Schulen gründen und versuchte, diese durch Schulerhaltungsgesetze abzusichern. 1736 wurde die Schulpflicht gesetzlich verankert. In erster Linie waren es wohl staatswirtschaftlich- merkantilistische Gründe, die den sonst als sparsam geltenden König zu so eindrucks- voll vielen Schulgründungen veranlaßte. Er versprach sich z. B. von einer schulischen Förderung der Landjugend eine Steigerung der wirtschaftlichen Erträge seiner Güter. Sein Sohn, Friedrich der Große, widmete sich ebenfalls nachdrücklich dem Erziehungs- wesen und erneuerte 1763 im "General-Landschul-Reglement" die Schulpflicht seiner Untertanen. Die treibende Kraft war nun weniger der Merkantilismus als die Auf- klärung. Das Reglement beginnt mit den Worten: "Demnach Wir zu Unserem höchsten Mißfallen selbst wahrgenommen haben, daß das Schulwesen und die Erziehung der Jugend auf dem Lande bisher in äußersten Verfall geraten, und insonderheit durch die Unerfahrenheit der mehrsten Küster und Schulmeister die jungen Leute auf dem Lande in Un- wissenheit und Dummheit aufwachsen, so ist Unser so wohlbedachter als ernster Wille, daß das Schulwesen auf dem Lande in allen Unseren Provin- zen auf einen besseren Fuß als bisher gesetzt und verfasset werden soll" (zitiert nach: Müller-Freienfels 1932, S. 135 f.). Aber weder die Bauern, die ihre Kinder für die Feldarbeit brauchten, noch die adligen Grundherren, die das Volk nicht allzu klug haben wollten, waren begeistert. Die Obrigkeit setzte dennoch mit immer genaueren Bestimmungen im 19. Ih. die Schul- pflicht flächendeckend durch. 155 Dieses Verhalten des Staates, aus welchen Gründen auch immer, sich nachhaltig für einen allgemeinen Schulbesuch seiner Bürger stark zu machen, ist typisch für unsere Kultur. Der Staat macht den Schulbesuch schließlich zur Pflicht, sogar mit Strafan- drohung für Nichteinsichtige. Die Konsequenz ist, daß der Staat flächendeckend Schulen gründen, unterhalten und die Kosten für den Betrieb übernehmen muß. Schulen werden so zu Anstalten des Staates. Privat- oder Gruppeninitiativen bezüglich Schulgründungen werden als Abweichung von der Norm verstanden und staatlich-gesellschaftlich eher geduldet als besonders begrüßt. Es wirkt allgemein irritierend, wenn Eltern bereit sind, sich finanziell spürbar an der Bildung ihrer Kinder zu beteiligen. Denn bei uns ist es eigentlich üblich anzunehmen, daß der Staat für die Bildungskosten aufzukommen habe. Es ist schwer vorstellbar, daß es sich eine deutsche Regierung leisten könnte, auch nur im Hochschulbereich Studiengebühren einzuführen. Das Ziel der vorstehenden Zeilen ist, einen Kontrast herzustellen zu den Verhältnissen in ostasiatischen Kulturen. Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, daß sich der koreanische Staat bis zum Ende des zweiten Weltkrieges nur sehr begrenzt um den Aufbau eines Schulsystems gekümmert hat. Abgesehen von Bildungseinrichtungen zur Qualifizierung (oder besser gesagt zur Auswahlvorbereitung) der höheren Beamten, wurde der Bildungssektor weitgehendst privaten Aktivitäten überlassen. Das staatliche Verhalten läßt sich erklären und verstehen. Die technisch-ökonomische Entwicklung war während der Yi-Dynastie wegen der Isolation des Landes nur schleppend vorangekom- men. Der Bedarf an höher qualifizierten Arbeitskräften blieb gering. Ein deutliches Engagement des Staates war in dieser Hinsicht nicht zwingend notwendig. Es gibt einen weiteren Grund für die bildungspolitische Abstinenz während der Yi- Dynastie. Nach konfuzianischer Tradition sollen die Herrschenden gebildet sein; Bildung berechtigt zum Führen der Ungebildeten. Die herrschende, gebildete Yangban- Klasse sah demnach keine große Veranlassung, Bildung unter das Volk zu bringen. Dabei muß bedacht werden, daß die Theorie der konfuzianischen Bildung nicht auf Aufklärung ausgerichtet war, sondern auf die Versittlichung des Menschen. Die sittliche Vervollkommnung lag bei jedem selbst - private Anstrengungen dazu waren selbstver- ständlich. Insofern war es auch üblich, die entsprechenden Kosten selbst aufzubringen. 156 Einiges änderte sich nach der Besetzung Koreas durch amerikanische Truppen. Die Militärregierung förderte großzügig den Aufbau eines allgemeinen Schulwesens. Der Einfluß der Amerikaner und der Wille zu den "modernen Gesellschaften" zu gehören, veranlaßten die Koreaner, wie schon beschrieben, den Bildungsanspruch eines jeden Bürgers verfassungsrechtlich zu verankern und eine sechsjährige Schulpflicht in das Erziehungsgesetz von 1949 hineinzuschreiben. Der Begriff "Schulpflicht" paßt eigentlich überhaupt nicht zur koreanischen Gesell- schaft. Da die Bildungswilligkeit bemerkenswert hoch ist, bedarf es keines Pflicht- gesetzes, sondern nur hinlänglicher Bildungsmöglichkeiten. So kann die Verankerung der Schulpflicht nur als Selbstverpflichtung des Staates gedeutet werden, ein flächen- deckendes Netz von Primarschulen aufzubauen und unterhalten zu wollen. Selbst da, wo staatliche Grundschulen in der Folgezeit entstanden, mußten die Eltern, wie berichtet, noch lange kräftig zuzahlen. Erst 30 Jahre nach Gründung der Republik Korea war der Staat willens oder in der Lage, die bei uns mit der Schulpflicht verbundene Kosten- freiheit für die Teilnehmer auch in Korea zu verwirklichen. Natürlich sind die koreani- schen Familien dankbar, wenn ihnen der Staat Kosten für den Schulbesuch ihrer Kinder abnimmt. Aber auch bei Kostenbeteiligung sind koreanische Eltern fest entschlossen, ihre Kinder in - nun weiterbildende - Schulen zu schicken. Es wird im folgenden noch deutlich, daß der Staat nicht seine Bürger auffordern muß, die Jugendlichen in die Schule zu schicken, sondern umgekehrt: Der Bildungsbedarf ist weit höher, als ihn die staatlichen Schulen zu decken in der Lage wären. Die Geschwin- digkeit, mit der sich Bildung in der koreanischen Bevölkerung ausbreitete, wenn ich das einmal so sagen darf, war höher als in allen anderen Entwicklungsländern. Das Bil- dungssystem wuchs im übrigen schneller als die Wirtschaftskraft - was nicht ohne Probleme blieb. Es wird viel und aspektreich darüber nachgedacht und geschrieben, wie sich das "wirtschaftliche Wunder Korea" erklären und begründen läßt. Ich denke, daß es ebenso wichtig wäre, verstärkt über das "Bildungswunder Korea" zu diskutieren, wie es z. B. die Korean National Commission for UNESCO mit dem Bericht "Education in Korea, 157 Third World Success Story" 1980 tat. Wenn man davon ausgeht, daß Korea an den ungestörten Aufbau eines Bildungssystems eigentlich erst richtig nach dem Korea-Krieg 1950-1953 denken konnte, sind die folgenden Zahlen eindrucksvoll: Die Einschulungsquote überschritt die 90 %-Marke eines Jahrgangs in der Primary School 1964 Middle School 1979 High School 1994. Der Intervall betrug jeweils 15 Jahre, um die Einschulungsraten in der Middle School und dann in der High School auf über 90 % ansteigen zu lassen. Für 1990 sahen die Zahlen so aus (Sorensen 1994, S. 22): Primary School 100 % Middle School 98,5 % High School 92,2 %. Man kann also davon ausgehen, daß heute praktisch alle Jugendlichen, Jungen wie Mädchen, zwölf Jahre die Schule besuchen, obwohl eine Schulpflicht für die über- wiegende Mehrheit der Jugendlichen immer noch nur sechs Jahre beträgt. Das ist erklärungsbedürftig. Gelegentlich kann man in Veröffentlichungen westlicher Betrachter lesen, es handele sich um eine Art "Bildungsfieber", das die Koreaner ergriffen habe. Damit wäre der Sachverhalt eher als etwas Krankhaftes und nicht Wünschenswertes beurteilt. Vermutlich ist diese Sichtweise falsch. Der Bildungswille und das Hochschätzen von nachgewiesener Bildung ist eher als ein Charakteristikum der Koreaner zu beschreiben. Selbst in der koreanischen Märchenwelt spielt hohe Bildung als Tugend eine Rolle. Das bekannteste Märchen "Das Mädchen 'Duftender Frühling'" hat nur deswegen einen positiven Ausgang, weil sich der Titel- held in seiner Jugend intensiven Lernanstrengungen unterwirft. 158 Ein junger Mann, Yi Doryung, aus gutem Hause, heiratete das Mädchen Duftender Frühling. Dies geschah informell, weil das Mädchen von niederem Stand war. "Yi Doryung besuchte seine heimliche Frau sehr oft, bis sie ihn schalt und ermahnte, zu Hause zu bleiben und fleißig zu studieren, um ein hoher Staatsbeamter zu werden". Die Eltern des jungen Mannes verzogen wenig später nach Seoul. Es mußte Abschied genommen werden, beide schworen sich Treue bis zum Wiedersehen. Dem Mädchen bekam der Schwur schlecht. Sie wurde von einem hohen Richter ihrer Heimat begehrt. Duftender Frühling verweigerte sich ihm mit dem Hinweis auf ihren Schwur. Daraufhin kam sie ins Gefängnis und wurde von dem Richter wegen ihrer Widerspenstigkeit zum Tode verurteilt. Aber es kam Rettung (Koreanische Märchen 1973, S. 22): "Mittlerweile war Yi Doryung in der Hauptstadt Seoul angekommen. Er studierte sehr eifrig und lernte alle berühmten chinesischen Klassiker und Gedichte kennen. Er schrieb seine Aufsätze so hervorragend, daß er die Prüfung mit höchster Auszeichnung bestand. Der König fand Gefallen an ihm und bewunderte seine Begabung. Er beglückwünschte ihn undfragte den jungen Mann: »Ich werde dir geben, was auch immer du dir wünschst. Möchtest du lieber Richter oder Statthalter werden?« »Ich möchte gerne zum Usa, einem Gesandten Eurer Majestät, ernannt werden«, antwortete Yi Doryung. So wurde er zum Usa ernannt und mit seinen Begleitern zog er als Bettler verkleidet durch das Land und fragte nach den Nöten des Volkes, um die Verwaltung in den einzelnen Bezirken zu überprüfen". So kam er auch in die Gegend, in der Duftender Frühling im Gefängnis saß. Er befreite sie, verbannte den Richter. Duftender Frühling wurde wegen ihrer unerschütterlichen Treue in den Adelsstand erhoben. Yi Doryung nahm nun das Mädchen offiziell zu seiner Frau. Jeder kann sich selbst ausmalen, was geschehen wäre, wenn der junge Mann nicht eifrig gelernt und seine Examen nicht so hervorragend bestanden hätte. 159 Bildung im Dienst der Moral, Bildung im Dienst der Familie und nicht zur individuel- len Selbstverwirklichung, das etwa ist der Tenor, der vielen koreanischen Berichten aus der Geschichte zugrunde liegt. So schrieb eine Koreanerin, die um 1895 geboren wurde, über die "alte Zeit", deren Geist ihre Jugend noch mitbestimmte. Es geht im folgenden um die Wichtigkeit des Bestehens der Beamtenexamina für den Mann (Pahk, I. 1958, S. 22 f.): "Wenn der Kandidat dieses nationale Examen ehrenvoll bestand, war ihm der Weg zu allen Ämtern, zu dem eines Gouverneurs, eines Ministerpräsiden- ten oder eines Ministers offen. Auf diese Weise konnte er mit einem Male allen Ruhm aufsich herabziehen, den Menschen sich erträumen. Sein Erfolg war eine Ehre für seine Ahnen und für alle kommenden Generationen. Dieses System forderte von den Studenten den äußersten Einsatz, und die meisten Männer des alten Korea setzten alles daran, um sich eine gediegene Bildung zu erwerben. Manche schnürten ihre Gürtel enger zusammen, um ihres nagenden Hungers Herr zu werden, andere knüpften ihr langes Haar an die Balken zu ihren Häuptern, so daß sie sich daran rissen, wenn sie über ihren Bücher einzunicken drohten, oder sie gingen hinaus in die kalten Winterstürme, um gegen ihre übergroße Müdigkeit anzugehen. Die alten Eltern und die jungen Frauen halfen ihnen in ihrem Bemühen, wo sie nur konnten, und brachten jedes Opfer, um ihren strebsamen Söhnen und Ehe- gatten zu den Ehren der Gelehrsamkeit zu verhelfen". Koreaner sehen auch in heutiger Zeit noch einen erheblichen Einfluß des konfuziani- schen Bildungsideals auf das Bildungsverhalten ihres Volkes. Es ist immer noch der tugendhafte Mensch, der als Bildungsziel angestrebt wird. In einer in Deutschland verfaßten Dissertation schreibt der koreanische Autor (Song, M.-E. 1989, S. 9.): "Der Einfluß des Konfuzianismus ist nach wie vor sehr stark; er macht sich auch im Erziehungs- und Bildungsdenken der Koreaner bemerkbar. Das Bildungsideal des Konfuzianismus ist "Kunja (vornehmer bzw. tugendhafter Mann)", ein Mensch mit literarischer Bildung und zwar "Buch-Bildung, Schriftmensch in der höchsten Ausprägung". Die von Konfuzius als allumfas- send verstandene literarische Bildung schließt eine ökonomisch berufliche Orientierung aus. Körperliche Betätigung wird im Konfuzianismus als 160 Angelegenheit von Menschen niedrigerer Stände angesehen. Die koreanische Tradition, die vom konfuzianischen Bildungs- und Vomehmheitsideal geprägt ist, war bis zur japanischen Herrschaft ein hemmender Faktor für die wirt- schaftliche Entwicklung Koreas. Es war und ist keine Seltenheit in Süd- Korea, daß manche akademisch Ausgebildeten lieber arbeitslos bleiben, als körperliche Arbeit anzunehmen Ir. Nun ist diese Aussage sicher etwas zu ergänzen. Dazu zählt die Anmerkung, daß auch in anderen Kulturen Akademiker sich schwertun "körperliche Arbeit" als berufliche Tätigkeit zu akzeptieren. Die konfuzianische Tradition im engeren Sinn, nämlich Lernen mit dem Ziel zu ver- binden, ein tugendhafter Mensch zu werden, Bildung ökonomisch zweckfrei zu halten und nur auf Sittlichkeit hin zu orientieren, ist der eine Aspekt. Durch die chinesisch- koreanische Eigenheit, diese Bildung als Zugang zu hohen Ämtern, Ehren und Ein- künften vorauszusetzen, ergibt sich der andere Aspekt der Tradition: Bildung ist der Schlüssel zum beruflichen Erfolg. So kommt es zu dem merkwürdigen Sachverhalt, daß traditionell eine ganz zweckfreie, nichtfachliche Bildung die besten beruflichen und materiellen Chancen verleiht. In der sich so rasant entwickelnden koreanischen Gesell- schaft hat erfolgreiche Bildung nun zweierlei Ergebnisse: Gesellschaftliche Reputation im Sinne von Konfuzius und Zugangsanspruch zu gutbezahlten Tätigkeiten im Sinne einer Bildungsmeritokratie. Bildung dient im heutigen Korea nicht nur der Versitt- lichung, sondern auch dem sozialen Aufstieg. Es ist nicht ganz einfach, die Wertigkeit der beiden Aspekte zu bestimmen. McGinn und Mitarbeiter gingen 1980 noch davon aus, daß die Komponente "Sittlichkeit" Vorrang vor der Komponente "Beruflichkeit" habe (McGinn et al. 1980, S. 206): "Both Korean students and adults in general tend to place more emphasis on 'moralistic' aspects 0/ education than they do on education as professional training". Die Autoren begründeten ihre Aussagen mit dem Hinweis auf eine empirische Unter- suchung aus dem Jahr 1972. In der repräsentativen Studie wurden Schulverwaltungs- 161 beamte, Eltern und Schüler nach Prioritäten für den Schulbesuch befragt. Es wurden 16 Statements in den folgenden vier Kategorien zusammengefaßt: Intellektualität Sozialität Personalität Produktivität. Die Mitglieder aller drei Gruppen gaben "Intellektualität" den höchsten Rang und "Produktivität" den niedrigsten. Als die wichtigsten Aufgaben für die Primarerziehung wurden Zunahme an "Wissen" und "moralische Integrität" genannt. Ähnlich war das Ergebnis bezüglich der Erwartungen für die Arbeit auf der Sekundarstufe: Priorität erhielt "zwischenmenschliche Beziehungen", gefolgt von "moralischer Integrität" und "Wissenserwerb". Weiter heißt es im Originaltext (McGinn et al. 1980, S. 208): "Lowest priority at both the primary and seeondary levels was given to Voeational Training and Seleetion, and to Consumer Skills. These data suggest that, if parents and loeal edueators believe education has some contribution to make to economie development, it is not to be made through training in specijie skills or knowledge about economic processes or national needs. " Bei Studentenbefragungen zeigte sich ein ähnliches Bild. In den 60er Jahren war Tugendhaftigkeit das oberste Studienziel, gefolgt von Gelehrsamkeit. Bei den Studenten, die nach dem Korea-Krieg geboren wurden und aufwuchsen, gerieten in den Blick: "Sozialverhalten", "Verfall der Sitten" und das Fehlen einer "einigenden Kulturbewe- gung". Auch in dieser Generation war das Studienverhalten überwiegend traditions- bestimmt. Die Ziele änderten sich nicht: An erster Stelle stand die "Kultivierung der eigenen Sittlichkeit" gefolgt von "Wissen" und "sozialer Harmonie" (McGinn et al. 1980, S. 209). Es ist bemerkenswert, wie stabil die koreanische Wertewelt trotz japanischer Kolonial- herrschaft, amerikanischer Besetzung und Koreakrieg in Zeiten bitterster Armut blieb. 162 Es wäre doch gut denkbar, daß die Not nach dem Krieg und dann der Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs das Studienverhalten der Studenten ganz bewußt zu beruflicher Verwertbarkeit ihrer Anstrengungen geführt hätte. Dem stand aber ein von der großen Mehrheit des Volkes getragener national-kultureller Selbsterhaltungswille entgegen, der im Lehr- und Lembereich für eine ausgesprochen konservative Haltung sorgte. Bei aller Berufsfeme der genannten Studienziele ist aber doch anzunehmen, daß die Absolventen von Hochschulen zunächst einmal versuchen, in ihrem studierten Fach auch Beschäftigung zu finden. Dazu gibt es eine aufschlußreiche Statistik, die sich zudem strittig interpretieren läßt. Die Seoul National University, die unbestritten führende Hochschule Koreas, hat zwischen 1958 und 1969 festgehalten, inwieweit sich Studienfach und berufliche Tätigkeit einiger ihrer Absolventen in Einklang befanden. Übereinstimmung von Beschäftigung und studiertem Hauptfach Frage: Bis zu welchem Grad stimmt Ihre jetzige Beschäftigung mit Ihrem studierten Hauptfach überein? Geistes- und Sozialwissenschaften hohe gewisse kaum eine Jahr Überein- Überein- Überein- (N) stimmung stimmung stimmung 1958 60 20 20 (70) 1959 53 23 22 (61) 1960 47 17 36 (151) 1961 43 20 37 (163) 1962 43 19 38 (121) 1963 44 23 33 (206) 1964 44 25 31 (221) 1965 39 24 37 (239) 1966 41 17 42 (168) 1967 46 27 27 (91) 1968 36 19 45 (120) 1969 15 10 75 (54) Total (N) (720) (359) (586) (1,665) % average 43 % 22 % 35 % 100 % 163 Naturwissenschaften und angewandte Wissenschaften hohe gewisse kaum eine Jahr Überein- Überein- Überein- (N) stimmung stimmung stimmung 1958 83 6 11 (96) 1959 85 7 8 (85) 1960 77 9 14 (89) 1961 84 2 14 (108) 1962 73 10 17 (95) 1963 70 9 21 (116) 1964 75 9 16 (141) 1965 73 6 21 (146) 1966 70 14 16 (111) 1967 57 18 25 (73) 1968 68 9 23 (81) 1969 70 5 25 (66) Total (N) (898) (101) (208) (1,207) % average 74 % 8% 18 % 100 % Quelle: McGinn et al. 1980, s. 205; eigene Übersetzung. Abb. 13 Die Statistik zeigt einen dramatischen Abfall bei den Zahlen für eine studienadäquate Beschäftigung bei den Absolventen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern. Weniger stark fallen die Zahlen bei Absolventen der naturwissenschaftlich/technischen Studiengänge. Ob die Studenten wegen zunehmender "fachfremder" Beschäftigung wirklich frustriert sind und gezwungen werden, niedere Tätigkeiten mit geringerer Bezahlung hinzunehmen (McGinn et al. 1980, S. 204), läßt sich aus der Statistik nicht ablesen. Der Berufsgedanke ist in Korea wenig ausgeprägt. Das schulische Lernen zur fachlichen Vorbereitung auf einen Beruf zu nutzen, war in der Tradition nur für mittelständische Berufe wie Mediziner, Techniker oder Juristen üblich. Für die führenden Positionen wurde der Nachweis fachlicher Qualifikation nicht gefordert, sondern nur der erfolgrei- che Abschluß einer (oder der) namhaften Hochschuleinrichtung. Wer die Seoul National 164 University besucht und einen Studiengang abschließt, braucht - auch heute noch - um seine Karriere kaum zu fürchten. Die Gefahr wegen "fachfremder" Beschäftigung in untergeordnete Positionen zu müssen, ist für Absolventen der SNU praktisch ausge- schlossen. Es ist nicht nur die häufig unpräzise Einstellung der Studenten zum Beruf zu bedenken, sondern auch ein bisher mit dieser Verhaltensweise korrespondierendes Grundmuster der Rekrutierung von Personal durch die koreanischen Firmen (Georg 1990, S. 58): "Entscheidende Selektions- und Allokationskriterien sind Geschlecht und Niveau des Bildungsabschlusses. Die Fachrichtung des absolvierten Bil- dungsganges hat • abgesehen von den Absolventen ingenieur- und naturwis- senschaftlicher Studiengänge - nur eine untergeordnete Bedeutung". Hier scheint sich nun etwas zu ändern. Von mehreren Konglomeraten wird berichtet, daß sie bei Einstellungsverfahren zunehmend mehr Wert auf tatsächlich gezeigte Persönlichkeitswerte und Kreativität legen als auf vorgelegte Zeugnisse und Herkunft von besonderen Hochschulen (Lee, T. G. 1995, S. 84): "The perspective oJ companies toward potential employees have changed. Companies have shifted emphasis Jrom an employee's general qualifications as part oJ the organization to one's qualijications Jor a specijic position. Previously, teamwork based on obedience and hierarchy was emphasized. These days, however, specialists with a distinguished personality are valued. The creativity oJ an employee is valued higher than educational back- ground." Dem Ministry of Education ist ein Forschungsinstitut, das Korean Educational Develop- ment Institute (KEDI) angeschlossen. Chun, K.-K. und andere Forscher des KEDI haben 1988 eine umfangreiche Untersuchung des Bildungssystems vorgenommen. Der eigentli- che Grund war festzustellen, wie man bildungspolitische Entscheidungen in Einklang mit dem Wertesystem des Volkes bringen könnte. Dabei wird, soweit ich es sehe, nirgends deutlich gesagt, daß die staatlich-bürokratische Bildungspolitik ganz über- wiegend planorientiert ist, sich an Fünfjahresplänen und dem Arbeitskräftebedarfsansatz (manpower demand approach) festhält, während die koreanische Gesellschaft dem 165 Bildungsbedarfsansatz folgt (social demand approach). Die Gesellschaft fordert einen deutlichen Ausbau des Bildungswesens für den eigenen Bedarf, ganz unabhängig vom Bedarf der Wirtschaft nach qualifizierten Arbeitskräften. Es stehen sich somit in Korea zwei konträre bildungspolitische Ansätze gegenüber. Die eine Seite versucht, über restriktive Maßnahmen und einen totalen Numerus Clausus für alle Studienfächer die Bildungsströme aus ihrer Sicht bedarfsgerecht zu steuern, die andere Seite versucht, über Privatschulen und erhebliche finanzielle Opfer den Zugang zur Bildung nach ihren Bedürfnissen offenzuhalten. Korea scheint mir ein gutes Beispiel zu sein für einen Sachverhalt, auf den Debeauvais einmal generalisierend hinwies. Danach favorisieren in vielen Ländern die Regierungen den manpower demand approach und sehen sich einem stärkeren gesellschaftlichen Willen, dem social demand approach zu folgen, gegenüber. Schließlich fügen sich die staatlichen Planungen den Bevölkerungswünschen. So verzichtet das Erziehungsministe- rium seit Herbst 1995 auf die Festlegung der Studentenzahlen an den Universitäten. Den Hochschulen ist nun erstmals freigestellt, wieviele Studenten sie aufnehmen wollen. Sie brauchen nur noch nachzuweisen, daß sie die Neueinschreibungen kapazitär verkraften können (Korea Annual 1995, S. 219). Zurück zur Untersuchung. Chun und seine Mitarbeiter stellten ein interessantes und für die ganze Republik repräsentatives Sampie für das Forschungsvorhaben zusammen. Es befragte: 1.260 High School Schüler und Studenten 1.200 Primar- und Sekundarstufen-Lehrer 1.400 Eltern 420 Verwaltungspersonal 620 Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Eine Frage der Untersuchung beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Bildung und Berufskarriere. Nachdem der Zugang zu weiterführenden Schulen und Hochschulen 166 einem großen Teil der Bevölkerung offenstehen, zeigt sich am Bewußtsein vieler Befragter auch ein Wechsel an: Es geht nicht mehr nur darum, eine persönlichkeits- bildende akademische Leistung nachzuweisen, sondern auch die Studienrichtung (das Hauptfach) entscheidet nach Meinung vieler Befragter mit über die berufliche Karriere. Die Frage lautete: Was ist der bestimmende Faktor für eine berufliche Beschäftigung? 1. Höhe des Bildungsabschlusses 2. Studienfach 3. Ich weiß es nicht Bildung und Berufskarriere ( %) I I 1 I 2 I 3 I Total I Students 342 (34.4) 501 (50.3) 154 (15.4) 997 (100.0) Teachers 310 (29.1) 606 (57.0) 148 (14.9) 1,064 (100.0) Parents 266 (22.2) 724 (60.5) 206 (17.2) 1,196 (100.0) Administrators 66 (17,6) 261 (69,6) 48 (12.8) 375 (100.0) Opinion leaders 58 (24,8) 149 (63.7) 27 (11.5) 234 (100.0) Total 1,042 (27.0) 2,241 (58,0) 533 (15.1) 3,366 (100.0) Quelle: Chun, K.-K. 1988, S. 33. Abb. 14 Mehr bei den Erwachsenen als bei den Schülern und Studenten zeigt sich klar, daß die Fachrichtung an Bedeutung stark zugenommen hat. Das ist vermutlich ein Ergebnis des erheblich gestiegenen Angebots an High School- und Universitäts-Absolventen auf dem Arbeitsmarkt. Die fachliche Qualifikation wird als zusätzliches Auslesekriterium wichtiger. Genauer gesagt: für die meisten Abgänger wird sie zum wesentlichen Kriteri- um, wenn es um gute Beschäftigungsmöglichkeiten geht. Für die Absolventen der wenigen Elite-Universitäten wird das nicht so deutlich zu sagen sein. 167 Es kam in den 80er Jahren zu einer sprunghaften Arbeitslosenquote unter den Akademi- kern. Sie stieg von 8 % im Jahr 1980 auf fast 18 % 1985. Nach den Gründen befragt, wurde die Antwort "Es gibt mehr Hochschulabsolventen als die Gesellschaft braucht" von 63 % des Verwaltungspersonals, aber nur von 30 % der Studenten als die richtige ausgewählt. 1m folgenden wurden die fünf Personengruppen befragt, was die beste Möglichkeit wäre, die Zahl der unbeschäftigten Akademiker zu verringern. Es standen vier Antworten zur Auswahl: 1. Beschränkung der universitären Kapazitäten 2. Stärkere Ausrichtung der Studiengänge auf die Erwerbstätigkeit 3. Vermehrung der Arbeitsmöglichkeiten für Akademiker 4. Vermehrte Arbeitsmöglichkeiten im Ausland. Verminderung der Akademiker-Arbeitslosigkeit I I I) I 2) I 3) I 4) I Total I Students 183 (18.4) 105 (10.6) 484 (48.7) 222 (22.3) 994 (100.0) Teachers 393 (37.9) 130 (12.5) 401 (38.7) 113 (10.9) 1,037 (100.0) Parents 212 (18.0) 257 (21.8) 474 (40.2) 236 (20.0) 1,179 (100.0) Administrators 119 (31.8) 65 (17.4) 114 (30.5) 76 (20.3) 374 (100.0) Opinion leaders 69 (30.3) 31 (13.6) 92 (40.4) 36 (15.8) 228 (100.0) Total 976 (25.6) 588 (15.4) 1,565 (41.1) 683 (17.9) 3,812 (100.0) Quelle: Chun, K.-K. 1988, S. 3. Abb. 15 Nur ein Viertel der Befragten ist für eine Reduzierung der Kapazitäten. 40 % hingegen fordern, mehr Arbeitsplätze im Land zu schaffen, weitere 18 % fordern Einsatzmöglich- keiten im Ausland. Zählt man beide Gruppen zusammen, dann zeigt sich klar, daß die Mehrheit Bildung nicht als eine abhängige Variable der Wirtschaft einschätzt, sondern umgekehrt von der GesellschaftlWirtschaft gewünscht wird, eine entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung gestellt zu bekommen. 168 Diese Werthaltung wird auch bei einer anderen Fragestellung bestätigt. 80 % aller Befragten waren dafür, die High School ohne weitere Aufnahmebedingungen für jeden zu öffnen, der sie besuchen möchte. Fast 20 % hielten für den Besuch dieser Schulart über dem Durchschnitt liegende Zensuren der vorhergehenden Schule für sinnvoll. Nur weniger als 1 % wünschte sich die High School als Eliteschule. Das heißt, daß die Koreaner eine zwölfjährige formale Bildung für alle Jugendlichen der Nation für richtig halten. Das Verhalten verändert sich etwas, wenn es um das Studium geht. Immerhin waren es noch 37 %, die einen ungehinderten Zugang zu den Universitäten forderten. 48 % der Befragten wollten überdurchschnittliche Befähigung als Zugangskriterium angewendet wissen und 15 % sprachen sich für reine Elitehochschulen aus (Chun, K.-K. 1988, S. 30). Wenn die Maßstäbe für den Zugang von Bildungsstufe zu Bildungsstufe auch etwas strenger werden, so ist doch eine breite Zustimmung für ein Hochschulstudium für viele junge Menschen auszumachen. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Trotz jährlich in der Presse breit dargelegter Warnungen vor einer arbeitslosen Akademiker- flut, hält der Zustrom zum tertiären Bildungssektor an. Unsere Rationalität, nämlich Bildung nur insoweit für sinnvoll zu erachten, wie ihre Kosten durch höhere Lebensver- dienste wieder hereinkommen, gilt in ostasiatischen Kulturen nicht ausschließlich. Dort hat Bildung nach wie vor auch einen nicht-ökonomischen Wert, nämlich den der sozialen Anerkennung. Das gilt nicht nur für Korea, sondern z. B. auch für die Volks- republik China. Offensichtlich hat eine fast 50jährige kommunistische Herrschaft am Bildungsbewußtsein der Chinesen nicht allzuviel ändern können (Guder 1994, S. 186 f.): "Um das Hauptergebnis vorwegzunehmen: Das Studium an den Univer- sitäten, Fachhochschulen und verschiedenen Fonnen von Colleges hat bei den Jugendlichen und Eltern eindeutig den Vorrang gegenüber der Berufs- ausbildung auf der Facharbeiterstufe. Trotz verschiedener Versuche, die Berufsbildung als gleichwertigen Bildungsgang in das Arbeitsleben zu popularisieren, hält der Andrang an den höheren Bildungsstätten bislang unvennindert an. ... 169 Es werden immer wieder Beispiele vorgeführt, daß man im Einzelhandel oder als Taxifahrer besser gestellt ist als die Staatsangestellten und die meisten Angestellten der Betriebe. Lehrer haben ein sozial recht gutes Ansehen, liegen in der Einkommenskala aber am untersten Ende. Viele Schulen können die Lehrergehälter nicht mehr bezahlen. Universitätsprofes- soren eröffneten Essenstände an der Straße, um ihr bescheidenes Einkommen aufzubessern. ... Aber die tradierten Denkmuster der konfuzianischen Tradition haben sich noch keinesfalls grundlegend geändert. Wer gebildet ist, gehört nach diesem Verständnis zu den Herrschenden. Und wer die einfache, körperliche Arbeit leisten muß, wird beherrscht. Diese Lehre ist im chinesischen Denken tief verwurzelt. Wer eine Chance hat, studiert." Nun will ich die Situation in Korea auch nicht idealisieren. Bildung ist auch hier erheblich mit dem Wunsch nach angemessener Beschäftigung verbunden. 50 % der für die KEDI-Studie interviewten Personen hielten ein Hochschulstudium für "hilfreich, um einen Job zu bekommen". Die andere Hälfte glaubte allerdings, die Gründe für ein Hochschulstudium in den Antworten "es ist üblich zu studieren" und "zur Erweiterung des kulturellen Horizonts" zu finden (Chun, K.-K. 1988, S. 69). Es ist schon weiter oben beschrieben worden, daß sich in Fortsetzung einer sehr alten Tradition koreanische Studenten als Instanz des nationalen sittlichen Gewissens empfin- den. Sie haben sich auch nie gescheut, dieses Selbstverständnis in die politische Tat umzusetzen. Sie führten den Aufstand von 1919 gegen die japanischen Kolonialherren an. Ferner: Syngman Rhee, erster und recht korrupter diktatorischer Präsident der Republik Korea, trat 1960 nach heftigen studentischen Unruhen zurück. Es ist nicht sinnvoll, hier alle erfolgreichen und gescheiterten studentischen Aktivitäten aufzuzeich- nen (siehe z. B. Jayasuriya 1983, S. 105 f.), weil dann auch sehr viele Details der koreanischen Innen- und Außenpolitik dargestellt werden müßten. Ich will nur sagen, daß es sich bei den politischen Aktivitäten der Studenten so manches mal um viel mehr als um eine Demonstration gehandelt hat. Die Studenten sind bereit, sehr lautstark und 170 sehr nachdrücklich und anhaltend gegen politische Mißstände, Korruption und Selbst- herrlichkeit der Herrschenden anzugehen. Sie sind ein politischer Faktor. McGinn bezieht sich auf eine Untersuchung von 1970 und führt aus (McGinn et al. 1980, S. 213): "A clear majority (68 to 80 percent) of the 2,923 student respondents to the 1970 survey believed that university students have the responsibility to participate in social and political issues. They stated that they definitely are the elite of the society, that the political and social views of the educated should be reflected more closely in politics than should those of the less educated. ... For various reasons, student dissent constantly has run up against militant suppression by the govemment. There has been a cycle of dissent-revolt- suppression-dissent almost continuously since 1945. Being unable to develop a radical ideology of nationalism and confined within the contours of a conservative, anti-Communist political tradition. the student movement has become a major social force against the existing regime largely on moral grounds." Eine Statistik aus einer Untersuchung von 1965 zeigt, daß damals nicht alle Koreaner mit den Aktivitäten der Studenten einverstanden waren: Die Frage lautete: Bis zu welchem Grad sollten sich Studenten an sozialen und politischen Fragen beteiligen? 1. aktiv (auch Aktionen sind erlaubt) 2. zwischen aktiv und passiv 3. passiv (nur Diskussionen sind erlaubt) 4. andere Antworten 171 Einschätzung politischer Aktivitäten von Studenten (965) I I 1 I 2 I 3 I 4 I Total (N) I Junge Kadetten 13 47 37 3 100 % (174) Ältere Kadetten 6 37 56 1 100 % (161) Offiziere 10 37 46 7 100 % (194) Bauern 35 28 20 17 100 % (352) Geschäftsleute 11 40 46 3 100 % (261) Professoren 15 51 28 6 100 % (392) Quelle: McGinn et al. 1980, S. 215. Abb. 16 Einige Zahlen sind nicht so sehr erstaunlich. Es versteht sich fast von selbst, daß das Militär als staatliche Ordnungsrnacht politischen Aktivitäten der Studenten negativ gegenübersteht. Es ist auch erklärbar, daß die Studenten die größte Zustimmung aus der sozial schwächsten und politisch vernachlässigsten Gruppe, nämlich der der Bauern bekamen. Auch wenn sich die Gruppen der Befragten nicht decken, so zeigt eine 15 Jahre später durchgeführte Untersuchung doch eine Tendenz zu größeren Zugeständnis- sen gegenüber den Studenten: Einschätzung politischer Aktivitäten von Studenten (980) I I Erwachsene I Lehrer I Studenten I Aktion und Diskussion 26 25 41 möglich Diskussion möglich 54 64 44 aber keine Aktivitäten beides sollte 19 10 9 nicht möglich sein keine Antwort 1 1 6 100 % 100 % 100 % Quelle: Lee, Hong-Gu et al. (Zitiert nach: Chun, K.-K. 1988, S. 45; Zahlen gerundet). 172 Abb. 17 Die größte Zustimmung fand zweifellos ein aktionsfreies politisches Verhalten der Studenten. Aber immerhin ein Viertel der befragten Erwachsenen und Lehrer hielt auch politische Aktivitäten von Studenten für akzeptabel. Ganz gewiß durch die Amerikaner beeinflußt, wurde in Korea nach dem zweiten Weltkrieg die politische Neutralität der Bildungseinrichtungen durch Gesetz verlangt. So bestimmt der Artikel 31 § 4 der Verfassung: "Unabhängigkeit, Bekenntnisfreiheit und politische Neutralität der Erziehung und die Autonomie der Universität werden durch Gesetz geschützt". Dieser typisch westliche und für unser Staatsdenken sinnvolle Passus trifft, wie schon gezeigt wurde, auf eine andere Realität. Infolgedessen kommt es zu einer endlosen Diskussion darüber, wieviel politische Aktivität den Studenten zugestan- den werden soll und in welcher Form diese Aktivität ihren Ausdruck finden darf. Daher fragte auch Chun in der KEDI-Studie von 1988 zu diesem Problemkreis nach. Vorab stellt er fest (Chun, K.-K. 1988, S. 41 f.): "Nowadays, many people within the educational system are participating in political activities and that the relationship between education and politics in Korea remains extremely dose. " Die folgende Abb. 18 bestätigt diese Aussage. Drei Möglichkeiten für eine Antwort standen den Befragten zur Auswahl: 1. Aktionen und Diskussionen sind möglich 2. Diskussionen sind möglich, aber keine Aktionen 3. Beides sollte nicht möglich sein. 173 Einschätzung politischer Aktivitäten von Studenten (1988) innerhalb der Hoch- außerhalb der Hoch- schule schule % % 1 2 3 1 2 3 Studenten 68 29 3 60 33 7 Lehrer 54 44 2 50 44 6 Eltern 46 48 6 43 48 9 Verwaltungspersonal 30 66 4 20 67 13 geseJJschaftliche 56 40 4 50 42 8 Repräsentanten Quelle: Chun, K.-K. 1988, S. 44; Zahlen gerundet. Abb. 18 Die deutliche öffentliche Zustimmung zur Politisierung der Hochschulen kann man auch erkennen, wenn nach der Rolle des Lehrpersonals in diesem Zusammenhang gefragt wird. Es waren wieder die gleichen Auswahlantworten wie oben möglich. Es zeigte sich folgendes Bild: Einschätzung politischer Aktivitäten von Lehrpersonal (1988) innerhalb der Hoch- außerhalb der Hoch- schule schule % % 1 2 3 1 2 3 Studenten 76 19 5 81 13 6 Lehrer 73 25 2 76 21 3 Eltern 65 29 6 67 25 8 Verwaltungspersonal 56 43 1 50 44 6 geseJJschaftliche 72 26 2 71 23 6 Repräsentanten Quelle: Chun, K.-K. 1988, S. 46; Zahlen gerundet. 174 Abb. 19 In allen Gruppen findet sich eine Mehrheit für eine aktive politische Beteiligung der Hochschullehrer, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bildungseinrichtungen. In der Tabelle mit der Beurteilung des politischen Verhaltens der Studenten und auch in der über das des Lehrpersonal sind die Gruppengrößen, die für eine politische Abstinenz oder Neutralität votieren, bemerkenswert klein. Die Zahlen liegen deutlich unter 10 %, wenn man von einer einzigen Ausnahme absieht. Zusammenfassend kann man sagen: Die gesellschaftliche Zustimmung zu politischen Diskussionen und Aktionen innerhalb und außerhalb der Hochschulen hat in den letzten Jahren zugenommen. Dabei wird nicht nur den Studenten, sondern auch den Professoren eine Beteiligung zugestanden. Die befragten Personen aus der staatlichen Verwaltung neigen noch am stärksten dazu, sich das politische Verhalten an Hochschulen eingeschränkt zu wünschen. Aber das ist wohl verständlich. Chun stellt zutreffend fest, daß alles in allem das Bildungssystem eine sehr enge kritische Beziehung zum politischen System pflegt (Chun, K.-K. 1988, S.49). Die charakteristische Bildungsbeflissenheit der Koreaner (vielleicht ist es auch mehr ein gesellschaftlicher Bildungszwang) und die große Aufmerksamkeit, die Bildungsein- richtungen in diesem Lande genießen, prägen ein besonderes Verhältnis zwischen dem Bildungssystem und dem Staat und der Gesellschaft. Die Beziehungen zwischen Bil- dung und Politik sind soeben etwas eingehender am Beispiel der Hochschulen beleuch- tet worden. Stark abgemildert gelten die Befunde auch für die High Schools, jedenfalls sind auch hier Lehrer und Schüler nicht gänzlich politisch abstinent. Nun noch einige Anmerkungen zu den Beziehungen zwischen Elternhaus und Schule, zum Dreiecksverhältnis von Eltern-Schülern-Lehrern. Die hohe Lernleistung koreani- scher Schüler ist nicht nur ihrem eigenen Willen zuzuschreiben, sondern auch der sehr engen Interaktion von Elternhaus und Schule. Die Lehrer genießen hohes Ansehen schon wegen ihrer akademischen Bildung. Seit Jahren werden die Lehrkräfte für die Primarschulen ebenso in vierjährigen universitären Studiengängen ausgebildet, wie ihre 175 Kollegen für die Sekundarstufe. Wenn auch in letzter Zeit der Zustrom von Frauen in den Lehrberuf stark zugenommen hat, ist doch immer noch ein erheblicher Teil der Lehrkräfte der unteren Schulstufen männlichen Geschlechts. An sich war der Lehrberuf eine Domäne der Männer, die in der koreanischen Gesellschaft traditionsgemäß mehr Autorität genießen als Frauen. Vermutlich ist jedoch die hohe soziale Einschätzung des Lehrberufs so fest verankert, daß die Geschlechtszugehörigkeit der lehrenden Person weniger wichtig ist. Die Eltern sind bereit, in Erziehungsangelegenheiten der Lehrperson ein deutliches Stück Autorität zu übertragen. Dabei geht es den Eltern nicht nur um einen beschleunigten Wissenserwerb, sondern um Charakterbildung und moralische Erziehung. Gerade für die beiden letztgenannten Bereiche haben Lehrpersonen viel Verantwortung zu übernehmen: "School is a place where charakter is formed and correct values are nurtured" (Sorensen 1994, S. 27). Aus dieser gesellschaftlichen Erwartung heraus wird die dominante Stellung des Lehrers im Schülerleben mitbedingt. Eltern, Schüler und schließlich die Lehrer selbst gehen davon aus, daß in der Schule das Richtige, Wahre gelernt wird. Diskussion und Zweifel an der Autorität des Lehrers sind nicht angebracht. Ein häufig anzutreffender - nach unserer Einschätzung - autoritärer Lehrstil ist keines- wegs nur der Selbstherrlichkeit der Lehrenden, sondern den gesellschaftlichen Erwartun- gen zuzuschreiben. Die Schule hat nach koreanischem Verständnis nicht nur einen wesentlichen Anteil an der Charakterbildung, sondern soll auch das außerschulische Leben der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe, so weit es sich in der Öffentlichkeit abspielt, kon- trollieren. Das war bis 1982/83 nicht gar so schwierig, weil die Schüler beiderlei Geschlechts Schuluniformen trugen und einen einheitlichen Haarschnitt pflegen mußten. Da beides von Schule zu Schule etwas unterschiedlich ausfiel, ließen sich jugendliche Missetäter oder Rowdies relativ gut identifizieren. Das Erziehungsministerium verfügte dann ein Verbot der Schuluniformen und der einheitlichen Haarschnitte. Diese Liberali- sierung wurde von der Bevölkerung aber keineswegs durchgängig begrüßt. Es gab auch 176 Schulen, die sich an das Verbot nicht hielten. Das Thema wird nach wie vor strittig diskutiert. Als Vorzüge einheitlicher Kleidung und Haartracht gelten Ordnung unterstützende Maßnahme Leichtere Kontrolle der Schüler außerhalb der Schule Gegeneinwände sind Starkes Interesse an langen Haaren Förderung rebellischen Verhaltens gegen die Schulordnung. Nun wird verschiedentlich ernsthaft behauptet, daß eine Zunahme an jugendlichen Straftaten nach 1982 auf die Aufhebung der Kleider- und Haarschnittordnung zurückzu- führen sei (Song, M.-E. 1989, S. 166; Chun, K.-K. 1988, S. 74). Die Untersuchung des KEDI befragte auch zum Komplex Schuluniform und Haarschnitt. Auf die Frage: "Was halten Sie von Vorschriften für Kleidung und Haarstilfür Schüler der Sekundarstufe?" standen vier Antworten zur Auswahl: 1. Befürwortung von Schuluniformen und kurzem Haarschnitt wie vor 1982. 2. Über Kleidung und Haarstil soll der Schulleiter entscheiden. 3. Schüler sollten im vorgegebenen Rahmen frei wählen können. 4. Es sollte keine Regelung für Schulkleidung und Frisur geben. Schulunifonn und einheitlicher Haarschnitt ( % ) I I 1 I 2 I 3 I 4 I Schüler 7 28 46 19 Lehrer 20 51 20 9 Eltern 37 36 18 9 Verwaltungspersonal 18 62 14 6 gesellschaftliche 28 49 15 8 Repräsentanten Durchschnitt 22 45 23 10 Quelle: Chun, K.-K. 1988, S. 75; Zahlen gerundet. 177 Abb.20 Die Schüler waren verständlicherweise für eine weitgehende Freiheit bezüglich der Kleidung und Frisur. Bemerkenswert ist, daß jedoch 46 % Rahmenvorgaben akzeptier- ten, nur 19 % waren für eine völlige Freigabe der Kleiderwahl. Alle anderen Gruppen wollten mehrheitlich zur alten Regelung zurückkehren bzw. den Schulleiter entscheiden lassen. Dabei darf angenommen werden, daß die Schulleiter die Kleider- und Frisurfrage nicht gänzlich offenlassen würden. Denn solange die Schulen mitverantwortlich für das Betragen der Schüler in der Öffentlichkeit sind, müssen Schulleiter ein Interesse an der Aufklärung von Fehlverhalten haben. Zur Eingrenzung des "Täterkreises" sind Klei- dungsvorschriften sicher hilfreich. Jedenfalls sehen das die Koreaner so. Die immensen Lemanstrengungen, zu denen die Jugendlichen willens und in der Lage sind, haben mehrere Gründe. Einige wurden schon erklärt: Lernen führt zur Versitt- lichung des Menschen und seiner gesellschaftlichen Wertschätzung. Lernen verbessert die Karrierechancen. Lernen ist nicht persönliche Angelegenheit des Individuums, sondern betrifft die Familie. Hohe Lemleistungen ehrt die Ahnen, sichert durch ein gutes Einkommen die Eltern im Alter ab und ist Vorbild für kommende Generationen. Lernen führt schließlich zu hoher Bildung und damit zur Mitgliedschaft in der Gruppe der Einflußreichen, Herrschenden. Wer es versäumt zu lernen, bleibt ungebildet und damit bei den Beherrschten. Eltern investieren in die Bildung der Kinder ein Vermögen. Dadurch wächst der soziale Druck auf die Jugendlichen weiter an. Eine enge Koopera- tion von Elternhaus (Müttern) mit der Schule (LehremlLehrerinnen) verhindert zusätz- lich eine Flucht aus der Schularbeit. Schließlich lastet auf den Schülern die Theorie, daß nicht Begabung oder Milieu, sondern der individuelle Leistungswille über die Schulkar- riere entscheiden. Bleibt die erwartete Leistung aus, dann ist man nicht dumm, sondern faul. Faulheit aber wäre eine grobe Ungezogenheit gegenüber den Eltern und damit ein unentschuldbares Verhalten. Soweit der theoretische Begründungszusammenhang für notwendig-fleißiges Lernen, der bei aller Verpflichtung der Jugendlichen wenigstens eine Art von Chancengleichheit suggeriert. Die Realität sieht aber anders aus. Eine sorgfältig angelegte empirische Studie von Robinson zeigt, daß koreanische Lehrer zutiefst davon überzeugt sind, daß 178 die soziale Herkunft der Schüler die Lernleistungen der Schüler bestimmt. Er weist nach, wie das Lehrerverhalten diese Überzeugung zur self-fulfilling prophecy werden läßt (Robinson 1994, S. 506 ff.). Der Unterschied ostasiatischer Schüler zu denen in anderen Kulturen läßt sich etwa so zusammenfassen: Hohe Motivation verbunden mit hohem sozialen Druck lassen die Schüler außerordentlich fleißig und bemerkenswert beharrlich-ausdauernd lernen. So bewundernswert dieses ist, so hat es auch seinen hohen Preis. Es kostet die Jugendzeit. S.2 Bildungssystem. Schulstufen, Curricula, Versetzungsprinzip Blickt man in amtliche Veröffentlichungen aus dem Erziehungsministerium oder in andere offizielle Darstellungen des Bildungssystems, so findet man eine graphische Zusammenfassung (Abb. 21), die seit mindestens sechs Jahren unverändert reproduziert wird (z. B. MOE 1990, S. 49; MOE 1994, S. 49; A Handbook 1992, S. 447). Bei der mehr als rasant zu nennenden Entwicklung des Bildungssystems führt die nicht jährlich korrigierte Skizze zu Fehlinfonnationen. Es ist ja nicht unüblich, Bildung in einem Koordinatensytem darzustellen. Auf der Ordinatenachse lassen sich Schuljahre und Alter der Schüler eintragen, die Abszissenachse gibt Auskunft über die AnzahlJMenge der Schüler auf den einzelnen Schulstufen. So entsteht das Bild einer "Bildungspyramide", weil in allen Gesellschaften mehr Jugendliche die Grundschule als die Universität besuchen. Je elitärer oder egalitärer das Bildungssystem ist, desto steiler oder flacher stellt sich die Pyramide dar. Insofern sind korrekte Eintragungen auf der Abszissenachse schon wichtig. Die koreanische Selbstdarstellung ist diesbezüglich nicht sehr genau. Nun gibt es graphische Probleme, die sich technisch schlecht lösen lassen. Dafür ein Beispiel: Die Schulen für behinderte Jugendliche lassen sich maßstabgerecht nicht darstellen. In die Grundschulen gehen rund 4.100.000 Kinder, die Grundschulen für behinderte Kinder nehmen etwa 10.000 Schüler auf. Das ist graphisch nicht mehr als ein dünner Bleistiftstrich. 179 ! ~ ~ ~ ? ~ ? ~ ? ', 0 ', I I? ', 3 1,4 ', 5 1.6 F 1. 8 1,9 I Sp ed oI & 1 - ra r" " - - I Pr im ary Sc ho ol IM id dI e Sc ho ol IH ig h Sc ho ol 25 G ra du al e Sc ho ol 22 23 24 I. Ci vi c Sc ho ol 2. Sp ec ia liz ed ·S ch oo l 3. H ig he rC iv ic Sc ho ol 4. T ra de Sc ho ol S. H ig hc rT ra de Sc ho ol 6. Sp ec ia lz ed H ig h Sc hQ 91 7. C or re sp on de nc e H ig h Sc ho ol H ig he r Ed uc at io n 20 21 D en lis lr y & M ed ic in e 4 Y ea r C ol le ge a n d U ni ve rs ily K or ea C or re s. U ni v. Te ac he r's Co lle ge 17 18 19 V oc at io na l H ig h Sc ho ol (3 ye ar s) G en er al (A ca de mi c) H ig h Sc ho ol (3 ye ar s) 15 16 Se co nd ar y Ed uc at io n M id dl e Sc ho ol (3 ye ar s) 12 13 14 10 11 9 8 Pr im ary Sc ho ol (6 ye ar s) E le m en ta rv Ed uc at io n 7 K id er ga rt cn (l & 2 ye ar s)' ~ ~ , 0 [ !f ~ Pr e- Sc ho ol - ti:l ~ -\Q a ge 6 \Q ~.f> . !".IJ .f>. ~ -0 0 o Abgesehen von diesem Problem mit dem Maßstab, das man sicher nicht zu pedantisch sehen darf, kommen dann aber Angaben in der Skizze vor, die nur noch Erinnerungs- wert haben. Die mit Nummer 1 und 3 bezeichneten Schulen "Civic School" und "Higher Civic School" existieren praktisch nicht mehr. Es gibt nur noch eine private Civic School mit 150 Schülern und sieben Higher Civic Schools mit zusammen 350 Schülern. Diese Bildungseinrichtungen sind heute also nicht mehr nennenswert. Sie hatten aber eine wichtige Funktion. Es waren Bildungsstätten außerhalb des formalen Systems, die denjenigen, meist älteren Menschen, Gelegenheit gaben, etwas zu lernen, die durch die Ereignisse nie eine Chance zu einem regelmäßigen längeren Schulbesuch hatten oder die über eine Grundschulbildung nicht herausgekommen waren. Die Curricula orientier- ten sich an den Plänen der Regelschulen. 