GhK uleKassel •Universität Berufs- und Wlrtsell8ftSPäCla:laOCIik • Band 12 Gerhard Gerdsmeier (Hrsg.) Schulbuch Ohne Schule 2. Arbeitsteilung Vorreden zu einer Wirtschaftsdidaktik GhK GesamthochschuleKassel- Universität Berufs- und Wirtschaftspädagogik · Band 12 Gerhard Gerdsmeier (Hrsg.) Schulbuch Ohne S chu·le 2. Arbeitsteilung Vorreden zu einer Wirtschaftsdidaktik s. o. S. gefunkt von: Elisabeth Drieling (Entwicklung der Materialien) Gerhard Gerdsmeier (Konzept, Kommentierung, Vorreden) Mechthild Humpert (Entwicklung und Überarbeitung der Materialien) Claudia Niggemann (Entwicklung und Überarbeitung der Materialien) Magdalene Sickmann (Überarbeitung der Materialien) Hildegard Verlage (Entwicklung der Materialien) Dieter Wedekind (Fotos, Illustrationen, Layout) An der Morsetaste: lIona Freimuth Pflege und Erweiterung des Morsealphabets: Kurt Brinkmann Eine Vervielfältigung der Texte und Abbildungen in den Kapiteln 1 bis 7 im Teil 2 des Buches wird für den schulinternen Gebrauch in Klassenstärke genehmigt. Für weitergehende Vervielfältigungen sowie für alle anderen Texte und Bilder behalten sich die Verfasser alle Rechte vor. Die im Kapitel 2 des Teils 2 des Buches verwendeten Fotos zu den Bereichen "bäuerliche Hauswirtschaft~ und "Backen in der Fabrik~ reproduzieren wir mit freundlicher Genehmigung des Europäischen Brotmuseums (Mollenfelde - Friedland). Unser besonderer Dank gilt dem Verlag Ferdinand Schöningh, der die Entwicklung der meisten der in diesem Studientext enthaltenen Unterrichtsmaterialien nachhaltig unterstützt hat; ebenso wie wir hätte er eine andere Form der Veröffentlichung dieser Materialien bevorzugt. CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schulbuch ohne Schule. 2. Arbeitsteilung. Vorreden zu einer Wirtschaftsdidaktik/ Gerhard Gerdsmeier (Hrsg.) 2., unv. Aufl. 1999 - Kassel; Gesamthochschulbibliothek, 1990 (Berufs- und Wirtschaftspädagogik; Bd. 12) ISBN: 3-88122-615-X Druck und buchbinderische Verarbeitung: Zentral-Druckerei der GhK Bezugsbedingungen: Preis: Bestellungen an: 15,- DM (Unverb. Preisempfehlung; Preisänderungen vorbehalten) Porto und Versandkosten werden gesondert berechnet Prof. Dr. Gerhard Gerdsmeier Universität - Gesamthochschule Kassel Fachbereich 10 Heinrich-Plett-Straße 40 34109 Kassel Berufs- und Wirtschaftspädagogik • Band 12 Das vorliegende Exemplar enthält zwei Korrekturen: 1. Im Erstdruck wurde auf Seite 23 durch eine Abbildung Text überdeckt. Der fehlende Text wurde in einem Nachdruck ergänzt. 2. Die Schreibfehler im Vorblatt zum zweiten Teil (Seite [133]) wurden korrigiert. Dem vorliegenden Buch kann man vielleicht zweierlei Besonder- heiten nachsagen. Zum einen handelt es sich um den entschiede- nen Versuch, wirtschaftsdidaktik nicht in der üblichen Weise zu betreiben, die sich darin erschöpft, Behauptungen, Konstrukte, Vorgehensweisen der Allgemeinen Didaktik lediglich anhand öko- nomischer Exempel zu illustrieren; es wird daher viel Mühe dar- auf verwendet, die "Fach"didaktik über die Analyse der fachli- chen Besonderheiten der Disziplin (und - im vorliegenden Band noch weniger deutlich - über die Analyse der subjektiven Bedeu- tung der Gegenstände) voranzutreiben. Dem liegt u.a. die Annah- me zugrunde, daß die (Weiter)Entwicklung der wirtschaftsdidak- tik voraussetzt, sich von pädagogischen, didaktischen und me- thodischen Moden unabhängig zu machen und die inhaltliche seite kritisch zu entdecken. (Dabei wird bewußt die Frage übergangen, welche Inhalte für welche Schüler "wichtig" sind; analysiert werden vornehmlich Arten von Inhalten.) - Zum anderen ist das vorliegende Buch vermutlich das erste, das seine vorgeschlage- nen Unterrichtsmaterialien selber rezensiert (nämlich in den Vorbemerkungen zu den Kapiteln 1 bis 7 im Teil 2). Die vorliege.l1den Vorüberlegungen zu einer wirtschaftsdidaktik sind über einen zehnjährigen zeitraum entstanden und haben vie- le Ideen derer aufgenommen, mit denen ich über Unterrichtspla- nung und -reflexionen diskutiert habe. Hier sind an erster stelle die studenten der GhK zu nennen, die die Ausgangsüberle- gungen überwiegend nicht nur ertragen, sondern häufig wesent- lich vorangetrieben haben. Stellvertretend für alle danke ich hier den Teilnehmern am Seminar "Vom Einfachen zum Komplexen" im ws 89/90, deren Beiträge im Kapitel 26 deutlich ihren Nie- derschlag gefunden haben. Mein besonderer Dank gilt zudem eini- gen Kollegen, mit denen ich mehr oder weniger regelmäßig ge- meinsame Veranstaltungen geplant, durchgeführt und überdacht habe, was in aller Regel recht bald grundsätzliche Verständi- gungen über pädagogische, didaktische und ökonomische Fragen erforderlich gemacht hat. Dabei hat mir E. wicke zu einem bes- seren Verständnis der bildungstheoretischen Didaktik und d'er Geschichte der Pädagogik verholfen; viele gemeinsame, grenzgän- gerische Diskussionen haben mich außerdem in meinem Eindruck bestärkt, daß Pädagogik und Fachdidaktik in einem sehr viel verwobeneren Verhältnis zueinander stehen, als es das übliche Bild vom Unbestimmt-Allgemeinen und Bestimmt-Speziellen auszu- drücken vermöchte. In gleicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die Erweiterung von thematischen Spektren habe ich mir vie- le Gespräche und gemeinsame Vorhaben und mit dem Kollegen K. Fingerle zunutze machen können. weiterhin waren Veran- staltungen und Gespräche mit o. Kießler bedeutsam, bei dem ich eine anders geartete Sichtweise der ökonomik kennengelernt habe und mit dem ich mich in vielen Fragen über das Lernen und Han- deln im kaufmännischen Feld jenseits aktueller strömungen einig weiß. Schließlich möchte ich dem Kollegen Blum danken, der mich zu der Einsicht geführt hat, daß die mathematische ModelIierung innerhalb der Ökonomik eine noch viel größere und eigenständi- gere Rolle spielt, als ich bisher schon vermutet hatte. Das Ka- pitel 26.3 über die Kalküle müßte vor diesem Hintergrund noch sehr viel genauer "modelliert" werden. Kassel, im November 1990. Übersicht Teil I: Das Planen von und das Reden über Unterricht 9 1. 2 • 3 • 4 • 5. 6. 7 • 8 • 9 • 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 Das 9.6 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 26.1 26.2 26.3 26.4 26.5 26.6 27. 28. 29. Erste Rede an angehende Lehrer Erste Gegenrede Zweite Gegenrede Dritte Gegenrede Zwischenrede der ordnenden Hand zweite Rede an angehende Lehrer Kommentar des verstörten Einzelproblems Auslegung der zweiten Rede Die Männlein im Walde Die Männlein im Walde, sich befindend Die Männlein im Walde, tätig Die Männlein im Walde, im technischen Vollzuge Die Männlein im Walde, beim Dienst nach Vorschrift Die Männlein im Walde, still und stumm von der Zensur kassierte Kapitel 9.6 Die Männlein, frustrationsaggressiv Trickreiche Gegenrede der Lernzieltaxonomie Etwas gelangweilte Erwiderung Der mokante Gestus der Berufsschulen Die Perspektiven der Berufschule Die methodische Renovierung als großes, heilbringendes Rezept Zweite Zwischenrede der ordnenden Hand. Erster Versuch Einrede der Interessengemeinschaft der Schlüssel- qualifikationen Die Entschlüsselung der Phantome zweite Zwischenrede der ordnenden Hand. Zweiter Versuch Die handwerklichen Fehler Handwerkliche Zweifelsfälle Monita der bildungstheoretischen Didaktik Versuch einer Klarstellung Wo bleibt das positive? Die Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' und die Welt der Strukturkerne Das Grummeln der Altvorderen Die Betonung des Neufördernden Förderliche Vorbemerkungen Förderliches zum Strukturbereich der rechtlichen Normen Förderliches zum Strukturbereich der Kalküle Förderliches zum Strukturbereich der idealen Modelle Förderliches zum Strukturbereich der institutionali- sierten Beziehungen Förderliches zum Umgang mit stofflichen Routen Entdecken und Gestalten Das Thema möchte, daß man zu ihm kommt: Die Arbeits- teilung sucht ihren Kern Der Gegenstand in der ökonomik 11 13 13 13 14 15 17 17 18 18 19 20 21 22 23 24 25 25 29 30 33 34 35 36 44 45 54 56 57 60 61 64 66 66 68 75 80 88 92 94 96 97 30. Die Heuristiken machen sich einen Sinn: ein möglicher Strukturkern und eine mögliche Argumentationsroute 99 31. Gegenrede der Schulbücher: Das soll neu sein? 101 32. Die große Präsentation 102 33. Des Bramarbasierens Eingeweide 119 34. Fakten und Deutungen 122 35. Interpretationsrahmen für Unterrichtspläne 125 36. Interpretationsrahmen für Unterrichtsverläufe 129 37. Das Thema möchte behandelt werden 131 Teil II: Planungsergebnisse und Kommentare 133 Vorbemerkungen zum Teil 11 und zu Kapitel 1 135 Kapitel 1: Was wir selber machen und was andere für uns herstellen 141 Vorbemerkungen zum Kapitel 2 145 Kapitel 2: Vom geschichtlichen Wandel der Arbeitsteilung 151 Da$ Backen von Brotfladen in der Frühzeit 151 Brotbacken in der bäuerlichen Hauswirtschaft 154 Brotbacken im mittelalterlichen Handwerk 158 Brotbacken im heutigen Handwerk 161 Brotbacken in der Fabrik 164 Vorbemerkungen zum Kapitel 3 169 Kapitel 3: Von den Vorteilen und Gründen der Arbeitsteilung 173 Vorbemerkungen zum Kapitel 4 179 Kapitel 4: Von den Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 183 Vorbemerkungen zum Kapitel 5 194 Kapitel 5: Wie aus arbeitsteiligen Tätigkeiten ein sinnvolles Ganzes wird 196 Vorbemerkungen zum Kapitel 6 200 Kapitel 6: Wie man sich das Tauschen erleichtert 202 Vorbemerkungen zum Kapitel 7 207 Kapitel 7: Von den Nachteilen der Arbeitsteilung 208 Anmerkungen 211 11 Teil 111 Das Planen von und das Reden über Unterricht Gerdsmeier: SOS 2 1. Erste Rede an angehende lehrer 11 1. Erste Rede an angehende Lehrer Lege dieses Buch gleich beiseite, vertrödele Deine kostbare zeit nicht mit fachdidaktischen Erwägungen, wenn Du nicht zu den Raren zählst, die mit ganzer Kraft danach trachten, mehr zu sein als ein gewöhnlicher Lehrer, der sein Aus- und Einkommen hat und der seine Arbeit ohne nennenswerte Beanstandungen ver- richtet. Dem gemeinen Lehrer nutzt keine Fachdidaktik. Er wird es Dir freudig bestätigen - wenngleich mit falschen Argumenten, die in Unkenntnis oder dem Wunsch nach Rechtfertigung gründen. Nur zum schlechten Gewissen taugt die Fachdidaktik dem Unwilli- gen. Denn was der gemeine Lehrer benötigt, ist überall vorhanden und billig zu haben. Alles Szenische wird vorgelebt und bedarf nur der Nachahmung oder Adaption. Alle Inhalte sind zur auflisten- den Vorgabe verdichtet, und leicht fällt ihre auf das Szenische abgestimmte Reproduktion. Das fachliche Wissen muß gerade so- wei t vorangetrieben sein, das von den Vorgaben Gemeinte zu verstehen. Der gemeine Lehrer, so rührig er auch ist, übernimmt das Vorfindbare und Vorgelebte. Er benötigt keine Fachdidaktik. Darum prüfe, ob Du sie brauchst. Du wendest ein, Erfahrung sei von langsamer und launischer Gangart, und Du verlangst nach Zügigem, das Dich treffsicher voranbringt? Nun, als Techniken mißverstehst Du dann die Didak- tiken. Wünschen gibst Du Macht über Dein Denken, das ohne Er- füllung bleibt. Und irgendwann wendest Du Dich verächtlich ab. Und niemals blickst du zurück, denn Unbegriffenes ist ohne Reiz. Wo aber hast Du jenseits der Erfahrung je eine lehrbare Sozialtechnik angetroffen, die Bedeutendes segensreich be- herrschbar machte und dem Wendigen taugte wie dem Plumpen. Der uns im Sozialen umgebenden Vielfalt, die sich fortwährend um- wälzt und neu zusammenfügt, lassen sich keine so einfachen Zü- gel anlegen. Deine Sehnsucht nach der Sozialtechnik ist teilweise entschul- digt, denn sie wird eifrig gehätschelt von den meisten, die das wirtschaftsdidaktische Geschäft betreiben. Diese verstehen ihr Metier als ein System reflektierter Anleitungen für praktisches Handeln. Aber ach, es paßt fast nichts zusammen. Sind die Re- geln allgemein, sucht man die passende Handhabung. Sind die Vorschläge konkret, sucht man ihre allgemeine Rechtfertigung. Normatives verkleidet sich als Beschreibendes, Optimierendes als Praktikables, Interpretatives als Faktisches; keiner fragt, was Lehrer beim Verfertigen ihrer Pläne im Kopf herumwälzen und warum sie es gerade so herumwälzen. Aber jeder sagt, wie sie es besser machen können. Und dabei findest Du nur mit Mühe auch nur zwei Ratgeber, die annähernd dasselbe vorschlagen. Und fin- den sich Punkte größerer Übereinstimmung unter allen, dann sind es Gemeinplätze - trivial oder ungesichert. Nicht viel vermag die wirtschaftsdidaktik bis heute. Sie gleicht einem Voodoo- Zauber, an dem man sich nächtens in Gemeinschaft berauscht, der aber verfliegt, wenn die Geschäfte des neuen Tages Nüchternheit und Ernst fordern. Darum prüfe genau, ob Du Deine Zeit - mehr als Ordnungen es vorschreiben - auf didaktische Studien verwen- den willst. Gerdsmeier: SOS 2 1. Erste Rede an angehende Lehrer 12 Nutzlosigkeit für den gemeinen Lehrer und blindes Bauen im Ge- bäude machen die Wirtschaftsdidaktik dennoch nicht überflüssig. Allererst: Didaktik ist keine Technik, kein Lehrsystem, keine Theorie. Sie ist eine Haltung, wie Philosophie eine ist. Sie besteht auf der Klärung der Geschäftsgrundlagen, die vorfindba- rer Praxis zu unterlegen sind, hartnäckig und unbestechlich. Und nur soweit sie Diskrepantes entlarvt und unbeirrbar auf ei- ner Korrektur des Praktischen besteht, wirkt die Haltung mit- telbar auf die Praxis ein, indem sie sie kultiviert. Und sie läßt sich nicht entmutigen, wenn die KUltivierung nicht gleich gelingen will; zum weiteren geduldigen Experimentieren hält sie an und wohl auch dazu, die Güte der regulierenden Ideen zu prü- fen. Du gibst zu bedenken, Analyse und Konstruktion erforderten ein Wissen, das dem einer Sozialtechnik gleiche? Man benötigt zu- nächst einmal, was die wirtschaftsdidaktik bereitstellt: Wissen darüber, welche Praxis nicht gut ist. Der aufklärerischen Hal- tung ist ein kritisches Instrumentarium zugesellt, das für die Praxis das Verantwortbare vom Unverantwortlichen scheidet. Die Ausgestaltung des Verantwortbaren folgt begründeten Vermutungen und Würdigungen des situativ Gegebenen - und eben keinen Rezep- ten. Dabei gelingen die Würdigungen so klar, wie sich Fakten von Deutungen scheiden lassen. Wem aber nutzt die wirtschaftsdidaktik: Nur dem, der sie sich als Haltung und kritisches Instrumentarium leidenschaftlich wünscht. Es geht hier wie überall. Wem, wie der großen Zahl, die präformulierten Ausdrucksformen genügen, die einen Disco- tanz kennzeichnen, benötigt keine Schulung, -die seine Schritte verfeinert. Nur wer im Tanz den reinsten Ausdruck sucht, das ästhetisch Ansprechendste, das Überwältigende, wird sich der nicht-endenwollenden Fron aus Schulung, Übung, Reflexion, Über- prüfung, Wiederholung aussetzen. Gerdsmeier: SOS 2 2. Erste Gegenrede 2. Gegenreden 13 Das ist ja wohl ein starkes stück. Da ist in 25 Jahren unter größten wissenschaftlichen und demokratischen Anstrengungen das Volk der Pädagogen aus der Knechtschaft der volkstümlichen Bil- dung, Beistell-Lehre, Rohrstockpädagogik, Klassenschule und Paukunterrichte geführt worden, da wurde unter hohen gesell- schaftlichen Opfern ein Ausbildungssystem etabliert, das Leh- rern die Kompetenz verschafft, die ihnen Anempfohlenen nach Kräften zu fördern und die Gesellschaft zu stärken, da wird zäh gegen den Abbau von lehrerausbildenden Stellen an den Hochschu- len gerungen, da kämpfen die Fachdidaktiker in den Fachberei- chen und Ministerien um die verdiente Anerkennung ihrer wissen- schaftlichen Gleichwertigkeit, da bemüht man sich, gegen größ- ten widerstand fachdidaktische Studienanteile verbindlich in allen Studien- und Prüfungsordnungen der Lehrerbildung festzu- schreiben und qualifizierte HochschullehrersteIlen durchzuset- zen, da zeigen sich erste Erfolge - und da kommt so ein Schnö- sel und versucht sich zum Schaden des Ganzen in effekthascheri- schen Pamphleten. Wir brauchen keine Aufklärung I die schnur- stracks in die 50er Jahre zurückführt. 3. Zweite Gegenrede Vom Zeitgeist Beseeltes mußte früher oder später auch hier auftauchen - und damit zugleich eine von Zeitgeists Lieblings- ideen: Die Befreiung des Elitären von den Bleigewichten insti- tutionalisierter Gleichbehandlung mit dem Gemeinen. Der Beson- dere soll gefördert werden, der Gemeine mag sehen, wie er zu- recht kommt. Wer hat, soll bekommen, wo es mangelt, soll ge- knausert werden. Beim umtriebigen Völlefan, alles steht Kopf. Diese antidemokratische, unsoziale Gegenreform, die den Fort- schritt für das Gesamt behauptet, aber Förderliches nur bei den Auserwählten mit Maßnahmen bedenkt, soll sich dahin wenden, wo die Kopffüßler zuhause sind! 4. Dritte Gegenrede Dieses Machwerk verrät sich durch seine demagogische Hand- schrift. Es ist immer derselbe Dreh. Man richtet den Gegenstand begrifflich zu, besetzt die Begriffe mit geeigneten Attributen, fertig! Hier die Raren, dort die Gemeinen. Und die Gemeinen taugen nicht! So verrät sich der Versuch der Diffamierung des hart arbeitenden Lehrers. Und in dem Liebäugeln mit dem Raren verrät sich die didaktische Unfähigkeit, das für alle Nötige bereitzustellen. Und ist es nicht die Unfähigkeit, so ist es Bequemlichkeit: Wie anstrengend ist es doch, jedem das ihm Ge- mäße zu geben. Und ist es nicht Bequemlichkeit, so ist es Arro- ganz: Sind wir denn in der Klippschule? Gerdsme;er: SOS 2 5. Zwischenrede der ordnenden Hand 14 5. Zwischenrede der ordnenden Hand Das ist kein guter Anfang. Nichts als Händel und Irritation. Nichts kündet vom Thema. Nur Willkür zwingt dieses herbei: Ar- beitsteilig wurde zusammengetragen, was der wirtschaftsdidaktik bis heute als Rolle angedient wurde. Lassen wir die Auffassun- gen undiskutiert, denn jede Widerrede zeugt eine neue. Und der Verständige macht sich allein seinen Reim. Begnügen wir uns da- mit zusammenzustellen, was wir gehört haben - und ergänzen wir es noch um weniges. Von der Didaktik wird behauptet: Sie sei eine theoretisch fundierte, in einem Lehrsystem niedergelegte Anleitung praktischen Handelns (wissen- schaftsbestimmte Technik) Sie sei eine tradierte Rezeptologie der Praxis (naive Technik) Sie sei eine Anleitung zur Optimierung von Lehr- und Lernprozessen Sie sei ein Fundus, aus dem man bei der Rechtfertigung des professionellen HandeIns die sprachliche Kostümierung bestreite sie sei "zugeeignete" Kompetenz des einzelnen und nicht studierbar Sie sei das subjektive Gespür für den fruchtbaren Moment und die Fähigkeit, ihn zu nutzen Sie sei an Verantwortungsbewußtsein gebundenes kritisches Instrumentarium, das mittelbar der Kultivierung vorfindba- rer Praxis diene. Nur die Hauptströmungen ziehen hier an uns vorüber; beachtete man alle Mäander, Gabelungen, Nebenarme und Zuflüsse, ergäben sich schnell so viele Auffassungen, wie die Didaktik Didaktiker hat. Überlassen wir diese vielfalt sich selbst. Was haben wir sonst gehört? Zu ausgesuchten Punkten wünscht man sich größere Klarheit. Was vermag die wirtschaftsdidaktik ernstlich, was die kaufmännische Berufsschule? Was bezweckt die dunkle Scheidung von Fakten und Deutungen? Und dann würde man gern auch endlich etwas über das Thema erfahren. Vor aller Klärung aber ist ein optimistischer Grundton vonnö- ten! Mit Zweifeln und streit gewinnt man keine Freunde und Mit- streiter. Zuversicht verströmen, persönliches Engagegement rüh- men, moralische Gewichte ins Spiel bringen ... Also, noch einmal von vorn! Gerdsmeier: SOS 2 6. Zweite Rede an angehende Lehrer 15 6. Zweite Rede an angehende Lehrer Sei willkommen, der Du brennst, Dir wirtschaftsdidaktische Hilfsmittel dienstbar zu machen. Wichtige Voraussetzungen bringst Du mit. So weißt Du vom Wert der kognitiven Anker und Referenzsysteme: Schwer zu denken wäre das, für das wir beim Ausgang unseres Denkens keine Bezugspunkte fänden und dem je- weils vielleicht noch der passende Ausgehrock angezogen werden müßte; nur Undenkbare können alles Denkbare denken. - Du kennst den Wert vor allem von zwei Ankern. Der eine betrifft das aus der Lehrerrolle aufgebaute szenische Wissen über unterrichts- verläufe . Du weißt, daß Du ohne dieses vordidaktische Wissen nie handlungsfähig würdest, wie Du weißt, daß dieses Wissen in hohem Maße unzureichend durchdacht ist und der Kultivierung bedarf. Der andere betrifft die Routen durch den stoff (und seine Vereinfachungen): Du weißt um die Bedeutung, daß in dem schier endlosen Dschungel wissenschaftlichen Argumentierens Pfade gelegt werden, die Zentrales zu erschließen versprechen, wie Du weißt, daß diese Pfade häufig unbedacht sind und eben- falls der KUltivierung bedürfen. Ist das wirtschaftsdidaktische Instrumentarium so beschaffen, daß es zu den Kultivierungen beitragen kann? Es enthält ja, wenn es sich nicht in Vorurteilen verkapselt, keine allgemeinen Rezepte des Handelns: Seine empirische Schicht ist löcherig, seine Form verschwimmt stochastisch, im Ausdruck dominiert die Tendenzaussage, in den Voraussetzungen bleibt es nicht selten an Laborbedingungen oder Kleinstexperimente gebunden. Behandelt man nicht eine Fülle dieser bloß aUfgeplusterten Deutungen als die Fakten selbst, so ist das nicht der stoff, aus dem gesi- cherte und weitreichende didaktische Konzepte entstehen und zielsichere Kultivierungen d~enstbar gemacht werden könnten. Was also vermag die wirtschaftsdidaktik? KUltivierungshilfen bietet sie in dreierlei Hinsicht. Zunächst einmal: Wenn ihr Wissen heute auch nicht so solide und umfassend ist, daß sie didaktisches Handeln universell 'rezeptieren' könnte, so scheint es doch gut genug auszugrenzen, welche der vorfindbaren szenischen Liebhabereien und stofflichen Routen nicht oder nur bedingt tragfähig sind. Eine an diesen Ausgrenzungen orientier- te Kultivierung, über die die "Zusammenstellung handwerklicher Fehler" informiert, engt für Planungen und Handeln das verblei- bende "Entscheidungsfeld" entlastend ein und erhöht die Wahr- scheinlichkeit "akzeptabler" Resultate. Ausgrenzungen und Akzeptanz sind abhängig von normativen Set- zungen, die der Analyse beigesellt sind. Als Setzungen dominie- ren in den folgenden Betrachtungen der Primat des Verstehens und Gesichtspunkte der "Harmonie des Informationsflusses" (wo- mit nicht gesagt sein soll, daß diese Normen für eine Didaktik hinlänglich wären). Sie verweisen das meiste, das sich szenisch und stofflich in wirtschaftsberuflichen unterrichten tagtäglich ereignet, dieser ausgegrenzten disharmonischen Sphäre zu. Das ist in doppelter Hinsicht ernüchternd. Einmal für die, die die- sen Unterrichten ausgesetzt werden; zum anderen darf man ver- 'muten, daß für den Erwerb von Lehrerkompetenz, der in wichtigen Teilen ein Vorgang der Sozialisierung zu sein scheint, die kul- Gerdsmeier: SOS 2 6. Zweite Rede an angehende Lehrer 16 tivierende Aneignung "abweichenden Verhaltens" wenig attraktiv ist. Ein Anreiz für den "anderen Weg" könnte bestehen, wenn die ver- wendeten Normen subjektiv überzeugen. Das Werben für spezielle normative Setzungen 'lind Rollenverständnisse ist ein Zweites, das Wissenschaftsdidaktik heute zu leisten versucht und einen Großteil ihrer Veröffentlichungen ausmacht (wobei hier vieles zugerechnet ist, das die Grenze von den Fakten zu den Deutungen recht unbekümmert überschritten hat). Dabei gibt es Normen, die sehr wohletabliert sind - etwa die curricularen Gesichtspunkte, sich an den Wissenschaften, den Lebenssituationen oder der Sub- jektivität der Lernenden zu orientieren - und hier deshalb nicht b·esonders hervorgehoben werden . Zugespitzt: Da diesen Kriterien im Grunde gar nicht genügt wird, muß es daneben Ge- sichtspunkte geben, die übersehen und verletzt werden; einigen dieser Engpaßfaktoren wird hier Aufmerksamkeit zuteil. Die Akzeptanz der "abweichenden" Normen verfehlt die ange- strebte KUltivierung, wenn die angemessene Umsetzung der Normen mißlingt. Selbstbild und -wahrnehmung weichen dann nicht selten von Fremdbeobachtung·en abi und nicht weniger selten gilt dann, daß Lehrern entgeht, daß ihre Pläne und Handlungen dem ausge- grenzten, disharmonischen Sektor zugehören, während sie sich im "akzeptablen Handlungsfeld" wähnen. Der angemessenen, dabei praktikablen Umsetzung akzeptierter An- sprüche im. verbliebenen, wohlbedachten Entscheidungsfeld stellt die Wirtschaftsdidaktik drittens Heuristiken zur Verfügung - wenigstens einige, die bif:iher erarbeitet wurden. Es mangel t noch an vielem. Aber es findet sich auch festerer Boden. So wurde damit begonnen, für das Segment der stofflichen Routen die Fruchtbarkeit des Konzepts der "Strukturkerne" typisierter Gegenstände zu entfalten, an denen sich überkommene, nun aber handhabbar gemachte Regeln bewähren sollen. Lehrformeln etwa wie der Forderung "vom Einfachen zum Komplizierten", "vom Allgemeinen zum Besonderen", "vom Speziellen zum Allgemeinen", "vom Bekannten zum Neuen" wird mit der Regel vom "Einfachen Allgemeinen" in ihrer Verschränkung mit dem jeweiligen struk- turkern eine heuristische Nützlichkeit zu unterlegen versucht. Das also sind heute die wesentlichen Hilfen der wirtschaftsdi- daktik, sofern Du KUltivierung Deines Lehrerhandeln WÜnschst: Du erfährst, was Du nicht tun solltest. Dir werden Ansprüche an Dein Handeln vorgeschlagen und begründet. Du erhältst analyti- sche und heuristische Hilfsmittel, die Dich zu gangbaren stoff- lichen Pfaden führen. Wer allerdings seinen Gegenstand nicht kennt, dem helfen auch keine Hilfsmittel. Gerdsmeier: SOS 2 7. Kommentar des verstörten Einzelproblems 17 7. Kommentar des verstörten Einzelproblems Ich bin das fachdidaktische Spezialproblem. Vordergründig bin ich zwar nur klein wie ein Zahnnerv, aber ich kann mir wie die- ser alle Lebensgeister unterwerfen. Mich WÜnscht der Lehrer ans Ende der Welt. Für meine Vernichtung sucht er nach Lösungen und bittet er um professionelle Hilfe. Ich habe unzählige Gewänder und trage sie zum Teil gleichzeitig. In all meinen Erschei- nungsformen zernage ich des Lehrers Lebensnerv. Es kann mir natürlich recht sein, wenn sich in Deiner Lei- stungsschau der wirtschaftsdidaktik kein Hinweis findet, der mein Ende verspricht. So rechne ich mich zu den Ewigen. Aber den Ewigen hUldigt man! Und es beleidigt mich, daß Du meine furchterregende Majestät nicht herausstellst, ja, mich mit kei- nem Wort erwähnst. Meine Rache wird sein, Deine Didaktik der Lächerlichkeit preiszugeben. 8. Auslegung der zweiten Rede Armseliges Spezialproblem, nichts hast Du begriffen, niemand versprach Dir Dauer. Zum einen drängst Du Dich ungebührlich in den Vordergrund: Du führst Dich auf wie jemand, der verlangt, daß über zu kleine Kohlenkeller diskutiert wird, wenn Architek- ten Umbaupläne des Hauses vorlegen, in denen Kohleheizungen gar nicht mehr vorgesehen sind. Wenn Deine "unzähligen Gewänder" von dieser Art sind, taugen sie nur zur schrecksüchtigen Maske- rade. Zum anderen denkst auch Du Dir Deinen Feind als todbringendes Rezept. Solche Rezepte gibt es - wissenschaftlich begründet - kaum. Aber dafür begegnen wir Dir anders: Falls Du wirklich einmal auftrittst - und erst dann - beratschlagen wir über Dich im Rahmen der hier vorgeschlagenen Planungs- und Gestaltungs- prinzipien unter Berücksichtigung der jeweiligen situativen Be- dingungen und - sofern man Glück hat - ergänzender Spezialun- tersuchungen. Als Teil eines Allgemeineren behandeln wir Dich und nicht als Singularität. Durch nichts verdienst Du hier also Aufmerksamkeit. Und schließlich: Du machst Dich stillschweigend gemein mit den pädagogischen Spezialproblemen, um an Fülle zu gewinnen, und verleugnest Deinen fachdidaktischen stammsitz. Für erstere be- ansprucht die Fachdidaktik keine genuinen Antworten. Und ein fachdidaktisches Problem will erst beschrieben sein. Verscheucht mir deshalb diesen Dreisten aus dem Rampenl icht . Freuen wir uns auf eine Darbietung, die das Versprechen kulti- vierender didaktischer Hilfeleistungen mit Glanz erfüllen. Bühne frei für die kleinen Männlein ... Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 18 9. Die Männlein im Walde 9.1 Die Männlein im Waide, sich befindend wir über uns: "Die Männlein befinden sich im Walde." Hier könnte der Bericht schon enden - und nur zu häufig tut er es auch. Wegen der tradierten Relevanz der Thematik satteln wir drauf: "Zu unterscheiden sind die S-Männlein, die ein Arbeitsmittel haben, von den B-Männlein, die Verantwortung haben. Die S-Männ- lein haben purpurrote Mäntelein sowie schwarze Käppelein. Für die B-Männlein gilt dasselbe." Ergänzend oder anstelle des Textes bieten wir folgende Infor- mation: Männlein I S-Männlein hat - Arbeitsmittel - purpurrotes Mäntelein - schwarzes Käppelein - linkes Bein besonders gern I B-Männlein hat - Verantwortung - purpurrotes Mäntelein - schwarzes Käppelein - rechtes Bein besonders gern Sollen wir auch noch über die Socken, die Hemden und die durchschnittliche Größe der Nasenlöcher berichten? Andere über unseren Bericht: "Nein, vielen Dank! Wir erkennen auch so den stoff, der die er- ste Hälfte von Schulbüchern und unterrichten füllt. Wir erken- nen, daß wir nur hören, was wir gleich vergessen, daß es hier nichts zu verstehen gibt, daß Schubladen gebildet werden, wo es nichts zu verstauen gibt, daß Zufälligkeit und Addition obwal- ten, wo man sich Fragestellungen und Antworten erhofft, daß man an jeder Schublade das Spezielle lobt, ohne das allen Schubla- den Gemeinsame und Vorgängige zu beachten, daß alles ereignis- los erstarrt, in trostloseste Sprachhülsen gekleidet ... Nein, vielen Dank." Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 19 9.2 Die Männlein im Walde, tätig wir über uns, erneut, ereignisorientiert: "Die Männlein pflanzen gemeinsam einen Baum." Ist das besser? Andere zu unserem Bericht: "Ja - und nein. Ja, weil er von Regsamkeit kündet, wo Schulbü- cher und Unterrichte sich überwiegend hinter Hilfsverben ver- schanzen. Ja, wenn es nicht an Vorstellungen fehlt, worin der Vorgang besteht, wenn im Kontext des Berichts Details des Vor- gangs nicht benötigt werden ... Und doch wieder: Nein, weil die Information meistens genau deshalb angeboten wird, weil die "Wenns" nicht erfüllt sind. Beabsichtigt Ihr, informativ zu sein, hilft es sich vorzustel- len, daß LeserHörerDenkerRiecherSchmeckerFühlerInnen (Elhade- ärschäflnnen) um den Vorgang herum Informationserwartungen auf- bauen, die als Leerstellen beschrieben werden können, die ge- füllt sein wollen (oder gefüllt werden dürfen)': Welche Tätig- keiten konstituieren den Vorgang, wie sind sie auszuführen, wo und in welcher Abfolge, wie werden sie aufgeteilt, was wird be- zweckt ... Nicht der gesamte mögliche Hof aus Leerstellen wird stets vom Elhadeärschäfln aktiviert sein, wenn ihmIn ein Verb begegnet, aber mindestens eine wurde zuwenig gefüllt, wenn erln sagt, die Schilderung sei ihmln zu abstrakt. Und etwas Zweites fehlt dem Bericht: Neben der Information, die den Vorgang charakterisiert, vermißt man jene, die den Vorgang selbst in einen übergreifenden Kontext stellt: Wieviele Männ- lein gibt es überhaupt, wieviele sind beteiligt, wie oft machen die das .•. ? Insofern ist auch an diesem Bericht wenig zu verstehen." Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 20 9.3 Die Männlein im Walde, im technischen Vollzuge wir über uns, als Wiedervorlage: "Zwei Männlein pflanzen gemeinsam einen Baum. Zunächst wählen sie den Pflanzplatz aus. Dazu vermessen sie den Abstand zu den umstehenden Bäumen, prüfen den Boden, schätzen die Windeinwir- kung ab .•. , dann hebt das eine Männlein mit der Schaufel die Erde aus ... , dann schlagen sie einen Pfahl in das Pflanzloch, wobei ... , dann •.. , dann ... " Meint Ihr es so? Andere zu unserem Bericht: "Diese 'Und-Dann'-Variante einer auf den technischen Ablauf re- duzierten Darstellung füllt die zweite Hälfte von Schulbüchern und Unterrichten. Nur eine einzige - nämlich die modale - aus dem Ensemble der Leerstellen, die das den Ablauf zusammenfas- sende Verb als Empfänger für kausale, finale, temporale, lokale und sonstige Signale umgaben, wurde berücksichtigt, dafür aber detaillierter ausgemalt. Darin mag ein Gewinn stecken. Zugleich aber vermehrt jedes "Dann", jede Information die In- formationslücken: jedes 'Dann' kündet ein neues Verb an, mit eigenem Hof an Leerstellen, und wo vorher der eine Gesamtvor- gang nicpt zu verstehen war, fehlt es jetzt zudem am Verständ- nis der Teile. Und so schreitet der Prozeß der Atomisierung voran, bis die Partikel endlich auf den Boden vorgängiger Vor- stellung fallen. Wird dieser nicht erreicht, bleibt die Dar- stellung trotz (und wegen) ihrer vielen Details "abstrakt". Füllt sich dagegen die Schilderung des Ablaufs mit Vorstel- lungen, macht man das gar über Projekte oder Medien wahrschein- lich, garantiert das weder ein Verständnis des Teilvorgangs, noch gar jenen des Gesamtprozesses, weil auch 'sinnerschließen- de' Informationen bereitzustellen wäre: Selbst wer die Repara- tur eines Computers nicht nur beschrieben bekommt, sondern mit eigenen Augen verfolgt, wird den Vorgang dennoch kaum verste- hen. Ein Vorgang ist nie aus sich selbst heraus, aus seiner Wiedergabe zu verstehen, sondern von einem auBerhalb liegenden Bezugspunkt. Und der fehl t bei auf technische Beschreibungen Reduziertem - ob nun bei Gesetzgebungsverfahren, Anlage von Ak- tenordnern, Berechnungen von Lagerbeständen, Fertigungsverfah- ren , Bildschirmarbeiten oder bei der Buchführung. Und ganz schweigen wir von der weiterhin fehlenden kontextsichernden Em- pirie. Meistens wird die zweite Hälfte der Schulbücher noch mit der ersten verheiratet, die technische Beschreibung mit der Klassi- fikation. Der Pflanzvorgang zerfällt dann in 1. Standortsuche, 2. Loch ausheben, 3. Pfahl und Baum vorbereiten, 4. usw. Und jede Phase hat nun wieder ihre "Und-Danns", die dann manchmal schon so ätherisch sind, daß man sie nur noch als dünnen Spie- gelstrich wahrnehmen kann. Beiden Vorgehensweisen war bescheinigt worden, daß in ihnen Verstehensprozesse ausgesperrt werden. Kann durch ihre Kombina- tion, kann aus zwei Kritiken ein Löbliches folgen?" Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 21 9.4 Die Männlein im Walde, beim Dienst nach Vorschrift wir über uns, normgerecht: "Beim Pflanzen von Bäumen sollen jeweils zwei Männlein zusam- menarbeiten. Zunächst ist der Pflanzplatz unter Berücksichti- gung aller Gegebenheiten sorgfältig auszuwählen. Das auszuhe- bende Pflanzloch soll den Umfang des Wurzelballens in jeder Richtung deutlich überschreiten, mindestens aber ... " Nun sind wir das Problem mit der Institutionenkunde als Verfah- renskunde los, oder? Andere über unseren Bericht: "Institutionenkunden im Normengewand, besonders im Gewande der Rechtskunde machen die dritte Hälfte der Schulbücher und Unter- richte aus und sind nicht anders zu beurteilen als die institu- tionenkundlichen Verfahrenskunden: Wieder das Additive bis hin zum amorph Atomisierten, dem Verstehensmühen keinen sinn abge- winnen. Erst der Sinn aber WÜrde auch den Normen Gestalt und Glanz verleihen. Und um Euch einen weiteren Anlauf zu ersparen: Die Definitionen füllen die vierte Hälfte der Schulbücher und unterrichte. Das wäre nicht zu beanstanden, wenn sie nicht häufig .. als Tatsachen- behauptung ausgegeben WÜrden oder überflüssig wären, weil es an Aussagen fehlt, in denen sie benötigt oder verwendet WÜrden. Es ergeben vier Hälften nicht ein Ganzes, wenn kein Teil etwas taugt, sondern - wertlosen Überfluß! So steht die Sache." Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 22 9.5 Die Männlein im Walde, still und stumm wir an andere, wären wir nicht still und stumm: "Verstehen! Sinn! Was taugen Normen der Informationsorganisa- tion, die einem den Mund verschließen. Wir wissen nichts mehr zu sagen! Wie sollen wir, wenn nicht wie bisher, reden?" Andere an die Männlein: "Das ist genau die Fragestellung, der wir uns im folgenden wid- men werden. Halten wir uns für das weitere an die Richtschnur des "Verstehens" , an der sich Material- und Unterrichtsplanun- gen orientieren sollen. Gedenken wir auch der Setzung, Lernen erfolge freiwillig, weil keine pädagogische Macht der Welt eine spezielle subjektive Deutung erzwingen kann: Bei aller mathema- tischen übereinstimmung ist das Fallgesetz des einen nicht deckungsgleich mit dem des anderen. Aneignung und Anwendung steuern ein Eigenes bei. Nur scheinbar kommen alle Schüler zu gleichen Ergebnissen. Versichern wir uns dieser Freiwilligkeit durch eine harmonische Gestaltung des Informationsflusses. Be- denken wir, daß Freiwilligkeit sich mit einem Abrichten auf präformulierte Wahrheiten zwar kaum verträgt, daß aber selbst in der äußerlich passivsten und angeleitetsten Form der Aneig- nung noch ein hohes Maß geistiger Selbsttätigkeit wirksam wird, wenn das Verstehen neuartiger Information gelingt. (Und man raubt gerne Inhalten ihre Neuartigkeit, um Selbsttätigkeit zu verhindern, die es vorgeblich nicht gibt, aber vom Lehrer ein- gehende planerische und gestalterische Überlegungen erfordern würden. ) Verstehen und die Umsicht beim Gestalten des Informationsflus- ses sind nicht die einzigen wirtschaftsdidaktisch bedeutsamen Kriterien - aber die in der Praxis der beruflichen Schulen am mißachtetsten. Was bedeutet Wissenschaftsorientierung ohne Ver- stehen, was Persönlichkeitsbezug, Situationsbezug und all das andere. Prüfen wir daher die Folgen dieser Setzung! Die wichtige Norm, ein Thema müsse motivieren, damit freiwillig (und dabei für dieses und nicht für den Lehrer) gelernt werde, sei vergessen worden? Nein, wir entzerren nur, was in den mei- sten Köpfen untrennbar verwoben, wenn nicht gar vom Mo- tivationskalkül dominiert wird: das Entdecken der tragfähigen Fragestellung und Argumentationsroute einerseits, die neugier- weckende Reorganisation und Gestaltung dieser Route anderer- seits. Weder garantiert hohe Motiviertheit die besondere Tiefe eines intendierten Verstehensprozesses, noch erzwingt ein in- tendierter Verstehensprozeß die besondere Tiefe der Interes- siertheit. Beides sehen wir gerne als eins, aber es sind zwei getrennte Erscheinungen, und getrennt müssen sie eingeladen werden. Da sich der Praktiker vor allem um jene Motivierungen kümmert, mit der sich das von den Männlein Vorgetragene 'ver- kaufen' läßt, da dem Verstehensaspekt allseits eine geringe Be- achtung geschenkt wird, erlauben wir uns, ihm zum Ausgleich al- les Folgende zu widmen. 11 Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 23 Männlein, wehrt Euch gegen dieses unerträglich pädagogische Ge- sülze. Laßt Euch nicht mit 'wir' ansprechen! Vielleicht glaubt der ja an all die feinsinnigen Bedeutungen, mit denen er Schule umflort, Ihr aber solltet Realisten bleiben und Euch nicht ein X für ein U vormachen lassen. Nicht die Ungeschicklichkeiten des einzelnen Lehrers machen Gegenstände zu Klassifikationen, Institutionenkunden und ähnlich "Denaturiertem", sondern das , Denaturierte I ist der gewollte Gegenstand ! Gewollt von den Lehrplankommissionen , Ministerien, Schulbuchautoren , Lehrern, Prüfungskommissionen - und schließlich von den Schülern selbst. Ja, auch den Schülern, die nicht endlos Objekt von Motivie- rungsbestrebungen, von Belästigung mit " interessanten Proble- men" sein möchten, die ihr zertifikat haben wollen und sonst nichts. Die Zertifikate, die das Verfügen über das Gewollte be- sCheinigen, sind überall willkommen und hilfreich; sie werden nicht mit dem Mißtrauen gelesen, irgend etwas sei zu wenig ver- standen. Es spielt hier keine Rolle, daß vielleicht das einzelne Kommis- sionsmitglied, der einzelne Lehrer, Schüler, Autor etwas ganz anderes gewollt hat. Das vielfältige Wollen mündet eben unter den Zwängen, unter denen es sich zu verständigen hat und prak- tisch wird, im Sinnlos-Unverständlichen. Basta! Nur eine ideo- logische Didaktik wird hier nach verstecktem Sinn suchen und vom Wert des Verstehens trunken lallen. Was die Praxis braucht, sind nicht Ideen für verstehendes Lernen, sondern Hilfestellun- gen, Unverständliches für Prüfungen verfügbar zu machen. Die Erarbeitung dieses Arsenals an Hilfen, objektiv Unverständli- ches in subjektiv Zertifikatsfähiges zu wandeln - das ist die Aufgabe der Didaktik! Männlein, wehrt Euch also gegen diesen Anbeter des Verstehens! Gerdsmeier: SOS 2 9. Die Männlein im Walde 24 9.6 Die Männlein, frustrationsaggressiv wir: "Verstehen, was heißt schon verstehen?" Andere: "Das lest nach, in sos 1." ~~ - - _:-.'. -_ ~:::_.---_ .._ _. - ..__ . ~---- --~- -.' .~~~: ---- GhKGesamthochschuleKassel · Universität - - .::::.::..:...:..:.:-:-./\, - .... ·lf!j . . .... .~ ,. Berufs- und Wirtschaftspädagogik . Band 7 E. '1r. Sode 5 chulbuch Ohne 5 chule 1. Bedürfnisse Die unterdrückte Lust an der didaktischen Reflexion .1 ,'! Gerdsmeier: SOS 2 10. Trickreiche Gegenrede der Lernzieltaxonomien 25 10. Trickreiche Gegenrede der Lernzieltaxonomie Beachte mir nicht diesen Vorschlag, denn es ist der eines mas- kierten Ignoranten. Würde er sich bemühen, mich auch nur etwas zu "verstehen", WÜrde er wissen, daß die Dimension "Verstehen" kognitiv keineswegs besonders hoch anges·iedelt ist. 2 Sie über- steigt gerade noch das Niedrigste: das bloße Wissen. Und ein Winzling ist sie der Fähigkeit zu urteilen. Sie, die Urteils- fähigkeit, setzt das pädagogische Maß - und es ist unerheblich, daß sie hier als Entscheidungsfähigkeit, dort als Fähigkeit zur Selbstbestimmung, an drittem Ort als Kritikfähigkeit, am vier- ten als Sachkompetenz, am fünften als Basisqualifikation, am sechsten als Problemlösefähigkeit, am siebten als Sonstwaskom- petenz firmiert, und daß sie mal mehr in der Figuration der persönlichen Weltdeutung oder Basisfürsorge, mal mehr in jener der gesellschaftlichen Mitgestaltung und Kontrolle siedelt. Das kompetente Beurteilen sei Anfang und Ende pädagogischer Placke- rei. Und wozu die Schmähreden gegen das Klassifizieren. Setzt dieses nicht die Analyse von Elementen, von Beziehungen und organisie- renden Prinzipien voraus oder das Zusammenführen von Elementen auf höherer Ebene? Ich stehe dafür, daß auch das Analysieren und Synthetisieren ein bloßes Verstehen im Niveau übersteigen! Oder das modisch gewordene Postulat des Vernetzens , das hier den hierarchisierenden Konzepten des über- und Unterordnens entgegengesetzt wird, bezieht es sich denn wirklich nur auf Wissensstrukturen, die um Verben (Kasus-)Beziehungen gruppieren (was ja auch nur eine statische Betrachtungsweise ist) oder Verfahren der Netzwerkveränderung bereitstellen? Demonstrieren die Rumelharts und Normans die Tauglichkeit ihrer vernetzenden Computerprogramme nicht an der Aussage, daß ein "Hund ein Tier ist"? Ist das keine klassifizierende Beziehung?3 Unredlich ist es, mit Modalitäten der Wissenspräsentation zu jonglieren, um dabei einfach zu Unrecht befehdete Teile der WissensstrUktur, ja, bewährte didaktische Auswahl- und Gestal- tungsgesichtspunkte unter den Tisch fallen zu lassen. 11. Etwas gelangweilte Erwiderung Um Dich muß einem nicht bange sein, denn Du hast fette Kund- schaft: Wie viele mußten nicht während ihrer Ausbildung eine Zwangsfreundschaft mit Dir schließen, wie viele lassen sich da- ran gewöhnen, daß Deine Begriffchen für sie denken. Aber was sind das für Begriffe? Ich will gar nicht erst auf Deine unedle Herkunft eingehen, die außerhalb kognitiver Theorien liegt, was Deine Anmaßung nicht hindert, kognitive Prozesse ardnen zu wol- len; es ist eine Herkunft aus Allerweltslogik, die sich eine klassifizierende st~ndegesellschafterfand, über die Du von ei- nem idealistischen Thron herab zu regieren versuchst. Du verfällst einer weltfremden Sichtweise, wenn Du Urteilsfä- higkeit an die Spitze der kognitiven Lernzielpyramide setzt. Als wenn diese Fähigkeit etwas wäre, das erst pädagogisch her- Geidsmeier: SOS 2 11. Etwas gelangweilte Gegenrede 26 gestellt werden müßte, als wenn ein zentrales pädagogisches Problem nicht gerade darin bestände, daß alle sich schon über- all für urteilsfähig halten - gerade auch dann, wenn sie von der Sache nichts 'verstehen'. Es ist eine Idealisierung, wenn Du die anzustrebende Urteilsfähigkeit wie selbstverständlich mit dem Attribut der Vernünftigkeit des Argumentierens aus- stattest, und es entspringt technokratischem Kalkül, wenn Dir die Vernünftigkeit dadurch garantiert scheint, daß die erfor- derlichen Voraussetzungen beim Durchsteigen der kognitiven Py- ramide zur Spitze Zug um Zug erworben werden: das notwendige Wissen, Verstehen, Analysieren des Sachverhalts usw. Würdest Du wirklich Wert darauf legen, daß jemand 'versteht I, und ver- stehst Du darunter mehr als den automatischen Abgleich äußerer Informationen mit den internen kognitiven Schemata eines Sub- jekts, würdest Du sehr schnell feststellen, daß umgekehrt das 'Verstehen' das 'urteilen' voraussetzt. Du würdest feststellen, wie schwer gerade der Verstehensbemühte sich tut zu urteilen, welche Skrupel ihn plagen, was es alles zu bedenken gibt, was ihm alles klärungsbedürftig erscheint ... Dieses Verstehen, dieses tastende Bewegen in Zusammenhängen, ist nicht einfach nur als ein Zwischenschritt auf dem Wege zur Urteilsfähigkeit anzusehen: Es verträgt sich im Kern gar nicht mit dem dezidierten Urteilen, sofern der Gegenstand nicht sehr einfach und widerspruchsfrei ist (und der Gegenstand der Sozi- alwissenschaften ist, wie man an der geringen Reichweite ihrer Theorien sieht, niemals einfach). In der Art und Weise, wie Du dieses Mißverhältnis auflöst I liegt das eigentliche Ärgernis Deiner Normen. Die Art und Wei- se,' oder sagen wir: die unterrichtliche Methode, mit der Du das Ziel dezidierten urteilens ansteuerst, verlangt, einen Gegen- stand so in ein artifiziell Einfaches zu überführen, daß einfa- che Urteile (in diese oder jene, meistens aber nur in die eine Richtung) möglich scheinen. Was dabei so gern mit dem Ausdruck der didaktischen Reduktion verschleiert wird, ist nichts ande- res als die KUltivierung von Vorurteilen, die Festschreibung ignoranter Haltungen und die Verwechslung von Gekünsteltem mit dem differenzierungsfähig Konstruierten. All das ist das genaue Gegenteil von Verstehen: sich öffnen, suchen, prüfen, bedenken, Disparates aushalten, herstellen von Zusammenhängen ... RedUktion, wenn man diesen Begriff überhaupt als didaktische Kategorie zulassen will, weil Lernen auf die Konstruktion und Differenzierung von Deutungen auf der Grundla- ge subjektiv verfügbarer Schemata abstellt, während "Reduktion" meistens das (vorgebliche) Vereinfachen präfabrizierter Wahr- heiten auf ein (vorgeblich) "verständliches" Niveau bezeichnen soll (Reduktion von Aussagensystemen), obwohl an diesem Torso kaum noch etwas zu verstehen ist, die Reduktion (bei Verste- hensprozessen) also, besteht darin, den Pro'zeß des weitersu- chens abbrechen zu lassen, wenn subjektiv kein Differenzie- rungsbedarf mehr besteht. Du meinst, diese zögerliche Haltung des weiter- und Rückfragens scheine vom kranken Geist Hamlets beseelt? Handlungsfähigkeit erfordere Entschiedenheit, das Leben Gradlinigkeit? - Du ver- Gerdsmeier: SOS 2 11. Etwas gelangweiLte Gegenrede 27 wechselst Aneignungs- und Anwendungszusammenhänge. Aber be- trachte es einmal ganz anders: Die Wissenschaften und damit auch die wissenschaftsbestimmten unterrichte setzen uns einer ganz speziell zugerichteten Begrifflichkeit aus; wenn denn die aristotelische Annahme gilt, daß, wer Begriffe und Gedanken be- stimmt, auch Macht über die Menschen hat, dann ist es doch nicht mehr als billig, daß sich Menschen diese Begriffe und Ge- danken sehr genau anschauen dürfen, bevor sie sie sich (viel- leicht) zu eigen machen. Du siehst, den Primat des Verstehens lasse ich mir so nicht abhandeln. Und auch nicht das Verdammen der an Klassifikationen ausgerichteten curricularen Auswahl- und Gestaltungsprinzipien. Deine Argumentation baut zwar auf Unbestrittenem, nämlich daß auch Klassifikationen ein Teil unserer Kognition sind oder wer- den können, aber daraus folgt eben nicht, daß ihnen curricular eine Schlüsselrolle zufallen müsse, was Du zur Legitimierung der Praxis verlangst. Wenn hier dem Verstehen eine so umfassende Bedeutung zugewiesen wird, weil es den vielen verschiedenen humanen Lebensäußerungen gleichermaßen die belebende Energie zu spenden scheint, wenn in ihm das die differenten Befähigungen Verbindende gesehen wird, dann müssen alle Versuche auf Mißtrauen stoßen, anstelle des Verbindenden irgendwelche Elemente aus dem breiten Spektrum des Differenten als didaktische Leitlinien zu verwenden: Die Teile fügen sich nur selten zum Ganzen. Die Lernzieltaxonomien sind dabei ja nur ein besonders bekannter Fall des Versuchs, über Vorwegannahmen Listen didaktischer Kriterien zu erstellen, die zudem noch häufig nach aUfsteigenden "Niveaus" sortiert und zu Matrizen kombiniert werden. Nehmen wir eine aus der unübersehbaren Vielfalt der Matrizen- didaktiken. Die aUfsteigende Reihe aus Orientierungsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Kritikfähigkeit wird beispielsweise vorgeschlagen und angewendet4 • Selbst wenn man einräumt, daß diese Kriterien zunächst als "begründet eingefÜhrte" Gesicl:ts- punkte für Suchbewegungen (mit einem Mindestmaß an Systematik) bei der Curriculumkonstruktion hinzunehmen sind, so provozieren sie doch Widerstand. Nicht nur, weil spätestens, wenn die Funde der Suchbewegungen in die Matrix eingetragen werden, die Frag- mentierung des Gegenstandes, seine Rasterung, zu beginnen pflegt, bei der die didaktischen Kriterien und - mehr noch - die gerasterten Inhalte sich von ihrem Entstehungszusammenhang emanzipieren und ihr Eigenleben beginnen. Mehr noch provoziert das Anmaßende der didaktischen Dimensionierung, die den SUbjek- tiven Bedürfnissen präskriptiv ist: In dem zu Eiswürfeln er- starrten materiellen Curriculum ist nicht mehr vorgesehen, was dem belebten Geiste geläufig ist, etwa, daß orientierende über- legungen oder Entscheidungen von kritischen Haltungen ständig begleitet sind und nicht Kritik erst als krönendes Additum ins Programm genommen wird. Dem mit geistigen Prozessen Befaßten muß diese Segmentierung in Matrizen vorkommen, als solle bewegtes Wasser in Stücke ge- schnitten werden. Und das Erstaunliche ist: es scheint zu ge- lingen. Wie bei den ins Meer vorgetriebenen Lahnungen, die die Gerdsme;er: SOS 2 11. Etwas gelangwe;lte Gegenrede 28 aufgeWÜhlte See beruhigen, sie in den abgesteckten Arealen fast festhalten und zur Sedimentierung der mitgebrachten schwebenden Stoffe zwingen! Allmählich erwächst daraus fester, fruchtbarer Boden, und neue Lahnungen werden noch weiter ins Meer getrie- ben. Sichtbarer Erfolg des Mühens. Nur: Liegt die Landgewinnung im Interesse des Meeres? Gerdsmeier: SOS 2 12. Der Gestus der BerufsschuLe 29 12. Der mokante Gestus der Berufsschulen Es ist selbstverständlich, daß die beruflichen Schulen großen Wert darauf legen, - und schon immer gelegt haben - daß die ih- nen anvertrauten Jugendlichen den dargebotenen stoff verstehen. Darum muß man gar kein großes Brimborium machen. Das breit und immer breiter getretene Brimborium mag dort bleiben, wo die pädagogischen Nichtschwimmer ihre nutzlosen Trockenübungen ma- chen. Wir können uns ein Brimborium auch gar nicht leisten. Schließ- lich tragen wir verantwortung. Wir haben Lehrpläne und sonstige Verordnungen. Daran müssen wir uns halten. Da steht nichts von müßiggängerischer Reflexion über Gott und die Welt. Denkbar ist viel, verlangt nur das eine. Und das steht im Lehrplan. Er ent- hält genaue Vorgaben und zwar sauber aufgelistet. Und die gilt es einzulösen, und zwar umstandslos. Wo käme man hin, wenn man alles auswalzen wollte, möglichst auch noch in diese oder jene Richtung. Wir halten uns nicht an didaktische Brimborien, sondern an kon- krete Maßstäbe. Und da haben wir den klaren Maßstab der Prüfun- gen. Die müssen von möglichst allen bestanden werden. So ein- fach ist das. Damit haben wir genug zu tun. Da ist nicht noch Raum für künstliches Problematisieren und selbstverliebtes Re- flektieren: A ist A und Bist B. Basta! Und wir halten uns an den Maßstab der Zeit. Wo sollen da die Reserven für umständliche gedankliche Umwege stecken? Bei der Stoffülle und den paar Stunden kann doch nur gelten: Die harten Fakten, ruck zuck, und weiter! Und wir halten uns an den Maßstab des Gleichschritts in Paral- lelklassen. Gibt es nicht tausend Gründe, in Fachkonferenzen einheitliche Vorgehensweisen festzulegen. Und nun stelle man sich vor, jeder Lehrer wolle sein persönliches Brimborium zele- brieren .