1950 bestanden rund 1.400 Civic Schools in Tages- oder Abendform. Noch 1970 wurden sie von 85.000 Personen besucht. Heute sind diese Schulen verschwunden, für sie gibt es keinen Bedarf mehr. Ganz ähnlich verhält es sich mit den mit 2 und 6 numerierten Einrichtungen. Auch sie gehören nicht in das formale Bildungssystem, sondern waren Schulen, die die größeren Betriebe in den Industriezonen des Landes unterhielten. Meist als Abendschulen geführt, sollten sie den Betriebsangehörigen die Möglichkeit der Weiterbildung eröffnen. Überraschend ist dabei, daß es sich nicht etwa um Betriebsberufsschulen handelte, sondern um allgemeinbildende Schulen mit ganz ähnlichem Lehrplan wie im formalen Schulwesen. Waren es ca. 73.000 Teilnehmer im Jahr 1980, so sind es 1994 noch 11.200. Also auch die Specialized" Schools waren zeitgebundene Notmaßnahmen - für ihren weiteren Bestand gibt es kaum Gründe. Wie steht es um die Trade School (Nr. 4) und die Higher Trade School (Nr. 5)? Trade Schools gibt es schon seit 1993 keine einzige mehr. Das erklärt sich aus der Tatsache, daß 98,5 % (1992) der Schüler aus der Primarschule in die Middle School überwech- seln. Zwölfjährige sind ja auch für eine berufsbildende Schule reichlich jung. Higher Trade Schools gibt es noch zehn Stück mit insgesamt 14.000 Lernenden. Es werden 181 folgende Fachrichtungen angeboten: Landwirtschaft, Technik, Handel, Hauswirtschaft, Kosmetik und Haarpflege. Die Bildungsgänge dauern ein bis drei Jahre. Alle 10 Schu- len befinden sich in privater Trägerschaft, werden ganz überwiegend als Tagesschulen geführt und werden zum quasi-formalen Bildungssystem gerechnet. Abschlüsse dreijäh- riger Schulzweige werden als High School Abschluß staatlich anerkannt. Während die Trade Schools, wie schon gesagt, bei Null angekommen sind, stehen die Higher Trade Schools noch besser da. Im Gründungsjahr 1970 verzeichneten sie rund 13.000 Schüler, im Jahr ihrer Blüte 1990 waren gut 24.000 registriert. Von da an ging es deutlich bergab. Die Gründe für die rapide Abnahme an Teilnehmern liegt gewiß in der ständig steigenden Anzahl von Schülern, die von der Middle School auf die High School des formalen Systems übergehen. Ferner sind in Korea dreijährige Ausbildungen im Se- kundarbereich ohnehin ungewöhnlich und schließlich mögen auch demographische Faktoren mit im Spiel sein. So oder so: Für eine Übersicht über das Bildungssystem spielen diese Einrichtungen keine besondere Rolle. Im Statistischen Jahrbuch des Erziehungsministeriums von 1994 werden sie daher auch nur noch unter "Other Schools" geführt (NBEE 1994, S. 517). Eine weitere Form des Erwerbs allgemeiner Bildung stellen die Air and Correspondence High Schools dar, in der Skizze mit Nr. 7 markiert. Es sind kombinierte Programme von Fernlehrgängen, Schulfunksendungen und Direktunterricht. Die Teilnehmer, be- schäftigte Jugendliche, müssen sich einem Auswahlverfahren unterziehen und können bei erfolgreichem Abschluß ein Zeugnis erwerben, das dem im formalen Bildungs- system ausgegebenen gleichgestellt ist. Aber auch auf diesem Bildungsweg befinden sich immer weniger Teilnehmer, weil es üblich geworden ist, vor Arbeitsaufnahme die High Schools zu besuchen. So sank die Teilnehmerzahl in vier Jahren um die Hälfte. 1989 waren es rund 41.000 Jugendliche, eingeschrieben. Im Jahr 1993 waren es noch 20.000. Auch für die Bildungsgänge im tertiären Bildungssektor gibt es zweite Bildungswege. Dadurch, daß immer mehr Jugendliche die High Schools durchlaufen, entsteht im Hochschulbereich ein immer größerer Andrang. Denjenigen, die im harten Kampf um 182 die bisher limitierten Studienplätze unterliegen, bleibt die Möglichkeit, an der Air and Correspondence University zu studieren. Diese Einrichtung wurde als Junior College 1972 gegründet und bot dreijährige Studiengänge an. 1981 wurde das College zu einer Universität aufgewertet. Neben dem Junior College Programme entwickelten sich 16 akademische Fachrichtungen, die nach einern vierjährigen Studium zum Bachelor's Degree führen: Correspondence University Fachrichtung Öffentliche Verwaltung Betriebliches Management Recht Koreanische Sprache Hauswirtschaft Englische Sprache Chinesische Sprache EDV Ökonomie Landwirtschaft Pädagogik Vorschulerziehung Gesundheitswesen Französische Sprache Internationaler Handel Statistik Quelle: NBEE 1994, S. 725; Zahlen sind gerundet. Studenten 26.000 24.000 21.000 19.000 15.000 15.000 12.000 11.000 11.000 10.000 10.000 9.000 7.000 6.000 4.000 4.000 Abb. 22 Zusammen sind es um die 205.000 Studenten, die von diesem Angebot Gebrauch machen. Eine Aufnahmeprüfung wird an dieser Universität nicht abgehalten. Der Abschluß der High School muß allerdings nachgewiesen werden. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher der geschilderten formalen oder nonformalen Form der Abschluß erreicht wurde. An den Universitäten Koreas kann man nach vierjährigem Studium den Bachelor's Degree erwerben. An der Air and Correspondence Universität ist das Programm auf 183 fünf Jahre ausgelegt, um zum gleichen Abschluß zu gelangen. Wegen der psycho- physisch sehr hohen Belastung, neben einer erheblich längeren Arbeitszeit als bei uns noch ein volles universitäres Studium ableisten zu wollen, wird den Studenten gestattet, die vorgegebene fünfjährige Studienzeit um bis zu fünf Jahre zu verlängern. Wer es dann nicht geschafft hat, wird exmatrikuliert. Das Studium besteht aus mehreren Komponenten: Progammierte Textbücher, Rundfunksendungen, Fernlehrheften, Haus- arbeiten und Präsenzunterricht. Letzterer wird an 32 kooperierenden Hochschulen während der Semesterferien im Sommer und Winter durchgeführt. Weitere 27 regionale Lernzentren stehen zusätzlich für Direktunterricht zur Verfügung. Aufgrund dieser Studienstruktur wird verständlich, daß an der Air and Correspondence University nur die typischen "Buchfächer" studiert werden können. Fächer, die Labor- und Werkstatt- übungen notwendig werden lassen, werden daher nicht angeboten. Es gibt aber einen weiteren Typ von Hochschule, der es jugendlichen oder erwachsenen Beschäftigten ermöglicht, zu studieren. An 14 Hochschulen bestehen sogenannte Open Colleges. Sowohl in Tages- als auch in Abendkursen können hier Studienmodule studiert werden. Diese Module lassen sich bei Wunsch bis zur Examensstufe akkumulie- ren. Ein Zeitrahmen wird nicht vorgegeben. Aufnahmebedingung ist wieder der Nach- weis des High School Abschlusses. Eine geringe Quote von Studienplätzen wird freigehalten für Fachkräfte ohne Sekundarschulabschluß, aber mit bestandener Crafts- man-Prüfung und nachgewiesener Industrieerfahrung. Rund 100.000 Studierende sind in den Open Colleges eingeschrieben, tatsächlich studierten 1994 davon 75.000. Der Rest setzte für mindestens ein Semester das Studium aus. Studierbar sind alle erdenklichen Fachrichtungen. Die einzige Möglichkeit, außerhalb des formalen Bildungssystems über den Bachelor's Degree hinauszukommen, ist ein Studium an der Open Graduate School. An sechs Open Colleges werden diese Studiengänge angeboten. Sie führen zum Master's Degree. Die Zahl der hier eingeschriebenen Studierenden ist allerdings minimal. Insgesamt sind es 937. 184 Damit will ich die Betrachtung der non-formalen allgemeinen Bildungseinrichtungen abschließen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß auf allen Ebenen stets ein zweiter Bildungsweg offen stand oder steht. Man kann es so formulieren: das non-formale Bildungsangebot verhielt sich bisher reziprok zum formalen System. Es übernahm die Bedarfsdeckung, die durch das formale System nicht gewährleistet werden konnte bzw. gab beschäftigten Menschen die Möglichkeit, höhere Bildungsabschlüsse nachzuholen, um mit dem steigenden Bildungsniveau, das über das formale System anwuchs, Schritt halten zu können. Es nimmt in dem Maße ab, in dem das formale System ausgebaut wird. So besteht im Primar- und Sekundarbereich praktisch kein Bedarf mehr an alternativen Bildungsgängen. Anders verhält es sich im tertiären Bildungssektor. Die folgende Skizze (Abb. 23) versucht, der Realität etwas näherzukommen. Aufgrund der Daten aus dem Statistischen Jahrbuch von 1994 habe ich die Flächen maßstabgetreu bezogen auf die vorhandenen Schülerzahlen dargestellt. Eine gewisse Verzerrung ist auch hier noch nicht behoben. Aus demographischen Gründen sinken die Zahlen der Einschulung in die Grundschulen. So sind die Klassen 1 - 6 nicht gleichstark besetzt, wie es die Skizze vermuten läßt. Es wäre möglich, aber doch recht zeitraubend gewe- sen, die Zahlen für jedes Schuljahr und für jede Schulart herauszusuchen, denn die statistischen Jahrbücher der koreanischen Bildungsverwaltung sind hervorragend aus- sagekräftig und detailreich. Die Zahl der abgegangenen Grundschüler betrug 1994 848.283, die Aufnahmen in die Mittelschulen 844.149. Demnach verließen nur 4.134 Schüler das formale Bildungssystem unmittelbar nach der Schulpflicht. Die Übergangs- quote von der Elementary School zur Middle Schoollag demnach bei 99,5 %. Die Abb. 23 sagt auch nur bedingt etwas über die Übergangsquoten von Stufe zu Stufe aus. Es handelt sich um eine "Momentaufnahme" aus der z. B. ersichtlich wird, wie sehr der tertiäre Bildungsbereich in Anspruch genommen wird. Hier sind jene Studenten mit eingerechnet, die schon im Arbeitsleben stehen und nebenher oder in Abendformen versuchen, einen höheren Bildungsabschluß zu erlangen. 185 Die Middle School gab 735.679 Schüler ab und die High Schools nahmen zum gleichen Zeitpunkt 717.211 Schüler auf. Die Übergangsquote lag damit bei 97 %. Wenn man von den kleinen Übergangsverlusten zwischen den Schulstufen absieht und die geringe Zahl von als behindert geltenden Schülern, die in Spezialschulen gehen, nicht mitberücksich- tigt, dann darf man feststellen, daß Korea den Stand einer zwölfjährigen flächendecken- den Bildungsversorgung erreicht hat. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der Zustrom in den tertiären Sektor mit den Jahren kräftig angeschwollen ist. Von den Absolventen der High Schools bekamen 1994 rund 41 % einen Studienplatz in einem College, an einer Universität oder Pädagogi- schen Hochschule, also in einem vierjährigen Studiengang. Weitere 37,5 % gingen in die größtenteils zweijährigen Junior Colleges über. In unserem Verständnis sind diese Colleges nicht unbedingt als akademische Institutionen anzusehen, für die Koreaner aber ist es wichtig, Bildung oder Ausbildung im tertiären Bildungssektor zu absolvieren. Darin liegt ein Stück Logik: Wenn alle die Sekundarstufe abschließen, kann man nicht anschließend Ausbildungseinrichtungen, die wiederum im Sekundarbereich angesiedelt sind, besuchen. Was sind nun die rechtlichen Grundlagen und die offiziellen Erziehungsziele? Um das festzustellen, muß man bis in die Gründungszeit Südkoreas zurückblicken. Die Ver- fassung der Republik Korea stammt aus dem Jahr 1948; es ist das Jahr, in dem die amerikanische Militärregierung aufgelöst wurde. In der Verfassung wird in Artikel 27 zum Bildungssystem folgendes grundsätzlich festgeschrieben (Jayasuriya 1983, S. 40; Übersetzung durch den Verfasser): "}. Alle Bürger haben entsprechend ihren Fähigkeiten das Recht auf Bildung. 2. Alle Bürger haben die Pflicht, allen Kindern, die sich in ihrer Obhut befinden, die Grundschulerziehung und Eniehungsmaßnahmen, die durch Gesetz gere- gelt werden, zukommen zu lassen. 3. Der Pflichtschulbesuch wird schulgeldfrei sein. 4. Freiheit und politische Neutralität der Bildung werden garantiert. 5. Grundsätze des Erziehungssystems und dessen Betrieb werden durch Gesetz geregelt. " 187 Das Erziehungsgesetz ließ nicht lange auf sich warten, es wurde im folgenden Jahr, 1949, erlassen. Im Artikel 1 wird das Leitziel formuliert, der Artikel 2 differenziert das Leitziel etwas aus (Jayasuriya 1983, S. 40 f.; Übersetzung durch den Verfasser): "Artikel]: Die Erziehung steht unter dem ]deal, dem Wohle aller Menschen zu dienen. Sie zielt darauf ab, allen Bürgern bei der Entwicklung ihrer individuellen Persönlichkeit zu helfen, die Fähigkeiten für ein unabhängiges Leben zu entwickeln und staatsbürgerliche Qualifikationen zu vermitteln, die für den Aufbau einer demokratischen Nation notwendig sind. Artikel 2: Damit diese Grundsätze verwirklicht werden können, werden folgende Ziele aufgestellt: ]. Vermittlung von Kenntnissen und Gewohnheiten für eine beständige Gesundheit und Kultivierung einer unbeugsamen Gesinnung. 2. Entwicklung eines patriotischen Geistes zum Schutz der nationalen Unabhängigkeit und zur Verstärkung der Bemühungen um einen Welt- frieden. 3. Nachfolgebereitschaft und Förderung unserer nationalen Kultur und Beitragsleistung zur Entwicklung einer Weltkultur. 4. Förderung einer wahrheitssuchenden Geisteshaltung und die Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken, um ein schöpferisches und rationales Leben zu ermöglichen. 5. Förderung der Freiheitsliebe und des Respekts gegenüber der Verant- wortung, die notwendig ist, um ein harmonisches Gemeinschaftsleben im Sinne von Pflichttreue, Kooperation und Verständnis zu leisten. 6. Entwicklung ästhetischer Fähigkeiten, um Künste schätzen zu lernen, Freude an der Schönheit der Natur zu haben und Freizeit effektiv für ein erholsames und harmonisches Leben nutzen zu können. 7. Pflege von Emsigkeit und der Hingabe an die eigene Arbeit, um ein fähiger Produzent und ein aufgeklärter Konsument im Wirtschaftsleben werden zu können." Die Zielsetzungen zeigen recht deutlich die Bestrebungen, ein modemes Bildungskon- zept entwickeln zu wollen, ohne die nationalen Traditionen aufgeben zu müssen. 188 Formulierungen wie z. B. "Teilhabe an der Sicherung des Weltfriedens", "Beitrag zur Entwicklung einer Weltkultur", "wissenschaftliches Denken" und "schöpferisch rationa- les Leben" weisen zweifellos auf ein modemes Verständnis von Bildungsbemühungen hin. Andererseits verweisen "unbeugsame Gesinnung", "patriotischer Geist", "Förderung nationaler Kultur" und "Emsigkeit und Hingabe an die Arbeit" auf traditionelle soziale Werte, die weiter vermittelt werden sollen. Es ist eine hohe Kunst der ostasiatischen Kulturen, "westliche Importe", egal auf welchem Gebiet auch immer, mit ihren alten Traditionen synkretistisch zu verarbeiten. Es handelt sich keineswegs um reine Über- nahmen, sondern um für uns häufig schwer nachzuvollziehende Vermischungen mit Althergebrachtem. Um auf die koreanischen Erziehungsziele zurückzukommen: Natür- lich ist es eine Gratwanderung mit der Gefahr des Absturzes in nationalen Chauvinis- mus und Ethnozentrismus. Auf der anderen Seite hat Korea die geschichtliche Erfahrung gemacht, daß nur durch die Bereitschaft zu dieser Gratwanderung die nationale Un- abhängigkeit gewahrt werden konnte. Lee, Y.-H. spricht in diesem Zusammenhang von einem "self-assertive nationalism", also einem "Selbstbehauptungs-Nationalismus", der nach dem zweiten Weltkrieg ein breites Segment der koreanischen Gesellschaft erfaßt habe (Lee, Y.-H. 1978, S. 7). Die Betonung nationaler und kultureller Eigenständigkeit und die nicht nachlassende Unterstützung des "Wir-Gefühls" fördern ganz sicher auch Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit des Volkes. Fast 20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Erziehungsgesetzes berief der damalige Präsident Park eine Kommission aus Gelehrten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Es war das Ziel, eine "National Charter of Education" zu entwickeln. Das Bedürfnis für eine erneute grundsätzliche Besinnung auf die Erziehungsziele entstand aus dem Gefühl heraus, daß sich mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung un- erwünschte soziale Verhaltensweisen breitrnachten und ein Verfall der Moral einhergin- ge (Jayasuriya 1983, S. 43; Hyung, I.-Y. 1988, S. 426). Es war wiederum der Versuch, durch das Erziehungssytem die Modernisierung des Landes und der Gesellschaft voranzutreiben und dabei die ethischen Standards und leitenden Verhaltensprinzipien am kulturellen Erbe und an der Tradition zu orientieren. 189 Südkorea war wohl objektiv durch seinen kommunistischen Nachbarn mehr bedroht als Westdeutschland durch die DDR und benutzte noch stärker als die deutsche Politik den Antikommunismus als Mittel innenpolitischer Stabilisierung. So wurden in der Charta auch ein leidenschaftliches Bekenntnis für die freie Welt und die Demokratie abgelegt und Kräfte gegen den Kommunismus mobilisiert. Die "National Charter of Education" wurde durch das Parlament gebilligt und Ende 1968 vom Präsidenten proklamiert. Eine Einschätzung durch eine amtliche koreanische Quelle und die ersten Passagen des Textes lauten (Tatsachen 1979, S. 98 f.): "Neben der Vermittlung grundlegender Kenntnisse ist '!S Ziel des koreani- schen Bildungswesens, den Schülern und Studenten die Werte und Fertigkei- ten zu vermitteln, die für die Erneuerung der Nation notwendig sind. In wenigen Jahren hat Korea sich aus einem armen Land zu einem industriali- sierten entwickelt, wodurch das Leben insgesamt viel komplizierter geworden ist. Es ist das Ziel der Erziehung, den Schülern und Studenten nicht nur dabei zu helfen, schöpferisch in der neuen Gesellschaft mitzuarbeiten, son- dern sie auch zu befähigen, selbst Urteile fällen zu können in Obereinstim- mung mit dem traditionellen koreanischen Wertsystem der Ehrfurcht vor den Eltern und die Loyalität gegenüber der Nation. Die Koreaner sind ein geschichtsbewußtes Volk. Die koreanische Geschichte und Kultur wurden und werden ständig erforscht und heute neu bewertet im Lichte der Renaissance, die sich zur Zeit in der koreanischen Gesellschaft vollzieht. Es gehört daher auch zu den Zielen des koreanischen Bildungs- wesens, in allen Schülern ein Geschichtsbewußtsein zu wecken, das sie stolz auf ihr Volk macht und das sie erkennen läßt, welchen Beitrag Korea zur Weltkultur geleistet hat. Die "Charta der nationalen Erziehung", die 1968 aufgestellt wurde, enthält die Ziele und die Ideale des koreanischen Bil- dungswesens. Darin heißt es: 'Mit wachem Geist und starkem Körper wollen wir unsere schöpferischen Kräfte und unseren Pioniergeist entwickeln, indem wir unsere Kenntnisse und Künste vermehren, unsere angeborenen Fähigkei- ten entfalten und die Schwierigkeiten überwinden, die den schnellen Fort- schrin unseres Volkes hemmen könnten. Wir wollen dem öffentlichen Wohl 190 und der öffentlichen Ordnung die größte Aufmerksamkeit schenken, wir wollen Effektivität und Qualität hochschätzen und die Tradition gegenseiti- gen Beistands, dessen Wurzel Liebe, Ehrfurcht und Treue sind, hochhalten, und wir wollen den Geist fairer und ernsthafter Zusammenarbeit fördern. In dem Bewußtsein, daß unser Volk sich durch schöpferische und kooperative Aktivitäten entwickelt und daß der Wohlstand der ganzen Nation die Quelle des individuellen Wohlergehens ist, wollen wir unser Bestes tun, unsere Pflichten zu erfüllen und die Verantwortung zu tragen, die sich aus unserer Freiheit und unseren Rechten ergibt, und wir wollen unsere Mitbürger in ihrer Bereitschaft ermutigen, dem Aufbau der Nation zu dienen'." An den bildungspolitischen Zielerklärungen hat sich bis heute nichts wesentliches verändert. Trotz zahlreicher Textänderungen im Erziehungsgesetz, blieben die Zielset- zungen unberührt. Sie sind ja auch relativ abstrakt formuliert. Die Curricula werden in Korea zentral entwickelt - und auch revidiert. So fanden bis 1981 fünfmal größere Änderungen statt mit der Tendenz zur verstärkten Förderung von Naturwissenschaft und Technik. Die Kritik von Adams aus dem Jahr 1960, das koreanische Erziehungssystem zeige ein konfuses Bild, das mitbestimmt werde durch rückwärts gerichtete Lehrpläne, kann heute nicht mehr wiederholt werden. Die Stellung des Verwaltungspersonals des Erziehungsministeriums ist bei der Er- arbeitung und Überarbeitung von Curricula bemerkenswert stark und der Einfluß der politischen Führungskräfte recht schwach. Das liegt im raschen Wechsel der Erzie- hungsminister begründet. Häufig beträgt die Verweildauer im Amt nicht mehr als ein bis zwei Jahre (Soh, H.-W. 1992, S. 154). Bei der letzten Reform wurde die Öffentlichkeit in gewissem Rahmen beteiligt. Der Präsident berief für zwei Jahre ein Gremium (Council for Education Reform), das die Rahmenvorgaben erarbeitete. Die Wirksamkeit der Vorgaben, so wird berichtet, hielt sich in Grenzen. Koreanische Curriculumexperten beschreiben eine seit Anbeginn der Republik bestehende Diskrepanz zwischen hehren Zielproklamationen (General Guideli- 191 nes) und recht rigiden Lehrplänen (Specific Guidelines). Ein Phänomen, das auch bei uns nicht ganz unbekannt ist: abstrakte Leitziele stehen konkreten Lehrplänen häufig unvermittelt gegenüber (Shin, S.-H.lHoh, K.-C. 1991, S. 176). Es scheint mir sinnvoll zu sein, durch die Wiedergabe der Stundenpläne der verschiedenen Schulstufen einen Einblick in den Stand des formalen Bildungssystems zu geben. Gewiß sind Stunden- pläne nur die Spitze des curricularen Eisbergs, aber es ist hier nicht möglich, die Lehrpläne der einzelnen Fächer zu durchleuchten. Der wöchentliche Lehrplan für die Grundschulen sieht wie folgt aus: Prima" School Curriculum Fächer I. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr 6. Jahr Morallehre 2 2 2 2 Koreanisch 11 11 7 6 6 6 Gemeinschaftskunde 3 3 4 4 Rechnen 4 4 5 5 6 6 Naturkunde 3 4 4 4 Sport 3 3 3 3 Musik 6 7 2 2 2 2 Kunst 2 2 2 2 Werken - - 2 2 2 extra curriculare Aktivitäten I I 2 2 2 2 Wochenstunden 24 25 28 30 32 32 Quelle: Nach MOE 1994, S. 53. Abb.24 Die Schulstunden in der Grundschule dauern 40 Minuten. Über das, was in der nicht festgelegten Stunde getan wird (extra curriculare Aktivität) entscheidet der Schulleiter. Seit 1981 ist für die beiden ersten Schuljahre das Gesamtunterrichtsprinzip eingeführt worden, das heißt, die acht Unterrichtsfächer werden in drei Fachgruppen zusammen- 192 gefaßt. Neben der Einführung in die Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen, wird in der Grundschule das Gemeinschaftsbewußtsein stark gefördert. Verglichen mit der deutschen Grundschule schätzt Song die koreanische Primary School als eher volks- tümlich ein (Song, M.-E. 1989, S. 64). Ein Problem - aber vielleicht ist es auch über- wiegend nur ein Problem aus westlicher Sicht - ist die Klassenstärke. Ein koreanischer Grundschullehrer mußte bis 1982 mit 60 oder mehr Schülern in einer Klasse fertigwer- den. Danach sank die Zahl auf 48. Eine Einzelförderung von Kindern ist bei dieser Gruppengröße natürlich nicht möglich. Das wissen Lehrer und Eltern auch. Für die Grundschule wird dieser Sachverhalt hingenommen. Für die höheren Schulstufen gilt das nicht. Da die Klassenstärken auch dort ähnlich hoch liegen, wird die individuelle Förderung durch außerschulische Maßnahmen vorangetrieben. Wie beschrieben, gehen seit Jahren alle Kinder von der Primary School in die dreijäh- rige Middle School über. Wie stürmisch die Entwicklung war, d. h. wie schnell sich der Zustrom zur Middle School verbreiterte und diese zu einer "normalen" Schule werden ließ, spürt man auch am Text des Erziehungsgesetzes. Im Artikel 101 werden dort die Teilziele für die Middle School erläutert. Das erste Teilziellautet (Song, M.-E. 1989, S. 66): "Durch die Erweiterung der Grundschulbildung soll die Mittelschule die Anlagen und den Charakter ihrer Schüler in der Weise entfalten, wie dies für Personen unentbehrlich ist, die später Führungspositionen einnehmen." Die Zeiten, in denen der Middle-School-Abschluß die Tür für Führungspositionen öffnete, sind längst vorbei. Es gab sie auch nur sehr kurz, der Trend zum Besuch der High School setzte früh ein. 193 Middle School Curriculum IFächer I 7. Jahr I 8. Jahr I 9. Jahr I Morallehre 2 2 2 Koreanisch 4 5 5 kor. Geschichte - 2 2 Gemeinschaftskunde 3 2-3 2-3 Mathematik 4 3-4 4-5 Naturwissenschaften 4 3-4 4-5 Sport 3 3 3 Musik 2 2 1-2 Kunst 2 2 1-2 klass. Chinesisch 1 1-2 1-2 Englisch 4 3-5 3-5 Polytechnik (1.) Hauswirtschaft (M.) 3 4-6 - Wahlpflichtfach - - 4-6 Wahlfach 0-2 0-2 0-2 extra curriculare Aktivitäten 2 2 2 Wochenstunden 34-36 34-36 34-36 Quelle: Nach MOE 1994, S. 55. Abb.25 Die Schulstunden in der Middle School dauern 45 Minuten, also 5 Minuten länger als in der Primary School. Auch in der Middle School sind die Klassenstärken unvergleichlich hoch. Die Hälfte aller Klassen besteht aus 50 bis 60 Schülern. Die zulässige Höchstzahl von 70 Schülern wird jedoch nur selten erreicht. Die Klassen der Jahrgangsstufe 7 werden auch nicht nach Unterschieden in den Vor- leistungen zusammengestellt. Folglich sind die Klassen sehr leistungsheterogen. Eine 194 begabungsfördernde Unterrichtsdifferenzierung kann bei so großen Schülergruppen nicht durchgeführt werden. Vielleicht soll das auch gar nicht getan werden. Es zeigt sich hier nämlich eine für den Außenstehenden nur schwer verständliche Eigentümlichkeit des koreanischen Bildungssystems. Denn die Koreaner haben an sich ein ausgeprägt positi- ves Verhältnis zum Elitären. Es ist ganz selbstverständlich, daß High Schools und insbesondere Universitäten in eine Rangfolge gebracht werden. Es ist der gesellschaftli- chen Reputation und der beruflichen Karriere sehr zweckdienlich, eine der Eliteuniver- sitäten zu besuchen - wenn man es denn schafft, in eine solche Hochschule hinein- zukommen. Und um diese begehrten Studienplätze entwickelt sich ein unbeschreiblicher Konkurrenzkampf. Dieser Konkurrenzkampf wird nur möglich und entsprechend angeheizt, weil es neben dem formalen Bildungssystem sozusagen noch ein Schattensy- stem von Nachhilfeschulen gibt. Dieses Schattensystem entlastet die Schulen von der anderswo üblichen Selektionsfunktion. Es geht also in der Middle School weniger um Leistungsdifferenzierung als vielmehr um soziale Integration. Die Erziehung zur Ge- meinschaft hat Vorrang vor differenzierendem wissenschaftsorientiertem Wissenserwerb. Auch McGinn sieht in dieser Eigenart einen der wesentlichen Unterschiede zu vielen anderen Schulsystemen auf dieser Welt (McGinn et al. 1980, S. 77): "What most distinguishes the contact and method 01 instruction in Korean schools from that 01 many other developing countries is that the curriculum tends to reinforce social integration rather than to weaken it, as all students are treated equally, and while within the school enjoy or suffer the same destiny. " Die Stundenpläne der Primary School und der Middle School weisen auffallend viele Stunden aus, die Erfolgserlebnisse und Motivationsverstärkung auch den Schülern ermöglichen, deren intellektuelle Fähigkeiten oder Möglichkeiten vielleicht nicht so stark ausgeprägt sind. Ich denke da an Fächer wie Morallehre, Gemeinschaftskunde, Sport, Musik, Kunst und die zwischen Werken und vorberuflicher, polytechnischer Bildung angesiedelten Lerngebiete. Diese Fächer decken fast die Hälfte aller Schul- stunden ab. 195 Mit der koreanischen Eigentümlichkeit, die Selektionsfunktion aus der Schule weitge- hend herauszuhalten, geht - recht konsequent - eine andere einher. Das "Sitzenbleiben" hat in diesem System keine echte Funktion und findet daher auch nicht statt. Es wird in jeder Schulstufe von Klasse zu Klasse nahezu automatisch versetzt. Die Wiederholer- quote beträgt in der Middle School sowie in der Primary School 0,01 % (Song, M.-E. 1989, S. 67). Zwar gibt es die Regel, daß Jugendliche mit weniger als 60 von 100 Punkten (gesamte Durchschnittspunktzahl) nicht versetzt werden sollen. Aber an diese Vorschrift halten sich die Schulen nicht. Jedoch teilen sie die Punktzahlen den Eltern mit, damit diese wissen, wo ihre Kinder stehen. Bei einem schlechten Rangplatz des Kindes setzt dann der Druck der Eltern ein (McGinn et al. 1980, S. 75): "Because all students are seen as capable 0/ passing, PQor performance in the classroom is viewed more as evidence 0/ inadequate application by the student than as an indication 0/ low ability, and is likely to result in in- creased pressure from the parents concemed to assure that their children reach the higher educational levels." In vielen Entwicklungsländern ist zu beobachten, daß die Kinder später als vorgesehen eingeschult werden, schon in den ersten Schuljahren an den vorgegebenen Standards scheitern, die Klassen wiederholen - oder als dropouts die Schulbildung beenden. Diese Schwächen zeigen sich im koreanischen Bildungssystem nicht. Die Einschulung wird sehr planmäßig vollzogen, die automatische Versetzung verhindert das Schicksal von Wiederholern. Die enge Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern und der hohe soziale Stellenwert von Bildung verhindern dropouts. Die Klassen sind aus diesen Gründen besonders altershomogen. Aus der kulturellen Tradition stammt eine sehr strikte, ja regide Geschlechtertrennung. Deswegen ist Koedukation wie wir sie kennen, also Mädchen und Junge.n werden in einem Klassenverband unterrichtet, nur ganz selten anzutreffen. Unter "Koedukation" versteht man in Korea, daß Jungenklassen und Mädchenklassen unter einem Schuldach unterrichtet werden. In diesem Sinne werden Primary Schools durchgängig koedukativ betrieben. In der Sekundarstufe gibt es sowohl gemischte als auch reine Jungen- oder Mädchenschulen. 196 56 % aller Middle Schools werden koedukativ geführt 21 % der Schulen sind reine Mädchenschulen 23 % der Schulen sind reine Jungenschulen Die Schulgrößen sind zwar nicht gleich, doch kann man sagen, daß etwa die Hälfte der Schüler und Schülerinnen koedukative und die andere Hälfte getrennt geschlechtliche Schulen besucht. Die Einführung in Haushaltsarbeit und in technische Arbeitsbereiche findet nach traditionellen Rollenvorstellungen statt. Den Jungen wird eine Art von polytechnischem Fach angeboten, für die Mädchen ist im Stundenplan Hauswirtschaft vorgesehen. In der neunten Klasse gibt es ein Wahlpflichtfach mit etwa fünf Wochen- stunden. Gewählt werden können vorberufliche Lehrgänge, die in folgenden Berufs- feldern angeboten werden: Landwirtschaft, Technik, Handel, Fischereiwesen und Haushaltsführung. Die Wahlfreiheit ist in der Praxis jedoch sehr eingeschränkt. In der Regel bietet eine Middle School nur ein Berufsfeld an, je nach Ausrüstung und vorhan- denem Lehrpersonal. Im Stundenplan der Middle Schools sind auch einige Stunden für klassisches Chinesisch vorgesehen. Hier wird ein nicht unerhebliches kulturelles Problem der Bildungsplanung sichtbar. Es ist weiter oben schon dargestellt worden, daß die Koreaner sehr früh die chinesischen Charakter auch als ihre Schriftsprache übernahmen. Im 15. Jh. wurde dann in Korea Hangul, eine einfach zu erlernende Buchstabenschrift entwickelt. Fortan gab es zwei Schriftsysteme. Die Gelehrten blieben beim klassischen Chinesisch. Sie wollten auf diese Weise den kulturell fruchtbaren Austausch mit den Gelehrten der benachbarten Kultur nicht abbrechen lassen. Hangul hielt sich aber über die Jahrhunderte als Form schriftlicher Darstellung leichterer Literatur und auch als Schrift des Briefverkehrs. In der Phase des nationalen Aufbruchs, seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, wurde Hangul verstärkt verbreitet, das Lernen der chinesischen Charakter hingegen vernachlässigt. Nach dem zweiten Weltkrieg, als die koreanischen Bildungspolitiker wieder frei entscheiden konnten, kam es zu heftigen Kontroversen, wie mit den Schrift- sprachen in den Schulen umzugehen sei. 197 Die Chinesen hatten zu Beginn des 20. Jh. damit begonnen, das klassische Chinesisch durch ein Alltagschinesisch abzulösen. Zudem nahmen die Chinesen eine umfassende Vereinfachung der Charakter vor. In der Schule werden nur noch Alltagschinesisch und die revidierten Zeichen gelernt. Der Erfolg ist, daß die jungen Chinesen keinen un- mittelbaren Zugang mehr zu ihren klassischen Texten haben. Die Texte müssen entwe- der in die modeme Schriftsprache übersetzt werden oder die interessierten Personen müssen die klassischen Charakter lernen. Korea befindet sich in einem ähnlichen Dilemma. Wird in den Schulen ausschließlich Hangul gelehrt, ist ein Studium älterer chinesischer und koreanischer Texte nicht mehr unmittelbar möglich. Läßt man die koreanischen Kinder daher auch die klassischen chinesischen Charakter lernen, trägt dies nur zu einer historisch-literarischen Bildung bei, denn die "modernen" Chinesen benutzen diese Schriftsprache nicht mehr. Heute steht in koreanischen Schulen ganz eindeutig und unbestritten Hangul als Schriftsprache im Vordergrund. Aber es wird doch als sinnvoll erachtet, in der Middle und High School etwa um die 1.500 klassischen chinesischen Schriftzeichen lernen zu lassen. Das ist sicher das Mindeste für eine so geschichtsbewußte Nation, wie es die Koreaner sind. Nordkorea hat sich radikaler entschieden: Dort wurden aus den Schulplänen und aus der Öffentlichkeit alle chinesischen Zeichen entfernt. Es wird ausschließlich in Hangul geschrieben. Wahrscheinlich ist diese Entscheidung weniger eine betont nationale, als vielmehr der Versuch der kommunistischen Parteiführer, die klassisch-konfuzianischen Texte aus dem Bereich der Lesbarkeit zu verbannen. Byong-Ik Koh, der ehemalige Präsident der Seoul National University, wehrte sich in diesem Zusammenhang in einem Beitrag zum Humboldt-Kolloquium 1993 in Seoul gegen die These von der Traditionsgebundenheit Ostasiens, die den Aufbruch in die Moderne verhindere (Koh, B.-I. 1994, S. 10 f.): "Es hieß immer wieder, Ostasien sei durch Fesseln der Tradition gebunden und hätte darin verharrt. Obersehen wird jedoch oft, daß in Wirklichkeit 198 keine andere Region der Welt in den letzten hundert Jahren einen so drama- tischen Wandel erlebt hat wie Ostasien. ... Der krasse Bruch Ostasiens mit seiner Tradition macht sich nirgends so bemerkbar wie darin, wie sehr die überlieferten alten Schriften für die junge Generation der Gegenwart fremd geworden sind. ... In keinem anderen Land vollzog sich allerdings der Wandel so rasch wie in Korea. Die koreanische Lautschrift Han-Gul wurde Mitte des 15. Jahrhun- derts erfunden. Man schrieb seitdem Romane und Balladen in dieser hervor- ragenden Schrift, konfuzianische und buddhistische religiöse Schriften wur- den ins Koreanische übersetzt, und Frauen schrieben einander Briefe in Han-Gul. Betrachtet man jedoch die ganze Geschichte Koreas, macht das alles nur einen winzigen Anteil des koreanischen Schriftguts aus. Das klassi- sche Chinesisch war immer die Schriftsprache. " Fast alle Jugendlichen setzen ihre Bildungsanstrengungen in einer High School fort. Grundsätzlich werden zwei Formen unterschieden: Die General High School gilt als die allgemeinbildende Version. Sie ist der sicherste Zubringer zum Universitätsstudium und auch deswegen sehr beliebt. Die andere Form stellen die Vocational High Schools dar. Sie sind in aller Regel die zweite Wahl von Eltern und Schülern. Eine Berufsorientie- rung gilt als weniger fein als die Orientierung an Allgemeinbildung. Auch sind die Chancen, die schwierigen Aufnahmeprüfungen an guten Universitäten zu bestehen, nach dem Besuch einer Vocational High School erheblich geringer als für Absolventen von General High Schools. Auf die Vocational High Schools gehe ich später etwas genauer ein, sie gehören in den Bereich beruflicher Bildung im formalen Bildungssystem. 199 General High School Curriculum humanwiss. Zweig naturwiss. Zweig Fächer 10. Jahr 11. Jahr 12. Jahr 11. Jahr 12. Jahr Morallehre 1 2 - 2 - Koreanisch 5 4 6 4 5 klass. Chinesisch - 2 2 2 - Mathematik 4 4 3 6 5 Social Science 4 4 10 4 2 Science 2 4 3 2 12 Sport 2 2 2 2 2 Militär. Übg. 2 - - - - Musik - 2 - 2 - Kunst 2 - - - - Polytechnik (J.) Hauswirtseh. (M.) 3 2 - 2 - Englisch 4 5 6 5 6 2. Fremdsprache 2 2 1 2 1 Wahlfach 2 - - - - extra curriculare Aktivitäten 2 2 2 2 2 Wochenstunden 35 35 35 35 35 Quelle: in Anlehnung an MOE 1994, S. 57. Abb.26 Wendet man sich den General High Schools zu, so zeigt sich, daß sie alle für die 10. Klasse ein einheitliches Curriculum haben. Danach teilen sich die Schulen in einen zweijährigen humanwissenschaftlichen und einen naturwissenschaftlichen Zweig. Bis in die 10. Klasse wird das Fach "Morallehre" fortgesetzt. In Korea herrscht seit vielen Jahren eine intensive und sehr emstgenommene Debatte über Werte und Verhaltens- weisen, die der Jugend nahegebracht werden sollen. Es wird darauf verwiesen, daß Europa diesbezüglich in einer günstigeren Situation sei. Hier wäre das Christentum seit Jahrhunderten die bestimmende moralische Kraft. Die christlichen Normen, gesell- schaftlich weitgehend unbestritten, gelten fort und würden im Schulfach "Religion" vermittelt. Das ist in Korea tatsächlich anders. Eine allgemein anerkannte Religion gibt es nicht. Der Neokonfuzianismus ist auch keine offizielle staatstragende Lehre mehr. 200 Seine heutige Wirksamkeit ist sozusagen unterschwellig. Die Koreaner fürchten sich vor einem "ethischen Vacuum". Immmer wiederkehrend wird das Thema auch von den Tageszeitungen aufgenommen. Der Tenor ist etwa der folgende: Das, was Korea in diesen Jahren erlebt, ist nicht einfach nur der Zusammenprall von einem traditionellen, östlichen Wertesystem und einem für modem erachteten westlichen Normenkodex. Vielmehr stellt sich die Situation als ein ethisches Chaos dar, indem stets die eine Norm eine oder mehrere andere ausschließt (fu, K.-H. 1992 b; N. N. 1990, S. 10). Sicher wäre es recht interessant, Theorie und Praxis des Faches "Morallehre" näher zu untersuchen. Dazu bin ich bisher nicht gekommen. Durchgängig durch die Sekundarstufe wird Englisch als erste Fremdsprache gelernt. Erst in den Klassen 11 und 12 wird eine zweite Sprache zur Pflicht. Zur Auswahl stehen (soweit die Schulen Wahlmöglichkeiten zulassen können): Deutsch, Französisch, Spanisch, Chinesisch (die modeme Form), Japanisch. Nach Japanisch wird Deutsch am häufigsten gewählt. Ungewohnt ist für unser Empfinden "Militärisches Training" als Unterrichtsfach in einer allgemeinbildenden Schule. An der Ausbildung nehmen Jungen wie Mädchen teil. Mädchen werden allerdings nicht für den Einsatz an Waffen vorbereitet, sondern für den Sanitätsdienst. Der harte Bruderkrieg, der von 1950 bis 1953 im Land ausgetragen wurde und die südkoreanische Bevölkerung völlig unvorbereitet traf, hat seine Spuren fest im Bewußtsein der Südkoreaner verewigt. Für den Verteidigungsfall vorbereitet zu sein, gilt gesellschaftlich weithin als wichtig und als ständig zu betreibende Aufgabe. Unter "Sodal Science" werden Lemgebiete wie Weltgeschichte, Geographie, Ökonomie und Gesellschaftskunde verstanden. Diese Gebiete werden nicht durch die drei Jahre parallel angeboten, sondern geblockt gelehrt. Ähnlich verhält es sich mit "Science". Hier sind Physik, Chemie, Biologie und Geologie zusammengefaßt. Teilweise obligatorisch, teilweise wählbar werden auch diese Disziplinen nicht durchgängig unterrichtet. 201 Wie schon erwähnt, ist der Begriff "Elite" für Koreaner kein Tabu. Die koreanische Bildungspolitik antizipiert einen steigenden Bedarf an höchstqualifizierten Naturwissen- schaftlern und Ingenieuren, um in die Weltspitze der Industrienationen aufsteigen zu können. 1983 begann man mit einer Versuchsschule, die als Science High School inzwischen fest im Bildungssystem verankert ist. Inzwischen gibt es 13 über das ganze Land verteilte Schulen dieser Art. Der Gedanke ist, Spitzenbegabungen auf wissen- schaftlich-technischem Gebiet sehr früh zu fördern und rascher durch das Bildungs- system zu schleusen, als das für normal begabte Schüler und Studenten möglich ist. Die Zulassung zur Aufnahmeprüfung in die Science High School setzt voraus, daß die Kandidaten zu den 3 % besten Schülern gehören. Die Aufnahmeprüfung besteht aus einem schriftlichen Teil, einer körperlichen Fitness-Prüfung, einer Eignungsuntersu- chung und einem Interview. Rund 2.500 auf diese Weise handverlesene Schüler befin- den sich zur Zeit im Unterricht. Die Klassenstärke ist auf maximal 30 begrenzt. Das Curriculum betont verständlicherweise die Naturwissenschaften und Mathematik sowie experimentelle Laborarbeiten. Bereits nach zwei Jahren werden die Schüler bei ent- sprechender Leistung zum Universitätsstudium zugelassen. An drei Universitäten, der Seoul National University, der Korea Science and Technolo- gy University und an dem privaten Pohang Institute of Technology sind spezielle Studiengänge eingerichtet worden, die diese Studenten aufnehmen und in verkürzter Studienzeit zum Abschluß führen. Die Studenten werden materiell gut gestellt, um sich ganz auf das Studium konzentrieren zu können. Der Vorteil dieser Maßnahme liegt auf der Hand: Hochbegabte und hoch speziell qualifizierte Fachkräfte stehen der Forschung und dem Arbeitsmarkt um Jahre früher zur Verfügung, als wären sie den üblichen Bildungsweg gegangen. 202 5.3 Bildungsplanung. Zugangsprüfungen, Finanzierung, Entwicklungsbeitrag Das Prüfungssystem der deutschen Schulen basiert auf dem Prinzip der Abschluß- prüfungen. Aufnahmeprüfungen gibt es oder gab es zwar auch, wie z. B. die Aufnahme- prüfungen für die Oberschulen in der frühen Nachkriegszeit oder in diesen Jahren für das Medizinstudium, aber sie sind für unser System nicht typisch. Anders ist es in Korea. Hier versucht die Bildungsverwaltung bisher über das Instru- ment von Eingangsprüfungen und über Studienzahlbegrenzungen die Bildungsströme zu kanalisieren. Im allgemeinen stehen diese Bemühungen im deutlichen Widerspruch zu den Wünschen der Eltern. Das Bildungsministerium wird von dem Gedanken geleitet, nur soviel Bildungsplätze vorzuhalten, wie es für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes notwendig erscheint. Damit sollen - aus dieser Sicht - Fehlinvestitionen ver- mieden werden. Das Budget für das Schulwesen soll möglichst klein gehalten werden. Aufnahmeprüfungen für die Primary School hat es natürlich nie gegeben - sie sind Pflichtschulen. Aber bereits für die Middle School waren Eingangstests vorgesehen. Dann auch für die High Schools und schließlich für die Hochschulen. Der Zugang zum tertiären Bildungsbereich war also nur durch die Überwindung von drei Hürden zu schaffen. Wie gezeigt wurde, stieg die Einschulungsrate in die Primary School sprunghaft an. Es konnte nicht ausbleiben, daß in der Folge sich der Zulauf zu den Middle Schools verstärkte. Da dort die Schulplätze quantitativ nicht ausreichten, kam es zu ausgespro- chenen Mißständen. Die Grundschullehrer orientierten sich zunehmend an den Auf- nahmeprüfungen der Middle Schools. Die in Korea sogenannte "Testokratie" (Herrschaft des Tests) begann damit schon in der Grundschule. Die Eltern reagierten mit Nachhilfe- stunden, um für ihre Kinder die Zugangschancen zur Middle School zu verbessern. Half das nicht, bestand das Kind die Aufnahmeprüfung der gewünschten Schule nicht, wurde ein Wiederholungsjahr in der Form von Privatunterricht zwischengeschaltet. Wenn die Eltern das bezahlen konnten. Der starke Elternwunsch führte schließlich zu Gesundheits- störungen bei den Kindern. Die Regierung handelte und schaffte 1969 die Aufnahme- prüfungen zur Middle School ab (Song, M.-E. 1989, S. 34). 203 Nicht nur die Frage, wieviel Bildung die Gesellschaft braucht, ist zwischen der Bil- dungsverwaltung und den Eltern strittig. Der Staat hat sich auch durchgängig bemüht, das "ranking" von Schulen und Hochschulen zu unterbinden. Die koreanische Gesell- schaft liebt es aber bis zum heutigen Tag, Schulen in eine qualitativ hierarchische Ordnung zu bringen. Solange die Middle Schools Aufnahmeprüfungen abhielten, konnten sie über den Schwierigkeitsgrad auch eine erste soziale Auslese betreiben. Das ging nach 1969 nicht mehr. Die Schüler werden über ein Losverfahren den Middle Schools in ihrer Wohn- gegend zugewiesen. Das bedeutete zugleich, daß das Schulgeld von privaten und staatlichen Schulen angeglichen werden mußte. Von Jahr zu Jahr nahm der prozentuale Anteil eines Jahrgangs, der auf die Middle School ging, zu, bis praktisch alle Jugend- lichen diese Schulstufe durchliefen. Nach der Primary School gab es eigentlich auch keine Alternative zum fortgesetzten Schulbesuch, wenn man bedenkt, daß die Kinder tatsächlich mit sechs Jahren eingeschult werden. Nun wiederholten sich die Probleme beim Übergang zur High School. Die High Schools waren bis 1973/74 frei, ihre Aufnahmetests zu gestalten. Ebenso frei waren die Schüler, sie konnten sich bewerben wo sie wollten. Danach zog die Schulverwaltung die Testge- staltung an sich. Zum Abschluß der Middle School veranstaltet der Staat ebenfalls Tests. Aber nicht, wie zu vermuten wäre, landeseinheitlich, sondern unterschiedlich in 21 Großstädten und in ländlichen Regionen. Wer den Test nicht besteht, kann ihn nach einem Jahr privater Nachhilfe wiederholen. Von einem besonderen Schwierigkeitsgrad der Abschlußtests wird jedoch nichts berichtet. Die Bildungsverwaltung versucht seit vielen Jahren, den Strom der Middle-School- Absolventen in die Richtung der Vocational High Schools umzuleiten. Mit mäßigem Erfolg. Eltern und Jugendliche bevorzugen immer noch die General High School wegen der höheren Reputation der Allgemeinbildung und der besseren Aussichten für einen akademischen Studienplatz. Ein Hilfsmittel, die Vocational High Schools zu fördern, sehen die Behörden in folgendem Vorgehen: Wer den Test nach der Middle School 204 bestanden hat, kann sich bei den Vocational Schools bewerben. Wer sich dort nicht bewirbt oder abgelehnt wird, wird im Losverfahren einer High School in seiner Wohn- gegend zugewiesen. Die High Schools nehmen aber auch nicht alle Jugendlichen auf. Wer keine guten Noten im Test erhalten hat, hat dann nur noch die Chance, an den zeitlich versetzt stattfindenden Prüfungen der entfernteren, provinziellen High Schools teilzunehmen. Trotz aller staatlichen Maßnahmen findet nach wie vor eine gewisse Hierarchisierung der High Schools statt. Eltern und Lehrer sind damit einverstanden. Es schränkt die Leistungsheterogenität der Klassen etwas ein. Da inzwischen nahezu 100 % eines Jahrgangs die High Schools durchläuft, kommt es zu einem scharfen Auslesekampf um die limitierten Hochschulplätze. Um sich für die Prüfungen zu rüsten, wird von den Schülern spätestens im letzten, 12. Schuljahr, ein privates Nachhilfeinstitut besucht. Die Nachhilfestunden dauern bis in den späten Abend hinein. Nur wenig übertrieben ist die Aussage junger Koreaner, die behaupten, wer in der 12. Klasse mehr als vier Stunden täglich schliefe, verschlafe seine Karriere. Die unglaublichen Lernanstrengungen, die den Jugendlichen abverlangt werden, führen zu der - auch aus Japan bekannten - "Prüfungshölle". Auch hier hat die Bildungsverwaltung versucht, mildernd einzugreifen. Die Hochschulen sind nach wie vor frei, ihre Eingangsprüfungen zu gestalten, vor allem den Termin ihrer Aufnahmetests festzulegen. Je höher sich eine Universität einschätzt oder eingeschätzt wird, desto früher legt sie den Termin. Bei der Prüfung müssen zu 40 % das Abschluß- zeugnis der High School und zu 20 % die staatlichen Prüfungsergebnisse, einer Art High-School-Abschlußprüfung, angerechnet werden. Wer die Aufnahme an seiner gewünschten Universität nicht schafft, hat folgende Möglichkeiten: Er nimmt an den später liegenden Tests weniger renommierter Hochschulen teil oder er bewirbt sich um eine Arbeitsstelle oder stößt zu der Gruppe der "repeaters": ein Jahr Nachhilfeschule und dann ein erneuter Versuch bei den Aufnahmeprüfungen. Die repeaters füllen Jahr für Jahr ganze private Schulen. Die Ausweitung der Hochschulen, die die Situation erleichtern könnte, wurde bisher von der Regierung verhindert. Es herrschte eine strikte 205 Aufnahmebegrenzung in allen Fächern und an allen Hochschulen, auch an den Privaten. Verstärkt wird das Problem der repeaters durch die sich verbessernde ökonomische Situation der Eltern. Die außerschulische Bildung wird immer exzessiver (Hyung, J.-Y. 1988, S. 427; Sorensen 1994, S. 30; McGinn et al. 1980, S. 76). Nach Angaben des Korean Education Development Institute (KEDI) überschritten 1990 die privaten Ausgaben für Nachhilfeunterricht die Kosten des öffentlichen Bildungswesens (Choi, S.- I. 1992, S. 10). Der soziale Bedarf an Bildung ist in Korea unvergleichlich hoch. Die Nachfrage nach Bildungsplätzen überstieg rasch das staatliche Angebot. Die Bildungspolitik reagierte sehr zögerlich und vorsichtig auf die kräftige und ungeduldige Nachfrage der Bevölke- rung auf mehr Schulen und Lehrer. Es wird verschiedene Gründe für das Verhalten der Regierung geben. Ganz deutlich und für Bildungsveranstaltungen typisch ist die Orien- tierung am manpower approach. Der Ausbau des Bildungswesens folgt dem tatsächli- chen oder vermuteten Bedarf der Wirtschaft an unterschiedlich qualifizierten Arbeits- kräften. Verständlicherweise kann ein Erziehungsminister seinen Bedarf an Haushalts- mitteln in Konkurrenz zu den anderen Ressorts am besten damit begründen, daß die Weiterentwicklung des Schulwesens wichtig sei für die weitere wirtschaftliche Entwick- lung des Landes. Dieser bürokratisch-ökonomischen Argumentation steht in Korea eine von wirtschaftlichen Überlegungen nur teilweise mitbestimmte Hochschätzung der Gesellschaft von formaler, allgemeiner Bildung entgegen. Ein anderer Grund für das verhaltene Engagement des Staates könnte in der Tradition liegen. So war die Auf- merksamkeit für den Bildungsbereich im König- und Kaiserreich Korea sehr begrenzt. Bildung wurde mehr durch private, religiöse und gesellschaftliche Kräfte gefördert, als durch staatliche Maßnahmen. Mir stellt sich die Situation in Korea so dar: Der Staat sorgt für die - aus ökonomischer Sicht - notwendigen Bildungsplätze. Wenn darüber hinaus ein sozialer Bedarf an Bildung besteht, muß die Gesellschaft diesen durch Gründung von Privatschulen selbst decken und die Eltern müssen zur Übernahme erheblicher Kosten bereit sein. Wie weiter oben berichtet, sind Privatschulen in Korea seit langem üblich und als Konkurrenz oder Ergänzung zum staatlichen Schulwesen nicht wegzudenken. Die beachtlich große Anzahl nichtstaatlicher Bildungseinrichtungen 206 wird in der Literatur als Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der staatlichen Bildungs- politik gedeutet (z. B. McGinn et al. 1980, S. 8). Danach sind die Privatschulen Ersatz für fehlende öffentliche Schulen und nicht unbedingt Einrichtungen elitärer Art. Privatschulen (in %) I I 1965 I 1970 I 1975 I 1980 I 1985 I 1994 I Kindergarten 95,5 49,9 Primary School 0,5 1,1 1,2 1,2 1,2 1,2 Middle School 44,4 48,6 40,6 35,6 35,8 24,0 General High School 57,5 60,0 60,4 53,2 55,0 Vocational High School 38,8 48,1 52,4 48,2 60,3 43,1 Junior College 41,8 50,0 68,0 71,8 93,3 University 72,6 75,4 72,8 76,5 80,1 Quellen: McGinn et al. 1980, S. 8; A Handbook 1978, S. 677; Song, M.-E. 1989, S. 36; NBEE 1994. Abb. 27 Im Primar-School-Bereich gibt es heute praktisch keine privaten Schulen mehr, hier deckt der Staat den Bedarf ganz ab - es handelt sich ja auch um die Pflichtschulzeit. Bei der Middle School zeigt sich das Bestreben des Staates, auf die Dauer die Schul- pflicht auf diese Phase auszudehnen. Immerhin waren vor rund 30 Jahren noch fast die Hälfte der mittleren Schulen in privater Hand. Heute ist es ein knappes Viertel. Betrach- tet man die High School, so sieht das Bild anders aus. In den letzten 30 Jahren hat sich bildungspolitisch wenig geändert. Mehr als die Häftte der General High Schools wird in privater Trägerschaft geführt. Die staatliche Förderung der Vocational High Schools zeigt sich in dem prozentual abnehmenden Anteil privater Schulen während der Jahre von 1985 bis 1994. Richtig sichtbar wird dies aber erst dann, wenn man die absoluten Zahlen hinzunimmt: 1980 gab es 605 Vocational High Schools (davon 292 private) 1994 gibt es 738 Vocational High Schools (davon 318 private) 207 Bei den Junior Colleges hat sich der Anteil der privaten Trägerschaft von der Hälfte um 1970 bis zum Jahr 1994 fast verdoppelt. Mit anderen Worten: Heute gibt es praktisch nur noch private Junior Colleges in Korea. Überhaupt spielen die nationalen oder öffentlichen Schulen im tertiären Bildungsbereich eine untergeordnete Rolle. Jedenfalls gilt das quantitativ. Drei Viertel der Hochschulen gehören Stiftungen oder Konzernen. Alle Privatschulen unterstehen der Aufsicht des Erziehungsministeriums. Die Ein- stellung von Lehrern bedarf der Zustimmung der örtlichen Schulverwaltung. Die Curricula und die Textbücher sind identisch mit denen, die in staatlichen Schulen im Gebrauch sind. Die Schulgebühren für Middle Schools und High Schools werden vom Staat festgesetzt. Das Schulgeld liegt nicht wesentlich über dem, das für staatliche Schulen gezahlt werden muß. Durch diese staatliche Reglementierung sind viele private Sekundarschulen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Regierung subventioniert nun einen Teil der Personalkosten, für die Schulausstattung und Verbrauchsmittel gibt es keinen Zuschuß. Die Privatschulen helfen sich mit noch größeren Klassenstärken und mit bescheidenerer Ausstattung. Die privaten Schulen im Sekundarbereich sind also keine Eliteschulen für Besserverdienende, sondern erfüllen die Funktion von "... second- best overflow institutions für those students unable to be accommodated in the public schools" (Sorensen 1994, S. 18). Im tertiären Bereich ist das etwas anders. Der Besuch privater Colleges oder Univer- sitäten ist erheblich teurer als das Studium an einer nationalen oder staatlichen Univer- sität. "Teurer" bedeutet nicht unbedingt auch "Besser". Die besten drei Universitäten des Landes, nach der Reihung ihrer Anfangsbuchstaben im Volksmund "SKY-Universitäten" genannt, werden von der staatlichen Seoul National University angeführt. Es folgen die privaten Universitäten Koryo und YonseL Es ist auch bei den im Ran-g folgenden Universitäten und Colleges nicht anders: staatliche und private Hochschulen konkurrie- ren um einen guten Ruf und gesellschaftliche Anerkennung. In Korea finanziert der Staat nur einen Teil der Schulkosten. Extrem wenig war es kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Zwar war gesetzlich die schulgeldfreie Primary School als 208 Pflichtschule festgeschrieben, aber die Regierung sah sich außerstande, die notwendigen Finanzmittel aufzubringen. 1949 deckte der nationale öffentliche Haushalt nur 15 %, weitere 10 % trugen die regionalen Verwaltungen. Die fehlenden 75 % mußten die Eltern aufbringen. Es wurden an den Schulen Eltern-Lehrer-Vereine gegründet, die die Aufgabe hatten, die "freiwilligen Beiträge" der Eltern zu kassieren. Es soll vorgekom- men sein, daß Kinder am Besuch der Pflichtschule gehindert wurden, wenn die Eltern die Beiträge nicht bezahlen konnten. Nun, diese Zeiten sind vorbei. Trotzdem ist der Finanzierungsbeitrag der Eltern immer noch erstaunlich hoch. 1966 waren es, auf das ganze Bildungssystem bezogen, 71 %, zehn Jahre später noch rund 66 %. Dabei blieb es in den 80er Jahren. In den 90er Jahren liegt die Finanzierung durch die Eltern etwa bei der Hälfte der jährlichen Schulkosten. Die koreanischen Eltern werden erheblich mehr zur Kasse gebeten, als etwa die Eltern im benachbarten Japan. Aus dem Jahr 1982 liegt folgender Vergleich vor: Beiträge der Eltern zu den Schulkosten in % 1982 I I Korea I Japan I Primary School 39 1 Middle School and 85 20 High School University 75 29 Quelle: Sorensen 1994, S. 22. Abb.28 Die koreanische Regierung verwendete in den Jahren von 1960 bis 1980 nicht mehr als 3,2 % bis 3,4 % des Bruttosozialprodukts für Bildungsausgaben. Die Koreaner haben es nämlich verstanden, die staatlichen Ausgaben für das Bildungssystem niedrig zu halten. McGinn spricht von "Low unit cost of education" (McGinn et al. 1980, S. 71 f.) Sie nutzten dazu zwei Strategien. Erstens werden (oder wurden) die an sich gut ausgebilde- 209 ten Lehrer vergleichsweise schlecht bezahlt. Die Lehrer kompensierten das durch hohes soziales Ansehen und die Annahme zusätzlicher barer Zuwendungen durch die Eltern oder auch durch außerschulischen Privatunterricht für ihre Schüler. Zweitens werden die Klassenstärken etwa auf dem Doppelten gehalten, verglichen mit ähnlich entwickelten Staaten. Auch in den 90er Jahren rangiert Korea bezüglich der staatlichen Bildungsaus- gaben am unteren Ende. Für das Bildungssystem standen vom Bruttosozialprodukt 1990 zur Verfügung: Taiwan 3,6 % Korea 4,5 % Ungarn 5,7 % Frankreich 6,1 % USA 7,5 % Diese Zahlen geben ein schiefes Bild. Rechnet man nämlich den Elternbeitrag durch die Schulgelder hinzu, dann kommt Korea auf stolze 15 %. Noch nicht mit eingerechnet sind die schon beschriebenen ansehnlichen Kosten für die Nachhilfestunden und die Schulen für die repeaters. Dieses Elternverhalten ist gemessen an anderen Ländern, die sich entwickeln, völlig untypisch. Es wurde ja schon mehrfach darauf hingedeutet, daß hier kulturelle Traditionen eine wichtige Rolle spielen: Die Reputation der Familie wächst mit der Höhe des Bildungsabschlusses der Kinder (vor allem mit dem des ältesten Sohnes). Für die Eltern ist die gute gesellschaftlich-berufliche Karriere die beste (oder einzige) Lebensversicherung, da die Kinder für die Eltern im Alter seit jeher finanziell aufkommen müssen. Der formale Bildungsabschluß entscheidet über den sozialen Status der Lernenden. Die Höhe des Bildungsabschlusses entscheidet erheblich mit über das Lebensein- kommen der Lernenden. Insofern besteht zwischen den Generationen Einigkeit über die Notwendigkeit langer, intensiver Lernanstrengungen. Die Eltern beschränken sich im Notfall auf das Äußerste, um die Schulkosten zu tragen. Es werden Kredite zur Finanzierung der Bildungskarriere 210 der Kinder aufgenommen und Bauern finden sich bereit, Land zu verkaufen, um ihre Kinder (Söhne) in der Stadt zur Schule zu schicken: Der Besuch der Stadtschulen verbessert die Chancen bei den Aufnahmeprüfungen. Nur eins beunruhigt die Bevölkerung nachhaltig, wenn nämlich nicht genügend Schul- oder Studienplätze zur Verfügung stehen. Das ist ein wahres gesellschaftlich-politisches Thema. Kein Thema ist, daß für mehr Bildung auch mehr bezahlt werden muß. Die unterschiedliche Zahlkraft der Eltern und die damit verbundenen schichtspezifischen Chancenungleichheiten werden fast schicksalhaft hingenommen. Doch regen sich seit den 80er Jahren auch zaghafte Forderungen nach Verbesserung der Chancengleichheit. Überblickt man die südkoreanische Geschichte, so kann man folgendes feststellen: Die Regierung und die zentrale Bildungsverwaltung haben natürlich Einfluß auf das Erzie- hungssystem genommen und haben steuernd eingegriffen. Dies aber häufig restriktiv, im Ausbau zögerlich und in der Finanzierung zurückhaltend. Ein erheblicher Teil der Entwicklungsgeschwindigkeit, des Wachstums im Bildungsbereich, sind gewiß nicht das Ergebnis formaler Politik, sondern beruhen auf Privatinitiative und Eigenfinanzierung durch die betroffenen Familien. Das Bildungssystem Koreas ist also keineswegs nur in Korrespondenz mit dem Arbeits- kräftebedarf entwickelt worden. Es trägt in besonderem Maße den Stempel der Eltern- und Schülerwünsche nach verbessertem Sozialstatus. Dieses Streben ist allerdings nicht als ein einzelpersönlich-individuelles zu verstehen. Vielmehr steht das Individuum stets im Zusammenhang mit der Familie, Altersgruppe und der Nation. Die Bildungsanstren- gungen haben also auch immer einen kollektiven Aspekt. Mir scheinen sich zwei Strömungen gegenseitig zu verstärken. Der kollektive Wille, sich als unabhängige Nation zu behaupten und die kollektive Modernisierung durch Bildung. Insofern spielt die stark nationalistisch eingefärbte Bildung eine wesentliche Rolle bei der Modernisie- rung und Industrialisierung der koreanischen Nation. 211 Man gerät auf ein weites, ungesichertes Feld, wenn es um die Beschreibung des Ver- hältnisses von Bildungssystem und von wirtschaftlicher Entwicklung geht. Tatsache ist, daß sich in Korea sowohl das Bildungswesen als auch die Ökonomie auffallend rasch entwickelten. Fraglich ist aber zum Beispiel, ob die Bildungsqualität den ökonomischen Entwicklungsprozeß positiv beeinflußt hat und wenn ja, ob sich dieser Beitrag quantifi- zieren läßt. Denkbar ist im Falle Koreas auch, daß sich beide Systeme unabhängig voneinander entwickelten und zwar bedingt durch die riesige finanzielle Hilfe der Geberländer für beide Sektoren. Die Entwicklung Koreas kann nicht unabhängig von der damaligen politischen Weltlage gesehen werden, die eine besondere Förderung Südkoreas nahelegte. Es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit, die Beziehung zwischen Wirtschaft und Bildung zu beschreiben. Danach macht eine erstarkende Wirtschaft massenhafte Bildung in guter Qualität erst möglich. Die leitende Vorstellung ist in diesem Fall die, daß jede Mark, die in die Bildung investiert werden soll, vorher erwirtschaftet werden muß. Zur Stärkung dieser Position wird dann gerne angeführt, daß die Industrialisierung Deutsch- lands nicht durch Techniker und Ingenieure, sondern durch Handwerker, verarmte Bauern, häufig gänzlich Ungelernte, bewerkstelligt wurde (Hanf u. a. 1977, S. 12): "Europas Industrielle Revolution wurde mit einer weitgehend analphabeti- schen Bevölkerung realisiert,' Bildung für alle war eine Folge, nicht eine Vorbedingung wirtschaftlicher Entwicklung und der durch sie ausgelösten demokratischen Bewegung". Bei der Analyse der koreanischen Verhältnisse ist es weit verbreitet, sich auf das "Human-resources-Konzept" zu beziehen. Dabei geht man davon aus, daß qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und sozusagen abrufbereit auf ihren Einsatz warten oder aber, daß die ausgebildeten Fachkräfte direkt wirtschaftlich positiv handelnd tätig werden, wie zum Beispiel durch: - Verbesserung der Qualität der Arbeit - Höhere Produktivität - Förderung des weiteren technischen Fortschritts - Verbesserung von Unternehmereigenschaften und Managementtechniken. 212 Bildung und Ausbildung des Facharbeiters werden in diesem Konzept als "Humankapi- tal" betrachtet, also als Investition analog zu Investitionen in Bauten und Ausrüstungen. In einem Beitrag zur Untersuchung des wirtschaftlichen Erfolgs von Japan und Südko- rea setzt Pohl zwar ein Fragezeichen hinter die Überschrift "Das koreanische Erzie- hungssystem - Grundlage wirtschaftlicher Entwicklungsdynamik?", fährt im Text dann aber wie folgt fort (Pohl 1993, S. 86): "Kein Zweifel kann daran bestehen, daß das koreanische Bildungssystem eine Grundvoraussetzung des schnellen Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg und den Verwüstungen des Koreakrieges war." Auch die UNESCO ging in einem Bericht über die Entwicklung Südkoreas davon aus, daß die auffallend rasche wirtschaftliche Entwicklung wesentlich durch das Vorhanden- sein qualifizierter Arbeitskräfte bedingt war (UNESCO 1974; zitiert nach McGinn et al. 1980, S. 100): "The remarkable and rapid economic growth that haS occurred in Korea over the last decade has been based to a large degree on human resources, and education has assisted in lhe production of a literate and industrious people." Die gründlichste Untersuchung der Frage, welchen Beitrag Erziehung zum wirtschaftli- chen Wachstum in Korea hatte, ist - soweit ich es übersehen kann - von N. McGinn, D. Snodgrass, Y. B. Kim, S.-B. Kim und Q.-Y. Kim vorgenommen worden. Sie orientierten sich dabei an dem von Denison erarbeiteten Verfahren. Das Ergebnis wird vorsichtig formuliert (McGinn et al. 1980, S. 126): "Concluding this section, however, we can state that the estimates based on the human-capital perspective that can be made with the available data suggest that education made a relatively small productive contribution to the growth of Korean GNP, especially after 1966. The smallness 0/ the measu- red contribution is probably attributable in part to limitation in the methodo- logy employed." 213 Über den Beitrag von Bildung und Ausbildung zum wirtschaftlichen Wachstum wird weltweit viel spekuliert. An gesichertem Wissen gibt es zu diesem Thema so gut wie garnichts. Bevor sich die Aufmerksamkeit Korea zuwandte, war die Frage schon für Japan gestellt worden. Vielfach wurde behauptet, daß das Bildungssystem erheblich an dem verblüffenden ökonomischen Erfolg beteiligt sei. Teichler fand in der entsprechen- den Literatur fünf Hypothesen über den positiven Zusammenhang von Bildung und Wirtschaftswachstum (Teichler 1989, S. 264). Es wurden genannt: - die bedarfsgerechte Bildungsplanung - die Ausweitung der Allgemeinbildung - die wirkungsvolle betriebliche Aus- und Weiterbildung - die besondere Förderung der Elite - die für die Arbeitswelt positive sozialisierende Wirkung der schulischen Erziehung. Teichler fand zu jeder Hypothese gute Argumente und ebenso gute Gegenargumente. So bleibt es bei Vermutungen und Annahmen ohne schlüssige Beweise. Erstaunlich genaue Zahlen kann man hingegen in koreanischen Quellen finden. In dem Buch "Education's Role in National Development Plans" berichtet H.- W. Sah über Südkorea. Er stellt fest, daß zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung das koreanische Bildungssystem verschiedene Typen von Fachkräften hervorbringe, so daß der Erziehung für die Periode von 1984 bis 198622,61 % des Zuwachses des Bruttoso- zialprodukts zugerechnet werden könne (Sah, H.-W. 1992, S. 162 f.). Woher die präzise Zahl stammt, bleibt offen. Genau die gleiche Zahl taucht in einer offiziellen Schrift des Erziehungsministeriums wieder auf (MOL 1994, S. 22). Es ist gewiß nicht auszuschließen - im Gegenteil, es ist plausibel anzunehmen, - daß gut qualifizierte Arbeitskräfte die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen. Im Falle Koreas kann man aber für die Aufbauphase nicht behaupten, das Bildungswesen wäre in besonderer Harmonie mit den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts gewesen. Eine berufliche Bildung fand im Rahmen des Bildungssystems in den 50er und 60er Jahren kaum statt. Und die Allgemeinbildung war mehr an traditionellen Werten und am Antikommunis- mus orientiert als an Technik. Das änderte sich erst 1973 mit der dritten Revision des 214 Curriculum unter Präsident Park. Seitdem werden Naturwissenschaften und Technik mit sehr viel mehr Nachdruck gelehrt als früher. Auch finden die Vocational High Schools seitens der Bildungspolitik eine stärkere Beachtung. Bis sich solche Kursänderungen im Bildungssystem am Arbeitsmarkt bemerkbar machen, vergehen jedoch Jahre. Ich vermute, daß die Triebkräfte, die das Bildungssystem so rasch entwickeln ließen, nicht im Humankapital-Konzept zu suchen sind. Vielmehr gehe ich davon aus, daß sich das Bildungssystem ganz überwiegend aus einer eigenen Gesetzlichkeit heraus entwik- kelt hat. Die kulturellen Faktoren, wie die Hochschätzung formaler Bildung in Ostasien, müssen hier nicht noch einmal behandelt werden. Es ist ein anderes Phänomen, das im Autbau- prozeß von Bildungssystemen in sich entwickelnden Ländern zu beobachten ist. Hanf und seine Kollegen haben es 1977 beschrieben. Mit dem Besuch von Schulen sind in allen Kulturen Hoffnungen auf gute gesellschaftliche Positionen und ein gutes Einkom- men verbunden. Wenn sich noch kein Bildungssystem entwickeln konnte, dann reicht schon der erfolgreiche Abschluß der Grundschule, um einen lukrativen Platz in der Gesellschaft zu bekommen. Wenn nun nach und nach der Zustrom zur Grundschule anschwillt, wird der Grundschulabschluß mehr und mehr entwertet. Wer auf Führungs- positionen hofft, muß nun zusätzlich eine mittlere Schule besuchen. Sollten sich sehr viele Menschen zu demselben Schritt entschließen, wiederholt sich der Prozeß der Entwertung des Abschlusses, nun ist es der der mittleren Schule. So füllt sich dann die Oberschule, bis schließlich ein Studium Voraussetzung für die Einnahme einer guten Position notwendig wird. Dieser Prozeß hat nur wenig zu tun mit objektiv ansteigenden Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft, sondern sehr viel mehr mit den sich künstlich immer höher schraubenden Anforderungen im Kampf um Spitzenpositionen. Das Ende dieser Entwicklung ist (ökonomisch gesehen) ein Überschuß an Akademikern. So drastisch hat es sich nicht in allen afrikanischen und asiatischen Ländern zugetragen. Indien und die Philippinen gelten jedoch als Paradebeispiele für eine "Überproduktion" an Akademikern, die auf den einheimischen Arbeitsmärkten keine ihnen angemessen 215 erscheinenden Tätigkeiten mehr finden. Das für diese Menschen aufgebrachte Geld zur langen Ausbildung gilt dann als Fehlinvestition und durch die enttäuschten Hochschul- absolventen droht soziale Unruhe. Manche wandern aus, was dann zu dem sogenannten "brain-drain-Effekt" führt. In Korea kam es schon recht früh zu einer staatlich befürchteten Überproduktion von Fachkräften. Die oberste koreanische Planungsbehörde (Economic Planning Board) verglich 1964 im Auftrag des Präsidenten Park den Bedarf der Wirtschaft an Fach- kräften mit dem Bestand an qualifizierten Personen. Die Planungsbehörde verbreitete alarmierende zahlen. Der Bedarf habe zum damaligen Zeitpunkt 31.408 Facharbeiter und Techniker betragen. Zur Verfügung standen aber 56.842 ausgebildete Personen, zu denen jährlich weitere 13.395 hinzukamen. Weitere Untersuchungen zeigten, daß die Hochschulen 19 mal mehr Agraringenieure ausbildeten als tatsächlich notwendig wäre. Die Juristenausbildung lag mit dem Faktor 21 über dem Bedarf und ein Viertel der Pharmazeuten war arbeitslos. Nur an Lehrern fehlte es noch (McGinn et al. 1980, S. 96). Nun sind solche Bedarfsberechnungen mit Vorsicht zu betrachten. Denn wieviel z. B. Ärzte, Apotheker oder Lehrer eine Gesellschaft braucht, läßt sich nicht mathematisch klären, sondern wird durch Standespolitik, Gesellschaftspolitik und fallweise durch die Höhe der Mittel öffentlicher Haushalte entschieden. Trotzdem kann eine Überver- sorgung des Arbeitsmarktes mit höher qualifizierten Arbeitskräften zu sozialen Proble- men führen. Die Koreaner hatten in gewisser Weise Glück. Die schnelle ökonomische Entwicklung absorbierte immer wieder den größten Teil der ausgebildeten Fachkräfte. Aber sicher hat Adams recht, wenn er darauf hinweist, daß dieses Wechselspiel auf die Dauer nicht gelingen kann. Irgendwann kommt es bei stets weiter steigenden Studenten- zahlen zu einem - ökonomisch betrachteten - Überfluß (Adams 1980, S. 212). Ein Scenario besonderer Art skizzieren bereits heute koreanische Statistiker. Danach könnten demographische Entwicklungen und der weitere Ausbau des tertiären Bildungs- bereichs im Jahre 2003 dazu führen, daß alle koreanischen Jugendlichen nach Ab- 216 solvierung der High School ohne Ausleseverfahren eine Bildung oder Ausbildung im Hochschulbereich durchlaufen können. Es ist nicht ganz einfach abzuschätzen, welche langfristigen Folgen der ungewöhnlich hohe Bildungsstand für die koreanische Gesellschaft haben wird. Annähernd gleichmä- ßig hohe Bildung für sehr viele Menschen könnte soziale Unterschiede und Ungleich- heiten verringern helfen. Auch mag unter Umständen das Bildungsverhalten der Korea- ner dazu führen, daß sich die Einkommensunterschiede verringern. Durch die japanische Kolonialzeit und den Koreakrieg waren die Besitzverhältnisse und Einkommen sehr eingeebnet worden. Der wirtschaftliche Aufschwung hat dann den gewonnenen Reich- tum gewiß nicht gleichmäßig verteilt. Aber es ist denkbar, daß bei großem Angebot an Hochqualifizierten die Gehaltsunterschiede zu den weniger hoch ausgebildeten Arbeits- kräften sinken. Der gesellschaftliche Entwicklungsweg könnte ähnlich verlaufen wie in Japan. Blume zitiert in einem Artikel den Chefideologen des japanischen Finanzministe- riums Sakakibaras mit den Worten (Blume 1995, S. 35): "Die Desillusionierung über den Sozialismus bedeutet nicht den Triumph des Kapitalismus. Zwar behaupte ich nicht, daß Japan einen eigenen Typ von Marktsozialismus erreicht hat, aber wahr ist, daß eine extrem egalitäre Einkommensverteilung verwirklicht worden ist und daß gleichzeitig Wett- bewerb auf der Basis eines effizienten Marktes existiert. " Nun bin ich nicht sicher, ob es in Japan (und Korea) tatsächlich eine "extrem egalitäre Einkommensverteilung" gibt. Dege und Weggel stellen aber immerhin übereinstimmend fest, daß die These von Kuznets, nach der sich bei raschem Wirtschaftswachstum krasse Gefällestufen bei der Einkommensverteilung zeigen, für Japan und Korea nicht zutrifft (Dege 1986, S. 528; Wegge11991, S. 49). Mehrfach wird in der Literatur auf eine Art "Massengesellschaft" oder "klassenloser Gesellschaft" in Japan hingewiesen. Z. B. berichtet Angela Terzani in ihrem Buch über die Begegnung mit dem Literaten D. Richie, der seit dem Kriegsende in Tokyo lebt. In 217 einem Gespräch ging es nun um die Frage, ob es in Japan eine elegante Welt, eine high society gäbe (Terzani 1994, S. 330 f.): "»Es gibt in Japan keine Society«, sagt Donald. »Es gibt hier Prinzessin Takamatsu, die aufgeweckte Nichte des Kaisers, die in Oxford studiert hat und sich unter Ausländern zu bewegen weiß, und zwei, drei andere etwas mondänere kaiserliche Verwandte. Ich weiß nicht, ob man Sonys Vorsitzen- den Morita zur High-Society zählen kann ... Eine elegante Welt gibt es hier nicht.« Es fehlen dazu die eleganten Häuser, ohne die es kein elegantes Leben gibt, es fehlen die exklusiven Ferienorte wie St. Moritz und Monte Cario, die exklusiven Treffs. Es fehlen auch die Skandale, der Klatsch, die Farbe, für die in unserer chaotischen westlichen Gesellschaft Millionäre, Filmstars und Aristokraten sorgen, während Japan, wie Otomo sagt, zur »Massengesell- schaft« geworden ist." Auch der einflußreiche japanische Politiker Ishihara betont die geringen Klassenunter- schiede in seinem Land (Ishihara 1994, S. 125): "Ohnehin haben nur wenige Länder eine so egalitäre Klassenstruktur wie Japan. Lech Walesa ... besuchte Japan und besichtigte mehrere Fabriken. Nachdem er das mühelose Zusammenspiel zwischen Arbeitern, Vorarbeitern und Managern zur Kenntnis genommen hatte, bemerkte er, Japan sei das ideale sozialistische Land." Ich breche die Überlegungen hier ab. Die koreanischen Verhältnisse müssen sich nicht unbedingt genauso wie in Japan entwickeln. Auch bleibt offen, ob tendenziell gleichho- he Bildung zwangsläufig zu tendenziell gleichhohen Einkommen führt - und das in sehr leistungsbezogenen Gesellschaften. Ebenso bleibt hier unerörtert, wie sich "klassenlose", egalitäre Gesellschaftsstrukturen in Ländern entwickeln, in denen das Modell einer vertikalen, hierarchischen Gesellschaftsordnung das Bewußtsein bestimmt. Die möglichen Interdependenzen der Entwicklung von Bildungsniveau, Einkommensver- teilung und Gesellschaftsstruktur aufzuhellen wäre sicher sehr reizvoll - kann ich aber an dieser Stelle nicht befriedigend leisten. 218 6 Berufsausbildung in Südkorea: Im Spannungsfeld von formaler und non-formaler Bildung 6.1 Ein Berufsbildungssystem ohne Beruf, Bildung und System Schon diese Überschrift soll signalisieren, daß große Schwierigkeiten auftreten, wenn man in einer westlichen Sprache und den damit gegebenen und definierten Begriffen über Berufsausbildung in Korea berichten will. Die Schwierigkeiten beginnen damit, daß in Ostasien ein ganz anderes Berufsverständnis vorherrscht als bei uns. Insbesonde- re zu den nicht-akademischen Berufen des gewerblich-technischen und des kaufmän- nisch-verwaltenden Bereichs haben Koreaner ein Verhältnis entwickelt, das bei uns wohl am besten mit "Jobdenken" bezeichnet werden kann. Aber auch dieser Begriff trifft nur bedingt. Im "Jobdenken" schwingt m. E. mit, daß es zwar gleichgültig ist, in welchem Beruf man tätig ist - aber man muß gut verdienen. Nun wäre es blauäugig zu behaupten, Koreanern wäre die Höhe des Verdienstes gänzlich unwichtig. Im Gegenteil, allgemeines Gewinnstreben ist nicht zu übersehen und wird auch gesellschaftlich toleriert. Dennoch liegt nach der geäußerten Wertskala materielles Wohlergehen nicht an der Spitze, auch bei angehenden Akademikern nicht. Studenten nach dem Grund ihres Studiums gefragt, geben "hohes Einkommen" nur 5 % ihrer Wertschätzung. Hingegen wird "Good Job" mit 45 % bewertet (KEDI 1994, S. 89). "Good Job" ist eine gesellschaftlich angesehene Tätigkeit, möglichst im Büro und in einer möglichst großen, bekannten Firma. Das andere Verständnis von Berufsarbeit geht einher mit dem Selbstverständnis der koreanischen Gesellschaft, daß Berufsausbildung nichts mit Bildung zu tun hat. Von daher läßt sich verstehen, warum ein führendes Handbuch über Korea unter der Rubrik "Education" auf 40 Seitenspalten gerade 5 Zeilen der beruflichen Bildung widmet und das, was wir mit "Berufsausbildung" bezeichnen, unter "Manpower Development" abhandelt mit dem Selbstverständnis, daß es dabei um die bessere Nutzbarmachung der Arbeitskraft gehe (A Handbook 1994). Im "Korea Annua11995" ist das Thema "Educa- tion and Culture" mit 38 Seiten vertreten. "Vocation", "Vocational Education" oder 219 "Vocational Training" werden dort nicht und auch nicht im Stichwortverzeichnis erwähnt. Von einem System kann eigentlich auch nicht die Rede sein. Qualifizierungsprozesse im formalen Bildungssystem stehen gänzlich unverbunden neben staatlichen Maßnahmen im non-formalen Sektor. Beide haben wiederum keinen Bezug zu dem massenhaft vor sich gehenden non-formalen oder informellen Qualifizierungsgeschehen in den Betrie- ben. Man kann, wenn man will, von Teilsystemen sprechen und irgendwie, wenn man nur lange genug nachfragt, macht alles zusammen auch wieder einen Sinn. Jedenfalls "funktioniert" die koreanische Berufsausbildung wie es am Stand der Industrialisierung und am wirtschaftlichen Erfolg deutlich wird. Es ist, wie gesagt, nicht ganz einfach aus deutscher Sicht, das koreanische Berufsbildungssystem zu verstehen. Das liegt an der starken andersartigen kulturellen Determinierung sowohl der allgemeinen als auch ganz besonders der beruflichen Bildung. Weggel beschreibt einen Teil des Problems mit einem Beispiel (Weggel 1994, S. 155): "Autos zu reparieren ist zumeist ja schnell gelernt; ob einer aber auch bereit ist, unter das Chassis zu kriechen und sich die Hände schmutzig zu machen. ja, ob er es überhaupt für nötig hält, das Reparaturhandwerk zu betreiben, ... dies ist schon eine andere Fragestellung, die nicht mit bloßer Geschick- lichkeit oder geistigem Aufnahmevermögen, sondern mit dem überlieferten Wertesystem und der kulturellen Anpassungsfähigkeit zu tun hat." "Berufliche Bildung" oder "Berufsausbildung" - ich bleibe wie gesagt bei diesen Begriffen, auch wenn sie die Wirklichkeit in Korea nicht zutreffend beschreiben. Die Verwendung dieser Begriffe läßt sich auch mit einem Blick in die englischsprachige Literatur über Korea rechtfertigen. Dort wird von "vocational education","vocational training" oder "technical education" gesprochen, wenn es um das infragestehende Thema geht. Berufliche Bildung ist also keineswegs nur die Aneignung von Kenntnissen und Fertig- keiten, sondern auch eine Frage der soziokulturellen Verhältnisse. Diese wiederum sind 220 das Ergebnis von Traditionen und Einflüssen, die weit außerhalb der rein beruflichen Sphäre entstanden sind. Einem Irrtum erliegt im übrigen derjenige, der glaubt, daß mit der Übernahme einer bestimmten industriellen Technik und Produktionsweise auch ein bestimmtes Berufsbildungssystem eingeführt werden müsse. Dieser Annahme war z. B. die frühe deutsche Berufsbildungshilfe. Zugegebenermaßen war das zu einer Zeit, als sozio-kulturelle Faktoren in der Zusammenarbeit noch nicht hinreichend diskutiert wurden. Im Bericht über eine Arbeitstagung mit Projektleitern wurde damals dann einheitlich die folgende Auffassung vertreten (Deutsche Stiftung für Entwicklungsländer 1965, S. 21): "Inhalt und Form der technischen Ausbildung werden von der Technik selbst bestimmt und haben Allgemeingültigkeit für alle Länder. Der in Deutschland beschriUene Weg der Ausbildung entspricht dieser Gesetzlichkeit." Gelegentlich verhindern ethnozentrisch gefärbte Vorstellungen auch heute noch den Zugang zu anderen kulturellen Realitäten. Dann wird das eigene System, z. B. das "duale System", zum berufsbildenden Königsweg erklärt und anderen Ländern, meist Entwicklungsländern, zu folgen nahegelegt. In diesen Zusammenhang passend hat Walter Georg zutreffend festgestellt, daß kein Industrieland von sich behaupten könne, aus den funktionellen Erfordernissen und der Sachlogik notwendiger industrieller Qualifikationen heraus sein Berufsbildungssystem entwickelt zu haben. Vielmehr treffen modeme Produktionsweisen und fortschreitende Technikentwicklung auf vormoderne Strukturen und Traditionen, auf Resultate kom- plexer geschichtlicher Prozesse (Georg 1994 a, S. 166). Je nach Kultur, Situation und Besonderheiten wird bildungspolitisch entschieden, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen und mit welchen Berechtigungen Ausbildung organisiert, finanziert und durchgeführt werden soll. Das Entscheidungsfeld ist gewiß variantenreich und vielfältig, aber keineswegs beliebig. Das heißt, eine an einern bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit entwickelte und für optimal gehaltene Ausbildungsform führt mit großer Gewißheit, wenn sie aus ihrem Kontext herausgenommen und in andere raum- zeitliche Bedingungen transferiert wird, zu einern Mißerfolg. Ein Mißerfolg insofern, als 221 daß das Transplantat aus kultureller Unverträglichkeit nicht angenommen, sondern abgestoßen wird, um es einmal in der Sprache der Mediziner zu formulieren. Betrachtet man nun das normative Umfeld beruflicher Qualifikationen in Korea, so kann man wirtschaftsfreundliche und wirtschaftshemmende Faktoren ausmachen. Die neokonfuzianische Tradition hält eine ganze Reihe wirtschaftsfördernder Tugenden und Verhaltensweisen bereit. Bewahrung kultureller Tradition muß für den Modernisie- rungsprozeß keineswegs hinderlich, sondern kann für modeme Produktionsweisen fallweise sehr hilfreich sein. Walter Georg spricht sogar von einem "enormen endoge- nen Entwicklungspotential" , das in vielen kulturellen Traditionen stecke (GeorglWagener 1988, S. 72). Zu den wirtschaftsförderlichen und Berufsarbeit unterstützenden Kulturmustern des Konfuzianismus gehört z. B. eine positive Grundhaltung zur Arbeit und zum Wirt- schaften. Diese Grundhaltung drückt sich aus in einer Vorliebe für das Machbare, Konkrete und einer Betonung der Diesseitigkeit des Lebens. Irgendwelche religiöse Verbote oder kulturell geprägte Tabus, die wirtschaftliches Handeln negativ oder begrenzend beeinflussen könnten, sind unbekannt. Materialismus, Gewinnstreben und der Einsatz von Ellenbogen gelten keineswegs als anrüchig. Weggel sieht hier Ähn- lichkeiten zwischen unserer Industriekultur und den erfolgreichen metakonfuzianisch- ostasiatischen Gesellschaften (Weggel 1993, S. 233): "Von den sieben Todsünden des christlichen Mittelalters werde, wie manche Kritiker meinen, im Westen nur noch eine einzige als Untugend angesehen, nämlich die Faulheit, während die sechs anderen - Gier, Habsucht, Neid, Völlerei, Luxus und Hochmut - mehr oder weniger Tugendcharakter ange- nommen hätten. Mutatis mutandis gilt dies auch für die erfolgreichen APR- (asiatisch-pazifischer Raum, d. V.) Industriekulturen. " Bedenkt man ferner, daß Verträgen in konfuzianisch geprägten Gesellschaften eine bei weitem nicht so bindende Funktion zugemessen wird wie bei uns, so hat wirtschaftli- ches Handeln in Ostasien einen ausgesprochen großen Spielraum. 222 Diese Grundhaltung wird ergänzt durch eine bemerkenswert hohe Leistungsbereitschaft der Koreaner und einer damit verbundenen ausdauernden Arbeitswilligkeit. Ferner kennen die Koreaner aus der eigenen Tradition auch keinen Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit. Natürlich erkennen auch koreanische Arbeitnehmer Interessenunter- schiede zwischen sich und den Arbeitgebern. Diese Wahrnehmung wird aber kon- terkariert durch das Bestreben der Koreaner, sich in soziale Gruppierungen einzuordnen, Hierarchien anzuerkennen und in Harmonie zu kooperieren. Das bei uns als ideologisch verdächtigte Bewußtsein vom "Im-gleichen-Boot-Sitzen" bestimmt nach wie vor weitge- hend das Verständnis von der Zugehörigkeit zu einem Betrieb. Das eigene Wohl und das Betriebswohl gelten auf Gedeih und Verderb als miteinander verbunden. Nun geben sich die großen Firmen auch alle Mühe, das Wirgefühl und die Integration der Mit- arbeiter, z. B. durch Symbole, gleiche Arbeitskleidung, Konzernhymne u. a. zu stärken. Es gibt aber auch Traditionen und kulturelle Faktoren, die sich auf das wirtschaftliche Handeln durchaus hemmend auswirken können. Ganz generell hat die Wirtschaft in Korea nie eine eigenständige Rolle gespielt. Sie blieb - und ist es auch heute noch bis zu einem gewissen Grad - unter staatlicher Dominanz. Der Staat macht die richtungs- weisenden Vorgaben, denen die Wirtschaft dann folgt. Für die Ende 1996 angestrebte Mitgliedschaft in der OECD muß das Verhältnis von Regierung und Wirtschaft ver- tragsgemäß geändert werden. Dieser Transformationsprozeß zu mehr Unabhängigkeit der Firmen und weniger Protektionismus und Einfluß des Staates ist tiefgreifend und schwierig (Henseleit 1996, S. 1): "Die geforderte Liberalisierung stößt vor allem bei der Verwaltung auf Widerstand, die ihren Zugriff auf die Wirtschaft nicht lockern will. Daher gehen vom Staatsapparat Z. Z. verwirrende und widersprüchliche Signale aus: Einerseits werden in schneller Folge Liberalisierungsschritte angekün- digt und auch durchgeführt; andererseits werden durch Verwaltungsvor- schriften und subtile Einflußnahmen wieder die Daumenschrauben angezo- gen." Eine Selbstverwaltung und ein Selbstbewußtsein der Wirtschaft, wie sie sich z. B. im städtischen Handwerk in Deutschland seit Jahrhunderten entwickeln konnten, sind in 223 Korea so unbekannt. Wichtige Waren wie z. B. Prozellan unterstanden bezüglich Produktion und Distribution früher sogar dem staatlichen Monopol. Die konfuzianische Philosophie und Gesellschaftslehre ist im Grunde genommen arbeitsweltfeindlich. Körperliche Arbeit galt nicht als besonders fein. Als konfuzianisch Gebildeter überließ man körperliche Anstrengungen besser anderen, untergeordneten Menschen. Dazu ist ein illustrierendes Zitat von Menzius erhalten (nach: Risler 1989, S. 21): "Einige arbeiten mit ihrem Geist, andere mit ihrer Kraft. Die Kopfarbeiter herrschen über die anderen, die Handarbeiter werden von ihnen beherrscht. Wer andere beherrscht, wird von ihnen ernährt, wer von anderen beherrscht wird, ernährt diese. Dieses Prinzip gilt in der ganzen Welt." Zusätzlich sei noch einmal daran erinnert, daß auch diejenigen, die mit ihrem "Geist" arbeiten, nach konfuzianischer Lehre dies keinesfalls als berufliche Spezialisten tun sollten. Damit würde der vornehme, gebildete Mensch zum Werkzeug. Das "Berufsmen- schentum" und der "Fachmensch" sind, so Max Weber, Ausprägungen abendländischer Kultur (Weber, M. 1991, S. 208): "Dem konfuzianischen Vornehmheitsideal widerstritt nichts so sehr, als der Gedanke des 'Berufs'." Es sind die allgemeinen Tugenden wie Lernwilligkeit, Arbeitswilligkeit, Fähigkeit sich unterzuordnen und Genügsamkeit, die dem modernen Arbeitsleben entgegenkommen. Zu den Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und der Modernisierungsfähigkeit der Kulturen im asiatisch-pazifischen Raum hat sich Weggel an mehreren Stellen verglei- chend und ausführlich geäußert (Weggel 1991, S. 41 ff; 1993, S. 223 ff; 1994, S. 155 ff.). Im folgenden wird noch einmal aufgegriffen, was die Situation beruflicher Bildung in Korea im besonderen betrifft. Das Fehlen einer Vorstellung von Beruf als Lebensmittelpunkt mag auch mit der Wirtschaftsweise in Korea zusammenhängen. Bis in die zweite Hälfte des 19. Ih. waren Subsistenz- und Naturalwirtschaft die am weitesten verbreiteten Formen der Bedürfnis- befriedigung. Entweder wurden die einfachen Gerätschaften und Kleidungsstücke in Form von Nebentätigkeiten in den bäuerlichen Familien selbst hergestellt oder im Tauschgeschäft besorgt. Dabei stand eher die Gegenseitigkeit als ein Gewinnstreben im 224 Vordergrund. In einer "Geschichte Südkoreas", die 1988 in Ostberlin erschien und wegen ihrer dem Marxismus blind ergebenen Darstellungsweise zur Lektüre nicht direkt empfohlen werden kann, findet sich aber unter Berufung auf amerikanische Quellen der Hinweis, daß noch in der zweiten Hälfte des 19. Jh. nur etwa 1 % der gesamten Bevölkerung mit einem einfachen Handwerk als Erwerbsquelle beschäftigt war (Göthel 1988, S. 7). So wird verständlich, daß sich ein Handwerkerstand mit von Gewerbe zu Gewerbe unverwechselbarem Qualifikationsprofil mit je eigenen Symbolen, einer eigenen Berufsorganisation und mit festgelegten Ausbildungsrichtlinien für den Nach- wuchs nicht entwickeln konnte. In der deutschen Sprache schwingt bei "Beruf" immer noch etwas mit, das "Beruf' zu mehr macht als "Arbeit" oder "Tätigkeit". Zunächst war es die Bedeutung, die Luther dem Begriff gab. Demnach war es die "Berufung" durch Gott, der zu folgen war, dann auch die Bezeichnung für Stand und Amt des Menschen in der Welt. Dieser ethische Zusammenhang zwischen Berufung und Beruf blieb so nicht erhalten, er wurde während der Aufklärung und des Idealismus uminterpretiert. Nun war es die innere Berufung, die dem individuellen Beruf Glanz oder gar Weihe verlieh. Blankertz hat auch noch eine zweite Form der Verweltlichung des Berufsver- ständnisses herausgearbeitet (Blankertz 1968, S. 260): "Daneben hat sich aber auch der in der lutherischen Berufslehre stärker ausgeprägte Bezug auf die Gesellschaftsordnung säkularisiert. Die gesell- schaftliche Arbeit wird dadurch zum Beruf. daß der Mensch von den gesell- schaftlichen Zwecken zu seinem Dienst berufen wird. " Alle drei Varianten der Interpretation von Berufung und Beruf, nämlich die theologi- sche, die individualistische und die gesellschaftliche, haben gemeinsam, daß sie den Sinn beruflicher Tätigkeit von vorgegebenen Mächten stiften lassen. Entweder ist es eine göttliche Weisung oder der Rat der individuellen Seelenstruktur oder eine soziale Verpflichtung, die den Menschen in Anspruch nimmt. In jedem Fall gewinnt der Beruf Sinn und zielt auf Ganzheit. Beruf ist mehr als eine zufällige Ansammlung von Hand- griffen und Kenntnissen. Beruf wird zum Lebensmittelpunkt, über den der Mensch Zugang zur Gesellschaft und zur Kultur bekommt. 225 In der industriellen Arbeitswelt sind die Versuche von einer Sinngebung von beruflicher Arbeit gewiß zutiefst fragwürdig geworden. Aber immerhin reichte die Kraft des Gedankens eines ganzheitlichen und den Menschen erfüllenden Berufs noch aus, um zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Theorie der Bildung durch den Beruf zu entwickeln. Mit Hilfe dieser, insbesondere von Kerschensteiner und Spranger ausgebauten Theorie der Berufsbildung schob sich die berufliche Bildung wie ein Nadelöhr zwischen eine grundlegende und eine abschließende allgemeine Bildung. Die Deutung des Berufs als objektives Kulturgut und die Verankerung der Qualifizierung zum Beruf im Bildungs- prozeß ermöglichten bisher, beruflichem Lernen bildende Qualität zuzusprechen. Die Berufsbildungstheorie war in Deutschland eine Korrektur des neuhumanistischen Bildungsgedankens. Durch v. Humboldt und seine geistigen Mitstreiter war das 19. Jh. von der Annahme bestimmt, daß nur zweckfreie Lerninhalte, insbesondere aus den sprachlich-literarischen, historischen und ästhetischen Bereichen bildenden Charakter hätten. Zweckgerichtetem, beruflichem Lernen wurde eine bildende Funktion ausdrück- lich abgesprochen. Folglich wurden Berufsschulen aus dem formalen und allgemeinbil- denden Schulsystem auch ausgeschlossen. Die Berufsbildungstheorie wurde zur Grundlage der Berufs- und Wirtschaftspädagogik als einer anerkannten Teildisziplin der Erziehungswissenschaft. Vieles allerdings, was in der berufsbezogenen Pädagogik diskutiert wird, bleibt wegen des besonderen Verhält- nisses von Beruf zu Bildung und von beruflicher Bildung zu allgemeiner Bildung, wie es sich in unserer Kultur entwickelte, auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Im übrigen ist die Aussage, daß wir uns an Berufen orientieren und daß sich die Ostasiaten hingegen mit Betrieben identifizieren, nur in der Tendenz richtig. Fürsten- berg hat schon 1970 darauf hingewiesen, daß in von ihm als "sachlich-rational" bezeich- neten Berufen in der arbeitsteiligen Industrie die Dauerbindung an den Beruf weit weniger stark sei, als die an den Kollegenkreis (Fürstenberg 1970, S. 124). Insofern gilt auch bei uns Vorsicht vor einem allzu romantischen, idealisierenden Berufsverständnis im Zusammenhang mit Bildung. 226 Nun zurück zu Korea, wo sich ein unserem Berufsverständnis Ähnliches oder Ver- gleichbares nicht entwickelte. Wenn es aber keine allgemein-verbindliche Vorstellung von abgegrenzten und standardisierbaren Tätigkeitsbereichen sprich "Berufen" gibt, kann es auch keine Berufsbildung in unserem Sinne geben. Wenn es keine Berufsbildung gibt, dann kann es folglich auch keine allgemein anerkannten beruflichen Zertifikate wie "Gesellenbrief", "Facharbeiterzeugnis" geben. Nun ist aber der koreanischen Regierung sehr daran gelegen, zu beruflichen Standards wie einheitlichen Ausbildungsrichtlinien und vergleichbaren Zertifikaten zu kommen. Für Arbeitskräfteplanung, Arbeitsmarktanalysen, Tarifpolitik und Statistiken zur Be- schäftigungssituation bieten Standardisierungen beruflicher Qualifikationen erhebliche Vorteile. Schon aus administrativen, aber auch aus planerisch-eingreifenden Motiven ist die Arbeitsverwaltung an erfaßbaren Daten zur beruflichen Qualifikation sehr inter- essiert. Großer Erfolg war den Bemühungen des Arbeitsministeriums bisher nicht beschieden. Zwar wurden vom Arbeitsministerium um die 400 Vocational Training Trades entwickelt, die mehrheitlich eine Ausbildung von weniger als einem Jahr benötigen. Die Ausarbeitung der Trades geschah aber ohne Beteiligung der Wirtschaft, die auch an den Prüfungen nicht teilhat. Die Anzahl der nach den Richtlinien ausgebil- deten und geprüften Personen ist sehr gering, so daß diese Größe arbeitsmarktpolitisch keine bedeutende Rolle spielt. Die Übersicht zur Beschäftigungsstruktur aus dem Jahr 1990 zeigt, daß von den rund 17 Mio. Beschäftigten 15,6 Mio. kein "off job-training" hatten, d. h. "nur" unstandardisiert nach innerbetrieblichen Plänen am Arbeitsplatz ausgebildet waren. Die Statistiken über die Beschäftigungsstruktur können sich also nicht an beruflichen Qualifikationsstufen orientieren. Die Klassifizierung geschieht nach den formalen Bildugungsabschlüssen: "Primary School", "Middle School", "High School", "Junior College" und "CollegelUniversity" (MOL 1992; ähnlich EPB 1990; siehe auch Lee, J.-K. 1985, S. 8 f). Die Arbeitsplatzsuche und die berufliche Karriere werden bestimmt durch die Qualität des schulischen Abschlusses. Die Koreaner wählen also nicht erst einen Beruf, um sich danach beruflich zu qualifizieren und um dann anschließend mit einem entsprechenden Zertifikat über den Arbeitsmarkt eine passende Beschäftigung zu suchen. Ein Koreaner sucht sich eine Firma seines Geschmacks und 227 bemüht sich mit Hilfe seines Schul- oder Hochschulzeugnisses auf einem möglichst hohen Level eingestellt zu werden. Die Arbeitgeber sind es gewohnt, Anfänger ohne berufliche Kenntnisse oder berufspraktische Ausbildung einzustellen und diese dann arbeitsplatzgerecht auszubilden (Schilling 1991, S. 55). Fragt man einen Koreaner, was er beruflich macht, so sagt er nicht z. B. "ich bin Maschinenbauer", sondern antwortet z. B. "ich arbeite für Daewoo". Der arbeitende Mensch definiert sich damit nicht über die Zugehörigkeit zu einem erlernten Beruf, sondern über die Zugehörigkeit zu einer Firma. Georg spricht deswegen auch bei der Betrachtung japanischer Qualifizierungsmuster davon, daß an die Stelle der "Berufs- kultur" die "Unternehmenskultur" tritt (Georg 1994, S. 177): "Oberbetriebliche Standardisierung von Arbeit und Ausbildung wird ersetzt durch den einzelbetrieblichen Zuschnitt der Organisations- und Qualifika- tionsstrukturen, die berufliche Identität wird ersetzt durch die Loyalität zum Untemehmen. " Diese Aussage trifft auch die Verhältnisse in Korea. Ein koreanischer Kollege machte mich einmal auf folgenden Unterschied aufmerksam: Wenn ein deutscher Facharbeiter arbeitslos wird, dann verliert er zwar den Arbeitsplatz, er verliert aber nicht den Beruf, er bleibt z. B. Maschinenbauer. Wenn ein koreanischer Arbeiter arbeitslos wird, verliert er mit "seiner" Firma alles. Dabei wird deutlich, daß die standardisierte Berufsausbildung Marktwert hat, sie bleibt einem erhalten und man kann sie auf dem Arbeitsmarkt immer wieder einsetzen. Eine Berufsausbildung nach japanischem oder koreanischem Muster hat nur Wert auf dem innerbetrieblichen Arbeitsmarkt. Dieser innerbetriebliche Arbeitsmarkt ist für einen Koreaner allerdings größer als für einen Deutschen. Die fehlende Berufsbindung macht die .koreanische Arbeitskraft für innerbetriebliche Umsetzungen wesentlich flexibler. Die "Berufslosigkeit" hat auch erheblichen Einfluß auf das Rekrutierungsverhalten und -verfahren der Arbeitgeber. 228 Aus dem Jahr 1987 liegt eine Untersuchung vor, die vier Kanäle unterscheidet, durch die ein Betrieb seine Mitarbeiter gewinnt (Kim, S.-K. 1991, S. 120). 1. Der informelle Kanal. Hier werben schon eingestellte Arbeitskräfte z. B. unter ihren Verwandten, Freunden, ehemaligen Schulkameraden oder Bewohnern des Herkunftsdorfes weitere Arbeitskräfte an. 2. Die offene Auswahl. Diese geschieht durch Anzeigen und Bekanntmachungen mit Hinweis auf offene Arbeitsplätze. Bewerber werden dann in der Regel durch einen schriftlichen und mündlichen Test ausgewählt. 