•. Und man kann viel über die vorgeblichen Schülerinteressen schwadronieren und dafür die schönsten Curricula machen. Wer täglich in der Praxis steht, kennt seine Schüler, kann nicht auf Wünsche, sondern muß auf Realitäten bauen. Er kennt nicht diese ausschweifend reflektierenden Individuen mit der philoso- phischen Attitüde des Weiterfragens, ihm steht der kaufmännisch Versierte gegenüber: Was sind die Fakten, d·ie wir brauchen; her damit; keine weiteren Belästigungen, wenn Du nicht selber belä- stigt werden willst ..• Versuche nur, diesen nüchternen Minima- listen ein Brimborium anzudrehen! Und wage es nur, die kostbare, den Ausbildungsbetrieben abge- zwackte zeit für ein Brimborium zu verpulvern. Suche Dir mög- lichst gleich eine ReNo-Klasse aus, und dann veranstalte dort einen Diskurs über die Theorie und Praxis der Gebührenberech- nung , die Für I s u.nd Aber I s usw.! Du wirst Dich der gepfefferten Schriftsätze kaum erwehren können ... Aber, natürlich, wir sind Neuem gegenüber stets aUfgeschlossen. Man darf den Anschluß ja nicht verlieren. So werden wir nicht müde, immer wieder Wege zu suchen und zu finden, die neuesten Gerdsme;er: SOS 2 13. Die Perspektiven der BerufsschuLe 30 Geräte zu beschaffen. Manche von uns nehmen sogar die Last von Modellversuchen auf sich. Und wo wird nicht überall mit übungs- labors und übungsfirmen experimentiert! Wahrlich, da brauchen wir nicht auch noch das Brimborium. 13. Die Perspektiven der Berufsschule Diese Thesen sind in dem "von der Zensur kassierten Kapitel 9.6" bereits vertreten worden; hier folgt nur die ideologische Verbrämung. Spart man Dein letztes Argument über das Innovative für eine gesonderte Betrachtung auf, die sich gleich anschließen wird, sind es drei Dinge, die zu sagen sind. Zum ersten ist die Trübsal hervorzuheben, die die vorgestellte Situationswahrnehmung hervorruft. Diese ist und wird wahrhaftig dadurch, daß sie in den Köpfen ist. In den Köpfen derer, die das vorfindba~e System in bürokratischer, floskelhafter Manier zu legitimieren versuchen und Trübsal festschreiben. In den Köpfen derer, die Lehrer für das System abrichten und sich Re- alisten nennen, weil sie das Empfinden für das TrÜbselige in sich abgetötet haben. In den Köpfen vieler, die Unterricht exe- kutieren und so Trübsal verbreiten. In den Köpfen jener, die das Lehrerstudium aufnehmen und von der zu erwartenden Trübsal niedergedrückt werden. Das besonders TrÜbselige aber ist, daß sich jedes der vorge- stellten Argumente bereits fest als unumstößliche Wahrheit über die Berufsrealität in den Köpfen fast aller Berufsanfänger festgesetzt hat. Wie soll sich da pädagogische Kultur entwic- keln, Neues versucht, Höchstes angestrebt werden? Die Sensiblen entziehen sich dem Feld, die Entschiedenen ducken sich und weh- ren als unangepaßt erwartete Anregung ab, nur die begründet Selbstbewußten glauben an den eigenen Weg und suchen ihn. Man kann - und das ist ein zweites - die Funktionsfähigkeit ei- nes Systems natürlich an Kriterien messen, die ihm fremd wären, wenn man sie nicht längst assimiliert hätte. Tut man das, de- monstriert man Professionalität in sehr lokalem Licht, ohne Ausleuchtung der übergreifenden Sinnzusammenhänge, letztlich ohne Vergewisserung des tatsächlichen standortes: Handwerklich- keit unter dem.Diktat von Discount-Erfordernissen. Lohnen sich denn wirklich die Plackereien, Tricks, Domestizie- rungen, Duldungen und Frustrationen für das Pauken eines Über- maßes an Klassifikationen, die leer bleiben, weil es an zeit und witz fehlt, ihren Inhalt zu bereden? Eines Übermaßes an in- stitutionellen Normen, deren Sinn unverstanden bleibt und die schon morgen überholt sein können? Eines Übermaßes an bloß ab- wicklungstechnisch betrachteten Verfahren, deren Oberfläche morgen veraltet sein wird? Eines übermaßes an Definitionen, die nutzlos bleiben, weil sie vom Begriff getrennt und nicht zur Gewinnung trennscharfer Aussagen herangezogen werden? Ja, darf man darüber lamentieren, daß Schüler bestenfalls etwas wegen des Lehrers oder der Prüfungen, nicht aber wegen des Inhalts Gerdsmeier: SOS 2 13. Die Perspektiven der Berufsschule 31 lernen? Und darf der Lehrer darüber lamentieren, er, der pau- senlos Dinge lehrt, nicht weil er sie für wichtig hält, sondern weil sie im Lehrplan oder Lehrbuch stehen... Wer überbietet hier wen im Desinteresse? All das kann kein Modell für die Zukunft sein. Schon heute - und das ist der dritte Punkt - sind die Schulen in der Defensi- ve, ist das Unbehagen der Ausbildungsbetriebe so groß, daß sie - wo möglich - eine "theoretische Ausbildung" in eigener Regie betreiben - sei es als Doppelung des schulischen Unterrichts, sei es als versuchter Verdrängungswettbewerb bei obligaten oder fakultativen Lehrplanteilen. Es ist unerheblich, daß die be- trieblichen Konzepte bislang überwiegend eine gute Kopie des schlechten Originals sind - greifen sie doch auf die gleichen Curricula und teilweise auf dieselben Lehrkräfte, zumindest aber einschlägig sozialisierte Ausbilder zurück. Die Einsicht, daB die heutigen Beiträge der kaufmännischen Berufsschul'e in der Generallinie weder zur Berufsqualifikation beitragen, noch den Bildungsanspruch einlösen, wird auf Dauer nicht auf Schul- absolventen, Teile der Lehrerschaft und 'Abnehmer der Bildungs- gänge' beschränkt bleiben, sondern auch die Organisatoren des Desasters erfassen. Blicken wir zurück, um die Zukunft zu sehen. Als im letzten Jahrhundert die berufsbegleitenden Beschulungen das Niveau der Klippschule überstiegen, in der die meist kümmerlichen Fertig- keiten des Lesens, Schreibens oder Zeichnens gefestigt oder vertieft wurden, als die Betriebe in ihrer damals noch freiwil- ligen Selbstorganisation des Schulwesens es für erforderlich hielten, 12 bis 16 unterrichtsstunden als wöchentlichen Block für den unterricht zu reservierens , diktierte das nicht Men- schenliebe. Die ansteigende Zahl der Auszubildenden, die Zunah- me der erklärungsbedürftigen Gegenstände wie die wachsenden Er- klärungsumwege machten vielmehr die Beistellehre und das Lernen im Vollzuge des Tätigseins obsolet. Auch wenn schon damals die Lehrpläne sich sehr schnell mit dem Krimskrams der Institutio- nenkunde, Länderkunden, Warenkunden, Verfahrenskunde usw. an- füllten, so war die pädagogische Intention doch eine andere: eine theoretische Reflexion der beruflichen Praxis, eine theo- retische Durchdringung, bei der Theorie sich weder in Unan- schaulichkeit und Handlungsferne erschöpfte, noch begriffslos blieb, eine theoretische Reflexion, die das alltägliche Tun in die umfassenderen Zusammenhänge stellte. Diese Leitlinie überzeugt auch heute: Die eingehende Beschäfti- gung mit dem ausgesucht Wenigen zur Erschließung der zentralen Fragestellungen und Zusammenhänge anstelle des Durchhaspelns durch den Wust zeitgebundener Details und terminologischer Hül- sen, zu denen es an Anschauung und Vorstellung mangelt. Der Wille, sich mit dem großen, ganzen Bild zu befassen, erfordert allerdings eine Entschiedenheit, die man dort nicht erwarten kann, wo man sich zum Handlanger einer externen Prüfungsbüro- kratie anwerben läßt, einer Prüfungsbürokratie, die nichts als fortwährend die Tausende kleiner Mosaiksteinehen durch die Hän- de laufen läßt, von denen zwar jedes irgendwie mit dem Gesamt- bild zu tun hat, aber isoliert zu ihm nichts beiträgt. Und man lasse sich nicht durch die Versicherung täuschen, durch geeig- Gerdsmeier: SOS 2 13. Die Perspektiven der Berufsschule 32 nete Testkonstruktionen ließe sich auch das große Verständnis überprüfen6 i diese Tests lassen sich - wie Stichproben zeigen - für den nicht intellektuell redlich beantworten, der idealty- pische Aussagen nicht mit erfahrungswissenschaftlichen verwech- selt und sozialwissenschaftliche nicht mit mechanischen. Gäbe es diese Entschiedenheit für das Beschäftigen mit dem gan- zen Bild, schon heute wäre es möglich, die kleinen steinchen einfach beiseite zu kehren. Prüft man nämlich anhand der lizen- sierten Tests, was Berufstätige von dem Wust an Details nach Jahren noch wissen, stößt man auf eins von Dreierlei. Sie ken- nen die Antwort, weil sie Teil der alltäglichen Praxis ist. sie finden die Antwort über ihr Allgemeinwissen und den gesunden Menschenverstand, mit dem sie die anderen vorgeschlagenen Ant- worten verwerfen. Sie kennen und benötigen die Antwort nicht (so daß sie raten mÜßten).7 Nur dieses letzte Drittel erfordert überhaupt Lernaufwand, allerdings jenen von der verständnislo- sen Sorte des assoziativen Lernens. Dieses Lernen - es mag auf alle drei Teile ausgedehnt werden - könnte man anpacken wie je- nes, das bei der Vorbereitung auf die theoretischen Teile der Führerscheinprüfung bekannt ist. Und für dieses Pauken benö- tigte man nicht drei Jahre, sondern drei Monate. Welch verschwenderischer Reichtum an zeit eröffnet sich, welche Aus- sicht auf bedeutende Gespräche ... Oder betrachte es anders herum: Der Verständige findet ein De- tail, wenn er es benötigt. Wem ein Bild vertraut ist, puzzelt leichter, wenn er denn schon puzzeln muß. Wer die Zusammenhänge der Gegenstände begriffen hat, ordnet das Spezielle ohne An- strengung an die rechte Stelle. Es bedarf nicht der jahrelangen Plackereien, um Unwichtigem in den Köpfen eine nach Monaten be- messene Dauer zu verleihen. Es bedarf schon heute nur der Ent- schiedenheit, sich den als wichtig empfundenen Inhalten zuzu- wenden. Welche Inhalte das sind? Woran man das ausgewählte Wenige er- kennt, das Fragestellungen und Zusammenhänge aufschließt? Und wie es kommt, daß von den Perspektiven der Berufsschule die Rede gewesen sein soll, aber noch kein Wort über Zukunftsbe- rufe, Schlüsselqualifikationen, vernetzendes Denken u.ä. verlo- ren wurde? - Nun, dann muß zu den großen Worten in einem geson- derten Anlauf wohl doch noch eine Kleinigkeit gesagt werden. Gerdsmeier: SOS 2 14. Die methodische Renovierung 33 14. Die methodische Renovierung als großes, heilbringendes Rezept Man kann natürlich über die großen Worte reden, zum Beispiel, daß sie Programmtitel ohne Programm zu sein pflegen, nachge- schwatzte Ondits, schimmernde Wetterfahnen, für die der Kirch- turm noch nicht erbaut wurde. Man nehme etwa diese Schlüssel- qualifikationen und suche nach ihrem kognitiven Kern - am Ende bleiben nur Buchstaben und eine perennierende akademische Ono- mantie. Nichts an dieser 'Wahrsagerei aus Namen' ist begründbar wahr und faßlich. Aber alles ist Wohlklang. Und so hat man sich seit einem Vierteljahrhundert eine Fama nach der nächsten kom- poniert, hat hingehorcht, mitgesummt, über die Widerborstigkei- ten und Unklarheiten des Gegenstandes einfach hinweggeträllert. Bis die Weise ausgezehrt verstummte. Aber dann hatte man schon wieder mindestens eine neue. Und bei jeder Permutation wieder das Versprechen, die Lösung für alle didaktischen Probleme zu liefern, und als Zugabe die Petitesse, alles pädagogisch Wünschbare erreichbar machen zu können. Das können diese Monis- men nur deshalb glaubhaft behaupten, weil die Probleme einzel- ner fachlicher Gegenstände, Präkonzepte, affektiver Verarbei- tungen, Aneignungsweisen oder Anwendungen ignoriert und an un- bestimmt andere delegiert werden. Und deshalb leben die Pro- bleme einfach fort. Aber selbst wenn den großen didaktischen Programmatiken eine faßliche didaktische Substanz zu eigen wäre, gewährleistete das nicht eine kongeniale praktische Umsetzung. So, wie heute die wissenschaftliche Praxis allgemein nicht mehr ihre Dignität aus den Fragestellungen und Antworten, sondern aus der Übernahme der akzeptierten Methoden bezieht, findet sich auch in der Päd- agogik eine Hypostasierung des Methodischen. unterrichtliche Handhabbarkeit und nicht (unterstellter) didaktischer Sinn steuert unterrichtliche "Innovationen"; (selbst) sinnvolle di- daktische überlegungen werden so weit mechanisiert, standardi- siert, simplifiziert, rezeptiert - bis sich eine einfache, von speziell~n Themen unabhängige Dramaturgie abzeichnet. "Innova- tion" WÜrde aber auch gerade hier die Auseinandersetzung mit den didaktischen Strukturproblemen voraussetzen. Das zeigt sich bereits im Kleinen. Man berede mit Lehrern oder Lehrerstudenten einen unterrichtsentwurf oder einen Schulbuch- text und man komme überein, daß ihm erhebliche Mängel oder Ri- siken anhaften (beispielsweise ein Übermaß an klassifikatori- sehern Wissen). Nun frage man nach Alternativen; was dann folgt, zielt nicht auf überwindung des am Gegenstand analysierten Strukturproblems, sondern auf methodische Variation. wie wäre es mit einer Karikatur am Anfang? Mit einem Rollenspiel, einem Film anstelle der Fallschilderung, mit einem kürzlich erschie- nenen Zeitungsartikel ... ? Keiner dieser Vorschläge leitet sich nachvollziehbar aus den Analysedaten ab. Im Großen das gleiche Bild. Nicht die vorfindbaren didaktischen Strukturprobleme der beruflichen Schule werden untersucht. Für die einzelnen Probleme werden nicht gesonderte Antworten erar- beitet, sondern der methodische Alles!öser wird verstrichen - wenn die Energien sich nicht bereits im Akquirieren pekuniärer Ressourcen erschöpfen: Entscheidungstraining, Planspiele, Gerdsmeier: SOS 2 14. Die methodische Renovierung 34 übungskontore, Scheinfirmen u.ä.m. Nicht, daß einige dieser me- thodischen Einfälle nicht - unter ~peziellen Bedingungen - di- daktischen Sinn machen könnten, aber für derart komplexe Insze- nierungen gibt es - hinsichtlich der speziellen Bedingungen - so viel zu analysieren, so wenig kontrolliert zu überprüfen, so geringe Sensibilität für die Klärungsbedürftigkeiten, daß wir abbrechen und methodischen Voluntarismus diagnostizieren können - und abermals Onomantie, methodische diesmal. Man denke da nur an diesen didaktischen Dauerlutscher der Handlungsorientierung, an diesen von naiven Mythologen immer wieder gern entdeckten didaktischen Atlas, der stets und umfassend und ausschließlich das Lichtgewölbe des pädagogisch Guten auf seinen Schultern tragt. Ohne Zufriedenheit damit, daß er tatsächlich etwas tra- gen kann, ohne Interesse an der Klärung, was dieses Tragbare ist, ohne Blick für das, was liegen bleibt, ja, sogar achtlos zertreten wird, entflammt man sich. - Und verbrennt nicht weni- ger als die Wahrscheinlichkeit des Besseren. Aber darüber kein weiteres Wort. 8 Es gehört zu den großen Tragödien, daß im Sozialen eine schöp- ferische Antwort auf ein spezielles Problem verallgemeinert zu werden pflegt, das Substantielle in diesem Prozeß der Erweite- rung verloren geht und schließlich in Bewußtlosigkeit versinkt, so daß am Ende nur bornierte Methode obwaltet. Die Geschichte des unterrichts läßt sich als eine Geschichte des Wechsels der methodischen Inszenierungen beschreiben, die von der .scholasti- sehen Rhetorik bis zum problemlösenden oder offenen Unterricht reichen. Und selbst dort, wo eine Methode - etwa das rigide Konzept unterrichtlicher Stufung - substantiell kritisiert wird - wie durch die Pädagogik 'vom Kinde aus' - besteht bald wie- derum ein methodischer Monismus, der den Gegenständen äußerlich bleibt: der Gesichtspunkt der "Selbsttätigkeit" • Aber auch Klafkis bildungstheoretische Kritik an der Vordergründigkeit des Prinzips der Selbsttätigkeit, seine Forderung nach einer 'didaktischen Analyse' verkam bald zu einem von angehenden Leh- rern formelhaft angewendeten Planungs- und Rechtfertigungsver- fahren. Die Forderung nach wissenschaftsbestimmten unterrichten implizierte die wissenschaftsbestimmte Analyse und Erarbeitung von Unterrichtsmethoden, die schon im Ansatz ziemlich univer- sell gemeint waren und ... 15. Zweite Zwischenrede der ordnenden Hand. Erster Versuch Keinen Schritt weiter! Das Gestrüpp wird immer dickichter und dorniger, das Licht tausendfach gebrochen so diffus, daß man für jede Wahrnehmung sich tausendfach vergewissern müßte. Laß uns an den noch einigermaßen lichten Ort Deiner 'zweiten Rede an angehende Lehrer' zurückkehren ... Gerdsmeier: SOS 2 16. Einrede der Schlüsselqualifikationen 35 16. Einrede der Interessengemeinschaft der Schlüsselqualifikationen Einen Moment noch! Es wurde eben Mühe darauf verwendet, unsere Bedeutung bis zur Lächerlichkeit herabzusetzen. Dabei sehen die Besten unter den Forschern und die fortschrittliche Praxis in uns den Schlüssel zur Überwindung erzieherischer Stagnation und Widersprüchlichkeiten. Die ehrWÜrdige Idee der Bildung hat weder einer wissenschaft- lich hochgerüsteten Kritik noch dem Operationalisierungsverlan- gen einer auf Institutionalisierungen drängenden Praxis wider- standen. Der sie ablösenden, bis heute machtvollen Idee der Wissenschaftsorientierung von unterricht fehlt - für sich al- lein - pädagogisches Maß und Mitte. In ihrem gleißenden Licht gedeihen daher ungewollte Pflänzchen: Abbilddidaktiken, stoff- fülle, Detaillismus, Abspaltungen alltäglicher, pragmatischer, nicht-kognitiver Kontexte, Gleichgültigkeit gegenüber subjekti- ven Lernmodi und Vor-Urteilen, sofern sie von den wissenschaft- lichen Vorgaben abweichen, kurz: did~ktischer Oktroi. Der Vorschlag, Wissenschaftsorientierung mit dem Gesichtspunkt bedeutender Lebenssituation zu verbinden, auf die hin (mit wis- senschaftsbestimmten Informationen) solche Qualifikationen zu vermitteln sind, die diese situationen angemessen zu bewältigen erlauben, war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber er war zu kurz und geriet auf schwankenden Boden. Was ist eine (bedeutende) situation? Welche situationen bedürfen beson- derer Belehrungen? Welches sind die den situationen 'angemesse- nen Qualifikationen ? Wie geht man damit um, daß die Bedeutung einzelner Situationen, mehr noch aber ihre Inhalte und Anforde- rungen im Rahmen der technischen und sozialen Umwälzungen fort- währendem Wandel unterworfen sind? - So entrinnt man weder der Stoffülle noch dem Problem, daß heute mühsam Gelerntes morgen bereits veraltet ist. Erst wer den entschiedenen Schritt wagt, nach jenen Qualifika- tionen Ausschau zu halten, die unabhängig von den Besonderhei- ten der vielen situationen immer wieder wichtige Beiträge und Voraussetzungen für angemessene Situationsbewältigungen lie- fern, also in diesem Sinne grundlegend, situationsübergreifend, aufschließend sind, gewinnt einen überlegenen Standpunkt. Die Strukturen, die man von dieser höheren Warte aus erkennt, er- weisen sich als einfach, überschaubar , universell und dauer- haft. Man findet uns, die Schlüsselqualifikationen. Wir bilden den stabilen Kern einer zeitgemäßen Bildung, die das Vergängli- che und historisch gerade abgeforderte Spezialwissen rasch und reibungslos erschließt und während seiner kurzen Dauer mit- trägt. Und jeder blickt mit Respekt auf uns, etwa auf die Fä- higkeit zu logischem, analytischem, kritischem, strukturieren- dem, dispositivem, kooperativem, konstruktivem, konzeptionel- lem, dezisionistischem, kreativem, kontextuellem Denken, auf die Fähigkeit zu lernen, die Fähigkeit, Informationen allgemein einzuschätzen, spezielle Informationen zu finden, zu verstehen oder zu verarbeiten. 9 Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 36 Wer uns huldigt, betreibt Denkschulung, befähigt zu intelligen- ten Wirklichkeitsbewältigungen in einer komplexen, dynamischen, sich unklar entwickelnden Welt. Er verstopft die Köpfe nicht mit dem Wust von Einzelinformationen, die sich an anderer Stel- le viel besser speichern lassen. Er macht sich nicht zum Skla- ven der Entwicklungen in Wissenschaft, Technik oder Wirtschaft, ihn foltern keine stundentafeln. 17. Die Entschlüsselung der Phantome Wahres und Falsches vermengt das Konzept der Schlüsselqualifi- kationen . Nur zur Hälfte streift es zum eigenen Schaden die Ideenhülle des 'gewöhnlichen Qualifikationsansatzes' ab, der - wie wir bereits gehört haben - dem Abzählreim folgt: "Wandel im technischen, ökonomischen, ökologischen oder gesellschaftlichen System führt zu Veränderungen in den Funktionen einzelner In- stitutionen, das führt zu veränderten Qualifikationsanforderun- gen, das erfordert ein entsprechendes Lernen, und dazu benötigt man ein entsprechendes (wissenschaftsbestimmtes) Lehrangebot." Indem das Konzept der Schlüsselqualifikationen diese Vorstel- lung nur auf abstrakteres Niveau hebt, aber nicht hinter sich läßt, zieht es ebenfalls die Ablehnung auf sich, die gegen die- se Vorstellung aus funktionaler und personaler sicht vorge- bracht worden ist. Aus personaler Sicht sei beklagt, daß den kognitiven sowie emotionalen strukturen und Prozessen, mit de- nen alltägliche Situationen tatsächlich bewältigt werden, nicht die gebührende Beachtung zuteil wird: Sie beruhen wesentlich auf Erfahrungen und unwesentlich auf Folgen inhaltsunabhängigen Denktrainings ; sie fördern oder behindern - von Fall zu Fall wechselnd - intentionale Lernprozesse (These 1). Falsch ist zu- dem die Annahme, wissenschaftsbestimmtes Wissen und abstraktes Denken paßten überwiegend zu den 'handlungsrelevanten Struktu- ren' der Subjekte (These 2), eine (hier unerörtert bleibende) Annahme, die Diskussionen um handlungsorientiertes Lernen, um Theorie-Praxis-Bezüge oder um Kompetenzerwerb in Schieflagen zu bringen pflegt. 10 Abb. 1: Illustration und allgemeine Einordnung des 'gewöhnlichen Qualifikationsansatzes' Systemei- genschoften Funktionen +- Handeln/ Verholten4-- - .. t t. I_E_rl_ah_ru_n_ge_n_l. J (wiss. best.) Quolifi- ....-- Lehrangebot I kationen ; - - ~ko-g-nit-iv-e-----. - _, f I und emo- tionale Strukturen und Prozesse Gerdsmeier: SOS 2 17. Oie Entschlüsselung der Phantome 37 Als falsch erachten wir im Konzept der Schlüsselqualifikationen weitere Annahmen. Falsch erscheint die Annahme, es gebe ein eng begrenztes Bündel grundlegender Fähigkeiten mit jenem Transferpotential, das eine leichte Anpassung an verschiedene oder sich wandelnde Kontexte ermögliche (These 3). Für diese Einschätzung sprechen auch die Listen selbst, die diese Schlüsselqualifikationen für Curricula zusammenstellen: Wo 1974 noch 12 reichten, waren es 1986 schon 46 und 1988 bereits 78 "Erfindungen"". Am Ende wird man einen Menschen in tausend leuchtenden Farben gemalt, aber die Exi- stenz keiner einzigen Schlüsselqualifikation nachgewiesen ha- ben. Falsch erscheint die Annahme, Schlüsselqual.ifikationen könnten in fast allen Fällen weitgehend losgelöst von Kontexten, Auf- gabentypen oder Situationstypen bestehen und dennoch gehaltvoll ausgeformt sein (These 4). Bei allen graduellen Unterschieden ist zu bezweifeln, daß z.B. ein Mehr an Kreativität mit einem Weniger an Kontext einhergeht. Falsch scheint die Annahme, Schlüsselqualifikationen könnten auf breiter Basis von einer Generation zur nächsten (oder noch schneller) durch Schulung merklich angehoben werden (These 5). Falsch erscheint die Annahme, man könne gegenwärtig oder in absehbarer zeit auf breiter Front und leicht den einzelnen si- tuationen die Schlüsselqualifikation(en) zuordnen, die zu ihrer Bewältigung subjektiv verfügbar sein sollte(n). (These 6). Falsch erscheint die Annahme, man könnte gegenwärtig oder in absehbarer Zeit für jede Schlüsselqualifikation jenes Curricu- lum bestimmen, das sie nachweislich schult (These 7). HerbeigeWÜnscht erscheint die Annahme, zwischen den einzelnen Schlüsselqualifikationen bestünden neutrale Beziehungen, so daß alle gleichermaßen gefördert werden können, während das Wahr- scheinliche ist, daß häufig die Förderung des einen mit der He- rabsetzung des anderen erkauft wird (These 8). Treuherzig erscheint die Annahme, Schlüsselqualifikationen wür- den, einmal herausgebildet, im Regelfall tatsächlich transfe- rierend zu Hilfe genommen, wenn es gilt, sich auf neue situa- tionen einzustellen (s.o. These 2). Ungeprüft erscheint die Annahme, Schlüsselqualifikationen lie- ßen sich auf Vorrat und weitgehend auf Kosten (oder beiläufig beim Erwerb) eines inhaltsgebundenen Weltverständnisses schulen (These 9). Zynisch erscheint es schließlich, wenn zunächst verlautet, die Schlüsselqualifikationen umschlössen die moderne Bildung, und sich dann in die langen AUflistungen der Schlüsselqualifikati- onen der Unterpunkt I Persönl ichkeitsentfaltung I schmuggelt. 12 Nichts zeigt den Abstand zur Bildungsidee deutlicher als ein solches Spiegelstrich-Feigenblatt (These 10). Das Konzept der Schlüsselqualifikationen, das über die Konzen- tration auf einige inhaltsunabhängige Denkkonfigurationen (und weitere nicht-kognitive Fähigkeiten) auf die unerschöpfliche Vielfalt mutierender Alltäglichkeit vorbereiten will, erhält Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 38 aufgrund seiner konstruktiven Irrtümer einen Platz unter den drei dominierenden pädagogischen Fehlermodellen. Als zweites steht ihm das 'Konzept des leeren Blattes und des linearen wis- sensaufbaus' zur Seite, das für jedes Thema davon ausgeht, der Gegenstand sei völlig neuartig und müsse sequentiell gelernt werden, während faktisch schon fast immer sehr trutzige Vor- strukturen bestehen. Als drittes folgt das 'Modell der (über- spielbaren) Diskette', das zwar Vorstrukturen unterstellt, aber glaubt, diese leicht durch die besseren, nämlich wissenschafts- bestimmten Deutungen austauschen zu können. Wahr, besser: bewahrenswert am Konzept der Schlüsselqualifika- tionen bleibt das Bestreben, Stoffülle, Ballast aus Detailwis- sen, Abbilddidaktiken u.ä. zu überwinden, Lernen als einen Pro- zeß fortwährender Differenzierung (und nicht als Austausch) vorhandener Strukturen aufzufassen. Wir werden diese Gedanken im Prinzip des 'Einfachen Allgemeinen' und im Konzept der Struk- turkerne wieder aufgreifen (Kap. 24) und auf unsere Weise fort- führen. Abb. 2: Beispiel einer Zusammenstellung von Schlüsselquali- fikationen13 SCHLÜSSELOUALIFIKATIONEN Dimension Zjelbereich I Organisation und Ausführung der Übungsaufgabe Arbeitsplanung Arbeitsausführung, Ergebniskontrolle II Kommunikation und Kooperation Verhai ten in der Gruppe, Kontakt zu anderen, Teamarbeit 111 Anwenden von Lern- techniken und geisti- gen Arbeitstechniken Lernverhalten, Aus- wenen und Weiter- geben von Informa- tionen IV Selbständigkeit und Verantwortung Eigen- und Mitver- antwortung bei der Arbeit V Belastbarkeit Psychische und I physische Beanspru· I1 chung Abstrahieren Entscheidungsfähig- keit Vorausschauendes Denken Selbstkritikfähigkeit Transferfähigkeit Erkennen eigener Grenzen und Denken in Systemen, Defizite z. B. in Funktions- I blöcken Umsetzen von theore- tischen Grundlagen in praktisches Handeln Problemlösendes Denken Kreativität I Stand: 7/86 I Konzentrations- I fähigkeit I Ausdauer bei Lang- zeitaufgaben, wieder- I kehrenden Aufgaben, I bei Unterforderung 'I und Schwierigkeiten I I i iVigilanz, d. h. Auf-merksamkeit bei ab- wechslungsarmen Beobachtungstätig- I Ikeiten IFrustrationstoleranz I' Umstellungsfähigkeit I I I I I t i I I I I I Mitdenken Zuverlässigkeit Disziplin Qual itätsbewußtsein Sicherheitsbewußt- sein Eigene Meinung vertreten Umsichtiges Handeln Initiative Formallogisches Denken Weiterbildungs- bereitschaft Einsatz von Lern- techniken Verstehen und Um- setzen von Zeichnun- gen und Schaltplänen Analogieschlüsse ziehen können Schriftliche und mündliche Aus- drucksfähigkeit Sachlichkeit in der Argumentation Offenheit Kooperationsfählg- keil Einfühlungsvermögen Integrations· fähigkeit Kundengerechtes Verhalten Soziale Verant- wortung Zielstrebigkeit Sorgfalt Genauigkeit Seibststeuerung Selbstbewertung Systematisches Vorgehen Rationelles Arbeiten Organisations- fähigkeit Flexibles Disponieren I Koordinations- fähigkeit Wesentl iche EinzeiquaIi· fikationen Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 39 Dafür, daß Schlüsselqualifikationen vermutlich pure Erfindungen sind, ist hier schon sehr viel über sie geredet worden, und es genügt. Wen es noch nicht ermüdet, mag sich auf einige weitere Details einlassen. sie erläutern vor allem die Thesen 3 bis 7 näher. Beschreibt man Denk- und Bewußtseinsformen anhand jener Merkma- le, mit denen die Schlüsselqualifikationen häufig gleichgesetzt werden, zeigen sich bemerkenswerte qualitative Zuwächse - wenn man über Epochen zurückblickt, beispielsweise ins hohe Mittel- alter vor etwa 800 Jahren. 14 Dem damaligen räumlichen Denken war eine von metrischen (oder verwandten) und geometrischen Sy- stemen geprägte abstrakte Vorstellung fremd: Raum und seine Durchmessung strukturierte sich nach Maßgabe körperlicher Bean- spruchung und entlang von Erlebnissen und symbolischen Wertig- keiten von Orten. Ebenso kujonierten das zeitliche Denken nicht chronometrische Zergliederungen, sondern es orientierte sich am Wiederkehrenden und an den natürlichen Ereignissen. Verbindet man mit geschichtlichem Denken die Betonung von Chronologie, Einmaligkeit, Pluralität, Entwicklung, so waren die früheren Denkformen a-historisch: die Aufmerksamkeit galt dem Wiederkeh- renden; andere als die eigenen tradierten Bewußtseinsformen wa- ren kaum vorstellbar; alte, insbesondere biblische Ereignisse wurden in gegenwärtigen Milieus angesiedelt und Vorkommnisse ästhetisierend über eine Spiegelachse bei Jesu Geburt auf bib- lisches Geschehen projiziert; schon sehr kurze Stammbäume führ- ten zu den "Anfängen der Welt", und das persönliche Alter war den Subjekten gleichgültig und unbekannt. Verbindet marl mit kritischem Denken eine streng urteilende, meist wissenschaftliche Verfahren verwendende Prüfung von Wahr- heit und Bedeutung, so waren die Menschen damals unkritisch, 15 weil sie Wahrheit durch die Berufung auf Autoritäten beglaubig- ten, und Fälscher, weil sie Texte nicht buchstabengenau, son- dern nach ihrem persönlichen Verständnis des 'vernünftigerweise wohl Gemeinten' übertrugen. Auch Mitglieder der geistigen Elite (in den Klöstern) konnten damals nicht entscheiden, ob man 200 ohne Rest durch 3 teilen kann, weil man nur über römische Zah- len verfügte, und eine Chronik, die 10000 Erschlagene erwähnt, beruhte nicht auf Zählungen, sondern auf dem Eindruck, daß es sehr viele waren. weiterhin waren die Affekte in einer für uns heute peinlichen Weise auf das gesellige Verhalten abgestimmt. Die niedrige Af- fektkontrolle16 ging einher mit einer Tendenz, innere Vorstel- lungen im äußeren Objektbereich zu 'materialisieren' wie äußere Erscheinungen als innere Macht zu erleben. Gemessen an diesen Sichtweisen, die dem Körperlichen, Wieder- kehrenden, Überkommenen, Narrativen, Beglaubigten, dem Denken in bedeutungsvollen Zusammenhängen unter einer ganzheitlichen (religiösen), ordnungs- und sinnstiftenden Zentralperspektive verhaftet waren und allenfalls ein geringeres Weltwissen, nicht aber eine geringere intellektuelle Kapazität belegen, zeigt sich über die Jahrhunderte ein bemerkenswerter Zuwachs bei den Fähigkeiten zur Analyse, Abstraktion, isolierenden Betrachtung, Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 40 kritischen Prüfung, Trennung von Subjekt und Objekt sowie zur Affektkontrolle. Es ist dies aber ein Prozeß, der sich langsam über gut 25 Gene- rationen verteilt. Ihm ist die anmaßende Ungeduld jener Reiß- brettmodernisierer fremd, die in 10 Jahren mehr erreichen wol- len, als zuvor in 1000 Jahren wuchs. Der allmähliche Prozeß folgte ohnehin keinem Plan: die Veränderungen der Bewußtseins- formen reagierten auf Änderungen in den gesellschaftlichen Be- dingungen wie diese durch jene stimuliert wurden. Er muß nicht gleichmäßig und gradlinig gewesen sein. Er wird sich nicht gleichförmig und gleichzeitig bei allen In- dividuen gezeigt haben,17 jeweils von Eliten einen Anstoß er- halten haben, der deshalb nicht verebbte, weil die neuartigen Denk- und Bewußtseinsformen bei der Bewältigung einer veränder- ten Wirklichkeit überlegen waren. Greift man diesen Gedanken auf, dann müßte heute das als Schlüsselqualifikation angesehen werden, was sich an Bewußtseinsformen bei der Wirklichkeitsbe- wältigung herauskristallisiert, das sind - folgt man den grif- figen Thesen in den Fachdiskussionen - die Vergnügungs-Sucht, die visuelle Empfänglichkeit, postmateriale und postmoderne Be- deutungszuweisungen , Narzißmus u.ä. Diese Eigenschaften werden üblicherweise abschätzig behandelt und sind fast eine Negation der konventionellen AUflistungen von Schlüsselqualifikationen. Das mündet in die Frage, was man über die heraufziehende 'mo- derne' Gesellschaft überhaupt gehaltvoll-deskriptiv sagen kann und was bloß Ausdruck normativer Setzungen ist, was zumindest bereichsweise verläßliche Trends zeigt und wo der Pädagoge bei widersprüchlichen Entwicklungen zu parteilich ist. - Es ist fast müßig noch darauf zu verweisen, daß die Reißbretterneuerer nicht nur die phylogenetische Perspektive schlecht aUfgearbei- tet haben, sondern auch die ontogenetischen Bedingungen mißach- ten: die Existenz von Entwicklungsstufen und -linien, die For- men der Verarbeitung von Erlebnissen, Konflikten u.ä., das Maß an Zeit, das zu abverlangten Anpassungen und zum Aufbau ver- ständiger BewuBtseinsformen benötigt wird, sollen die Subjekte nicht überfordert werden. Ganz anderer Art sind die überlegungen, die der Frage nachge- hen, ob Schlüsselqualifikationen in der postUlierten Form grundlegend, inhaltsunabhängig , situationsübergreifend und ganzheitlich, aber auch praktikabel sind, so daß sich ganz ver- schiedene spezielle situationen mit ihrer Hilfe bewältigen las- sen. Betrachten wir drei Beispiele. Schach-Beispiel: Beim Schachspielen, so meinen viele l übt oder exekutiert man die Fähigkeit zum logischen Denken, 18 manche19 verbinden es mit einem "Verstehen von Zusammenhängen" und dem "kontextuellen Denken". Tatsächlich basieren (auch leistungsfä- hige) Schachprogramme für Computer heute auf logischen Opera- tionen, die im Rahmen von Entscheidungsbäumen modelliert sind. Diese auf Schnelligkeit und Korrektheit der Prozesse setzende Einseitigkeit entspringt der Not, leistungsfähige strategische Regeln nicht verfügbar zu haben, weil gute Spieler gute Züge zwar erkennen, ihre Güte aber nicht allgemein begründen können. Gerdsme;er: SOS 2 17. Oie Entschlüsselung der Phantome 41 Aber selbst der derzeit schnellste Rechner mit 720000 Positi- onsbewertungen pro Sekunde hat ge~en den amtierenden Weltmei- ster in 52 bzw. 38 Zügen verloren2 - weil dieser eben (primär) nicht "logisch" an die Sache herangeht. Seine überlegenheit be- ruht auf 'Mustererkennung', die sich auf ca. 100000 Stellungen und die Kenntnis der mit ihnen jeweils verbundenen guten Züge stützt. Meister sind nicht die besten I Logiker I ~ aber auch nicht Leute mit einem generell besseren Gedächtnis. 1 Was zeigt das Beispiel? Es zeigt, daß Intuition oder Plausibi- litätsurteile nicht hinreichen, situationen die erforderlichen Qualifikationen zuzuordnen. (In dieser Ahnung mag die bereits angesprochene starke Vermehrung der aUfgelisteten Schlüsselqua- lifikationen begründet sein: Irgend etwas von dem vielen wird im Einzelfall schon zutreffen.) Es zeigt, daß es einiger Re- cherchen bedarf herauszufinden, welche Qualifikationen in spe- ziellen situationen tatsächlich benötigt werden. Diese Qualifi- kationen sind oft inhaltsgebunden und weitgehend auf den situa- tionstyp zugeschnitten; sie sind dann definitionsgemäß keine Schlüsselqualifikationen. Da benötigte Qualifikationen erst be- stimmt werden können, wenn ein Kontext vorgegeben ist, erweist sich die im Konzept der Schlüsselqualifikationen konstitutive Idee als kaum einlösbar, im Vorgriff auf Unbekanntes relevant zu qualifizieren. Beispiel der Denksportaufgaben: Für den in Denksportaufgaben Ungeübten erweist sich die AUfgabe als schwierig, 10 fiktive Bäume in 5 (geraden) Reihen zu je 4 Exemplaren zu pflanzen. 22 Die der AUfgabe zugehörige Qualifikation könnte man in Anleh- nung an Duncker23 als 'problemlösendes Denken' auffassen. Eine Schulbarkeit dieser Qualifikation ist nachweisbar - sofern der Problemtyp nicht ausgetauscht wird (weil innerhalb des Problem- typs das Arsenal der versteckten Kniffe endlich ist; er ist im Prinzip über das Arsenal definiert). Die dabei erworbene Quali- fikation hilft allerdings wenig, wenn zu klären ist, ob bei- spielsweise eine randvoll mit Wasser gefüllte Wanne leichter oder schwerer ist als dieselbe randvoll gefüllte Wanne, wenn in ihr ein eisernes Schiff schwimmt. 24 Der Einwand, die neue Aufgabe verlange die Kenntnis speziellen Weltwissens, Überzeugt nicht recht, weil jede Aufgabe irgendein Wissen voraussetzt; richtig ist nur, daß die üblichen Denk- sportaufgaben ein besonders verbreitetes Weltwissen einbezie- hen, was dem Trugschluß Vorschub leisten mag, es gehe hier um ein von allem Inhaltlichen gereinigtes Denken. Aber wer nicht weiß, was eine Eieruhr ist und wie sie funktioniert, wird die Aufgabe nicht lösen können, wie mit Hilfe einer 7 und einer 11 Minuten laufenden Uhr Eier genau 15 Minuten gekocht werden kön- nen. 25 (Wen dieses Argument nicht überzeugt, räumt ungewollt ebenfalls ein, daß das in Denksportaufgaben geschulte Denken wenig nützt, wenn die Lösung "ernsthafter" Aufgaben ansteht.) Wiederum erweisen sich die einschlägigen Qualifikationen als inhaltsgebunden und auf spezielle Kontexte ausgerichtet. Unge- klärt ist die Frage, inwieweit Teilprozesse und Teilstrukturen enthalten sind, die zumindest etwas universeller anwendbar sind Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 42 oder auch nur häufig anzuwenden versucht werden. Ergebnisse der Professionalisierungsforschung26 verweisen eher auf gegenläu- fige Entwicklungen: Der Anfänger lernt blutleere, starre Regeln enger Reichweite, die mit zunehmender Erfahrung mit (speziel- lem) Kontext aufgefüllt, in Beziehung gesetzt und flexibili- siert werden, was endlich in eine erfahrungsgesättigte Meister- schaft mündet, die Regeln überwindend ganzheitlich-intuitiv operiert. Und das heißt auch: Unter Boxern wie unter Lehrern gibt es Meister, aber sie verbinden nicht dieselben "Schlüssel- qualifikationen". Kreativitäts-Beispiel: Es liegen Versuche vor, bei hochkreati- ,ren Wissenschaftlern (Darwin, Newton, Einstein, Piaget u.ä.) anhand von Fallanalysen die kreativen Prozesse zu rekonstruie- ren. 27 Dabei erweisen sich die üblichen Modeliierungen, die Kreativität auf Assoziationen, plötzliche Umgestaltungen u.ä. reduzieren, als wenig tragfähig. Trotz der z. T. sehr unter- schiedlichen Eigenschaften der untersuchten Personen ergaben sich einige auffällige Gemeinsamk~iten im schöpferischen Pro- zeß: Er war sehr langwierig, meist durch visuelle Leitbilder gestützt, untermauert von sehr viel Wissen (1), er erforderte sehr intensives, dabei als befriedigend erlebtes Arbeiten, das überdauernd an sehr klaren Zielen ausgerichtet war, was einem Jonglieren mit verschiedenen Projekten und dem gescheiten Aus- klammern spezieller, aktuell noch nicht lösbarer Teilprobleme nicht im Wege stand; er war in breite Kommunikation eingebettet und erforderte die umsichtige Schaffung sozialer Arrangements, die den Zielen dienlich waren. Abgesehen davon, daß es zahlreiche verschiedene, eben nicht nur 'wissenschaftliche' Kreativitäten geben wird (und noch weniger die eine Kreativität aus den Konzepten der Schlüsselqualifika- tionen), zeigt sich, daß die eben beschriebene Kreativität ein ganzes Bündel verschiedener Fähigkeiten voraussetzt, die nun annahmegemäß ebenfalls geschult werden müßten. Denkt man diese Atomisierung zuende, werden die vermeintlich ganzheitlichen Schlüsselqualifikationen in eine unübersehbare Zahl elementarer (?) Teilchen zertrümmert, und gegenwärtig WÜrde niemand aus den Teilchenhaufen wieder lebensfähiges Ganzes erstehen lassen kön- nen. Dazu gibt es die spiegelbildliche Betrachtung. Wenn die Merkma- le schöpferischer Prozesse richtig beschrieben wurden, ist zu fragen, ob Schule heute mit ihren zerhackten Stundentafeln, vorgegebenen Inhalten, stoffhubereien, Unduldsamkeiten und Rechthabereien überhaupt in der Lage ist, Kreativität zu för- dern. - Das alles ficht nur den nicht an, für den sich Kreati- vitätstraining im l'art-pour-l'art eines brainstorming er- schöpft. Der Zweifel, daß Fähigkeiten losgelöst von bestimmten AUfgaben und realen Menschen in realen situationen gehaltvoll beschrie- ben werden können, hat sich längst auch bei denen eingenistet, die die 'grundlegendste' und 'ätherischste' aller Fähigkeiten un- tersuchen, die Intelligenz. "Es ist völlig sinnlos zu fragen, wie Intelligenz funktioniert, weil es dieses Ding im Kopf gar Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 43 nicht gibt, und es deshalb auch nicht funktionieren kann. 'In- telligenz' ist nichts weiter als ein beschreibender Begriff, eine Begriffsvorstellung, wie sie Menschen entwickeln, wenn sie etwas nur sehr oberflächlich verstanden haben. ,,28 Man verwende das Konstrukt, weil es mit einem allgemein akzeptierten Bedürf- nis der Gesellschaft korrespondiere, über Tests für "Auslese" und Positionszuweisungen zu verfügen, weil es erlaube, gesell- schaftliche Probleme auf biologische, dabei nicht selten rassi- stische Vorurteile zu reduzieren, schulisch organisierte Schwierigkeiten als Lernbehinderungen umzudeuten u.ä. mehr. Das Konstrukt stehe weniger den Menschen als den Bedürfnissen der experimentellen Psychologen nahe, denen aufgrund ihrer Vorein- genommenheit für Laborbedingungen nicht an der Analyse von rea- len Denkprozessen liege, weil die Analyse den Einfluß von Er- fahrungen und Lernen, Gefühlen, komplexen Motiven sowie viel- fältigen Wahrnehmungen nicht "kontrollieren" könne. Beschäftige man sich dagegen mit den faktischen Unterschieden zwischen Men- schen, könne man die speziellen situationen und zu bearbeiten- den Medien nicht außer acht lassen, und man stoße eher auf tau- sende oder zehntausende (freilich voneinander nicht ganz unab- hängiger) bereichsspezifischer Fähigkeiten - und eben nicht auf die eine zentrale Fähigkeit Intelligenz. 29 In dieser Perspekti- ve ist es dann auch zu kurz gegriffen, wenn man die eine zen- trale Fähigkeit durch ein Siebenergestirn ersetzt: sprachliche, musikalische, logisch-mathematische, räumliche, körperlich-kin- ästhetische, intrapersonale und interpersonale Intelligenz. 30 Die "Schlüsselqualifikaticnen" sind nicht weniger als die "In- telligenz" eine Behelfskonstruktion, die ein bloß oberflächli- ches Verständnis überbrückt. Sollte daher in einem Curriculum, das auf ihnen errichtet wurde, Bedeutendes gelernt werden, so nur deshalb, weil es noch irgend etwas anderes, (mindestens) ein unbekanntes stimulierendes Drittes enthält!31 Ein letzter, fast schon wehmütiger Blick richtet sich auf die den Schlüsselqualifikationen Übergestreiften Hosen einer 'zeitgemäßen Bildung'. Recht aufschlußreich ist in diesem Zu- sammenhang ein erst jetzt aufgefundenes Brieffragment von Schiller an Goethe aus dem Jahr 1796, in dem er Wilhelm Mei- sters Lehrjahre abschließend würdigt: Verehrter Goethe, darüber, daß Wilhelm in seiner (der Anleitung dann doch anheim- fallenden) Absicht, sich selbst auszubilden, die Bildsamkeit darstellt und ausdrückt, an der W. v. Humboldt die durchgängige Bestimmbarkeit und F. Schlegel die vielseitige Empfänglichkeit hervorheben, hatten wir uns bereits verständigt. Er tritt von einem leeren und unbestimmten Ideal in ein bestimmtes tätiges Leben, aber ohne die idealisierende Kraft dabei einzubüßen. Als passiver Held läßt er sich durch die bildende Kraft der Welt leiten; die bildende Kraft aber ist in verschiedene Kräfte zer- legt, die bedingen, daß Bildung hier nicht ein als Entwicklung, Reifung oder organisches Wachsen aufzufassender Prozeß der Ent- faltung, sondern ein Prozeß der Gestaltung anzusetzen ist. Und an wem sah man die vielfältigen Erscheinungen dieser Gestaltung Gerdsmeier: SOS 2 17. Die Entschlüsselung der Phantome 44 je so entzückend vorgestellt: diese Planungsfähigkeit, Aus- dauer, Umstellungsfähigkeit, Qualitätssicherung, Pünktlichkeit, Transferfähigkeit, Sauberkeit am Arbeitsplatz, dieses Erkennen des eigenen Lerntypes, dieses wirtschaftliche Denken, Optimie- ren von Arbeitsabläufen, Erkennen von Arbeitszielen, Auffinden von Informationsquellen, sachliche Argumentieren, arbeitsteili- ge Verhalten, kundengerechte Verhalten, Lernen von Fremdspra- chen, Zeitgefühl für die Arbeit, Analogieschlüsse ziehen kön- nen, DurchhaItevermögen ••. 32 18. Zweite Zwischenrede der ordnenden Hand. Zweiter Versuch Nochmals: Keinen Schritt weiter! Ein Vorausschreiten kann nicht nur aus Exkursen bestehen! Sammeln wir uns für das Folgende auf vertrautem Grund, besinnen wir uns auf den Anfang! Nachdem Du in Deiner ersten Rede die auffälligen Fehlerwartun- gen an eine Fachdidaktik zurückgewiesen hast, insbesondere die Erwartung, sie liefere Handlungsrezepte, hast Du in Deiner zweiten Rede betont, die wirtschaftsdidaktik könne zur Kulti- Jierung subjektiven Lehrerhandelns beitragen. In einem ersten :>unkt hast Du behauptet, Du könntest - wenn schon nicht das Iniversell Optimale, so doch - das verbreitet anzutreffende Ab- ~ulehnende benennen, sofern über pädagogische Normen ein Mini- \alkonsens bestünde. Insofern gibst Du vor, du könntest das ,ädagogische Feld sinnvoll begrenzen, auf dem der Lehrer dann ach eigenem Gusto tätig werden mag. Nun WÜßte man gern etwas ber diese "Flurbereinigung" ... Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 45 19. Die handwerklichen Fehler Ich nehme Deine vorstehende Rede als Einleitung. Und ich ergän- ze sie um eine Fragestellung, die uns künftig begleiten wird: Wo endet (und was vermag) in den Didaktiken wissenschaftliches Urteil und wo beginnt die persönliche Ästhetik oder Usance des Didaktikers? Diese Grenze ist vermutlich schwer zu ziehen, aber in den Didaktiken wird ganz das Gegenteilige versucht, nämlich die Grenze zu verwischen und möglichst alle Ideen ins Gewand gediegener Wissenschaftlichkeit zu stecken. Diese Gepflogenheit soll hier nicht fortgesetzt werden. Kein Unterrichtsvorschlag kann ganz auf Wissenschaft gründen, das war eingangs die Be- hauptung. Wissenschaftliche Beratung kann daher nur bis zu ei- nem noch unklaren Punkt gehen. Um uns an ihn heranzutasten, werden in einem ersten Schritt die Wege verschlossen, auf denen begründet kein akzeptabler Unterrichtsvorschlag zu gewinnen ist. Aber schon dieser Akt, der über die bloße empirische Be- schreibung (und Erklärung) hinausgeht, ist an Normen gebunden. Um im Bereich wissenschaftlichen Argumentierens bleiben zu kön- nen, wählen wir die Vorgehensweise in Analogie zur "Theorie der Wirtschaftspolitik", die begründete Normen und empirische Aus- sagen in der Weise aufeinander bezieht, daß sie sagt: Für den Fall, daß Du die Norm x akzeptierst, ist die Maßnahme y geeig- net/ungeeignet, das Ziel zu erreichen... Eingeführt waren die Norm vom Primat des "Verstehens" und der Gesichtspunkt der "harmonischen Gestaltung des Informations- flusses" . Hinzugefügt sei die Setzung, (verstehendes) Lernen als Vorgang der "Differenzierung" bereits aufgebauter kogniti- ver Strukturen anzusehen (eine Setzung, die bei einem überwie- gend "assoziativen Lernen" oder einem "Lernen am Modell" wohl nicht gleichermaßen benötigt wird). Dabei werden die kognitiven strukturen als das Ergebnis vorheriger Konstruktionen und Dif- ferenzierungen angesehen. Es ergibt doch keinen Sinn, sich im Zusammenhang mit Lernprozessen um "Reduktionen" vorgefertigter "Wahrheiten" zu bemühen. Die Organisation verständigen Lernens erfordert die KUltivierung des (beim Lernenden) Vorfindbaren und nicht die Niveaufahrstühle für extern (in Gelehrtenstuben) Gedachtes. Im Hinblick auf diese Setzungen zeigen sich dem, der fortwäh- rend Unterrichte besucht, analysiert, diskutiert, anregt •.. , daß es indiskutable Vorgehensweisen gibt, die als handwerkliche Fehler bezeichnet werden und mit den vorgeschlagenen Normen un- verträglich sind, und Vorgehensweisen, die mit den Setzungen nicht zwingend, erfahrungsgemäß aber häufig konfligieren und als Dubia bezeichnet werden. Zunächst zu den .•. Nein, öffne Deinen Mund nicht! Ich weiß, daß Du Anstoß nehmen willst. Wurden AUflistungen und Klassifikationen nicht schon mehrfach gebranntmarkt, und tritt die Analyse von Fehlern nun nicht selbst in der geächteten Form auf? Es scheint so. Aber Du übersiehst, daß die folgenden Einschätzungen hier nicht einfach aus dem Hut gezaubert werden, daß sie in den vorangegangenen Kapiteln mehr oder weniger ausdrücklich bereits entwickelt wur- den, daß diese Kapitel keiner auflistenden struktur folgen und daß jetzt nur die systematische Zusammenstellung der bereits Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerkLichen Fehler 46 erarbeiteten Einschätzungen folgt. Nichts spricht gegen Aufli- stungen - wenn sie die Ernte bergen, alles gegen sie, wenn ge- sät wird. Zunächst also die Zusammenstellung der handwerklichen Fehler: Fehler 1 Der Verzicht auf eine übergreifende und dem Lernenden nachvoll- ziehbare Fragestellung An Fragen ist in unterrichten kein Mangel, wohl aber an der je- weils einen Fragestellung, die eine stunde und mehr überdauert, auf deren Lösung hingearbeitet wird, auf die hin Informationen beschafft, gesichtet und beurteilt, aber eben nicht erraten werden, von der aus für jedermann nachvollziehbar ist, welche Antworten hilfreich sind und welche die Klärung nicht voran- treiben, die die Chance hat, von allen als wichtig erkannt und als interessant empfunden zu werden, die bezogen auf das Vor- wissen der Lernenden kognitive Dissonanzen zu erzeugen vermag und für die die Antworten so substantiell sind, daß es lohnt, sie wegen ihrer prinzipiellen Vorläufigkeit nach Bedarf und Be- lieben weiter zu differenzieren. Wer auf diese Fragestellung verzichtet - gleichgültig, ob in der Architektur des darstellenden oder des problemlösenden Un- terrichts - enthält den Lernenden die Richtschnur vor, an der sich ihr kognitives Konstruieren ausrichten könnte i er kippt nur große Haufen aus Bruchsteinen ab, die nun vom Lernenden ir- gendwie zu schichten sind, wofür man zusätzlich den brüchigen Behelfsmörtel der "vielen kleinen Fragen" zur Verfügung stellt, auf den sich zumindest für eine kurze Spanne die Hoffnung grün- det, das Gemenge füge sich auf Dauer. Wer auf diese Fragestellung verzichtet, beraubt sich der Richt- schnur für den planenden Umgang mit der Sache und findet sich meistens auf die ausgelatschten (und fragend-entwickelnd nach- zulatschenden) stofflichen Routen in den einschlägigen Medien verwiesen. Und diesen stofflichen Routen bleibt heute jede Fragestellung fremd und äußerlich. Kein Buch, kein Lehrer fragt beispielsweise, warum Unternehmen überhaupt eine vorgestanzte Rechtsform aUfgenötigt wird, wo doch eigentlich der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt, aber es wimmelt von ungefragten Ant- worten - etwa über das Mindestkapital bei der Rechtsform der GmbH - und von unmotivierten Fragen - etwa über die für Auszu- bildende so wichtige Gewinnverteilung in der Rechtsform der KGaA. Besser als das Tausend kleiner Fragen ist also die eine große Fragestellung, bei deren Beantwortung sich die von den kleinen Fragen anvisierten Inhalte häufig sogar beiläufig mitbehandeln lassen. Aber nicht jede große Fragestellung ist didaktisch fruchtbar und erschließt einen Gegenstand verständig. Und das führt zu der großen Frage: Woran erkennt und wie findet man die "ergiebigen" großen Fragestellungen? - Eine Antwort darauf soll im Zusammenhang mit dem Konzept der strukturkerne versucht wer- den (vgl. Punkt 24). Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 47 Damit ist über die handwerklichen Fehler schon fast alles ge- sagt. Was noch gesagt werden kann, erfaßt nur Reflexe dieses Fehlers. Aber zum besseren Verständnis sei es gesagt. Fehler 2 Informationserweiterung über die fragend-entwickelnde Methode Manchmal wird die Bearbeitung einer groBen Fragestellung als fragend-entwickelndes Vorgehen bezeichnet. Dann wäre gegen das Verfahren nicht viel einzuwenden: Die Frage zielt auf nicht- triviale kognitive Dissonanzen, löst - idealiter - kognitive Suchprozesse aus, die zu Antworten führen; indem für diese Ant- worten die Grenzen und Unschärfen aUfgezeigt werden, ergibt sich weiterer Differenzierungsbedarf, der neue Überlegungen auslöst usw. Üblicherweise - und so auch hier - wird darunter aber das Ver- fahren verstanden, eine dem Lehrenden vorschwebende stoffliche Route in zahllose kleine Schritte zu zerlegen, die jeweils durch eine Lehrerfrage eingeleitet und die passende Antwort ab- geschlossen werden, wobei die Reihung der passenden Antworten sich insgesamt zur intendierten stofflichen Route addiert. Nimmt man Lernprozessen die übergreifende Fragestellung und da- mit die über kognitive Dissonanzen induzierte selbsttätige Dy- namik oder zumindest Offenheit für fortschreitende Differenzie- rung, bedarf es dieses anderen Verfahrens, zusätzliche Informa- tionen einzuführen. Dieses Verfahren ist nicht nur dem Lernge- genstand äußerlich, es würde in anderen sozialen Kontexten auch als anmaßend zurückgewiesen. Man muß die "Lernzuwächse" daher als in spezieller Weise sozial erzwungen und als eben nicht er- kenntnisbezogen motiviert einstufen. Das wäre ein erster Ein- wand. Der zweite betrifft die Harmonie des Informationsflusses. Sie ist selbst dann zweifelhaft, wenn man die gut begründbare Posi- tion Bodenhöfers, im Fragen selbst stecke bereits Obszönität,33 gar nicht aufgreift. Wer fragt, möchte etwas wissen, was ein anderer - so die Vermutung - weiß. Also müßten die unwissenden Schüler den wissenden Lehrer fragen. Es fragt aber der wissende Lehrer die (meist unwissenden) Schüler. Sie kennen die Antwort - wozu fragt er dann? Sie kennen die Antwort nicht - wozu fragt er dann? Seine Fragen sind ja nicht die große Fragestellungen, wo beharrliches Denken, selbsttätiges Informieren oder aufmerk- sames Lauschen endlich zum Ziel führen, sondern es sind Fragen, deren Lösung auch der verständige Kopf nicht generiert, allen- falls schon weiß oder gerade nachgelesen hat: Wie wird in der KG der Gewinn verteilt? Daß man die Antworten tendenziell erra- ten muß, wäre der dritte Einwand. Daß die Fragen dem Lernenden unvorhersehbar, willkürlich und in ihrer Bedeutung rätselhaft bleiben (weil sie sich nicht aus einer nachvollziehbaren Frage- stellung, sondern nur aus der geheimen Route des Lehrers erge- ben), wäre der vierte Einwand. Nun wird das Vorgehen gern damit gerechtfertigt, "der" Schüler sei eine fiktive Durchschnittsgröße, bei jeder Frage gäbe es sowohl Wissende als auch Unwissende, also Antworten und Vorsa- ger ... Deshalb bleiben die Fragen doch für beide Gruppen unpas- Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 48 send, und vor allem: Diese Rechtfertigung fragt nicht danach, welchen subjektiven Sinn dieses Herumstochern im stoff für die Lernenden bereithält. Weiterhin wird gern darauf verwiesen, daß das fragend-entwik- kelnde Vorgehen von den Schülern sehr viel mehr "Aktivität" er- fordere als etwa das Verfahren des darstellenden unterrichts mit seiner "passiven Rezeption", weil die Schüler fortwährend durch Impulse zur Selbsttätigkeit angehalten WÜrden. Hier wird nun Selbsttätigkeit mit tätiger Folgsamkeit verwechselt, und in Wahrheit liefert diese lern- und behaltenstheoretische sicht den fünften Einwand: Wer bei Nacht an fester Hand geleitet tau- send Schritte hinter sich bringt, kann deshalb noch nicht am nächsten Tag denselben Weg alleine finden und gehen. Wenn nun aber aus didaktischer Sicht gar nichts für das fra- gend-entwickelnde Vorgehen zu sprechen scheint, warum ist es dann im unterrichtsalltag so verbreitet, ja, das Kennzeichen für unterricht schlechthin? Verzichten Lehrer im unterricht auf eine übergreifende Fragestellung - und sie tun es aus einer Reihe von Gründen - benötigen sie einen inhaltsunabhängigen Mo- dus der Bearbeitung der gewählten stofflichen Route. Ein sol- cher Modus ist das fragend-entwickelnde Verfahren. Es hat - aus der sicht des Lehrers - die Vorzüge, kaum planerischer Vorbe- reitung zu bedürfen, im unterricht situativ ungemein elastisch und anpaßbar zu sein und dabei doch die Durchsetzbarkeit der intendierten Route zu gewährleisten. Das Verfahren ist dabei nicht ohne Anstrengung, es erfordert Wachheit, Konzentration und Beweglichkeit. Dies ist der Preis dafür, daß an die Stelle einer vorbereitenden Unterrichtspla- nung ganz wesentlich eine Planung im unterricht getreten ist. Den Belastungen mag der Routinier gerade noch gewachsen sein. Den Anfänger aber - und das wäre der sechste Einwand - überfor- dert das Verfahren völlig, weil es ihm (bei sehr viel einge- schränkterem Verhaltensrepertoir und geringerer Vertrautheit mit dem Stoff) keine reflexiven Pausen gestattet. Warum aber wählt dann gerade auch der Anfänger immer wieder dieses Verfah- ren? Fast immer wohl aus Angst! Aus Angst vor den ausgemalten Gefahren von Wegen, die seine "Vorbilder" nicht beschreiten. Aus Angst vor Schülerfragen, die man nicht zu beantworten weiß: Wer pausenlos "seine" Fragen stellt, verhindert, daß andere die "ihren" stellen können. Damit unterdrückt das Verfahren auch noch die Ideen, die die Schüler vielleicht bewegen - und das wäre der siebte Einwand. Fehler 3 Die Ausrichtung der stofflichen Routen am Synoptischen Senkt sich über das Geistige der Winter, neigen Stoffe und wis- sen dazu, in ihrer momentanen Form zu erstarren (und zu erodie- ren); wer könnte mit ihnen da produktiv umgehen? Erst die Be- dingungen des FrÜhlings machen das Verfestigte - sei es nun bi- zarr oder wohlproportioniert - wieder beweglich, machen Wach- sen, Gestalten: - Lernen möglich. Lehren hat diese Aufbruchsbe- dingungen herzustellen, hat das etablierte System der bewährten Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 49 Befunde wie die subjektiven Vor-Urteile wieder "fragwürdig" zu machen. Die "große Frage" ist als Möglichkeit des Verflüssigens der Lern- und Lehrstrukturen vorgestellt worden. Dem Verflüssigen, dem Frühling, entwächst die Produktivität des Sommers: überall sprießen - fast schneller, als die kultivie- rende Hand es bearbeiten kann - Überlegungen, Erkenntnisse, Er- fahrungen, Erlebnisse, Überraschungen ..• wie lang immer der Sommer sein mag, wie reich und von welcher besonderen Art der Ertrag, nichts spricht gegen ein herbstliches Streben, geschaf- fene Fülle am Ende zu bergen und in die Scheuern einzufahren. Nichts spricht dagegen, die Fülle in den Scheuern zu ordnen und in Verzeichnissen festzuhalten. Bei den Wissensproduktionen nennen wir die Verzeichnisse Synop- sen. Sie enthalten Chiffren, die es dem Kundigen erlauben, sich ohne Gefährdung einer bereits erreichten Standfestigkeit in die Bewegtheit frühlingshafter und sommerlicher Produktivität zu- rückzuversetzen. Dem Unkundigen sagen die Chiffren nichts, und verständnislos lauscht er, wenn sie verlesen werden. Nun gibt es eine Didaktik des Herbstes, die Frühling und Sommer ungeduldig übergeht, die nur noch die Verzeichnisse aus den Schubladen kramt, die mit den Fingern ziellos über die Notizen hastet, die die Chiffren dem Unkundigen mit dürren Worten kom- mentiert und die sich vielleicht sogar zu einer Besichtigung der Scheuern herabläßt - als wenn das dort Angehäufte etwas über sein Werden erzählen könnte. Dieses Denken vom Ende her, diese Didaktik des Synoptischen kann nichts verflüssigen (auch nicht bei dem, der sie anwendet). Sie bietet dem Unkundigen sortierte Additivität in unverständlicher Verpackung. Die Un- terrichte an den beruflichen Schulen, ihre Schulbücher und Lehrpläne folgen überwiegend der Didaktik des Synoptischen. Von den "Männlein im Walde" wissen wir bereits, daß Synopti- sches sich in verschiedene Gewänder hüllt. Mal trägt es das breitausladende Prunkgewand der Klassifikationen mit seiner schier endlosen Schleppe. Mal kommt sie sachlich-nüchtern in Spiegelstrich-Auflistungen gehüllt daher, an denen das leere Auge strich für strich nach unten gleitet. Dann wieder sind es Verdoppelungen der AUflistungen, deren Spiegelungen einfach po- lare Bewertungen erfahren, so daß das Narrenkleid der Vor- und Nachteils-Auflistungen zusammengenäht ist. Schließlich werden die leerformelgeschmückten Beziehungs-Muster sehr gerne getra- gen. Bei diesem Muster werden mindestens zwei irgendwie gearte- te Elemente irgendwie (meist durch einen Strich) in irgendeine Beziehung gesetzt, die meist doch irgendwie unklar bleibt, für die möglicherweise auch irgendwelche Voraussetzungen bestehen und womit man vielleicht irgendwelche Absichten verfolgt ... Da dieses Muster sehr universell ist, läßt es sich irgendwie immer anwenden und irgendwie kommentieren. Für seine didaktische Be- liebtheit muß es irgendwelche Gründe geben. - Bevor wir nun anfangen, jedes Kleidungsstück einzeln aus dem Schrank zu nehmen und zu betrachten, machen wir die Schranktü- ren lieber einfach ganz zu und drehen den Schlüssel zweimal fest um. Was geht uns fremde Wäsche an! Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 50 Fehler 4 Das Unterscheiden auf Vorrat Wer den Schrank nicht rechtzeitig schließt und nicht müde wird, ihm wahllos Dinge zu entnehmen und grundlos vorzuzeigen, wer also nicht etwas Spezielles prüfen, demonstrieren oder belegen will, sondern vieles in der unbestimmten Hoffnung vorzeigt, es werde sich schon irgendwann als nützlich herausstellen, der un- terscheidet Dinge auf Vorrat. Dieses Vorgehen wird besonders dann dienstverpflichtet, wenn die auf Klärung bedachte 'große Frage' sich krank meldet. Zugespitzt: Immer wenn das Lehren das Verflüssigen von Strukturen versäumt oder es ihm mißlingt, denaturiert Lehren zum 'Unterscheiden auf Vorrat'. Fehler 5 Das der Sache fremde Stimmigmachen und Herausputzen Wo in der Lehre stoffliche und kognitive strukturen nicht ver- flüssigt werden, wo nicht in verständiger Regsamkeit Maßstäbe für argumentative Güte erwachsen, wo stattdessen Erstarrtes zu betrachten ist - allerdings wiederum auch nicht so, daß man ihm gegenüber einen eigenen Standpunkt einnehmen könnte - wo (auch das unverständige) Lernen vom Widerständigen erdrückt zu werden droht, verspricht die (unbegründete) Aussicht, der Gegenstand sei (auch in seiner Erstarrung) einfach und unterhaItsam zu verstehen, den widerstand zu brechen. Das Versprechen glaubhaft zu machen, befleißigt man sich, die dürre Kost mit verlockenden Appetithäppchen aufzubessern (die die im Hauptgang gereichten Appetitzügler neutralisieren sollen); wer kennt nicht all die AUfhänger und methodischen Mätzchen, die nicht zum Gegenstand, sondern nur zur Unterrichtssituation in einer nachvollziehbaren Beziehung stehen••• Man befleißigt sich, den erstarrten Gegen- stand, um ihn plastisch werden zu lassen, mit ausgesucht kräf- tigen strichen zu zeichnen, mit Strichen, deren Grobheit selbst unfreiwilligen Karikaturen gegen den feinen strich geht. Wer kennt nicht die mechanistischen Balkenwaagen-Beschreibungen von Preisbildungsvorgängen, die in einer Dorfschmiede am Blasebalg entstanden sein könnten, wer nicht Betrachtungen über soziale Konventionen, Verfahren oder Einrichtungen, in denen die ange- sprochenen Setzungen wie eherste Naturkonstanten behandelt wer- den ... Der mahnend erhobene Zeigefinger des "Fehlers 4", die Einflü- sterung, die Betrachtungen verlören sich bereits in den Details des Themas, verbieten jedes weitere Wort. Zwar lockt da noch die Versuchung des Nachweises, der Fehler des 'Fehlers 4' be- stehe darin, daß er ausschließe, daß man beizeiten gern auf vorsorglich Gesammeltes zurückgreife, aber das verweist auf die Welt der Kompendien und Lexika und liegt fern der Welt der Ein- führungen (und der Vertiefungen) in die Gegenstände. Diese "Ar- beitsteilung" soll hier ihr Recht behalten, und wem es wichtig ist, lese beispielsweise in sos 1 (S. 243-276) weiter. Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen FehLer 51 Fehler 6 Die zu geringe Beachtung der subjektiven Vor-urteile Dieser Fehler ist gleichermaßen besonders schlimm und verzeih- lich. Er ist schlimm, weil man übersieht, daß nicht nur die Ge- genstände, sondern auch die kognitiven strukturen der Subjekte zu verflüssigen sind. Er ist schlimm, weil ihm das Fehlurteil zugrundeliegt, ein Subjekt habe dort, wo der Lehrer noch nicht gesprochen hat, kein eigenes Urteil, sei insofern ein I unbe- schriebenes Blatt'. Er ist schlimm, weil er das Fehlurteil nährt, schon bestehende (naive) strukturen WÜrden bei der Be- lehrung umstandslos mit der gelehrten Version überschrieben (wie eine Diskette). Er ist schlimm, weil in der Konkurrenz der Weltdeutungen die 'naive' Version in vielen alltäglichen Kon- texten die Oberhand behält. Er ist verzeihlich, weil über das subjektive Alltagswissen zu sozialen und ökonomischen Gegen- ständen systematisch bisher wenig bekannt ist. Es genügt auch nicht, was dem Lehrer häufig zu genügen scheint, daß er nämlich eine grobe Vorstellung darüber hat, welche "Er- fahrungen" die Schüler zu einem Gegenstand "gebildet" haben. Erfahrungen selbst sind in einer Weise konstruiert, die ver- schiedenen psychischen Funktionen Rechnung trägt; sie können materiell und formal sehr unterschiedliche Eigenschaften anneh- men und in verschiedenen Kontexten wiederum auf unterschiedli- chen Wegen abweichende (Urteils-)Leistungen hervorbringen. Um in der Sprache des "Fehlers 4" zu reden (was hier aber Methode hat): Liegen den Leistungen komplexe oder einfache Schemata zu- grunde? Sind die (meist) einfachen Schemata inhaltlich völlig fixiert, enthalten sie bei inhaltlicher Fixierung auch Leer- stellen, die ad hoc gefüllt werden, sind die Schemata nur for- mal fixiert - etwa in Form von Heuristiken -, mit deren Hilfe kognitive Leistungen im Bedarfsfall generiert werden, sind es regelgebundene Schemata (z.B. Kalküle) oder szenische Schema- ta ••• ? Werden die Schemata von den Subjekten rigide gehandhabt und energisch verteidigt, werden sie emotional stark aufgeladen ... ? Sind sie aus wissenschaftsbestimmter und pragmatischer sicht verbesserungsfähig und -bedürftig? An welche Vorausset- zungen sind derartiqe Verbesserungen gebunden, welche Erfolgs- aussichten bestehen?~4 .•. Was hilft es, alle diese Fragen zu stellen? Es hilft klarer zu erkennen, worin die didaktischen Fehler hier letztlich beste- hen. Es ist ein Fehler anzunehmen, daß Erfahrungen der Lernen- den zu einem Gegenstand etwas für den Lernprozeß grundsätzlich Günstiges sind (wie auch die gegenteilige Einschätzung ein Feh- ler ist). Es ist ein Fehler, sich nicht darüber zu wundern, daß jedermann auch bei völlig unzureichenden Kenntnissen immer schon urteilen kann. Es ist ein Fehler, im Unterricht nicht mit Sorgfalt zu versuchen, die kognitiven Schemata der Schüler tat- sächlich kennenzulernen. Es ist ein Fehler, sich nicht um In- strumentarien zu bemühen, die die Schemata zu charakterisieren versprechen. Es ist ein Fehler, sich nicht um Ideen des produk- tiven Umgangs (etwa in Form besonderer kognitiver Dissonanzen) mit den festgestellten Schemata im Unterricht zu kümmern - und um Warnungen vor kontraproduktiven Wegen ... Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 52 Nimmt man alles in einem, so gilt: Es ist ein Fehler, gegenüber den mitgebrachten kognitiven strukturen und Leistungen der Schüler gleichgültig zu sein und ihnen allenfalls mit instru- mentellen Hin:tergedanken zu begegnen; diese Gleichgültigkeit behindert Lernzuwächse, die Schüler als subj ektiv bedeutsam einstufen könnten. Diesen Zuwächsen begegnet nur der gleichgül- tig, der Ergiebigkeit von unterricht einzig an den Meßlatten der Kammerprüfungen mißt. Fehler 7: Die unzureichende Kenntnis des zu verhandelnden Gegenstandes. Oder: Die Gleichsetzung eines Gegenstandes mit einem Thema. Diesem (und dem nächsten) handwerklichen Fehler unterliegt be- sonders auffällig (aber nicht ausschließlich) der Berufsanfän- ger. Ein Autofahrer, der ohne Karte eine ihm fremde Stadt besucht, wird nur die von der Kommune ausgewiesenen 'SehensWÜrdigkeiten' finden, muß den Ausschilderungen und vorgeplanten Routen blind folgen, kann langen Umgehungen, Staus oder unansehnlichen Vier- teln nicht ausweichen, Besonderheiten nicht aufspüren. Auch er mag natürlich versuchen, 'auszubrechen' und sich durchzuwur- steln, aber nur der Kundige oder sich-Kundig-Machende ist zu planvoller Gestaltung, zu eigenwilligen Ab-Wegen und Ein-sictl- ten befähigt. Wer als Lehrender von einem Gegenstand nicht viel mehr kennt als die stoffliche Route in den Schulbüchern oder in der studentischen EinfÜhrungsliteratur, kann ebenfalls nur un- mündig den Ausschilderungen (der Lehrpläne) und den erstarrten Mustern (in den Medien) folgen. Nur wer den Gegenstand über- blickt, stößt auf das Frag-Würdige. Nur wer ihn versteht, kann verständlich über ihn sprechen: Nur den Informierten beflügelt gestalterische Phantasie. Warum bestehen die Standardrouten beim Gegenstand "Zölle" nur aus einem Definitionsversuch ("steuerähnliche Abgaben auf grenzüberschreitende Waren"), einer Klassifikation nach Zollar- ten (Lieferungsart, Zweck, Bemessungsgrundlagen u.ä.) und viel- leicht noch einer Zusammenstellung der am Zollamt vorzulegenden Papiere? Soll man damit verstehen, warum derzeit so lautstark der europäische Binnenmarkt vorbereitet und gefeiert wird? Be- greift man, warum (und wann) sich Zölle in den Staaten so uni- versell durchgesetzt haben, welche allgemeinen sozialen und po- litischen Muster sich dabei zeigen? Begreift man die zahllosen Schwierigkeiten und Verwerfungen bei den Versuchen, internatio- nale Zollsysteme zu verändern oder zu beseitigen? Lernt man et- was über die bisherigen Erfahrungen mit derartigen Versuchen? Durchschaut man die postul ierten und faktischen Auswirkungen von Zolländerungen auf den nationalen oder internationalen Wohlstand, die Entwicklungsmöglichkeiten der Dritten Welt, die position der multinationalen Unternehmen, die legalen und kriminellen Aktivitäten sozialer Gruppen ... ? Wer hier spontan sagt: "Das geht zu weit!", ist für die didak- tische Analyse eines Gegenstandes bereits verloren - sei es we- gen seiner Unkenntnis, sei es wegen geistiger Verkrustungen. Er Gerdsmeier: SOS 2 19. Die handwerklichen Fehler 53 ist dem Gegenstand nicht gewachsen, und ihm fehlt die Kraft, in ihm und mit ihm etwas zu bewegen. Er übersieht, daß jeder Ge- genstand zahllose Themen hat. Er hat den Gegenstand dauerhaft auf einen einzigen seiner Themen zusammenschrumpfen lassen - und manchmal erkennt man nicht einmal mehr dieses Thema. Der Lehrplan zwinge den Lehrer zu dieser Verdichtung? Das ist eine Lebenslüge. Kein Lehrplan erzwingt diese Verkürzung. Kei- ner verbietet, gehaltvoll über Gegenstände zu reden. Keiner hat die Macht, "Zöllen zu einem institutionenkundlichen (oder son- stigen) "Gegenstand" zu machen - und zu sonst keinem. Ebensowe- nig exklusiv ist der "Betriebsrat" ein rechtlicher Gegenstand, npreisbildung" ein modellökonomischer oder Buchführung ein ver- fahrenstechnischer. Fehler 8 Unangemessene Schrittweiten in den Unterrichtsplänen Dem pädagogischen Routinier dient sich zu jedem "üblichen" Ge- genstand mindestens eine stoffliche Route an. Er begegnet Un- terricht mit Erwartungsbündeln, die er als bewährt erlebt. Ein gefestigtes szenisches Repertoire gibt ihm Sicherheit und er- laubt es ihm, sich auf Besonderheiten von situationen einzulas- sen. Große Teile seiner Unterrichtsplanung vollziehen sich so im unterricht selbst. Seine Vorgaben - auch gut durchdachte - zeichnet er daher meist nur in knappen strichen. Anders der Berufsanfänger, den Gegenstände und Szenisches noch narren. Den Spuk durch Detaillismus im Planungspapier zu ban- nen, kann als die eine bevorzugte Abwehrstrategie gelten, das Ungewissen nicht zu denken, als die andere. Dem pädagogischen Detaillisten schiebt sich im Unterricht, wenn er an seinem Kon- zept festhält, bald das Blatt Papier zwischen alles: Zwischen sich und die Schüler I zwischen sich und den Gegenstand, zwi- schen Wahrnehmung und Gedanken, zwischen Wollen und Können. Er wird unfrei und die Marionette der von ihm geschaffenen Um- stände. Nicht anders, aber andersartig der Planer der großen Leerstellen, der etwa einen Fall eingeben will, an dem dies und das und jenes erarbeitet werden soll, der aber keinen Gedanken darauf verschwendet, wie dieses Wunder sich szenisch und sach- lich vollziehen soll. Auch er wird nicht Souverän der situation und seiner selbst bleiben. Diesen Fehlern begegnet vermutlich am ehesten, wer einerseits die Leerstellen mit sozialer Phantasie in verschiedenen Varian- ten gedanklich vorgreifend zu strukturieren versucht, davon aber nur zentrale Impulse fixiert, um versklavenden Detaillis- mus zu entgehen. Die Bedeutung des Fehlers mindert zudem jener, der Szenen so plant, daß er nicht fortgesetzt als der große Impulsgeber und steuermann gefordert wird. Gerdsmeier: SOS 2 20. Handwerkliche ZweifelsfälLe 54 20. Handwerkliche Zweifelsfälle Wenn Fachdidaktik die Präskription unterrichtlichen Handelns in Form von Rezepten und Techniken nicht legitimierbar gelingt, vermag sie vielleicht das Umgekehrte: die begründete Abwertung und Aussonderung einiger prinzipiell verfügbarer Handlungsmög- lichkeiten, so daß ein vereinfachtes Handlungsfeld verbleibt. Mit den "handwerklichen Fehlern" sind Instrumente zur Aussonde- rung und Vereinfachung vorgeschlagen worden; wer sie beachtet, geht - so hier die Annahme - bereits auf fachdidaktisch eini- germaßen sol idem Boden. Dieser mag trotzdem pädagogisch noch schwankend sein, weil es auch in pädagogischer Perspektive handwerkliche Fehler gibt - etwa zynisches Lehrerverhalten. Diese Perspektive, so wichtig sie ist, wird hier nicht weiter verfolgt, weil sie die fachdidaktische SUbjekt-Objekt-Relation erheblich übersteigt und eher die Lehrer-Schüler-Interaktion sowie das, was dabei über die Einbeziehung eines jeden stoffs gesagt werden kann, thematisiert. Die Begehbarkeit des (mit Hilfe der Analyse handwerklicher Feh- ler) trockengelegten Geländes beschränken weitere fachdidakti- sche Stolpersteine. Sie bestehen in Entscheidungen, die nicht immer, wohl aber häufig die Setzungen eines gehaltvollen, ver- stehbaren, harmonisch gestalteten Informationsflusses verlet- zen. Ob die Entscheidungen sich in diese Richtung auswirken, hängt an Voraussetzungen, die in jedem Einzelfall zu prüfen sind. Losgelöst von einzelnen Gegenständen, können die Voten nur als prüfungsbedürftige Zweifelsfälle (Dubia) gekennzeichnet werden. Einige Dubia sollen genannt werden - teils in der Absicht, die Behauptungen zu illustrieren, teils (den handwerklichen Feh- ler 4 damit umgehend) als Empfehlung für eine eigenständige, vertiefende Beschäftigung mit dem Sachverhalt in einschlägiger Literatur (Dubia 1-3), und teils als bloßer Appell, den Sach- verhalt selber zu durchdenken, weil geeignete Literatur fehlt (Dubia 4-6). Eine Fülle fachdidaktischer Probleme wird durch Wechsel in Re- ferenzsystemen der Darstellung und des Denkens erzeugt: All- tagsdenken, wissenschaftliche ModelIierungen, Modelle von Mo- dellen, Metaphern, Gleichnisse, Episoden ... Jede der Zugriffs- weisen stimuliert spezielle Folgerungen und Erlebnisse, die sich nicht einfach in eine andere Modeliierung übernehmen, dort aber auch nicht einfach dementieren lassen. Das wird besonders augenfällig bei vielen Simulationen insbesondere in der Form von Plan- oder Rollenspielen (Dubium 1). Die Gefahr, das Fiktionale hinsichtlich der ModelIierungen und der ausgelösten Erlebnisse distanzlos zu behandeln, besteht - besonders, wenn ideologische Hintergedanken obwalten - auch für episodische Erfindungen - etwa, wenn wir wieder am Lagerfeuer sitzen und gerade das Rad oder die Arbeitsteilung erfunden wer- den35 oder wenn wir mal wieder Robinson Crusoe ins leidgeprüfte Gesicht sehen, gerade wenn er für Investitionen Konsumverzicht leistet (Dubium 2). Gerdsme;er: SOS 2 20. Handwerkl;che Zwe;felsfälle 55 Ähnliche Wirkungen sind bei einer modischen Fixierung auf Medi- en (etwa Schaubilder) oder Methoden zu befürchten, weil diesen unbesehen und ohne Einschränkungen Wundertätiges zugeschrieben wird - etwa die Gewißheit, daß non-direktive Unterrichtssequen- zen außerschulische Handlungsfähigkeit fördern (Dubium 3). Andere Vorbehalte beziehen sich mehr auf Verfahren des Umgangs mit "Meinungen" und "Wertungen". Was berechtigt eigentlich zu der Annahme, ein Meinungsaustausch unter Schülern sei per se aufklärerisch und führe zu Kultivierungen? (Dubium 4) Was be- rechtigt dazu, nachdem komplexe Wirkungszusammenhänge zu kann- Aussagen "reduziert" wurden, diese so beschriebenen Möglichkei- ten zu wirklichen und "unbedingten" Vor- oder Nachteilen erhö- hen zu lassen oder selbst zu erhöhen? (Dubium 5) Was ist von Versuchen zu halten, mit kargen Argumenten und bei geringer Be- achtung emotionaler Voraussetzungen Wertungen zu beeinflussen? (Dubium 6) Kürzen wir ab: Über handwerkliche Zweifelsfälle zu sinnen ist gleichbedeutend mit dem Nachdenken über Fragen der "Wahrheit 11 von Aussagen und der Begründbarkeit "nicht wahrheitsfähiger" Aussagen. Dieses Nachdenken kommt in didaktischen Reflexionen zu kurz. Die Deutungen werden einfach als Fakten hofiert - wenn sie nur methodisch gut zu handhaben sind. Doch damit sind wir bereits im Kapitel 34. Gerdsmeier: SOS 2 21. Bildun9stheoretische Monita 56 21. Monita der bildungstheoretischen Didaktik Nun, ganz nett, wirklich. Es sind auch einige Gemeinsamkeiten mit meinem Denken erkennbar. 36 Etwa in der Ablehnung eines Pri- mats des Methodischen vor dem Inhaltlichen. Oder in dem stre- ben, Gegenstände für den Unterricht wieder in eine entkrustete Offenheit zurückzuversetzen. Und natürlich ist ein Gegenstand deshalb nicht immer und überall als ein standardisiertes Thema abzuhandeln. Aber ansonsten ... Vielleicht gäbe es weitere Über- einstimmungen, wenn man die Setzung des Verstehens als Grund- satz der Anschaulichkeit übersetzen dürfte. Oder wenn man den Ausdruck des "Lernens als Prozeß der Differenzierung" ersetzen würde durch die Idee der in den Bildungsinhalten angelegten or- ganischen Kraft, welche die Bewurzelungen des Dargebotenen und inneres Wachstum ermöglicht. Aber es gibt da doch eine Reihe von Forderungen, die, wenn- gleich nicht falsch, so doch kaum für grundlegende Überlegungen taugen. Muß wirklich erst gesagt werden, daß der Lehrende sei- nen Gegenstand kennen muß? Wozu werden die zweitrangigen Fragen des Methodisch-Technischen in den Vordergrund gestellt: Schrittweite der Planung, fragend-entwickelnder Unterricht, si- mulative Verfahren u.ä.? Das ist doch alles etwas hergesucht, randständig und bunt. Und selbst die wichtigeren Forderungen, die sich auf die Analy- se der Gegenstände beziehen, bleiben letztlich unscharf. Er- kennt man, daß "Übergreifende Fragestellungen" auf die Er- schließung von Grundlegendem im Exemplarischen zielen müssen? Lernt man die struktur eines Gegenstandes zu bestimmen? Und dann das ungenügende Nachdenken über die Subjekte, das bei An- nahmen über das Vorwissen der Schüler stehen bleibt und zu Überlegungen der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutsamkeit bei der Stoffauswahl und -gestaltung so wenig vordringt wie zu Gedanken über die Möglichkeiten, den Inhalt anschaulich zu machen. Es ist dies möglicherweise nur das Ergebnis des viel grundle- genderen Versäumnisses, beide Seiten, die des Gegenstandes und die der Lernsubjekte, in mehrfachem Wechsel aufeinander zu be- ziehen, so daß - einer Klinge vergleichbar, die an gegenläufi- gen steinen geschärft wird - Zug um Zug trennscharfe Urteile und geschliffene Unterrichtskonzepte entstehen. Die vorgelegte Zusammenstellung dringt weder zu den entscheidenden Fragen vor noch zu deren Verschränkung. Diesem Kramladen der Vorschläge fehl t zudem die organisierende Mitte. Ihm fehl t die Idee der Bildung. Aber vielleicht ist dieser Verlust für die beruflichen Schulen konstitutiv, weil Berufswissen nicht exemplarisch sein kann. Eine Steuergehilfin muß die Steuern berechnen können, exakt, alle. Es hilft ihr nicht, wenn sie nur an der Umsatzsteuer exemplarisch gelernt hat, wie neue Steuern entstehen und sich etablieren. - Berufsschulen sind der Tummelplatz für Qualifika- tionen und nicht für Bildung, und so mögen die Vorschläge eine gewissen Entschuldigung haben. Gerdsmeier: SOS 2 22. Versuch einer Klarstellung 57 22. Versuch einer Klarsteilung Zu den Monita ließe sich e1n1ges sagen. Es ließe sich sagen, daß Aufgabe der Berufsschulen die theore- tische Begleitung des praktischen Tuns sei, die sich eben nicht in der Vermittlung von Verfahren und Einzelnormell erschöpft, und daß es Frevel wäre, sie der Sphäre der Bildung zu entbin- den. Es ließe sich sagen, daß sich keine Hinweise ergeben, daß die Intentionen, die der bildungstheoretischen Didaktik einerseits und der Zusammenstellung der handwerklichen Fehler andererseits vorstehen, unverträglich sind. Es ließe sich sagen, das die Fehlerzusammenstellung nicht dar- auf zielt, das Gesamt einer 'didaktischen Analyse' zu ersetzen und diese zu verdrängen. Es ließe sich sagen, daß die Fehlerzusammenstellung sehr wohl einem System folgt, nämlich dem der empirischen Relevanz. Es ließe sich sagen, daß die didaktische Analyse (der bildungs- theoretischen Didaktik) selbst nicht (intersubjektiv gleichlau- tend) zeigen kann, was die Struktur eines Gegenstandes ist; es ließe sich sagen, daß dies andererseits gar nicht Aufgabe der Fehlerzusammenstellung sein soll, sondern dem noch zu erklären- den "Konzept der Strukturkerne" vorbehalten bleibt. Es ließe sich sagen, daß der 'didaktischen Analyse' zudem selbst eine (überindividuell einheitliche) Handhabung des Prin- zips des Exemplarischen versagt geblieben ist. Es ließe sich sagen - wenn man eine distanzierte Lesart beibe- hält -, daß die Urteile, mit denen die Bedeutsamkeit der Inhal- te für die Schüler festgelegt wird, ebenfalls zweifelhaft sein müssen und zudem in der Herangehensweise anmaßend, weil über eine Gegenwartsbedeutsamkeit letztlich doch nur die Schüler selbst (in offenen Unterrichten) Auskunft geben könnten. Es ließe sich sagen, insgesamt erzwinge die 'didaktische Ana- lyse' Spekulatives. Gegen den Einwand, die Praxis belohne das "gut" Gedachte und bestrafe Spekulieren, ließe sich sagen, daß jedes Gedachte auch "belohnende" Wahrnehmungen und Deutungen nach sich zu ziehen pflegt. Es ließe sich sagen, daß die bil- dungstheoretische Didaktik den Lehrer nicht berät, falls er merkt, daß er auf schwankendem Grund steht. Es ließe sich sagen, daß die Unschärfen des Analyseinstrumenta- riums verhindern, daß Spreu vom Weizen getrennt, daß ein Inhalt ernstlich zurückgewiesen wird. Es ließe sich sagen, daß die Zu- ständigkeit der Inhaltsauswahl ohnehin längst an die Fächer ab- getreten ist. Es ließe sich sagen, daß die didaktische Analyse daher zu einer Rechtfertigungsrezeptur und Gliederungsanleitung für prüfungsbedeutsame Ausarbeitungen angehender Lehrer abge- sunken ist. Es ließe sich sagen, daß das pädagogische Patronat der Bil- dungsidee längst obsolet oder abgeschafft ist, weil diese Idee sich nicht einmal im Notwendigsten einheitlich genug interpre- tieren ließ oder weil ihre Deutungen als regulative Idee in ih- Gerdsmeier: SOS 2 22. Versuch einer KLarstellung 58 rer Ubiquität an uneinlösbare reflexive Voraussetzungen gebun- den war oder weil eine affirmative oder gar repressive Handha- bung des Bildungsbegriffs durch jene, die sich ihm offiziell verpflichteten, keine Seltenheit war oder ..• Alles das sei nicht gesagt. Alles das berührt nicht den Kern der Differenzen. Befleißigen wir uns einer konstruktiven Lesart der bildungsthe- oretischen Didaktik. Schließen wir uns der Einschätzung an, ihre Intentionen und Instrumentarien könnten dem Gutwilligen fruchtbar bleiben. Weisen wir die Vulgarisierungen zurück, die in dem Konzept eine Planungstechnik oder gar eine Lernerfolge optimierende Technik sehen wollen. Verhehlen wir aber auch nicht, daß das Konzept mehr oder weniger offensichtlich das "gebotene" Planungsverhalten des Lehrer normiert. Das bildungstheoretische Konzept will Lehrer beeinflussen und leiten, mehr noch: es möchte, daß sie das für sie konzipierte Sollen wollen. Aber deckt sich ihr Tun mit dem Sollen? In der Psyche der Lehrer an berufsbildenden Schulen (aber nicht nur dort) spielt die 'didaktische Analyse' als Planungs- und Refle- xionsinstrument eine eher bescheidene Rolle. Eine Unkenntnis des Konzepts ist angesichts der Usancen in der zweiten Ausbil- dungsphase auszuschließen; die Annahme, daß sie das Konzept aufgrund eine eher aufs Technische gerichteten Kompetenzerwerbs nur in der Denaturierung als Rechtfertigungsinstrument begrif- fen haben, hat einiges für siCh, reicht hier aber als Erklärung nicht aus. Ein zweiter Erklärungsversuch könnte darin bestehen, auf die in der Wahrnehmung der Lehrer geringen stofflichen Gestaltungsmög- lichkeiten im Schulalltag zu verweisen: Wo sich die Auswahl und Gestaltung von Inhalten auf die Bearbeitung extern vorgegebener Prüfungsbögen reduziert, ist keine didaktische, allenfalls noch eine methodische Analyse vonnöten. Dies Argument überzeugt ebenfalls nicht, weil das gleichartige Handeln von Lehrern in den Vollzeitschulen damit nicht verstehbar ist. Festzuhalten bliebe allerdings, daß die 'didaktische Analyse' hier offenbar auch nicht als Instrument des Widerstandes gegen gänzlich au- ßer-pädagogische Bedingungen verstanden und verwendet wird. Die tragfähigste Erklärung liegt in den Voraussetzungen und An- wendungsbedingungen der 'didaktischen Analyse' selbst. Die ver- langte Analyse ist sehr komplex - hinsichtlich der in jedem der Teilaspekten angesprochenen Gegenstände und hinsichtlich der zwischerl den Aspekten herzustellenden Verknüpfungen. Erschwe- rend kommt hinzu, daß für keines der Analyseelemente - wie auch für das Gesamt der Aufgabe - klar ist, wann eine akzeptable Lö- sung gefunden ist, welche Gütekriterien gelten sollen, welche Wertigkeiten einzelnen Gesichtspunkten zuzuschreiben sind und vieles mehr. Diese Mehrdeutigkeit ist konzeptionell sogar ge- wollt - beispielsweise um sicherzustellen, daß die Wahl der In- halte der Persönlichkeit des Lehrenden gerecht werden kann. An- dererseits werden derartig komplexe, mehrdeutige und unbestimm- te situationen - insbesondere, wenn Entscheidungsdruck besteht - psychisch als belastend und unangenehm erlebt und abgewehrt: man wählt anstelle des reflexiven Verfahrens ein leichter hand- Gerdsmeier: SOS 2 22. Versuch e;ner Klarsteltung 59 habbares Vorgehen "hinlänglicher Güte" (- etwa wie es in der zweiten Rede an angehende Lehrer beschrieben wird). Erschwerend kommt nämlich hinzu, daß von der 'didaktischen Analyse' keine Verfahrensvorschläge als Hilfen angeboten werden, die das zu "lösende" Gemenge aus Komplexität, Unbestimmtheit und Mehrdeu- tigkeit in eine Abfolge überschaubarer Arbeitsschritte überfüh- ren. (Die fünf Fragen der 'didaktischen Analyse' erfüllen diese Funktionen keineswegs - nicht nur wegen des zwischen ihnen po- stulierten "Verhältnisses wechselseitiger Abhängigkeit vonein- ander".) Da eine 'didaktische Analyse' nur ganz oder gar nicht, nicht aber in reduziertem Maße durchgeführt werden kann, wählen Leh- rer offenbar überwiegend das 'gar nicht' und behalten die 'gan- ze Analyse' besonderen reflexiven Anlässen vor. Wir wissen be- reits, daß sie das Problem dadurch lösen, daß sie szenische und stoffliche Routen erwerben und aufeinander beziehen. Zwischen diesen Planungsverfahren und dem der ' didaktischen Analyse • gibt es tendenziell nur wenige, häufig schwankende Brücken, wenn nicht sogar nur die scheinbaren des didaktischen Jargons. In dieser situation wird der Didaktiker hinsichtlich der Pla- nungsergebnisse nicht selten einen "Kultivierungsbedarf" ausma- chen - im Gegensatz zum Praktiker, für den ein hinlänglich handhabbares Vorgehen eben zu hinlänglich guten Ergebnissen führt. An dieser stelle zu vermitteln. ist einzige AUfgabe des Inven- tars der handwerklichen Fehler. Die Fehlerbeschreibungen erset- zen keine 'didaktische Analyse', aber sie kultivieren in die von ihr vorgezeichneten Richtung. Sie sind nicht universell be- deutsam, sondern nur bezüglich einer im besonderen häufig ge- wordenen Praxis gehaltvoll (mit der sie sich zu ändern hätten). Sie können nur Mittler sein, weil sie einfache Verfahren und leicht prüfbare Kriterien enthalten. Sie schließen tiefergehen- de Reflexion nicht aus, honorieren aber auch schon kleinere Schritte. KUltivierung, Kontextbezug, Handhabbarkeit beschrei- ben die bescheidene Leitlinie des Versuchs zu einem Brücken- schlag; und im Kleinen nimmt diese Linie die Merkmale des re- flexiven Ausgangsmodell auf, das entgegen manch rhetorischer Gedankenlosigkeit nicht die "Optimierung" von Unterrichtsergeb- nissen anstrebt, sondern das begründete Verwerfen 'bildungsun- wirksamer' Unterrichtsideen und den Schutz gegen ein bloß per- sönliches Durchwursteln beim Unbehagen an der eigenen Praxis .•. An diesen Überlegungen ändert sich wenig, wenn man das Inventar der handwerklichen Fehler zu anderen großen Reflexionskonzepten (und ihren Mißverständnissen) in Beziehung setzt - etwa zur lerntheoretischen Didaktik37 , was weitere Erörterungen über- flüssig macht. Der pragmatische Versuch, die Unbestimmtheiten der großen di- daktischen Planungs- und Reflexionskonzepte über das Inventar der handwerklichen Fehler zu verringern, enthält unausgespro- chen die Absage an einen anderen, "den" Versuch seit den GOer Jahren, das Problem zu überwinden. Dieser zielt darauf, die Un- bestimmtheiten durch eine hinlängliche Fülle empirisch gehalt- voller, möglichst kausaler und auf Anwendungsbedingungen und Gerdsmeier: SOS 2 23. Wo bleibt das Positive 60 Eintrittswahrscheinlichkeiten gestützter Verallgemeinerungen auszuräumen, die sich in technologischem Interesse zu Hand- lungsempfehlungen umformen lassen. So wichtig etliche Befunde dieser wissenschaftsbestimmten Didaktik auch sind, das große technologische Ziel hat sich nicht erreichen lassen. 38 Das wird verstehen, wer das folgende einfache Rätsel löst: Angestrebt wird das Ziel A. Dazu muß die Maßnahme D ergriffen werden, die mit der Wahrscheinlichkeit von 0,8 Zwischenziel Cerreichbar macht, das seinerseits mit gleicher Wahrscheinlichkeit zum Zwi- schenziel B führt, das schließlich mit der Wahrscheinlichkeit von 0,78 A verwirklicht. Mit welcher Wahrscheinlichkeit führt Maßnahme D zum Ziel A? Und wie groB sind die Wahrscheinlichkei- ten beim Roulette? 23. Wo bleibt das Positive? Sanft kommt es daher, mit Räucherstäbchen, deren Qualm die sicht nimmt, mit Gebetsgemurmel über Pragmatik, Kultivierung, Kontextbezug, Handhabbarkeit, Reduzierung von Komplexität oder Vereinfachen des Entscheidungsfeldes durch Herausnahme unver- tretbarer Elemente - alles geeignet, den Verstand einzulullen. Dabei ist alles nur versponnenes Geraune. Nimmt man den Krite- riensatz der handwerklichen Fehler ernst, verflüchtigt sich das Versprechen der leichten Handhabbarkeit und zurück bleibt er- neut die Anstrengung der Reflexion. Natürlich lassen sich die Kriterien leicht überprüfen! Natür- lich erkennt man einen fragend-entwickelnden unterricht: Aber was setzt man an seine stelle? Wo ist die Beschreibung der Struktur wiederkehrender Probleme bei der unterrichtlichen In- formationseingabe und -steuerung, bei der Herstellung und si- cherung von Arbeitssituationen .•• ? Wo bleibt die leichte Hand- habbarkeit im Gestalten? Natürlich erkennt man leicht, ob eine übergreifende Fragestel- lung vorliegt! Aber wo bekommt man eine her, wenn sie fehlt - noch dazu eine, die verstehendes Lernen ermöglicht? Das sagt ein Instrumentarium der Negation nicht, eines, das im Verwerfen keine Alternative aUfzeigt. Da Alternativen nicht einfach zu haben sind, erweist sich die Ausgangsüberlegung als falsch, vorhandene Routinen könnten über das Negationsverfahren leicht kultiviert werden. Für den im Grunde fraglosen Routinier fragend-entwickelnden unterrichts wären die geforderten KUltivierungen gleichbedeutend mit der Preisgabe seiner Routinen, was er zu verhindern weiß. Richten sich die Vorschläge aber an den Berufsanfänger , so reicht es nicht, ihm zu sagen, was er nicht tun soll! Deshalb: Wo bleibt das Positive? Wo bleibt die Nachbesserung? Gerdsmeier: SOS 2 24. Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' 61 24. Die Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' und die Welt der Strukturkerne Das Verlangen nach Nachbesserung fordert nur, was zu geben längst beschlossen war - zumindest für den Aspekt, der für eine Fachdidaktik überragend ist, der also die fachlichen Gegenstän- de betrifft. Da Mißverständnissen schnell Flügel wachsen, wenn man ihnen nicht die Enge der Schalen zeigt, denen sie ent- schlüpften, sei ausdrücklich hervorgehoben, daß alles, was nun über den möglichen Umgang mit fachlichen Gegenständen gesagt wird, nur eine Ergänzung des Inventars der handwerklichen Feh- ler darstellt, keineswegs als Ersatz einer 'didaktischen Ana- lyse' aufzufassen ist, von daher noch keinen Unterrichtsplan darstellt, insbesondere keine methodischen überlegungen ent- hält, sondern einzig versucht, sich mit Hilfe eines überschau- baren Instrumentariums der Gegenstände zu vergewissern, aller- dings stets in der Generalperspektive, daß die überlegungen ei- nem am Verstehen ausgerichteten unterricht nützlich werden sollten. Von den Männlein im Walde wissen wir, daß ein Gegenstand sehr unterschiedlich strukturiert sein kann. Besonders häufig ist eine klassifikatorische struktur. Sie legt - in klassifizieren- der Weise - fest, welche fachlichen Elemente angesprochen und in welche Beziehung sie zueinander gesetzt werden. Diesen Grundriß kann man dann in zahllosen Formen beschreiben, aus- drücken, ausschmücken - paraphrasieren; die unzähligen Para- phrasen umspielen alle nur den einen Kern. Schauen wir genauer hin. Ein Gegenstand kann verschiedene The- men haben (die alle als Repräsentanten einer kleinen Zahl von strukturbereichen aufgefaßt werden können), ein Thema kann un- terschiedliche Strukturierungsmöglichkeiten aufweisen (deren systematische Erfassung als Strukturkern bezeichnet wird), eine Strukturmöglichkeit verschiedene Paraphrasen. Wählt man sich einen Gegenstand - etwa das "Betriebsverfas- sungsgesetz " - wäre im ersten Schritt festzulegen, welchen Aspekt des Gegenstandes (welches Thema) man betonen möchte, in welchem disziplinären Strukturbereich man sich also bewegt; denn der Gegenstand "ist" nicht einfach eine "rechtliche Norm". Mit nicht geringerem Recht "ist" er eine "Verfahrensbeschrei- bung" , eine "Beschreibung typischer Konfliktanlässe und -ver- läufe", ein Beispiel im Rahmen einer "Theorie sozialer Kon- flikte" usw. Es sei angenommen, daß sich eine Disziplin über eine begrenzte Zahl von Strukturbereichen charakterisieren läßt. Für die öko- nomik fehlt es bislang an überlegungen, die Bildung welcher Strukturbereiche didaktisch fruchtbar sein könnte. Alles was hier darüber gesagt wird, sind erste Vorschläge, die sich noch bewähren müssen. Um einige Grobheiten zu vermeiden, die den Ka- tegorien anhaften, die in wirtschaftsdidaktischen Analysen bis- her überwiegen (häufig nur: empirische, normative, definitori- sche Aussagen), werden die Strukturbereiche hier in einem er- sten Zugriff nach aussagenlogischen Gesichtspunkten gebildet. In einem zweiten Durchlauf werden die einzelnen Bereiche noch- mals nach dem Typ der in den Aussagen verwendeten Variablen- gruppen differenziert sowie nach Gesichtspunkten, die sich aus Gerdsrneier: SOS 2 24. Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen l 62 der kognitiven Andersartigkeit ergeben , mit der Subj ekte be- stimmten Variablengruppen bei bestimmten Zweckzuschreibungen begegnen (z.B. Pragmatik versus wissenschaftsbestimmtes urtei- len). Da die auf diesem Wege gewonnenen, zunächst nur für die wirt- schaftslehre Sinn beanspruchenden Strukturbereiche für die wei- teren überlegungen benötigt werden (Kap. 26ff), seien sie ge- nannt (und jeweils durch ein Beispiel illustriert, dem aber nur die Mehrdeutigkeit anhaftet, die aus der Relativität (s.o.) zwischen Gegenstand und Thema entspringt). Disziplinäre Strukturbereiche 1. Beschreibung erfahrungswissenschaft- licher Beziehungen zwischen sozial- wissenschaftlichen Variablen Beispiel 1.1 1.2 1.3 1.4 2 • 3 • 4. 5. 6. 7 • ( 8 • ) (9 • ) - im Design empirischer Sozialfor- schung - im Design idealer ModelIierungen - im Design Kalküle - im Design von "Handlungsvor- schriften" Beschreibung einzelner sozialwis- senschaftlicher Variablen Beschreibung singulärer Ereignisse (Die kaum sozialwissenschaftliehe Variablen· enthalten) Beschreibung von Handlungsvorschrif- ten, die nicht sozialwissenschaft- liche Variablen enthalten (Techniken) Beschreibung von organisatorischen oder prozessualen Aspekten institu- tionalisierter Beziehungen (so- weit nicht 1.1, 3., 4., 6.) Beschreibung rechtlicher Normen Beschreibung von Definitionen Beschreibung wissenschaftlicher Methoden Beschreibung auf Metaebenen ökonometrisches Modell Modellökonomik opt. Lagergröße Buchungsansätze statistik Episode Ablage ein- richten Prozedere beim überqueren von Landesgrenzen Bestimmungen über die Rechtsfähigkeit Festlegung des Gehalts von struktbe- reichen Korrelations- analyse Aussagenlogik Gerdsmeier: SOS 2 24. Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' 63 Nochmals, keiner der in den Beispielen angesprochenen Gegen- stände "gehört" in den jeweils vorgeschlagenen Strukturbereichi die Zuordnung beruht einzig auf der Hervorhebung eines (frei- lich meist sehr geläufigen) Akzents des Gegenstandes. Selbst- verständlich könnte über Rechtsfähigkeit auch historisch-ver- allgemeinernd, verfahrenstechnisch, statistisch oder episodisch gesprochen werden. Mehr noch, es wird sich zeigen, daß die Entscheidung, einen Ge- genstand in einer bestimmten Hinsicht zu akzentuieren (also ei- nem Strukturbereich zuzuordnen), nicht gleichzusetzen ist mit der Entscheidung, über andere Aspekte dann gar nicht mehr zu sprechen. Der Schritt verdankt sich einzig dem Versuch, über eine vorläufige Schwerpunktsetzung Komplexität auf handhabbare Maße zu drücken. Es gibt nämlich die begründete Hoffnung, daß für jeden Struk- turbereich eine begrenzte Zahl wiederkehrender Wege besteht, einen (in diesem Bereich akzentuierten) Gegenstand in sachli- cher Hinsicht verständig zu rekonstruieren. Selbstverständlich hat beispielsweise jede spezielle rechtliche Norm zwar auch ihre ganz spezifischen Komponenten (künftig als Aura bezeich- net), aber für fast alle Normen gilt, daß sie als institutiona- lisierte Güteabwägungen für benennbare Konflikte gedeutet wer- den können, daß die Güteabwägungen unter speziellen histori- schen Bedingungen erfolgten oder verändert wurden, daß mit der Norm aktuell spezifische Erfahrungen gemacht werden usw. In diesem Hof vielfältiger Bezüge, die für jeden einzelnen Struk- turbereich andersartig sind, existieren nun annahmegemäß einige wenige, wiederkehrende Verknüpfungen, die sich im Erwar- tungswert als für das Verständnis des Gegenstandes besonders fruchtbar erweisen. Dieses Netzwerk wiederkehrender aufschlie- ßender Bezüge wird als Strukturkern des jeweiligen diszipli- nären Strukturbereichs bezeichnet. Worin zeigt sich das aufschließende Potential einer bestimmten Herangehensweise an einen Gegenstand? Darin, daß der Ausgangs- punkt bezüglich des Zieles einfach und allgemein gewähl t ist und einen bis zum Ziel durchgehenden Weg verspricht. Wäre der Zugriff nicht einfach (bezüglich des antizipierten Verständnis- niveaus der Lernenden) oder wäre er nicht durchgehend, wäre ein verstehendes Lernen ausgeschlossen oder behindert. Wäre er nicht allgemein, wäre Lernen als ProzeB der Differenzierung kaum vorstellbar. Da es aber ein Einfaches gibt, das nur spezi- ell ist, wie Allgemeines existiert, dem die Einfachheit fehlt (etwa die Theorie Einsteins), ist bei der Entdeckung der Struk- turkerne auf das gleichzeitige Auftreten aller drei Kriterien zu achten. (Nochmals: Diese Setzung schließt eine spätere me- thodische Entscheidung für beispielsweise einen Fallunterricht nicht aus.) Dieser Grundsatz soll künftig als die Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' bezeichnet werden. Die bereichsspezifischen Strukturkerne stellen, wenn sie aus- formuliert wurden und sich bewährt haben, nichts anderes als eine didaktisch bereits gerichtete Heuristik dar, sich erstens mit dem gewählten Aspekt eines Gegenstandes gezielt vertraut zu machen und zweitens in übersichtlicher Weise Optionen zu ent- Gerdsmeier: SOS 2 25. Das Grummeln der Altvorderen 64 wickeln, eine im jeweiligen Einzelfall besonders günstige Kom- ponente des Strukturkerns in der Unterrichtsplanung zu berück- sichtigen; nichts hindert andererseits daran, mit gutem Grund Elemente außerhalb des Strukturkerns - besonders Elemente der Aura - ins Zentrum der Unterrichtsplanung zu rücken. Der Struk- turkern bindet niemanden und nichts. Er empfiehlt nur über- sichtliche Wege für informative, analytische und konstruktive Bewegungen, Wege, die fachlich und fachdidaktisch solide schei- nen. Diese Bewegungen anhand des Strukturkerns zu unternehmen, wäre (nach der Wahl des Strukturbereichs) der zweite Schritt bei der Beschäftigung mit dem Gegenstand, dem im dritten Schritt - unter Berücksichtigung außerfachlicher Gesichtspunkte - eine konzeptionelle Grundidee erwachsen mag (die sachliche, methodische und szenische Elemente einschließt). Überblickt man abschließend die vorgeschlagenen Strukturberei- che, läßt sich ablesen, daß den in der Praxis wirtschaftlicher unterrichte auf so fatale Weise überragenden "Strukturkernen" des Klassifizierens und Auflistens eine didaktisch begründbare Existenzberechtigung abgesprochen wird. 39 25. Das Grummeln der Altvorderen Modern ist alles, was Du sagst, glaubt man Deinen Ausdrücken. Wer hätte je von Strukturbereichen, Strukturkernen, einer strukturellen Aura, einem strukturellen Hof, einer Heuristik des "Einfachen Allgemeinen" oder den sonstigen Verfahrensvor- schriften gehört? Aber was ist ihre Substanz, was Erweiterung bisheriger Substanz? Erfahren wir erstmals, daß Lernen vom Einfachen zum Schwierigen voranschreiten soll? Nicht das Prinzip, das viele erfolgreich beherzigen, ist banal, banal ist es, Vertrautes als Entdeckung zu feiern! Ist es originell zu versuchen, ein Fachgebiet über einen über- schaubaren Satz von Kategorien zu erschließen? Das wird schon seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert - etwa vorbildlich in der Politikdidaktik40 - und selbst in der wirtschaftsdidaktik mit ihren zahllosen didaktischen Matrizen. Und dort haben die Kategorien sogar den Vorzug, nicht auf einzelne "Struktur"be- reiche beschränkt zu bleiben. 