3. Die Schulempfehlung. Gelegentlich arbeiten Firmen bei der Personalrekrutie- rung mit SchulenIHochschulen zusammen. Sie nehmen dann nach Empfehlung der Lehrenden neue Mitarbeiter auf. Das soll dann den einheitlichen Geist der Firma festigen. 4. Eine öffentliche oder private Arbeitsvermittlung. Die Unternehmer nutzten diese unterschiedlichen Quellen wie folgt: 1. Den informellen Kanal 57 % 2. Die offene Auswahl 35 % 3. Die Schulempfehlung 6 % 4. Eine Arbeitsvermittlung 2 %. Zu der Untersuchung aus dem Jahr 1987 kann man gut eine Übersicht aus einer Stati- stik zur Lage der Beschäftigten von 1990 hinzunehmen (EPB 1990, S. 158). Die neuere Übersicht geht vom entgegengesetzten Fall aus, nämlich von der Frage, wie kommen Absolventen von Schulen in die Arbeitswelt. Sechs Wege werden außer der Kategorie "andere Möglichkeiten" genannt: 1. Informeller Weg über Bekannte und Verwandte 2. Teilnahme an einer offenen Auswahl 3. Aufgeben von Anzeigen 4. Nutzung einer Arbeitsvermittlung 5. "Bewerbung am Werkstor" 6. Der Weg in die Selbständigkeit 7. Andere Möglichkeiten. 229 Aufschlußreich ist nun, daß die Prozentwerte für diese Wege getrennt nach der Vor- bildung dargestellt worden sind. Ich nenne in Abb. 29 nur die beiden Extremgruppen: Besuch der Middle School (und weniger) sowie Abschluß an einem College oder an einer Universität. Zugang zum Arbeitsmarkt (%) Stichwort für Absolventen von Absolventen von den Zugang Middle Schools CollegeslUniv. 1 Informeller Weg 55 32 2 Offene Auswahl 1 41 3 Anzeigen 6 3 4 Arbeitsvermittlung 2 0 5 Bewerbung am Tor 11 3 6 Selbständigkeit 23 18 7 Anderes 2 3 I 100 I 100 I Quelle: Zahlen nach EPB 1990, S. 158. Abb.29 Faßt man die Untersuchungsergebnisse zusammen, so zeigen sich einige Eigentümlich- keiten des koreanischen Arbeitsmarktes. Ganz besonders auffällig ist, daß weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer etwas von öffentlichen oder privaten Arbeitsvermitt- lungen halten. Als Erklärung wird behauptet, daß die Vermittlungen unqualifizierte Arbeit leisteten, da sie die Bedürfnisse der Unternehmen nicht richtig einschätzten. Außerdem stehen Vermittlungsstellen unter Korruptionsverdacht. Wie dem auch sei, eine "anonyme" Vermittlung paßt nicht gut in die Verhaltensvorstellung von Koreanern. Es ist sehr beliebt, die Herstellung von Kontakten durch Dritte vornehmen zu lassen. Am allerbesten ist es, wenn der Dritte die beiden anderen gut kennt und von beiden respektiert wird. Etwa nach diesem Muster läuft das Verfahren der Mitarbeitergewin- nung durch informelle Kontakte, also über Verwandtschaft und Bekanntschaft von schon beschäftigten Arbeitskräften. Diese "Vermittler" geraten in die Rolle von "Bürgen" für 230 beide Seiten, für den Arbeitgeber und für den neuen Mitarbeiter. Das Harmoniebedürf- nis der Firmen ist groß. Es zeigt sich im übrigen, daß dieser Weg des Zueinanderkom- mens besonders tragfähig ist für die weniger qualifizierten Abgänger des Schulsystems. Diese kommen in der Regel in den kleineren Betrieben unter. Die größeren Betriebe, die ihrerseits die besser qualifizierten Kräfte beschäftigen, können sich bei der Rekrutie- rung ihres Arbeitskräftebedarfs nicht nur auf "informelle Beziehungen" zum Arbeits- markt verlassen. Hier dominiert die Auswahl nach Ergebnissen von Eingangstests. Die schriftlichen Tests fragen in der Regel fachrelevante Kenntnisse und den Stand in Mathematik und Englisch ab. Das folgende Gespräch dient insbesondere dazu, die Sozialverträglichkeit des Bewerbers einschätzen zu können. Im Rahmen eines koreanisch-deutschen Projekts der Berufsbildungszusammenarbeit entstand eine Studie über den Bedarf praxisorientierter Ingenieure in acht großen koreanischen Firmen. In dieser Studie wurde auch nachgefragt, nach welchen Kriterien die Firmen neue Ingenieure einstellen. Das zusammengefaßte Ergebnis zeigt Abb. 30. Sieht man sich diese Kriterienliste an, so zeigt sich deutlich, daß für die Firma die Herkunft des Bewerbers und seine Verhaltensweisen eine ganz wichtige Rolle bei der Einstellungsentscheidung spielen. In der Studie von Herrmann wird praktisch an allen wiedergegebenen Interviews mit Leitern der Personalabteilungen deutlich, daß diese den allergrößten Wert auf die extrafunktionalen Qualifikationen, auf Sozial- und Methoden- kompetenz und auf die Fähigkeit des sich Einpassens legen. Diesbezüglich erwarten die Firmen Leistungen des Bildungssystems. Die Firmen sind ihrerseits bereit, die notwen- digen Kenntnisse und Fertigkeiten zum Einsatz an einem ersten Arbeitsplatz selbst zu vermitteln. Dazu brauchen sie in der Regel nicht mehr als drei bis sechs Monate Zeit. Diese Einarbeitungsphasen beginnen regelmäßig mit einer Einführung in die Firmen- philosophie und einer Integration des neuen Mitarbeiters in die Betriebsgemeinschaft (Müller 1995, S. 18). 231 Liste bevorzugter Einstellungskriterien o name and grade of the university or college o family background and atmosphere o background of his schooling and the school record o positive thinking o general attitude o personality and character o very active manner o creativity o common sense o human relations o working in groups and cooperation with colleagues o physical conditions o description of the major reason why he is applying for a post in the company Quelle: Herrmann 1988, S. 52; Schilling 1991, S. 47. Abb.30 In neueren Ausgaben von Zeitschriften mehren sich Berichte darüber, daß die großen Firmen ihre Einstellungsverfahren geändert haben oder modifizieren wollen. Das bei den Chaebols bisher übliche Verfahren eines schriftlichen Tests und eines anschließenden Interviews wird offensichtlich phantasiereich - und je nach Firmenphilosophie - abge- wandelt. Zur Beobachtung und Einschätzung von Verhalten und Befähigungen werden Kartenspielen, Picknick, Gespräche bei Flußfahrten oder in Bars, ausgeklügelte Fragebö- gen zur Selbsteinschätzung u. a. eingesetzt. Es wird behauptet, schulische Herkunft und Studienleistungen im Hauptfach spielten eine geringere Rolle als noch vor einigen Jahren. Auch käme es nicht mehr so sehr darauf an, daß die Bewerber Anpassungs- fähigkeit und gehorsames sich Eingliedern in die Betriebshierarchie vermuten ließen. Vielmehr suche man nach dynamischen, kreativen Persönlichkeiten mit Innovations- potential, Durchsetzungsvermögen und Schneid. Das Fachwissen rückt bei den neuen 232 Einstellungsverfahren wieder mehr in den Hintergrund. Es wird z. B. weniger Facheng- lisch geprüft, als die Fähigkeit zur englischen Konversation. Allgemeinbildung - und Kenntnisse chinesischer Charakter - werden verstärkt überprüft. Verursacht werden die Modifikationen in den Einstellungsprozeduren durch ein großes Angebot an Absolven- ten universitärer Studiengänge. Die Firmen können wählerischer sein. Geltend gemacht wird auch der Aufbruch in die "Informationsgesellschaft" und in die "Globalisierung". Es bahnt sich, so die Autoren, ein Modernisierungsschub in der koreanischen Unter- nehmenskultur an (Lee, T.-G. 1995, S. 81 ff.; Chang, Y.-H.lSung, K.-Y. 1996, S. 77 ff.). Von einem System beruflicher Ausbildung kann man in Korea eigentlich nicht sprechen. Vielleicht ließe sich die Situation kennzeichnen durch "getrennte Systeme" oder "kon- kurrierende Systeme" (Kohlheyer 1980, S. 16 ff.; Rütters 1991, S. 57). Jedenfalls lassen sich drei relativ voneinander unabhängige Zuständigkeiten für berufliche Qualifizierung ausmachen. Im formalen Bildungsbereich gibt es auf der Sekundarstufe Vocational High Schools, berufliche Oberschulen, und auf der Stufe der Hochschulen Junior Colleges, die sich einer zunehmenden Beliebtheit erfreuen. Die Zuordnung der Junior Colleges zum Hochschulbereich bedeutet nicht unbedingt, daß ein in unserem Sinne akademisches Ausbildungsprogramm an diesen Schulen angeboten wird. VHS und JC unterstehen beide, wie das ganze formale Bildungssystem, dem Erziehungsministerium, Ministry of Education (MOE). Die Abschlüsse orientieren sich in Form und Berechtigung an den anderen schulischen Abschlüssen. Ganz unabhängig vom berufsorientierten Angebot im Bildungssystem werden in gerin- gem Maße Ausbildungsgänge vom Arbeitsministerium, Ministry of Labor (MOL), angeboten. Das MOL unterhält eine Reihe von Ausbildungszentren, Vocational Training Institutes (VTI). Die VTIs entsprechen dem weltweit bekannten Typ von Ausbildungs- einrichtungen, in dem Praxis und Theorie in relativarbeitsweltfremden Lehrgängen unterrichtet werden. Die Abschlüsse der VTIs haben keine Bedeutung im oder für das formale Bildungssystem, da die VTIs dem non-formalen Bildungsbereich zugerechnet 233 werden. Für den Arbeitsmarkt sind die VTI-Abschlüsse aber auch kaum von Bedeutung. Die Begründung dazu liefere ich im Kapitel 6.3 nach. Die heiden kurz skizzierten Teilsysteme des formalen und des non-formalen Bildungs- bereichs werden staatlich finanziert und unterstehen staatlicher Kontrolle, allerdings zwei unterschiedlichen Ministerien, nämlich MOE und MOL. Die unterschiedliche Zuständigkeit führt zu einem beziehungslosen Nebeneinander oder sogar Gegeneinander der Teilsysteme beruflicher Bildung. Auch koreanische Experten halten dies für wenig effektiv und drängen auf Änderung. Aus einer Forschungseinrichtung des MOL, dem Vocational Training Research Institute (VOTRI), wurden in einer Studie folgende Reformen angemahnt (Lee, S.-J. 1990, S. 44 f.): "Until now, no close cooperative relationships have made between voca- tional training anti education programs, especially in vocational education sector such as: No clarification in roles and functions between vocational education and training, which makes frequent competition rather than cooperation in recruitment and course operation... Proposals: To set-up a co-ordinating body between MOE and MOL on R+D (Research and Development, d. V.) activities so that such R+D could be made under consulted plan, thereby reducing the duplicated activities and costs, especially in developing technical textbooks, job sheets and AV materi- als. " Es sieht bisher allerdings nicht danach aus, als sollte es zu einer Zusammenarbeit der Ministerien kommen. Beiden Ministerien ist jedoch gemeinsam, daß sie nicht mit der Wirtschaft kooperieren. Die fehlende oder sehr mangelhafte Zusammenarbeit mit Industrie und Handel zieht sich wie ein roter Faden durch alle staatlichen Ausbil- dungsgänge von den einjährigen VTI-Kursen im non-formalen Bereich bis zu den mehrjährigen Studiengängen von Ingenieuren in den Hochschulen (Hass/Schilling 1992, S. 332; Rütters 1988, S. 25 f.). Die Distanz von Ausbildungseinrichtungen untereinander 234 und zur Arbeitswelt entspringt kultureller Tradition. Ich habe schon in Kapitel 3.2 darauf hingewiesen, daß konfuzianisch geprägten Gesellschaften horizontale Vemetzun- gen fremd sind. Querverbindungen von Behörden untereinander und zu Betrieben oder Kammern sind "höchst strukturwidrig" (Weggel 1994, S. 73). Neben den zwei staatlich geregelten Angeboten für eine berufliche Qualifikation von MOE und MOL, führen drittens größere und große Firmen in beachtlichem Umfang Maßnahmen zur Arbeitsbefähigung durch. Charakteristisch für diese Maßnahmen ist, daß es sich dabei um kurze, arbeitsplatzbezogene Einarbeitungen und um ein vielfältiges Angebot in der Weiterbildung handelt. Die Betriebe sind nun wiederum ihrerseits nicht geneigt, mit anderen Betrieben in Fragen beruflicher Qualifikationen zu kooperieren oder sich durch MOE oder MOL in die Ausbildung ihrer Arbeitskräfte hineinreden zu lassen. Die Betriebe treten mithin in der Form "berufspädagogischer Einzelkämpfer" auf (Schoenfeldt 1992, S. 26). Unter den geschilderten Umständen ist es ungemein schwierig genau zu bestimmen, was berufliche Bildung in Korea wirklich ist. Die Schwierigkeiten einer treffenden Be- schreibung beruflicher Ausbildung in anderen Kulturen sind bekannt. So hat z. B. Lehmann konstatiert, daß sich bei vergleichenden Studien zur technischen und berufli- chen Erziehung Probleme durch vielerlei Überschneidungen mit anderen erzieherischen Gebieten und Formen ergeben. Das gilt insbesondere dann, wenn man die drei Forde- rungen der UNESCO von 1974 im Blick behält. Danach sollte Technical and Vocational Education als ein integraler Teil des allgemeinen Bildungswesens entwickelt werden, Hilfen für die Vorbereitung auf Tätigkeit in einem Berufsfeld geben und als ein Aspekt von Weiterbildung verstanden werden (lLhmann 1988, S. 55): "It follows from this tripie specijications that comparative studies in tech- nical and vocational education (TVE) demonstrate substantial overlap with most other jields or modes ofeducation. Technical and vocational education can occur at the primary, secondary, or tertiary level; it can be directed towards adolescents or adults; it may or may not be part of the formal school system. " 235 Eine der fundamentalen Fragen ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis von allgemeiner zu beruflicher Bildung in dem betreffenden System. In Deutschland herrscht eine recht klare Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung vor. Beide Ansätze folgen eigenen, ziemlich unvermischten Wegen. So ist der Einstieg in das "duale System" mit jedem Bildungsabschluß möglich - nur die Schul- pflicht muß absolviert worden sein. Der Abschluß einer Ausbildung im dualen System bringt für eine Fortsetzung des Bildungsweges im tertiären Bildungssektor nicht eben viel. Wenn ich auch gerne zugebe, daß die Anerkennung beruflicher Abschlüsse bei uns Fortschritte macht. In Korea gehört ein erheblicher Teil der beruflichen Bildung in den formalen Bil- dungsbereich. Nun geht damit nicht schon eine innige Verbundenheit mit der All- gemeinbildung einher. Aber das, was als berufliche Bildung unter MOE angeboten wird, nennt sich "vocational education". Im Gegensatz dazu heißen die Ausbildungen unter MOL und auch die betrieblichen Angebote "vocational training" (Rütters 1988, S. 6). Die unterschiedliche Begrifflichkeit wird von koreanischen Wissenschaftlern bewußt gewählt. "Education" ist die höherwertige Bezeichnung und hat etwas mit Bildung zu tun. Auch auf "vocational education" fällt noch etwas Glanz von Bildung wegen der Einbindung in das formale System. "Training" wird als "skill training" verstanden, was soviel wie das Erlernen von Fertigkeiten bedeutet und mit Bildung nichts mehr zu tun hat. Shin und seine Kollegen haben darauf aufmerksam gemacht, daß es eine vielfältige Überlappung von technisch-beruflicher Bildung und allgemeiner Bildung im koreani- schen Schulwesen gibt. Die technische Erziehung sei eins der Bindeglieder (Shin, S.- H.lLee, J.-K./Hong, S.-M. 1979, S. 14): "Between general and vocational education is the new field of technology education, combining the two areas." So mischen sich von der Primarschule an auf dem Gebiet der technischen Erziehung allgemeine und berufli- che Bildung. Shin, Lee und Hong gehen aber bezüglich der Integrationsvorstellungen beruflicher und allgemeiner Bildung deutlich weiter. Die Kulturtechniken wie Lesen, 236 Schreiben, Rechnen wären nicht ausschließlich der Allgemeinbildung zuzurechnen, sondern wären ebenso Grundlage beruflicher Bildung. Schließlich wird noch als Unter- schied zwischen "training" und "education" festgehalten, daß "training" sich nur auf den psychomotorischen Lernbereich bezöge, während "education" die Erziehung zu Werten und Haltungen einschließe. Die Schule entwickle in den Jugendlichen positive Verhal- tensweisen und Wertvorstellungen, die auch für die Arbeitswelt wichtig seien. Suchten und beschrieben Shin und seine Kollegen Lerninhalte mit einer Doppelfunktion für allgemeine und berufliche Bildung, so gehen Lee, M.-K. und Lee, l.-K. einen anderen Weg zur Bestimmung der Beziehung von allgemeiner und beruflicher Bildung. Nach der Feststellung, daß die theoretischen und technischen Anforderungen der Arbeitswelt immer mehr ansteigen, empfehlen sie eine "Verallgemeinerung" der berufli- chen Bildung auf der Sekundarstufe 2. Ferner solle durch die "Verberuflichung" von Studiengängen des tertiären Bildungssektors der Ausweg aus dem Elfenbeinturm gefunden werden. Aus dem vorgeschlagenen lO-Punkte-Reformprogramm zum Ver- hältnis beruflicher und allgemeiner Bildung zitiere ich hier drei Punkte (Lee, M.-K.lLee, l.-K. 1987, S. 72): "The importance ofgeneral education in the world ofwork has been empha- sized. Therefore, general education at secondary and postsecondary school should be expanded as much as possible so that students can develop basic competencies for transferring knowledges and skills in changing societies. Curriculum ofvocational-technical education at secondary and postseconda- ry school should be developed by broad based curriculum approaches instead ofnarrow based curriculum approaches as that students can develop strong occupational survial skills. It means that general education in voca- tional-technical education should be more emphasized than present iso College or university education should be more diversified in terms of academism and professionalism. College or university is no more ivory tower. Especially junior college should be mainly focused on educating techniciants or semiprofessional workers. " 237 Schon früher hatte Lee, M.-K. ähnlich argumentiert und für eine weitgehende Integration beruflicher und allgemeiner Bildung plädiert. Er definiert vocational und technical education als "... integral part of total education" (Lee, M.-K. 1983, S. 2). Einen Weg zur Integration sieht Lee, M.-K., ähnlich wie im vorhergenannten Beitrag, in einer deutlich stärkeren Betonung allgemeiner Bildung im Zusammenhang mit beruflichen Bildungsgängen und parallel dazu in einer Entspezialisierung im Sinne einer Grundbil- dung (Lee, M.-K. 1983, S. 63): "!ncrease the amount of time given to general education at vocational education and put emphasis in developing basic competencies required for an occupational cluster." Auch andere koreanische Experten sehen die Gegensätzlichkeit von General High Schools und Vocational High Schools als Strukturfehler an. Dabei finden sich Stimmen, die nicht einer Vermehrung allgemeiner Bildung in der beruflichen Bildung das Wort reden, sondern es genau umgekehrt für richtig halten, nämlich die General High School mit berufsvorbereitenden Inhalten anzureichern (Rhew, c.-G. 1994, S. 74; Kang, K.-C. 1990, S. 3). Es gibt aber ebenso Konzeptionen, die einer Parallelität allgemeiner und beruflicher Bildung aufrechtzuerhalten. Als erstes sei es notwendig, die formalen und die non- formalen beruflichen Bildungsgänge aufeinander zu beziehen und in Kooperation zu bringen. Dann sei der berufliche Bildungsweg von seinem Sackgassen-Charakter zu befreien und als separates, durchgängiges Bildungssystem auf der Sekundarstufe und im tertiären Bereich zu etablieren. Nur so könne berufliche Bildung in Korea attraktiv gemacht werden (Kim, T.-D. 1995, S. 13 ff.). Vielleicht wäre es besser von den auf Arbeitsfähigkeit gerichteten Lerninhalten, die im formalen System unter MOE angeboten werden, nicht als "vocational education", sondern wegen der fehlenden "Beruflichkeit" und der teilweise deutlichen Unschärfe in der Abgrenzung von allgemeiner und beruflicher Bildung von "technical education" oder "technical training" zu sprechen (Schaack 1996, S. 111). Andererseits führt der 238 Abschluß einer Vocational High School zu derselben Berechtigung, wie der der Aus- bildungsgänge unter MOL, wenn man einmal außer acht läßt, daß VHS-Absolventen noch eine gewisse Chance für den Hochschulzugang haben. Die Abschlüsse von VHS und VTI sind zugleich Berechtigungen zur Zulassung zur Prüfung für den Grad "Crafts- man Class II". Läßt man nun das Wort "beruflich" ganz fallen, wenn man das formale koreanische Bildungs- und Ausbildungssystem darstellen will, dann steht man vor einer anderen Schwierigkeit: "technicaI" ersetzt "vocational" insofern nicht, als daß es auch "commercial", "agricultural" und anderes gibt. Einen neuen treffenden und übersetzbaren Oberbegriff gilt es noch zu suchen. Der koreanische Präsident, es war noch Roh, Tae-Woo, setzte 1989 eine hochrangige Kommission ein, die ihn politisch beraten sollte, wie die koreanische Nation sicher in das 21. Jahrhundert geführt werden könne. Der Kommissionsbericht liegt inzwischen vor. Aus dem 1300 Seiten starken Dokument ist eine etwa 200 Seiten umfassende englischsprachige Kurzfassung hergestellt worden. Über viele Punkte ist sehr sorgfältig nachgedacht worden. In zwölf Kapiteln sind die Ergebnisse zusammengefaßt worden. Das Kapitel 11 ist dem Bildungssystem gewidmet: "Reforming Education". Das Bil- dungssystem, so heißt es, sei untrennbar mit dem "human resource development" verbunden. Die Qualität der Arbeitskraft sei wegen fehlender Rohstoffe und fehlendem Kapital für Korea die wesentliche Quelle zur Entwicklung und Sicherung des Wohl- standes. Daher müsse alles getan werden, um die Kräfte aller zu mobilisieren. Es wird daher empfohlen, das auf Elitebildung und Uniformität ausgerichtete Bildungssystem zu verändern (Korea 1995, S. 144): "lncreasing national competitivness requires that education policy be based on the rock-solid assumption that alt individuals should develop their talents, not just a smalt number 01 elite students... Therelore, educational and human resource policies must break away jrom excessive concern for unifonnity in order to nur/ure creativity anti innova- tion, or at least the ability to adapt, in alt its citizens." 239 Von den 22 Seiten des Kapitels über Bildungsreform wird nur ein Absatz den Vocatio- nal High Schools gewidmet. Es wird gefordert, die Diskriminierung der VHS auf- zugeben und den Absolventen verbesserte Zugangsbedingungen zum Hochschulbereich zu gewähren (Korea 1995, S. 164). Damit wird empfohlen, eine jahrelang gültige Politik zu korrigieren. Die VHS waren ursprünglich eingerichtet worden, um den Druck aus dem Sekundarstufenbereich auf die Hochschulen zu vermindern und den Arbeits- markt mit Fachkräften zu versorgen. Zur Berufsbildung oder beruflichen Ausbildung finden sich im 12. Kapitel (Mobilizing Financial Resources) unter dem Punkt "A New Role for the Government" nur wenige Zeilen. Darin heißt es unter anderem (Korea 1995, S. 181): "Training courses to equip young people with marketable skills are needed, as are adult education and retraining courses to prepare for the greying of society. The privat sector is the reasonable choice to carry out most of these activities, with the government providing support." MOL wird mit seinen Ausbildungsmaßnahmen gar nicht erwähnt. Die Tendenz des Berichts an den Präsidenten ist eindeutig. Nachdrücklich wahrgenommen wird als staatlich-nationale Aufgabe und als Reformgebiet nur das formale (allgemeinbildende) Bildungssystem. Berufliche Ausbildung und Weiterbildung wird als Fertigkeitstraining in die Verantwortung der privaten Wirtschaft übertragen. Der Staat sieht sich hier nur in der Pflicht, sozusagen als soziales Sicherungssystem, bei Arbeitslosigkeit, Wiederein- gliederung von Arbeitskräften u. ä. helfend einzugreifen (Korea 1995, S. 181). Im folgenden werden insbesondere die staatlichen Maßnahmen zur Qualifizierung von Arbeitskräften thematisiert. Die betriebliche Bildungsarbeit der großen Firmen ist umfangreich und niveauvoll aber unstandardisiert und betriebsbezogen. Hier-könnten nur Fallstudien erhellendes Licht auf die Szene bringen. 240 6.2 Formale berufliche Bildung Bedingt durch die geringe gesellschaftliche Bewertung beruflicher Bildung bis in die 80er Jahre des vorherigen Jahrhunderts ist die Geschichte der koreanischen Berufs- schulen nicht sehr lang. Im Kapitel 4.3 wurde auf frühe, vereinzelte Gründungen landwirtschaftlicher, technischer und kaufmännischer Schulen nach der Öffnung Koreas hingewiesen. Als erste öffentliche Berufsschule gilt die Hansong Commercial and Technical High School, die 1899 in Seoul eröffnet wurde. Diese Schule bekam 1904 noch eine landwirtschaftliche Abteilung hinzu und wurde 1909 in drei eigenständige Vocational High Schools aufgeteilt (Lee, M.-K. 1983, S. 10). Auch über die Entwick- lung des Bildungssystems unter der japanischen Kolonialherrschaft wurde bereits im Kapitel 4.4 referiert. Die wenigen beruflichen Schulen, die den koreanischen Jugend- lichen offenstanden, waren nur sehr bedingt beliebt. Es waren schulische Sackgassen - es führte von ihnen kein Weg in das höhere Bildungswesen. Eine durchgreifende Ände- rung vollzog sich mit dem Einfluß des nordamerikanischen Schulwesens auf das koreanische Bildungssystem nach 1945. Berufliche Schulen wurden als "Vocational High Schools" (VHS) Teil des formalen Bildungssystems der dreijährigen Sekundarstufe (Klasen 10-12). Von diesen Schulen aus war und ist der Zugang zum tertiären Bildungssektor möglich, wenngleich deutlich schwieriger als von den General High Schools (GHS) aus. Die Statusverbesserung der VHS durch die formal-rechtliche Gleichstellung mit den GHS ist jedoch nicht zu übersehen und erhöhte die Akzeptanz spürbar. Die 50jährige Geschichte der VHS ist wechselvoll. In den frühen Jahren nach dem zweiten Weltkrieg kam es zu einem kräftigen Aufschwung der VHS, wie es die folgen- den Abb. 31 und 32 zeigen. Als die Welle der Jugendlichen von der Middle School zunehmend die High Schools erreichte, war der Abschluß der Sekundarstufe das Ziel der meisten Schüler. Danach traten sie auf den Arbeitsmarkt. Verständlicherweise waren dort die Chancen der VHS-Absolventen besser, als die der GHS. Schließlich verfügten jene über eine - wie auch immer rudimentäre - Einführung in arbeitsmarktfähige 241 Qualifikationen. So stieg der Anteil der VHS-Schüler an der Gesamtzahl der High School-Schüler von 1945 bis 1952 auf 56 % an. Warum es dann zu dem bemerkens- werten Rückgang an den Prozentanteilen kam, 1962 waren es nur noch 34 %, wird in der Literatur so erklärt (McGinn et al. 1980, S. 137): "Most vocationaVtechnical schools didn 't Junction weil before 1962 because the Ministry of Education lacked proper administrative controls, because it was difficult to recruit teachers from industry given the requirement of a formal degree, because there was a severe shortage of instructional materi- als in the Korean language, and because funds for operation were restricted (by the enormous demand on the govemment to expand primary and middle schools). As a result, the major part of the vocational high schools were vocational in name only. " Unter der Präsidentschaft von Park, Chun-Hee wurde die Bildungspolitik geändert. Das Bildungswesen sollte effizienter werden und sich verstärkt der technischen Erziehung widmen. Folglich wurden die VHSs, unter ihnen insbesondere die Technical High Schools, ausgebaut und später auch bei den Übergangsverfahren von der Middle School zur High School vorrangig behandelt. Es kam zu einem deutlichen Anstieg. Bis zu den frühen 70er Jahren kletterte der Prozentanteil recht kontinuierlich auf den 50 %-Wert. Die Erziehungsminister unter Präsident Park konnten allerdings das für das Jahr 1980 angestrebte Ziel bei weitem nicht erreichen. Zu diesem Zeitpunkt sollten 70 % aller High School-Schüler in Vocational High Schools eingeschult sein. Der Versuch, den Zugang zu den Hochschulen zu bremsen, und insbesondere die Absolventen der VHS daran zu hindern, ihren Bildungsweg im formalen System weiterzuverfolgen, ließ die Attraktivität der VHS nach 1973 wieder geringer werden. Die Verbindung beruflicher Qualifizierung mit dem Ausschluß von akademischer Bildung erinnerte auch an die Kolonialzeiten. So pendelt der Prozentanteil der VHS-Schüler an der Gesamtzahl von High School-Schülern in den letzten 20 Jahren so um die 41 %- bis 42 %-Marke herum. Die frühen 90er Jahre zeigen für manche Beobachter unerwartet wieder einen Anstieg der Prozentanteile der VHS. Damit wurde der vermutete Abwärtstrend, wie er sich von 1980 bis 1990 zeigte, nicht fortgesetzt (Georg 1991, S. 18). 242 Schüler der General High Schools und der Vocational High Schools 0 .,... ~ ~ ~ t- 0 M 'D ~ N .,... 00 ~ ~~ 'D 'D I- I- I- 00 00 00~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Jahre 1250 +--------------------c"-------'I..- 250 1500 -r---------------------~-- ~ 1000 +- ~C-...------ g\) 750 +- --#'''-_L- ~ 'a .c: u cn 500 +-------------1- =------- Quelle: Koreanische Statistiken. Abb.31 Prozentanteile von Vocational High School Schülern an der Gesamtzahl von High School Schülern 60 55 50 1: 45 ~ J: 40 .E 35 30 25 20 .,... :g :;; ~ I- 0 M 'D a- N .,... :;:: ~ .."...". 'D 'D I- I- I- I- 00 00 a-~ ~ ::; ::; ~ ::; ::; ::; ~ ~ ~ ::; ::; Jahre Quelle: Koreanische Statistiken. Abb.32 243 Über die Zukunft der Vocational High Schools ist Widersprüchliches zu hören. Es gibt den Plan - und auch schon Modellversuche - das dreijährige Schulprogramm der Technical High Schools um ein Jahr, die Klasse 12, für alle Schüler oder nur für einen Teil zu verkürzen. Dieses Jahr soll als eine Art Praktikum in der Wirtschaft abgeleistet werden. Zwar sollen die Jugendlichen danach das Abgangszeugnis der High School erhalten und damit die formelle Berechtigung zum Zugang in den tertiären Bildungs- sektor. Aber es ist unrealistisch anzunehmen, daß diese Abgänger nach einem Jahr Praxis noch eine Chance haben, die theoretischen Aufnahmeprüfungen für den Hoch- schulbereich zu bestehen. Die VHS, zumindest die Technical High School, würde damit tatsächlich zur Sackgasse. Der Gewinn für die Schulverwaltung wäre zwar beträchtlich: es geht um bis zu einem Drittel an Kapazität. Bei einem Bestand von insgesamt 831.248 Schülern, die 1993 in allen VHSs eingeschrieben waren, macht das bis zu 277.000 Ausbildungs- und Lern- plätze aus. Die Frage ist nur, ob die Rechnung aufgeht. Das heißt, ob und zu welchen Bedingungen die Betriebe bereit sind, die Jugendlichen zu übernehmen und ob Eltern und Jugendliche diesen geänderten Typ von High School annehmen. Eine schon angedeutete Prognose sagt voraus, daß die ausgebauten Kapazitäten des tertiären Bildungssektors im Jahre 2003 ausreichen werden, praktisch alle Jugendlichen eines Jahrgangs im Hochschulbereich zu versorgen. Dann wäre es wohl sinnvoll, die Klasse 12 der VHS an den Schulen zu erhalten und es Schülern auch dieser Schulen zu ermöglichen, ihre formale Ausbildung fortzusetzen. Dieses entspräche nicht nur der geschilderten Bildungsmentalität der Koreaner, sondern diente auch einer qualitativ besseren Berufsausbildung. Denn das Qualifikationsniveau der VHS liegt deutlich unter dem Standard von z. B. Gehilfen oder Facharbeitern bei uns in Deutschland. Wobei allerdings berücksichtigt werden muß, daß wir einen Schwerpunkt auf die berufliche Erstausbildung legen, was die Koreaner hingegen nicht tun. Bei der Diskussion um die VHS ist immer wieder die Frage nach der Übergangsmög- lichkeit in den tertiären Bildungssektor gestellt worden. Die VHSs werden in diesem 244 Fall dann mit den GHSs verglichen. Und in der Tat ist der Vergleich aufschußreich. Es läßt sich nämlich feststellen, daß im Vergleich der Übergangsquoten die VHSs seit 30 Jahren kontinuierlich schlechter abschneiden. Die folgenden Zahlen sind alle gerundet, weil es mir nur um das Aufzeigen von Trends geht. Alle Angaben stammen im übrigen aus statistischen Jahrbüchern der Bildungsverwaltung oder des Ministry of Education direkt oder aus Reproduktionen dieser Statistiken in der wissenschaftlichen Literatur. Aus den Jahren 1965 und 1975 zeigen die Zahlen der Abgänger der High Schools und der Aufnahmen im Hochschulbereich folgendes Bild (Abb. 33). Übergang von High School-Absolventen in den Hochschulbereich 1965. 1975 Absolven- in Aufnah- in Absolven- in Aufnah- in ten % men % ten VHS % menin % GHS in Hoch- Hochschu- schulen len 1965 64.500 100 29.500 46 47.000 100 8.000 17 1975 137.000 100 57.000 42 126.000 100 11.000 8 Abb.33 Vergleicht man die absoluten Zahlen, so sind die Größenordnungen der Absolventen beider Typen von High Schools ähnlich. In den Übergangsquoten unterscheiden sie sich aber deutlich. Bei den VHS-Absolventen ist die Quote der Bewerber um einen Hoch- schulplatz mit 30,5 % deutlich niedriger als bei den Schülern mit Abschluß der GHS. Die Erfolgsaussichten der Bewerber aus den Vocational High Schools sind zudem wesentlich schlechter. Etwa zwei Drittel der Bewerber aus den GHSs, aber nur die Hälfte der Bewerber aus den VHSs, schaffen den Sprung in den tertiären Bildungs- sektor. Wer für seine Kinder einen Studienplatz im Hochschulwesen anstrebt, tut tatsächlich gut daran, die GHS besuchen zu lassen. Die Chance für den Sprung in eine Hochschule ist viermal höher als nach dem Besuch einer VHS. Gleichwertige Alternati- ven sind in dieser Hinsicht die beiden High School Typen nicht. Da sich die Besucher- quote der VHS aber doch so um die 40 % eines Jahrgangs herum bewegt, muß dem 245 ständig zunehmenden Verlust an Attraktivität bezüglich des Zugangs zum tertiären Bildungssektor etwas anderes entgegenstehen. Das tut es auch: Die Beschäftigungs- chance nach Absolvierung der VHS ist ausgesprochen gut (Abb. 34). Verbleib der High School-Absolventen ohne Studienplatz 1993 Anzahl % beschäftigt % arbeitslos % unbekannt % GHS Absolven- 153.000 100 38.000 25 40.000 26 75.000 49 ten VHS Absolven- 224.000 100 195.000 87 10.500 5 18.500 8 ten Abb.34 Es ist nicht unrealistisch, daß 87 % der VHS-Absolventen unmittelbar nach Schul- abschluß einen Arbeitsplatz finden. In der koreanischen Presse wird regelmäßig für den Besuch der VHS mit dem Hinweis auf gute Beschäftigungsmöglichkeiten geworben. Gerne wird auf Schulen verwiesen, die alle ihre Absolventen untergebracht haben. So zitierte eine koreanische Tageszeitung 1992 das Interview mit einem Schulleiter (The Korea Herald 1992): "The principal added that the schools would have a hard time this summer giving companies enough employees - because 0/ shortage 0/ graduates. " Der leichte Rückgang von 46 % auf 42 % beim Übergang von Absolventen der GHS in die Hochschulen im Jahrzehnt von 1965 bis 1975 ist wahrnehmbar, aber nicht dramatisch. Voraussichtlich lag der Rückgang am verzögerten Ausbau der Hochschulen. Für die Absolventen der VHS verschlechterte sich die Zugangsmöglichkeit zum Hoch- schulwesen hingegen jedoch beträchtlich. Die Übergangsquote halbierte sich in jenem Zeitraum von 17 % auf 8 % (vergl. Abb. 33). 246 Wie sieht das Bild fast 20 Jahre später aus (Abb. 35)? Übergangsquoten von High School-Absolventen in den Hochschulbereich 1993 Absolventen in Bewerbungen in Aufnahmen in GHS % an HS % in HS % 424.000 100 380.000 89,5 271.000 64 Absolventen in Bewerbungen in Aufnahmen in VHS % anHS % in HS % 264.000 100 80.700 30,5 40.000 15 Abb.35 Die Situation hat sich deutlich verändert. Von den Absolventen der General High Schools bewerben sich fast 90 % um einen Studienplatz. Damit wird ganz deutlich, daß die GHS als Zubringer zum Hochschulbereich gesehen wird. Das Ausmaß der Kon- kurrenz um die Aufnahme an Hochschulen wird sichtbar: Nur 64 % schaffen es. Ein gutes Drittel der GHS-Absolventen hat bereits am Ausgang ihrer Schulzeit den Traum einer beruflichen Top-Karriere ausgeträumt. Denn die Beförderungsstrukturen sehen in Korea ganz anders aus als in Deutschland, wo jeder Lehrling "den Marschallstab im Tornister hat", also bei Leistung und Glück beliebig weit innerbetrieblich aufsteigen kann. Der formale Bildungsabschluß bleibt auch nach Einstellung in einem Betrieb ein entscheidendes Kriterium für die Karrieremöglichkeit (Georg 1990, S. 67, 70): "Der formale Bildungsabschluß stellt die wichtigste Zugangsvoraussetzung zu den jeweiligen vertikal weitgehend voneinander abgeschotteten Teilar- beitsmärkten (dar)... Das mehrfach abgestufte oberste Segment der Beschäftigungsverhältnisse rekrutiert sich fast ausschließlich aus Absolventen eines vierjährigen Hoch- schulstudiums. " 247 Wissenschaftliche Quellen belegen die besseren Beschäftigungschancen von VHS- Absolventen gegenüber GHS-Absolventen seit den letzten 15 Jahren. Zu Beginn der 80er Jahre lag die Beschäftigungsquote der VHS-Abgänger allerdings erst um die 50 % und stieg dann an (Rütters 1991, S. 57; Lim, S.-Y. 1989, S. 72). Die Arbeitslosenquote unmittelbar nach Schulabschluß dürfte bei den Absolventen der General High Schools wesentlich höher als 26 % sein (vergl. Abb. 34). Lim vermutet sicher zu recht, daß sich unter der Rubrik "49 % unbekannt" eine große Gruppe Arbeitsloser verbirgt. Da es aber für die Absolventen 1993 noch keinerlei Arbeitslosenunterstützung gab, haben sich vermutlich aus Scham viele nicht als arbeitslos bei den Ämtern gemeldet. So wahrten sie wenigstens ihr Gesicht (Lim, S.-Y. 1989, S. 72). Einige Tausend aus der Rubrik "unbekannt" dürften vom non-formalen Berufsbildungs- system aufgenommen worden sein. Da diese Maßnahmen aber unter dem Arbeits- ministerium geführt werden, taucht im Statistischen Jahrbuch des MOE keine Rubrik "in der Berufsausbildung" auf. Wie dem auch sei, seit langem sind die Absolventen der General High Schools die größte Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt. "Vocational High School" ist eine Gruppenbezeichnung für eine Mehrzahl von Schulen, die teilweise fachliche und teilweise regionale Bedürfnisse abdecken. Sechs Schultypen lassen sich unterscheiden. 1. Agricultural High School Die landwirtschaftlichen High Schools gehören inzwischen quantitativ zu einem weniger bedeutsamen Bildungssektor. Etwa 2,5 % aller VHS-Schüler besuchen diese Schulart. Wie sich vermuten läßt, bezieht sich der Ausbildungsplan auf Landwirtschaft, Getreide- kunde (Reisanbau), Viehzucht und Lebensmittelveredelung. 2. Technical High School Die technischen High Schools sind seit Anfang der 60er Jahre unter Präsident Park gefördert und ausgebaut worden. Knapp 30 % der VHS-Schüler werden von THSs aufgenommen. Die THSs arbeiten nach unterschiedlichen Programmen und Spezialisie- 248 rungen. Man unterscheidet: Mechanical High School. Das sind Ausbildungsstätten für Feinmechaniker. Demonstrative Technical High School. Hier werden technische Fachkräfte, die für koreanische Finnen im Auslandseinsatz benötigt werden, ausgebildet. Es handelt sich insbesondere um Baufacharbeiter. Specialized Technical High School. Die Ausbildungsprogramme dieser Schulen beziehen sich auf speziellen Fachkräftebedarf, wie z. B. Elektronik, Chemiever- arbeitung, Eisenbahnwesen. General Technical High School. Dieser Schultyp einer allgemein-technisch-berufli- ehen Ausbildung wird nicht mehr gefördert. Die Regierung versuchte seit den 80er Jahren, diese Schulen an die Industrie loszuwerden. Ob es sie überhaupt noch gibt, ist fraglich. In der neueren Literatur werden sie nicht mehr erwähnt. 3. Commercial High School Die am stärksten vertretenen Kursangebote sind: Handel, Datenverarbeitung, Buchhal- tung und internationaler Handel. Diese Schulen stellen das größte Segment der VHSs dar. Sie werden von rund 40 % aller VHS-Schüler besucht. 4. Fishery and Marine High School Nicht einmal 1 % der VHS-Schüler besuchen diese Schulen. Sie sind mithin quantitativ bedeutungslos. Die meistbesetzten Kurse sind Fischfang, Motorenkunde und Fischzucht. 5. Vocational High School Diese Bezeichnung für eine Untergruppe ist nicht sehr glücklich, aber in der englisch- sprachigen Literatur Koreas durchgängig üblich. Es handelt sich hier um Schulen, die zwei oder mehr berufliche Fachrichtungen anbieten. Dies können z. B. zwei technische Fachrichtungen sein oder eine Doppelzügigkeit von Landwirtschaft und Technik. Mit knapp 6 % aller VHS-Schüler spielt dieser Schultyp keine überragende Rolle. 249 6. Comprehensive High School Diese Schulen kombinieren Programme von General High Schools und Vocational High Schools, bieten also einen allgemeinbildenden Zug neben einem berufsorientierten Bildungsgang an. Diese Schulen sind vor allem in ländlichen Gegenden zu finden, in denen das Schülerpotential nicht ausreicht, getrennte Schulen zu errichten. Immerhin binden diese Schulen noch ungefahr 22 % aller VHS-Schüler. Sieht man sich die Entwicklung der VHS in den letzten 25 Jahren an (Abb. 36), so läßt sich folgendes anmerken. Die Nachfrage nach land- und fischwirtschaftlicher Aus- bildung ist durch den zunehmenden Industrialisierungsprozeß deutlich gesunken. Die Commercial High Schools haben wahrscheinlich ihre führende Rolle im Kreis der VHSs behalten. Ganz genau läßt sich das jedoch nicht klären. Es gibt keine mir bekann- te Statistik, die transparent macht, welche Fachrichtungen in den Vocational High Schools (Untergruppe!) und den Comprehensive High Schools angeboten werden. Die deutlich höchsten Zunahmen sind aber gerade bei diesen beiden Schultypen zu be- obachten. Wenn sich nun diese Schulen besonders in ländlichen Regionen finden lassen, spricht die Verdoppelung der Schüler dieser Schulen für eine verbesserte Versorgung der ländlichen Gebiete mit VHSs. 250 Entwicklung und Veränderung der VHS in den letzten 25 Jahren 1978 1993 1978-1993 Anteil in Anteil in Verände- Schüler % an allen Schüler % an allen rungin % Schulen Schulen Agricultural HS 47.000 8 19.000 2 40 Technical HS 149.000 27 248.000 29 160 Commercial HS 233.000 42 344.000 40 148 Fisheryand Marine HS 9.000 2 6.000 1 66 Vocational HS 25.000 5 49.000 6 196 Comprehen- sive HS 90.000 16 186.000 22 206 Summe 553.000 100 852.000 100 154 Zahlen gerundet. Quellen: KOIS 1978, S. 46; NBEE 1994, S. 311 ff. Abb.36 Eine Momentaufnahme der Situation der Vocational High Schools zeigt die Abb. 37. Es sind Zahlenangaben aus dem Statistischen Jahrbuch des Erziehungsministeriums aus dem Jahr 1994. 251 IV VI . IV V oc at io na lH ig h Sc ho ol s 19 93 Sc hu le n Sc hü le r v o n a lle n v o n a lle n Sc hü le rn Sc hü le rn im in öf ftl . in pr iv . w ei bl ic h A be nd un te r. öt Te nt l. pr iv at ge sa m t Sc hu le n Sc hu le n ge sa m t A gr ic ul tu ra l H S 27 - 27 19 .4 12 - 19 .4 12 29 % - T ec hn ic al H S 97 64 16 1 13 7. 90 6 11 0. 32 2 24 8. 22 8 7% 11 % C om m er ci al H S 91 15 0 24 1 83 .4 78 26 0. 15 9 34 3. 63 7 86 % 13 % Fi sh er y a n d M ar in e H S 9 - 9 5. 61 4 - 5. 61 4 6% - V oc at io na l H S 41 11 52 30 .0 34 18 .8 64 48 .8 98 54 % 7% C om pr eh en siv e H S 15 5 93 24 8 83 .1 07 10 2. 59 9 18 5. 70 6 65 % 6% 42 0 31 8 73 8 35 9. 55 1 49 1. 94 4 85 1. 49 5 53 % 10 % Qu ell e: N BE E 19 94 ,S .3 11 ff. A bb .3 7 Auch im Bereich der Vocational High Schools konkurrieren staatlich-öffentliche und private Schulen. Jedoch nicht auf allen Gebieten: alle land- und fischereiwirtschaftlichen Schulen sind staatliche Schulen. Besonders stark vertreten sind die Privatschulen im Bereich der Handelsschulen. Hier übernehmen sie mehr als 75 % der Schüler. Der Grund für das besonders hohe Engagement der privaten Anbieter im kaufmännischen Sektor liegt wahrscheinlich auch an den vergleichsweise niedrigen Ausrüstungskosten für Schülerarbeitsplätze in Handelsschulen. Einrichtung und Betrieb von Werkstätten und Laboratorien in z. B. Technical High Schools schlagen dagegen wesentlich höher zu Buche. Die Finanzierung berufsbildender Einrichtungen, die sowohl Praxis als auch Theorie vermitteln, ist schwierig und ein weltweites Problem. Die staatlichen VHSs werden in Korea durch den Haushalt des Erziehungsministeriums finanziert. Ein Teil des Budgets kommt durch Schulgelder, die die Eltern zu zahlen haben, zustande. 1988 war das ein Betrag von jährlich etwa 440 US $ zuzüglich eines Unterstützungsbeitrages für die Schule von etwa 70 US $. Inzwischen sind die Beträge um einiges höher, wie im folgenden noch dargestellt wird. Die privaten Schulen müssen sich überwiegend aus Aufnahmegebühren, Schulgeldern und Unterstützungsgebühren finanzieren. Die privaten Träger können die Höhe des Schulgeldes nicht frei entscheiden. Sie sind gezwungen, sich an staatliche Vorgaben zu halten. In den Großstädten sind es die gleichen Sätze wie bei den staatlichen Schulen. In ländlichen Gebieten liegen die Gebührensätze generell niedriger, die der pirvaten VHSs aber über den Schulgeldsätzen der staatlichen Schulen. Die Schulgelder reichen zur Finanzierung nicht aus, der Staat muß beträchtliche Mittel zur Unterstützung der privaten Schulen bereitstellen. Trotz dieser staatlichen Unterstützung gilt die finanzielle Ausstattung der privaten VHSs als deutlich schlechter als die der staatlichen (Rütters 1988, S. 23): "Während die Leiter der öffentlichen Schulen mit ihrer finanziellen Situation einigermaßen zufrieden waren, klagten die privaten Schulen über massiven 253 Geldmangel. Insbesondere den privaten Technical High Schools ist es wegen der notwendigen teuren Maschinen und Geräte kaum noch möglich, einen anspruchsvollen Unterricht durchzuführen. " Die statistischen Unterlagen, soweit sie mir zur Verfügung stehen, schlüsseln die Finanzierung der privaten High Schools nicht nach "General High Schools" und "Voca- tional High Schools" auf. Für die von den Eltern zu erbringenden Leistungen läßt sich jedoch einiges aussagen. Die Schulgelder sind nach sechs Zonen gestaffelt. Die höch- sten Gebühren werden in Seoul erhoben, die niedrigsten in entfernten Gegenden und auf Inseln (Abb. 38). Jährliche Schulgebühren (in DM) für den Besuch von Vocational High Schools. 1993 1. Staatliche Schulen Großstadt Land Schulgeld 1.240,-- 428,-- Schul- unterstützungsgeld 270,-- 197,-- 1.510,-- 625,-- 2. Private Schulen Großstadt Land Schulgeld 1.240,-- 655,-- Schul- unterstützungsgeld 270,-- 197,-- 1.510,-- 852,-- Quelle: NBEE 1994, S. 808 (500 Won =1 DM). 254 Abb.38 Die Finanzierung der privaten High Schools (General- und Vocational High Schools zusammen) erfolgte 1993 aus folgenden Quellen (Abb. 39). Finanzierung der privaten High Schools in % Schulgebühren 57 % staat!. Zuschuß 32 % Zuschuß des Trägers 3% Zuwendungen Dritter 8% 100 % Quelle: MOE 1994, S. 46. Abb.39 Ein Vergleich der Größen der Schulen zeigt, daß sich die Anzahl der Schüler je Schule in den letzten 16 Jahren in der Regel verringert hat. Diese Tatsache läßt sich wohl überwiegend mit einer deutlichen Verringerung der Klassenstärke erklären. Lag nach Rütters 1988 der durchschnittliche Wert bei 56 Schülern je Klasse einer VHS (Rütters 1988, S. 29), so waren es 1993 noch 46 Schüler. Die staatlichen Schulen liegen mit einem Durchschnittswert von 44,7 Schülern je Klasse merklich vor den privaten VHSs mit einem Wert von 48,4. Für berufliche Schulen sind diese Zahlen aus deutscher Sicht immer noch erheblich zu hoch. 46 Schüler sind schon im Theorieunterricht schwierig zu übersehen. Die übliche Zweiteilung der Klassen im Praxisunterricht bringt mit 23 Schülern je Lehrperson erhebliche Ausbildungs- und Sicherheitsprobleme mit sich. Aus der Abb. 40 läßt sich aber neben dem Trend zur Verringerung der Schülerzahlen je Schule auch ablesen, daß die privaten VHSs wesentlich größere Systeme darstellen, als die staatlichen Schulen, sie sind heute im Schnitt fast doppelt so groß. 255 Schüler je Schule 1993 (1977) staatliche private VHS VHS Agricultural 720 - HS (770) (200) Technical 1.420 1.720 HS (1.940) (1.950) Commercial 920 1.730 HS (1.230) (1.340) Fishery and 620 - Marine HS (1.010) (2.570) Vocational 730 1.720 HS (1.130) (1.330) Comprehensive 540 1.100 HS (660) (2.280) 860 1.550 durchschnittllieh (1.110) (1.480) Quellen: NBEE 1994, S. 311 ff.; KOIS 1978, S. 46. Abb.40 Der Anteil an Schülerinnen ist mit 53 %, bezogen auf alle VHS-Schüler, nicht beson- ders auffällig. Wenn man die VHS als nicht sonderlich prestigeträchtig einschätzt, ist anzumerken, daß eine deutliche Überrepräsentanz von Frauen, was zugleich ein Indika- tor für Unterprivilegierung wäre, nicht auszumachen ist. Daß die Technical High Schools von männlichen Jugendlichen dominiert werden, ist nicht erstaunlich. Aus- bildung in technischen Richtungen ist auch in anderen Kulturen ganz überwiegend jungen Männem vorbehalten. Die Häufung von Mädchen in den Handefsschulen ist sozusagen die Kehrseite der Medaille. In Deutschland sind bei den von männlichen Jugendlichen zehn meistgewählten Ausbildungsberufen acht Berufe aus dem technisch- gewerblichen Bereich. Platz 8 und 9 nehmen kaufmännische Berufe ein. Bei den von weiblichen Jugendlichen am häufigsten gewählten Berufen handelt es sich um sieben kaufmännische Berufe, zwei Helferberufe (Arzt- und Zahnarzthelferin stehen in der 256 Rangliste ganz oben) und den Beruf "Friseuse". Hier zeigt sich ein Unterschied in den Bildungssystemen der beiden Länder. In Korea gibt es praktisch keine Helferausbildung auf der Sekundarstufe. Weniger als ein Promille der Lernenden an den VHSs werden zu Krankenschwestern qualifiziert, im Jahr 1993 waren es ganze 580. Bemerkenswert ist, daß 1993 noch 10 % der VHS-Schüler Abendschulen besuchten. Dies deutet auf eine große Anzahl junger Erwachsener hin, die nach Abschluß der Middle School ins Arbeitsleben gingen und nun versuchen, ihren High-School-Abschluß nachträglich zu erreichen. Wie sieht nun das Curriculum der VHS aus? Die Vocational High Schools dienen streng genommen zwei Zielen. Sie sollen die Schüler so qualifizieren, daß sie Anschluß an Bildungsrnaßnahmen im tertiären Bildungssektor finden. Andererseits sollen sie die Jugendlichen dazu befähigen, auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Diese Doppel- qualifizierung, nämlich Studierfähigkeit und Arbeitsfähigkeit, in einem dreijährigen Bildungsgang der Sekundarstufe zu verwirklichen, ist die Sehnsucht vieler Bildungs- planer. Die Realisierung gleicht jedoch der Quadratur des Kreises. Es liegt auf der Hand, daß die GHSs auf dem Gebiet der Allgemeinbildung und damit für die Studierfä- higkeit wesentlich mehr leisten können, als die VHSs. Ebenso einleuchtend ist, daß die VHSs sich nur mit etwa "halber Kraft" der beruflichen Ausbildung widmen können und daher nur eine vergleichsweise eingeschränkte Arbeitsfähigkeit bei den Lernenden entwickelt wird. Wenn die VHS-Absolventen auf dem Arbeitsmarkt relativ gut unter- kommen, so liegt das nur daran, daß die koreanischen Betriebe es gewohnt und auch dazu bereit sind, eine arbeitsplatzbezogene Einarbeitung selbst vorzunehmen. Möglicher- weise schätzen die Unternehmer das Ergebnis der disziplinierenden Methoden des VHS- Unterrichts. Kim, J.-S. hat dazu charakterisierend und kritisch angemerkt (Kim, J.-S. 1992, S. 281, 309): "Obwohl neue Bildungsziele nach der Unabhängigkeit von Japan zur Förde- rung einer positiven und autonomen Persönlichkeit gewünscht worden sind, wird der Gehorsam durch die hierarchisch-uniforme Lemorganisation und Lehrmethode noch primär entwickelt... 257 Im Praxisunte"icht der technischen Oberschulen in Korea wird die soge- nannte Vier-Stufen-Lehrmethode üblicherweise eingesetzt, in der die Schüler vom Lehrer einfach belehrt werden und dessen Anweisungen ohne Abwei- chung durchgeführt werden müssen, wobei ein fester Lernweg und bestimmte Lerninhalte vorgesehen sind. Dieser Unterrichtstyp paßt zu den Lern- und Lehrgewohnheiten der Lehrer und Schüler." Es kann nicht verwundern, wenn in der kurzen Geschichte der Vocational High Schools der Streit zwischen den Eltern, die besonders auf Studierfähigkeit ihrer Kinder heraus- wollten und dem Ministry of Education, das insbesondere die Arbeitsfähigkeit der Schüler fördern wollte, um die Ströme der Absolventen der High Schools weg vom tertiären Bildungssektor und hin zum Arbeitsmarkt zu lenken, die curriculare Aus- formung der VHSs bestimmte. Bis zur Curriculumrevision von 1981 galt folgende Regel: Für allgemeinbildende Fächer waren 30 % Zeitanteile vorgesehen. Für berufliche Fächer 70 %, und zwar je zur Hälfte für theoretische Fächer und praktische Unterweisung. Aufgrund des Drucks der Elternschaft wurden die Anteile in der Curriculumreform von 1981 deutlich verschoben, und zwar in der Richtung von mehr Allgemeinbildung und bei den beruflichen Fächern zu mehr Theorie. Möglicherweise ist diese Verschiebung dem Ministerium nicht ganz ungelegen gekommen. Denn die teuren Lehranteile in den VHSs sind die lehrerintensiven, material- und energieverbrauchenden praktischen Anteile. Wie auch immer, jetzt gelten 43 % für angemessen als Anteil der Allgemeinbil- dung. 57 % entfallen auf Berufsbildung. Die Abb. 41 zeigt als Beispiel dafür den Stundenplan einer Technical High SchooI. 258 Curriculum einer Mechanical High School Klasse 10 Klasse 11 Klasse 12 Morallehre 1 1 1 Koreanisch 2 2 3 Socia! Science 3 3 Mathematik 3 1 - Science 3 1 - Sport 1 1 1 Militär. Übg. I 2 2 Kunst 1 I - Englisch 3 1 - Wahlfach I 3 7 (Math., Physik, Chemie) Allgemeinbild. Fächer 16 16 17 Industrielehre 1 - - Prakt. Training (Grund!.) 9 - - Techn. Zeichnen 3 3 3 Mechanik 4 - - Konstruktion - 2 2 Elektronik 1 - - EDV - 1 1 Prakt. Training (Aufbau) 10 10 Maschinenarbeit 1 2 - Materialkunde 1 2 - Mot. Antriebe - - 2 Techn. Englisch - - 1 Wahlbereich 2 2 2 Berufliche Fächer 22 22 21 Summe Wochenstunden 38 38 38 Abb.41 Rechnet man das praktische Training über die drei Jahre zusammen, dann kommt man auf ungefähr 1000 Stunden Praxis. Das entspricht etwa einem Drittel dessen, was ein deutscher Jugendlicher in seiner dreijährigen Lehrzeit absolvieren muß. Allerdings bekommt der deutsche Jugendliche mit dem Abschluß seiner Lehre keinen (und wenn auch nur überwiegend fonnalen) Zugang zum Hochschulbereich. 259 Für die praktische Ausbildung wird an den THSs, wie zu sehen ist, ein relativ geringer Zeitraum veranschlagt. Möglicherweise ist nicht einmal das Stundenvolumen der kritische Punkt. In einer offiziösen Schrift der Korea Manpower Agency heißt es, daß die Technical High Schools bei Einrichtungen und Werkzeugen für Experimentalunter- richt und praktisches Training 1993 nur 44,2 % vom eigentlich vorgeschriebenen Ausrüstungsstandard erreichten. Auch hätten die meisten Lehrkräfte keine praktische Arbeitserfahrung (Kirn, T.-D. 1995, S. 32). Nun ist allgemein bekannt, daß die Praxis in Schulen häufig mit der Praxis in Betrieben wenig gemein hat. Daran läßt sich auch nur bedingt etwas ändern. Nachzufragen ist, ob und inwieweit die schulische Praxis durch betriebliche Praktika ergänzt wird. In Korea zeigt sich diesbezüglich ein merkwürdiges Bild, in dem Theorie und Realität weit auseinanderfallen. Von Politikern, Ministerial- beamten und auch Erziehungswissenschaftlern wird durchgängig beschworen, wie wichtig eine Zusammenarbeit von berufsausbildenden Einrichtungen mit den lokalen Betrieben ist. Das Stichwort heißt: "Education-Industry-Cooperation". So wurde bereits mit Beginn des ersten Fünfjahresplanes, 1963, im "Industrial Educa- tion Promotion Act" die Regierung aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, technische Ausbildung in einer engen Beziehung von Schulen und Wirtschaft zu organisieren. 1973 wurde das Gesetz revidiert. Seitdem heißt es in Artikel 3 (zitiert nach Lee, M.-K. 1991, S.266): "All students attending schools where industrial education is given should complete the industrial training in industries /or a jixed period 0/ time. " Im Durchführungserlaß zu diesem Gesetz wurde festgelegt, daß die Länge des Prakti- kums ein bis sechs Monate dauern soll. Insofern gibt es eine klare gesetzliche Grundlage für eine Kooperation zwischen dem Bildungssystem und der Wirtschaft. In den offiziellen Veröffentlichungen von z. B. MOE wird dann die Education-Industry-Cooperation auch so dargestellt, als vollzöge sie sich problemlos. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, wie schwierig eine gute Zusammen- arbeit von Schulen und Betrieben aus traditionell-kulturellen Gründen in Korea ist. 260 Trotz des vorhandenen Gesetzes läßt das Erziehungsministerium eine Mitsprache der Industrie bei der Entwicklung und Revision von Curricula der THSs nicht zu. An den beruflichen Abschlußprüfungen, die unter Hoheit des Ministry of Labour stattfinden, ist die Wirtschaft auch nicht beteiligt. Es versteht sich also fast von selbst, daß die Betriebe für Praktika von THS-Schülern nicht sonderlich leicht zu gewinnen sind. Es gibt gelegentlich Situationen - das soll zugegeben werden - in denen die Betriebe mitma- chen. Insbesondere bei drastischem Arbeitskräftemangel versuchen Betriebe, über Praktikumsangebote Mitarbeiter anzuwerben. Überwiegend sieht die Realität nicht so günstig aus (Lim, S.-Y. 1989, S. 75 f.): "Der Bedeutung des Lernortes Betrieb wird im Curriculum der technischen Oberschulen dadurch Rechnung getragen, daß ein Betriebspraktikum im 2. Halbjahr des 3. Schuljahres eingeplant ist. Die Betriebe sind entsprechend Artikel 3 - 2 des Industrial Education Promotion Law verpflichtet, Praktikan- tenstellen zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. Trotz dieser Verpflichtung sind die Firmen kaum geneigt, eine solche Prakti- kantenausbildung in Zusammenarbeit mit den Schulen ausbildungsgerecht durchzuführen. Die Schulen bemühen sich daher schon recht frühzeitig um entsprechende Praktikantenplätze. Dies hat tendenziell zur Folge, daß das Betriebspraktikum des 3. Schuljahres häufig bereits ins erste Semester fällt, mithin den Lehrern kaum Zeit bleibt, die Schüler auf diesen Teil der prakti- schen Ausbildung systematisch vorzubereiten. Eine starke Diskrepanz zwi- schen Ausbildungszielen und Ausbildungsergebnis ist die Folge." Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Rütters in seiner Untersuchung der VHSs (Rütters 1988, S. 25): "Die einzelnen Schulen unterhalten keine formellen Beziehungen zu den Unternehmen. Einzelne Schulleiter berichteten von mehreren Versuchen, die Unternehmen stärker in die Schularbeit einzubeziehen. Diese Versuche sind bis heute gescheitert. " Soviel zunächst zu den Vocational High Schools. Nicht alles, was im tertiären Bildungssektor Koreas angeboten wird, ist in unserem Sinne akademisch oder mit akademischen Graden verbunden. Von daher ist es sinnvoll 261 und notwendig, auch einen Teil des Bildungsangebots, das nach der Sekundarstufe gemacht wird, noch zur beruflichen Bildung in unserem Sinne zu rechnen. Nach vorherrschendem Selbstverständnis bezieht sich die deutsche Berufspädagogik ja vornehmlich auf die nicht-akademische, berufliche Aus- und Weiterbildung. Allerdings weichen die Grenzen zwischen Berufsausbildung und Hochschulstudium auch bei uns etwas auf. Es gibt inzwischen eine vielgestaltige Landschaft von Initiativen und Modell- versuchen zu dualen Ausbildungen unter Beteiligung von Hochschulen. Insbesondere gilt das für den kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Berufsbereich (Konegen-Grenier/ Kramer 1995). Bei der Betrachtung der Bildungsverhältnisse in Korea ist, wie schon erwähnt, nicht immer ganz zweifelsfrei zwischen beruflicher und allgemeiner oder im tertiären Sektor zwischen akademischer und nicht-akademischer Bildung zu unterscheiden. Der wesentli- che Trennungsstrich liegt zwischen formaler Bildung und nicht-formaler Bildung. Das, was zum formalen Bildungssystem gehört, und zwar von der Primary School bis zu den postgradualen Studiengängen an Universitäten, wird in einem einzigen Ministerium (Ministry of Education) verwaltet. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob es sich um all- gemeine oder berufsqualifizierende Fächer oder Schulen handelt. Am Organigramrn des Ministry of Education (MOE) zeigt sich, daß bei der Bildungs- verwaltung zwei Organisationsprinzipien angewendet werden. Einmal ist es das Schul- stufenprinzip und zum anderen das Fachprinzip. Alles nämlich, was im Bildungswesen als (natur)wissenschaftlich-technisch und/oder beruflich verstanden wird, ist in einer Hauptverwaltung zusammengefaßt. Die folgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus der Organisationsstruktur des MOE. Von den acht Hauptabteilungen sind nur die drei für den vorstehenden Zusammenhang wichtigen in Abb. 42 dargestellt. 262 Organigramm des Ministry of Education (Ausschnitt) Minister I Vice Minister I I I I Elementary + Secondary Science + Technology University Education Education Bureau Education Bureau Office I I I School Administration Vocational Education University Education Division Division Administration Division School Finance Science Education University Education Division Division Finance Division Compulsory Education Junior College University Education Division Administration Academic Affairs Division Early Childhood Junior College Academic Research Education Officer Academic Affairs Promotion Division Quelle: MOE 1994, S. 37. Abb.42 Die Junior Colleges (JCs) werden demnach administrativ in der Nähe von "Vocational Education" angesiedelt und beide werden unter "Science and Technology Education" geführt. Unter "Science" werden hier nicht nur die Naturwissenschaften verstanden, sondern alle mehr oder weniger "exakten" Wissenschaften, wie z. B. Ingenieurwissen- schaften, Agrarwirtschaft oder Hauswirtschaft. Nun läßt sich Berufsausbildung eigent- lich nicht einfach unter "exakten Wissenschaften und Technologie" subsumieren. Aber die wissenschaftlich-technischen Aspekte sind wahrscheinlich aus der Sicht des Ministe- riums die eigentlich wichtigen Anteile beruflicher Bildung, wenn es darum geht, einen Beitrag zur wirtschaftlich-industriellen Entwicklung des Landes zu leisten. Obwohl nur die Hälfte der JC-Programme dem technischen Bereich zuzurechnen sind, lautet die allgemeine ministerielle Beschreibung so (MOE 1994, S. 69, 72): "A junior vocational college is a two or three year post-secondary program leading up to 14th grade level and is the direct outgrowth 01 the increasing 263 demand tor technical manpower attend to rapid industrialization... The future roles 0/ vocational education at junior colleges in furthering industrialization and technological development is receiving growing recog- nition. " Ursprünglich waren die Junior Colleges als "basic higher education" im Erziehungs- gesetz von 1948 vorgesehen. Sie waren zweijährig und boten Qualifikationsmöglichkei- ten in Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Sozialwissenschaften. Mit dem ersten Fünfjahresplan, in dem auch die Technical High Schools besonders gefördert wurden, wurden 1963 die ersten zehn Junior Technical Colleges gegründet. Diese Schulen gab es in zwei Formen. Zum einen fünfjährig als Anschluß an die Middle School, zum anderen zweijährig für Absolventen der High School. Nachdem es nun üblich wurde, daß alle Middle School-Abgänger auf High Schools überwechselten, verlor der fünfjährige Schultyp seine Zielgruppe. Die ursprünglich eher allgemeinbilden- den JCs und die zweijährigen JTCs, wurden 1979 zusammengefaßt und werden seitdem entweder als "Junior Vocational College" (MOE) oder auch nur als "Junior College" (NBEE) bezeichnet. Ganz überwiegend sind die Programme zweijährig. Es gibt aber Ausnahmen wie im medizinisch-pharmazeutischen Bereich. So werden z. B. Kranken- schwestern dreijährig ausgebildet. Die JCs gehören zum Bereich "Higher Education" und sind damit Hochschulen. Sie verleihen aber keinen akademischen Grad. Nicht einmal ein Diplom, sondern ein Zertifikat. Den "eigentlichen" beruflichen Titel, wie z. B. Engineer, Craftsman oder Book-keeper, kann man nur nach einer weiteren Prüfung, die vom Arbeitsministerium abgenommen wird, erwerben. Dazu Näheres im Kapitel 6.3. Die nächste Tabelle (Abb. 43) zeigt die stürmische Entwicklung der Studentenzahlen an den Jes. Dieser Anstieg ist nun keineswegs nur, wie das vorstehende Zitat aus einer Broschüre des MOE vermuten läßt, die Folge eines wachsenden Bedarfs der Industrie. Vielmehr zeigt sich hier, wie die Welle der Bildungswilligen nun im Hochschulbereich ankommt. Nachdem fast alle Jugendlichen die Middle School abschlossen, füllten sich 264 die High Schools. Als dann praktisch der ganze Jahrgang die High School durchlief, setzte der Ansturm auf den tertiären Bereich ein. Mehr als die Hälfte einer Alters- kohorte hat schon im Hochschulbereich Einzug gehalten. Wie schon erwähnt, könnte es das Jahr 2003 sein, ab dem die überwältigende Mehrheit der koreanischen Jugendlichen 14 Jahre oder mehr zur Schule gehen. Entwicklung der Studentenzahlen an Junior Colleges von 1965 bis 1994 600000 500000 400000 300000 200000 100000 0 .,.., 10 ~ ----_._------- Jahre Quelle: NBEE 1994, S. 627. Abb.43 Für den Zugang zu den Jes gilt grundsätzlich der Abschluß der High School als Voraussetzung. Seit 1994 besteht die Aufnahmeprozedur aus einer Mischung von anzuerkennenden Schulleistungen und den Ergebnissen aus einem schriftlichen und mündlichen Eingangstest und einem Eignungstest. 30 % bis 50 % der Studienplätze sollen an Absolventen von Vocational High Schools vergeben werden, wenn sie in ihrer Fachrichtung die Ausbildung fortsetzen wollen. Nach einer Verordnung sollen auch 265 qualifizierte Fachkräfte mit Industrieerfahrung prinzipiell Zugang zu den JCs haben. Nähere Angaben habe ich dazu nicht gefunden. Es ist aber denkbar, daß sich für den Abendunterricht Kräfte aus der Wirtschaft zur Weiterbildung an JCs eingeschrieben haben. Der Andrang zu den JCs ist wesentlich höher, als es die bisher ausgebauten Kapazitäten verkraften können. 1993 fand nur jeder dritte Bewerber Aufnahme. Im Jahr 1993 bestanden 135 Junior Colleges. 126 waren davon in privater Trägerschaft (Abb. 44). Junior Colleges 1993 Schulen Schüler von von allen allen Schülern inöffil. in priv. Schülern im ötTtl. privat insges. Schulen Schulen insges. weiblich Abendunterr. 9 l26 J35 20.376 486.430 506.806 37 % 26 % Quelle: NBEE 1994, S. 628 f. Abb.44 Das Engagement des Staates hält sich hier in sehr engen Grenzen, jedenfalls was die tatsächliche Durchführung von Ausbildung anbelangt. Sonst ist das MOE noch stark regelnd tätig. Bisher wurden die Anzahl der Studienplätze, die Ausbildungsrichtungen und die Curricula sowie die Höhe der Studiengebühren vorgegeben. Es zeichnet sich aber bei einer zunehmenden kommunalen Selbstverwaltung ab, daß der Einfluß des zentralen Ministeriums zurückgedrängt wird. Auffällig ist, daß ein gutes Viertel der Studenten, also fast 132.000, Abendschüler sind. Hier zeigt sich ein großer Bedarf und zugleich ein starker Wille von Beschäftigten, einen Bildungsabschluß im Hochschulbereich nachzuholen. Es ist ja schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß diesem Fortbildungswillen, dem Wunsch nach einem höheren Abschluß im formalen Bildungssystem, auch ein gewisser Zwang gegenüber- steht: Die berufliche Karriere verläuft in enger Beziehung zum Bildungsabschluß. 266 Bei der Tabelle über den Verbleib der Absolventen von JCs (Abb. 45) 1993 irritiert auf den ersten Blick die Gesamtzahl der Absolventen. Hier muß berücksichtigt werden, daß die Aufnahmezahlen von etwa 1991 zugrunde gelegt werden müssen. Aber auch dann scheint der Output noch zu niedrig. Die Erklärung dafür liegt in einer relativ großen Zahl von Beurlaubungen. 1994 waren mehr als 70.000 Studenten für ein Semester oder mehrere beurlaubt. Vermutlich dürften die Abendschüler in dieser Gruppe sehr stark vertreten sein. Verbleib der Absolventen von Junior Colleges 1993 Uni- be- ar· Mili- unbe- Anzahl % ver· % schär- % beits· % tär % kannt % sität tigt los männlich 57899 100 4740 8 29821 52 6580 11 12936 22 3822 7 weiblich 70467 100 3677 5 43844 62 15426 22 7520 11 Summe 128366 100 8417 7 73665 57 22006 17 12936 10 11342 9 Quelle: NBEE 1994, S. 580 f. Abb.45 Aber immerhin qualifizierte dieser Bildungsbereich 1993 fast 130.000 junge Menschen. Die Tabelle zeigt, daß die Möglichkeiten oder der Wille, darüber gibt es keine Angaben, den Bildungsweg in einer Universität fortzusetzen, relativ gering sind. Im Schnitt ver- blieben nur 7 % im Hochschulbereich. Die Chance, eine Beschäftigung zu finden, ist durchaus gut. Auf den ersten Blick finden Frauen eher Arbeit (62 %) als Männer (52 %). Die Arbeitslosigkeit ist bei Frauen (22 %) aber doppelt so hoch (22 %) als bei Männern (11 %). Der irritierende Faktor ist hier die Einberufung zum Militär. Die 22 % militärdienstleistenden jungen Männer verringern sowohl die Beschäftigtenquote als auch die Quote der Arbeitslosen. Generell läßt sich aber sagen, daß Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen es schwerer haben, einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden als Männer. An allen Junior Colleges werden Aufnahmegebühren, Studiengebühren und Schulunter- stützungsgelder erhoben, wie es in der Abb. 46 dargestellt ist. 267 Studien- und Schulgebühren in DM für den Besuch von Junior Colleges 1993 Aufnahme- Studien- Unterstüt- gebühr gebühr zungsgeld min. 140,-- 450,-- 1.530,-- öffentliche Junior Colleges max. 500,-- 1.990,-- 1.990,-- min. 500,-- 2.640,-- 1.160,-- private Junior Colleges max. 700,-- 3.470,-- 1.590,-- Quelle: NBEE 1994, S. 808 (500 Won =1 DM). Abb. 46 Die Gebühren sind nicht einheitlich, sondern schwanken in der Höhe beträchtlich. Dargestellt sind die vom MOE festgesetzten Grenzwerte. Eigentlich kann man die günstigeren Sätze der öffentlichen JCs außer Betracht lassen, weil sie nur knapp 7 % aller Colleges ausmachen. Realistisch ist die Aussage, daß abgesehen von der ein- maligen Aufnahmegebühr jährliche Zahlungen an das JC zwischen 3.800,-- DM und 5.060,-- DM fällig werden. Rechnet man alle Gebühren zusammen, so beträgt das Schulgeld für eine zweijährige Ausbildung an einem Junior College derzeitig durch- schnittlich 9.500,-- DM. Diese Zahl muß man in Relation zu den zeitnahen Einkommen der Koreaner sehen. Der Durchschnittsverdienst eines in der verarbeitenden Industrie Beschäftigten beträgt im Jahr 26.400,-- DM (Henseleit 1996, S. 7). Das durchschnitt- liche Jahreseinkommen je Haushalt betrug 199540.000,-- DM (Gutzat 1995, S. 8). Die Studiengebühren sind also in Relation zu den Einkommensverhältnissen ganz beträcht- lich. Die Finanzierung der privaten Junior Colleges ist nahezu gänzlich von den Stu- diengebühren abhängig. MOB trägt lediglich zwischen 2 % und 5 % der laufenden Kosten. In geringem Maße beteiligen sich auch die privaten Träger durch Zuschüsse. Bei den vom MOE vorgegebenen curricularen Grundstrukturen zeigt sich eine ähnliche Entwicklungslinie, wie bei denen der Vocational High Schools. Es ist die Tendenz, berufsbezogene Anteile im Curriculum zu verringern. Vor einigen Jahren waren noch 80 % der Stunden für berufliche Fächer Ge zur Hälfte für Theorie und Praxis) und 20% 268 für allgemeinbildende Inhalte vorgesehen (MOE 1990, S. 69). In einer Broschüre des Ministry of Education heißt es 1990 zum Stichwort "Curriculum" in Junior Colleges (MOE 1994, S. 71): "liberal education is given a place amid primary concern for functional orientation of the programs, where working ethics are instilled. " Das bedeutet in Zahlen, daß nun 50 % der Zeit für berufliche Fächer und 50 % für Allgemeinbildung aufgewendet werden sollen. Die Aufteilung von Theorie und Praxis zu je einer Hälfte der Lemzeit des beruflichen Faches ist geblieben. Die ja aus der kulturellen Tradition Koreas heraus bekannte Wertschätzung allgemeiner Bildung setzt sich offensichtlich immer wieder durch. Die berufsbildende Komponente in Programmen, die als "Vocational Education" bezeichnet werden, ist dann auch häufig sehr speziell angelegt. Eine frühe Spezialisierung wird in Korea nicht durch die Ideolo- gie eines ganzheitlichen, viele Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse umfassenden Berufsverständnisses behindert. Vielmehr scheint es mir so zu sein, daß die berufs- bezogenen Qualifikationen im wesentlichen dazu dienen, den Einstieg in das Arbeits- leben zu erleichtern. Die eigentliche Arbeitsfähigkeit und Produktivität ergibt sich erst durch die Einarbeitung am Arbeitsplatz oder den Arbeitsplätzen im Betrieb. Die ver- gleichsweise hohe Allgemeinbildung übernimmt zwei Funktionen. Die eine könnte man als "klassisch" bezeichnen. Sie verfolgt das Ideal des gebildeten, sittlich gefestigten bis vorbildlichen Mitgliedes der Gesellschaft. Die andere Funktion ließe sich mit "ex- trafunktional" kennzeichnen. Allgemeinbildung ist dann die denkbar breiteste berufliche Grundbildung, aus der heraus die für die Industriegesellschaft unerläßlichen Qualifika- tionen erwachsen: Lernen lernen, Umstellungsfähigkeit, Arbeitsmoral, Selbstdisziplinie- rung, Verantwortungsbewußtsein, Loyalität, Kreativität und vieles andere, was wir in der deutschen Diskussion auch unter dem Stichwort "Schlüsselqualifikationen" themati- sieren. Die folgende Tabelle (Abb. 47) zeigt die Studienschwerpunkte oder Ausbildungsgebiete und die jeweilige Anzahl von Ausbildungsprogrammen, die den Schwerpunkten zu- geordnet sind. Unter (Natur)wissenschaften sammeln sich 82 Programme aus dem 269 technisch-ingenieurwissenschaftlichen Bereich, 34 Programme aus der Landwirtschaft sowie 18 bezogen auf Hauswirtschaft. 52 % der Studierenden wählen ein Programm aus diesem Schwerpunkt. Die kaufmännisch-verwaltenden Berufe werden in dieser koreani- schen Statistik unter "Sozialwissenschaften" geführt. Mit 21 % ist das das zweitstärkste Ausbildungsgebiet, jedoch mit großem Abstand zum meistgewählten Studienschwer- punkt. Junior Colleges. Studienschwerpunkte Studien - Programm- Ausbildungsgebiet anzahl Anzahl % Geisteswissenschaften 19 20.705 4 Sozialwissenschaften 60 104.956 21 (Natur)wissenschaften 134 263.748 52 Medizin I Pharmazie 17 51.905 10 Kunst I Sport 55 50.269 10 Lehrpersonal (Kinderg.) 3 15.223 3 288 506.806 100 Quelle: NBEE 1994, S. 628, 632 ff; MOE 1995, S. 18. Abb. 47 An einem Beispiel sollen Bildungsabsichten und Bildungsangebote eines Junior Colle- ges näher dargestellt werden. Ich wähle dazu das mir bekannte Chung Cheong College aus. Das College liegt mitten in Korea, nahe der Provinzstadt Cheongju. Es wurde 1982 nach Genehmigung durch das MOE gegründet. Der Eigentümer, ein erfolgreicher Unternehmer, erfüllte sich nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Geschäftsleben einen lang gehegten Wunsch, nämlich ein Junior College zu gründen, und damit einen Teil seiner Gewinne in eine gesellschaftlich nützliche Einrichtung einzubringen. Das ist keine unübliche Gründungsgeschichte. Es ist Sitte in Korea, daß sich Schulen und Hochschulen ein Schulmotto in Form von Erziehungs- und Bildungsgrundsätzen geben. Das Chung Cheong College wählte folgende Grundsätze: 270 Harmonie von Lernen und Verhalten Pflege von Geist und Tugend Aufrichtigkeit, Fleiß, Dienst für die Gesellschaft. Und unter der Überschrift "Spirit of College Foundation" heißt es: Das Chung Cheong College wurde mit dem festen Wunsch gegründet, Jugendlichen eine gute akademische Atmosphäre zu bieten, in der sie sich dem Lernen und Üben widmen und sich so darauf vorbereiten können, als zukünftige Führungskräfte in der Industriegesellschaft tätig zu werden. Das JC hat eine jährliche Aufnahmekapazität von 2.200 Studenten und liegt mit diesem Wert etwas über dem Durchschnitt der privaten Colleges. Ungewöhnlich ist die Vielzahl von Ausbildungsprogrammen, die auf Wunsch des Gründers zustande kamen. Ich folge der Auflistung, wie sie in der Broschüre zur Selbstdarstellung des College zu finden ist (Chung Cheong College 1996, S. 7): 1. Betriebliches Management 2. Öffentliche Verwaltung 3. Vermessungstechnik und Katasterverwaltung 4. Buchhaltung und Steuerwesen 5. Bekleidungsdesign 6. Lebensmittelkunde und Ernährungslehre 7. Kindergartenerziehung 8. Tourismus und Reiseleitung 9. Industrial Design 10. Fremdsprachliche Reisebegleitung (Englisch und Japanisch) 11. Haustechnik (Heizung, Lüftung, Energieversorgung) 12. Nahrungstechnik 13. Elektronik 14. Umwelttechnologie 15. Computerwissenschaft 16. Chemietechnik 17. Bauingenieurwesen 18. Technik der Telekommunikation 19. Architektur 20. Industrielle Sicherheitstechnik 21. Elektrotechnik 22. Maschinenbau (CAD/CAM) 23. Qualitätskontrolle (Produktions- und Dienstleistungsbereich) 271 24. Innenarchitektur 25. Finanzwesen 26. Sportbetreuung!Animation 27. Multimedia 28. Büro-Automatisierung 29. Chinesische Sprache 30. Kosmetik, Hautpflege 31. Allgemeinbildung (Ethik, Geschichte, Kultur, chinesische Charakter) Die vorstehende Liste vermittelt einen ersten Eindruck, wie vielfältig die Ausbildungs- angebote nach Spezialisierung und wohl auch nach Niveau sind. Inzwischen überlegt man sich am Chung Cheong College, ob die Diversifizierung nicht zu weit getrieben worden ist. Ein schwieriges Problem besteht nämlich bei der Einstellung und Auslastung von entsprechend qualifiziertem Lehrpersonal. Das College kann sich nicht mehr als etwa 100 Professoren leisten, was einem Verhältnis von einem Hochschullehrer zu 40- 45 Studenten entspricht. Damit möchte ich die Darstellung der formalen beruflichen Bildung abschließen. Über das formale Bildungssystem wird dem koreanischen Arbeitsmarkt, der etwa halb so groß ist wie der deutsche, zur Zeit jährlich an beruflich vorgebildeten Personen zur Ver- fügung gestellt: aus den Vocational High Schools ca. 200.000 Arbeitskräfte aus den Junior Colleges ca. 100.000 Arbeitskräfte 6.3 Non-formale berufliche Bildung Die öffentlich kontrollierte und statistisch erfaßte Berufsausbildung außerhalb des formalen Bildungssystems ist, trotz aller staatlichen Anstrengungen, quantitativ nicht besonders bedeutsam. Aber auch die qualitative Einschätzung durch Wirtschaft und Gesellschaft ist niedrig. Der Besuch non-formaler beruflicher Bildungseinrichtungen gilt als stigmatisierend. Teilnehmer sind diejenigen, die aus dem angesehenen formalen 272 Bildungssystem herausgefallen sind. Die Unternehmer stellen auch lieber Absolventen aus den Vocational High Schools ein, als Abgänger aus den öffentlichen Vocational Training Institutes (World Bank 1991, S. 1). Die Bedeutung des Vocational Training kann man wohl am besten darstellen, wen man sich den Verbleib einer Alterskohorte vor Augen führt. Betrachtet man z. B. den Entlassungsjahrgang 1991, sieht über einige statistische Probleme hinweg und begnügt sich mit gerundeten Zahlen, so erscheint folgendes Bild (Abb. 48). Verbleib des Schulentlassungsjahrgangs 1991 760.000 740.000 250.000 160.000 242.000 43.000 24.000 26.000 17.000 760.000 (100 %) (97 %) (33 %) ( 21 %) (32 %) (6 %) (3 %) (3 %) (2 %) (100 %) Personen umfaßt der Jahrgang erreichten den High School Abschluß bekamen einen Studienplatz an Universitäten oder vierjährigen Colleges (Es hatten sich jedoch 640.000 (84 %) um Plätze beworben) erreichten die Aufnahme in zweijährige Colleges (damit war mehr als die Hälfte (54 %) des Jahrgangs im Hochschulbereich untergekommen) erhielten bei Firmen Arbeitsverträge Vocational Training ( staatlich kontrolliert) wurden in Betrieben, die ihrer gesetzlichen Ausbildungsverpflichtung nachkommen (In-plant Training) aufgenommen, die Ausbildung dauert 3 bis 6 Monate (Ausnahmen: 12 Monate) fanden Aufnahme zur Ausbildung in Privatinstitutionen und anderen Einrichtungen (Authorized Training), die Ausbildung dauert 3 bis 6 Monate wurden in Ausbildungszentren (VTI) des Arbeits- ministeriums aufgenommen, die Ausbildung dauert 3 bis 12 Monate (Ausnahmen: 24 Monate) suchen als Ungelernte Arbeit respektive sind arbeitslos Quelle: nach SchoenJeldtIHirthe 1992, S. 31. 273 Abb. 48 So ist es kein Wunder, daß in wichtigen Veröffentlichungen über Korea nicht viel zur non-formalen Berufsbildung zu finden ist. Der Korea Overseas Information Service, zuständig für die Information über Korea im Ausland, läßt in seiner Background-Series "Education" kein einziges Wort zur öffentlichen Berufserziehung verlauten. Im um- fangreichen "Handbook of Korea" findet sich im Kapitel "Education" ebenfalls kein Hinweis zu diesem Gebiet. Erst im Kapitel "Social Development and Quality of Life" wird dann doch unter der Überschrift "Manpower Development" über non-formale Berufsausbildung berichtet. Diese redaktionelle Einordnung von Ausbildung zwischen sozialer Entwicklung und Arbeitskräftebedarf spiegelt die gesellschaftliche und politi- sche Einschätzung recht gut wider. Die öffentliche Berufsausbildung in Korea ist das Ergebnis einer sehr ehrgeizigen Wirtschaftsplanung und einer bis heute zu Teilen falschen Einschätzung der unter- nehmerischen Ausbildungsleistungen. Es begann mit der Machtübernahme des Generals und späteren Präsidenten Koreas, Park, Anfang der 60er Jahre. Die ersten Fünfjahres- pläne von 1962 bis 1966 und von 1967 bis 1971 zeigten bereits ambitionierte Industria- lisierungsabsichten. Die mit aller Macht des Staates vorangetriebene Industrialisierung könne nur erfolgreich sein, so glaubten die politischen Führer, wenn man dem Hum- ankapitalkonzept folge. Man war demnach zutiefst überzeugt, daß berufliche Ausbildung einer Arbeitskräftebedarfsanalyse folgen müsse. Zur wirtschaftlichen Planung gesellte sich darum der Wunsch, nun auch die Planung der Ausbildung vornehmen zu wollen. Bis in die 60er Jahre gab es keine Ausbildungs- standards und keine die Betriebe übergreifenden Ausbildungsregelungen. Die Planung und die Steuerungsmöglichkeiten des Staates waren bis dahin äußerst limitiert. Das sollte anders werden. 1967 wurde das Ministry of Science and Technology (MOST) gegründet. Es bekam den Auftrag, Angebot und Bedarf an Fachkräften im ingenieurwis- senschaftlichen und technischen Bereich zu analysieren. Auf der Basis der Manpower- diagnose und -prognose sollte die Ausbildungsplanung und -durchführung vorgenommen werden. 274 Das MOST entwickelte für Analyse- und Planungszwecke drei Kategorien von techni- schen Fachkräften (Lim, S.-Y. 1989, S. 50): Wissenschaftler. Dazu zählen Professoren, Dozenten und wissenschaftliches Personal in der Lehre und Forschung auf naturwissenschaftlichem und ingenieurwissenschaftlichem Gebiet Ingenieure. Darunter werden subsumiert Absolventen von Universitäten und Colleges, Absolventen von Junior Colleges und auch von Technical High Schools mit mehrjähriger Erfahrung und entsprechender Prüfung. Nach den deutschen Vorstellungen umfaßt diese Gruppe etwa die Qualifi- kationen zwischen Diplomingenieuren (TH) und erfahrenen Technikern. Skilled Worker. Diese Gruppe umfaßt nicht-akademisch ausgebildete Arbeitskräfte, etwa vom Industriemeister bis zum Angelernten. Die vorstehende Einteilung ist bis heute Grundlage für die Titelvergabe außerhalb der Universitäten. Während der Zeit der ersten beiden Fünfjahrespläne (1962-1971) lag die Berechtigung zur Verteilung von beruflichen Zertifikaten und Titeln bei zehn unter- schiedlichen Ministerien. Die Zersplitterung der Zuständigkeiten, die Nichtanerkennung ähnlicher Zertifikate unter den Ministerien führte in der Wirtschaft zu allgemeiner Konfusion. Durch ein Gesetz wurden 1973 alle diesbezüglichen Kompetenzen vereinigt und ein "National Technical Qualification System Korea" kreiert. Die Zuständigkeit liegt seitdem ausschließlich beim Arbeitsministerium. Die nachstehende Übersicht (Abb. 49) zeigt die Kategorien von technischen Fachkräften in der offiziellen Form, wie sie von der Arbeitsverwaltung stets in gleicher Darstellung jahrelang publiziert wurde. Die Graphik zeigt an, daß Positionen von verschiedenen Bildungsabschlüssen in Verbindung mit entsprechender Berufserfahrung erreicht werden können. Fast rührend mutet der Versuch an, durch eine graphisch gleich hohe Anordnung eine soziale Gleichrangigkeit von "Doctor", "Professional Engineer" und "Master Craftsman" herbeizuführen. 275 KlassifIZierune technischer Berufe ....----------------------------- Equal Social Treatment --------, I I I I I I I I I I I I I I I I I I Doc or I Professional Engineer I IMaster Craftsman IJ.\ Industrial I-- Master's College Master I r->j Class 1 Engineer I IClass 1 Craftsman J Bachelor I Class 2 Engineer I ~ Class 2 Craftsman r-J IAssistant Craftsman 4 - year I-- Junior Technical Vocational Technical Training t-College College High School Institute Quelle: Lee, 8.-J. / Cho, S.-S. 1989, S. 9. 276 Abb.49 Man muß bedenken, daß der Meistertitel im technischen Bereich in Ostasien keinerlei Tradition hat. Ferner findet die Ausbildung zum Master Craftsman im non-formalen Bereich statt. Eine gleiche soziale Anerkennung wie ein akademischer Titel kann dem "Meister" in Korea nicht beschieden sein. Bis zum Ende der 80er Jahre wurde aber nachdrücklich behauptet, es sei so. Hier ein Beispiel aus den Zugangsvoraussetzungen zur Meisterprüfung (Lee, S.-J.lCho, S.-S. 1989, S. 11 f.) "Master craftsman who receives equal sozial treatment as a doctor or a professional engineer demands 7 years or more of plant or practical expe- riences after obtaining dass 1 craftsman, and completion of 2-year special course of Industrial Masters College." Seit 1990 ist aus den Darstellungen der Ordnung der technischen Berufe die universitäre Säule verschwunden. "Doctor", "Master" und "Bachelor" gehören ohnehin nicht zum Bereich des National Technical Qualification System. Möglicherweise kehrte bei dem an sich lobenswerten Versuch, berufliche Bildung sozial aufzuwerten, auch eine etwas realistischere Sicht der Dinge ein. Trotz allem bemüht sich die Regierung um eine bevorzugte Behandlung von beruflich qualifizierten und mit staatlichem Zertifikat ausgestatteten Fachkräften. Sie sollen so weit wie möglich bei Einstellungen in den Staatsdienst besonders berücksichtigt werden (Rösch 1991, S. 86). Die Klassifizierung der technischen Berufe geht, wie schon gesagt, auf den Versuch der Arbeitskräfteplanung in den späten 60er Jahren zurück. Sie war ein Teil der staatlichen Maßnahmen, berufliche Bildung in den Griff zu bekommen. So wie die Regierung die wirtschaftliche Entwicklung nicht der Wirtschaft überlassen wollte, so strebte sie nun auch die zentrale Regelung beruflicher Ausbildung an. Die Zunahme von zentraler Herrschaft wurde mit dem Hinweis gerechtfertigt, daß die koreanische Industrie nicht genügend ausbilde und deswegen sowohl Hilfe bei der Bereitstellung von Arbeitskräften brauche, als auch zu Eigenrnaßnahmen angespornt werden müsse. Es mag wohl sein, daß die junge koreanische Industrie in den frühen 60er Jahren nicht sehr viel Aufwand für eine eigene Ausbildung trieb. Es war auch solange nicht absolut 277 zwingend notwendig, wie die Industriepolitik auf den Einsatz von arbeitsintensiver Einfachtechnologie setzte. Ausbildung dazu bedurfte nur geringer Aufmerksamkeit. Obwohl bis heute der Beitrag der öffentlichen bzw. öffentlich kontrollierten Berufsaus- bildung marginal ist und kaum mehr als 10 % der Jugendlichen eines Jahrgangs erfaßt, wird hartnäckig behauptet, die Betriebe bildeten nicht genügend aus und nur der Regierung sei es zu verdanken, daß es so etwas wie berufliche Ausbildung überhaupt gäbe. Eine international viel zitierte Quelle bezüglich betrieblicher Bildung ist die Schrift von Kim, Sookon: In Service Training in Korea. In der 1987 verfaßten Schrift heißt es (Kim, S. 1987, S. 44 f.): "It is highly doubtful that if the managers of the private enterprise were genuinely interested in skill formation within the enterprise through in-plant vocational training. Perhaps, the managers at that time did not yet feel true need for such kind of training because of the embryonic stages of their industrial development where there was no demand for highly skilled labor force. Since it was the government, not private employer, who first recognized future demand for skilled manpower, shortage of which may became a bottleneck for export oriented industrial development, the govemment laun- ched an extensive public vocational training program with various assistance from international organizations such as IBRD, ILO, and foreign countries such as West Germany and Japan. " Aus dem gleichen Jahr stammt eine Schrift aus einem Forschungsinstitut des Arbeits- ministeriums, die sich mit der Effizienzsteigerung betrieblicher Ausbildung beschäftigt. Es wurde unter anderem empfohlen, den Managern zu erklären, wie effektvoll In- vestition in die Ausbildung technischer Kräfte sei, daß der Ausbildungsstand bei der Entlohnung zu berücksichtigen sei und daß bei den Unternehmern "the ways of thin- king" zu verbessern wären. Der Grund, so wurde vermutet, sei (Ra, Y.-S. 1987, S. 99): "Up to now, the managers of Korea have little idea on the value of the skill of technical manpower resources and have no concept of long term manpo- wer training. " 278 In eine ähnliche Richtung zielt das Statement in einer Studie für die UNESCO aus dem Jahr 1995. Dort heißt es (Kim, T.-D. 1995, S. 16): "ln Korea, vocational training system has been shaped and initiated mainly by the government as apart 0/ outward-looking economic development strategy. The development 0/ vocational training in Korea can be charac- terized as 'government-led'." Wenn ich auch, wie schon angedeutet, den Beitrag und den Einfluß der Regierung für wesentlich geringer halte als es in den Veröffentlichungen koreanischer Autoren darge- stellt wird, so gab es doch anfänglich Impulse und Maßnahmen, über die berichtet werden muß. 1967 wurde ein erstes Berufsbildungsgesetz erlassen. Dieses Gesetz war für die folgenden Jahre die Rechtsgrundlage zur Entwicklung von Training Standards (in Deutschland würde man das mit Berufsbildern und Ausbildungsrahmenrichtlinien übersetzen) von Ausbildungsmaterial und der Ausarbeitung von PfÜfungsbedingungen. Das Gesetz sah ferner vor, daß die Regierung den Betrieben, die nach einem Mindest- standard ausbildeten, finanzielle Hilfe gewähren konnte. Von kümmerlichen 20 zu fördernden betrieblichen Ausbildungszentren im Jahr 1968 stieg die Zahl bis 1971 auf 60 an. Die koreanische Regierung änderte jedoch ihre Politik. Sie strich zunächst wieder alle Zuschüsse zur betrieblichen Ausbildung mit der Absicht, die Firmen auf andere Weise zu vermehrter Ausbildungsleistung zu zwingen. Mit gewisser Nervosität hatte die Regierung eine vom Ministry of Science and Technology erarbeitete Studie zur Kennt- nis genommen. In dieser Studie, die 1972 erschien, wurde für die Periode des dritten Fünfjahresplans ein extremer Mangel an techisehen Facharbeitern vorausgesagt. Die Regierung reagierte mit einem "Special Law for Vocational Training". Dieses Gesetz sah ab 1975 eine Ausbildungsverpflichtung für alle Betriebe mit mehr als 500 Beschäf- tigten aus folgenden sechs Branchen vor: Bergbau Verarbeitende Industrie Energieversorgungsindustrie Bauindustrie Transportwesen, Großhandel und Nachrichtenwesen Dienstleistungssektor. 279 Das erste Berufsbildungsgesetz aus dem Jahr 1967 und das Gesetz über die Ausbil- dungspflicht von 1974 wurden 1976 zusammengefaßt und überarbeitet. Das Ergebnis war das "Basic Law for Vocational Training". Es trat 1976 in Kraft. Das Gesetz ist zwar einige Male ergänzt worden, bildet aber doch seit 20 Jahren den Rahmen für die staatlich kontrollierte non-formale Berufsausbildung. Es mag hier noch der Hinweis nützlich sein, daß die Übersetzungen in die englische Sprache der mir vorliegenden Texte zwischen 1980 und 1994 von Ausgabe zu Ausgabe leicht, aber insgesamt un- erheblich, voneinander abweichen (ALA 1980, S. 114 ff.; MOL 1991, S. 109 ff.; MOL 1994, S. 223 ff.). Im Artikel 1 des Gesetzes wird das Ziel genannt (MOL 1991, S. 109): "The purpose 01 this law is to improve the status 01 workers anti to con- tribute to the development 01national economy by improving anti developing their abi/Wes through conducting vocational training. " An sich stehen hier zwei Ziele nebeneinander, nämlich die Statusverbesserung der Arbeiter und der Beitrag, der zur nationalen wirtschaftlichen Entwicklung geleistet werden soll. Ich stimme aber sowohl Lim als auch Kohlheyer zu, die feststellen, daß das Gesetz ganz eindeutig die wirtschaftliche und nicht die gesellschaftliche Entwicklung im Blick hat (Lim, S.-Y. 1989, S. 49; Kohlheyer 1980, S. 18). Der Artikel 2 des Basic Law for Vocational Training definiert den Begriff "Vocational Training" dann auch recht lakonisch mit "means training of skills of the worker to do their job and to improve and develop their abilities." An mehr als an Fertigkeitstraining wurde dabei nicht gedacht. Selbst wenn sich in den fernöstlichen Gesellschaften kein unserem Berufsverständnis ähnliches Bewußtsein ausprägte, so ist zur Bewältigung technischer Arbeit doch mehr notwendig als nur skills. Als das Gesetz erlassen wurde, war als zuständige Stelle die Administration of Labour Affairs (ALA) benannt worden. Die Arbeitsverwaltung war eine Unterabteilung des Ministry of Health and Social Affairs. Die Anbindung beruflicher Bildung an ein Ministerium für Gesundheit und Wohlfahrt ist aufschlußreich. Die koreanische Gesell- schaft schätzte eine öffentlich-rechtliche Berufsausbildung als eine soziale Maßnahme ein. Nun wurde zwar 1981 ALA in ein eigenständiges Arbeitsministerium umgewandelt 280 und aufgewertet. Aber dabei wurde das teils ausgesprochene, teils unausgesprochene Verständnis staatlich angebotener Ausbildung als Maßnahme für sozial Schwache nur ein wenig verdeckt. Eine Teilnahme am staatlich organisierten Programm beruflicher Ausbildung war und ist tatsächlich für Jugendliche nicht ein Regelfall, sondern erfüllt die Funktion eines sozialen Auffangnetzes. Das aus unserer Sicht mäßige Image berufli- cher Bildung in Korea führte dann auch dazu, daß sich die Wirkung des Basic Law for Vocational Training in engen Grenzen hielt und hält. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich. In der immer noch sehr vertikal-hierarchisch strukturierten Gesellschaft hätte man annehmen können, daß sich die Regierung als oberste Autorität mit dem Wunsch nach geregelter Berufsausbildung durchsetzt. Daß sie es nicht tat, zeugt von der Kraft einer anderen kulturellen Tradition: Die koreanische Gesellschaft sieht keinen Grund und keine Notwendigkeit, arbeitsbezogene Qualifizierungsmaßnahmen im non- formalen Bereich zu regeln und zu standardisieren. Die Wirtschaft ihrerseits ist nicht gewillt, Geld in austauschbare betriebsunabhängige Ausbildungsgänge zu investieren. Die dadurch möglicherweise geförderte Mobilität der Arbeitskräfte ist aus verschiedenen Gründen unerwünscht. Zu den Gründen gehören die Furcht vor Verlust von Betriebs- geheimnissen und die Furcht vor Fehlinvestitionen in abwandernde Fachkräfte. Das Arbeitsministerium Das seit den frühen 80er Jahren zuständige Arbeitsministerium hat eine Hauptabteilung für Vocational Training. Die folgende Abb. 50 zeigt einen Ausschnitt aus der ministe- riellen Struktur. 281 Organigramm des Ministry of Labour (Ausschnitt) Minister I Vice Minister .c:; I l>I Director - General Vocational Training Bureau I I I I Training Training Qualification Policy Guidance Promotion Division Division Division Quelle: MOL 1993, S. 8. Abb.50 Zu den Aufgaben der Abteilung Training Policy gehören insbesondere: Übersicht und Entwicklung der Berufsbildungspolitik Entwicklung und Koordination der Ausbildungsstandards Management der Instruktorenausbildung Internationale technische Zusammenarbeit Beaufsichtigung des Korea Institute of Technology and Education. Dieser Einrichtung angeschlossen ist das einzige Forschungsinstitut von MOL im Bereich der Berufsausbildung, das Manpower Research Institute. Zu den Aufgaben der Abteilung Training Guidance gehören insbesondere: Unterstützende und ergänzende Aktivitäten im Berufsbildungsbereich Management der Ausbildungseinrichtungen Genehmigungen und Überwachung der Ausbildungsrichtlinien Gründung und Beaufsichtigung von Ausbildungszentren 282 Beaufsichtigung der Korea Manpower Agency. Das ist die durchführende Organi- sation des Vocational Training Bureau. Zu den Aufgaben der Abteilung Qualifikationsförderung gehören insbesondere: Entwicklung von Grundsätzen für das Nationale Technische Qualifikationssystem Maßnahmen zur Förderung technischer Fertigkeiten Förderung und Durchführung von Berufswettkämpfen Beratung der Nationalen Testkommission Verwaltung des Fertigkeits-Förderungs-Fonds. Alle drei Abteilungen verwalten wichtige Einrichtungen, die zur Beschreibung dessen, was als "Vocational Training" bezeichnet wird, etwas eingehender betrachtet werden müssen. Es handelt sich dabei um: die Korea Manpower Agency (KOMA) das Korea Institute of Technology and Education (KITE) das National Technical Qualification System. Die Korea Manpower Agency Von besonderer Bedeutung ist die "Korea Manpower Agency" (KOMA). Diese Ver- waltungseinrichtung wurde 1982 als "Korea Vocational Training and Management Agency" (KOVTMA) gegründet und erhielt 1991 ihren jetzigen Namen. Die KOMA ist die die Politik des Ministry of Labour ausführende Organisation. Die Zahl der Mit- arbeiter übersteigt die des Vocational Training Bureaus um ein Vielfaches. Rechnet man vom Präsidenten bis zum Dienstpersonal in der Zentrale und den angeschlossenen Vocational Training Institutes alles zusammen, dann stehen 3.720 Personen auf der Gehaltsliste. Räumlich etwa 15 km vom MOL entfernt, entfaltete sie ein Eigenleben und eine Selbständigkeit - was auch zu Kompetenzstreitigkeiten mit dem MOL führt. Die folgende Übersicht zeigt die wichtigsten Strukturen der KOMA (Abb. 51). 283 Organigramm der Korea Manpower Agency I Board ofDirectors I I I President I Korea Committee of International , I Organization for Promotion of Auditor I Vocational Training and International Youth Skill Olympics Auditing I Office ISecretariat I I PubJic Information IIOffice I I I Managing Director Managing Director Managing Direetor Managing Director for Planning & for Vocational for Qualification for Manpower Administration Training Testing Development I I I I I I I --l I I I ~--l-l ~ 1 1 ~ "ll ~ ~ < Cl \?