41 Und ist der Gesichtspunkt des Exemplarischen neu, der sich auf- grund der Heuristik des "Einfachen Allgemeinen" gelegentlich einstellen wird, weil der jeweilige Inhalt ja das Differenzier- te eines Allgemeineren sein soll? Warum werden altbewährte Ein- sichten in kruden Einfällen und Ausdrücken versteckt? Und wo bleibt der Nachweis, daß Strukturkerne mehr sind als mondsüchtige Erfindungen? Man hätte ganz gerne einmal einen ge- sehen - wenigstens einen, um dabei auch das Verhältnis von In- haltlichem und Methodischem abzuwägen: Ob sich die Anwendung des Prinzips des 'Einfachen Allgemeinen' nun wie analytisch be- absichtigt von methodischen Überlegungen freihalten läßt, ob ein mehr inhaltlich fixierter "Strukturkern" nicht ganz unge- Gerdsmeier: SOS 2 25. Das Grummeln der Altvorderen 65 wollt als eine Abbilddidaktik höherer Art methodische Wege be- reits weitgehend festgelegt und ob ein Unterdrücken methodi- scher Gesichtspunkte bei der Entwicklung gestalterischer Ideen nicht eine Lähmung schöpferischer Kräfte nach sich zieht. Man hätte gern gewußt, ob es sich lohnt, Sklave einer (anderen) Form zu werden. Aber wozu nach dem Duft einer Blüte fragen, die keiner kennt . • Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 66 26. Die Betonung des Neufördernden 26.1 Förderliche Vorbemerkungen Kann man nicht aus (vormals) bewährten Materialien ein neues Haus bauen? Kann dieses Haus nicht wohnlicher sein als das vor- hergehende? Was nützt es, den Adel bestimmter didaktischer Prinzipien hervorzuheben, wenn niemand ihnen huldigen will? Ist es da nicht segensreicher, die Prinzipien als Mitglieder eines profanen Ensembles auftreten zu lassen, das in pragmatischem Kontext didaktische Reflexion handhabbar und hinlänglich gut zu machen verspricht? Denn bessere Ideen ziehen die einfachen Vor- schläge nach sich, die dem Denken einen Fixpunkt anbieten, der anziehend oder abstoßend Bewegung erzeugt, als die großen, ab- sichtsvoll unbestimmten AUfforderungen, an denen das praktische Interesse so vieler keinen Halt findet, die so viele entmuti- gen, ohne Rat lassen und am Ende ganz vergessen werden. Handhabbarkeit und Güte der Planung werden durch zwei Vorlei- stungen begünstigt. Zum einen durch die Zerlegung der großen Planungsschritte, bei denen nicht mehr absehbar ist, wo sie schließlich niederfahren werden, in eine Sequenz überschaubarer und gangbarer Kleinschritte. Zum anderen durch bereichsspezi- fisch Vorgedachtes, das zwischen der Allgemeinheit der didakti- schen Prinzipien steht, die keinen speziellen Gegenstand ins Auge fassen, und der Besonderheit eines speziellen Themas; es ist vorgetane (Denk-) Arbeit, die in die Analyse und Strukturie- rung von Gegenstandsbereichen "investiert" wird, um die prakti- sche Planungsarbeit eines Themas (bei gleichem Zeitaufwand) produktiver zu machen. Dieses als bereichsspezifischer Struk- turkern Vorgedachte sensibilisiert für die 'aufschließenden Aspekte', die in einem Thema stecken, und erleichtert die Ab- kehr von Planungen, die sich an Abbilddidaktiken, Klassifika- tionen oder methodischen Einfällen orientieren, weil alternati- ve Pfade aufgrund der Vorarbeiten auch bei "neuen" Themen rela- tiv einfach zu finden sind. Dabei soll das Vorgedachte nicht ein starres Schema sein, das sich nun in jedem Thema erfüllen muß, sondern lediglich ein gedanklicher Anker, der das Hervor- bringen von Ideen erleichtert. Während nämlich der Vorsatz, für einen Gegenstand aufschließende Betrachtungsweisen zu "finden", kognitiv in dieser Allgemeinheit fast zu unbestimmt ist, als daß er überhaupt (oder ohne Symptome der Überlastung) eingelöst werden könnte, enthält das Vorgedachte Vorschläge, die kognitiv vergleichsweise einfach daraufhin geprüft werden können, ob sie sich auf eine spezielle Thematik anwenden lassen, warum gegebe- nenfalls nicht, welche Abweichung informativer wäre und der- gleichen mehr. Selbst die Zurückweisung des Vorgedachten ver- spricht ein besseres Verständnis des Gegenstandes und das Aufkeimen neuer Ideen. Es wiederholt sich hier im Kleinen, was für das gestalterische Ganze gilt. Es ist ja schon mehrfach betont worden, daß die konzeptionelle Entscheidung für einen unterricht sich weder technisch (und unschöpferisch) aus den Vorgaben "heraus"trans- formieren läßt, noch einzig auf dem Wissen um fachdidaktische Setzungen, handwerkliche Fehler, Strukturbereiche und Struktur- kerne beruht, vielmehr Setzungen, die außerhalb der Fachdidak- Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 67 tik liegen, sowie methodische Einfälle (möglichst produktiv) einbezieht. Der bloß "schöpferische Zusammenhang" zwischen den Prämissen und dem Resultat entbindet zwar von den Auflagen lo- gischer Stringenz, nicht aber von der Pflicht, getroffene Ent- scheidungen zu begründen. Und das gilt gleichermaßen, wenn in Schritten, die wir später zu WÜrdigen haben (vgl. Kap. 35), die gewählte konzeptionelle Idee sukzessive weiter ausgestaltet wird. Abb.3: Bausteine tür (das fachdidaktische Reden über) die Planung von Unterricht sonstige PädSg71-fachdidaktlsch~ gisehen Satzungen Setzungen (vgl. Kap. 9.5 a11 a18,19) handwerkliche Fehler (Vgl Kap. 19, 20) dIsziplInAre Stru k tur bereiche (Kap. 24) - allgmeine fachd idaktlsche Begrundung sonstige Gesichts- punkte Stru k tur kar ne (Kap. 26) Konzeptionelle Ausgangsidee (sachlich und u.U. szenisch) -BegrOndung der Grunden tscheidung übergehen wir die Frage, ob 'konzeptionelle Grundidee I nicht nur ein anderer Ausdruck für 'Richtziel ' oder 'Groblernziel ' ist (natürlich nicht!), das nun in speziellere Ziele zerlegt werden müsse, die dann zu operationalisieren sind ... übergehen wir es, weil es bei Lehrern für diese Form des Umgangs mit Lernzielen keine Hinweise gibt, weil dieses Vorgehen nicht zu besseren unterrichtsideen führt, allenfalls bei analytischen Sonderinteressen bedeutsam wird und weil sich Operationalisie- rungsbemühungen mit der normativen Idee des Verstehens nur schlecht in Einklang bringen lassen. Wenden wir uns den viel entscheidenderem Einwand zu, der Beweis für die Existenz bereichsspezifischer strukturkerne stehe aus, mehr noch, es gäbe bislang über sie nicht einmal Vorschläge oder Beschreibungen. Wagen wir uns an einige Vorschläge! Gerdsme;er: SOS 2 26. O;e Betonung des Neufördernden 68 26.2 Förderliches zum Strukturbereich der rechtlichen Normen Man stelle sich einen Lehrer vor, der im unterricht die "Men- schenrechte" behandeln soll. Wird er nicht einfach die "allge- meine Erklärung der Menschenrechte" in der Charta der Vereinten Nationen hervorholen (oder eine berühmte vorgängige Erklärung) und dann die Artikel mit den Schülern 'durchgehen'? Oder, wenn er gut informiert ist, herausstellen, daß der Codex der Men- schenrechte aus neun allgemeinen Dokumenten (zwei Erklärungen, zwei Pakten, zwei Konventionen und drei Chartas) und etwa 20 Spezialabkommen besteht, und sich dann einzelnen Bestimmungen zuwenden? Vielleicht wird er den Gegenstand auch auf die Grund- rechte des Grundgesetzes "reduzieren" und mit Art 1 GG begin- nen. Das wahrscheinliche Ergebnis ist in allen Fällen ein lang- weiliger, rechtlich-institutionenkundlicher unterricht ohne Fragestellungen, mit AUfreihungen oberflächlich bearbeiteter Einzelinformationen. Betrachten wir das Vorgehen eines Experten (der ebenfalls den Strukturbereich rechtlicher Normen gewählt hat): "Der heutige internationale Codex der Menschenrechte verdankt seine Entste- hung vielen Ereignissen, Ideen und Bewegungen vieler Jahrhun- derte und ist das Ergebnis vieler zusammenwirkender Kräfte. Man kann daher nicht einfach seine Texte aufschlagen, in der Hoff- nung, sofort ihre Bedeutung zu verstehen oder ihre Verflechtun- gen zu erfassen, ohne vorerst einige Kenntnisse ihrer Vorgänger und ihrer Zusammenhänge zu erwerben: Wie es dazu kam, daß der Codex eingesetzt wurde; was ihm vorherging; was an ihm neu ist; welchen Zwecken er dienen soll; nach welchen Regeln man ihn ausleqen muß; wie er wirken soll und wo seine Grenzen lie- gen. ,,42 Unser Experte stellt an den Anfang seiner überlegungen nicht nur' die Einsicht, daß ein Gegenstand (z .. B. eine rechtliche Norm) nicht aus sich selber verstanden werden kann. Er entwik- kelt nicht nur eine Fragestellung, die den nötigen Abstand, aber auch die differenzierungsfähige Perspektive herstellt ("Welches Problem Menschenrechte lösen sollen und wie sich ihre Kodifizierung vollzogen hat."). Er führt nicht nur mit lockerer Hand bereits das Bündel jener Fragestellungen ein, die das Gros des Strukturkerns "rechtliche Normen" ausmachen. Er macht sich auch an die Beantwortung der Fragen und beginnt bei einem Ein- fach-Allgemeinen größter Radikalität: bei der Arbeitsteilung frühdörflicher Gemeinschaften! Vieles, was nun folgt, differen- ziert diesen (typisierten) Sachverhalt aus. Arbeitsteilung im- pliziert Organisationen, Regeln, Gesetze u.ä., die das Zerlegte wieder zusammenfügen. Deren Durchsetzung (aber nicht nur die) erfordert Machtausübung. Als eine mögliche bildet sich staatli- che Macht heraus. Lösungsbedürftig wird damit ein praktikables Gleichgewicht zwischen den Interessen der Regierenden und Re- gierten. Dafür kommen verschiedene rechtliche Konstruktionen (auf göttlicher, moralischer, naturrechtlicher oder sonstiger Basis) infrage, die historisch auch ihre Bedeutung hatten. Die Beschäftigung mit ihren Voraussetzungen und Grenzen führt zum Konzept der Menschenrechte, die (wie etwa Absprachen über Maße) auf bloßer übereinkunft beruhen, was sich als spezielle Stärke und Schwäche herausarbeiten läßt. Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 69 will man an dieser stelle nicht nur schnell noch einige Punkte herausstellen, für die sich Regelungsbedarf faktisch als wich- tig herausgestellt hat, für die dann Grundrechte entwickelt wurden, die nun beispielhaft oder einzeln (oder zuvor grup- piert: Individuelle, kollektive Freiheitsrechte, körperliche, geistige Freiheiten .•. ) vorgestellt werden, mit denen speziel- le Erfahrungen gemacht wurden usw., so ist an diesem Punkt ein Nebenstrang einzuführen, der die Entstehung und Entwicklung des Völkerrechts behandelt - und unser Experte verfährt auch so. Denn der Codex der Menschenrechte ist internationales Recht und hat Teil an dessen Schwächen, mußte im Rahmen bestehenden Völ- kerrechts entwickelt werden. Er ist ein vorläufiges Zwischener- gebnis, das mühsam, diskontinuierlich und ohne übernationalen Gesetzgeber aus nationalen Proklamationen hervorging und in der Geltung ohne Zwangsmittel, die eine staatliche Einhaltung des Völkerrechts gewährleisten könnten, auf die Völker und in den Vertragsinhalten ausgedehnt werden mußte; es gab Rückschläge, neue Anläufe, denen der jeweilige spezielle Kontext den Stempel aufdrückte ... Auf diesem Wege gelangt man zu den heutigen Do- kumenten, ihren Bestimmungen, deren Würdigung im Einzelfall und in der Generallinie, daß nämlich in eigentlich allen Ländern noch große Anstrengungen erforderlich sind, die Menschenrechte in die Praxis umzusetzen. Die in groben strichen nachgezeichnete Argumentation ist in gleichermaßen großzügiger Vereinfachung in die Abbildung 4 übertragen worden. Dabei ist - jedenfalls bei dieser (durch die Fragestellung konstituierten) Perspektive - sinnvollerweise ein jedes "stichwort" allgemeiner angesetzt als jedes rechts von ihm stehende: Ausgangsüberlegungen differenzieren sich aus. Für die Fülle des gehaltvoll Differenzierbaren, die in der Abbil- dung nicht wiedergegeben werden konnte, steht summarisch der sich öffnende "Keil". Die Abbildung illustriert die Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen', wobei sich der Gesichtspunkt des Einfachen aus der Verstehensanforderung , der des Allgemeinen aus der Setzung ergibt, Lernen als Differenzierungsprozeß anzu- legen. Die entstandenen Argumentationsbögen sind von der gewählten Perspektive abhängig. Fragt man nicht, wozu Menschenrechte die- nen sollen und wie sie ihre Aufgabe in welcher Weise erfüllen können, sondern beispielsweise danach, was heute die ErfÜllung religiöser oder politischer "Sendungen" behindert, wird man zu anderen Verknüpfungen gelangen, obwohl teilweise dieselben "stichworte" verwendet werden. Insofern ist das Vorgehen, ob- wohl aus analytischen Gründen zunächst auf den einzigen Ge- sichtspunkt 'wissenschaftsbestimmten' Verstehens verengt, nicht mit einer abbilddidaktischen Herangehensweise gleichzusetzen. Nur in jenem Grenzfall, in dem nur Fragestellungen zugelassen werden, die zugleich solche der Bezugsdisziplin sind, was hier entschieden abgelehnt wird, fallen beide Vorgehen weitgehend zusammen. Nicht jede Fragestellung eröffnet dem 'Einfachen Allgemeinen' Anwendungsmöglichkeiten. Das macht eine solche Fragestellung nicht bedeutungslos. Aber zum einen mag die Frage den Lernern (noch) nicht angemessen sein, denn endgültig kann ein Einfaches V ) o CI ) N N () \ o (D tD (D r+ g C ~(D ,C) (D ., Q. VJ i Q. (D VJ Z (D C ~ 0: , Q. (D ., 5- (D ~ ~E rf ah ­ ru n ge n m it d. A nw en - du ng d. M e n s c h e n - re c ht e In sg e- R ef or m s a m t ~ b e st re - b u n ge n/ W id e r- s tä n d e ~E rf ah ­ ru n ge n m it E In z e l- b e st im - m u n ge n ~ A us le - gu ng s- u n d A n- w e n du ng s- fr ag en E rf a h ru n g e n / W ür di gu ng en ~ Ju ri st i- s c he F o l- ge pr ob le m e ~ V er hä It - n ls G ru nd - ge se tz / M e n sc h e n - re c h te E ln ze l- b e st im - m u n ge n In s tl tu t/ a - n a l/ sl e rt e " L (J su ng en · E rk lä ru n - ge n, P a k- te , K on ve n- tio ne n, C ha rt as , G as e tz e Ie m pI rI sc h I I re le va n te K o n f/ lk ta u s- I Ip rI Jg un ge n I I I I I I . re ge lu ng s- b e d O rf tig e , K o n fl ik te - D ur oh - s e tz u n gs - pr ob le m e de s K on - z e pt s It M e n s c he nr ec h te " · · · · · · · · se din - re llg lö se l gu ng en m o ra lls ch e l u n d n a tu rr e o h t- E rf a h - lie he L ö - ru n ge n s u n ge n - - - I I M e n s c h e n - re c ht e a ls ü b e re in - ku nf t ~ . . • . . . . :: :: :: :: :. . :.. . re c h tl l- . . :: ·· ·· ·· ·· ·· \ie rh äl tn ls v o n o he /e u- E n tw lo k - " . G em ei ns ch af te n ß er re oh t- lu ng de s te ra ln an de r lie h e _ _ V ö lk e r- L - " W eg e- re o ht e lfa kt is ch e - E in ba u de r E n tw ic kl u n g M en sc he n- re c h te In d. V ö Ik e r re c h t A bb . 4: S tr uk tu rie ru ng de s B ei sp ie ls Iko ns tl tu - I L (J su ng sw eg e Iti ve r K on - I If ll k t I I I I I I I I I I I I 1... . . . I re c h t- · · · · · · · V er hä lt - lie he . . . . . - O rg an l- n la ~a 8e r- A rb e lt a - s a tl o n /- In d lv l - r e c h t- - · · . . . . . ~~ ll un g M ac ht du um lie he . . . . . . . . . u n d " W eg e" . . . . . S ta at . :: - hi s to r Is e he r V er la uf "" 11 o Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 71 erst im Verhältnis zum Vorverständnis der Lerner bestimmt wer- den. Zum anderen zielen manche Fragestellungen auf ein "Spe- zialwissen" und sind aus diesem Grunde ungeeignet. Der Gegenstand wird aus einer bestimmten Perspektive beleuch- tet. Dieses Herangehen ist nicht zu verwechseln mit Anwendungen des exemplarischen Prinzips: Während die Heuristik des 'Einfa- chen Allgemeinen' den speziellen Inhalt eines Strukturbereiches verständlich machen will, geht es beim exemplarischen Prinzip darum, anhand eines speziellen Inhalts wichtige Eigenschaften des Strukturbereichs (oder seiner Teile) aufzuhellen. - Diese Grenze mag allerdings durch die Wahl der Exempel und die Reich- weite und Akzente der Verallgemeinerungen im Einzelfall ver- wischt sein. Vergleicht man die Argumentationsroute des Experten, bildhaft im "Keil" angeordnet, mit der rechtlich-institutionenkundlichen Reihung von Einzelinformationen beim fiktiven Lehrer, hier re- präsentiert durch das große Rechteck, so zeigt sich, daß die Reihung quer zum Differenzierungsprozeß steht. Man sieht ihr das Additiv-statische förmlich an, ihre Unverbundenheit und Verkapselung, ihre GefÜhllosigkeit für die Unmöglichkeit, rechtliche Bestimmungen aus sich selbst heraus zu verstehen. Ihr Enklavendasein wird, wie wir wissen , mit wiederkehrenden Argumenten verleugnet. Man bestreitet die Natur der Enklave, weil man sich ein "Drumherum" gar nicht vorstellen kann. Oder man postuliert, daß alle vorbereitenden Differenzierungen schon erarbeitet seien und in diesem ProzeB fortgefahren werde - aber man trifft Lehrer bei jedem Thema just immer an der formal sel- ben Stelle (des Abhakens von Einzelbestimmungen) und mit der immer gleichen Fraglosigkeit. Oder man versichert, daß die zeit fehle, ein Thema vom Allgemeinen her zu entwickeln - obwohl doch gerade die Sinnlosigkeit und der Stumpfsinn des Mar- schierens in der Enklave die viele zeit kosten. Oder man gibt regelmäßig vor, bei diesem Gegenstand bestehe ein differenzier- tes Vorwissen. Oder man behauptet für die Berufsschulen einen besonderen Anwendungsbezug und einen Primat des Spezialwissens, so daß es wichtiger sei, Einzelheiten von Differentem zu kennen als das dem Differenten Gemeinsame. Obwohl dieses Argument im Einzelfall plausibel sein mag, muß es als Generallinie abge- lehnt werden, wenn das Postulat verstehenden Lernens gelten soll und Lernen als Differenzierungsprozeß aufgefaBt wird. Das in der Spitze des "Keils" angesiedelte Verständnis ist dann al- lemal wichtiger als eine späte, dabei "grundlose" Differenzie- rung. Und wer als Bauherr die Fundamente gut legt, muß nicht unbedingt der letzte sein, der seine Wände hochgezogen hat. Das "keilförmige Spektrum gehaltvollen Differenzierens" ver- langt auch nicht danach, im unterricht stets gänzlich entfaltet zu werden: Je nach thematischer Akzentuierung ist es sogar ge- boten, "überflüssige" Differenzierungen auf Vorrat zu vermei- den. Das gilt in doppelter Weise. Zum einen ist bei einer Vor- gehensweise, die dem Argumentationsbogen folgt, sichergestellt, daß der Ausdifferenzierungsprozeß an fast jeder Stelle abgebro- chen werden kann und das zuvor Erarbeitete, weil es das jeweils Allgemeinere ist, stets eine sinnvolle Information bleibt. Zum Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 72 anderen werden nicht immer "alle möglichen" Differenzierungen benötigt. Wer den Sinn des AGB-Gesetzes verständlich machen will und den Diskurs kühn beim Einfach-Allgemeinen des Gelin- gens und Mißlingens alltäglicher Handlungen ansetzt, benötigt keine zeitverzehrenden Exkurse über Verträge und Kaufverträge. Diese überlegung fällt vielen Lehrern schwer, weil sie es ge- wöhnt sind, im AGB-Gesetz einzig eine Ergänzung des Kaufvertra- ges zu sehen, und dabei nicht bemerken, daß die vertragsrecht- liche Betrachtung selbst nur eine sehr spezielle Folie über einen allgemeineren sozialen Vorgang zieht. Der durch die Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' entdeckte Argumentationsbogen - vereinfachend wurde bisher so getan, als könne es nur den einen geben - trägt ausschließlich dem didak- tischen Gesichtspunkt des 'wissenschaftsbestimmten Verstehens' Rechnung. Eine Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte - etwa der Vorerfahrungen der Schüler, ihrer emotionalen Bedürfnisse, ihrer Vorlieben für Lernwege u.ä. - mag einem Lehrer bestimmen, das Thema 'Menschenrechte' anhand eines aktuellen Falls über Asylanten, die Gleichberechtigung der Frau, den Schutz der Pri- vatsphäre o.ä. zu bearbeiten. Diese didaktisch-methodische Freiheit ist durch das vorgeschlagene Verfahren nicht behin- dert. Es ist allerdings sorgfältig zu prüfen, ob die Schüler die "grundlegenden Vorverständnisse" wirklich besitzen oder ob sie mit dem Fall dieses Verständnis (gegen die strömungsrich- tung der Argumentationslinie im "Keil") erwerben können. Der ausdifferenzierte Argumentationsbogen erweist sich gerade auch hier als hilfreich, weil sich die Einsatzbedingungen des Falls, seine Bearbeitungsrichtungen und wünschbaren Akzentuierungen oder Anreicherungen sehr viel genauer einschätzen lassen als ohne dieses Bezugssystem. Bisher war für den Strukturbereich der rechtlichen Normen von einem Strukturkern noch gar nicht die Rede, sondern nur von der einen Anwendung der Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen'. Das war Absicht, um mit der Heuristik vertraut zu machen. Erst wenn die bei einem Gegenstand gelungenen Anwendungen der Heuristik auch bei zahlreichen anderen Gegenständen dieses Strukturberei- ches erfolgreich sind, ist etwas für den Strukturbereich so durchgängig Aufschließendes bloßgelegt worden, daß es eine Fi- xierung als "Strukturkern" verdient. (Und das, was "bloß" bei einem einzelnen Gegenstand sinnvoll anwendbar ist, soll der "Aura" dieses Gegenstandes zugeordnet werden.) Allerdings wird er hier bei beispielhaften Überlegungen, die eine Trennung im Strukturkern und Aura nicht zulassen, und bei Skizzen zum Strukturkern bleiben müssen. Die beispielhafte Anwendung der Heuristik beim Gegenstand 'Men- schenrechte' brachte als aufschließende Kategorie den 'rege- lungsbedürftigen (Grund-lKonflikt'. Sie zog Gesichtspunkte wie 'beteiligte Interessen', 'Macht der Konfliktparteien' u.ä. wie einen Schweif nach sich. Der Konfliktgesichtspunkt läßt sich weiterspinnen in der Dimension der 'grundsätzlich möglichen Lö- sungswege', ihrer 'Voraussetzungen', 'Auswirkungen' und 'fakti- schen Real isationen', ihrer 'Handhabbarkeit', der 'Würdigung der institutionalisierten Lösung' und 'möglicher Reformbe- strebungen ' . Gerdsme;er: SOS 2 26. O;e Betonung des Neufördernden 73 Obwohl es nur ein Herunterbrechen dieser Argumentation auf Einzelkonflikte und Einzelbestimmungen ist, kann man in einer zweiten Linie nach den 'empirisch relevanten Ausprägungen des Grundkonflikts' fragen und jeweils wieder nach den Lösungsmög- lichkeiten, institutionalisierten Lösungen, Erfahrungen usw. Da die Güteabwägungen bei der Suche nach Konfliktlösungen nicht im idealen Raum stattfinden, sondern unter vielfältigem, situa- tivem Druck stehen, mag es in Fällen, in denen der Druck für die Ausgestaltung der Regelung prägend wurde, sinnvoll sein, die eher analytischen Vorgehensweisen zugunsten einer dritten Linie zu verlassen, die sich historisch-beschreibend um das Verständnis der Bestimmungen bemüht. Als vierte Abspaltung mag eine Linie zugelassen sein, die bei Reformbestrebungen hinsichtlich einer bislang akzeptierten Lö- sung ansetzt und bei der Behandlung der (möglicherweise) strit- tigen Punkte die insgesamt auszugleichenden Interessen durch- scheinen läßt. Diese Abspaltung gerät allerdings bereits in die Nähe von Methodenentscheidungen, weil aktuelle Veränderungsbe- streben materiell keinen Bedeutungsüberschuß gegenüber früheren beanspruchen können - außer daß das Ergebnis noch offen ist. Aus methodischer sicht ist es besonders einfach über jene Nor- men zu reden, die umstritten sind: Zwar reden auch jetzt die Dinge nicht für sich selber, aber die Interessenvertreter tun es vernehmlich und 'frei unterricht'. SChwieriger ist die Be- handlung von Regelungen, die "funktionieren" und selbstver- ständlich scheinen; werden die Regelungen dann noch einfach als rechtliche Folie über individuelle Pragmatiken gezogen, er- schöpft sich Lernen leicht darin, ein Verhalten so auszurich- ten, daß bestimmte rechtliche Wirkungen erzielt oder vermieden werden. Man ist dann von einer Reflexion des gemeinten sinns der Regelungen weit entfernt. Der Sinn erschließt sich tenden- ziell nur über Verfremdungen oder Gedankenexperimente, die zei- gen sollen, was sich ergäbe, wenn die Regelung nicht oder nicht so bestehen WÜrde; oder er bedarf einer Rückbesinnung auf jene Argumente, die bei der Einführung der Bestimmung eine Rolle ge- spielt haben. Betrachtet man verschiedene Gesetze und Bestimmungen, erweist sich die Kategorie des Konflikts sehr häufig als 'aufschlie- ßend' bei der Suche nach einem einfachen und allgemeinen Argu- mentationsbogen. Gleiches gilt für die vier skizzierten Linien. Diese Elemente werden daher als vorläufige Teile eines Struk- turkerns im Strukturbereich rechtlicher Normen aufgefaßt (ohne daß die Berechtigung für dieses Vorgehen hier weiter bewiesen werden könnte). Es gibt aber durchaus Gegenstände, bei denen diese Zugriffs- weise mißlingt - weil Gesetze Systeme aus Bestimmungen darstel- len und sich nicht jede Bestimmung unmittelbar auf einen Kon- flikt bezieht. In manchen Fällen gelingt hier ein beim Einfa- chen ansetzendes Verständnis, wenn man sich in die situation zurückversetzt, in der die Bestimmung formuliert wurde, und da- nach fragt, was damals geklärt (oder geregelt) werden sollte. Dieser 'Rückgriff auf die Entstehungssituation' erweist sich beispielsweise als sehr hilfreich bei der Beschäftigung mit den Gerdsme;er: SOS 2 26. O;e Betonung des Neufördernden 74 Kaufmannseigenschaften. In anderen Fällen ergibt sich ein Ver- ständnis nur aus einer Erhellung der 'Rechtssystematik '. Da dieser Weg ein tiefes fachliches Vorverständnis voraussetzt, sollte man ihn Laien nur ausnahmsweise zumuten. Nichtsdestowe- niger sollen beide Zugriffsweisen in den Strukturkern übernom- men werden (vgl. Abb. 5). Für die erste Charakterisierung eines strukturkerns 'rechtliche Normen' mögen die bisherigen überlegungen genügen. Es sollte auch bereits jetzt erkennbar sein, daß es wenig Grund gibt, in der bisher üblichen, fraglosen Art im unterricht über Mängelrü- gen, Mutterschutz oder Kündigungen MerksatZfähiges zu verbrei- ten. Wer bei diesen Gegenständen heute wenig mehr lernt als Fristen, hat nicht nur deshalb nichts verstanden, weil er sie morgen bereits wieder vergessen hat. histor Ische Konfli ktentwicklungen und -lösungen Reformbestrebungen (+ Folge- kriterien) zu vorhandenen Regelungen Rechts- systematik ..------.1Entstehungs- situation der Norm Rück- gr i ff auf· Thema Strukturbereich 'rechtliche Normen' Abb.5: Elemente zum Strukturkern im Strukturbereich IrechtlicheNormen' (in der Notierung als Argumentationsbögen)[lnterpretation vgl. Text] ~ Grundkonfllkt(e) (+ Folgekriterien) '--z-u-r-e-ge-I-n-de-r---':::::....s Einzel konti Ikt(e) (+ Folgekri terlen) Konfli kt Eine andere Form, Strukturkerne bildlich darzustellen, könnten Netzwerkdarstellungen sein (Abb. 6). Ihre Stärke läge darin, sachliche Verknüpfungen deutlicher hervortreten zu lassen; auch ist zu erwarten, daß sie dem Denken von Lehrern bei Unter- richtsplanungen näher stehen als eine Abbildung, die darauf ab- stellt, mögliche Argumentationsbögen abgekürzt zu notieren. Die größere "Praxisnähe" erhöht allerdings die Risiken erheblich, daß bei einem speziellen Gegenstand nicht mit der nötigen Radi- kalität und Gradlinigkeit nach Ausgangspunkten geforscht wird, die einfach und allgemein sind, vielmehr das Methodische wieder überhand gewinnt. Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 75 Abb. 6: Elemente zum Strukturkern im Strukturbereich Irechtriche Normen J (als Verknüpfungsdarstellung)[lnterpretation im Text] 26.3 Förderliches zum Strukturbereich der Kalküle Wurden Kalküle - außerhalb der Mathematik - je einer fachdidak- tischen überlegung für Wert befunden? Ist nicht gerade hier ein Gegenstand - etwa der betriebliche Lagerbestand - immer gleich mit dem quantifizierenden Kalkül und dieser mit einer Rechen- formel gleichgesetzt worden? Beschränkten sich nicht gerade hier die Betrachtungen auf Methodisches, die Formel zu illu- strieren, oder Reduktives, die Herleitung der Ausformulierung der Formel zu vereinfachen? Bleiben wir im Strukturbereich der Kalküle; übergehen wir ande- re denkbare Perspektiven und Zuordnungen des beispielhaften Ge- genstandes: Wie hoch ist in der BRD das in Lagerbeständen ge- bundene Vermögen? Welchen Stellenwert haben die Bestände bei der Entwicklung neuerer Produktions- und Warenwirtschaftssyste- me? Mit welchen Verfahren bewältigen Speditionen die mit Ände- rungen im Lagerbildungsverhalten einhergehenden Aufgaben? Wel- che Umweltprobleme ergeben sich aus den Lagerhaltungen? Warum wird die Lagerhaltung in gesamtwirtschaftlichen Prognosemodel- len in der Regel nicht als Variable berücksichtigt? Bleiben wir also im Strukturbereich der Kalküle und der Berech- nung der 'optimalen Lagerhaltung'. Was immer man berechnet, man wird es nur verständig interpretieren können, wenn es als Ergebnis einer speziellen Modellierung erkannt wird, die teils erzwungen ist, teils auf Konventionen beruht. Erzwungen wird sie durch die schiere Unübersehbarkeit der Zahl an Variablen, auf die hin optimierungen betrieben werden könnten. An den An- fang sind demnach Festlegungen der Zielgrößen gestellt - nach- dem die Vorentscheidungen getroffen wurden, Modellierungen in Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 76 der Sonderform der Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen und diese als 'Optimierung' auszugestalten, was i.d.R. mit Berechenbar- keit gleichgesetzt wird. Eher konventionell sind dann die Ein- beziehung und Ausgrenzung von Einflußgrößen angesichts der Fül- le potentiell bedeutsamer Wirkungszusammenhänge , konventionell in der Festlegung der Ausprägungen der Variablen (konstant, va- riabel, stetig, unstetig, bekannt, geschätzt u.ä.), konventio- nell die Zuschreibung von Werten zu den Variablen (z.B. Kosten der Lagerverwaltung) , konventionell das Operieren mit Durch- schnittswerten, die Periodisierungen usw. Keine dieser Ausge- staltungen folgt einer zwingen Vorgabe des geduldigen Kalküls oder einem höheren Gesetz: Es ist eben nur üblich (und z. T. rechtsverbindlich niedergelegt worden), externe Kosten und öko- logische Auswirkungen durch Transporte oder die Unlust von Mit- arbeitern durch veränderte Lagerorganisationen unberücksichtigt zu lassen. Man mag einwenden, daß die Auswahl der Variablen, mehr noch die Festlegung ihrer Ausprägungen "realitätsgerecht" erfolgen wer- den, weil man sonst 'unter dem strich' nicht zu optimalen Er- gebnissen komme. Wer so argumentiert, übersieht dreierlei. Er- stens werden Institutionalisierungen, die ja auf Übereinkünften beruhen, mit einer außerhalb von Gestaltungen liegenden "Reali- tät" identifiziert. Zweitens wird von Berechnungen in aller Re- gel nicht verlangt, daß sie - im Rahmen der Vorannahmen - völ- lig genau sind; verlangt werden 'hinlänglich gute Schätzungen', die - je nach Anspruchsniveau - erheblichen Raum für Ausgestal- tungen des Kalküls lassen. Und drittens wird die Tendenz nicht bemerkt, Kalküle im Hinblick auf die Lösbarkeit und auf Kosten des 'Realismus' einfach zu halten. Zumindest für den 'Prototyp eines Kalküls' werden nur wenige Variablen einbezogen, mathema- tisch leichter handhabbare Merkmalsausprägungen gewählt, perio- denübergreifende Effekte ausgeschlossen, Verknüpfungen mit , tangierten' anderen Kalkülen ausgeblendet usw. Erst danach werden diese Begrenzungen Zug um Zug aufgehoben, zunächst unter der Nebenbedingung , weiterhin eindeutige analytische Lösungen zu erhalten; bei höherstrukturierten Modellen muß diese Bedin- gung aufgegeben und meist auf heuristische Verfahren ausgewi- chen werden. · Der (Wieder-)Aufbau von Komplexität wird in den kaufmännischen unterrichten nicht mehr nachvollzogen. Selbst die einfachen La- gerhaltungskalküle werden als so sChwierig eingestuft, daß der Sachverhalt auf das Teilproblem einer 'optimalen Bestellmenge' beschränkt wird, das aber meistens, in eine sachzwanghafte Lö- sungs-Mechanik überführt, nur noch grafisch illustriert wird oder sich in eine unvernetzte AUflistung 'relevanter' Einfluß- faktoren auflöst, weil die Berechnungsformel, die man sonst heranziehen müßte, aus einer quadratischen Funktion zu bestehen pflegt. Der hier skizzierte Argumentationsbogen meidet das Sachzwang- hafte wie das Beliebige. Er setzt bei der Einsicht in die Not- wendigkeit der Modellierung an, klärt deren formale Eigenschaf- ten und orientiert den Prozeß der Ausdifferenzierung des Gegen- standes an der spannenden gegenläufigen Bewegung, mit der über materielle übereinkünfte einfache "Lösungen" erzielt werden, Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 77 für die nun - wie auch für die komplexeren Modelle - die "Reichweite und Güte" einschätzbar wird. (Genau genommen, hat man es mit zwei Modellierungen zu tun, einer materiellen (öko- nomischen) bezüglich des Objektbereichs (z.B. Lagerhaltung) und einer mathematischen bezüglich des materiellen Modells, wobei die errechneten Lösungen zunächst im Rahmen des materiellen Mo- dells interpretiert werden müßten, aber faktisch werden sie fast immer sofort als 'bare Münze' genommen. Es ist sehr wich- tig, diese beiden ModelIierungen sehr genau auseinanderzuhalten und möglichst getrennter zu diskutieren als das hier der Fall ist. Die mathematische Behandlung des ökonomischen Modells ist nämlich sehr viel mehr als der übergang zu einer anderen Dar- stellungsweise. Beispielsweise läßt sich zeigen - worauf hier verzichtet werden muß - daß nicht selten spezielle (außerökono- mische) Annahmen eingeführt werden müssen, damit ein Modell eine mathematische "Lösung" erhalten kann. 43 Ein Strukturkern, der auf Einsicht in das Modellierungserfor- dernis, in die materiellen übereinkünfte und in die (zunächst) leichte Handhabbarkeit von Kalkülen abstellt, wird jene nicht überzeugen, die sich eines Verständnisses ihrer Schüler sicher sind, das z.B. die Senkung konventionell definierter Kosten und die Steigerung konventionell definierter Erträge für kaufmän- nisch selbstverständliche Bestrebungen hält. Tatsächlich sind die meisten Kalküle dann nur noch materielle und mathematische "Präzisierung" eines unbestimmt Allgemeinen und werden in die- sem Sinne auch ohne Rückgriff auf den Modellierungsgesichts- punkt 'verstanden'. Gibt man sich damit zufrieden, wird ökono- misches Denken allerdings nur noch nachgespielt, aber nicht reflektiert. Und wäre es nicht lohnend, das Empfinden beispielsweise der Un- geheuerlichkeit einer Preiskalkulation wenigstens einmal her- vorzurufen. Man stelle sich in einem Gedankenexperiment mög- lichst unvoreingenommen die Ausgangslage zu zeiten des Tausch- handels oder der aufkeimenden Geldwirtschaft vor (wem das zu entfernt ist, gehe einfach 1950 in picassos Pariser Wohnung), und es sei angenommen, man versuche dort eine Preiskalkulation. Was sind denn zweifelsfrei 'relevante' Elemente des Kalküls? Darüber sollte in Ruhe nachgedacht werden. Und deshalb erzähle ich in der Zwischenzeit etwas über Bananen. Es ist schön, wenn eine (oder mehrere) der fünf großen deutschen Handelsgruppen Bananen immer wieder noch billiger anbietet. Sie können das, weil sie sie von weltweit operierenden Einkaufsgesellschaften beziehen, die mit ganz spitzem stift rechnen. Und wenn da ein Land billiger anbietet, muß die andere 'Bananenrepublik' eben sehen, wo sie bleibt. Uns machen die paar eingesparten Groschen nicht reicher - aber die Bananenproduzenten elend. Aber wer wird denn moralisieren? Die große überlegenheit der Kalküle re- sultiert doch gerade daraus, daß der Mensch in ihnen nicht mehr vorkommt. Auch 'Freigesetzte' oder Arbeitslose, die man errech- net, sind nicht Menschen - sondern eine statistik. Es ist die Art, wie ökonomen professionell denken und wie sie ihr Netz über die Welt legen. Man muß wissen, daß in den Preisen alle ihnen wichtigen Informationen zusammengefaßt sind, so daß die Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 78 Preise die ordnungspolitischen Funktionen erfüllen: die Len- kungs-, Anreiz-, Selektions-, Verteilungsfunktionen... Was sind nun zweifelsfrei I relevante' Elemente der Preiskal- küle? Fallen nicht als erstes qualitative Faktoren heraus? Ist es umgekehrt nicht auch haarsträubend, wenn diese quantitativ interpretiert werden? Wieweit wird die Auswahl oder Aussonde- rung von Elementen durch unausgesprochene Zwecke geleitet? Was bleibt bei den ausgewählten Elementen nicht alles zu gestalten, zu bündeln, zu typisieren, zu bewerten, sachlich und zeitlich zuzurechnen, umzulegen, zu unterschlagen, wegzudrücken, zu ver- knüpfen •.• Und am Ende kriegt man doch nur das, was man kriegen kann. Preiskalküle sind weder eine prometheische Hinterlassen- schaft noch natürlicher Abkunft. Sie sind Kunst-Werke mit wirk- lichen Folgen. Wiederkehrend stößt man bei den verschiedensten Kalkülen auf den Ausgangspunkt, daß ModelIierungen gleichermaßen erforder- lich wie heikel sind, daß Rechenbarmachen gleichermaßen zu wichtigen Einsichten wie Scheinlösungen führt: Was bedeutet es, wenn ein Umweltökonom den Wert eines Biotops und seiner Schmet- terlinge, der Sozialpolitiker individuelle Mindestbedarfe kal- kUliert, was bedeutet es, wenn sie es nicht versuchen? Zu die- ser Ausdifferenzierung des Grundgedankens gesellt sich gele- gentlich der (ebenfalls differenzierende) Gesichtspunkt, daß als Prämisse oder Folge der Kalkülanwendung Leistungen und Ko- sten betrieblich internalisiert oder externalisiert werden. Was sich bei verschiedenen Kalkülen darüberhinaus als gehalt- volle Perspektive herausstellt, scheint fast immer themengebun- den und der thematischen Aura zugehörig. Man denke z.B. an die besonderen Relationen zwischen Handelsreisenden und Vertretern. Wenn in kaufmännischen Unterrichten darüber nicht einfach nur rechtlich-institutionenkundlich gesprochen wird, indem HGB-Be- stimmungen nacherzählt werden, wird ein Kalkül eingeführt, der das Problem löst, unter welchen Bedingungen Unternehmen welchen Absatzmittler einsetzen sollten. Nur: Das Besondere dieser Re- lation bekommt man weder mit einer bloßen Wiedergabe rechtli- cher Normen noch im Strukturbereich der Kalküle in den Blick. Es besteht darin, daß die rechtlichen Bestimmungen durch ver- tragliche Gestaltungen, faktischen Einsatz der Personen und persönliche Rollenverständnisse längst ausgehöhlt sind. Der "konventionelle Kalkül" berechnet längst nur noch Scheinlösun- gen und verschafft Scheinklarheiten. Und daß eine "historische Modellierung" nicht mehr auf veränderte Verhältnisse paßt, ist natürlich wieder ein sehr allgemeiner Aspekt, der dem Struktur- kern der Kalküle zugerechnet werden darf. Der strukturkern im Strukturbereich der Kalküle enthält offen- bar mit dem Gesichtspunkt der unvermeidlichen Modeliierungen nur ein einziges 'Einfaches Allgemeines', an dem differenzie- rende Argumentationsbögen ihren Ausgang nehmen. Sie betonen mal mehr die Voraussetzungen, Übereinkünfte, Lösungsqualitäten und Folgen der materiellen Modell ierung , mal mehr die der mathema- tischen Modeliierung, Gesichtspunkte der Wahl des Kalkültyps, der Rechenbarmachung, der Lösungsvereinfachung, des Aufbaus von Gerdsmeier: sos 2 26. Oie Betonung des Neufördernden 79 Komplexität, der Ex- und Internalisierung von Leistungen (vgl. Abb. 7). Abb. 7: Elemente zum Strukturkern im Strukturbereich 'Kalküle' (in der Notierung als Argumentationsbögen) [Interpretation vgl Text] genauer - materielle Modeliierung (Voraussetzungen, übereinkünfte, Lösungsqualitäten, Folgen) - mathematische Modeliierung (Voraus- setzungen, übereinkünfte, Lösungsquali- täten, Folgen) - Ex- und Internalisierung von Prozessen (als spez. Folge) - später' sukzessiver Aufbau von Komplexität Wahl des Kalkültyps Rechenbar machung Gestaltung im Hinblick auf leichte Lösbarkei t Er fordernJs der Modeliierung IAusgestaltung der ModelIierung - z S.: Aushöhlung rechtl icher Be- stimmungen Strukturbereich: 'Kai kOle' Thema: z.B.; Einsatz ver- schiedener Absatz mi ttler Wer sich die Perspektive des Strukturkerns zu eigen macht, wird wenig Verständnis dafür aufbringen, wenn in Unterrichten For- meln mehr oder weniger mechanisch eingeübt werden und sich di- daktische Reflexion darin erschöpft, Tricks zu finden, unver- kennbare Gleichgültigkeit der Schüler zu überlisten, weil das, was ökonomisches (und mathematisches) Denken ausmacht (und vielleicht Interesse geweckt hätte), gar nicht erst ins Blick- feld gerät. Dabei WÜrde schon ein fachunabhängiger hermeneutischer Umgang mit dem Ausdruck 'Kalkül', der auf die Mathematik bezogen ein "Vorgehen zur systematischen Lösung bestimmter Probleme" be- zeichnet, vor Anspruchslosigkeit und Naivität schützen. Ver- weist Methode nicht bereits auf Anwendungsvoraussetzungen und deren potentiellen Wandel, das Mathematische an der Methode nicht auf das Rechenbarmachen? Steckt im Systematischen nicht bereits eine Fixierung von Anordnungen, im Bezug auf das "Bestimmte" eines Problems nicht ein Verweis auf spezielle Kal- kültypen und Zielvorgaben , und mündet beides nicht in Modellie- rungsfragen ein, die Aspekte der Ausgestaltung und Ausgrenzung von Variablen, der Informationsbeschaffung und Zuordnung, der Herkunft von Festlegungen u. ä. berühren? Und ergibt sich für ein "irgendwann" so Modelliertes nicht der Rückbezug, ob das Errechnete auch eine brauchbare Lösung ist? Gerdsme;er: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 80 Abb. 8: Elemente zum Strukturkern im Struktbereich der 'Kalküle' (als Verknüpfungsdarstellung)[lnterpretation im Text] Kalkül = def. im mathematischen Kontext als /ttde zur systematischen7 best/r probie. 'Defini- tion' des Problems Festlegung des Kal- kültyps Gote der LOsung Schein- lOsungen Fixierung von Anord- Auswahl von Variablen, Modellierungen Merkmolsaus- ~ prOgungen~ --------- Zuordnungen vonWertenVerknOpfungen Wandel- barkeit der Voraus- setzungen Anwen- Rechenbar dungs- mochen vorous- ~ setzungen 26.4 Förderliches zum Strukturbereich der idealen Modell Nichts hat das Bild von der Lehrbuchökonomik mehr geprägt als die in ihr enthaltenen idealen Modelle. Und selbst angesehenste Forscher und Lehrbuchautoren sind nicht müde 2eworden, den empirischen Gehalt der Modelle herauszustellen. 4 So kann es nicht verwundern, daß diese Vorstellung auch die Schulbücher und unterrichte dominiert. Dort richtet sich der Ehrgeiz vor allem darauf, die Modelle noch einfacher, die Illustration noch einprägsamer und den Beleg der Weltdeutungskapazität noch schlagender zu machen. Daß sich die idealen Modelle der ökonomik faktisch nicht empi- risch gehaltvoll interpretieren lassen, wird hier undiskutiert als vertrauter Gemeinplatz vorausgesetzt. 45 Dann lohnt es aber zu fragen, warum ökonomen diese Modelle entwickelt haben und warum sie an ihnen festhalten. Ein Versuch, diesen Sachverhalt zu verstehen, führt zu den gesuchten einfachen und allgemeinen Ausgangsüberlegungen sowie den daran anschließenden Differen- zierungen. Schon ein Laie ist i.d.R schnell davon zu überzeugen, daß es schwierig ist, über den soz ialen Obj ektbereich weitreichende Verallgemeinerungen oder gar allgemeinere Erklärungen zu formu- lieren, die gehaltvoll und gut bestätigt sind. Man lasse sich beispielsweise erklären, wie der Preis eines beliebigen Pro- dukts zustande kommt! Das Ungenügende liegt nicht nur darin, daß Laienurteile überwiegend nur zwei oder drei Variablen in eine zudem häufig unscharfe Beziehung setzen46 (eine Erschei- nung, die sie mit dem dogmengeschichtlich frühen Versuchen öko- nomischer Erklärungen gemeinsam haben). Es liegt auch nicht nur Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 81 daran, daß Laien sich - häufig schon vor einer wissenschaftsbe- stimmten Belehrung - "naive Weltdeutungen" anfertigen, und zwar sowohl im sozialen wie im naturhaften Bereich, die in mancher Hinsicht "zu schlicht" zu sein pflegen. Es hat grundsätzlich damit zu tun, daß die Kette der Gegenbeispiele zu einer Erklä- rung oder ihren jeweils erzwungenen Modifikationen fast endlos scheint.- Dabei wirkt die Zahl der potentiell bedeutsamen Ein- flußfaktoren im Bereich des Sozialen beinahe noch erdrückender als im Bereich des Physischen. Der durch die Gegenbeispiele ausgelösten Erklärungsnot bieten sich nur wenige Auswege: Man kann die Aussagen 'hinlänglich un- bestimmt' machen. Man kann den Anwendungsbereich der Aussage immer weiter einschränken, indem weitere Ausnahmen eingeführt werden. Man kann gezielt nach Anwendungskontexten Ausschau hal- ten, für die - unter räumlich-zeitlichen Begrenzungen - doch einige allgemeine Tendenzaussagen GÜltigkeit beanspruchen kön- nen. Im Interesse einer (der erfolgreichen Physik abgeschauten) Theoriebildung sind diese drei Wege nicht gangbar, einer Theo- riebildung, die informative Konstrukte möglichst großer Reich- weite anstrebt, aus denen sich Theoreme für die speziellen Kon- texte ableiten lassen und die daher in ihr Zentrum als ein Sy- stem von Axiomen möglichst allgemeine Gesetze setzt, die unab- hängig voneinander sind und das System vollständig und wider- spruchsfrei füllen. 47 Der erste Weg verhindert das Auffinden von Aussagen mit prognostischer Bedeutung. Der zweite führt nicht zu allgemeinen Aussagen. Auf den Ergebnissen des dritten lassen sich keine Theoriegebäude gründen. Den gangbaren Ausweg wies auch hier die Physik: allgemeine Ge- setze zunächst einmal für "ideale" ;Kontexte zu formulieren, in der (für die ökonomik irrigen) Erwartung, mit einer späteren "realistischen Umgestaltung" der Kontexte auch die Gesetzmäßig- keiten ins Realistische retten zu können. Für die Entscheidung, ideale Anwendungsbedingungen zu wählen, sprach zudem die Um- ständlichkeit und Endlosigkeit beim Verfahren, Ausnahmen zu formulieren: Statt eine offene Liste zu führen, in der vermerkt ist, daß ein Effekt eintritt, außer man fällt auf Werbung her- ein oder auf die Warenästhetik oder auf das Gerede eines Ver- käufers oder man ist milder stimmung usw., ist es eleganter, in wenigen Punkten zu postulieren, die Präferenzordnung sei stabil und bekannt, das Individuum verhalte sich rational usw. Nun läßt sich offensichtlich aus der Erklärungsnot ein Zwang zur Modellierung herleiten, deren Ausgestaltung als ideales Mo- dell vielleicht auch noch plausibel machen, aber schon die Fi- xierung auf das physikalische Konzept der Theoriebildung ist nicht mehr aus der Ausgangslage allein verstehbar . Das gilt gleichermaßen für einen zweiten strang, der sich in den Model- lierungen bemerkbar macht (und auch schon bei den Kalkülen auf- trat): Das Streben nach solchen Modellen, für die Lösungen (z.B. Gleichgewichtspreise) existieren, leicht zu bestimmen und möglichst stabil gegenüber Variablenvariationen sind, das Stre- ben nach Modellen mit einer übersichtlichkeit und Geschlos- senheit, die ein kontrolliertes Durchdenken der "Zusammenhänge" Gerdsmeier: SOS 2 26. Oie Betonung des Neufördernden 82 erlaubt. Daß dieser Aspekt so übermächtig wurde, hängt teilwei- se wohl damit zusammen, daß die "idealen Theorien" selbst keine andere Gestaltung erzwangen, da sie sich in der Praxis nicht bewähren mußten und konnten. Noch weniger ergeben sich aus der Ausgangslage einfach weitere Eigenschaften der heutigen idealen Modelle: Ihre Anlage als Gleichgewichtsmodelle, ihre Tendenz zur Harmonisierung, zum Po- stulieren "der besten aller möglichen Welten", kurz: ihre nor- mativen AUfladungen. Das alles wird nur verständlich, wenn man einen dritten strang betrachtet, der mit den beiden vorherigen wie ein Zopf verwoben ist und den faktischen Prozeß der wirt- schaftswissenschaftlichen Theoriebildung beschreibt. Diese dogmengeschichtliche Perspektive muß auch deshalb einbe- zogen werden, weil die spezielle Ausgestaltung des thematisch ungebundenen Grundmusters 'ideales Modell' - etwa als Modell der vollständigen Konkurrenz - nicht allein aus den allgemeinen Eigenschaften des Grundmusters abgeleitet werden kann, wie überhaupt gilt, daß der Fortgang in der Theorieentwicklung nicht einfach.einer von Kontexten und Personen ablösbaren "lo- gischen Konsequenz" genügt und eher bloß im Nachträglichen als stimmige Abfolge erscheint. Üblicherweise kennzeichnen den Fortgang in der Theorieentwick- lung einerseits historische Besonderheiten, andererseits wie- derkehrende Muster, worauf insbesondere Kuhn aufmerksam gemacht hat. 48 Bezieht man sich auf die Versuche der Preiserklärungen, erkennt man in den Anfängen der Ökonomik die für diese Phase typische Einbindung ökonomischer urteile in andere (z.B. philo- sophisch-ethische) Fragestellungen, die punktuellen und wenig vernetzten Thesen, den Hang zu moralischen Rechtfertigungen und zu praktischen Ratschlägen, für die erst allmählich ein gemein- sames geistiges Band entsteht (etwa die Idee einer Hebung der produktiven Kräfte durch staatswirtschaftlichen Zentralismus), ~ie Nähe der Thesen zu alltäglichen Anschauungen, ihre z.T. un- gerechtfertigte Allgemeinheit, die Widersprüchlichkeit der ver- schiedenen Thesen, die unklaren Beweislagen, die unzureichende Trennung deskriptiver und normativer Aussagen und - nie viel- falt der Anschauungen: Fast alles, was später "tiefe Einsicht in die Natur der Sache" wird, ist hier schon als Rohling ent- halten, etwa die Gedanken, Tauschwert oder Gebrauchswert seien für die Preisbildung maßgeblich. Nicht weniger typisch ist - nach einer Zwischenphase mit mehr oder weniger entwickelten "Theorieansätzen" bei mehr oder weni- ger ausgeprägtem Zwang, praktischen Erfordernissen zu genügen - die Herausbildung eines ersten allgemeineren, von vielen getra- genen (und etwa 100 Jahre dominierenden) Paradigmas, die klas- sische ökonomik. Sein Kern besteht aus einer kleinen Gruppe konstitutiver Fragestellungen, zentraler Annahmen und gemeinsam getragener Überzeugungen, die sich aus philosophischen Quellen (Naturrecht, utilitarismus, Harmoniegesichtspunkt, gesell- schaftlicher Vertragsrechtsgedanke u. ä. ) speist wie sozialer (Prinzip der Arbeitsteilung), normativer (Wohlfahrt der Nation) und ökonomischer (Arbeitswertgedanke) Herkunft ist. Eine der zentralen Annahmen war bereits die Idee des Gleichgewichts öko- Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 83 nomischer Proz,esse, obwohl das häufig in sozial- und gesell- schaftsphilosophischen Thesen versteckt bleibt. Der Sinn dieser Annahme wird auch leicht verständlich, wenn man die stoßrich- tung der Argumentation begreift, den Staat aus seiner Rolle als Kommandeur einer "Befehlswirtschaft" zu verdrängen. (Und selbst Malthus konstruiert aus seinen pessimistischen AUffassungen letztlich ein "Gleichgewicht der Verelendung".) Innerhalb eines Paradigmas haben verschiedene Anschauungen Platz, sofern der Konsens über die grundlegenden Überzeugungen davon nicht berührt wird. Das ricardianische Argumentationsge- füge hat sich dabei - auch schon bei Ricardos Zeitgenossen - stets besonderer Aufmerksamkeit erfreut; und tatsächlich ge- lingt es hier für die Ökonomik (erstmals), innerhalb eines Pa- radigmas ein "theoretisches System" zu schaffen. Wenn es darum geht, vorfindbare (oder eigene) Ideen auf ihren "Wahrheitsgehalt" hin zu prüfen, das für wahr Befundene zuläs- sig zu verallgemeinern und das Verallgemeinerte widerspruchs- frei zu verknüpfen, dann bedarf es (über den paradigmatischen Kern hinaus) klarer (und kompatibler) Begriffsbildungen, einer Klärung der für die Aussagen gültigen Anwendungsbedingungen , Quantoren und Ereignisse, einer überprüfung der Implikationen der Aussagen sowie einer Rechtfertigung des (Wahrheits-)Gehalts von Aussagen (auch) aus dem System selbst. So sind z.B. weder Ricardos These, daß die Grundrente nicht Ursache, sondern Folge steigender Nahrungsmittelpreise sei, noch die weitreichende Folgerung vom säkularen Fall der Profitrate oder die Fülle son- stiger Beweisführung verständlich, wenn man mit seinem System nicht vertraut ist. Dieses "Durcharbeiten" des Systems wurde von Ricardo, seinen Anhängern und Kritikern eindrucksvoll vorgeführt. Das Streben nach größerer Allgemeinheit, Stringenz und Widerspruchsfreiheit der Theorie machte es auch hier notwendig, vereinfachende Set- zungen einzuführen und zweckmäßig zu modellieren. Es waren dies aber im Verständnis der Klassiker (vermutlich) noch nicht ide- ale Annahmen, obwohl eine Annäherung an den naturwissenschaft- lichen Gesetzesbegriff unverkennbar ist und es gelang, das Sy- stem mit einer einheitlichen Methode, einem abstraktisolieren- den Vorgehen, durchzuarbeiten. Jedenfalls bestand ungeachtet solcher Annahmen wie der vom 'homo oeconomicus' eine fortwäh- rende Tendenz, Modellergebnisse direkt in die "Realität" zu überführen, was dieses System sehr lebendig hielt, weil ein fortwährender Zwang seiner Modifikation entstand. Nicht weniger aufschlußreich sind die ModelIierungen selbst, dieses Balancieren mit Begriffsbildungen, Vereinfachungen, Aus- grenzungen, Segmentierungen, Unklarheiten, Problemabwehr .