~ \?(') '2 ~ trl > trl \?t:l~ ?l t 11 !!. ~ ~ i 11Jä 2- ~ a I s's' [ s' Si :::, ~, S'g OQ OQ ~, 8 I' ~.~ i > 1 !!~ ä § ~ g g r:r;t ~ i 8 i 0 -0"I:l :r ~ \? ::;' ö' ~ sr i i :I, ;;l Ei" =f s' ~ ~ OQ a 1 iS' 14S' 51 f s' 1lJQ lJQ \? OQ ä0 1 ~ f~ f 51 S'ä OQ51 51 - L....- L....- - L....- ~ VTIs Regional Branch Office (14) I Quelle: MOL 1993, S, 11. Abb,51 Legende: !MC =Industrial Masters College VTI = Vocational Training Institute 284 Das Basic Law for Vocational Training sieht vor, daß Vocational Training in drei Organisationsfonnen durchgeführt werden kann: 1. Public Vocational Training Hierunter fallen alle Maßnahmen, die das MOL (und die KOMA) selbst durchführen. Es ist sozusagen das staatliche Ausbildungswesen. Dazu gehören auch die quantitativ bescheidenen Ausbildungsmaßnahmen anderer zentraler (Central Govemment) und lokaler (Local Autonomies) Behörden. 2. Authorized Vocational Training Die Autorisierung zur Ausbildung erfolgt durch das MOL, die Träger sind z. B. Wohl- fahrtseinrichtungen. 3. In-plant Training Hier handelt es sich um die Ausbildungsmaßnahmen in Betrieben, die nach Vorgaben und unter Kontrolle der KOMA durchgeführt werden. Bevor ich auf diese drei Organisationsfonnen inhaltlich etwas näher eingehe, sollen auf der Abb. 52 die quantitativen Verhältnisse dargestellt werden. Das K.N.O.P. (Korean NationalOutplacement Programme) war eine Maßnahme zur Qualifizierung von Arbeitskräften für eine Beschäftigung bei den in Korea stationierten US-Streitkräften. Auf dieses Programm wird nicht näher eingegangen. 285 Yocational Training - Zahlen der Ausgebildeten ~ 2nd-3rd 4th 5th 6th Five Year Plan 7thClassi- Totalfkation '67-'76 '77-'81 '82-'86 subtotal '87 '88 '89 '90 '91 '92 Total 1,672,628 411,599 495,739 273,151 313,275 46,059 49,248 56,763 67,702 93,503 178,864 Subtotal 498,705 II 7,6 II 120,1l7 121,044 113,802 22,593 20,745 20,073 24,441 25,950 26,131 KOMA 231,946 12,291 56,417 66,474 78,648 14,580 14,025 14,235 17,343 18,465 18,116 Central ~ Govem- 148,699 48,949 34,239 34,947 25,482 6,767 5,648 4,380 4,254 4,433 5,082 g: ment n' Local Autono- 103,487 45,884 26,646 18,366 9,658 1,232 1,072 1,458 2,844 3,052 2,933 mies KN.O.P 14,573 10,487 2,815 1,257 14 14 - - - - - In-Plant 916,582 225,575 337,388 114,773 116,389 14,208 18,168 15,019 25,690 43,304 122,457 Authorized 257,341 68,413 38,234 37,334 83,084 9,258 10,335 21,671 17,571 24,249 30,276 Quelle: MOL 1993, S. 50. Abb.52 Nach dem Gesetz sind der Besuch des Public Vocational Training und des In-plant Training für die Kursanten kostenlos. Nur im Bereich des Authorized Vocational Training können Teilkosten nach Genehmigung durch das MOL auf die Teilnehmer abgewälzt werden. 286 Public Vocational Training 1971 wurde das erste Vocational Training Institute (VTI) als staatliches Ausbildungs- zentrum gegründet. Es diente zunächst nur einer beruflichen Erstausbildung, wie auch die zeitlich später aufgebauten VTIs. Mit den Jahren kamen dann weitere Programme hinzu. Das Rückgrat der VTIs ist aber bis heute die Erstausbildung geblieben, sie bestimmt den Tagesablauf, die anderen Maßnahmen werden ganz überwiegend in Abendform angeboten. Kursangebote im Public Vocational Training Bezeichnung Ziel Dauer Basic Training berufliche Grund- und 1 Monat bis 3 Jahre Erstausbildung Upgrade Training berufliche Aufstiegs- mehr als 4 Wochen bildung Job Conversion Training berufliche Umschulung mehr als 4 Wochen Retraining berufliche Weiterbildung mehr als 1 Woche Quelle: MOL 1993, S. 17. Abb.53 Die Dauer der beruflichen Erstausbildung wird mit einem Monat bis drei Jahre angege- ben (Abb. 53). Von einer einmonatigen geregelten beruflichen Erstausbildung ist mir nichts bekannt. Das Minimum sind meines Erachtens immer drei Monate gewesen. Die Angabe einer Dauer von drei Jahren ist aber auch irreführend. Es gab kurzfristig Versuche mit Ausbildungen dieser Länge. Sie waren wenig erfolgreich. Wer zwölf Jahre zur Schule geht, ist verständlicherweise wenig geneigt, weitere drei Jahre eine Erst- ausbildung zu durchlaufen. Rechnet man einmal den Militärdienst nicht mit ein, dann verdient ein Facharbeiter nach diesem Modell erst mit 21 Jahren sein erstes Geld. 287 Zu den Aufgaben der KOMA gehört es, die beruflichen Standards zu entwickeln. Nach deutscher Auffassung bewegt sich berufliche Erstausbildung im Rahmen von drei und dreieinhalb Jahren. Vergleichsweise wenige zweijährige Ausbildungsgänge werden noch akzeptiert. Die Koreaner orientieren sich jedoch nicht an einem Berufsbegriff und können daher sehr viel weniger komplexe Tätigkeiten als Ziel einer ersten Qualifikation festlegen. Erstausbildungen haben in Korea beträchtlich unterschiedliche Dauer. Mittlerweile sind fast 400 Ausbildungsrichtlinien (Training Standards) entwickelt worden (Abb. 54). Die Entwicklung der Richtlinien liegt einzig und allein in der Hoheit des MOL. Dazu heißt es im Artikel 8 und 9 des Basic Law for Vocational Training (MOL 1991, S. 110): "The contents of vocational training course and the qualification of the applicant by vocational training course prescribed shall be determined by the provisions of Ordinance of the Ministry of Labour... The standards of vocational training curriculum, fadlities and the like shall be determined by the Minister of Labour." Eine Absprache mit der Industrie ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen. Nun muß man allerdings hinzufügen, daß es kompetente Institutionen der Wirtschaft, mit denen Lerninhalte und Qualifikationsprofile verbindlich abgesprochen werden könnten, so in Korea nicht gibt. Training Standards nach Ausbildungsdauer Dauer Total 36 24 12 6 3 (Monate) Training 392 14 56 99 146 77 Standards % 100 4 14 25 37 20 Quelle: MOL 1993, S. 12 und eigene Berechnungen. 288 Abb.54 Es zeigt sich eine deutliche Konzentration der Ausbildungsgänge mit einer Dauer bis zu einem Jahr. 82 % aller entwickelten Training Standards fallen in diese Gruppe. Mehr als die Hälfte aller Erstausbildungen beansprucht nach Auffassung des MOL zwischen drei und sechs Monaten. Man kann davon ausgehen, daß in den bei uns üblichen etwa dreijährigen Ausbildungs- ordnungen allerlei Ballast steckt oder anders ausgedrückt, daß bei betriebs- und arbeits- platznäheren Ausbildungen Zeit gespart werden könnte. Dennoch muß man sich bei den im folgenden genannten Zahlen über durchgeführte Ausbildungen stets bewußt sein, daß die in Korea angestrebten Qualifikationsprofile der Erstausbildung weit unter den deutschen Standards von Facharbeitern, Gesellen oder Gehilfen liegen. Diese Aussage sollte bei deutschen Lesern keinerlei Überheblichkeitsgefühle auslösen. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Lernzeiten in den unterschiedlichen Kulturen verschieden angeordnet sein können. So haben koreanische Jugendliche im Schnitt eine deutlich längere allgemeine Vorbildung, bevor sie sich arbeitsorientierter Ausbildung zuwenden. Lernzeiten, die bei der Erstausbildung eingespart werden, werden dann später in die Weiterbildung investiert. Die KOMA richtete in den Jahren nach 1971 weitere VTIs ein, die Zahl stieg bis 1992 auf 36 an. Die Ausbildung konzentriert sich auf Tätigkeiten im Metall- und Elektrobe- reich. Zum Public Vocational Training gehören aber auch die von der Regierung (Justizministerium) betriebenen 37 VTIs. Sie dienen z. B. der Ausbildung von Gefängni- sinsassen für Bauberufe. Und schließlich gehören in diesen Zusammenhang noch sieben VTIs, die lokaler Verwaltung unterstehen. Sie bieten Kurse mit landwirtschaftlichen Inhalten an oder Kurse, die ländliche Haushalte unterstützen. Die Ausbildungsleistung ist in Abb. 55 noch einmal graphisch dargestellt worden. 289 Ausbildungsleistungen im Bereich Public Vocational Training 30000 -r-------------------------- PUBLIC VOCATIONAl TRAINING (ZUSAMMEN 25000 +--------------::::;;;;;oo..-~---------- 19931992 GOVERNMENT lOCAl AUTON. 19911990 Jahre 19891988 +-------=~~_.L_--- __KOMA_-20000 I:: Cl) I:: 0 15000 '"1-0Cl) A.. 10000 5000 0 1987 Quelle: MOL 1993, S. 49. Abb.55 Die graphische Darstellung der Ausbildungsleistungen im Bereich des Public Vocational Training zeigt keine dramatischen Veränderungen in den Quantitäten. Die Zahl der Teilnehmer nahm von etwa 23.000 im Jahr 1987 auf etwa 27.000 im Jahr 1993 zu. Die Zahlen sind jedoch nur mit großer Vorsicht zu interpretieren. Wurden in den früheren Jahren in den VTIs praktisch nur Erstausbildungen durchgeführt, so werden in den letzten Jahren vermehrt Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen angeboten. Die Dauer dieser Kurse liegt häufig noch weit unter der der Erstausbildung. So mag die Zahl der Teilnehmer in der Tat angestiegen sein, vermutlich ist aber gleichzeitig die gesamte Ausbildungsleistung der VTIs rückläufig. 290 Der ursprüngliche Grund für den Aufbau von VTls ist darin zu suchen, daß in den 70er Jahren noch eine bedeutende Anzahl von Schülern nach Abschluß der Middle School das formale Bildungssystem verließ. Das Vocational Training sollte diesen (zumindest einigen) jungen Abgängern eine technische Qualifikation vor Arbeitsaufnahme ver- mitteln. Zugleich sollte dabei durch die Bereitstellung technischer Arbeitskräfte der Industrialisierungsprozeß der koreanischen Wirtschaft unterstützt werden. Bis Mitte der 80er Jahre wurden in den Statistiken des MOL bei den jährlichen Aus- bildungsleistungen die Angaben nach Dauer der Kurse und Ausbildungszielen differen- ziert ausgewiesen (Abb. 56). Ausbildungsleistung in % (1983) Public Trg. Dauer Ziel KOMA (total) 6 Monate Assistant Craftsman 58 % 79 % 12 Monate Class 11 Craftsman 38 % 19 % 24 Monate Class I Craftsman 4% 2% Quelle: nach MOL 1984, S. 50. Abb.56 In den folgenden Statistiken wird nur noch die Kategorie "Craftsman" aufgeführt. Nun wird das Public Vocational Training gern mit Ausbildungsgängen im formalen Bereich verglichen. Sinn macht das allerdings nur bei dem zwölf Monate dauernden Kurs. Das Ziel dieses Kurses ist das gleiche wie bei den Technical High Schools: Die Vorberei- tung auf die Prüfung zum Craftsman Class 11. Wenn der Vergleich im folgenden noch einmal nachvollzogen wird, dann unter der Berücksichtigung, daß der bei weitem größere Teil der Kurse des Public Vocational Training wegen ihrer Kürze die Standards der Technical High Schools nicht erreichen kann. 291 Kim, Ihun-Su zitiert eine Studie, die mir nicht zugänglich ist. Dort wird ein Vergleich der Ausbildungsziele wie folgt zusammengefaßt (Abb. 57): Ausbildungsziele Technical High School Vocational Training Institute - Basisbildung in einem breiten Bereich - Enge, manuelle Fertigkeiten - Transfer- und Entwicklungsfähigkeit - Im Betrieb direkt anwendbare - Langfristige Anpassungsfahigkeit Fertigkeiten an sich ändernde Situationen - Erfahrung in betriebsähnlichen - Mündigkeit, Kreativität usw. Situationen - Arbeitsbereitschaft, Ausdauer, Qualitätsbewußtsein usw. Quelle: Kim, J.-S. 1992, S. 296. Abb.57 Als Beispiel für ein Curriculum für die einjährige Ausbildung zum Craftsman Class II an einem VTI wird hier das des Maschinenschlossers gewählt. Generell, d. h. auch für die anderen technischen Berufe, gilt die Aufteilung: - Allgemeine Bildung - Fachtheorie - Grundfertigkeiten - Fachpraxis 7% 23 % 20 % 50 % 100 % entspricht: entspricht: entspricht: entspricht: 120 Stunden 420 Stunden 360 Stunden 900 Stunden 1.800 Stunden Inhaltlich sieht das an einem Beispiel dann etwa so aus, wie in Abb. 58 (Um, S.-Y. 1989, S. 117 f.): 292 Curriculum für die Ausbildune zum Maschinenschlosser <12 Monate) Verhältnis Ausbildungs- Ausbildungsinhalte Std. von Theorie bereiche bzw. und Praxis Unterrichtsflicher Theorie I. Allgemein- (120) 450 Std. bildende (25%) Fächer a) Sozial- - Politik und Ökonomie 80 kunde - Soziale Ethik - Verteidigung und Sicherheit - Beruf und Arbeit - new community movement b) Sport 40 2. Technische Fächer (330) a) Techn. - Technik 60 Grundlagen - Mathematik - Physik b) Techn. - Einfilhrung in das Zeichnen 80 Zeichnen - Zeichnen von Maschinenelementen - Entwurf u. a. - Behandlung der Zeichnungen c) Betriebs- - Produktion 40 wirtschaft - Verbesserung der Arbeitsorganisation - Qualitätssicherung - Transport - Kostenrechnung - Instandhaltung der Ausstattung - Management d) Maschinen- -Material 150 bau - Metallverarbeitung mit den Werkzeugmaschinen - Feilen und Fertigung - Arbeitssicherheit Praxis 3. Fundamen- - Feilen und Fertigung 360 1350 Std tale - Messen (75%) Praxis - Grundlagen filr den Zusammenbau der Maschinenzubehörteile 4. Fachpraxis (990) a) Hauptfach- - Verarbeitung und Zusammenbau 810 praxis der Maschinenzubehörteile -Messen - Drehen - Fräsen - Schleifen - Planen - Schleifen der Zerspanungswerkzeuge - Schweißen b) Anwendungs- - Projekte filr den Zusammenbau 180 bezogene der Maschinenzubehörteile Praxis - Prüfen - Herstellung der Fertigungswerkzeuge 293 Abb.58 Vergleicht man die praktischen und fachtheoretischen Anteile der ansonsten überhaupt nicht vergleichbaren Bildungsgänge, so zeigt sich folgendes Bild: THS VTI Fachpraxis 1.050 Std. 1.260 Std. Fachtheorie 1.120 Std. 420 Std. Abb.59 Ursprünglich, wie gesagt, waren die VTls für die Absolventen der Middle Schools gedacht. Bei Zunahme der Übergänge von der Middle School auf die High School ging den Ausbildungsinstituten die eigentliche Zielgruppe mehr und mehr verloren. Zu Beginn der 90er Jahre, als praktisch alle Jugendlichen in die High School übergingen, mußte das Konzept der VTls umgebaut werden. Nun gelten diejenigen Absolventen der General High Schools als Zielgruppe, die weder im tertiären Bildungsbereich noch direkt bei Firmen Aufnahme finden. Absolventen der THS werden nicht zugelassen, da sie ja einen als vergleichbar empfundenen Bildungsgang bereits hinter sich haben. Die jetzige Zielgruppe könnte jedoch auch in relativ kurzer Zeit wieder abhanden kommen. Unter Zugrundelegen der demographischen Entwicklung und der Ausbaupläne für den tertiären Bildungssektor wäre es denkbar, daß in knapp zehn Jahren alle jungen Leute nach der High School im Bereich der Higher Education einen Platz finden. Dann wäre eine Auslastung der bestehenden VTls nicht mehr zu gewährleisten. Zwei Aufgabengebiete kristallisieren sich für die zukünftige Arbeit der VTIs heraus: Soziale Maßnahmen Fortbildungsangebote Mit zunehmendem gesellschaftlichen Wohlstand treten auch die Unterprivilegierten und Benachteiligten in das Blickfeld der Bildungspolitiker. 294 So wurde 1991 das erste staatliche VTI zur Ausbildung körperlich behinderter Jugend- licher eröffnet. Ferner werden 30 % der Ausbildungskapazität für die Förderung von Jugendlichen aus sozial schwachen Familien bereitgehalten. An 15 VTIs wird Jugend- lichen im Rahmen von Social Welfare Services durch Beratung, Ausbildung und Arbeitsplatzvermittlung geholfen (A Handbook 1994, S. 485). Wohl nicht nur aus sozialen Gründen, sondern auch wegen eines großen Arbeitskräftebedarfs werden Frauen als Zielgruppe entdeckt. So wurde ebenfalls 1991 ein erstes VTI zur Qualifizierung von jungen Frauen eingerichtet. Im Grunde genommen wird mit der offenen Akzeptanz und Übernahme sozialer Aufgaben durch die VTIs nur das präzisiert, was immer schon Tatbestand war. Die VTIs dienen als Auffangnetz für lern- und/oder sozial schwache Jugendliche, sie waren nie "first choice" für die Mehrheit der Schulabgänger. Die andere Chance für die KOMA, die VTIs langfristig auszulasten, liegt im Umbau und Ausbau ihrer Ausbildungskapazitäten in der Richtung von Fortbildungsangeboten. Schon Ende der 70er Jahre wurde unter der Leitung der KOMA ein Industrial Master's College (IMC) eingerichtet. Es bot im Metall-, Elektro- und Chemiebereich zweijährige Programme zur Fortbildung zum "master craftsman" an. Die Kapazität mit jährlich 350 Neuaufnahmen war sehr gering. 1992 wurde das College, das eigentlich kein "College" ist, reorganisiert. Die Fortbildungskurse wurden auf sechs bis zwölf Monate verkürzt. Parallel dazu begann die KOMA weitere Industrial Master's Colleges aufzubauen bzw. VTIs umzuorganisieren. 1994 existierten acht IMCs; gleichzeitig sank die Zahl der VTIs auf 32 (KOMA 1995, S. 25). Das Arbeitsministerium äußerte 1993 die bildungspoliti- sche Absicht, mehrere (oder alle) VTIs in Technical Schools umzubenennen und qualitativ zu verbessern (MOL 1993 a, S. 53 f.). Im Gespräch ist ebenfalls, die Ab- solventen der IMCs rechtlich den Abgängern von Junior Colleges gleichzustellen. Das heißt, daß beide Gruppen formal Zugang zum dritten Studienjahr an Universitäten hätten. Das würde das Image der IMCs gewiß anheben. Ob von der Übergangsmöglich- keit in eine Universität Gebrauch gemacht werden wird, ist eine ganz andere Sache. Mittlere technische Führungskräfte haben bis auf weiteres sehr gute Beschäftigungs- chancen - was man für Absolventen von Universitäten nur mit Einschränkungen be- haupten kann. Ob koreanische master craftsmen nach jahrelanger praktischer Arbeit und 295 im Alter fortgeschritten sich zurück in einen Seminarraum wünschen, ist schwer einzuschätzen. Nach anderen Überlegungen sollen die Industrial Master's Colleges zu zweijährigen Technical Colleges umorganisiert werden. Zugangsberechtigt sollen Absolventen der General High Schools werden. Damit schmölze der inhaltliche Unterschied zu den Junior Colleges beträchtlich ein. Der einzige, aber doch auch wichtige Unterschied wäre der Sozialstatus der Technikerschule. Bleiben sie unter MOL Einrichtungen des non- formalen Systems, wären sie weniger attraktiv als die JCs als Hochschuleinrichtungen im formalen Bildungssystem. Die weitere Entwicklung muß man abwarten. Einer der führenden Manager der KOMA hat bereits in einer offiziösen Schrift eine Skizze von Bildungswegen gezeichnet, in der die IMCs in neu zu konzipierende Techni- cal Colleges in den Hochschulbereich hineinragen (Kim, T.-D. 1995, S. 42). Es scheint mir keineswegs unwahrscheinlich zu sein, daß die IMCs in absehbarer Zeit auf der dritten Stufe des formalen Bildungsbereichs wiederzufinden sein werden. In der gleichen Studie wird auch empfohlen, die VTls in "Skill Colleges" umzuwandeln. Möglicherwei- se zielt die Empfehlung auf eine Vorbereitung des Transfers auch der VTIs in den Hochschulbereich. Spannend wird die Beantwortung der Frage, ob dann die IMCs (und VTIs) vom MOL zum MOE hinüberwechseln. Denn bis auf eine Ausnahme, auf die ich noch eingehen werde, unterstehen alle Einrichtungen im tertiären Bildungssektor bis heute dem Ministry of Education. - Authorized Vocational Training Wie weiter oben schon beschrieben, gehören zum Bereich Vocational Training neben dem Public Training, betrieben durch die Korea Manpower Agency selbst, auch autori- sierte Ausbildungsgänge in unterschiedlicher Trägerschaft. Die Beaufsichtigung findet durch die KOMA statt. Das "Authorized Vocational Training" wird von non-profit-Einrichtungen, Wohlfahrts- organisationen und Privatleuten angeboten. Der Besuch der Einrichtungen ist kostenlos. 296 Es gibt zur Zeit rund 100 derartige Zentren. Die meisten haben ihren Standort auf dem Lande. Ursprünglich boten die Zentren nur Ausbildungen an, die in anderen Ausbil- dungseinrichtungen keine Beachtung fanden, wie: Kochen Maschinenschreiben Tapezieren Haarschneiden Nähen. Inzwischen werden in 71 Trades Kurse angeboten (MOL 1993, S. 43). Wie stark diese Trades mit Auszubildenden besetzt sind, war nicht herauszufinden. Die überwiegend drei bis sechs Monate dauernden Ausbildungen sind nach meiner Einschätzung eher im Bereich der Sozialmaßnahmen als im Bereich der Berufsbildung anzusiedeln. Das spricht nicht gegen die Organisation der Kurse. Immerhin erreichte das Angebot des Authorized Vocational Training im Jahr 1992 rund 30.000 Personen (MOL 1993, S. 51). - In-plant Training Die dritte Säule des Vocational Trainings ist laut dem Basic Vocational Training Act die betriebliche Ausbildung. Größere Firmen waren nach 1975 gesetzlich zur Erst- ausbildung verpflichtet. Das Gesetz stieß bei der Wirtschaft auf Widerstand. Die Verpflichtung zur Ausbildung nach staatlichen Vorgaben hatte m. E. zwei Gründe. Erstens ging die koreanische Regierung davon aus, daß die Industrie zuwenig Eigen- initiative bezüglich betrieblicher Ausbildung zeigte und zweitens wollte man Einfluß auf die Ausbildungsleistungen der Firmen bekommen. Ein führender koreanischer Experte schilderte die Lage so (Lee, S.-J. 1988 a, S. 4): "This new compulsory training system brought many conjlicts between the govemment anti employers. It seems like another new tax or burdens for the employers, because Korea, not like other advanced countries, was a new developing country anti most of the intiustries had no experiences of implant training in the past. " 297 Tatsächlich zeigte diese Ausbildungsverpflichtung jedoch zu Beginn ihrer Gültigkeit Wirkung. Die folgende Übersicht veranschaulicht das recht gut. Die Zahl der Auszubil- denden stieg von 12.940 Personen im Jahr 1974 auf 96.820 im Jahr 1976 an. Danach allerdings setzt ein starker Abfall der Anzahl betrieblich offiziell ausgebildeter Fach- kräfte ein (Abb. 60). Ausbildungsleistung der Betriebe 100000 80000 60000 40000 20000 0 t-- 0 M \0 t-- t-- ~ ~ ~ Jahre Quelle: Statistiken des MOL. Abb. 60 Zur richtigen Interpretation der Kurve muß man noch weitere Daten berücksichtigen. Der erneute Anstieg im Jahr 1979 geht darauf zurück, daß ab 1976 die Anzahl der Beschäftigten je ausbildungsverpflichtetem Betrieb von 500 auf 300 gesenkt wurde. Es kam also eine große Zahl von Betrieben zusätzlich in die Ausbildungspflicht. 1986 wurde die Mitarbeiterzahl als Maßstab für die Ausbildungspflicht erneut abgesenkt, nun auf 200. 1995 lag die Zahl bei 150 Beschäftigten. 298 Absolut gesehen sind die Zahlen der Ausgebildeten Anfang der 90er Jahre wieder gestiegen. Relativ gesehen kann die Politik der Regierung, die Betriebe zur Ausbildung zu zwingen, nur als gescheitert bezeichnet werden: 1992 verweigerten 84 % aller verpflichteten Betriebe, Ausbildungen nach den Standards des Ministry of Labour durchzuführen. Für die Verweigerung gibt es eine gesetzliche Regelung. Man erkannte schon recht früh nach dem Inkrafttreten des Gesetzes 1975, daß nicht alle Betriebe von ihren Möglich- keiten her ausbilden konnten. So wurde für die Betriebe, die nicht ausbilden konnten - oder wollten - eine Ausbildungsabgabe (Training Levy) eingeführt. Anfangs wurde die Abgabe jährlich recht umständlich über Beschäftigungsverhältnisse sowie vorhergesag- tem Bedarf und branchenspezifisch geschätzen Ausbildungskosten errechnet. Später dann berechnete man die Abgabe in Anteilen von den Jahreslohnsumrnen. Die Aus- bildungsabgabe stieg von 0, I % auf schließlich 0,9 % an. Wie sich zeigte, zogen es die meisten Betriebe trotzdem vor, die Abgabe zu zahlen, anstatt nach staatlichen Richt- linien auszubilden. Das Levy-System als Umlageverfahren zur Finanzierung von beruflicher Ausbildung ist nicht unbestritten. Die Weltbank steht aber einer derartigen Finanzierungsstrategie prinzipiell wohlwollend gegenüber und berichtet in einer Studie über zahlreiche Varian- ten. Es scheint besonders in Südamerika mehrere Länder zu geben, die mit dem Um- lageverfahren positive Erfahrungen gemacht haben (Middleton et al. 1989, S. 100 ff.). In Deutschland stehen sich Befürworter einer Umlagefinanzierung (Gewerkschaften) und Gegner (Wirtschaft) recht unversöhnlich gegenüber. Nun handelt es sich in Korea nicht um eine Umlagefinanzierung im strengen Sinne. Vielmehr ist es eine "Strafsteuer", und so wird sie auch empfunden. In mehreren Weltbankberichten wird die koreanische Version des Levy-Systems als "Financial Disincentives" bezeichnet und als wenig erfolgreich eingeschätzt (Lee, K.-w. 1983, S. 21; Stevenson 1988, S. 12; Middleton et al. 1989, S. 118; ähnlich Middleton et al. 1993, S. 169). 299 Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum viele koreanische Betriebe ihrer verord- neten Ausbildungsverpflichtung nicht nachkommen wollen. Zum einen sind es wirt- schaftliche Gründe, die zur Zurückhaltung der Betriebe in Ausbildungsangelegenheiten führten, wie z. B. der zweite Ölschock, der Korea traf. Zum anderen liegt es am Verhalten des Arbeitsministeriums. Das MOL erließ zum Teil sehr kleinliche und gängelnde Vorschriften. So wurde beispielsweise die Raumgröße für Theorieunterricht festgelegt oder es wurde verlangt, teilweise veraltete Ausrüstungen anzuschaffen. Ferner durfte nur schriftliches Ausbildungsmaterial des Ministeriums eingesetzt werden. Sollten andere Fachbücher oder Unterlagen benutzt werden, mußten sich die Betriebe dieses durch das Ministerium genehmigen lassen. Seit 1992 hat das MOL diese und ähnliche Vorschriften gelockert in der Hoffnung, die Betriebe würden dann williger werden, vermehrt auszubilden. Sie wurden es aber nicht. weil auch grundsätzliche Meinungsver- schiedenheiten bestehen. MOL drängt darauf, daß mindestens eine sechsmonatige Erst- ausbildung angeboten werden soll, während die Industrie in vielen Fällen drei Monate für einen ersten Ausbildungsabschnitt für ausreichend hält. Sehr unbeliebt sind auch Kontrollbesuche und Interventionen von Angestellten der Arbeitsverwaltung in den Betrieben (Kim, T.-D. 1995, S. 23 f.; Lee, S.-J. 1990, S. 23 f.). Die beträchtlichen Strafsteuem fließen in den Vocational Training Promotion Fund. Aus diesen Mitteln werden Kredite gewährt, Ausbildungshilfen bezahlt und die unter MOL operierenden Vocational Training Institutes subventioniert. Trotz der gesetzlich vor- geschriebenen Ausgaben blieben erhebliche Mittel von Jahr zu Jahr nach. Von 1977 bis 1989 wuchsen die Reserven auf insgesamt über 62 Milliarden Won an, das sind etwa 12,4 Millionen DM (MOL 1990, S. 52). Diese Summe entspricht ungefähr drei Jahres- beiträgen der Training-Levy zahlenden Betriebe. Wohl auch, um den Unmut der Betriebe über die Höhe der nichtverausgabten Mittel nicht weiter anschwellen zu lassen, sind die Einnahmen und Ausgaben des Vocational Training Promotion Fund nach 1989 nicht mehr veröffentlicht worden. Nun zeichnet sich eine erhebliche Kurskorrektur in der Berufsbildungspolitik der Regierung ab. Weiter oben bin ich schon auf einen Bericht eingegangen, der von einer 300 hochrangigen Kommission im Auftrag des koreanischen Präsidenten erarbeitet worden ist. In diesem Bericht wird festgestellt, daß es aus koreanischer Sicht vernünftig wäre, das notwendige Fertigkeitstraining in die Verantwortung der privaten Wirtschaft zu geben und die Regierung eine unterstützende Rolle spielen zu lassen (Korea in the 21st Century 1995, S. 180 f.). Auch schon Jahre zuvor hat einer der führenden koreanischen Experten gefordert, eine generelle Arbeitslosenversicherung einzuführen und die Aus- bildungsverpflichtung für größere Betriebe bestimmter Branchen aufzuheben, da sich diese Politik nicht bewährt hätte (Lee. S.-I. 1990, S. 29). In diese Richtung entwickeln sich die Dinge nun, sicher nicht nur durch den zitierten Bericht und die Stimme eines Experten verursacht. 1995 ist durch Gesetz eine Arbeitslosenversicherung eingeführt worden. Der Text lag bis zum Abschluß dieser Studien noch nicht in englischer Sprache vor - Details können daher noch nicht mitgeteilt werden. Was aber aus Korea verlautet, klingt so: Die Arbeitslosenversicherung wird von allen Betrieben erhoben, ganz kleine Betriebe werden möglicherweise ausgenommen. Die Versicherung orientiert sich am deutschen Modell. Das Arbeitsministerium soll arbeitslosigkeitvorbeugende Kurse anbieten, arbeitslos gewordene Kräfte sollen umgeschult oder weitergebildet werden. Mit Inkrafttreten der Arbeitslosenversicherung wird gleichzeitig die Strafsteuer (Training Levy) aufgehoben und damit entfällt die Ausbildungsverpflichtung der mittleren und größeren Betriebe. Das bedeutet ganz und gar nicht, daß die Betriebe etwa keine Ausbildungsmaßnahmen mehr ergriffen. Nur die Betriebe bilden genau für ihren Bedarf und für ihre Arbeitsplätze aus und nicht nach standardisierten Plänen, an denen sie nicht einmal mitwirken konnten. Nun muß man gewiß zwischen Groß- und Kleinbetrieben unterscheiden. Die Qualität der Ausbildung und Weiterbildung in kleineren und kleinen Betrieben wird durchweg als unzureichend charakterisiert. Aber den größeren Firmen zollt unter anderem auch die Weltbank zurecht große Anerkennung (World Bank 1991, S.3): "Large firms invest heavily in skill training and maintain well-managed. generously-funded training centers. Such individual centers account for about two-thirds ofin-plant training. However, smallerfirms Lack the resour- ces to establish training programs. " 301 Korea Institute of Technology and Education (KITE) Die Ausbildung von Instruktoren hat in Korea eine kurze aber wechselvolle Geschichte. 1968 wurde das Central Vocational Training Institute mit Hilfe von UNDPIILO aufge- baut. Es sollten High-School-Absolventen und Middle-School-Abgänger mit dreijähriger Ausbildung respektive Berufserfahrung in einem zweijährigen Programm zu Instruktoren ausgebildet werden. Ziel war es, mit dieser Maßnahme den Bedarf an Lehrpersonal der VTIs zu decken. Das geschah auch - die Ausbildung blieb jedoch insgesamt unbefriedi- gend: Die praktischen Fertigkeiten waren defizitär Das technische Fachwissen blieb sehr eingegrenzt Eine Industrieerfahrung fehlte mehr oder weniger. Anfang der 90er Jahre lief diese Instruktoren-Ausbildung aus. Für den wachsenden Bedarf an Instruktoren im Sinne von deutschen Ausbildern ("In- structor in Charge of On-tbe-Job Training"), gibt es nunmehr Licence Courses, Upgrade Training und Retraining Angebote mit einer Dauer von drei Tagen und mehr als vier Wochen (MOL 1993, S. 18). Von den betrieblichen Ausbildern zu unterscheiden ist das Personal für Vocational Training Institutes und firmeneigene Training Centres. Hierfür soll ein "Instructor in Charge of Institutional Training" ausgebildet werden. Um das Ausbildungskonzept wurde lange gerungen. Die Dauer der Ausbildung z. B. und die Art des Abschlusses, akademischer Grad oder nicht, wurden von koreanischen und deutschen Experten viele Jahre hindurch diskutiert (SchoenfeldtiStiefvater 1980, S. 49 ff.; Schilling 1988, S. 11 f.; Lee, S.-J. 1988, S. 103 ff.). Ich überspringe die Phasen der Entwicklung des Kon- zepts und seiner Realisierung, obwohl es schon interessant wäre, auf das Instruktoren- Projekt am Korea Institute of Technology näher einzugehen. Dies würde aber den Rahmen der vorliegenden Studien sprengen. Das Ergebnis stellt sich heute in dem 1992 eröffneten Korea Institute of Technology and Education dar. Es handelt sich der Form nach um ein vierjähriges College mit dem Abschluß eines Bachelor's Degree. Es ist die 302 erste Einrichtung im fonnalen, tertiären Bildungssektor, die dem Ministry of Labour untersteht. Insofern fällt das Institut aus dem Rahmen "non-fonnaler beruflicher Bil- dung" heraus. Die Ansiedlung der Instruktorenausbildung im tertiären Bereich verrät viel über das Konzept. Es ist nicht der industrieerfahrene, praxiskompetente Ausbilder als Zielvorstellung gewählt worden, sondern der technisch (theoretisch) hochqualifizierte Akademiker. Der Bachelor's Degree wird in einem Fachgebiet der Ingenieurwissen- schaften erworben. Aus dem Organigramm (Abb. 61) lassen sich die acht technischen Fachrichtungen, die studiert werden können, ablesen. Die Aufnahmekapazität beträgt jährlich 30 Studenten je Fachrichtung. Die Gesamtkapazität beträgt mithin 960 Studienplätze. Das neunte Department beheimatet Allgemeinbildung und Berufspädagogik. Angestrebt wird eine Doppelqualifikation, bestehend aus einer technischen Kompetenz und einer berufspäd- agogisch/fachdidaktischen Kompetenz. Diese Absicht wird aus den Zielbeschreibungen des Instituts deutlich (KITE 1993, S. 5, S. 8): "Korea Institute ofTechnology and Education, answering the demands ofthe times and of our nation, tries to train not only the excellent engineers but also vocational-training instructors with the minds and superior technics of a professional man to the backbone... Korea Institute of Technology and Education has an aim to cultivate the creative vocational training teachers by means of the education for the whole man, the basic ideal of education in Korea, and to contribute to the industrial development in Korea by providing the essential theories and various applied methodologies in the industrial technology. " 303 w ~ O fl an ig ra m m de s K or ea In st itu te oe T ec hn ol og y a n d E du ca tio n - 1D ep t. o fM ec ha ni ca lE ng in ee rin g fo rI nd us try O ff ic e o f r - - - A ca de m ic A ff ai rs - - - lDe pt .o fM ec ha ni ca lE ng in ee rin g fo rP ro du ct io n O ff ic eo f - D ep t. o fM ec ha ni ca lE ng in ee rin g fo rA ut om at oi n f- - - St ud en tA ff ai rs - D ep t. o fM ec ha ni ca lE ng in ee rin g o fP ow er A ca de m ic A ff ai rs O ff ic e o f - - - lDe pt .o fE le ct ric al En gi ne er in g C om m itt ee G en er al A ff ai rs - 1D ep t. o fE le ct ro ni c En gi ne er in g IPre si de nt : U nd er gr ad ua te r - - - lDe pt .o fI nf or m at io n a n d Co m m un ic at io n En gi ne er in g Pe rs on ne lA ff ai rs D ep t. o fI nd us tri al D es ig n C om m itt ee . . - - ' - - D ep t.o fL ib er al Ar ts a n d Te ac he rE du ca tio n - R es ea rc h R es ea rc h Ce nt er o fI nd us tri al Te ch no lo gy a n d O rg an iz at io n M an po w er - Co m pu te rC en te r - A ux ili ar y M ai n Li br ar y O rg an iz at io n - 1D or m ito ry Qu ell e: Kl TE 19 93 ,S 10 . A bb .6 1 Es ist ein geschickter Ansatz, das Studium mit einer vollen Ingenieursausbildung abschließen zu lassen. Auf diese Weise können die Absolventen, die nicht als Lehrper- sonal in den VTIs oder IMCs Aufnahme finden, sich als ganz "normale" Ingenieure in der Wirtschaft bewerben. Nach Einarbeitung und dem Nachweis sowohl technischer Leistungsfähigkeit als auch zuverlässiger Loyalität zum Betrieb, wäre dann ein Wechsel in den Bereich PersonalentwicklungiAusbildung gut denkbar. Vermutlich wäre keine große Firma bereit, einen Neuling ohne "Stallgeruch" in dem sensiblen Gebiet betriebli- cher Aus- und Weiterbildung anfänglich tätig werden zu lassen. Eine berufspädagogi- sche Kompetenz läßt sich wahrscheinlich am besten über eine technisch-fachliche Qualifikation in die Betriebe "einschleusen". Auch für den Einsatz an den VTIs und IMCs ist es weitblickend, das Lehrpersonal akademisch zu qualifizieren. Zum einen bedarf es bei zunehmenden Weiterbildungs- angeboten dieser Institutionen einer deutlichen Verbesserung der Reputation der Anbie- ter. Zum anderen müssen die Lehrenden über eine akademische Ausbildung verfügen, wenn alle oder einige der unter MOL-Kontrolle stehenden IMCs oder sogar VTIs den Sprung in den formalen tertiären Bildungssektor schaffen sollen. Doppelqualifikationen haben aber auch ihre Probleme und ihren Preis. Um die staatliche Anerkennung des Bachelor's Degree zu bekommen, müssen die Studenten des KITE ohne Abstriche das volle ingenieurwissenschaftliche Curriculum studieren. Die berufs- pädagogische Qualifikation wird ohne Verlängerung der Studiendauer zusätzlich erwor- ben, was zu einer erheblichen Mehrbelastung der Studenten führt. Welche Chancen die Absolventen auf dem Arbeitsmarkt haben werden, wird die Zukunft zeigen. Die erste Gruppe schließt ihr Studium 1996 ab. National Technical Oualification Testing System Aus der Zeit des dritten Fünfjahresplans (1972-76) stammt ein Gesetz zu Standards technischer Qualifizierung (National Technical Qualification Act). Es trat 1973 in Kraft. Auf dieses Gesetz gründet sich ein Testsystem mit folgendem Verständnis der zuständi- 305 gen Stelle (MOL 1995, S. 18): "Primary Junction 01 the national technical qualification system is to test individual skill and degree 01 skilllevel and to attest their skill level by the govemment. The system aims to improve quality 01 technical manpower and to promote their social and economical status in order to contribute to the national economic development. " Es gibt nun einige Eigentümlichkeiten, die dieses System kennzeichnen und zugleich in seiner Funktion beeinträchtigen. So ist bemerkenswert, daß Ausbildung und Examen für einen beruflichen Titel gänzlich auseinanderfallen. Wer seine Ausbildung z. B. an einer Technical High School oder nach einer einjährigen Ausbildung an einem Vocational Training Institute abschließt, bekommt zunächst nur ein Abschlußzeugnis der jeweiligen Ausbildungsinstitution. Er kann sich dann zur Teilnahme am Skill Test für die Stufe Class 11 Craftsman in der KOMA anmelden. Ob sich nun der Absolvent dem Skill Test unterzieht oder nicht, ist gänzlich seine Angelegenheit. Viel wert ist die Zugangsberech- tigung zum Test der genannten Stufe ohnehin nicht - weil es für diese Prüfung gar keine offizielle Vorbedingung gibt. Eine weitere Besonderheit ist, daß es keine konkrete Verbindung zwischen den Aus- bildungsgängen im formalen oder non-formalen Bildungssystem mit den Skill Tests gibt. Die Zugangsberechtigungen zu den Tests lassen häufig verschiedene Bildungs- abschlüsse zu. Fehlende Abschlüsse können fast immer durch entsprechend lange berufliche Praxis ersetzt werden. An sich ist theoretisch gesehen die Offenheit des Testsystems und seine geringe Bindung an das Berechtigungswesen vorteilhaft. In der Praxis zeigt sich in der Ungebundenheit aber ein Stück Willkür mit sehr nachteiliger Wirkung. Die Tests werden in alleiniger Zuständigkeit für die technischen Berufe von der Korea Manpower Agency entwickelt und durchgeführt. Es gelten die folgenden Stufen und Bedingungen (Abb. 62). 306 ~ :3 O ua lif ik at io ns st uf en u n d Zu la ss un gs vo ra us se tz un ge n ru r di e Te st s - U ni ve rs ity + (9 ye ar s) - M as te rs Co lle ge : Pr of es si on al En gi ne er r- IMa st er Cr af ts m an : - Ju ni or Co lle ge + (11 ye ar s) - 16 ye ar s w o rk - 18 ye ar sw o rk (7 ye ar s) (9 ye ar s) (11 ye ar s) - U ni ve rs ity - Ju ni or Co lle ge + (2 ye ar s) : Cl as sI En gi ne er I - 9 ye ar s w o rk (2 ye ar s) - Ju ni or Co lle ge - Ju ni or V oc at io na lC ol le ge - H ig h Sc ho ol + (4 ye ar s) lCla ss II En gi ne er I-: - - lC la ss I Cr af tm an I - H ig h Sc ho ol + (4 ye ar s) - 6 ye ar sw o rk I I - 6 ye ar sw o rk - 2 ye ar s v o ca tio na l - 2 ye ar s v o ca tio na l tr ai ni ng co u rs e tr ai ni ng co u rs e (3 ye ar s) (3 ye ar s) t : Cl as s1 1C ra ftm an : - N o lim its in ap pl ic at io n I h. I I - N o lim its in ap pl ic at io n Qu ell e: M OL 19 95 ,S .1 9. A bb .6 2 Im Bereich der Facharbeiterberufe werden Tests in 424 Trades und im Ingenieurbereich in 272 Trades abgenommen. Die fehlende Koordination mit den Ausbildungsplänen und die mangelhafte Kooperation mit der Wirtschaft führen zu fast unglaublichen Durchfallquoten. Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre sind genau 80 % aller Testkandidaten durch die Prüfung gefallen (Abb. 63). Da ich nicht vermute, daß die Qualifikation technischer Fachkräfte in Korea so verheerend schlecht ist oder die Selbsteinschätzung der Bewerber durch all die Jahre maßlos war, kann das Ergebnis nur durch die Testaufgaben verursacht werden. Die Tests sind offensichtlich sehr weit entfernt von Ausbildungsstand, Berufserfahrung und technischer Realität. Testergebnisse der Jahre 1973·1990 (im Durchschnitt) nicht z. z. bestanden bestanden jährlich ca. Assistant Craftsman 50 % 50 % 9.000 Class 11 Craftsman 82 % 18 % 150.000 Class I Craftsman 83 % 17 % 6.000 Master Craftsman 52 % 48 % 100 Engineer Group 84 % 16 % 30.000 Quelle: nach MOL 1990, S. 134 ff. Abb. 63 Bei den Arbeitskräften ist ein gewisses Bedürfnis nach erfolgreichem .Erwerb der Zertifikate unübersehbar. Wenn 150.000 Kandidaten im Jahr erfolgreich sind, müssen sich bei den Durchfallquoten etwa eine Dreiviertelmillion Fachkräfte zur Prüfung melden. In der Wirtschaft hält sich die Wertschätzung der Zertifikate hingegen sehr in Grenzen. Für den Arbeitsmarkt spielen - wohl auch wegen der insgesamt geringen Verbreitung - die staatlich verliehenen Titel praktisch keine Rolle. 308 6.4 Bildung und Ausbildung für Frauen Die Aussage, daß Frauen in Korea unterprivilegiert sind, ist nicht besonders sensatio- nell, denn dieser Sachverhalt gilt für die meisten Gesellschaften. Vermutlich ist es aber besonders schwer, in konfuzianisch geprägten Gesellschaften eine in unserem Sinne volle Gleichstellung von Mann und Frau herbeizuführen. Die hindernden Gründe liegen tief verwurzelt in der kulturellen Tradition. Im Kapitel 3.1 wurde schon auf die zentrale Bedeutung von Yin und Yang für das Weltverständnis der Koreaner hingewiesen. Alles läßt sich nach dieser alten chinesi- schen Denktradition auf der Dualität von Yin und Yang aufgebaut vorstellen. Yin und Yang sind zwei aufeinander bezogene Kräfte, sie bilden eine untrennbare Einheit. Sie sind jedoch nicht gleich, ähneln sich nicht einmal, sondern stehen sich in einem gegen- sätzlich-ergänzenden Verhältnis gegenüber. Das eine ist nicht ohne das andere denkbar. Yin und Yang sind komplementär aufeinander angewiesen. Wenn nun das Verhältnis von Mann und Frau im Sinne von Yin und Yang gedeutet wird, dann können Mann und Frau nicht gleich sein, sie sind dann grundsätzlich unterschiedlich. Das sagt im übrigen zunächst nichts über eine Über- und Unterordnung aus. Theoretisch können Yin und Yang nur existieren, wenn sie gleichwertig und gleich stark sind. Die Unterschiedlich- keit wird deutlicher, wenn man sich die folgende Merkmalszuordnung anschaut: Kennzeichen für Yin sind: Weiblich, Erde, passiv, dunkel, Mond, weich Kennzeichen für Yang sind: Männlich, Himmel, aktiv, hell, Sonne, hart. Der Gegensatz von Mann und Frau bildete die Grundregel der frühen chinesischen Gesellschaftsordnung (Granet 1993, S. 103): "Nur wenn man sich die alten Formen des Gegensatzes der Geschlechter vergegenwärtigt. vermag man den Gehalt, die Rolle, die Entwicklung, ja selbst die Bezeichnungen der Begriffe fin und fang zu verstehen. Im alten China standen sich Männer und Frauen wie zwei miteinander wettstreitende Verbände gegenüber. Eine aus technischen und sexuellen Verboten gefügte 309 Barriere trennte sie. Ackerbauer und Weberinnen stellten Gruppen dar, welche ihrer verschiedenen Lebensweise, verschiedener Interessen und Ziele und unterschiedlichen Besitzes wegen miteinander wetteiferten, gleichzeitig aber zusammengehörten. Diese komplementären Gruppen teilten sich in die Arbeit und in die verschiedenen Verrichtungen, wie auch in die Zeitabschnit- te und Ortlichkeiten, an welchen diese zu verrichten waren. Jede Gruppe hatte ihre eigene Lebensform, wobei sich das Gesellschaftsleben aus dem Zusammenwirken dieser beiden Formen ergab." Die gedankliche Unterscheidung von Mann und Frau geht über die Behauptung einer naturgegebenen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung weit hinweg. Der Biograph von Konfuzius soll es als eine der großen Leistungen des Meisters gewertet haben, daß Konfuzius während seiner relativ kurzen Zeit als stellvertretender Kanzler von Lu anregte, daß Männer und Frauen auf verschiedenen Straßenseiten gehen sollten (Kon- fuzius 1994, S. 236). Soweit ist es wohl nicht gekommen. Dennoch kann man Kalton folgen, der Ende der 70er Jahre feststellte (Kalton 1991, S. 19): "The impression one gets is that Korea is in many ways virtually !Wo socie- ties, with the worM of men and the worM of women each being much more distinct and self-sufficient socially than is the case in America. " Diesen Eindruck kann man auch heute noch gewinnen. Die Erfahrungs- und Erlebnis- kreise von Männern und Frauen sind vielfach getrennt. Männer gehen mit Männern essen und wandern. Frauen besprechen beispielsweise die notwendigen Regelungen in einer gemeinsamen Wohnanlage unter sich, unternehmen fröhlich Ausflüge gemeinsam, treiben zusammen Sport und helfen sich untereinander (Schoenfeldt, Ellen 1994, S. 12). Jedenfalls ist es weit weniger als bei uns üblich, daß Männer und Frauen etwas gemein- sam oder gar das gleiche tun. Zu dieser Art von Ungleichheit kommt nun aber noch eine andere hinzu, die den koreanischen Frauen das Leben sehr schwer gemacht hat und die auch heute noch nachwirkt. In vertikal strukturierten Gesellschaften gibt es keine Gleichheit im Sinne von Gleich- rangigkeit. Das Strukturmerkmal ist ja gerade die Über- und Unterordnung aller sozialen 310 Beziehungen. Wenn sich diese Struktur mit einer ausgeprägten patriarchalischen Ord- nung kombiniert, ist die Unterdrückung der Frau vorprogrammiert. Bevor aber die gesellschaftliche Situation und die damit verbundenen Lernmöglichkeiten der koreanischen Frauen während der konfuzianisch beeinflußten Zeitspanne kurz dargestellt werden, muß noch ein Blick auf eine frühere Epoche zurückgeworfen werden. Die geschriebene Geschichte Koreas beginnt deutlich vor dem dominanten Einfluß des Konfuzianismus. Während der Zeit der drei Reiche Alt-Silla, Koguryo und Paekche, die kurz vor unserer Zeitrechnung gegründet wurden und bis etwa 668 n. ehr. existierten, war nach allem, was man weiß, die Stellung der Frau gegenüber dem Mann weitgehend gleichberechtigt. Das gilt jedenfalls für das alltägliche Leben auf dem Lande. Waren die Männer im Krieg oder verstarb ein männlicher Haushaltungsvorstand, so übernahmen die Frauen die volle Verantwortung für Familie, Haushalt und Einkom- menssicherung (Koch 1995, S. 15 f.). Die freie Gattenwahl war zumindest in den sozialen Unterschichten vielfach üblich. Die Frauen waren erbberechtigt und - was ein besonderes Zeichen von Gleichberechtigung ist - waren nicht ausgeschlossen, die zeremoniellen Rituale bei der Ahnenverehrung vorzunehmen. In Alt-Silla regierten dreimal Königinnen, und zwar aus eigenem Anspruch, nicht als weiterregierende Witwen eines verstorbenen Herrschers. Von den drei Königinnen gehört die Königin Sundok (632-647) zu den prominentesten Herrschergestalten der langen koreanischen Geschichte (Eliseit 1978, S. 277). Nun muß man sich wahrscheinlich davor hüten, die Vergangenheit, je weiter sie denn zurückliegt, desto mehr zu glorifizieren. Dennoch sprechen viele Quellen davon, daß die eigentlich berichtenswerte Unterdrückung der Frauen in Korea erst mit dem Einzug der Lehre von KonJuzius begann. Der Konfuzianismus begann im Groß-Silla-Reich (668- 918) Fuß zu fassen, als vorherrschende Lehre wirkte aber noch der Buddhismus. Das war auch im Koryo-Reich nicht wesentlich anders. Erst während der Yi-Dynastie (1392- 1910) wurde der Konfuzianismus zur staatstragenden Lehre und begann zunehmend mehr das ganze gesellschaftliche Leben zu regeln. Die Entrechtung der Frau war also 311 ein schleichender Prozeß. Im folgenden nenne ich nur schlaglichtartig einige Punkte, ohne die geschichtliche Entwicklung im einzelnen nachzuzeichnen. Die konfuzianische Lehre sieht nun gleich ein dreifaches Unterwerfungsverhältnis für Frauen vor. Zunächst untersteht die Frau als Tochter ihrem Vater. Er kann sich unbe- dingten Respekt und Kindespietät ausbedingen. Die Tochter kommt aus diesem Verhält- nis nur durch Heirat heraus. Dabei gerät die Frau in ein Untergeordnetenverhältnis zu ihrem Mann. Gehorsamkeit, Bescheidenheit und ähnliche Tugenden wurden weiterhin gefordert. Starb der Ehemann vor ihr, so hatte sie sich nunmehr dem ältesten Sohn, der Oberhaupt der Familie wurde, unterzuordnen. In einer so ganz und gar auf männliche Vorfahren und Nachfolger ausgerichteten Gesellschaft erwartet die Frau eine entwürdi- gende und häufig demütigende Behandlung. So bekamen Töchter nicht selten Namen, die ausdrückten, wie unerwünscht sie waren. Es waren Adjektive, die dann als Namen substantiviert wurden, wie "bedauern, schade, ärgerlich, betrüblich" oder die vierte Tochter bekam den Namen "Schämen 4" (Pak, J.-5. 1985, S. 91). Strenge Heiratsregeln verhinderten individuell verabredete Eheschließungen. Die Familien verheirateten ihre Kinder nach Kriterien der Zunahme von Reichtum und Einfluß und Ansehen. Streng wurde darauf geachtet, daß die Ehepartner der gleichen sozialen Schicht angehörten. Diese Regeln trafen natürlich auch den Mann. Nur Männer konnten sich helfen, indem sie sich nach eigenem Gutdünken eine Nebenfrau zulegen konnten. Das taten sie sowieso häufig, wenn die angetraute Frau in angemessener Zeit keine Kinder oder keine Söhne bekam. Ein Sohn mußte dann als nachfolgendes Glied der Familie mit einer Nebenfrau gezeugt oder notfalls adoptiert werden. Denn die Familie wurde nicht durch die Zweierbeziehung von Mann und Frau geprägt, sondern durch die Abfolge von Generationen. Die Männer empfanden sich als Glieder einer langen Kette von Generationen, die nicht abgebrochen werden durfte. Da Frauen für untauglich gehalten wurden, die Rituale des Ahnenkults durchzuführen, hing viel von der Geburt eines Sohnes ab. Scheidenlassen konnte sich nur der Mann von der Frau, und zwar aus einem der folgenden sieben 312 Gründe (Kim, E.