•. Ri- cardos Wert- und Preislehre konzentriert sich auf den Tausch- wert und sondert den Gebrauchswert aus. Das Postulat, beim Tausch würden äquivalente Werte gehandelt, erlaubt die Gleich- setzung des Tauschwerts mit dem 'natürlichen Preis', was zur Ausgrenzung des Marktpreises aus dem Erklärungsgefüge führt. Der 'natürliche' Preis wird nur für beliebig reproduzierbare Güter untersucht, was eine Sondererklärung für die Seltenheits- güter erforderlich macht. Es werden nun die Preise nicht in ab- Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 84 soluter Höhe erklärt, was - bei stillschweigend sehr weitrei- chenden Annahmen - der Geldtheorie übertragen wird, sondern als relativer Wert, und es wird gesetzt: das Verhältnis der Preise entspricht dem Verhältnis der zur Erstellung der Güter jeweils erforderlichen Arbeitsmengen. Und da man sich in einer ent- falteten Gesellschaft befindet, die über Kapitalgüter verfügt, müssen diese nun in 'vorgetane' Arbeit umgerechnet werden, was im Hinblick auf deren unterschiedliche Zusammensetzung, Dauer- haftigkeit und Produktivität zu 'Eiertänzen' führt, mit einem Changieren zwischen Arbeitsmengen, -kosten, -stunden, 'norma- len' und faktischen Arbeitsmengen, mit speziellen Zusatzannah- men (die beispielsweise einen höheren Kapitalstock mit einer Verlängerung des Produktionsprozesses gleichsetzen), mit groben Durchschnittsbildungen, mit unscharfen Trennungen zwischen Zins und Gewinn, so daß plötzlich neben der Bodenrente eine zweite Residualgröße aufzutreten scheint ... Ein Großteil der Durcharbeitungen des theoretischen Systems richtet sich darauf, die Widersprüche auszuräumen, die sich in- nerhalb des Systems oder im Verhältnis zur beobachtbaren Welt zeigen. Der andere Teil paradigmeninterner Entwicklung richtet sich darauf, die stringenz des Systems zu erhöhen , weitere Sachverhalte erklärbar zu machen, Teilsysteme (Preistheorie, Verteilungstheorie, Geldtheorie usw.) zunehmend zu verknüpfen und Vereinfachungen zurückzunehmen. Am Ende mißlingt es, Wider- sprüche ganz auszuräumen und bestimmte, als drängend empfundene Probleme befriedigend zu analysieren - nicht zuletzt deshalb, weil ein anderes aufkommendes Paradigma für viele ökonomen die überzeugenderen Fragestellungen und Setzungen enthält sowie dort eine Antwort verspricht, wo andere Ansätze gescheitert sind. Es finden sich ja fast fortgesetzt Versuche, neue Paradigmen zu schaffen, und dogmengeschichtlich bedarf es besonderer Erklä- rungen, warum etwa dem vorwissenschaftlichen Sozialismus, dem Solidarismus, der historischen Schule oder dem Institutionalis- mus ein Durchbruch und eine dauerhafte Nachwirkung nicht ver- gönnt waren, warum sie eher nationale Strömungen blieben. Zu beachtlicher Attraktivität und Wirksamkeit brachte es dann im Laufe der zeit erst wieder die Grenznutzenlehre , und es ist wiederum typiSCh, wie mit dem noch vorherrschenden klassischen Paradigma umgegangen wird. Es ist nicht so, daß es zur Gänze abgelehnt WÜrde - eine Fülle von Setzungen überzeugen und Mo- dellannahmen werden übernommen - aber einzelne zentrale Annah- men (z.B. die der objektiven Wertlehre) werden angegriffen und z.T. durch eine gegenteilige Vorstellung ersetzt. So setzt die Preiserklärung hier bei den subjektiven Wertvorstellungen (Ge- brauchswerten) an, annahmegemäß werden gerade nicht Äquivalente getauscht, der Wert der Produktionsgüter leitet sich nun aus dem Wert der Konsumgüter ab usw. Aus dieser Verbindung von Al- tem und Neuem entsteht ein völlig neuartiges theoretisches Sy- stem, das ganz neuartige Gesetze einführt (z.B. Tauschgesetze) und neuartige Begriffe erforderlich macht (Grenznutzen, Grenz- produktivität, opportunity costs u.ä.), die spürbar ein höheres Maß an Formalisierung und mathematischer AUfgeschlossenheit verraten. Die dabei entstehenden Konstruktionen sind trotzdem Gerdsmeier: SOS 2 26. D;e Betonung des Neufördernden 85 immer noch keine idealen Modelle, auch wenn später eine Reihe von Denkfiguren und Annahmen direkt in solche Modelle übertra- gen werden; es bleiben abstraktere Beschreibungen (des Wesens) der Realität und komplizierte Beweisführungen. Die ModelIie- rung selbst, der Prozeß der Durcharbeitung des theoretischen Systems, der zu immer komplizierteren, am Ende sterilen Gebil- den führt, können hier übergangen werden. Das sich wiederum hieraus ablösende Paradigma der Neoklassik, das insoweit wieder ein typisChes Entwicklungsmoment enthält, als es zum einen die vorhergehenden Wertlehren allgemein ab- lehnt, gleichgültig ob in objektiver oder subjektiver Akzentu- ierung, und an ihre stelle die "bloße Preislehre" mit der Knappheit als zentraler Erklärenden setzt, zum anderen aber eine Synthetisierung der 'guten Ideen' aus klassischer Theorie und Grenznutzenlehre versucht, wäre auf dieser Basis ebenfalls nicht zu idealen Modellen 'vorgestoßen', wenn der Boden nicht durch zwei zunächst "beiläufige" Entwicklungen vorbereitet wor- den wäre. Zum einen hatte sich nach dem 'Werturteilsstreit' bei den ökonomen ( in den herrschenden Paradigmen) eine Entschie- denheit eingestellt, eine den Naturwissenschaften adäquate The- oriebildung zu versuchen, was zu entsprechenden Formalisierun- gen, zu Quantifizierbarkeit, Mathematisierbarkeit der Aussagen u.ä. zwang. Zum anderen waren längst Arbeiten vorgelegt worden, die ökonomisches mathematisch behandelten, was zunächst auf Ablehnung oder Ignoranz gestoßen war, viele nicht überzeugte und auch deshalb wenig beachtet blieb, weil keine neuen theore- tischen Systeme damit propagiert wurden. Mal ging es nur darum, die Relation zwischen Beobachtungsdaten streng zu formulieren (etwa das Engelsehe Gesetz). Dann um die Formalisierung von Überlegungen (etwa das Gossensche Gesetz). Dann wieder um einen Nachweis für die Existenz einer Modellösung. Schließlich - ins- besondere bei Walras und Pareto - um die Übertragbarkeit kom- plexer Tauschmodelle in interdependente Gleichungssysteme, die fruchtbare Anwendung von Funktionen, die Entpsychologisierung der ökonomik usw. Auch lagen erste Exempel reiner Idealmodelle vor (etwa von Thünen). Erst unter diesem Einfluß und dem Druck, mathematischer Behand- lung fähig zu sein, konnten virulente neoklassische Vorstellun- gen und Modellentwürfe zu jener Radikalität gesteigert werden, die uns heute in den idealen Modellen "Normalität" geworden ist. Aber die Mathematik drückt hier nicht mehr nur etwas aus, was materiell aufgrund ganz anderer überlegungen vormodelliert wurde, sondern sie selbst beeinfluBt die ModelIierung maßgeb- lich. Daß im Modell der vollständigen Konkurrenz Produkte und Bedürfnisse beliebig teilbar sind, entspringt keinem ökonomi- schen Einfall, sondern schafft die Voraussetzung, differenzier- bare Funktionen verwenden zu können. Die Widerspruchsfreiheit der Indifferenzkurven hilft, eindeutige Lösungen zu sichern. Die Annahmen unendlicher Reaktionsgeschwindigkeit erspart kom- plizierte Stabilitätsprüfungen bei Datenvariationen usw. Der Rest ist schnell erzählt: Die nächsten 40 Jahre dienten dazu, den im System verwendeten Begriffen und der mathemati- schen Beschreibung die nötige Widerspruchsfreiheit und Eleganz zu verleihen. Die restlichen 40 Jahre wurden dazu verwendet, Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 86 ein für die praktischen Erfordernisse des Informierens, Bera- tens und Steuerns brauchbares empirisches Instrumentarium zu schaffen, mit dem die idealen Modelle nur vordergründig - in der Rechtfertigung von Vorschlägen und in der Kommentierung von Befunden - im Zusammenhang stehen. Wozu dieser lange Exkurs, der zu kurz und unscharf bleibt, um die Genese des Modells der vollständigen Konkurrenz hinlänglich zu entfalten, und zu ausführlich, wenn man es ohnehin eingehen- der nachlesen müßte? Es ist vorgetragen worden, um einige Argumente vorzubereiten: 1. Es ist offenbar noch einigermaßen leicht möglich zu zeigen, warum Ökonomen überhaupt zu idealen Modeliierungen greifen. Es ist aber ausgesprochen kompliziert verständlich zu machen, wa- rum ein spezielles Modell heute ganz bestimmte Begriffe und An- nahmen verwendet. 2. Es ist nicht recht einzusehen, warum Schüler Dogmengeschich- te betreiben sollen, da das mit ihrer Berufs- und Lebensper- spektive wenig zu hat - jedenfalls, wenn man es nicht nur exem- plarisch anregt, um zu demonstrieren, wie Theoriebildung und -entwicklung sich faktisch vollzieht. 3. Es ist - gerade auch für Schüler - nur schwer einzusehen, warum sie sich überhaupt mit idealen Modellen beschäftigen sol- len, weil sie bei intellektuell redlicher Bearbeitung erfahren, daß die Modelle zum Weltverständnis kaum etwas beitragen. 4. Angesichts des geringen Gehalts und der Schwierigkeit fach- licher Innenschau ist es schwer zu begreifen, daß heute bereits 12- und 13-jährigen zugemutet wird, das Modell der vollständi- gen Konkurrenz "lernen" zu müssen. 5. Diese Unstimmigkeit wird üblicherweise durch das eingangs beschriebene Vorgehen "überwunden", die Modellmechanik in den Vordergrund zu rücken und ihre Bewegungen als "realistisch" auszuweisen. Die hinter diesem Vorgehen liegenden Vorstellungen sind an an- derer Stelle ausführlich erörtert worden, 49 so daß sich eine Kritik hier erübrigt. An einen Punkt sei allerdings erinnert. Ein ideales Modell kann (neben vielen absurden Folgerungen) auch die eine oder andere Implikation enthalten, die einer überprüfung bei Wahl geeigneter Kontexte standhält. Sie machen im Umkehrschluß das Modell nicht 'wahr'. Wer an diesen zwei, drei Implikationen interessiert ist, sollte auf die Modelle verzichten und ökonomisches Wissen in der Form kontextgebunde- ner Tendenzaussagen anbieten. Dieses Vorgehen war oben als der dritte mögliche Weg angegeben worden, mit der Erklärungsnot um- zugehen. 6. Vor diesem Hintergrund ist es schwer erträglich, wenn in ei- ner verbreiteten wirtschaftsdidaktischen Einführung die (unverstandene) Mechanik der idealen Preisbildung ausgewählt und distanzlos als gehaltvolle Weltbeschreibung behandelt wird, um zu demonstrieren, wie in der Wirtschaftslehre AUfgaben formuliert werden können, deren Beantwortung vorgeblich höhere kognitive Niveaus verlangt. 50 Gerdsme;er: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 87 7. Aus demselben Grund ist es schwer erträglich, wenn in den Abschlußprüfungen der Schüler ähnliche Aufgaben auftauchen, die ähnlich gerechtfertigt werden. 8. Es gibt in der didaktischen Literatur eine Ausrichtung, die das Kernproblem der Unterrichtsplanung darin sieht, die schwie- rigen wissenschaftlichen Gegenstände für Lernende so weit zu reduzieren, bis sie "verständlich" werden. Der Ansatz selbst soll hier nicht diskutiert werden; er ist im Kern abbilddidak- tisch, versucht ein gegensätzliches Paar (Reduktion, Verstehen) zusammenzuzwingen und beschreitet den entgegengesetzten Weg zur hier verwendeten Heuristik des 'Einfachen Allgemeinen' und dessen Ausdifferenzierung. Im Rahmen dieses Reduktionsansatzes wird nun gelegentlich vor- geschlagen, Theorieentwicklung einfach spiegelbildlich zu Ver- ständnisniveaus zu betrachten: frühere Erklärungen sind annah- megemäß die reduzierten und verständlicheren. Die schlichte Qualitätstheorie ist dann das Reduktive der komplexen geldtheo- retischen Version der Chicagoer Schule. Bei diesem Weg gibt es einiges zu bedenken, selbst wenn man es hinnähme, daß die "Dümmsten" nur die schlichteste (und damit widerlegte) Version einer Theorie als Weltdeutung kennenlernen. So hat der Exkurs zur ökonomischen Dogmengeschichte gezeigt, daß Entwicklungen nicht gradlinig verlaufen, manchmal auch ab- rupt abbrechen. Zudem müßte erkennbar werden, woran eine be- stimmte theoretische Version im einzelnen gescheitert ist. Es sollte klar geworden sein, daß für beide Aspekte sehr differen- zierte und mehrschichtige Betrachtungen erforderlich werden, die nicht recht zur Idee der Reduktion passen wollen . Sollte sich aber die Idee der Reduktion behaupten, wird man sicherlich der Geschichte der ökonomischen Theoriebildung Leid antun. Unter all den Vorbehalten und Querverweisen sollen abschließend die vorgetragenen überlegungen zu einem strukturkern zusammen- gefaßt werden. Ergänzend sei auch eine weitere denkbare Diskus- sionsrichtung erwähnt, die sich sinnvoll auf die idealen Model- le beziehen läßt. Gehaltvoll wäre eine wissenschaftstheoreti- sehe Perspektive und sie könnte in das Urteil einmünden, es handele sich hier um Modell-Platonismus. 51 Aber dieser Aus- gangspunkt ist für jeden, dem wissenschaftstheoretisches Denken nicht sehr geläufig ist, alles andere als einfach. Abb. 9: Elemente zum Strukturkern im Strukturbereich 'ideale Modelle' (in der Notierung als Argumentationsbögen) (Interpretation vgl. Text] wissenschaftstheoretische Anforderungen on Theoriebitdung Rückgriff auf: FErklOrungsproblem im sozialen BereichModeliierungsgesichtspunktedogmengeschichtliche Besonderheiten\--------- Thema Struktur- bereich 'ideale Modelle' Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 88 26.5 Förderliches zum Sturkturbereich der institutionalisierten Beziehungen Sehr viele Vorgänge und Handlungen des wirtschaftlichen Lebens sind durch gesellschaftliche Einrichtungen in hohem Maße vor- strukturiert; um diese prozessualen und organisatorischen Aspekte geht es hier. Dabei mag die Eröffnung überraschen, daß Zweifel angebracht sind, ob dieser Strukturbereich uberh~upt sinnvoll gewählt ist. Er ist ja von zwei anderen abzugrenzen, die ebenfalls eingeführt wurden, um Beschreibungen von Handlun- gen (Bereich 1.4; vgl. 8.62) resp. von Handlungsvorschriften (Bereich 4) berücksichtigen zu können. Die Trennlinie zwischen den beiden letzteren scheint recht klar und vernünftig: Im ei- nen Fall beziehen sich die Vorschriften auf den Umgang mit sym- bolischem "Material" aus sozialwissenschaftlichen Variablen (z.B. Buchungen, Lagerbewertungen); im anderen auf den Umgang mit der physischen und sozialen Umwelt (z.B. physische Inven- tur). Den Vorschriften in diesen beiden Bereichen liegen je- weils sehr unterschiedliche 'Systeme' zugrunde, aus denen her- aus sie zu beurteilen sind, sie pflegen unterschiedlich voll- ständig, geschlossen und verbindlich zu sein (und wohin gehört nun die Datenverarbeitung am Computer?). Der Komplikation, daß manche dieser Vorschriften auch rechtlich normiert sein können, soll hier nicht weiter nachgegangen werden ... Die Ausgangsüberlegung , einen Strukturbereich institutionali- sierter Beziehungen aufzunehmen, bestand in der Einsieht, daß im alltäglichen Leben - beruflich wie privat - für die meisten situationen gar keine oder nur punktuelle Handlungsvorschriften bestehen (wenn man einmal davon absieht, daß es letztlich na- türlich keine Handlung g1bt, die man nicht rechtlich WÜrdigen könnte). Trotzdem vollzieht sich Handeln hier nicht "regellos"; die Regeln ergeben sich aus sozialen Normen, aus sozialen oder privaten Usancen oder etwa aufgrund von Arrangements, die den Publikumsverkehr regulieren sollen. Bei genauerem Hinsehen stellt sich nun aber heraus, daß in diese Abläufe (z.B. Geld bei der Bank abholen) Teilhandlungen eingebettet sein können, für die Vorschriften bestehen (z.B. Ausfüllen von Formularen). Umgekehrt bestehen für Handlungsabläufe, die durch Vorschriften geregelt sind, viele "Leerstellen", die Personep nach eigenem Gusto ausfüllen. Es mag sich daher künftig zeigen, daß eine Trennung der beiden Bereiche (4 und 5, vgl. 5.62) bei dieser bloß graduellen Andersartigkeit nicht gerechtfertigt ist. Das irritierende Schillern um diesen Strukturbereich hat damit aber noch kein Ende. Es beruht auf Brechungen, die zwischen Wissen und Handeln entstehen. Um einen strukturkern freilegen zu können, muß zunächst geklärt werden, welche Intention ver- folgt wird, wenn über institutionalisierte Beziehungen gespro- chen wird. Eine bloße Beschreibung beispielsweise des Kaufs von Briefmar- ken bei der Post, die eine entsprechende Handlungsfähigkeit er- wähnen, herstellen oder sichern soll, wäre bereits "verstan- den", wenn die Handlung tatsächlich ausgeführt werden könnte (oder schon WÜrde). Die Beschreibung selbst wäre bereits das 'Einfache Allgemeine'. Es wäre nichts, was im vorliegenden Strukturbereich erörtert werden müßte; es gehört in den Bereich Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 89 der Pragmatik, die sich ohnehin weniger auf 'Belehrung' und mehr auf Beobachtungslernen stützt (weshalb Lehrbuchdarstellun- gen über subjektiv neuartige Abläufe als so 'abstrakt' empfun- den zu werden pflegen) und die nach keiner außer ihr liegenden Erläuterung fragt. Es könnte zweitens die Intention bestehen, über die Pragmatik des Briefmarkenkaufs die juristische Folie des Kaufvertrags- rechts zu legen; man hätte es dann mit einem Aufhänger im Strukturbereich der rechtlichen Normen zu tun. Auch wenn drittens beabsichtigt ist, Elemente verständlich zu machen (z . B. Gesichtspunkte bei Festlegung der Schalterstun- den), die zwar mit dem Ablauf verbunden sind, deren Verständnis die Pragmatik selber aber nicht berührt, befindet man sich in einem anderen Strukturbereich , z . B. dem der Kalküle oder der Theorien. Auf eine erste Anwendung des Strukturbereichs de~ institutiona- lisierten Beziehungen stößt man, wenn viertens eine Pragmatik reflexiv 'entwickelt' werden soll, dabei insbesondere eine vor- gängige Praxis durch (wissenschaftsbestimmte) Argumente in eine geWÜnschte Richtung zu kultivieren ist, wie das etwa im Rahmen der Verbraucher- oder der Umwelterziehung häufig beabsichtigt ist. Ein 'Verständnis' für die angestrebte Verhaltensänderung ist an die Einsicht gebunden, warum das bisherige Verhalten z.T. gegen den Augenschein, daß es sich bewährt, ungenügend ist. Der Nachweis des Ungenügens bildet den Ausgangspunkt der überlegungen, und es muß hier nicht im einzelnen aufgearbeitet werden, daß dieses Ungenügen sehr verschiedene Erscheinungsfor- men hat zwischen dem Pol, eine subjektiv akzeptierte Setzung aus Unkenntnis oder fehlerhaftem Denken zu verfehlen, und je- nem, für eine bestimmte Werthaltung überhaupt erst geworben werden zu müssen. Diese Unterschiede, so bedeutsam sie materi- ell und hinsichtlich der Erfolgswahrscheinlichkeiten sind, be- sagen formal nur, daß die Argumentation in ihrem Umfang, ihrer Komplexität und der Zahl der Argumentationsstränge abweichen werden. Daß die Argumentationen, wenn sie anspruchsvoller sind und ebenfalls verstanden werden sollen, dann in ihrem eigenen 'Referenzsystem ' zu behandeln sind, verweist darauf, daß man sich weitergehenden Rat bei anderen Strukturbereichen (z. B. Theorien, Kalküle) holen muß. Die eigentliche, prototypisChe Anwendung des Strukturbereichs der institutionalsierten Beziehungen liegt dann vor, wenn man fünftens verständlich machen möchte, warum bestimmte Verhal- tensmöglichkeiten gesellschaftlich überhaupt vorgesehen und wa- rum sie in bestimmter Weise institutionalisiert worden sind. Hier wird Verständnis daran gebunden sein, daß man durchschaut, welche Funktion (en) bewältigt und wie sie handhabbar werden soll(en). Weitere Ausdifferenzierungen werden sich darauf rich- ten zu prüfen, ob es eine "wichtige" Funktion ist, wem sie wichtig ist, ob sie "gut" erfüllt wird und wer über die "Güte" entscheidet oder befindet, welche Interessen dabei einfließen, ob es Nebenwirkungen gibt, ob es Alternativen gäbe, wer in wel- cher Weise die Institutionalisierung festlegt usw. Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 90 Nun scheinen die Funktionen und die Vernünftigkeit ihrer Bear- beitung häufig offensichtlich. Der Zweck und auch die Betriebs- weise der Müllabfuhr beispielsweise sind vielen unmittelbar einsichtig. Erst wenn man die Nebenwirkungen der vorfindbaren Praxis analysiert, die Interessen der Privaten auch als steuer- zahler, als Teil der Natur, als Verbraucher usw. einbezieht, bemerkt man, daß die Aufgabe (Müllbeseitigung) nur teilweise richtig gestellt ist (vgl. demgegenüber z. B. Müllvermeidung) und daß die Handhabung selbst bei der überkommenen Aufgaben- festlegung nicht ganz angemessen ist. In anderen Fällen ist die zugrundeliegende Funktion nicht ohne weiteres ersichtlich. Eine Suchstrategie besteht darin, frühere Handhabungen des Sachverhalts zu analysieren; der Entwicklung von Bedürfnissen und Institutionalisierungen ihrer Befriedi- gungsmöglichkeiten ist ja gemeinsam, daß ihre vorfindbaren Aus- prägungen Ausdifferenzierungen früherer Bedürfnisartikulationen zu sein pflegen. 52 Und es ist dabei keineswegs seIten, daß In- stitutionalisierungen von Verhaltensmöglichkeiten dem Wunsch nach diesen Mögl ichkeiten "bedürfnisweckend" voranschreiten. Die vorgängigen Handhabungen (oder noch frühere Muster) wären dann ein 'Einfaches Allgemeines', ihre Veränderungen wären nun nachzuzeichnen und zu analysieren. - Eine zweite SUChstrategie könnte darin bestehen, die Motive einer (oder mehrerer) der beteiligten Personengruppen daraufhin zu untersuchen, welchen Nutzen sie aus der neuen Handhabung ziehen. Motive anderer sind - in gewissen Bandbreiten - verstehbar und insofern vorausset- zungslos. Nachzuzeichnen wäre dann hier, weshalb diese Motive in Wechselwirkungen mit den Motiven anderer in einem benennba- ren Kontext zu den untersuchten Festlegungen geführt haben. Nachteilig ist, daß manche Motive nur schwer zu erkennen sind. Derart gerüstet darf man sich an ein Beispiel wie die "Verwen- dung von Kreditkarten" wagen. Die Bedeutung dieser Zahlungsart (wie ihrer vielfältigen Erscheinungsformen) ist tatsächlich nicht einfach zu verstehen - auch wenn einem als Ausgangspunkt vertraut ist, daß man in einer Tauschwirtschaft lebt, die zwi- schen Tauschakte den Austausch von Geld schiebt, was wir als Kauf und Verkauf kennen, daß man dabei auch mit 'Zahlungsanwei- sungen' bezahlen kann, daß die Ansprüche auf Güter unterschied- lich verteilt sind, daß es unterschiedliche Zeitpräferenzen gibt. Es hat im Zusammenhang mit Käufen ja schon immer Kredi- tierungen gegeben (Anschreiben, Ratenzahlung, Bankkredit u.ä.) wie auch seit langer zeit bargeldloses Bezahlen. Welche Funk- tion erfüllt da das neue Verfahren? Zum einen geht es nicht um neue Funktionen, sondern um den ver- feinerten Umgang mit den bisherigen. Am Austausch der Güter und Dienste ändert sich im Grundsatz nichts, allerdings kommt es - aus der sicht der Kunden - in Bereichen zu Kreditierungen (Ho- tels, Massenartikel im Einzelhandel usw.) durch eigenständige Institute oder Teilorganisationen in Kaufhäusern u.ä., in denen das früher nicht üblich war. Auch der Kreis derer, die am Ver- fahren teilnehmen, weitet sich aus: Zunächst waren es Mitglie- der einkommensstarker Schichten, die sich größere Bequemlich- keit leisten wollten (und zu honorieren bereit waren zugunsten jener, die die Bequemlichkeit boten) und die auch die Akzeptanz Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 91 ihrer Zahlungsart durchsetzen konnten, weil das einzelne Han- delsgeschäft befürchten mußte, bei einer Zurückweisung dieser Zahlungsvariante nicht mehr attraktiv zu erscheinen. Heute ist der Kreis der Teilnehmer sehr weit. Das hat wiederum auch (aber nicht nur) damit zu tun, daß inzwischen Teile des Handels sel- ber Kreditkarten für Käufe in ihren Häusern anbieten, weil dar- in ein Mittel gesehen wird, Kunden an das Unternehmen zu bin- den, die Umsätze pro Käufer zu erhöhen, Informationen über die Sozialstruktur der Käufer und ihr Kaufverhalten zu gewinnen, das sich in Warenpräsentationen , Werbeaktionen u. ä. gez ielt verwerten läßt. Käufer akzeptieren die Karten, weil sie so - abgesehen von der Bequemlichkeit - Möglichkeiten zu spontanen Kaufentscheidungen vergrößern, umstandslos Kredit erhalten, z.T. Kredite billiger bekommen, vermeintlich größere Sicher- heit gegen Diebstahl erreichen u.ä. mehr. Das Verfahren bindet demnach längst Motive zusammen, die zwar alle irgend etwas mit der zugrundeliegenden Funktion zu tun haben, aber nicht mehr ineinandergreifen wie Zähne eines Reißverschlusses. Die Nebenwirkungen dieses Verfahren sind erheblich. Natürlich gibt es wie immer PartikUlarinteressen, bei denen die Vorteile überwiegen (z.B. bei den tatsächlichen Kreditgebern und jenen, die sich Bequemlichkeit leisten können oder diesen Kredit ge- zielt auswählen), aber insgesamt muß man bezweifeln, daß es wohlfahrtssteigernd ist, wenn über ein funktionsfähiges Geldsy- stem ein zweites gelegt wird. Das verursacht Kosten, die letzt- lich über den Kauf mitbezahlt werden müssen; am relativ stärk- sten benachteiligt werden dabei jene, die das Verfahren gar nicht mitbenutzen. In gleicher Weise werden die Kosten ver- schiedener Risiken (Diebstahl, Zahlungsfähigkeit usw.) über- wälzt. Kriminelle Sparten haben sich inzwischen spürbar auf die Nutzung fremder Kreditkarten spezialisiert. Individuen gerät ihr Kaufverhalten außer Kontrolle, Handelsunternehmen täuschen sich über die Vorteile des Verfahrens, weil Konkurrenten sich ähnlich verhalten - und in oligopolistischen situationen erhält konkurrierendes Parallelverhalten den status qua oder stellt alle schlechter. Warum sich das Verfahren dann trotzdem weiter ausbreitet, ist eine weiterführende Frage, die möglicherweise mit sozialpsychologischen Theorien erklärt werden müßte, womit man sich einem anderen Strukturbereich zuwenden WÜrde ... In ähnlicher Weise ließe sich die Handhabung der Kreditkarten analysieren. Es wäre zu klären, welchen Bedingungen (z.B. Ein- fachheit, Sicherheit, Akzeptanz, geringe Kosten) die Abwicklung genügen soll, wer in die Abwicklung in welcher Weise einzubin- den ist, welche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, was sich über die Bevorzugung und Güte des gewählten Verfahrens sagen läßt, was über Nebenwirkungen usw. Auch hier wird man bei weiterer Differenzierung bald an Punkte kommen, die mit einem Wechsel des Referenzsystems einhergehen - man denke nur daran, daß Abschätzungen, ob die Art und Zahl der von Kunden abzu- zeichnenden Belege vernünftig gewählt sind, das Verständnis des Rechnungswesens verschiedener Einrichtungen voraussetzen. Auch hier besteht das didaktische Analyseverfahren wieder dar- in, zunächst bei einem allgemeinen Problemverständnis anzuset- zen und erst dann eine differenziertere Problembeschreibung an- Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 92 zustreben, zunächst grundsätzlich gangbare Wege zu erkennen, bevor die Besonderheiten eines speziellen Weges vorgestellt werden, zunächst allgemeine Gütemaßstäbe zu gewinnen, bevor besondere Urteile abgegeben werden. Fassen wir zusammen: Als 'Einfaches Allgemeines', das dann in mehreren Aspekten ausdifferenziert wird, erwiesen sich hier die Betrachtung oder Herleitung der Funktionen, die über ein insti- tutio~alisiertesVerfahren erfüllt werden sollen, sowie die zu berücksichtigenden Bedingungen auf der Ebene der technischen Abwicklung. Im Fall, daß vorfindbares Verhalten kultiviert wer- den soll, verweist der Strukturkern auf Nachweise des Ungenü- gens der bisherigen Praxis. Abb. 10: Elemente zum Strukturkern im Strukturbereich 'Instl tutiallsierter Beziehungen' (in der Notierung als Argumentationsbögen)[Interpretatlon vgl Text] Thema Analyse bel nicht sofort erkennbaren Funktionen: - frühere Handhabungen - Motive beteiligter Personengruppen Analyse der zugrundeliegenden Funktion und ihrer Handhabung (Bedeutung der Funktion, geltender Aufgabenerfüllung. Gütekriterien, ein- fließende Interessen bei Beurteilung und Ausgestaltung, Nebenwirkungen, Alternativen u.a ) Verständnis einer Instl- tutional i- sierung Intention der Be- sch~HtI­ gung~ Strukturbereich "\.-------f 'Instl tutlonall- slerte BeZie- hungen' reflex ive Gestal tung von Verhai ten Nachweis des Ungenügens vorgängiger Prax Is (Reflex Ion Ober Ziele, Ziel- Mittel-Relationen. Nebenwirkungen u.a ) 26.6 Förderliches zum Umgang mit stofflichen Routen Die stofflichen Routen in den üblichen Schulbüchern und Unter- richten betonen - so sahen wir schon früher - das die Gegen- stände und Vorgänge Trennende und das Spezielle, und sie verschweigen das ihnen zugrundeliegende Gemeinsame. Das Konzept des 'Einfachen Allgemeinen' beruht auf der Annahme, daß dieses Gemeinsame im Regelfall für das Verständnis der Gegenstände wichtiger ist als ein Bündel spezieller Merkmale. Wer am Gefie- der eine Blau- von einer Kohlmeise zu unterscheiden gelernt hat, hat über die Lebensbedingungen und Lebensweisen von Meisen noch nichts begriffen, schon gar nicht über die von Vögeln im allgemeinen - oder gar die von Lebewesen. Stoffliche Routen, die fast nur Spezielles aneinanderreihen, gleichen in ihrer prallen Lebensfülle Carrolls berühmter Grinsekatze , von der man, wenn es drauf ankommt, nur das Grinsen ohne die Katze sieht. Nun neigen präexistente stoffl iche Routen dazu, Lehrende zu überrumpeln und sich in den Köpfen festzusetzen, noch bevor überhaupt ein erster Gedanke an Strukturbereiche und Struktur- kerne als Wachposten aufgestellt werden konnte. Wie sollte man mit den Usurpatoren umgehen, vor allem, wenn die Quellenlage Gerdsmeier: SOS 2 26. Die Betonung des Neufördernden 93 keine schnelle Entscheidung zu erlauben scheint, ob sie nicht doch 'legitime' Abkömmlinge sind, oder wenn man durch Gewöhnung an sie dieses bereits erhofft? statt gedankenloser, nur noch auf Ziselierung bedachter Unterwerfung sei die persönliche Rückversetzung in die Naivität fragenden staunens empfohlen. Auch mit dem Konzept des 'Einfachen Allgemeinen' wird im Grunde nichts anderes angestrebt, als an der Grenze des Vertrauten durch die eine Frage produktive Unruhe zu erzeugen. Wenn man sieht, daß Darstellungen der "Preisbildung an der Börse" sich nur befleißigen, verschiedene institutionalisierte Preisfindungsmechanismen zu unterscheiden, einige ihrer Regeln vorzustellen, die Organe der Börse zu beschreiben u.ä. mehr, so wäre doch mindestens zu fragen, warum das so geregelt ist. Aber warum sollte man nicht die viel naivere, viel produktivere Frage stellen, warum dieser Handel überhaupt so stark institu- tionalisiert ist: Warum kauft und verkauft man Aktien nicht einfach wie Gebrauchtwagen? Wenn man sieht, daß wirtschaftliche Curricula nicht müde wer- den, den Wechsel zu behandeln, und das gleichbedeutend ist mit der AUflistung seiner zwingend vorgeschriebenen "Bestandteile", mit der Beschreibung von Ausstellung, Diskontierung, Einlösung, Rückgriff, zu Protest geben usw., so wird man neugierig, warum gerade dieses Kreditierungsinstrument so ungewöhnlich rigide reglementiert worden ist (und warum man endlos auf ihm herum- reitet) . Wenn man unter dem stichwort Kreditarten in Schulbüchern Synop- sen findet, deren hierarchisch ausgefächerten AUflistungen 80 und mehr unterscheidende Spiegelstriche enthalten, 53 die dann im Text weitere Merkmalszuschreibungen erhalten, dann werden sich nur Verschwielte nicht fragen, warum es eigentlich so vie- le verschiedene Kreditarten gibt, warum sie andererseits so schematisch konzipiert sind. Wer sich auf diese oder eine ver- wandte Frage einläßt, wird sich auf die Betrachtung der Funk- tion einlassen müssen, die Kredite erfüllen sollen, auf eine Beschäftigung mit den Interessen und Risiken der Kreditgeber und -nehmer; er wird so auf das Dutzend relevanter Variablen stoßen, die das Auszuhandelnde bündeln und zwischen denen be- nennbare (je-desto-)Beziehungen zu gelten scheinen. Er wird er- kennen, daß schon diese wenigen Variablen ein Feld kaum über- sehbarer Kombinatorik eröffnen, aus dem man sich bei frei aus- gehandelten Verträgen auch bedient, daß es aber zweckmäßig ist, aus dem Feld für häufig wiederkehrende Kontexte Standardmuster zu entwickeln, daß dabei die Kreditgeber in der Vorhand sit- zen ... Wer so fragt, ist also längst mitten im Strukturkern in- stitutionalisierter Beziehungen ... Gerdsmeier: SOS 2 27. Entdecken und Gestalten 94 27. Entdecken und Gestalten Lang war Deine Rede - und immer verbirgt Geschwätzigkeit etwas! Deinen Anspruch stellst Du klar heraus, wirtschaftsdidaktische Reflexion nicht in der üblichen Weise zu betreiben, eine Vorge- hensweise, die lediglich die vertrauten, allgemein akzeptierten pädagogischen Prinzipien und Methoden an Beispielen wirtschaft- licher Inhalte und unterrichte illustriert oder ökonomische In- halte einfach abbilddidaktisch reduziert. Eine fachbezogene Il- lustration allgemeiner Didaktik scheint Dir noch keine Fachdi- daktik zu ergeben; die besonderen Einflüsse und Widerständig- keiten, die von den fachlichen Gegenständen und unterrichtsbe- dingungen ausgehen, wenn man sich befleißigt, die Ebene der Programmatiken und Rezepturen hinter sich zu lassen, scheinen Dir unbegriffen. Eine unbeseelte Fingerübung scheint Dir diese "Wissenschaftsdidaktik der Wirtschaftspädagogen"! Den Geist der Disziplin möchtest Du beschwören und ihm eine persönliche Be- hausung errichten, für deren Solidität die allgemeinen didakti- schen Einsichten durchaus bürgen sollen. Überdeutlich tritt der als neuartig gepriesene ~rundeinfall hervor, ökonomische Gegenstände gleichermaßen allgemein wie spezifisch zu charakterisieren, nämlich den gesamten Gegen- standsbereich in formal homogene Teile zu zerlegen und diesen jeweils spezifische IHinterfragungsstrategienI zuzueignen. Die wiederholbar aufschließende Fragestellung wird Programm. Unvergessen ist das Postulat, didaktisches urteilen müsse mehr spiegeln als persönliche Ästhetik und Gewöhnung. Was aber beweist, daß Deine Vorschläge im Rahmen Deiner Verste- hensprämisse gültig sind? Kannst Du Dich auf mehr als Plausibi- lität stützen, diesen Schmierstoff für Vor-urteile? Womit willst Du überzeugen, wenn sie nicht überzeugt? Oder anders herum: Was schließen Deine Vorschläge - außer der Fraglosigkeit - an Wegen wirklich aus? Man muß nicht erst die Kasus-Grammatik bemühen, um festzustellen, daß nur ein begrenz- tes Bündel an Fragen sinnvoll vorzubringen ist: Wer tut etwas, womit, in welcher Weise, in bezug auf was, wann, wo, aus wel- chem Grund, mit welchem Ergebnis... Gelingt es da, einzelnen Strukturbereichen aus diesem kleinen Vorrat noch Einzelportio- nen zuzuweisen? Es mag sein, daß dieser Einwand zu kurz greift, daß die Struk- turkerne nicht nur formal mögliche Fragen anwenden, sondern Fragestellungen aufwerfen, die tatsächlich aus einem Verständ- nis der materiellen Beschaffenheit des jeweiligen Strukturbe- reichs hervorgehen. Dann aber bedarf es eines ganz anderen Be- weises, daß nämlich die Strukturbereiche fruchtbar festgelegt worden sind. Mit Ausnahme eines Gesichtspunkts, der das Ver- hältnis von Wissenschafts- und Alltagswissen reflektiert, sind die anderen Kriterien außerdidaktischer Herkunft. Ihre Auswahl wurde nicht wirklich hergeleitet, ist wiederum bestenfalls plausibel und kann für sich nur in Anspruch nehmen, daß die üb- lichen fachlichen Gegenstände sich einordnen lassen. Nun liegt gerade in der Verheiratung der Didaktik mit der vor- findbaren ökonomik eine schreckl iche Verengung, wenn in den Gerdsmeier: SOS 2 27. Entdecken und Gestalten 95 strukturkernen eine der Keimzellen einer künftigen wirtschafts- didaktik gesehen wird. Zeichnen sich nicht längst andere Ökono- miken ab, die weniger dogmatisch an die Realität herantreten, besser zuhören können, dafür einen Satz sehr allgemeiner, mög- lichst vollständiger Gesichtspunkte und Fragestellungen zur In- terpretation ökonomischer Phänomene flexibel differenzierend heranziehen?54 Wäre es didaktisch nicht fruchtbarer, Anschluß an diese allgemeineren Fragestellungen zu suchen? Aber auch wenn diese Bedenken sich alle als gegenstandslos her- ausstellen sollten, auch wenn man mit dem Konzept der struk- turkerne vielleicht subjektiv bisher übersehene sachliche Zu- sammenhänge entdeckt, so entdeckt man damit noch keine unter- richtliche Idee. Dazu wird in der Heuristik des 'Einfachen All- gemeinen' der Kompaß des Verstehens zu unscharf verwendet. In der einen Lesart bestimmt er nämlich Schrittweite und Richtung im Prozeß der Differenzierung eines Gegenstandes, in der ande- ren den Ausgangspunkt des differenzierenden Argumentationsbo- gens . Und dieser Ausgangspunkt läßt sich nicht in Unkenntnis derer fixieren, an die sich die Argumentation richten soll. (Die Annahme eines 'üblichen Vorverständnisses' mag da zwar er- staunlich realitätsnah gestaltet sein, bleibt aber als theore- tische Entdeckung doch recht dürftig.) Hat man den Blick erst einmal geweitet, entdeckt man die didak- tische Enge des Konzepts der Strukturkerne, ihre wissenschafts- bestimmte Eindimensionalität, ihre kognitivistische Beschrän- kung. Keine Berücksichtigung affektiver Bedürfnisse der Lernen- den, ihrer Präkonzepte zu einem Gegenstand, anzustrebender Werthaltungen , vorfindbarer Unterrichtsbedingungen . .. Und ge- biert nicht erst ein unversöhnter Gegensatz wie der zwischen wissenschaftsbestimmten Strukturbereichen und gegenstandsspezi- fischen Präkonzepten der Schüler unterrichtliche Ideen, und kann sich Gestaltung nicht erst in der lustvollen Auflösung dieser in die entdeckte unterrichtsidee aufgenommenen Spannun- gen beweisen? Sicher hat es Gründe, wenn Präkonzepte und Unterrichtsbedingun- gen hier nicht erörtert worden sind: Sie sind nicht gleicherma- ßen allgemein bestimmbar, an spezielle Sachverhalte, Personen, Klassensituationen u.ä. gebunden. Man müßte hilfsweise Typisie- rungen einführen und die denkbaren Konstellationen durchden- ken ... Zwei Mißverständnisse sehe ich daher voraus. Beim ersten stößt der Einfall der Strukturkerne auf Unverständnis und einfach auf Ablehnung. Entdecken und Gestalten treten hinter längst vorge- prägte stoffliche Routen zurück. Beim zweiten werden die struk- turkerne als Methode aufgefaßt, ein Thema für den Unterricht zu strukturieren: In ihm wird bereits der nur noch auszumalende Grobentwurf gesehen. Entdecken und Gestalten vernutzen sich im Strukturbereich. Ich weiß nicht, welches Mißverständnis schlim- mer ist. Gerdsmeier: SOS 2 28. Die Arbeitsteilung sucht ihren Kern 96 28. Das Thema möchte, daß man zu ihm kommt: Die Arbeitsteilung sucht ihren Kern Vor eine absehbare Relativierung wiederum der Relativierung des Konzepts der Strukturkerne sei die Forderung gestellt, endlich die Vorreden einzustellen und zum Thema zu kommen. In welchem Strukturbereich wird es angesiedelt, welche Fragestellungen er- geben sich aus dem maßgeblichen Strukturkern, welche unter- richtliche Idee erwächst daraus, wie wird sie ausgestaltet, wie bewährt sie sich und wie wird sie beurteilt? Darf man bitten? 29. Der Gegenstand in der Ökonomik Gäbe es die Schulbücher nicht und die Lehrpläne, die der Ent- wicklung bekanntlich immer sehr nachhinken, und gäbe es nicht die abgegriffenen Beutel, aus denen Politiker Sachzwangargumen- tationen wie die von der internationalen Arbeitsteilung in Um- lauf bringen, so wäre die Arbeitsteilung zwar noch existent, aber gar kein Thema mehr. Gewiß, da gibt es immer mal wieder die Suche nach der alterna- tiven ökonomie, dezentraler als das Übliche soll sie sein, autarker, selbstbestimmter, mit zurückgenommener Arbeitsteilung eben - aber meistens benennen sie es nicht so. Da beklagen Feministinnen die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern - aber sie reden mehr von Rollen, Chancen, Unterdrückung, Feind- lichkeit. Da debattieren Arbeitsmarktpolitiker und Indu- striesoziologen auch über die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine - aber sie sprechen von Automation, Rationalisie- rungen, Freisetzungen. Auch Arbeitswissenschaftler vernimmt man - aber sie sprechen eher von Humanisierung. Und dem Hauptstrom ökonomischer Theoriebildung bedeutet der Begriff gar nichts: Die Arbeitsteilung wurde als Prämisse in d~r Welt der idealen Modelle inthronisiert, und dort schläft sie unerlöst mit ihren Schwestern. Manche Betriebswirte erwe~sen ihr im Zusammenhang mit organisatorischen Vorstellungen die Referenz, sie zumindest als Prinzip vorzustellen: Beschrieben werden dann abstrakt und un-berührt von den konkreten Ausgestaltungen in einem benennba- ren historischen Kontext die grundsätzlich möglichen Zuordnun- gen verschiedener Tätigkeiten zueinander (Herrsche und teile!). Diese Geringschätzung ist bedauerlich, denn die Arbeitsteilung ist ein nobles Thema. Das erkennt man nach akademischen Usancen daran, daß es schon bei den Griechen behandelt wurde. Tatsäch- lich gilt manchen Platon als der Gründer der 'Theorie der Ar- beitsteilung,55: Der den hohen Bedürfnissen und geringen Fähig- keiten geschuldete Mangel an 'Autarkie' des einzelnen findet seine Kompensation in der Autarkie des organisierten Ganzen der Polis. Gerdsmeier: SOS 2 29. Der Gegenstand in der Ökonomik 97 Wenn also Adam smith nicht, wie viele meinen, der erste in der wissenschaftlichen Behandlung der Arbeitsteilung ist, so ist er mit seinem Stecknadel-Beispiel unstrittig der Erfinder des ef- fektvollsten Lehrstücks und nachhaltiger Popularisierer der em- pirischen Gesetzmäßigkeit, daß eine Ausweitung der Arbeitstei- lung eine Zunahme der Arbeitsproduktivität und des allgemeinen Wohlstands bewirke. Thesen wie diese waren für die Rechtferti- gung und Konzipierung der 'bürgerlichen Ökonomie' strategisch wichtig und wirkten nach bis in den Taylorismus dieses Jahrhun- derts. Wie überhaupt die Arbeitsteilung ein bedeutendes Thema des 19. Jahrhunderts war: Es war allgegenwärtig, weil mit fast allen großen theoretischen und wirtschaftspolitischen Grundfra- gen verquickt. In Fragen der Allokation, Distribution, Außen- wirtschaft, der Ordnungspolitik und der staatlichen Regulation, aber auch in methodologischen Fragen der Theoriebildung war es unübersehbar präsent. Man kann z. B. zünftische Ordnungen, die überkommene Privile- gien, Ausgrenzungen, AUfgabenverteilungen und Spielregeln ri- gide festschreiben, nur wirkungsvoll kritisieren, wenn man die "Wohlfahrtsverluste" der tradierten Arbeitsteilung nachweist. Man kann nur für Freihandel plädieren, wenn man Wohlfahrtsstei- gerungen für alle Nationen theoretisch "beweist". Wenn man von einer Wettbewerbsordnung steigenden Wohlstand erwartet und als Quelle des Reichtums das Arbeitsvermögen der Menschen ausmacht, muß man zeigen, wie durch Veränderungen im Einsatz der Arbeit die behaupteten Effekte eintreten. Wenn Güter und Dienste in arbeitsteiliger Gemeinschaft hergestellt werden, ist zu klären, welchen gerechten Anteil am Wohlstand der einzelne beanspruchen kann. Wenn sich herausstellt, daß die Einkommensverteilung bei der Industrialisierung sehr ungleichmäßig ausfällt und mit ver- breiteter Verelendung einhergeht, wundert es nicht, wenn der Fluch der Arbeitsteilung in den politischen Reden ausgerufen wird. Und es hat ebenso mit Arbeitsteilung zu tun, wenn wegen dieser Verarmungen Betriebsdezentralisierungen oder Kontrollen des technischen Fortschritts (z.B. im Gildensozialismus) gefor- dert werden oder wenn wegen des Verlusts an Übersicht über die Zusammenhänge und des Verlusts des Sinnverstehens von Bedarfen, Arbeit und Produkten die voranschreitende Spezialisierung kri- tisiert wird. Bei wohlmeinendem Verständnis sind Betrachtungen der Arbeits- teilung hier stets in empirisch gehaltvoll gemeinte Aussagen mit Ursache-Wirkungs-Ketten eingebettet, als Allaussagen oder Gesetze dem Strukturbereich der Theorien zugehörig. (Etwas aus dem Rahmen fällt vielleicht das Konzept des wirtschaftskreis- laufs, das Arbeitsteilung nur in seiner rohen Form als Prinzip zur Ergänzung bedarf.) Eine Einbindung in empirische Betrachtungen bleibt auch dort erhalten, wo - wie etwa in der historischen Schule - die Kon- textgebundenheit ökonomischer Verläufe stärker betont wird als das allen Konstellationen Universale. Naturgemäß tritt ·damit aber auch der kausale Charakter der Aussagen zugunsten deskrip- tiver AUfgaben zurück; nicht unerheblich wird die Arbeitstei- lung zu einer der Variablen, an der die Typisierung ökonomi- Gerdsmeier: SOS 2 29. Der Gegenstand in der Ökonomik 98 scher Konstellationen als 'Wirtschaftsstufen' ansetzt und bald in Gefahr gerät, nur noch klassifikatorische Behandlungen zu provozieren. Aber dort, wo versucht wird, den übergang von ei- ner wirtschaftsstufe zur nächsten zu erklären (wie bei Karl Bü- cher), die Stufenlehre also zur Entwicklungstheorie auszubauen, werden Entwicklungen und Formen der Arbeitsteilung zur bewegen- den und umbildenden Kraft. seit die alten gesellschaftlichen Ordnungen zerbrochen sind, Maschinenstürmereien und Revolutionen ruhiggestellt, alles ei- nen etwas luxuriöseren Gang geht und auch das wirtschaftswis- senschaftliehe Walhall festgefügt auf Berges Gipfel prangt, den ökonomischen Weisen zu ewiger Lust und endlosem Ruhm, ist es um die Arbeitsteilung, weil nun ein auf höherem Niveau Selbstver- ständliches und mühelos Flexibilisierbares, ruhig geworden. Man findet sie noch in der Ökonomik - in den statistiken. Wenn Zah- lenkolonnen die Erwerbstätigkeit abbilden, nach Geschlechtern, Alter, Berufen, Branchen, Sektoren oder Ländern, ist sie immer dabei. Sie ist eben nur implizit geworden. Gerdsmeier: SOS 2 30. Die Heuristik macht sich einen Sinn 99 30. Die Heuristiken machen sich einen Sinn: ein. möglicher Strukturkern und eine mögliche Argumentationsroute Arbeitsteilung ist heute kein Thema, weder bei wirtschaftswis- senschaftlichen Diskussionen noch im alltäglichen Denken der Schüler. Im einen Fall ist die Wahrnehmung davon lexikalisch, im anderen bleibt das Bewußtsein darüber diffus. Manche zeithi- storische AUfgewühltheiten wiederum, heißen sie nun Rationali- sierung, geschlechtsspezifische Benachteiligung, einseitige Ar- beitsbelastung u.ä. mehr, werden nicht herabgesetzt, wenn man ihr Verhältnis zum Konzept der Universalie 'Arbeitsteilung' sieht wie die bewegte Oberfläche eines Sees zu seinem tiefen Grund. Sie bilden die auffällige Außenhaut des unauffällig Tiefliegenden. Sie beschreiben gerade nicht die genuin ökonomi- sche sicht der Arbeitsteilung, sondern sind 'lokale' Versuche, den Auswüchsen des Ökonomischen gegenzusteuern. Wer unterricht- lich an dieser 'Oberfläche' ansetzt, wird möglicherweise wich- tige und lebhafte Lernprozesse anregen, aber er wird nur über bemühte Exkurse zum "Grund" vorstoßen - sofern ihm das wichtig ist. Hinzu kommt nun, daß der Gegenstand selbst nicht besonders gut strukturiert ist. Über ihn liegt keine akzeptierte Theorie vor, nicht einmal konkurrierende Theorien finden sich, auch keine ideale ModelIierung in 'erklärender Absicht', kein spezielle Kontexte überschreitender Kalkül zur Bestimmung der 'optimalen Arbeitsteilung'. Unklar ist sogar meistens, ob die Definition des "Grundtatbestandes" Arbeitsteilung Überhaupt logisch unab- hängig ist von der des "Grundtatbestandes" Tausch (oder des Kreislaufmodells als speziellem Tauschkonzept.) Die Arbeitstei- lung hat - wie fast alle Größen, die sich nicht einfach in Geld ausdrücken lassen - komplizierte quantitative und qualitative Dimensionen, die im zeitablauf nicht konstant bleiben, sondern sich unter der Einwirkung einer Fülle sich ebenfalls wandelnder Größen verändern und dabei wiederum die Entwicklung anderer Größen anstoßen. In diesem Gewirr von Vernetzungen, die empirisch sich wandelnde Größen in Beziehung setzen und insoweit als empirische Aussagen hervortreten, sind nur wenige Aussagen zu finden, die den sta- tus von 'Gesetzmäßigkeiten' (und sei es nur in der abgeschwäch- ten je-desto-Form) einnehmen. Unter diesen wenigen überragt al- les die These, daß "immer gilt, daß die Arbeitsproduktivität desto höher ist, je höher die Arbeitsteilung ist", eine These, die smith eingebracht hat und die seit damals fortwirkt. Wenn diese These die Kernvorstellung der Ökonomen innerhalb des etwas diffusen Konstrukts über die Arbeitsteilung repräsen- tiert, dann müßte es - beim Anlegen der didaktischen Meßlatte der Wissenschaftsbestimmtheit - statthaft sein, sie zum Zentrum weiterer Vorüberlegungen zu machen. Es ist dann zu klären, wie, in welcher Absicht und Einbindung über sie gesprochen werden soll, ob ihr Wahrheitsgehalt früher und jetzt, generell oder in Teilbereichen geprüft werden soll, ob die Gründe für den Wir- kungszusammenhang geklärt werden sollen, die Voraussetzungen Gerdsmeier: SOS 2 30. Die Heuristik macht sich einen Sinn 100 und Nebenwirkungen, die qualitativen Veränderungen in den Wir- kungen usw. Zuvor ist die These selber zu analysieren. Man mag Zweifel ha- ben, ob sie bei den heutigen Kapitalgütern und den durch sie erzwungenen organisatorischen Umstellungen überhaupt noch oder in dieser Allgemeinheit gilt, aber im Rückblick auf die Mensch- heitsgeschichte wird man sagen können, daB im Trend Arbeitstei- lung und Arbeitsproduktivität positiv korreliert waren. Wenn man aber - wie in der These - in der Arbeitsteilung eine unab- hängige Variable sieht, in der Arbeitsproduktivität die abhän- gige, dann liegt die Frage nahe, warum die Neandertaler nicht einfach die Arbeitsteilung verdoppelt haben oder warum wir es nicht tun, warum Arbeitsteilung und -produktivität westlich des Limes absanken, nachdem das römische Reich unter den Angriffen der Germanen zusammenbrach. Offenbar ist der Grad gesellschaftlicher Arbeitsteilung keine wirtschaftspolitische Instrumentvariable (und die Akzentuierung bei Adam smith erklärt sich einzig aus seinen Angriffen auf all die Verordnungen, die damals mögliche Steigerungen der Arbeits- teilung behinderten). Der Zusammenhang besteht im Grunde genau umgekehrt. Überspitzt gilt: 1. Für den Grad der Arbeitsteilung gilt immer: Wenn sich mit einer (technisch, organisatorisch, rechtlich) möglichen Veränderung der Arbeitsteilung die Ar- beitsproduktivität erhöhen läßt, kommt es zu dieser Verände- rung. 2. Im Trend waren diese Veränderungen der Arbeitsproduk- tivität mit Erhöhungen der Arbeitsteilung gleichzusetzen. - Die erste These ist wegen der auf 'mögliche Veränderungen' verwei- senden Leerstelle nur im Zusammenhang mit explizierten histori- schen Kontexten diskutierbar. Durch solche Erweiterungen wird eine qualitative Einbindung der generellen These versucht und die Blickrichtung der historischen Schule der Ökonomik einbezo- gen. Damit sind die Elemente zusammengetragen, die den Argumentati- onsbogen vom 'Einfachen Allgemeinen' zum Differenzierten her- stellen. Zunächst ist (z.B. über Verfremdungen) das diffuse Vorverständnis über Arbeitsteilung in ein geordnetes Bewußtes zu überführen (was die Wahrnehmung des Bekannten in Form unzu- reichender persönlicher Autarkie, der Verwobenheit in Tausch und Wirtschaftskreislauf, subjektiver Abhängigkeiten erforder- lich macht). Diese Ordnung läßt sich nun in differenzierender Absicht durch die Fragestellung aufbrechen, warum gerade der Grad und die Form von Arbeitsteilung gelten, die gelten. Das wird in die Bearbeitung der beiden vorstehend diskutierten The- sen einmünden. Und für diese Thesen lassen sich dann weitere Differenzierungen anbringen: Gründe, Voraussetzungen, Nebenwir- kungen, heutige GÜltigkeit des Effekts u.ä. Inwieweit die vorgestellten Überlegungen in ähnlicher Form bei anderen Gegenständen auftreten, insofern einem Strukturkern im Bereich "empirische Regelmäßigkeiten" angehören und nicht nur der themengebundenen Aura, bedarf längerer Prüfung und bleibt hier unbeantwortet. Die Strukturkerne und grundlegenden Argumentationsbögen sind nicht deckungsgleich mit den - auch von anderen didaktischen Gerdsmeier: SOS 2 31. Gegenrede der SchuLbücher 101 Prinzipien beeinflußten - konzeptionellen Entscheidungen bei der Ausgestaltung eines unterrichtlichen Themas. Da nun aller- dings weiter unten nicht Beispiele für Unterrichtspläne vorge- legt werden, sondern Schulbuchmaterialien, für die Gesichts- punkte wie Schülerorientierung, Unterrichtsbedingungen u.ä. nur in typisierter Form Eingang finden können, zudem den Schulbuch- materialien hier mehr eine direkt belehrende Funktion zuge- schrieben wurde (und nicht z.B. die, thematische Probleme für eigenständiges Lernen zu arrangieren), wird der skizzierte Ar- gumentationsbogen hier in die konzeptionelle Grundentscheidung weitgehend übernommen. Bei ihrer Ausgestaltung soll allerdings beachtet werden, daß ökonomische Effekte nachvollziehbar herge- leitet werden, daß Zusammenhänge auf (insb. historische) Kon- texte bezogen werden und möglichst aus Vorstellungen "destil- liert" werden; Effekte sollen zudem nicht nur einfach wie wun- dersames Manna vom Himmel fallen, ihre Beschreibung und Bewer- tung sollen getrennt werden: Steigende Arbeitsproduktivität ist eben nicht grundsätzlich gut (oder ein 'Vorteil'). Das wiederum soll nicht heißen, die Materialien von Wertungen zu säubern, sondern die Wertungen sprachlich kenntlich zu machen, sie nicht aufzudrängen, sondern eher zu provozieren, allerdings auch nicht zu nachhaltig , weil die eingeführten Kontexte und die Vorstellungen nicht genug Substanz haben werden, um weitrei- chende Wertungen zu rechtfertigen. 31. Gegenrede der Schulbücher: Das soll neu sein? Du magst uns nicht. Du verfolgst uns. Deine Voreingenommenheit macht dich blind. Dein selbstverliebtes Wuseln im Okkulten von Strukturkernen, von Aura, Aurora, Aurignacien verleiht Dir nur die Aureole des dummen Augusts. Und auguriert die unter Deinen autokratischen Auspizien auskultierte Audition irgend etwas, was wir Autochtonen nicht auch so oder aut simile ohne autohypnotisches Außersichsein schon lange äußern? Au contraire, Du gleichst einem autokinetischen Hasen, der einen längst am Ziel weilenden Igel zu überholen behauptet und für ihn auch noch ein Autodafe fordert. Schon immer erfährt man bei uns, daß "Arbeitsteilung die Ergie- bigkeit der Arbeit" erhöht. Schon immer stellen wir ihre Vor- und Nachteile säuberlich zusammen. Wir verschweigen nicht ihre Verschwisterung mit dem Tausch. Bei uns erfuhr man schon immer, daß die Arbeitsteilung sich im Laufe der Geschichte ausgeweitet hat und daß sie verschiedene Formen annimmt. Au naturel. Noch die Geringsten unter uns sagen Dir das. Und der Beweis soll nicht lange auf sich warten lassen. Setzt ihn au fait, macht den AUfgalopp! Wir rufen auf zur großen Parade! Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 102 32. Die große Präsentation Exponat 1 (Af)f(n f~ tJtfV) ~ 4.>;eno i'\~ (,.~ 1'.-'1 ~.~ tA·~ a.cS\ ~, Pilt ~ 103Gerdsmeier: SOS 2 32. Oie große Präsentation ~ t.. '\-A. ')4'th ti!· ~ ou..,1U.\i~ W;"CY~Ol~ ~~",~~~; f~t':~C'''t. \. f~tetay.ste!Ls~ mit Personen außerhalb der geschlossenen Hauswirtschaft fjDd ..Doch -.vp t • ~ I nicht statt. Das gesamte Wirtschaftsleben spielte sich in der geschlos!ienen Hauswirt o ~",,'40 ~~ • ;;haft";b. ~...4-"t~" ~ '"'0~ otAL \u." ~ VlÄ-..l°81. 4J-(J&.I. ~~L( • ~ tJ.AAI '"~ tI t.t.M '/2 V· IL\, cJ2ik.. Die Stadtwirtschaft. Auf städtischen rkt unser heutige~h..! 11 · 'l. auf 'e e eh zurück) werde 'etzt ie in der Stadt rzeu ten Gcitfe ab esetzt. Zwischen~=~ der Stadtbevölkerung und der ~a~hbarten Land_be!ö kerUQ9 setzt ein~~. ~,,\ \(;~tl tausch ein. ~ "L l ~ ~~Ist die Arbeitsteilung bereit weiter fortgeschritten. Sie besteht nicht mehr~! ~~ i",A. j~ "2. zwischen Mann un Frau on er vor a em zwischen Landwirtschaft und ewerbe- ~M. ~l tJ.A.J"';~. betrieben wirte der umliegenden Bauerngehöfte bringen ihre E zeu nisse ULc. ~ ____ . le Stadt und erwerben dafür von den städtischen G wer ebetrieben deren E zeugnisse, ?{)tl ~..,..".,- wie Kleidungsstucke. Äxte, Ackergeräte u. a. iese Stadtwirtsc a t~en,zeiChnende..~~... Du für das Mittelalter •.•'\.!. .l1~~~ I~ -- w~ i~ tL.,.~ ~ t /~ • d..6 -t~~N\-( ob.eL,I'M. ~ l.'N ~ t..~.:cS\. ~(J/t ~'~~-~~u~-~~::~~ ,..II:"JJ. J-<"'~_~ ~(,~~~ ~~ • nL"'GU" ~ ,-". · ,I-t,.~~ (l.~: ~,~""'*L~ ~ ?IN~'QAM~. ~" tA "'t~ ~ l.vv\ C:;. T k tA ... ~,c.cr cU\'i "'" tJ •_~ ~ e;~ ~ tÜJ \l....u (.,\(M~-- ~ ~'Ir..U-" ::':..... c/-"'rJ. ~. t.l~.. d=t, (M ) ~~ ~ 6-.. ~\c;.~~" I')~KaAN'Ll .Ll.,.,."~ ... ,l, WO". \}oV\\.~ 1AI' "'-I\IW'~ Wl)~(\.CJJW"I'-~" .. N ol......\- T' <. olr'\7 "'" : 'f-<>~ ~"'- rJ.; t.. c.kV- " W f , U\ ~~ 'l~~ ~:;... oC~ .o"IL. • ..-L..- ....... "'~~ ~~ • k. "\kt" r).. ()'l, r}; .... \.,1IoN'~ - <.J IW'~ Gerdsmeier: SOS 2 32. Die groBe Präsentation 104 Container-UmJadung ~-i!!.!!!!: - : - r::=: ~_.-~- -=-- ii4ji§ - JNVmi8OlGl( ~....................-- ?"5F . Güterverkehr auf der Autobahn ~,. .. Blick auf NürnberS/ (Nach der Chronik von Schedel. 1493) Wev, i-\-~ ~ ~------""'-,,",Angehörige gleiche Beruf siedelten sich in der mittelalterlichen Stadtwirtschaft meist in eJrler bestimmten Stra-!, zumindest aber innerhalb eines kleinen Stadtviertels, an. Heute \ noch übliche Straßennamen wie Gerberstraße. Schusterstraße. Schneidergasse. gehen • \.1~-\ auf diese Zeit zurück. 'f'-~ 1: z Wc.~~7i'~ "".....~ V~~~"d;t. "2 .@e Volkswirtschai).~berziehtein ~es Netz VO~USChWeg~nichtnur ein f y.a.;~T(;UA.l~t" ·Stadtg~t, sondern die s m e Wirtsc a eines Volkes. Straßen- unii Eisenbahnnetze I ~ durchziehen das Land.~e V rkehrsverbindungen sorgen fürLe"gelmäß~nGü~ austausch. ~ ., '-';~'&c,~.,\~ ." A Ji{&..\..J\ ,~ Q..k"'- _____ I·~. t.~ ~u.1 ~ ~~{! cUL ~~ -- ~ ~,,~~ . ~·cM~~ \a;~ +<"~~~cW! {J"" ,,..k tz~~- \\ l·· ,J...' l t)M'\ ~. ~~(,$elt.t.~ Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 105 " e.~ ~~ p,...·t,t: ~ ~.... cLu t4Wl~ ~~-;~.~! UlMe( '-f"'~"-'\. ~~~ ,~In Q"u~ ~ 0",", '. ~ Di t. AClWl ci .. ~,..~~~-­ t.,.."it..\ ')4'Jot OLM{ J--etl~-­ .t~ tl.X ~ Ockt H-tt~lÄ c "VI-•.) ~ I(i; t.-l. l (~""~.~ 1~,",Lc.. ~ ":c.~tC~ ~LA~~) Welthande/swege. Schiffahrlswege = blau. Fluglinien = schwarz tA..rA."'~ ßClllA1.Ll ~~ ~ ~~'~ ~\V~~Die Bundesrepublik Deutschlan z ß. ührt hauptsächlich industrielle Fertigprodukte aus. .c.:"" er""-'''' C"""'"t1.~~ An diesem Export sind~ die chemische Industrie (Arzneien, Düngemittel, ~~~',,~ Kunststoffe), die Automobilindustrie, die Maschinen-, elektrotechnische und optische Jl.i4 Wo~ -'--M. Industrie (Fotoapparate, Filmkameras) beteiligt. ~- h. I. ) Demgegenüber importiert die Bundesrepublik vQrne~h Rohstoffe (z. B. Eisenerze, ~.~~ ~ Erdöl. Erdgas) und landwirtschaftliche Erzeugni';;;wi~e.Südfrüchte u.a. Ci~-tl< I. ~~~k (..,~) A~t': ~.",~~\.u; '3Il~ 1 -, r· --... ·~1'+JP..o~","",'~J.....; 2l1"/. ,,(.(~....ut..,~~:.u:;. 1:1S/L '~,'Mo JA."" &.hu••_.... • ö'"'--- I I ,r. ,~ ~ -r:""'"'''',L""'-~~J,q.U: -", tif , ""'~f-~~&u.L : ',S h } ~ 2l,r,ß '. ~ .:: oU.(.{~~~~ tUMt"'·m.c. (~~l öllA.~ ):8 1~ ~A 2.4Il.~'~ =I/=. WIV") rv'V\L' \\ r) t·· , ~ ~. •~ AJ.: ~ I (r-(..,... ? I~'C l oU+·NI".'"1- 1. CJ~ ~1.. ..ln~ tvt. · '" ,--- /n~ ~.J\ ~CVk~" l.. GVN_..... 1 l '/90.._ ... 1 _1 __l~·u....· VIo.. ~ ~f- ' N ......~ Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 106 «-c~ t\ ~(() Plto ~ k.,.1- 1 ~ S*" 1. ~~~ ~el o,.-rJ,. ~O~ '00 j,J.....c. ~ ~~~ 5. Stufe Weltwirtschaft 11l\~~-H;~R-\l"'i.-."~.tf.,...----- ... ~ ,., ..-.. _- 4. Stufe Volkswirtschaft 3. Stufe Stadtwirtschaft 2 Stufe Geschlossene Hauswirtschaft -~-~~------------------------------- 1.2. Di heutige moderne Industrie ~.t.~ Kennzeichnend tür die moderne industrielle Produktion sind ,,--- ~ L, IV)~. Arbeitsteilung . K·1... 1-'~lA:~- • Ser~enfe~i.gung und Massenproduktion unt~ verwendu-rg des Fließbandes ~ ~~W , • Rationalisierung ~' ~' ~~L~.;J~ol (~) • Entwicklung zur Automation ..,. \...l<-./~ ,.,..~~cJrSt'F· IIN\ ~~, '" fV') Arbeitsteilung. Die Gesamtarbeit wird in viele kleine Tfte"'a~beiten zerlegt. Jeder Be- fI-'"" t '1. , .~ cM ..~Q -.>0"0 ~NV '2 ~ Ol. ~ ~ - /' vJ~ "_ L ... ~-.v. . "" \~~ . / ~r können 'r auch s~ en Sinn d rEn t wie k 1u n 9 s h i 1f e verstehen; M ~~..~ ber Fischer, der' unserem Beis iel it der Hand !in war in der Lage eine ~u-c.:~Lt:~~ Entwicklungslandes. mußt 'liell Fis e fangen, um seine Familie zu ernähren. ? • .,. ~ _ Solange ihm niemand el redi ab onnte er kein Netz knüpfen und mußte Cü.k .J_ -e" ,'t ~ 'Y\CJ..~ - {~&dem erreicht~~S.1an ard Anzahl und Men e der befriedigten Bedürf- fDit.~ ~ (,ick Q,"'It~ijl I nisse) zufrieden seiD. Erhält er einen Kredit, der ihm das Knüpfen oder Kaufen , ~cLü-a~" lJ.t - ~, t:~ des t~etzes ermöglicht, kann er schon a zweit a den Kredit zurück- , _- ~ ce;~ \ ~.c,.~ zahlen. Selbst wenn er noch 60 Fische Zinsen zahlt, at er schon am zweiten Fang- ,.-rr- .. D _ ~ "i..-ttA.A41M- tag seinen alten Lebensstandard wieder erreicht. Da er aber an den Folgetagen IM~~~ ~ (fMM.~ immer 80 Fische mehr fängt, ist sein Leb e n s s t a dar d gestiegen.~ ')( .,....t". AJl~. ~ I .~ gleichen Lage sind die Entwiddunqsländer. Sie habe einen niedrigen Lebens- .c, LI .~ \~~ • • standard. I?p.s~alb können s.ie s~ch ~us eigener Kraft eine U~we.gprodu~tion .. ~ I - ...\-? 'M dJot- leisten, weil dies den ohnehm medngen Lebensstandar noch mednger drucken / ~u..1:. \,Iw'cl \ I}»' würde. (fjellen '!Wihnen aber mit Krediten oder mit Pr duktionsmitte!!l. dann_.I, ..t-.lt __ .... können sie mehr erzeugen und diese Hilfe wieder zurück hlen.')~ lfi~'~ ! ,.- • f»P' .. , • l. r-- , I.J0 ~ k.t;"'~: I ~. h-~~ •~'"",~ uCf"l\. &~ ~ r I)o-t~, ot'~~~ \.~l!:~~ ~"* 1V'~\. b.tAN'O · ol·L)U..nc'tlu:l t... 'L Ja _ ." -!VI~ h-4'-c9t ~~ ~'. ,. 'k.Dtc9\.~~l·c1L,,,~., V\M. ~ (.."~ ." ..~-" 't, ~ " """'l.,1 '_ ~~~~~~1k.. ~cC~"""'~ t4-.~.~ ~ cr""L1 ~ _ ~ ~\ t~ l.v\~. Quelle: Erbach-Blanki vgl. Anm. 57 Strukturkern: (bzgl. des 2. Absatzes) Klassifikation nach Arten der Arbeitsteilung in chronologischer AUflistung bzw. in Verknüpfung mit unhistorisch verwendeter Stufenvorstel- lung / Absatz eingefügt in übergreifende Klassifikation, bei der Arbeitsteilung und Umwegproduktion nicht ver- knüpft, sondern gegeneinander ausgespielt werden / miß- bräuchliche Verwendung der Mathematik zur idealen Model- Iierung von Umwegproduktion und unkritische Übertragung dieser Modellierung auf Dritte Welt-Problematik / irre- führende Verschränkung der Konzepte : Kapital, Investi- tionen' Kredit und Sparen. Handwerkliche Fehler (vgl. Kap. 19): 1, 3, 4, 5, 7; zahlreiche uninterpretierte Fachterme. Darstellungsmängel (vgl. Kap. 33): D, E, F, G, I, K, L, 0, U, T (angestaubte Konsumverzichtsthese der Zinsrechtfertigung als Produktivitätserklärung) ; Die schöne Rechnung: 10 Mann mit je 2000 Nadeln = 200 Nadeln je Mitarbeiter. Die besondere Kniffelei: Was unterscheidet Anzahl und Menge? 10932. Die große Präsentation !vA;, .'~~~~ r"tAA-": sos 2Gerdsmeier: ~~t\lt ~ ~~~f wCv) r~ _--1~~~~~~~~:-;:~~~~~~~~~~~~~~ Tt\Ä~tLt~ ~ il'\ rJ.,,~ --~~~-......._~~~~ ~~~~~V'~~~~ifIIIC===~""_~ ~.ll~~ ~~t\.Cl­ QÜ(,C;~~ tWl~ "l&a\.r.,tt ~.. ~:1~\'~U~~~\n~ Q~r-~ ~(J~~~ i,,~Y\4~ ~"'~! Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 110 oJJ.. rJ.V) ')A'/tII t;(.. ~...t.­ hi(..,.ta~'t Mr~~ ~ 7 .\. ,J.Q/I~ I ~'A CJ Internationale rbeitsteilung / I ! \ ~ • cC«. ,Mt, Klima, Bodenschät e, bei der Me sehen technisches Wissen, organi- ~. •• J,.jJtI\- '- satorisches Könne un andere Faktore sind itbestimmen für die Wirtschafts- ~~~I&"tt ~~tJt(i.ctllln.geines~.Durch d· e s i zw·s en olksWl s a en L~ I ._ t bildeten sich inter~e Schwerpunkte im Handel, in der Industrie, im Ver- '-')~ ')4'_tA. ~" ,WeM.kehrs- und Geldwesen. Sie sind qill i~ren Standortvorteilen Grundlage d~r inter- / ~ \~cA.O"f ...~ ,~tio~a!~beitstejluni) t.oev, ,"'\A. cl.tV"J ~ K~ ~ ~ \(;~ ~Gl- iN..", i",t,. -t.tV7 ~ ~~r--- '2 tu k~ '-"o~ ot:~ 1Qce.1"-·~ ... •~ \Mo.,L "'~- ~ ?-t''OlCll.ui ~ &t.-~ k.n.~~ • ~...'oJ.....\~ ~l- - ~.-'t !v~~~~~l: ~tl ..W~'M,~ weltwirtsdlaftlidl ~ ' ...t....cl.:altc.a tb t·r---=::;;:=::::::::~-.,...~=-=:;:.;;==-----t----,r-=~---r--------;h-i &b ,'#tM ~"""~ ijQ4ltL..-,J \Jftlt: 4... ~~! s..-I1It.c.. d", GLUr~ ~. eu-1,.~"lC1K:~1 ..---i:I~~::If-&-+----4~_--I.-_~~~~~~*",""a.L7 2CItt t"'"~~~ I~c:.o, ~~tl A,•..f...s ,,~~ c/'b'L't.Lt.v~ tvok.v~ oCfJIL ~-.,)~~~ .".,~ c:.(N') e:tc... e:~~(WIMl Vi",lrl:c.Lc. J 1.6.2 Produktionsstufen ~,w~ o(.\c... k.\K:~ lt,;w."....~ ". \'~f~ ?'t. ;n+ z. i r der Arbeitsteilung ist die Herstellung von Produkten in aufeinander- • olge~ell .froduktjonqtufe;!. Viele Betriebe von der Urerzeugung bis zur Ver-teilunga~ersind daran beteiligt: ",,,,,:~ r)An~l­~. ItrCAftI)~ .1~dA- ~Ok(;~~~ Urerzeugung We1terverarbeitung Qit ft>A 0\ i tM-~~ ~~\n lt.:CJ..A.M..\ ~Ö~~ ~ l,~ "Mo ~ o"'l~ol~ S;'t;~ (~b).. :.A.'''' ~~ ~ ft..(,.c;~. ~~~) 'Y\.',* \).oN ~! ! Quelle: Zschenderlein, vgl. Anm. 58. Strukturkern: Klassifikation nach Formen der Arbeitsteilung mit weiteren eingeschachtelten Klassifikationen und (chrono- logisch gemeinten) AUflistungen bei willkürlichen oder fehlerhaften Merkmalszuweisungen Handwerkliche Fehler (vgl. Kap. 19): 1, 3, 4, 5, 7, zahlreiche un- oder fehlinterpretierte Fachterme. Darstellungsmängel (vgl. Kap. 33): B, C, D, E, F, H, 0, Ui Einfügen von teilweise kryptischen Satzstummeln, mit de- nen z.B. die Herleitung der Arbeitsteilung nach Produk- tionsstufen aus der geschlechtsspezifischen Arbeitstei- lung "gelingt". Behauptungsinflation in Hauptsatzmanier. Der feine strich: Jagen ---+ Tierfelle aufbereiten Schreiner ~ Möbelschreiner. Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation I z. ~ .,. 1. · o....,_,~ ~ f(büch ·Je.~ ~ ,. ''-'tAl'"j,.... ~ ~t&.,., "'heA- oJ, ~ ..... J.. , w<: <... (~J.J).tc..) T~~ ~ t:~1~ 1Y\.J..W.t l."-L,~ e;MtM. .. )-f. ~ I.r;..• bl .. ~,",,,,~ (;:~J~ ~ ~.~~ ot(,lwc(., tAXlL ~ G,'~ t'4M ..k~·~· 1\o\.'cM- ä:h '- ! 111 l~ ,-,.. .c.~ ..b<.-, "k.J..c. \ ~..+b..~~ ~tl ~c.\L~ t" 1..h t-, ~d\.;~ ! ~Il "-'Na ,'""," ..,.,- \- ~~\(~r ~.l~~ ~"~(1. ..~, ~la-iW;~ t ....~~)~ Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 112 ~~~ W.AtA.Y\. ~Li~~ \- bw· ·~ '1; ,}J..J~~~\-.. '2; ".IA. tJ:~~ _~"ü""-'LL~~''''''''' \.,v"" ~ \- . ~~~. ,).}.LP. 'fr:fV'.~c>Jr ( ,,~.t.U t ~ÄN'-~ v ',,- ~ \ (,A ~- _" ~.JJ'\.~,,':),;""- · ~tJW'\lft') ~ " . \1MWr4 {l(, " "" o.rv · lf'--'·tyI''''''.:.J- Achsen, des Lenkrads. er Lampen usw duktion {Ha dwerks- und Industriebetriebe/f~o..~. ~ '. (8ierbe!),immtSnur no~ und des ienstleistungsge~es (z. B. ;J.n Q wahr Handel, Kr itinstitute, Versicherungen) ge- Z B. stanzt der Arbeitnehmer A nur noch die Karosse- genüber I hne werden wirtschaftliche Gü- W'v? (I') ~ t.ß. riebleche, Arbeitnehmer B bohrt nur noch bestimmte ter produziert. Das sind Güter,die~ und ~ H-+ ~ "I~ Löcher, Arbeitnehmer C lötet nur noch bestimmte Kabel ;J.9.tzliCh sind. Da egen werden freie Güter ~ M..~ ~ ~~, ... .- iC an, und Arbeitnehmer 0 dreht nur noch die Befesti- ~, .. ~.,~ lM- cA?>;ngsschrauben für cfie Lampen ein. ~:ed~;o~~~onC:~~~:it@Yi~~;;~:: ~ t1~ ~ I ~ C. Die Güterherstellung in stellt Sie sind zwar auch nützlich (z.B.luft),~ «,I!t.o~~ • Betrieben _1_ \i 1: .. ,~ aber nicht knapp. Wirtschaftliche Güter ha-] (I _I·A..~' CN"~. ben einen Tauschwert und einen Ge- T M-~~ ~ ~ 1 Die Arbeitsteilun hat brauchswert. Als Tauschwert gilt der Wert, "'- ..,--.t.w ~....t · aus einem eia.fal.t . .. 11.)... ~~ ••Jc)o s:.u \~ J) 2·~~,-_ ,,~~_J _.Jr 't, · ')~ ,.;.'-' ~~ '1.0'"\)~ o~ ~ (,11" ~,./l '" \ '. • ..~t ~o .~ ~ ••~~u~ ~,AtOO~'~~\-~ ~ ~ ,}J-t. ~,~,,\ ~tDl>~ UNI'.. -t. #j.r. 2.1 Was ist Wirtschaft? ()fW•• •tt~... 1. D.::~ 1.- "~~~. ~.2.,Ir~IldwC!..nn in seiner Entwicklungsgesc ichteha~ens die V rteil'%:r " ~bei~~un..g ent~t. Sie lagen darin, daß nun mehr Güte angeschaf wer- .. _ .i/) ,-.4 'w.crA. den konnten, während als Nachte~e e enseitige Abhängig eit der Men- h..} 't\4"k ~o(.. ~14- ' 1-*) · ~ sehen voneinander wuchs.~ nieman ehi Hein auf sich estellt existiere 'W\~,lr A., • ,.. ~IAA- konnte, entstand der Naturaltausch.@mmte nach und nach zu emern höchst~~~t,lc:.\l.(;~ komplizierten ?1)u ti-.ll.wd.f.cl..w,rn. .""'tc. 41. t:~ ~ ~~ (tLnT~)! \'~ c,Mk "' '" ......f)~~ , ..~ ~ystem der Spezialisierung und der Inte~erung(des Tausches).tJ,.1,w~taM.\CWt' OA.'~'~'t..:~. ~'" ... ~-.. a.v, T ~ ilr'\. ~M ~ 1)\~ ~~~~ie.ses. System liQ,nnten V[ir Volkswirtschaft oder - auf ~eite~ Ebene - -J.~_. -~I Weltwirtschaft~en,~•.. ~ .1t\w-U.~~~ , N~ ~~~ ~(): \\~, jl\~ W,·,...h~~ ~ ~\"c.k.~~. , ~l~" ",.;~ 2.2 Die Ar.beitsteilung als Voraussetzung für die~...eitere~~c.!lu~ 1.. p.. .etw.1.·w Y• ~WlrtSChaft W tl.' ew.~ fJ' ~ I+.u.,...'" .. die Be ildung: die Entstehung der einzelnen@~~ufgnmdunterschied- oe.... e,CJ~~· .r'W\. 1i r Begabungen~ Interessen; H~,ß~,~~, \~.~, ~c.w 2 UfIk~~ =- w.....rJ.A. ............ .J,;,~ o(..w"'- ~~~~ u..~~. "oc.u..\~~" l die Berufsspaltung: die weitere Sp~~i~nmgder Berufe (z. B. vom einfachen ~ • •Lehrer" zum Sonderschul-, Grundschul-, Hauptschul-, Realschul-'1::erbe- schul-, Berofsschul-, Hochschullehrerusw.); ~ lAJw.u ~~~" ""'-u~ ?4~ d-t,.'tI'\,- ~. ~ die Arbeitszerlegung: die Zerlegung eines tec1m.isch mehrstufigen Arbeitsvor- gangs in ~eilarbeiten,z. B. am Fließband. / 1 ?~~~~\: S4- ~ T..(.:( ~ , ~ , ,~~~.fN\.~ ;.. (...<..:~u.:Lw-.~ , """-~ 'f tJ.. 1; Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 114 l ~,:~ ')r'M,t. 0'.....~~. _ k.,,~~~~ ~. ~l~ JW'c) ."'''''-'t.1-:"... ~ ~'Jl.J. ~ ~iif;A~ otl.1Jt fWt,tLu~ " kA.t- tMt~ • T..'1 f.,.,. \\ .\4."" ' t~ '+-". ""'\.p{. • Das Nadelbeispiel: "Nehmen wir also ein Beispiel von einem Betrieb, nämlich von dem Geschäft des Nadlers, so könnte ein für dieses Geschäft nicht angelernter Arbeiter vielleicht mit dem äußersten Fleiße täglich kaum eine, gewiß aber keine zwanzig Nadeln machen. In der Art aber, wie dies Geschäft jetzt betrieben wird, ist nicht allein die ganze Verrichtung ein eigenes Gewerbe, sondern es ist noch in eine Anzahl von Zweigen eingeteilt, von denen die meisten ebenfalls eigene Ge- werbe sind. Ein Mann ziehtden Draht, ein Anderer streckt ihn, einDritterschneidet ihn in Stücke, ein Vierter spitzt ihn zu, ein Fünfter schleift ihn am oberen Ende, wo der Kopf angesetzt wird; die Verfertigung des Kopfes erfordert zwei oder drei verschiedene Vemchtungen.; sein Ansetzen ist ein eigenes Geschäft, die Nadeln weiß zu glühen eIn anderes, das Einstecken der Nadeln in Papierbildet eine Arbeit für sich. Und so ist das wichtige Gewerbe, Stecknadeln zu machen. in ungefähr achtzehn verschiedene Tätigkeiten geteilt. Wenn sie tüchtig arbeiteten. konnten (die zehn Arbeiter dieser Fabrik) etwa zwölf Pfund Stecknadeln täglich liefern. Jene zehn Personen konnten mithin zusammen täglich über acht und vierzig Tau- send Nadeln machen. Jeder Einzelne kann daher als Verfertiger von vier Tausend acht Hundert Nadeln an einem Tage angesehen werden. " t.~-" ~ ~ "\Die Vorzüge der Arbeitsteilung r Eine erste wissenschaftliche Begründung der orzüg~Arbeitsteilung~) Adam mith(1123-1190)inseinemNadelbeis i 1.2Smithweistnach,daßd~ ~ "tf\"~'t" ~ die technische Zelle eines Feitigungsprozesses in ei~ne selbständige Teilarbeiten da Produktio ergebnis gesteigert werden kann: ~ ~A.("<'dwt~~ ~l·.~ i~ ~~~ Gerdsmeier: SOS 2 32. Die große Präsentation 115 v-cr-J' (JLu Nachteile TQ..: l f-ll; Arbeitsteilung 2.2.3;.e Nachteile der Arbeitsteilung Während aylor die Ansicht vertrat, daß nur durch weitestgehende Arbeits- zerlegung r Lebensstand rd und der Fo chritt der Menschheit gehoben werden könne, stehen i heute auf dem Standpunkt, daß Spezialisierung und l".. ,. 2. Arbeitsteilung den Erlebniswert der Arbeit~~ und das Arbeitsleid V(J~~ vergrößert~. Die Fließfertigung hat den Menschen abstumQfen lassen und h~~ R- '. ihn zu monotonen Handlungsweisen gezwungen, sie h humanisiert. Um den hieraus für die Gesundheit, die Motivation und die Lei- stung derArbeitnehmer schädlichen Folgen entgegenzuwirken, sind in jüngster Zeit wieder Ansätze zu einer Humanisierung der Arbeitsplätze erkennbar Bekannt ist das Beispiel der schwedischen Automobilfirma Volvo, die ein neues Autowerk gebaut hat, in dem es keine Fließbänder mehr gibt, sondern in dem die Arbeitnehmer in Gruppen ein Auto zusammenbauen können. Dig Produk- tivitätsolldan~hdeutli~gestiegensein. I .. __ .J -' .. ~- ._L."'- ~ ~~~~ ~~-, ~~~ ~ ~, """fJ~ ~~,,\,~~~ ~ ~ ""',,,,-cL .o.c.. cJ""W'\~~ ~ ~ c..J:",,~~Iu.-'\­ lHM. k,\K;l>,tt:~.l~\,rwtl~(tJ~~\tMlÄ',..,..'~ ~~~r~.I',J tV!"-~ ol~ ~,(.~ ~~W'\.J1l,'t"' o \t."",-~. ~~ ~ C')l.<.: 't""' ...... ,MVC I:., r~'''''':' i-0 ... ~.;. ), ~~.(.\.<. ~~",,",J-tt.{~l~M..~ ('1.1,. :J~'y~ ~~lc, ... ~~) ~ e.v--\.c.4 rJ,....v~ tL'-<.- ~~.~~ ~tJck. ~ yL;' \\b 9~ tt4- ~~ ot.v ~ty<.; ~~ ( ~ - ~~~ \A.t:.) .•. Cu~ l'l\~ et'<... ~~bA. '~ ~iia. ~t-:_t,- ~t'~ Öv\\c.. Di~ ~~ ..'~et ~H~- .~­j'~ \)~. ~'M~.1cJl .~ ~\'),.,.:~~ "ß~~ t 116 12 1 5 9 2 Einheiten 10 1 10 6 2 Einheiten 32. Die große Präsentation Weizen Porzellan ~~h W\~~ -y~ "'-.~ ~_":vY~u ti~ M; .". W" ",,,,,"f>tU\~f • ~~"",.,.., ':lt- IoU ' ,- . I 'Vv--~.'"!J)-'~vJOt.~~~,,(S'O ••li 'l1'-' ~- 2.2.4 Internationale Arbeitsteilung ~ J.,.J JSchon früh wurden die von den Klassi em heraUl!gearbeiteten Vorteile der AI- ov'vh~I Deitsteilung auch auf den intematio en Handel übertragen. Besonders David C1 Ricardo (1112-1823) lieferte die . senschaftliehe Begründung für die Vorteile • I der internationalen Arbeitsteil , Die folgende Darstell 0 00 hst di ~r~~ \",t- Ä~:n~orteilebeo Äustausc ~onWareni Zwei-Länder-Fall: R.n I)~U~~" ~orte.!!eim internationalen Handel ~""~ G erzeugte AIbeitsaufwand AIbeitsaufwand ~ t,"'''",2-e.-.- ut Einheiten ohne Außenhandel 2- mit Außenhandel - "FaJA ! '.Jt.:L~ l: USA GB. USA GB SOS 2Gerdsmeier: Summe: 15 15 10 12 't (-5) (-3)~~'~ UnA.. # '7 . Angenommen ist, daß die USA für eine Einheit Weizen 5 S enM~ts- ~ l;C:::..J~~ ~haben,Großbritannien für eine Einheit Weiz tunden, wmlreIia \A.(.," : 'd.A-- das Bild bei Porzellan für GB (6 Stunden) gün' r ist als fü.t.ilie USA (10 tAt\tt; ; ~1- Stunden). Für beide Länder ist nun ein Waustausch undA.-~~ine e- 2. ~ Mo ~ zialisierung auf das Produk :vorteilha aas kosten ünsti sten gestellt l" ~ \AM. (,<.. ;. werden kann. Wenn Großbritamüen sich auf die Herstellung von Porzellan \1-r-c>4; tfC-\. 'Y"t.~ , konzentriert und dafür jetzt (bei Mitproduktion für die USA) 12 Arbeitsstunden ~~,Le ~ aufwendet, so hat es gegenüber früher drei Stunden eingespart, die USA sparen ~±t P.-(".c..A~~ bei der Spezialisierung auf Weizen fünf Arbeitsstunden je Einheit ein, ~"""! u Ricardo hat nachgewiesen, daß sich Außenhandel auch dann lohnt, wenn ein ~ Handelspartner in der Herstellung aller Produkte kostenmäß' unterle en ist.Jol~ ~- Es hat selbst in diesem Fall noch einen kom arativen Kostenvorteil, wenn ~1~ ~~ sich nämlich auf die Herstellung des P duktes verlegt, bei dem es am wenig- ' .. _·Itw'1' ...•.. L stenunterlegenist. '_J J~ 2. ~ F'" I~ ~.. ~f1 •. Al. lvM'PT""-"'-,., W~' ~~ ---y'. k:~()V~,~~.~ lt"\~( w-c.t~~~~_ ~..~~~ CJ..u~ }..P.>. 2.E. PlNUoLl. IV\-"\.. ~ -1 E ~~ tI+~4 ~~"A. Ce. \lA' ~'b,~ - Ii'( " ..rt, der den produktivitätsrelevan- ten Aspekt von Begabung und Begabungsforoerong an- spricht und aus einer Biographie des 19. Jahrhunderts entnommen wurde (S. 170f der in Anm. 69 gen. Quelle). Ein Apothekersohn erzählt, wie sich durch zufällige Förde- rung sein Maltalent entwickelt und er schon als Kind im Ort viele dekorative Auftragsarbeiten (für Frauen) über- nimmt, für die er nun ein Monopol zu haben scheint. Man konnte nun danach fragen, warum der Apothekersohn da- von abgehalten wurde, im Betrieb zu helfen, und warum die Damen ihre Briefe nicht länger selber dekorierten. Daraus ließ sich schließlich die Verallgemeinerung gewin- nen: Wenn Menschen sich spezialisieren, vermehrt und verbessert das die Arbeitsergebnisse, weil ... Gestrichen wurde auch ein zweites Material, in dem es um den tayloristischen Aspekt von Übung und Erfahrungsver- dichtung bei Einschränkung des Erfahrungsfeldes ging. Das ausgewählte, historisch verbürgte Exempel - zwar nicht mehr aus dem mittelalterlicher, wohl aber aus zünf- tischer Zeit - nimmt viel von dem berühmten Stecknadel- Beispiel von Smith vorweg und sei hier deshalb wiederholt (nach KUCZY'NSKI, J. (1981): Geschichte des Alltags des Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 3 172 deutschen Volkes. Studien 1. 1600 - 1650). Köln: Pahl- Rugenstein, S. 366): Viele flinke und findjie Mejster fertjien fabelhafte ~ Früher einmal gab es Handwerker, die darauf speziali- siert waren, aus Elfenbein, Horn oder wertvollen Hölzern kostbare Kämme herzustellen: die Kammacher. Im 17. Jahrhundert kam in Würzburg eine Gruppe von Kammachem auf die Idee, einen KJ\mm nicht mehr je- weils nur durch einen einzigen Meister anfertigen zu lassen. Sie beschlossen, "daß ein Meister dem anderen in die Hand arbeitet". Zum Beispiel: - der eine schneidet das Elfenbein in lauter kleine Täfel- chen oder Stückehen, - der andere macht in diese Tafeln oder Stückehen die Zähne (für den Kamm), - der dritte poliert sie, macht sie ganz fertig und liefert sie dem Kaufmann, der sie dann verschickt. Dadurch wird die Arbeit so schnell, so gut und so wohl- feil (billig) verfertigt, weil jeder zu dem, was er an dem Kamme zu machen hat, - vollkommen gut eingerichtet ist (mit Werkzeugen), - mit unglaublicher Geschwindigkeit arbeitet, - alle Vorteile (Kniffe) lernt und anzuwenden weiß, - und in seiner Arbeit einen seltenen Grad der Vollkom- menheit erlangt hat." Auch bei diesem Material ließ sich durch Textarbeit wieder herausarbeiten, wodurch bei diese Art der Arbeitsteilung zur Produktivitätssteigerung beiträgt, und die Ergebnisse ließen sich wiederum in einem verallgemeinernden Satz zusammenfassen. Wichtig war dieses Material aber noch wegen einer zweiten Verallgemeinerung, derzufolge die Ar- beitsteilung umso weiter vorangetrieben werden kann, je mehr Menschen mit der Herstellung eines bestimmten Gu- tes überhaupt beschäftigt sind. Dazu wurde herausgestellt, daß es damals 24 Kammacher in Würzburg gab (also 8 Gru ppen von Spezialisten). Ganz offensichtlich wird diese Form der Arbeitsteilung erschwert, wenn es an einem Ort nur sehr wenige Kammacher gibt ... Für die herausgenommenen Materialien und Gesichts- punkte sind Materialien entwickelt worden, die sich weit- gehend nur noch mit dem Aspekt des Erfindens befassen: zufälliges Erfinden (das im Beispiel Arbeitsteilung erst auslöst (M 7», Erfinden durch Probieren bei einem durch berufliche Spezialisierung bereits relativ hohen Kenntnis- stand (M 8) und Erfinden durch systematisches Forschen bei einer Arbeitsteilung, die das Erfmden selber bereits als eigenständiges Tätigkeitsfeld abgespaltet hat (M 9). - Die Stärke dieser Akzentuierung liegt darin, daß die Materia- lien nun deutlicher durch eine einheitliche "Sache" als zu- sammengehörig in Erscheinung treten. Die Schwäche liegt darin, daß hier nicht mehr einfach von einer Ausdifferen- zierong des zuvor Erarbeiteten gesprochen werden kann. Es besteht hier ein Bruch, und es setzt die Bearbeitung "irgendeines" Aspekts ein, der auch mit Arbeitsteilung zu tun hat. Und insofern decken sich in diesem Kapitel die Inhalte der episodischen Materialien auch nicht mehr ganz mit denen des systematischen Textes T 3. Der für die Erarbeitung des t1zufälligen Erfmdens" aufge- nommene Text über die Erfindung des Speers ist - völlig unabhängig von den vorliegenden Unterrichtsmaterialien - von einer Lehrergruppe an einer Gesamtschule entwickelt worden. Er ist m.E. nicht akzeptabel - und das keineswegs nur wegen der schauerlichen Abfolge tödlicher Unfälle, über die er berichtet. Die Darstellung ist in der Form eines Tatsachenberichts gehalten, obwohl an ihr alles Erfindung ist. Selbst wenn das von Schülern durchschaut werden sollte, scheint ein derartiges Vorgehen einer ohnehin ver- breiteten anti-wissenschaftlichen Haltung Vorschub zu leisten, im Grunde immer und überall ungezügelt behaup- ten zu dürfen. Wie differenziert man mit Spekulationen, begründeten Plausibilitätserwägungen und belegbaren Be- funden bei historischen "Rekonstruktionen" umgehen kann und muß, mache man sich nochmals am Bericht von Tannahill über das Fladenbrot der Frühzeit (M 2) klar. An dem Einbau der Geschichte über den besten Speerspitzen- macher stört außerdem, daß sie - zudem in spekulativem Gewande - bereits wesentlich auf den Tauschhandel ab- stellt und damit den Kapiteln 5(2) und 6(2) vorgreift. Für die Beschreibung probierenden Erfindens (M 8) wurde nochmals auf die Autobiographie des Friedrich Bruch aus Pirmasens zurückgegriffen. Zu diesem Typ des Erfindens müßte es eigentlich bessere Quellen geben, denn das Pro- bieren wird im Beispiel nicht direkt beschrieben und kann nur über Vermutungen erschlossen werden. (Vgl. Lit.nach- weis in Anm. 69) Zur Charakterisierung des systematischen Erfindens wur- de ein Interview mit dem Vorsitzenden der Forschungslei- tung und Mitglied der Konzernleitung von Hoffmann-La Roche Basel ausgewählt (M 9), das nur etwas gekürzt und sprachlich vereinfacht wurde. (Vgl. Aktuelle Verlagsbei- lage 4/89 zum Deutschen Ärzteblatt, Nr.14 vom 6.4.1989, S.5f) Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 3: Vorteile und Gründe der Arbeitsteilung 173 Kapitel 3 Von den Vorteilen und Gründen der Arbeitsteilung Wie kommt es, daß eine Steigerung der Arbeitsteilung die Arbeitsergebnisse insgesamt erhöht und verbes- sert? Statt 'Zunahme der Arbeitsteilung' sagt man häufig auch 'Zunahme der Spezialisierung'; und wer sich spe- zialisiert - also nur noch einige bestimmte Arbeiten macht - wird SpeziaList genannt. Wie kommt es also, daß die Spezialisierung die Arbeitsergebnisse vermehrt und verbessert? Du findest die Antworten schnell heraus, wenn du dir die Materialien M7 bis M9 anschaust!69 LM 7ai Das Leben in der frühen Urzeit Die Sonne ist schon seit einer geraumen zeit untergegangen. Die Horde ist müde und hungrig. Endlich haben sie eine neue Höhle gefunden. Sie ist groß genug für alle und schützt ausreichend gegen Wind, Regen und große Tiere. Die Anführer geben das Zei- chen, sich in der Höhle niederzulassen. Zu Essen gibt es heute nichts mehr, denn es ist schon zu dunkel. Trotz hungriger Mägen schlafen alle bald ein. Der erste Sonnenstrahl, der durch eine Öffnung in der Höhle dringt, ist das Zeichen zum Aufstehen. Alle ziehen los und su- chen Beeren, Wurzeln, Wildfrüchte, Kräuter, Körner und Schnek- ken. Gleichzeitig wird mit spitzen Stöcken und Steinen Jagd ge- macht auf Mäuse, Echsen und Hasen. Als die Sonne ihren Höhepunkt erreicht hat, treffen die Frauen, Männer und Kinder sich vor ihrer jetzigen Höhle. Gemeinsam ver- zehren sie, was gesammelt und gefangen worden ist. Einige Frauen erklären durch Zeichen, daß sie einen fischreichen strom entdeckt haben. Alle freuen sich, denn jetzt ist das Essen für den Abend und für den nächsten Tag gesichert. Die Horde braucht also noch nicht sofort zu einem neuen Gebiet aufzubrechen. Bald setzt sich die Horde wieder in Bewegung. In dem reißenden strom fangen sie Fische mit der Hand. Einige nehmen beim Fangen auch spitze steine und Stöcke zu Hilfe. Für zwei Hordenmitglie- der endet diese Nahrungssuche tödlich. Ein Mann war aufgrund seines Alters und eine Frau aufgrund einer Verletzung zu schwach geworden, um dem reißenden strom standzuhalten. Kurz bevor die Sonne untergeht, hat die Horde die Höhle wieder erreicht, vor der sie sich zum Essen niederlassen. Die Fische sind gerade ausgeteilt, als der Boden durch das Stampfen mehre- rer Urs erschüttert wird. Schreiend flüchten einige Menschen in die Höhle. Doch die meisten, die sich nicht mehr retten konn- ten, greifen in ihrer Not zu den spitzen stöcken und steinen und werfen diese nach den Tieren. Davon werden die Tiere so überrascht, daß sie ihre Richtung ändern. Die Horde ist trotz ihrer Schrecken glücklich darüber, daß nur einige wenige Men- schen von den Tieren zertrampelt worden sind. Nachdem sich alle von ihrem Schrecken erholt haben, können sie ihren Augen kaum trauen: Ein Ur ist nicht mit der Herde weiter- gelaufen, sondern torkelt umher. Plötzlich stürzt er zu Boden Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 3: Vorteile und Gründe der Arbeitsteilung 174 und bleibt still liegen. Erst nach längerer zeit wagt die Horde, zu dem Ur hinzugehen. Sie sehen: Der Ur ist tot, ein spitzer stock steckt in seinem Nacken. Irgend jemand muß ihn zufällig tödlich getroffen haben. I f LM 7bl Der beste Speerspitzenmacher Die Menschen hatten also gemerkt, daß man große Tiere mit spit- zen stöcken töten kann. Nach einiger zeit entdeckten sie, daß sie ihre Waffen (Werkzeu- ge) dadurch verbessern konnten, daß sie an ihrer Spitze scharfe und spitze steine befestigten. Die weitere Entwicklung kann man sich etwa so vorstellen: Da war vielleicht mal einer, der gerade ein bißchen schwach auf den Beinen war und deshalb nicht mit zur Jagd gehen konnte. Er blieb also in der Höhle, um stattdessen Speerspitzen herzustel- len. Er was sehr geschickt darin, steine zu beschlagen, Knochen zu bearbeiten und die Spitzen sicher mit den Holzspeeren zu verbinden. Die Jäger lobten seine Arbeit, er gewann immer mehr Übung und Erfahrung. Schließlich ging er gar nicht mehr auf die Jagd, sondern stellte nur noch Speerspitzen und Speere her. Aber die konnte er nicht essen. Also brachten ihm die Jäger wild mit und sie bekamen dafür die besten Speerspitzen. Man tauschte das, was übrig war, gegen das, was man gerade brauchte! ~Beschreibe, wie es zur Erfindung des "Speeres" gekommen ist. ~warum war es sinnvoll, daß sich im Laufe der zeit eine Person auf die Herstellung von Speerspitzen speziali- sierte? ~Sicher fällt es dir nun leicht, den folgenden Satz zu er- gänzen. Wenn Menschen sich spezialisieren, vermehrt und verbes- sert das die Arbeitsergebnisse, weil ... Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 3: Vorteile und Gründe der Arbeitsteilung 175 ~ Apotheker Bruch mixt aus Kräutern und Wurzeln neue Arznei Fritz Bruch, geboren 1792 in Pirmasens, hat für seine Familie Erinnerungen aus seiner Kindheit aUfgeschrieben. Sein Vater war Apotheker. Da er nicht irgendeinen Kramladen mit hunderten ver- schiedener Artikel führte und seine Arbeit ernst nahm, kannte er sich mit Kräutern sehr gut aus. Diese speziellen Kenntnisse versuchte er zu nutzen. Fritz berichtet: "Für die Apotheke hatten wir einen Gras- und Kräutergarten angelegt. Ich mußte helfen, die Kräuter abzuzupfen und auszu- pressen, Wurzeln abzuschneiden und zu Pulver zu stoßen. Häufig sortierte ich auch die vielen verschiedenen Kräuter I Blüten, Blätter, Gräser und Früchte in einer Unzahl von Büchsen und Gläsern. Mein Vater verstand es, aus all diesen Gaben der Natur die vor- trefflichste Arznei zu mixen. Dadurch wurde er weit über die Grenzen von pirmasens bekannt. Für nur eine einzige Salbe hat er oft stundenlang in seinem La- boratorium gestanden." ~a) Was tut der Apotheker Bruch alles, um neue Arzneien zu erfinden? b) Was meinst du: Hätte Herr Bruch seine Erfindungen auch machen können, wenn er zum Beispiel Bauer gewesen wäre und nebenher einige Kräuter verkauft hätte? Begründe deine Meinung! ~DU kannst nun sicher den folgenden Satz richtig ergänzen: Wenn Menschen sich spezialisieren, vermehrt und verbes- ~sert das die Arbeitsergebnisse, weil ... ~DU hast gelesen, wie Fritz seinem Vater bei der Arbeit geholfen hat. Arbeitest du auch in dieser Weise mit dei- nen Eltern zusammen? Würdest du es gerne tun? Gerdsmeier: sos 2 KapiteL 3: Vorteile und Gründe der Arbeitsteilung 176 LM 9alErfindungen in der Arzneimittelfabrik Labor einer Arzneimittelfabrik im Jahr 1980 Die beiden abgebildeten Frauen sind Chemikerinnen. Sie arbeiten den ganzen Tag in diesem Labor. Sie gehören zu einer Gruppe von Wissenschaftlern (Ärzten, Apothekern, Biologen, Physikern), de- ren einzige AUfgabe darin besteht, neue Arzneimittel zu erfin- den. Das Erfinden geschieht nicht zufällig, sondern nach genauen Be- rechnungen, sorgfältig geplanten Versuchen und vielerlei Erpro- bungen. Um auf diese Weise neue Arzneien zu erfinden, benötigt man große Labors, viele komplizierte Geräte und Computer. Dies zeigt auch das folgende Interview. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 3: Vorteile und Gründe der Arbeitsteilung 177 LM 9b]Medikamente werden heute maßgeschneidert Interview mit Prof. Dr. Jürgen Drews (0), dem Vorsitzenden der Forschungsleitung eines großen Arzneimittellunternehmens. I.: Ihr Unternehmen hat weltweit 4 Forschungszentren. Wie kann die Wirksamkeit der Forschung sichergestellt werden? 0.: Durch zentrale Kontrollen, die zwei- bis dreimal im Jahr stattfinden. Dann treffen sich die Forschungsleiter dieser Zentren und beurteilen die Erfolge der laufenden Arbeit. Alle 2-3 Jahre rufen wir die besten unserer Wissenschaftler und hervorragende Sachkenner von außerhalb zusammen. Sie durchleuchten unsere großen Forschungsgebiete. Nötigen- falls werden dann Änderungen in der Forschungsarbeit vor- genommen. I.: Die Einführung eines neuen Medikaments pro Jahr - ist das Ihre Zielvorstellung? 0.: Ja, weltweit gesehen, ist das etwa unser Ziel. I.: Was kostet denn heute die Entwicklung eines neuen Medi- kaments? D.: Man rechnet im Durchschnitt mit 250 Millionen Mark. Das sind die Kosten für die hochspezialisierten Wissenschaft- ler, die komplizierten Apparaturen in den Labors, die ver- schiedensten Versuchsreihen und Anwendungstests usw. I.: Betreiben Sie neben der Entwicklung von Medikamenten auch Grundlagenforschung, um ungelöste medizinische Probleme zu erfahren? D.: Wir betreiben intensive Forschung, um die Grundlagen wich- tiger Krankheiten herauszufinden. Ein viertel unserer For- schungsausgaben wird darauf verwendet. I.: Arbeiten Sie dabei auch mit unabhängigen Forschungsinsti- tuten zusammen? 0.: Wissenschaftlich und technisch ist solch eine Zusammenar- beit dringend notwendig. wir arbeiten mit führen den ame- rikanischen Universitäten zusammen. Darüber hinaus besitzt unser Unternehmen zwei eigene Institute für Grundlagenfor- schung. LA 7 Ja) Vergleiche die Texte M 8 und M 9. Beide Texte handeln vom Erfinden von Arzneien. Welche Unterschiede entdeckst du zwischen damals und heute? b) Versuche die folgende Aussage zu erklären: "Früher ge- lang es einigen Spezialisten, nebenher einige Erfindungen zu machen. Heute ist die Arbeitsteilung viel weiter vorangeschritten: Auch für das Erfinden sind Spezialisten zuständig." Professor Ökon hat ebenfaLls darüber nachgedacht, aus welchen Gründen Spezialisierung die Arbeitsergeb- nisse steigert und verbessert. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 3: Vorteile und Gründe der Arbeitsteilung 178 ~ Warum werden die Arbeitsergebnisse erhöht und verbessert, wenn Menschen sich spezialisieren? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Vier seien genannt: 1. Menschen haben verschiedene Begabungen. Das kann man sich zunutze machen. Man läßt möglichst jeden das tun, was er am be- sten kann und andere das tun, wozu er ungeeignet erscheint und was die andern besser können. Ganz genau betrachtet, beruht das Können natürlich nicht allein .auf Begabungen. Ohne Schulung, Training und Förderung wird zum Beispiel ein technisch begabtes Kind noch nicht zu einem guten Techniker. Wir sollten daher besser sagen: Die Menschen ent- wickeln verschiedene Fähigkeiten. Und das nutzt man bei der Arbeitsteilung aus. 2. Wenn ein Mensch sich mit einem bestimmten AUfgabenbereich besonders eingehend befassen kann, weil er von anderen Aufgaben entlastet ist, so erwirbt er in diesem Spezialgebiet besonders viel Übung und Erfahrung. Dadurch kann er dann geschickter, umsichtiger, schneller oder besser arbeiten als andere. So wird zum Beispiel ein Fliesenleger ein Bad vermutlich schneller und besser kacheln können als ein Lehrer. 3. Ist ein Mensch nur noch in einem speziellen Gebiet tätig, so besteht die Chance, daß er in seinem Arbeitsgebiet bessere Ar- beitsmethoden, Werkzeuge, Produkte usw. erfindet und entwik- kelt. Solche Erfindungen und Entwicklungen, die sich aus der täglichen Arbeit ergaben, kamen zum Beispiel im Handwerk des Mittelalters häufiger vor. Heute ist das Erfinden selbst ein spezielles Arbeitsgebiet vor allem der Wissenschaftler und Techniker geworden. Sie forschen in den Hochschulen oder in besonderen Forschungsinstituten, und größere Unternehmen haben dafür eigene Abteilungen eingerich- tet. Die Entdeckungen und Entwicklungen beruhen heute häufig nicht mehr so sehr auf der Leistung eines einzelnen, sondern auf der Zusammenarbeit einer Gruppe von Leuten. Um zum Beispiel ein neues Flugzeug zu entwerfen und zu entwickeln, müssen über 100 Leute zusammenarbeiten. 4. Die Arbeitsergebnisse lassen sich besonders dann steigern und verbessern, wenn sehr viele Menschen in die Arbeitsteilung einbezogen werden können. Nur wenn zahlreiche Menschen da sind, kann die Arbeit auf viele verteilt werden. Nur dann kann die Spezialisierung also hoch sein. Nur wenn die Spezialisierung hoch ist, lassen sich besondere Begabungen ausnutzen, kann man spezielle Erfahrungen sammeln und gezielt nach neuen Ideen su- chen. Du weißt nun, warum die Arbeitsteilung die Arbeitsergebnisse steigert und verbessert. Durch die Arbeits- teilung werden aber nicht nur die Arbeitsergebnisse verändert. Über die anderen Veränderungen erfährst du etwas im folgenden Kapitel. Vorbemerkungen zu Kapitel 4Gerdsmeier: SOS 2 179 Vorbemerkungen zu Kapitel 4 Bei den Ausgangsentscheidungen dieses Kapitels wieder- holen sich alle strukturellen Probleme des Kapitels 3(2). Wieder sollen allgemeine Kenntnisse der Schüler über die Arbeitsteilung um Differenzierungen bereichert werden. Wieder sind die Differenzierungen nicht über kognitive Dissonanzen oder kultivierongsbedürftige Alltagsurteile bestimmt - ganz im Gegenteil sind die Thesen von der zunehmenden Bedeutung der Berofsbildung, der Kapital- intensität und Automation sowie von der vorfindbaren Trennung in planende und ausführende Tätigkeiten für Schüler ziemlich überraschungsfrei. Wieder folgt die Ent- wicklung analytisch-wissenschaftsbestimmten Gesichts- punkten. Wieder geht die analytische Perspektive mit ei- ner isolierend-additiven Bearbeitung einzelner Sach- verhalte einher, obwohl von Anfang an auf den bloß bei- spielhaften Charakter der einzelnen Punkte hingewiesen wird. Wieder wurde in der Ausgangsversion jeder einzelne Sachverhalt in einem gesonderten Material behandelt und wieder fiel es Lernern schwer, den verbindenden Ge- danken zu finden oder am Leben zu halten. Wieder hatten Schüler häufiger den Eindruck, etwas schon in Kap. 2(2) beredet zu haben. Insofern ist es bedenkenswert, ob die Gesichtspunkte, wenn man schon nicht auf sie verzichten will, nicht in einer Weise eingeführt werden müßten, die den durch vorgängige Erfahrungen und Unterrichte ausge- formten Erwartungen widersprechen: Auch ohne berufli- che Bildung Erfolgreiche, die Entwertung des beruflichen Wissens bei vielen Beschäftigten wie Unbeschäftigten, die Lust oder Plage"ganzheitlicher" Arbeit usw. Indem an der- artigen Beispielen das Spezielle, Riskante, Atypische, nur bedingt Gültige herausgearbeitet würde, käme man eben- falls zu den generellen Einsichten. Auf der Grundlage der Erprobungen ist ein anderer Weg beschritten worden. An die Stelle mehrerer kleinerer Ma- terialien wurde ein kompakterer Text gesetzt. Eingebun- den in eine Alltagssituation (Einweihungsfeier) wird ein Bericht über "Schiefgelaufenes" beim privaten Hausbau vorgestellt (M 10). Gerade weil der Hausbau einer der Le- bensbereiche ist, in dem die enttäuschten Erwartungen der "Auftraggeber" eine endlose Geschichte bilden, zu der fast jeder etwas an eigenen Erfahrungen beisteuern kann, eignet er sich besonders zum Herausfinden, welche Gründe dafür verantwortlich scheinen, daß hier regelmäßig so viel "mißlingt". Man wird dann erkennen, daß diese Probleme fast unaufhebbar mit Arbeitsteilung zu tun haben: mit der Spezialisierung, dem Fachwissen, der Trennung in pla- nende und ausführende Tätigkeiten sowie (im Vorgriff auf kommende Kapitel) den Koordinationserfordernissen und Abhängigkeiten des einzelnen. Nicht nur die Analysen, auch die Erprobungen haben ge- zeigt, daß dieser Bericht den alten Materialien hoch über- legen ist: Er trifit die Rezeptionsgewohnheiten von Schü- lern, verbindet Nie-Gehörtes mit Vertrautem, Un- terhaltsames mit Belehrendem, erlaubt die Beschäftigung mit verschiedenen Facetten des Gegenstandes, hat keine beruhigende "Lösung", weil das Problem etwas künftig in unvorhersehbarer Form Wiederkehrendes bleibt, vermei- det dadurch das Bloß-lllustrative üblicher Texte im Hin- blick auf die den Wissenschaften entlehnten Merksatz- Wahrheiten usw. Nach Einschätzung der erprobenden Lehrer sei den Schülern die berufliche Arbeitsteilung zwar selbstverständlich, sie werde aber nicht nur auf interes- sante Weise nochmals verdeutlicht, sondern kontrastiere auch zur sonstigen, besonders in der Industrie (und z.B. bei der Brotherstellung) anzutreffende Entwicklungslinie, die auf Automation und damit auf Rücknahme von Spezia- lisierung hinauslaufe. Der Bericht über die Einweihungsfeier (M 10) ersetzt vier Materialien der Ausgangsversion. Das erste enthielt die Zusammenstellung einer Reihe von gewerblichen Berufen, die heute als Spezialisten beim Bau eines Hauses mitwir- ken, es sollte herausgearbeitet werden, was die alle ma- chen. Es folgte die 7-Zeilen-Version eines Details des jetzt verwendeten Berichts über die Probleme, die beim Haus- bau durch die "fachliche Enge" der Spezialisten entstehen. Diese Betrachtung verband sich tl.a. mit der Frage, inwie- weit man nicht auch "Spezialisten" antrifft, die über kein spezielles Wissen und Können verfügen, und mit der Aufforderung, die "Reduktion" des einzelnen auf spezielle Aufgaben wertend zu beurteilen. Um zu zeigen, daß die heute vorfindbare Spezialisierung meistens etwas Gewordenes ist, das sich aus ganzheitliche- ren Tätigkeitsfeldern abgespalten und verselbständigt hat, war ein drittes Material konzipiert worden, das in groben Strichen die Arbeit der Zimmerleute in verschiedenen Jahrhunderten beschreibt. Text und Aufgaben sahen fol- gendermaßen aus: M... Die BeteUjflUDfi des ZjmmermanDs am Hausbau fruher Und beyte Die Germanen errichteten ihre Holzhäuser gemein- schaftlich in Nachbarschaftshilfe. Der Erfahrenste unter ihnen, der das Balkenwerk (damals 'Zimber' genannt) zusammenfügte, wurde "zimberman" genannt. Er baute innen auch die Bänke ein, die als Schlafstätte und Sitz- möbel benutzt wurden. Im Laufe der Zeit ging man dazu über, die Häuser nicht mehr mit Rohr oder Schilf, sondern mit Holzschindeln zu decken. Da außerdem viele Holzteile mit Schnitzereien verziert wurden, lohnten sich bald einige Spezialisierun- gen: neben Zimmerleuten gab es Dübelverfertiger, Drechsler, Schnitzer, Dachbauer und Dachdecker. Als sich der Steinbau im letzten Jahrhundert immer mehr durchsetzte, ging dem Zimmermann die Arbeit Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 4 180 nicht aus. Im Innern der Häuser fertigten die Zim- merleute oder Schreiner die schweren Balkendecken, die getäfelten Wände, die geschnitzten Treppenhäuser und die schweren Truhen an. Außen errichteten sie die Ge- rüste für die anderen Handwerker. Außerdem gab es viel Arbeit bei den Dach- und Glockentürmen der Kirchen. Bei so vielen verschiedenen Arbeiten spezialisierten sich die Handwerker weiter. Der Beruf des Gerüstbauers, Treppenbauers und Parkettlegers ents~and. Da das Können und Wissen des Zimmermanns - wie das aller anderen Spezialisten - im Laufe der Zeit immer umfangreicher und anspruchsvoller wurde, konnte der Nachwuchs dieses Wissen nicht mehr allein durch Übung und Erfahrung erwerben. Eine gezielte Aus- bildung war erforderlich. Bereits aus dem 13. Jahrhundert sind uns Zünfte von Zimmerleuten bekannt, die vorschrieben, daß die Ausbil- dung der Lehrlinge 2 Jahre dauern sollte. Später wurde die Lehrzeit auf 3 bis 4 Jahre erhöht. Die Gesellenzeit, in der die Gesellen umherzogen und an verschiedenen Or- ten arbeiteten, dauerte im Durchschnitt nochmals 6 Jahre. Nach der Auflösung der Zünfte gründete ein Kunst- meister namens Fahsolt vor etwa 200 Jahren in Karls- ruhe eine Handwerkerschule, die sich besonders um die Ausbildung der Zimmerleute bemühte. Heute ist der Beruf des Zimmerers einer von vielen Handwerksberofen, der in 2 Jahren und 9 Monaten er- lernt werden kann. Aufgabe ...: a) Schreibe aus dem Text heraus, welche Berufe sich im Laufe der Zeit von dem des Zimmennanns abgespalten haben. b) Weshalb ist es zu dieser Abspaltung gekommen? Er- läutere das anhand des Textes M .... Aufgabe ... : a) Wie war die Ausbildung zum Zimmermann geregelt? b) Welcher Grund wird für die Notwendigkeit einer Aus- bildung genannt? c) Im Text wird gesagt, daß die Gesellen auf Wan- derschaft gingen und an verschiedenen Stellen ar- beiteten. Hast Du eine Idee, warum man das so machte? Aufgabe ... : Früher mußten nicht alle Kinder zur Schule gehen. Von Dir wird das verlangt. Was meinst Du, warum das so ist? Aufgabe ...: Vergleiche anhand der Texte M ... und M ... den Hausbau der Germanen mit dem heutigen Hausbau und stelle die Unterschiede heraus. Daß dieser Text den 12-jährigen Schülern zu schwer war, ist eine Sache. Eine zweite ist es, daß die Schüler auch an- hand der Bäckerei-Beispiele erkennen könnten, daß sich bei Veränderungen der Arbeitsteilung die Tätigkeiten der einzelnen ebenfalls ändern. Von allgemeinerem Interesse sind unter dem Gesichtspunkt didaktischer Textanalyse allerdings andere Punkte. Eine Schwierigkeit der Schüler bestand darin, sich bei einigen der genannten Berufe die Tätigkeiten auch nur einigermaßen vorstellen zu können. Hier liegen grundsätzlich Schwierigkeiten im Medium des rein Sprachlichen begründet, und dessen Grenzen der An- schauung (wie zudem bestimmte Annahmen über den Mo- dus der Aneignung von Wissen) erklären beispielsweise die Wertschätzung des handelnden Lernens, wie wir sie etwa in der hessischen Arbeitslehrekonzeption antreffen. Sollen die sprachlichen Terme nicht leere Hülsen bleiben und be- ziehen sie sich direkt oder indirekt auf die erfahrbare Welt, wird man Lernende mit dem vertraut machen müssen, was sie bezeichnen. Nun behilft man sich - insbesondere in kaufmännischen Schulen - , weil die Realität so schwer in die Schulen zu holen ist, zunehmend damit, diese Realität und damit das von den Termen Bezeichnete zu simulieren. Zwar ist nicht rundweg auszuschließen, daß Simulationen für spezielle Aspekte des zu Lernenden hilfreich und einer bloß verbalen Belehrung dabei ü herlegen sind, aber es ist nicht recht zu erkennen, in welcher Weise die mit dem Vorgehen verbundenen Folgeprobleme didaktisch analy- siert und gelöst werden. Während und nach der Simulation (in der Form von Übungsfrrmen, Planspielen, Computer- spielen usw.) werden sich viele Terme nicht mehr mit ei- ner black box verbinden, sondern mit simulierten Begrif- fen, von denen manche - so will es scheinen, aber wer hätte das je gründlich geprüft - ein Weltverständnis mehr ver- bauen als ein Nicht-Wissen. So wird hier viel über han- delndes Lernen, Anschaulichkeit, Motivation u.