-O. 1979, S. 61): 1. Mangelnde Loyalität der Frau gegenüber den Schwiegereltern, 2. wenn die Frau keine Söhne gebar, 3. bei Ehebruch, 4. bei Eifersucht der Frau, 5. bei erblicher Krankheit, 6. bei Streitsucht der Frau, 7. wenn die Frau stahl. Die Scheidungsgründe sind überwiegend vage und gaben dem Mann dadurch zusätzli- che Macht. Allerdings sagt die Literatur aus, daß sich das Ausmaß der Scheidungen während der Yi-Dynastie in engen Grenzen hielt. Das im Prinzip nicht hierarchisch gedachte Yin-Yang-Verhältnis wurde neu interpretiert. Der Mann gleicht dem Himmel, steht hoch, wird geehrt und ist aktiv. Die Frau hin- gegen gleicht der Erde, steht unten, bedarf keiner Verehrung und ist passiv (Kim, E.-O. 1979, S. 35). Vor dem Hintergrund dieser Ideologie wurde die Frau immer mehr aus der Mitarbeit in der Öffentlichkeit verdrängt, ihre Bewegungsfreiheit immer mehr einge- schränkt, bis sie schließlich ganz und gar auf die Arbeit im Haus und für die Familie fixiert war. Aktiv und außerhäuslich war nur noch der Mann. Alle äußeren Angelegen- heiten regelte der Mann, für den häuslichen Bereich war ebenso ausschließlich die Frau zuständig. Das Beziehungsverhältnis zwischen Männern und Frauen war somit klar und konsequent geregelt (Pak, J.-S. 1995, S. 30). Es gab während der Yi-Dynastie einige, wenige Ausnahmen von Tätigkeiten, die von Frauen außerhäuslich verrichtet wurden. Da gab es die Gruppe von weiblichen Schama- nen, die sehr alten Traditionen folgend, Funktionen wie Geister-Priesterinnen, Seherin- nen und Wahrsagerinnen und Heilerinnen durch Exorzismus wahrnahmen. Eine andere Gruppe waren die Palastdamen. Durchschnittlich 500 von ihnen bevölkerten den königlichen Hof. Die Mädchen stammten im allgemeinen aus bescheidenen Verhält- 313 nissen und wurden in jungen Jahren (etwa 10 Jahre alt) ausgewählt. Ob das immer mit Zustimmung der Familie geschah, die sich mit einer Tochter am Hof eine Chance zur Verbesserung ihrer Situation erhoffte (Eliseit 1978, S. 279), oder ob es sich um Zwangsrekrutierungen handelte (Kim, E.-O. 1979, S. 53), muß hier offen bleiben. Die meisten dieser Frauen blieben Dienerinnen, Näherinnen, Wäscherinnen oder ähnliches. Einigen gelang es, in den inneren Kreis des Hofes vorzudringen und die Zuneigung des Königs zu gewinnen. Immerhin waren von den 27 Königen der Yi-Dynastie vier die Söhne von Palastdamen (Eliseit 1978, S. 279). Die rigide Geschlechtertrennung verbot es männlichen Ärzten, Frauen zu behandeln. So gab es seit ca. 1409 eine Regierungsverordnung, die vorsah, junge Frauen zu Ärztinnen auszubilden. Auf diese Weise sollte vor allem am Hof für die hochstehenden weiblichen Mitglieder der königlichen Familie eine medizinische Versorgung bereitgestellt werden. Mädchen, wiederum meist aus der Unter- oder Mittelschicht, wurden den damaligen Erkenntnissen entsprechend gut ausgebildet. Ihr Sozialstatus blieb relativ niedrig, sie hatten aber bei angesehenen Familien und am Hof einen gewissen Einfluß. Ferner gab es noch die sogenannten Kisaengs. Das waren junge Frauen, die als Un- terhalterinnen in Tanz, Gesang und Musizieren ebenso ausgebildet waren wie im Lesen und Schreiben. Sie galten als gebildet und kultiviert und waren bei den Abendgeseli- schaften der herrschenden Kreise eine Mischung aus Gastgeberin und gepflegter Bedie- nung. Sie waren wohl die besterzogensten Frauen der Yi-Dynastie. Eine gewisse Nähe zur Prostitution blieb diesen Frauen nicht erspart - obwohl dies ganz eindeutig nicht ihre eigentliche Zweckbestimmung war. Damit ist wohl alles beschrieben, was an nennenswerter Ausbildung für außerhäusliche Tätigkeiten von Frauen angeboten wurde. Die Familien investierten in die Bildung ihrer Töchter wenig. Töchter trugen weder zum Ansehen noch zum Reichtum bei. Sie waren auch nicht erbberechtigt, führten also auch die Familie nicht weiter. Mit der Heirat wechselten die Töchter in die Familie des Mannes. Die Verbindung zu den eigenen 314 Eltern wurde locker. Aus der alten Abhängigkeit wechselten sie in eine neue. Nun war den Schwiegereltern Respekt zu zollen (Pak, J.-S. 1985, S. 34). Von einer formalen Bildung waren Frauen während der Yi-Dynastie gänzlich ausge- schlossen. Bildung war Privileg der Männer. Sie konnten sich direkt auf Konjuzius berufen, der von Frauen in Schulen auch nichts gehalten hatte. Was es gab, war eine familienzentrierte informelle Erziehung der Töchter. Schwerpunkte waren Haushalts- führung, Kinderaufzucht und besonders Tugendlehre. Die Tugend der Frauen lag den Herrschenden offensichtlich besonders am Herzen. König Sejong rief 1432 eine Gruppe von Gelehrten zu sich und erteilte den Auftrag, ein Buch zusammenzustellen, mit dessen Hilfe die Prinzipien tugendhaften und angemesse- nen Verhaltens erlernt und gefestigt werden könnten. Da das Buch in chinesischer Schreibweise herauskam, hatte es nur wenig Nutzen, denn die Frauen konnten ganz überwiegend kein Chinesisch. Erst 1841 erschien das Buch in einer Mischung von Hangul und chinesischen Charaktern und wurde in größerem Umfang zur Belehrung von Frauen eingesetzt. Durch das Ministerium für Riten wurden die Haushaltungsvor- stände aufgefordert, die Frauen in ihrer Familie danach zu unterweisen. Weite Ver- breitung hatte auch ein Buch der Mutter eines Monarchen. Das Buch wurde 1475 gleich in Hangul herausgegeben. Es enthielt Kapitel über Sprechweise und Sprachverhalten, Kindes-Pietät, Ehestand und eheliche Beziehungen, MuUerschaftsverhältnis, Verwandt- schaft und Sparsamkeit (Jayasuriya 1983, S. 26). Die Frauen, ohne Zulassung zu Schulen, waren gänzlich auf informelle Bildung durch den Vater, gelegentlich auch durch einen Bruder, angewiesen. Die Entwicklung einer koreanischen Schrift, Hangul, war für die Frauen hilfreich. Die Schrift ließ sich leicht erlernen, vor allem im Vergleich zu der Mühe, die notwendig ist, um tausende von chinesischen Charaktem zu beherrschen. Die gelehrten Koreaner standen Hangul skeptisch gegenüber. Zum einen, wie schon früher berichtet, befürchteten sie eine Beeinträchtigung ihres Dialoges mit den chinesi- 315 sehen Kollegen. Zum anderen nahmen sie mit Mißfallen zur Kenntnis, daß damit das männliche Schreib-Lese-Monopol in Gefahr geriet (Koch 1995, S. 24). Zwar konnten sich - zumindest in den besser gestellten Familien - die Frauen in Hangul Briefe schreiben und einige Erbauungsliteratur wurde ihnen auch zugänglich. Aber es war für alle Bildungsmöglichkeiten charakteristisch, Frauen gesellschaftliche Partizipation nicht zu ermöglichen, sondern sie geradezu gezielt zu verhindern (Kwon, L.-C. 1986, S. 120): "Inhaltlich orientierte sich diese Erziehung an den für die Frau geltenden moralischen und ethischen Grundsätzen. Diesbezügliche Texte fanden zu- nächst in der königlichen Familie Verwendung, später wurden sie Allgemein- gut. Grundlegender Gedanke war die Unterordnung der Frau unter den Mann - legitimiert allein durch das Geschlecht. So diente während der Yi- Dynastie Erziehung der Frauen nicht ihrer personalen Entfaltung und nicht der Befähigung, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen, sondern lediglich der Einübung in ihre Untertanenrolle, in den blinden Gehorsam dem Mann gegenüber." Während des 17. und 18. Jahrhunderts entwickelte sich die wohl interessanteste Denk- schule der Yi-Dynastie, die Sirhak oder auch "praktisches Lernen" genannt wird. Diese Lehre war einerseits an pragmatisch-realistischer Forschung orientiert und andererseits an eine fast utopisch anmutende Vorstellung von Gesellschaftsordnung gebunden. Sie wurde zu einer starken Stimme der Kritik am Neokonfuzianismus, seiner rückwärts orientierten rein geisteswissenschaftlichen Forschung und seinen erstarrten gesellschaftli- chen Verhältnissen. Die Bewegung setzte sich sehr für die Verbesserung der Verhält- nisse auf dem Lande und der Unterprivilegierten ein. Sie stritt ebenso für die Gleichheit aller Menschen und forderte für alle gleiche Chancen in der Erziehung und im Zugang zu Regierungsämtern (Nahm 1993, S. 128 ff.; Lee, K.-B. 1984, S. 232 ff.). Nach meiner Ansicht ist es daher merkwürdig, daß einer der führenden Gelehrten dieser Schule, Yi Ik (1681-1763), sich bezüglich der Bildung von Frauen äußerst konservativ und system- konform verhielt. Dazu ein Zitat (nach: Jayasuriya 1983, s. 26): "Reading and learning are the domains of men. For a woman it is enough if she knows the Confucian virtues ofdiligence, frugality and chastity. " 316 Es sind sicher auch noch andere Bewegungen zu nennen, die sich für soziale Reformen stark gemacht haben, wie z. B. die Sekte oder Religion Tonhak (auch als "Eastern Learning" bezeichnet) und der Independence Club. Der Durchbruch, um Mädchen den Zugang zur formalen Bildung zu ennöglichen, gelang dann erst amerikanischen Missio- naren. Die fonnale, schulische Bildung für Frauen begann mit der Eröffnung der ersten Mädchenschule der Ewha-Schule 1886. Ein einziges Mädchen aus der Mittelschicht machte den Anfang (A Handbook 1994, S. 493). Für die führenden Familien blieb es noch eine Weile ungewöhnlich, Mädchen in eine Schule schicken zu sollen. Es kamen jedoch mit den folgenden Jahren weitere "westliche" Schulen, durch evangelische Religionsgemeinschaften gegründet, hinzu. Aus diesen Schulen gingen führende Frauen der koreanischen Frauenbewegung hervor (Ko, H.-K. 1964, S. 11). In den Schulen wurde auf koreanisch unterrichtet. Zunächst wurde auch nur die koreanische Schrift gelernt. Bibel- und Missionsarbeit standen damals im Vordergrund, aber auch weltliche Fächer kamen hinzu. Englisch wurde als erste Fremdsprache eingeführt und schließlich wurden auch die chinesischen Charakter als Lerninhalte aufgenommen. Die koreanische Regierung tat sich schwer, Neuerungen im Bildungssystem zuzulassen oder gar durch Schulgründungen zu fördern. Ein Schulgesetz von 1884 unterstützte weiterhin nur Schulen für Jungen. Der Kaiser zeigte sich nach einer Petition der ersten koreanischen Frauenbewegung an ihn im Jahr 1898 geneigt, Mädchenschulen einzufüh- ren, die konservative Regierung ließ jedoch eine Finanzierung nicht zu. Die Frauenbe- wegung gründete darauf hin im gleichen Jahr mit Hilfe von Beiträgen und Spenden eine erste koreanische, private Mädchenschule, die Sunsong Schule. Diese Schulgründung gilt als Markierungspunkt für den Beginn eigener, koreanischer Bemühungen, Frauen zu fonnaler Bildung zu verhelfen. Zehn Jahre später, 1908, kam es schließlich zur ersten staatlichen Schulgründung für Mädchen, der Hansong Girl's High School. Soviel zu den Bildungschancen von Mädchen während der Yi-Dynastie. 1910 ging diese Dynastie mit der Annexion Koreas durch die Japaner zu Ende. Während der Kolonial- zeit bis 1945 wurde die Mädchenbildung nicht verbessert, sie blieb praktisch auf das Grundschulniveau beschränkt. Jedoch nahmen die Frauen, ein Stück des Weges aus der 317 gesellschaftlichen Unterprivilegierung gegangen, tatkräftig an allen Untergrundbewegun- gen und Aufständen gegen die japanische Besatzungsmacht teil. Einige statistische Angaben zur Bildungssituation von Frauen während der Kolonialzeit sollen das Bild abrunden (KOIS 1978, S. 63). - 1943 gab es im ganzen Land 16 öffentliche und 11 private High Schools mit etwa 16.000 Schülerinnen. - Das Verhältnis von Jungen zu Mädchen im Bereich der High Schools betrug 3 : 1. - Auf der College-Ebene gab es 1910 nur eine einzige Klasse von 15 Studentinnen am Ewha Women's College. - Ab 1938 bestand ein Medical College für Frauen, eine Ausbildungsstätte für Kinder- gärtnerinnen und zwei Institute zur Qualifizierung von Grundschullehrerinnen (ge- meinsam mit japanischen Studentinnen). Nach der japanischen Niederlage wurde der Ruf nach Gleichberechtigung der Frauen unüberhörbar. Unter Beratung der amerikanischen Besatzungsmacht entstand 1948 die Verfassung der Republik Korea. In ihr wurde die Gleichheit der Rechte von Männern und Frauen festgeschrieben. Das Wahlrecht wurde auch den Frauen zuerkannt, sie wurden auch wählbar, können öffentliche Ämter bekleiden und politischen Parteien beitreten. Ferner heißt es in der Verfassung: "all citizens shall have the right to receive equal education in accordance with their capabilities (A Handbook 1994, S. 494). Frauen diskriminierende Vorbehalte sind in der Verfassung nicht zu erkennen. Aber das Inkraftsetzen einer Verfassung bedeutet noch nicht eine unmittelbare Veränderung gesellschaftlicher Realitäten. Bis in die 60er Jahre waren gesellschaftliche Vorurteile als Bildungshindernisse erkennbar. Heute kann man sagen, daß Mädchen und Jungen die gleichen Bildungschancen haben. Diese Aussage gilt zumindest bis zum Abschluß der Sekundarstufe ß. Im Hochschulbereich sind Frauen noch deutlich unterrepräsentiert. Die ständige Aufholbewegung der Frauen nach Ende des zweiten Weltkrieges respektive des Korea-Krieges wird in absehbarer Zeit auch im tertiären Bildungsbereich zur quantitati- ven Gleichheit der Bildungsabschlüsse von Studenten und Studentinnen führen. Es ist ja nun nicht der Bildungswille der Lernenden allein, der über den schließlich erreichten 318 Bildungsstand entscheidet. Örtliche Bedingungen und materielle Voraussetzungen beeinflussen Bildungswege ganz beträchtlich. Am Anfang aber, so könnte man sagen, steht jedoch das Aspirationsniveau der Eltern bezüglich der erwarteten oder gewünsch- ten Schulleistungen ihrer Kinder. Für unsere Gesellschaft ist nachgewiesen, daß der Elternwille ganz erheblich über das Bildungsschicksal ihrer Kinder mitentscheidet. Und ebenso ließ sich nachweisen, daß je höher der Bildungsabschluß der Eltern (des Vaters) liegt, desto höher ist auch die Erwartungshaltung bezüglich des Abschlusses der Kinder. In der folgenden Tabelle (Abb. 64) wird der koreanische Elternwille für die Höhe des Bildungsabschlusses ihrer Söhne und Töchter dargestellt. Was "Middle School" und "High School" bedeuten, ist im vorlaufenden Text beschrie- ben worden. "College" und "University" unterscheiden sich nicht im Niveau, sondern in der Bandbreite der Studienangebote (Faculties oder Schools). Sie schließen nach vierjährigem Studium mit dem Bachelor's Degree ab. "Graduate Schools" können danach besucht werden. Sie führen nach zwei Jahren Studium zum Master's Degree und nach weiteren Jahren zum Doctor's Degree. Betrachtet man die Verhältnisse im Jahr 1977, so fällt auf, daß im Durchschnitt noch ein Viertel der Eltern die Middle School als ausreichendes Bildungsziel für ihre Töchter hielten. Für die Söhne wurde eine höhere Bildung gewünscht. Dieser Wunsch drückt sich aber nicht für den gewünschten Besuch der High School aus. Die Prozentzahlen für Söhne und Töchter liegen hier nicht sehr weit auseinander. Die deutliche Bevorzugung im Bildungsziel wird erst im universitären Bereich deutlich. Für die Hälfte der Söhne und nur für ein Drittel der Töchter wird ein akademischer Abschluß erhofft. 1977 spielte der Besuch einer Graduate School im Bewußtsein der Eltern fast keine Rolle. Es gilt aber festzuhalten, daß 1977 bereits 92 % der Jungen und 75 % der Mädchen nach dem Wunsch der Eltern mindestens die zwölfjährige High School absolvieren sollten. Springt man in der Tabelle von 1977 zu 1993, so zeigen sich deutliche Veränderungen. Der Abschluß der Middle School wird für beide Geschlechter als Bildungsabschluß nicht mehr gewollt. Auch die Beendigung der Sekundarstufe verliert mit ca. 15 % an Bedeutung. 319 Erwarteter Schulabschluß der Kinder (ip %) in Beziehung zur väterlichen Vorbildung Middle High College, Graduate Vater School School University School Sohn Tochter Sohn Tochter Sohn Tochter Sohn Tochter total 7,5 23,7 36,2 42,7 55,5 33,3 0,8 0,3 Primary 13,6 37,6 51,0 47,2 35,2 14,7 0,2 0,5School Middle 3,2 13,8 30,1 48,9 66,1 37,2 0,6 0,11977 School High 0,9 5,4 16,8 38,3 81,2 55,8 1,1 0,5School College, 0,1 0,8 3,3 1I,9 92,8 85,0 3,8 2,3University total 1,6 4,0 13,9 25,6 60,5 55,1 24,0 15,3 Primary 4,4 H,4 33,1 51,3 56,3 34,7 6,3 2,6School Middle 0,3 1,0 8,5 23,9 74,4 65,6 16,8 9,41987 School High 0,1 0,2 3,4 10,3 64,3 68,5 32,2 21,0School College, 0,0 0,0 0,8 2,7 39,9 54,7 59,3 42,6University total 1,6 3,9 12,1 20,4 61,9 61,3 24,4 14,4 Primary 5,2 12,5 32,1 46,4 56,6 38,6 6,1 2,5School Middle 0,4 1,1 8,7 20,5 74,1 70,1 16,8 8,31990 School High 0,1 0,3 3,1 8,1 66,6 74,0 30,2 17,6School College, 0,0 0,1 0,5 1,8 45,5 62,0 54,0 36,1University total 1,4 3,0 12,1 17,6 64,6 64,8 21,9 14,6 Primary 5,4 H,3 35,1 45,0 55,0 42,0 4,5 1,8School Middle 0,4 1,0 10,6 18,7 75,6 72,8 13,4 7,5 1993 School High 0,1 0,1 3,7 7,5 71,6 76,1 24,7 16,3School College, 0,0 0,2 1,0 1,8 53,5 64,2 45,7 33,8University Quelle: KEDI 1994, S. 33. 320 Abb.64 Die Eltem streben nunmehr gleichermaßen für ihre Söhne und Töchter ein akademi- sches Studium an. An den Hochschulen ist der Gleichstand der Geschlechter nach dem Eltemwillen erreicht. Die Bevorzugung der Jungen hat sich zu den Graduate Schools verschoben. Hier kommen nach den Eltemwünschen auf drei Studenten zwei Studentin- nen. Gut ablesen läßt sich eine erstaunliche Steigerung des Bildungsanspruchs an die Kinder insgesamt. In den vergangenen 16 Jahren stieg der Wunsch nach Magistergrad oder Doktorgrad für die Kinder von weniger als 1 % auf im Bevölkerungsschnitt 15 bis 20 % an. Von dem generellen gesellschaftlichen Anheben des Aspirationsniveaus bezüglich der Nachwuchsgeneration haben auch die Mädchen profitiert. Der ständige Trend der Eltemwünsche in Richtung höherer Bildungsabschlüsse ihrer Nachkommen ist mögli- cherweise nicht nur eine Chance für die Jugendlichen zu vielseitiger Ausbildung ihrer Persönlichkeit, sondern kann auch als zunehmender Leistungsdruck interpretiert werden. Was die Gleichstellung von Söhnen und Töchtern betrifft, so gilt die Regel, daß ein höherer Bildungsabschluß des Vaters zu einer zunehmenden Gleichbehandlung der Kinder führt. In den oberen Sozialschichten wird insgesamt mehr Bildung für die Kinder gewünscht und zudem werden die Töchter weniger benachteiligt als in den Unterschichten. Das mag nicht nur am Bildungsgrad der Väter liegen. Da in der Regel Bildung und Einkommen korrelieren, sind es wohl auch die besseren materiellen Verhältnisse der Oberschicht, die das Anspruchsniveau in die Höhe schrauben. Es ist keine koreanische Eigentümlichkeit, bei wirtschaftlich knappen Verhältnissen im Zweifelsfalle Söhne in der Bildung und Ausbildung zu bevorzugen. Die folgende Tabelle (Abb. 65) gibt die Zahlen der Kinder, Schüler und Studenten an, die 1994 die verschiedenen Bildungseinrichtungen besuchten. 321 Schülerzahlen 1994 %-Anteil total männlich weiblich weiblich Kindergarten 510.100 269.950 240.150 47,1 Primary School 4.099.395 2.128.084 1.971.311 48,1 Middle School 2.508.657 1.291.085 1.217.572 48,5 High School 2.060.875 1.071.495 989.380 48,0 CollegelUniv. 1.132.437 781.331 351.106 31,0 Graduate School 109.983 80.377 29.606 26,9 Quelle: NBEE 1994. Abb.65 Es mag verwundern, daß vom Kindergarten bis zur High School der Anteil der Frauen unter 50 % liegt. Das erklärt sich jedoch durch die Tatsache, daß in Korea ein leichter MännefÜberschuß herrscht (Statistisches Bundesamt 1992, S. 23). Für die vier unteren Bildungseinrichtungen gilt demnach, daß Jungen und Mädchen mit gleichen Anteilen vertreten sind. Was den Besuch von Colleges und Universities angeht, so weichen die Elternwünsche noch spürbar von der Realität ab. Das mag auch daran liegen, daß sich die Ansprüche der Eltern auf Jugendliche beziehen, die noch nicht im Alter von Hoch- schülern sind. Jedenfalls ist in diesen Jahren das Verhältnis von Männern zu Frauen im universitären Bereich noch etwa 2 zu 1 und bei den Graduate Schools etwa 3 zu 1. Hier kann von einer Gleichstellung der Geschlechter noch keine Rede sein. Die Abb. 66 zeigt die Anzahl von Schulen, die entweder getrennt nach Geschlechtern geführt, oder als koedukativ bezeichnet werden. Das Bild täuscht allerdings. Die Trennung der Geschlechter, die jahrhundertelang praktiziert wurde, ist heute noch im Bildungsbereich die Regel. "Koedukativ" heißen die Schulen nur deswegen, weil sie Jungen- und Mädchenklassen haben. Das, was wir als koedukativ bezeichnen, nämlich, daß Mädchen und Jungen in einer Klasse gemeinsam unterrichtet werden, ist in Korea eine seltene Ausnahme. 322 Schulen mit und ohne Geschlechtertrennung I I nur I nur I Imännlich weiblich koedukativ Primary Schools - - 5.900 Middle Schools 611 557 1.477 General High Schools 371 287 388 Voe. High Schools 137 211 390 Junior Colleges - 18 117 CollegeslUniv. 1 10 120 Quelle: NBEE 1994. Abb.66 Nun muß die Trennung der Geschlechter in der Schule nicht unbedingt als Unterprivile- gierung von Frau gesehen werden. Es ist ungewiß bis unwahrscheinlich, daß in allen Fächern Koedukation zur optimalen Förderung von Mädchen führt. Wichtiger als Koedukation scheinen mir die Lerninhalte zu sein, und zwar in zweierlei Weise. Zum einen sollte es keine "geschlechtsspezifischen" Fächer geben und zum anderen keine Frauen diskriminierenden Inhalte. Noch in den letzten mir vorliegenden Stundenplänen aus dem Jahr 1994 werden für die Middle School und High School Fächer für Jungen wie "Voeational Skills" und "Industrial Arts" ausgewiesen, während im gleichen Rahmen den Mädchen "Horne Economics" angeboten wird. Eine derartige Zuweisung von Lerninhalten führt zur Zementierung von gesellschaftlichen Voreingenommenheiten, die zu Lasten der Frauen geht. Die Angaben zu Stundenplänen stehen im übrigen im Widerspruch zu anderen offiziellen Veröffentlichungen. So heißt es z. B. im A Hand- book of Korea (S. 495): "Technical crafts for male students and home economics for female students were merged into one subject, offered to both boys and girls in middle and high schools since 1987." 323 Von Amts wegen ist man sich offensichtlich bewußt, daß geschlechtsspezifische Fächer im Bereich der Pflichtschule nicht aufrecht erhalten werden können. Die in ostasiati- schen Gesellschaften wohl noch intensivere Fixierung der Frau auf den Haushalt und auf die Rollen von Ehefrau und Mutter als in den europäischen Kulturen, wirkt nach. Es ist zwar schon einige Jahre her, daß ein Artikel erschien, aus dem das folgende Zitat stammt. Die Präsidentin eines Frauen-Colleges forderte noch 1964 eine frauenspezifi- sche Hochschulausbildung. Der Artikel ist umsichtig geschrieben, aber sehr an das alte Bild von der Geschlechtertrennung gebunden (Ko, H.-K. 1964, S. 13): 'j4s a human being, woman must be respected as much as man, but it is wrong to think that everything should be the sametor both male and/emale. A woman should, be/ore anything else, be aware 0/and then carry out the role and /unction that society set aside tor her, and her alone. ... However, most %ur women today want to marry, to be good wives and mothers and to become good citizens 0/ their society. This befits a woman. To make a good wife, mother and citizen with sound sense, education tor women today should not begrudge efforts. ... There/ore, to produce a good wife, mother and citizen, the objective and contents 0/ our current education tor women must be radically improved. The simple but most important truth that a woman must be. among other things, a good wife, mother and citizen is easily disregarded by our young women after they graduate school." Soviel vielleicht zur Frage geschlechtsspezifischer Lerninhalte in der koreanischen Diskussion. Zu dem anderen Aspekt, nämlich Frauen diskriminierende Darstellungen in Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern kann auf einen anderen Artikel verwiesen werden. Ji-Sun Chung beschreibt unter Verwendung von koreanischen Forschungsergeb- nissen in welch deutlichem Maße die traditionelle Wahrnehmungsweise der Geschlech- ter in den Schulbüchern vorherrscht. Geschichten, Anekdoten, lehrhafte Beispiele zeigen vorbildliche Männer. In den Büchern der Primary Schools sind es 60 % und bei Texten, die in den High Schools Verwendung finden, sogar 90 % Männer, die als erwähnens- werte Personen gelten. Also je höher die Schule, desto weniger gelten Frauen als Leitbild. Während Männer gesund und stark sind und in der Umgebung von Entschei- 324 dungssituationen dargestellt werden, werden Frauen als schwach und kränklich und vor der Kulisse von Haus und Küche gezeichnet (Chung, J.-S. 1994, S. 502 f.). Mit diesen Beispielen mag es sein Bewenden haben. Fairerweise muß hinzugefügt werden, daß das Ministry of Education um diese Schwäche in den Schulbüchern weiß und eine Kommis- sion beauftragt hat, Curricula und Unterrichtsmaterialien auf Diskriminierung von Frauen und realitätsverzerrende Darstellungen der Rollen von Männern und Frauen in der heutigen Gesellschaft zu untersuchen und entsprechende Passagen abzuändern. Am Studierverhalten der Frauen läßt sich ablesen, wie sehr Studentinnen noch die traditionellen Rollenerwartungen verinnerlicht haben. Abgesehen von der Tatsache, daß Frauen im Hochschulbereich deutlich weniger vertreten sind als Männer, gibt es doch keine Zugangsbeschränkungen zu den Studienfachern (soweit ich weiß bis auf die Militärakademie), die Frauen benachteiligen. Insofern gibt die Wahl der Studienfächer auch ein wenig Aufschluß über die Selbstbefindlichkeit junger Koreanerinnen. In dem Artikel von Chung findet sich eine Statistik über den Frauenanteil und die Wahl der Studienfächer im Vergleich von vier Ländern. Die Werte stammen aus statistischen Jahrbüchern der UNESCO, leider nicht alle aus dem gleichen Jahr, repräsentieren aber etwa den Stand der Dinge um 1990 (Abb. 67). Der Anteil der Koreanerinnen an der Zahl der Hochschulstudenten liegt unterhalb des Anteils, der für die Entwicklungsländer Chile und Mexiko angegeben wird. Aber selbst Japan, das ja nun zweifelsfrei als entwickeltes Land gilt, liegt mit dem Frauenanteil im Hochschulbereich noch hinter Chile und Mexiko zurück. Möglicherweise spielt hier bei den ostasiatischen Ländern die konfuzianische Tradition doch noch eine wichtige Rolle. Danach brauchte die Frau wenig Bildung und das geringe Angebot sollte sich zudem an den Bedürfnissen von Ehe, Mutterschaft und Haushalt orientieren. Während "Horne Economics" eine ausgesprochene Frauendomäne ist und die Frauen auch in Lehrberufen, Kunst und Medizin gut vertreten bis über- repräsentiert sind, so gibt es wichtige Studienbereiche, in denen Koreanerinnen auf- fallend, auch im Vergleich mit den südamerikanischen Ländern, gering vertreten sind. Dazu gehören die Ingenieurwissenschaften und Jura, Sozial- sowie Naturwissenschaften. 325 Anteil in % von Frauen an ausgewählten Studienfächern Field of studies Korea (S) Japan Chile Mexico I Total I 31,3 I 38,5 I 44,4 I 41,6 I Humanities 48,3 72,6 52,6 54,5 Education 60,0 72,8 69,0 63,3 Arts 65,0 72,6 65,2 45,8 Law 11,9 - 29,5 39,0 Social Sciences 24,0 18,6 58,7 57,6 Natural Science 29,4 16,5 81,4 53,3 Engineering 3,0 4,4 19,5 14,9 Medical and Health 49,4 43,5 59,0 50,5 Agriculture 18,5 20,2 35,9 21,0 Horne Economics 94,1 99,5 98,1 - Quelle: Chung, J.-S. 1994, S. 503. Abb.67 Nun hat das Studienverhalten der Koreanerinnen wahrscheinlich nicht nur etwas mit ihrer Selbl;teinschätzung zu tun, sondern auch mit der realistischen Einschätzung ihrf.r schlechten Beschäftigungsmöglichkeiten. Bevor dazu noch etwas gesagt wird, soll der Blick noch einmal, sozusagen zurück, auf die berufliche Bildung von Mädchen gerichtet werden. Prinzipiell sind, so ist ausgeführt worden, Mädchen in der High School ebenso stark vertreten wie die Jungen. Bei differenzierter Betrachtung zeigen sich dann doch einige Unterschiede. In der General High School, dem klassischen Weg zur Hochschule, sind Schülerinnen mit 45 % vertreten, also etwas unterrepräsentiert. In den Vocational High Schools stellen Mädchen mit 53 % eine leichte Mehrheit. Die VHSs sind weniger gut angesehen, weil sie sich häufig als Bildungssackgassen entpuppen. Wer in eine Vocatio- nal High School eingeschult wird, hat seine Chancen für ein Universitätsstudium bereits 326 erheblich reduziert. Nun sind die Unterschiede der Geschlechteranteile in den High Schools nicht dramatisch zu nennen. Aber immerhin deutet sich hier ein etwas niedrige- res Aspirationsniveau der Mädchen an. Aufschlußreich ist es, die VHSs nach Fachrich- tungen und Schülerzahlen aufzuteilen (Abb. 68). Quantitative und prozentuale Aufteilung von Fachrichtungen und Schülern der Vocational High Schools 1994 %-Anteil Typ total männlich weiblich weiblich Agricultural 19.412 13.868 5.544 29 Technical 248.228 231.824 16.404 7 Commercial 343.637 64.511 279.126 81 FisherylMarine 5.614 5.291 323 6 Vocational 48.898 22.316 26.582 54 Comprehensive 185.706 64.921 120.785 65 I total I 851.495 I 402.731 I 448.764 I 53 I Quelle: NBEE 1994. Abb.68 Hierbei kann man die hohe Konzentration von Mädchen in den Commercial High Schools ausmachen. Recht genau ein Drittel aller Schüler der VHSs sind Mädchen in Commercial High Schools. Eine ähnliche Entwicklung kann man für die Jungen able- sen: 27 % aller Besucher der VHSs sind Jungen in Technical High Schools. Hier zeigt sich eine fast als klassich zu bezeichnende Rollenteilung: Die Jungen besetzen die technischen Berufe, die Mädchen bereiten sich auf einen Büroberuf vor. In den nach meiner Einschätzung am wenigsten attraktiven Typen von VHSs, weil sie eher Rest- und Sammelschulen, denn als spezialisierte berufliche Schulen anzusehen sind, sind die Mädchen leicht überrepräsentiert. Es handelt sich um die mehrberufliche "Vocational" High School und die allgemeine wie berufliche Züge anbietende "Comprehensive" High School. 327 Zur Überprüfung, wie stark die Konzentration auf die Fachrichtungen bei den beiden Geschlechtern ist, dient die Übersicht in Abb. 69. Besuch der VHS nach Geschlechtern getrennt. in % I I von I von ITyp 100 Jungen 100 Mädchen Agricultural 3 1 Technical 58 4 Commercial 16 62 FisherylMarine 1 - Vocational 6 6 Comprehensive 16 27 Quelle: NBEE 1994. Abb. 69 Es ergibt sich dabei kein entscheidend neuer Aspekt bis auf den, daß die Jungen deutlich besser in den Commercial High Schools vertreten sind, als umgekehrt die Mädchen in der Hochburg der Jungen, der Technical High SchooI. In den späten 80er Jahren und verstärkt in der letzten Zeit registriert auch die koreani- sche Regierung die auffallende Abstinenz von Frauen, sich für technische Berufe zu ent- scheiden. Wahrscheinlich nicht so sehr aus Gründen, die Gleichberechtigung der Frauen voranzubringen, sondern wegen eines hohen Bedarfs an technischen Fachkräften entdecken die zuständigen Ministerien Frauen als eine Art stiller Reserve. Die Korea Manpower Agency (KOMA) gründete 1986 ein Vocational Training Institute mit technischen Fachrichtungen, das nur jungen Frauen offenstand. Das VTI gliederte sich in folgende Fachabteilungen (Ansung 1995, S. 6): - Precision Measurement - Electronics - Information Technology 328 - Jewelry Craft - Mechanical Design - Fashion Design Aufnahme am VTI fanden junge Frauen mit Abschluß der General High School. Die Kurse dauerten zwei Jahre und führten zur Zulassung zum Berufstest Craftsman Class I. Die jährliche Aufnahme betrug etwa insgesamt 200 Schülerinnen. Nach der Selbstdar- stellung des Instituts fanden in allen Jahren alle Abgängerinnen Arbeit. 1994 wurde das Institut zum "Ansung Women's Industrial Master's College" umorganisiert. Es ist die erste Einrichtung für eine Meisterausbildung, die nur von Frauen besucht wird. Es wird aber von Problemen gesprochen, die mit der Umwandlung des VTI in ein Master's College verbunden sind. Da es sich nur verbal um ein College handelt, aber in Wirk- lichkeit keines ist, mangelt es an Zulauf. Punkte für eine akademische Karriere kann man an diesem College unter dem Ministry of Labour nicht sammeln. Frauen, die eine College-Bildung suchen, bemühen sich dann um Aufnahme an einem College im formalen Bildungssystem. Weitere Probleme liegen in der Unerfahrenheit, wie Frauen für Meisterpositionen zu qualifizieren sind und ob Abgängerinnen eine Chance auf Beschäftigung finden. Mit welchen Schwierigkeiten das College zu kämpfen hat, kann man erahnen, wenn man in der College-Broschüre unter der Rubrik "Sonderaktivitäten" auf den Hinweis "Verhal- tensgewohnheiten" stößt (Ansung 1995, S. 10): "Moral room is prepared to teach how to behave as a leamed woman. More than once a month, a /amous people /rom the industry is invited to give moral and social standards including relations, way 0/ life, unification and symbol 0/ sound technican, in a rapidly changing life style. " Aus eigener Anschauung kenne ich das College nicht. Ich vermute jedoch stark, daß aus Mangel an Frauen mit entsprechender Industrieerfahrung auf der Facharbeiterebene auch junge Frauen ohne Berufserfahrungen zugelassen werden. Wenn das so sein sollte, führt uns der Begriff MasterlMeister in die Irre. 329 Man kann den entsprechenden koreanischen Forschungseinrichtungen unterstellen, daß sie sich inzwischen sehr eingehend und gründlich mit der Frage beschäftigen, wie der Zugang von Frauen zur technischen Bildung verbessert werden kann. Ein Beispiel dafür ist ein Diskussionspapier aus dem Korean Educational Development Institute (KEDI), das 1995 für ein internationales Projekt in Zusammenarbeit mit UNEVOC herausgege- ben wurde. Dort werden die fördernden und die hemmenden Faktoren beschrieben, die das Verhalten von Frauen bezüglich einer technischen Ausbildung im heutigen Korea mitbestimmen (Kim, Y.-H. 1995, S. 4 f.): "FACTORS DETERMINING THE ORIENTATION OF GIRLS AND WOMEN TOWARDS TECHNICAL AND VOCTIONAL EDUCATION (Here (+) and (-) indicate respectively positive and negative effects) Industrial and Labor Market Structure The rapid economic growth and the expansion 0/ the secondary and tertiary industrial sector increasing in demand/or women's labor (+) The development 0/ precision manufacture and the rise 0/ elaborate skill requirement increasing in demand/or women's labor (+) The specialization ofjobs reducing the necessity tor physical strength and increasing women's employability (+) The gender inequality in employment practices (-) Disadvantages of technical and vocational school graduates in comparison with academic school graduates in employment and wages (-) Cultural and Social System Society's traditional expectation about appropriate roles for women (-) Women's low seif-esteem (-) Misconceptions regarding women 's physical capacities (-) General perception that machines and women are incompatible (-) General perception that underestimate the value 0/women 's domestic work (+) The lack 0/ awareness among girls and their parents of technical educatio- nal and employment opportunities (-) 330 The Lack oJ support Jacilities Jor women (particularly child care Jacilities) (-) Role conflict and the double burden oJ women (-) The Lack oJ male support in parenting (-) Educational System Gender-bias in curriculum materials, the provision oJ courses, and equip- ment (-) The Lack oJappropriate career guidance education Jor girls and women (-) The expansion and development oJ the technical and vocational educational system (+)." Die lange Tradition der Geschlechtertrennung ist bis heute auf dem Beschäftigungs- markt folgenreich. Die stärkste Benachteiligung koreanischer Frauen liegt meines Erachtens im Einstellungsverhalten der Arbeitgeber. Dieses Verhalten wird durch recht konservative Vorstellungen von der Rolle der Frauen mitbestimmt. Eigentlich sollten Frauen nach den herkömmlichen Normen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht auf- treten, weil sie ins Haus gehören. Nun galt das sowieso nur bestenfalls für Familien der oberen Sozialschichten. In unteren Schichten und auf dem Lande haben Frauen meist aus ökonomischen Gründen mitarbeiten müssen. Auch heute noch sind die Landfrauen deutlich mehr berufstätig als alle anderen. So lag der Anteil der Frauen aus landwirt- schaftlichen Haushalten, die erwerbstätig sind, 1992 bei 64,4 %, während der Ver- gleichswert bei städtischen Haushalten bei 44,4 % lag. Insgesamt gesehen hat sich der Anteil der weiblichen Arbeitspopulation in den letzten Jahren deutlich erhöht (Abb. 70). Beschäftigungsrate der Frauen 1960 26,8 % 1975 45,7 % 1980 38,4 % 1992 47,3 % Quelle: A Handbook 1994, S. 495. 331 Abb.70 Die Ölkrise ließ in den späten 70er Jahren die Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen drastisch sinken. Nun erfüllen nicht nur in Korea Frauen die Funktion einer Reservear- mee von Arbeitskräften. Neben dem prinzipiellen Anstieg der Quote arbeitender Frauen ist festzustellen, daß sich die Frauenarbeit aus dem landwirtschaftlichen Sektor heraus in den sekundären und tertiären Wirtschaftsbereich verlagert hat (Abb. 71). Beschäftigte Frauen in Wirtschaftssektoren (in Prozentanteilen der Frauen) Landwirtschaft Industrie/Gewerbe Dienstleistungen (1) (2) (3) 1963 68,7 7,0 24,3 1992 18,2 25,2 56,6 Quelle: A Handbook 1994, S. 497. Abb.7l Ein besonders wunder Punkt in der Beschäftigungslage der Frauen ist die Arbeit in der exportorientierten Industrie. Rund 80 % der Frauen, die im sekundären Wirtschafts- sektor tätig sind, arbeiten in der Textil-, Bekleidungs- und Elektroindustrie. Die Arbeits- plätze, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung (Niedriglohn) gelten als schlecht. Die Arbeit wird vor allem von jungen, noch unverheirateten Frauen erledigt (Chung, J. -So 1994, S. 495; A Handbook 1994, S. 497). Seit 1987 gibt es in Korea ein Gleichstellungsgesetz der Geschlechter im Beschäfti- gungssystem (Gender-Equal Employment Law). Das Gesetz fordert Chancengleichheit und gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, verbietet eine diskriminierende Behandlung von Frauen und sichert den Schutz werdender Mütter. Der Artikel 1 des Gesetzes umschreibt die Zielsetzung (MOL 1991, S. 69): ''Artileeil. (Purpose) The purpose of this lAw is to secure equal opportunity and treatment for employees, regardless of their gender, in accordance with the ideal of equality in the Constitution, to protect the maternal role of women, and to 332 develop the capabilities offemale employees and. thus. to enhance the status offemales and to promote their welfare. " Obwohl es mit diesem Gesetz eine rechtliche Grundlage für die Gleichbehandlung der Frauen gibt, sind Frauen in der Realität nach wie vor deutlich schlechter gestellt. So betrugen die monatlichen Durchschnittslöhne Ende 1994 für - Männer 1.200.000 Won (ca. 2.400,-- DM) - Frauen 704.000 Won (ca. 1.408,-- DM). Das bedeutet, daß Frauen im Mittel weniger als 60 % des Verdienstes der Männer bekommen (Korea Annual 1995, S. 206). Der geringere Verdienst liegt nicht nur in der geringeren Bezahlung für gleiche Tätig- keiten, sondern auch daran, daß Frauen die generell schlechter entlohnten Arbeitsplätze einnehmen. Das ist nicht allein Schuld der Arbeitgeber, sondern auch hier wirken kulturelle Traditionen nach. Die Interpretation von Yang als männlich-überlegen und Yin als weiblich-unterlegen, begründet ein "natürliches" und prinzipielles Über- und Unterordnungsverhältnis der Geschlechter. Es gilt nicht nur im gesellschaftlichen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich. Es ist daher in diesem Sinne völlig in Ordnung, wenn Männer mehr verdienen. Eine koreanische Wissenschaftlerin formuliert es so (Pak, J.-S. 1995, S. 19): "Die Frau bewährt sich innerhalb des Hauses. Ihr Handeln ist nicht auf Erfolg, sondern auf Billigung und Gefallen ausgerichtet. Die koreanischen Männer fühlen sich in ihrer Würde verletzt, wenn ihre Frauen mehr Geld verdienen als sie selbst. " Noch viel schlimmer ist es für koreanische Männer, sich vorstellen zu sollen, daß sie eine Frau als Vorgesetzte hätten. Frauen in leitende Positionen zuzulassen, würde bedeuten, Yin und Yang zu vertauschen. Und von der Rundum-Überlegenheit der Männer Abschied zu nehmen. Davon sind die koreanischen Männer aber noch ein Stück entfernt (Kieman 1991, S. 10; Chung, J.-S. 1994, S. 498): "Women in Korea are generally shunted off into low-Ievel administrative jobs. God forbid if a woman was given aleadership position. She might 333 have to tell a man what to 00. As a result, most wornen are relegated to a rnonotonous life 0/ shuffling papers or pressing elevator buttons." ... "The subordinate position 0/South Korean wornen is not confined to /actory workers, however, even the educated are oppressed. Few wornen work in the higher levels 0/ the bureaucracy, although wornen are weil represented in higher education. " Nun könnte man annehmen, daß die vorstehenden Zitate die Lage der Frauen bewußt ein wenig dramatisieren und die Wirklichkeit dann doch nicht ganz so frauenbenach- teiligend aussieht. Aber eine Statistik des Internationalen Arbeitsamtes in Genf (Abb. 72) zeigt recht deutlich, daß tatsächlich Korea und auch Japan zu den Ländern zählen, in denen der Prozentsatz von Frauen in Management-Positionen signifikant niedrig ist. Prozentsatz der Frauen in Management-Positionen Australien USA Kanada Botswana Barbados Puerto Rico Philippinen Norwegen Peru Deutschland Sudan Israel Dänemark Paraguay Japan Türkei Korea Malawi Bangladesch Quelle: 1AA 1993, S. 6. 334 40,9 40,6 40,4 36,1 34,1 30,1 27,7 26,9 24,6 17,9 16,5 15,6 14,5 11,9 8,3 5,4 4,0 2,9 1,4 Abb. 72 Die vorstehende Liste sagt eine ganze Menge mehr aus als nur etwas über die Skalen- werte von Korea und Japan. So fallen Verfassung, Selbsteinschätzung und Wirklichkeit offensichtlich auch in Deutschland noch ein ganzes Stück auseinander. Nun täte man den Koreanern unrecht, wenn man den aus unserer Sicht festzustellenden Benachteiligungen von Frauen im Beschäftigungssystem nicht noch einige Bemerkungen zur Familie in Korea folgen ließe. Die Familie hatte und hat in Korea einen anderen Stellenwert und teilweise auch andere Funktionen, wie zum Beispiel die Ahnenver- ehrung, als die Familie in Deutschland. Die Familie genießt in Korea noch immer eine breite Zustimmung und hohe gesellschaftliche Achtung. Eine empirische Untersuchung zur koreanischen Familie ist in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen von einer in Korea geborenen Wissenschaftlerin vor Ort durchgeführt worden. Aus der Inter- pretation der Ergebnisse stammen die folgenden Zitate (Schulz 1991, S. 25-28): "Mit dem Begriff Famüie verbinden die Probanden affektiv und kognitiv positive Assoziationen. Vor allem affektiv positive Assoziationen wie sanft, weich, friedlich, gefühlvoll, vergnügt bestätigen das herkömmliche [dealbild der koreanischen Familie, das stets das 'friedlich-harmonische' Miteinander innerhalb der Familienmitglieder beinhaltet." ... "Die Bewertung der Begriffe Familie und deren Träger, Vater, Mutter und Kind entspricht voll der herkömmlichen Wahrnehmungsweise (siehe Exkurs zur konfuzianischen Gesellschaft)." ... "Auch die jüngeren Koreaner/innen scheinen die Familie als die 'traditionel- le Form des Lebens' für sich zu akzeptieren." ... "Die Bildung einer Ehe und damit Fortführung der Familie wird daher als ranghohe sittliche Verpflichtung gewertet und als 'natürliche Ordnung' menschlichen Zusammenlebens verstanden." ... "Obwohl die Form der Familie sich heute, entsprechend den modemen Anforderungen, verändert hat, haben die traditionellen Wertvorstellungen als Existenzgrundlage der Familie überlebt. Die Solidarität der Sippe und die Selbstverständlichkeit der 'unsterblichen Familie' werden heute durch das gemeinsame Ausrichten traditioneller Aufgaben wie die Ahnenverehrung aufrechterhalten, in der wiederum die elterliche Autorität und der kindliche Gehorsam weiter kultiviert werden. " 335 Ebenso wie Schulz, so betont auch Lee, E.-J. die wichtige Rolle der Frau in der Familie. Es scheint in Korea besonders schwierig zu sein, Berufstätigkeit und Mutterrolle miteinander verbinden zu können (Lee, E.-J. 1994, S. 90): "Die Mutter-Kind-Beziehung ist in Korea von beiden Seiten mit sehr starken Emotionen besetzt. Für Kinder - seien sie klein oder groß - ist die Mutter ständige und beinahe einzige Bezugsperson. Vor allem angesichts der 'Exa- menshölle' des koreanischen Abitur- und Schulsystems sind ältere Kinder heute abhängiger von der mütterlichen Fürsorge als jemals zuvor. Sowohl durch diese reale Mutter-Kind-Beziehung als auch durch das herrschende Frauenbild sind die Frauen heute an Kinder und Familie gebunden." Eine besonders enge Beziehung zwischen Mutter und Kind ist auch in Japan zu be- obachten. Sie gilt auch dort als eine wichtige kulturelle Eigenheit zur Erklärung der hohen Lernanstrengungen und -leistungen der Jugendlichen (Shimahara 1986, S. 20). Lee, E.•J. merkt weiter an, daß sich eine an sich positiv einzuschätzende Politik der Frauenförderung in Korea seit 1983 entwickelt, es aber an Finanzmittein fehle, um konkrete Projekte durchzuführen. Sie beklagt den großen Mangel an Krippen und Kindergärten. Ohne diese Einrichtungen wird es schwer sein, vermehrt Frauen in die Arbeitswelt einzugliedern. Frauen, denen es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht möglich ist zu Hause zu bleiben, sondern die mitverdienen müssen, gründen dann auch in Selbsthilfegruppen Kindergärten (LenziKang 1990, S. 403). Kindergärten passen andererseits nicht so recht in die koreanische Kultur. Kinder werden in der Familie aufgezogen. Mütter, die nicht selbst auf ihre Kinder aufpassen, gelten als faul (Um, E. 1991, S. 25). Frauen stehen heute in Korea vor zwei großen Dilemmata: 1. Einerseits werden die Frauen als Arbeitskräfte in der Wirtschaft gebraucht. Ande- rerseits sollen sie wegen der hohen Wertigkeit der Familie lieber zu Hause bleiben. 2. Einerseits sind Frauen zu höheren Ausbildungen recht uneingeschränkt zugelassen. Andererseits werden ihnen entsprechende Führungspositionen im Arbeitsleben vorenthalten. 336 6.5 Berufliche Bildung in der internationalen Zusammenarbeit In der folgenden Studie greife ich auch teilweise auf Textstücke zurück, die ich für das Stichwort "Korea" im Internationalen Handbuch der Berufsbildung verfaßt habe (Georgl LeelSchoenfeldt 1996). Koreas erste landesübergreifende Erfahrungen Korea ist erst seit wenigen Jahren auf der internationalen Bühne der Berufsbildungs- zusammenarbeit sichtbar aktiv. Über Jahrhunderte hinweg war das Land wie beschrie- ben nach außen hin gänzlich abgeschlossen. Es war die Furcht vor fremdkulturellen Einflüssen, die die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse hätten stören können. So blieben auch auf den Sektoren Technik, Gewerbe und Ausbildung Anregungen und Erfahrungsaustausch für einen langen Zeitraum aus. Erst um 1880 wurde Korea durch Japan, die USA und westeuropäische Mächte ge- zwungen, sich zu öffnen und internationale Beziehungen aufzunehmen. Das, was sich daraufhin in den folgenden drei Jahrzehnten ereignete, war kein eigentlicher Austausch, sondern ein erstes Kennenlernen schulischer Bildung westlicher Prägung. Dabei stand ganz die allgemeinbildende Schule im Vordergrund. Berufliche Bildung geriet nicht in das Blickfeld der koreanischen Regierung. Berufsausbildung spielte zu jener Zeit keine maßgebende Rolle und galt als ein nicht regelungsbedürftiger Bildungsbereich. Nachdem 1910 Korea zur Kolonie Japans geworden war, siedelten sich in Koreajapani- sche Industriebetriebe an. Diese Betriebe qualifizierten ihre Arbeitskräfte ganz über- wiegend durch innerbetriebliche Anlernkurse. Erst in den 30er Jahren bauten die Japaner berufsbildende Schulen oder Ausbildungszentren in Korea auf. Diese Einrichtungen soHten zum einen der Steigerung der Lebensmittelproduktion dienen, zum anderen besser qualifizierte Facharbeiter für die anlaufende Kriegswirtschaft zur Verfügung stellen. Quantitativ blieben die Schulgründungen bescheiden, gelten aber doch als erste Beispiele staatlich kontrollierter, systematisch-schulischer Berufsausbildung auf koreani- schem Boden. Zu einem personellen Austausch kam es auch. Hunderttausende koreani- 337 scher Arbeitskräfte verließen ihr Land, um besser bezahlte Arbeit in Japan anzunehmen. Erst war diese Wanderbewegung freiwillig. Später kam es auch zu Zwangsarbeit von Koreanern in Japan. Insofern brachten die Jahre von 1910 bis zur Kapitulation der japanischen Streitkräfte 1945 eine erste ländefÜbergreifende Mobilität und Zusammen- arbeit auf dem Feld der Berufsausbildung bzw. Industriearbeit. Nur stand diese Erfah- rung aus koreanischer Sicht wegen des Status eines Koloniallandes unter unglücklichen Vorzeichen. In den nachfolgenden Jahren wurde Südkorea zunächst einmal zu einem Nehmerland internationaler Entwicklungshilfe. Koreas Weg in die internationale Anerkennung Südkoreas erster selbständiger Schritt auf der internationalen Bühne des Berufsbildungs- bereichs gelang 1967. Ein Jahr zuvor war ein nationales Komitee mit der etwas um- ständlichen Bezeichnung gegründet worden: "Korea Committee, International Organiza- tion for Promotion ofVocational Training and International Youth Skill Olympics". Das Ziel war, sich in den internationalen Berufswettkämpfen mit anderen Industrienationen zu messen. 