ä. berich- tet, aber niemand scheint sich Gedanken um die "Entsor- gung des synthetischen BegrifTsmülls" zu machen. Zu den Grenzen der Anschauung gesellen sich weitere Probleme, die geraffie Texte, in denen Zusammenhänge aufgezeigt werden sollen, für wenig informierte Leser prin- zipiell mit sich bringen. Es ist wichtig, diese Probleme als etwas Prinzipielles zu erkennen: Eine eingehendere Ana- lyse des Textbeispiels würde vermutlich zutage fördern, daß es immer noch besser ist als das, was in Schulbüchern üblicherweise geboten wird; seine Schwächen resultieren nicht aus den Schlampigkeiten, die Wirtschaftslehrebü- chern fast durchgängig als gestalterischer Fundus dienen und die an anderer Stelle (Vgl. Kap. 32( 1) und SOS 1, Vorbemerkungen zu Kapitel 4Gerdsmeier: SOS 2 181 S. 243-276) ausführlich vorgestellt worden sind. (Man könnte die Probleme beispielsweise auch in den systema- tischen Texten T 1- T 8 nachweisen.) Zwei dieser Probleme seien genannt. Zum einen tauchen scheinbar unmotiviert und für den Le- ser irritierend fortwährend neue Sachverhalte auf: Schilf, Schindeln, Schnitzereien, Glockentürme, Schlafstätten, schwere Truhen, schwere Balkendecke~ getäfelte Wände, Zünfte, Kunstmeister, Handwerkerschulen u.ä. Diese Ob- jekte, Personen, Organisationen bekommen eine merkwür- dige Zwitterstellung zugewiesen: Einerseits erfahrt man nichts über sie, und sie sind auch nicht so wichtig, daß sie erläutert werden müßten (wobei sich bei Versuchen der Erläuterung das Problem - jedem in Form ermüdender Verweise in Lexika vertraut - auf höherer Ebene vermut- lich wiederholen würde); andererseits bleiben sie unentbehrlich, um den Aussagen ein Minimum an Kontext beizugeben. Mit dem zweiten Problem verhält es sich ähnlich: Es be- triffi. die Übergänge zwischen Zuständen, das Nachvollzie- hen von Folgen oder Ursachen, also die Beschreibung von Entwicklungen. Im gerafften Text begreift der wenig In- formierte Floskeln wie die folgende nicht: "Im Laufe der Zeit ging man dazu üher...", "Als sich der Steinbau ... durchsetzte ... ", "Nach der Auflösung der Zünfte ..." usw. Es hat also gute Gründe, wenn Schüler derartige Texte nicht "begreifen", obwohl eigentlkh alles sehr einfach ist: die Wörter, der Satzaufbau, die Sachverhalte. Man sollte daher stets auf geraffte Texte verzichten, wenn der jewei- lige Sachverhalt nicht bereits in kontextuellem Reichtum eingebettet ist. (Und wenn in der vorliegende Materialzu- sammenstellung den systematischen Texten grundsätzlich episodische Materialien vorgeschaltet sind, so erklärt sich das auch aus der Einsicht in die "Unmöglichkeit" bloß sy- stematischer Text.) Das vierte Material, das aus der Probefassung her- ausgenommen wurde, berichtete von einem Mädchen na- mens Birgit, das seiner Mutter Topflappen schenken will und dabei alle Arbeitsschritte selber plant, organisiert, ausführt, kontrolliert, korrigiert usw., von den ersten Farbentwürfen bis hin zum letzten Knoten, und das am Ende auf sein Ergebnis recht stolz ist. Diese erfundene Ge- schichte wurde bei den Erprobungen als überflüssig ein- gestuft, da die Bedeutung des Planens wie auch die Tren- nung von Planen und Ausführen bereits bei der Erzählung über die Widrigkeiten beim Hausbau (M 10) klar werde. Nun übersieht man leicht, daß mit dieser Streichung, für die es einige weitere nachvollziehbare Grunde gibt (Addi- tivität der Informationen u.ä.), auch die Information verlo- rengeht, welche Komponenten eine "ganzheitliche Tätig- keif' ausmachen. Außerdem wird ein Referenzmodell, in dem ganzheitliche Arbeit positiv erlebt wird, der Diskus- sion entzogen und steht auch nicht mehr als Maßstab zur Verfügung, fragmentierte berufliche Tätigkeiten zu beur- teilen. (Wenn von den erprobenden Lehrern u.a. bemängelt wurde, daß in den Materialien von den Nachteilen der Ar- beitsteilung zuwenig die Rede sei, dann hat dieser Ein- druck nicht unwesentlich damit zu tun, daß Materialien wie dieses Streichungen zum Opfer fielen.) An die Stelle dieser Materialien ist - wie gesagt - der Text über die Hauseinweihung getreten (M 10). Er wird ergänzt um zwei Texte über den Fischfang, die einander spiegeln. Einmal Fischfang in der Dritten Welt, einmal mit einem Fangfabrikschiff. Erarbeitet werden sollen die Vorausset- zungen, Folgen und die Bedeutung des Einsatzes von Maschinen bei arbeitsteiliger Produktion. Beiden Texten, die aus didaktischen Erfmdungen bestehen, liegen einge- hende Recherchen vor Ort zugrunde, in einem Fall bei zwei Reisen in Sri Lanka, im anderen Fall über mehrfache Gespräche und Besichtigungen bei einem der größten Fi- schereibetriebe der Bundesrepublik. Die Texte wurden bei der Erprobung als "für die Schüler interessant (nicht zuletzt wegen der geliebten Fischstäb- chen)" eingestuft. Als inhaltliche Schwerpunkte ergaben sich beim Vergleich der Arbeit des Fischers und des Maschinenarbeiters die Gesichtspunkte "Arbeitsbedingun- gen, Lebensmittelqualität und Massenproduktion; die Schüler diskutierten hier häufig von sich aus weiter die Vor- und Nachteile von Massenproduktion". Es ist bemer- kenswert, daß dem Aspekt des Maschineneinsatzes und seinem Einfluß auf die Arbeitsteilung keine explizite Aufmerksamkeit zuteil wird. Dieser Akzentverschiehung mag es auch zuzuschreiben sein, daß die in der WahI der Beispiele angelegte entwicklungspolitische Perspektive, die maßgeblich von den Voraussetzungen und Folgen eines modern.en Maschi- neneinsatzes beeinflußt werden, von den Lehrern zu- rückgewiesen wurde: "Die Arbeitsteilung zwischen Indu- strie- und Entwicklungsländern ist zu kompliziert, um an dieser Stelle aufgegriffen werden zu können." Diese Einschätzung zielt zugleich auf eine Streichung der beiden letzten Absätze im systematischen Text T 5. Die vorgeschlagene Streichung erscheint auch durchaus vernünftig, wenn die unterrichtliche "Zeitökonomie" the- matische Streifzüge nicht zuzulassen scheint. Andererseits kann man hier fast entgegengesetzter Mei- nung sein: Dann ist nicht der Aspekt der "internationalen Arbeitsteilung" zu kompliziert, vielmehr bieten die heiden Episoden einen besonders mühelosen und moralisch unvor- eingenommenen Ausgangspunkt, das Dilemma der Ent- wicklungsländer wahrzunehmen und zunehmend komple- xer zu sehen. Indem man die sozialen und technischen Gegebenheiten in der Dritten Welt begreift und die Voraussetzungen, das leidvolle Entwickeln, die geplanten und ungeplanten Fol- gen des Einsatzes von Produktivkapital dort wie hierzu- Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 4 182 lande bedenkt, müßte es gelingen, das Monströse und Voluntaristische in großen Teilen der heute vertretenen und realisierten Entwicklungshilfeprojekte zu erkennen. Was bedeutet es denn für die Menschen in Sri Lanka, für die ökonomische Situation der Fischer, der Händler, der Dörfer, für das soziale Gefüge, für alles, was an der vor- fmdbaren Infrastruktur hängt, wenn man der Regierung einen Kredit gibt, damit das 4nd sich - bildlich gespro- chen - ein Fangfabrikschiff kaufen kann? - In dieser Sicht- weise wäre also nicht der Gegenstand zu komplex, sondern allenfalls die Zeit zu knapp, all die vielen wichtigen Ein- sichten zu gewinnen.. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 183 Kapitel 4 Von den Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung Die Zunahme der Arbeitsteilung hat eine Fülle von Veränderungen für die Menschen gebracht - gute und schlechte. In den Materialien M 10 bis M 12 erfährst du etwas über drei dieser Veränderungen. ~ Einweihunqsfeier bei Familie Wohlqemuth Bei Familie Wohlgemuth wird heute die Einweihung des eigenen Hauses gefeiert. Nach jahrelangem Sparen und vielen Aufregungen ist es endlich soweit - das eigene Haus ist fertig! Die Kinder spielen mit ihren Freunden im Kinderzimmer, die Er- wachsenen sitzen im Wohnzimmer und unterhalten sich. Vater Wohlgemuth geht in die Küche, um neue Getränke zu holen. Dort trifft er auf Onkel Willi, der sich gerade selbst am Kühl- schrank bedient. 0.: Na Walter, jetzt bist Du ja wohl froh, daß alles über stan- den ist, oder? v.: Das kannst Du laut sagen - was ich alles mit den Handwer- kern erlebt habe! 0.: Das kann ich mir denken! Hattest Du denn wenigstens einen vernünftigen Bauleiter? v.: Doch, der war schon in Ordnung, nur als der mal krank war, hörte ich, wenn ich mal was nachfragte, von den Handwerkern immer bloß: Wir wissen auch nicht, wie es weitergehen soll, wir bekommen das sonst immer am Abend vorher gesagt. Und Du glaubst ja gar nicht, wer alles an einem Hausbau beteiligt ist. Fast jeden Tag sah ich andere Handwerker! 0.: Wem sagst Du das - ich habe schließlich auch mal gebaut. Zum Glück ist das schon lange herl v.: Das Schlimmste ist ja, daß jeder nur für einen kleinen Be- reich zuständig ist. Nehmen wir z.B. mal die Küche oder das Bad. Komme ich da doch einen Nachmittag zum Bau; da sitzen die Fliesenleger herum und trinken Bier. Als ich dann frage, warum sie denn nicht die Fliesen legen, erklären sie mir, das ginge nicht, weil noch ein Stück Wasserrohr gelegt und verlötet werden müsse, und bevor die Klempner das nicht gemacht hätten, lohne das Anfangen nicht! Daraufhin bin ich wutentbrannt zum Bauleiter. Der gesteht mir verzweifelt, daß die Klempner gar nicht gekommen seien - der Firmeninha- ber habe irgendetwas von Grippewelle erzählt. Ich frage den Bauleiter, ob denn nicht ein Fliesenleger oder irgendein anderer Handwerker dieses stück Rohr ver- legen könne - Material und Lötpistole lagen ja herum - da- mit die Arbeit weitergehe. Der Bauleiter sagt: Ja, wenn das so einfach wäre, wie sie sich das vorstellen - hier ist doch jeder auf seinen Be- Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 184 reich spezialisiert! Ich habe früher in einer ähnlichen Si- tuation mal den Versuch unternommen - da wurde mir ganz frech gesagt: Meinen Sie, ich habe 3 Jahre Fliesenleger ge- lernt, damit ich jetzt Toiletten anschließe? Nein, nein, das vergessen Sie mal, Herr Wohlgemuth. 0.: Na ja, es hat ja alles noch geklappt und der Ärger und die AUfregung sind bald vergessen. Mutter Wohlgemuth, die gerade in die Küche kommt, um nachzuse- hen, wo ihr Mann so lange bleibt, hat die letzten Sätze mitbe- kommen und schaltet sich in das Gespräch ein. M.: Hast Du eine Ahnung, Onkel Willi! Beinahe hätten wir die Einweihungsfeier abblasen müssen! 0.: Wieso das denn, es ist doch alles komplett hier? M.: Ja, jetzt! wir haben doch gestern Nachmittag erst unsere neue Einbauküche bekommen. Die Sachen kamen auch pünktlich, die Männer brachten die Hängeschränke an, stellten die Kühlkombination auf, schlossen Spüle und Spülmaschine an - nur den Herd und die Arbeitsplatte ließen sie an der seite stehen. Als ich nachfragte, was denn damit sei, sagten sie, daß der Elektriker sich überraschend einen Tag freige- nommen habe - seine Frau hat ein Kind bekommen. Deshalb könnten sie die Arbeitsplatte erst am Montag anbringen, nachdem der Elektriker den Herd angeschlossen habe, denn Samstags würden sie nicht arbeiten. Du kannst Dir vorstellen, daß ich wie vor den Kopf gestoßen war! Wie sollte ich ohne Herd zurechtkommen? Wo es doch heute Schinkenbraten und Gulaschsuppe geben sollte 0.: Es hat übrigens alles vorzüglich geschmeckt, Margret! M.: Danke. - Ja, ich war zunächst ratlos. Auch auf meine Bitten und Betteln weigerten sich die Handwerker, den Herd selber anzuschließen. Sie verwiesen auf den Starkstromanschluß und zeigten mir die vielen Drähte, die aus dem Herd kamen - wenn die falsch angeschlossen würden, könne alles durch- brennen. Ich sah das schließlich ein und überlegte, was zu tun sei. Walter kam auch nicht in Frage - der hätte das Risiko be- stimmt nicht auf sich genommen. Wenn ich daran denke, wie vorsichtig der schon beim Anschließen einer Lampe ist ... v.: Na komm, so schlimm ist das ja nun auch nicht! Aber wenn selbst Handwerker da nicht dran wollen ... M.: Schließlich dachte ich mir, daß die Firma Lieferung und Einbau per Vertrag für Freitag zugesichert hatte, also mußte sie den Vertrag auch einhalten! Ich rief dann bei der Firma an, ließ mir den Geschäftsführer geben und schilderte ihm meine Lage. Er war auch überraschend freundlich - v.: Die Küche war ja auch teuer genug! M.: - und sicherte mir zu, den zweiten Elektriker der Firma zu benachrichtigen und ihn noch am Abend vorbeizuschicken. Die Arbeitsplatte könne allerdings erst am Montag befestigt werden. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 185 Ich war ja froh, daß es überhaupt noch klappte und bedankte mich bei ihm. - Tja, und jetzt haben wir, bis auf die provisorisch hingelegte Arbeitsplatte hier in der Küche, alles im H,aus fertig. 0.: Und das ist ja nun tatsächlich ein Grund zum Feiern! ~onkel Willi weiß, wer beim Hausbau beteiligt ist. Kannst ~du auch alle Spezialisten aufzählen? ~vater und Mutter Wohlgemuth erzählen jeweils von einem anderen Problem und doch haben beide Ereignisse die glei- che Ursache. a) Suche zunächst die beiden Ereignisse, die gemeint sind, aus dem Text heraus. b) überlege dann, warum es jeweils zu einem Problem kommt. c) Als letztes versuche herauszufinden, wo die gemeinsame ~ursache für die beiden Probleme liegt. ~warum will der Fliesenleger in der Geschichte keine Toi- lette anmontieren und warum wollen die Küchenmöbelspezia- listen keinen Elektroherd anschließen? ~Findest du ihre Weigerung berechtigt? Wenn nicht, finde ein anderes Beispiel, bei dem ein Spe- zialist sich weigert, die Arbeit eines anderen Speziali- sten zu tun und nenne die Gründe dafür! Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 186 ~a) Die Spezialisierung ist heute weit vorangeschritten. viele Arbeiten werden heute nicht mehr von derselben Per- son geplant und zugleich ausgeführt. Jetzt machen manche Leute für bestimmte Arbeiten nur noch die Planung und ge- ben Anweisungen, andere Personen führen dann die Pla- nungen aus. Versuche am Beispiel des Hausbaus herauszufinden, wer dort planende und wer ausführende Arbeiten macht. b) überlege, warum es diese Arbeitsteilung zwischen pla- nender und ausführender Arbeit gibt. Findest du, daß diese Arbeitsteilung auch Nachteile hat? Begründe deine Meinung! ~unsere Vorfahren bauten ihre Holzhäuser gemeinschaftlich in Nachbarschaftshilfe. a) Warum ist das heute nicht mehr ohne weiteres möglich? b) Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Aus- bildung? An dieser Stelle möchte auch Professor Ökon seine Überlegungen mitteilen: ~Wir haben bereits gesehen, daß die Entwicklung der Ar- ~beitsteilungdazu geführt hat, daß der einzelne Mensch in einem immer engeren Arbeitsgebiet tätig wird. Um dieses Arbeitsgebiet zu beherrschen, erwirbt er ein spezielles Wissen und Können. Dafür fehlt ihm dann das Wissen und Können in ande- ren Arbeitsgebieten. Insgesamt gesehen können Menschen durch die Arbeitsteilung ihre gemeinsamen Arbeitsergebnisse steigern und verbessern. Durch sie lassen sich die verschiedenen Begabungen der Menschen bes- ser ausnutzen, sie bekommen in ihrem speziellen Arbeitsgebiet eine besondere Geschicklichkeit, erwerben ein hohes Wissen, ma- chen neue Entdeckungen usw. Schon bald war der Punkt erreicht, an dem das Wissen und Können der Spezialisten so umfangreich und anspruchsvoll wurde, daß die heranwachsenden Jugendlichen es nicht mehr allein durch ge- legentliches Zuschauen und Nachmachen erwerben konnten. Eine gezielte Ausbildung wurde erforderlich: die Lehre. Durch die Lehre sollte sichergestellt werden, daß der Jugendli- che das Wissen und Können erlangt, das notwendig ist, um alle Aufgaben in einem genau abgegrenzten Arbeitsgebiet fachgerecht lösen zu können. Diese abgegrenzten Arbeitsgebiete, auf die eine Ausbildung vorbereitet, nennt man auch Berufe. Wir haben außerdem gesehen, daß die Arbeitsteilung bis heute immer weiter fortgeschr i tten ist: auch die Berufe spalteten sich weiter auf, wenn das Wissen und Können, das benötigt wur- de, zu stark angewachsen war. So entwickelte sich zum Beispiel aus dem Beruf des Schmiedes, der zunächst jede Art von Metall- gegenständen bearbeitete, der Wagenschmied, der Hufschmied und Gerdsmeier: sos 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 187 andere mehr. Und für jeden dieser neuen Berufe gab es nun eine spezielle Ausbildung. Diesen Vorgang nennt man berufliche Arbeitsteilung. Und etwas anderes ist noch zu beachten. Ganz früher war es ein- mal so, daß alle Arbeiten, die erforderlich waren, um ein be- stimmtes Gut - zum Beispiel eine Wäschetruhe - herzustellen, von einer einzigen Person oder von einer kleinen Gruppe von Menschen gemacht wurden. Sie holte den Auftrag herein, plante die Herstellung, beschaffte Materialien, führte die Arbeit nach dem Entwurf durch, prüfte die Qualität der Arbeit usw. Planung, Ausführung, Kontrolle, Verkauf waren unter einem Dach. Heute ist das überwiegend ganz anders. Einige Menschen kümmern sich fast nur noch um die Planung der Produktion und geben An- weisungen; andere Menschen führen die Anweisungen aus und dür- fen nicht mehr selber planen. Diesen Vorgang bezeichnet man auch als Teilung in planende und in ausführende Tätigkeiten. ~professor Ökon hat in T 4 zwei Formen der Arbeitsteilung beschrieben. Sag noch einmal mit eigenen Worten, worum es dabei jeweils geht. ~In Möbelfabriken werden Möbel hergestellt. Aber in man- chen Fabriken werden nicht alle Möbelteile selber gefer- tigt. Zum Beispiel werden Schubladen von einer Schreine- rei geliefert, die Griffe von einem anderen Unternehmen usw. Wie würdest du diese Art der Arbeitsteilung nennen? ~sehr viele Menschen sind heute gar nicht mehr direkt an der Herstellung von Gütern beteiligt. Sie arbeiten zum Beispiel in der Verwal tung der Unternehmen: Sie machen Bestellungen, prüfen und bezahlen Rechnungen, wickeln Lieferungen ab, schreiben Geschäftsbriefe , bedienen den Computer für die Buchführung usw. Findest du, daß es sich dabei mehr um planende oder mehr um ausführende Tätig- keiten handelt? Begründe deine Meinung. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 188 Du weißt, daß sich durch die Arbeitsteilung viel geändert hat: niemand kennt sich noch in allen Arbeits- gebieten aus, Berufe sind entstanden, Ausbildungen wurden erforderlich, viele Menschen führen nur noch die Pläne anderer Personen aus. Aber auch die Maschinen und Materialien haben sich verändert. Das hat große FoLgen gehabt. ~ Fischfang wie vor tausend Jahren Schau dir dazu einmal M 11 und M12 an. ~ - - -, ~-'--:::-- ~ Auf Sri Lanka - einer Insel (und einem staat) südlich von In- dien - wird heute noch so wie vor tausend Jahren gefischt. Durch die Erzählung von Fischer Radje können wir uns vorstel- len, welche Arbeiten die Fischer früher ausführen mußten. Der Fischer Radje erzählt: "Unsere Boote sind sehr einfach ge- baut. Wir stellen sie selber her, wie schon unsere Vorfahren: den Rumpf aus Holz, die Masten und Paddel aus Bambus, die Segel aus Baumwolle und die Seile aus Kokosfaser. Die Netze haben wir natürlich auch selbst geknüpft. Damit wir nicht kentern, ist für das nötige Gegengewicht der Ausleger an der seite des Boo- tes da. - Jeden Morgen, schon vor Sonnenaufgang, fahre ich mit meinem Sohn Manu und zwei anderen Fischern aus dem Dorf einige Kilometer aufs Meer hinaus. Die Fische fangen wir mit einem Schleppnetz. Das ist ein Netz, das wir hinter uns herziehen. Deshalb muß das Boot auch bei zu wenig wind gepaddelt werden. Bei starkem Wind muß mindestens ein Mann auf den Ausleger klet- tern, damit dieser zusätzlich beschwert wird. - Die Art der Ar- beiten wechsel t immer, je nachdem, was gerade notwendig ist. Jeder muß steuern, die Segel bedienen, paddeln und das Netz mit der Hand auswerfen und einholen können. Bei Sonnenuntergang kommen wir zurück. Von dem Fang eines Tages essen wir einen Teil selber. Die restlichen Fische werden ver- kauft. Das Geld brauchen wir für andere Lebensmittel und drin- gende Anschaffungen. Wir können aber nicht das ganze Jahr über fischen. Während der Monsunzeit kommen sehr starke Winde vom Meer her. Die Brandung ist dann sehr hoch, und es ist zu gefährlich hinauszufahren. Wir suchen uns dann Gelegenheitsarbeiten in der nächsten Stadt, denn von der Reparatur der Boote und Netze können wir ja schließlich nicht leben." - ~ ~ ~~ ~. w4 :..· ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~· ~J l. ~~ fi ~..e? ~~11 ~g. ,~~ '· ~ _ · g ~ ~ ~ ~ ~ U , - = ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ; r r ~ ~ · i .~f G ') ro .., a . Cf ) 3 l1) ro .., cn o cn N ;p.; ; QJ (1) r- t (1) .., VJ o "3 ' (1) :J C ~ .0 (1) ::J a . ro , ~ .., 0 - (1) r- t VJ r- t (1) C :J 1, 2 B rü ck e 3, 4 W oh nb er ei ch 10 ,1 1, 12 W oh nb er ei ch 5 Fa ng ne tz ,F an gd ec k 6 V er ar be itu ng sd ec k 7 Fr os te rs ta tio n 8 T ie fk üh lla ge rr au m 9 M as ch in en an la ge - Fi sc hm eh la nl ag e () ) ' 0 Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 190 ~ Auf einer schwimmenden Fischfabrik Hein de Vries ist 32 Jahre alt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, die vierjährige Bärbel und die zwei Jahre alte Stefa- nie. Die Familie de Vries wohnt in Cuxhaven. Hein de Vries ist von Beruf Fischwerker. Er arbeitet auf einem modernen Fangfabrikschiff. Das ist ein sehr großes Schiff, von dem aus die Fische nicht nur gefangen, sondern auf dem die Fi- sche auch gleich verarbeitet und in großen Kühlräumen gelagert werden. Die Fischer von Sri Lanka würden wahrscheinlich staunen, wenn sie zuhören könnten, wie Hein de Vries seine Arbeit schildert. "Wenn ich an Bord gehe, sehe ich meine Familie manchmal drei Monate lang nicht, denn so lange sind wir manchmal unterwegs. Das letzte mal haben wir vor Grönland gefangen, also rund 1700 Seemeilen (das sind rund 3000 km) von Cuxhaven entfernt. Als Fischwerker beginnt meine eigentliche Arbeit erst, nachdem die Fischschwärme durch ein Echolot aufgespürt und die riesigen Netze mit Fernsteuerung ins Meer gelassen und wieder eingeholt worden sind. Das heißt aber nicht, daß ich auf der Hin- und Rückreise fau- lenzen kann! Irgendwelche Reparatur- und Reinigungsarbeiten gibt es immer. Sobald das Netz mit Fischen prall gefüllt ist, werden sie durch eine Luke unter Deck in den Schlacht- und sortierraum beför- dert. Dort stehe ich dann mit meinen Kollegen und werfe die Fi- sche auf ein Muldenband. Dies ist ein Förderband mit vertiefun- gen. In jede Vertiefung paßt ein Fisch. Das Band führt zuerst zu einer Maschine mit einem sehr scharfen Messer. Hier öffnen sich automatisch die Mulden, in denen die Fische liegen. Durch einen sehr schnellen Schnitt werden die Fische geschlachtet. An der Unterseite der Fische wird die Verbindung zwischen Kopf und Innereien durchgetrennt . Gleichzeitig wird das Herz durchge- schnitten. Danach werden die Fische zwei kreisförmigen, schnel- laufenden Messern zugeführt. Die Fische werden geköpft. Mit der nächsten Maschine werden sie ausgenommen und gewaschen. Dann läuft alles wie am Schnürchen weiter: wir sortieren die ge- schlachteten Fische nach Arten - eine ganz schön glitschige Sa- che. Das Transportband führt die Fische zu einer Verarbei- tungsmaschine, mit der aus dem ganzen Fisch haut- und gräten- freies Filet geschnitten wird. Die Fischfilets werden dann noch einmal von uns überprüft. Manchmal müssen wir noch etwas Haut wegschneiden oder übriggebliebene Gräten entfernen. Die ferti- gen Filets werden dann kreuz und quer durcheinander in Formen geschüttet und ab geht die Post in den Tiefkühlraum. Dort wer- den die Filets zu Blöcke a 20 kg gefroren. Diese Blöcke werden dann an Land zu Fischstäbchen zersägt. In unserem Tiefkühlraum ist Platz für 850 t Tiefkühlfisch - das sind umgerechnet 42.500.000 Fischstäbchen! Ach ja, Abfälle gibt es bei uns nicht. Die werden nämlich zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet. Das Fischmehl wird an Land Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 191 an Futtermittelunternehmen verkauft; das Fischöl geht an die Margarine- oder Kosmetikindustrie. Auf unserer letzten Fahrt hatten wir vor Grönland so starken Seegang, daß wir kaum auf den Beinen stehen konnten. Außerdem war es unter Deck kaum wärmer als 5 Grad C. Da muß man sich warm anziehen! Ja, die Arbeit ist schon hart und das 12 Stunden jeden Tag. Aber sie wird auch nicht schlecht bezahlt. Wenn wir einen guten Fang hatten, bekommen wir zusätzlich zum Lohn noch eine Fangprämie. Aber ohne Frau und Kinder - da wird die zeit oft lang, und man denkt mit Sehnsucht an die ein bis zwei Wo- chen Freizeit, die man nach der Reise hat." ~Beschreibe anhand der Bilder und Texte die Unterschiede zwischen dem Fischfang früher und auf einem modernen Schiff. ~Kannst du Gründe für diese Veränderung nennen? ~welche Bedingung muß erfüllt sein, damit sich der Kauf eines teuren Fangfabrikschiffes lohnt? a) Erkläre am Beispiel der Fischverarbeitung auf einern Fangfabrikschiff, welchen Teil der Arbeit der Mensch und welchen Teil der Arbeit die Maschine übernimmt. b) Durch wen wurde der Fisch früher ausgenommen, entgrä- tet und filetiert? c) Zur Besatzung eines modernen Fangfabrikschiffes gehö- ren mindestens folgende Personen: 1 Kapitän, 3 Steuerleute, 1 Funker, 3 Maschinisten, 6 Ma- sChinenassistenten, 1 Elektriker, 1 Maschinenmeister (für die Fischverarbeitungsmaschinen) , 2 Fischwerkmeister , 24 Fischwerker, 2 Netzmacher, 8 Matrosen, 3 Leichtmatro- ~sen, 1 Koch, 2 Kochgehilfen, 1 Messesteward (Kellner). ~Welcher Teil der Besatzung ist für den eigentlichen Fischfang notwendig? Vergleiche mit der Schiffsbesatzung der Fischer in Sri Lanka! Zu der Frage, was die Arbeitsteilung und die Technik miteinander zu tun haben, hat sich auch Professor Ökon eine Meinung gebildet. Hier seine Darstellung: Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 192 ~In einem meiner Vorträge - ich glaube, es war in T 2 - ~habe ich bereits deutlich gemacht: Die zunehmende Auftei- lung der Arbeit erleichtert es den Menschen, bessere Geräte, Maschinen, Arbeitsmethoden oder Güter zu erfinden. Ja, heute ist es so, daß es Spezialisten gibt, die sich nur noch um das Erfinden und Entwickeln solcher Neuerungen kümmern. Aber es ist noch etwas zu beachten. Was passiert denn, wenn diese neuen Maschinen und Geräte am Arbeitsplatz eingeführt werden? Stell Dir einmal drei Arbeiter vor, die einen Graben ausheben und einen Wall aufschütten. Jeder ist mit Schaufel, Hacke und Schiebkarre ausgerüstet. Alle drei machen dasselbe. Was ge- schieht nun, wenn sie einen Bagger und einen Lastwagen erhal- ten? - Einer wird nun vermutlich den Bagger bedienen, einer den Lastwagen fahren und der Dritte die beiden anderen beim Aus- schachten und Abladen einweisen und einige Feinarbeiten machen. Wir sehen also: Jeder macht nun etwas anderes als früher. Jeder macht nun etwas anderes als der andere. Und alle drei zusammen schaffen jetzt mehr als zuvor. Durch den Einsatz der neuen Ma- schinen hat sich die Arbeit also verändert und die Arbeitstei- lung ist angestiegen. Die Arbeiter mußten sich an die neuen Ma- schinen anpassen. Heute kann man bei uns beobachten, daß die Maschinen immer mehr AUfgaben übernehmen - Aufgaben, die vorher von Menschen durch- geführt wurden. Nicht selten stellen Maschinen ein Gut schon ganz allein her; nur einige wenige Menschen werden dann noch zur Reparatur, Wartung oder Kontrolle der Maschine benötigt. Dieser Anstieg der Fähigkeiten der Maschinen, der eine Mitwir- kung von Menschen zunehmend überflüssig macht, wird Automation genannt. Da es bei der Automation nicht mehr zu einer neuen Aufteilung der Arbeit zwischen den Arbeitern kommt, sondern die Tätigkeiten vieler Menschen einfach überflüssig werden, spricht man hier auch von einer Arbeitsteilung zwischen Mensch und Ma- schine. Warum werden nun in vielen Ländern und in vielen Unternehmen Güter noch von vielen Menschen und mit einfachen Geräten herge- stellt, obwohl es an anderer Stelle dafür bereits Automaten gibt? Darauf gibt es mehrere Antworten: 1. Wenn in einem Land oder in einem Unternehmen die Arbeitstei- lung gering ist, sind hier in der Regel auch die Arbeitsergeb- nisse gering. Das weißt du schon aus dem Kapitel 2. Dann sind die Menschen aber auch nicht reich genug, um sich die neuen, meistens sehr teuren Automaten kaufen zu können. 2. Die leistungsfähigen Maschinen können in kurzer zeit viele Güter herstellen. Sie produzieren sie in großen Massen. Diese Massenproduktion lohnt sich aber nur, wenn es viele Menschen gibt, die man mit Transportmitteln erreichen kann und die sich diese Güter auch leisten können. Wenn die Menschen in einem Lande arm sind und nur einige wenige Leute sich ein bestimmtes Gut leisten können, dann macht sich die teure Anschaffung für eine Massenproduktion nicht bezahlt. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 4: Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung 193 Es zeigt sich also: Weil die Arbeitsteilung gering ist, sind die Leute arm (und die Verkehrsverbindungen schlecht). Weil sie arm sind, ist der Einsatz besserer Maschinen zu teuer oder überflüssig. Weil neue Maschinen nicht eingesetzt werden, bleibt die Arbeitsteilung gering ... ~a) Sicher hast du schon einmal mit deinen Eltern oder Ge- schwistern Geschirr gespült. Vielleicht habt ihr zu Hause aber auch eine Geschirrspülmaschine oder Leute in der Be- kanntschaft benutzen eine. Beschreibe die Unterschiede! b) Lies dir den Text T 5 noch einmal in Ruhe durch. Ver- suche dann möglichst viele Aussagen im Text mit Hilfe des Bespiels vorn Geschirrspülen zu erläutern. c) Welche Aussagen ließen sich mit dem Beispiel vom Ge- schirrspülen nicht gut beschreiben? Kennst du da bessere Beispiele? Du hast nun eine ganze Menge über die Vorteile der Arbeitsteilung erfahren und über die Veränderungen, die sie den Menschen gebracht hat. Aber klappt das denn mit der Arbeitsteilung immer reibungslos? Davon handelt das folgende Kapitel. Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 5 194 Vorbemerkungen zu Kapitel 5 Die Ausgangsidee dieses Kapitels besteht darin, in einer Art Gegenbewegung zum Strom immer weiterer Ausfäche- rungen das der Arbeitsteilung notwendig Komplementäre zu thematisieren. Komplementär sind die wechselseitigen Abhängigkeiten aller und die Versuche, diese Abhängig- keiten durch organisatorische Vorkehrongen handhabbar zu machen und hinter der Fassade eines allseits befriedi- genden Ganzen versehwinden zu lassen. Um dieses "große Thema" nicht gleich auf der Ebene seiner weitreichendsten Verallgemeinerungen denken zu müssen, ist der Einstieg auf die Ebene punktueller subjektiver Betroffenheit verlegt worden (M 13): Ein von den Schülern geschätztes Produkt (Bananenmilch) ist in der Schulpause überraschend nicht verfügbar. Die zweite didaktische Ent- scheidung bestand darin, die ausholende Erklärung für diese "Störung" zu verfremden und ironisch zu brechen (M 14); denn gerade derartige Distanzierungen (Verfremdungen, Funktionsstörungen u.ä.) bieten die Chance, daß Vertrautes mit neuen Augen gesehen wird. Dennoch heißt es in einem Protokoll über die Erprobung der Materialien lakonisch: "Sabines Bananenmilch ist bei den Schülern wegen der Bananenmilch ganz beliebt, bringt für sie inhaltlich aber nichts Neues, denn Abhängigkeit war ihnen vorher schon klar." Nun mag diese Einschätzung etwas damit zusammenhän- gen, daß manches, was das "schon Klare" weiter präzisiert hätte, etwa das Ausmaß der zu bewältigenden Koordinati- onsaufgaben und das organisatorische Spektrum auf be- trieblicher Ebene, mit dem sinnvolle (Teile-)Ergebnisse wahrscheinlich gemacht werden sollen, bei der Erprobung keine besondere Rolle gespielt zu haben scheint. Darauf läßt jedenfalls die Streichung jener Aufgaben schließen, die zu derartigen Präzisierungen aufgefordert hatten. Möglicherweise sind diese Differenzierungen für 12-jährige auch verfrüht, geboten wäre eine eingehende Analyse ge- rade dieser Aspekte allerdings spätestens, wenn dieses Thema in der beruflichen Ausbildung behandelt wird: Die Organisation des betrieblichen Aufbaus und der Abläufe, die sich herausbildenden Institutionalisierungen, die ver- bleibenden Gestaltungsspielräume, die Fixierung speziel- ler Verträge usw. in ihrem besonderen Verhältnis zu den angestrebten betrieblichen "Zwecken". Diese Versuche, ar- beitsteilige Voraussetzungen für spezielle Zwecke und Be- reiche "handhabbar" zu machen, wären zugleich der sy- stematische Ort, an dem die Beschäftigung mit der betrieb- lichen Mitbestimmung und der Humanisierung der Arbeit sinnvoll ansetzen könnten. Für die mäßige Bedeutung, welche die Schüler der Thema- tik offenbar zubilligen wollen, könnte es einen zweiten Grund geben. Herausgenommen wurde während der Er- probung auch jener Gesichtspunkt, der im systematischen Text T 6 als Punkt 3 eingefügt war. (Er fehlt auch im hier wiedergegebenen Text in Kap..5(2).) Es geht dabei um die wichtige Einsicht, daß der abstrakte Befund, daß jeder von anderen abhängig ist, nicht den Blick dafür verstellen sollte, daß diese Abhängigkeiten qualitativ recht unter- schiedlich fühlbar werden. Mit der Arbeitsteilung werden ja nicht nur Produktionsprozesse zerlegt. Zugleich werden Einkommen, soziale Positionen, Macht, Privilegien, Risi- ken u.ä. zugewiesen. Die Differenzen, die dabei auftreten, sind andererseits nicht so groß, daß gar nicht mehr wahrgenommen würde, daß auch noch alle im gemeinsa- men Boot sitzen. - Im Zusammenhang mit den Erprobun- gen und Überarbeitungen wurde dieser Gesichtspunkt gänzlich gestrichen. Im systematischen Material T 6 wurde die Darstellung als unverständlich zurückgewiesen. Die Passage lautete: Du weißt nun schon, daß die Arbeitsteilung wechsel- seitige Abhängigkeit schafft. Dazu ist noch etwas Wich- tiges zu ergänzen: Aufgrund der bestehenden Regeln und Organisationen sind die Abhängigkeiten der Menschen voneinander an- dersartig und unterschiedlich stark. Was heißt das? a) Die Abhängigkeiten sind andersartig: Ein Arbeiter hat zum Beispiel das Risiko, seinen Ar- beitsplatz und seine Einkünfte zu verlieren und keine neue Arbeit zu finden. Dagegen hat ein Unternehmer zum Beispiel das Risiko, daß er benötigte Rohstoffe nicht bekommt oder daß sich seine Produkte nicht verkaufen lassen, so daß er den Betrieb möglicherweise aufgeben muß und dann seine Einkommensquelle (manchmal auch sein Vermögen) verliert. b) Die Abhängigkeiten sind unterschiedlich stark: Wer arm ist, wird zum Beispiel vom Verlust seines Ar- beitsplatzes sehr viel stärker betroffen sein als jemand, der über ein größeres Vermögen verfügt. Außerdem ha- ben diejenigen, die größere Vermögen (insbesondere Be- triebe oder Grundbesitz) besitzen, nicht selten auch so- viel Macht und Ansehen, daß es ihnen leichter gelingt als anderen Menschen, die gültigen Regeln und Organisa- tionen zu ihrem Vorteile zu beeinflussen. Mit einer ähnlichen Begründung wurde zum gleichen Sachverhalt ein episodisches Material als ungeeignet ab- gelehnt; dieses Material bestand aus einem fingierten Brief, in dem die Betroffenheit verschiedener Personen durch dasselbe Ereignis kontrastiert werden sollte. Die Bedeutung dieses Briefes sei unklar, die unterschiedlichen Risiken für Arbeitgeber und Arbeitnehmer seien kompli- ziert dargestellt und blieben undurchsichtig, und außer- dem fehle ein erkennbarer Zusammenhang zum Thema "Arbeitsteilung". Es geht dabei um folgenden Text: Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 5 195 M ... Liebe Heike! Endlich komme ich mal dazu, Dir zu schreiben. Du fehlst mir sehr. Ich bin jetzt fast nur noch mit Cornelia und Torsten zusammen. Es ist wirklich schade, daß Ihr weg- gezogen seid - nur weil der alte Schrader nicht mehr ge- nug Arbeit hatte! Hoffentlich habt Thr Euch in der neuen Stadt inzwischen etwas eingelebt. Hier behaupten alle, daß Schrader seine Autowerkstatt bald dicht machen muß. Frau Knippe aus Schraders Büro, Du weißt schon, die Dir immer die schönen Briefmarken geschenkt hat, befürchtet das auch. Sie meint, die meisten Leute lassen ihre Autos lieber in den großen Werkstätten in der Stadt überholen. Von den paar Notfällen und den wenigen Stammkunden hier aus der Gegend kann die Werkstatt aber wohl nicht überleben. Ralf, der doch sonst dauernd dumme Sprüche machte, läuft neuerdings ziemlich bedröppelt durch die Gegend, wahrscheinlich hat er Angst, daß er seine Ausbildung bei Schrader nicht zu Ende machen kann. Da hat der alte Schrader seine neue Wagenwaschanlage wohl umsonst angeschaffi;. Na ja, wenn er wirklich auf- hört, hat er immer noch seinen Garten mit den Zwerg- hühnern und den Sportverein. Uns soll das sowieso recht sein: Wir hätten dann den großen Abstellplatz neben der Werkstatt ganz für uns und könnten ungestört Speckbrett spielen, falls das Grundstück nicht bald verkauft wird. In der Schule gibt es nichts Neues. In Mathe habe ich mal wieder eine 5 ge- schrieben, hoffentlich schaffe ich es noch bis zu den Zeugnissen auf eine 4 zu kommen. Wann besuchst Du uns einmal? Warte nicht bis zu den Ferien. Schreib bald zurück! Mit vielen, vielen Grüßen Deine Melanie Aufgabe ... : &.) Wirst Du aus dem, was Melanie alles berichtet, ganz schlau? Erzähl es der Reihe nach. b) In dem Bericht von Melanie kommen Personen vor, die offenbar aufeinander angewiesen sind. An wen denkst Du da zum Beispiel? c) Sind denn alle Personen in gleichem Maße von- einander abhängig? Was bedeutet es zum Beispiel für die Autofahrer im Ort, für Ralf, Frau Knippe und für Herrn Schrader, wenn die Werkstatt wirklich geschlossen wer- den muß? Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 5: Das sinnvolle Ganze 196 KapitelS Wie aus arbeitsteiligen Tätigkeiten ein sinnvolles Ganzes wird Bei der heutigen ArbeitsteiLung arbeiten die Menschen schon so spezialisiert, daß keiner mehr so recht weiß, was der andere tut. Kann das denn gutgehen? Überleg 'dir das einmal anhand der Geschichte in M13. ~ 'Immer wenn es nach der zweiten Schulstunde zur großen iM 13ajpause klingelt, freut sich Sabine schon auf ihre Bana- nenmllch, die sie beim Hausmeister kaufen kann. Das macht sie wieder richtig munter. Ihre Mutter gibt ihr auch immer Geld da- für mit. Aber heute stimmt irgend etwas nicht. Der Hausmeister behaup- tet, es sei keine Bananenmilch da. Und auch der Kakao, den sie zur Not trinken will, ist nicht zu bekommen. Sie ist sehr ent- täuscht und kann das alles nicht verstehen. Schließlich ist heute doch ein Tag wie jeder andere! Wirklich? IM 13bl Wie Sabine zu ihrer Bananenmilch kommt Papier-und Kartonfabrik Elektrizi- tätswerke G=l L::::-J Arbeiter und Arbeiterinnen und andere Mllchwerke Munterland Trinkmilch, KAse, Butter, Kakao, Bananenmilch (800 verschiedene Produkte) Molkereien, die die 400 Schulen /.' 40 Ausliefe- )~. \sn rungswagen ' .::--;:.,......I,.-.....---~,- ~ _- ~---~ I 't 1.500 Händler i ! ~ 1,6 Millionen Verbraucher Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 5: Das sinnvolle Ganze 197 ~a) Sabine weiß offenbar nicht so recht, was alles gesche- hen muß, damit sie morgens pünktlich ihre Bananenmilch bekommt. Kannst du ihr das mit Hilfe von M 13b erklären? Versuche es einmal! b) Was könnte nun alles passiert sein, so daß Sabine heute ohne Bananenmilch auskommen muß? ~enn du wissen willst, was wirklich geschehen ist, dann lies einmal in M 14 nach, warum Herr Knospe sich so aufregt. ~In den Milchwerken Munterland ringt Geschäftsführer Kno- spe die Hände. Ganz gegen seine Gewohnheit läuft er im Büro auf und ab. "Wozu gibt man sich so viel Mühe?" stöhnt Herr Knospe. "Wozu all die Pläne, Verträge, Absprachen, Regelungen, Anweisungen? Da prüft man sorgfältig, was die Kunden und Händler haben wol- len.Da macht man genaue Aufstellungen, welche Sachen in welcher Art und in welchen Mengen an welchen Tagen produziert werden sollen! Da werden Verträge mit den Lieferanten für die Milchtüten geschlossen und die Bestellungen rechtzeitig raus- geschickt - nur damit alles vernünftig zusammenpaßt!" "Und den Arbeitern wird gesagt, wann sie morgens kommen müs- sen", wirft Frau Blohm, die Assistentin, ein, als Herr Knospe Luft holt. "Da wird haargenau festgelegt, wer wann wo was wie zu machen hat. Da wird alles exakt bestimmt, damit nicht irgendeiner aus Dummheit Kakaopulver in den Magerquark rührt oder den Käse in Milchtüten verpackt! Da wird eins aufs andere genau abgestimmt, damit die Fahrer nicht faul rumstehen müssen, weil sie nichts auszuliefern haben", klagt Herr Knospe. "Und den Arbeitern wird gesagt, wie lange sie im Betrieb blei- ben müssen und wann die Pausen sind!" ruft Frau Blohm. "Da werden die Leute genau ausgesucht, damitauch jeder das kann, was er machen soll. Da wird an alles gedacht! Einsatz und Ablauf der Arbeit werden genau geplant, geregelt und kontrol- liert", jammert Herr Knospe. "Und die Arbeiter bekommen pünktlich ihren Lohn ausgezahl tU , ruft Frau Blohm. "Und was haben wir nun gewonnen?", jammert Herr Knospe. "Warum mußte dieser Unglücksmensch mit seinem Bagger statt Pflanz!ö- cher für neue Bäume auszuheben, ausgerechnet unsere Stromkabel zwischen die Löffel kriegen und zerreißen! Oh, welche Schande! Tausende von Kunde warten auf unsere Milch und sind verärgert! Hunderte von Arbeitern stehen herum und haben nichts zu tun! Ich muß sogar noch froh sein, wenn die angelieferte Milch im Kühlraum nicht verdirbt! Oh, welche Schande! eh, welcher Ver- lust!" Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 5: Das sinnvolle Ganze 198 ~a) Kannst du verstehen, warum Herr Knospe so verzweifelt ist? Erkläre es! b) Was ist der Grund für den Zwischenfall bei den Milch- werken? Hätte der Zwischenfall vermieden werden können? Mache Vorschläge! c) Was kann Herr Knospe nun tun, um den Schaden möglichst gering zu halten? Wessen Hilfe benötigt er? ~prÜfe anhand der Geschichte vom Milchwerk und mit Hilfe von M 13b, ob der folgende Satz zutrifft: "Wenn die Güter in einer wirtschaft sehr arbeitsteilig hergestellt wer- den, so werden alle Menschen voneinander sehr abhängig; jeder muß sich darauf verlassen, daß er von anderen genau die Sachen bekommen kann, die er benötigt, und daß mög- lichst wenig Fehler passieren." ~Ist die Abhängigkeit der Menschen voneinander ebenso groß, wenn die Arbeitsteilung sehr viel geringer ist? a) Stell dir dabei einmal vor, es gäbe gar keine Milch- werke und die Leute holten sich die Milch noch selber von den Bauern in der Umgebung. Für wen hätte es dann Auswir- kungen, wenn dem Bauern Schulte nach dem Melken die sechs Milchkannen umkippen und die Milch ausfließt? b) Vergleiche dieses Beispiel mit Sabines situation. sind in beiden Beispielen gleich viele Menschen voneinander abhängig? Professor Ökon ist gerade von einem langen Spaziergang zurückgekehrt. Erholt und munter erläutert er nun die Punkte, die ihm zu diesem Kapitel unterwegs eingefallen sind. ~~ 1. Die Arbeitsteilung zwischen den Menschen ist nur dann vernünftig, wenn alle Tätigkeiten zusammen wieder ein sinnvolles Ganzes ergeben. Sinnvoll heißt hier: Die eigenen Arbeitsergebnisse werden von den anderen benötigt, und man sel- Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 5: Das sinnvoLle Ganze 199 ber kann von anderen das bekommen, was man zur Produktion oder zum Lebensunterhalt jeweils benötigt. Jemand wird nur dann eine eigene Bäckerei eröffnen, wenn er an- nehmen kann, daß seine Brote einerseits von anderen gekauft werden und er andererseits für die Herstellung seiner Brote Mehl, Hefe, Heizöl, strom usw. in ausreichenden Mengen' bekommen kann. Ob Kraftfahrzeugmechaniker, Verkäufer, Bürogehilfin, Arzthelferin, Architekt, Ingenieur oder Arzt: Alle können sich nur deshalb auf einen Beruf spezialisieren, weil sie davon aus- gehen können, daß sie im Austausch für ihre Leistungen Geld be- kommen und dafür Brot, Butter, Kohle, Möbel usw. erhalten, ob- wohl sie an deren Herstellung ja nicht beteiligt waren. Arbeitsteilung führt also zu einer Abhängigkeit aller Menschen voneinander. 2. Wie erreicht man es aber, daß die vielen verschiedenen Tä- tigkeiten ein sinnvolles Ganzes ergeben? Man hat dazu Regeln, Organisationen und Weisungsbefugnisse geschaffen. Eine sehr wichtige Organisation zur Zusammenfassung arbeitsteiliger Tätigkeiten ist der Betrieb. Heute bestehen in den größeren Betrieben meistens für alle Ar- beitsplätze klare AUfgabenbeschreibungen und Anweisungen. Die Anweisungen gehen dann beispielsweise - von der Geschäftsleitung zum Betriebsleiter, - vom Betriebsleiter zu den Meistern, - von den Meistern zu den Vorarbeitern, - von den Vorarbeitern zu den Arbeitern. Die Anweisungen müssen nicht nur bekannt sein, sondern jeder Beschäftigte muß sie auch einhalten. Dadurch soll sicherge- stellt werden, daß die arbeitsteiligen Tätigkeiten reibungslos ineinandergreifen. ~versuche noch einmal mit eigenen Worten zu erklären, warum die Arbeitsteilung zu einer Abhängigkeit aller Men- schen voneinander führt. ~ 6 lAUf welche Arbeiten anderer Menschen bist du besonders angewiesen? Auf welche könntest du persönlich verzichten? G2]professor ökon hat in T 6 einiges über Regeln und Be- triebe gesagt. Sicher hast du schon einmal in einem grö- ßeren Verbrauchermarkt eingekauft, und dort Erfahrungen gesammelt. Prüfe einmal, ob deine Erfahrungen mit den Aussagen von Professor ökon übereinstimmen: Funktioniert das alles so? Du hast in diesem Kapitel herausgefunden, wie wichtig es ist, daß die vielen verschiedenen Tätigkeiten der Menschen zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefaßt werden. ~ichtig war dabei zum Beispiel, daß die hergestellten Güter ausgetauscht werden können. Geht das denn immer reibungslos? Mit dieser Frage beschäftigt sich das folgende Kapitel. Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 6 200 Vorbemerkungen zu Kapitel 6 Hier vollzieht sich für das organisatorische Komplement der Arbeitsteilung ein Wechsel von der mikroäkonomi- sehen (Betrieb, Haushalt) auf die makroäkomomische Ebene. Sich dabei sofort mit dem Tausch und der Geld- wirtschaft zu befassen, ist ein Zugeständnis an den damals relevanten Lehrplan. Dabei wird Tausch offenbar als die organisierende Universalie aufgefaßt, die Arbeitsteilung zusammenfaBt. Das triffi allerdings nicht zu; zunächst müßte nach den prinzipiell möglichen Koordinationsme- chanismen gefragt werden (Befehl, Abstimmung, Wettbe- werb' Verhandlung) und dann zeigt sich, daß z.B. in einer vollständigen Befehlswirtschaft Tausch und Geld gar nicht vorkämen: Es gäbe Arbeitsanweisungen und Berechti- gungsscheine für den Konsum. Nun ist der Tausch ein derart ubiquitäres Phänomen, daß man damit leben kann, wenn vereinfachend in ihm die übergreifende org3.nisatorische Erfmdung gesehen wird, Arbeitsteiliges zu koordinieren. Im Rahmen ausdifferen- zierender Überlegungen ist dann leicht zu sehen, daß eine Fülle von Regelungen und Einrichtungen zu schaffen sind, um den Tausch massenhaft, bequem, sicher und in qualita- tiv befriedigender Weise abzuwickeln, daß das aber nur funktionieren kann, wenn alle Menschen die Regelungen und Einrichtungen respektieren, daß das aber nicht alle tun, so daß wiederum überwachende Einrichtungen erfor- derlich werden usw. Die didaktische Ausgangsidee bestand zunächst wiederum darin, die (implizit vertraute) Bedeutung des Tausches all- gemein, aber auch seine Vereinfachung in Form der Geld- wirtschaft bewußt zu machen. Hilfsmittel wurde erneut eine Verfremdung: In einer erfundenen Geschichte, die an eine Erzählung von Achim Bröger und Bemd Küsters (Herr Munzel möchte nicht mehr mit Geld bezahlen) ange- lehnt ist, versucht ein Mann seine alltäglichen Käufe mit Naturalien zu bezahlen (M 15). Die sich dabei abzeichnen- den Probleme - wie auch die in einigen Vergleichsfällen - machen die Bedeutung eines Geldwesens sehr schnell deutlich. Das haben die Erprobungen bestätigt. Übersprungen wird nun in den Materialien die Beschäfti- gung mit zentralen Einrichtungen und Regeln des Geldwe- sens; es war nämlich abzusehen, daß dafür ein sehr langer und komplizierter Exkurs erforderlich geworden wäre. Es folgt sofort ein authentischer Zeitungsbericht über Geldfäl- scher (M 16), die als "Regelmißachter" von der "Überwachungseinrichtung" gestellt werden; in einer Transferaufgabe (A 6) wird versucht, "Regelungen", tlMißbrauch" und ''Überwachungtl in ihrer Verbreitung herauszuarbeiten. Aufgrond dieser "schnellen" Schrittfolge ist es nicht über- raschend, wenn sich in den Erprobungen gezeigt hat, daß "die Regelungsinstanzen für die Schüler schwer zu fassen sindtt • Wen der Zugang zum Thema über Verfremdungen stört, kann auch auf Zeitungsmeldungen zurückgreüen - bei- spielsweise auf die folgende, in der es um einen Rückfall von der Geldwirtschaft in den Naturalientausch im Europa der 90er Jahre geht. Man mag dann prüfen, ob das nicht ein allgemeineres Modell sein könnte, was überhaupt für diese "Lösung" verantwortlich ist, welche Regeln hier ver- letzt werden, was die Überwachungsbehörden dazu sagen usw. Am Ende IDÖgen sich vergleichbare Einsichten herausbilden wie bei den faktisch eingesetzten Materialien. Die dpa-Meldung (Frankfurter Rundschau, 1.8.90, Nr. 176, S. 13) lautet leicht gekürzt: Sparwut der Deutschen macht vor der eigenen Badehose njcht halt Saftige skandinavische Preise lassen clevere Urlauber erGo deriscb werden! Sommerbausbesitzer geben auf Tauschhandel ein Kein Skandinavien-Besucher kommt an ihm vorbei, dem Schock über die saftigen Preise im Norden. Schon beim Restaurantbesuch und dem ersten Bier wird das deut- lich, denn Alkohol gehärt in Dänemark und noch viel mehr in Schweden, Norwegen und Finnland zu den vielen Dingen, für die der ausländische Kunde erheblich tiefer in die Tasche greifen muß als in der Heimat. Doch das scheint dem Urlauberstrom in Richtung l~or­ den nicht zu bremsen: In Dänemark sind die Deutschen traditionell und mit großem Abstand die wichtigste Ur- laubergruppe, ebenso in Norwegen. In Schweden stehen die Urlauber aus der Bundesrepublik hinter den norwe- gischen Nachbarn an zweiter Stelle und in Finnland an zweiter Stelle hinter den Schweden. Nachdem 1989 in Dänemark zehn Prozent mehr deutsche Touristen als im Vorjahr übernachteten, meldet der dortige Fremdenver- kehrsverband in diesem Sommer erneut deutlich zu- nehmende Besucherzahlen, und auch in Finnland zeich- net sich ein Plus ab. Mit zumeist mildem Spott verfolgen die Einheimischen, wie die Teutonen mehr oder minder clever versuchen, in ihrem Skandinavienurlaub hohe Ausgaben zu vermeiden. Vor allem die Mieter von Som- merhäusem an Dänemarks Nordseeküste sowie finni- schen oder schwedischen Seen fallen auf, weil sie bei der Anreise mit ihren zu Lebensmitteltransportem umfunk- tionierten und oft total überladenen Autos durch die Lande kurven. In Norwegen schimpft. die Fremdenverkehrsbranche über die Reisenden mit dem D-Schild am Autoheck, weil die nicht nur große Vorräte an Konserven bis hin zur H-Milch zum Nordkap und zurück, sondern oft auch die eigenen Betten im Wohnmobil oder Wohnwagen mitschleppen.(. ..) Gerdsmeier: sos 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 6 201 Ganz andere Wege gehen dagegen in vielen Fällen die Vermieter von Sommerhäusern, die es in der Regel mit den weniger einkommensstarken Durchschnittsverdie- nem zu tun haben. Um aus der Not eine Tugend zu ma- chen, lassen sich, wie Zollchef Knud Pedersen aus Holstebro einer Zeitung voller Kummer berichtete, immer mehr Vermieter den meist ein- oder zweiwächigen Aufenthalt in "Naturalien" entgelten. Weil Videogeräte, Fernseher und andere Elektrogeräte in der Bundesrepu- blik erheblich billiger sind als in Dänemark, wird zum beiderseitigen Vorteil und zum Nachteil des Fiskus ein Preis in dieser Art ''Währung'' vereinbart (Kurs zur Zeit: ein Videogerät pro Woche Ferienhaus).(... ) Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 6: Wie man sich das Tauschen erleichtert 202 Kapitel 6 Wie man sich das Tauschen erleichtert Die Arbeitsteilung hat ja nur Sinn, wenn die Menschen ihre verschiedenen Arbeitsergebnisse miteinander austauschen. Dabei kann man sich das Leben durchaus schwer machen. Aber lies am besten selber in M 15, was Herr MunzeL ansteLlt. ~ Die Geschichte von Herrn Munzel Um es kurz zu sagen: Herr Munzel kann seine Geldbörse nicht wiederfinden, und er beschließt, alles was er benötigt, im Aus- tausch gegen Sachen zu erwerben, die er selber nicht mehr braucht. Er packte alles in einen Koffer: eine alte Wurst, eine alte, defekte Taschenuhr, drei Jahre alten Tabak, ein Telefon- buch vom letzten Jahr, ein Paar zu enge schwarze Schuhe, einen sehr langweiligen Roman ... 11 Das letzte, was in den Koffer paßte, waren sechs Eier, dann schloß Herr Munzel den Deckel ... Heute beginne ich ein neues Leben, dachte er bei sich, als er, das große Gewicht des Koffers an der rechten Hand, die Treppe hinunterging. Man braucht überhaupt kein Geld mehr, weil man tauschen kann. Wunderbar! Und dann überlegte er, ob man eigentlich überhaupt noch arbei- ten müßte. Aber das wußte er nicht so genau. Am ersten Tag seines neuen Lebens hatte Herr Munzel beschlos- sen, sich gleich eine Freude zu machen. Deshalb ging er zum Astra, wo der neue Wild-West-Film lief. Und solche Filme sieht Herr Munzel sehr gern. Er reihte sich in die Schlange an der Kasse, die langsam vorrückte. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 6: Wie man sich das Tauschen erleichtert 203 "Einmal erster Rang, bitte" sagte Herr Munzel, als er an der Reihe war, holte die Salami aus dem Koffer und schnitt drei dicke Scheiben ab, die er auf den Zahlteller legte. Die Kassie- rerin sah Herrn Munzel an, und von hinten beugte sich eine äl- tere Dame mit grauem Hut über seine Schulter. "Mögen Sie auch ein stück?" fragte Herr Munzel höflich und bot ihr eine dünne Scheibe an. "Vielen Dank!" Sie strahlte. "Einmal erster Rang!" wiederholte Herr Munzel zu der Kassiere- rin, die immer noch auf die Wurst blickte, und er überlegte, ob er ihr auch ein Stück zum Probieren geben müßte. Er reichte eine weitere dünne Scheibe durch das Kassenfenster, und wortlos begann die Kassiererin zu kauen, während Herr Munzel mit erwar- tungsvollem Gesicht zu den drei Scheiben auf dem Kassenteller noch eine vierte legte. "Das ist aber fast schon ein Logenplatz" , flüsterte er in das Kassenhäuschen hinein, während hinter ihm die Leute unruhig wurden. "Warum geht es denn nicht weiter?" rief ein dicker Mann und trat von einem Fuß auf den anderen." ~a) Ja, was meinst du, wie könnte es weitergehen? b) Was könnte der Grund dafür sein, daß die Kassiererin zögert, die Kinokarte für die vier Wurstschreiben heraus- zugeben? c) Herr Munzel möchte auch noch mit dem Bus fahren, ein Hähnchen essen und die Telefonrechnung bezahlen. Welche Probleme könnten da auftreten? Spielt das doch einmal mit verteilten Rollen durch. ~Sicher hast du mit Freundinnen oder Freunden schon einmal Briefmarken, Autos, Schallplatten, Cassetten oder andere Sachen getauscht. Was war dabei immer besonders schwie- rig? ~Herr Munzel, den du schon kennengelernt hast, ist Buch- halter in einem kleinen Geschäft: er schreibt alles auf, was eingekauft und was verkauft wird. Welche Probleme würden auftreten, wenn er versuchen würde, seine "Ar- beitsergebnisse" direkt gegen die "Arbeitsergebnisse" ei- nes Fabrikarbeiters einzutauschen? Wie löst man dieses Problem in der Regel? ~Sicher ist dir längst klar, warum die Menschen Geld ver- wenden und warum die Güter Preise haben. Worin besteht der vorteil? Dadurch, daß die Menschen Geld benutzen, lassen sich also viele Schwierigkeiten vermeiden. Es treten aber auch neue Probleme auf. Lies dir deshalb einmal M16 durch. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 6: Wie man sich das Tauschen erleichtert 204 Zeche mit einer "Blüte" bezahlt Falsche Hunderter sichergestellt München. Falsche Hunderter im Nennwert von etwa 99.000 DM haben Fahnder des Bayerischen Landeskriminalamtes bei einem Geschwi- sterpaar und zwei Italienern in München sichergestellt. Die vier Tatverdächtigen wurden in Haft genommen. Zum Verhängnis wurde den vier Leuten ein Kneipenbummel in Schwabing. Der 35-jährige Metallbildhauer und der 31-jährige italienische Reiseleiter hatten ihre Zeche mit einem falschen 100 DM-Schein in einem Lokal bezahlt, in dem sie bereits wenige Tage zuvor mit einer "Blüte" ihre Rechnung beglichen hatten. Der Kellner konnte sich daran erinnern und verständigte einen Polizeibeamten, der in der Gaststätte gerade eine Abendmahlzeit einnahm. Die beiden Männer wurden festgenommen. Wenig später kamen die 27-jährige Schwester des Metallbildhauers und ein italienischer Fischer in das Schwabinger Lokal, um sich mit ihren .Freunden zu treffen. In der Handtasche der Frau und in ihrer Wohnung fand die Polizei weitere 440 falsche Hunderter. Bei der Durchsuchung der Firma ihres Bruders stießen die Ermittler auf 62 Fälschun- gen und aus dem Koffer des Fischers wurden nochmals 235 falsche 100 DM-Scheine zutage gefördert. Nach Untersuchungen der Polizei dürften die vier Tatverdächti- gen im Stadtgebiet München Falschgeld im Nennwert von minde- stens 8000 DM in Umlauf gebracht haben. Der Fischer sagte aus, er habe eine größere Menge der "Blüten" in Mailand von einem ihm nicht weiter bekannten Landsmann übernommen. Die gefälschten Noten sind nach Angaben der Polizei an einem bogenförmigen Wasserzeichen zu erkennen, das waagerecht über die ganze Fläche des Scheins verläuft. Der Sicherheitsfaden sei durch beidseitige Aufdrucke vorgetäuscht. Das Kopfwasserzeichen habe einen gelblichen Aufdruck. Gerdsmeier: SOS 2 KapiteL 6: Wie man sich das Tauschen erLeichtert 205 .:::J \ I A 5 la) Warum läßt man die vier Leute nicht einfach mi t ihren nachgemachten Geldscheinen bezahlen? Das ist doch sehr praktisch! b) Auf welche Weise versucht man zu verhindern, daß Men- schen ihre Rechnungen mit nachgemachtem Geld bezahlen? Schau dir Bild und Text in M 16 nochmals genau an. ~In einer Wirtschaft, in der die Menschen auf den Kauf von Gütern angewiesen sind 1 können auch folgende Dinge pas- sieren: - Der von Sabine gekaufte Joghurt ist verdorben. - Das Schnitzel ist in der Pfanne auf die Größe eines Fünfmarkstücks geschrumpft. - Familie Wohlgemuth hat für ihr neues Haus eine teuere Couchgarnitur aus Leder bestellt. Nach dem Aufstellen stellt Frau Wohlgemuth in einem Kissen einen Riß fest. Welche Ähnlichkeiten entdeckst du in diesen drei situa- ~tionen? ~Welche Möglichkeiten siehst du, solche situationen gar nicht entstehen zu lassen oder zufriedenstellend zu lö- sen? Vielleicht helfen dir dabei folgende stichpunkte : gesetzliche Regelungen, überwachungsbehörden, Gerichte. ~Viele Menschen sind offenbar nur damit beschäftigt, Rege- lungen zu schaffen oder dafür zu sorgen, daß die Rege- lungen eingehalten werden. Nenne möglichst viele dieser Spezialisten. Die Fragen, mit denen du dich in diesem Kapitel beschäftigst, sind vielleicht etwas schwierig. Deshalb versucht Professor Ökon, dir den Sachverhalt nochmals kurz zu erläutern. ~Die arbeitsteilige Herstellung von Gütern bringt nur dann ~vorteile, wenn die Güter unter den Menschen ausgetauscht werden können. Es wäre nun aber sehr umständlich und zeitrau- bend, wollte man Kohlen gegen Hemden, Hemden gegen Rosenkohl und Rosenkohl gegen Autos tauschen. Vor lauter Tauschen käme man kaum noch zum Arbeiten. Um das zu vereinfachen, hat man schon vor sehr langer zeit das Geld eingeführt: Man verkauft etwas und bekommt Geld, und man verwendet das Geld, um selbst etwas zu kaufen. Damit das auch reibungslos klappt, gibt es nicht nur Speziali- sten und besondere Einrichtungen, die den Tausch und das Bezah- len vereinfachen, also Kaufleute und Banken. Man braucht außer- dem eine Fülle von Regelungen und Übereinkünften, die die Her- stellung und den Austausch der Güter regeln. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß man zum Beispiel wertloses Geld er- hält, daß Nahrungsmittel gesundheitsschädliche Bestandteile enthalten, daß elektrische Geräte lebensgefährlich sind, daß Werkhallen oder Wohnhäuser einstürzen. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 6: Wie man sich das Tauschen erleichtert 206 Es genügt aber nicht, daß solche Regelungen geschaffen werden. Es muß auch sichergestellt werden, daß diese Regelungen von al- len eingehalten werden. Hier werden zahlreiche Einrichtungen tätig: zum Beispiel staatliche Überwachungsbehörden, die Poli- zei, die Gerichte, Verwaltungen usw. Ihre.Macht würde kaum be- nötigt und von den meisten Menschen nicht anerkannt, wenn es keine Arbeitsteilung gäbe. Durch die Arbeitsteilung ist fast jeder so spezialisiert, -daß er viele Dinge selber nicht mehr beurteilen kann oder keine zeit findet, sich um sie zu kümmern. ~Bei uns gibt es sehr viele Menschen, die als Verkäufer arbeiten, als Bankangestellte, als Fernfahrer, als Lager- arbeiter, als Büroangestellte, als Sachverständige, die staatliche Vorschriften ausarbeiten, als Angestellte oder Beamte, die die EinhaItung der Vorschriften überwachen usw. Keiner dieser Menschen stellt Güter her, und dennoch ist ihre Arbeit sehr nützlich. Erkläre das. ~opa Schultenbrinck meint: "staatliche Regelungen braucht man nur, weil die Menschen so dicht zusammenleben und weil sie rücksichtslos sind. Man brauche da nur an den straßenverkehr oder zu laut aufgedrehte Radios zu denken. Mit Arbeitsteilung haben die staatlichen Regelungen nichts zu tun." Was würdest du ihm antworten? Schau dir den Text T 7 noch einmal genau an. Du hast jetzt schon ziemlich viel über die Arbeitsteilung erfahren. Überwiegend war dabei von den Vortei- len der Arbeitsteilung die Rede. Viele Menschen sehen da aber auch ernste Nachteile. Darüber informiert das folgende Kapitel. Gerdsmeier: SOS 2 Vorbemerkungen zu Kapitel 7 207 Vorbemerkungen zu Kapitel 7 Über Nachteile der Arbeitsteilung läßt sich nicht allgemein sprechen - nur über spezielle Nachteile in einem speziellen Kontext für spezielle Personen. Und selbst da gilt, daß verschiedene Personen zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen - selbst wenn sie (etwa als Arbeitnehmer) ähnli- che Rollen einnehmen. Schließlich lohnt das Räsonieren über Nachteile nur, wenn es mit Analysen über gegenwär- tige und künftige Gestaltungsspielräume verbunden wird. Derartige Analysen sind aber (im Unterricht) nicht nur sehr mühsam und zeitraubend, sie setzen z.T. auch pro- gnostisches Wissen (der Wissenschaften) voraus, das häu- fig nicht zur Verfügung steht. Wie läßt sich dieses Thema nun behandeln? Geplant waren zwei sich ergänzende Vorgehensweisen. Zum einen sollten in den einzelnen Kapiteln immer wieder Aufgaben einge- flochten werden, die aus den episodischen Materialien pro- blematische Aspekte herauspicken und zur Diskussion stellen. Gerade diese Aufgaben sind bei den Erprobungen und überarbeitungen als überflüssig/ablenkend/zu schwie- rig/zu unverständlich u.ä. herausgenommen worden. Zum anderen bestand die Idee, diese verstreuten Splitter in einer abschließenden Geschichte zu bündeln, dabei diese Geschichte nicht von Nachteilen, sondern von einer gelun- genen "Selbstverwirklichung" handeln zu lassen, wobei die Komponenten des Sich-Verwirklichens nichts anderes sein sollten als die Umkehrungen der unterstellten Nachteile in der "üblichen Welf'. Bei der Ausgestaltung der Idee wurde versucht, eine märchenhafte Geschichte von der heilen Welt im ländlichen Refugium so anzulegen, daß der Leser selber entscheiden muß, was daran für ihn Idylle, konkrete Utopie, Klischee oder bereits vorfindbare Praxis ist. Mit dieser Offenheit und leichten Verfremdung sollte zweierlei erreicht werden: Einer Reaktanz der Schüler gegen unter- stellte Beeinilussungsversuche sollte vorgebeugt und eine schärfere Wahrnehmung der Umwelt sollte angeregt wer- den. Als Erfolg läßt sich verbuchen, daß Erwachsene die Ge- schichte überwiegend "ganz nett" fanden und daß der Text tatsächlich mit Erfolg als Gute-Nacht-Geschichte einge- setzt wurde. Bei der Verwendung im Unterricht mit Schü- lern am Rande des Ruhrgebiets stimulierte sie offenbar weniger Diskussionen über Nachteile der Arbeitsteilung und die Möglichkeiten, diese zu vermeiden, als vielmehr intensive Debatten über die Vor- und Nachteile des Land- lebens. Aus dieser Erfahrung resultieren Vorschläge, entweder auf deskriptive Berichte über (nicht-ländliche) Alternativbe- triebe zurückzugreifen oder im Zusammenhang mit den historischen Sequenzen über das Backen und Fischen die Veränderungen in den Lebensbedingungen (z.B. Lebens- mittelqualität, Einflüsse auf die Gesundheit) und Arbeits- bedingungen (z.B. im Verhältnis Mensch-Maschine, Mensch-Mensch) genauer zu analysieren und zu verglei- chen. Dazu wären dann allerdings weitere Materialien er- forderlich. - So ist es zunächst einmal bei dem ursprüngli- chen Text geblieben. Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 7: Von den Nachteilen der Arbeitsteilung 208 Kapitel 7 Von den Nachteilen der Arbeitsteilung Uns stehen heute Güter und DienstLeistungen so zahlreich und so gut zur Verfügung wie das früher nicht der Fall war. Das ist nur durch die sehr starke Arbeitsteilung möglich. Viele Menschen meinen aber inzwi- schen, daß die ArbeitsteiLung viel zu weit getrieben wurde. Vielleicht verstehst du ihre Bedenken, wenn du dir einmal M 17 durchliest. ~ "Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten zwei Kinder, Kirsten und Karsten. Sie lebten in einer modernen Stadtwohnung, in der es fast alles gab: Geschirrspüler, Wäsche- trockner, Videoanlagen, große weißlackierte Kleiderschränke mit vielen modischen Kleidern, eine große elektrische Eisenbahn und vieles andere mehr. Vielleicht hörte man in der Wohnung den straßenlärm etwas zu deutlich, und man durfte wegen der Nach- barn auch nicht so toben, aber das ließ sich nicht ändern. Die Mutter half tagsüber in einem Wollgeschäft aus, und der Va- ter ging morgens früh in die Fabrik. Dort stand er dann an ei- ner Maschine; die machte laut stampfend und unglaublich schnell knallrote, dreieckige Knöpfe aus Holz für - ja, er wußte nicht, wofür. Wenn er abends nach Hause kam, war er häufig müde und schlecht gelaunt. Er fand fast immer etwas, um sich zu ärgern: Mal konnte er die knallroten Knöpfe nicht mehr sehen, mal hatte ihn sein Chef angeranzt, dann war es wieder der dichte Autover- kehr auf dem Heimweg, oder der Handwerker zum Reparieren der Waschmaschine war nicht gekommen, oder 'die da oben I hatten wieder ein dummes Gesetz gemacht, oder, oder, oder ... Für Kir- sten und Karsten war es dann immer am besten, nicht viel zu sa- gen und möglichst nicht aufzufallen. Wenn der Vater in dieser Stimmung war, konnte man nie wissen ... Aber eines Tages wurde alles ganz anders. Die Eltern gaben ihre Arbeit auf, und zusammen mit einem Freund, den alle Jakob nann- ten, kauften sie weit außerhalb der Stadt ein altes Haus, das von hohen Bäumen und etlichen Holzschuppen umgeben war. Dort zogen alle hin. Sie kauften auch einen alten, klapprigen Lastwagen, an dem schon so viele ausgebesserte Teile waren, daß man nicht mehr wußte, welche Farbe er ursprünglich einmal hatte. Der Wagen war schon so heruntergekommen, daß er häufig nicht mehr ansprang. Dann riefen Jakob und der Vater nicht die Autowerkstatt an, sondern machten sich selber an die Arbeit. Manchmal brauchten sie den ganzen Tag dafür. Aber wie zufrieden und stolz waren sie, wenn die alte Karre es dann wieder tat. Da sah man nur strahlende Gesichter. Ein- oder zweimal in der Woche fuhren Jakob und der Vater übers Land. Wenn sie abends wiederkamen, war der Wagen vollgestopft mit Gerümpel: dreckige, staubige, angebrochene Schränke, Ti- sche, Stühle oder Betten. Das brachten sie dann alles in einen Schuppen, in dem sie sich notdürftig eine kleine Werkstatt ein- gerichtet hatten. Da wurde das alte Zeug dann von Jakob und den Eltern nach und nach gesäubert, ausgebessert, lackiert und mit Gerdsmeier: sos 2 Kapitel 7: Von den Nachteilen der Arbeitsteilung 209 neuen Schlössern versehen. Es war jedesmal wieder ein kleines Wunder, wie aus unansehnlichen Brettern ein wunderschönes Mö- belstück wurde. Das war für alle immer ein ganz feierlicher Au- genblick. Ab und zu kamen Leute vorbei, die sich die Prunk- stücke anschauten und dann das eine oder andere kauften. Da hatte man dann erst einmal wieder Geld für Kartoffeln, Schuhe und Benz in. "Man kann doch von den Sachen, die die Leute auf den Müll werfen oder nicht mehr benutzen, ganz gut leben", pflegte dann Jakob zu sagen. "Von mir aus müßten keine Bäume gefäll t werden, und die Müllberge müßten nicht in den Himmel wachsen." Reich werden konnten sie von ihrer Arbeit allerdings nicht. Ja, es langte nicht einmal mehr für modische Kleider, und einen Wä- schetrockner gab es auch nicht mehr. Aber irgendwie schien das niemand mehr zu vermissen, und viele Sachen wie Pullover, Gar- dinen oder kleine Reparaturen machten die EItern selber. Für Kirsten und Karsten war es besonders schön, daß die Eltern viel zeit für sie hatten und fast immer gut gelaunt waren. Wenn sie Fragen hatten oder ein Drachen gebaut werden sollte, unterbrach der Vater oft stundenlang seine Arbeit. Aber eigentlich wußte man ohnehin nicht immer, ob er gerade arbeitete oder ob er nur zum Spaß etwas ausprobierte. So lebten sie in den Tag hinein. Wenn sie aus dem Radio hörten, daß es irgendwo in einer großen Fabrik eine Explosion gegeben habe und die Umgebung nun verseucht sei, dann meinte der Vater wohl: "Ei, ei, meine Säge bleibt immer an ihrem Platz liegen." Und wenn sie in der Zeitung lasen, daß in den Fabriken neue Pausenregelungen eingeführt wurden, dann zuckten Jakob und der Vater nur mit den Schultern. So lebten sie glücklich immer wei- ter." An dieser stelle klappte Annas Mutter das Buch zu. "So, jetzt aber schnell die Augen zu. Morgen früh ist Schule!" HAber Mut- ti", sagte Anna, "ist das eine wahre Geschichte oder ist die erfunden?" "Ja", sagte die Mutter und lächelte merkwürdig, "was meinst du denn?" Professor ökon würde zu diesem Thema auch gern etwas sagen, weil er es für sehr wichtig hält, aber ... Aber hör ihn dir doch selber an: ~Ja, man könnte hier einen sehr langen Vortrag halten. Man ~könnte erzählen, daß es viele Menschen gibt, die mit ih- rer Arbeit nicht zufrieden sind, weil sie nicht mehr sehen, wo- zu sie gut ist und wem sie dient. Man könnte darauf hinweisen, daß sich die Menschen viele, vielleicht viel zu viele Güter kaufen, um sich von ihrer Unzufriedenheit abzulenken. Daß sie diese Güter mit ihrem 'vorgefertigten Geschmack' und ihrer mo- dischen Kurzlebigkeit nicht einmal mögen. Es wäre davon zu sprechen, wie auf diese Weise wertvolle Rohstoffe vergeudet werden und die Müllberge immer schneller wachsen. Es müßte davon gesprochen werden, daß viele Menschen es als unbefriedigend ernpf inden, daß der Bereich der Arbei t und der Bereich der Freizeit und Familie so streng getrennt sind, daß Gerdsmeier: SOS 2 Kapitel 7: Von den Nachteilen der Arbeitsteilung 210 alles so reglementiert wird und daß man keinen richtigen Ein- fluß mehr darauf hat, welche Regeln gelten und hingenommen wer- den müssen. Man müßte davon berichten, daß alles größer wird: Verwaltungen, Unternehmen, Tanker, Kliniken, Kraftwerke, und daß viele Menschen darin Gefahr sehen und das unheimlich fin- den. Es ist also sicher so, daß sich heute mancher danach sehnt, wieder Arbeiten zu machen, die er persönlich für wichtig hält, mit einfachen Techniken, in überschaubaren situationen, ohne einengende Regeln, mit Rücksicht auf die Natur. Aber was folgt daraus? Kommen wir ganz ohne die bisherige Ar- beitsteilung aus? Die Antwort auf diese Fragen mußt du wohl selber finden! Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen Anmerkungen 211 1 Vgl. zur Kasustheorie: FILLMORE, C.J. (1968): The case for case. In: E. Bach/R. T. Harms (eds.): Universals in lin- guistic theory. New York: Holt, Rinehard and Winston. Deut- sche Übersetzung in W. ABRAHAM (Hrsg.) (1979): Kasustheo- rie. Schwerpunkte Linguistik und Kommunikationswissen schaft. Bd. 11. Frankfurt/M.: Athenäun Vgl. zur Einführung in die Eigenschaften und die Bedeutung dieses Konzepts z.B. AEBLI, H. (1980): Denken: Das Ordnen des Tuns. Bd. I: Kognitive Aspekte der Handlungstheorie. Stuttgart: Klett Cotta, S. 62 ff. BALLSTAEDT ST.-P./ MANDL, H./ SCHNOTZ, W./ TERGAN, S.-O. (1981): Texte verste- hen, Texte gestalten. München; Wien; Baltimore: Urban & Schwarzenberg, S. 31-35 2 Die gesamte Argumentation bezieht sich auf die üblich ge- wordene Taxonomie von Bloom u.a. BLOOM, B.S. et.al. (1974): Taxonomien von Lernzielen im kognitiven Bereich. - 4. Aufl.- Weinheim; Basel: Beltz 3 Vgl. zu den Netzwerkvorstellungen der Rumelhart-Lindsey-Nor- man-Gruppe, die als Weiterentwicklung des Ansatzes von Fillrnore angesehen werden können, den Beitrag: O.A. NORMAN/ D.E. RUMELHART (1978): Strukturen des Wissens. Stuttgart: Klett. Das hier zitierte Beispiel findet sich auch in: AEBLI, H. (1980) Denken: Das Ordnen des Tuns. Bd. I: a.a.O., S. 77. 4 Modifiziert zu orientieren-urteilen-h:ndeln bei KüTHE, E./ OSENBERG, A. (1988): Warenverkaufskunde als beruflicher Brennpunkt des Berufsschulunterrichts für den Kaufmann und die Kauffrau im Einzelhandel. In: G. KUTSCHA/H. SCHRAMM (Hrsg.): Berufsbildung im Einzelhandel. Beiträge zur Neu- ordnung und Kritik. stuttgart: Holland + Josenhans Verlag (Beiträge zur Pädagogik für Schule und Betrieb, Bd. 12), S. 97. 5 Diese Behauptung beschreibt aus verschiedenen Gründen lokale Extreme und keinesfalls den Regelfall: Die Handelsschulen wurden (außer von kaufmännischen Vereinigungen) auch von Privaten oder Kommunen errichtet; sie blieben häufig nur kurze zeit bestehen, und die kaufmännische Bildung erlebte gegen Ende des letzten Jahrhunderts erst als staatlich ali- mentierte Veranstaltung einen deutlichen Aufschwung; ihr Be- such erfolgte fast überall über lange Zeit nicht während, sondern frühmorgens vor, mittags zwischen oder spätabends nach der Arbeit (vgl. PACHE (1900), S. 25 - 27, (1902), S. 42); in vielen Orten schickten die Lehrherren die Lehr- linge nur deshalb (und auch das widerwillig) in die (z.T. freiwilligen) kaufmännischen Fortbildungsschulen, weil diese weniger Schulstunden ansetzten als die obligatorischen (all- gemeinen) Fortbildungsschulen (PACHE (1905), S. 136); für Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 212 die Stundentafel der "staatlich halbgeregelten" kaufmänni- schen Schulen wurden im Deutschen Reich die preußischen Festlegungen von 6 - 8 Stunden wöchentlich richtungweisend (vgl. PACHE (1900), S. 25), und die 12 u. m. Stunden in Sachsen fielen eher aus dem Rahmen (vgl. KüHNE (1922), S. 137; zur Wünschbarkeit von 16 Wochenstunden in den ge- werblichen Fortbildungsschulen vgl. PACHE (1900), S. 2); auch die Einschätzung, daß die Betriebe das "Wie" und die Schulen das "Warum" lehrten, ist bezweifelt worden (zur Kri- tik an der Gegenüberstellung vgl. SCHWARZLOSE (1960), S. 168;). In den Bedingungen für Staatszuschüsse an kaufmän- nische Fortbildungsschulen verlangten verschiedene Länder des Deutschen Reiches um 1900 neben der Weiterbildung in den Elementafächern (Deutsch, Rechnen, Schönschreiben) einen Fachunterricht mindestens im kaufmännischen Rechnen, in der Handelskorrespondenz und in der einfachen sowie doppelten Buchführung; hinzu kommen als WÜnschenswert Handelsgeogra- phie, Handelslehre (wobei die Grundzüge des Handels-, Gewer- be- und Wechselrechts sowie die wichtigsten volkswirtschaft- lichen Begriffe zu behandeln sind), Fremdsprachen, Stenogra- phie und Maschineschreiben (PACHE (1905), S. 138ff). Man wird aus diesem Mindest- und Erweiterungscurriculum nur schwer die Funktion erschließen können, die für die Schulen wenig später - in etwas anderer Form aber auch schon zuvor - postuliert wird, nämlich "kaufmännische Lehrlinge beiderlei Geschlechts in den für ihren Beruf wichtigen Fächern auszu- bilden und ihnen die Kenntnisse zu vermitteln, zu deren An- eignung ihnen in ihrer praktischen Tätigkeit nicht genügend Gelegenheit geboten wird" sowie die "Stärkung des Charakters und die Hebung des Standesbewußtseins der künftigen Kaufleu- te" zu betreiben (landesherrliche Verordnung in Baden über die Errichtung von Handelsschulen (Kaufmännische Berufsschu- len) vom 20. Juli 1904, zitiert nach BERKE (1960), S. 148). Ganz im Gegenteil sieht man mit der Betonung des Kundlichen, Pragmatisch-Technischen, Rechtlichen und Ideologischen alle Elemente versammelt, die später ( und bis heute) als "in- haltliche Leere bei stofflicher Fülle" auskristallisieren und strukturell werden. - Noch trostloser erscheint der Be- ginn der schulisch ergänzten kaufmännischen Bildung, wenn man die Klagen über die betriebliche Ausbildung um die Jahr- hundertwende einbezieht: "Es ist leider richtig, daß sehr viele Prinzipale nicht das Bestreben haben, ihre Lehrlinge sorgfältig eine umfassendere kaufmännische Ausbildung zu geben, daß ihnen vielmehr die Beschaffung einer billigen Arbeitskraft die Hauptsache ist. Alle Welt weiß, daß in ver- schiedenen Branchen der Lehrling fast ausschließlich mit niederen Arbeiten, wie Abstäuben, Packen, Besorgen von Gän- gen etc. beschäftigt wird und daß selbst in vielen besseren Geschäften der junge Mensch über die Anfertigung mechani- scher Arbeiten kaum hinaus kommt ... Die Fortbildunggsschule muß eintreten, um eine theoretische Ergänzung der prakti- schen, zumeist nur auf Äußerlichkeiten und einige Speziali- täten gerichteten Lehrthätigkeiten zu bewirken. Verwarlost der kaufmännische Nachwuchs, reicht seine Durchschnittsbil- dung nur zu mechanischen Dienstleistungen hin, so ist die Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 213 Gefahr vorhanden, daß der Kaufmannsstand an Kraft und Anse- hen einbüßt, daß ein hoffnungsloses Gehilfenproletariat er- zeugt wird ... " (PACHE (1902), S. 36). - Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung erscheint es geradezu verwegen, wenn einige Zeit später in kulturpädagogischer Perspektive die Entfaltung der Allgemeinbildung des einzelnen gerade daran geknüpft wird, daß er zuvor einen Beruf erlernt hat und ausübt ... -- BERKE, R. (1960): Überblick über die Geschichte der Kaufmännischen Schulen. In: F. Blättner u.a. (Hrsg.): Handbuch für das Berufsschulwesen, Heidelberg, S. 138 - 152. KüHNE, A. (1922): Kaufmännische Berufsschulen. In: Derselbe (Hrsg.): Handbuch für das Berufs- und Fachschulwesen, Leip- zig, S. 135 - 141. PACHE, o. (1900): Handbuch des deutschen Fortbil dungsschulwesens. 5. Teil. I. Die Verwaltung des ge- werblichen Schulwesens in Preußen durch die Centralinstanz, S. 1 - 14, sowie 11. Über Gründung, EinriChtung und Leitung von Fortbildungsschulen, S. 15 - 98. PACHE, O. (1902): Hand- buch des deutschen Fortbildungsschulwesens. 6. Teil. III. über die Gründung, Einrichtung und Leitung von Fortbildungs- schulen. B. Kaufmännische Schulen, S. 34 - 46. PACHE, o. (1905): Handbuch des deutschen Fortbildungsschulwesens. 7. Teil. 11. Das Fortbildungsschulwesen im Großherzogtum Hessen. 11. Die Entwicklung der kaufmännischen Fortbildungs- schulen bis zum Jahr 1904, S. 135 - 142. SCHWARZ LOSE , A. (1960): Die Kaufmännische Berufsschule. In: F. Blättner u.a. (Hrsg.): a.a.O., S. 165 - 184. 6 Vgl. zu diesem Selbstverständnis: AKA-Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluß- und Zwischenprüfungen (1983): In- formationen, H. 5, S. 17. 7 Diese Einschätzung erlauben die vorläufigen Auswertungen einer unveröffentlichten studentischen Arbeit. In dieser kleinen empiriSChen Vorstudie sind Bankkaufleuten mit mehrjähriger Berufspraxis Normtest-AUfgaben aus Abschluß- prüfungen mit der Bitte vorgelegt worden, die richtigen Lösungen anzukreuzen und jeweils die Wege anzugeben, die zur Beantwortung benutzt werden. In der Selbstwahrnehmung spielt Schulwissen dabei insgesamt (mit ca 1/5 der Nennungen) eine untergeordnete Rolle. (SCHMIDT, K.-U.: Bearbeitungsmuster von Normtest-Aufgaben bei Berufserfahrenen, S8 1990) 8 Vgl. GERDSMEIER, G. (1979a): Polytechnische Bildung in der Sekundarstufe I. Probleme und Methoden. In: E. SCHOENFELDT (Hrsg.): Polytechnik und Arbeit. Beiträge zu einer Bildungs- idee. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 188-203. DERSELBE (1983a): Wirtschaftsspiele - die Wirklichkeit des Unwirklichen. Ein rhapsodischer Nachtrag. In: arbeiten + lernen. Die Arbeitslehre, 5. Jg., H. 25, S. 101-104 DERSELBE (1979b): Induktiver wirtschaftslehre-Unterricht - Begründung, Merkmale und Verlaufsmodelle. In: Bildung und Erziehung, Heft 1, S. 25-42. 9 Die hier aUfgelisteten Fähigkeiten bilden das Gesamt der Qualifikationen, denen Mertens den status von Basisquali- Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 214 fikationen einräumt. Vgl. dazu den berühmten Aufsatz, der Anstoß für alle folgenden Versuche war, das Bündel grund- legender Fähigkeiten zu bestimmten: MERTENS, D. (1974): Schlüsselqualifikationen: Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: Mitteilungen aus der Arbeits- markt- und Berufsforschung. Jg. 7, H. 1, S. 41. 10 Vgl. GERDSMEIER, G. (1981): Anmerkungen zur Theorie-Praxis- Diskussion in der wirtschaftsdidaktik. In: zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Bd. 77, S.803 - 812. DERSELBE (1983b): Handlungs- und Wissenschaftsorientierung als Problem beruflichen und allgemeinen Lernens in der Se- kundarstufe 11. In: G. HEIDEGGER (Hrsg.): Wissenschaftsbe- zug und Lernorientierung. Beiträge zur Weiterentwicklung der Sekundarstufe 11. FrankfurtjM: Diesterweg (Schriften- reihe der wissenschaftlichen Begleitung 'Modellversuche Se- kundarstufe 11 in Hessen', H. 10), S. 39-125. 11 Vgl. hier die Auflistungen bei MERTENS, D. (1974): a.a.O., KLEIN, U. (1986) (Weiterbildung von Ausbildern in der 'Pro- jekt- und transferorientierten Ausbildung (PETRA) I bei Sie- mens. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Unterricht, R.5, S. 154) und BUTSCH, W. (1988) (Systematische Förderung selbständigen Arbeitens. In: W. BRÜCKERS, N. MEYER (Hrsg.): Nach der Neuordnung: Die Zukunft der Ausbildung in den Elektroberufen. Köln: Vgs-Verlagsgesellschaft, S. 121). 12 Vgl. die Kopfleiste der dritten Spalte in der AUflistung bei BUTSCH (1988): a.a.O., S. 121. 13 Die AUflistung der Schlüsselqualifikationen entstammt dem Beitrag von KLEIN (1986): a.a.O, S. 154. 14 Vgl. zu den folgenden Ausführungen z.B. MELLER, G. (1988): Denk- und Bewußtseinsformen im hohen Mittelalter. In: R. TOMAN (Hrsg.): Das hohe Mittelalter. Besichtigung einer fernen zeit. Köln: Benedikt Taschen Verlag, S. 130-140. 15 Vgl. entgegenstehende Darstellungen bei LE GOFF, J. (1987): Die Intellektuellen im Mittelalter. Stuttgart: Klett-Cotta, 2. Aufl. Seine Betrachtung setzt allerdings erst im 12. Jahrhundert ein und konzentriert sich auf die schmale Schicht der städtischen Intelligenz. 16 Vgl. zu dieser These ELIAS, N. (1976): Über den Prozeß der Zivilisation. FrankfurtjM: Suhrkamp 17 Die Vorstellung eines Diffusionsprozesses erklärt u.a. die angemerkte abweichende AUffassung von LE GOFF, dessen Be- schreibungen kritischer und bewegter geistiger Kontrover- sen sich nicht auf die Gesellschaften insgesamt, sondern auf eine kleine städtische Elite beziehen. 18 Vgl. zur Beschreibung dieser naiven Annahme TROTTER, R. J. (1987): Wissen, Erfahrung, Intuition. In: PSYCHOLOGIE HEUTE Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 215 (Hrsg.): Wenn Du denkst ... : Thema: Intelligenz. Weinheim und Basel: Beltz, S. 127 ff. 19 Diese Gleichsetzung findet sich bei MERTENS (1974): a.a.O., S. 41. 20 Vgl. zu den Testspielen DER SPIEGEL (1989): Menschliche Ehre gerettet. H. 44, S. 281. Vgl. zu den Programmierungen NEIS- SER, U. (1987): Intelligenz - gibts die? In: PSYCHOLOGIE HEUTE (Hrsg.): Wenn Du denkst ... : Thema: Intelligenz. Weinheim und Basel: Beltz, S. 67 ff und DER SPIEGEL (1989): a.a.O., S. 281. 21 Vgl. zu diesem Urteil TROTTER, R. J. (1987): a.a.O., S. 128 22 Die AUfgabe stammt aus STERNBERG, R.J.jDAVIDSON, J. E. (1987): Denksport: Rätselhaftes Denken. In: PSYCHOLOGIE HEUTE (Hrsg.): Wenn Du denkst ... : Thema: Intelligenz. Weinheim und Basel: Beltz, S. 139 ff 23 Vgl. DUNCKER, K. (1974): Zur Psychologie des produktiven Denkens. Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 3. Aufl. 24 Die AUfgabe stammt aus EPSTEIN, L. C. (1988): Epsteins Phy- sikstunde: 450 Aufgaben und Lösungen. Basel, Boston, Ber- lin: Birkhäuser - 2. Aufl. - S. 211. 25 Die Aufgabe stammt aus STERNBERG/DAVIDSON (1987): a.a.O., S. 149. 26 Vgl. TROTTER (1987), a.a.O. 27 Vgl. zu diesen Aussagen GRUBER, H. (1987): Kreativität: Ar- beit zum Vergnügen. In: PSYCHOLOGIE HEUTE (Hrsg.): Wenn Du denkst ... : Thema: Intelligenz. Weinheim und Basel: Beltz, s. 109 ff. 28 Vgl. NEISSER (1987): a.a.O., S. 72. 29 Vgl. NEISSER (1987): a.a.O., S. 77. 30 Vgl. GARDNER, H. (1987): Sieben Wege, an die Welt heranzuge- hen. In: PSYCHOLOGIE HEUTE (Hrsg.): Wenn Du denkst ... : Thema: Intelligenz. Weinheim und Basel: Beltz, S. 83 ff. 31 In der Sprache eines Befürworters des Konzepts der Schlüs- selqualifikationen drückt man diesen desillusionierenden Zusammenhang eher trotzig-voluntaristisch aus: Die "Förde- rung von Schlüsselqualifikationen [ist] in der Ausbildung künftig zwar unverzichtbar, aber [die Schlüsselqualifika- tionen können] nicht losgelöst von einem ganzheitlichen beruflichen Handeln (quasi als eigenständige Lernziele) vermittelt werden ... " BUTSCH (1988): a.a.O., S. 120. 32 Alle Beispiele stammen aus der Auflistung bei BUTSCH (1988): Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 216 a.a.O., S. 121. 33 Vgl. BODENHÖFER, A. R. (1984): Warum? Von der Obszönität des Fragens. Stuttgart: Reclam 34 Vgl. zur Charakterisierung von Schülervorstellung (und zu den Antworten auf die aufgeworfenen Fragen) GERDSMEIER, G. (1989): Merkmale von Präkonzepten der Schüler zu ökonomi- schen Sachverhalten. Ergebnisse empirischer Untersuchungen im Fachgebiet wirtschaftsdidaktik an der GhK. Unveröffent- lichtes Manuskript, S. 1-27. 35 Vgl. dazu auch das Exponat 1 in Kap. 32 und im Teil 2 die Vorbemerkungen zu Kap. 3 im Hinblick auf M 7. 36 Als Vergleichsrahmen wird für die folgenden Überlegungen der ursprüngliche Ansatz von Klafki verwendet. Vgl. KLAFKI, W. (1964): Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbe- reitung. In: H. ROTH/A. BLUMENTHAL (Hrsg.): Auswahl. Grund- legende Aufsätze aus der zeitschrift 'Die Deutsche Schule' Reihe A, 1. Hannover, Dortmund, Darmstadt, Berlin: Schroe- deI, S. 5-34. 37 Vgl. HE I MANN , P./OTTO, G./SCHULZ, W. (1972): Unterricht - Analyse und Planung, Hannover: Schroedel - 6. Aufl. - s. 13 ff. 38 Zu einer eingehenderen und etwas anders akzentuierten Ana- lyse der Entwicklung von Sozialtechnologien vgl. FIEBLIN- GER, G. (1990): Technikantropologie. Vortrag am 30.05.1990 im Colloquium des FB 02. Unveröffentlichtes Manuskript, insb. S. 10 f. Es wird hier die Auffassung vertreten, daß wir einerseits Zeugen sind einer "sich rasant entwickelnden Technisierung immer weiterer Lebensfunktionen, die vordem untechnisch oder vortechnisch erledigt wurden", daß ande- rerseits "die TeChnisierung sich mosaikartig in den Gesamt- vollzügen ausbreitet, so daß noch mehr oder weniger große Restanteile intuitiven Handelns bestehen bleiben". 39 Die Entscheidung, klassifikatorische Strukturbereiche für die ökonomik nicht vorzusehen, ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen und zu rechtfertigen, daß heute in der wirt- schaftspädagogischen Praxis möglichst alle Gegenstände klas- sifikatorisch "reduziert" werden und so eine Beschäftigung mit Theorien, Modellen, Kalkülen, Pragmatiken, Deskriptio- nen usw. substantiell verhindern. Würde man losgelöst von dieser situation und nur von der Disziplin her urteilen, würden Klassifikationen als ein disziplinärer Strukturbe- reich vorzuschlagen sein, da die ökonimik auch (wie andere Wissenschaften) mit logischen und empirisch-deskritiven Ord- nungen operiert. Zu den Eigenschaften und Wirkungen des klassifizierenden didaktischen Musters vgl. eingehender: GERDSMEIER, G.: Der klassifikatorische Strukturkern. Kassel: GhK (Berufs- und wirtschaftspädagogik Bd. 8) in Vorb. Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 217 40 Vgl. z.B. LINGELBACH, K.-CH. (1967): Der Konflikt als Grund- begriff der politischen Bildung. In: Pädagogische Rund- schau, 21. Jg., H. 1 (S. 48-55) und H. 2 (S. 125-138), GIE- SECKE, H. (1976): Didaktik der politischen Bildung. München: Juventa, insb. S. 161-172. 41 Vgl. KUTSCHA, G. (1976): Das politisch-ökonomische Curricu- lum, Kronberg i.T.: Athenäum Verlag. KELL, A. (1978): Aufbau und Funktion eines didaktischen Strukturgitters zur Kon- struktion sozialwissenschaftlicher Curricula. In: F.-J~ KAISER (Hrsg.): Die Stellung der Ökonomie im Spannungsfeld sozialwissenschaftlicher Disziplinen, Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt, S. 161-185. Vgl. zur Kritik dieses Ansatzes. GERDSMEIER, G. (1983 b): a.a.O. S. 62 f. 42 Vgl. Sieghart, P. (1988): Die geltenden Menschenrechte. Übersetzt von G. Machalek, eingeleitet von R. Machalek. Kehl a.R., Straßburg, Arlington: N.P. Engel Verlag; die zitate stammen aus der ausführlichen Besprechung von SCHINDEL, I. (1989): Was im Codex steht. Paul Siegharts Abhandlung über die Menschenrechte. In: Frankfurter Rundschau Nr. 241, 17.10.89, S. 9. 43 Man stößt z.B. auf diesen Sachverhalt, wenn man versucht, die Rendite der Bundesschatzbriefe vom Typ B (Auszahlung des Gesamtbetrages erst nach 7 Jahren) zu berechnen; Beispiel und Lösung verdanken ich dem Kollegen W. BLUM aus einer ge- meinsamen Veranstaltung. 44 Vgl. beispielhaft die klassischen Lehrbücher des Nobelpreis- trägers SAMUELSON, P.A: (1981): Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Köln: Bund Verlag - 7. Aufl. - usw. 45 Vgl. dazu SOS 1, S. 157-167, GERDSMEIER, G. (197gb): a.a.O., S. 217-222; ALBERT, H. (1963): Modell-Platonismus. Der neo- klassische stil des ökonomischen Denkens in kritischer Be- leuchtung. In: F. ZIERENBERG/H. ALBERT (Hrsg.): Sozialwis- senschaft und Gesellschaftsgestaltung, Berlin, S. 45-76, nachgedruckt in E. TOPITSCH (Hrsg.): Logik der Sozialwis- senschaften. Köln, Berlin: Kiepenhauer & witsch 1965, S. 123-143. 46 Vgl. Anm. 34. 47 Vgl. zur formalen Charakterisierung von Theorien z. B. OPP, K.-D. (1970): Methodologie der Sozialwissenschaften. Rein- bek: Rowohlt, S. 260 ff. 48 KUHN, Th. S. (1973): Die struktur der wissenschaftlichen Revolution. FrankfurtjM: Suhrkamp 49 Vgl. GERDSMEIER, G. (1979b), a.a.O. 8.182-184, 217 ff. 50 Vgl. die Demonstration in ACHTENHAGEN, F. (1984): Didaktik Gerdsmeier: SOS 2 Anmerkungen 218 des wirtschaftslehreunterrichts. Opladen: Leske und BUdrich, S. 124-126. 51 Vgl. Anm. 45. 52 Vgl. eingehender sos 1, S. 48-67. 53 Vgl. in dieser Hinsicht beispielhaft die Synopse der Kre ditarten, die in teilweise mehr als vierfacher Form hierar- chisch gestuft ist und auf der dritten Ebene bereits 21 Un- terscheidungen bildet. In: DIEPEN, G.jSAUTER, W. (1985): wirtschaftslehre für den Bankkaufmann. Wiesbaden: Gabler, S. 393. 54 Vgl. in dieser Richtung KIESSLER, o. (1988): Wissen des kaufmännischen Beschäftigten: Was, wozu und warum? Funk- tionale Ansprüche an den Angestellten. Arbeitsbericht im Rahmen des Modellversuchs "Hermes". Unveröffentlichtes Manuskript. 55 Vgl. zu dieser Auffassung BRINKMANN, C. (1939): Geschicht- liche Wandlungen in der Idee des gerechten Preises. In: Welt als Geschichte, Bd. 5, S. 418 ff, nachgedruckt in : A. MONTANER (Hrsg.): Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Köln: Kiepenhauer & witsch (Neue wissenschaftliche Biblio- thek. Wirtschaftswissenschaften) 1967, S. 359 f. 56 BAUMANN, H.: wirtschaftslehre für gewerbliche und hauswirt- schaftliche Berufs- und Berufsfachschulen - 7. Aufl. - Köln-Porz: Stam Verlag, 1981, S. 5-9. 57 ERBACH-BLANK: Der Bürokaufmann. wirtschafts- und Bürokunde. Bearb. von K. D. ERBACH, D. KUDER, - 17.,völlig neu bearb. und erw. Aufl. - Darmstadt: Winklers Verlag, 1981, S. 7f. 58 ZSCHENDERLEIN, M.: Allgemeine wirtschaftslehre. Grundstufe.- 2. Aufl. - Darmstadt: Winklers Verlag, 1979, S. 17f. 59 KÖPPEN, H.: Grundfragen der wirtschaft und der sozialen Ordnung. stuttgart: Deutscher Sparkassenverlag, 1980, S. 16f. 60 MEYER-GIESEKING, D.: Volkswirtschaftslehre für Banken. Ein- führung in die wirtschaftlichen Zusammenhänge. - 3., über- arbe und erw. Aufl. - Bad Homburg vor der Höhe; Berlin; Zürich: 1979, S. 19-22. 61 THEISINGER, 0., METZLER, D., BAUMANN, H.: wirtschafts- und Betriebslehre. Ein Lehrbuch für FOS Technik, Gestaltung und Hauswirtschaft. 9. Aufl., Köln-Porz: Stam Verlag, 1981, S. 2 Of • 62 Vgl. zur näheren Bestimmung dieses Musters: GERDSMEIER, G.: Der klassifikatorische Strukturkern - Kassel: GhK (Berufs- und wirtschaftspädagogik. Bd. 8), in Verb. Gerdsme;er: SOS 2 Anmerkungen 219 63 Vgl. zu diesem Motto für Arbeitsaufträge: ZSCHENDERLEIN, M. (1979): a.a.O., S. 17. 64 TANNAHILL, R. (1979): Kulturgeschichte des Essens. Von der letzten Eiszeit bis heute. München: Deutscher Taschenbuch ...Verlag, S. 32 ff. 65 ARCHIV für westfälische Volkskunde in der Volkskundlichen Kommission - Münster (Westf.) (1961): Vom Brotbacken in frü- her zeit. Berichte. -Bericht: Heinrich Thiemann. Berichts- ort: Ehringhausen, Kr. Lippstadt. Berichtszeit: um 1890. Münster (Westf.), S. 56-59. 66 vgl. HENNING, F.-W. (1977): Das vorindustrielle Deutschland 800 bis 1800. - 3. Aufl. - Paderborn: Schöningh (UTB 398), S. 57f, 70f, 82. 67 Der Bericht orientiert sich an den Darstellungen in: Chronik des Nürnberger Bäckerhandwerks 1302 - 1982. Hrsg. von der Bäckerinnung Nürnberg. Nürnberg 1981, S. 26 - 76 68 Der Anhang ist in den vorliegenden Studientext nicht über- nommen worden. Einige Texte, die vorgesehen waren, sind in den Vorbemerkungen zu Kap. 2(2) enthalten. Andere lassen sich in der Chronik des Nürnberger Bäckerhandwerks (vgl. Anm. 67) nachlesen. Vgl. weiterhin HENNING, F.-W. (1977): a.a.O., S. 100 - 103 und KUCZYNSKI, J. (1981): Geschichte des Alltags des deutschen Volkes. Studien 1. 1600 bis 1650. Köln: Pahl-Rugenstein, S. 119ff. 69 Der Text beruht auf einer großzügigen Interpretation der Erinnerungen Friedrich Bruchs, die in Auszügen nachgedruckt wurden in: HARDACH-PINKE, I.I HARDACH, G. (HRSG.) (1978): Kinderalltag. Deutsche Kindheiten in Selbstzeugnissene 1700 - 1900. Reinbek: Rowohlt, S. 177ff. Schriftenreihe: Berufs- und Wirtschaftspädagogik des Instituts für Berufsbildung der Universität Gesamthochschule Kassel Bisher erschienen: Bd. 1 DRÖGE, Raimund: Datenverarbeitung und Infonnationstechnologie 1m kaufmän- nisch-verwaltenden Bereich. Kassel 1985. 374 Seiten. DM 10,00. Bd.2 FREY, Karl: Schulisches BOJ, betriebliche Fachstufe und regionale Erwerbschancen. Kassel 1985. 181 Seiten. DM 8,50. Bd. 3 Vergriffen: GROTE, Martin: Bildungsplanung in Entwicklungsländern als Problem der Entwick-Iungspolitik. Kassel 1985. 271 Seiten. DM 10,00. Bd.4 HOFFHUES/PURSCHKE/TüMMERS: Berufspädagogische Probleme bei türkischen Ju- gendlichen. Kassel 1986. 170 Seiten. DM 10,00. Bd. 5 KEMPKES, Hans-Peter: Das Konzept des offenen Schulbuches als Beitrag zur Curri- culumentwicklung des Faches Wirtschaftslehre/Wirtschaftswissenschaften an der Se- kundarstufe 11. Kassel 1987. 356 Seiten. DM 15,00. Bd. 6 TÜMMERS, Jürgen: Türkei - für Berufspädagogen, Studienmaterialien zur Sonderpäd- agogik der Berufsbildung. Unter Mitarbeit von BEYERlCINARlFoULADI/HoFFHUES/ KOCH/PURSCHKE/WILHELM. Kassel 1988. 647 Seiten. DM 58,00. Bd. 7 E. 7t. Sode: Schulbuch 0 hne Schule. 1. Bedürfnisse. Die unterdrückte Lust an der didaktischen Reflexion. Kassel 1989. 334 Seiten. DM 15,00. Bd. 9 LIM, Se Yung: Die Ergebnisse der Lemortdiskussion und ihre Bedeutung für die Qualifizierung von gewerblich-technischen Arbeitskräften in der Republik Korea. Kassel 1989. 263 Seiten. DM 10,00. *Bd. 10 Vergriffen. Bd. 11 RUNKEL, Jakob: Das Studium saudiarabischer Graduierter im Magisterstudium an der Gesamthochschule Kassel - Universität. Kassel 1990. 358 Seiten. DM 15,00. Bd. 12 GERDSMEIER, Gerhard (Hrsg.): Schulbuch 0 hne Schule. 2. Arbeitsteilung. Vorre- den zu einer Wirtschaftsdidaktik. Kassel 1990. 219 Seiten. DM 15,00. * Zweite, erweiterte Auflage: KIpp, Martin/MILLER-K!PP, Gisela: Erkundungen im Halbdunkel. Einundzwan- zig Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im nationalsozialistischen Deutschland. Frankfurt am Main 1995. 594 Seiten. DM 48,00. Zu beziehen beim Verlag der G. A. F. B. Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bil- dung, Am Eschbachtal 50, 60437 Frankfurt am Main. Schriftenreihe Berufs- und Wirtschaftspädagogik Bd. 13 SPRETH, Günter (Hrsg.): Berufsbildung im Jemen. Kassel 1992. 340 Seiten. DM 15,00. Bd. 14 NÖLKER, Helmut (Hrsg.): Berufsbildung in Saudi-Arabien. Kassel 1992. 350 Seiten. DM 15,00. Bd. 15 KIpP, Martin: Die berufliche Rehabilitation Behinderter in der ehemaligen DDR - Er- fahrungen aus einem studentischen Erkundungsprojekt an der Gesamthochschule Kassel von LANGE/NAUIREINHOLD 1993. Kassel 1993. DM 5,00. Bd. 16 SACHER, Gabriele: Unterrichtliche Lehrverhaltensweisen im Microteaching und die Ausdifferenzierung ihrer inhaltlich-strukturellen Dimension vor dem Hintergrund einer psychologisch-didaktischen Theorie. Kassel 1993. 351 Seiten. DM 20,00. Bd. 17 STACH, MeinhardlWIECHMANN-SCHRÖDER, Gabriele (Hrsg.): 20 Jahre Berufspäd- agogik an der Gesamthochschule Kassel. Studien- und Forschungsschwerpunkte, Rückblick und Perspektiven. Kassel 1994. 110 Seiten. DM 10,00. Bd. 18 DENSTORFF, Claudia/NEuMANN, Gerd (Hrsg.): Konzepte für die betriebliche Aus- und Weiterbildung. Kassel 1994. 144 Seiten. DM 6,00. Bd. 19 TÜMMERS, Jürgen/KRAux, Axel/BARKEY, Friedhelm (Hrsg.): Ganzheitliche Pro- blemorientierung in der sozialpädagogischen Ausbildung von Berufs- und Wirt- schaftspädagogen. Kassel 1995. 140 Seiten. DM 15,00. Bd. 20 ZIMMERHACKL, Silke: Persänlichkeitsentwicklung und Stigmatisierung und ihre Be- deutung für die berufliche Eingliederung Lernbehinderter. Hrsg.: STACH, Meinhardl l~ÜMMERS, Jürgen. Kassel 1995. 156 Seiten. DM 7,50. Bd.21 SEYD, Wolfgang: "Pflege" an der GhK. Kassel 1995. 109 Seiten. DM 10,00. Bd.22 SCHOENFELDT, Eberhard: Der Edle ist kein Instrument. Bildung und Ausbildung in Korea (Republik), Studien zu einem Land zwischen China und Japan. Kassel 1996. 383 Seiten. DM 20,00. Bd. 23 WINNEFELD, Manfred: Bedarfsorientierte Managementausbildung in Entwicklungs- ländern dargestellt - an ausgewählten Organisationen im südlichen Afrika. Kriterien der Curriculumentwicklung unter besonderer Berücksichtigung systemtheoretischer Forschungsansätze. Kassel 1996. 362 Seiten. DM 20,00. Bd.24 BLUM, Wemer/FINGERLE, Karlheinz/GERDSMEIER, Gerhard (Hrsg.): Mathematikleh- ren in der Berufsschule - Fachunterricht und Lehrerbildung. Kassel 1998. 111 Seiten. DM 10,00. Bd.25 GEHLE, Claudia: Strukturkonzept einer handlungsorientierten Fortbildung für steuer- beratende Berufe. Kassel 1997.340 Seiten. DM 20,00. Schriftenreihe Berufs- und Wirtschaftspädagogik Bd.26 STACH, Meinhard/KIPp, MartinlWIECHMANN-SCHRÖDER, Gabriele (Hrsg.): Perspekti- ven und Internationalisierung der Berufspädagogik. Erweiterte Dokumentation einer Fachtagung aus Anlaß des 25jährigen Bestehens der Universität Gesamthochschule Kassel. Kassel 1997. 112 Seiten. DM 10,00. Bd.27 STACH, Meinhard: Bildung und Berufsbildung für Behinderte. Vergleich und Darstel- lung der Systeme ausgewählter Länder. Ergebnisse eines studentischen Projekts. Kassel 1998.221 Seiten. DM 8,00. Demnächst erscheint: Bd. 8 GERDSMEIER, Gerhard: Der klassifikatorische Strukturkem. Bestellungen bzw. Anfragen an: Dr. Raimund Dröge Universität Gesamthochschule Kassel Institut für Berufsbildung Heinrich-Plett-Straße 40 34109 Kassel Unverbindliche Preisempfehlungen. Preisänderungen vorbehalten. Porto- und Versandkosten werden gesondert berechnet.)