1967 nahmen zum ersten Mal junge Koreaner an der Austragung der "Skill Olympics" teil. Diese Wettbewerbe werden von der "Internationalen Organisation zur Förderung der Berufsausbildung und der Internationalen Berufswettbewerbe für die Jugend" organi- siert, die ihren Sitz in Madrid hat. Die Träger z. B. auf deutscher Seite sind der Deut- sche Industrie- und Handelstag und der Deutsche Handwerkskammertag. Die Inter- nationalen Berufswettbewerbe werden seit 1950 durchgeführt; die Bundesrepublik Deutschland ist an ihnen seit 1953 beteiligt. Heute gehören zu der Internationalen Organisation über 30 Länder aus Europa, Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und AustralienlNeuseeland. In 37 Wettbewerbsberufen wird um Gold-, Silber- und Bronze- medaillen gekämpft. Die überwiegende Anzahl der Wettbewerbsberufe entstammt dem Metall- und Elektrobereich, es gehören aber auch z. B. Steinmetz, Stukkateur, Möbel- tischler, Friseur, Damenschneider, Koch und Kellner dazu (General Secretariat IVTS 1995, S. 19). Bereits 1968 und dann wieder 1970 belegte das koreanische Team Platz 338 3 der Weltrangliste. 1973 und 1975 rückten sie auf den zweiten Platz vor, um dann 1977 neunmal in Folge als Sieger aus den Wettkämpfen hervorzugehen (Abb. 73). Diese eindrucksvolle Leistung sagt nicht unbedingt etwas über die Qualität des Berufs- bildungssystems aus. Die Berufswettkämpfe sind ganz überwiegend an Einzelfertigkei- ten ("mono skills") orientiert und nicht auf eine Konkurrenz im Nachweis komplexer beruflicher Leistungsfähigkeit hin ausgelegt. Die Koreaner zeigen dennoch allen anderen Ländern, daß sie im speziellen Fertigkeitstraining zu Höchstleistungen bereit und in der Lage sind. Die koreanischen Teilnehmer an den internationalen Wettbewerben werden durch Ausscheidungskämpfe auf regionaler und nationaler Ebene ermittelt. Die Besten werden dann äußerst sorgfältig auf ihren internationalen Einsatz vorbereitet. So bestehen 14 regionale Komitees, die jährlich im April mit jeweils 6.000 Teilnehmern in 48 Berufen die erste Stufe der Ausscheidungskämpfe durchführen. Im folgenden September nehmen aus jeder Region die 100 besten Teilnehmer an den nationalen Wettkämpfen teil. Die ersten 30 Sieger bekommen dann die Chance, Korea auf der folgenden Berufsolympiade erfolgreich zu vertreten. (KOMA 1995, S. 21). Ich habe als Gast mehrmals an regiona- len und nationalen Wettbewerben teilgenommen. Auffallend war die präzise Organisa- tion und vor allem die außerordentliche Wettbewerbswilligkeit der Jugendlichen. Sie gingen hochtrainiert und mit Hingabe in die Ausscheidungskämpfe. Die Ernsthaftigkeit der Austragung der Wettbewerbe und der Grad der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, den die Berufswettkämpfe erregen, hat auch etwas mit dem Nationalstolz der Koreaner zu tun, der Welt zeigen zu wollen, wie qualifiziert sie inzwischen sind. Aber nicht nur der internationale Aspekt spielt eine Rolle. Die Veranstalter wollen auch die innergesell- schaftliche Aufmerksamkeit für technisch-berufliche Ausbildung als einer nationalen Aufgabe gewinnen. Den Siegern winken attraktive Geldpreise, Stipendien falls sie studieren wollen, gute berufliche Positionen, Ferienreisen und Unterstützungen, wenn sie sich selbständig machen. 339 Gewinner der internationalen Berufswettkämpfe von 1967 bis 1993 I Jahr I 1. Rang I 2. Rang I 3. Rang I Gastland I 1967 Spanien Japan BRD Spanien 68 Schweiz Japan Korea Schweiz 69 Japan Schweiz BRD Belgien 70 Japan Schweiz Korea Japan 71 Japan Spanien Schweiz Spanien 73 BRD Korea Japan BRD 75 Schweiz Korea Spanien Spanien 77 Korea BRD Japan Niederlande 78 Korea Schweiz Taiwan Korea 79 Korea Japan Schweiz Irland 81 Korea Japan Schweiz USA 83 Korea Taiwan Österreich Österreich 85 Korea Japan Schweiz Japan 88 Korea Japan Taiwan Australien 89 Korea Taiwan Österreich England 91 Korea Taiwan Österreich Niederlande 1993 Taiwan Korea Japan Taiwan Quelle: KOMA 1995, S. 23. Abb.73 Ganz abgesehen davon, daß der Austragungsort der Wettkämpfe vielfach einen ab- lesbaren Einfluß auf den Platz des Gastlandes unter den ersten drei Siegern hat - was mir ein Schmunzeln abringt - ist doch der ostasiatische Anteil an Siegerpositionen unverkennbar hoch. Von den 51 notierten Platzierungen entfallen immerhin 32 auf Japan, Korea und Taiwan. Aus der vorstehenden Tabelle auf die Qualität berufsbilden- der Systeme schließen zu wollen, wäre m. E. ein schwerer Fehler. Es zeigt sich eher 340 eine bemerkenswerte Willensstärke junger Ostasiaten, die auch über ein hart anfordern- des Bildungswesen erworben wird. Sichtbar wird ein (agressiver) Leistungswille, gepaart mit einem (nationalistischen) Siegeswillen. Korea als Nehmerland Ein anderer Aspekt des internationalen Austausches und der Kooperation ist die Bil- dungszusammenarbeit. Der Begriff "Zusammenarbeit" verschleiert jedoch die tatsächli- chen Kräfteverhältnisse in dieser Art von Begegnung. Es macht nämlich einen großen Unterschied aus, ob ein Land "Nehmer" oder "Geber" ist. Die Interessen, Motive und Ziele sind in der Regel nur bedingt deckungsgleich. Zunächst betrachte ich die Situa- tion, in der Südkorea ein Nehmerland war. Nach der Befreiung Koreas von der japani- schen Herrschaft, setzte alsbald eine vielseitige multinationale und bilaterale Entwick- lungshilfe ein. Der Bildungsbereich war praktisch für alle Geber ein Ziel der Hilfe. Dabei kam es fast unvermeidlich zu Überschneidungen und unterschiedlichen Ansätzen und Konzeptionen. Während und kurz nach dem Korea-Krieg galten die US-arnerikani- schen Streitkräfte in Korea als ordnende und die Hilfsmaßnahmen zusammenfassende Kraft. 1953 wurde der Auf- und Ausbau des Bildungssystems unter die Verantwortung der UNKRA (United Nations Korean Reconstruction Agency) gestellt (Adams 1960, S. 31). Die UNKRA war ins Leben gerufen worden, um langfristig den Wiederaufbau Koreas zu steuern. Die Kompetenzzuweisungen und Grenzen der Zuständigkeit waren jedoch ungenügend klar geregelt. So übernahmen ab 1954 mehr und mehr amerikani- sche Geberorganisationen die eigentliche Führungsrolle im Aufbauprozeß Südkoreas. Die UNKRA hatte aber Ende 1952 eine richtungsweisende Untersuchung über die Hilfsbedürftigkeit im Bildungsbereich vorgelegt. Als besonders problematisch wurden Lehrpläne und Unterrichtsmethoden, Bildungsverwaltung und -organisation, Finanzen, Lehrerbildung sowie Schulgebäude und Einrichtungen identifiziert. Die amerikanische Bildungshilfe erstreckte sich vor allem über die Jahre von 1952 bis 1963. Die Zuwendungen waren beträchtlich und erreichten am Ende die 100 Mio US-$- Marke, nicht eingerechnet die Mittel aus privaten Stiftungen der USA. Die Amerikaner engagierten sich ganz besonders im Schulbau, in den etwa 70 Mio US $ flossen. 341 Weitere Schwerpunkte waren die Ausrüstung von Sekundarschulen und Vocational High Schools, der Hochschulbereich und die Lehrerbildung. Trotz der beträchtlichen Mittel- aufwendungen hielt sich die positive Wirkung in Grenzen. Die dafür ursächlichen Schwierigkeiten, Hemmnisse und Fehler der amerikanischen Bildungshilfe sind relativ früh in der Literatur aufgearbeitet worden (Adams 1960; Dodge 1971, siehe hierzu Me Ginn et al. 1980, S. 89 ff.). Zu den wichtigsten Einsichten zählen die folgenden Punkte: Der Anteil der materiellen Hilfe war zu groß, der Anteil der nichtmateriellen Hilfe, z. B. in Form der Übertragung von know how, zu gering. Der Grund wird darin gesehen, daß es wegen der sprachlichen Schwierigkeiten zwischen Amerikanern und Koreanern wesentlich einfacher war, Geld und Sachmittel zu überlassen, als z. B. Fortbildungs- maßnahmen durchzuführen. Der erste Vollzeit-Experte reiste 1958 aus den USA ein. Seine Verweildauer und auch die der späteren Fachkräfte wird als zu kurz beschrieben. Die Laufzeit der Projekte war länger als die Einsatzzeiten der Experten. Die US-Exper- ten werden von Dodge auch als unsensibel gegenüber der koreanischen Kultur be- schrieben, sie hätten weder einheimische Sprachkenntnisse noch angepaßte Verhaltens- weisen gehabt. Danach stellt Dodge die bis heute in ihrem Sinne für die Bildungs- zusammenarbeit noch gültige Frage (Dodge in Me Ginn et al. 1980, s. 93): "Should it not have been recognized during the V.S. effort to rebuild and upgrade education that Korean culture should still be the core and Western culture the supplementary element to make the core culture functional?" Die amerikanische Absicht, berufliche Bildung fördern zu wollen, wird generell gelobt. Schwierigkeiten dabei werden vor allem auf der koreanischen Seite ausgemacht. Die Verwaltung der beruflich orientierten Schulen teilten sich von 1952 bis 1956 zwei Ministerien, nämlich das Ministry of Education und das Ministry of Horne Affairs. Dann bestanden fast unlösbare Probleme bei der Lehrerrekrutierung. Sie sollten einer- seits einen akademischen Grad haben als auch andererseits über Industrieerfahrung verfügen. Ferner fehlten Instruktions- und Unterrichtsmaterial in koreanischer Sprache. Schließlich kam es zu finanziellen Problemen, weil technische Schulen wesentlich teurer in der Unterhaltung sind, als sogenannte Buchschulen. So verband sich von Anfang an ein niedriger Standard der Vocational High Schools mit negativer Schülerauswahl und 342 geringem Image (Dodge in Me Ginn er al. 1980, S. 91): "The major part of the (vocational high schools) were vocational in name only as they lacked both equipment and the instructors qualijied to demon- strate practical work skills. As a result, these schools became arefuge for students unable to pass examinations for the academic schools, or who lacked funds. " Nun wäre es ungerecht, die Kritik an der amerikanischen Bildungshilfe sehr weit zu treiben. Denn es fehlte in den 50er und 60er Jahren rund um die Welt an ausgereiften Entwicklungsstrategien und an Erfahrung für eine adäquate Umsetzung von Bildungs- hilfe. Auch muß man sich den damals trostlosen Zustand Koreas vor Augen halten, wenn man zu einer fairen Einschätzung der Wirksamkeit der frühen Bildungszusammen- arbeit kommen will. Aus koreanischen Quellen geht hervor, daß neben den USA noch Deutschland, Belgien und Japan nennenswerte bilaterale Hilfe im Bereich beruflicher Bildung geleistet haben (MOL 1993, S. 58; Lee, S.-I. 1990, S. 46). Die Abb. 74 zeigt eine Zusammenstellung aus den späten 60er Jahren bis zur Einstellung der deutschen Entwicklungshilfe Ende 1993. Projekte der Berufsbildungszusammenarbeit Geber und Mittelaufwand 1968-1993 Förderer Projekt Förder- Projekt- betrag laufzeit UNDP/ILO - Central VTI 2.621.770 $ 68-81 - Seoul Institute (SIVAT) 370.000 $ 90-93 Japan - Taejon VTI 1.369.000 $ 76-80 USA - Jeongsoo VTI 250.000 $ 76 Belgien - Changwon VTI 5.460.706 $ 76-91 Deutschland - Busan VTI 18.000.000 $ 70-75 (BR) - German Advisory Service to MOL 32.700.000 $ 76-93 - Changwon Industrial Master' s 15.000.000 $ 79-90 College Quelle: MOL 1993, S. 58. 343 Abb.74 Mit rund 65 Mio DM ist die Bundesrepublik Deutschland mit den USA mit großem Abstand vor den anderen Gebern Förderer der beruflichen Bildung. In der fast drei Jahrzehnte dauernden Zusammenarbeit wurden von deutscher Seite ausschließlich Projekte im non-formalen Berufsbildungsbereich gefördert. Anders als bei den Entwick- lungsgeseIlschaften der USA kamen den Deutschen die unter MOE im formalen System verankerten Vocational High Schools und Junior Technical Colleges nicht in den Blick. Es ist nicht verwunderlich, daß Gebernationen wenigstens in der Frühzeit der Koopera- tion mit Entwicklungsländern auf die bei ihnen etablierten Bildungsformen zurück- griffen. In Deutschland ist ein Schultyp wie Vocational High School praktisch unbekannt. Konzepte zur Doppelqualifizierung, die also Studierreife und Arbeitsfähigkeit integriert oder zumindest parallel ohne erheblichen zeitlichen Mehraufwand für die Lernenden zu erreichen vorsehen, sind tatsächlich nicht unproblematisch. In der Entwicklungszusam- menarbeit sind dennoch auch einige technische Sekundarschulen gefördert worden. 1973 waren weltweit 16 Schulen in der deutschen Förderung, 1980 hingegen keine einzige mehr, weil sich nach deutscher Auffassung das Modell nicht bewährt hatte (Rychetzsky 1977, S. 280). Als ganz falsch kann man diese Einschätzung nicht bezeichnen, vielleicht als etwas verfrüht. Die Bundesrepublik Deutschland hatte 1966 einen Vertrag über die technische Zu- sammenarbeit mit Korea unterzeichnet. Alsbald wurde begonnen, eine Facharbeiter- schule in Incheon zu unterstützen. Der "Export" von Facharbeiter- oder Gewerbeschulen stand ganz im Zeichen der Übertragung unseres lange gewachsenen Ausbildungsstan- dards in Länder der Dritten Welt (Schoenfeldt 1989, S. 28). Als Begründer des Modells "Gewerbeschule" für die Berufsbildungshilfe gilt Wissing. Er war davon überzeugt, daß unser Berufsbildungskonzept weltweit vorbildlich sei (Wissing in MaslankowskiIPätzold 1986, S. 31): "Es wird dringend empfohlen, den Versuch zu machen, in der geplanten Ausbildungsstätte die deutschen Gedanken zur Berufsausbildung zu ver- wirklichen. " 344 Das Modell "Gewerbeschule" war in den 60er und 70er Jahren ein vielfach üblicher Typ in der Berufsbildungshilfe. Es handelte sich dabei um eine schulische Einrichtung außerhalb des formalen Bildungssystems, die für eine theoretische und praktische Ausbildung genutzt wurde oder wird. Im Grunde sind die Vocational Training Institutes der Gewerbeschule ähnlich. Das gilt zumindest für die Organisation, die Ansiedlung im non-formalen Bildungssektor und der Verbindung praktischen und theoretischen Lernens unter einem Dach. Inhaltlich und im Ziel gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede. Zu den Unterschieden gehören: die Vorbildung der Schüler, das angestrebte Qualifikations- profil, die Ausbildungsdauer und das Prüfungssystem. Das VTI als Typ eines Aus- bildungszentrums kam aber deutschen Vorstellungen für berufsausbildende Einrichtun- gen in Entwicklungsländern recht nahe. So folgte in der Reihe der koreanisch-deutschen Projekte ab 1970 eine langfristige Förderung eines VTI in Busan. 1975 beantragte Korea bei der Weltbank einen Kredit zur Errichtung weiterer 15 VTIs. Die Weltbank machte zur Auflage, daß erfahrene Fachkräfte als Berater beim Auf- und Ausbau dieser Ausbildungsinstitute mit hinzugezogen werden müßten. Die Koreaner entschlossen sich, deutsche Experten anzufordern. Das deutsche Beraterteam wurde 1976 bei der Administration of Labour Affairs (ALA) angesiedelt. Aus der ALA ging fünf Jahre später das Arbeitsministerium (MOL) hervor. Das Engagement der deutschen Förderung blieb nicht bei der Hilfe zum Aufbau der VTIs stehen. So wurden verschiedene Modellversuche zur Einführung eines kooperati- ven Ausbildungskonzepts, analog zum deutschen dualen System, mit dem Partner geplant und durchgeführt. Kulturelle Unterschiede vereitelten jedoch einen nachhaltigen Erfolg. Drei Gründe sollen kurz beschrieben werden: 1. Kooperative, duale Ausbildungssysteme setzen in der Regel zwei annähernd gleich- berechtigte Partner, die zusammenarbeiten wollen, voraus, wie z. B. BetrieblWirt- schaft und Regierung/Staat. In dem immer noch stark konfuzianisch geprägten Korea sind die gesellschaftlichen Strukturen nun - wie beschrieben - nicht horizon- tal-partnerschaftlich ausgebaut, sondern vertikal-hierarchisch geordnet. Das heißt z.B., daß die Wirtschaft bisher wirtschaftspolitisch den Staat als vorgesetzte Instanz 345 akzeptiert. Der Staat gibt in Fünfjahresplänen die Richtlinien an, denen die Wirt- schaft dann folgt. Wenn auch in der letzten Zeit die Wirtschaft sich in die Politik mitredend einmischt, ist eine partnerschaftliche Kooperation bei der Ausbildung von Arbeitskräften nicht in Sicht. Auch eine Zusammenarbeit in einer hierarchischen Struktur wäre denkbar. Der Staat könnte Quantitäten und Qualitäten des Ausbil- dungsbedarfs festlegen - die Wirtschaft diesen Vorgaben entsprechend ausbilden. Eine derartige Einmischung ist von den Betrieben unerwünscht und war auch bisher nicht üblich. Seit 1000 Jahren hat die Regierung der Wirtschaft bezüglich berufli- cher Aus- und Weiterbildung weder geholfen noch hineingeredet. Berufsausbildung galt nicht als ein durch Verordnungen oder Gesetze zu regelnder gesellschaftlicher Bereich. Das sehen die Firmen noch heute so und lassen sich daher nur sehr ungern vom Staat Auflagen erteilen. 2. Kooperative, duale Ausbildungssysteme setzen zwangsläufig Standardisierungen in den Ausbildungsplänen voraus. Es muß mindestens als Rahmen festgelegt werden, welche Fertigkeiten, Kenntnisse und Verhaltensweisen während der Ausbildungs- dauer angestrebt werden sollen. In Deutschland ist das Problem prinzipiell gelöst. Die Orientierung geschieht an Berufen, genauer Ausbildungsberufen. Die Aus- bildungsrahmenpläne werden so entwickelt, daß sie für den Einsatz an unterschied- lich organisierten Arbeitsplätzen qualifizieren. Eine gewisse Abstraktion oder arbeitsplatzübergreifende Tendenz ist gewollt, um Mobilität der Arbeitskräfte zu fördern. Ein Berufsbegriff, wie wir ihn aus religiösen Zusammenhängen als "Beru- fung" kennen oder der uns in der verweltlichten Form als "innerer Beruf' noch gegenwärtig ist, hat sich in Korea - auch das ist weiter oben schon ausgeführt worden - so nicht entwickelt. Ganz besonders gilt diese Aussage für industrielle Tätigkeiten. Die Industrie in Korea orientiert sich bei der Ausbildung am ganz kon- kreten, jeweils betriebsspezifischen Arbeitsplatz. Da die Betriebe keinen Vorteil zu erkennen vermögen, nach allgemeinen Richtlinien ausbilden zu sollen, da dabei viel vermittelt werden muß, was sie an ihren vorhandenen Arbeitsplätzen nicht brau- chen, lehnen sie eine Standardisierung der Ausbildung ab. 346 3. Gesellschaftliche Gruppenbildung ist noch nicht sehr weit entwickelt. Das liegt zum einen am konfuzianischen Erbe. Zum anderen hat aber auch während der Zeiten der Militärregierungen die autoritär-staatliche Einflußnahme auf alle gesellschaftlichen Vereinigungen dazu geführt, Zusammenschlüsse in der Wirtschaft zu behindern. Daher ist der Schulterschluß der Betriebe nicht sonderlich eng. In Deutschland dagegen sind Betriebe seit Jahrhunderten in Zünften, Gilden, Innungen und Kam- mern zusammengeschlossen. Die bestehenden Kammern sind, verbunden mit dem Prinzip der Pflichtmitgliedschaft, im Bereich der Berufsausbildung starke, kom- petente Partner des Staates. Für eine duale Ausbildung als gemeinsame Aufgabe von Staat und Wirtschaft bedarf es repräsentativer, kraftvoller Wirtschaftsverbände, mit denen z. B. die Arbeitsverwaltung zusammenarbeiten kann. Derartige Verbände oder Kammern gibt es in Korea nur ansatzweise. Vor Pilotversuchen mit einem kooperativen Training, wie die koreanische Version des deutschen dualen Systems genannt wurde, wurde vom Vocational Training Research Institut (VOTRI) des Ministry of Labour (MOL) eine Umfrage bei 123 Industriefirmen durchgeführt. Zweck der Umfrage war zu erfahren, wie die Wirtschaft auf das Angebot dual strukturierter Ausbildungsgänge reagieren würde. Das Ergebnis war deutlich negativ. 70 % der Firmen stimmten dagegen und wollten an eigenen Ausbildugnsformen festhalten. Nur 17 % der angeschriebenen Betriebe hielten Pilotversuche mit einem kooperativen System für sinnvoll und hilfreich. Immerhin fanden sich um die 30 % der Firmen bereit, an einem Versuch teilzunehmen (SchoenJeldtIHirthe 1992, S. 1 f.). 1983 begann der erste Versuch. Die Richtlinien dazu waren von MOL ohne partnerschaftliche Beteiligung der Betriebe erlassen worden. Zielgruppe waren Abgänger von Middle Schools, die es damals noch gab. Im ersten Ausbildungsjahr wurde der Unterricht in Theorie und Praxis an drei VTIs durchgeführt. Im zweiten und dritten Jahr war über- wiegend betriebliche Ausbildung vorgesehen, der Anteil für theoretischen Unterricht an den VTIs verringerte sich von 30 % im zweiten auf 20 % im dritten Jahr. Von Bildungsversuch im eigentlichen Sinne war keine Rede. Die Vorbereitung durch die Korea Manpower Agency (KOMA), die damals noch etwas anders hieß, zeigte 347 deutliche Schwächen. Es gab keine Beschreibung der Versuchsbedingungen, der Er- folgskriterien und der Versuchsdauer. Es gab keine (wissenschaftliche) Versuchsbeglei- tung oder Evaluation. Ferner waren die rechtlichen Regelungen unzureichend; es fehlte an Ausbildungsunterlagen und entsprechend eingewiesenen Ausbildern in den Betrieben. Die Koordination der Lernorte glich mehr einem Versuch der KOMA, die teilnehmen- den Betriebe zu beaufsichtigen, als einer Kooperation. Die Zahl der beteiligten Firmen schwankte zwischen 28 (1983) und 79 (1987), erst nahmen drei VTIs, später fünf am Versuch teil. Die Aufnahmekapazität betrug anfangs (1983) 164 Jugendliche und wuchs auf 302 (1985) an. Der Versuch zum kooperativen Training verlief enttäuschend. Die Jugendlichen fühlten sich in den Betrieben mehr ausgebeutet als ausgebildet. So stieg die drop-out-Rate ständig an. Im Schnitt war es ein Viertel bis ein Drittel der Jugend- lichen, die die Ausbildung abbrachen. An zwei VTIs erreichte die Rate der Abbrecher 65-70 %. 1988 wurde der Versuch für beendet erklärt. Es folgten noch zwei weitere Pilotprojekte mit geänderter Ausbildungsorganisation und nur 30 Auszubildenden pro Jahr. Aber auch diese Versuche brachten keine neuen Erkenntnisse oder Resultate. 1992 wurden daher die Versuche zur Einführung eines kooperativen Trainingssystems in Korea aufgegeben. Deutsche Experten hatten wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Schwächen der koreanischen Ausbildung sehr gehofft, ein modifiziertes Modell des dualen Systems in Korea implementieren zu können (Rösch 1988, S. 98 f.). Die Aufklärungsarbeit des German Advisory Teams war durchaus beachtlich. Es wurden Studienreisen nach Deutschland organisiert, internationale Symposien durchgeführt, zahlreiche Seminare angeboten und Vorträge gehalten. Einschlägige Artikel zum dualen System wurden ins Koreanische übersetzt und Studien zur Reform des koreanischen Berufsbildungswesens vorgelegt, wie z. B. "Reorganization of Vocational Training" (KarrerlMarx et al. 1982). Auch koreansiehe Kräfte bemühten sich, ein kooperatives Training zu fördern. Zu- mindest in wissenschaftlichen Kreisen wurde die regide Trennung zwischen Ausbil- dungs- und Beschäftigungssystem für nicht zweckdienlich gehalten. Eine kooperative Ausbildung könnte sich positiv auswirken, wenn die Partner Staat und Wirtschaft zusammenarbeiten würden (siehe z. B.: Kim, B.-S. 1988, S. 253 ff.; Lim, S.-Y. 1990, S. 348 103 ff.). Die bei weitem beste in englischer Sprache vorliegende Schrift zum kooperati- ven Training aus koreanischer Sicht ist die von Lee, M.-K. 1991: "Present Situation and Future Directions of Cooperative Training in Korea". Trotz insgesamt positiv-optimisti- scher Betrachtungsweise der Versuche zum kooperativen Training, benennt Lee eine lange Liste von Problemen, ohne deren Lösung eine duale Ausbildung in Korea nicht einzuführen ist. Zu den wichtigsten von Lee beschriebenen Problemen zählen: - Unklare und konkurrierende rechtliche Regelungen durch MOL und MOE bezüglich der Zusammenarbeit von Bildungs- und Ausbildungssystemen mit der Wirtschaft. - Unzureichende Festlegung der Rechte und Pflichten der ausbildenden Parteien in den betreffenden Gesetzen. - Der Interessenkonflikt zwischen Ausbildungsbetrieb und Auszubildenden verhindert die Erreichung des Ausbildungsziels. - Unzureichende Zusammenarbeit der verantwortlichen Ministerien MOL, MOE und Ministry of Commerce and Industry. - Fehlende wissenschaftliche Vorbereitung und zu überhasteter Beginn ohne Berück- sichtigung der vorhersehbaren Schwierigkeiten gefährden das ganze Projekt. - Die hohe drop-out-Rate ist auch auf eine Auswahl von ungeeigneten und lernunmoti- vierten Auszubildenden zurückzuführen. - Regionale Besonderheiten werden im Programm nicht berücksichtigt. - Eine Verbindung der Ausbildungsteile von VTI und Betrieb fehlen. - Betriebe sehen Ausbildung nicht als Teilziel ihres Zweckes, sondern nur als Bei- produkt an. - Den Ausbildern fehlt es an Unterweisungstechniken. - Es fehlen geeignete Koordinatoren zwischen betrieblicher und institutioneller Aus- bildung. - Zu geringe Auswahlmöglichkeit zwischen ausbildungswilligen und geeigneten Betrieben. - Die Betriebe erachten Ausbildung als zusätzliche Bürde und scheuen die Ausbil- dungskosten. Sie betrachten daher die Auszubildenden eher als Arbeitskräfte, denn als Praktikanten. 349 Aus dem deutschen Bewußtseinsstand war zu Beginn der Versuche ein Scheitern nicht unbedingt vorauszusehen. Die Implementierung wurde für möglich gehalten. So z. B. von Danker, dessen Artikel inhaltlich abwägender ist, als es die Überschrift vermuten läßt: "Vom Feld in die Fabrik - Ein Schwellenland entscheidet sich für die duale Ausbildung" (Danker 1983, S. 28). Vorsichtiger hätte man werden können und auch sensibler bezüglich der Erfolgsaussichten der Modellversuche, wenn man den damals weiterentwickelten Bildungssystemen in Japan und Taiwan-China etwas mehr Auf- merksamkeit geschenkt hätte. Lösungsforrnen und Tendenzen in den kulturverwandten Ländern hätten für die Berufsbildungszusammenarbeit mit Korea viele gute Hinweise gegeben. Die Ausstrahlungskraft des regional-dominanten Japan und des erstarkenden Inselstaates Taiwan auch auf die Ausbildung und Weiterentwicklung der beruflichen Qualifizierungsformen in Korea wurde aber von der deutschen Seite bis zur Beendigung der Technischen Zusammenarbeit willentlich nicht wahrgenommen. Der Grund dafür liegt auch in einer Art Sendungsbewußtsein deutscher Entwicklungspolitiker und Organisatoren der Zusammenarbeit. Danach wird nämlich fest geglaubt, daß das deut- sche duale System in alle Welt exportiert werden müsse. Das Scheitern dieser Bemü- hungen wird seit langem standhaft nicht wahrgenommen. Ganz unbestritten erregt das duale Ausbildungssystem vielfach Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Bewunderung. Das ist aber noch kein Grund zur Annahme, daß dieses System auch in anderen Ländern oder Kulturen erfolgreich eingeführt werden könnte. Aus den USA, die auch zum Kreis der die deutsche Ausbildung Lobenden gehören, kommt auch die richtige und nüchterne Erkenntnis (Fukuyama 1995, S. 281): "Doch die Lehrlingsausbildung in Deutschland ist in ein komplettes System der beruflichen Bildung eingebunden, das sich nicht einfach in Einzelteile zerlegen und exportieren läßt. Letztlich ist es an den Fortbestand bestimmter gesellschaftlicher und kultureller Traditionen geknüpft, die in Mitteleuropa einzigartig sind. " Auch andere in Deutschland bewährte Problemlösungsmuster im Bereich beruflicher Bildung, wie z. B. bei der Qualifizierung von Ausbildern und Meistem ließen sich aus 350 kulturellen Gründen nur schlecht oder gar nicht nach Korea übertragen. Die Koreaner haben mit großem Interesse die deutsche Meisterausbildung studiert und durch Reisen nach Deutschland kennengelernt. Eine Übernahme der Ausbildung zum Handwerks- meister ist nie ernsthaft in Betracht gezogen worden. Der Handwerksmeister setzt eine feste Identifikationsmöglichkeit mit einem Beruf voraus und ist eigentlich ohne die darunter liegenden Stufen Geselle und Lehrling nur schwer vorstellbar. Das Arbeits- ministerium in Seoul fand hingegen das Qualifikationsprofil des Industriemeisters als Grundlage für geeignet, um ein Angebot zur Fortbildung mittlerer technischer Führungs- kräfte der Wirtschaft zu entwickeln. Die deutsche Industriemeisterausbildung orientiert sich eindeutig am Konzept einer nichtakademischen Weiterbildung. Das paßt langfristig kaum in die koreanische Bil- dungsstruktur und in das fernöstliche Bildungsverständnis. Wenn nahezu alle Schüler eines Jahrgangs den Sekundarbereich abschließen, müssen ernstzunehmende Aus- und Fortbildungsgänge im tertiären Bildungsbereich (Hochschulbereich) angesiedelt werden. Nach konfuzianischem Verständnis sind nur im formellen Bildungssektor verankerte, möglichst akademische (theoriebezogene) Ausbildungsgänge bildend. Hingegen sind nichtakademische Bildungsprogramme gesellschaftlich nur wenig angesehen, wie gezeigt wurde. Die Versuche des Arbeitsministeriums, gemeinsam mit deutscher Hilfe "Industri- al Master Craftsman" auszubilden, stoßen bei der Industrie auf nur verhaltenes Interesse. Die jährliche Ausbildungskapazität von ca. 300 ist im übrigen nicht nennenswert: Im größenordnungsbereinigten Vergleich mit Deutschland müßte Südkorea jährlich zwi- schen 15.000 und 20.000 Industriemeister ausbilden. Geplant ist, die vorhandenen "Industrial Master's Colleges" in den Rang von Junior Colleges zu erheben, und damit im tertiären Sektor anzusiedeln. Das könnte den Zulauf erhöhen. Es muß hier bei Andeutungen bleiben, wie schwierig die konzeptionelle Berufsbildungs- zusammenarbeit zwischen kulturell sehr unterschiedlich geprägten Gesellschaften sein kann. Hinzuweisen ist aber auch auf die ganz andersartigen Verhaltens- und Denkfor- men von Koreanern und Deutschen, die die Zusammenarbeit immer wieder irritiert haben. Über typische Schwierigkeiten und Andersartigkeiten ist beispielsweise aus 351 einem koreanisch-deutschen Projekt zur technischen Lehrerausbildung berichtet worden (Kim, K.-Z.lLee, J.-W. u.a. 1990, S. 342 ff.): "Ein Haupthindernis für Deutsche ist ihr unzureichendes Wissen um den Konfuzianismus, der das tragende Fundament für die Struktur des Systems von Politik, Erziehung und Familie bildet. Die heutigen Lebensregeln in Korea sind tief in der Tradition verwurzelt. ... Ein anderer sensibler Punkt für die Zusammenarbeit ist der Unterschied in der Einstellung sich selbst gegenüber. Wo ein Deutscher an der Richtigkeit des eigenen Handeins zweifelt, zeigt ein Koreaner statt dessen ein hohes Maß an Selbstsicherheit. ... Ein weiterer grundlegender Unterschied in den Haltungen wirkt sich ausge- sprochen störend aufdie Zusammenarbeit aus: Der Umgang mit Informatio- nen. Die Deutschen haben einen starken Bezug zu beschriebenem Papier, die Koreaner mehr zu informellen Strukturen. Genauso unterscheiden sich Zeiteintei/ung, Planung und die Berichterstattung erheblich voneinander. In Korea taucht ein Problem plötzlich auf, auch wenn jeder es schon längere Zeit wahrnehmen müßte. ... Ein anderes großes Problem ist die unterschiedliche Einstellung hinsichtlich des Erreichens gesetzlicher Ziele und entsprechender Evaluationen. Deutsche gelten als streng zielbezogen arbeitend, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch 'mal fragwürdige Wege zur Erreichung eines Zieles gewählt werden. Von manchen Koreanern wird dagegen behauptet, es käme ihnen vor allem darauf an, daß der Problemlösungsprozeß gut aussieht, wobei das endgültige Ergebnis an Bedeutung verliert. ... Aber darüberhinaus muß jeder schnellstens lernen, daß man keinesfalls sofort zu etwas "Nein" sagt. Die Ablehnung hat sich zu entwickeln und nicht direkt und harsch zu erfolgen. Das verbietet nun einmal in Korea die Höf- lichkeit. Dieses Verhalten führt aber auch leicht dazu, daß Deutsche glau- ben, ein Vorschlag sei angenommen, nur weil kein Koreaner "nein" gesagt hat. Dabei bedeutet es aber keinesfalls ein 'Ja", selbst wenn dieses erfolgt. Es ist oft nur das Zeichen, daß man das Problem verstanden hat. Hier gilt es, Geduld zu haben und Rückversicherungen zu wählen, die nicht verletzend sind." 352 Auch in anderen Projekten wurden Erfahrungen mit Schwierigkeiten gemacht, die sich durch die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe ergaben (Schnitter/Kim, C. -So 1980, S. 15). Die GTZ wendet seit längerer Zeit für die Projektplanung und -steuerung eine Methode an, die den Namen "Zielorientierte Projektplanung" (ZOPP) trägt. Es ist eine im Grunde genommen vernünftige Vorgehensweise, möglichst alle Projekte nach einem weitgehend standardisierten Verfahren anzufangen und zu beenden. Auf das allgemeine Pro und Kontra in der Diskussion über ZOPP will ich hier gar nicht eingehen. Berichtenswert ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung der Methode und die Reaktion der koreani- schen Partner. Zunächst fand sich in den Projektabkommen stets die Absichtserklärung der Projektpartner, die Details der Zusammenarbeit zwischen den durchführenden Organisationen festlegen zu lassen. Trotz dieser Vereinbarung kam es zu keiner ziel- orientierten Projektplanung. Der koreanische Partner war dazu nie bereit. Diese - aus deutscher Sicht - Planungsverweigerung hat tiefreichende kulturelle Gründe. Verall- gemeinernd gehören dazu: - Verträge, Vereinbarungen, Planungen haben ganz generell in Korea nicht den binden- den Charakter, den sie nach deutschen Vorstellungen haben. - Koreaner handeln vorrangig situations- und personenorientiert. Nicht ein guter Plan, sondern eine starke, positive Sozialbeziehung zum Partner entscheidet über die Qualität der Resultate in der Zusammenarbeit. - Die aus unserer Sicht häufig nur als chaotisch zu bezeichnende Art der Planung sichert aus koreanischer Sicht ein Höchstmaß an Flexibilität. - Es liegt dieser fernöstlichen Kultur nicht sehr, langfristige systematische, linear- logische und empirisch-analytisch fundierte Planungen vorzunehmen. Der hier vorherrschende Denkstil ist mit unseren Worten eher als kurzreichend, komplex, zirkulär, intuitiv zu umschreiben. - Planungen folgen dem Muster trial and error, ad hoc, und in kleinen Schritten, deren Richtung leicht korrigiert werden kann. Dieses Verfahren hat sich in der sich rasch wandelnden Situation (politisch, wirtschaftlilch, ökologisch) Koreas bewährt. 353 - Die Offenlegung von langfristiger Planung könnte bedingen, daß Planungsfehler oder Abweichungen zu Gesichtsverlust des/der Verantwortlichen führen. Das gilt es zu venneiden. Eine beide Seiten bindende Projektplanung würde Ausländern eine ungewollte Einsicht und eine unerwünschte Einmischung in koreanische Verhältnisse erlauben. Es gibt eine Vielzahl von Büchern und Artikeln, in denen die Chancen und Risiken der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von koreanischen und deutschen Geschäftsleuten thematisiert werden. Alle vorstehend genannten kulturellen Eigenheiten der Koreaner, und noch viele mehr, sind in immer wieder abgewandelter Weise beschrieben und bestätigt worden. Auf einige der Veröffentlichungen soll hingewiesen werden. Es sind die Bücher von Crane 1978; De Mente 1988; lang, S.-H. 1988 und HurlHur 1988. Die Zusammenarbeit im Berufsbildungsbereich mit Deutschland wurde trotz aller kultureller Differenzen von den Koreanern über viele Jahre hindurch mit Interesse wahrgenommen. Die deutsche Art beruflich zu qualifizieren, wurde als kontrastierende Alternative angesehen. Diese zu kennen, war sicher wertvoll für den Entscheidungs- prozeß beim Aufbau des eigenen Systems. Besonders beliebt waren Reisen nach Deutschland, um vor Ort Einblicke in die Berufsausbildung zu gewinnen. Diese fachli- che Reisetätigkeit wurde auch über den Rahmen der deutschen Förderung hinaus fortgesetzt. Als sehr hilfreich und erfolgreich wurden von den Koreanern ferner die Fortbildungsmaßnahmen für koreanisches Personal der beruflichen Bildung in Deutsch- land empfunden. Bis zum Ende des Förderzeitraums 1993 waren seit 1969 insgesamt 980 Koreaner außerhalb ihres Landes fortgebildet worden (Abb. 75). Bei diesen Zahlen sind allerdings "Äpfel und Birnen" addiert worden. Es werden Personen zusammengezählt, ohne Berücksichtigung der jeweiligen Länge der Fort- bildung. Da die Maßnahmen zwischen drei Wochen und einem Jahr dauerten, wäre es zum Vergleich besser gewesen, die Anzahl der FachkräfteIMonate zu kennen. Diese Einheit zugrunde gelegt würde zeigen, daß Deutschland mit Abstand das wichtigste Land beruflich-technischer Fortbildung für die Koreaner war. Korea hat aus der länder- übergreifenden Berufsbildungszusammenarbeit erheblichen Nutzen gezogen. 354 Fortbildung von Personal in der beruflichen Bildung im Ausland. Quoten führender Förderländer seit 1969: Land Anzahl Japan 380 Deutschland 360 Belgien SS Singapur 40 USA 22 Quellen: MOL 1993, eigene Berechnungen. Abb.7S Korea als Geberland In den sechziger und siebziger Jahren gehörte Südkorea zu den am stärksten geförderten Entwicklungsländern. Sicher trug der Wettstreit der Systeme, nämlich dem zwischen dem kommunistischen Norden und dem sich kapitalistisch entwickelnden Süden, zur besonderen Förderung der Republik Korea bei. Schon sehr früh, gemessen am Stand der Industrialisierung bzw. der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, begannen die Koreaner 1963 Ausbildungsprogramme für weniger entwickelte Länder anzubieten. Sie wurden in den ersten Jahren voll von den USA finanziert. Ab 1965 übernahm die koreanische Regierung einen Teil der Kosten und entsandte 1967 den ersten technischen Berater in ein Entwicklungsland. Das frühe Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit war auch durch die Kon- kurrenz zu Nordkorea um die Anerkennung in Entwicklungsländern mitbestimmt. Die Rolle als Geberland übernahm Korea dann offiziell seit 1977. Im ersten Jahr allerdings noch eher symbolisch mit 1,6 Mio US $ nichtrückzahlbarer Hilfe. Die folgenden Jahre zeigen schon zunehmende bilaterale und multilaterale Aktivitäten. Zu den bilateralen Maßnahmen gehörten z. B. die Fortbildungsangebote des Bauministeriums im Feld der Bauberufe. Meistens standen sie in Verbindung mit Großprojekten im Ausland, die koreanische Baufirmen ausführten. Das Arbeitsministerium bot Fortbildungsmaßnahmen in technischen Fachrichtungen an und förderte durch Ausrüstungsgüter und die Entsen- 3SS dung eines Experten ein Ausbildungszentrum in Gabun. Auch über das Außenministeri- um liefen Projektförderungen, in der Regel in Form von finanzieller Hilfe. Alles in allem waren es kleinere, kurzfristige und wenig koordinierte Maßnahmen. Als besonderes Beispiel für den multilateralen Bereich der Zusammenarbeit, kann die Anbahnung der Kooperation mit dem "Asian and Pacific Skill Development Program- me" (APSDEP) angeführt werden. Das APSDEP ist eine regionale Einrichtung des Internationalen Arbeitsamts (ll..O) zur Förderung technisch-beruflicher Bildung in 28 asiatischen und pazifischen Staaten. 1988 vereinbarte das APSDEP mit der koreanischen Regierung, vertreten durch das Arbeitsministerium, die Gründung eines Fortbildungs- instituts. So entstand das "Seoul Institute for Vocational Training in Advanced Techno- logy" (SIVAT 1992). Das SIVAT wurde am schon bestehenden Incheon Industrial Master's College angesiedelt und nahm 1989 seine Arbeit auf. Ganz überwiegend sind es drei Kurstypen, die zur Fortbildung von Ausländern angeboten werden (SIVAT 1995/96, S. 8 ff.). 1. Fortbildung von Ausbildungspersonal der APSDEP-Mitgliederstaaten in Neuen Technologien wie CAD, CAM, CNC, CBT und in Gießereitechnik. Dauer der Fort- bildung: drei Monate. APSDEP finanzierte einen Teil der High-tech-Ausrüstung und übernimmt die Reisekosten für die Teilnehmer. Korea stellt die Ausbildungs- stätte, das Lehrpersonal und übernimmt die Ausbildungskosten. Die Fortbildungskurse gliedern sich in drei Phasen. Die erste kurze, etwa einwöchi- ge Phase dient der gegenseitigen Vorstellung der Teilnehmer und einer gründlichen Analyse ihres Kenntnis- und Fertigkeitsstandes. Die zweite Phase beginnt mit einer Einführung in die Geschichte, Kultur und wirtschaftliche Situation Koreas. Es folgen sechs Wochen Training und zwar 60 % Fachpraxis, 20 % Fachtheorie und 20 % Pädagogik. Danach werden die Teilnehmer zu einem zweiwöchigen Prakti- kum in Großbetriebe vermittelt. Dann folgt eine Woche mit Prüfungen und ab- schließenden Diskussionen. Die dritte Phase ist eine Art Nachbetreuung und Aus- weitung der Erfahrungen. Das SIVAT hält mit den Teilnehmern nach deren Rück- 356 kehr in ihre Heimatländer Kontakt. Der Kontakt dient dazu herauszufinden, wie die Kursabsolventen ihre hinzugewonnene Qualifikation einsetzen und wie mit Hilfe der Rückmeldungen der Kurs inhaltlich verbessert werden kann. 2. Weiterbildungskurse für Instruktoren aus Entwicklungsländern. Adressaten sind überwiegend CounterpartslPartnerfachkräfte aus Projekten der koreanischen Berufs- bildungszusammenarbeit. Die Fortbildungsprogramme beziehen sich auf die Berei- che Metall, Elektro, Bau und Holz. Die Kurse dauern sechs Monate und werden überwiegend vom koreanischen Arbeitsministerium finanziert. 3. Weiterbildungskurse für technische Fachkräfte. Bei diesen Kursen handelt es sich um praktisches, fertigkeitsorientiertes Training in den gängigen Metall- und Elek- troberufen. Die Kursdauer beträgt drei Monate. Hier werden Lernende aus ver- schieden finanzierten Programmen ausgebildet. Die Ausbildungskapazität des SNAT ist noch nicht besonders hoch. Sie liegt in der ersten Hälfte der 90er Jahre so um die 100 Plätze oder etwas weniger pro Jahr, mit steigender Tendenz. Die Teilnehmer am "Seoul Institute for Vocational Training in Advanced Technology" kommen überwiegend aus asiatischen Ländern, was wegen der Kooperation mit APSDEP nicht verwundert. Auch wenn man andere Ausbildungsstätten mit hinzurechnet, wie z. B. die Werkstätten der Großindustrie, die ebenfalls in begrenz- tem Maße ausländische Lernende aufnehmen, ergibt sich ein klares Bild zugunsten asiatischer Länder: 1993 wurden im gewerblich-technischen Bereich 130 Teilnehmer gezählt. Davon kamen 97 aus 19 asiatischen Ländern. Das entspricht sehr genau 75 % aller Fortbildungsmaßnahmen. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Republik Korea und der Volksrepublik China 1992 schloß das SIVAT noch im gleichen Jahr einen Partner- schaftsvertrag mit dem Tianjin Vocational Technical Teachers'College ab und pflegt seitdem regelmäßige Auslandsbeziehungen auf technischem und curricularem Gebiet und durch gegenseitige Studienreisen (SIVAT 1993, S. 6). 357 Neben den Programmen zur Weiterbildung gibt es im gewerblich-technischen Bereich auch Projekte zur Förderung beruflicher Bildung in Partnerländern. So fördert Korea seit 1987 das "Korean-Indonesian Vocational Training Center". Seit 1993 wird mit rund 4,5 Mio US $ das "Korean-Sudan Vocational Training Center" unterstützt. Dieses Zentrum soll im Herbst 1995 in Betrieb gegangen sein. Zur besseren Koordination der Träger, Projekte und Maßnahmen, nicht nur der Techni- schen Zusammenarbeit, hat die koreanische Regierung 1991 nach japanischem Vorbild eine zentrale Einrichtung mit dem Namen "Korea International Cooperation Agency" (KOICA) gegründet. Die KOICA untersteht dem koreanischen Außenministerium (Pohl 1995, S. 174). Da die KOICA nach eigenen Angaben noch kein klares Konzept ihrer Entwicklungs- hilfemaßnahmen hat und dies damit begründet, daß Korea als Geberland noch keine ausreichenden Erfahrungen machen konnte, sind die Zielaussagen noch recht allgemein (KOICA 1994, S. 4). Von Hilfe zur Selbsthilfe ist die Rede, von globalem Umwelt- schutz, nachhaltiger Entwicklung und dem Prinzip der Hilfe aus Gegenseitigkeit. Vermutet wird, daß Korea mit der Entwicklungshilfe und damit auch mit der Berufs- bildungszusammenarbeit Wirtschaftsinteressen (Zugang zu den Rohstoffen) und Si- cherheitsinteressen verbindet. Die Schwerpunkte der Berufsbildungshilfe sind ganz eindeutig das Angebot von Fortbildungsmöglichkeiten auf dem Niveau, das wir als FacharbeiterffechnikerlAusbilder bezeichnen würden, und die Förderung von Aus- bildungszentren, die im Konzept etwa den koreanischen VTIs entsprechen. Insgesamt entsprechen die Mittel, die für die Entwicklungszusammenarbeit - nicht nur Berufsbildungszusammenarbeit - jährlich zur Verfügung stehen, erst einem Bruchteil der Durchschnittsleistungen anderer Industrieländer. Die Industrieländer streben als Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit jährlich 0,7 % des Bruttosozialprodukts art. Dieser Wert wird von den wenigsten erreicht - Korea liegt mit 0,05 % aber noch deutlich zurück. Die Aufnahme von Entwicklungshilfe ist ein weiterer Schritt Südkoreas auf dem Weg zur internationalen Zusammenarbeit. Ganz einfach ist dieser Weg für ein Land, das 358 Jahrhunderte hindurch nationale Isolierung pflegte nicht. Jetzt wird die Entwicklungs- zusammenarbeit bewußt als außenpolitisches Instrument eingesetzt (MauIl1995, S. 50). Sie ist Teil der südkoreanischen Globalisierungsstrategie, hier nach dem Motto "Partici- pating globally - developing locally" (KOICA 1993, S. 10; KOICA 1995, S. 8 f.). 359 360 Literaturverzeichnis ME, S.: Education in Formosa and Korea, in: Teachers College, Columbia University (ed.): Educational Yearbook, New York 1931, pp. 681-701 ADAMS, Don: Problems ofReconstruction in Korean Education, in: Comparative Educa- tion Review, vol. 3 (1960), pp. 27-32 ADAMS, Don: Education, in: Kim, Han-Kyo (ed.): Studies on Korea. A. 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Bd. 4 HOFFHUES/PURSCHKE{fÜMMERS: Berufspädagogische Probleme bei türkischen Jugendlichen. Kassel 1986. 170 Seiten. DM 10,00. Bd.5 KEMPKES, Hans-Peter: Das Konzept des offenen Schulbuches als Beitrag zur Curriculumentwicklung des Faches WirtschaftslehreiWirtschaftswissenschaften an der Sekundarstufe 11. Kassel 1987. 356 Seiten. DM 15,00. Bd.6 TÜMMERS, Jürgen: Türkei - flir Berufspädagogen. Studienmaterial zur Sonder- pädagogik der Berufsbildung unter Mitarbeit von BEYER/CINARIFoULA- DIIHOFFHUES/KoCHIPURSCHKEIWILHELM. Kassel 1988. 647 Seiten. DM 58,00. Bd.7 E. 1t. Sode: Schulbuch 0 hne Schule. 1. Bedürfnisse. Die unterdrückte Lust an der didaktischen Reflexion. Kassel 1989. 334 Seiten. DM 15,00. Bd. 9 LIM, Se Yung: Die Ergebnisse der Lemortdiskussion und ihre Bedeutung für die Qualifizierung von gewerblich-technischen Arbeitskräften in der Republik Korea. Kassel 1989. 263 Seiten. DM 10,00. Bd.10 KIPP, Martin:IMILLER-KIPP, Gisela: Erkundungen im Halbdunkel. Fünfzehn Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im nationalsozialistischen Deutsch- land. Kassel 1990. 346 Seiten. DM 15,00. Bd. 11 RUNKEL, Jakob: Das Studium saudiarabischer Graduierter im Magisterstudium an der Gesamthochschule Kassel- Universität. Kassel 1990. 358 Seiten. DM 15,00. Bd. 12 GERDSMEIER, Gerhard (Hrsg.): Schulbuch 0 hne Schule. 2. Arbeitsteilung. Vorreden zu einer Wirtschaftsdidaktik. Kassel 1990. 219 Seiten. DM 15,00. 382 Bd. 13 SPRETH, Günter (Hrsg.): Berufsbildung im Jemen. Kassel 1992. 340 Seiten. DM 15,00. Bd. 14 NÖLKER, Helmut (Hrsg.): Berufsbildung in Saudi-Arabien. Kassel 1992. 350 Seiten. DM 15,00. Bd. 15 KIpp, Martin: Die berufliche Rehabilitation Behinderter in der ehemaligen DDR- Erfahrungen aus einem studentischen Erkundungsprojekt an der Gesamthoch- schule Kassel von LANGEINAUIREINHOLD 1993. Kassel 1993. DM 5,00. Bd. 16 SACHER, Gabriele: Unterrichtliche Lehrverhaltensweisen im Microteaching und die Ausdifferenzierung ihrer inhaltlich-strukturellen Dimension vor dem Hinter- grund einer psychologisch-didaktischen Theorie. Kassel 1993. 351 Seiten. DM 20,00. Bd.17 STACH, MeinhardIWIEcHMANN-SCHRÖDER, Gabriele (Hrsg.): 20 Jahre Berufs- pädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Studien- und Forschungsschwer- punkte; Rückblick und Perspektiven. Kassel 1994. 110 Seiten. DM 10,00. Bd. 18 DENSTORFF, ClaudiaINEuMANN, Gerd (Hrsg.): Konzepte fiir die betriebliche Aus- und Weiterbildung. Kassel 1994. 144 Seiten. DM 6,00. Bd.19 TÜMMERS, JürgenIKRAux, AxellBARKEY, Friedhelm: Ganzheitliche Problem- orientierung in der sozialpädagogischen Ausbildung von Berufs- und Wirt- schaftspädagogen. Kassel 1995. 140 Seiten. DM 15,00. Bd. 20 ZIMMERHACKL, Silke: Persönlichkeitsentwicklung und Stigmatisierung und ihre Bedeutung fiir die berufliche Eingliederung Lernbehinderter. Herausgegeben von M. STACH und J. TÜMMERS. Kassel 1995. 156 Seiten. DM 7,50. Bd.21 SEYD, Wolfgang: "Pflege" an der GhK. Kassel 1995. 109 Seiten. DM 10,00. Bd. 22 SCHOENFELDT, Eberhard: Der Edle ist kein Instrument. Bildung und Ausbildung in Korea (Republik), Studien zu einem Land zwischen China und Japan. Kassel 1996. 383 Seiten. DM 20,00. Bestellungen/Anfragen an: Dr. Raimund Dröge, Universität Gesamthochschule Kassel Fachbereich 02, Heinrich-Plett-Str. 40, 34109 Kassel (Unverb. Preisempfehlungen, Preisänderungen vorbehalten. Porto- und Versandkosten werden gesondert berechnet) 383